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ZEITSCHRIFT
FÜR
OHRENHEILKUNDE
UNTER MITWIRKUNG VON
Pror. Dr. A. BARTH IN BRESLAU,
PROF. DR. E. BERTHOLD IN KÖNIGSBERG,
Pror. Dr. F. BEZOLD IN MÜNCHEN,
DR. E. BLOCH IN FREIBURG I. B.,
DR. G. BRUNNER IN ZÜRICH,
DR. Swan BURNETT IN WASHINGTON,
PRosEcCTOR Dr. E. FRAENKEL IN
HAMBURG,
DR. E. GRÜNING IN NEW-YORK,
Pror. DR. A. GUYE IN AMSTERDAM,
DR. ARTHUR HARTMANN IN BERLIN, °
MED.-RATH Dr. A. HEDINGEX IN
STUTTGART,
HoFRATH DR. TH. HEIMAN IN WARSCHAU,
ProF. Dr. G. KILLIAN IN FREIBURG I. B.,
Dg. CHARLES KIPP IN NEWARK,
Pror. DR. O. KOERNER IN ROSTOCK,
Dr. B. LÖWENBERG IN PARIS,
DR. HOLGER MYGIND IN KOPENHAGEN,
PROF. Dr. U. PRITCHARD IN LONDON,
ProrF. Dr. ST. J. RoosA IN NEW-YORK,
ProF. DR. E. DE ROSSI IN ROM,
DR. A. SCHEIBE IN MÜNCHEN,
DR. E. SCHMIEGELOW IN KOPENHAGEN,
SANITÄTSRATH Dk. D. SCHWABACH IN
BERLIN,
Pror. Dr. F. SIEBENMANN IN BASEL,
ProF. DR. H. STEINBRÜGGE IN GIESSEN,
Dr. C. TRUCKENBROD IN REGENSBURG,
PRoF. DR. V.UCHERMANN IN CHRISTIANIA,
DR. O. WOLF IN FRANKFURT A. M.
IN DEUTSCHER UND ENGLISCHER SPRACHE
HERATSGEGEBEN VON
Pror. DR. H. KNAPP vxo PROF. Dere. S. MOOS
IN NEW-YORK
IN HEIDELBERG,
SIEBENUNDZWANZIGSTER BAND.
MIT ZWEI LITHOGRAPHISCHEN FARBENTAFELN, EINEM PORTRÄT VON S. MOOS IN
HELIOGRAVÜR UND ELF ABBILDUNGEN IM TEXTE.
WIESBADEN.
VERLAG VON J. F. BERGMANN.
1895.
JUN 15 1909
nO 00mm
LIBRARY
Alle Rechte vorbehalten.
CATALOGURA
JUN 15 1909
J.F, B.
Druck von Carl Ritter in Wiesbaden,
—
-— —_—— -A ——
INHALT.
——
Nekrolog: S. Moos, HEIDELBERG t. Von H. Knapp in New- York.
I.
II.
III.
IV.
- Richmond, Va.
vV.
VI.
VII.
VIII.
IX.
XI.
XII.
XIII.
XIV.
XV.
XVI.
XVII.
XVIII.
Porträt in Heliogravür
Geschichte und Autopsie zweier tödtlich verlaufenen oltischen
Hirnkrankheiten. Von Hermann Knapp, New-York. Mit
2 lithographischen Farbentafeln I/II und I Abb. im Texte.
Eine neue Form der Influenza - Otitis. Von 0. Körner m
Rostock .
Ein Fall von Basis- Urartu Von J shi Duam Richmond: Va.
(Uebersetzt von C. Truckenbrod).
Ein Fall von Otitis haemorrhagica externa. Von J ohh Dun i;
(Uebersetzt vor C. Truckenbrod)
Kann man aus der Form des Schädels wichtige Schlüsse auf die
Beschaffenheit des Schläfenbeines ziehen? Beantwortet auf Grund
von 500 Schädel-Messungen. Von B. Alexander Randall,
ls DB von C. Truc k enbrod.) Mit3 Abb.
im Texte. . .
Doppeltseitiges Hämatom de Lobulus. “Fon. B. A ie exan d er
Randall, Philadelphia. (Uebersetzt von C. Truckenbrod)
Ein Fall von u otitischen Hirnabscess nebst einer
Statistik aus dem paa :-anat. Institut zu Berlin. Von L. Treitel
in Berlin .
Bildunsssnomähen im häufigen Labyrinth bei Paxbstimmheit,
Von A. Scheibe in München. (Aus dem u Institut in
München) ;
He histologischer Beitrag zur ır Taubstummheit durch Otitis interna,
n A. Scheibe in München. (Aus dem histolog. Institut in
München)
. Drei Fälle von ifene Otitis it epiduralen Risen, (Vor-
en in der deutschen medicinischen Gesellschaft zu New-York.)
on W. Vulpius, Assistenzarzt anı N ew-Yorker ee:
and Aural- Institute i
Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. Von Stani islaus
von Stein, Privatdocent an der Käiserl. Universität zu Moskau.
Mit 7 Abbildungen im Texte ;
Ein Wort im Interesse unserer na Fachliteratur.
Fr. Bezold in München. TEE
Fortsetzung und Schluss von Artikel XI a š
Zur diagnostischen Verwerthung der oberen und unteren Ton-
grenze, sowie des Rinne’schen und Schwabach'schen Versuches.
Von Gustav Brunner in Zürich . . .
Die Ermittlung USE: ae Taubheit. Von E. Bloch
in Freiburg i. BPa
Verticillium Graphii als Übsnche einer hartnäckigen Otitis teria
diffusa. Von Maximilian Herzog in Chicago, früher Ohren-
und Halsarzt am deutschen S I in Cincinnati, Ohio. Do
setzt von C. Truckenbro be
Ueber die Indicationen der Warzenfortsatzoperationen pi Sauter
Von
eitriger Mittelohrentzündung, mit vier erläuternden Fällen. Von.
Hermaun Knapp in New-York..
Ueber die Möglichkeit einer deutlichen Bosshrung bei der Be-
handlung der Taubheit und der vermutheten Taubstummheit
durch akustische Uebungen — ein System von Tonbehandlung
des Gehörnerven, wie es Prof. Urbantschitsch in Wien a eben
hat. Von M. A. Goldstein, Saint Louis, Missouri. eber-
setzt von C. Truckenbrod. ; á
Seite
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296
IV Inhalt.
XIX. Zwei Fälle von otitischer Hirnerkrankung (Sinus thrombose und
Abscess). Von Robert E. Moss in San Antonio, Texas.
(Uebersetzt von C. Truckenbrod.) .
Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Pathologie und Therapie
im Gebiete der Krankheiten des Gehörorganes und 'der Nase
im zweiten Halbjahr 1894. le von Arthur
Hartmann in Berlin .
Bericht über die Leistungen und Fortschritte im Gebiet der normalen and
pathologischen Anatomie und Histologie, sowie der Physiologie
des Gehörorganes und Nasenrachenraumes im ersten Sun
des Jahres 1895. Von Ad. Barth in Marburg .
Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Pathologie und Therapie
im Gebiete der Krankheiten des Gehörorganes und der Nase
im ersten Quartal des Jahres 1895. nn. von
Arthur Hartmann in Berlin
Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Pathologie und Ther apie
im Gebiete der Krankheiten des Gehörorganes und der Nase
im zweiten Quartal des Jahres 1895. ne) von
Arthur Hartmann in Berlin:
Bericht über die Verhandlungen der Deutschen Btologischen Gesellschaft
auf ihrer vierten Versammlung zu Jena am 1. und 2. Juni 1895.
Erstattet von Arthur Hartmann-Berlin und na
Frankfurt a. M.
V. Internationaler Otologischer Cora in Pioi vom 23. Di 26. Sep-
` tember 1895. Bericht von T. Bobone in San Remo
Bericht über die Verhandlungen der otologischen Abtheilung der 67. Ver.
sammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Lübeck vom
"16. bis 21. September 1895. Von Karutz in Lübeck
Besprechung von E. Bloch in Freiburg i. Br.:
Ueberschau über den gegenwärtigen Stand der Ohrenheilkunde. Nach
den Ergebnissen meiner 24jährigen statistischen Beubachtung.
Von Dr. Friedr. Bezold, Prof. d. Ohrenheilkunde an 2
Universität München
Besprechung von F. Bezold in München : Ä
Labyrinthtaubheit und Sprachtaubheit. Klinische Beiträge zur
Kenntniss der sogenannten subcorticalen sensorischen Aphasie,
sowie des Sprachverständnisses der ınit Hörresten begabten Taub-
stummen von Dr. C. S. Freund, Nervenarzt in Breslau .
Besprechung von A. Scheibe in München:
Die Nasenhöhle und ihre Nebenräume in Gypsmodellen natürlicher
Grösse nach Schnitten eines Spiritusschädels hergestellt. Von
Dr. Odo Betz in Heilbronn a. N. ea e a n a y
Besprechung von E. Bloch in Freiburg i. B.:
Sammlung zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiete der Nasen-,
Ohren-, Mund- und Halskrankheiten. OAOE CEE DEN von Dr.
Maximilian Bresgen. an ee > real 3
Nekrolog:
DR. WILHELM MEYER, KOPENHAGEN t. Von S. Moos, Heidelberg.
Personalien . . 20.2 2.0.19.
Berichtigung von E. E in kopanhagén
Berichtigung von E. Bloch in Freiburg .
Redactionelle Mittheilung i
— ————
+
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JUN 15 1909
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I.
‘Geschichte und Autopsie zweier tödtlich ver-
laufenen otitischen Hirnkrankheiten,
(1. eines typischen Schläfenlappenabscesses und. 2. eines
acuten otitischen Retropharyngealabcesses mit eitriger
Leptomeningitis der Vorderlappen.)
Von Hermann Knapp, New-York.
Mit 2 lithographischen Farbentafeln I/II und 1 Abb. im Texte.
Die Veröffentlichungen der beiden hier zu beschreibenden Fälle,
von welchen ich .im Stande bin, gute colorirte Abbildungen des früh-
zeitigen Sectionsbefundes zu liefern, dürfte zur Zeit, wo die chirurgische
Behandlung der otitischen Hirnleiden so eifrig und fruchtbar bebaut
wird, nicht ohne Interesse sein.
I.
Der erste Fall stellt einen typischen, von chronischer
Otorrhöe bedingten, Abscess im Schläfenkeilbeinlappen
dar, welcher ohne weitere Complicationen durch seine Grösse zum Tode
durch Hirndruck führte. Der Sectionsbefund macht es durchaus wahrschein-
lich, dass der Patient hätte gerettet werden können, wenn der Abscess,
selbst eine Woche vor dem Tode, entleert worden wäre.
Patient, G. A. N., war ein junger Arzt von New-York. Er hatte von
Jugend auf an beiderseitiger Otorrhöe gelitten, und war mehrere Jahre an
Ohrpolypen mit Trichloressigsäure und andern Aetzmitteln behandelt worden.
Am 19. October 1894 kam er in Behandlung meines früheren Schülers Dr. J. B.
McMahon, welcher einen Polypen aus dem linken Ohre entfernte. P. hatte
heftiges allgemeines Kopfweh, kein Erbrechen. Die weitere Behandlung bestand
in Reinigen des Ohres, Einträufelung einer schwach alcoholischen Borsäurelösung
und Betupfen des Granulationsgewebes mit Chromsäure. Am 12. November
wurde Me Mahon gerufen. Pat. war im Bett seit zwei Tagen. Heftige Kopf-
schmerzen. Schlafsucht. Kein Erbrechen. Keine Empfindlichkeit auf Druck.
Nimmt Nahrung zu sich. Stuhl regelmässig. Puls 72; Resp. 16; Temp. 37,40C.
Am 14. November. Ungefähr derselbe Zustand. Temp. 37,6.
Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Rd. XXVII. 1
2 H. Knapp: Geschichte und Autopsie
Am 15. November. Puls 60; Resp. 18; Temp. 37,1. Granulationsgewebe
mit scharfem Löffel ausgekratzt. Ausgesprochene Benommenheit des Kopfes.
Fragen nur schwierig beantwortet. Schmerz geringer. Pupillen und Augen-
grund normal.
Am 16. November Abends sah ich Pat. in Consultation. Er lag theil-
nahmlos im Bett, antwortete nicht, bewegte die Hände nur, wenn mit dem
Baumwollträger sein Gehörgang gereinigt, wurde. Die Pupillen waren gleich
weit und reagirten gut auf eine von beiden Seiten in sie geworfene Lichtspitze.
Augengrund normal. Er hatte sehr starkes Kopfweh, Uebelkeit, kein Erbrechen,
war sehr reizbar. Puls 64, Temp. 37. Warzenfortsatz normal.
Wir diagnostirten einen Abscess im Schläfenlappen und riethen zur Operation
am nächsten Tage, was auch bewilligt wurde, aber der Kranke bekam in der-
selben Nacht starkes Fieber (Puls 136; Temp. 40,7) und starb am nächsten
Morgen um 7 Uhr comatös.
Die 8 Stunden nach dem Tode gemachte Section ae einen enormen,
fast den ganzen Schläfenkeilbeinlappen einnehmenden Abscess.
Die Dura mater war mit Ausnahme des das Felsenbein deckenden Theiles
nicht wesentlich abnorm. Als sie eingeschnitten und abgezogen wurde, sah
man die oberflächliche Schichte des Schläfenlappens grau verfärbt, leicht ein-
gesunken und so verdünnt und brüchig, dass sie bei leiser Berührung barst,
worauf eine grosse Menge sehr übelriechenden, rahmigen, leicht grünlichen Eiters
hervorstürzte. Die Durchbruchstelle lag5öcm über und 2,5 cm hinter dern Gehörgang.
Die Abscesshöhle war 8cm lang und 6,5cm hoch. (Siehe Zeichnung, Taf. 1).
Sie war mit einer dünnen, schwarzgrauen, leicht zerfallenden Schichte eingedickten
Eiters ausgekleidet, welche sich nach allen Seiten an erweichte Gehirnsubstanz
anlehnte, ausgenommen gerade nach innen, wo die Gehirnsubstanz normale Con-
sistenz zeigte, aber sehr gefässreich war. (Siehe Zeichnung.)
Als das Gehirn herausgenommen wurde, zeigte sich die Dura auf der
Vorderfläche des Felsenbeins schwarz verfärbt, mit dem Knochen verwachsen
und an einer kleinen Stelle, dicht vor der Eminentia arcuata, durchbrochen.
Nach dem Abziehen der Dura sah man an dem gleich schwarz verfärbten
Knochen eine der Perforation in der Dura entsprechende Lücke von 4mm Durch-
messer und mit Granulationsgewebe ausgefüllt. Durch die Lücke gelangte man
mit der Sonde in die Trommelhöhle. |
Merkwürdigerweise hatte der Abscess den übrigen Theil des Gehirns kaum
sichtbar verändert. Es fanden sich weder eine epidurale Eiterung, noch Ver-
änderungen an den weichen Häuten, noch in der Hirnsubstanz und den Ven-
trikeln, deren Flüssigkeit weder vermehrt, noch verfärbt war. Von der Durch-
bruchsstelle in der Dura war kein Gang in die Abscesshöhle zu sehen. Der
Temporosphenoidallappen wurde herausgenommen, in Eis aufbewahrt, am nächsten
Tage geöffnet und gezeichnet, darauf in einer Formollösung (zuerst 50/,, dann
100/,) gehärtet und aufbewahrt. In wenigen Tagen war er ebenso erblasst, als
ob er in starkem Weingeist gelegen hätte.
Das ganze Felsenbein sammt dem Warzenfortsatz und dem den Gehörgang
bis in die Fossa glenoidea umgebenden Knochen wurde bei der Section entfernt
und am nächsten Tage durch einen Lgubsägenschnitt gespalten, welcher durch
zweier tödtlich verlaufenen otitischen Hirnkrankheiten. 3
‚die Mitte des äusseren und inneren Gehörgangs (Siehe Fig. 1 ea und ia) verlief.
Das Trommelfell fehlte, der Hammergriff (m) ragte frei in den Canal; von der
knöchernen, rauhen, lateralen Wand des Kuppelraumes ging ein Polyp (d) aus,
welcher einen Theil des Kuppel- und Trommelraumes mit verdickter Schleim-
haut (b) bedeckt, einnahm. Der untere Trommelraum war leer, die Labyrinth-
wand rauh, auf dem Durchschnitt compact und glänzend, in ihrem oberen
Theile (e) durchbrochen. Der Kuppelraum war durch Granulationen und grün-
liche Massen ausgefüllt, welche sich bis in die Durchbruchsstelle an der oberen
Wand des Felsenbeins und durch den Durchbruch in der Labyrinthwand in das
Labyrinth (f) erstreckten, dieses vollkommen ausfüllten und bis in den inneren
Gehörgang (ia) drangen, ohne dessen Mündung zu erreichen. Die Dura mater
“und der Knochen an der hinteren Felsenbeinwand waren normal, ebenso das
Kleinhirn und die Blutleiter. |
Epikrise. Man wird wohl kaum einen schulmässigern Fall des
gewöhnlichen otitischen Hirnabscesses finden können, als den eben be-
schriebenen. Seine Entstehung ist klar und oft dargelegt worden.
Welche Lehren lassen sich an denselben anknüpfen? Ich glaube, dass
man noch ein günstiges Resultat hätte erzielen können, als der Patient
schon schlafsüchtig war, denn es sind Fälle bekannt, wo Patienten in
solchem Zustande operirt wurden, das Coma bald nach der Eröffnung
des Abscesses aufhörte, und dauernde Genesung eintrat. In unserem
Falle wäre dies auch möglich gewesen, denn ausser dem allerdings grossen
Abscesse und der denselben umgebenden Erweichungsschichte, lagen
keine nennenswerthen Veränderungen im Gehirn vor. Die Operations-
methode würde, wie sie beabsichtigt war, zuerst in der gründlichen
Reinigung des Trommel-, Kuppel- und Labyrinthraumes von dem Antrum
1*
e
4 H. Knapp: Geschichte und Autopsie
mastoideum aus bestanden haben, sodann in einer Trepanation . des
Schädels an der gewöhnlichen Stelle, nämlich 4 cm über und 3 cm hinter
dem äusseren Gehörgange, mit breiter Trepankrone, ganz in derselben
Weise, wie ich dies in einem im ersten Hefte dieses Bandes (p. 20, etc.)
beschriebenen erfolgreich operirten Falle gethan habe.!) Dass derartige
Fälle mit grosser Ueberzeugungskraft uns zu sorgfältiger Behandlung
aller chronischen Otorrhöen, namentlich derer mit übelriechendem Secrete,
Caries und Polypenbildung auffordern, versteht sich von selbst, und
treten bei den so weit fortgeschrittenen Fällen die sog. Radicaloperationen,
d.h. gründliche Ausräumung der Trommel- und der damit verbundenen
Nebenhöhlen, einschliesslich der Labyrinthhöhle, in ihre Rechte ein.
II.
Der zweite Fall ist in seinem ganzen Verlaufe nichts weniger
als typisch. |
Max G., 24 Jahre alt, 97 Orchard St., New-York, kam am 29. November
1894 in meine Klinik. Er wurde mit der Diagnose: Otitis media purulenta
acuta aur. sin. eingetragen. Schmerzen im Kopf. Etwas Anschwellung
der Haut des Warzenfortsatzes, nicht des Gehörgangs. Vorsichtiges Ausspritzen
mit Borsäurelösung empfohlen; Aufnahme in’s Hospital angerathen, welches
am 7. December geschah. Sein Leiden fing vor zwei Wochen mit heftigem
Kopfschmerz an, zu welchem sich bald übelriechender Ausfluss und Granulations-
bildung gesellte. Das jetzige Leiden war vielleicht ein acuter Rückfall einer
früheren Otitis purulenta. Patient klagt über Schmerzen im Ohre, aber noch
mehr über Schmerzen, welche sich über die ganze linke Kopfhälfte erstreckten,
bald mehr in der Schläfe, bald mehr über der Stirn, bald mehr im Hinterkopf
auftraten. Dies verhielt sich so im ganzen Verlauf seiner Krankheit. Percussion
über dem Ohre wurde zuweilen als schmerzhaft bezeichnet, nie an andern Stellen.
Am 8. December klagte er über Schmerzen hinter dem Ohre, und der
Proc. mast. war leicht geröthet und angene hen: Anwendung des Leiter-
schen Kühlapparates.
Am 10. December. Beständig Schmerzen in und hinter dem Ohre. Warzen-
fortsatz teigig, hinterer Abschnitt des Trommelfells vorgebaucht. Paracen-
tese: Blut, kein Eiter.
Am 12. December. Eis erleichtert nicht mehr. Tiefer Schmerz bei Druck
auf den Warzenfortsatz. Reguläre Eröffnung des Processus mast,
Geringe Menge Eiter nahe der Spitze. Viel Granulationsgewebe ausgelöffelt. Sonde
dringt in den Atticus. Kein Nachlass der Schmerzen im Kopf. Augengrund,
Sehschärfe und Sehfeld normal. Gehör null. Als keine wesentliche Besserung
eintrat, wurde am 21. December eine Radicaloperation angefangen. Die
1) Die kleine Patientin, welche ich vor 13 Monaten operirte und vor einer
Woche wieder untersuchte, hat keine weiteren Beschwerden gehabt und befindet
sich vollkommen wohl,
zweier tödtlich verlaufenen otitischen Hirnkrankbeiten. 5
frühere Wunde erweitert und viel Granulationsgewebe ausgekratzt. Im Anfang
des Meisselns, und zwar .ganz nahe an der hinteren Gehörgangswand stürzte
dunkles Blut hervor (Sinusverletzung). Die Wunde wurde tamponirt und
die Operation nicht fortgesetzt.
Am 24. December. Verband und Wunde rein. Schmerzen grösser als je
zuvor, besonders im Ohr. Paracentese des im hinteren-oberen Quadranten
vorgebauchten Trommelfells. Kein Eiter. Warme Ohrdouche giebt etwas Er-
leichterung.
Die regelmässig Morgens und Abends vorgenommenen Messungen ergaben
eine von 76 bis 88 schwankende Pulscurve, und eine zwischen 86,8 und 38
schwankende Temperaturcurve; nur einmal, am 14. December, stieg die Tem-
peratur auf 38,5.
Am 25. December. Unzweifelhafte Empfindlichkeit bei der Percussion
3,9 cm über dem äusseren Gehörgang. Der Kranke speit beständig und
klagt über Schmerzen im Halse, und eine Anschwellung hin-
derte ihn am Schlucken. DiePharynxwand rothundgeschwollen,
aber nicht mehr, als man es bei einer leichten catarrhalichen Pharyngitis sieht.
Kein Appetit.
Am 26. December. Keine Besserung; deshalb Craniotomie. Da Pat
zuweilen die Schmerzhaftigkeit direct über dem Ohre als am grössten bezeichnete
und auch die Percussion daselbst am meisten schmerzhaft empfunden wurde,
ferner da eine intradurale Eiteransammlung in der mittleren Schädelgrube nicht
unwahrscheinlich erschien, so beschloss ich, die Trepanationsöffnung gerade über
dem Ohre vorzunehmen. Ich löste zuerst die Ohrmuschel von der hinteren
Gehörgangswand ab und drang vom Warzenfortsatz aus in die Paukenhöble,
reinigte dieselbe, namentlich den reichlich Eiter enthaltenden Kuppelraum,
welchen ich erweitert fand und in welchem ich mit dem Löffel ungewöhnlich
weit nach vorn und innen dringen konnte. Dabei wurde ein kleines cylindrisches
Muskelstück, offenbar vom Tensor tympani, entfernt. Nachdem ich auf diese
Weise Luft geschafft, trepanirte ich die Schläfenschuppe mit einer Krone von
2cm Durchmesser. Die Dura war normal, anfangs pulsirend, hernach nicht
mehr. Ich drang mit einer breiteren Aspirationsnadel durch die Dura nach
verschiedenen Richtungen in die Gehirnmasse ein, ohne eine Spur von Eiter zu
erhalten. Darauf löste ich mit einer Sonde die Dura von dem Knochen bis auf
den Bodeu der mittleren Schädelgrube. Es zeigte sich keine Abnormität. Bei
der Lostrennung der Dura vom Knochen entstand plötzlich eine ziemlich starke,
arterielle Blutung. Dieselbe wurde durch Tamponade mit Sublimatgaze leicht
gestillt. Die Hautwunde wurde in ihrem oberen Theile vernäht, ein silbernes,
perforirtes Abzugsrohr eingelegt und die Wunde verbunden.
Die Reaction war ziemlich bedeutend. Die Temperatur, welche am
Operationstage 37. war, stieg am Morgen des nächsten Tages, 27. December,
auf 37,5, am Abend auf 38,4, am 28. December morgens auf 38,8, fiel dann
am 29. December auf 38. In der Nacht nach der Operation schlief Patient
ruhig. Am nächsten Tage, 27. December, klagte er über einen im Halse
steckenden Körper, er spie beständig, konnte nicht schlucken und erbrach wieder-
holt. Malzextract war die einzige Nahrung, welche er nahm und vertrug.
6 H. Knapp: Geschichte und Autopsie
Am 28. December. Beständig Erbrechen, von grünlicher Farbe. Ein-
genommenheit des Kopfes. Spricht nichts als Ja oder Nein, wenn gefragt,
er scheint doch Alles zu verstehen. Pupillen und Augengrund normal.
Da die Erscheinungen sich am Nachmittag verschlimmert hatten und der
Patient, ohne weitere Hülfe, dem Tode verfallen zu sein schien, so machte ich
um 4 Uhr noch eine Operation. Ich öffnete die Wunde, legte die normal
aussehende, nicht pulsirende Dura mater blos, incidirte sie, und sondirte mit einer
breiteren Nadel noch einmal den Schläfenkeilbeinlappen und da ich nirgends
Eiter fand, so stiess ich zum Ueberfluss noch ein Scalpell 3cm gerade nach
innen ein und drehte es im rechten Winkel beim Herausziehen, ohne irgend
einen Erfolg. Darauf erweiterte ich die Wunde im oberen Theile des Warzen-
fortsatzes und stellte eine freie Communication zwischen demselben und dem
oberen Trommelhöhlentheil her. Zuletzt, um in der verzweifelten Lage des
Patienten nichts unversucht zu lassen, drang ich tiefer in den Knochen am.
unteren Theile der Warzenfortsatzwunde, mit dem Vorhaben, in die hintere
Schädelgrube zu dringen. Der Knochen war gesund, mit kleinen Lufthöhlen
durchsetzt, und frei von Secret. Trotz des vorsichtigsten Vordringens trat
plötzlich wieder eine profuse Venenblutung ein, die durch Tamponade leicht
gestillt wurde. Drainagerohr. Verband.
Am 29. December. Nacht ruhig. Schläft den ganzen Tag. Nimmt Malz-
extract. Erbrechen und Speien aufgehört. Temp. 38,9 am Morgen, 38,3 am
Abend. Weder Ausfluss aus dem Öhre, noch aus der Warzenfortsatzwunde,
auch durch Ausspritzen kein Eiter.
Am 30. December stieg die Temperatur auf 39,7; Puls 84. Patient schläft
meistens, hat Incontinenz und Zuckungen in den Gliedern.
Am 31. December, Stat. idem.
Am 1. Januar 1895, comatös. Temperatur 40,1.
Am 2. Januar Morgens 38,7, am Abend 39,7. Respiration 42, Puls 124.
Am 3. Januar, 11 Uhr Vormittags Tod im Coma.
Autopsie (siehe Tafel II) am Nachmittag um 4 Uhr.
Der Schädel wurde in gewöhnlicher Weise geöffnet. Die Dura war wenig
verändert. Keine extradurale Eiterung. Nach Ablösung der Dura zeigt sich
an der Convexität und der Medianfläche beider vorderen Lappen eine Ansamm-.
lung von gelbweissem Eiter entlang den Sulci in schlangenförmigen Linien.
Von den Vorderlappen an bis in die Mitte der convexen Fläche des Gehirns waren
kleine eitrige subarachnoidale Heerde zerstreut. Die Venen waren sehr dunkel
und wohl gefüllt über die ganze Gehirnoberfläche, mehr an der Convexität, als
an der Basis. Die hintere Hälfte der Convexität, die ganze Basis und die
hinteren zwei Drittel beider Medianflächen waren, abgesehen von meningealer
Hyperämie, normal. Das Hirn wurde als Ganzes herausgenommen, in Eis gelegt,
‘am nächsten Tage gezeichnet und dann secirt. Beide Hemisphären wurden
durch einen Medianschnitt getrennt, auf der Schnittfläche fand sich nichts
Abnormes. Die linke Hemisphäre wurde dann vom Scheitel bis zur Basis in
parallele, sagittale, ungefähr 1cm dicke Scheiben zerlegt. Dabei zeigte sich,
dass nirgends ein Abscess vorhanden war. Im hinteren Abschnitt war ein
Klumpen frisch geronnenen Blutes mit etwas erweichter Umgebung. Dies und
—
——
zweier tödtlich verlaufenen otitischen Hirnkrankheiten. 7
ein ganz oberflächlicher Bluterguss an der sonst unveränderten Basis der
mittleren Schädelgrube, waren die einzigen auf die Operation zu beziehenden
Veränderungen. Durch die Lücke in der Dura an der Trepanationsstelle war
die Hirnsubstanz etwas vorgetreten, zeigte aber keine nennenswerthen Ver-
änderungen. | |
An den Vorderlappen, sowohl auf deren convexen als medianen Fläche,
sah man, dass die Eiterung auf den Subarachnoidalraum beschränkt war und
nirgends in die Gehirnsubstanz eindrang. Die Gehirnmasse, die Ventrikel und
deren Flüssigkeit, das Kleinhirn und sämmtliche Sinus waren nicht merklich
verändert, mit Ausnahme der Gefässe der linken Sylvischen Spalte, welche von
einer dünnen Lage durchsichtigen Exsudates umgeben schienen. Das Gehirn
wurde einen Tag lang in eine 10 prozentige Formollösung gelegt, dann in einer
5 prozentigen aufbewahrt. Die rechte Hemisphäre wurde als Ganzes präservirt.
Nach der Herausnahme des Gehirns entfernte ich das Schläfenbein. Dabei
zeigte sich ein sehr merkwürdiger Befund: der obere Theil der Trommelhöhle
war voll Eiter, welcher sich längs des erweiterten Semicanalis pro tensore tym-
pani in dem die Tube umgebenden Gewebe aufhäufte und im oberen Rachen-
raum prominirte. Eine Sonde vom Kuppelraum durch den Eiterheerd geführt,
stülpte die linke Hälfte des Gaumensegels vor und konnte von dem durch den
Mund eingeführten Zeigefinger gefühlt werden. Ich schnitt das Gaumensegel
und die demselben anliegende obere Rachenwand durch und entleerte die mit
dem Mittelohr zusam menhängende Eiteransammlung, einen otitischen Retro-
pharyngealabscess. Ich entfernte darauf die Tube und das sie umgebende
Gewebe und konnte daran und mit Sondenprüfung constatiren, dass der Eiter
augenscheinlich nicht durch die Tube, sondern durch das sie umgebende Gewebe,
hauptsächlich den Tensorcanal sich fortgepflanzt hatte. Auf diese Weise er-
klärte sich auch das mit dem scharfen Löffel bei der letzten Operation ent-
fernte Muskelstück.
Epikrise. Dieser Abscess war mir eine neue Erfahrung. Mit
mehr Sachkenntniss würde ich die beständigen Beschwerden des Patienten,
dass in seinem Halse ein Schluckhinderniss vorhanden sei, nicht durch
die sichtbare Röthe des Gaumens, welche ich für eine einfache catarrha-
lische Pharyngitis hielt, für hinreichend erklärt angesehen haben. Ich
würde mit Spiegel und Finger den oberen Rachenraum untersucht und
durch die Eröffnung des Retropharyngealabscesses möglicherweise das
Leben meines Patienten gerettet haben. Ich kann mir nämlich nicht
anders denken, als dass die Eitererreger von dem Abscess aus auf
irgend einem Wege, am wahrscheinlichsten entlang der Hypophysis
cerebri, die ja embryologisch zum Gaumen gehört, in die Schädelhöhle
gelangt und von da längs der Medianfläche auf die Convexität der
Vorderlappen gelangt sind. Das Chiasma der Sehnerven, welches zum
Zweck histologischer Untersuchungen aus dem Schädel herausgenommen
und sofort in Formollösung gelegt wurde, zeigte an einem Tractus
opticus eine fleischige Anschwellung, welche näher untersucht werden soll.
8 H. Knapp: Geschichte und Autopsie etc.
Dieser merkwürdige Befund würde, wenn richtig gedeutet, einen
neuen, mir wenigstens bisher unbekannten, Weg der Fortpflanzung
eitriger Processe vom Mittelohr in die Schädelhöhle darstellen. Es ist
ja nicht schwer einzusehen, dass Eiter sich durch die natürlichen
Oeffnungen der Trommelhöhle, die Tuba Eustachii und den Canal des
Trommelfellspanners, fortpflanze. Durch die Tube entleert er sich, wie
man zuweilen direct beobachten kann, in den Nasenrachenraum, während
er im Muskelcanal keinen Ausweg finden, und sich als Abscess anhäufen
müsste, welcher durch die daselbst befindlichen zahlreichen Knochenlücken
ebenso leicht in die Schädelhöhle dringen könnte, als dies durch das Dach
der Pauken- und Mastoidhöhle ja so oft geschieht. Auf diese Weise lassen
sich vielleicht auch die durch Meningitis tödtlichen Ausgänge acuter
eitriger Mittelohrentzündungen erklären, namentlich bei Kindern, bei
welchen die Schädelspalten noch nicht so fest geschlossen sind, wie bei Er-
wachsenen. Wenn der Fortpflanzungsweg des eitrigen Prozesses durch
das Paukendach oder den Warzenfortsatz nicht erwiesen werden kann,
so sollte man, meiner Ansicht nach, den vordern Ausweg der Trommel-
höhle bei künftigen Obductionen nicht unberücksichtigt lassen.
Literarische Belege, welche ich allerdings nur unvollständig aufge-
sucht habe, sind recht dürftig ausgefallen. Die meisten Lehrbücher der
Ohrenheilkunde eıwähnen den vom Ohre ausgehenden Retropharyngeal-
abscess gar nicht. Bei denjenigen Autoren, welche denselben erwähnen,
wird nur kurz angegeben, dass „vom Ohr aus Senkungsabscesse gewöhn-
lich aussen am Halse, selten nach innen im Rachen auftreten, (Ur-
bantschitsch, Schwartze, Bosworth). W. Macewen (Infective
Diseases of the Brain etc., S. 84) sagt: „Eitrige Entzündung in der
Paukenhöhle kann sich in die E.-Röhre fortsetzen, in deren Wänden
sich ein Abscess bildet und schliesslich als Senkungsabscess im Naso-
Pharynx auftritt. Diese Abscesse verursachen Athem- und Schluckbe-
schwerden*. Eine Angabe über die Entstehung der Leptomeningitis aus
einem otitischen Retropharingealabscess habe ich nirgends gefunden. In
dem oben von mir beschriebenen Falle kann ich diesen Zusammenhang
auch nicht nachweisen, sondern muss mich damit bescheiden, denselben
als möglich und in dem gegebenen Falle als das Nächstliegende zu be-
zeichnen, woran man bei künftigen Forschungen denken sollte. OÖ. Körner
(otitische Erkrankungen etc., S. 38) bemerkt zu einigen Fällen (Ray,
Panse) wo die Eiterung vorzugsweise die Convexität ergriffen hat, dass
dieselben vielleicht nicht als direct übergeleitet, sondern als metastatische
aufzufassen seien. | |
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ZEITSCHRIFT FÜR OHRENHEILKUNDE. XXVII. Taf I.
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Verlagv./F Bergmann, Wiesbaden. Lith Anst v Werners Winter. Frarkfart *M
PURULENTE LEPTOMENINGITIS
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O0. Körner: Eine neue Form der Influenza-Otitis. 9
Tafel- Erklärung.
Taf. I.
Abscess im linken Temporo-Sphenoidallappen.
John A. N. Gesehen in Consultation mit Dr. J. B. Mac Mahon am
16. Nov. 1894. Chronische Otorrhoe. Der Abscess wurde diagnosticirt, die
Operation auf den nächsten Tag festgesetzt. Der comatöse Patient starb am
nächsten Morgen. Section Nachmittags.
Taf. II.
Purulente Leptomeningitis.
Acute purulente Otitis und Mastoiditis. Retropharyngeal-Abscess in Folge
von Trommelhöhlen-Eiterung. Vier Operationen wegen Mastoiditis, Otitis und
vermeintlichem Gehirnabscess. Kein Abscess gefunden. Tod in Folge purulenter
Leptomeningitis der vorderen Lappen. (Max G., 25 Jahre alt. Erster Besuch
der Klinik 29. Nov. 1894. Tod den 3. Januar 1895.)
II.
Eine neue Form der Influenza-ÖOtitis.
Von O. Körner in Rostock.
Der Redaction zugegangen am 6. Februar 1895.
Die Influenza-Pandemie von 1889—90 hat, wie alle ihre Vor-
läuferinnen, eine grosse Anzahl: kleinerer Epidemien und sporadischer
Fälle nach sich gezogen und auch jetzt noch treten solche immer wieder
auf. Gerade wie bei der Pandemie finden sich auch bei den localen
Nach-Epidemien und den sporadischen Fällen sehr häufig Ohreiterungen
als bedenkliche Complicationen.
Uebersieht man die über diese Ohreiterungen vorhandene Literatur,
so staunt man über die Vielgestaltigkeit der geschilderten Krankheits-
bilder. Ausser den häufig beobachteten Formen der gewöhnlichen Otitis
media, die sich von der gleichen Erkrankung aus andern Ursachen weder
klinisch noch bacteriologisch unterscheiden, sind einzelne Krankheits-
bilder häufig beschrieben worden, denen.man vor der Pandemie 89—90
sehr selten begegnet ist. Während das häufige Auftreten der gewöhnlichen
Otitis media bei Influenzakranken mit der Annahme erklärt werden kann,
dass der geschwächte Organismus durch die Influenza den gewöhnlichen
Eitercoccen geringeren Widerstand entgegensetzt oder einen günstigeren
Nährboden für sie abgiebt, als der gesunde Organismus, darf man anderer-
10 O. Körner: Eine neue Form der Influenza-Otitis.
seits wohl vermuthen, , dass die erst während und seit der Pandemie
häufiger beobachteten Otitiden durch den Influenza-Bacillus selber ver-
ursacht sind. Jedenfalls sollte man nur diese: Formen der Erkrankung
als wahre Influenza-Otitis bezeichnen. Ich rechne dazu folgende Formen:
1) Die vom Beginne an mit hämorrhagischem Exsudat und :hämor-
rhagischen Blasen am Trommelfell einhergehende Form. (Patrzek,
Dreyfuss, Schwabach, Haug u. A.) |
2) Die, soviel ich weiss von mir!) zuerst beschriebene, und dann
von zahlreichen Beobachtern bestätigte Form mit ungewöhnlich verdickter
Schleimhautschicht und zapfen- und beutelartigen Ausstülpungen am
Trommelfell, welche so mit der geschwellten Schleimhaut angefüllt sind,
dass gar kein Lumen vorhanden ist. Zur selben Form gehören die
zuerst von Bezold?) erwähnten Wucherungen der verdickten Schleim-
haut, welche durch die Trommelfellper foration prolabiren, in der Mitte
perforirt sind und nach der Abtragung wiederholt von Neuem auswachsen.
3) Die primäre centrale Erkrankung des Warzenfortsatzes mit
secundärer Betheiligung der Paukenhöhle, welche wiederholt von mir?)
und von Eulenstein‘) beschrieben worden ist.
Diesen drei Krankheitsbildern möchte ich im elsönden‘; ein viertes
anreihen, welches mir noch nicht beschrieben zu sein scheint und welches
ich erst in den letzten Monaten gesehen habe. Da ich dasselbe in
Frankfurt a. M. und in Rostock kurz hintereinander beobachten konnte,
nehme ich an, dass es jetzt nicht selten vorkommt und bereits auch von
Andern gesehen worden ist. Ich verfüge bis jetzt über 3 Fälle. Die-
selben betrafen einen etwa 36 Jahre alten Lehrer, den ich in Frank-
furt in Consultation mit dem Hausarzte Dr. Rosenbaum gesehen habe,
eine Krankenpflegerin an der Universitäts-Augenklinik in Rostock und
einen 6jährigen Knaben, der auf einem Gute bei Lalendorf i. M. er-
krankte und in meiner Klinik behandelt wurde. o
Herr U. erkrankte am 1. September 1894 an einer schweren Influenza mit
vorwiegender Betheiligung der Respirationsschleimhaut und grosser Prostration.
Am 4. stellte sich rechtsseitiger Ohrschmerz ein. Früh morgens am 5. kam es
zum Durchbruch eines serös-blutigen Exsudats. Als ich den Kranken am 8. zum
1) Bericht über die X. Versammlung befreundeter süddeutscher und schweize-
rischer Ohrenärzte zu Nürnberg am 25. Mai 1890. Zeitschrift für Qarenlein
kunde, Bd. XXI.
2) Ebenda.
3) Loc. cit. und Bericht über die III. Versammlung der deutschen Oto-
logischen Gesellschaft am 12. u. 13. Mai 1894 zu Bonn,
4) Ebenda: 2 -
O. Körner: Eine neue Form der Influenza-Otitis. 11
ersten Male sah, hatten die Schmerzen noch kaum nachgelassen, obwohl aus
einer grossen, im hinteren unteren Quadranten gelegenen Perforation reichliches
serös-eitriges Exsudat ausfloss. Auf dem Warzenfortsatze war etwas Periost-
schwellung zu fühlen und die Bezold’sche Fossa mastoidea war druckempfind-
lich. Unter Eisbehandlung gingen die Schmerzen, sowie die Schwellung langsam
zurück. Am 15. zeigte sich oberhalb der Perforation im hinteren oberen Qua-
dranten eine Vorwölbung am Trominelfell, dieselbe wurde gespalten, worauf
sich Eiter entleerte. Am 24. fand sich an. Stelle der incidirten Vorwölbung
eine neue zitzenförmige Prominenz, die wiederum gespalten wurde. Am 3. October
waren die Perforationen geschlossen und das Trommelfell bot einen neuen eigen-
thümlichen Anblick dar. Der Hammer war nicht erkennbar, das Trommelfell
matt, grau-röthlich gefärbt, mit 7 oder 8 stecknadelkopfgrossen, kupferrothen
granulirenden Stellen bedeckt. Diese Stellen machten den Eindruck, als ob sie
durch Hindurchwachsen der geschwellten Schleimhaut durch das Trommelfell
entstanden wären. Die Auscultation beim Katheterisnus liess kein Exsudat
mehr nachweisen und das Gehör war auffallend gut. 2 Tage später war Röthung
nur noch hinten oben vorhanden, der Hammer wieder erkennbar, die flachen
Granulationen waren verschwunden, an ihrer Stelle sah man ringförmige Hämor-
rhagien, die dem Rande der früher granulirenden Stellen entsprachen. Diese
Ringe waren nicht geschlossen, sondern meist nur halbe oder Dreiviertel-Ringe.
Auf dem grauen, theilweise grauröthlichen Grunde gewährten
diese braunrothen Ringe ein Bild, das lebhaft an die Zeichnung
eines Pantherfelles erinnerte. Nach 14 Tagen waren sie verschwunden.
Bei der Krankenpflegerin waren am 4. Tage der Influenza unter neuer
Steigerung des Fiebers auf 39,3 heftige rechtsseitige Ohrenschmerzen aufge-
treten und hatten am nächsten Tage, nach Eintritt eines serös-blutigen Aus-
flusses, wieder nachgelassen. Ich fand jetzt das Trommelfell hinten unten vor-
gewölbt; auf grauröthlichem Grunde sah man mehrere kleine Hämorrhagien.
Eine Perforation war nicht zu finden. Die Paracentese (hinten unten) entleerte
reichliches seröses Exsudat. Am nächsten Tage kein Fieber, keine Schmerzen,
starker seröser Ausfluss. 7 Tage nach der Paracentese fanden sich braunrothe
Ringe an Stelle der Hämorrhagien wie in dem vorher beschriebenen Falle.
10 Tage später war Trommelfell und Gehör wieder normal.
Der Knabe war gleichzeitig mit mehreren Leuten in der Nachbarschaft an
Influenza erkrankt, bekam am 3. Tage der Erkrankung beiderseits Ohren-
schmerzen, am stärksten rechts, 5 Tage später wurde er Abends 11 Uhr hierher
in meine Klinik gebracht. Er hatte eine Temperatur von 40, Benommenheit,
Flockenlesen, häufiges und heftiges Schreien. Beide Trommelfelle waren intensiv
fleischroth, der Hammer nicht zu erkennen und beiderseits schimmerte hinten
unten Eiter gelbweiss durch und wurde sogleich durch die beiderseitige Para-
centese entleert. In den nächsten Tagen sehr geringe Eiterung, Fieber und
Schmerzen verschwinden. Grosse Mattigkeit, viel Schlaf. Die Perforation links
schloss sich am 5. Tage und das subjective Befinden besserte sich so rasch,
dass ich nun die hyperplastische Rachentonsille mit dem Gottstein'schen
Messer entfernte. 6 Stunden darauf wieder Schmerzen links, am Abend 38,5
in der Achselhöhle. Mässige Röthung und Vorwölbung des Trommelfells hinten
oben. Bei der Paracentese an der vorgewölbten Stelle entleerte sich dunkles
T2 John Dunn: Ein Fall von Basis-Fractur.
Blut und lief einige Minuten ununterbrochen aus dem Ohre ab. Am nächsten
Tage war der Knabe fieber- und schmerzfrei und es bestand kein Ausfluss mehr.
Im hintern oberen Quadranten sah man nun eine stecknadelkopfgrosse flach-
granulirende Stelle, dahinter konnte man deutlich den zweiten Paracentesen-
schnitt erkennen. Nach 2 Tagen zeigte sich eine ringförmige Hämorrhagie um
die granulirende Stelle und der kurze Hammerfortsatz tauchte wieder auf. Von
da ab verlief die Heilung ungestört.
Das im Vorstehenden geschilderte, besonders durch die secundären
ringförmigen Hämorrhagien characterisirte Krankheitsbild hat gewisse
Aehnlichkeiten mit bereits bekannten Formen der Influenza-Otitis. An
die primär hämorrhagische Form erinnern die spät nach dem Durch-
bruche des Exsudats oder der Paracentese auftretenden ringförmigen
Hämorrhagien, während das Durchwuchern der Schleimhaut durch das
Trommelfell an mehreren, bisweilen zahlreichen Stellen dem von Bezold
beobachteten Schleimhautprolapse an die Seite gestellt werden kann.
i
MI.
Ein Fall von Basis-Fractur.
Von John Dunn, Richmond, Va.
(Uebersetzt von C. Truckenbrod.)
Ein Farmer, 50 Jahre alt, fiel am 16. Januar 1894 von seinem Wagen,
ein Mehlfass, das gleichzeitig vom Wagen fiel, traf ihn an der rechten Schläfen-
gegend. Es trat während einer halben Stunde Bewusstlosigkeit ein. Als die
Anschwellung des Gesichtes zurückging, bemerkte er. dass „sein Gesicht ver-
zogen war“ und dass er „auf dieser Seite des Gesichtes kein Gefühl hatte.“
Ende Februar kam er seines rechten Auges wegen zu mir. Es ergab sich fol-
gender Befund. Complete Lähmung des fünften, sechsten und siebenten Nerven
auf der rechten Seite. Auf der ganzen vom fünften Nerven versehenen Haut-
partie des Gesichtes bestand keine Empfindung. Eine neuro-paralytische Kera-
titis war aufgetreten. Die Cornea war der oberflächlichen Schicht entblösst
und auch einige der tieferen Schichten ergriffen, mit Ausnahme einer halbmond-
förmigen Stelle, deren äusserer Rand genau dem von dem oberen Lide bedeckten
Theile der Cornea entsprach, und ein kleiner Streifen der benachbarten Con-
junctiva. Es bestand Hypopyon. Die Conjunctiva war stark geschwollen und
entzündet und der untere Conjunctival-Sack mit weisslichem, serös-schleimigem
Exsudat bedeckt; es bestand kein Thränenfluss, Conjunctiva etc. gefühllos.
Ectropion. Das Auge gegen den Canthus internus gedreht. Rechter Nasen-
eingang durch ein serös-blutiges Exsudat verschlossen, dessen wässrige Bestand-
theile sich entleert hatten, so dass ein trockener, fester, klebriger Pfropf im
Naseneingang vorhanden war, Nach der Herausnahme des Pfropfes schien bei
ren
=
John Dunn: Ein Fall von Basis-Fractur. 13
der Untersuchung die Nase trocken und frei von Secretion zu sein; die Schleim-
haut war blass und mit einem dünnen weisslichen Häutchen überzogen, das aus
abgestossenen Epithelzellen zu bestehen schien. Schleimhaut absolut un-
empfindlich (es wurden verschiedene Prüfungsmethoden angewandt). Abgesehen
vom Verlust des Riechvermögens, was nicht sicher constatirt werden konnte,
war die andere Seite gesund. Die gewöhnlichen Symptome der Lähmung des
5. Nerven im Mund und Rachen. Vollständige Lähmung der Gesichts-Nerven.
Patient, ein Farmer, blieb nur 4 Tage zur Beobachtung, in welcher Zeit ein
Durchbruch der Cornea erfolgte und eine grössere Zerstörung ihres Gewebes
eintrat. Trommelfell normal. Rechts bestand eine leichte Abnahme des Gehörs.
Gleichwol war das Gehör gut. Patient klagte nur über leichte Unbehaglichkeit
in diesem Ohre. Kein Ausfluss. Kein Schwindel. Die Hauptklagen des Patienten
waren das Verstopftsein der rechten Nase und wenn diese zeitweise zurückging,
sein Unvermögen, die Speisen im Munde zu fühlen. Das rechte Auge machte
keine Beschwerde.
Am 6. Juli sah ich Patienten wieder. Zustand ganz der gleiche. Es war
eine weitere Zerstörung der Cornea eingetreten, die Reste derselben und die
Iris waren verwachsen. Auge Nachts schmerzhaft. Gehör abgeschwächt (big
auf 1 Fuss die Uhr). Mässige Klagen über Störungen im Ohre.
Wenn wir nach dem Sitze eines Insultes fragen, der Lähmung des
fünften, sechsten und siebenten Nerven, und zwar dieser ganz allein,
verursacht, so kann es nur die Spitze des knöchernen Theiles des
Schläfenbeines sein, der innere Theil des Eintrittes des Canalis auditorius
internus über dem Canalis caroticus. Die Richtung, in welcher der
Stoss in der Schläfengegend erfolgte, war fast ganz direct nach Innen.
Wenn dem so war, so konnte nur eine Fractur entstehen, die oben
erwähnte Lähmungen veranlasste. Die Bruch-Linie muss direct durch
die Grube des Ganglion Gasseri hingehen, und ferner so hoch, dass
sie den siebenten Nerven verletzt, weil der achte Nerv nur ganz
wenig weiter darunter entspringt. Das Einklemmen des abgesprengten
'Theiles in den oberen Theil des das Foramen lacerum anticum aus-
kleidenden Knorpels kann eine Verletzung des 6. Nerven bewirkt haben,
der ja in dem Zwischenraum zwischen der Spitze der Felsenbein-Pyra-
mide und dem Processus clinodeus des Keilbeines nach Vorne verläuft.
Das Allgemeinbefinden des Patienten schien in keiner Richtung durch
den Unfall gelitten zu haben. Er schlug jede Behandlung aus, um so
mehr, da keine Aussicht auf Heilung vorhanden war. Sein Zustand
6 Wochen nach dem Unfall ist wie oben geschildert.
14 John Dunn: Ein Fall von Otitis haemorrhagica externa.
IV.
Ein Fall von Otitis. E externa.
Von John Dunn, Richmond, Va
(Uebersetzt von C. Trúckenbrod.)
Am 13. Februar 1894 Abends 6 Uhr hatte Herr M., 30 Jahre alt, kein
abnormes Gefühl in den Ohren. Nach einiger Zeit, zwischen 6 und 11 Uhr,
bekam er Schmerzen im linken Ohre uud diese Schmerzen nahmen sehr rasch
an Heftigkeit zu bis 1 Uhr Morgens, als „Etwas platzte und eine Menge von
Blut und Materie sich aus dem Ohre entleerte.“ Der Schmerz war unerträglich
geworden. Nach dem Eintreten der Entleerung aus dem Ohre verschwand der
‘Schmerz und er hatte im Ohr nur ein dumpfes, lästiges Gefühl. Als ich Herrn
M. am 14. Februar Früh 11 Uhr sah, fand ich etwas halbflüssiges Blut und
Serum im Gehörgang. Nachdem: dasselbe mit einer mit Watte umwickelten
Sonde entfernt und der Gehörgang gereinigt war, konnte man sehen, dass die
Haut des knöclhernen Gehörganges und des Trommelfelles der Sitz einer heftigen
Entzündung war, die in der Bildung zahlreicher kleiner Hämorrhagieen in die
Haut bestand. Ihre Grösse schwankte von Nadelspitz-Grösse bis zu 1 mm Durch-
messer; sie waren nicht regelmässig placirt. Das Trommelfell war so geschwollen,
dass vom Hammer Nichts zu sehen war. Die Stelle, aus der sich das blutige
Serum entleerte, konnte nicht gefunden werden. Gleichwol hatte der grösste
Theil der Hämorrhagieen seinen Sitz an der oberen hinteren Wand in der Nähe
des Trommelfelles, sie fanden sich in der ganzen Ausdehnung der Haut des
knöchernen Gehörganges, erstreckten sich jedoch nicht auf den knorpeligen Theil.
Die Haut des knöchernen Gehörganges hatte keine Aehnlichkeit mit der des
Trommelfelles, sie war geschwollen. Die Untersuchung des rechten Ohres ergab
ein Trommelfell von normaler Farbe und mit Ausnahme einer leichten Ein-
ziehung (die übrigens schon alt zu sein schien) auch sonst von normalem Aus-
sehen. Es war absolut keine Spur einer Entzündung zu finden. Ich theilte
Herrm M. mit, dass seine Beschwerden im linken Ohre, dem Anscheine nach,
sich auf die äussere Seite des Trommelfelles beschränken und keine Anzeichen
einer Mittelohrentzündung vorliegen. Um 4 Uhr Nachmittags kam Herr M.
wieder zu mir und sagte, dass ihm jetzt sein rechtes Ohr ähnliche Beschwerden
mache, wie es sein linkes. im Beginn gethan. Die Untersuchung ergab eine
acute Entzündung des Trommelfelles, das in der ganzen Ausdehnung geschwollen
war, so dass der Hammergriff nicht zu sehen war. Die stärkste Schwellung
bestand. im hinteren Abschnitt des Trommelfelles, und die stärkste im Gehör-
gang im hinteren oberen Theile desselben dicht am Trommelfell. Ich rieth
Herrn M. das Zimmer zu hüten, ordinirte Pilocarpin und Tartarus natronatus,
was ihm gute Dienste that. Am nächsten Tag war etwas blutiges Serum im
Gehörgang, während sich im hinteren Abschnitt des Trommelfelles eine Blase
aus Blut und Serum constatiren liess, die die Hälfte des Raumes zwischen
Hammergriff und der hinteren Gehörgangswand einnahm. Einige blutige Flecken
zeigten sich auch an der hinteren oberen Gehörgangswand. Gleichwohl zeigten
sie sich nicht in der ganzen Ausdehnung des knöchernen Gehörganges, wie dies
ns
Be i
John Dunn: Ein Fall von Otitis haemorrhagica externa.. 15
auf der anderen Seite der Fall war. Am 16. Februar war der Inhalt der Blasen
so weit resorbirt, dass eine deutliche Faltung derselben wahrzunehmen war.
Am 17. Februar war der ganze Inhalt resorbirt. Der Hammergriff war voll-
ständig zu sehen und am Trommelfell war keine Spur einer Schwellung mehr
wahrzunehmen, obwohl es in ganzer Ausdehnung noch etwas geröthet. war.
Auch im Gehörgang traten keine weiteren Hämorrhagien auf. Die Beschwerden
gingen: so rasch zurück, dass nach einer Woche der äussere Gehörgang, ein-
schliesslich des Trommelfelles, dasselbe Aussehen wie vor dem Auftreten der
Entzündung zeigte; auch hatte sich im Anschluss an die Affection keine Ver-
schlechterung des Gehöres eingestellt. Natürlich hatte während der Dauer des
Geschwollenseins der Trommelfelle eine Betzächtliche Abnahme der Schall-
Perception bestanden...
Betrachten wir den Zustand der Ohren vor dem Eintritt der
Hämorrhagieen: — Als Folge. der Vernachlässigung der Nase und des
Nasenrachenraumes, in der sich sehr starke adenoide Wucherungen zeigten,
litt Herr M. an Mittelohreatarrh, der sich durch beträchtliche Einziehung
beider Trommelfelle, besonders des linken, äusserte, ohne irgend eine
Beeinträchtigung des Gehöres. Uhr !/,. Und trotzdem bestand in den
letzten 2 Jahren keine sichtbare Gehörsabnahme, noch vor dem Auftreten
der Entzündung der Gehörgänge irgend eine Störung von Seiten des Mittel-
ohres, die als Vorläufer des Anfalles aufzufassen gewesen wäre. Gruber
ist geneigt, von einer »Otitis externa hämorrhagica« als einer bestimmten
Krankheitsform zu sprechen (Lehrbuch der Ohrenheilkunde, englische
Ausgabe Seite 239), aber die "Beschreibung dieser Affection ist nicht
so genau, als ein Fall, wie der unsrige, dies verlangen darf. Politzer
(Ohrenheilkunde Seite 147) beschreibt dagegen diese Form der Entzündung
des äusseren Gehörganges sehr genau. Unser Fall weicht insofern
von der Regel ab, als der Sitz der Entzündung hauptsächlich das Trommel-
fell und der hintere obere Theil des Gehörganges war. Auch sagt
Politzer, dass »der Höhepunkt dieser Entzündungsform in der Regel
am dritten Tage überschritten ist.« Auch in unserem Falle war der
Höhepunkt der Entzündung, als welchen ich das Platzen der Bläschen
betrachte, schon nach 12 Stunden nach dem Bemerken der lästigen
Symptome von Seiten des Patienten erreicht. Es ist bemerkenswerth,
dass erst das eine und innerhalb 24 Stunden auch das andere Ohr der
Sitz einer solchen Entzündung war. Es konnte keine Erklärung über
die Entstehung gegeben werden, als das Aus- und Eingehen in einem
überhitzten Ausschuss-Sitzungszimmer bei kaltem Wetter. |
16 B. A. Randall: Kann man aus der Form des Schädels wichtige
V.
Kann man aus der Form des Schädels wichtige
Schlüsse auf die Beschaffenheit des Schläfenbeines
ziehen? Beantwortet an Hand von 500 Schädel-
Messungen.
Von B. Alexander Randall, Philadelphia.
(Uebersetzt von C. Truckenbrod.)-
Mit 3 Abbildungen im Texte.
Die bejahende Antwort, die Dr. Otto Körner in seinem be-
kannten Aufsatz über diese Frage an Hand von 60 Schädelmessungen
gegeben, veranlasste sofort den Verfasser dieses, sich mit der gleichen
Frage zu beschäftigen und weitere Anhaltspunkte in dieser Sache zu
suchen. Eine Menge von Ueberlegungen verzögerten jeden entscheiden-
den Schritt in der Verfolgung der Aufgabe, sodass es mir wichtig er-
schien, die Arbeit in ihren Details möglichst vollständig und auf mög-
lichst grosser Basis anzulegen; und da ich zu entgegengesetzten Resul-
taten als Schültzke kam, so entstand noch die Frage, welches wohl
die beste Methode der Untersuchung sei.
Körner’s Methode der orthographischen Projection. zwingt zu sagit-
taler Spaltung des Schädels und erlaubt keine eingehende Untersuchung
des angewandten Materials; da die Zahl der Punkte, die sich zur Vor-
nahme von Messungen eignen, grossen persönlichen Spielraum lässt,
leidet darunter ihre bekannte Genauigkeit in anderer Hinsicht. Mes-
sungen mit Tasterzirkeln, wie sie von Schültzke und mir angegeben,
haben die bekannten Nachtheile, dass sie am ungetheilten Schädel in
Anwendung kommen und dabei entsteht eine Ungleichheit in der Ein-
haltung der Punkte, die leicht die geringste Dicke des Knochens an
der gemessenen Stelle stärker erscheinen lässt. Selten handelt es sich
allerdings um mehr als den Bruchtheil eines Millimeters und schwankt
es von Fall zu Fall in mehr oder weniger mikroskopischem Verhältniss.
Es kann absolut versichert werden, dass in den folgenden Abbildungen
nach keiner Richtung mehr als ein Millimeter in den grösseren Zahlen
Differenz sein kann, ausgenommen, dass von Sulcus zu Sulcus sich mit-
unter ein Fehler bis zu 2 mm ergab, und dass bei den kleineren Zahlen
die Daten bis auf einen kleinen Bruchtheil eines Millimeters genau
Schlüsse auf die Beschaffenheit des Schläfenbeines ziehen? 17
sind!). Wenn ein Operateur genaue Anhaltspunkte bei Ausführung
einer Operation haben will, so muss er noch viel eingehendere Unter-
suchungen selbst vornehmen, als Körner dies in neuester Zeit bis zu
Zehntheilen eines Millimeters bei 27 Schädeln gethan hat. Es ist nur
zu bedauern, dass diese unendlich genauen Untersuchungen so geringen .
praktischen Werth haben.
Beim Nachdenken über dieses Thema in der Voraussetzung, ana-
tomische Leitpunkte zu erhalten, ohne Rücksicht auf die Richtigkeit
oder Unrichtigkeit der Theorie von Körner, zeigte es sich von äusser-
ster Wichtigkeit, eine hinreichend genaue Methode zu ersinnen, wie sie
eben der Arzt nöthig hat und die sich bei den meisten oder an jedem
Schädel in Anwendung bringen lässt. Eine derartige Methode und die
Instrumente zu ihrer Ausführung wurde in einer Versammlung der
American Otological Society im Jahre 1892 zur Besprechung vorge-
bracht, nebst den diese Methode illustrirenden Daten von 122 Schädeln
aus der Collection Hyrtl in dem College of Physicians in Philadelphia.
Die weitere Arbeit, die alle brauchbaren Exemplare im Museum der
Universität und in der Academie der Naturwissenschaften in Philadelphia
und des United States Army in Washington umfasst, hat sich bis auf
die Hälfte der beabsichtigten Zahl von 1000 erstreckt; sie wurde in
ihren Details in den Verhandlungen des Pan-Amerikanischen Congresses
veröffentlicht, sodass sie auch Anderen vollständig zugänglich war. Jeder
Fall kann durch seine Museums-Nummer identificirt werden und irgend
ein Fehler, den ich vielleicht gemacht habe, lässt sich daher leicht
finden. Da ich als Ohrenarzt hauptsächlich mit der kaukasischen Rasse
zu thun habe, so wurden zuerst solche Schädel ausgewählt, und erst,
wenn alle diese vollständig ausgenützt waren, wurden die unbekannten,
prähistorischen oder andere ungewöhnliche und vielleicht nicht in der
Praxis vorkommende Fälle vorgenommen. Endlich schien eine Serie
von extremen Typen geeignet, die mehr symmetrischen Reihen auszu-
füllen, da jeder Schädel die gewüuschte Angabe seines Fundortes zeigte,
ohne Rücksicht auf das, was eine spätere Messung ergab.
Eintausend Schädel schien eine geringe Reihe zu sein, um darauf
ein weit reichendes Gesetz zu basiren, das dem Arzt als Richtschnur
1) Körner bekämpft meine Methode und kommt (Zeitschr. f. Ohrenheilk.
Bd. XXIV, S. 173) zu dem Schluss, dass sie keinen Anspruch auf absolute
Genauigkeit machen und ihre Richtigkeit nur bei einer Anzahl selten extremer
Fälle bewiesen werden kann. Es ist eine Erwiderung nöthig.
Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXVII. 2
18 B.A. Randall: Kann man aus der Form des Schädels wichtige
dienen könnte, aber ich hoffe, dass Andere vollenden, was ich so be-
gonnen habe, da es nicht unwahrscheinlich ist, dass ich nicht mehr
Zeit auf dieses exacte Thema verwenden kann.
Bei dem detailirten Vorlegen meiner Untersuchungs-Resultate war
. es mein Bestreben, den Collegen den Schädel eines Individuums in all
seinen richtigen Dimensionen vorzulegen, ihnen überlassend, alle Schlüsse
‚daraus selbst zu ziehen. Wenn die Höhe gegeben ist als ein Anhalts-
punkt für die Einführung bei den deformirten Schädeln, so giebt die
Breite zwischen den Tubera parietalia für solche, die das inter-parietale
Maximum verwerfen, den Index, wenn man sie durch die grösste Länge
dividirt — die Breite von der Spina supra meatum und der „Operations-
stelle“ 5 mm hinter ihr — der grösste Abstand der Sulcus sigmoideus
und die geringste Dicke des Knochens über diesen, und die Entfernung
dieser dünnsten Stelle der Spina auf jeder Seite — so lässt sich für
jeden Schädel ein Schema wie beifolgende Figur 1 construiren, wO-
durch dieses gegenseitige Verhältniss vollständig sichtbar wird. Andere
können sich ja anderer Messungsmethoden und anderer Punkte bedienen ;
aber einige von diesen müssen zum Wenigsten gemessen werden und
die Resultate lassen sich dann auf diese Weise vergleichen. Die Höhe
des Boden der wittleren Schädelgrube über der Spina wurde also mit
Tasterzirkeln bestimmt und das Verhältniss dieses tiefsten Punktes in
oder über der Spina ist also gegeben.
Es ist nothwendig, hier die eingehenden Funde, die anderswo
angegeben sind, vorzubringen; noch will ich versuchen, Schlüsse von
allgemein praktischer Bedeutung zu ziehen von einem Material, das mir
noch nicht genügend erscheint; noch will ich’ auf Basis der so erhal-
tenen Resultate die Theorie Körner’s bestreiten. Weitere Untersuchun-
gen können dann die Richtigkeit ihrer Generalisirung bestätigen. Aber
es scheint nicht boshaft, sondern von praktischer Wichtigkeit zu sein,
zu sehen, wie weit sich meine Ergebnisse mit seinen decken, und wie
weit wir als Aerzte eine Stütze haben oder irregeführt sind, wenn wir
uns bemühen, die von ihm angegebenen Regeln an den verschiedenen
Schädeln zu probiren, die ich der Reihe nach untersucht habe.
Mesocephale Schädel, oder diesen nahestehende Typen, werden
zweifelsohne in der operativen Praxis der europäischen und der ameri-
kanischen Acrzte vorherrschend sein, obschon die Neger und andere
Stämme Ausnahmen bedingen. Der Befund bei 80 solcher Schädel
(Katalog-Scite 777—779) hat, wie auch die Ergebnisse bei den ganzen
500, hervorragend praktische Bedeutung.
Schlüsse auf die Beschaffenheit des Schläfenbeines ziehen ? 19
Die Höhe des Bodens der mittleren Schädelgrube wurde in der
verticalen Ebene der Spinae gemessen und mit Rücksicht auf diese als
genau bestimmte Punkte, was ja praktischer und genauer ist, als die
Distanz von den Gehörgängen, besonders den tiefer gelegenen Theilen
Fig. 1.
Schema, das die wichtigsten Dimensionen an einem Schädel aus des Verfassers
Sammlung zeigt.
a Grösste Breite; b Abstand zwischen den Spinae; ce Abstand zwischen den
Warzenfortsätzen; d Abstand zwischen den Sulei; e Abstand zwischen den
Seitenwandbeinen; f Hinterhaupt - Protuberanz; g Sulcus des Gehörgangs;
h Operations-Stelle; i dünnster Punkt.
derselben, zu nehmen; und die tiefste Stelle wurde nach der Seite loca-
lisirt, und so oft in oder über die Spina. Bei den 80 mesocephalen
Schädeln lag der Boden im Durchschnitt 6,27 mm (18 bis 0) über der
Spina auf der rechten, und 5,94 mm (13 bis 1) auf der linken Seite;
9%
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20 B. A. Randall: Kann man aus der Form des Schädels wichtige
höher war er auf der rechten Seite bei 41, auf der linken bei 18, und
gleich bei 21. Bei den gesammten 500 Schädeln betrug die Höhe im
Durchschnitt 6,6 mm (18 bis 0) rechts, 5,6 mm (15 bis O) links; er
war höher auf der rechten Seite, mit der grössten Differenz von 7 mm,
287 Mal, auf der linken Seite, mit der grössten Differenz von 5 mm,
102 Mal und von gleicher Höhe 111 Mal. Bei den 210 brachycephalen
Schädeln (Katalog Seite 780—97) und für die gleiche Anzahl von
dolichocephalen (Katalog Seite 610—776) waren im Durchschnitt die
Bilder meist identisch, sowohl im Durchschnitt unter sich als mit andern.
Suchen wir aus jeder Reihe 40 Schädel als extrem aus, so finden wir
für die ultra-dolichocephalen (Katalog Seite 61—71) einen Durchschnitt
von 5,42 mm (14 bis O) rechts und 5,87 mın (14 bis 0) links; die
rechte Schädelgrube lag höher in 13, die linke in 17 und gleich war
sie in 10. Diese scheinbare Bestätigung der von Körner aufgestellten
Norm wird jedoch in den Schatten gestellt durch den Befund bei den
Ultra-Brachycephalen (Katalog Seite 87—97), wo die Höhe im Durch-
schnitt 6,6 mm (15 bis 0) auf der rechten und 6,0 mm (15 bis 0) auf
der linken Seite betrug; grösser war sie rechts in 20, links in 12 und
auf beiden Seiten gleich bei 8 Schädeln.
So wenig ja meine Abbildungen in mancher Hinsicht beweiskräftig
sind, so gewiss zeigen sie, dass die mittlere Schädelgrube in jeder Höhe
bis zu 15 mm über der Spina auf jeder Seite liegen kann und bei jeder
beliebigen Schädelform, was jedoch selten ist, wenn es überhaupt vor-
kommt, auch unterhalb dieser Grenze. Dass sie auf der linken Seite
und bei dolichocephalen Schädeln im Durchschnitt tiefer gefunden wurde,
lässt den Befund Körner’s als mehr zufällig erscheinen, berechtigt
jedoch noch nicht, ein diesem widersprechendes Gesetz aufzustellen.
Der dünnste Punkt, wo der Sinus lateralis der Oberfläche am
nächsten liegt, fand sich bei den Mesocephalen durchschnittlich 6,17 mm
(15 bis 1) dick rechts, und 6,89 mm (18 bis 2) links, die Dicke war
grösser rechts bei 22, links bei 42 und gleich bei 16 Schädeln. Bei
der Gesammtzahl von 500 Schädeln betrug der Durchschnitt 6,1 mm
(20 bis 0O) rechts und 6,6 mm (18 bis O) links; er war dicker rechts
bei 151, links bei 231 und gleich bei 118 — die grösste Differenz bei
jeder Seite betrug 6 mm. Diese Bestätigung der Körner’schen Befunde
verliert ihren Werth, wenn wir bedenken, dass er es übersehen hat,
Bezold zu folgen, der gefunden hat, dass dieser dünnste Punkt meistens
ziemlich nach oben von der Öperationsstelle liegt, durchschnittlich 17,38 mm
hinter der Spina (40 bis 0,5) rechts und 17mm (35 bis 1) links bei
Schlüsse auf die Beschaffenheit des Schläfenbeines ziehen? 21
den 500 Schädeln; mit einer etwas grösseren Differenz bei den Meso-
cephalen (18,3 rechts; 16,8 links) und dem kleinsten Maasse von 4,
resp. 5 mm.
So gleicht sich bei der ganzen Gruppe der langen und der breiten
Schädel die etwas oberflächlichere Lage des Sinus bei den Brachycephalen
und auf der rechten Seite aus durch die mehr nach vorne gerichtete
Lage desselben auf der linken Seite und bei den Dolichocephalen. Bei
den extremen Fällen jeder Gattung war das allgemeine Ergebniss um-
Fig. 2.
ETIT
Abbildung des Instrumentes zur Bestimmung des tiefsten Punktes der mittleren
Schädelgrube und dessen Beziehung zur Spina supra meatum.
gekehrt, und die 40 ultra-breiten Schädel ergaben im Durchschnitt
6,95 mm rechts und 7,33 mm links, und die ultra-langen Schädel ergaben
6,43 und 6,82 mm. Bei jeder Gruppe war sie rechts dünner bei 11
und links bei 19 Schädeln.
Wenn wir zu der Zeichnung über die Bestimmung des Abstandes
des Sulcus von der hinteren Gehörgangswand zurückkehren — ein weit
22 B. A. Randall: Kann man aus der Form des Schädels wichtige
wichtigeres Maass, da es die hintere Grenze des Operationsfeldes be-
zeichnet —, so finden wir, dass im Allgemeinen hierfür auf der rechten
Seite weniger Platz ist. Im Durchschnitt betrug dieser bei den 500
Schädeln 12,1 mm (21 bis 0) rechts, 12,5 (25 bis 0,2) links — rechts
war er grösser bei 153 (grösster Unterschied 6 mm), links bei 201
(grösster Unterschied 8 mm) und gleich war er bei 146 Schädeln. Die
80 mesocephalen Schädel ergaben weniger grosse Differenzen und etwas
mehr Platz — 12,55 mm (18 bis 6) rechts, 12,75 mm (20 bis 6) links.
Die grosse Gruppe der langen und breiten Schädel stimmten wiederum
nahezu unter sich und mit dem allgemeinen Durchschnitt überein, aus-
genommen, dass die dolichocephalen rechts einen kleineren Durchschnitt
Fig. 3.
Abbildung des Taster-Zirkels zur Messung des grössten Abstandes der Suleci-
rigmoides.
aufwiesen als die brachycephalen — 11,4mm zu 12,53 mm. Bei den
extremsten Fällen war dies noch deutlicher hervortretend, 11,38 (20
bis 0) rechts und 12,7 mm (25 bis 0,2) links bei den 40 längsten
Schädeln, dagegen 12,95 mm (18 bis 7) rechts und 13,12 mm (18 bis 3)
links bei den 40 breitesten Schädeln. Es erscheint sehr beachtenswerth,
dass 7 mm das kleinste Maass für den Abstand des Sulcus vom Gehör-
gang war und dies fand sich rechts bei 60 der ausgesprochensten brachy-
cephalen Schädel (Katalog Seite 86 und folgend).
Für den Chirurgen ist ausser obigem Funde natürlich noch eine
weitere Frage vom hervorragender Wichtigkeit, sobald er den Warzen-
fortsatz freigelegt und den Meissel, bereit in die Tiefe einzudringen,
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Schlüsse auf die Beschaffenheit des Schläfenbeines ziehen ? 23
angesetzt hat: Wie weit ist mein Instrument vom Sinus lateralis ent-
fernt? Dieses Maass ist für einen Punkt 5 mm horizontal nach hinten
von der Spina bestimmt und ÖOperationsstelle genannt worden. Für die
500 Schädel betrug es im Durchschnitt 11,3 mm (20 bis 0,3) rechts
und 11,8 mm (25 bis 0) links. Rechts war es grösser (bis zum Maximum
von 9mm) bei 159, links (bis zu 8) bei 206 und gleich bei 135 Schä-
deln. Das Gleichsein fand sich häufiger bei den mittleren Schädeln,
kam jedoch bei allen Formen und bei allen Maassen von 1mm bis
17 mm vor. Bei den Mesocephalen waren die Extreme weniger deut-
lich ausgesprochen und auf beiden Seiten im Durchschnitt fast gleich —
11,79 mm : 11,84 mm. Bei den grösseren Gruppen der langen und kurzen
Schädel war der Durchschnitt für beide Seiten fast gleich, jedoch einen
ganzen Millimeter geringer für die dolichocephalen — 11,7 und 12 zu
10,8 und 11 mm. Noch deutlicher war dieser das Gegentheil von
Körner’s Resultaten ergebende Befund in den extremen Fällen jeder
Form: bei den 40 hyper-dolichocephalen (20 mit Katalog-Seite unter 70)
betrug der Durchschnitt 10,81 mm (20 bis 0,2) rechts und 11,45 mm
(25 bis 0) links, im Gegensatz zu 12,85 mm (16 zu 4) rechts und
12,07 mm (16 bis 0,2) links bei den extremst-breiten Schädeln (20 mit
Katalog-Seite 91—97). Hieraus ergiebt sich, dass bei sehr kurzem
Schädel der rechte Warzenfortsatz sicherer zu sein scheint als der linke,
da bei ihm die Entfernung zwischen der Öperationsstelle und dem
Sinus etwas unter 6 mm beträgt, als bei allen anderen Formen, bei
denen sie, wenn überhaupt eine Differenz da ist, höchstens den Bruch-
theil eines Millimeters beträgt. Bei einer nicht geringen Anzahl von
gefährlichen Knochen kann man hoffen, das grosse Gefäss durch die
dünne Knochenschicht über ihm durchscheinen sehen zu können.
Dass der rechte Sinus oberflächlicher und mehr nach vorne liegt,
was das Gewöhnliche ist, erklärt sich theilweise dadurch, dass er grösser
ist. Diese längst bekannte Thatsache ist oft übertrieben worden, viel-
leicht weil man sie identisch hielt damit, dass er die Grösse der Fossa
jugularis und des Foramen bestimmt. Letzteres war rechts grösser bei
277 Schädeln und unbestimmt bei weiteren 29 Schädeln; links war es
grösser bei 125, unbestimmt bei weiteren 18 und gleich gross war es
bei 51 Schädeln.
Die Jugularis erhält Blut aus dem Sinus petrosus inferius und aus
dem Sinus sigmoidei und ein grosser Theil des Blutes der übrigen Ge-
fässe (zeitweise vielleicht das ganze Blut) entleert sich durch die Emis-
sarien im Warzenfortsatz in die Vena jugularis externa. Hinwiederum
findet sich öfter eine Verschiedenheit der Grösse des Foramen als der
24 B. A. Ranaall: Kann man aus der Form des Schädels etc.
des Sinus sigmoideus auf beiden Seiten, da der Sulcus rechts bei 225
und unbestimmt bei weiteren 53 Schädeln grösser war, dagegen war er
links bei 128 und unbestimmt bei weiteren 47 Schädeln grösser und
gleich war er bei 47. |
So wenig ja das vorliegende Material hinreichend ist, um allgemein
gültige Gesetze über die durchschnittliche Lage der gefährlichen Theile
zu der Operationsstelle am Wearzenfortsatz aufzustellen, so zeigt es uns
doch einige wichtige Factas. Sichere oder gefährliche Beziehungen mit
grossem oder kleinem Maassergebniss für die in Betracht kommenden
Theile kann man auf jeder Seite und bei jedem Schädel-Typus finden,
obgleich in 1 oder 2 Punkten meine Ergebnisse durch Andere eine Er-
gänzung erfahren müssen, und zwar um festzustellen, dass das rechte
Felsenbein der ultra-brachycephalen Schädel stets die gefährlichste Bildung
zeigt, was Körner für dieselbe als charakteristisch bezeichnet.
Hieraus ergiebt sich, dass der Arzt in jedem Falle bei der Ope-
ration so vorgehen muss, als ob es sicher wäre, dass der Sinus lateralis
oder die mittlere Schädelgrube direct im Wege läge und nur durch
äusserste Vorsicht ihre unbeabsichtigte Eröffnung zu vermeiden wäre.
Der Drillbohrer und die Trephine mnss von nun an als viel weniger
sicher als der Meissel gelten, was übrigens die meisten Operateure mit
grosser Erfahrung schon längst festgestellt hatten. Die Oberfläche des
Warzenfortsatzes soll vollständig freigelegt und genau untersucht werden,
da der Sinus lateralis direct unter der gewöhnlichen Operationsstelle
liegen kann und vielleicht durch die dünne Knochenschicht über ihn
hindurchscheinen kann. Die obere hintere Grenze des Gehörganges mit
seiner Spina (die unter 200 Schläfebeinen nur bei 5 fehlt, und zwar
jedes Mal auf der rechten Seite) giebt den besten Anhaltspunkt für die
Stelle des Eindringens, da ich unter 1100 Schläfebeinen die mittlere
Schädelgrube nie tiefer als bis an diesen Punkt reichen sah und da
der Sulcus sigmoideus sich fast nie so weit nach vorne erstreckte. Das
Meisseln sollte so dicht als möglich hinter der Spina beginnen und vor-
sichtig nach innen fortgesetzt werden, leicht nach oben haltend und
zwar in solchen Fällen, wo die Oberfläche des Warzenfortsatzes keine
besonderen Indicationen zeigt und wenn man die Absicht hat, das Antrum
zu eröffnen. Die Höhle muss bis zu einer Tiefe von weniger als 20 mm
hergestellt werden, tiefer einzudringen ist selten sicher, obschon meine
Messungen ergeben, dass der Canalis facialis und der äussere Halbzirkel-
Gang nie weniger als 16 mm von einem Punkte 5 mm hinter der Spina
liegen.
B. A. Randall: Doppeltseitiges Hämatom des Lobulus. 25
VI.
Doppeltseitiges Hämatom des Lobulus.
Von B. Alexander Randall, Philadelphia.
(Uebersetzt von C. Truckenbrod.)
Der folgende Fall ist so ungewöhnlich, dass er seiner unvollständigen
Form wegen der Veröffentlichung werth erscheint:
Florence M., 16 Jahr alt, von irischer Abstammung, wurde am 28. Nov.
auf die Ohr-Abtheilung des Kinder-Spitales von Dr. Walter J. Freemann
gebracht, der sie bisher wegen Rhinitis behandelt hatte. Jedes Ohrläppchen
zeigte einen weichen fluctuirenden Tumor von purpurrother Farbe in der Gegend
des hinteren Ansatzes des Lobulus — der grössere links hat etwa die Grösse
einer kleinen Kastanie. Beim Fragen stellte sich heraus, dass die Ohren vor
4 Wochen durchlöchert wurden, um Ohrringe zu tragen; es hatten sich jedoch
bis vor 1 Woche keine Beschwerden gezeigt, zu welcher Zeit während eines
epileptischen Anfalles, an denen Pat. öfters sehr stark leidet, behufs ihres Er-
weckens aus demselben ein heftiger Zug an den Lobuli oder an den Ringen
in denselben vorgenommen wurde. Die Geschwülste hatten sich in wenigen
Stunden schmerzlos gebildet und zeigten keine Veränderung, mit Ausnahme einer
geringen Abnahme und unregelmässigen Einschrumpfung der Geschwulst auf
der rechten Seite. Die Stichkanäle für die Ohrringe waren leer, mit Ausnahme
einer stellenweise vorhandenen leichten Verlegung durch Epidermis-Massen; sie
zeigten keine Spur einer Entzündung und lagen ganz ausserhalb des Bereiches
der Schwellung und ohne Zusammenhang mit dieser. Die Geschwulst war ganz
schmerzlos und bei der Palpation hatte man ein eigenthümlich weichliches
Gefühl, als ob ihr Jnhalt aus Granulationen bestände.
Eine wenig schmerzhafte Incision wurde auf beiden Seiten vorgenommen,
bei der sich dickes Blut ohne irgend welchen Eiter entleerte ; die Höhlen zeigten
sich theilweise mit Granulationen angefüllt und schienen sich gegen das untere
Ende des Ohrknorpels abzugrenzen. Jede Höhle wurde vorsichtig ausgekratzt
und tüchtig mit Jod-Glycerin ausgespült, dann mit Jodoform-Gaze ausgestopft
und mit einem Druck-Verband bedeckt. Letzterer wurde am nächsten Tage
durch einen leichten Collodium-Verbard, der einen mässigen Druck ausübte,
ersetzt — die leicht mit Blut getränkte Jodoform-Gaze wurde nicht gewechselt.
Nach 2 Tagen wurde diese entfernt und die rechte Höhle heilte rasch aus;
die linke Höhle eiterte etwas und, da es besser ging, entzog sich Patientin 3
oder 4 Tage später der weiteren Beobachtung.
Da sich in der Regel im Lobulus kein Knorpel befindet, so könnte
man eigentlich nicht an Hämatom oder an Perichondritis in Verbindung
mit einer Schwellung an dieser Stelle denken und das Aussehen der
Geschwulst war so, dass wohl Mancher ganz ruhig eingeschnitten hätte,
26 L. Treitel: Ein Fall von multiplem otitischen Hirnabscess.
ohne sich über den nicht-eitrigen Character klar zu sein, und dann
wohl überrascht gewesen wäre, wenn sich nur Blut entleert hätte.
Sollte diese Methode, Epileptische zu wecken, mehr in Mode kommen,
so kann man diese Affection wohl noch öfter beobachten; für uns
handelte es sich nur darum, ihre Möglichkeit zu kennen, die in unserem
Falle eben dem epileptischen Anfall ihre Entstehung verdankte.
VI.
Ein Fall von multiplem otitischen Hirnabscess nebst
einer Statistik aus dem path.-anat. Institut zu Berlin.
Von L. Treitel in Berlin.
Der Redaction zugegangen am 21. Februar 1895.
Die Frage, wie oft mehrere Hirnabscesse gleichzeitig vorkommen,
dürfte durch die zwischen Körner!) und Schwartze?) gepflogene
Replik erneutes Interesse, besonders bei den Ohrenärzten gewonnen
haben. Es bedarf wohl kaum des Hinweises auf ihre Wichtigkeit, da
von ihr zum nicht geringen Theil der Ausgang, die Prognose der
Operation, abhängt. Um so schwerwiegender ist die Differenz zweier
auf diesem Gebiete so erfahrener Autoren in Bezug auf dieses Moment.
Während Körner) das gleichzeitige Vorkommen mehrerer Hirnabscesse
auf wenige Prozent berechnet, giebt Schwarze an, dass es in dem
kleinsten Theil aller Hirnabscesse der Fall sei. Körner fand unter 62
Grosshirnabscessen 5 und unter 32 Kleinhirnabscessen 4 Mal mehrere
zugleich, ausserdem in 6°/,je einen Abscess im Gross- und im Kleinhirn.
Schwarze führt an, dass unter den 75 Fällen otitischer Hirnabscesse,
welche in den 36 Bänden des Arch. f. Ohrenh. insgesammt veröffentlicht
worden sind, 15 multipel waren, während allerdings bei 25 otitischen
Hirnabscessen, welche im Laufe der Jahre im pathologischen Institut
der Universität Halle zu verzeichnen waren, nur 2mal noch ein zweiter
zu finden war. Mir scheint die Differenz zwischen den Angaben der
beiden Autoren garnicht so bedeutend zu sein. Denn nach Körners
Angabe waren unter 94 Abscessen 9 multipel im selben Hirntheil und wohl
ausserdem in 6°/, je ein Abscess in verschiedenen Hirntheilen, das
sind etwa 16°/,, und wenn man zu den 75 Fällen von Schwarze
L. Treitel: Ein Fall von multiplem otitischen Hirnabscess. 27
die 25 des pathologischen Instituts hinzuzählt. so sind es auch nur 17°;,,
in denen die otitischen Hirnabscesse multipel waren.
Man hat natürlich für die Entscheidung dieser Frage ausschliess-
nur die secirten Fälle zu verwerthen. Denn, wenn es auch einige Male
vorgekommen ist, dass einige Tage nach der Eröffnung eines Hirn-
abscesses wegen erneuten Auftretens bedrohlicher Erscheinungen ein
zweiter Einstich ins Gehirn wieder Eiter entleerte, so handelte es sich
in diesen Fällen sicherlich nur um eine Eiterverhaltung durch einen
Hirnprolaps, wie in dem von Knapp*) und dem von Truckenbrod’)
veröffentlichten Falle. In den 25 Bänden der Zeitschr. f. Ohrenh. habe
ich nur 11 Autopsien an Hirnabscessen im Original geschildert gefunden,
darunter 5 von Heimann®), je 2 von Moos’) und Truckenbrod®)
und 1 von Knapp und Rotholz°). In diesen 10 Fällen war 6 mal
ein doppelter Abscess vorhanden oder nur 5 Mal, wenn man das gleich-
zeitige Vorkommen eines Kleinhirnabscesses und einer extraduralen Eiter-
ansammlung in einem Falle von Heimann nicht mitzählen will. Da-
gegen ist es ausserdem sehr wahrscheinlich, dass in dem ersten Falle
von Heimann ursprünglich mehrere Abscesse bestanden haben, welche
später in einen verschmolzen sind, denn sonst wäre die Ausdehnung
desselben über den Frontal-Temporal- und Occipitallappen unverständlich.
Wäre dieser Fall in einem früheren Stadium zur Section gekommen,
so hätte man also auch mehrere Abscesse gefunden.
Der von mir beobachtete Fall von multiplen Abscessen des Gehirns dürfte
in mancher Beziehung ein Interesse beanspruchen, und deswegen erlaube ich
mir, denselben hier zu veröffentlichen:
Herr S., 22 Jahre alt, consultirte mich am 11. October vorigen Jahres
auf Veranlassung seines Arztes wegen heftiger Kopfschmerzen, welche ihn bereits
5 Tage quälten und so heftig waren, dass sie ihm den Schlaf raubten. Da
sonst keine Ursache derselben zu finden war und Pat, eine alte Mittelohreiterung
hatte, so dachte der Herr College an die Möglichkeit, dass der Kopfschmerz
von dem Öhrenleiden hervorgerufen sei. Allerdings secernirte das kranke rechte
Ohr nach Angabe des Pat. in den letzten Wochen wieder reichlicher, während
es zeitweise ganz trocken war oder wenig absonderte. Ich fand im rechten
Gehörgang ein foetides, eitrig-schleimiges Sekret, nach dessen Entfernung sich
im Hintergrunde eine rote Fläche zeigte, deren Natur ich durch den Einblick
allein nicht erkennen konnte. Der Versuch einer Paracentese belehrte mich,
dass sie die hochgerötete Paukenhöhlenschleimheit war. Der Kopfschmerz wird
weder spontan localisirt, noch ist irgend eine Stelle des Schädels, insbesondere
auch nicht der Warzenfortsatz, auf Beklopfen besonders empfindlich. Schwindel
oder Erbrechen sind bis jetzt nicht aufgetreten; weder beim Gehen noch beim
Stehen mit geschlossenen Augen zeigt sich ein Schwanken. — Die Hörprüfung
28 L. Treitel: Ein Fall von multiplem otitischen Hirnabscess.
ergab Taubheit für laute Flüstersprache rechts, während das linke Ohr normal
hörte. — |
Wie die Anamnese ergiebt, ist die Ohreiterung bei dem Pat. nach Scharlach
in der Jugend entstanden, sonst war er stets gesund bis auf die vor wenigen
Tagen erfolgte Erkrankung, Sein Vater ist vor 2 Jahren an Lungentuberculose
gestorben; derselbe war Steinmetz.
Ich wies den Pat., da ich zunächst keinen Anhalt für seine Kopfschmerzen
fand, an seinen Arzt zurück, wurde aber nach drei Tagen nach seiner Wohnung
genesen, da er inzwischen bettlägerig geworden war. Seine Kopfschmerzen
hatten sich noch gesteigert und waren durch keines der üblichen Mittel (Anti-
pyrin etc.) zu lindern. Schlaf fehlte. Pat. war bei vollem Bewusstsein, klagte
aber fortwährend über seinen Kopf, Erbrechen war auch jetzt nicht da, hin
und wieder soll eine leichte Uebelkeit eingetreten sein, ebenso fehlten Schwindel-
anfälle. Die Untersuchung des rechten Ohres und Schädels ergab dieselben
Resultate wie drei Tage vorher; die Secretion aus dem Ohre war reichlich. —
Wir dachten an eine Hirnaffection, aber es fehlte jedes Zeichen, ausser den
Kopfschmerzen und dem Verhalten des Pulses: die Pupillen waren gleich weit
und reagirten normal, die Bewegungen der Augenmuskeln, der Gesichts- und
Extremitätenmuskeln waren ungestört. Die Temperatur morgens 37,5 und abends
38,3. Der Puls hatte die normale Frequenz (72—76) aber setzte bei jedem
siebenten aus. Kräftezustand schwach. — Das Bild war an den beiden folgenden
Tagen unverändert bis auf eine geringe Steifigkeit des Nackens, die sich beim
Erheben des Kopfes zeigte. Ein am zweiten Tage zugezogener Nervenarzt
glaubte eine leichte Parese des rechten, also gleichseitigen, Facialisgebietes
zu bemerken, welche ich aber nicht bestätigen konnte. Sonst fand auch er
nichts, woraus er eine bestimmte Diagnose construiren konnte; er sah auch den
Augenhintergrund normal und constatirte, dass die Reflexe prompt eintraten.
Es wurde nach dem Consilium beschlossen, Pat. nach einem Krankenhaus zu
bringen, damit sofort operirt werden könnte, falls sich ein Hirnabscess heraus-
stellte. Pat. wurde daher auf die chirurgische Abtheilung des Krankenhauses der
hiesigen jüdischen Gemeinde überführt, deren Leiter, Herrn Prof. Jsrael, ich
die gütige Erlaubniss zur Veröffentlichung des dort beobachteten weiteren Ver-
laufs und des Sectionsbefundes verdanke.
Am 16. X., dem Tage der Aufnahme, wurde kurz folgender Status notirt:
Pat. wird in halb bewusstlosem Zustande aufgenommen und klagt über heftigen
diffusen Kopfschmerz; übelriechender Ausfluss aus dem rechten Ohre. Puls 75;
Atmung 20. Temperatur 37,9 Cels., keine ausgesprochene Nackensteifigkeit. Be-
wegung der Augenlider, der Bulbi, Accommodation, Facialis normal.
17. X. Pat. ist dauernd soperös, reagirt aber auf Anrufen und nimmt
gut Nahrung. Puls 70—90 unregelmässig. Atmung 18—20 regelmässig. Kein
Erbrechen. Pat. klagt immer über Kopfschmerzen und besonders auf der rechten
Seite; er hält den Kopf ziemlich steif nach hinten, ohne dass Nackensteifigkeit
ausgesprochen wäre. Die Sprache ist ohne Störung, auch sonst keinerlei
Herdsymptome. Reflexe normal.
18. X. Zunehmen des Sopor und starke Nackensteifigkeit. Temperatur
morgens 37,9. Puls 70. Kein Erbrechen. Der linke Mundwinkel ist herabgesunken,
die linke Nasalialfalte verstrichen.
L. Treitel: Ein Fall von multiplem otitischen Hirnabscess. "29
19. X. Pat. verbringt den grössten Theil des Tages in comatösem Zu-
stande. Die Facialispares auf der linken Seite ist sehr deutlich. Puls irregulär.
Urin frei von Zucker.
20. X. Früh 6 Uhr Exitus im Coma.
Autopsie,
Die Section wurde am 22. X. mittags von Herrn Dr. Oestreich, Assistenten
am pathologischen Institut der Kgl. Charite, ausgeführt. Das diesbezügliche
Protokoll lautet:
„Bei der Herausnahme des Gehirns entleert sich aus der unteren Fläche
des rechtem Temporallappens missfarbener grüner Eiter aus einem in diesem
Lappen gelegenen Abscess. An der entsprechenden Stelle ist die Dura missfarben
grünlich; unterhalb der Dura erscheint im Felsenbein, dicht von der oberen
Kante ein nicht ganz fünfpfennigstück-grosser unregelmässiger Substanzverlust,
aus dem sich eine jauchige Masse entleert. Man gelangt mit der Sonde durch
weiche Massen ins Mittelohr.*“ Ferner: „Im hinteren Theile des Temporal- jund
dem angrenzenden Theil des Occipitallappens findet sich ein apfelgrosser Abscess,
ausserdem nach hinten anschliessend (im Occipitallappen) mehrere kleinere.
Sämmtliche Abscesse sind gegen die umgebende Hirnsubstanz durch eine gelb-
lich grüne Membran abgeschlossen. Die anstossende Hirnsubstanz ist oedematös
und gelblich. Das rechte Unterhorn und die in ihm liegenden Theile, besonders
das Ammonshorn sind etwas nach links dislocirt. Sonst findet sich im Gehirn
nichts. Das kleine Gehirn ist frei.“
Aus dem übrigen Sectionsprotokoll sei nur erwähnt, dass die Lungen
normal waren, während das Herz ein wenig erweitert gefunden wurde.
Das Felsenbein wurde in der Längsachse der Pyramide durchsägt und
nachträglich noch einmal von mir untersucht, nachdem es in Spiritus eingelegt
worden war. Der oben beschriebene Defekt des tegmen tympani führte in
eine etwa erbsengrosse Höhle, welche besonders auf der medialen Seite von
grauschwarz verfärbten Knochen in einer Ausdehnung von 1—2 mm umgeben
ist. Die Höhle umfasst den ganzen Kuppelraum, der durch Fehlen der Gehör-
knöchelchen vergrössert ist; nur eine dünne Lamelle ist von der oberen Peripherie
des knöchernen Trommelfellringes erhalten. Das Trommelfell selbst ist ganz
zerstört und durch ein verfilztes, sehniges Gewebe ersetzt, dass auch das Foramen
ovale und die Nische des runden Fensters erfüllt.
Das Labyrinth konnte mikroskopisch nicht untersucht werden ; makroskopisch
war nichts Pathologisches zu bemerken.
Der Process. mast. war sclerosirt und enthielt nur wenige Zellen, in denen
sich etwas Schleim befand.
Epikrise: Die nachträgliche Betrachtung hat zunächst die Auf-
gabe, die Frage zu beantworten, ob es nicht möglich war in vivo einen
Gehirnabscess zu diagnosticiren und dadurch dem Kranken eventuell das
Leben zu retten. Diese Frage muss leider verneint werden. Die hoch-
gradigen Kopfschmerzen und die Unregelmässigkeit des Pulses bei grosser
Prostration der Kräfte führten bald zu der Annahme einer Hirner-
30 L. Treitel: Ein Fall von multiplem otitischen Hirnabscess.
krankung und bei dem Vorhandensein einer Mittelohreiterung wurde
auch von vornherein ein Hirnabscess für am wahrscheinlichsten gehalten.
Indessen fehlten in den ersten Tagen, bevor Pat. in das Krankenhaus
überführt wurde, alle Localsymptome, bis auf eine geringe Steifig-
keit des Nackens: der Kopfschmerz wurde nicht localisirt, der Schädel
war an keiner Stelle besonders empfindlich, die Augen waren in jeder
Beziehung normal, die Muskeln des Gesichtes und der Extremitäten
boten keine Anomalie. Die geringe Temperatursteigerung konnte auch
keinen Anhaltspunkt liefern. In dieser Zeit war keiner der bekannten
Hirnprocesse auszuschliessen. Ausser dem Hirnabscess konnte es eine
tuberculöse Meningitis sein, was etwas für sich hatte, da der Vater des
Patienten an Tuberculose gestorben ist. Es sind auch einige Fälle, z. B.
von Moos berichtet, in denen fälschlich ein Hirnabscess angenommen
und bei der Operation oder Section eine tuberculöse Meningitis gefunden
wurde; ich habe selbst vor einigen Jahren bei einem Kinde, das nicht
operirt wurde, in vivo einen Abscess für wahrscheinlich gehalten, bei
dem post mertom Hirntuberkel festgestellt wurden. Ein Hirntumor war
sehr unwahrscheinlich, weil Mittelohreiterung und Tumor gleichzeitig
in diesem Alter bis jetzt nicht gefunden worden und ausserdem ein
hektisches Fieber bestand, das eher auf eine Eiterung schliessen liess.
Dagegen liess sich ein extraduraler Abscess nicht mit Sicherheit aus-
schliessen, wenn auch keine äussere Schwellung am Schädel und keine
Fistel vorhanden waren; diese ist ja vielfach erst nach breiter Eröffnung
des Warzenfortsatzes gefunden worden. Für eine Cerebrospinalmeningitis
war das Sensorium zu wenig benommen und die Nackensteifigkeit zu
gering, die Temperatur zu niedrig, das Abdomen nicht eingezogen.
Gegen eine Sinusthrombose sprach das Fehlen von ausgesprochenem
Schüttelfrost und localer Schwellungen am Halse, doch war sie nicht
ganz sicher auszuschliessen.
Im Krankenhause wurden die Symptome deutlicher. Das Sensorium
wurde benommen, die Nackensteifigkeit stärker und zwei Tage vor dem
Tode trat auf der gekreuzten Seite eine Facialislähmung auf. Ein
Hirnabscess war jetzt mit grosser Wahrscheinlichkeit im rechten Schläfen-
lappen anzunehmen, aber die Nackensteifigkeit wies auf eine compli-
cirende Meningitis, und die Operation unterblieb. Der Patient starb.
Die Section hat gelehrt, dass dieses Symptom irre geführt hat und
darum sei dasselbe etwas ausführlicher berücksichtigt. Denn die Ver-
dickung und Verfärbung der Dura über dem perforirten Tegmen tympani
war auf einen abgelaufenen oder zum wenigsten chronischen Process zurück-
L. Treitel: Ein Fall von multiplem otitischen Hirnabscess. 3l
zuführen. Nach Körners Angabe spricht eine Nackensteifigkeit, wofern
man einen Abscess und keine Meningitis annehmen zu müssen glaubt,
für einen Kleinhirnabscess. Dieser Fall zeig,” dass seine Annahme
nicht zutrifft. Umgekehrt kann eine basale Meningitis bestehen, ohne
dass Nackensteifigkeit intritt, wie in dem Falle von Truckenbrodt,
in dem die Section ein eitriges Exsudat an der Basis, am stärksten
am Chimasma nerv. opt. und am linken Oculomoterius, finden liess,
ohne dass in vivo Nackensteifigkeit bestanden hätte. Nach alledem dürfte
der Nackensteifigkeit bei der Diagnose der Hirnabscesse kein zuver-.
lässiger diagnostischer Werth beizumessen sein.
Auch nicht ganz zuverlässig für die Localdiagnose ist das alleinige
Auftreten einer Facialislähmung zu verwerthen. In der Regel ist die
gekreuzte Parese des Facialis oder ein Krampf desselben ein Zeichen
eines Temporalabscesses der ohrkranken Seite infolge der Fernwirkung
auf die innere Kapsel. Sie kann aber auch durch Fernwirkung auf die
Brücke von Seiten eines Kleinhirnabscesses hervorgerufen werden, und
daran konnte man in diesem Falle bei dem gleichzeitigen Vorhandensein
der Nackenstarre denken. Auch Abscesse im Pons machen Faclalis-
lähmung auf derselben oder auf der gekreuzten Seite und man hätte
z. B. in dem Falle von v. Bergmann ?!°), in welchem Parese des linken
Armes und Beines und Zuckungen im rechten Facialis bestanden, eine
solche annehmen müssen, wenn nicht bei Beklopfen des Schädels die
rechte Temporalgegend am meisten schmerzempfindlich gewesen wäre.
Die Operation entleerte mit gutem Erfolg einen Abscess des Schläfen-
lappens. Dennoch scheint mir in diesem Falle die Motivirung v..
Bergmanns nicht ganz zutreffend, »dass sich aus der rechtsseitigen
Facialislähmung für die Abscessdiagnose nichts gewinnen liess. Der
Nerv verläuft mitten durch die eiternde Partie.« Da nur die unteren
Aeste des Facialisgebietes zuckten, so konnte die Affection des Nerven
nicht im Knochen liegen. Wenn daher andere Localsymptome wie
Schmerzhaftigkeit des Knochens auf derselben Seite, Hemianopsie etc.
fehlen, so ist man nicht berechtigt, aus den allgemeinen Hirndruck-
symptomen und einer gekreuzten Facialislähmung auf einen Temporal-
abscess sicher zu schliessen. Wenn man sich dennoch zu einem operativen
Eingriff entschliesst, so wird man nicht enttäuscht sein dürfen, an der
erwarteten Stelle keinen Eiter zu finden. Im Allgemeinen dürfte das
Berücksichtigen aller Symptome eine Localdiagnose öfter ermöglichen ;
aber man sieht, dass auf das einzelne Symptom kein unbedingter Werth
zu legen ist.
32 L. Treitel: Ein Fall von multiplem otitischen Hirnabscess.
In meinem Falle hätte, wie die Section zeigte, selbst wenn es möglich
gewesen wäre, einen Temporalabscess zu diagnosticiren, die Operation
nichts genützt, sondern nur die Qualen des Patienten verlängert. Denn
wider Erwarten fanden sich nicht nur zwei grössere, sondern auch
mehrere kleinere Abscesse. Letztere zeigen, dass ein Hirnabscess sich
sich sowohl durch eignes Wachsthum, als auch durch Verschmelzung
mehrerer Abscesse vergrössern kann. Es ist mir kein Fall aus der
Literatur bekannt, wo sich in der Peripherie eines grossen Abscesses
in der beschriebenen Art mehrere kleinere fanden. Diese dürften durch
Fortpflanzung auf dem I,ymphwege entstanden sein. Die Entstehung
des primären Temporalabscesses ist in diesem Falle ganz klar: die Caries
des Kuppelraums bat erst das Tegmen tympani nekrotisch gemacht und
gleichzeitig oder im Anschluss daran eine locale Meningitis erzeugt,
welche den angrenzenden Schläfenlappen inficirte. Dieser Zusammenhang
oder vielmehr die Entstehung ist ja recht häufig, sie sollte uns aber
gerade ermahnen, mit der Sondirung des Kuppelraumes recht
vorsichtig zu sein.
Anhang.
Statistik aus dem pathologisch-anatomischen Institut
zu Berlin.
Mit gütiger Erlaubniss des Herrn Geheimrath Virchow habe
ich mehrere Jahrgänge der Sectionsprotocolle der Kgl. Charit& aut die
Häufigkeit und eventuelle Multiplicität der otitischen Hirnabscesse durch-
gesehen. Im ganzen fanden sich unter ca. 6000 Sectionen 21 Hirn-
abscesse, davon
waren 7 infolge von Ohrleiden,
14 aus andern Ursachen entstanden.
Die otitischen Hirnabscesse machen aber gerade den dritten Theil
aller Hirnabscesse aus, ein Verhältniss, wie es auch Pitt°) unter 9000
Sectionen gefunden hat.
Unter den 7 otitischen Hirnabscessen war nur einmal noch ein
zweiter vorhanden, aber es darf nicht unerwähnt bleiben, dass derselbe
in der dem kranken Ohre entgegengesetzten Grosshirnhälfte lag und
sich bei einer im vierten Monat der Gravidität befindlichen Frau
zeigte. Es kann in diesem Falle zweifelhaft sein, ob der Abscess
durch das Ohrleiden hervorgerufen worden ist. Ausserdem verdient
andererseits hervorgehoben zu werden, dass ein Temporalabscess weit
verzweigt war, so dass es wahrscheinlich ist, dass er aus mehreren ent-
L. Treitel: Ein Fall von multiplem otitischen Hirnabscess. 83
standen ist. — Von den 7 otitischen Hirnabscessen sassen 4 im Grosshirn
(im Temporo-Occipitalgebiet) und 3 im Kleinhirn; sie betrafen alle er-
wachsene Personen, wenn auch in dem einen Falle das Alter nicht aus-
drücklich angegeben ist. Uncomplicirt war nur ein Kleinhirnabscess,
in allen anderen bestanden eine oder mehrere Complicationen. Zwei
Mal war der Abscess in den dritten Ventrikel durchgebrochen, drei
Mal war daneben eitrige Thrombophlebitis und 5 Mal Meningitis vor-
handen. Diese Befunde dürfen nicht wunderbar erscheinen, da es doch
Fälle sind, in denen der Hirnabscess zum Tode geführt hat; es ist
nicht ausgeschlossen, dass er vorher zu einer Zeit uncomplieirt war.
Aber für die Fälle, welche erst spät zur Beobachtung kommen, ist es
von grosser Bedeutung, zu wissen, dass die Hirnabscesse meist mit einer
anderen Hirnaffection complicirt und dass auch aus diesem Grunde die
Chancen einer Operation zweifelhaft sind.
Unter den 14 Abscessen, die aus anderen zum Theil unbekannten
Ursachen entstanden waren, waren 5 multipel. Einige waren ohne Zweifel
‚auf pyämische Embolieen zurückzuführen (3), in einem Falle fanden sich
sehr zahlreiche kleine Abscesse an der Hirnoberfläche im Anschluss
an Influenza. Ein besonderes Interesse dürften 2 Fälle haben, in
denen eine Stirnhöhleneiterung einen Frontalabscess erzeugt hatte.
Bei dieser Gelegenheit sei noch erwähnt, dass in einem andern Falle
eine Stirnhöhleneiterung zu Meningitis und zur subduralen Eiteran-
sammlung geführt hatte.
Die Gelegenheit der Durchsicht der Journale benutzte ich gleich-
zeitig dazu, die Anzahl der Todesfälle festzustellen, welche mit einem
Ohrenleiden in causalem Connex standen. Unter ca. 4800. Fällen war
dies 19mal der Fall, und zwar:
war 5mal eine Thrombophlebitis purulenta zu constatiren,
(ohne Complication).
T „ Arachnitis purulenta allein.
u. 2% „ Arachnitis pur. und Pyocephalus int.
Bemerkenswerth ist, dass in einem Falle von Meningitis sich an
eine acute Mittelohrentzündung ausgeschlossen hatte. In 2 Fällen
ist sehr zweifelhaft, ob das Ohrleiden und nicht viehnehr eine Lungen-
phthise zum Tode geführt hat und bei einem 7 Monate alten Kinde, das
nach der Aufmeisselung des Warzenfortsatzes gestorben war, fand sich
nichts Pathologisches im Gehirn, sondern eine doppelseitige Broncho-
pneumonie. Ich wage daher nicht, nach diesen Zahlen einen bestimmten
Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXVII. 3
34 L. Treitel: Ein Fall von multiplem otitischen Hirnabscess.
Prozentsatz der durch Ohreiterung verursachten Todesfälle zu den ge-
samınten Sectionen anzugeben; im übrigen dürfte eine solche überhaupt
wenig Werth haben.
Literatur- Verzeichniss.
. Körner. Arch. f. Ohrenheilk. Bd. XXXVII.
. Schwartze: Ebenda.
. Körner: Die otitischen Erkrankungen des Hirns, 1894.
. Knapp: Zeitschr. f. Ohrenheilk., Bd. XXIV.
. Truckenbrod: Ebenda, Bd. XV.
. Heimann: Ebenda, Bd. XXIII.
Moos: Ebenda, Bd. XX u. XXIV.
. Truckenbrod: Ebenda, Bd. XXI.
. Rothholz: Ebenda, Bd. XIV.
v. Bergmann: Die chirurgische Behandlung von Hirnkrankheiten, 1889.
(2. Auflage.)
oO 19T POmD m
jmd
Bericht
über die
Leistungen und Fortsehritte
der
Pathologie und Therapie im Gebiete der Krankheiten
des Gehörorganes und der Nase
in der zweiten Hälfte des Jahres 1894.
Zusammengestellt von Dr. Arthur Hartmann in Berlin.
eg
Allgemeines.
. Bürkner, Prof. Bericht über die in den beiden Etatsjahren 1892/93
und 1893/94 in der Poliklinik für Ohrenkrankheiten zu Göttingen beob-
achteten Krankheitsfälle. Archiv für Ohrenheilk., 37. Bd., S. 17.
. Haug, Priv.-Docent. Allerlei Casuistisches aus der Öhrenabtheilung der
chirurg. Poliklinik zu München. Münch. med. Wochenschrift Nr. 34 ete.
1894.
. Randall, B. Alex. Statistische Studien über das Foramen Rivini und die
Achse des äusseren Gehörgangs in ihrer Beziehung zur intratympanalen
Chirurgie. Transact. amer. otol. Soc., Bd. VI, 1894.
. Randall, B. Alex. Behandlung von Ohrenerkrankungen durch den praktisch.
Arzt. Philadelphia Poliklinik 27. Oct. 1894.
. Pliques. L/electricit€e en otologie. Annales des mal. de T’oreille etc.
IX, 1894.
. Schmidt, W. Ueber die Betheiligung des Felsenbeines besonders des
Ohres bei Basisfracturen. Dissert. Marburg 1894.
. Baron, B. J. Four cases of labyrinthine disease treated by injections of
pilocarpine. Brit. med. Journ. 1. Dec. 1894.
. Gradenigo, G. La sclerosi auricolare quale affezione parasifilitica nella
sifilide ereditaria tarda. Archivio ital. d’otologia etc., fasc. 4. 1894.
. Witters, Oliver. Öhrschwindel. Brit. med. Journ. 22, Juni 1894.
. Burnett, Char. H. Chronischer Trommelhöhlenschwindel und seine Heilung
durch chirurgische Freimachung des Steigbügels. Trans. americ. otol.
Soc., Bd. VI, 1894. |
gr
36 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
11. Szenes. Ueber zwei geheilte Fälle von Taubheit. Arch. f. Ohrenheilk.
Bd. XXXVII, S. 234.
12. Avoledo. Le malattie dell’orcecchio negli allievi delle scuole elementari.
Arch. ital. di Otol. 1894, S. 13.
13. Benedikt, Prof. Zur Frage der Hörübungen bei Taubstummen u. Tauben.
Berl. klin. Wochenschr., No. 31, 1894.
14. Robertson, W. Deaf Mutism. An examination of the inmates of the
northern counties constitution for the deaf and dumb. Lancet 8. Sept. 1894.
15. Hubbard, W. H. Taubstummheit. Leisure Home, Juli 1894.
1) Bei Eiterungen der Paukenhöhle wurde Kresolum purum lique-
factum (Nördlinger) statt Creolin angewandt, das eine klare Lösung giebt,
wenig reizt und bezüglich der chemischen Reinheit und antiseptischen
Wirkung dem Creolin überlegen ist. Die von Katz empfohlene Chrom-
säurelösung wurde oftmals probirt und wirksam gefunden, musste aber
nicht selten, ebenso wie das Jodtrichlorid, wegen allzu heftiger Irritation
bei Seite gelassen werden. Rumler (Berlin).
2) Haug bringt eine Serie von casuistischen Mittheilungen,
die speciell für den Allgemeinpractiker berechnet sind. An die aus-
führliche Beschreibung der einzelnen Fälle werden jeweils practische
Bemerkungen geknüpft. Den Anfang bildet I. Ein Fall von Fremd-
körper im Ohr: Eine Glasperle ist durch Extractionsversuche von un-
geübter Hand in die Paukenhöhle gestossen worden; Entfernung in,
Narkose mittelst schmalen Löffelchens, worauf Fieber und Erbrechen,
die vorher bestanden hatten, aufhörten, ebenso nach kurzer Zeit
eine consecutive Otorrhoe. II. Fractur des Gehörgangs, Rupturirung
des Trommelfells durch Sturz auf den Unterkiefer: Intensive Blutung
aus dem Ohr; die vordere Gehörgangswand schief durchrissen, die
Wundränder an einander verschoben, bei Kieferbewegungen deutliche
Crepitation. Der Riss setzte sich fort von der v. u. Gehörgangswand
über Limbus und Trommelfell zum Hammergriff und noch eine Strecke
entlang desselben, ein zweiter Riss im h. o. Quadranten — wohl durch
Contrecoup entstanden — setzt sich in die h. o. Gehörgangswand fort.
Heilung p. pr. int. II. Eine Zecke, Ixodes ricinus, im Gehörgang:
Bei einem Handwerksburschen, der Tags zuvor im Wald geschlafen hatte.
Nach Eingiessen von Sublimatlösung mit der Pincette extrahirt. IV.
Lähmung der Chorda tymp. durch Einträufeln von Carbolglycerin. Totale
einseitige Geschmackslähmung: Bei der 2. Einträufelung von 10°/,igem
Carbolgl. wegen Otitis med. ac. sin. ohne nachweisbare Perforation oder
Exsudatbildung plötzlich Brennen, Priekeln, süsslicher Geschmack auf
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 37
der l. Zungenhälfte, nach !/, Stunde in Pelzigsein übergehend. Trotz-
dem sich die Ohrerscheinungen rasch besserten, ist die totale einseitige
Geschmackslähmung andauernd. V. Emphysem des Trommelfells und
Luftgeschwulst der Regio mast: Nach einmaliger Luftdouche (ca. !/,
Atmosph.) das auffallend dünne 1. Trommelfell ecchimosirt, auf den oberen
Partieen sammt Membr. Shrap. stecknadelkopf- bis linsengrosse Blasen,
gleichzeitig Luftgeschwulst auf dem Proc. mast. bis Eigrösse anwachsend.
VI. Syphilitischer Primäraffeet des pharyngealen Tubenostiums därch
Katheterismus: Primärer Schanker am Ostium durch Rhinoskop. post.
festzustellen. VII. Perichondritis auriculare, geheilt durch einfache wieder-
holte Punctionsaspiration. VIII. Acute eitrige Paukenhöhlenentzündung
mit Empyem des Warzenfortsatzes im directen Anschluss an eine un-
vorsichtig ausgeführte Nasendouche. Typischer Fall.
Müller (Stuttgart).
3) Randall fast seine Resultate dahin zusammen: »In der ver-
tikalen Ebene verläuft der Kanal in dieser Serie immer nach oben,
(wenn man nicht die Neigung nach unten seines innersten Theiles un-
gebührlich in Betracht zieht), wobei der Winkel zwischen 5° und 17°
schwankt. Mehr als ein Drittel der Fälle (rechts 36, links 39) zeigten
eine Inclination von 10°, und der Winkel oberhalb und unterhalb der-
selben war an Zahl und Grad ungefähr gleich, was einen Durchschnitt
von 11,37° für Rechts und von 10,9° für Links giebt. Unterschiede
zwischen beiden Seiten waren selten ausgesprochen, wobei das Maximum
von 4° Rechts, oder 5° Links als Ausnahme bestand. Dies stimmt
mit meinen früheren Befunden überein, welche bei dieser Messung
ziemlich genau waren. — In der Horizontalebene war das Resultat fast
ganz ähnlich. Eine Inclination nach vorn von 10° wurde fast ebenso
häufig gefunden (31 Rechts, 30 Links) und die Durchschnitte waren
9,99° resp. 8,94°. Ein Unterschied zwischen beiden Seiten bestand
weniger selten, aber überschritt niemals 7°, und doch waren die
Schwankungsgrenzen in verschiedenen Schädeln viel weiter, indem sie
vom Maximum von 20° nicht nur bis zum Nullpunkt reichten, sondern,
in einem Schädel wenigstens, eine rückwärts geneigte Inclination von
2° ergeben.
Bezüglich der Sichtbarkeit und Erreichbarkeit des Steigbügels und
ovalen Fensters, fand Randall in hundert Fällen, dass der Steigbügel
vierzig Mal vorhanden, neun Mal frei zu sehen, zwanzig Mal durch eine
mehr oder weniger versperrende Lage des Annulus und neun Mal ganz
versteckt war.
38 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
In den übrigen ein hundert und sechzig Fällen war das leere ovale
Fenster 4 mal (14°/,) frei sichtbar, 13 mal (45°/,) theilweise sichtbar,
und 12 mal (41°/,) versteckt bei den mit weniger als 10° Inclination
aufweisenden Fällen, während es, in denen mit mehr als 10°, 26mal
(39°/,) frei zu sehen, 34mal (48°/,) theilweise sichtbar und 9mal
(13°/,) ganz verborgen war. Der Verf. schliesst daraus, dass die
Neigung des Gehörgangs nach vorn zwar nicht ohne Einfluss ist, dass
aber die Sichtbarkeit und Zugänglichkeit der Steigbügelgegend durch den
Horizontalkanal am geringsten, durch den am meisten nach oben steigenden
Kanal am grösten sei.
Mit Bezug auf die Anwesenheit des Foramen Rivini fand der
Verf., dass unter einer Gesammtzahl von 260 Trommelfellen, 65 mit
dem Foramen (-+ 25 zweifelhaften Fällen) oder genau 25 °/, bestanden.
Unter 47 Kindern im Alter von nicht über 14 Jahren, war das Foramen
auf beiden Seiten nur bei zweien vorhanden: rechts in 3 und links
in 2; in Allem, 9 Fälle (-3?) unter 94 Trommelfellen.
Ä G. Bacon.
4) Randall räth dem practischen Arzt der Behandlung der Nase
und der Choanen mit dem Spray und alkalischen Lösungen seine Auf-
merksamkeit zuzuwenden. Nachher soll man 2°/,iges Jodglycerin ver-
mittelst Wattebäuschchen dem Rachendach einpinseln. In manchen Fällen
soll man einen Albolinspray mit 2 bis 5°/,igem Mentholkampfer ge-
brauchen und die Nasenhöhle mit Calomel einstäuben. Der äussere Gehör-
gang sollte durch Ausspritzen gründlich gereinigt werden, wobei in manchen
Fällen Wasserstoffsuperoxyd nothwendig ist. Einblasung von Borsäure-
pulver ist in eitrigen Fällen anzurathen, Luftmassage und Politzer’s
Verfahren in katarrhalischen Fällen und Einreibung mit gelber Queck-
silbersalbe bei Furunkeln und Ekzem des äusseren Gehörgangs.
G. Bacon.
5) I. Experimentelle Haupt-Grundsätze: 1. Normale
Erregbarkeit des Nerven. Schwierigkeiten der Untersuchung, die sich
aus der tiefen Lage des Nerven, aus der Nachbarschaft des Facialis
und aus den Centralorganen ergeben. Der continuirliche Strom ist allein
verwendbar, das Erb’sche Verfahren das beste, die nothwendige Stärke
um eine Gehörreaction hervorzurufen 4—6 milliampere. 2. Veränderte
Erregbarkeit. a) Vermehrte pathologische Erregbarkeit, Trommelfell-
perforation, Labyrinthaffection ; b) qualitativ veränderte schwere Labrinth-
affection; c) paradoxe. Die Gehörsempfindung kommt auf dem Ohre,
wo keine Electrode applicirt ist, zu Stande, ferner inverse Reaction —
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. | 39
ohne diagnostischen Werth. d) Verminderte Erregbarkeit bei Labyrinth-
affectionen mit Geräuschen bei Neuritis des Acusticus; e) diagnostischer
Werth der anormalen Reaction. Die vermehrte Erregbarkeit entspricht
einer Hyperämie des Laabyrinths und nicht einer entfernter gelegenen
Entzündung, oft coincidirt sie mit einer Neuroretinitis bei Tumor oder
Gehirnverletzung. f) Einfluss auf den Nerv. acust. Der Strom vermehrt
allmählich seine Erregbarkeit, und die elektr. Erschütterungen sind der
Function schädlich. g) Verlust des galvanischen Schwindels bei ‘den
Taubstummen; h) die Geräusche vermehren sich im Beginn der Strom-
anwendung, werden durch die Unterbrechung vermindert.
I. Arten der Electrisirung: a) Der constante Strom. Der
wirksame Pol ist der positive; der negative ist schädlich. Langsam
zunehmende Steigung eines schwachen Stroms ohne Stösse und Strom-
wendung. b) Der unterbrochene Strom ist nützlich um die Gehör-
knöchelchen zu mobilisiren. Die Electrode in Salzwasser getaucht, den
Gehörgang ausfüllend. Unangenehme Reflexerscheinungen. c) Statische
Electrieität, Funken und electrische Bäder wenig gebraucht; oberfläch-
liche Wirkung. |
III. Therapeutische Anwendung. 1. Geräusche. Schwache
constante Ströme ohne brüske Wendungen. Anwendung des Gell&’schen
Metallpinsels. Besserung nicht constant; zuweilen Verschlimmerung.
2. Otalgieen. Nützlich bei neuralgischen Schmerzen, continuirlicher
Strom combiniert mit Cocainanästhesie (Massini). 3. Meniere’sche
Krankheit. Schwache, vorsichtige Ströme zu überwachen (Politzer).
4. Trommelfelltrübungen, sehr mässige Wirkung. 5. Ankylose der
Gehörknöchelchenkette, besonders Funken und bei unvollständiger An-
kylose. 6. Taubheit. Nicht bei labyrinthöser Taubheit; Faradisation
bei hysterischer Taubheit. Ripault.
6) Ausser 69 in der Literatur niedergelegten Fällen, über die
Schmidt theilweise auch kurz berichtet, hat er aus der Marburger
Poliklinik 10 weitere zusammengestellt. Das Ergebniss ist wieder,
dass man aus den äusseren Erscheinungen im Ohr und den functionellen
Störungen keine sichere Schlüsse auf den anatomischen Sitz, die Schwere
oder den Verlauf der Fraktur ziehen kann. Die Art der Gehörsherab-
setzungen lässt oft auf eine Läsion des mittleren Ohrs, oft des inneren
Ohrs meist auf eine Combination beider schliessen. Subjective Geräusche
stehen sehr im Vordergrund, zuweilen auch auf der nicht affıcirten
Seite. Gleichgewichts- und Schwindelerscheinungen fehlen selten, doch
lässt Verf. unentschieden, ob sie nicht indirect durch die Schwere der
40 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
Schädelverletzung an sich bedingt sind. Facialislähmungen fanden sich
unter 79 Fällen 44 mal. Zimmermann (Dresden).
7) Von den 4 Fällen, über welche Bacon berichtet, erhielten zwei
30 und zwei 40 Injectionen. Die Resultate waren ungenügend. Zwei
Fülle wurden in keiner Weise gebessert. Im dritten Falle trat Schwindel
und Erbrechen nach den ersten Injectionen ein, aber es konnte etwas
Hörverbesserung wenige Monate nach Aufhören der Injectionen beobachtet
werden. Im vierten und am meisten befriedigenden Falle wurde das
Hören und der Schwindel gebessert, das Ohrensausen blieb bestehen.
Bacon glaubt, dass die Pilocarpinbehandlung gerechtfertigt ist als letztes
Mittel in hoffnungslosen Fällen von Erkrankung des innern Ohrs.
8) Die Erkrankung betrifft vorwiegend den Schallleitungapparat,
bisweilen den Perceptionsapparat. Die Ohrerkrankung kann die einzige
Erscheinung der Diathese sein, dann kann die Diagnose gestellt werden,
durch Beweise, welche von den Eltern oder von den Geschwistern ent-
nommen werden. Häufig sind Erscheinungen von Seiten der Zähne
oder eine Keratitis vorhanden. Ungünstige Prognose. Gradenigo.
9) Mit Beziehung auf die Artikel und Briefe von Stephen
Mackenzie, Sir William Dalby u. A., welche kürzlich die Auf-
merksanıkeit auf den „Ohrenschwindel® gelenkt hatten, befürwortet
Withers die Venäsectionen in denjenigen Fällen, in welchen der
Schwindel offenbar durch vermehrte arterielle Spannung hervorgerufen
wird und ein Symptom drohender Apoplexie ist. Withers berichtet
über einige auffallende Besonderheiten in einem Falle, in welchem prompte
Venäsection von unmittelbarem Erfolg begleitet war. Silk.
10) Burnett giebt denjenigen Fällen von chronischem Mittelohr-
katarrh den Namen von chronischem Paukenschwindel, in welchem
Schwindel von chronischem Charakter zum bereits vorhandenen Ohren-
sausen und zur Taubheit hinzugetreten ist. Er glaubt, dass das beste
Mittel zur Erleichterung dieses störenden Symptoms in der Entfernung
des Ambosses besteht und er berichtet zur Stütze dieser Theorie über
eine Reihe von Fällen. G. Bacon.
11) Bei einem Kinde trat 2 Wochen vor der Untersuchung durch
Szenes Schmerz in beiden Ohren auf, dann Eiterung, welche zwei
Tage anhielt. Trotz Luftdouche, die kein Exsudat erkennen liess, Ver-
schlechterung des Gehöres in der Weise, dass die Besserung nach der
Luftdouche immer kürzere Zeit anhielt. Nach 4 Wochen wurde die
Uhr weder am Ohr noch durch Knochenleitung gehört, ebensowenig die
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 41
Stimmgabel. Szenes machte dann 7 Pilocarpininjectionen zu 1 Cgrm.
darauf stellte sich mit Knacken das Gehör ein und blieb ohne Ver-
minderung.
Szenes hält die Wirkung des Pilocarpins in diesem Falle für er-
wiesen. Als Gegenstück führt Szenes einen Fall an, wo es sich ebenfalls
um die Wiederkehr des Gehörvermögens handelt, jedoch ohne jedwelchen .
therapeutischen Eingriff. Ein Mann von 60 Jahren, der an Atheromatose
litt, wurde plötzlich taub auf dem linken Ohre, gleichzeitig Schwindel,
Brechreiz. Bei Anwendung von absoluter Ruhe nach 36 Stunden Wieder-
kehr des Gehörs, noch 10 Tage lang Kopfschwindel. Rumler.
12) Avolldo giebt eine interessante Statistik über seine Unter-
suchungen von Elementarschülern und bestätigt die bisherigen Erfahrungen
bezüglich der Häufigkeit von Ohrkrankheiten. Gradenigo. _
13) Benedikt giebt eine Erklärung der von Urbantschitsch
neuerdings mitgetheilten Erfahrung, dass Taubstumme durch methodische
Hör-Uebungen eine Besserung des Gehörs erlangen können, an der Hand
seiner „Nervenpathologie.* Eine Besserung käme fast nur vor bei
Kindern, da diese ein ausgebildetes Auffassungsvermögen noch besitzen,
das den Erwachsenen fehle. Oft sei bei Kindern dadurch eine Besserung
zu erklären, dass die Kinder wohl noch hörten, es aber schwer sei,
dies nachzuweisen. Dann ist es unzweifelhaft, dass der Acusticus mehrere
centrale Wurzeln hat, die selbstständig erkranken, so dass ein Kind
wohl noch Geräusch aber keine artikulirten Laute wahrnimmt. Hierbei
kann die Erziehung durch Vorsprechen Besserung erzielen.
Rumler.
14) Robertson kommt in seiner mit 14 statistischen Tabellen
versehenen Arbeit zu folgenden Anschauungen: 1) Scharlach und Nieren-
krankheiten sind die häufigsten Ursachen von Taubstummheit. 2) In
der Mehrheit der Fälle von Scharlachficber ist die Taubstummheit durch
Erkrankung des inneren Ohres verursacht. 3) Cerebro-spinalmeningitis
ist die häufigste Ursache der cerebralen Taubstummheit. 4) In der
Mehrheit der Fälle entsteht die Taubstummheit vor dem Ende des dritten
Jahres. 5) Ein sehr grosser Prozentsatz von Taubstummen haben normales
Mittelohr. 6) Katarrh und Hyperplasie der dem Ohr benachbarten
Schleimhäute bestehen bei einer abnorm grossen Anzahl von Fällen.
7) Fälle von totaler Taubheit sind häufiger unter der erworbenen als
unter der angeborenen Taubstummheit. Mehr als die Hälfte aller Taub-
stummen sind ganz taub. 8) Vererbung und Blutverwandtschaft der
Eltern spielen eine grosse Rolle bei der Entstehung der Taubstummiheit.
42 | Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
15) Der Artikel ist für die „Leisure Home“ in Brochürenform ver-
öffentlicht und die darin angegebene Statistik ist auch für alle Ohren-
ärzte von grossem Interesse. Nach der neuesten Volkszählung hat sich
das Verhältniss von Taubstummen zur Gesammtbevölkerung verringert.
Im Jahre 1851 war es 1:1738, im Jahre 1891 1:2043. Unter den
Juden erscheint das Verhältniss eher grösser zu sein als gewöhnlich,
wahrscheinlich als Ergebniss von Erblichkeit und Verwandtschaftsheiraten.
Silk.
Instrumente und Untersuchungsmethoden.
16) Bergeat, Hugo, Dr., München. Gummihütchen als Ueberansatz beim
Politzer’schen Verfahren. Monatsschr. f. Ohrenheilk. No. 1894.
17. Cheatle, Arthur. Auskultationsröhre für das Ohr. Brit. med. Journ.
22. Sept. 1894, Lund, Manchester.
18. Macdonald, Greville, Dr. Universal nasal snare. Lancet, 1. Dez. 1894.
19. Keimer, Düsseldorf. Ein neuer Griff für galvanokaustische Schlingen.
Arch. f. Laryngol. etc. Bd. I, H. 1.
20. Avellis, Frankfurt a. M. Beschreibung eines Taschenbestecks für Hals-,
Nasen- und Ohrenärzte und eines veränderten Kehlkopfspiegels. Ibid.
Bd. I, H. 1.
21. Corradi, Cateterismo alle insufflazioni d’aria del canale naso-lacrymale
della via del naso etc. Rivista veneta di Sc. mediche 1894. Fasc. 3.
22. Wagner, Henry Lewis. Der Werth der Antroskopie. Journ. americ.
med. Assoc. 29. Sept. 1894.
23. De Rossi. Sopra alcuni esperimenti di Miringografia e su un nuovo me-
todo di massagio dell’orrechio medio. Archivio ital. diotol. 1394. 8.281.
24. Schwabach, Dr. Ueber den diagnostischen Werth der Stimmgabel-
prüfungen auf Grund einer Beobachtung von Tumor der Schädelbasis.
Berl. klin. Wochenschr. Nr. 43. 1894.
25. Gradenigo. Rapporto, tra la distanza per la voce afonea e l’orologio. qual
criterio diagnostico nelle malattie del’orrehio. Giornale della R. Accad.
di Medic. di Torino, fasc. 4 und 5. 1894.
26. Boyel. Stanley. Ein Tonsillotom. Brit. med. Journal 16. Juni 1894.
27. Kelly, A. Brown, Glasgow. Ein Locheisen (Punch) der Mandel. Lancet,
7. Juli 1894.
16) Hat die Form eines Cylinderhütchens und wird über den
Ballonansatz gezogen, so dass die breite Krämpe gegen den Ballon ge-
richtet ist, um die Beschmutzung desselben zu vermeiden.
Killian (Freiburg).
17) Cheatle beschreibt einen Apparat, der im Wesentlichen aus
zwei leichten Metallfedern besteht, von denen die eine über den Scheitel
des Arztes in einer Ebene mit dem äussern Gehörgang, und die andre
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 43
ebenso dem Patienten angelegt wird. Am Ende der Feder, ganz nahe
dem Gehörgange, befindet sich eine kleine Oeffnung, in welche ein Holz-
oder Knochenansatz hineinpasst. Derselhe verbindet sich durch eine
Gummiröhre mit dem entsprechenden Ansatz der andern Feder.
18) Bei dem von Macdonald empfohlenen Nasenschlingenschnürer
braucht der Draht nicht vollständig in die Röhre zurückgezogen zu
werden und bricht dadurch weniger leicht. Ausserdem kann durch
eine besondere Vorrichtung die gefasste Geschwulst abgedreht ‚werden.
19) Keimer hat sich unter Zugrundelegung des Hartmann ’schen
Schlingenschnürers einen galvanokaustischen Schlingengriff construirt,
dessen Vortheile er hervorhebt. Originell ist der Contact, der durch
Vorwärtsbewegung eines am Daumenringe befestigten Schlittens bewirkt
wird. Lieferant: Blänsdorf’s Nachfolger in Frankfurt a. M.
Zarniko.
20) Der Kehlkopfspiegel von Avellis ist zerlegbar. Den eigent-
lichen Spiegel führt der Patient im Portemonnaie bei sich, den Stiel
der Arzt in seinem Besteck. Die Verbindung geschieht dadurch, dass
ein auf die Fassung des Spiegels gelötetes Knöpfchen in einen dreieckigen
Schlitz des Stiels fest eingeschoben wird. Kehlkopfspiegel von Glas
lassen sich nicht so desinficiren, wie es für einen saubern und gewissen-
haften Arzt nothwendig ist“, dieser Satz, der für A. Grund zur Con-
struction seines Spiegels gewesen ist, gilt nicht für die von P. Doerffel
in Berlin gefertigten Spiegel. Diese lassen sich ohne Schaden im
Durchschnitt 25 mal auskochen — je 2 Minuten —, sodass die Unter-
suchung ca. 5 Pf. kostet. (Ref.)
Das Taschenbesteck von A. enthält in sehr kleinem Raume eine
Menge von Untersuchungsinstrumenten: 6 Spiegel, 1 Stiel, 2 Griffe,
1 Nasenspiegel (modifi. nach Fränkel), 1 Zungenspatel, geknöpfte und
geriefte Kehlkopf- und Nasensonde, auch fürs Ohr benutzbar, Wattebe-
hälter, Messer, Schielhaken, 3 Ohrtrichter, 1 Flasche Cocain, 1 Re-
fleetor mit Stirnbinde. Alles zusammen kostet 50 bis 63 Mark und
ist von Steiner, Frankfurt a. M., Allerheiligenstr. 58 zu beziehen.
Zarniko.
21) Corradi erörtert die Verhältnisse des Katheterismus des
Thränenkanals.. Er benutzt Canülen mit doppelter Krümmung, führt
sie unter der unteren Muschel ein zwischen dem vorderen und mittleren
Drittel gegen den Sulcus zwischen Muschel und äusserer Wand. Beim
Einblasen soll Luft aus dem Thränensack treten. Gradenigo.
44 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
22) Die Antroskopie ist eine Ocularinspection der Highmor’shöhle
vermittelst eines Endoskops durch eine in der Fossa canina hergestellte
Oeffnung. Sie ist brauchbbr für die Entdeckung einer Drainageröhre,
eines Polypen nahe dem Hiatus semilunaris, von knöchernen Scheide-
wänden, für die Differenzialdiagnose von Angiom und zur Unterstützung
im Gebrauch der Cürette. M. Toeplitz.
23) De Rossi beschreibt unter Abbildung ein von ihm construirtes
Instrument, welches dazu bestimmt ist, die Schwingungen einer Stimm-
gabel (do!) unter Vermittlung einer Membran auf eine andere Membran
durch eine Flüssigkeitssäule zu übertragen. Die Schwingungen der einen
Membran entsprachen denen der anderen und konnten graphisch darge-
stellt werden. R. berichtet in Kürze’ über Versuche, die er auf diesem
Wege beim Menschen anstellte. Gradenigo.
24) Schwabach konnte bei einer Kranken, die wegen einer von
der Keilbeinhöhle ausgehenden Erkrankung an Plattenepithelkrebs in
das Krankenhaus aufgenommen wurde und dort starb, den Werth der
Stimmgabelprüfung für die Beurtheilung der Gehörkrankheiten erproben.
Die Kranke hatte bei der Aufnahme auf der linken Seite beinahe nor-
males Gehör, das immer mehr abnahm. Aus dem Ausfalle der Unter-
suchung mit hohen und tiefen Tönen des Rinne’schen und Weber-
schen Versuches schloss Schw. auf eine Erkrankung des Schallleitungs-
apparates. Eine Annahme, die durch die Section bestätigt wurde.
Rumler.
25) Gradenigo kommt zu folgenden Schlusssätzen: 1. Flüstersprache
und Uhr werden in verhältnissmässig gleicher Entfernung gehört —
leichte Affectionen des Schallleitungsapparates. 2. Flüstersprache wird
nicht viel weiter gehört als die Uhr — ist der häufigste Typus bei
Erkrankungen des Schallleitungsapparates. 3) Flüstersprache wird viel
weiter gehört als die Uhr — Erkrankungen vorwiegend des inneren
Ohres. 4. Die Uhr wird weiter gehört als die Sprache — acustische
Hyperästhesie hysterischen Characters. | Gradenigo.
26) Das Instrument Boyels unterscheidet sich dadurch von dem
bekannten Mackenzie’schen, dass es durch einen Drücker oder durch
Zug bewegt wird, wodurch die Schnittfläche ringförmig anstatt spaten-
oder meisselförmig wird. Zur Verbesserung des Griffes ist es mit einem
Handgriff versehen, welcher der Form der geschlossenen Hand, etwa
in der Art moderner Geburtszangen, nachgebildet ist. Silk.
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 45
27) Kelly glaubt, dass in gewissen Fällen die Anwendung des
Tonsillotoms nicht rathsam, und dass es dann besser wäre, eine Reihe
von kleinen Stücken aus der Mandel herauszubohren, als die ganze
Masse abzuschneiden. Ein zu diesem Zwecke angegebenes Instrument
wird abgebildet und beschrieben. Silk.
Aeusseres Ohr.
28. Haug, München. Eine einfache neue plastische Methode zur Rücklagerung
hochgradig abstehender Ohrmuscheln. Deutsche med. Wochenschrift
No. 40, 1894.
29. Peroni und Gradenigo. Cancrena spondanea dei due padiglioni, della
` punta del naso e della dita dei piedi. Archivio ital. d’Otolog. etc. 1895
S. 235.
30. Spiers, H.H. Cyste der Ohrmuschel. Cincinnati Lancet clinic 8. Dec. 1894.
81. Ferreri Sull’epitelioma del padiglione. Archivio ital. di Otolog. 1894,
S. 214.
82. Ferreri. Sulla presenza di tamponi di cerume in casi di alterazioné
croniche dell'orecchio medio. Ibid. S. 129.
33. D’Aquanno. Pseudootolite dell’orecchio destro. Ibid. S. 480.
34. Taylor, S. Johnson, Norwich. Exostose des äusseren Gehörganges. Brit.
med. Journ. 20. Oct., 1894.
35. Hovell, Mark. Exostose des äusseren Gehörganges. Brit. med. Journ.
16. Juni, 1894.
36. Ostmann.,. Dr., Königsberg. Beiträge zu dem Vorkommen von Exostosen
des äusseren knöchernen Gehörganges bei den verschiedenen Völkerrassen.
Monatsschr. f. Ohrenheilk. No. 8 etc., 1894.
37. Kuhn. Ein Fall von Atresia auris acquisita. Deutsche med. Wochenschr.
No. 27, 1894.
38. Welsford, A. S., Dover. Trommelfellruptur durch Husten. Brit. med.
Journ. 14. Febr., 1894.
28) Haug verfährt in der Weise, dass er hinter dem Ohr zwei
bogenförmige Schnitte anbringt, den einen in der Insertionslinie der
Ohrmuschel, den anderen etwas weiter rückwärts. Das umschnittene
Stück der Haut wird entfernt und die beiden Wundränder unter starkem
Zug durch Naht vereinigt. Ist der Knorpel sehr resistent, so wird
derselbe zuvor fracturirt. Ein Compressivverband sorgt für gute Heilung.
Noltenius (Bremen).
29) Die Erkrankung betrifft einen 43 jährigen sehr abgemagerten,
weder syphilitischen noch tuberkulösen Mann. An beiden Ohrmuscheln
fanden sich gangranöse Ulcerationen, ausserdem an der Nasenspitze und
an den mittleren Zehen der Füsse. Die Ulcerationen waren innerhalb
dreier Monate aufgetreten. Gradenigo.
46 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
30) Der Fall war eine Geschwulst, welche den Helix, den oberen
Theil des Anthelix, und die dazwischen liegende Grube einnabm. Die
Geschwulst war fest und dicht. Eine Aspirationsnadel entzog etwa
!/, Unze dicker, röthlich gefärbter Flüssigkeit. Zwei Drachmen von
Tinct. jodi aetherea wurden dann injieirt. Zwei Monate später trat
vollständige Heilung ein. G. Bacon.
31) Die Arbeit Ferreri’s bildet eine vollständige Monographie
über das Epitheliom der Ohrmuschel, enthält den Bericht über eigene
Operation und solche von de Rossi und Gradenigo. Mehrere histo-
logische Abbildungen sind beigegeben. | Gradenigo.
32) Ferreri machte pathologisch-anatomische und histologische
Untersuchungen des Mittelohres bei alten Individuen mit alten Ceruminal-
pfröpfen. F. ist verschiedenen Veränderungen begegnet atrophischen
Charakters, hält es jedoch nicht für sicher, ob dieselben als senile
Involution zu betrachten sind oder ob dieselben zur Ceruminalansamm-
lung in Beziehung stehen. Gradenigo.
33) Es handelte sich um einen Fremdkörper, der einen Bleikern
enthielt, der viele Jahre zuvor in den äusseren Gehörgang gebracht war
und sich in eine kalkähnliche Masse inkrustirt hatte. Nach der
chemischen Analyse bestand derselbe aus bleihaltigen Substanzen.
Gradenigo.
34) Taylor berichtet über einen Fall, in welchem er kürzlich
‚eine sehr grosse Exostose durch Ablösung der Ohrmuschel von ihrem
hintern Ansatz und Abmeisselung der Geschwulst entfernt hatte. Die
Exostose war in diesem Falle ganz besonders interessant, weil von ihr
nach hinten ein Zweig in den Gehörgang hineinragte, welcher das
Trommelfell vollständig zerstört hatte. Silk.
35) Bei einer kürzlichen Operation zur Entfernung einer Exostose
des äusseren Gehörgangs bei einer 22jährigen Frau gebrauchte Mark
Hovell zuerst einen kleinen zahnärztlichen Drillbohrer und befestigte
dann in dem damit gebohrten Loche ein Instrument mit einem 'Schrauben-
kopf, wodurch er in den Stand gesetzt wurde, die Exostose von ihrer
Basis abzubrechen. Silk.
36) Unter 2633 Schädeln der verschiedensten Menschenrassen, be-
fanden sich 16 mit Gehörgangsexostosen. Wesentlich häufiger als bei
Europäern, Asiaten und Negern sind die Exostosen bei den Oceaniern
und vor allem bei der amerikanischen Rasse, bei denen wieder die alten
Peruaner (mit 10,8°/,) bei weitem die höchste Ziffer erreichen. Bei
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 47
diesen erklärt sich die auffallende Häufigkeit »aus dem besonderen Zu-
sammenwirken zweier Momente, der eigenartigen Verdrückung des äusseren
Gehörganges bei den brachy- und hyperbrachycephalen Schädeln und
einer gegebenen Neigung zu excessivem Knochenwachsthum überhaupt,
wie sie durch die Exostosis multiplex zu Tage tritt.« Killian.
37) Kuhn berichtet über einen Fall von Atresia auris acquisita.
Um einen eitrigen Ohrenfluss zu heilen, hatte eine Mutter bei ihrem
Kinde ein Blasenpflaster auf die äussere Ohröffnung gelegt und Jahre
lang Cantharidensalbe aufgestrichen. Dadurch war die Ohrmuschel völlig
missbildet und zusammengeschrumpft und die äussere Ohröffnung hatte
nur die Weite eines Stecknadelkopfes. Ein erster Versuch durch Aus-
schneidung der narbigen Wülste die Missbildung zu beseitigen, scheiterte
an der starken Narbencontraction. Die zweite Operation, bei welcher
Hautstückchen auf die Wundflächen transplantirt wurden, hatte den
gewünschten Erfolg. Noltenius.
38) Es ist nicht gerade sehr häufig, dass Husten, wenn auch noch so
stark, zur gleichzeitigen Zerreissung beider Trommelfelle führt. Dies
war jedoch bei Welford’s Patienten der Fall. Der Zufall ereignete
sich bei einem 60 jährigen Manne, woran sich Taubheit und Ohrensausen
und Verlust der Knochenleitung anschloss. Silk.
Mittelohr.
39. Gradenigo u. Pes. Ueber die rationelle Therapie der acuten Min elobi:
entzündung. Arch. f. Ohrenheilk., Bd. 38, S. 43.
40. Blaxall, Dr. F. R. A bacteriological Investigation of the suppurative
eardischarge occuring as a complication of scarlet fever. Brit. med, Journ.
21. Juli, 1894.
41. Turina. Complicazioni piemiche in una forma di otite media acuta con
carattere epidemico. Archivio ital. di Otologia etc., Bd. II, No. 1.
42. Hennebert. Un cas d’otite moyenne aigue. Revue de laryngol. etc.,
1. Nov. 1894. |
43. Davidsohn, Dr. Ueber Otitis media diabetica. Berl. klin. Wochenschr.
No. 51, 1894.
44. Würdemann, H. V. Intratympanale Massage und Dämpfe bei der Be-
handlung von chronischem Ohrenkatarrh. Journ. of the americ. Assoc.,
13. Oct. 1894.
45. Kuhn. Myxosarcom der Paukenhöhle. Deutsche med. Wochenschr. No. 27,-
1894.
46. Cozzolino. Fibroma papillare cistico telangectatico della cassa timpanica.
Arch. ital. di otol., 1894, S. 333.
47. Hessler, Dr. Weber die otitische Pyämie. Arch. f. Ohrenheilk. Bd. 38, 8.1.
48
48.
49.
50.
51.
92.
59.
54.
50.
56.
57.
59.
60.
61.
62.
63.
64.
65.
66.
67.
68.
Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
Szenes, Dr. Ueber den therapeutischen Werth von Europhen, Alumnol,
Diaphtherin und Antiseptin bei Ohreneiterungen. Arch. f. Ohrenheilk.,
Bd. 27, S. 229.
Hessler, Dr., Halle. Ueber die klimatische Behandlung der chronischen
Ohreiterung. Münch. med. Wochenschr. No. 50, 1894.
Hofmann, R., Dr. Zur Tenotomie des Tensor tympani bei chronischer
Mittelohreiterung. Arch. f. Ohrenheilk., Bd. 36, S. 271 u. Bd. 37, S. 1.
Baginsky, Dr. Ueber das Cholesteatom des Ohres. Berl. klin. Wochen-
schrift, Nr. 26 und 27, 1894.
Körner, Otto. Dr., Frankfurt a. M. Tuberkulose des Schläfenbeins.
Uebergang der Tuberkulose auf die Basis des Schläfenlappens. Monatsschr.
f. Ohrenheilk. No. 9, 1894.
Haug, Dr. Beiträge zur Würdigung der Hyperostose des Felsenbeins. Arch.
f. Ohrenheilk., Bd. 37, S. 161.
Körner, Otto Dr., Fraukfurt a. M. Gestielte Exostosen der Spina supra
meatum. Mon. f Ohrenh. No. 11, 1894.
Zaufal, Prof. Zur Geschichte und Technik der operativen Freilegung der
Mittelohrräume. Arch. f. Ohrenheilk., Bd. 27, S. 33.
Burnett, Char. H. Chirurgische Behandlung von chronischer Ohreiterung.
Journ. amer. med. Assoc., 13. Oct. 1894.
Ferreri. Influenza della cura caustica nella eliminazione degli ossicini.
Archivio ital. d’Otol. 1893, S. 30.
. Heflebower, Rob. Die Entfernung der Gehörknöchelchen für die
Besserung chronischer Taubheit und anderer abnormer Zustände. New-
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Kretschmann, Dr. Eine Methode retroauriculärer Plastik. Ibid. Bd. 37,
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Schubert, Paul, Dr., Nürnberg. Zur Casuistik schwerer Complicationen
der Otitis. Mon. f. Ohrenheilk. No. 11, 1894.
Winter und Deansley. Ein Fall von Kleinhirnabscess erfolgreich be-
handelt durch Operation. Lancet 8. Dec. 1894.
Broca. Traitement des Abscès encéphaliques d'origine auriculaire. Gaz.
hebd. de med. et de chir. No. 38, 1894.
Coc, Arthur H. Ein bemerkenswerther Fall von Otitis purulenta mit
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Buck, Albert H. Ein Fall von acuter Entzündung des Mittelohres, mit
Ausgang in eiterige Periphlebitis und Thrombose des Sinus lateralis,
Operation durch Dr. F. Lange, Heilung. Trans. amer. otol. Soc., Bd. VI,
No. 1.
Jack, F. L; Ein Fall von septischer Thrombose des Sinus lateralis. Neun
Fälle von Warzenfortsatzoperationen mit Complicationen. Ein Fall von
Osteom des Gehörkanals. Ibid.
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 49
69. Crocket, E. A. Ein Fall von Operation des Sinus lateralis mit Bemer-
kungen über 8 nicht operirte Fälle. Ibid.
70. Wilson, F. M. Fünf Todesfälle nach Otitis med. purulenta, mit zwei
Sectionen. Ibid.
71. Drummond, David, Newcastle on Tyne. Kleinhirnabscess. Lancet
28. Juli 1894.
72. Harrison, Windsor. Kleinhirnabscess, Menningitis, Sequester an der
inneren Schädelfläche,. Lancet 6. Oct. 1894.
39) Gradenigo u. Pes fordern, dass die durch bacteriologische
Untersuchungen gewonnenen Kenntnisse über die Aetiologie der acuten
Mittelohrentzündung bei dem Suchen und Formuliren von rationellen
therapeutischen Maassregeln berücksichtigt werden. Zur Entstehung einer
acuten eitrigen Mittelohrentzündung bedarf es gleichzeitig der Anwesen-
heit von pathogenen Mikroorganismen und Wirkung accessorischer Ur-
sachen, wie z. B. rheumatischer oder traumatischer Einflüsse, Vermin-
derung der Widerstandsfähigkeit des Organismus.
Gradenigo und Pes. untersuchten zahlreiche Fälle von Mittel-
ohrentzündung, um das Verhältniss der Mikroorganismen zu dem klinischen
Verlauf und zur Heilmethode zu prüfen. Da sich das Mittelohr nicht
desinficiren lässt, nahmen sie Abstand von einer Zerstörung der infici-
renden Mikrorganismen an Ort und Stelle, sondern suchten den cyclischen
Verlauf zu unterstützen und den Organismus zu kräftigen.
Zunächst ist es nothwendig eine bestehende Eiterung durch das
Trommelfell zum Abfluss zu bringen. Natürlich muss die Paracentese mit
Anwendung streng antiseptischer Vorsichtsmassregeln gemacht werden und
darf auch nachher kein Reiz durch Luftdouche etc. erfolgen oder eine
Infection eintreten. Nach diesen Grundsätzen wird folgende Methode an-
gewandt: Bei leichten Formen abortive Behandlung zuerst versucht: Ruhe,
Diät, Einträufeln einer 1°/ igen wässerigen Lösung von Carbolsäure.
Bestehen die Beschwerden, frühzeitig eine ausgiebige Paracentese gewöhn-
lich im hinteren Segment des Trommelfelles. Vorher Ohrbad mit
Sublimat 1 : 1000. Nach der Paracentese keine Waschungen, überhaupt
keine reizenden Manöver, sondern lockere Tamponade mit Jodoformgaze.
Rumler.
40) Auf Grund sorgfältiger Untersuchung von 14 Fällen schliesst
Blaxall: 1) dass der Streptococcus pyogenes am wichtigsten ist als
Erreger von Otitis media bei Scharlachfieber. Die Organismen nehmen
ihren Weg von den oberen Luftwegen nach dem Mittelohre. 2) In
zweiter Linie sind der Staphylococcus albus und aureus von Wichtigkeit.
Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXVII. 4
50 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde,
(e So wichtig auch die Rolle sein mag, welche Diplococcus oder Ba-
cillus pneumoniae als Erreger anderer Ohrkrankheiten spielen, so werden
dieselben bei Scharlach nicht oft gefunden.
41) Die aus dem Militärlazareth in Turin stammenden Beobach-
tungen erstrecken sich auf 96 Fälle von acuter Mittelohreiterung aus
dem Winter 1892/93. 76 waren ohne Complication, 17 waren mit
bronchopneumonischen Processen vergesellschaftet, 7 mit Mastoiditis, 1
mit Parotitis und Orchitis, 1 mit Morbillen, 4 mit metastatischen Abs-
cessen. Das Auftreten der Erkrankungen war in der Truppe ein epide-
misches. Die bakteriologische Untersuchung ergab Pneumococcen im
Sekret. Die Prognose ist eine günstige. Gradenigo.
42) Hennebert hat sich mit Vortheil in diesem Falle (eine Schleim-
flocke aus dem Nasenrachenraum war beim Schlucken in die Pauke
a des Rarefakteurs |} d_dann Paraffin ins Mittelohr in:
bei chronischen: Fog R
ist; dann als diagnẹstisches Dtorrhoen, um zu sehen,
ob die Eiterung auch Paraffininjectionen per
Tubam sind nützlich, um he Tubenstenose zu vermeiden,
um die Schmerzen: zu lindern und auch um die Entzündungserscheinungen
in der Pauke einzuhalten. Sie können sogar die Perforation verhindern.
Ripault (Paris).
43) Davidsohn schöpfte Verdacht auf Diabetes bei einem an-
geblich durch Sorgen stark abgemagerten Kranken aus dem Auftreten
einer tiefen Halsphlegmone bei der eitrigen Entzündung des Warzenfortsatzes,
welche trotz ausgedehnter Spaltung sich weiter verbreitete. Der Verdacht
bestätigte sich und trat nach Einführung einer antidiabetischen Kost
Besserung auch in der Heilung der Wunde ein.
Davidsohn beantwortet die Fragen: Auf welche Ursachen ist
die Otitis media bei Diabetikern zurückzuführen, dahin, dass Diabetes
selbst nicht die Kranhheit hervorruft, aber ungünstig beeinflusst. Ferner
ist er der Ansicht, dass die Otitis media diabetica nicht im Warzenfort-
satz entstehe, sondern im Mittelohr und, dass die grossen, schnell auf-
tretenden Zerstörungen des Knochens bedingt seien durch die grössere
Virulenz der Mikroben bei Anwesenheit von Zucker in den Gewebssäften.
Endlich bejaht er auch die Frage, ob man bei Diabetes überhaupt
operiren darf und solle man nicht zu lange damit zögern, die Operation
vorzunehmen. Rumler.
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 51
44) Würdemann räth zur Combination von Massage und Dampf-
behandlung in der Mehrzahl solcher Fälle: Vibrationsmassage durch den
Katheter und die Eustachische Trompete. Man braucht dazu einen
Apparat mit Luftcompression. Die comprimirte Luft streicht durch den
mit der Medizin gefüllten Apparat (Dampferzeuger) hindurch und wird
durch Gummigebläse in die Oeffnung des Katheters geleitet. Das Luft-
ventil wird dann unter einem erforderlichen Druck (ca. 15 bis 25 Pfund)
angedreht und das Gummigebläse am Katheter durch den Daumen und
Zeigefinger comprimirt, wodurch es einen unterbrochenen Strom erzeugt
und so die Massage auf die Trompete und das Mittelohr ausübt.
Bacon.
45) Bei einem einjährigen Knaben wurde eine Geschwulst entfernt,
welche aus dem Mittelohr entspringend, theils durch den äusseren Ge-
hörgang hervorgewuchert war, theils denselben nach hinten durchbrochen
und unter der Spitze des Warzenfortsatzes zu einer Fistelbildung geführt
hatte. Die mikroskopische Untersuchung ergab ein Myxosarkom. Der
Patient ging am Recidiv zu Grunde. Verfasser sucht den Ausgangs-
punkt der Geschwulst in jenem Bindegewebspolster der Labyrinthwand,
wo beim Neugeborenen und oftmals noch in den ersten Lebensmonaten
jene gallertartige Masse gefunden wird, die aus embryonalem Bindege-
webe mit spindel- und sternförmigen Zellen in einer structurlosen gallert-
artigen Grundsubstanz besteht. Noltenius.
46) Das Fibrom, welches von Cozzolino in seiner Arbeit durch
Photographie und Zeichnung erläutert wird, ist durch die besondere
Grösse bemerkenswerth. Gradenigo.
47) Körner unterscheidet eine otitische Pyämie mit Sinusphlebitis
und eine solche ohne Sinusphlebitis.. Die letztere entstehe durch Auf-
nahme von Eiter aus dem primären Herde im Ohr oder Schläfenbein
in den Kreislauf, aus den zahlreichen kleinen Knochenvenen ohne er-
hebliche Einschmelzung der Knochensubstanz (Osteophlebitis); häufiger
bei acuten als chronischen Ohrerkrankungen. Auffällige und wichtige
Unterschiede zwischen beiden Arten der Pyämie zeigen sich in der Art
und der Häufigkeit der Metastasen. Bei der Sinusphlebitis embolische
Metastasen häufig — bei der Osteophlebitis-Pyämie diese selten.
Bei der Sinusphlebitis fast stets Metastasen in der Lunge und selten an
anderen Stellen, bei der Osteophlebitis Lungenmetastasen sehr selten,
Gelenk- und Muskelmetastasen aber häufiger.
Hessler durchsuchte darauf die Literatur und fand nur 10
sichere Fälle von Pyämie mit Sinusphlebitis und Metastasen, in denen die
4*
52 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
Lungen frei von Metastasen waren. Er zweifelt, dass in allen Fällen, in denen
angeblich die Lungen frei waren, dies wirklich zutraf, da die Lungen-
affection übersehen werde. Hessler nimmt einen wesentlichen Unter-
schied zwischen der Annahme von Körner und sich darin an, dass
Körner die Aufnahme der osteophlebitischen Eiterstoffs direct ins Blut
geschehen lässt, während H. sie durch Mitwirkung der Hirnsinus statt-
finden lassen möchte. „Nach Körner reichten aus, die ursächliche
Erkrankung der Schläfenbeine zu beseitigen, nach ihm kommt secundär
der Sinus nicht in Gefahr. Nach meiner Ansicht genügt es nicht, dem
Eiter aus Mittelohr- und Warzenfortsatzhöhle freien Abfluss zu verschaften,
die Wand des Sinus von den umspülenden Eitermengen zu befreien,
sondern wir müssen dahin streben, dass es nicht weiter zur Thrombose
und schliesslich zur Thrombophlebitis der gefährdeten Hirnsinus kommt.
Lassen nach Eröffnung des Warzenfortsatzes und Bloslegung des Sinus
die pyämischen Erscheinungen und zumal die Metastasen nicht nach, so
muss die Vena jugularis unterbunden werden.“
Es folgen 9 Krankengeschichten von otitischer Pyämie; in 6 Fällen
kam es zur Heilung; in 1 Fall zum Tode infolge von metastatischem
Pyopneumothorax, leider ohne Section; in 2 weiteren Fällen bestätigte
die Section die Pyämie als Folge von Sinusphlebitis. Rumler.
48) Szenes gebraucht die erwähnten Mittel in Pulverform bei
eitrigen Processen im äusseren Gehörgange und in der Paukenhöhle in
86 Fällen ohne Erfolg. Rumler.
49) Hessler erinnert daran, welch wesentlichen Einfluss Klima
und hygienische Beschaffenheit des Aufenthaltsortes auf Ohrencatarrh
und -Eiterungen haben und welcher Unterschied besteht zwischen Land-
und Stadtkindern sowohl in der allgemeinen Gesundheit als namentlich
bezüglich der Schleimhautkatarrhe und Mandelschwellungen. Eine grosse
Rolle spiele in dieser Hinsicht der Schulbesuch. Er theilt 2 Fälle mit,
die den Erfolg des sog. Luftwechsels beweisen. H. kommt zu dem
Schluss, dass bei der chronischen Otorrhoe ausser der rationellen localen
Behandlung, Sorge für reine Luft auch mitten in der Stadt und Schutz
der kleinen Patienten gegen neue Infectionen der Nase und des Rachens
und sekundär des Ohrs erforderlich sei. Ersteren Zweck erreicht man,
wo Aufenthalt im Süden, an der See, auf dem Land u. s. w. nicht zur
Verfügung steht, dadurch, dass man die Kleinen womöglich den ganzen
Tag ins Freie, an Spielplätze u. dergl. bringt, den letzteren durch
strengere Schul-Hygiene: Desinfection der Schulräume, ärztliche Ueber-
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 58
wachung der Geschwister erkrankter Kinder, Desinfection derselben durch
Bad und Kleiderwechsel in der Schule (!); Anstellung von Schulärzten.
Müller.
50) Hoffmann, ein Schüler von Kessel, berichtet über den
weiteren Verlauf der Fälle, welche Müller im Arch. f. Ohrenheilk.
Bd. XXXII (Referat in der Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. 23) veröffent-
licht hat, zur Unterstützung der von Kessel aufgestellten Indication
für die Tenotomie des Tensor tympani bei den nieren- und herzförmigen
Perforationen des Lichtkegels und fügt einige neue Fälle hinzu. Nur
solche Fälle wurden berücksichtigt, bei denen seit der Operation mindestens
1 Jahr verflossen ist.
Im Ganzen kam in den Jahren 1888 bis September 1892 die Teno-
tomie bei den genannten Perforationen 30mal in Anwendung. Von
diesen konnte in 22 Fällen der Erfolg. constatirt werden.
Subjective Empfindungen sind in 3 Fällen seit der Operation ge-
schwunden, in einem wichen die Geräusche erst nach Ablauf eines
Jahres vollständig. „In Bezug auf die mechanische Schwerhörigkeit er-
hielten wir in 3 Fällen = 15°/, eine Besserung der Hörschärfe, 9 mal
— 45°/, blieb dieselbe unverändert, 8 mal = 40 °/, Verschlechter zur
Zeit der Untersuchung. Von Letzteren liessen sich 3 Fälle auf Nasen-
affectionen zurückführen.“
Die Eiterung hatte in 8 Fällen = 40°/, seit der Operation sistirt,
in 12 Fällen =.60°/, sind neue Entzündungen aufgetreten, hervorge-
rufen namentlich durch Complicationen von Seiten der Nase.
Rumler.
51) In der Cholesteatomfrage steht Baginsky auf dem Standpunkte
Virchow’s, dass die Cholesteatome heteroplastische Geschwülste sind
und nur als solche vorkommen. Daneben nimmt er mit Kuhn die
Entstehung cholesteatomähnlicher Massen im Verlaufe chronischer Eite-
rungen an. Rumler.
52) Der zur Sektion gekommene Fall zeigte ausser anderen Zer-
störungen im Bereiche des Schläfenbeines eine solche des Tegmen tym-
pani. Die Dura war an dieser Stelle verdickt und mit Granulationen,
welche Knochentrümmer enthielten, bedeckt. Innen haftete an ihr ein
Stück Hirnsubstanz, welches ebenso wie sie selbst, mit verkästen Knoten
durchsetzt war. Die Lungen waren in ihren Oberlappen tuberculös.
Killian.
53) Haug ist ein entschiedener Anhänger der Ansicht, dass die
Hyperostose des Felsenbeins eine directe Gefahr für ihren Träger bildet
54 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde,
und dass ihre Existenz eine directe, jederzeit ungünstige Complication
ist. Die Hyperostose des Schläfenbeins hat die Eigenthümlichkeit, dass
sich nicht alle Knochenlager gleichmässig verdicken, sondern gewöhnlich
die Pars mastoidea, häufig auch der Gehörgang oder seltener die Pars-
petrosa. Der sich bildende Eiter und anderweitige Secretionsproducte
müssen dann nach dem Orte des geringeren Widerstandes hin, also
gegen die Schädelhöhle durchbrechen. Die Osteosclerose bildet sich nach
Mittelohreiterungen, welche längere Zeit gedauert haben. Nach seinen
Untersuchungen glaubt Haug, dass sie nach acuten oder chronischen
Processen einfach catarrhalischer Natur nicht eintritt. Haug zieht
seine Schlüsse aus einem sehr lehrreichen Falle, der zur Section kam
und aus 13 auch besprochenen Befunden bei Operationen. Die Osteo-
sclerose macht die spontane Heilung einer Mittelohreiterung unmöglich,
erschwert sehr die operative Technik und legt der Diagnose eine Menge
Hindernisse in den Weg. Rumler.
54) Eine hanfkorngrosse gestielte Exostose wurde gelegentlich einer
Antrumoperation aussen neben der Spina supra meatum gefunden. Das-
selbe ereignete sich bald darauf in einem zweiten Falle. Beide Patienten
hatten früher eiternde Fisteln hinter dem Ohre gehabt und glaubt K.,
die Exostosen könnten an der ehemaligen Durchbruchsstelle des Eiters
durch das Periost als Reizproducte entstanden sein. Killian.
55) Zaufal beansprucht die Anerkennung der Erste gewesen zu
sein, der den von Küster aufgestelltem Grundsatz : den Knochen breit
und übersichtlich zu eröffnen, alles Krankhafte zu entfernen und die
Eiterquelle so vollkommen freizulegen, dass der Eiter nirgends in seinem
Abfluss behindert ist — thatsächlich bei der Freilegung der Mittel-
ohrräume durchgeführt habe und dass die Operationsmethode, da sie
eine typische sei, nach ihm benannt werde. Das Wichtigste bei der
Operation sei die Wegnahme der Pars epitympanica. Schon im April
1890 berichtete Zaufal über 12 nach seiner Methode operirte Fälle.
Zaufal geht in der Weise vor, dass er nach Freilegung des
Operationsfeldes die hintere obere membranöse Auskleidung der Pars
ossea des Gehörganges exstirpirt, dann das Antrum durch Ausmeisselung
des Warzenfortsatzes und Wegnahme der ganzen hinteren knöchernen
Gehörgangswand freilegt. Darauf Wegnahme der Pars epitympanica
vom Antrum aus und Exenteration der Mittelohrräume. Als Instrument
wird die Luer’sche Knochenzange bevorzugt und mit dieser auch die
Pars epitympanica entfernt. Grosses Gewicht legt Zaufal auf die
Beseitigung von allem Erkrankten, besonders bei der Operation des
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 55
Cholesteatoms, und gebraucht er zu diesem Zwecke, nachdem die Höhle
ausgekratzt ist, noch den Paquelin’schen Brenner. Hinter dem Ohre
wird keine dauernde Oeffnung angelegt. Rumler.
56) Burnett räth zur Entfernung aller cariösen Gehörknöchelchen
mit Ausnahme des Steigbügels in Fällen von chronischer Otitis media
purulenta, besonders bei „Atticus“-Erkrankung; ebenso zur Entfernung
von erkrankten Trommelfellen und Polypen zur Herstellung freier Drai-
nage. Er glaubt nicht an den Nutzen des Kürettement des Atticus
wegen der Gefahr einer Facialisparalyse. G. Bacon.
57) Ferreri empfiehlt vor der Entfernung der cariösen Gehör-
knöchelchen bei Mittelohreiterung die Anwendung von 3°/, Höllenstein-
lösung. In vielen Fällen soll dadurch die Eiterung zum Stillstand ge-
bracht werden und die spontane Elimination der cariösen Knöchelchen
stattfinden. Zwei Krankengeschichten. Gradenigo.
58) Heflebower gelangt zu den folgenden Schlüssen: 1. Keine
schlimmen Folgen begleiten die Excision des Hammers und Ambosses,
dagegen ist die Entfernung des Steigbügels von der grössten Gefahr
sowohl für das Leben als auch für das Gehör. 2. Die ausschliessliche
Entfernung des Hammers und Ambosses ist der des Steigbügels bei
weitem vorzuziehen. 3. Die Operation ist bei passenden Fällen von
chronischer Eiterung von ausserordentlichem Werth, da sie häufig
Störung von Seiten des Warzenfortsatzes und anderer Organtheile ver-
meidet. 4. Sie muss in Fällen mit hochgelegener Perforation, bei
solchen der Membrana flaccida und bei Nekrose der Gehörknöchelchen
ausgeführt werden. 5. Ohrensausen, Kopfschmerzen vom Ohre ausgehend
und Schwindel werden erleichtert. 6. In passenden Fällen ist die
Operation für die Besserung von Taubheit von unschätzbarem Werth,
sei dieselbe durch Eiterung oder durch chronischen Catarrh und Sclerose
bedingt. G. Bacon.
59) Der Steigbügel ist oft von Schleimhauthypertrophieen nach
Mittelohrentzündung eingeschlossen und kann durch Operation befreit
werden. In andern Fällen retrahirt sich das Trommelfell und mit
ihm der engverbundene Steigbügel in Folge alter Fungositäten. Endlich
ist bei der Otitis sicca die Einbettung die unnachgiebigste und es
empfiehlt sich die Mobilisation oder Extraction (Kessel). Bei obliterirtem
runden Fenster, unbeweglichen Steigbügel und unzugänglichen ovalen
Fenster — Gehör aufgehoben. Bei beweglichem Steigbügel Gehörs-
empfindung, Wiederkehr der Perception vom Knochen und Aufhören
56 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
der Geräusche. Eine Neuinfection (Grippe) vernichtet das Gehör vollends.
Multiple tiefe Incisionen bis auf den Knochen sind nöthig; auch kann
Chromsäure günstig einwirken auf diese Knochen- und Knochenhaut-
entzündungen der inneren Wand. Ripault.
60) Als Ergebniss der Erfahrungen Jack’s während der letzten
‚beiden Jahre giebt Jack an, 1. dass die besten Resultate für das
Gehör in Fällen frühzeitiger Entfernung des Knochens erreicht worden,
und dass diese Operation in Fällen von Otitis media insidiosa (sclerosis)
nicht anzurathen sei; 2. dass Fälle von chronischem Ohrenschwindel
durch Freimachung des Steigbügels oder durch Ausstossung des Knochens
selbst geheilt worden sind; 3. dass sowohl in Fällen von nichteitriger
Erkrankung des Mittelohres, als auch den aus eitrigen Fällen hervor-
gehenden Fällen, sollte chirurgische Mobilisirung des Steigbügels vor
dem Versuch seiner Entfernung versucht werden; 4. dass die meisten
Operationen zur Mobilisirung des Steigbügels oder Freimachung des
ovalen Fensters als durchaus experimentell angesehen werden sollten
und dass bei vielen Fällen eine Fractur der Schenkel zur Zeit der
versuchten Austreibung mit Zurücklassung der Basalplatte stattfände,
G. Bacon.
61) Reinhard behandelte Cholesteatom mit persistenter retro-
auriculärer Oeffnung, um die Gefahr, dass die sich bildenden Häute
jauchig zerfallen, zu vermeiden. Er operirt in der Weise, dass zuerst
die typische Aufmeisslung des Antrum nach Schwartze gemacht wird,
dann löst er den häutigen Gehörgang in seinem oberen und unteren
Theile mittelst Raspatorium los, trennt ihn dicht am Trommelfell quer
durch und zieht ihn aus seiner knöchernen Schale vor. Die so los-
gelöste häutige Gehörgangswand wird parallel ihrer Längsaxe durch-
schnitten und die Lappen werden nach oben und unten fixirt. Aus
Gehörgang, Pauke, Aditus, Atticus, Antrum und Warzenfortsatz wird
ein einziger Holılraum gebildet, der sowohl von der vorderen als auch
von der lateralen Wand des Processus durch eine breite Oeffnung dauernd
offengehalten wird. Um dies zu erreichen, bildet Reinhard einen
Lappen aus der hinteren Fläche der Concha, sobald er vor Beginn der
Operation bestimmt weiss, dass Cholesteatom vorliegt. Rumler.
62) Der Aufsatz von Kretschmann enthält eine Wiedergabe
seiner Demonstration am Präparate vor der deutschen otologischen Ge-
sellschaft 1893, über die Modification des Stacke’schen Verfahrens.
Da ohne die beigefügten 4 Abbildungen ein Referat unverständlich ist,
sei auf die Arbeit selbst verwiesen. Rumler.
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 57
63) Der erste Fall, den Schubert beschreibt, betrifft einen
40 jährigen Arbeiter mit 2 Hirnabscessen im Schläfenlappen, die sich
im Anschluss an eine acute Otitis entwickelt hatten. Der eine Abscess
wurde operativ eröffnet, der zweite, welcher dicht daneben lag, konnte
nicht diagnosticirt werden, brach auch nicht durch die nur wenige
Millimeter dicke Scheidewände nach dem drainirten Raume des ersten
durch, sondern führte den Tod durch Encephalitis und Leptomeningitis
herbei. Bemerkenswerth an diesem Falle war noch eine sehr früh auf-
getretene gleichseitige Abducenslähmung, welche in ihrem Wesen un-
aufgeklärt blieb. — Als zweiten Fall schildert Sch. eine Sinusphlebitis
nach acuter Mittelohreiterung und (wahrscheinlich tuberkulöser) Felsen-
beincaries, welche nach breiter Freilegung der cariösen Herde, Spaltung
und Auskratzung des Sinus zur Ausheilung gelangte. Schliesslich wird
noch ein interessanter Fall von Pyämie ohne Sinusphlebitis beschrieben,
welcher mit acuter Otitis media begann, zu Endocarditis, Entzündung
des Sternoclavicular- und Schultergelenkes führte und ohne grösseren
Eingriff heilte. Killian.
64) Winter und Deansley berichten über einen sehr interessanten
Fall von Kleinhirnabscess. Der Fall ist genau beschrieben und giebt
D. eine sehr sorgfältige Zusammenstellung über 21 Fälle, die er aus
den Zeitschriften und Handpüchern der letzten 10 Jahre sammelte.
Der Patient war 16 Jahre alt, seit 6 Monaten etwas schwerhörig, hatte
aber keinen bemerkenswerthen Ausfluss aus dem Ohre bis etwa 14 Tage
vor der Aufnahme ins Hospital. Die Operation wurde ausgeführt, indem
ein Knochenstück über dem Sinus lateralis entfernt und dieser frei-
gelegt wurde. Die so hergestellte Oeffnung wurde dann nach oben und
unten erweitert, dass ein Zugang zur mittleren und zur hinteren Schädel-
grube hergestellt war. Der Schläfenlappen drang frei in die Oeffnung
vor, doch konnte kein Eiter mit eingeführtem Troikart entleert werden.
Obwohl das Kleinhirn. sich nicht vorwölbte und keine Zeichen von Ent-
zündung oder Verwachsung da waren, entleerten sich doch durch den
Troikart einige Drachmen Eiter. Schnelle Heilung.
65) Broca hebt wieder die Häufigkeit dieser Abscesse hervor,
mahnt deshalb zur richtigen Prophylaxe, betont die grossen Gefahren,
die diagnostischen Schwierigkeiten, die sich bezüglich der Frage der
Localisation und des Vorhandenseins ergeben. Meist finden sie sich
an den der Mittelohrläsion correspondirenden Stellen im Schläfenlappen
oder Kleinhirn. Der chirurgische Eingriff soll stets vom Wearzenfort-
satz ausgehen, aber nicht systematisch (Picqui) zur Eröffnung der
58 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
Schädelhöhle führen. Die Oeffnung im Knochen und Mittelohr soll
immer weit angelegt werden. Ripault.
66) Der 25jährige Patient hatte früher an heftigen Schmerzen im
linken Ohr eine Woche oder zehn Tage lang gelitten, an welche sich
einige Tage anhaltender, reichlicher Ausfluss mit darauffolgenden Schüttel-
frösten und hohem Fieber, Erbrechen und grossen Schmerzen über der
linken Kopfhälfte anschloss. Dle Untersuchung ergab reichlichen Aus-
fluss aus dem Ohre mit »Attikus«-Eiterung. Er wurde zwar unter der
Behandlung besser, aber zeigte nach zwei Wochen tägliche Temperatur-
erhöhung von 1—2° mit Schmerzen im Ohr und der Kopfhälfte. Der
Warzenfortsatz wurde eröffnet, aber es wurde kein Eiter gefunden.
Der Zusstand des Patienten besserte sich einige Tage, aber er bekam
wieder einen schweren Schüttelfrost mit 105°F. Etwa zehn Tage später
machte sich eine sehr deutliche Schwellung des Halses entlang dem
m. sterno-cleido-mastoideus bemerkbar, wobei der Patient Schüttelfröste
mit Temperaturen bis zu 105,5°F. hatte. Ungefähr fünf Tage später
wurde in der Halsschwellung Eiter gefunden. Es wurden etwa zwei
Unzen grünlich-gelben Eiters entleert, welcher sich zwischen dem innern
Rand des m. sterno-cleido-mastoideus und seiner Scheide, und direct
über der Vena jugularis befunden hatte. Der Patient bessert sich
sofort auf etwa zehn Tage, worauf eine Beweglichkeitsstörung des
rechten Beines eintrat. Heftige Kopfschmerzen, welche auf die linke
Schläfen- und Stirngegend begrenzt waren, erfolgten. Die Temperatur
war normal, der Puls 60 zu 70. Die Beinlähmung wurde ausgesprochener
und schloss schliesslich den rechten Arm und die rechte Hand ein.
Es bestand auch zögernde Sprache und ein Verlust des Wortgedächtnisses.
Eine Gehirnabscess-Operation wurde ausgeführt, wozu als Ausgangspunkt
eine 1 und 1!/,‘ über und hinter dem äussern Gehörgang gelegene
Stelle gewählt wurde. Das Gehirn wurde nach allen Richtungen auf
eine Strecke von 2 bis 21/,‘ jedoch ohne Erfolg untersucht. Am
12. Tage etwa nach der Operation begann sich der Allgemeinzustand
des Patienten zu bessern, und er war bald im Stande das Hospital zu
verlassen. Es blieb eine leichte Facialisparalyse zurück. Der Patient
kehrte zwei Monaten mit heftigen Schmerzen im Kopf zurück, an
welcher sich Koma mit ungleichmässiger Erweiterung der Pupillen an-
schloss. Er starb schliesslich nnter Symptomen von Gehirndruck. —
Section. Die Dura normal, mit Ausnahme der motorischen Zone auf
der linken Seite, wo sie ganz adhärent war; sie war ausserordentlich
verdickt und es bestanden beträchtliche entzündliche Ablagerungen
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 59
fibröser Natur auf dem Cortex. Es wurde ein Abscess gefunden, welcher
die untere und centrale Portion des Stirnlappens der linken Hemisphäre
einnahm. Derselbe bestand aus zwei verschiedenen Säcken, von denen
der grössere von Hühnereigrösse war und Wände von beträchtlicher
Dicke hatte. Die centralen Gewebe selbst waren auf einige Entfernung
vom Sack erweicht und fielen leicht zusammen. G. Bacon.
67) Buck berichtet über einen Fall eines starken und gesunden
Mannes, im Alter von ungefähr 54 Jahren, welcher sich eine acute
eitrige Mittelohrentzündung nach einer Erkältung zugezogen hatte. Die
Entwickelung der Symptome zwangen zur, Eröffnung des Autrums, in
welchem etwas erweichter Knochen und Eiter gefunden wurde. Nach
der Operation verschwanden anfangs die Schmerzen, kehrten aber all-
mälig wieder, Patient hatte einen Schüttelfrost mit auffallender Zunahme
der Röthung und Schwellung der den untern nnd hintern Theil des
Warzenfortsatzes bedeckenden Haut. Der Knochen in dem untern Theile
des Warzenfortsatzes wurde weggemeisselt. Er war hyperämisch, aber
nicht eitrig. Eine weitere Operation zeigte die Anwesenheit von Eiter
unmittelbar in der Wand des Kanals für den Sinus lateralis. Eiter
quoll aus der Umgebung des Sinus heraus. Die Oeffnung im Knochen
wurde so vergrössert, dass die Jugularvene von der Fossa sigmoidea an bis
zu einem etwa einen Zoll unterhalb der Fläche der Warzenfortsatzspitze
gelegenen Punkte freigelegt wurde. Der Processus styloideus wurde
ebenfalls freigelegt. Der Patient wurde wiederhergestellt.
Buck schliesst seinen Artikel mit der Bemerkung, dass »das Fort-
dauern tiefgelegener Schmerzen hinter dem Warzenfortsatz nach der
Eröffnung und gründlicher Drainirung des Antrums eine genügende
Berechtigung zur Eröffnung der Fossa sigmoidea des Sinus lateralis
böte, und dass es nicht rathsam wäre, abzuwarten, bis Schüttelfröste
entstanden oder die Körpertemperatur auf einen sehr hohen Grad
gestiegen wäre, bevor man in dieser Richtung operativ eingriffe.«
G. Bacon.
68) Der Fall von septischer Thrombose des Sinus lateralis betraf
einen 33jährigen Mann. Er hatte eine langjährige Otorrhoe mit plötz-
licher Entwickelung von schweren Schmerzen im rechten Ohr, ohne
Empfindlichkeit oder Rötlıung über dem Warzenfortsatz. Zwei Tage
später trat ein Schüttelfrost mit einer Temperatur von 105°F. auf.
Eine Operation wurde ausgeführt, der Knochen über dem Antrum sehr
dick befunden, und das Antrum und die Warzenzellen enthielten übel-
riechende Flüssigkeit und cholesteatomatöse Masse, welche ganz entfernt
60 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
wurden. Der Patient fühlte sich sieben Tage lang sehr erleichtert.
Am 7. Tage hatte er einen Schüttelfrost mit einer Temperatur von
105°F. und 140 Puls. Der Sinus wurde freigelegt und viel Eiter ent-
leert. Der Sinus war so wenig thrombosirt, dass man eine septische
Fortpflanzung nach der Jugularvene nicht für möglich hielt. Der Patient
starb jedoch nach vier Tagen an Pyämie. — Die andern Fälle mit
Ausnahme des Osteoms waren Warzenfortsatzerkrankungen, in denen
meistens die Dura mater oder der Sinus lateralis freigelegt war. Sie
wurden alle, mit einer Ausnahme, wieder hergestellt. G. Bacon.
69) Die 54 jährige Patientin gab eine Vorgeschichte von Eiterung
aus dem rechten Ohre, welche in Zwischenräumen fünfzehn Jahre lang
bestanden hatte. Das Trommelfell war fast ganz zerstört. Bei der drei
Wochen später erfolgten Aufnahme in das Hospital hatte sich das Aus-
sehen des Trommelfells nicht geändert. Es bestand keine Empfindlich-
keit des Schädels oder des Warzenfortsatzes, kein Schüttelfrost. Die
Temperatur betrug aber 102,5°F. Am dritten Tage nach der Auf-
nahme trat ein ausgesprochener Schüttelfrost mit einer Temperatur von
105,5°F. auf. Es wurde die Diagnose von Thrombose des Sinus late-
ralis gestellt. Crockett führte eine Warzenfortsatzoperation nach
Schwartze-Stacke aus und fand auf der einen Tafel des Warzen-
fortsatzes gerade über dem Sinus zwei kleine cariöse Stellen, aus deren
Erweiterung Eiter herausströmte. Der Knochen wurde zur Freilegung
des Sinus entfernt, welcher nach dem Einschneiden thrombosirt und
blutleer gefunden wurde. Ein etwa anderthalb Zoll langer, erweichter
Thrombus wurde entfernt. Der Sinus war augenscheinlich durch einen
festen Thrombus verstopft. Die Jugularvene wurde nicht unterbunden.
Der Patient wurde völlig wiederhergestell. Der Verf. giebt noch
Notizen über acht Fälle von Sinusthrombose, welche im N.-Y. Eye and
Ear Infirmary beobachtet wurden. G. Bacon.
70) Fal I. Localisirte Lepto-Meningitis. Ein 24 jähriger
Mann litt seit seiner Kindheit an Otitis media purulenta chronica.
Wilson fand den Patienten am 19. August 1891 bei seinem ersten
Besuche seit sechs Tagen ans Bett gefesselt und mit starken Schmerzen
im rechten Ohre in derselben Kopfseite und mehreren Schüttelfrösten.
Temp. 100°F. Derselbe wurde am folgenden Tage ins Hospital auf-
genommen. Anı 1. September wurde das rechte Antrum eröffnet (nach-
dem Patient jeden Tag ein oder mehrere Schüttelfröste mit früher fest-
gestellten Symptomen von Pyämie gehabt hatte) und nach jeder Richtung
durch das Antrumdach bis zur Dura mater und auch durch die knöcherne
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 61
Wand des Sinus lateralis erodirt befunden. Die Operation wurde von
hier nicht weiter fortgeführt. Patient starb am 11. September. Section.
Ganz localisirte Leptomeningitis, die Gehirnhäute durch plastische Exsu-
dation über dem Antrumdach und der Trommelhöhle, auch um den Sinus
lateralis herum, zusammengeklebt. Eitriger Zerfall des Thrombus im
Sinus lateralis. Ausgedehnte Erosion des Knochens nach allen Rich-
tungen. Infectiöses Material wurde auch in den Lungen, besonders in der
linken, gefunden.
Fall II Pyämie durch Sinusthrombose. Ein 28jjähriger
Mann litt seit seiner Kindheit an einem Ausfluss aus dem linken Ohre.
Wilson sah ihn zuerst am 20. December 1893. Derselbe hatte
Schmerzen in linken Ohre und derselben Kopfseite, und Schüttelfröste
seit einer Woche. Temp. 103°F., Puls 94, Respir. 20. Patient starb
am 2. Januar 1894. Es fand keine Section statt. Die Temperatur-
tabelle zeigt einen typischen Fall von Pyämie. Die Lungenaffection rührt
unzweifelhaft von Sinusthrombosis her.
Fall II. Acute Mittelohreiterung. Tod durch infec-
tiöse Pericarditis. Ein 45 jähr. Kaufmann litt am 27. Februar 1892
an Otitis media purulenta acuta ohne vorausgegangene Ohrenerkrankung.
An frühzeitige Paracentese mit darauffolgender Eiterung, schloss sich
localisirter Schmerz oberhalb der Ohrmuschel, welcher allmählig nach-
liess und auf einen Tag vollständig verschwand. Er kehrte dann mit
verstärkter Kraft wieder, mit Temperaturerhöhung auf 105!/,0F. und
Empfindlichkeit im Halse. Reinigung des Antrums verscheuchte den
Schmerz oberhalb der Ohrmuschel und drängte die Temperatur auf
101°F. herunter. Vier Tage darauf erfolgte der Tod durch Pericarditis,
die ohne Zweifel infectiöser Natur war.
Fall IV. Chronische Otorrhoe Tod durch Basilar-
meningitis. Ein wohlgenährter Mann stellte sich am 4. Juli 1892
mit einer zweijährigen Eiterung aus dem rechten und einer anderthalb-
jährigen aus dem linken Ohre vor. Ungefähr 5 Monate später, bei der
zweiten Vorstellung, schien er sehr reizbar und böse auf Widerspruch.
Er hatte Schütelfröste. Temp. 103° F., Puls 130. Er wurde bewusstlos.
Es traten klonische Zuckungen beider Gesichtshälften und beider Arme
auf. Keine Röthung, Empfindlichkeit oder Schwellung über den Warzen-
fortsätzen. — Bei der Section fanden sich die Gehirnbasis, das Klein-
hirn, die Medulla und das Rückenmark, soweit es von oben gesehen
werden konnte, in Eiter gebadet. Der linke Gehörnerv war ein bräun-
licher Brei. Es bestand keine Caries.
62 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
Fall V. Acute Otorrhoe Tod durch Pyämie. Sechs
Wochen vor seinem ersten Besuch hatte der 49 jährige Patient Schmerzen
im linken Ohre, welche von Ausfluss gefolgt waren. Ungefähr zwei
Wochen später erschien eine Schwellung unter dem linken Ohre, welche
immer grösser wurde, bis sie die ganze linke Seite des Halses und
Warzenfortsatzes einschloss. Der Abscess öffnete sich spontan am Halse
und es entleerte sich ungefähr ein halbes Quart grünlicher Flüssigkeit.
Der Patient bekam Schüttelfröste und starb an Pyämie. Keine Section.
G. Bacon.
71) Ein 9jähriger Patient wurde mit rechtsseitiger Otitis purulenta,
Paralyse der rechten Seite und rechtsseitigen Zuckungen nach dem
Hospital gesandt. Obgleich weder bestimmte Spuren übelriechenden
Ausflusses vom rechten noch vom linken Gehörgang bestanden, deuteten
doch die anderen Symptome stark auf eine Läsion in der linken Gross-
hirngegend hin. Der Temporo-Sphenoidallappen dieser Seite wurde
explorativ durchforscht, aber ohne bestimmtes Resultat, und der Patient
starb im Laufe weniger Tage. Bei der Section fand sich ein grosser
Abscess im rechten Lappen des Kleinhirns. Silk.
72) Dass intrakranielle Störungen sehr lange Zeit latent und un-
vermuthet bleiben können, beweist der Fall eines jungen Soldaten, welcher
mit einem Anfall von akuter Otitis media ins Hospital aufgenommen
wurde und nach einer Verschlimmerung von Harrison operirt wurde,
dem es gelang, eine Abcesshöhle im Kleinhirn zu eröffnen und zu drai-
niren. Der Patient starb ein oder zwei Tage nach der Operation.
Bei der Section fanden sich deutliche Zeichen einer ausgedehnten Menin-
gitis; der rechte Sinus lateralis war durch organisirte Lymphe verschlossen
und ein Stück nekrotisirten Knochens wurde in Verbindung mit den
Warzenfortsatzzellen an der inneren Schädelfläche gefunden. Obgleich
keine Vorgeschichte von früheren Anfällen von Otitis media zu erlangen
war, so war Harrison unzweifelhaft zur Annahme berechtigt, dass
der Patient bereits zu früherer Zeit von solchen Anfällen gelitten hatte
und dass die daraus entspringende Störung bisher latent geblieben war.
Silk.
Nervöser Apparat.
73. Cannieu. Recherches sur le nerv auditif au point de vue morphologique.
Ann. des mal. de lor. Juli 1894.
74. Curnow, Dr., John. Auditory Vertigo caused of working in compressed
air. Lancet 10. Nov. 1894.
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 63
75. Gradenigo. Emorragie nella chiocciota. Archivio ital. d’Otologia etc.
1894. S. 512.
76. Luzzati, A. Contribuzione allo studio del senso statico unei sugetti sani
ed in quelli affetti da malattie del’orecchio. Ibid S. 383.
76a. Ueber einen Tumor der Vierhügelgegend und über die Beziehungen der
hintern Vierhügel zu Gehörstörungen. Von Dr. Ernst Weinland.
Arch. f. Psych. u. Nervenkrankh.. Bd. 26, Hft. 2, S. 363.
73) S. Barth’s Bericht, diese Zeitschr. Bd. XXVI, S. 328, No. 10.
74) Curnow berichtet über einen Fall, in welchem ein akuter
Anfall von Ohrschwindel einen Mann ungefähr 1 Stunde nachdem der-
selbe seine Tagesarbeit im Blackwalltunnel beendigt hatte, befiel. Der
Mann war lange gewohnt gewesen, in Tunnels zu arbeiten ohne Nach-
theil. Er hatte unter Druck von 2/, Atmosphären gearbeitet. Er-
scheinungen von Mittelohrentzündung waren nicht vorhanden. Durch
dreiwöchentlichen Aufenthalt im Hospital trat keine Besserung des
Schwindels ein.
75) Drei Beobachtungen von Gradenigo, bei welcher die Er-
scheinungen die Existenz einer auf die Schnecke beschränkten Blutung
wahrscheinlich machten. In zwei Fällen handelte es sich um Trauma.
In allen Fällen bestanden keine Schwindelerscheinungen.
Gradenigo.
76) Die Untersuchungen wurden mit dem von v. Stein 1892
empfohlenen und zweckmässig verbesserten Apparate angestellt. Die
Erkrankungen des Ohres, bei welchen statische Störungen gefunden
werden, sind solche, bei welchen die galvanische Reaction des Acusticus
leicht eintritt. Dieselben weisen auf eine Erkrankung des inneren
Ohres oder des Nervus acusticus hin. Gradenigo.
76a) 67jähr. Mann. Krankheitsdauer 12 Monate. Haupt-
symptome: Differenz der beiderseitigen erweiterten Pupillen (links
enger) und abgeschwächte Convergenzreaction rechts. Herabsetzung der
Sehschärfe, Gehörsabnahme rechts; ataktische Symptome ohne
Lähmungen; Kopfschmerzen; häufiges Erbrechen; Abnahme von Ge-
dächtniss und Aufmerksamkeit; starke Gewichtsabnahme obne Fieber.
Section: Linke Hälfte der Vierhügelplatte durch eine Geschwulst
ersetzt mit consecutivem Druckschwund des Kleinhirnwurms, wobei
(Tumor nicht mit diesem verwachsen) nach Losschälung nur noch ein
Rest von Vorderwurm in Gestalt einer dünnen Platte als Dach des
vordern Theils des 4. Ventrikels zurückbleibt. Kleinhirn in den Wirbel-
64 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
canal gepresst. Brücke plattgedrückt. Geschwulst ein Gliom mit Kalk-
concrementen. Bemerkenswerth ist die Schädigung des Gehörs
auf der gekreuzten Seite, wie in den Fällen von Ferrier und Ruel,
daher: »Erkrankung eines hintern Vierhügels bewirkt
Gehörsstörung auf der gekreuzten Seite; die Annahme einer
2. Bahn vom N. cochlearis zum Grosshirn neben der lateralen Schleife
ist unbegründet. Moos.
Nase und Nasenrachenraum.
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77) Die Methode Zwaardemaker’s dürfen wir bei den Lesern
dieser Zeitschrift wohl als bekannt voraussetzen. Verf. warnt zunächst
mit Recht davor, aus der Asymmetrie der Atemflecke zu weitgehende
Schlüsse auf den Sitz der Stenose zu machen. Er versucht darauf, die
Verwendbarkeit der Methode auch für die Diagnose der doppelseitigen
Stenose zu erweisen. Weitere Bemerkungen sind der Figur des Atem-
beschlags (getheilter Fleck der aus einem medialen und lateralen Stück.
besteht) und endlich der Möglichkeit gewidmet, damit Gaumensegelparesen
zu diagnosticiren und ihre Stärke zu messen. Zarniko.
78) Gradenigo prüft das Geruchsvermögen nach der Methode von
Zwaardemaker. Es werden dadurch wichtige, diagnostische Anhalts-
punkte gewonnen über das Stadium des chronischen Katarrhs, wenn die
objective Untersuchung keine sicheren Anzeigen gibt.
Gradenigo.
79) Chappell berichtet über vier Fälle von vasomotorischer
Rhinitis, welche bei Patienten mit chronischer Malaria auftraten, und
auf Chinin prompt besser wurden. M. Toeplitz.
80) Ein 35 jähriger Mann hatte 2!/, Jahre lang plötzliche Anfälle
von Reflexneurose der Nase, welche im Sommer und Winter alle zwei
Wochen auftraten und fast zwei Tage lang mit hochgradigem Niessen
und Ausfluss, aber ohne Asthma oder allgemeine Symptome und ohne
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 67
Störungen in den Zwischenzeiten anhielten. Jede mögliche Behandlung
mit Einschluss von Aetzungen mit Chromsäure war ohne Erfolg. Schliess-
lich führten oberflächliche galvanokaustische Aetzungen der unteren
Nasenmuschel sehr schnell zur Heilung. M. Toeplitz.
81) Dunn berichtet über die Fälle von drei Erwachsenen, welche
häufig von spasmodischen Hustenanfälllen, Erbrechen nach dem Frühstück
und einer beständigen Anstrengung ihren Hals von „etwas“ zu reinigen,
ergriffen wurden. Zwei derselben wurden durch die Entfernung eines
erschlafften Zäpfchens, Behandlung von Nasenhypertrophie und Ver-
biegung des Septums geheilt; der dritte Fall durch die Entfernung ge-
schwollener papillae circumvallatae, welche gegen das normale Zäpfchen
rieben. M. Toeplitz.
82) Wolfe legt bei Patienten mit Heufieber auf die neurotische
Anlage besonderes Gewicht und behauptet, dass, wenn die Behandlung
frühzeitig dagegen gerichtet wird, d.h. indem man zwei Monate vor dem
Herannahen der Erkrankung damit beginnt, die Fälle dann thatsächlich
geheilt werden. Er gebraucht Bosworth’s Belladonna- und Phosphor-
zink-Combination zu diesem Zwecke in der folgenden Formel:
Rp. Extr. Belladonnae 0,6
Zinc phosphid. 0,5
M. f. massa in pill. No. XL.
eine Pille drei mal täglich nach der Mahlzeit.
Bei schlecht genährten Patienten füge man der obigen Vorschrift
acid arsenicos. 0,06 hinzu. M. Toeplitz.
83) Chiari berichtet über 6 typische Fälle von tuberculösen Ge-
schwülsten der Nasenschleimhaut. Bei vieren konnten in mikroskopischen
Schnitten spärliche Tuberkelbacillen aufgefunden werden, bei den übrigen
beiden nicht. Doch boten diese einen characteristischen histiologischen
Befund. Auf Grund seiner Fälle und der übrigen in der Lit. nieder-
gelegten (15 an der Zahl) entwirft nun Verf. von Neuem ein Bild von
der in Rede stehenden Erscheinungsform der Nasentuberculose Es ist
übersischtlich und klar, bringt aber dem mit dem Gegenstande Ver-
trauten nichts Neues. (Dass Tuberkelbacillen auf dem Lymphwege
in die Schleimhaut der Pars cartilag. septi gelangen sollen, beruht wohl
auf einem Lapsus calami. D. Ref.) Nicht erwähnt wird die Möglichkeit,
dass die Bacillen mit dem Luftstaube bei der Inspiration an den Locus
morbi gelangen können. Wie man aus den Bemerkungen zur Differential-
5*
68 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
diagnose ersieht, will Verf. den Lupus der Nasenschleimhaut von der
eigentlichen Tuberculose getrennt wissen. Zarniko.
84) Hopmann bekennt sich zu der Ansicht, dass die Ozäna eine
wohl characterisirte Krankheit sui generis ist. Ihre Pathogenese sei
noch dunkel. Indess glaubt er, dass abnorme Weite des Nasenlumens
die causa prima des Complexes ist (Theorie Zaufal’s). Diese Con-
figuration soll in erster Reihe auf einer Entwickelungshemmung be-
ruhen, die sich häufig schon in der foetalen Periode ausbildete und als
deren Grnndlage vielleicht foetale Rachitis anzusehen wäre. Ferner
aber theilt Verf. Entzündungsvorgängen eine wichtige Rolle für das Zu-
standekommen der Ozäna zu, die begünstigt durch die mangelhafte Ent-
wickelung des Scelets um so eher zu Störungen der Ernährung und des
Wachsthums führen könnten. Seine Ansicht sieht Verf. bestätigt durch
vergleichende Messungen, die er an gesunden und kranken Nasen aus-
geführt hat. Sie erstrecken sich auf den Tiefendurchmesser des Nasen-
rachens und der Nasenscheidewand. Das Messinstrument besteht aus
einem mit Millimetertheilung versehenen Aluminiumstab mit endständigem
Haken und verschiebbarer Marke. Er führt den Stab durch die Nase
bis zur Hinterwand des Nasopharynx und schiebt die Marke bis zur
Berührung mit der Nasenspitze vor. So wird die Entfernung der
Hinterwand von der Nasenspitze (A) ermittelt. Wird der Haken jetzt
hinters Septum gehakt, so zeigt die Marke die Tiefe des Septums (B)
an. Die Differenz A—B ist die Tiefe des Nasenrachens. Da die ab-
soluten Werthe nicht gut vergleichbar sind, so wurden sämmtliche Zahlen
auf A = 100 umgerechnet. Dergestalt gewann Verf. folgende Ergeb-
nisse: Bei 40 Ozänakranken war das Verhältniss der Werte B: A—B
= < 71 : `> 29, bei 27 Kranken mit Rhinitis sicca < 77 : > 23,
bei 61 Kranken mit anderweiten Nasenaffectionen oder bei normalen
Nasen `> 77 : < 23. »Bei reiner Ozäna ist demnach das Septum im
Durchmesser von vorn nach hinten in der Regel erheblich kürzer als
normal. Umgekehrt ist dabei die Tiefe des Nasenrachenraums gegen
die Norm nicht unerheblich vergrössert. « Zarniko.
85) Aetiologie: a. localisirt: Die Muscheln, gewöhnlich die
untere, oder die Scheidewand. Einfluss der Compression — Tumoren,
spinae — oder Einfluss einer Entzündung mit Veränderung an den
Gefässen : eirrhose zugleich mit Pigmentveränderung verbunden : Xanthose,
allgemeine oder localisirte (durch Veränderung des Blutpigments, in
Folge vorausgegangener Blutungen), die Schleimhaut wird mit der Zeit
weisslich und sehr dünn. b. generalisirt: aber ungleichmässig ver-
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 69
theilt — bei alten Leuten oder nach einer abgeheilten Ozäna oder bei
Syphilis. Symptome-Behandlung. Anblick erinnert an eine Serosa; bei
Sondirung unnachgiebige Consistenz und Fehlen des Gefässreichthums.
Wenig subjective Symptome bei localisirtem Process. Bei generalisirtem
aber: Zahlreiche, festhaftende Krusten, ohne Verletzung der Schleim-
haut, die sehr geniren. Dann constant: retropharyngitis sicca, oft
ebenso chronische Laryngitis. Ohren- und nervöse Störungen. Der
objective Anblick ist der der gewöhnlichen Ozäna. Die atrophische
Rhinitis ist keineswegs immer die Folge einer abgelaufenen Ozäna; es
braucht niemals fötider Geruch vorhanden gewesen zu sein. Behand-
lung: Heilung unmöglich, bei generalisirtem Process; Salzbäder sind
nützlich, Insufflationen, Perubalsam. De l’atrophie de la partie antérieur
de la cloison. a. Hyperplasie — mit häufigem Nasenpvluten, Crusten
im Naseneingang, die am Septum festhaften. b. Rückbildung. Blasse,
dünne Schleimhaut; keine Läsionen. c. Fibröse Umwandelung; Atrophie,
Perforation möglich. Sehr anämische Schleimhaut, Verschwinden der
Drüsen. Behandlung mit Salben, Cauterisation gegen Nasenbluten.
| Ripault.
86) Die Behandlung der Sycose und des Ekzems des Naseneingangs
besteht in der Anwendung von 2 bis 10°/,igen Höllensteinlösungen
und der folgenden Salbe: Rp. Acid. Carbolic. 0,1, Acid. tannic 0,21,
in Benzoinol 10,0 und Ung. Zinc. oxyd. q. s. ad 20,0. Die für die
Behandlung der neun beigefügten Fälle erforderliche Durchschnittszeit
betrug ungefähr fünf Tage. M. Toeplitz.
87) Schwager giebt im Anschluss an 6 aus dem Seiiert’schen
Ambulatorium berichtete Krankheitsfälle die Analyse einer seltnern gut-
artigen Geschwulst der Nasenschleimhaut: des cavernösen Angioms.
Es präsentirt sich makroskopisch als circumscripter, tiefdunkelrother bis
bläulichrother Tumor, der sich mit der Sonde nicht vollkommen ein-
drücken lässt und nach Cocainisirung nur wenig abschwillt. Es sitzt
ausschliesslich an der untern Muschel und am Septum. Auf seine
Abschnürung folgt regelrecht eine starke Blutung. Die mikroskopische
Untersuchung lehrt, dass die Geschwulst der Hauptsache nach aus venösen
Gefässen besteht, deren Anzahl und Weite von aussen nach innen
wachsen. Die oberflächlichern Gefässe haben ein regelmässiges rund-
liches oder ovales Lumen, die tiefern sind unregelmässig gestaltet.
Stellenweise erkennt man, dass die Zwischenwand zwischen zwei Gefässen
schwindet und beide mit einander confluiren. — Drüsen sind auffallend
wenige vorhanden. Verf. will die c. A. von solchen Tumoren trennen,
70 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
die lediglich durch Erweiterung und vermehrte Schlängelung bereits
vorhandener Gefässe entstanden sind (den teleangiectatischen
Tumoren). Jedoch seien diese nur die Vorstufe der c. A. und es
existirten zahlreiche Uebergangsstufen zwischen beiden. Zarniko.
88) Wingrave beschreibt die Form von hypertrophischer Rhinitis,
welche auf dauernder Erweiterung der venösen Sinus der unteren Muschel
beruht. Er ist der Ansicht, dass in den Wandungen der Sinus Muskel-
fasern vorhanden sind, durch krankhafte Veränderungen dieser Muskel-
fasern entsteht die besondere Form der vasculären Hypertrophie. Die
Hypertrophien werden mit dem Ringmesser entfernt. Die Arbeit ent-
hält zahlreiche makroskopische und mikroskopische Abbildungen.
89) Der kirschgrosse Tumor ging von der Gegend aus, wo sich
die Cartilago triangularis an das Nasenbein ansetzt und bestand aus
gefässreichem Fettgewebe. Ein ähnlicher Fall ist bisher noch nicht
beobachtet. Killian.
90) Eine papilläre von der Nasenscheidewand entfernte Geschwulst
erwies sich bei der mikroskopischen Untersuchung als Papillom. De
Santi hält die wahren Papillome der Nase für sehr selten.
91) Stepanow schildert den klinischen Verlauf, die Ergebnisse
der Section und speciell die makroskopischen und mikroskopischen Ver-
änderungen in Nase, Rachen, Kehlkopf und Trachea eines Scleromfalles
in ausserordentlich genauer und eingehender Weise. Die Einzelheiten
bitten wir im Originale nachzusehen, da sie sich unmöglich in ein
kurzes Referat zusammenfassen lassen. Wir möchten nur besonders auf
seine musterhafte Beschreibung der scleromatösen Veränderungen der
Nasenschleimhaut hinweisen, bei welcher die frühesten Stadien der Er-
krankung speciell berücksichtigt sind. Beachtenswerth ist auch, dass
in dem späteren fibrösen Stadium die Constatirung der Bacillen und
damit die Diagnose an Probestückchen sehr schwierig werden kann.
Killian.
92) Goldstein giebt zunächst in extenso eine Uebersicht dessen,
was die Literatur über Histologie, Classification und Statistik der Nasen-
polypen ergeben hat und kommt dann zu einer Bestätigung der Hop-
mann'schen Behauptung, dass Nasenpolypen im Alter unter 10 Jahren
gar nicht so selten sind. In dem Königsberger Ambulatorium (Gerber)
wurden unter 75 Fällen 5 solche = 6,85 °/, beobachtet.
Zimmermann.
93) Gerber glaubt, dass Microben den regelmässigen und wesent-
lichen Bestandtheil der Nasensteine ausmachen, und zwar die ver-
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 71
schiedensten Arten, also nicht ausschliesslich Leptothrix, wie Moure
annimmt. | Killian.
94) Wenn auch die Galvanokaustik oder der blutige Weg vor-
zuziehen ist bei sonst gesunden Leuten mit hochgradigen Verengerungen,
die zudem nicht viel Zeit aufwenden können, so ist sicher die Electro-
lyse die geeignetste Operationsmethode bei einem Material, wie es
Hess in der Heilanstalt Falkenstein zur Verfügung steht. Die Be-
schwerden sind selten sehr. stark, die Patienten schwächere, vielleicht
fiebernde Personen ; es kommt auch in Betracht die psychische Erregbarkeit
des Phthisikers; für. ihn könnte zudem eine stärkere Reaction wie nach
Galvanokaustik recht nachtheilig sein. Die E. ist schonend, der Pat.
wird dabei im Curleben nicht gestört. H. giebt der bipolaren Methode
den Vorzug, er benützt Stromstärken von 10—15 M. A. unter lang-
lamgsamem Ein- und Ausschleichen des Stroms; statt des Galvanometers
kann zur Noth das Gefühl des Pat. den Massstab für die Stromstärke
geben. Sitzungsdauer 3—10 Minuten. Pausen zwischen den einzelnen
Sitzungen von 8—10 Tagen. Das günstigste Object bilden kleine
Spinen und besonders Verdickungen vorn am Septum. Die Beschwerden
durch den Eingriff sind sehr gering, Blutungen sehr selten, eine Nach-
behandlung ist unnöthig. Zum Schluss erwähnt Verf. noch, dass nach
seiner Erfahrung in Falkenstein starke reactive Entzündung nach Gal-
vanokaustik nur selten vorkommt, was wohl nur durch den dauernden
Aufenthalt des Pat. in reiner Luft und durch den Mangel an Gelegen-
heit zur Infection zu erklären sei. Müller.
95) Empfehlung einer durch Rotationsmaschine getriebenen Nasen-
säge. | Killian.
96) Anton konnte im Anschluss an die von Schwendt ver-
öffentlichten 25 Fälle von Verschlüssen der hinteren Nasenöffnungen
noch 13 aus der Literatur zusammenstellen. Der Fall von Anton
betraf einen 21jährigen Mann, der erst mit dem 12. Jahre bemerkt
hatte, dass er durch die rechte Nasenseite nicht ausblasen konnte.
Ausser Kurzluftigkeit keine Beschwerden. Bei Rhinoscopia posterior
zeigte sich die rechte Choane durch eine senkrecht stehende, weissliche
Platte verschlossen. Der Geruchsinn war in der verschlossenen Nasen-
seite vollständig aufgehoben. Die Knochenplatte wurde mit einer Zahn-
bohrmaschine durchbohrt und hat 3 Monate nachher noch 6—7 mm im
Durchmesser. Der Geruchsinn hat sich jedoch nicht eingestellt. Rumler.
97) In sehr präciser und erschöpfender Form bespricht Verf. zu-
nächst die Geschichte und Aetiologie der Krankheit; betont unter den
72 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
objectiven Symptomen die Einseitigkeit und Periodicität der Eiterung,
legt den Schwerpunkt der Diagnose aber in eine genaue Untersuchung
der Nase. Dabei hat er aber niemals den lateralen Schleimhautwulst
(Kaufmann) constatiren können, das Hauptmoment liegt in der Auf-
findung des Eiters allein in der Gegend des Ostium maxillae, ev. in
der von Fränkel angegebenen Haltung des Patienten. Zuweilen kann
man sich auf den secundär veranlassten Befund von polypösen oder
Granulations-Wucherungen oder einen begleitenden trockenen Catarrh
stützen. Ein wesentliches Hülfsmoment liegt in der Durchleuchtung und
zwar in der subjectiven Lichtempfindung. In Zweifelsfällen greift man
zur Probepunction. Ein kurzes Resume über die Differential-Diagnostik
beschliesst die klar geschriebene Arbeit. Zimmermann.
98) Flächeneiterungen der Nase sind nach Bresgen’s Erfahrungen
selten, meist liegt der Eiterung eine Herderkrankung zu Grunde. Hin-
sichtlich der Entstehung von Naseneiterungen unterscheidet B. 2 Arten:
die erste wird durch Trippereiter — hauptsächlich bei Neugeborenen (beim
Durchtritt der Frucht), aber auch bei Erwachsenen — oder anderen
Eiterstoff hervorgerufen, sie findet sich auch in der zweiten Hälfte des
acuten Schnupfens; die zweite — mit auffallender Betheiligung der
Nebenhöhlen — bildet eine Theilerscheinung acuter Infectionskrank-
heiten, besonders Masern, Scharlach, Influenza und Diphtherie. Eine
dritte aber kleine Gruppe bilden die Kieferhöhleneiterungen in Folge
von Zahncaries. Nach kurzer Schilderung der Symptome der Nasen-
eiterungen wird die Diagnose eingehend besprochen. B. weist darauf
hin, wie wichtig es ist, bei der Untersuchung die Reinigung unter
Leitung des Auges vorzunehmen, da nur dadurch zu entscheiden sei,
ob Flächen- oder Herdeiterung vorliegt, und wo die letztere localisirt
ist. Zur letztgenannten Entscheidung nimmt B. ausser den verschiedenen
Kopfhaltungen, bezüglich der Kiefer- und der Stirnhöhle die Durch-
leuchtung zu Hilfe, ferner die Probepunction oder -eröffnung bezw.
Sondirung, Erkrankungen der Keilbeinhöhle und der Siebbeinzellen sind
mittelst der Sonde festzustellen event. unter Wegnahme eines Theils
der mittleren Muschel; Herdeiterungen können auch namentlich in den
oberen Parthieen bestehen einfach durch Schleimhautschwellung des
tiefer liegenden Thcils ohne Betheiligung einer Nebenhöhle. Nach B.’s
Erfahrungen bilden bei Ozäna in der Regel Herderkrankungen die
Grundlage, Erkrankungen des Knochens, die er dabei viel seltener ge-
funden hat, als Grunnow, hält er viel weniger wichtig als solche
der Nebenhöhlen. Zum Schluss beschreibt B. seine Therapie, wie dies
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 13
schon an anderem Ort geschehen ist. Sie besteht in der Hauptsache
in möglichster Freilegung des Herds auf operativem Wege, ausserdem
für die Nebenhöhlen in Einführung von Hexa-Aethylviolett. Diese Be-
handlungsweise sei nicht nur weit bequemer als die früher geübte,
sondern führe auch sicherer und schneller zur Heilung. Müller.
99) Bei einer 35jährigen Frau, welche an Otalgie, einem Furunkel
des äusseren Gehörgangs und einem Abscess des Ohrläppchens gelitten
hatte, wurde eine Erkrankung der Öberkieferhöhle im Januar 1889
erkannt, aber nicht vor 1892 operirt; dann wurde nach der Extraction
des zweiten Mahlzahns der Boden der Kieferhöhle mit einem grossen
Drillbohrer perforirt. Durch die Oeffnung, welche permanent geblieben
war, kamen zwei Jahre später Fäden von falscher Membran in Zwischen-
räumen von wenigen Tagen bis zu einer Woche oder zehn Tagen heraus,
welche ihrer Länge nach bis zu der eines Zeigefingers schwankten.
Die Membranen enthielten Aspergillus fumigatus. Der Infectionsmodus
ist dunkel. M. Toeplitz.
100) Der Patient, über den Fink ausführlich berichtet, litt seit
dem 12. Lebensjahre an recidivirenden Schleimpolypen der rechten
Nasenhöhle. Mit 33 Jahren stellte sich Auftreibung des Oberkiefers
ein, drei Jahre später colossale Schmerzen. Verf. eröffnete jetzt die
Highmorshöhle vom Proc. alveolaris aus, fand aber wider Erwarten nur
wenig Eiter darin, vielmehr reichlich weiche Geschwulstmasse. Bald
nachher Auftreibung des Proc. zygomaticus, Drüsenschwellung auf der
rechten Halsseite.e Diagnose: Maligne Neubildung in der Kieferhöhle,
Versuch einer radicalen Operation durch Schede; Ausräumung der
Kieferhöhle nach breiter Eröffnung von der Wangenseite. Die entfernten
Geschwulstmassen erwiesen sich als Carcinom. Nach wenigen Tagen
Zeichen einer Metastase im 5. Halswirbel.e Nach 6 Wochen Exitus.
Die Analyse des Krankheitsfalles führt den Verf. zu der Annahme, dass
es sich zunächst um gutartige Neoplasmen in der Kieferhöhle gehandelt .
habe, die sich später in maligne umgewandelt hätten. Dem Ref. scheint
diese Annahme völlig in der Luft zu schweben. Dagegen kann er dem
nur beistimmen, dass eine frühere energische Behandlung des Leidens
der Kieferhöhle wohl am Platze gewesen wäre. Zarniko.
101) Die Erkrankungen des Siebbeins sind anatomisch und symp-
tomatologisch von denen der andern Nebenhöhlen durch die Eintheilung
der Höhle in Zeilen und durch die nervösen und Augensymptome ver-
schieden. Acute Fälle, besonders in Folge von Influenza sind häufiger
als allgemein angenommen wird. Die chronischen Fälle sind mit poly-
74 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
pöser Degeneration mit oder ohne Eiterung verbunden und lassen sich
auch durch die Veränderungen der mittleren Muschel von der Nase aus
diagnostiziren. Die Eiterung ergiesst sich in den mittleren Nasengang,
in den Nasenracheraum oder in die Augenhöhle. Die acuten Fälle
werden mit Vorliebe mit heissen salinischen Naseneinspritzungen ver-
mittelst der Thudichum-Dusche hehandelt. Für die Behandlung der
chronischen Fälle zieht Bosworth nach der Entfernung aller Hyper-
trophien, den kleinen zahrfärztlichen Bohrer der Curette zur Eröffnung
und Erweiterung der Höhle vor. Unter den 97 Fällen von. Siebbein-
erkrankung, welche von Bosworth während fünf Jahre beobachtet
wurden, befanden sich drei Carcinome und vier Sarcome. Die Lebens-
alter der Patienten schwankten zwischen dem zweiten und siebenten Jahr-
zehnt, wobei die mittleren am häufigsten betroffen .waren.. 61. waren
männlich und 32 weiblich. 15 Fälle waren entzündlicher Natur mit
Polypen oder Eiterung, von denen 9 geheilt und 3 gebessert wurden.
29. Fälle zeigten Polypen ohne Eiterung von denen 12 geheilt und 10
gebessert wurden. Von 22 Fällen von Polypen und Eiter wurden 9
geheilt und 10 gebessert. Von 27 rein eitrigen Fällen, wurden 8
geheilt und 12 gebessert, von denen fast alle mit der Schlinge oder
dem Drillbohrer operirt worden waren. Es wäre von grossem Interesse
gewesen zu erfahren, gerade in wie viel Fällen und mit welchem Resultate
der Drillbohrer gebraucht wurde. ` = =- M. Toeplitz.
102) Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich vor Allem mit der
Frage: Ist es statthaft und durch die anatomischen Verhältnisse be-
gründet, medianwärts von der mittlern Muschel eine Eröffnung der
untern Stirnhöhlenwand zu versuchen (wie es Schäffer that). Um
diese Frage zu beantworten hat der Verf. Experimente und Messungen
an den Stirnhöhlen von 33 Leichen gemacht. Zuerst wurde die Son-
dirung vom mittlern Nasengange aus versucht. Darauf wurde eine
starke Sonde nach Schäffer wennmöglich in die Stirnhöhle eingeführt.
Die Lage der Instrumente controlirte Verf. durch Aufmeisselung des
Sinus von der Schädelhöhle her und machte schliesslich die Harke’sche
Section um Messungen vorzunehmen. Verf. gelangte dergestalt zu
folgenden Resultaten: „Berechnet man die gelungenen Sondirungs- und
Trepanationsversuche auf die Gesammtsumme aller männlichen und
weiblichen Stirnhöhlen, so konnte von den ersteren kaum der 6. Teil
sondirt, wohl aber über die Hälfte trepanirt werden, während bei der
Hälfte der weiblichen Stirnhöhlen die Trepanation der untern Stirn-
höhlenwand gelungen war, jedoch nicht einmal der 4. Teil aller Sin.
. Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 75
front. sich hatte sondiren lassen.“ — Kann man nun nach irgend
welchen Merkmalen am Lebenden Schlüsse auf die Ausdehnung, der
Stirnhöhle oder die Dicke ihrer Wände, besonders der unteren, zıehen?
Diese Frage muss nach den Messungen des Verf. verneint werden.
(Die Methode Schäffer’s ist durchaus nicht gefahrlos. Man kann,
wie W. selbst sagt, vermittels der Rhinoscopie die Richtung des Trepa-
nationsinstrumentes in den obern Nasalraum nicht verfolgen, und man
wird um so eher statt der Stirnhöhlenwand die Siebplatte durchstossen
können, wenn jene wie in 22 Fällen von W. eine feste Knochenplatte
von 2, 3, 5 und mehr Millimeter Dicke ist. Wer sagt mir aber, ob
der Patient, den ich operiren will, nicht gerade eine so unglücklich
dicke untere Stirnhöhlenwand hat? Die Ermittelungen Winckler’s
sprechen somit gegen die Methode Schäffer’s. . Zarniko.
103) Der 28jährige Patient litt 20 Jahre lang an Kopfschmerzen,
welche sich auf einen Fall auf einen Rinnstein datiren liessen, wobei
der obere rechte Quadrant der Stirn ungefähr einen Zoll oberhalb und
parallel mit der supra-orbitalen Leiste eingeschnitten wurde. Der Schnitt
war vereitert und langsam verheilt. Die Kopfschmerzen waren that-
sächlich continuirlich. Die leichte Depression des Knochens, welche
nicht mehr als einen halben Zoll lang war, wurde durch einen Trepan
in einer °/, Zoll im Durchmesser messenden Scheibe entfernt. Der
Patient hat nun drei Jahre nach der Operation keinen Kopfschmerz
mehr. M. Toeplitz.
104) Ein 28jähriger,, heriditär mit Tuberkulose belasteter Mann
klagte über Druck, der quer über der Stirn lastete. über schmerzhafte
Schwellung über der rechten Stirnhöhle mit nachfolgender Schwellnng
des oberen Lides, wobei das rechte Auge leicht nach unten gedrängt
war und Fluctuation über der Thränendrüse zeigte. Durch eine Inzision,
welche von der Glabella bis nach dem äusseren processus augularis, !/,’
über der Augenbraue, reichte, wurde die Stirnhöhle nach Wegmeisselung
des rauhgewordenen Knochens eröffnet und mit einer gelblich käsigen
Masse gefüllt gefunden. Ein cariöser Herd der hinteren Knochenwand
wurde cürettirt, wodurch die Dura mater fast freigelegt wurde. Vom
rechten untern Winkel der Höhle führte ein kleiner Canal vom oben
beschriebenen cariösen Herd aus zu der fluctuirenden Masse des oberen
Lides, welche eine Drachme Eiters enthielt. Der ganze Supraorbital-
bogen war erkrankt; er wurde fortgemeisselt und ausgelöffelt, und ebenso
die Nasenhöhle durch die Stirnhöhle hindurch. Am 8. Tage nach der
Operation erfolgte die Heilung. Eine vollständige Literaturangabe, die
76 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. X
95 aus dem Index medicus zusammengestellte Fälle enthält, ist bei-
gefügt. M. Toeplitz.
105) An die Beschreibung eines Falles von Stirnhöhlenempyem —
Eiterung seit 50 Jahren, vor 1!/, Jahren Durchbruch nach aussen,
seitdem Fistel; Vordrängung des Bulbus, nie Kopfweh; breite Eröffnung
von aussen: Die Höhle zu Hühnereigrösse erweitert, die Schleimhaut in
eine bis 4 mm dicke bindegewebige Membran mit warzigen Erhebungen
verrandelt; Tod am 14. Tage an Meningitis von einem latenten Hirn-
abscess ausgehend — knüpft K. bemerkenswerthe Auslassungen über die
Behandlung der Stirnhöhleneiterungen. Er hält bei erheblich veränderter
Schleimhaut eine Heilung durch nasale Therapie für unmöglich, hier
sei sie nur zu erreichen durch breite Eröffnung von aussen. Die Stirn-
höhle sei in diesex Beziehung ebenso zu beurtheilen wie die starrwan-
digen Höhlen z. B. bei Osteomyelitis und bei Pleuraempyemen, wo die
Heilung nur möglich sei, wenn eine Wand völlig abgetragen ist, so dass
die Höhle veröden kann; dieselben Bedingungen gelten für das chron.
Empyem der Kieferhöhlen. Sein Verfahren ist folgendes: Schnitt genau
am Margo supraorb. bis zum äusseren Drittel, Abhebelung des Periosts
nach oben und unten, Abtragung der ganzen vorderen ev. eines Stücks
der unteren Wand, Ausschabung der Schleimhaut mit einem scharfen
Löffel, als unwesentlich Erweiterung des Ausführungsgangs nach der
Nase. Tamponade mit Gaze. Verbandwechsel alle 14 Tage (erster
nach 5—6 Tagen). Heilungsdauer 2—3 Monate. Entstellung minimal.
Die breite Eröffnung sei ein durchaus sicheres und unbedenkliches Heil-
mittel. Müller.
106) Eine Geschwulst bestand drei Jahre lang über der rechten
Augenbraue eines 26 jährigen Italieners, zugleich mit grossen polypoiden
Hypertrophien der Schwellkörper der mittleren Muscheln, besonders der
rechten, nach deren Entfernung sich eine grosse Menge Flüssigkeit aus
dem Nasenlocl entleerte.e Die Entfernung der Stirnhöhlengeschwulst
von aussen und tägliche Tamponade der Höhle während vier Monate,
führte zu völliger Heilung. M. Toeplitz.
107) In der Einleitung betont Jansen die Schwierigkeit, chronische
Nebenhöhlenempyeme zur Ausheilung zu bringen. Die Gründe dafür
sieht er 1. in der Hartnäckigkeit, mit der allseitig starrwandige Höhlen
im Allgemeinen der Heilung trotzen, 2. in dem Umstande, dass häufig
Empyeme mehrerer Höhlen nebeneinander bestehen und sich gegenseitig,
oft durch die dünnen Knochensepta hindurch, von Neuem inficiren.
»Schwere Erkrankungen sämmtlicher Nebenhöhlen«, sagt er, »gehören
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 77.
durchaus nicht zu den grossen Seltenheiten. Bei 7 Kranken mit Stirn-
höhlenempyemen, welche ich im letzten Jahre operrirt habe, fand ich in
allen Fällen das Siebbein und in 6 Fällen die Kieferhöhle krank; bei
zwei Kranken waren die Empyeme doppelseitig, in einem Falle stiess
ich auch noch auf eine Vereiterung der Keilbeinhöhlen.< Als weiteres
Hinderniss führt er 3. enge und zuweilen ungünstig gelegene Ausfüh-
rungsgänge an, die häufig noch durch Schwellungen und Granulationen
verlegt werden: endlich 4. ausgedehnte pathologische Veränderungen:
riesige Anhäufungen von Granulationsgewebe mit abgesackten Eiterherden
darin; ausgedehnte cariöse Processe mit grossen Defecten oder Seque-
stern in den Wänden. Auf Grund dieser Erwägungen und Erfahrungen
glaubt Verf., dass alle, die über Heilung chronischer Nebenhöhlenempyeme
durch einfache Ausspülungen berichten, sich getäuscht haben oder nicht
lange genng auf Recidive geachtet haben.*) Die ungünstige Prognose
bei den bisherigen Behandlungsmethoden hat den Verf. dazu geführt,
noch radicaler vorzugehen, als die radicalsten neuern ÖOperateure, z. B.
Grünwald. Er verfährt folgendermassen :
A. Kieferhöhle. Er entfernt nach Abschaben des Periosts die
ganze vordere Wand bis zum Foramen infraorb., das erhalten wird,
dessen Gefässe und Nerven geschont werden. Auskratzung der Höhle,
Entfernung von Sequestern etc., Implantation eines Schleimhautlappens,
der vom Proc. alveolaris (hier zugleich mit dem Periost) und von der
Innenfläche der Lippe gewonnen wird. Jodoformgazetampon, der jeden
Tag oder jeden 2. Tag gewechselt wird. Nach 8—14 Tagen Einlegen
eine Kautschukobturators, der an einem künstlichen Gebiss oder einem
gesunden Zahn befestigt wird. Er soll die Wunde offenhalten und der
Granulationswucherung entgegenwirken. Die Nachbehandlung dauert in
der Regel sehr lange, bis zu 2 Jahren, kann aber vom Patienten zum
grossen Theil selbst besorgt werden.
B. Stirnhöhle oder Siebbein, die ja in allen Fällen des
Verf. zugleich erkrankt waren (s. o0.). Bogenförmiger Schnitt unterhalb
der Augenbraue vom lateralen Orbitalrande bis auf die Seitenwand der
Nasenwurzel abwärts von der Lidspalte. Ablösung des Periosts von der
untern Wand des Sinus front., Entfernung des Boders der Stirnhöhle
*) Jeder, der einige Fälle von Nasenhöhlenempyem sei es durch einfache
Ausspülungen, sei es durch Zahnextraction und Anbohrung behandelt hat, weiss,
dass dieselben oft überraschend schnell dauernd zur Heilung gelangen. Wenn
Jansen demnach für alle Fälle die Radicaloperation empfiehlt, so ist vor einer
solchen Empfehlung zu warnen. Hartmann.
78 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
bis zur Nasenwurzel und dem Ausführungsgange. Bei grössern Höhlen
wird von der vordern Wand noch der untere Saum !/,—!/, em hoch
weggenommen. Ausräumung der Höhle mit allen ihren Buchten. Von
der Stirnhöhle aus auch Ausräumung des erkrankten Siebbeins mit
Fortnahme der orbitalen und der nasalen untern Wand. Dabei muss
man sich vor Verletzung des Inhalts der Fossa sphenomaxillaris in Acht
nehmen. Oft kann man und wird man in zweifelhaften Fällen immer
C. die Keilbeinhöhle von vorn eröffnen und ausschaben.
(Ref. will nicht unterlassen zu bemerken, dass die Eröffnung des Sieb-
beins von der Orbita her wie sie Verf. ausführt, schon von Grünwald
als typische Operation für gewisse Fälle an der Leiche ausprobirt und
empfohlen ist.) Beim combinirten Empyem eröffnet. Verf. zuerst Stirn-
höhle und Siebbeinzellen und lässt die Kieferhöhle in einer zweiten
Sitzung folgen. Bei doppelseitiger Erkrankung warnt er vor gleich-
zeitiger Eröffnung beider Stirnhöhlen. Nach einigen Bemerkungen zur
Diagnostik der Nebenhöhlenempyeme bilden 7 ausführliche z. T. illustrirte
Krankengeschichten den Schluss der interessanten Arbeit.
| Zarniko.
108) Die schon seit lange gebräuchliche Operation der adenoiden
Vegetationen vermittelst der kalten Schlinge durch die Nase übt Ziem
so aus, dass er gleichzeitig den Zeigefinger der andern Hand zur Con-
trolle in den Nasenrachenraum einführt. Killian.
109) Guillaume betont den Einfluss der Erblichkeit; hält als
Operation für die beste die mit dem Finger, der aber mehr zerdrücken
als mit dem Nagel kratzen soll, unter strenger Antisepsis; nur bei
harten oder sehr grossen Vegetationen ist die Methode contraindicirt.
Das Verfahren selbst ist weder gewaltsam noch blindlings.
Ripault.
110) Hessler operirte in 100 Fällen mit dem Schütz’schen
Pharyngotonsillotom und ist mit den Erfolgen recht zufrieden. Als
Hauptvorzüge rühmt er, das es sich auch bei kleinen Kindern leicht
und gefahrlos gebrauchen lasse und die Blutung gering sei, wegen
fehlender Nebenverletzungen. Hessler betont die Nothwendigkeit, die
adenoiden Vegetationen zu entfernen besonders wegen der Gefahren
für die Ohren. Rumler.
111) Ein Kind aus tuberkulöser Familie mit adenoiden Vegetationen
wird nach Entfernung derselben wieder davon befallen unter gleichzeitiger
Verschlechterung des Allgemeinzustandes: es handelt sich um eine Ver-
schlimmerung einer bis dahin latenten Nasopharynxtuberculose. Die
-` Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 79
Operation kánn eine Dissemination tuberkulöser Keime in die Blutbahn
herbeiführen und eine energische Allgemeinbehandlung erforderlich machen.
Die Fälle sind selten; aber bemerkenswerth, man soll bei jedem Recidiv
oder wo in der Vorgeschichte etwas suspect ist, mikroskopisch unter-
suchen. Die Behandlung selbst bleibt die gleiche und soll sie besonders
gründlich und mit einem tonisirenden Verfahren verbunden sein.
Ripault.
112) Ein 18 jähriger Patient wurde durch die Gussenbauer’sche
Operationsmethode, deren Beschreibung nachzulesen ist, von einem
gänseeigrossen seit 1!/, Jahren bestehenden cavernösen Fibrom des Nasen-
rachenraums befreit. Dasselbe entsprang breitstielig an der Schädelbasis,
füllte den ganzen Nasenrachenraum aus, war an der rechten Seite mit
der Rachenwand verwachsen und hatte in die rechte Nase einen starken
Fortsatz geschickt, der dieselbe völlig ausfüllte und an der vorderen
Oeffnung zum Vorschein gekommen war. Die Operation verlief günstig.
Noltenius.
113) An 4 Fällen von Otalgie bei Syphilis des Nasenrachenraums,
von denen 2 Fälle von „isolirter“ Nasennrachenraumsyphilis darstellen,
deren einziges Symptom Otalgie war, zeigt K., wie wichtig bei Otalgie
die Untersuchung des Nasenrachenraums ist zur Feststellung von Aetiologie
und Therapie und wie eine Otalgie zur Entdeckung einer so schwer-
wiegenden Affection des Nasenrachenraums führen kann. Die Otalgie
war in allen 4 Fällen einseitig, 2 mal war der Trommelfellbefund ganz
normal, 2mal bestand Einziehung, Trübung und Verdickung ohne ent-
zündliche Erscheinungen. Die Einziehung u. s. w. sei als unabhängig
aufzufassen von der specifischen Erkrankung, dafür spreche die dabei
festgestellte Verlängerung der Kopfknochenleitung, die ja bei luetischen
Affectionen frühzeitig völlig ausfalle. Die Otalgie sei in allen 4 Fällen
reflectorischen Ursprungs. Müller.
114) Bei einem vor 30 Jahren inficirten Patienten waren Geschwüre,
die 1 Jahr post inf. im Rachen aufgetreten waren, wenn auch durch
Jodkali zeitweise gebessert, so doch nie ganz zur Heilung gekommen.
Von 19 seitdem gezeugten Kindern sind 16 klein gestorben, einmal
Abort. Im September 93 heftige Schluck- und Athembeschwerden. Die
Untersuchung ergibt an der hinteren Rachenwand 2 rundliche taubeneigrosse
Tumoren, glatt, graugelb, von sehr harter Consistenz, an der Basis scharf
gegen das normale abgegrenzt, deren unterer sich über den Kellkopf-
eingang legte. Unter Jodkali trat, wenn auch sehr langsam, Schrumpfung
80 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
ein. Per exclusionem und ex juvantibus kommt K. zur Annahme der
syphilitischen Natur derselben. Müller.
115) Bean’s 26jährige Patientin hatte seit sieben Jahren Anfälle
von folliculärer Tonsilitis. Der letzte Anfall hinterliess weisse Flecken
auf beiden Mandeln, welche sich auf die Zungenbasis ausdehnten und
zwischen den Gaumenbögen besonders ausgesprochen waren. Die Curette
mit nachfolgender Galvanokaustik führten eine Heilung herbei. Die
Literaturangaben sind sehr unvollständig. M. Toeplitz.
116) Dunn’s 24 jährige Patientin bot eine hochgradige Entwickelung
von Mycosis leptothricia des ganzen lymphatischen Ringes bis hinunter
zur glossoepiglottischen Falte dar, einschliesslich der Rachentonsille, in
welcher sie anfangs nur zeitweise auftrat, später jedoch stationär blieb, wobei
sie dasselbe knotige weisse Aussehen hatte als in den Zungen- und Schlund-
mandeln. Unter der grossen Menge von Heilmitteln, welche in diesem
Falle versucht wurden, heilten die kalte Schlinge und, vor Allem, sa-
turirte Lösungen von Kali hypermanganicum die Affection. Aus
Dunn’s mikroskopischen Untersuchungen geht hervor, dass die Ursache
für die Pilzbildung in Veränderungen der Epithelienschicht der Schleim-
haut zu suchen ist. M. Toeplitz.
117) Ingals berichtet über 12 Fälle von Pharyngomykose, die
er in drei Jahren beobachtet hat, worunter acht nur durch Galvano-
kaustik geheilt wurden. Bei sieben dieser Fälle hatten die Patienten
an vielen vorausgegangenen Anfällen von „wundem Halse“ gelitten,
welche bei acht Fällen vier bis acht Wochen ‚gedauert hatten, während
nur bei einem deutliche Anzeichen von folliculärer Tonsillitis vorhanden
waren. In einem Falle hatte specifische Pharyngitis bestanden, in dreien
Dyspepsie, in einem allgemeine Schwäche und die Hälfte der Fälle be-
fanden sich in sehr gutem Gesundheitszustande.
M. Toeplitz.
118) Der weiche Gaumen des 26 jährigen Mannes war gerade über
der zugleichsubacut entzündetenrechten Mandel deutlich hervorgewölbt. Das
einen vermuthlichen Abscess einschneidende Messer stiess auf einen
Stein, welchen man vergebens mit der Zange durch die erweiterte
Oeffnung herauszuziehen versuchte, der aber schliesslich mit dem Finger
herausgeschält wurde. Der Stein ist der grösste Mandelstein in der
Literatur, er misst 25:22:18 mm und wiegt ca. 5!/, Gramm.
| | M. Toeplitz.
119) Der von Campani und Arena entfernte Mandelstein hatte
ein Gewicht von 2,79 grm.
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 81
120) Schadle trennte die Verwachsungen mit Messer und Scheere
und hielt die Höble durch einen, der halben Länge nach getheilten
Jodoformgazestreifen offen. Die Hälften wurden durch die Nasenlöcher
gezogen und mit dem Mundende verbunden. Die Wundflächen wurden
gelegentlich mit Monochloressigsäure gepinselt. M. Toeplitz.
121) Vausant'’s Fall betraf einen 45 jährigen Minenarbeiter, dessen
Zunge mit der Gaumenfläche und dem Munddach durch eine dicke
Narbe verwachsen war, welche sich quer über den Zungenrücken gegen-
über dem letzten Mahlzahn erstreckte, und dabei nur eine kleine rundliche
Oeffnung nahe der Mitte von °/,‘ im Durchmesser zurückliess, dieselbe
führte nach unten in einen engen Canal rechts von dem Kehldeckel.
Nach zwei früheren erfolglosen Versuchen von Ablösung der Adhäsionen
mit dem Messer unter Cocain, wurden die Narben nach vorausgeschickter
Tracheotomie von dem Gaumen und der Zunge durch einen halbkreis-
förmigen Schnitt unter dem Kinn bis zum harten Gaumen hindurch
abpräparirt.. Die Loslösung der Zungenseite legte vier Abscesse frei,
welche eine Unze grünlichen Eiters enthielten; aber die Narben bilden
sich auch jetzt und nach zwei weiteren Operationen wieder zurück und
der Patient starb an Erschöpfung. M. Toeplitz.
122) Ein 16 jähriger junger Mann bot eine Infiltration beider
Gaumen, der Gaumenbögen des Zungengrundes, der Rachenwand der
Epiglottis und des oberen Kehlkopfes mit kleinen Granulationen und
Ulzerationen, mit Zerstörung des Zäpfchens und Drüsenschwellung dar.
Die mikroskopische Untersuchung ergab Spinelzellensarcom. Die Be-
handlung bestand in subcutanen Injectionen der Toxine von Erysipel
und Bacillns prodigiosus, täglich mit 15 Min. beginnend und bis zu 60
Min. ansteigend. Die Einspritzungen waren mit Schmerzen, Fieber und
Schwellung verbunden. Die Behandlung wurde mit Ausnahme mehrerer
Unterbrechungen während der Zufälle von Schüttelfrösten, Keratitis und
Wundgefühl, acht Monate lang fortgesetzt, um zu langsamer aber sicherer
Heilung zu führen, die mit Hinterlassung einiger Geschwüre, durch
Narbenbildung und Adhäsionen erfolgte. M. Toeplitz.
Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXVII. 6
82 | Besprechungen.
Besprechungen.
Ueberschau über den gegenwärtigen Stand der
Ohrenheilkunde. Nach den Ergebnissen meiner
24 jährigen statistischen Beobachtung. Von Dr. Friedr.
Bezold, Prof. d. Ohrenheilkunde an der Universität
München. J. F. Bergmann’s Verlag, Wiesbaden,
1895. IX u. 196 S. Preis 7 M.
Besprochen von
E. Bloch (Freiburg i. Br.)
In diesem Werke gibt Bezold nebst dem VII. seiner 3jährigen
klinisch-statistischen Berichte hauptsächlich eine Darstellung seiner Er-
fahrungen und Meinungen über die wichtigsten Fragen der modernen
Otiatrie. Der Bericht über die Jahre 1890 bis mit 1892 schliesst sich
in seiner äusseren Anordnung den früheren an. Schon hier hebt Verf.
die Thatsache hervor, dass er sich noch weniger als früher bei der
Stellung der Diagnose auf den Trommelfellbefund beschränkt und immer
mehr der Functionsprüfung die Stelle der entscheidenden Instanz für
gewisse häufige Erkrankungsformen angewiesen habe.
In dem Gesammtberichte betont B. eingangs, dass entsprechend der
fortschreitenden Entwicklung unserer Erkenntniss auf dem vorliegenden
Gebiete den jüngeren Berichten ein verhältnissmässig höherer Werth
innewohne für die Beurtheilung bestimmter Fragen, dem neuesten also
für gewisse Puncte ein grösserer als allen übrigen zusammengenommen.
Drei Momente sind nach B. massgebend geworden für die Ent-
wicklung unserer Disciplin in diesen letzten zwei Decennien: Die von
Schwartze inaugurirte (und — darf man wohl sagen — beherrschte)
Aera der Warzenfortsatz-Operationen, die Lister’sche Antiseptik, aus-
gedehnt auf alle Ohreiterungen, und die Einführung der functionellen
Prüfung des Hörorganes, zu welcher den ersten Anstoss Lucae gegeben
hat. Wir müssen bezüglich des dritten Momentes ergänzen, was des
Besprechungen. 83
Verfassers Bescheidenheit verschweigt, dass nämlich gerade Bezold
diese wichtige Lehre recht eigentlich ausgebaut hat.
I. Die Erkrankungen des äusseren Ohres betrugen in dem
ganzen Zeitraum etwa !/, bis !/, von allen Ohrenleiden, kommen zu
%/j0 bei Erwachsenen und zu ?/, aller Fälle einseitig vor. Bei ange-
borener Atresie des äusseren Ohres fehlt, wie von Joël nachgewiesen,
regelmässig der Annulus tympanicus, sodass ein operativer Versuch von
vornherein aussichtslos erscheint. Aber selbst bei doppelseitiger Atresie
ist das innere Ohr functionsfähig, sodass solche Individuen nicht taub-
stumm werden. Von Interesse ist die Angabe über Idiosynkrasie gegen
Borsäurepulver, die sich in Gestalt eines Borekzems von characte-
ristischer Form äussert. Mit anderen Autoren hat sich B. davon über-
zeugt, dass Furunkel nur im äusseren, behaarten Theile des Gehör-
ganges vorkommen. Verf.’s Behandlungart besteht jetzt in der An-
wendung eines trockenen Druckverbandes (Jodoformwatte in den knor-
peligen Meatus). Dabei findet er die Schmerzen gelinder, die Rück-
fälle seltener. Diffuse Otit. extern. sieht B. nur in etwa 1°/,,
meist bei Erwachsenen und einseitig. Früher mögen manche Fälle von
Mittelohreiterung als Otit. ext. passirt sein, namentlich auch kleine
Perforationen der Shrapnell’schen Membran, deren Wichtigkeit erst
seit etwa einem Jahrzehnt gewürdigt wird. Doch kann auch eine fötide
Secretion im äusseren Gehörgang bestehen, bedingt, wie B. schon vor
längerer Zeit hervorgehoben, durch die Fäulnissbacterien. Otomykose
fand er fast nur bei Erwachsenen (96°/,). Die Diagnose wurde stets
durch die mikroskopische Untersuchung gesichert. Auf eine besondere
Erkrankungsform des äusseren Gehörgangs, die genuine Otit. extern.
crouposa, hat in Deutschland B. zuerst aufmerksam gemacht. In
0,5°/, aller Kranken fand er sie meist bei Erwachsenen und einseitig.
Heftige Schmerzen, Schwellung der retromaxillaren Drüsen, Verengerung
des Gehörganges, Abscheidung fibrinöser Membranen characterisiren die-
selbe, die ohne Nachwirkung auf das Hörvermögen vorübergeht.
Exostosen fand B. nur bei Erwachsenen, zwar nicht weitaus, aber
doch ein wenig häufiger doppel- als einseitig, meist bei Männern, oft
mit Sclerosirungsprocessen im Mittelohr verbunden, selten bei Eiterungen.
Bei der Besprechung der Fremdkörper wird wieder auf die Gefahren
unzweckmässiger Extractionsversuche hingewiesen. »Nur wer mit der
Spiegeluntersuchung und ebenso mit den Formen des Gehörganges voll-
kommen vertraut ist, darf an die instrumentelle Extraction eines Fremd-
körpers aus dem Ohre sich wagen.« | |
6*
84 Besprechungen.
Von den isolirten Erkrankungen des Trommelfelles waren 1/, trau-
matische Rupturen. Auch hier warnt B. mit Fug vor jedem überflüssigen
therapeutischen Eingriffe. Bei Rupturen in Folge indirecter Gewalt-
einwirkung, besonders von Luftcompression, entsteht von selbst eigentlich
nie Eiterung. Bringt man aber durch Einträufelungen oder dergl. die
im trockenen Gehörgang ungefährlich weilenden pyogenen Mikroben
auf die Schleimhaut des Mittelohrs, so vermehren sie sich hier rasch.
Auch B. sah nur sehr selten eine uncomplicirte Myringitis acuta oder
chronica. | i
II. Die Gesammtsumme der Mittelohrerkrankungen setzt sich
zu °/, aus solchen an Erwachsenen und nur !/, an Kindern beobachteten
zusammen. Dagegen fanden sich Tubenaffectionen — mit oder
ohne seröses Exsudat der Paukenhöhle, mit oder ohne Trommelfellatrophie
— häufiger bei Kindern, etwa 56°/,. Im Gegensatz zu Entzün-
dungen jeglicher Art enthält das seröse Exsudat bei Tubenverschluss,
Folge der Hyperaemia ex vacuo, keinerlei Organismen, wie die von
A. Scheibe ausgeführten Untersuchungen beweisen. Therapeutisch
kommt bei diesen Tubenerkrankungen hauptsächlich die Hyperplasie
der Rachentonsille in Betracht: in den letzten sechs Jahren hat B. in
etwa !/, aller bezäglichen Fälle die adenoiden Vegetationen entfernt,
die indessen in viel grösserer Häufigkeit zugegen waren. Der Verschluss
der Tube ist durch Politzer oder Katheter zu beseitigen, Bougirung
in der Regel entbehrlich. Die Erkrankungen der Tube haben auch
fast ausschliesslich am pharyngealen oder am tympanalen Ende ihren
Sitz, wie schon Schwartze angegeben. Paracentesen des Trommelfelles
wurden hier nicht eben häufig ausgeführt und waren nie von Entzündung
oder Eiteruug gefolgt.
Die Otit. med. katarrhal. acut. oder subacut. lässt B. nur
als graduell — nicht als wesentlich verschieden gelten von der rein
eitrigen acuten Entzündung. Die Beschaffenheit des Secrets und der
Mikroorganismen ist in beiden identlsch, doch ist bei den purulenten
Formen die Schleimhaut des Mittelohres nicht mehr im Stande die
Secretmassen wieder zu resorbiren, und es kommt zum Durchbruch durch
das Trommelfell bezw. zu länger währender Eiterung. Nur in Fällen
letzterer Art kann dann eine Zersetzung der Secrete eintreten in Folge
Eindringens von Fäulnissbacterien vom Meatus aus. Gegen das Herein-
gelangen von solchen vom Nasenrachenraume her schützt das
Flimmerepithel der Tubenschleimhaut. Diese Erkenntniss
ist von Wichtigkeit für das therapeutische Handeln: Sondiren der Tube
Besprechungen. 85
und Injection von Flüssigkeiten vom Nasenrachen aus widerräth B. in
den betreffenden Fällen, während er von Katheter und Politzer nur
Vortheile gesehen hat.
Im Gegensatze zur acuten ist die chronische Form nichteitriger
Mittelohrentzündung bei Kindern sehr selten (nur 6,5°/,), meist ist sie
doppelseitig (87 °/,). Was überhaupt als Otitis media chronic. katarrhal.
bezeichnet werden soll, darüber gehen die Ansichten der otologischen
Statistiken soweit auseinander, dass die eine 15, eine andere 51°/, aller
Ohrenkrankheiten dazu rechnet. Hier befinden wir uns gerade bei einem
derjenigen Kapitel unserer Disciplin, in welchen B. bahnbrechend ge-
arbeitet hat. Er hat gezeigt, dass hier, wo oft genug weder Spiegel
noch Katheter einen Anhalt zur Beurtheilung liefern, die genaue
Functionsprüfung (richtiger müssen wir leider auch heute noch
sagen: Hörprüfung) uns einen sicheren differentialdiagnostischen Auf-
schluss ertbeilt. Finden sich am Trommelfell Einsenkungserscheinungen,
so steht ihnen ein besonderer Werth bezüglich der Diagnose und Therapie
nach B. zu. Fehlen sie, so kann nur eine sorgfältige Hörprüfung
(Flüstern, Bestimmung der unteren Tongrenzen für Luftleitung, Schwa-
bach, Rinne, Galton, Tonlücken .und last not least Weber)
die Diagnose sichern. Im Gegensatze zu manchen Öhrenärzten misst
B. dem Weber’schen Versuche hier nur geringen Werth bei. In
Fällen zweifelloser patholog. Veränderungen im Mittelohr, nämlich bei
Residuen abgelaufener Eiterungen, erhalten wir die gleichen Resultate
der Functionsprüfung, wie bei den sog. trockenen chron. Katarrhen,
nämlich Heraufrücken der unteren Tongrenze für die Perception in
Luftleitung, äbernormale Perceptionsdauer bei DV, sowie Rinne verkürzt,
in der Regel nicht mehr verkürzt +4, sondern schon —, um so nega-
tiver, je tiefer der Prüfungston in der musikalischen Scala steht, bis
zu — 8, d. h. Fehlen der Luftleitung. Schon die Verlängerung der
Knochenleitung über die Norm muss ja den positiven Werth des Rinne
verkürzen.
Nun ist aber nach B. nicht einzusehen, wesshalb bei chronischen
nicht eitrigen Erkrankungen der gleiche Symptomencomplex nicht auf
den gleichen Ort und Sitz der Krankheit hinweisen sollte, mit anderen
Worten: dass nicht dieser Complex pathognomonisch wäre für
Erkrankungen des Schallleitungsapparates.. Und diese diagnostische
Characteristik wird um so sicherer, als bei Affectionen des nervösen
Theiles des Hörorganes ein ganz anderes Bild der Functionsstörungen
erscheint.
86 Besprechungen.
Otit. med. chron. simpl. mit Einsenkungserscheinungen fand B.
bei 3°/,, solche ohne Einsenkung des Trommelfells (also sog. Sclerosen),
bei 7°/, aller Kranken, fast ausschliesslich bei Erwachsenen und meist
doppelseitig. Ausserdem wirft er in eine dritte Gruppe als Dysakusis,
mit 4°/, der Gesammtzahl, alle die Fälle, in welchen aus irgend einem
Grunde eine characteristische Form von Mittelohr- oder nervöser Erkran-
kung nicht gefunden werden konnte. Die wissenschaftlich interessanteste
ist z. Z. die zweite dieser drei Gruppen. Auffallend ist bei derselben, die
sich schon diagnostisch so scharf abhebt, die erwähnte geringe Bethei-
ligung des kindlichen Alters, ihr vorwiegendes Auftreten bei Erwachsenen
der ersten Decennien, unter 50 Jahren, sowie ferner das Ueberwiegen
des weiblichen Geschlechtes. Hier spielen wohl Gravidität und Puer-
perium eine ätiologische Rolle. (Die in diese Gruppe gehörenden
Kranken jenseits des 50. Lebensjahres sind nach der Ansicht des
Ref. in der von B. mit Dysakusis bezeichneten Sammelgruppe zu suchen,
"in welche sie ‘wegen Uebergreifens der Erkrankung auf das Labyrinth
geworfen wurden.) Auch die Erblichkeit überragt in dieser Abtheilung
an Frequenz alle anderen Arten von Öhrenleiden, öfter finden sich auch
subjective Geräusche, zuweilen Schwindel. Pathologisch-anatomisch fand
B. in den fünf bis nun klinisch und anatomisch genau untersuchten
Fällen der hier besprochenen Art stets Ankylose der Stapesplatte bei
intactem Zustande des übrigen Mittelohres. Die Untersuchungen stimmen
mit jenen anderer Autoren, so besonders Politzer’s, vollkommen
überein, wenn gleich von anderer Seite keine so exacten klinischen
Beobachtungen vorliegen.
Somit wäre es richtiger, diese zweite Gruppe der Otit. med.
katarrh. chronic. ganz von den katarrhalischen Erkrankungen des Ohres
abzutrennen und als »Sclerosirungsprocesse am Schallleitungsapparate mit
negativem Befund am Trommelfell« zu bezeichnen, wobei man sich
gegenwärtig zu halten hat, dass der pathologische Process in der Regel
an der Stapesplatte abläuft. Und diese Gegend müssen wir dem Schall-
leitungsapparate zurechnen. Ref. ist der Ueberzeugung, dass wenn der
geehrte Verf. den Pressionsversuch unter seine diagnostischen Methoden
aufnehmen würde, er, wie wir auf unserer Klinik seit längerer Zeit
thun, diese Fälle statt des langen Namens kurzweg mit der Bezeichnung
»Stapesankylose« belegen würde. Die complicirten Fälle, die sich indess
durch die Functionsprüfung noch recht wohl analysiren lassen, tragen
wir hier als »Stapesankylose mit Labyrintherkrankung« ein. Denn das
Labyrinth ist, wie B. seine Sectionsergebnisse lehren, oft betheiligt;
Besprechungen. 87
er findet dann bei der Hörprüfung eine Einengung der oberen Ton-
grenze. |
Physiologisch betrachtet zeigen alle diese Beobachtungen, dass
gerade die Wahrnehmung des tieferen Theiles der Scala in der gewöhn-
lichen Form der Zuleitung an eincn intacten Leitungsapparat gebunden ist.
Therapeutisch führt die von B. gewählte Unterscheidung zur Be-
handlung der zweiten Gruppe mit Drucksonde, Raréfacteur und Katheter
unter Ausschluss operativer Eingriffe, welche nach seinen Erfah-
rungen die schlechte Prognose nicht bessern. Günstiger ist diese, wo
Einsenkungserscheinungen bestehen, wo also die Luftdouche noch mehr
nützen kann.
Otit. med. purulenta. Als wesentliches Unterscheidungsmerk-
mal zwischen acuten und chronischen Formen gilt B. nicht die Dauer
der Erkrankung und nicht der Umfang der Trommelfellperforation,
sondern die Neigung der letzteren zum Offenbleiben oder Wiederverschluss.
Darum rechnet er auch die phthisischen Eiterungen von Anfang an zu
den chronischen. Natürlich kommt es auch bei einer Purulenta chronica
gelegentlich zum Verschluss der Perforation, selbst einer recht grossen.
Die acute eitrige Entzündung des Mittelohrs einschliesslich des
Empyems des Warzenfortsatzes ist bei Kindern ziemlich häufig — über
40°/, — und findet sich meist einseitig. Acute genuine Mittelohr-
eiterung bei Erwachsenen hat B. nie sich wiederholen sehen im Gegen-
satze zu der häufig recidivirenden bei Tubenprocessen der Kinder. Bei
sonst Gesunden ist und bleibt die Trommelfellperforation klein. Dauert
die Eiterung länger, so kommt es leicht zu einem Hervorwuchern der
Paukenschleimhaut über die Ränder der Oeffnung. Bei schweren All-
gemeinerkrankungen, besonders marantischen Charakters, fehlt diese
Erscheinung gewöhnlich. Der Sitz der Perforation bei acuten Eiterungen
ist nach B. in der Regel nicht, wie meist gelehrt wird, im vorderen,
sondern im hinteren unteren Quadranten. Einen Durchbruch durch die
Membr. Shrapnell. hat B. bei acuter Eiterung nie entstehen sehen. Von
neuem macht er hier vom ätiologischen Standpunkte auf die schädliche
Wirkung der Weber’schen Nasendouche aufmerksam, deren Gebrauch
er thunlichst eingeschränkt wissen will. Bei Betheiligung des Warzen-
fortsatzes kann die Eiterung in der Pauke aufhören, die Perforation sich
schliessen, während sie dort selbständig weiterspielt. Dass überhaupt
primär eine Suppuration des Warzenfortsatzes eintrete, zögert B. anzu-
nehmen. Die secundäre Betheiliguug ist wohl häufiger als man gemein-
88 Besprechungen.
hin annimmt, und wenn die meisten Fälle ohne operative Eröffnung des
Knochens und ohne schwere Complicationen ausheilen, so liegt dies nach
B. an den räumlichen Verhältnissen der pneumatischen Zellen: eine er-
hebliche Zahl kleiner Zellen, also eine grössere Ausdehnung der Schleim-
hautoberfläche begünstigt die Resorption der Secrete, wenige und grosse
Zellen disponiren zu selbständiger Fortdauer der Eiterung in letzteren.
Der Durchbruch des Eiters nach der Knochenoberfläche erfolgt meist
an der von B. als Fossa mastoidea bezeichneten Stelle über dem hinteren
Ende des Antrum. Nicht so gar selten wird die andere, nach Bezold
benannte Art des Durchbruches an der unteren Fläche des Proc.
mastoid. beobachtet.
Als Otitis media purulenta chronica bezeichnet B. in
seinen Statistiken die Fälle, in welchen zur Zeit der Aufnahme die
Eiterung noch vorhanden war; die abgelaufenen werden besonders
‚registrirt. Etwa 17°/, aller Erkrankungen gehören hierher, meist
Erwachsene betreffend, mehr einseitig vorkommend. Durchweg bei ver-
nachlässigten chronischen Formen findet man den Foetor. Granula-
tionsbildungen und Sclerosirung der Knochen sind zwar an sich Schutz-
vorrichtungen des Organismus, können aber dessenungeachtet in mannig-
facher Weise nachtheilig wirken. Letzterer Process findet sich regel-
mässig — ausgenommen dyskrasische, besonders phthisische Kranke —
bei den chronischen Eiterungen des Mittelohrs.
Die Perforationen des Membran. Shrapnelli werden, obwohl Moos
ihnen schon 1866 besondere Beachtung geschenkt, erst seit etwa einem
Jahrzehnt sorgfältiger studirt. Sie sind oft mit Tubenprocessen com-
binirt oder deren Folge und anderseits selbst wieder die gewöhnliche
Ursache eines Cholesteatoms des Kuppelraumes und weiterer Hohlräume,
In 1°/, seiner Fälle fand B. Cholesteatom vor, meist bei Er-
wachsenen und einseitig. Doch drückt diese Ziffer noch nicht die
Häufigkeit aus, in welcher geschichtete Epidermislamellen gefunden
werden, die im Mittelohr entstanden sind. Nicht immer ist gerade der
obere Rand des Trommelfelles und der benachbarte Knochen zerstört:
auch’ der hintere, selten der vordere obere Theil des Margo tympanicus
können die Eintrittspforte der deletären Veränderung abgeben. Stets
aber befindet sich die Perforation am Rande des Trommelfells, sodass
die Epidermis des Gehörgangs sich contiguirlich nach den Mittelohr-
räumen fortsetzen kann. Mag auch diese Epidermisumwandlung wieder
eine Art von Schutzeinrichtung sein, sofern Epidermis: äussere Schäd-
lichkeiten besser abhält als Mucosa, so wird sie doch verhängnissvoll
Besprechungen. 89
in Hohlräumen, in welchen die abschuppenden Hornhautmassen nicht
entleert werden, sondern sich concentrisch zu Cholesteatom zusammen-
‘ ballen — also in Räumen mit engen Ausmündungsöffnungen. Aber
nur dann kommt es zu stärkerem Anwachsen dieser Massen und zu
weiteren Störungen, wenn sie durchfeuchtet sind, aufquellen und einen
Druck auf die umgebenden Knochenwände ausüben, wenn sie sich zer-
setzen und so zu fortdauender Eiterung Anlass bieten.
Perforationen der Shrapnell’schen Membran und
Cholesteatom fordern unter allen Ohrenkrankheiten die
meisten Menschenleben.
Seit 1881 verzeichnet B. die Otitis media purulenta phthi-
sica getrennt für sich, bis jetzt in 0,7°/, aller Ohrkranken, in 4,4],
der chronischen Eiterungen, meist bei Erwachsenen, in ?/, einseitig. Nach
ihren Symptomen steht diese Form mitten inne zwischen acuter und
chronischer Purulenta. Eiterung und Perforationsbildung setzen zwar
acut ein, aber es fehlen die übrigen Qualitäten, rubor, tumor, dolor.
Dazu kommt die rasch fortschreitende Zerstörung des Trommelfells von
einer oder mehreren kleinen Perforationen aus, der Zerfall der Gelenke,
der Binnenmuskelsehnen, des Knochens selbst. Sodann fehlt die gesunde
Reaction der betroffenen Gewebe gegen die verheerenden Schädlich-
keiten; Schleimhautschwellung, Granulationsbildung, Sclerosirung des
Knochens, Epidermisirung der Schleimhaut. — all’ dies bleibt aus.
Höchstens findet sich ein fibrinöses Exsudat an einzelnen Stellen. Doch
die Tuberkelbacillen können nicht als Ursache dieses hilflosen Zustandes
des Organismus angeklagt werden. Denn unter Anwesenheit derselben
trifft man bei scrophulösen Kindern Caries und Nekrose mit üppig schwel-
lenden Granulationen, mit nachfolgender Sclerose der Knochen und mit
Epidermisirung der Schleimhaut. Hier liegt vielmehr der reducirte
Stand marantischer Ernährungsverhältnisse vor, wie sie ähnlich bei ver-
schiedenen Infectionskrankheiten, wie sie sich bei Diabetes, bei Marasmus
senilis wiederfinden und analoge Erscheinungen bieten. Unter Umständen
handelt es sich wohl auch um eine angeborene geringere Widerstandskraft
des Organismus überhaupt.
Bei sämmtlichen Formen acuter und chronischer Eiterung kann es
zu Caries und Necrose kommen, die deshalb von B. nicht besonders
rubricirt sind.
Therapeutisch sind die Ohreiterungen insgesammt dankbare
Objecte — und wichtige zugleich, wegen der Nähe der Schädelhöhle.
90 Besprechungen.
B. hat bis heute die Borsäurebehandlung bewährt gefunden und sich
von ihr trotz aller Angriffe nicht abdrängen lassen. Er kennt nur
eine Gegenindication gegen diese Pulverbehandlung, den Ausbruch des
schon erwähnten Borkzems. Natürlich operirt auch B. in acuten Fällen
am Wearzenfortsatz so oft es nöthig fällt und sieht, gleich Anderen,
in diesen Fällen die besten Resultate. Bei chronischen Eiterungen
mit Perforation der Shrapnell und mit Cholesteatom rühnıt der Verf.
noch gleich lebhaft die Paukenausspülungen mit Borinsufflationen, eine
Methode, welche ihm viele Otiater mit gleich günstigem Erfolge nach-
gemacht haben. Bei der operativen Behandlung des Cholesteatoms
plaidirt auch er für die Anlegung permanenter Oeffnungen hinter der
Muschel, wenn es sich um grosse Höhlen handelt, sowie für die Er-
haltung der Matrix (nach Siebenmann) und operirt im Uebrigen nach
Zaufal. Während man hier in 4—6 Wochen Heilung einteten sehen
kann, verlaufen die wegen Caries operirten Fälle. (von Tuberkulose,
Scrophulose, Rachitis, Lues hereditar.) viel langsamer, oft Jahre bean-
spruchend.
Bei reinen Otalgien fand B. in etwa 40 °/, Zahncaries als Ursache,
etwa ebenso oft konnte keine solche ermittelt werden.
In einem besonderen Abschnitte werden die Beobachtungen über
Scharlach mitgetheilt, die sich auf fast 1000 Gehörorgane erstrecken.
Zu allermeist sind es chron. Eiterungen, zum kleineren Theile Residuen
von solchen, persistirende Perforationen oder Narben. Dass eine sach-
gemässe Behandlung meist erst dann eintritt, wenn die Eiterung chronisch
geworden ist, das stellt, wie B. mit Recht beklagt, ein trauriges Zeichen
der Nachlässigkeit sowohl seitens des Publicums als von Seiten vieler
nicht besser unterrichteter Aerzte dar. Zur Begründung dieses harten
Urtheiles braucht nur erwähnt zu werden, dass in der Hälfte aller
Scharlachfälle der grösste Theil des Trommelfells zerstört war, dass eine
totale Zerstörung desselben bei acuten Fällen in 8°/,, dagegen in
chronischen, d. h. spät in Behandlung kommenden, in 34°/,, dass
Verlust von Gehörknöchelchen in 5°/, acuter, dagegen in 23°/, chro-
nischer Eiterung eintrat, und dass Taubheit, bei manchen Kindern Taub-
stummheit in 4!/,°/, der acuten, in fast 16°/, der chronischen Scharlach-
eiterungen aufgezeichnet wurde! Welch’ grosses Gebiet segensreicher
Thätigkeit für den practischen Arzt, den Hausarzt! Denn dieser müsste
eigentlich gerade die acuten Processe besonders im Gefolge der acuten
Infectionskrankheiten beobachten und behandeln. »Eine nothwendige
Voraussetzung hiefür ist es aber, dass sämmtliche Aerzte nicht nur
Besprechungen. 91
theoretisch, sondern auch praktisch auf der Universität mit Ohrenheil-
kunde soweit sich beschäftigt haben, dass sie zum Wenigsten mit der
Beurtheilung und Behandlung der am häufigsten vorkommenden Erkrank-
ungen dieses Gebietes vertraut sind.« (S. 174.)
Fürwahr ein zwingenderes Argument für die Nothwendigkeit ie
otologischen Unterrichtes als die- obige trockene Statistik kann nicht
wohl beibebracht werden.
- III. Ueber 10°/, des gesammten Bezold’schen Materiales betreffen
Erkrankungen des inneren Ohres, meistens bei Erwachsenen, etwas
häufiger doppelseitig. Bei der Diagnose sind wir hier ganz auf die
functionelle Prüfung angewiesen. Mit: Sicherheit nimmt B.: nervöse
Erkrankung an, wenn andauernde und vollkommene Taubheit besteht.
"Auch Schwerhörigkeit mit mangehafter Sprache rechnet er hierher, des-
gleichen Klagen über subjective Geräusche ohne Herabsetzung der
Hörschärfe. 5°/, aller Ohrenkranken hatten ihre nervöse Schwerhörig-
keit erworben, nach der letzten Statistik sogar fast 7°/,. Die
Diagnose musste meist — mangels ätiologischer Momente zu ihrer Stütze
— ailein per exclusionem gestellt werden. Das heisst die für Mittel-
ohrleiden bezeichnende diagnostische Gruppe: verlängerter Schwabach,
negativen Rinne und Ausfall der tiefsten Töne in Luftleitung werden hier
nicht nur nicht beobachtet, sondern schlagen vielmehr constant in das
Gegentheil um. Wir treffen also bei Erkrankungen des inneren Ohres:
verkürzten DV, positiven Rinne und Erhaltensein der tiefen Töne in der
aöro-tympanalen Zuleitung. Dagegen sind ausgesprochene Tonlücken,
namentlich im oberen Theile der Scala, selten, meist nur bei Taub-
stummen vorhanden.
Wie ein rother Faden durchzieht dieses Werk die stets wieder-
kehrende Mahnung B.’s, die functionelle Prüfung nicht zu verabsäumen,
und speciell in dem vorliegenden Abschnitte verdichtet sich dieselbe zu
einer bei dem Autor ganz ungewohnten Polemik, welche der geneigte
Leser im Original kennen lernen mag.
Schwere Störungen nach Meningitis sah B. bei 126 Kranken,
nach Mumps bei 11, die meist erst als Erwachsene zur Untersuchung
kamen.
Die Werthmessung der bei nervösen Affectionen des Ohres gebräuch-
lichen Heilmittel, diaphoretische Curen, besonders Pilocarpin, sodann
Jodkali, wird durch die zuweilen spontan eintretende Besserung er-
schwert — wiederum ein Unterscheidungszeichen gegenüber den sclero-
92 Besprechungen.
tischen Processen im Mittelohr, die nennenswerthe Rückgänge nicht auf-
weisen.
Von malignen Neubildungen beobachtete B. 3 Sarcome und
4 Carcinome.
Der Verf.. bezeichnet es in der Einleitung zu dem vorstehend —
nur höchst lückenhaft — skizzirten Werke als eine Aufgabe desselben
zu zeigen, wie bei seiner Beobachtungsmethode neue theoretische und
practische Gesichtspunkte auf den verschiedenen Zweigen der Disciplin
sich gewinnen lassen. Diese Aufgabe ist dem Verfasser in reichem
Maasse geglückt. Jeder, der Belehrung annehmen will, wird vielerlei
Anregung aus dem Buche schöpfen.
Seine vortreffliche Ausstattung ist eine des Bergmann’ schen
Verlages würdige.
DEUTSCHE OTOLÖGISCHE GESELLSCHAFT.
Die vierte Versammlung der Deutschen Otologischen Gesell-
schaft wird in diesem Jahre | °
am 1. und 2. Juni in Jena
` stattfinden.
Diejenigen Herren Collegen, welche Vorträge oder Demonstra-
tionen zu halten beabsichtigen, werden gebeten, ihre Themata bis
zum 30. April d. J. an den Unterzeichneten gelangen zu lassen.
Anmeldungen zur Aufnahme in die Gesellschaft sind gleichfalls
an den Unterzeichneten zu richten.
Das ausführliche Programm wird Anfang Mai versendet werden.
| im Namen des Ausschusses:
Göttingen, den 15. März 1895. der Ständige Secretär:
Prof. Dr. K. Bürkner.
Diejenigen Herren Theilnehmer, welche bei dieser Versammlung
Vorträge halten, werden freundlichst ersucht, im Interesse einer raschen
und genauen Publication ein kurzes Autoreferat an den Unterzeichneten
gefälligst einsenden zu wollen. Moos.
e
Der fünfte internationale otologische Congress
findet vom 23. bis 26. September 1895 in Florenz statt,
Präsident: Professor V. Grazzi in Florenz, Borgo dei Greci No. 8.
Secretär: Dr. T. Bobone in San Remo,
Í Redactionelle Mittheilung.
Der grosse Zufluss von Material hat es in den letzten Jahren un-
möglich gemacht sämmtliche Artikel’ sowohl in der deutschen als in
der englischen Ausgabe der Zeitschrift erscheinen zu lassen, und es
werden daher auch künftig volle Uebersetzungen nur ausnahmsweise und
abgekürzte nur in dem’ Maasse stattfinden können, als es der verfügbare
Raum gestattet.
. Um aber Prioritätsrechte zu wahren und den Lesern einer Ausgabe
der Zeitschrift Kenntniss von dem Inhalte der anderen zu geben, sollen
künftig die Titel aller Artikel der einen Ausgabe in dem nächsterscheinenden
Heft der anderen abgedruckt werden. Ausserdem werden alle Artikel
beider Ausgaben in dem vierteljährlich erscheinenden systematischen. Be-
richt über die Fortschritte der Ohrenheilkunde berücksichtigt werden.
Sonderabzüge sämmtlicher Original-Artikel der englischen Ausgabe
sind bei dem Verleger der deutschen niedergelegt und können leihweise
von demselben bezogen werden.
H. Knapp. S. Moos.
=
Todesanzeige.
I iu ———
Am 15. Juli dieses Jahres verschied nach langem, qual-
vollen Leiden, im 65. Lebensjahre,
Dr. Samuel Moos,
der Mitbegründer und ständige Mitherausgeber dieser Zeit-
schrift. Er war ein Mann von aussergewöhnlicher Begabung,
seltenem Fleisse, peinlicher Gewissenhaftigkeit und weit-
gehender allgemeiner und medicinischer Bildung. Vollständig
bewandert und thätig in allen Zweigen der Ohrenheilkunde,
pflegte und förderte er mit Vorliebe gerade deren schwierigstes
Gebiet, die pathologische Anatomie des Labyrinthes.
Durch eigene Arbeit schwang er sich vom Dorfschüler
empor zum Universitätsprofessor, welchen, in Anerkennung
seiner Verdienste, der Landesfürst mit dem Titel Hofrath
auszeichnete. Von Kindheit auf an Entbehrungen und An-
strengungen gewöhnt, erlahmte er nie in der Erfüllung
seiner Pflichten, wiewohl er seit langen Jahren mit einer
schwächenden Krankheit zu kämpfen hatte. Sein Beispiel
zeigt, dass auch einer reichlich mit Dornen besetzten und
von Steinen verlegten Laufbahn die Krone des Erfolges
nicht versagt ist.
Seine wissenschaftlichen Leistungen und seine Verdienste
um diese Zeitschrift werden wir später zu würdigen suchen.
New-York, den 31. Juli 1895.
Hermann Knapp.
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A.Scheibe: Bildungsanomalieni. häut. Labyrinth b. Taubstummheit. 95
VIII.
(Aus dem histolog. Institut in München.)
Bildungsanomalien im häutigen Labyrinth bei
Taubstummheit.
Von A. Scheibe in München.
Der Redaction zugegangen am 19. Mai 1895.
Vor 4 Jahren habe ich in dieser Zeitschrift!) über die anatomische
Untersuchung eines Falles von Taubstummheit berichtet. Es fanden
sich neben hochgradiger Atrophie des Ramus posterior des Acusticus
(Nervus cochleae, sacculi und ampullae inferioris) beiderseits eigenthüm-
liche Veränderungen im häutigen Theil der Schnecke und des Sacculus,
welche als Bildungsanomalien gedeutet wurden. Das knöcherne Labyrinth
war normal entwickelt. Der Fall stand in der Literatur ganz ver-
einzelt da, wenn auch die Möglichkeit vorliegt, dass in einem Theil der
älteren Sectionen, bei welchen die histologische Untersuchung nicht ge-
macht worden ist, derartige Veränderungen übersehen worden sind.
Vielleicht erklärt sich so ein Theil der Sectionen mit negativem Befund
im Felsenbein, da gewiss diese Fälle nicht alle cerebralen Ursprungs sind.
In den letzten Jahren habe ich Gelegenheit gehabt, zwei weitere
mir von Prof. Bezold gütigst überlassene Fälle von Taubstummheit
anatomisch zu untersuchen und in dem einen derselben mit Ausnahme
kleiner Abweichungen genau derselben Befund erhalten und zwar eben-
falls in beiden Ohren.?) Durch die Wiederholung gewinnt der Befund
an Bedeutung.
Michel J., Gütlerssohn, 11 J. alt, von Traunstein, starb am 12. December
1893 unter Suffocationserscheinungen, nachdem er 6 Wochen vorher an Scharlach-
Diphtherie und Hydrops erkrankt war. Er war Schüler des hiesigen Taub-
stummeninstituts. Mittelmässig talentirt. Sprache nicht gut. Höchst aufge- _
regter Natur. Nach Angabe der Eltern taub durch „Fraisen“ nach dem ersten
Lebensjahre. Im bezirksärztlichen Zeugniss dagegen ist angegeben, dass nn
taub geboren ist. Seine zwei Geschwister hören.
1) XXII. Bd., 1. u. 2. Heft.
2) Der Fall wurde auf der vorjährigen Versammlung Deutscher Natur-
forscher und Aerzte in Wien durch Verlegung von Zeichnungen und histologi-
schen Schnitten demonstrirt.
Zeitschrift für Ohrenheilkunde. Bd. XXVII. 7
96 A.Scheibe: Bildungsanomalien i. häut. Labyrinth b. Taubstummheit.
Die Section wurde am Tage nach dem Tode vorgenommen und be
schränkte sich auf den Kopf. Die weichen Hirnhäute zeigen auf der ganzen
Convexität beiderseits starke weissliche Trübungen, welche über den Sulci die
Häute mehr oder weniger vollständig undurchsichtig erscheinen lassen. An der
Basis verliert sich die Trübung allmälig. In der Umgebung der Austrittsstelle
des Facialis und Acusticus aus der Medulla oblongata ist keine Veränderung
vorhanden. Das .Gehirn erscheint im Ganzen ziemlich blutleer, nur an den
Occipitallappen zeigen die venösen Gefässe stärkere Füllung. Formdifferenzen
des Gehirns zwischen der rechten und linken Seite sind nicht erkennbar. Die
Dura über den Pyramiden ist normal. Die Acustici anscheinend nicht ver-
schmälert. |
Section der Schläfenbeine. Bei der Herausnahme des rechten
' Schläfenbeins in Keilform wurde die knorplige Tuba an ihrem unteren Ende
abgeschnitten. Der Durchschnitt erscheint normal, das Lumen leer. Der Nasen-
rachenraum, soweit er am Präparat mit entfernt ist, enthält gewaltig entwickelte
adenoide Vegetationen, welche in grossen Lappen herunterhängen. Während
des Lebens war zwar oft, aber nicht ausschliesslich Mundathmung beobachtet
worden. Links wurden Mittelohr mit dem Trommelfell und Pyramide heraus-
gemeisselt.
Linkes Schläfenbein: Das Trommeltell, von aussen Feehan: zeigt eine
stark ausgesprochene hintere Falte. Die Membrana Shrapnelli ist stark einge-
sunken und ebenso wie die hintere Zone des Trommelfells röthlich durchscheinend.
Nach Entfernung des Tegmen tympani und antri findet sich die Schleim-
haut insbesondere im Aditus und Antrum ziemlich stark hyperämisch, aber nur
mässig geschwellt. Besonders erscheint ein durch das Antrum laufender centraler
Strang, der nach allen Seiten Fäden abgiebt, etwas succulent und grauröthlich.
In der hinteren Partie und aın Boden der Paukenhöhle findet sich glasig durch-
sichtiger, theilweise blutiger Schleim. Die Mucosa der Paukenhöhle ist weniger
geröthet, und in der knöchernen Tuba verliert sich die Injection ganz, und die
Schleimhaut erscheint normal. Trommelfell nicht wesentlich verdickt. Das
Stapes-Köpfchen ergiebt bei der Sondirung normale Bewegungsverhältnisse.
Rechtes Schläfenbein: Dura, Aquaeducte und Porus acusticus internus
zeigen auch hier keine Veränderung. An der Aussenfläche des Trommelfells ist
‚eine Andeutung von hinterer Falte vorhanden. Der hintere untere en des
Trommelfells zeigt eine Beimischung von gelb.
Nach Entfernung des Tegmen tympani finden sich Paukenhöhle, Aditus
und Antrum vollständig gefüllt mit dickem zähen Eiter, der an einer Stelle ein
‚kleines Streifchen Blut enthält. Die Schleimhaut der Paukenhöhle, des Aditus
und Antrum ist ziemlich stark verdickt, grauroth, succulent und leicht granu-
lirend. Hammer und Amboss sind vollständig in der succulenten Schleimhaut
eingebettet. Die Trommelfellschleimhaut ist nicht wesentlich verdickt und zeigt
nur einige radiäre Gefässchen. Ebenso ist die Schleimhaut der knöchernen Tuba
frei von Schwellung und Injection. Auf dem Promontorium ist die Schleimhaut
ziemlich verdickt und granulirend. Sie füllt die Nische des runden Fensters
so ziemlich aus und umhüllt das Köpfchen des Steigbügels. Die Bewegung des
Steigbügels erweist sich wie links normal.
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A.Scheibe: Bildungsanomalien i. häut. Labyrinth b. Taubstummheit. 97
= Auf der Durchsägungsfläche der Pars mastoidea kommt beiderseits nur
ziemlich hyperämische epongióse Substanz ohne pneumatische’ Zellen zum Vor-
schein.
Es fand sich also im Mittelohr bidei eine frische Entzündung, wie
das nach unserer Erfahrung bei Scharlachsectionen zur Regel gehört.
Zur Untersuchung des Labyrinths wurden die mir von Prof. Bezold
übergebenen Felsenbeine in Müller’scher Flüssigkeit und Alcohol gehärtet, mit
50/, Salpetersäure entkalkt und nach den bekannten weiteren Manipulationen
in Serienschnitte zerlegt.
Aus der histologischen Untersuchung des Mittelohrs wären erwähnenswerth
zahlreiche drüsenähnliche, mit flachem Epithel ausgekleidete Gebilde in der
Schleimhaut von der Tuba bis ins Antrum, deren Ausmündung an die Oberfläche
sich in vielen Schnitten verfolgen lässt. Ihr Inhalt ist eine klare z. Th. fädige
Masse mit einzelnen sternförmigen Zellen. Unabhängig von der Entzündung
fand sich: im Mittelohr nur eine Hypoplasie und theilweise Degeneration des
Musculus tensor tympani wie auch in dem früheren Fall von Taubstummbeit.
Histologische Untersuchung des Labyrinths: Der. Hörnerv, welcher
ausserhalb des Schläfenbeins anscheinend normal war, weist im Labyrinth
atrophische Veränderungen auf, die sich in diesem Falle auf einen Theil des
Ramus posterior, den Schneckenäst, beschränken und zwar in der Hauptsache
auf die erste Windung. In der zweiten Windung füllen die Nervenfasern die
Lamina spiralis ossea schon fast ganz und in der dritten vollkommen aus. Dem-
entsprechend färben sich die erhaltenen Fasern nach Weigert’s Methode auch
nur in der Spitzenwindung annähernd normal und in der Basalwindung‘, wo sie
sehr spärlich sind, fast gar nicht. Das Ganglion spirale betheiligt sich eben-
falls nur in der ersten Windung an der Atrophie. Lücken wie in dem früheren
Fall finden sich nicht im Rosenthal’schen Canal.
Das Corti’sche Organ ist im grössten Theil der Basalwindung nur an-
gedeutet; in den oberen Windungen ist es zwar: niedriger als normal, zeigt aber
seine gewöhnliche Gestalt.
Unser Hauptinteresse nehmen die Veränderungen an der Corti-
schen Membran und an der Stria vascularis in Anspruch. !)
Die Corti’sche Membran zeigt beiderseits nur auf einigen kurzen Strecken
normalen Bau, bleibt aber auch hier hinter der gewöhnlichen Grösse
zurück. In der ganzen übrigen Schnecke aber ist die sonst hüllenlose
Membran von einer kernhaltigen Hülle umgeben und liegt zusammeu-
gerollt als Rudiment im Sulcus spiralis internus oder zum’ Theil auch
auf den Huschke’schen Zähnen, ohne deutlich an einer Stelle zu
inseriren.
1) Zur leichteren Orientirung empfiehlt es sich, die der Beschreibung .des
ersten Falls beigegebenen Abbildungen zu vergleichen. Diese Ruh: XXII: Bd.,
Tafel I.
7*
98 A.Scheibe: Bildungsanomalien i. häut. Labyrinth b. Taubstummheit.
Auch die Stria vascularis zeigt fast in der ganzen Schnecke abnormes
Verhalten. Am häufigsten sieht man Schnitte, in denen sie hypertrophisch
ist und entweder knopfförmig oder blasenförmig in das Lumen des
Ductus cochlearis vorspringt. Die blasenförmige Abhebung der Stria
besteht, wenigstens auf ihrer Höbe, nur aus einer Reihe niederer Zellen,
ebenso wie die Hülle der Corti’schen Membran. Man kann nun in
Serienschnitten verfolgen, wie sich von der Corti’schen Membran ihre
Hülle abhebt, und wie sich diese Abhebung und die der Stria immer
mehr gegeneinander zuspitzen und schliesslich in einander übergehen.
So wird eine abnorme, aus zwei kernhaltigen Membranen bestehende
Brücke zwischen Sulcus spiralis internus und Ligamentum spirale ge-
bildet, zwischen deren zwei Blättern das eingerollte Rudiment der
Corti’schen Membran liegt, indem es sich mehr oder weniger weit vom
Sulcus spiralis internus weg nach dem Ligamentum spirale zu entfernt.
Diese abnorme Brückenbildung kommt nicht nur einmal vor, sondern
wiederholt sich mit ihren Uebergängen an verschiedenen Stellen der
Schnecke ganz in der gleichen Weise.
Die Reissner’sche Membran ıst nach dem Ductus cochlearis zu
deprimirt und liegt theilweise den Gebilden des Ductus cochlearis sowie
der oben geschilderten Brücke so dicht an, dass es scheint, als ob sie
mit denselben verwachsen wäre. Das Ligamentum spirale ist nicht
wesentlich verändert.
Im Gegensatz zur Schnecke sind Vorhof und Bogengänge
ebenso wie beide Aquaeducte normal entwickelt. Nur einige hyaline
und Colloidkugeln im Neuroepithel wären zu erwähnen.
Entzündungserscheinungen oder Producte früherer Entzündung finden
sich nirgends im Labyrinth.
Wenn wir den Befund des vor 4 Jahren und des eben beschriebenen
Falles kurz recapituliren und mit einander vergleichen, so findet sich
bei beiden im Mittelohr eine Hypoplasie des Musculus tensor tympani
und im Labyrinth neben Acusticusatrophie und geringerer Ausbildung
resp. Degeneration .des Corti’schen Organs eigenthümliche Veränderungen
an der Membrana Corti und an der Stria vascularis, welche nach ihrer
Beschaffenheit nur als. Bildungsanomalien aufgefasst werden können.
Der Umstand, dass diese Abnormitäten ganz in der gleichen Weise bei
zwei‘ Taubstummen wiederkehren, und dass sie bei beiden doppelseitig
sind, spricht dafür, dass eine Entwicklungshemmung vorliegt. In dem
r
A.Scheibe: Bildungsanomalien i. häut. Labyrinthb. Taubstummheit. 99
ersten Fall ist ausserdem im Sacculus an Stelle der normal zellenlosen
Ötolithenmembran eine zellenhaltige Hülle vorhanden, welche der Macula
acustica in Pilzform aufsitzt und ungewöhnlicherweise trotz der Entkalkung
zahlreiche gut erhaltene Otolithen einschliesst. Diese zellenhaltige Otolithen-
membran des Sacculus kann man ebenfalls nur als eine Abnormität in der
Entwicklung auffassen. Im Uebrigen unterscheiden sich beide Fälle nur
noch durch die verschiedene Ausdehnung der Nervenatrophie. Während
im ersten Falle die entwicklungsgeschichtlich zusammengehörigen Nerven
(der Schnecke, des Sacculus und der unteren Ampulle (Ramus posterior
nach Retzius) atrophisch sind, ist es im letzten Fall nur der
Schneckennerv.
Es handelt sich mithin bei beiden Fällen um angeborene Taub-
stummheit. Auch bei dem letzten, bei welchem zwar nach dem bezirks-
ärztlichen Zeugniss angeborene Taubheit vorliegt, nach Angabe der Eltern
aber die Taubheit in der frühesten Kindheit durch »Fraisen« entstanden
ist, finden sich nirgends im Labyrinth auch nur Spuren einer Entzündung.
Die Section ergab für beide Taubstumme keine weiteren Störungen
in der Entwicklung, wenn nicht die bei dem ersten Taubstummen im
Stirnhirn gefundenen Cysten als angeborene gedeutet werden müssen.
Wie verhalten sich nun die Resultate der Entwicklungsgeschichte
zu unserer Deutung der oben beschriebenen Befunde als Entwicklungs-
hemmung? Nach Kölliker wird zu einer gewissen Zeit des embryo-
nalen Lebens der Sulcus spiralis internus vollkommen ausgefüllt von
einem sehr hohen Epithel. Auf der Oberfläche desselben und der Crista
spiralis bildet sich die Membrana Corti als Cuticularausscheidung. Von
der Stria vascularis weiss man zwar, dass dieselbe beim Embryo als
Wulst in den Ductus cochlearis vorgewölbt ist, aber von einer Ver-
bindung der Stria vascularis mit der Gegend des Sulcus spiralis internus
resp. der Bildung der Corti’schen Membran aus der Stria ist in der
Entwicklungsgeschichte bisher nichts bekannt. Unser Befund, der durch
seine Wiederholung in vier Gehörorganen typisch ist, fordert dazu anf,
bei den entwicklungsgeschichtlichen Studien speciell auf diesen Punkt
zu achten.
Während in allen bisher bekannten sicher constatirten Fällen von
Missbildung des Labyrinths die knöcherne Kapsel betheiligt war, ist
durch unsere Fälle bewiesen, dass eine Entwicklungshemmung sich auch
auf den häutigen Theil des Labyrinths beschränken kann bei normaler
Ausbildung des knöchernen.. Theils.
100 A.Scheibe: Ein histolog. Beitr. z. Taubstummbheit d. Otitis interna.
IX.
(Aus dem patholog. Institut in München.)
Ein histologischer Beitrag zur Taubstummheit durch
| Otitis interna. |
Von A. Scheibe in München.
Der Redaction zugegangen am 19. Mai 1895.
Der Schüler der hiesigen Taubstummenanstalt Beck, 81/3 Jahre alt, er-
krankte an Scharlach-Diphtherie und erlag derselben am 17. November 1893.
Wie Herr Koller, Inspector des Taubstummeninstituts, die Güte hatte
mir mitzutheilen, ist Beck sowohl nach dem bezirksärztlichen Zeugniss als auch
nach den Angaben der Eltern im 4. Lebensjahre durch eine Hirnkrankheit taub
geworden. Heredität besteht nicht. Seine vier Geschwister hören gut. Der.
Verstorbene war sehr talentvoll. Die Sprache hat sich gut entwickelt.
Bei der am Tage nach dem Tode stattfindenden Section, welche auf den
Kopf beschränkt wurde, fanden sich an der Stirn im subcutanen Gewebe einige
kleine hämorrhagische Stellen. Meningen besonders nach rückwärts zeigen alle
Gefässe strotzend mit Blut gefüllt.
Dura über dem Schläfenbein, Porus acusticus und Sinus transversus bieten
nichts Abnormes. Trommelfellwölbung und -Aussenfläche beiderseits normal,
links im oberen Theil und dem Hammergriff entlang durchscheinende Röthung.
Rechts Paukenhöhle, Aditus und Antrum leer; Schleimhaut normal und
ohne wesentliche Injection. Im Antrum und in der Paukenhöhle einige zarte
Schleimhautduplikaturen. Steigbügelköpfchen zeigt bei Druck mit der Sonde
auf die Schenkel Bewegung. An der Basis des Steigbügels verändern sich dabei
die Reflexe.
Links findet sich am Boden der Paukenhöhle etwas blutiges Serum ind
ein. wegzuspülendes kleines Blutcoagulum. Faukenhöhle und Antrum zeigen eine
frische, ziemlich starke, aus einzelnen Gefässramificationen bestehende Injection.
Die Injection erstreckt sich auch in die knöcherne Tuba und ist am stärksten
im Isthmus, wo die Schleimhaut succulent ist, während die knorplige Tuba
nahezu frei von Injection und Schwellung ist. Schleimhaut der Paukenhöhle
zeigt geringe, die des Antrum keine Schwellung. Warzentheil beiderseits grössten-
theils spongiös. Zellen beiderseits ziemlich reichlich.
Zur Untersuchung des Labyrinths wurden die mir von Prof. Bezold über-
gebenen Felsenbeine, nachdem sie gehärtet und entkalkt waren, in Serienschnitte
zerlegt. Die histologische Untersuchung ergiebt rechts die Schleimhaut des
Mittelohrs von erweiterten Gefässen durchzogen und mässig kleinzellig infiltrirt,
am stärksten in der knöchernen Tuba, am Boden der Paukenhöhle und am
Promontorium. In den Zellen unterhalb der knöchernen Tuba, sowie am Boden der
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A. Scheibe: Ein histolog. Beitr. z. Taubstummheit d. Otitis interna.. 101
Paukenhöhle Spuren von Secret, in der Hauptsache aus abgestossenen Epithelien
bestehend. Die beiden Fenster auf der Paukenhöhlenseite 1), sowie die beiden
Binnenmuskeln normal. Als besondere Abnormität sollen einige kleine acinöse
Drüsen in der Schleimhautschicht des Trummelfells erwähnt werden. Dieselben
liegen nahe seiner vorderen Peripherie in der Gegend der Tubenmündung.
Links ist der Befund, abgesehen von den Drüsen im Trommelfell, ein
ähnlicher. Ausser den frischen finden sich aber an den Gefässen auch alte Ver-
änderungen, nämlich Verschluss einzelner Arterien, eine Strecke weit auch der
Arterie des Nervus facialis durch Bindegewebe und eine eigenthümliche Ver-
änderung anı Periost des Promontorium und an der darunter liegenden Knochen-
schicht der Labyrinthkapsel. Der tiefere Theil der letzteren, welcher das
Labyrinth direct begrenzt und durch stärkere Färbbarkeit gegenüber Häma-
toxylin als normal characterisirt ist, bleibt von der Erkrankung frei. Es findet
sich nämlich auf der Paukenhöhlenseite des Promontorium direct unterhalb des
ovalen Fensters, dessen Knorpelbelag nicht ganz erreichend, eine kleine circun:-
scripte Knochenauftreibung und auf letzterer die Periostschicht der Schleimhaut
durch Vermehrung ihrer Fasern um das 3—6 fache verdickt. Die innerste Schicht
des Periosts weist sehr viel einkernige, den Zellen des osteoiden Gewebes ähnliche,
Zellen auf. Dadurch, dass die oberflächliche Schicht des Knochens aus osteoidem
Gewebe besteht, und durch theilweise körnige Structur der Knochenhaut ist die
Grenze zwischen derselben und dem Knochen ziemlich verwischt. Die Oberfläche
des Knochens erscheint zerklüftet. Der grösste Theil des veränderten Knochenkerns
ist eingenommen von grossen unregelmässig gestalteten Markräumen, welche, nach
der runden Form der kleineren zu urtheilen, aus den Havers’schen Kanälen her-
vorgegangen sind. Das Mark besteht aus zahlreichen zumeist einkernigen Zellen.
Es finden sich auch einzelne Riesenzellen, welche zum Theil in Lacunen liegen.
Erwähnenswerth sind noch lange, schmale Nadeln, die man auch in den Schichten
der Schleimhaut sieht. Gefässe reichlich. Die die Markräume trennenden schmalen
Knochenbalken und besonders die den Knochenkern nach der Paukenhöhle zu
begrenzende Knochenschicht bestehen theilweise aus osteoider Substanz. Labyrinth-
wärts werden die Markräume von normalem Knochen begrenzt.
Die Untersuchung des Labyrinths ergiebt ganz hochgradige Veränderungen,
welche im Gegensatz zu denen im Mittelohr wohl im Stande sind, die Taub-
stummbheit zu erklären. Sowohl in der Schnecke als auch im Vorhof und in
den Bogengängen finden sich die Residuen einer Entzündung. Während die
- knöcherne Labyrinthkapsel fast überall intact ist, sind die häutigen Gebilde
grösstentheils zu Grunde gegangen, und ist das Lumen des Labyrinths in beträcht-
licher Ausdehnung ausgefüllt von neu gebildetem Bindegewebe und Knochen-
substanz. Die Neubildung von Gewebe hat am stärksten stattgefunden in den
Bogengängen, etwas weniger in der Schnecke und am wenigsten im Vorhof.
Rechts. Wenn wir zunächst die Schnecke betrachten, so finden sich -
bei Weitem die stärksten Veränderungen in der Basalwindung, speziell in deren
Vorhofstheil, während sie nach der Spitze zu allmählich an Intensität abnehmen.
1) Auf die Labyrinthseite der Fenster werden wir später zu sprechen
kommen.
102 A. Scheibe: Ein histolog. Beitr. z. Taubstummbheit d. Otitis interna.
Das was am meisten in die Augen. fällt, ist das neugebildete Knochen- und
Bindegewebe. Die Scala tympani ist von demselben in viel ausgedehnterem
Maasse ausgefüllt als die Scala vestibuli. Die Zerstörungen, welche durch die
Entzündung gesetzt worden sind, fallen dieser Neubildung von Gewebe gegen-
über zwar weniger in die Augen, doch haben sie gerade die wichtigsten Theile,
die Gebilde des Ductus cochlearis, betroffen. Die Lamina ossea, sowie die
Zwischenwände der Windungen sind verschont geblieben.
Die Reissner’sche und die Corti’sche Membran fehlen in der ganzen Schnecke.
Durch den Defect der ersteren sind der Ductus cochlearis und die Scala vestibuli
zu einem Raum vereinigt. Das Cortische Organ ist in der ersten Windung
nur mehr angedeutet, in den beiden oberen Windungen ist es wenigstens in
seiner Form annähernd erhalten, an einigen Stellen sind sogar die Pfeiler zu
erkennen. Die Lamina membranacea hat im grössten Theil der Schnecke der
Entzündung widerstanden. Nur im Anfangstheil der ersten Windung findet
sich eine durch derbes Bindegewebe ersetzte Stelle (Narbe) in derselben, und im
letzten Theil der zweiten und in der dritten Windung ist die Lamina mem-
branacea vom Ligamentum spirale abgerissen und ungefähr im rechten Winkel
zur Lamina ossea mit dem Periost der Scala tympani verwachsen. Das Liga-
mentum spirale ist in der Spitze der Schnecke theilweise atrophisch oder defect,
die Stria vascularis verhältnissmässig gut erhalten. M
Neubildung von Gewebe hat,. wie schon erwähnt, besonders in der Scala
tympani stattgefunden und zwar bei Weitem am stärksten im Anfangstheil der
Schnecke. Direct hinter der Membran des runden Fensters ist die Paukentreppe
ausgefüllt von compacter Knochensubstanz. Die Ausfüllung "mit der Knochen-
masse ist eine fast totale, sodass die Lamina ossea theilweise und das Tympanum
secundarium vollständig mit derselben verwachsen ist. Es ist so allein durch die
Otitis interna eine vollkommene Fixation der Membran des runden Fensters
erfolgt. Auch die Mündung des Aquaeductus cochleae ist durch die Knochen-
masse verschlossen. Weiter nach aufwärts bis weit hinein in den aufgerollten _
Theil der ersten Windung sieht man nur mehr ein Gitterwerk schmaler
Knochenbalken und ausserdem lockeres reticuläres Bindegewebe. Dle Zahl der
Knochenbalken vermindert sich im weiteren Verlauf der Schnecke immer mehr,
um dem reticulären Bindegewebe Platz zu machen, welches das Lumen der
Paukentreppe ganz ausfüllt oder höchstens einige grössere Lücken freilässt. In
den Maschen oder den grösseren Lücken des Bindegewebes befinden sich an ver-
schiedenen Stellen eigenthümliche zu Ketten aneinander gereihte grosse rundliche
Zellen mit blassem feingekörnten Inhalt. Der Kern ist randständig und meistens
plattgedrückt. Es dürfte sich um Steinbrügges „Ringzellen“ handeln, die
auch Schwabach bei Otitis interna gesehen hat.
In der Scala vestibuli hält sich die Neubildung von Bindegewebe, welches
hier sclerotischer Natur und derber ist, in der Nähe des Modiolus, den grössten
Theil des Lumens freilassend. Neugebildeten Knochen sieht man hier nur wenig
und nur im Anfangstheil der Schnecke. Das Periost ist an den freigebliebenen
Stellen des Lumens nicht besonders verändert.
Der Hörnerv weist ebenfalls beträchtliche Veränderungen auf. Nerven-
fasern ziehen zwar ziemlich reichlich in die Schnecke hinein, in der Endaus-
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A. Scheibe: Ein histolog. Beitr. z. Taubstummbheit d. Otitis interna. 103.
breitung in der Lamina ossea aber sind nur mehr vereinzelte Fasern erhalten,
welche nach der Weigert'schen Methode sich nur sehr mangelhaft und in der
unteren Windung überhaupt nicht färben. Die Stelle der ausgefallenen Fasern
ist von Bindegewebe eingenommen, das im Anfangstheil der ersten Windung
dichter ist und theilweise verknöchert zu sein scheint.
Das Ganglion spirale ist im Vergleich zum Nerven ziemlich gut erhalten.
Dasselbe betheiligt sich in den oberen Windungen gar nicht und in der untersten
Windung nur wenig an der Atrophie. Hier fehlt ein Theil der Ganglienzellen,
und bei den übrigen ist sowohl das Protoplasma stärker gekörnt, als auch die
Färbung einzelner Kerne eine sehr mangelhafte.
Die Gefäss- und Lymphräume im Modiolus sind mit Ausnahme einer un-
wesentlichen Vermehrung des Bindegewebes nicht verändert.
Da die Knochenneubildung in der Nähe der Einmündungsstelle des Aquae-
ductus cochleae bei Weitem am stärksten ist, wurde der Untersuchung des letz-
teren selbst besonderes Interesse gewidmet. Es zeigt sich wider Erwarten, dass
der Knochencanal der Schneckenwasserleitung, deren Eingang in die Schnecke
wir verschlossen gefunden haben, in seinem weiteren Verlauf zwar eng, aber
überall durchgängig, und dass das Periost des Canals nicht wesentlich ver-
ändert ist.
Die Untersuchung des Vorhofs ergiebt eine Zerstörung seiner häutigen
Gebilde. Neugebildetes Bindegewebe und insbesondere Knochen findet sich nur
wenig in seinem Lumen. Sein Periost ist hauptsächlich auf der Steigbügelfuss-
platte beträchtlich hypertrophirt, so dass dieselbe von der vestibularen Seite
her fest im ovalen Fenster fixirt ist. Ihre Beweglichkeit ist hierdurch, womit
auch die makroskopische Section übereinstimmt, zwar nicht wie die der Membran
des runden Fensters ganz aufgehoben, aber doch beträchtlich herabgesetzt. Ven
der Schnecke ist der Vorhof durch eine derbe Bindegewebsmembran vollständig
abgeschlossen.
Von den Bogengängen ist der obere an beiden Felsenbeinen nur zum
kleinen Theil erhalten, da er bei der beabsichtigten Eröffnung vor der Härtung
der Präparate übersehen und weggemeisselt worden ist. Aus dem Befund an
den beiden anderen Bogengängen erklärt es sich leicht, warum er übersehen
worden ist. Von den häutigen Bogengängen ist rechts nur der untere Schenkel
des hinteren eine Strecke weit erhalten, wenn auch stark verändert. Von den
knöchernen Bogengängen ist der äussere mit Knochenmasse gleichsam ausge-
gossen. Ohne Kenntniss von seiner Lage würde es schwer gelingen ihn aufzu-
finden. Nur die mehr rundlichen Formen der Knochenkörperchen und die ge-
ringere Anzahl ihrer Ausläufer lassen den neugebildeten Knochen erkennen.
Bei der makroskopischen Section hätte er ebenso wie der obere Bugengang über-
sehen werden müssen. Ich stimme Mygind, Moos und Steinbrügge voll-
ständig bei, dass das angebliche Fehlen einzelner Bogengänge, welches von
älteren Anatomen meist als Bildungshemmung aufgefasst wurde, in vielen Fällen
auf abgelaufene Otitis inferna zurückzuführen ist.
Im hinteren Bogengang findet sich, abgesehen von einer mässigen Ein-
engung seines oberen Schenkels durch Knochenmasse nur Bindegewebe. Auf-
104 A. Scheibe: Ein histolog. Beitr. z. Taubstummbheit d. Otitis interna.
fällig ist, dass das Narbengewebe nur in diesem Schenkel des hinteren Bogen-
gangs derber, sogar sclerotischer Natur, in seinem anderen Schenkel aber und
in dem nicht von Knochen erfüllten Theil der beiden anderen Bogengänge reti-
culär ist.
Was den Aquaeductus vestibuli anbetrifft, so ist bei der Enge und
dem gewundenen Verlauf seines häutigen Canals nicht sicher zu sagen, ob der
letztere überall offen ist; eine gröbere Veränderung desselben ist jedenfalls nicht
vorhanden. Dagegen erscheint der knöcherne Canal an seiner Einmündung in
den Vorhof uneben. `
Die Nerven des Vorhofs und der Ampullen füllen ihre Canäle ziemlich gut
aus, färben sich aber nur mangelhaft nach der Weigert’schen Methode.
An der Dura, soweit sie am Präparat erhalten ist, lassen sich Abweichungen
von der Norm nur in dem Fortsatz erkennen, welchen dieselbe in den Porus
acusticus internus hineinsendet. An der unteren Wand des letzteren ist die
harte Hirnhaut durch Vermehrung der Kerne, welche rundliche oder ovale
Gestalt haben, verdickt. Der makroskopischen Untersuchung, welche sich
nicht auf das Innere des Meatus auditorius internus ersteckte, war dies ent-
gangen.
Links sind die Veränderungen ganz der gleichen Art, nur sind sie noch
stärker ausgesprochen. Vom Nerven sind in der Schnecke höchstens noch
vereinzelte Fasern vorhanden, die sich überdies nach Weigert nicht färben.
Auch das Ganglion spirale ist stärker atrophisch und zeigt ebenso wie die
Lamina spiralis ossea streckenweise die bei Atrophie häufig vorkommende Lücken-
bildung. Das Corti’sche Organ ist links nirgends mehr erhalten, nur an einzelnen
Stellen sieht man an seiner Stelle noch niedrige Zellreste. Die Lamina mem-
branacea fehlt zum Theil ganz; in den oberen Windungen ist sie nach der
Paukentreppe zu ganz verzogen und mit dem dieselbe ausfüllenden .Narben-
gewebe verwachsen. Die Neubildung von Knochen hat in der gleichen Weise
wie rechts bei Weitem am meisten die Scala tympani in der Nähe des runden
Fensters betroffen. Ein grosser Theil des Lumens der Scala vestibuli ist durch
Bindegewebe ausgefüllt.
Auch Vorhof und Bogengänge zeigen im linken Felsenbeine stärkere
Abweichungen von der Norm. Die häutigen Theile derselben sind ganz zerstört;
die Knochenneubildung ist stärker und geht an der medialen Wand des Vorhofs
direct in die Labyrinthkapsel über, so dass die Grenze der letzteren und des
Vorhofs theilweise verwischt ist. Der Aquaeductus vestibuli ist links völlig
durch Knochenneubildung obliterirt, die auch auf seine Umgebung übergreift.
An den Nerven des Vorhofs ist deutlicher eine quantitative Atrophie zu er-
kennen, wenn sie auch bei Weitem nicht so hochgradig ist wie in der Schnecke.
Von den knöchernen Bogengängen zeigt nur der äussere eine Strecke weit ein
offenes Lumen. Der hintere erweist sich durchgehends von solider Knochenmasse
erfüllt. Der obere ist ebenso wie auf dem anderen Ohr am Präparat weg-
‚gemeisselt.
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A. Scheib e: Ein histolog. Beitr. z. Taubstummheit d. Otitis interna. 105
Schlussbetrachtungen.
Wie aus der Beschreibung hervorgeht, handelt es sich um Ver-
änderungen von verschiedener Bedeutung. Im Mittelohr findet sich
beiderseits eine frische Entzündung der Schleimhaut, welche offenbar
während der letzten Wochen vor dem Tode durch die Scharlach-Diph-
therie entstanden ist. Links sind ausserdem im Mittelohr noch ältere
Veränderungen vorhanden, auf welche unten zurückgekommen werden soll.
Die Zerstörungen, welche sich beiderseits im Labyrinth finden,
sind älteren Datums und genügen vollauf, die Taubheit resp. die zur
Stummheit führende hochgradige Schwerhörigkeit zu erklären. Dass es
sich um die Residuen einer Entzündung handelt, geht aus der Beschrei-
bung zur Genüge hervor. In der Literatur finden sich bereits mehrere,
dem unserigen ganz ähnliche Fälle beschrieben, welche nicht nur die
gleichen Zerstörungen und ebenso die Neubildung von Binde- und
‚und Knochengewebe, sondern die letztere auch genau an den gleichen _
Stellen am stärksten aufweisen, nämlich im Anfangstheil der Pauken-
treppe direct hinter der Membran des runden Fensters an der Ein-
mündung der Schneckenwässerleitung einerseits und in den Bogengängen
. andererseits. Die betreffenden in der Literatur verzeichneten Fälle
konnten auf Meningitis cerebrospinalis zurückgeführt werden. Nur
Schultze!) lässt es unentschieden, ob sein Fall durch eine Meningitis
entstanden, oder ob der Process einer Poliomyelitis acuta gleichzusetzen
ist. Auch in unserem Fall ist Meningitis als wahrscheinliche Ursache
-anzunehmen, umsomehr als auch die Dura im Meatus auditorius internus
Abnormitäten zeigt, und da im bezirksärztlichen Zeugniss angegeben ist,
dass Beck im 4. Lebensjahre durch eine Hirnkrankheit taub geworden ist.
Es existiren vier Wege, auf denen die Meningitis sich in’ das
Labyrinth fortpflanzen kann: Durch die beiden Aquaeducte, den Meatus
auditorius internus und endlich zunächst in das Mittelohr und erst von
da durch die Fenster in das Labyrinth. Am häufigsten bietet der
Aquaeductus cochleae die Eingangspforte.. Auf diesem Wege dürfte
auch in unserem Falle die Infection erfolgt sein, wie die auffallend
hochgradige Neubildung von Knochengewebe an seiner Einmündungsstelle
in die Schnecke : vermuthen läst. Das verhältnissmässige Intactsein des
Aquaeductus selbst dürfte verständlich werden, wenn wir mit Stein-
brügge annehmen, dass die Infection nicht durch eine directe Fort-
1) Virchow’s Archiv 119. Bd., 1. Heft.
106 A. Scheibe: Ein histolog. Beitr. z. Taubstummbheit d. Otitis interna.
pflanzung des Eiterungsprocesses, sondern durch Hineinschwemmen der
Mikroorganismen mittelst der Perilymphe stattfindet.
Die Lymph- und Blutgefässräume im Modiolus sind in unserem
Falle kaum afficirt, und ebenso ist der gewiss höchst seltene Weg durch
die Fenster auszuschliessen, da wenigstens die Paukenhöhlenseite der
Fenster vollkommen normal ist, wenn auch an anderen Stellen der
Paukenhöhle sich Veränderungen alten Datums finden. Dagegen deutet
die starke Knochenneubildung am Aquaeductus vestibuli des linken
Ohres darauf hin, dass wenigstens auf dieser Seite die Fortpflanzung
auch auf diesem Wege erfolgt ist.
Die Betheiligung der Bogengänge ist eine auffällig hochgradige.
Das ist auch schon anderen Autoren aufgefallen. Habermann hat es
durch die anhaltende Rückenlage erklärt, während welcher die Bogen-
gänge den tiefsten Theil bilden, so dass sich in ihnen das Secret leicht
anhäufen kann. Steinbrügge nimmt als Ursache an, dass wahr-
scheinlich im Periost der Bogengänge schlechtere Circulationsverhältnisse
beständen als in der Schnecke. Das hat sich in der That durch die
Untersuchungen Siebenmanns und Eichlers bestätigt. Mir er-
scheint die Erklärung Steinbrügges am plausibelsten. Die Rücken-
lage müsste sich auch in den entsprechenden Stellen der oberen Win-
dungen der Schnecke mehr bemerkbar machen. Immerhin ist ihr ein
gewisser Einfluss nicht abzusprechen.
Bei der von Prof. Bezold vorgenommenen Untersuchung der In-
sassen des hiesigen Taubstummeninstituts ergab sich die auffällige Be-
obachtung, dass bei den durch Meningitis taub Gewordenen es meist
unmöglich war, Schwindel zu erzeugen. Die hochgradigen Veränderungen
in den Bogengängen geben dafür die Erklärung. Dass in einzelnen
Ausnahmefällen Schwindel zu erzeugen ist, erklärt sich dadurch, dass
bei Otitis interna die Bogengänge auch intact bleiben können (Stein-
brügge, Habermann). |
Besonders zu besprechen ist die circumscripte Ostitis auf der Pauken-
höhlenseite des Promontorium im linken Ohr. An der Entzündung des
inneren Öhres betheiligt sich manchmal, wie sich aus der Literatur
ergiebt, auch die Labyrintlikapsel, so auch in unserem Falle in der
Gegend des Aquaeductus vestibuli des linken Ohres, wo ein abgelaufener
Knochenprocess nachzuweisen ist. Der oben beschriebene Process in
der Promontorialwand aber ist kein abgelaufener, sondern spielt im
Knochen weiter, indem sich noch unverknöchertes osteoides Gewebe
Alpa pa umam
A. Scheibe: Ein histolog. Beitr. z. Taubstummbheit d. Otitis interna. 107
findet. Habermann hat zwar bei Otitis interna im Knochen des
Promontorium eine ganz ähnliche Erkrankung beschrieben, doch handelt
es sich bei ihm nicht um einen abgelaufenen, sondern um einen frischen
Fall von Labyrinthentzündung. Da überdies bei unserem Taubstummen
die Ostitis nicht wie bei Habermann auf der Vorhofsseite, sondern
auf der Paukenhöhlenseite des Promontorium localisirt ist, müssen wir
_ für unseren Fall eine andere Erklärung suchen. Dass die leichte frische
Entzündung des Mittelohrs zur Erkrankung des Knochens geführt hätte,
ist ebenfalls nicht anzunehmen. In diesem Falle würde die oben be-
schriebene Obturation der Blutgefässe durch Bindgewebe unerklärt
bleiben. Auffällig ist die Aehnlichkeit mit der von Bezold!), Politzer?)
und vom Verfasser?) beschriebenen unabhängig von einer Entzündung
des Mittelohrs eintretenden Knochenerkrankung der Labyrinthkapsel
und der Steigbügel-Vestibular-Symphyse bei der sogenannten Sclerose
des Mittelohrs. Doch unterscheidet sich unser Fall besonders durch
seine Einseitigkeit, ferner dadurch, dass die Erkrankung die Steigbügel-
Vestibular-Symphyse nicht erreicht, und weiter durch eine verhältniss-
mässig stärkere Betheiligung des Periosts an der betreffenden Stelle und
durch die Erkrankung der Blutgefässe in einem grossen Theil des
Mittelohrs, wenn anders dieselbe mit dem Knochenprocess in einem Zu-
. sammenhang steht. Auch das jugendliche Alter ist auffällig. Die
Schwerhörigkeit beginnt nach unseren klinischen Erfahrungen bei
»Sclerose« meist erst später. Wir dürfen dabei allerdings nicht ausser
Acht lassen, dass die Erkrankung im Promontorium, solange sie nicht
das ovale Fenster erreicht, keine Störung im Gehör hervorruft. Aus
allen diesen Gründen dürfte es gerathen sein, mit einer Erkärung zu
warten, bis mehrere Fälle von. einseitiger »Sclerose« einer ana-
tomischen Untersuchung unterworfen sind. Die bisher histologisch unter-
suchten Fälle gehören sämmtlich der bei weitem häufigeren doppelseitigen
»Sclerose« an, die vielleicht eine andere Genese hat als die einseitige.
Nach dieser Abschweifung möchte ich noch auf einen Befund bei
der Otitis interna zurückkommen, der auf das Resultat der funktionellen
. Prüfung dieser Erkrankung ein interessantes Licht wirft. Unser Befund
zeigt ebenso wie der anderer Autoren, dass die Otitis interna auch ohne.
Betheiligung des Mittelohrs zu schweren Veränderungen am Schallleitungs-
1) II. Congress der deutschen otolog. Gesellsch., 21. Mai 1893.
2) Versammlung der Ohrenärzte in Boston, Sommer 1893.
3) 65. Versammlung der Gesellsch. Deutsch. Naturf. u. Aerzte, 12. Sept. 1893.
108 A. Scheibe: Ein histolog. Beitr. z. Taubstummheit d. Otitis interna.
apparat führen kann. Die Membran des runden Fensters ist auf der
Labyrinthseite durch Knochenneubildung vollständig und die Steigbügel-
platte durch eine derbe Bindegewebsschwarte auf der Vorhofsseite ziem-
lich fest fixir. Wir dürfen uns also nicht wundern, wenn die funktionelle
Prüfung bei Otitis interna Ergebnisse liefert, welche sowohl für Er-
krankung des inneren Ohres wie des Schallleitungsapparates sprechen.
Am eingehendsten hat Schwabach!) seinen Fall von Otitis interna
funktionell geprüft. Während bei Erkrankung des inneren Ohres bis-
her gewöhnlich ein gutes Gehör für tiefe und ein schlechtes Gehör für
hohe Töne erwartet wurde, fand er einen Ausfall der tiefen Töne (c),
während ein, wenn auch stark herabgesetztes, Gehör für die höheren
(c?) und höchsten Töne (ct) vorhanden war. Das kann bedingt sein
durch gleichzeitige Fixation des Schallleitungsapparates oder nach der
Helmholtz’schen Theorie durch stärkere Veränderungen in der Spitze
der Schnecke als in der basalen Windung. Im Schwabach’schen
Falle traf die letztere Erklärung zu, während die Veränderungen am
Schallleitungsapparat verhältnissmässig gering waren. Ich möchte hier
nur darauf hinweisen, dass bei Otitis interna resp. deren Residuen der
Ausfall der tiefen Töne (in Luftleitung) nach den vorliegenden ana-
tomischen Untersuchungen ebensowohl durch eine Erkrankung des Schall-
leitungsapparates auf dessen Labyrinthseite, als durch eine ungewöhnliche -
Localisation der Veränderungen in den Windungen der Schnecke be-
dingt sein kann. Bisher sind der Schwabach’sche und ein von
Bezold und vom Verfasser mitgetheilter, möglicherweise gleichfalls
durch Meningitis verursachter Fall?) von Erkrankung des inneren
Ohres die einzigen, bei welchen die Veränderungen in der Spitze der
Schnecke stärker. waren als in der Basalwindung, während Fixation
des Steigbügels und der Membran des runden Fensters häufig be- `
schrieben sind.
1) Zeitschr. f. klin. Med. 18. Bd.. 3. und 4. Heft.
2) Diese Zeitschr. 22. Bd., 3. und 4. Heft.
W.Vulpius: Drei Fälle v. Influenza-Otitis m. epiduralen Abscessen. 109
X.
Drei Fälle von Influenza-Otitis mit epiduralen
Abscessen.
(Vorgestellt in der deutschen medicinischen Gesellschaft zu New-York.)
. Von W. Vulpius,
Assistenzarzt am New-Yorker Ophthalmic and Aural-Institute.
M. H.! Ich stelle Ihnen 3 Patienten vor, deren Krankengeschichte
einen Beitrag zu dem grossen Capitel der Influenzafolgekrankheiten
liefern möge. M
Zwar hat man vom pathologisch anatomischen und bacteriologischen
. Standpunkt aus mehrfach hervorgehoben, dass Erkrankungen, die sich
als Complication während oder nach einem Grippeanfall einstellen, keine
Merkmale böten, welche sie von den primär auftretenden Formen der
entsprechenden Kategorien unterscheiden liessen, die Kliniker aber haben
während der grossen Influenzaepidemien der letzten 6 Jahre nur zu
häufig Gelegenheit gehabt, den bösartigen und schweren Character
solcher Folgekrankheiten fürchten zu lernen.
Man hat sich auf Grund solcher Erfahrungen zu einer grösseren
Reserve in der Prognose der betreffenden Fälle gedrängt gesehen, und
wird — soweit dies möglich ist — auch die therapeutischen Maass-
nahmen dadurch beeinflussen lassen. So habe ich es mir zur Regel
gemacht, bei einer während oder unmittelbar nach Influenza auftretenden
acuten Otitis media keine Zeit mit palliativen oder äusserlich ableiten-
den Maassregeln zu verlieren in der Hoffnung, dass die Entzündung
ohne Perforation und Eiterung sich zurückbilden möge, sondern ich
suche durch eine möglichst frühzeitige und ausgiebige (d. h. galvano-
caustische) Paracentese der Tendenz einer Ausbreitung der Entzündung
in die entfernteren Mittelohrräume entgegenzuarbeiten, eine Tendenz,
welche gerade bei Influenza-Otitis von vornherein besonders ausgesprochen
zu sein scheint. | -
Die Geschichte der gegenwärtigen Fälle, welche leider zu spät.
in meine Behandlung kamen, um das eben dargelegte Princip noch er-
folgreich auf sie anwenden zu können, werden letzteres vor dem Vor-
wurf übereiliger Activität schützen. Bei allen 3 Patienten hatte sich
während oder nach einem Influenzaanfall mit stürmischen Symptomen .
eine Mittelohreiterung entwickelt, die im Verlauf von Wochen einen
mehr subacuten Character annahm, während gleichzeitig — bedingt.
”- n SE
ET I RR en EN ra En ee a a
11 0 W.Vulpius: Drei Fälle v. Influenza-Otitis m. epiduralen Abscessen.
durch ungünstige Drainageverhältnisse der Paukenhöhle — die Entzündung
und Eiterung sich auf die Knochenzellen des Processus mastoideus und
weiterhin in die hintere, bei zweien auch in die mittlere Schädelgrube
fortpflanzte. Die Patienten kamen in meine Behandlung als die Com-
plication der Mittelohreiterung schon im Gange war, doch nur bei einem
waren die Symptome der eitrigen Mastoiditis so ausgeprägt, dass ich
zu einer schnellen Operation rieth, während bei den zwei anderen eine
energische galvanocaustische Paracentese des derben Trommelfelles die
subjectiven Beschwerden und die objectiven Reizsymptome so herab-
setzten, dass es wochenlang dauerte, bis ich eine zureichende Indication
zur Warzenfortsatzeröffnung in dem eigenthümlichen Character und der
Unheilbarkeit der abundanten Ohreiterung fand.
Der erste Patient, in dessen Anamnese nichts von Bedeutung vorliegt,
hatte seinen Influenzaanfall am 17. Januar 1892. Nach einigen Tagen bekam
.er heftige Ohrenschmerzen, welche mit Kamillentheeumschlägen und Borsäure-
ausspritzungen behandelt wurden. Trotzdem sich eine mässige Eiterung ein-
stellte, liessen die Schmerzen zunächst nicht nach; dann besserte sich das sub-
jective Befinden für einige Zeit unter der Behandlung eines Specialisten.
Als er am 15. März 1894 in meine Behandlung kam, zeigte sich eine starke
ödematöse Schwellung hinter und über dem linken Ohre, die sich über die
Schläfengegend bis an das linke Auge erstreckte. Der Gehörgang war durch
Schwellung und besonders durch Senkung der oberen Wand gänzlich verschlossen ;
aus dem engen Spalt drängte sich etwas dünnflüssiger Eiter. Das vorhandene
Fieber (39,20) und die starke Druckempfindlichkeit über dem Proc. mastoideus,
sowie ein scheinbares Fluctationsgefühl daselbst bestimmten mich, die Operation
schon am folgenden Tag zu unternehmen.
Die starke und äusserst starre ödematöse Infiltration erforderte einen un-
gewöhnlich langen Hautschnitt zur genügenden Bloslegung des Operationsfeldes,
wobei sich kein Eiter und keine Verfärbung an der Knochenoberfläche zeigte.
Ich begann die Meisseloperation an der typischen Stelle und eröffnete in
‚geringer Tiefe eine eiterhaltende Knochenzelle; von hier aus führte die Sonde
in einen engen Gang nach hinten, den ich vorsichtig aufmeisselte. Auf diese
Weise wurde ein Abscess im Sulcus Sinus tranversi eröffnet, dessen Eiter den
pulsirenden und elastisch sich anfühlenden Blutleiter umspülte. Noch mehrere
Knochenzellen im Proc. mastoideus und über der oberen Gehörgangswand zeigten
sich eiterführend, während ein ähnlicher Fistelgang, wie der nach dem Sinus
sich erstreckende, zu einem bohnengrossen Abscess über dem Tegmen antri führte.
Ich eröffnete denselben breit und kratzte Granulationen der Dura mater vor-
sichtig ab.
Die grosse Hautwunde wurde durch eine Naht am unteren Ende verkleinert,
im übrigen zugleich mit der Knochenwundhöhle fest austamponirt und auf diese
Weise noch einige Wochen zur sicheren Controlle offen gehalten. Die erkrankte
Durastelle entwickelte Anfangs üppige und sehr schwammige Granulationen,
die ich durch mehrfaches Abkratzen und Galvanocaustik niederhielt und zu ge-
W. Vulpius: Drei Fälle v. Influenza-Otitis m. epiduralen Abscessen. 111
sunder Verdichtung brachte. Im übrigen wurde der Heilungsverlauf nur durch
das Auftreten eines Furunkels im äusseren Gehörgang kurz gestört. — Die
Secretion in der Trommelhöhle nahm bald ab; nach 31/8 Wochen war die Per-
foration geschlossen und die Pauke frei. Im Verlauf von 6 Wochen 'schloss
sich auch die äussere Wunde vom Grund aus vollständig und dauernd. Das
Gehör des betreffenden Ohres ist ein gutes. |
Der zweite Fall — eine junge sonst gesunde Frau von 24 Jahren —
wurde mir am 1. April von einem Collegen zugeschickt, nachdem er sie selbst
schon einige Wochen an einer linksseitigen Ohreiterung in Folge von Influenza
erfolglos behandelt hatte — Die Patientin klagte über Schmerzen im Ohr und
der linken. Parietalgegend; die Bedeckung des Warzenfortsatzes war geröthet
und mässig ödematös, der Knochen auf Druck schmerzhaft. Der. Gehörgang
zeigte sich mässig’ verschwollen, das Trommelfell vorgewölbt und von derber.
: Beschaffenheit. Die Shrapnell 'sche Membran bauchte sich sackförmig aus,
und durch eine kleine Perforation in aerze ben quoll in pulsirenden en
dicker Eiter.
Ich machte sogleich je eine galvonocaustische Paracentese in der Shrap-
nell’schen Membran, sowie im unteren hinteren Trommelfellabschnitt und ver-
ordnete Eisumschläge über den Proc. mastoideus. Nach drei Tagen war bei
freiem und reichlichem Eiterabfluss das Befinden subjectiv und objectiv wesent-
lich gebessert, die entzündliche Schwellung und Druckempfindlichkeit über dem
Warzenfortsatz gänzlich geschwunden. ' |
Nach drei Wochen aber sah ich mich durch Wiederkehr derselben Reiz-
symptome genöthigt, die klein gewordene Perforation wieder zu vergrössern,
. was denselben günstigen und etwas länger anhaltenden Erfolg wie die erste
Operation hatte. Als aber zum drittenmale heftige Schmerzen und entzündliche
Schwellung bei unverminderter Eiterung auftraten, schlug ich die Eröffnung
des Warzenfortsatzes vor und führte die Operation am 24. Mai 1894 aus.
Unter gesund erscheinender Corticali® traf ich in geringer Tiefe auf eine
graugelbliche Membran, welche die Sonde leicht durchbrach: ein Strom von
dickem, geruchlosem Eiter quoll hervor. Die ganze Kuppel des Warzenfort-
satzes bildete eine grosse Abscesshöhle, aus der ich ausser dem Eiter bedeutende
Massen schmieriger Granulationen mit dem scharfen Löffel entfernte. Bei sorg-
fältigem Sondiren fand sich aber auch ein etwa bohnengrosser Abscess am
Boden der mittleren, sowie ein bedeutend grösserer‘ an der Seitenwand der hin-
tereh Schädelgrube, welch’ letzterer zu seiner gründlichen Blosslegung die Ent-
fernung der ganzen Innenwand des Proc. mastoideus erforderte, so dass hier-
schliesslich die granulirende Dura in der Ausdehnung eines halben Silber-Dollars
freilag.
Die Heilung verlief glatt, und war nach 5 Wochen vollkommen. Auch
‘ Trommelfell und Paukenhöhle sind wieder zu ihrem früheren Zustand zurück-
gekehrt und die schon vorher bestehende, auf Sclerose beruhende Schwerhörig-
keit ist nicht verschlimmert.
Im dritten Falle handelt es sich um einen Collegen, in dessen Vor-
geschichte ein vorübergehender Zuckergehalt des Urins bemerkenswerth ist. Er
erkrankte am 14. Januar 1894 an Influenza und hatte dann vom 21. ab mehrere
` Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXVII. g
112 W.Vulpius: Drei Fälle v. Influenza-Otitis m. epiduralen Abscessen.
Tage und "besonders Nächte heftige Ohrenschmerzen, die auch beim Eintritt
einer mässigen Eiterung nur wenig und periodenweise nachliessen, besonders
aber Nachts heftiger wurden. Später traten Empfindlichkeit des Warzenfort-
satzes ünd Schwindelgefühl hinzu. Die Selbstbehandlung hatte in warmen und
kalten Umschlägen, Ausspritzungen, Alkoholeinträufelungen und Borsäureein-
blasungen bestanden. Am 21. März frug der Patient einen Chirurgen um Rath,
der ihn zur specialistischen Behandlung an mich verwies.
Anch hier war entzündliche Schwellung über dem Warzenfortsatz und im
‘ Gehörgang vorhanden. Letztere liess sich durch allmählich stärker werdende
Tamponade so weit verdrängen, dass man einen Theil des stark vorgewölbten,
derben Trommelfelles mit einer sehr kleinen Perforation übersehen und eine
galvanocaustische Paracentese ausführen konnte. Auch hier erfolgte schnell ein
wesentliches Nachlassen sämmtlicher Reizsymptome, und der Eatient befand sich
‘bei täglichem Durchspülen der Paukenhöhle mit sterilisirter Kochsalzlösung
(0,60/0) leidlich wohl, wenn auch nie ganz frei von Schwindel und einem Gefühl
von Völle, zumal Morgens vor dem Durchspülen. Das Trommelfell wurde zarter,
blasste ab und liess durch die etwa 1,5 mm grosse, runde, scharfrandige Per-
foration, wenn sie frei von Eiter war, erkennen, dass auch die Paukenhöhlen-
‘schleimhaut wesentlich abgeschwollen war.
In diesem Stadium fiel mir ein Symptom auf, dessen abermalige Beob-
achtung bei einem ähnlichen Falle mir zu einer schnelleren und sichereren Indi-
cationsstellung verholfen hat, und das sich vielleicht nach dieser Richtung hin
verwerthen lässt.
Wenn die Paukenhöhle nach gründlichem Durchspülen, Ausblasen und Aus-
tupfen soweit von Secret gereinigt war, dass sich in der Perforation .für etwa
10 Minuten kein pulsirender Tropfen mehr zeigte, noch durch den Vasalva’schen
Versuch oder sonstige Lufteintreibung zum Vorschein gebracht werden konnte,
kam augenblicklich ein Stoss Eiter geschossen, sobald der Patient hustete. Ich
habe den Versuch häufig wiederholt und zwar stets mit demselben Resultat.
Diese Erscheinung deutet auf das Vorhandensein eines Eiterdepots, welches
durch den die Paukenhöhle durchstreichenden Wasser- oder Luftstrom kaum
berührt, jedenfalls nicht entleert wird, welches aber doch in genügender Com-
munication mit diesem Raume steht, um aueh Hustenstösse zum Ueberlaufen
in denselben gebracht zu werden
Trotz nochmaliger Erweiterung der Perforation nach 1 Monat und dem
Gebrauch adstringirender Tropfen, nahm aber die Eiterung nicht ab. Gelegent-
lich konnte man auch ein eben bemerkbares Oedem bei nur ganz geringer Druck-
empfindlichkeit über dem Warzenfortsatz nachweisen. Dann schaffte der Eis-
beutel für etwa 11/3 Wochen wesentliche Erleichterung; als aber gegen Mitte
. Mai auch leichte Temperatursteigerungen auftraten, rieth ich immer dringender
zur Operation, die am 29. Mai ausgeführt wurde.
Auch hier fand sich ein gesunder Cortex des Proc. mast., und in geringer
Tiefe eine Abscessmembran, nach deren Durchbrechen sich ein Strom Eiters ent-
leerte. Bedeutende Granulationsmassen wurden durch den scharfen Löffel heraus-
befördert, und auch hier die ganze Innenwand des proc. mast. weggenommen,
da sich eine starke Eiterausbreitung über der Dura mater des Kleinhirns fand.
W. Vulpius: Drei Fälle v. Influenza-Otitis m. epiduralen Abscessen. 113
Beim Säubern der letzteren fiel im hinteren, unteren Winkel der Abscesshöhle
eine schwärzlich verfärbte Stelle auf, die in der dritten Woche der Nachbehand-
lung durch gesunde Granulationen abgestossen wurde, und demnach einen necro-
. - tisirten Heerd darstellte, an dem wahrscheinlich in kurzer Zeit ein Durchbruch
des Abscesses nach den Meningen stattgefunden hätte.
- Die fast hühnereigrosse Wundhöhle füllte sich allmählich mit Granulationen,
die wenig Aetzung erforderten, und schloss sich gegen Mitte Juli 1894 voll-
kommen. Auch die Mittelohreiterung versiechte während dieser Zeit, aber eine
Perforation, den Umbo umgreifend, ist noch vorhanden. Anfangs October
öffnete sich eine kleine Stelle der retroauriculären Narbe nochmals ohne wesent-
liche Reaction, um 2 kleinen necrotischen Knochensplittern Auslass zu gewähren,
hat sich aber nach 2 Wochen wieder gänzlich und wohl definitiv geschlossen.
Das Gehör ist in diesem Falle — der Perforation entsprechend — noch
nicht in alter Schärfe wiederhergestellt, während einige unangenehme Sensationen
hinter dem Ohr wohl auf Einbeziehung einer grösseren Durastrecke in die Narbe
zurückzuführen sind.
In, allen 3 Fällen handelte es sich offenbar nicht um eine mit der
Paukenhöhle gleichzeitig erfolgte Infection der Warzenfortsatzräume; bei
zweien konnte die unnachgiebige Derbheit des Trommelfells und die
„ hierdurch bedingte Erschwerung des Eiterabflusses als wahrscheinlichste
Ursache der Weiterausbreitung des Eiterungsprocesses nachgewiesen
werden. Der unmittelbare Erfolg einer gründlichen Drainage vermittelst
galvanocaustischer Paracentese des Trommelfells war in diesen beiden
Fällen so verheissungsvoll, dass man hoffen. durfte, die Entzündung sei
noch auf die Paukenhöhle beschränkt gewesen und ihrem weiteren Um-
sichgreifen durch die Operation Schranken gesetzt. Um so schwieriger
und später ergab sich in Folge dessen eine klare Indication für die
eingreifende Knochenoperation.
In keinem der 3 Fälle deuteten die Symptome auf mehr als ein
Empyem der Warzenfortsatzzellen, während die schweren Complicationen
der epiduralen und paraphlebitischen Abscesse sich erst während der
Operation zeigten.
Vielen dieser, und‘noch verhängnissvolleren Complicationen kann
vorgebeugt werden durch frühzeitige und ausreichende Drainage der
Paukenhöhle, wenn dieselbe von einer acuten eitrigen Entzündung be-
fallen ist, und das Trommelfell sich entweder individuell oder auf Grund
einer besonderen Infiltrationsform als unnachgiebig erweist.
Auf diese Weise würden und sollten viele Warzenfortsatzaufmeisse-
lungen nach acuter eitriger Mittelohrentzündung überflüssig werden.
g*
1]4 Stan. v. Ste in: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden.
d
XI.
Veber Gleichgewichtsstörungen bei. len
Von Stanislaus von Stein,
Privatdocent an der Kaiserl. Universität zu Moskau.
(Mit 7 Abbildungen im Texte.)
Der Redaction zugegangen am 28. Fehruar 1895.
Nach. der Goltz’schen und der Mach-Breuer’schen Hypothese!)
functioniren im Ohrlabyrinthe besondere automatische Apparate, specielle
Sinnesorgane, welche auf reflectorischem Wege zur Erhaltung des
Gleichgewichts während der Bewegung (halbkreisförmige Canäle, dy-
namisches Sinnesorgan) und während der Ruhe (utriculus und sacculus,
statisches Sinnesorgan) dienen. Durch zahlreiche mannigfache haupt-
sächlich an Thieren gemachte Experimente hat die Hypothese sehr
an Wahrscheinlichkeit gewonnen und kann bei jetzigem Stande der Erage
schon als eine Theorie betrachtet werden. Paul. Meniere sen. (1861)
gebührt das Verdienst zuerst den klinischen Beweis erbracht zu haben,
dass auch beim Menschen Gleichgewichtsstörungen durch eine Labyrinth-
affection bedingt werden können. James, Kreidl, Pollak und
Rosenbach?) benutzten als pathologische Beobachtungsobjecte die
Taubstummen, bei denen je nach der Läsion des nicht näher bestimmten
1) Die hierher bezüglichen Literaturangaben sind von mir detaillirt in
meinem, in deutscher Sprache erschienenen Werke angeführt: „Die Lehren von
. den Functionen der einzelnen Theile des Ohrlabyrinths* zusammengestellt von
Stanislaus von Stein. Aus dem Russischen übersetzt, für die deutsche
Ausgabe bearbeitet und herausgegeben von Dr. C. van Krzywicki. Privat-
docenten an der Universität zu Königsberg i. Pr. Mit 190 Abbildungen. Verlag
von Gustav Fischer in Jena, 1894. l
2) O. Rosenbach. Beitrag zur Lehre von den Regulationsstörungen der
Muskelthätigkeit bei Taubstummen. Centralblatt "für Nervenheilkunde und
Psychiatrie. Mai 1893.
R. beobachtete, dass bei taubstummen Kindern das Gehen uhd Laufen
von stärkerem Geräusche begleitet war, als bei normalen Kindern gleichen
Alters in Folge eines „stärkeren Aufsetzens“ der Füsse. Es waren eigentlich
keine Coordinationsstörungen, wie z. B. bei Tabetikern. Die Patellarreflexe und
die Sensibilität waren normal. Es lag also in den angeführten Fällen nur eine
Verstärkung des Innervationsimpulses vor. Es scheint als wenn hier wegen
des Fortfalles des Gehöres, als Regulationsmechanismus das Urtheil
über die Stärke der Muskelcontraction mangelhaft geworden wäre.
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 115
Labyrinththeiles Gleichgewichtsstörungen bei gleichzeitiger Unfähigkeit
‚sich mit geschlossenen Augen zu orientiren und Abwesenheit von Augen-
nystagmus ‘bei Durchleitung galvanischer Ströme quer durch den Kopf
beobachtet wurden. Es lag nun der Gedanke nahe das Verhalten des
- Gleichgewichtsregulirenden Sinnesorganes nicht nur bei Taubstummen,
bei welchen die Localaffectionen meistens schon stationär geworden sind,
sondern auch bei den Mittelohrleiden und bei Affectionen des rami
cochlearis n. octavi näher zu studiren und aus dem gegenseitigen Ver-
halten der Symptome Merkmale für die Prognose und Therapie zu ge-
winnen. Eine fernere Aufgabe wird sodann darin bestehen — wenn
es überhaupt eine Möglichkeit geben wird — differentieldiagnostische
Symptome für Gleichgewichtsstörungen durch Ohrenleiden und für solche,
welche durch Leiden des Centralnervensystems bedingt worden sind,
ausfindig zu machen. Im gegenwärtigen Artikel werde ich mich bemühen,
durch einige Ohrenleiden bedingte Bewegungsstörungen etwas näher zu
studiren und theilweise zu systematisiren!). In dieser Richtung habe
ich seit August 1892 über 50 Krankheitsfälle notirt und längere Zeit
beobachtet. _Reine Gehirn- und Rückenmarkleiden wurden womöglich
ausgeschlossen, um die Frage nicht zu compliciren. |
Flourens und pach ihm Rich. Ewald haben nur an Vögeln
bewiesen, dass die Bewegungsstörungen bei J,abyrinthverletzungen in
denjenigen Locomotionsorganen (Flügeln, Füssen) mit besonderer Stärke
zu Tage treten, welche von einer gewissen Vogelart vorwiegend zur
Locomotion benutzt werden. So z. B. bei vorwiegend hüpfenden und
kletternden Vögeln werden die Fussbewegungen alterirt, bei vorwiegend
fliegenden manifestiren sich die Störungen in den Flügeln?). Bei den
1) Es liegen zahlreiche Beispiele (siehe die Literatur in Schwartze’s
Handb. d. Ohrenheilk. Bd. I u. II) vor, wo in Folge Reizung der Terminal-
gebilde des n. octavus bei Druckerhöhung im Labyrinthe durch Ausspritzen,
Durchblasen, Compression der Luft im äusseren Gehörgange, beim Berühren
‘der Gehörknöchelchen, durch Einwirkung von Tönen, oder durch thermale
chemische Reize etc. Gleiehgewichtsstörungen bald nach der erkrankten, bald
nach der gesunden Seite stattfanden. — Knapp. Klinische Analyse der ent-
zündlichen Affectionen des inneren Ohres. Archiv für Ohrenheilkunde. Band
IX. S. 37. |
2) Rich. Ewald. Zur Physiologie der Bogengänge. Pflüger's Archiv
für die gesammte Physiologie. Bd. 41, S. 481.
Ewald sagt: „Ich stehe daher nicht an, als Resultat der oben beschriebenen
Untersuchungen folgenden Satz aufzustellen: Macht man an den Bögen immer
die gleiche Verletzung (vollführt von Ewald nur an den Canales semicirc. hori«
116 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden.
Säugethieren liegen über diesem Punkt keine näheren Beobachtungen
vor. Ferner wurde zuerst von Böttcher (1873) und später von
Anderen beobachtet, dass die Läsion eines Canals von einer Schwäche
der oberen und unteren (Einknicken und Stolpern beim Gehen) Ex-
tremitäten der operirten Seite begleitet wird... Beim Menschen, der ge-
wöhnlich nur die Füsse zur Locomotion benutzt, geben sich die schwächsten
Affectionen gewisser Labyrinth- resp. Hirntheile durch Coordinations-
störungen kund. Es ist selbstverständlich, dass die labile Gleichgewichts-
lage, in welcher der Menschenkörper, sowie anderer Thiere sich stets
befindet, bei mannigfachen Stellungen verschiedene Arbeitsleistung der
. einzelnen Muskelgruppen erheischt. |
Auf Coordinationsstörungen in der rechten Hand beim Schreiben
in Folge von Ohrenleiden hat Guye!) hingewiesen.
In dieser Richtung habe ich meine Untersuchungen nach einem
bestimmten Plane gemacht, und benutzte dabei solche Lagen und Be-
‚wegungen, die jeder normale Mensch leicht, correct und schnell anzu-
nehmen und zu vollführen gewohnt ist, oder welche er ohne besonderer
Vorübung in ein paarmal erlernt. Ausserdem ist es wichtig zu eruiren,
in wie weit sich das an Menschen beobachtete klinische Material mit
den an Thieren erhaltenen Experimenten deckt. |
Das Beobachtungsmaterial theilte ich in zwei Gruppen. Die erste
Symptomgruppe ist das Resultat der Gehörprüfung und die zweite
Symptomgruppe ist das Prüfungsresultat der Muskelthätigkeit der
Unter- und theilweise der Oberextremitäten mit offenen und geschlossenen
Augen (oculi aperti = o. a. und oculi occlusi = 0. 0.)
Die zweite Gruppe zerfällt in zwei DET SIUDDeR:
I. Statische und
II. Dynamische Muskelthätigkeit.
Statische Muskelthätigeit wurde von mir bei folgenden Lagen
näher studirt:
1. Das ruhige Stehen mit aneinander geschlossenen Beinen,
2. das Stehen auf den Zehen (Zehenstellung),
zontales s. externi. Ref.), so sind die darauf eintretenden Störungen bei den
Vögeln desto grösser, je schwerer es für die verschiedenen Thiere bei Ausübung
der beobachteten Bewegungsform normaler Weise ist, das Gleichgewicht zu be-
haupten und je feiner sie daher ihre Muskelbewegungen dabei abstufen.“
1) A. Guye. Ueber die Meniere’sche Krankheit. 9. Sept. 1879. Zeitschr.
für Ohrenheilk. Bd. IX, S. 35. 1880. In diesem einen Falle ist die Handschrift
während und nach Ablauf der Krankheit in der Zeitschrift abgebildet.
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 117
3. das Stehen auf einem rechten oder linken Beine, und
4. das Stehen auf schiefer Ebene. !) '
Aus der Untergruppe der dynamischen Muskelthätigkeit unter-
suchte ich ;
1. Das geradlinige Gehen vorwärts und rückwärts auf ebenem
Boden, i
2. das Hüpfen auf Zehen vorwärts und rückwärts mit ren
Beinen,
3. das Hüpfen auf einem rechten oder einem linken Beine vor-
wärts und rückwärts,
4. das Herumdrehen um die verticale Körperaxe mit EIERN
‚ Beinen nach rechts und links, 1
5. ‘das Herumdrehen auf einem rechten oder linken Beine. 2)
Statische Muskelthätigkeit (Statik).
1. Das Stehen mit aneinander geschlossenen Beinen (Plan-
tarstellung, Zweibeinstellung, 2 pedes = Pp.) und mit
steifen Knien.
Die Unterextremitäten werden aneinander bis zur Berührung der
inneren Fussränder genähert. Bevor man aber zur weiteren Unter-
suchung schreitet, muss man einige Vorsichtsmaassregeln treffen. Die
untersuchende Person muss mit nach vorn gerichteten Augen auf gerader
Diele gestellt werden, da, wie wir weiter sehen werden, die kleinste
Neigung in einigen Fällen schon genügt, um Gleichgewichtsstörungen
zu verursachen. Darauf lässt man die Augen schliessen, oder noch
besser man verbindet sie mit einer 'leichten Binde. Bei den ersten
Untersuchungen ist es gerathener, einfach die Augen schliessen zu lassen,
aus folgendem triftigen Grunde. Beim Verbinden treten die Bewegungs-
störungen viel prägnanter zu Tage, und nicht selten fallen die Kranken
auf die Diele, wenn man sie nicht zeitig auffängt, da die Möglich-
keit sich mit Hilfe der Augen zu orientiren ausgeschlossen ist.
Der zu Untersuchende muss die Arme adduciren, welche gerade-
linig an den Seiten des Rumpfes herabhängen sollen. Beim Verlieren
des Gleichgewichts werden sie in die Luft gehoben.
Ein gesunder Mensch steht minutenlang ganz ruhig mit ge-
schlossenen und geöffneten Augen, nur zeitweise ganz leicht, kaum be-
1) Das Stehen auf einem Balken wurde nicht untersucht, da man dasselbe
auf der schiefen Ebene beobachtet.
i 2) Auf das Laufen wurden die Patienten nicht systematisch untersucht.
118 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden,
merkbar schwankend. Eine Gruppe von Ohrenleidenden verhält sich
normal, eine ändere (die Mehrzahl) aber weist Störungen auf. Mit
offenen Augen steht der Patient fest; sobald er aber die Augen schliesst,
so fängt er an zu pendeln, oder den Rumpf nach verschiedenen oder
vorzugsweise nach einer Seite hinzuneigen, um schliesslich je nach dem
Grade der Erkrankung ganz das Gleichgewicht zu verlieren. Es treten
Coordinationsstörungen in folgender Richtung ein:
a) Ein gerades Pendeln von vorn nach hinten und umgekehrt
(sehr oft) eventuell bis zum Vorwärts- resp. Rückwärtsstürzen.
b) Ein Pendeln in diagonaler Richtung von vorn rechts (oder
links) nach hinten links (oder rechts), wobei sich der Körper
vorwiegend auf einen Fuss stützt. Diese Diagonalbewe-
gungen werden öfters beobachtet. a
c) Der Oberkörper beschreibt einen mit einer Basis nach oben
gerichteten Kegel, indem er sich erst nach vorn (oder hinten),
dann nach rechts (oder links), später nach hinten (oder vorn)
und schliesslich nach links ‚(oder rechts) successiv hinneigt.
Diese Conus-(Kegel)-Bewegungen werden Rus seltener
beobachtet. !)
2. Das Stehen theilweise auf den Zehen und theilweise
auf den Fusssohlen (Zehenstellung, Digiti pedum = Dpp.)
mit aneinander geschlossenen Beinen.
Da bei dieser Stellung der Mensch noch mehr in eine labile Lage
versetzt wird, so äussern sich die Störungen noch. regelmässiger und
prägnanter. Ein normaler Mensch nimmt schnell und leicht die
Zehenstellung mit offenen und. geschlossenen Augen ein und kann in
dieser Lage eine Minute und länger verharren, indem er zeitweise
- compensatorische Bewegungen in verticaler Richtung, d. h. ein Heben
und Sinken, verrichtet.
Es gibt Ohrenleidende, die se in dieser Hinsicht wie Gesunde
verhalten. Andere stehen mit offenen Augen fest, wie normale Menschen ;
schliessen sie aber die Augen, so stellt sich sogleich oder nach ein
paar Secunden ein Wackeln und Pendeln ein, welche so lange dauern,
bis der Patient wieder auf die Ferse zurückfällt. Bei der Untersuchung
kann man in zweierlei Weise verfahren. Der Patient nimmt erst bei
offenen Augen eine bestimmte Lage ein und dann schliesst er die Augen,
1) Ein grades Pendeln von rechts naci links und umgekehrt habe ich
nicht gesehen.
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 119
oder er bemüht sich von vornherein mit geschlossenen Augen in eine
gewisse Stellung zu kommen. Im ersten Falle äussern sich die Störungen
präciser, und man beobachtet folgende Fall- oder Sturzrichtungen
a) grade nach vorne (sehr oft),
b) grade nach hinten (seltener),
c) diagonalwärts nach vorn rechts, oder nach vorn links,
d) diagonalwärts nach hinten rechts, oder nach hinten links.!)
Patient steht eine zeitlang mit geschlossenen Füsseh und geschlossenen
Augen. Jetzt heisst man ihm die Zehenstellung einzunehmen. Dabei
beobachtet man folgende Möglichkeiten:
œ) Der Patient kann seine Fersen bei grösster Anstrengung nicht
in die Höhe heben, als ob sie an den Boden angeleimt wären,
und wackelt nur hin und her. Bei offenen Augen geht es
leicht (selten).
$) Die Fersen werden vom Boden gehoben, wobei aber der Patient .
sogleich auf dieselben zurückfällt, öfters den Rumpf nach hinten
hinüberbeugt und schliesslich, um Gleichgewicht zu erhalten,
ein paar Schritte rückwärts macht (recht oft.)
y) Es gelingt dem Patienten in die Zehenstellung zu kommen
und dieselbe ein paar Secunden zu behaupten, um sogleich
darauf in der Richtung a, b, c, d zu stürzen. Manchesmal
trippelt er auf den Zehen vorwärts oder rückwärts.
In schwereren Fällen beobachtet man dasselbe auch dann, wenn
der. Paiient die Zehenstellung mit etwas gespreizten Füssen einnimmt.
3. Das Stehen auf einem rechten oder einem linken Beine
(pes dexter s. sinister = P.d. s. P.s. Einbeinstellung).
“ Ein normaler Mensch kann bei offenen und geschlossenen Augen
auf einem Fusse leicht !/,—!/, Minute eventuell noch länger stehen,
wenn er auch zeitweise mit den Händen und dem gehobenen Beine
balancirt und manchesmal ein wenig von der Stelle fortrückt. Um das
Stehen ohne besonderen Kraftaufwand und Vorübung zu erleichtern,
verfährt man auf zweierlei Weise: erstens, das gehobene Bein stützt.
sich mit seiner Plantargegend auf die Dorsalfläche des anderen Fusses
(bequem bei Damen), oder zweitens, das gehobene Bein wird rechtwinklig
im Knie gebogen und auf das Kniegelenk des anderen Fusses gestützt.
Bei frei in der Luft schwebendem Beine ist es bedeutend schwerer, das
Gleichgewicht zu behaupten.
1) Ein Fallen lateralwärts nach rechts oder links habe ich nicht angetroffen.
120 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden.
Experimentelle Thatsachen. Bornhardt’s Beobachtungen
(1875).. Die Tauben können lange Zeit auf einem Beine stehen, und
zwar auf der nicht lädirten Seite. Die andere Extremität hingegen
ist nach der Operation geschwächt (Einknicken beim Stehen und Gehen). —
Die aufgehobene Extremität wird in vielen Fällen nicht gleich auf den
Fussboden gesetzt, sondern erst nach mehrmaligem, nicht vollem Strecken
und Krümmen.
Klinische Beobachtungen. Einige Ohrenleidende verhalten
sich beim Stehen auf einem Fusse, wie Gesunde, die anderen aber weisen
verschiedene Störungen auf.
Erste Beobachtungsreihe. Der Patient stellt sich erst auf
einem Beine mit offenen Augen ein und steht auf ihm mehrere Secunden.
Nun schliesst er die Augen. Jetzt können sich folgende Sturzrichtungen
beim Stehen, z. B. auf dem rechten Beine, manifestiren:
a) lateralwärts nach rechts (oft),
b) lateralwärts nach links (oft),
c) diagonalwärts nach rechts vorn, oder nach rechts hinten (seltener),
d) diagonalwärts nach links yorn, oder nach links hinten (seltener) }).
Beim Stehen auf dem linken Beine kann man dieselben Erschei-
nungen beobachten.
Zweite Beobachtungsreihe. Der Patient steht eine Zeit-
lang mit geschlossenen Beinen und . geschlossenen Augen. Jetzt heisst
man ihm z. B. das linke Bein zu heben. Dabei erweist sich Folgendes:
a) Der Patient, nachdem er eine Weile gestanden hat, fällt in
der Richtung wie bei a, b, c, d.
b) Kaum hat der Patient das rechte Bein gehoben, so setzt er
es sogleich wieder auf den Boden. Dieses Spiel wiederhölt
sich in einem fort, so lange er sich bemüht, Einbeinstellung
einzunehmen.
Die hier geschilderten Gleichgewichtsstöürungen können nur für
beide Beine oder für ein linkes resp. ein rechtes existiren. Während
der Untersuchung klagt der Kranke über ein schnelles Ermüden. Was
den Zusammenhang zwischen den Ohrenleiden und den Fallrichtungen
anbetrifft, so ergibt sich Folgendes:
a) z. B..rechtes Ohrenleiden. Feste rechte Einbeinstellung,
und Fallen nach rechts bei linker Einbeinstellung.
1) Ein Fallen grade nach hinten oder vorn habe ich nicht gesehen.
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 121
p) Rechtes Ohrenleiden. Bei rechter Einbeinstellung Fallen
nach links und feste linke Einbeinstellung.
y) Rechtes Ohrenleiden. Bei rechter Einbeinstellung Fallen
nach links und bei linker Einbeinstellung Fallen nach rechts
— gekreuzte Coordinationsstörung.
6) Rechtes resp. linkes Ohrenleiden. Fallen nach rechts resp.
links (selten). - | |
e) Bilaterales Ohrenleiden.. Störungen wie bei «a, ß, y.
Die angeführten klinischen Thatsachen berechtigen zum folgenden
Schlusse: jedes Ohrlabyrinth regulirt die statische Muskel-’
thätigkeit der unteren Extremitäten gleichzeitig auf
der gleichnamigen und entgegengesetzten Seite. Ich stelle
mir den Gang der Sache auf folgende Weise vor. Betrachten wir die
. Störungen sub «. Hier entsendet der gesunde Theil einer Region des
rechten Labyrinths normale Impulse zur rechten Unterextremität, welche
gleichzeitig dieselben Impulse durch die gekreuzten Bahnen vom linken
Labyrinth erhält. In Folge dessen bleibt das rechte Bein fest stehen.
Bei linker Einbeinstellung entsendet das linke Labyrinth normale Im-
pulse zur linken Unterextremität, das rechte Labyrinth aber nicht. Die
Folge dieser Schwächung oder Ausfallens des Impulse bewirkt ein Hin-
Ziehen nach rechts. Bei Störungen sub ß bedingen die stärkeren Impulse
der linken Seite und Schwächung der rechten ein Hinziehennach links.
Ich muss hier ausdrücklich bemerken, dass die Patienten dabei
ausgenommen einige acute Fälle, an keinen Schwindelanfällen litten.
Äuf meine Frage, warum sie nicht die eingenommene Stellung behaupten
können, antworteten die Kranken, dass sie von einer unüberwindlichen
Kraft "hingerissen werden. À |
4. Das Stehen auf schiefer Ebene mit aneinanderge-
schlossenen Beinen und mit steifen Knien.
Um die Intensität der Gleichgewichtsstörungen in einigen Fall-
richtungen einigermaassen in Zahlen auszudrücken, habe ich einen be-
sonderen Apparat construirt, welchen ich den statischen Gonio-
meter oder Winkelmesser (goniometre statique = G. st. oder 3)
genannt und welchen ich auf dem Internationalen Congresse für Zoologie
in Moskau 1892 demonstrirt habe.!) Wie man auf der beigefügten
1) St. von Stein. Appareil servant & determiner les deviations des
fonctions statiques du labyrinthe de l’oreille et sa démonstration. Communi-
cation préliminaire. Congrès Internationale de Zoologie à Moscou. Août 1892.
122 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden.
Zeichnung sieht, besteht das Instrument aus zwei übereinander ge-
lagerten Brettern, von denen das untere 85 cm lange (1) immobil
horizontal auf dem Boden liegt, während das obere 1,4 m lange (2)
um ein Scharnier in Höhe bis 50° sich bewegen kann. Das obere
Brett ist an seinem vorderen Ende mit einem Stützbrettchen 5 cm hoch
Fig. 1.
(3) versehen, welches als Stützpunkt für die Zehen dient. Die Hebung
geschieht mit Hilfe von zwei feinen starken parallel verlaufenden Schnüren
(6), welche am hinteren Ende des oberen Brettes befestigt sind, und
welche mit der Kurbel (7) ohne Geräusch und Erschütterung auf eine
2cm dicke mit Zahnrad (8 nicht zu sehen) und Schnappvorrichtung
versehene Walze gewickelt werden können. Das ganze eiserne 1,16 m
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 123
hohe Gestell (4) lässt sich leicht aus den an das untere Brett ange-
brachten Hülsen (5) herausstossen. An der rechten Seite des Apparates,
wo auch’ sich -die Kurbel befindet, ist ein Gradbogen (75 cm lang und
4 cm breit, 9) in 50° getheilt angebracht. Das eiserne Gestell wird
mit dem eisernen Zwischenstücke (10) zusammengehalten. .Die Breite
des Apparates beträgt 25 cm.!)
Mit dem statischen Winkelmesser lässt sich eine Reihe interessanter
klinisch wichtiger Beobachtungen machen.
Das Verhalten eines normalen Menschen auf dem
.Goniometer.
Die zu prüfende Person stellt sich auf das obere Brett in auf-
“rechter Stellung mit aneinander geschlossenen Beinen, steifen Knieen und
mit geradlinig an den Seiten des Rumpfes herabhängenden Oberextremi-
täten und stützt die Stiefelspitzen °) gegen das Stützbrettchen. Beim
continuirlichen sogar schnellen Drehen der Kurbel steigt ein gesunder `
Mensch gleichmässig und gleich gut mit offenen und geschlossenen
Augen in die Höhe ohne zu wackeln, bis zu einem gewissen Grade,
von dem an er das Gleichgewicht nicht mehr im Stande ist zu be-
haupten und nach vorn fällt. Die Stiefelsohlen müssen auf dem Brette
liegen, und der untersuchte muss nicht die Zehenstellung einnehmen.
Der maximale Hebewinkel für die Neigungsrichtung nach vorn
oder Vorwärtsneigung (inclinatio) entspricht bei normalen Er-
wachsenen (nicht Greisen) folgenden Graden, die selbstverständlich einen
relativen, aber keinen absoluten Werth haben:
Inclinatio anterior (Inc. ant.) = 36°—40°.)
Sobald man sich dem kritischen Punkte nähert, muss man die
Kurbel sehr langsam und mit kleinen Pausen drehen, da die geprüfte
- Person, um das Gleichgewicht, wie bei offenen, so auch bei geschlossenen
Augen zu erhalten, die Zehenstellung annimmt und auf diese Weise
1) Ich habe mir noch einen kleinen 1/4 m langen Apparat construiren lassen,
dessen oberes Brett mit Hilfe eines Zahnrades und Schlüssels gehoben wird.
Das Arbeiten mit dem grossen Goniometer ist bequemer, da er stabiler ist.
2) Die Spitzen müssen hart sein, sonst kann die Versuchsperson vor Schmerz
nicht stehen. Die Absätze waren nicht über 2cm hoch. Schuhe bei Damen
mit Korkeinlagerungen und höheren Absätzen wurden nicht zugelassen.
3) Ausnahmeweise beobachtet man bei sehr biegsamen Sprunggelenken ein
Vorwärtsfallen erst: bei 450 und sogar noch mehr Graden, indem die Person
sich auf Fingerspitzen stellt, Bei Anwendung des verticalen Lineals mit den
Halbkreisbogen werden die Winkel auf 1—20 kleiner. Be da die verticale
Stellung noch präciser eingestellt wird.
124 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden.
die Sohlen vom Brette abhebt. In Folge dessen neigt sie sich vorwärts
und fällt darauf wieder auf das Brett zurück; dieses Balanciren wieder-
holt sie ein paarmal bis schliesslich ein Sturz nach vorn erfolgt. Bei.
normalen Menschen geschieht die Hebung auch in denjenigen Fällen
sehr gleichmässig, wo man von vorne herein die Kurbel sehr schnell
dreht. Um der untersuchten Person die Angst vor Beschädigung in
Folge des Sturzes zu ersparen, stellt man den Apparat vor eine Wand,
| auf welche man sich im Nothfalle
mit den Händen stützen kann, oder
.man hält seinen linken Arm vor.
Ausserdem ist es sehr wichtig für
Erhaltung exacterer Resultate diese‘
Cauteln zu beachten. Denn wenn
zufällig oder aus Angst während
des Hebens die Augen geöffnet und
dann wieder geschlossen werden,
so.erhält man bei Kranken einen
grösseren Neigungswinkel. Zweck-
mässiger, wenn es der Fall erlaubt,
ist es, die Beobachtungen mit und
ohne der Augenbinde zu machen.
Um gleichmässigere Resultate
zu erhalten und groben Fehlern in
Form von zu grossen, oder zu klei-
nen Gradezahlen aus dem Wege zu
gehen, muss man einige Vorsichts-
maassregeln treffen. Erstens, man
nicht höher als 1—2cm sein sollen
und im Schuhe sich keine Korkplatten
in der Fersengegend befinden, und
zweitens, dass die aufrechte senkrechte Stellung mit steifen Knieen
möglichst beibehalten wird, da der Körper während des Steigens ganz
unwillkürlich zurückgeneigt und die Knie etwas vorwärts gebeugt werden.
Auf diese Weise ist man im Stande, das Gleichgewicht auf der schiefen
Ebene bei 50° und noch mehr Graden zu behaupten. Um diesem theil-
weise vorzubeugen, benutzte ich bei meinen ersten Untersuchungen ein
0,2 m breites und 2 m hohes leichtes Brett mit Riemen, wie es die
Fig. 2 zeigt. Dasselbe wurde mit dem Riemen 1 und 2, welche sich
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achte darauf, dass die Stiefelabsätze .
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 125
vorn kreuzten, an den Rücken, mit den Riemen 3 an die Lendengegend
und mit 4 oberhalb der Malei angeschnallt.e. An der Seite‘ hing ein
‚Loth (5). Da mir diese Vorrichtung noch zu compendiös und zeit-
raubend in Folge des vielen Schnallens, so construirte ich mir eine
andere, die in der Fig. 3 abgebildet ist. Das Instrument besteht aus
einem 5 cm breiten, 15 mm dicken und 2 m hohen Lineale mit einem
Transportire oben, von dessen Centrum ein Loth an einem feinen festen
Faden herunterhängt!). Das Lineal wird an die Lendengegend und
Fig. 3.
über die.Mallei so angeschnallt, dass das untere Ende durch Anstossen
an die Ferse nicht das freie Extendiren der Füsse hindert. Bei der
Aufstellung soll der Kopf bei horizontal gerichtetem Blicke mit mög-
lichst geringer Muskelänstrengung auf dem Halse aufruhen (horizontale
Kopfstellung), die ausgestreckten Arme und Hände am Körper symmetrisch
herabhängen ?) und die Beine aneinander geschlossen. Darauf giebt man
1) Der Gradbogen hat auf der ungetheilten Seite des horizontalen Theiles
einen breiten senkre£ght gebogenen Haken, welcher grade und fest in eine an
das Lineal geschraubte Hülse passt.
2) Emil Schmidt. Anthropologische Methoden. Anleitung zum Beob
achten und Sammeln. 1888, S. 54.
126 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden.
dem Körper eine solche Stellung, dass der Faden grade auf den Null
oder 90° zu stehen kommt und hier während des Hebens bleibt. Die
geringsten Vor- oder Rückwärtsbewegungen machen sich sogleich be-
' merkbar, und man heisst dann den Kranken die verticale Stellung ein-
nehmen. Man achte darauf, dass der Kopf stets, seine einmal ange-
nommene Stellung nicht verändert, da ein Vor- resp. Rückwärtsbeugen
schon genügt, um Gleichgewichtsstörungen auszugleichen !), In dem
neuesten Modelle des Lineales sind 2 Transportire in senkrecht entgegen-
gesetzten Horizontalrichtungen angebracht, um im Stande zu sein, auch °
die seitwärts gemachten Ablenkungen zu bemerken. Der Kopf wird
hier durch eine Gabelvorrichtung, wie bei den Photographen, fixirt.
Mit dem Goniometer lässt sich auch der maximale Winkel für. die
anderen zwei Neigungsrichtungen, nämlich für die Neigung nach
hinten — Rückwärtsneigung (inclinatio posterior — Incl. post.)
und Neigung nach den Seiten — rechte resp. linke Seitwärts-
neigung (inclinatio lateralis dextra seu sinistra == Inc. lat. dex. s. sin.) -
bestimmen. Im ersten Falle werden die Absätze der geschlossenen
Füsse, im zweiten der äussere Rand dės rechten oder linken Fusses
gegen das Stützbrettchen gekehrt. Die erhaltenen Mittelwerthe sind
folgende: ,
Inclinatio posterior = 26—30°,
Inclinatio lateralis = 37—38°.
Hier betone ich ausdrücklich, dass ich bei Kranken nur Gewicht
auf Unterschiede von mehreren Graden im Vergleich mit den Normal-
zahlen, aber nicht auf ein, anderthalb oder zwei Grade lege, und dabei,
wenn wiederholte Prüfungen ungefähr ein und dasselbe Abweichen . er-
geben haben, da die Beobachtungen noch nicht genug zahlreich und
die Beobachtungsmethoden noch nicht genug exact ausgearbeitet sind,
‚um gegenwärtig auf solche kleine Schwankungen einen Werth zu legen.
Seitdem ich das verticale Lineal benutze, habe ich kleinere Normal-
zahlen erhalten. Aus dem mir von Prof. Gradenigo gütigst zuge-
gesandten Artikel ersehe ich, dass Dr. Luzzatti2) in seiner Klinik
nach meiner etwas modificirten Goniometermethode schon Beobachtungen `
1) Das wird ganz verständlich, wenn man bedenkt, dass der Kopf fast
1/;—1/g des Gesammtgewichtes des ganzen Körpers ausmacht.
2) G. Luzzatti. Contribuzione allo studio del senso statico nei soggetti
sani ed in quelli affetti da malattie dell’ orrecchio. ‘Archivio italiano di Otologia; '
Rinologia e Laryngologia. p. 383. å
Leider habe ich den Artikel zu spät erhalten, um die Resultate dieser vor-
läufigen Mittheilung zu prüfen. Dieses wird meine nächste Aufgabe sein. Worin
die Modification besteht, wird nicht angegeben.
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 127
gemacht hat. Die von ihm bei normalen Individuen erhaltenen Zahlen
sind folgende: Inclinatio anterior. . . 36—39°,
5 posterior . . 26—30°,
» lateralis . . . 36—38°.
Wie verhält sich auf dem statischen Goniometer ein
Ohrenleidender?
Hier muss man mehrere Gruppen von Kranken unterscheiden.
Die I. Gruppe verhält sich ganz normal mit offenen und ge-
schlossenen Augen. Also in diesen Fällen haben wir nur mit der
Affection des rami acustici n. octavi zu thun.
Die II. Gruppe verhält sich normal mit offenen und äussert statische
Störungen mit geschlossenen Augen.
Die Ill. Gruppe äussert leichte statische Störungen mit offenen
und sehr starke mit geschlossenen Augen.
Gleichgewichtsstörungen manifestiren sich meistens schon bei ganz
langsamen Drehungen der Kurbel dadurch, dass der Patient nicht gleich-
mässig in die Höhe steigt, sondern ruckweise vorwärts resp. rück-
wärts schnellt, und wenn man das Drehen nicht sogleich unterbricht
und eine Pause macht, so fällt der Patient, ohne seinen maximalen
Neigungswinkel erreicht zu haben. Man sieht daraus, dass die Co-
ordinationsimpulse nicht schnell genug zu den betreffenden Muskeln ge-
langen und dass der Kranke bei jeder Hebung des Brettes in einen
solchen Zustand versetzt wird, wie ein Normaler, wenn er sich nahe
am kritischen Neigungswinkel befindet. Viele Kranke machen noch
laterale Bewegungen und balanciren mit den Händen in der Luft aus
Angst vor einem Sturze. Darum muss man sie immer beruhigen und
darauf aufmerksam machen, dass sie in jedem nöthigen Momente vom
Arzte oder seinen Gehilfen aufgefangen werden. Ein Patient, welcher
bei seinem maximalen Neigungswinkel mit geschlossenen Augen fällt,
kann noch mit offenen Augen stehen. Wenn er jetzt die Augen schliesst,
so kann er noch ein paar Grade höher gehoben werden oder er stürzt
bei der leisesten Umdrehung.
Schlimme Fälle erlebte ich bei der Prüfung mit dem Winkelmesser
nicht. Ich untersuche erst die Kranken ohne Loth und sobald ich sehe,
dass es ein schwerer Fall ist, so binde ich das Loth nur an einen Fuss,
um bei Schwindelanfällen den Kranken leichter auf den Boden zu stellen.
Sehr oft beugt man einem Schwindelanfall vor, indem man den Unter-
Zeitschrift für Ohrenheilkunde. Bd. XXVII. 9
128 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden.
suchenden die Augen öffnen heisst. Ohrenleidende ermüden sehr schnell
bei allen angeführten Versuchen und darum ist es rathsamer, in schwereren
Fällen die Untersuchung in ein paar Sitzungen zu beenden. Sehr oft ver-
halten sich Ohrenleidende normal beim Stehen und Gehen und äussern
Störungen auf dem statischen Winkelmesser, welcher auf diese Weise
als ein sehr sensibler Apparat zum Nachweise von Coordinationsstörungen
leichten Grades benutzt werden kann. Das nähere Verhalten der Kranken
mit Neurasthenie, Hysterie und anderen Nervenleiden auf dem statischen
Winkelmesser habe ich nicht näher studirt. Sehr schwache, anämische
und corpulente Personen fallen bei einem kleineren Winkel.
Dynamische Muskelthätigkeit (Dynamik).
I. Das Gehen in geradliniger Richtung auf ebenem Boden
(Itio rectolinearis = J. rl.) vorwärts (It. rl. ant.) oder rückwärts
(It. rl. post.).
. Einem normalen Menschen ist es leicht auf egalem Fussboden mit
offenen und geschlossenen Augen in schnurgrader Richtung vorwärts
und rückwärts zu gehen, wobei die Schritte gleichmässig gross bleiben
und die Fussspitzen auswärts gekehrt bleiben. Vorwärts geht ein Ge-
sunder ein bischen schneller und sicherer, als rückwärts. Viele aus
Angst sich an etwas zu stossen verlangsamen ihre Schritte und strecken
die Hände nach vorn. Um dieser Unannehmlichkeit aus dem Wege
zu gehen, stellt man sich an das entgegengesetzte Ende des Zimmers
und heisst den Untersuchenden dreist zu gehen. Das Marschiren wieder-
holt man mehrere Male, erst in einem langsamen Tempo, darauf in
einem beschleunigten. Die Erfahrung hat gezeigt, dass in einigen Fällen
Gleichgewichtsstörungen nur bei einer gewissen Geschwindigkeit zu Tage
treten. Bei Kranken ist es gut, wenn der Arzt und sein Gehilfe zu
beiden Seiten von ihm geräuschlos mitgehen, denn dadurch wird dem
Patienten Muth eingeflösst, und er ist sicher, dass er im Nothfalle einen
Stützpunkt finden wird.
Manchesmal benutzte ich zum Gehen ein 3 m langen, sargdeckel-
förmigen Holzkasten mit gleichen Brettern ZN, wobei die offene
Seite als Basis dient. Das obere Brett ist ca. 0,15 m breit und 0,1 m
vom Boden entfernt. Ein gesunder Mensch geht auf diesem Apparate
sehr leicht ohne das Gleichgewicht zu verlieren, indem er mit der ganzen
Sohle auftritt. Man kann auch einen Balken benutzen, aber dadurch
wird. der Apparat zu schwer.
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 129
Beobachtungen bei Ohrenleidenden.
Im Allgemeinen bemerkte schon James!) die Coordinationsstörungen
bei Taubstummen, Nähere Studien darüber fehlen uns noch vorläufig.
Aus Experimenten an Vögeln wissen wir, dass nach Läsion der halb-
kreisförmigen Canäle eine Schwäche in den oberen und unteren Ex-
tremitäten sich einstellt und zwar nach Boettcher’s Beobachtungen
in gewissen Richtungen.2) Auf diese Weise erhalten wir einige Finger-
1) James (1882) war es schon bekannt, dass Taubstumme beim Gehen
die Beine auseinander spreizen und einen schwankenden Gang haben; bisweilen
gingen sie in Zickzack.
Die Lehrer in den Taubstummenanstalten haben schon längst bemerkt,
dass die Zöglinge die Beine nicht aufheben, sondern mit denselben am Boden
entlang schlürfen.
Kreidl (1891) beobachtete, dass die meisten der von ihm untersuchten
Taubstummen mit geschlossenen Augen nicht auf einem Beine stehen und ge-
radeaus gehen konnten.
Rosenbach’s Beobachtungen (1893) an Taubstummen s. oben sub 2.
2) Boettcher (1872, Curschmann (1874), Berthold (1874), Born-
hardt (1875), Cyon (1878).
Boettcher (1872). Beim Herausbrechen des horiz. Canals wird ein
momentanes Versagen, ein vorübergehendes Einknicken und Stolpern nach
innen des Beines auf der operirten Seite beim Gehen bemerkbar. Bei beider-
seitiger Verletzung knickt bald das eine, bald das andere Bein ein.
Bei Läsion des linken frontalen Canals oberhalb der Kreuzungsstelle er-
folgt ein Ausweichen der Füsse nach vorn und ein momentanes Zusammen-
knicken des linken Beines. Normale Schritte wechseln mit nicht normalen.
Hierbei beobachtet man ein Ueberschwanken des Körpers nach links —
Läsion des front. Canals unterhalb der Kreuzungsstelle. Gang der Taube nicht
fest, weicht dabei nach rechts hinten, oder nach links hinten ohne zu
fallen. — Beiderseitige Läsion der frontalen Canäle. Ausweichen der Füsse
nach vorn, Fallen nach hinten, auf den Schwanz stützend. — Läsion des Canalis
semicirc. sagittalis sin. Bestreben sich nach vorn.zu überkugeln.
Bornhardt (1875). Bei Läsion eines horizont. Canals knickt die ent-
sprechende Extremität nach innen zur Mittellinie ein. Bei Läsion des front.
Canals biegt sie sich mehr nach vorn. Nach Durchtrennung beider horizont.
Cänäle schwankt die Taube beim Gehen von einer Seite zur anderen
und beider senkrechten (front. und sagitt.) Canäle geht sie, indem sie sich
duckt. Bei Kaninchen beobachtet man eine Schwäche einer oder beider
hinteren Extremitäten, je nachdem der Canal auf einer oder auf beiden Seiten
durchschnitten ist, indem dieselben beim Gehen zurückbleiben und nachge-
schleppt werden.
Rich. Ewald (1888) konnte bei Tauben mittelst Gewichte die Ver-
minderung der Muskelkraft der Extremitäten auf der lädirten Seite constatiren.
. g*
130 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden.
zeige für die mögliche Localisation gewisser Bewegungsstörungen beim
Menschen.
Bei Ohrenleidenden beobachtet man Folgendes:
1) Normales Gehen mit offenen und geschlossenen Augen.
2) Beim geradelinigen Gehen vorwärts resp. rückwärts mit ge-
schlossenen Augen ein Wackeln von einer Seite zur andern — laby-
rinthärer Entengang.
Dieser schwankende Gang wird dadurch bedingt, dass die Beine,
wie man das besonders gut bei Taubstummen je nach der Intensität
der Affection beobachten kann, mehr oder weniger stark auseinander-
gespreizt werden und entlang des Bodens: geschlürft werden.
3) Beim Gehen mit geschlossenen Augen bald ein Abweichen nach
rechts, bald nach links — labyrinthärer Zickzackgang.
4) Beim Vorwärtsgehen ein Abweichen nach rechts oder nach
links mit geschlossenen Augen.
: 5) Beim Rückwärtsgehen ein Abweichen nach rechts oder nach
links mit geschlossenen Augen.
In manchen Fällen sub 4) und 5) muss der Kranke, um die
Störungen zu gewahren, eine grössere Strecke zurücklegen. Dabei be-
merkt man, dass das Bein der einen Seite stärker seitwärts geworfen
wird und darum einen grösseren Bogen beschreibt als der anderen, was
ein Abweichen verursacht. Um einen Begriff über den Grad der Ablenkung
zu geben und einigermaassen dieselbe in Zahlen auszudrücken, verfahre
ich die letzte Zeit auf folgende Weise: ich notire die durchschrittene
Distanz erst in grader Richtung und darauf die Ablenkung nach rechts
oder links. So z. B. auf 3m in gerader Richtung geht der Kranke
1m seitwärts. l
6) Ein Vorwärts- resp. Rückwärtsgehen mit geschlossenen Augen
schwer oder geradezu unmöglich in Folge eines Hinstürzens.
Der Kranke steht eine Weile, leicht schwankend, hebt zaghaft das
Bein vom Fussboden, als ob es angeleimt ist, macht einen kleinen
Schritt und bleibt wieder stehen. Darauf folgt ein 2. 3. u. s. w. Schritt.
Ein Doctor, wie wir weiter sehen werden, ging gradeaus vorwärts und
stürzte momentan zu Boden, sobald er einen hüpfenden Schritt rückwärts
machte.
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 131
N. Hüpfen auf Zehen mit geschlossenen Beinen und steifen
Knieen (Saltus digitorum pedum = S. d. pp.) vorwärts (s. d p p. ant.),
rückwärts (S. d pp. post.) oder auf einer und derselben Stelle (S. d. pp.).
Ein normaler Mensch ist im Stande, leicht minutenlang auf einer
Stelle, geradelinig, oder im Kreise mit geschlossenen und offenen Augen
herumzuhüpfen, wobei er die Grösse der Sprünge beliebig variiren kann.
Nicht so ist es bei Ohrenleidenden, wobei man folgende Gleichgewichts-
störungen bemerkt.
1) Der Patient hüpft mit offenen Augen vorwärts resp. rückwärts
wie ein Normaler, aber mit dem Unterschiede, dass sich bald, nach ein
paar Sprüngen, eine Ermüdung und Mattigkeit einstellt, welche
der geleisteten Arbeit garnicht proportional sind. Die Sprünge sind in
schwereren Fällen nicht regelmässig, die Beine knicken in den Knie-
gelenken ein und werden etwas beim Zurückfallen auf den Boden aus-
einandergespreizt.
2) Mit geschlossenen Augen werden die Sprünge noch unregel-
mässiger, plumper, geräuschvoller. Beim Vorwärtsspringen sind meistens
die ersten 2—3 Sprünge gross, darauf folgen ein paar kleinere, endlich
hüpft der Patient auf einer Stelle und meint, dass er sich vorwärts
bewegt. Das Einknicken der Kniee geschieht noch stärker. Die Er-
müdung tritt noch schneller ein, so dass der Kranke sich hinsetzen muss.
3) Beim Rückwärtsspringen bemerkt man dieselben Erscheinungen,
wie sub 2.
4) Beim Vorwärts- resp. Rückwärtsspringen ein Ablenken oder
Fallen nach rechts oder nach links.
Das Abweichen von der geradelinigen Richtung wird dadurch be-
dingt, dass das Sprunggelenk des gesunden Beines stärker im Momente
des Sprunges, als dasjenige der anderen Seite extendirt wird. In einigen
Fällen ist dieses Aufschnellen so gross, dass der Körper von vornherein
seitwärts geworfen wird.
5) Der Patient ist nicht im Stande, mit geschlossenen Augen einen
Sprung zu machen, sondern stürzt wie eine leblose Masse zu Boden.
IH. Hüpfen auf einem Beine
(Saltus pedis dextrae seu sinistrae —= S. p. dex. s. S. p. sin.).
Das gehobene Bein wird im Kniegelenke flectirt, die adducirten Ober-
extremitäten hängen geradelinigan den Seiten des Rumpfes herab und die
Schultern werden horizontal gehalten. Ein normaler Mensch hüpft dabei
leicht und gleichmässig auf den Zehen mit offenen und geschlossenen
Mia ee Me SPÄT ER che e a o M G Ba
-= > y ai e m ë E a M or O o e o
Far A
132 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden.
Augen ein paar Meter in gerader Richtung, wobei die Fussspitze des
hüpfenden Beines auswärts gerichtet wird.
Ein Ohrenleidender verhält sich auf folgende Weise:
1) Wie ein gesunder Mensch, ermüdet aber öfters sehr schnell.
2) In Fällen, wo der Patient mit geschlossenen Augen noch auf
einem Fusse stehen kann, beobachtet man ein ganz eigenthümliches
Verhalten. Er macht erst 1—2—3 relativ grosse Sprünge, die in
einigen Fällen durch verschiedene grosse Pausen unterbrochen werden
und die nicht stets geradelinig ausfallen: es hat den Anschein, als ob
der Kranke erst nachdenken muss, um einen Sprung zu machen. Darauf
folgen mehrere immer kürzer werdende Sprünge, meistens in Zickzack.
Endlich hüpft der Kranke auf einem und demselben Flecke. Sodann
macht er wieder mit grossem Kraftaufwande ein paar Sprünge, welche
aber nie so gross, wie die ersten, ausfallen. Schliesslich wird er so
müde, dass er sich hinsetzen muss. Während des Hüpfens wird das
Bein immer schwächer und schwächer extendirt, so dass der Rumpf
sich mehr und mehr dem Boden nähert. Dieses Letztere beobachtete
ich in einigen schweren Fällen.
Das oben geschilderte Verhalten ist dermaassen charakteristisch und
bei keinem anderen Leiden, so viel mir bekannt ist, anzutreffen, sodass
ich ferner der Kürze wegen einfach „Labyrinthsprünge“ sagen
werde.
Während des Hüpfens kann der Patient, wie beim Gehen, nach
rechts oder nach links abweichen. Nicht selten wird die Fussspitze
des springenden Beines nach innen zur Mittellinie hingekehrt. Dabei
wird auch der Rumpf ein bischen nach vorn und seitwärts gebeugt,
so dass die eine Schulter ein bischen nach vorn sieht. Vor jedem
Sprunge werden in schweren Fällen die Arme erst flectirt und im
Momente des Sprunges extendirt. Die Sprünge sind plump und ge-
räuschvoll, und beim Fallen auf den Boden balancirt der Patient mit
den Händen. Um das Erhalten des Gleichgewichtes zu erleichtern,
erlaubt man dem Patienten am Ende des Sprunges sich auf die ganze
Plantarfläche zu stützen.
3) In Fällen, wo der Patient mit geschlossenen Augen auf einem
Fusse nicht stehen kann. kommt es schwer zu einem Sprunge, da das
andere Bein sogleich auf den Boden gesetzt wird.
4) Beim Rückwärtsspringen beobachtete man die Erscheinungen,
welche sub 1, 2 und 3 geschildert sind.
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 133
IV. Herumdrehen um die verticale Axe des Körpers mit
geschlossenen Beinen nach rechts oder links
(Rotatio pedum = Rot. p.)
Die Bewegung wird sehr leicht und gleichmässig von jedem ge-
sunden Menschen vollführt. Dieselbe besteht darin, dass man sich erst
auf den Zehen etwas in die Höhe hebt und dann den Körper im Kreise
verschiebt, wobei das rechte resp. linke Bein als Axe dient. Ein ge-
sunder Mensch beschreibt ununterbrochen einen oder mehrere Kreise
mit oftenen und geschlossenen Augen gleich gut nach rechts und links.
Den Radius des Kreises bilden die Füsse, deren Spitzen zum Centrum
gewandt sind.
Verhalten eines Ohrenleidenden mit geschlossenen Augen:
1) Ein normales Verhalten.
2) Der Patient beschreibt einen vollen Kreis, aber alle seine Be-
wegungen sind sehr langsam, plump, und er ermüdet bald oder wird
schwindlig.
3) Der Patient verlässt seinen Platz bei jeder Umdrehung und
spreizte leicht die Beine. Um diese Bewegungen noch mehr zu er-
leichtern, erlaubt man dem Kranken, mit den Füssen im Kreise rechts-
um oder linksum zu stampfen. |
V. Herumdrehen auf einem Beine (Rotatio pedis dext. s. sin. =
Rot. p. dex. s. Rot. p. sin.).
Dies Art von Bewegungen ist die schwerste. Ein Normaler erlernt
dieselbe nach ein paar Anstrengungen, ein Ohrenleidender aber nicht.
Am leichtesten vollführt man dieselbe auf folgende Weise.
Das gehobene Bein wird im Kniegelenke gebeugt, wie beim Stehen
und Hüpfen auf einem Fusse. Man hebt die Ferse in die Höhe und
dreht langsam den Körper um das stehende Bein, wie um eine verticale
Axe auf ein paar Grade. Darauf setzt man die Ferse wieder auf den
Boden, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, stellt sich vom Neuen
auf die Zehen und so weiter, bis man einen Kreis ohne den Fleck zu
verlassen beschrieben hat. Sehr vielen ist es leichter sich, auf einem
Beine hüpfend, zu drehen. Es gibt 4 Drehungsrichtungen, nämlich:
für das rechte Bein: nach rechts hinten,
nach links vorn,
für das linke Bein: nach links hinten,
nach rechts vorn.
134 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden
Die Drehungen nach links vorn und nach rechts vorn, also nach
der Seite des gehobenen Beines, sind leichter zu vollführen, als in der
entgegengesetzten Richtung. Einem Normalen gelingen diese Bewegungen
durchweg.
Verhalten der Ohrenleidenden mit geschlossenen Augen.
1) Ein normales Verhalten (selten).
2) Das Drehen unmöglich. Dieses beobachtet man in denjenigen
Fällen, wo der Patient nicht auf einem Beine stehen kann.
3) Es gelingt eine Umdrehung mit grossen Anstrengungen und
grosser Erschöpfung zu machen. Der Rumpf neigt sich bald vorwärts,
bald rückwärts, bald seitwärts. Das gehobene Bein wird bald ausge-
streckt, bald stärker adducirt, bald nach hinten oder vorn gestreckt.
Das Individuum balancirt mit den Händen in der Luft, um nur Gleich-
gewicht zu erhalten. Dabei bleibt der Patient nicht auf einer Stelle,
sondern beschreibt mit einer Reihe von Sprüngen einen Kreis.
4) Mit ein, zwei oder mehreren Sprüngen nach vorn, hinten oder
seitwärts entfernt sich der Patient von seiner ersten Stelle (manchesmal
auf 1—2 Meter), verliert das Gleichgewicht und setzt rasch den
anderen Fuss nieder.
5) Jede Bemühung zum Drehen oder Springen wird sogleich von
einem Fallen begleitet. Diese Sturzrichtungen sind nach rechts hinten,
nach links vorn, nach links hinten, nach rechts vorn. In einigen Fällen
geschieht dieses aber in entgegengesetzten Richtungen. So z. B. beim
Drehen nach links vorn fällt der Kranke nach rechts hinten.
f
Die oben geschilderten Coordinationsstörungen können einzeln (was
seltener ist) oder gruppenweise auftreten. Diejenigen Fälle, in welchen
Gleichgewichtsstörungen nur in einer gewissen Richtung stattfinden, be-
trachte ich als einfache im Gegensatz zu den complicirten
Fällen, wo gleichzeitig mehrere Sturzrichtungen existiren. Die einfachen
Fälle sind besonders instructiv, da sie uns auf rein klinischem Wege
einen Beweis für strenge Localisation von peripherischen Elementen
darbringen, von denen peripherische Reize aus dem automatisch functio-
nirenden Labyrinthapparate zu gewissen Muskelgruppen continuirlich aus-
strömen. Die Gleichgewichtsstörungen können sich auch mit Gehör-
störungen verschiedenen Grades combiniren. Auf diese Weise erhalten
wir ein höchst complicirtes klinisches Bild. Angesichts des anatomischen
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 135
Baues und einiger experimentellen Thatsachen (Högyes, S. 414)!)
müsste man eigentlich so viel einzelne Symptomcomplexe annehmen, als
der n. octavus specielle periphere Endzweige in das Labyrinth absendet,
nämlich einen Symptomcomplex |
1) für ramus cochlearis,
2) für r. saecularis,
3) für r. utricularis,
4) für rami ampullares (sagittalis, frontalis, horizontalis).
Aber im Mangel von exacten wissenschaftlichen Untersuchungs-
methoden, mit deren Hülfe wir im Stande wären, die klinischen Symp-
tome präcis mit den Erkrankungen gewisser Theile des Labyrinths in
causalen Zusammenhang zu bringen, müssen wir uns einstweilen mit:
der Feststellung der mannigfaltigen Störungen begnügen und unsere
Zuflucht zu einer minder exacten Gruppirung des noch spärlichen klinischen
Materials nehmen. |
Die I. Gruppe werden alle Fälle ausmachen. in denen Schwächung
oder totales Verlorensein des Gehörs ohne Gleichgewichtsstörungen be-
obachtet wird. Diese Fälle erlauben uns den Schluss zu ziehen, dass-
wir einen bestimmten Nervenzweig nur für die Gehörsempfindungen
besitzen.
Die II. Gruppe bilden Fälle mit einfachen oder complicirten Gleich-
gewichtsstörungen verschiedener Intensität bei gleichzeitiger Schwächung
des Gehörs. '
Eine Intactheit des Gehörs bei scharf ausgeprägten Coordinations-
störungen habe ich nur einmal beobachtet. Diese Fälle bieten der
differential-diagnostischen Localisation des Leidens grosse Schwierigkeiten,,
da die Störungen durch Hysterie, Anämie, eventuell durch Centralleiden
bedingt sein können.
Die III. Gruppe enthält die complicirten Fälle, d. h. diejenigen,
in welchen sich gleichzeitig Symptome des Gehörleidens mit Gleich-
gewichtsstörungen combiniren. Diese Fälle bilden die Mehrzahl der in.
der Praxis vorkommenden Fälle.
Die Gleichgewichtsstörungen, welche noch eine weitere detaillirte-
Bearbeitung erheischen, lassen sich öfters bei acuten und chronischen
Mittelohrleiden, seltener bei Leiden des äusseren Ohres constatiren. Bei
Laabyrinthleiden sind sie stets permanenter und treten relief hervor.
Bei Endzündungsprocessen des Gehörganges und des Mittelohres bilden.
öfters die Coordinationsstörungen nur eine vorübergehende Erscheinung,
136 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden.
welche mit der Besserung verschwinden. Bei chronischen Mittelohrleiden
schwankt ihre Intensität sehr. Die hier auftretenden Störungen werden,
wahrscheinlich, durch erhöhten Labyrinthdruck, partielle oder totale
Hyperämie resp. Entzündung oder gleichzeitig durch alle drei Ursachen
bedingt. Die Feststellung der Häufigkeit des Auftretens dieser Störungen
muss ferneren Beobachtungen einstweilen überlassen werden.
Jetzt fragt sich: Sind denn diese anormale Bewegungen nicht zur
Ataxie zu rechnen? Wenn wir uns an die Definition der Ataxie nach
Möbius!) halten, so müssen wir eine negative Antwort geben, denn
„Eigentliche oder echte Ataxie diagnosciren wir da, wo
der nicht gelähmte Kranke Bewegungen, die er früher
geschickt machte, ungeschickt ausführt trotz Controle
der Augen.“ Da ausserdem die Empfindlichkeit der unteren Ex-
tremitäten nicht gestört war, so müssen die Schwankungen beim Stehen
mit geschlossenen Füssen nicht durch Anästhesie, welche das Brach-
Rompberg’sche Symptom bedingt, sondern durch Etwas anderes ver-
ursacht werden, nämlich durch Schwächung oder Ausfall der tonisirenden
Impulse von Seiten des Labyrinthes für die Muskeln (Labyrinthtonus
von Rich. Ewald). Die Folge davon ist eine Alteration der Muskel-
action. Man muss eine grobe und feine Muskelcontraction unter-
scheiden. Die groben Bewegungen werden durch ganze Muskelgruppen
vollführt und sind unserem Willen und der Augencontrolle gehorsam.
Mit dem Abfall der feinen Muskelcontraction, welche man auch die
fibrilläre Contraction nennen kann, werden die groben Bewegungen
langsam, ungleichmässig, scandirend, gehen nicht ununterbrochen in
einander über und dieses besonders beim Ausschluss der Augen. Bei
Anwesenheit der feinen Muskelcontraction werden also alle, sogar die
schnellsten Bewegungen geschmeidig. Auf Grund meiner Beobachtungen
an Ohrenleidenden bin ich auch einstweilen der Meinung, dass die feinen
Muskelcontractionen, z. B. beim „Gehen auf dem Seile, Balken, durch
einen automatischen Apparat regulirt werden, welcher seinen Sitz im
Ohrlabyrinthe hat. - Ein Theil des sogenannten «Muselsinnes» ist, viel-
leicht, nichts anderes als die unbewussten Empfindungen, welche den
Muskeln vom Labyrinthe aus immerfort zuströmen. Die Coordinations-
störungen bei Ohrenleiden unterscheiden sich durch folgende Merkmale.
1. Die Störungen treten mit geschlossenen Augen bei Abwesenheit
von Ataxie und Empfindungsalterationen auf.
1) Jul. Möbius. Allgemeine Diagnostik der Nervenkrankheiten. Leipzig.
1886, S. 88.
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 137
2. Bei offenen Augen erreichen die schnellen Bewegungen niemals
ihre normale Correctheit und Promptheit, sondern sind öfters unsicher
und langsamer.
3. Die Störungen äussern sich meist bei gewissen Lagen und in
gewissen Richtungen.
4. Vertheilen sich nicht immer gleichmässig auf beide untere Ex-
tremitäten. So z. B. kann der Kranke auf dem rechten Beine stehen,
auf dem linken aber nicht.
5. Polymorphie der Bewegungsstörungen.
6. Leichte Ermüdung bei Bewegungen, besonders mit geschlossenen
Augen.
Ob die Muskelkraft dabei alterirt wird, kann ich nicht sagen, da
mir nähere klinische Beobachtungen beim Menschen fehlen. Bei hüpfen-
den Vögeln (Sperlinge, Kanarienvögel) hat Rich. Ewald eine schnell
eintretende Ermüdung constatirt; bei Tauben eine Muskelschwäche (Nä-
heres S. 233—236).!) Die Ermüdung lässt sich auch durch: den Aus-
fall der Impulse des automatisch wirkenden Labyrinthmechanismus er-
klären, und der Mensch muss erst nachdenken, um eine Bewegung zu
machen. |
7. Das Verhalten auf dem Goniometer. — Ruckweises Steigen
und ein kleinerer Fallwinkel.
8. Eine gleichzeitig existirende Gehörverminderung oder ein anderes
Ohrenleiden.
9. Ohrensausen ohne Gehörschwäche.
10. Ein Nasenleiden (adenoide Vegetationen, hypertrophische Rhi-
nitis), nach deren Besserung oder Beseitigung die Coordinationsstörungen
schwinden. .
11. Schwindelanfäıle nach Ausschluss von Nerven- und Augenleiden.
Der Sehschwindel unterscheidet sich vom Obrenschwindel dadurch, dass
er bei geschlossenen Augen schwindet, und der Kranke dabei
gut geht und seine Bewegung ganz sicher ausführt. Beim Gehen mit
offenen Augen zittern alle Gegenstände. 2 Kranke empfanden ein Schief-
stehen der Diele. In Folge dessen wurde z. B. im einen Falle das
rechte Bein hoch gehoben und beim Niederlassen mehr nach vorn links
gekehrt. Dabei stolperte der Patient nach vorn und nach mehreren
Schritten beschrieb er einen Kreis nach links. Beim Gehen schien es ihm,
als ob er in die Höhe steigen musste. Beim Zudrücken eines Auges
oder bei Augenschluss marschirte er geradeaus.
138 Fr. Bezold: Ein Wort im Interesse unserer künftig. Fachliteratur.
12. Beim Stürzen bleibt der Kranke bei vollem Bewusstsein, welches
manchesmal nur leicht getrübt wird. (M&niere, Charcot).
Und dennoch wird man noch oft genug Kranke treffen, bei denen
die einzelnen Symptome dermaassen verwickelt sind, dass man nicht im
Stande ist, bestimmt zu localisiren. In diesen Fällen wird sich die
Sache manchesmal nach längerer Beobachtung entscheiden. Man muss
sich zur Regel machen, sein Urtheil über den Zustand des Labyrinths
nicht nach Prüfung einer Art von Bewegungen, sondern vieler zu fällen.
(Schluss folgt.)
XII.
Ein Wort im Interesse unserer künftigen Fach-
literatur.
Von Fr. Bezold in München.
Auf der II. Versammlung der deutschen otologischen Gesellschaft
zu Frankfurt 1893 habe ich einen Vortrag über „eine Entfernung des
Steigbügels“ gehalten.!)
Als Beweggründe für diesen von mir in einem Falle ausgeführten
operativen Eingriff habe ich daselbst einerseits die fundamentale Be-
deutung hervorgehoben, welche es für die Physiologie des Ohres hat,
zu wissen, wie viel das Ohr nach Ausschaltung seiner einzelnen Glieder
noch hört. Andererseits waren im vorausgegangenen Jahre von dem
Amerikaner Jack, einem Schüler Blake’s, Mittheilung über nicht
weniger als 17 im Verlauf kurzer Zeit hintereinander ausgeführte Steig-
bügel-Extractionen gemacht worden, bei welchen derselbe durchgängig
eine eclatante Hörbesserung sah. Es stand zu erwarten, dass bei solchen
günstigen Aussichten die kleine und meist leicht ausführbare Operation
sich rasch allgemein verbreiten werde, und da ich bereits damals im
Besitz der für eine vollkommene functionelle Prüfung unentbehrlichen
continuirlichen Tonreihe mich befand, so durfte ich mich wohl für be-
rufen halten, einen Versuch in dieser Richtung am Lebenden zu machen,
um über die Zulässigkeit dieser Operation entscheiden zu können, ob-
gleich ich selbst von vorneherein aus physiologischen Gründen wenig von
ihr hoffte, und eine Eröffnung der Labyrinthräume, insbesondere neben
1) Diese Zeitschr., Bd. XXIV und Arch. f. Ohrenheilk., Bd. XXXV, S. 120.
Fr. Bezold: Ein Wort im Interesse unserer künftig. Fachliteratur. 139
noch bestehender Eiterung im Mittelohr, als nicht ganz ungefährlich
betrachtet werden darf.
Um zum Wenigsten keinen grösseren Schaden zu stiften, wählte ich
einen Fall von abgelaufener doppelseitiger Mittelohreiterung mit ziemlich
hochgradiger Schwerhörigkeit und entfernte hier den Steigbügel auf dem
schlechter hörenden Ohre. Im directen Anschluss an die Extraction
traten eine Anzahl eigenthümlicher, theilweise bis dahin noch nicht be-
schriebener, beängstigender Symptome ein, welche in meinem Vortrag
eingehender characterisirt sind.
Das Resultat der Operation war, kurz zusammengefasst, in den
nächsten Tagen absolute Taubheit. „Dagegen stellte sich von der 3. Woche
‚ab wieder ein Rest von Hörvermögen ein, welcher allerdings weit hinter
dem ursprünglich vorhandenen zurückblieb.“
Für die uns vor Allem interessirende Wiederkehr dieses Restes von
Hörvermögen trotz fehlender Steigbügelfussplatte habe ich mich pemalt,
eine physiologische Erklärung zu suchen.
Der Fall wurde möglichst bald von mir veröffentlicht, um andere
Collegen vor ähnlichen Erfahrungen zu bewahren, und es scheint, dass
mein Vortrag, im Verein mit den späteren Mittheilungen Blak e’s,
diesen Zweck auch erreicht hat.
Von einem Referat iiber die Publication eines derartigen Versuches
am Lebenden, insbesondere wenn dasselbe für einen Kreis von Ferner-
stehenden berechnet ist, darf wohl eine besondere Delicatesse erwartet
werden.
Man höre nun, in welcher Form die Münchener Aerzte über den
: Inhalt dieses Vortrags unterrichtet wurden!
Kurz nachdem ich von Frankfurt zurückgekehrt war, fand ich in
der Münchner med. Wochenschr. No. 22, 1893, über den Vortrag das
folgende Referat von Privatdocent Dr. Haug:
„Bezold-München: Ueber Hörfähigkeitnach Extraction
des Steigbügels.
Sofort nachdem die allarmirenden Symptome, die der Steigbügel-
extraction immer folgen, also Uebelsein, Brechen, höchstgradiger
Schwindel, Coordinationsstörungen, sich gelegt hatten und Patient wieder
‚sich aufrecht halten konnte, hatte es den Anschein, als ob die Hör-
weite sich etwas gebessert habe; sehr kurze Zeit darauf jedoch war diese
temporäre Besserung wieder verschwunden und hatte einer (! Verf.)
Taubheit Platz gemacht.“
140 Fr. Bezold: Ein Wort im Interesse unserer künftig. Fachliteratur.
Der practische Arzt kann aus diesem Referat kaum etwas Anderes
herauslesen, als dass ich mit einem überflüssigen Experiment am Leben-
den die „immer“ eintretenden Symptome erzeugt und den Kranken taub
gemacht hätte. (Bereits weiter oben hat H. mich in der Discussion
über den Vortrag von Dr. Denker einen reinen Unsinn sagen lassen.)
Der Ref. fährt fort: „Als der Vortragende bei der Besprechung
der Function der Schnecke als Hörorgan gedenkt, erhebt sich Lucae,
um in einer äusserst animirten Discussion die Unrichtigkeit der Helm-
holtz’schen Schneckentheorie klar zu legen etc.“
Die letztere Bemerkung bezieht sich nicht auf den obigen Vortrag,
in welchem die Schneckentheorie gar keine Erwähnung gefunden hatte,
sondern auf einen zweiten, welchen ich am nächsten Tage gehalten habe.
In der Zwischenzeit scheint der Ref. geträumt zu haben, was auch
daraus hervorgeht, dass er sich mehrere Male als an der Discussion im
wissenschaftlichen Theil der Verhandlungen betheiligt anführt, ohne dass
die Anwesenden etwas davon gehört haben.)
Ich habe mich damals darauf beschränkt, mir bei der Redaction die
Berichterstattung über den von mir daselbst gehaltenen zweiten Vortrag
seitens H.’s, der in der nächsten Nummer kommen sollte, zu verbitten,
welchem Wunsche die Redaction auch nachgekommen ist.
Dieser „Originalbericht“ bildete auch im nächsten Jahre die Ver-
anlassung für den vom Ausschuss der deutschen otologischen Gesellschaft
gefassten Beschluss, selbst einen kurzen Bericht über die jedesmaligen
Verhandlungen zu verfassen, welcher zur Vertheilung an die grösseren
medicinischen Zeitungen bestimmt ist, um künftig ähnliche Vorkommnisse
zu vermeiden. |
Ich würde auch Jetzt auf diesen Bericht ebensowenig zurückgekommen
sein, als ich die verschiedenen versteckten und offenen Invectiven gegen
meine Arbeiten, welche in den literarischen Producten H.’s immer wieder-
kehren, einer Antwort für werth gehalten habe, wenn nicht neuerdings
geradezu das Interesse für eine gedeihliche Entwicklung unserer künftigen
Fachliteratur es fordern würde, dass die Art, in welcher H. referirt,
wenigstens den Fachgenossen etwas allgemeiner bekannt wird.
Es sind nämlich in der letzten Zeit Dr. Haug nicht nur die
Referate über eine grosse Anzahl neuer Arbeiten von Seiten des Archivs
für Ohrenheilkunde übertragen worden (eines dieser Referate hat bereits
1) Man vergleiche den vollständigen officiellen Bericht von Bürkner.
Arch. f. Ohrenheilk., Bd. XXXV, S. 112 ff.
Fr. Bezold: Ein Wort im Interesse unserer künftig. Fachliteratur. 141
seine Abweisung durch Ostmann!) erfahren), sondern er hat es auch
übernommen, einen „Ueberblick über den gegenwärtigen Stand der
Cholesteatomfrage“ in einem angesehenen für weitere ärztliche Kreise
bestimmten Blatte?) zu geben, über dessen Fassung von otologischer
Seite mir bereits Stimmen der Missbilligung zugekommen sind. Eine
grosse Beeinflussung ist endlich für unsere künftige otologische Literatur |
zu erwarten von einem Unternehmen, dessen Prospect die Unterschrift
H.’s trägt und jüngst von einer Buchhandlung versandt wurde, nämlich
„Klinische Vorträge aus dem Gebiet der Otologie etc. für practische
Aerzte“ herauszugeben, an welchen mitzuarbeiten bereits eine Reihe zum
Theil hervorragender Kräfte sich bereit erklärt hat.
Wir sind bisher gewohnt gewesen, dass die Führung bei solchen
Sammlungen Männer in Händen hatten, auf deren Besitz wir die Be-
rechtigung haben, stolz zu sein, und es liegt vor Allem im Interesse
Derjenigen, welche am Weiterausbau ihres Faches selbständig mitwirken,
etwas genauer darnach zu fragen, wer sich an die Spitze von derartigen
Unternehmungen stellt.
Dies ist der Grund, warum ich geglaubt habe, über den oben mit-
getheilten Vorgang nicht länger schweigen zu dürfen.
1) Arch. f. Ohrenheilk., Bd. XXXVIII, S. 335.
2) Centralbl. f. allg. Path. u. path. Anat., Bd. VINo.3 u. 4, 23. Febr. 1895.
»
Bericht
über die
Leistungen und Fortschritte
im Gebiete der
normalen und pathologischen Anatomie und Histologie, sowie der
Physiologie des Gehörorganes und Nasenrachenraumes !)
im ersten Quartal des Jahres 1895.
Von Ad. Barth in Marburg.
—— e —
I. Anatomie.
a) Gehörorgan.
1. Anatomie, physiologie et semiologie de l’oreille.e Von A. Courtade,
Paris 1894.
2. Die ersten Anlagen von Mittelohr und Gehörknöchelchen des menschlichen
Embryo in der vierten bis sechsten Woche. 2 Tafeln. Von F. Sieben-
mann. Arch. f. Anatomie 1894, Hft. V u. VI.
3. Abnormal course of Chorda Tympani through middle ear. Von R. u
2 Figuren. Lancet 1895, January 5.
4. Die Entwicklung des Hörnerven. Von Retzius. HygieaLV, Freies
3. Ueber Nervencentren an den Gehörorganen der Vögel, Reptilien und
Amphibien. Von G. Weidenbaum. Inaug.-Diss. Dorpat 1894. 2 Tafeln.
(Russisch.)
2) Die bis dahin vorliegenden Untersuchungen über die Entstehung
der Gehörknöchelchen sind ungenügend, da sie nicht bis in die aller-
ersten Stadien und über diese zurück reichen. Verf. hat diese Lücke
1) Die Arbeiten, welche in der Uebersicht angeführt, aber bei der
Besprechung ausgelassen sind, standen dem Referenten nicht zur Verfügung.
Um den Bericht möglicht vollständig erscheinen zu lassen, wird um gefällige
Zusendung der Arbeiten höflichst gebeten.
I. Anatomie. 143
ausgefüllt durch Studien an Serienschnitten von gut erhaltenen mensch-
lichen Embryonen der sechs ersten Wochen und kommt dabei zu folgen-
den einwandfreien Resultaten: Der Steigbügel ist als unförmliche
Blastemmasse schon in der vierten Embryonalwoche angedeutet. Als
vorknorpliger Annulus tritt er in der sechsten Woche gleichzeitig mit
Hammer und Amboss auf; er besteht nur aus einem Stück und ist nicht
doppelten Ursprungs. Sämmtliche Gehörknöchelchen sind schon Mitte
der sechsten Woche in ihrer Form annähernd vollendet; sie bilden eine
zusammenhängende Kette, deren Endglieder aus dem ersten und zweiten
Kiemenbogenvorknorpel bestehen; sie sind aber sowohl von diesen als
vom Labyrinth durch ihr tinctoriell verschiedenes Verhalten deutlich
abgrenzbar und qualificiren sich sonach von Anfang an als gesonderte
Skelettstücke des vorknorpligen Primordialcranium. Vom Mittelohrraum,
dessen mediale Grenzen in ihrer Beziehung zur Lage der Carotis eine
besondere Beachtung verdient, ist anfänglich nur die Paukenhöhle vor-
handen, welche bis unmittelbar unter die seitliche Gesichtsoberfläche
reicht. In der sechsten Woche entsteht die Ohrmuschel auf der Vorder-
fläche der ersten Kiementaschenspitze und umrahmt das auf diese Weise
markirte Trommelfell, in welchem der Hammergriff schon bis in das
Centrum hinabreicht. Von dem Ende der sechsten Woche an entsteht
der Gehörgang und die Tube, indem die seitliche Gesichtswand an Dicke
zunimmt und in Folge dessen die Paukenhöhle einerseits von der Ge-
sichtsoberfläche, anderseits vom Pharynx abrückt. — In physiologiseher
Beziehung befriedigen diese Ergebnisse durchaus. Siebenmann.
3) Lake found the Chorda tympani after making its exit at the
usual level, running horizontally forwards to about the junction of the
lowest fourth of the handle of malleus to the remainder, it was clearly
visible through the Membrane from the Meatus. From the inner side,
after reaching the Malleus it race upwards passing off to leave the
Tympanum by the Canal of Hughier, keeping below the tendon of the
Tensor tympani. Lake.
b) Nasenrachenraum.
1. The Anatomy of the Nasal Cavity. Von A. Owen, London.
2. The Connection between the Olfactory Bulb and the Hippocampus. Von
E. Smith. Anat. Anz. 1895, S. 470.
3. Die Palatingegend der Ichthyosauria. Von G. Baur. Anat. Anz. 1895, S. 456.
4. Les moulages du pharynx superieur et des choanes. Von Dr. Hopmann,
Revue intern. de Rhinol. etc. 25. Fevr. 1895.
5. Le microbe de l’ozene Von Dr. Löwenberg. Extrait des Annales de
l'institut Pasteur, Mai 1894.
Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXVII. 10
144 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
4) Hopmann beschreibt ein Verfahren, Abdrücke vom Pharynx
und den Choanen des Lebenden zu nehmen, um hieran in der bequensten
Weise die verschiedenen Abweichungen studiren zu können.
5) Löwenberg führt noch einmal die Beschreibung des Ozäna-
bacillus an, wie er sie schon im Jahre 1880 und 1881 gegeben hat.
Der Bacillus wächst auf Nährgelatine in zwei Arten von Colonien: die
eine bildet kleine runde, gelbliche, dem Aussehen nach compacte Colonien
in der Gelatinemasse und ist die seltenere; die anderen sind grösser,
halb durchsichtig, mehr oder weniger milchweiss und sitzen auf der Ober-
fläche. Keine von beiden verflüssigt die Gelatine. Die Culturen des
Bacillus geben meist Gerüche von sich, die nicht unangenehm sind. Die
Mikroben der Ozäna und der Pneumonie sehen einander sehr ähnlich,
unterscheiden sich aber im Aussehen ihrer Colonien und deren Gerüche.
Weisse Mäuse starben nach subcutaner Application einer Ozänabacillen-
cultur innerhalb 20 Stunden. Meerschweinchen vertragen subcutane
Einspritzungen, gehen aber an solchen in die Bauchhöhle zu Grunde.
Die ersteren machen aber nicht gegen letztere immun. Auch die meisten
Kaninchen starben, eines konnte immun gemacht werden. Bei 54°
starben die Bacilen ab. Sie können dadurch leicht abgetödtet werden,
sodass in den Culturen nur die Toxine zur Wirkung kommen. Mit
diesen gelang es eine Maus immun zu machen. Serum eines immunen
Kaninchens machte ein anderes immun. Das Serum immunisirter Thiere
verliert aber nach kurzer Zeit die Eigenschaft immun zu machen.
Immunität gegen den Friedländer’schen Pneumoniebacillus schützt
nicht gegen den der Ozäna und umgekehrt. Beide Bakterienarten sind
also trotz ihrer Aehnlichkeit nicht identisch.
11. Physiologie.
Gehörorgan.
1. Ueber die statischen Functionen des Ohres mit experimentellen Demonstrationen
an Thieren. Von Matte. Münch. med. Wochenschr. 4. Dec. 1894.
2. Ueber die Beziehungen der Taubstummheit zum sogenannten statischen Sinn.
Von A. Bruck. Arch. f. d. ges. Physiologie, Bd. 59, 8. 16.
3. Taubstummensprache und Bogengangsfunctionen. Von Dr. phil. L. W. Stern.
Ibidem Bd. 60, S. 124,
4. Intorno agli effetti delle lesioni portate sull’ organo dell’ udito, Von Fano
und Marini. Sperimentale 1893, Fasc. 5 u. 6.
5. Ueber den Druck im Labyrinth, vornehmlich bei Hirntumor. Von Dr..
L. Asher. Zeitschr. f. klin. Medicin, Bd. XXVII, Hft. 5 u. 6.
II. Physiologie. 145
2) Bruck untersuchte 82 Taubstumme in Bezug auf ihr Vermögen
gerade aus zu marschiren, auf einem Fusse zu hüpfen, mit geschlossenen `
Beinen und auf einem Beine zu stehen und auf dem Schwebebalken zu
balanciren. 43 zeigten ein abnormes locomotorisches Verhalten. Bruck
schliesst, dass das Gehörorgan als solches, bezüglich die normale Function
desselben für die vollkommene Statik des Körpers von Bedeutung ist.
Es ergeben sich aber aus den Untersuchungen verschiedene Punkte,
welche dagegen sprechen, das innere Ohr, resp. die Canäle als Gleich-
gewichtsorgane aufzufassen.
3) Stern untersuchte eine Reihe von Taubstummen in Bezug auf
die Deutlichkeit und Geläufigkeit ihrer Sprache und vergleicht die
Resultate mit den Gleichgewichtsuntersuchungen Kreidl’s und Pollak’s.
Dabei zeigte sich, dass unter denen, welche bei jenen Versuchen normales
Verhalten zeigen, sich in jeder Versuchsgruppe ein viel grösserer
Procentsatz von gut Sprechenden befand, als unter denen, die sich -
abnorm verhielten. Von den absolut Normalen sprach die Hälfte fliessend
und deutlich, von den irgendwie Abnormen nur der vierte Theil. Dieses
Resultat stützt sich auf briefliche Mittheilungen von Director Lehfeld
in Wien. Alsdann benutzte Stern noch die von Bruck untersuchten
Taubstummen und konnte bei ihnen ähnliches Verhalten constatiren.
Demnach besteht ein Zusammenhang zwischen der Fähigkeit des arti-
culirten Sprechens und obigen Verrichtungen.
4) Die beiden Autoren widerlegen die Anschauung, dass den halb-
zirkelförmigen Canälen die Aufgabe eines Gleichgewichtsorganes zukomme
an Thierexperimenten. Sie fanden weder einen Unterschied in den Er-
scheinungen je nach Zerstörung eines bestimmten Canales, noch zwischen
dem Ramus vestibularıs und dem Ramus cochlearis. Ein Thier, bei
welchem das ganze innere Ohr zerstört ist, befindet sich in Bezug auf
seinen Gleichgewichtszustand besser, als eins mit nur theilweiser Ver-
letzung. Es gelangen vom Ohr aus beständig Impulse zu den Central-
apparaten. Diese Impulse, welche unter normalen Bedingungen mehr
oder weniger dazu dienen, die Körperbewegungen zu coordiniren, rufen
bei einer Störung eine Unordnung in den nervösen Centren hervor. Im
Nervus acusticus andere als acustische Fasern anzunehmen liegt kein
Grund vor, und die Function der Canäle ist ebenso, wie die der
Schnecke, eine ausschliesslich acustische.
5) Asher bespricht zuerst in theoretischer Weise die Vorrichtungen
zur Druckregulirung im Labyrinth und versucht die starke Differenz
zwischen der Betheiligung des Auges und des Ohres (95:11) durch
10*
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It A Se r o o d a a r E a T oad e aa di e mr a a A aaa aiita rdia Der e oah a TE Fe en
146 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
Stauungserscheinungen bei Hirntumoren zu erklären. Dann beschreibt
. er einen selbst beobachteten Fall, bei welchem die Tumormassen be-
sonders links in den Meatus internus, theilweise bis in die Lamina
spiralis gewuchert waren. Die Zellen des Ganglion spirale waren voll-
ständig durch die Neubildung ersetzt. Die Membrana basilaris und
Reissneri waren normal, ebenso die Stria vascularis. Die Blutgefässe
waren erweitert und mit Blutkörperchen wie injieirt (da man diese Er-
scheinung auch bei ganz normalen Felsenbeinen beobachten kann, dürfte
sie nicht immer als Stauungserscheinung aufzufassen sein. Ref.), das
Corti’sche Organ fehlte, obwohl die Zellen der Umgebung intact waren.
Der linke Acusticus war atrophisch, der Tensor tympani fettig entartet.
Die Reissner’sche Membran war nicht, wie in dem Falle von Stein-
brügge, deprimirt. — Man muss annehmen, dass der erhöhte intra-
cranielle Druck dank der Schutzvorrichtungen des Labyrinthes keine
„Schädigung des Gehörs und keine anatomischen Veränderungen hervor-
bringen kann. Deswegen bedingt auch eine Drucksteigerung im Schädel
durchaus nicht pathologische Symptome von Seiten des Ohres. Das
Ganglion spirale ist wahrscheinlich als trophisches Centrum für das
Corti’sche Organ aufzufassen. Eine Prüfung der Hörfunction wird im
Allgemeinen dem Kliniker keine zuverlässigen Dienste bei der Erkennung
krankhafter Vorgänge im Schädelraum leisten.
Bericht
über die
Leistungen und Fortschritte
der
Pathologie und Therapie im Gebiete der Krankheiten des
Gehörorganes und der Nase
im ersten Quartal des Jahres 1898.
Zusammengestellt von Dr. Arthur Hartmann in Berlin.
w
Allgemeines.
1. Grünberg, B. Beiträge zur Aetiologie des Ohrschwindels. Dissert. Bern
1894.
2. Heflebower, R.C. Klonischer Krampf des musc. tensor tympani. N.Y.
Med. Journ. 16. März 1895.
3. Steuer, Alfred. Zwei Fälle von objectiven Geräuschen des Ohres. Wiener
klin. Wochenschr. 1894, Nr. 51.
4. Jennings, J. Ellis. Otalgia, ihre Ursachen und Behandlung, Medical
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Erkrankungen. N.-Y. Med. Journ. 16. Februar 1895.
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Wochenschr. Nr. 3, 1895.
7. Alderton, H. A. Der Einfluss von Affectionen der oberen Luftwege auf
das Ohr. Annals of Ophthal. and Otology etc., Januar 1895.
8. Szenes, S., Budapest. Ueber die in Folge von Behandlung der Nasen-
Rachenkrankheiten entstehenden Erkrankungen des Ohres. Allg. Wien.
med. Ztg. 1894, Nr. 38 und 39.
9. Shirmunsky, M. Ch., Petersburg. Pilocarpin bei Erkrankungen des
Mittelohres und des Labyrinthes. Monatsschr. f. Ohrenheilkunde Nr. 2,
1895.
10. Urbantschitsch, V. Prof., Wien. Ueber den Einfluss methodischer Hör-
übungen auf den Hörsinn. Wiener med. Presse 1894, Nr. 493,
148 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
11. Bonnier, R. Sur T'inertie de milieux auriculaires. Societé de biologie
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12. Raugé, P. Le canal incisif et l'organe de Jacobson. Arch. int. de
laryng etc. Jullet aoüt 1894.
13. Lermoyez. M. Rhinologie, Otologie, Laryngologie enseignement et pra-
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14. Richards, George L. Halle und die Ohrenklinik des Herrn Prof. Schwartze.
Boston. Med. and Surg, Journal 26. März 1895.
15. Gleason, E. B. Gewöhnliche Erkrankungen des Ohres. Präparate zur
Illustration ihrer Pathologie. Atlantic Med. Monthly 23. März 1895.
16. Tomka, S. Dr. Die Hygiene des Ohres inı Kindesalter. Intern. klin.
Rundschau 1894, Nr. 41.
17. Szenes, S., Budapest. Zur Statistik der Taubstummheit. Intern. klin.
Rundschau 1894, Nr. 38.
18. Chervin. Bégaiement et autres défauts de prononciation. Paris.
1) Auf Veranlassung von Professor Valentin hat Grünberg
folgende Methoden von Reizung des Gehörorgans bezüglich ihrer Wir-
kungen auf das Gleichgewicht des Körpers untersucht: 1. Infection der
halbzirkelförmigen Canäle beim Kaninchen durch Injection von Conidien
des Aspergillus fumigatus. 2. Kältereize des äusseren Ohres durch
Aethylchloridspray. 3. Reizungen des Gehörorgans durch electrische
Ströme.
Bezüglich der sub 1 aufgeführten 10 Versuche kommt Verf. zu
dem Resultat, dass diese von Lichtheim zuerst ausgeführte Infection
der Labyrinthe als experimentell-pathologische Untersuchungsmethode
unanwendbar ist, weil ihre Ergebnisse unsicher und zum grössern Theil
negativ ausgefallen sind. — Die Versuche Nr. 2 wurden am Menschen
und zwar so angestellt, dass ein haarfeiner Strahl sofort verdunstenden
Aethylchlorids auf Trommelfell und Gehörgangswand applicirt wurde,
ein Verfahren, wobei der mechanische Druck gar nicht in Frage kommen
konnte. Zwei von den 9 geprüften zeigten keinen Schwindel; die
übrigen, besonders solche mit Trommelfelldefecten, reagirten in characte-
ristischer Weise. — Die Versuche Nr. 3 wurden an 26 mit einseitigen
oder doppelseitigen Affectionen des mittleren Ohres behafteten Kranken
der otiatrischen Poliklinik von Prof. Valentin ausgeführt. In Ueber-
einstimmung mit Gärtner, Pollak und Gradenigo fand Verf.,
dass das kranke Ohr bei fast allen Versuchen für die electrischen Ein-
griffe sich empfindlicher erwies als der gesunde.
Siebenmann (Basel).
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 149
2) Heflebower berichtet über einen Fall einer 35jährigen Frau,
welche sich in ausgezeichnetem Gesundheitszustande befand. Im rechten
Ohr bestand eine grosse Perforation und chronische Eiterung, welche
unter vierwöchentlicher Behandlung aufhörte, wobei die Perforation viel
kleiner wurde. Die Hördistanz für die Uhr betrug 2!/, cm. Das
Trommelfell des linken Ohres war etwas schlaff und die Hördistanz für
die Uhr betrug 40 cm. Der Patient erholte sich Raths wegen eines
tickenden Geräusches in den Ohren, welches mehrere Jahre bestanden
hatte und von Zucken der Halsmuskeln begleitet. war. Es wurde auf
Anstrengung, plötzlichen Schrecken und während der Menstruation
schlimmer. Bei der Beobachtung der Trommelfelle konnte keine Be-
wegung im rechten Ohr entdeckt werden, obwohl das tickende Geräusch
schwach gehört werden konnte. Im linken Ohre konnte man eine gut
wahrnehmbare Einziehung der Membran bei jedem Ticken sehen, wobei
die Muskeln des weichen Gaumens synchronisch mit dem tensor tympani
-contrahirten. Der Verf. glaubt, dass diese Affection (klonischer Krampf
des tensor tympani) alle Merkmale einer chorea minor habe.
G. Bacon.
3) Beim ersten Falle hörte man noch !/, m vom linken, an
Mittelohrcatarrh erkrankten Ohre, ein knacksendes, rhythmisches Ge-
räusch, welches 100-—150 Schläge in der Minute zählt, welches bei
allen, das Gaumensegel hebenden Proceduren sistirt werden konnte.
Beim zweiten Falle mit normalem Ohrbefunde bestanden abwechselnd in
beiden Ohren objectiv wahrnehmbare Geräusche, welche durch Compression
des Vagus zeitweilig sistirbar waren. Steuer bezieht diese Geräusche
auf klonischen Krampf beider Tubenmuskeln, des Levator und Tensor
pal. mollis. Die eingeleitete Therapie war fruchtlos. Pollak (Wien).
4) Jennings beschreibt die in alten Zeiten gebrauchten verschie-
denen Heilmittel und drängt dem praktischen Arzt die Nothwendigkeit
und Wichtigkeit auf, bei jedem an Ohrenschmerzen leidenden Patienten
die Diagnose zu stellen und zu behandeln. G. Bacon.
5) Nach Phillips begünstigt die Rückenlage, die Anhäufung
krankhafter Secrete, welche so sorgfältig als möglich entfernt werden
müssen. Die Nase des Kindes muss häufig geschnäuzt werden, um die
Secrete besser zu dislociren und es müssen Applicationen mit Borsäure,
‘Glycerin, Wasserstoffsuperoxyd etc. gemacht werden. Der Hauptzweck
muss darin bestehen, die Ausdehnung der Entzündung auf die Gewebe
des Mittelohres zu verhüten. G. Bacon.
150 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
6) Hessler theilt kurz die Krankengeschichten von 7 Fällen von
_ Erysipel bei Ohrerkrankungen mit, die er in einem Semester beobachtet
hat. Im Anschluss daran entwickelt er ausführlich die Gründe, aus
denen eine Uebertragung von Fall zu Fall durch ihn selbst auszu-
schliessen sei, dagegen eine autochthone Entstehung jedes einzelnen
Falles angenommen werden müsse. In sämmtlichen Fällen ging die
Rose primär vom Ohr aus, über Gesicht und Kopf wandernd endete sie
an der andern Ohrmuschel; der Verlauf schwankte zwischen 5 und 13
Tagen. Der Versuch durch Jodanstrich um die Rose herum eine Cou-
pirung herbeizuführen, blieb bei allen erfolglos im Gegensatz zu früheren
Fällen, von denen einige beschrieben werden. Gestorben ist keiner.
H. zieht aus seinen Erfahrungen den Schluss, dass Rose keine Contra-
indication für operative Eingriffe, sondern in bis dahin zweifelhaften
Fällen eher eine Indication mehr bilde. Für das häufige Zusammen-
treffen von Mittelohreiterung und Rose gebe die Bakteriologie genügende
Erklärung. Aus der erwiesenen Identität des Fehleisen’schen Kokkus
mit den gewöhnlichen pyogenen Mikroorganismen wäre praktisch zu
folgern, dass Erysipel nicht infectiöser ist als acute Mittelohreiterung,
dass eine Isolirung der Rosekranken nicht angezeigt ist, und dass die
Desinfection der Instrumente bei Behandlung jeder Otorrhoe ebenso
sorgfältig vorzunehmen ist, wie es bisher bei Erysipel geschieht. Für
die wiederholte Erkrankung mancher Personen müsse als Grund eine
individuelle Disposition angenommen werden. Eine zufällige Häufung
von Prädisponirten in einer Behandlung bringe dann kleine Rose-
epidemieen, wie die des Verf., zu Stande. Müller (Stuttgart).
7) Alderton findet, dass bei Störungen des äusseren Ohres, be-
sonders bei Cerumen, der Zustand des Nasenrachenraumes einen geringen
Einfluss hat, dass bei Mittelohrerkrankungen derselbe einen grossen
Einfluss auf die Ohrenprozesse ausübt (wobei er direct causal bei 35°/,
bis 88°/,, theilweise causal bei 10°/, bis 29°/, ist.) Bei Otitis media
und interna war der Nasenrachenraum theilweise bei 36°/, Schuld,
bei Otitis interna konnten nur 14°/, möglicher Weise einen Einfluss
gehabt haben. G. Bacon.
8) Artificielle Otitiden beobachtete Szenes in Folge von Gurgeln,
nach Nasenausspülungen, Bepinselung der Nasenschleimhaut mit Nitr.
argenti-Lösung, sowie nach operativen Eingriffen in der Nase.
Pollak.
Pathologie und Therapie des Gehörorganes, 151
9) Shirmunsky sah in einigen Fällen von frischen Labyrinth-
affectionen guten Erfolg von Pilocarpininjectionen; in veralteten Fällen
und bei Sklerose half das Mittel nichts. Killian.
10) Urbantschitsch berichtet über die Resultate der methodischen
Hörübungen, die er an 60 Zöglingen des niederösterreichischen Taub-
stummeninstitutes angestellt hate. Am Beginn der Hörübungen bestand
ein Satzgehör in keinem Falle, nach 6 Monaten in 12 Fällen; ein
Wortgehör ursprünglich in 6, dann in 16 Fällen; ein Vocalgehör erst
in 22, dann in 21 Fällen; geringe Hörspuren wiesen anfänglich 32,
nach 6 Monaten nur 11 Fälle nach. Pollak.
11) Bei Reizung der molekulären Unthätigkeit ruft die Erschütte-
rung eine physiologisch nützliche Einwirkung auf die labyrinthären
Nervenendigungen hervor. Die Unthätigkeit der gesammten Luft-
leitungsbahnen, der festen wie der flüssigen im Ohr, welche eingeschaltet
und für die gesammten Schwingungen empfindlich sind, kommt in’s
Spiel und gestattet der Schallerschütterung Oscillationen von viel grösserer
Stärke und Schnelligkeit.
12) Erschöpfende kritische Uebersicht über die über diesen Gegen-
stand bisher publicirten französischen und ausländischen Arbeiten. Nach
einer genauen Studie über dies Organ beim Hammel, wo es besonders.
gut ausgebildet ist, wendet sich Rauge& zu dem des Menschen, bespricht
die zahlreichen Hypothesen und weist die physiologischen Theorien
zurück; es handelt sich um ein in Rückbildung begriffenes Organ, das.
physiologisch völlig belanglos ist.
13) Dieser zweite Theil des Werks enthält die bei Politzer,
Schrötter etc. gebräuchlichen therapeutischen Maassnahmen bei den
betreffenden Krankheiten.
14) Richards liefert einen interessanten Bericht über die Ohren-
abtheilung zu Halle, besonders über die von Herrn Prof. Schwartze
abgehaltene Klinik, indem er den grössten Theil des Artikels einer
Beschreibung seiner Operationsmethode und der allgemeinen Behandlung
von Ohrenfällen widmet. G. Bacon.
15) Gleason giebt an, dass man klinisch die Affectionen des.
Ohres ungefähr eintheilen kann: 1. in Erkrankungen des äussern
Ohres 23°/,, von denen mehr als ein Viertel Fälle von Cerumen
inspissatum sind, 2. Mittelohrcatarrh 45 °/,, von denen weniger als ein
Viertel acut sind; 3. Mittelohreiterung, von denen ein Fünftel acut:
152 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
sind, während 4. Erkrankungen des innern Ohres ungefähr 2°/, aller
Ohrenerkrankungen darstellen. L. Bacon.
16) Nichts Bemerkenswerthes. Pollak.
17) Szenes kommt zu folgenden Schlüssen: 1. Bei einzigen
Kindern ist die Taubstummheit äusserst selten. 2. Die Taubstummbheit
kommt verhältnissmässig am häufigsten bei erstgeborenen Kindern vor.
Um so häufiger ist die Taubstummheit bei Familien, die mehrere
Kinder haben. Pollak.
18) Das eigentliche Stottern ist dadurch characterisirt, dass es in der
Kindheit beginnt, von atypischen Athembewegungen abhängig ist, inter-
mittirt und beim Singen ausfällt. Verf. theoretisirt über die Behand-
lungsmethoden und beschreibt dann kurz die von seinem Vater erfundene
Methode, die in dreiwöchentlichen Uebungen besteht und hinterher von
den aus dem Institut Entlassenen noch verschieden lange Zeit geübt
werden muss. Das letzte Capitel handelt über Gaumenspalten und ihre
Behandlung mit Operation und Prothesen.
Zimmermann (Dresden).
Instrumente und Untersuchungsmethoden.
19. Park, J. W. Ein neueres und bequemeres Instrument als die Politzer'sche
Luftdusche zur Lufteintreibung in das Mittelohr. Ann. of Ophth. and
Otol. Januar 1895.
20. Randall, B. Alexander. Die Anwendung des Eustachischen Katheters.
Philadelphia. Polyclinic. d. 12. Januar 1895.
21. Lauterbach, Marcell in Annaberg. Ein neuer Apparat zur Constatirung
| einseitiger hochgradiger Schwerhörigkeit oder Taubheit und zur Entlarvung
von Simulanten. Wiener med. Presse No. 9, 1895.
22, Bergeat, H. in München. Stirnreif von Hartgummi als Reflectorträger.
Gegenschraube an der Gelenkvorrichtung. Vorrichtung gegen das Be-
schmutzen des Reflectors beim Gebrauche. Verwendung von unge-
schwärztem Aluminium auch am Spiegelgehäuse. Arch. f. Laryngol.,
Ba. 1. 3. |
23. Palmer, A. W. Ein Drillbohrer für die Stirnhöhle. N.-Y. med. Journ.
2. März 1895.
24. Black, G., Melville. Der Nasentrepan bei der Hypertrophie der untern
Schwellkörper. Annals of Ophthalm. and Otology. Januar 1895.
25. de Lens, Anton in Kiew. Ueber einen neuen Nasendilatator. Wien. med.
Wochenschr. Nr. 5, 1893.
26. Kretschmann, Dr. Ein Instrument zur Behandlung grosser Formen
hypertrophischer Tonsillen. Münch. med. Wochenschr. Nr. 9, 1895.
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 153
19) Dieses Instrument kann nur von denjenigen gebraucht werden,
welche ein Luftreservoir besitzen. Der Nasenansatz von Hartgummi
hat ein konisches Endstück für die Insertion in die Nase. Auf der
andern Seite kann man einen metallenen Ansatz befestigen, der in die
automatisch abschliessenden Endstücke der Compressionsapparate hinein-
passt. G. Bacon.
20) Randall findet, dass die Indicationen für den Gebrauch des
Katheters denen für die Einblasung mit dem Politzer’schen Apparat
ähnlich sind; aber der Katheter ist unbedingt in vielen einseitigen
Fällen vorzuziehen, ebenso wenn mehr eine medicamentöse Behandlung
als eine mechanische Lufteintreibung durch die Eustachi’sche Trompete
und die Pauke erforderlich ist; ferner bei diagnostischen Schwierigkeiten
der Affectionen der Eustachi’schen Röhre und besonders bei der
Behandlung der vorgeschrittenen und sklerotischen Fälle, bei welchen
das Labyrinth mitergriffen ist, und Politzerisiren im Allgemeinen. das
Gehör und den Zustand verschlimmert. — Er gebraucht zwei Katheter
von reinem Silber von 3mm resp. 2 mm im äussern Durchmesser. —
Dämpfe, Sprays und Flüssigkeiten können durch den Katheter hindurch
applicirt ‘werden. Von medizinischen Dämpfen gebraucht er die von
Jod: als Spray-, Menthol-, Kampfer in 1 bis 5 °/,iger Lösung und für
Injectionen von Flüssigkeiten das reine flüssige Vaselin ohne einen
medicamentösen Zusatz. G. Bacon.
21) Die Complicirtheit der Apparate scheint mit den zu erreichenden
Zwecken nicht im Verhältnisse zu stehen. Pollak.
22) Mit Recht tadelt Bergeat an den gebräuchlichen Stirnbinden
ihre Unsauberkeit. Er ersetzt sie deshalb durch einen vielfach per-
forirten Hartgummireifen, der auf einfache Weise (durch Erwärmen
und auf dem Kopfe erkalten lassen) der Kopfform des Untersuchers
adaptirt wird.
Damit die Spiegelfläche des Reflectors durch die einstellende Hand
nicht beschmutzt wird, befestigt B. an der Peripherie ein Brechplättehen,
das um den Rand des Reflectors gekrömpt wird.
Die übrigen Neuerungen erklärt der Titel.
Zarniko (Hamburg).
23) Das Instrument besteht aus einem Bohrer von 4!/,mm im
Durchmesser, welcher in ein stumpfes Sondenende ausläuft. Eine ge-
krümmte Canüle läuft durch den Handgriff. Der Bohrer ist durch ein
Kabel, welches durch die Canüle und den Handgriff läuft, mit einem
154 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
andern sich drehenden Handgriff verbunden, der hinter dem ersten liegt.
Das Instrument wird mit der Hand bewegt. M. Toeplitz.
24) Black verkleinert Hypertrophien und Schwellungen der
unteren Schwellkörper allein durch Entfernung eines kreisförmigen
Stückes vermittelst des Nasentrepan, welcher 2!/,‘ lang sein muss, um
den ganzen Körper entlang schneiden zu können. Er behauptet durch
diese Operation weniger Schaden den Geweben zu stiften, als durch
irgend eine andere Prozedur. M. Toeplitz.
25) Der Nasendilatator besteht im Wesentlichen aus 2 Branchen
von je 11cm Länge, deren nach entgegengesetzten Richtungen ge-
krümmte Enden dem Instrumente eine ungefähr S-förmige Gestalt
verleihen. Lens rühmt dem Instrumente nach, dass durch dasselbe der
Untersuchende den Kopf selbst fixiren kann, und dass im Bedarfsfalle,
da das Instrument durch ein Stirnband befestigt werden kann, beide
Hände frei seien. Pollak.
26) Das zur stückweisen Entfernung der Tonsillen bestimmte In-
strument hat die Form der Jurasz’schen Zange für Entfernung der
adenoiden Wucherungen, nur dass der schneidende Theil von 2 inein-
ander passenden scharfen Ringen nach Art der Krause’schen Doppel-
cürette gebildet wird. (Abbildung.) Müller.
Aeusseres Ohr.
27. Girard, Prof. Ueber eine eigenthümliche Missbildung der Ohren. Correspbl.
f. Schweizer Aerzte S. 151, 1895.
28. Burger, H. in Amsterdam. Angeboreu misvorming der Oorschelp en
Ötoplastick. Niederl. tydschrieft v. Geneesk. 5. Mai 1894.
29. Gruber, Jos., Prof., Wien. Ein Fall von arigeborener Lücke im Trommel-
fell und ihre physiologische Bedeutung. Allgem. Wien. med. 7tg. 1894,
Nr. 5l.
30. Grove, H. N. An artificial Auricle. Lancet. 2. Febr. 1895.
3l. Smith, S. W., Cuen. . Furunkulose des äussern Gehörganges. Medical
News, Januar 1895.
32. Highet, H. C. Otomycosis. Brit. medical Journal. 9. März 1895.
| 27) Es handelt sich um eine in der Familie der demonstrirten
Patientin hereditäre Missbildung, welche Girard als Jagdhundohr
bezeichnet: Der obere Theil der Muschel ist sehr verlängert und fällt
lappenförmig herunter, so dass der Eingang zum Meatus dadurch ver-
deckt wird. Abgesehen von dieser mit der allgemeinen Verdünnung
des Knorpels theilweise in Zusammenhang zu bringenden Anomalie ist
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 155
die Ohrmuschel gut ausgebildet; nur ist auf einem Ohr das Läppchen
rudimentär. G. hat den stärker affıcirten Bruder mit gutem Erfolg
operirt: er excidirte einen Theil der retroauriculären Umschlagsfalte
der Cutis, um die Muschel kürzer an den Kopf zu nähen und ver-
kleinerte den zu stark entwickelten obern Muscheltheil mittelst sichel-
förmiger Excision aus der ganzen Muscheldecke bei Erhaltung des
Helix. — Nach des Vortragenden Ansicht wäre es jedenfalls indicirt,
die Haube wenigstens bei denjenigen kleinen Kindern einzuführen,
welche eine hereditäre Anlage zu sog. abstehenden Ohren darbieten.
Siebenmann.
28) Zwei Fälle von sog. Katzenohr sind von Burger operirt; der
äussere Gehörgang war einmal nicht — das andere Mal rudimentär
entwickelt. Die Operation geschah, indem das nach unten vor dem
Gehörgang iestgewachsene oberste Ende der Muschel lospräparirt —
und 180° nach oben umgedreht und befestigt wurde.
Posthumus Meyjes.
29) Gruber secirte einen Fall von luetischer Erkrankung des
Nasenrachenraumes, den er auch intra vitam untersuchte. Der obere
Rachenraum an der rechten Seite zeigte sich von narbigem Gewebe
begrenzt, in welchem auch nicht die Spur einer Pharyngealmündung
zu entdecken war. Dabei erwies sich die Paukenhöhle nach Weg-
nahme des Daches lufterfüllt, die Gehörknöchelchen in natürlicher Lage
und Beschaffenheit vollkommen beweglich, die Tensor tymp. Sehne
nicht verkürzt. Am vorderen oberen Quadranten des Paukenfells, ganz
nahe dem Rande des Gehörganges, fand sich ein über 1 mm im Diam.
haltendes kreisrundes Loch, dessen Lichtung aber nicht direct nach
aussen gegen den Gehörgang, sondern nach hinten und oben gerichtet
ist, so zwar, dass es gegen den äusseren Gehörgang, gleichsam wie von
einer Klappe, die durch das Trommelfell gebildet ist, verdeckt wird.
Gruber fasst diese Lücke als angeborene Bildungshemmung auf, die
in diesem Falle eine Compensation für die unbrauchbar gewordene Tuba
Eust. bot. Pollak.
30) Dem Zahnarzte Grove verdanken wir folgende sinnreiche
Methode der Herstellung und Befestigung einer künstlichen Ohrmuschel :
Zuerst wird ein Gipsabdruck der Kopfseite genommen, auf diesem wird
eine künstliche der gesunden gleichende Ohrmuschel aus Wachs angesetzt.
Nach diesem Wachsmodell wird sodann eine Ohrmuschel aus Vulcanit
und Aluminium hergestellt und entsprechend der Gesichtsfarbe gefärbt und
156 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
emaillirt. Die Befestigung am Kopf geschieht mittelst einer gesättigten
Lösung von Mastix in absolutem Alkohol.
31) Smith gebraucht locale Applicationen von Camphor-Phenol
um den Furunkel zu coupiren und hält sich auf Grund seiner über
mehr als acht Jahre ausgedehnte Erfahrung für berechtigt, sie zu em-
pfehlen. Eine gelbe Präzipitatsalbe (0,03 : 4,0) kann bei Nachlass der
Entzündung gegeben werden. Er gebraucht auch andere Mittel bei
verschiedenen Fällen, so Blutentziehung, antiseptische Irrigationen des
Gehörgangs und trockene Kälte. Er vermeidet Umschläge und giebt
Tonika und Alterantia, besonders Solutio arsenicalis Fowleri. Wenn
eine Operation nöthig ist, macht er eine freie Incision durch den
Furunkel. G. Bacon.
32) Nach Highet in Singapore ist die Otomycosis die häufigste
Affection des äusseren Gehörgangs; er legt besonderen Nachdruck auf
diese im Vergleich zu Europa grössere Häufigkeit des Vorkommens.
Den Hauptfactor bildet das Baden in der See. An Complicationen
kommen vor: diffuse Entzündung des äusseren Gehörgangs, acuter und
chronischer Catarrh des Mittelohrs, Perforation des Trommelfells,
Schwellung und Vereiterung der Drüsen, Ekzem des Gehörgangs. Die
Behandlung besteht in gründlicher Reinigung und localer Anwendung
von Sublimatalcohol 1,0 : 1000,0.
Mittleres Ohr.
33. White, F. Complete Deafness for 24 Yrs. from Eustachian closure;
perfect recovery after a course of Politzersation. British medical Journal.
3. March 1895.
34. Heflebower, B. C., Boston. Die Entfernung der Gehörknöchelchen zur
Milderung chronischer Taubheit und anderer abnormen Zustände. Med.
and Surg. Journ. 31. Jan. 1895.
35. Jack, J. L. Bemerkungen über Stapedectomie. Boston Med. and Surg.
Journ. 10. Jan. 1895.
36. Bishop, S. S. Operationen am Trommelfell und den Gehörknöchelchen.
Laryngitis. Gaillard’s med. Journal, Februar 1895.
37. Lermoyez et Helme. Les stapylocoques de l’otorrhee. Ann. des mal.
de lor. du lar. et du phar. Jan. 1895.
38. Meyjes, Posthumus in Amsterdam. Behandeling von acute middenoor-
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39. Nichols, J. E. H. Die trockne Behandlung der otitis media purulenta
(Vortrag, gehalten vor der Medical Society of the State of New York).
N. Y. med. Journ. Febr. 1895.
40.
41.
42.
43.
44.
45.
46.
47.
49.
50.
öl.
52.
99.
95.
56.
Pathologie und Therapie des Gehörorganes,. 157
Müller, J., Karlsbad. Ueber die abortive Wirkung der frühzeitigen.
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33) White berichtet über einen Fall, in dem 24 Jahre lang
complete Taubheit in Folge Verschlusses der Eustachi’schen Röhre
bestanden hatte und nach fortgesetzter Anwendung des Politzer’schen
Verfahrens völlige Wiederherstellung eintrat. 35jährige Person; taub
seit dem 9. Jahr, so dass auf keinem Ohr irgend etwas gehört wurde;
nach 3monatlicher täglicher Anwendung des Politzer’schen Verfahrens
Hörvermögen normal, dabei deutliche Zunahme der geistigen Fähigkeiten.
Vor der Behandlung las Patientin gut von den Lippen ab und war auch
einer beschränkten Anzahl von Worten mächtig, nach Herstellung des
Gehörs verstand sie Lautsprache überhaupt nicht.
34) Heflebower hält diese Operation sowohl bei Taubheit, als
auch bei Kopfschmerz, Schwindel, Ohrensausen etc., welche diesen
Zustand begleiten, bei Adhäsionen, chronischer Eiterung aus dem Mittel-
ohr, besonders wenn die Knöchelchen nekrotisch sind, für indizirt.
G. Bacon.
35) Jack schliesst seinen Artikel, indem er die Resultate seiner
persönlichen Erfahrungen während zweier Jahre in Erwägung zieht, mit
der Angabe: 1. Dass die besten Resultate für das Gehör in Fällen
von frühzeitiger Entfernung des Knochens erreicht worden sind und
dass die Operation bei Fällen von otitis media insidiosa (sclerosis) von
geringem Werth ist. 2. Dass Fälle von chronischem Ohrenschwindel
für immer durch Befreiung des Steigbügels oder durch Extraction des
Knochens selbst gebessert worden sind. 3. Dass bei Fällen von nicht-
eitriger Erkrankung des Mittelohrs, sowie bei jener Classe von Fällen,
welche aus einem chronischen eitrigen Process resultiren, die chirurgische
Mobilisirung erst versucht werden muss, bevor die Entfernung des Steig-
bügels vorgenommen wird. 4. Dass die meisten Operationen zur Mobili-
sirung des Steigbügels oder Befreiung des ovalen Fensters für durchaus
experimentell angesehen werden müssen, und dass in vielen Fällen eine
Fraktur der Schenkel bei den Extractionsversuchen mit Zurücklassung
der Fussplatte erfolgt. G. Bacon.
36) Bishop stellte einen Patienten vor, dessen Trommelfell und
Hammer von einem Chirurgen vor zwei Jahren entfernt worden waren,
ohne dass Verbesserung des Gehörs oder des Ohrensausens erfolgt war.
Er glaubt, dass es gewisse Fälle gäbe, welchen durch diese Operation
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 159
genützt werden könne, nämlich, diejenigen, bei welchen das percipirende
Organ nicht mitergriffen ist, und wenn der Verlust des .Gehörs gänzlich
auf dem erkrankten Zustand des Leitungsapparats' beruht.
G. Bacon.
37) Aus den bakteriologischen Untersuchungen von L ermoyez
und Helme geht hervor, dass die meisten acuten Mittelohrentzündungen
durch nur einen Mikroorganismus bedingt sind. Am meisten finden
sich Streptokokken und Pneumokokken. Andere Mikrobenarten ge-
sellen sich oft zu ihnen, aber — und das ist wichtig — sie erscheinen
erst, wenn die Trommelfellperforation eingetreten ist. Das Auftreten
von Staphylokokken würde für die Verf. ein Beweis der Chronicität
des Leidens sein. Sie dringen durch den Gehörgang und nicht durch
die Tube ein. Sie können schon vorher da vorhanden sein, werden
aber gewöhnlich durch Instrumente oder Verbandstoffe eingebracht.
Das gilt besonders für die Wattetampons. Um diese gut zu sterilisiren
haben die Verff. ein einfaches Mittel gefunden; sie empfehlen den wie
gewöhnlich erneuerten Watteträger in Alkoholborsäurelösung zu tauchen
und dann anzubrennen. Dadurch sterilisirt sich die Watte in wenigen
Secunden, ohne ihre hydrophile Eigenschaft zu verlieren.
38) Posthumus Meyjes meint, man solle in Fällen von acuter
Otitis media weder in den äussern Gehörgang spritzen, noch das
Politzer Verfahren üben. Das blosse Eintröpfeln von Antiseptica
(Sublimat) in das Ohr genügt, wenn das Trommelfell spontan durch-
brochen, — oder durch Paracentese, welche möglichst früh gemacht
werden soll, reichliche Secretion eingetreten ist. Erst Ende der zweiten
Woche darf man Politzern, wenn das Gehör indessen noch nicht
vollständig normal ist. Dass er bei einigen hunderten Fällen niemals
Complicationen von Seiten des Proc. mast. wahrnahm, — ausser leichten
Entzündungen, welche durch Anwendung von Jod und Watte-Verband
bald heilten — schreibt er dem Unterlassen von Einblasungen und Ein-
spritzungen zu. Posthumus Meyjes.
39) Nichols gebraucht eine passende Spritze und Wasserstoffsuper-
oxydlösung, um das Ohr zu reinigen und die Secrete sofort bei ihrer
Bildung zu entfernen. Die Ohren müssen im frühen Stadium wenigstens
zwei Mal wöchentlich inspicirt werden, bis die schlimmen Symptome
gemildert sind. Kleine Perforationen im Trommelfell müssen wegen
ordentlicher Drainage erweitert werden. Cüretten müssen zur Ent-
fernung von Granulationen, necrotischen Gewebes etc., und Kaustika
mässiger Stärke nachher angewandt werden. Als Astringentien empfiehlt
Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXVII. 11
2
160 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
er Alumnol und absoluten Alkohol. Europhen und Jodoform hält er
für nachtheilig. - Geeignete Behandlung der Nase und des Nasenrachen-
raums muss eingeleitet werden. G. Bacon.
' 40) Müller empfiehlt die frühzeitige Paracentese bei allen nicht
complieirten (Tuberkulose, Diabetes) Mittelohrentzündungen, da sie anti-
phlogistisch schmerzstillend und abortiv wirke. Pollak.
41) Es ist Kutscher gelungen, aus dem ÖOhreiter eines an
schwerer Hals- und Rachendiphtherie leidenden 2!/,jährigen Knaben die
Diphtheriebacillen fast in Reincultur zu züchten, ausserdem waren nur
ganz vereinzelte Culturen des Staphylokokkus aureus zur Entwickelung
gekommen. Verf. zweifelt nicht daran, dass der Diphtheriebacillus der
Erreger der Mittelohreiterung gewesen sei. . Noltenius.
43) Gestützt auf mehrere Fälle eigener Beobachtung und unter
eingehender Verwerthung der Literatur giebt Guranowski eine über-
sichtliche Darstellung der vom Mittelohr ausgehenden tuberkulösen Ent-
zündungen. Bei der Diagnose betont er besonders das schmerzlose Auf-
treten von Trommelfellperforationen, welchen rascher Zerfall der ganzen
Membran und Caries der Gehörknöchelchen und des Warzenfortsatzes
folgt, bei gleichzeitigem Bacillengehalt des Ohreiters und tuberkulösen
Erkrankungen anderer Organe. Letztere fehlten in einem von G.’s
Fällen anfangs gänzlich, so dass die Tuberkulose anscheinend im Ohre
ihren Anfang nahm. Killian.
43) Stewart hält es für sehr wichtig den Sitz der Erkrankung,
anzugreifen. Wenn die Gehörknöchelchen cariös sind, dann müssen sie
entfernt und jeder Fall muss nach echt chirugischen Grundsätzen be-
handelt werden. G. Bacon.
44) Okuneff bringt nach vorheriger Cocainisirung die Trichlor-
essigsäure in Krystallform an die zu ätzenden Theile und spritzt darnach
aus. Durch öftere Wiederholung dieser Procedur hat er in 38 von
42 Fällen von chronischer Ohreneiterung Aufhören ‘des Ausflusses
und in mehr als der Hälfte der Fälle Vernarbung der Trommelfellper-
forationen erzielt. Killian.
45) Park berichtet über einen Fall unter diesem Titel und zieht
die folgenden Schlüsse: 1: Neuritis optica kann in den frühen Stadien
von acuter eitriger Mittelohrentzändung vorhanden sein und der Augen-
spiegel muss daher in allen acuten und chronischen Fällen von Otitis
media gebraucht werden. 2; Symptome, welche Gehirnabscess und
Sinusthrombose vortäuschen, können durch directe septische Infection
vom Mittelohr aus hervorgerufen werden. 3. Man muss in allen acuten
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 161
Fällen gründliche Drainage herstellen, und wenn auf Nachlass der
acuten Symptome und nutzloser Erschöpfung jeder Behandlung, die
Eiterung nicht aufhört, cürettire man die Trommelhöhle, wodurch man
in.den meisten Fällen weitere Infection verhütet. 4. Da bei Symptomen,
welche Gehirnabscess etc. vortäuschen, diagnostische Irrthümer leicht
vorkommen können, so cürettire man jedenfalls als Vorsichtsmassregel
zuerst und entferne alle cariösen und necrotischen Knöchelchen und
erkrankten Beimischungen, wodurch man oft jede weitere operative
Maassregel unnöthig macht. — Wenn jedoch trotzdem noch Complicationen
von Seiten des Gehirns bestehen, so eröffne man den Warzenfortsatz
und dann, wenn auch dies ohne Erfolg ist, eröffne man den Schädel
nach den Indicationen der Symptome. G. Bacon.
46) Aus dem Zusammengehen der beiden auf ihren Specialgebieten
ausgezeichneten Verff. resultirt eine sehr exacte Darstellung alles dessen,
was bezüglich der Warzenfortsatzentzündungen die neueren Forschungen
ergeben haben. Der Arbeit liegt ein Krankenmaterial von 128 Fällen
mit insgesammt 143 wegen acuter oder chronischer Eiterung ausge-
führter Operationen zu Grunde. Cholesteatome und andere Erkrankungen
sind ‘von der Betrachtung ausgeschlossen. Die pathologisch-anatomischen
Beobachtungeu der Verff. stehen ganz auf dem Standpunkt, dem wir
auch seit lange in deutschen Arbeiten begegnen, so bezüglich des Um-
standes, dass iede acute Otitis fast stets von einer Mastoiditis begleitet
ist, dass dabei das Antrum eine bedeutsame Rolle spielt u. s. w. Bei
den Verbreitungswegen des Eiters werden ausführlich jene Periostitiden
besprochen, die sich vom Mittelohr aus — ohne intermediäre Erkran-
kung der pneumatischen Zellen — längs des Gehörgangs über dem
Warzenfortsatz entwickeln. Eine Osteomyelitis ähnlich der an den
langen Röhrenknochen negiren auch die Verff. Sehr prägnant sind
in dem Capitel Diagnose die verschiedenen differentialdiagnostistisch
wichtigen Punkte hervorgehoben. Bezüglich einer Warzenfortsatzeiterung,
die nicht durch .vorausgehende Mittelohrentzündung hervorgerufen wäre,
verhielten sich die Verf. sehr skeptisch, zeigen weiterhin an zwei
Krankengeschichten die Möglichkeit der scheinbar spontan entstehenden
condensirenden ÖOsteitis der Apophyse des Woarzenfortsatzes. In recht
präciser Form sind die Capitel über die therapeutischen Maassnahmen
abgefasst, sie empfehlen die Trepanation bei den acuten Formen, indem
sie betonen, dass die einfachen Wilde’sche Operationen immer nur pal-
liativ wirken können, und verlangen für die chronischen Formen stets
eine exacte Freilegung des Antrum und des Aditus ad antrum. Die
11*
®
162 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
Methoden selbst sind eingehend geschildert und wie die ganze Arbeit
durch instructive Krankengeschichten illustirt. Eine übersichtliche sta-
tistische Gruppirung des selbst beobachteten Krankenmaterials beschliesst
die lesenswerthe Arbeit. Zimmermann (Dresden).
47) Im ersten Falle wurde eine Oefinung im Wearzenfortsatze von
der Grösse eines Stecknadelkopfes gefunden. Dieselbe wurde erweitert
und die Abscesshöhle von Eiter und Granulationen gereinigt. Der
Patient wurde bald geheilt. — Im zweiten Falle erfolgte die Ruptur
des Abscesses in der Fossa digastrica, wodurch ein Abscess am Halse
entstand. Druck auf den letzteren veranlasste den Eiter durch die
Oeffnung im Wearzenfortsatz herauszuquellen. Eine Operation wurde
ausgeführt und der Patient geheilt. G. Bacon.
48) In diesem Falle rührte die acute Otitis media purulenta vom
Aufschnaufen kalten Wassers aus der Handfläche her, wobei etwas
davon in die Eustachische Röhre und die Pauke gerieth. Es wurde
dann nothwendig, die Warzenfortsatzzellen zu eröffnen. G. Bacon.
49) Die vierjährige Patientin kam zuerst im October 1890 zur
Beobachtung, als sie an einer linksseitigen Otitis media purulenta chro-
nica litt. Sechszehn Monate vorher hatte sie Scharlach und Diphtherie
und seitdem eiterte das linke Ohr beständig. Eine Untersuchung stellte
die Anwesenheit von Eiter im äussern Gehörgang und einen grossen
Polypen daselbst fest. Der Polyp und ein Knochenstück wurden ent-
fernt. Die Patientin hatte bald darauf einen Schüttelfrost, an den sich
eine Temperatur von 103° F. anschloss. Da Symptome von Eiter-
retention sehr deutlich waren, so wurde am 7. November 1890 eine
Operation ausgeführt und ein tiefer Abscess im Warzenfortsatz gefunden.
Die Wände desselben wurden ausgekratzt. Der Polyp stellte sich wieder
ein, die Eiterung blieb bestehen und dabei waren Zeichen von Caries
im Mittelohre vorhanden. Küster’s Operation wurde im April 1892
ausgeführt und eine cariöse Höhle freigelegt und so gründlich als mög-
lich ausgekratzt. Es wurde kein Sequester gefunden. Die Eiterung
kehrte wieder und blieb trotz täglicher Ausspritzungen etc. und Ent-
fernung von Polypen bis Mai 1894 bestehen, als .ein Sequester sich
seinen Weg bis in den äusseren Gehörgang bahnte und sich nach seiner
Entfernung, als ein Theil eines halbzirkelförmigen Canals von 7 mm
Länge, 2!/, mm Weite und 4 mm Dicke erwies. G. Bacon.
50) Zaufal berichtet über fünf nach Körner’s Methode operirte
Fälle und hält sich nach den bisher erzielten Resultaten für verpflichtet,
von nun an in allen geeigneten Fällen die Körner’sche Plastik in
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 163
Verbindung mit der radicalen Freilegung der Mittelohrräume zu ver-
suchen, um zu einem Schlussurtheile zu gelangen. Pollak.
51) Die gegenwärtige Krankheit des 27jährigen Patienten begann '
4 Wochen vor der Aufnahme ins Hospital (welche am 4. October 1894
erfolgte), mit plötzlichen Schmerzen im linken Ohr und einem darauf
folgenden Schüttelfrot. Am dritten Tage dieser Erkrankung erbrach
er und setzte dies jeden folgenden Tag fort. Vier Tage später bekam
er einen zweiten Schüttelfrost, welcher von 10tägigem Delirium gefolgt
war. Während dieser Periode hatte er mehrere Schüttelfröste, aber
keine Ohrenschmerzen. Bei der Aufnahme war der Puls 66, die Tempe-
ratur subnormal, Respiration 20. Keine empfindlichen Stellen um das
Ohr oder am Schädel, aber übler Geruch vom linken Gehörgang: Vena
jugularis interna der linken Seite fühlte sich wie ein Strang und ge-
schwollen an. Am 12. October hatte er Strabismus convergens und
Diplopie; der linke Rectus externus war gelähmt; die linke Pupille
war von unregelmässiger Form. Er starb am 15. October. Section:
Es wurde im vorderen Theile der linken Hemisphäre des Kleinhirns
ein Abscess von der Grösse einer englischen Wallnuss gefunden. Die
Furche für den Sinus lateralis (links) war ungefähr auf eine Entfer-
nung von 2!/, cm oberhalb und unterhalb des Abscesses mit plastischen
_ phlebitischen Producten angefüllt. Das Innere des Felsenbeins enthielt
eingedickten Eiter. G. Bacon.
52) Pollak berichtet über einen Fall von spontanem Durchbruch
eines Hirnabscesses in die durch eine typische Mastoidoperation gebildete
Höhle. Der Symptomencomplex, auf dessen Grundlage die Diagnose:
Hirnabscess im rechten Schläfelappen gestellt wurde, war: Bewusstlosig-
keit, Lähmung der linken oberen und linken unteren Extremität,
Cheyne-Stokes’sches Athmen, Parese des linken Facialis, beiderseitige
Pupillenstarre, Mydriasis, leichte Ptosis des rechten Augenlides. Diese
Erscheinungen schwanden nach Durchbruch des Abscesses. Der Kranke
genas vollständig. P. schlägt schliesslich vor, in solchen Fällen, wo
der Verdacht auf Hirnabscess im Schläfelappen vorliegt, sofort bei
der Mastoidoperation die Dura am Tegm. mast. freizulegen und eine
Probeincision zu machen. Pollak.
53) Statistische Bearbeitung der bisher bekannt gewordenen 18 Fälle
von Hirnabscess nach acuten Ohr- bezw. Schläfenbeinerkrankungen und
ausführliche Beschreibung eines selbstbeobachteten Falles, aus der wir
Folgendes hervorheben: Ein 45 Jahre alter Mann erkrankte nach In-
164 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
fluenza an. einer acuten, isolirten Entzündung des rechten Warzenfort-
satzes. Aufmeisselung. Die vorher sehr quälenden Kopfschmerzen in
.der rechten Kopfhälfte dauern fort. Nach 5 Wochen vermehrte Schmerzen,
Singultus, Schwäche und Herabsetzung von Tast- und Temperatursinn
im linken Arm und Bein, welche sich kühler anfühlen, Abnahme des
Gehörvermögens links, keine Somnolenz, kein Fieber. Später Facialis-
parese, Erbrechen. Operation: grosser Schläfelappenabscess. Im weiteren
Verlaufe Wiederkehr schwerer Symptome wegen Eiterverhaltung. Er-
neute Eröffnung. Ausgang in Heilung. Killian.
54) 15jähriger Junge. Otorrhoe links seit 9 Jahren; seit 5 Wochen
Kopfweh, taumelnder Gang, Schwindel, Erbrechen, Nystagmus, subnormale
Temperaturen. Bei der Operation Entleerung einer halben Unze Eiters
aus dem vorderen Theil der linken Kleinhirnhemisphäre; in der Folge
Bildung eines Blutcoagulums an Stelle des Abscesses, mit Rückkehr der
früheren Symptome; nach Entfernung desselben völlige Genesung.
55) Mourray berichtet zuerst über den weiteren Verlauf eines
von ihm operirten und im Brit. med. Journal, Januar 1892, ver-
öffentlichten Falles von Gehirnabscess; die Lähmung in Arm und Bein
ist verschwunden und der Patient ist seitdem körperlich und geistig
gesund geblieben. Von den beiden anderen Fällen betrifft der eine
einen Abscess im Temporo-Sphenoidallappen im Gefolge von acuter Otitis,
der zweite einen Kleinhirnabscess. — Diese Fälle sind im Auszug ver-
öffentlicht in den Archives Bd. XXIV, S. 115.
56) Sechzehnjähriges Mädchen ; Otorrhoe rechts seit 2 oder 3 Jahren.
Einen Monat bevor Evans die Patientin sah, Anfall, dabei 2 oder
3 Stunden bewusstlos, mit Zuckungen in der linken Gesichtshälfte, linkem
Arm und Bein; Kopfweh nach dem Anfall schlimmer; sonderbares Wesen
seit 2 Jahren. Seit dem Anfall Strabismus internus rechts mit Doppel-
sehen; heftige Schmerzen, in der Stirngegend, lancinirende Schmerzen
im rechten und gelegentlich im linken Arm; Neuritis optica beiderseits ;
Fehlen der Plantar- und Cremasterreflexe. Temperatur normal, Puls 72.
Es trat Erbrechen ein, die Schmerzen steigerten sich, der linke Arm
wurde paretisch, Patientin delirirte und wurde schliesslich halbcomatös.
— Trepanation über dem rechten Temporo-Sphenoidallappen, Einführung
der Aspirationsspritze in die Tiefe; Entleerung von 3!/, Unzen stinken-
den schmierigen Eiters. Vier Tage später Tod. Die Section ergab einen
hühnereigrossen Abscess im rechten Stirnlappen mit gut abgegrenzter
l/a Zoll dicker Wandung.
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 165
57) 1. Achtzehnjähriger Zimmergeselle leidet angeblich erst seit
3 Wochen an Otorrhoe und Mastoiditis. Die Aufmeisselung lässt keine
Erkrankung des der Dura anliegenden Knochens erkennen. Gleichwohl
heilt die Wunde nicht aus. Drei Monate später zweite Operation, die
einen bis zur Dura reichenden Sequester entfernt. Die sich steigernden
Beschwerden (Kopfschmerzen, Schwindel, Pulsverlangsamung, schliesslich
Stauungspapille) machen einen dritten Eingriff nothwendig, bei dem ein
Abscess des Schläfelappens gefunden und entleert wird. Pat. wird geheilt.
2. Elfjähriger Knabe leidet seit Jahren an fötider Otorrhoe mit
Perforation der Shrapnell’schen Membran. Bei der Herausnahme des
cariösen Hammers kann eine Erkrankung des Kuppelraumes nicht nach-
gewiesen werden. Nach einigen Wochen plötzliche Verschlimmerung:
Erbrechen, Besinnungslosigkeit, Krampfanfälle. Bei der Operation zeigte
sich der der Dura anliegende Knochen und diese selbst gesund, da-
gegen starker intracranieller Druck. Vielfache Incisionen in das Gehirn
mit einem schmalen Bistouri führten nicht zur Entdeckung des ver-
mutheten Hirnabscesses. Gleichwohl schwanden die bedrohlichen Symptome
und der Knabe genas. Verf. nimmt an, dass es sich um Leptomenin-
gitis gehandelt habe. Noltenius.
58) Zunächst bespricht Verf. in extenso die Pathogenese dieser
Krankheitsform und beschreibt dann zwei genau beobachtete, sehr schwere
und operativ geheilte Fälle, von denen er den einen schon auf dem
Congress in Bonn vorgestellt hat. In Anmerkung wird noch ein weiterer
mit gleichem Erfolg behandelter Fall erwähnt. Im ersten der beiden
Fälle fand sich zunächst nur ein stinkender Eiterherd in den Mittelohr-
und Warzenfortsatzräumen, ohne Hinweis auf eine intracranielle Secun-
därerkrankung; erst als man wegen Fortbestehen des ganzen schweren
Symptomencomplexes zu einer zweiten Operation schritt. fand sich hinter
der schwarzgrau verfärbten Dura, die auch nicht mehr pulsirte, ein
Sinusabscess, der an beiden Enden durch schmierig eitrige Thromben
begrenzt war. Ausräumung und feuchte Jodoformgazetamponade. Der
zweite Fall zeigte ausser dem ursächlichen Herd schon multiple cariöse
Defecte im Knochen und der Sinuswand; der Sinusabscess selbst hatte
sich schon nach aussen entleert und war nach oben und unten durch
schmierige Thromben abgeschlossen. Wegen fortbestehender pyämischer
Erscheinungen wurde in einer zweiten Sitzung noch die Jugularis unter-
bunden und weiterhin, da inzwischen auch das bis dahin gesunde Ohr
verdächtige Symptome aufwies, auch dieses operirt, doch ohne etwas zu
finden. Beide Fälle wurden schliesslich mit trockenem Ohr und per-
166 Bericht über die Fortschritte der. Ohrenheilkunde.
sistenter retroauricularer Fistel geheilt entlassen. Epikritische Bemer-
kungen und die Mahnung, das „laufende Ohr“ als eine folgenschwere
Krankheit anzusehen, beschliessen den Aufsatz. Zimmermann.
59) Morton unterband die V. jugul. interna, der Kranke starb
jedoch an diffuser Peritonitis in Folge Durchbruchs eines pyämischen
Milzabscesses,
Nervöser Apparat.
60. Dalby, W. B. Sir. Hysterical (so called) and Functional Deafness. Brit.
med. Journ., 16. March 1895.
6l. Mackenzie, H. A Case of Hysterical Deafness. Brit. med. Journ.,
4. March 1895.
62. Ransom, W. B. A Case of Functional Deaf-Mutism. Brit. med. Journ.,
2. March 1895.
63. Ménière. Observation de surdité complète dans le cours d'une leucocythémie.
Bull. et mem. de la soc. de laryng. d’otol. etc. Paris, Jan. 1895.
64. Gradenigo, J., Turin. Partielle erworbene Tontaubheit. Intern. klin.
Rundschau 1894, No. 44.
60) Dalby erwähnt zunächst den Fall einer 19jährigen Dame,
die ohne Ursache plötzlich das Gehör verlor und ebenso plötzlich wieder
erlangte. Er verwirft den Ausdruck ‚„hysterische Taubheit“, denn wenn
es sich um einen speciellen Sinn, wie das Gehör, handle, könne ein
Patient nicht unter der Impression stehen, dass er nicht höre, da die
Function ja eine unfreiwillige sei, im Gegensatz zur hysterischen Läh-
mung eines Gliedes, und da der Gehörsinn vollkommen fungire, sei es
unrichtig, von „‚functioneller Taubheit‘“ zu sprechen. Er giebt dann
Beispiele von wahrer functioneller Taubheit in Folge von heftigen Ge-
müthsbewegungen u. s. w. und constatirt weiterhin, dass diese letzt-
genannten Fälle dazu beitragen, zu beweisen, dass es ebenso wenig
wirklich hysterischen Verlust des Gehörs geben kann, wie hysterischen
Verlust des Geruchs oder’irgend eines anderen speciellen Sinnes.
61) Sechzehnjähriges Mädchen, erkrankte im Januar '1892 an
leichter Influenza, in deren Gefolge Schmerzen im linken Ohr auftraten.
Es wurde das Politzer’sche Verfahren angewandt ; dasselbe verursachte
heftigen Schmerz und war unmittelbar von Taubheit gefolgt. Aus dem
linken Ohr entleerte sich einige Tage lang grünliche Flüssigkeit. Später
stellte sich Schwäche in den Gliedern und Anästhesie im Bereich des
Nackens ein. Im März 1893 Weir-Mitchell’sche Kur; Gewichts-
zunahme, aber keine Hörverbesserung; allmälig wurde der Gebrauch
der Glieder wieder erlangt. Noch 2 Jahre später vollständige Taubheit
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 167
rechts und annähernd vollständige links; allmälig stellte sich das Gehör
wieder ein. |
62) Ransom theilt einen Fall von functioneller Taubstummheit
mit: Ein 19jähriger junger Mann erwachte eines Morgens complet taub
und stumm; dabei war er völlig vernünftig, er verkehrte mit seiner
Umgebung mittelst einer Schiefertafel. Ein Jahr vorher war plötzlich
eine Parese des rechten Armes aufgetreten, die 3 Wochen dauerte.
Auch beim lautesten Geräusch, unerwartet hinter seinem Rücken gè-
macht, wurde beim Patienten kein Zucken bemerkt, dagegen schien
er gelegentlich einfache in seinem Angesicht gegebene Anweisungen,
wie man sie von einem Arzt etwa erwarten mag, zu verstehen. Da-
neben wurde Anästhesie des weichen Gaumens und Fehlen des Gaumen-
reflexes beobachtet. Nach Verlauf von 14 Tagen wurde auf den Larynx
der 'Faradische Strom applicirt und Sprache und Gehör kehrten augen-
blicklich wieder.
63) Bei einer 43jährigen Dame, die an schwerster Leukocythämie
litt, trat während einer Besserung dieser Krankheit Schwindel, Ohren-
sausen und Erbrechen 'ein. Das rechte Ohr ertaubte in wenigen
Tagen, das linke wurde allmälig immer schwerhöriger. Beiderseits weder
alte noch frische Veränderungen. Verf. erwähnt den Fall wegen seiner
Seltenheit und dann, um anderen Autoren gegenüber wieder zu betonen,
dass sich in seinen Fällen von Meniere’scher Krankheit nie Abnormi-
täten im Mittelohr gefunden hätten. ‘ Zimmermann.
64) In einem der Fälle war die Erkrankung congenital, im zweiten
handelte es sich um Neuritis des N. acust., möglicherweise in Folge
eines intracraniellen Gumma; im dritten wahrscheinlich um eine trau-
matische Haemorrhagie in der Schnecke. Pollak.
Nase und Nasenrachenraum.
65. Scheff, Gottfried, Wien. Beiträge, zur. Anatomie und: Physiologie der
Nase. Der Weg des Lufstromes in der Nase. Intern. klin. Rundschau
1894, Nr. 40 u. 42. `
66. Wroblewski, Wladyslaw in Warschau. Ueber die Anwendung des Anti-
pyrins als Anaestheticum bei Krankheiten der Nase, des Rachens und
des Kehlkopfes. Arch. f. Laryngol. I. 3.
67. Hedderich, L. (aus der Jurasz’schen Klinik zu Heidelberg). Ein neues
Hämostaticum Ferripyrin. Münch. med. Wochenschr. Nr. 1, 1895.
68. Schech, Prof., München. Ueber Mund- und Nasenathmung. Münch. med.
Wochenschr. Nr. 9, 1895. l
69. Mink, P. J. in Amsterdam. Die Gefahren der Nasendouche. Medisch
Weekblad voon Noord en Zuid Nederland. 5. Mai 1894.
168 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
70. Brodie & Regers. Acute Specfic Rhinitis, South African medical Journ.
November 1894. |
71. Felsenthal, Dr. in Mannheim. Zur Lehre von der Rhinitis fibrinosa.
Münch. med. Wochenschr. Nr. 3, 1895.
72. Fournier. Chancre de la pituitaire. Höpital. S. Louis Clinique du Prof.
Fournier.
73. Beausoleil. Étude sur l’etiologie et la pathogenie du coryza caseeux.
Rev. de laryngol., d’otol etc. 1895, 12.
73a. Löwenberg. Le microbe de l’Ozene. Annales de l'Institut Pasteur.
25. Mai 1894.
74. Heller, Dr. Nürnberg. Pharyngotherapie. Ein Beitrag zur Behandlung
der Infectionskrankheiten. Münch. med. Wochenschr. 1894, Nr. 44.
75. Ziem, Dr., Danzig. Nasenleiden bei Infectionskrankheiten. Münch. med.
Wochenschr. Nr. 49, 1894.
76. Ziem, Dr., Danzig. Nochmals die Erkrankungen der Nase bei Infections-
krankheiten, besonders auch bei Diphtherie. Münch. med. Wochenschr.
Nr. 8, 1895.
77. Bresgen, Dr., Frankfurt a. M. Die Nasenkrankheiten bei Schulkindern.
Münch. med. Wochenschr. Nr. 1, 1895.
78. Martin, William. Interessante rhinologische Fälle. Medical News,
i 26. Januar 1895.
79. Meyjes, W., Posthumus in Amsterdam. Over Nasalstenose en have be-
handeling 1894.
80. Schadewaldt. Der blutende Polyp der Nasenscheidewand. Arch. für
Laryngol. Bd. I, St. 3.
8l. Alexander, Arth. Bemerkungen zur Anatomie des Hlatenden Septum-
polypen. Ibid.
82. Scheier. Beitrag zu den blutenden Polypen der Nasenscheidewand. Ibid.
83. Heymann, P., Berlin. Zur Lehre von den blutenden Geschwülsten der
Nasenscheidewand. Ibid. |
84. Réthi, L., Wien. Blutender Polyp der Nasenscheidewand. Wiener med.
Presse 1894, Nr. 46.
85. Spiess, Gustav, Frankfurt a. M. Zur: Behandlung der Verbiegungen der
Nasenscheidewand. Arch. f. Laryngol., Bd. I, H. 3.
86. Loeb, W. Hanau. Doppelte Atresie der Nasenlöcher in Folge von Pocken.
Journ. Amer. Med. Assoc. 19. Januar 1895.
87. Hopmann, Cöln. Zwei weitere Fälle von completer einseitiger Choanal-
atresie. Arch. f. Laryngol. Bd. I, H. 3.
88. Bergeat, München. Die Verkleinerung von Sequestern in der Nasenhöhle
und von Rhinolithen mittelst Säuren. Notiz über einen Rhinolithen.
Münch. med. Wochenschr. Nr. 12, 1895.
89. Meyjes, W. Posthumus in Amsterdam. Die behandeling van het empyeem
van de borenkaak. Tijdschrift voor Tandheelkunde 1894. afi. 3.
90. Starr, F. N. G. Entzündung der Stirnhöhle. N. Y. med. Journ. 12. Jan. 1894.
91. Engelmann, W. Der Stirnhöhlencatarrh. Arch. f. Laryngol. Bd. I, H. 3.
92. Snellen, H. Fr. in Utrecht. Ontsteking van orbita en van aangrenzende
holten. Nederl. Tijdschrift v. Geneesk. 17. Febr. 1894.
Pathologie und Therapie des Gehörorganes, 169
93. Herzfeld. Zur Behandlung des Stirnhöhlenempyems. D. med. Wochenschr.
Nr. 12, 1895. |
94. Vacher. Pharyngite retro-nasale. Rev. de laryng. d’otolog. etc. aoüt 1894.
95. Hopkins, F. E. Das Wiederauftreten von adenoiden Vegetationen im
Nasenrachenraume. N. Y. med. Journ. 26. Januar 189.
96. Hermet. Doit on toujours operer les vegetations adenoides. Bull. et mem.
de la soc. de laryngol. d’otolog. etc. Paris 95, 1 u. 2.
97. Griffin, E., Harrison. Ein Fall von Tuberkulose des Rachens. N. Y.
med. Journ. 16. Februar 1895.
98. Targett, J. H. Tumour of Pituitary Fossa. British med. Journal,
22. December 1894.
99. Beadles, C. Two cases of malignant Disease involving the Hypophysis
Cerebri. Ibid.
100. Marcel, D., Bukarest. Ueber die Strangulation der Tonsillen. Wiener
med. Presse 1894, Nr. 31.
101. Machell, H. F. Papillom der Mandeln. N.Y. med. Journ. 19. Jan. 1895.
102. Sikkel, A. Haag. De Hypertrophie van de tonsil der tongbasis. Medisch
Weekblad, 30. Juni 1894.
65) Scheff fand durch Experimente an der Leiche, dass ein durch
die Nase streichender Luftstrom seinen Weg hauptsächlich durch den
mittleren Nasengang nimmt. Pollak.
66) Wroblewski rühmt für Nasenoperationen folgende Lösung
zur Herbeiführung der Anaesthesie: Rp. Antipyrini 2,0, Cocain mur. 1,0,
Ag. dest. 10,0. Ob dabei die Hauptwirkung, wie Verfasser will, dem
Antipyrin zukommt, hält Ref. für unerwiesen. — Anders steht es, wenn
Verf. nach parenchymatöser Injection einiger Theilstriche einer 50 proc.
Lösung von Antipyrin eine 10 Stunden lange Anaesthesie zu operirender
Theile (des Kehlkopfes, der Tonsilla palatina und lingualis) hat eintreten
sehen. Schädliche Nebenwirkungen hat Verfasser nie beobachtet. Die
höchste Dosis, die er injicirte, betrug 0,36 (grm? Ref.)
Zarniko..
67) Ferripyrin, eine Doppelverbindung von Eisenchlorid und Anti-
pyrin, wird angewendet wie Eisenchlorid ; es soll vor. diesem den Vorzug
haben, dass Aetzwirkungen auch bei längerem Contact des Mittels und
der Nasenschleimhaut nicht beobachtet werden, die blutstillende Wirkung
aber trotzdem eine vorzügliche ist. Müller.
68) Schech bespricht in eingehender Weise, indem er über die
Arbeiten der verschiedenen Autoren kurz referirt, zuerst die physio-
logische Function der Nase für die Athmung, sodann die Ursachen und
Folgen der Mundathmung, soweit unsere Ansichten darüber feststehen.
Uuter den letzteren werden hervorgehoben: Disposition zu catharrhalischen
170 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
Erkrankungen der Luftwege, Veränderungen an Weichtheilen und Skelett
des Gesichts mit ihren Folgen für die Sprache; Missbildungen an der
Nase, wie Schiefstand des Septums und allgemeine Verengerung; flacher
schmaler Thorax; ferner die mannigfaltigen subjectiven Beschwerden, vor
allem der so häufige Kopfschmerz, Veränderungen der Psyche und des
Intellectes in Form von geistiger und gemüthlicher Depression. In Zu-
sammenhang mit Störungen der Nasenathmung werden ferner mit mehr
oder weniger Recht gebracht: Asthma, Epilepsie, Morb. Basedowii,
Chorea, endlich auch Enuresis nocturna. — Von der Prophylaxe resp.
der Aufklärung weiterer Kreise über die grosse Bedeutung der Nasen-
athmung könne man eine höchst segensreiche Wirkung erwarten.
Müller.
69) Mink warnt auf Grund einiger von ihm wahrgenommenen
Ohrenentzündungen vor dem schablonenmässigen Durchspritzen der Nase
und besonders vor sofortigem sich Schneutzen nach Anwendung desselben.
Die Canüle eines Ballönspray lässt er in den Nasenrachenraum ein-
führen und entfernt dadurch — ebenso wie durch mit Watte armirte
Kupferdrähte — die Borken. Bei Kindern entfernt er die Schleim-
masse aus der Nase durch Lufteinblasung mit Politzers Ballon.
Posthumus Meyjes.
70) Brodie u. Royers beobachteten unter den in den Minen
angestellten Kaffern eine Reihe von Fällen einer acuten Rhinitis, die
entweder in 3 oder 4 Tagen zum Tod führte oder sich durch 1—2 Monate
hinzog. Bei allen bildete das einzige constante Symptom livide Färbung,
Injection und Schwellung der Schneider’sthen Membran. Bei den
Gestorbenen fand sich Meningitis und Pneunomie. Die Krankheit war
anscheinend nicht contagiös.
71) Felsënthal hat in der Poliklinik von Dr. B. Baginsky
in Berlin 2 Fälle von Rhinitis fibrinosa bacteriologisch untersucht und
in dem einen keine Diphtheriebacillen gefunden, in dem anderen dem
Löffler’schen Bäcillus morphologisch identische Bacterien, die jedoch
für Kaninchen abgeschwächte Virulenz zeigten. Aus den in den letzten
Jahren bei Rh. f. erhobenen Befunden gewinnt V. den Eindruck, dass
es sich in den meisten Fällen um eine Erscheinungsform der Diphtherie
handle, zumal da nach neueren Untersuchungen als sicher anzunehmen
sei, dass unter noch unbekannten Verhältnissen der Diphteriebacillus
seine Virulenz ganz oder theilweise verlieren, dass aber auch der ab-
geschwächte wieder voll virulent werden könne. Daraus erhelle die
grosse Bedeutung der bacteriologischen Untersuchung bei membran-
Pathologie und Therapie des Gehörorganes,. 171
bildenden Nasenerkrankungen. Sobald sich Diphtheriebacillen in den
Membranen finden, soll der Patient isolirt werden. (Ref. hat im ver-
gangenen Winter einen typischen Fall von Rh. f. bei einem 9 jährigen
Knaben beobachtet, die noch nicht ganz abgeheilt war, als der 7 jährige
Bruder an schwerer Rachendiphtherie erkrankte, deren Complicationen
er auch erlag. Eine bacteriologische Untersuchung wurde aus äusseren
Gründen nicht vorgenommen; auch ein positiver Ausfall wäre “übrigens
darum weniger beweisend gewesen, weil damals eine ziemlich ausge-
dehnte Diphtherie-Epidemie in Stuttgart herrschte.) Müller.
72) Von diesen sehr seltenen Localisationen hat Fournier 5 Fälle
beobachtet. Die Infection geschieht mittelst der Finger, zuweilen mittelst
chirurgischer Instrumente. Bezüglich des Sitzes müssen unterschieden
werden die Schanker des Naseneingangs und die der Schleimhaut. Der
Beginn der Erkrankung ist fast immer unmerklich. In den Fällen, wo
der Schanker auf der Schleimhaut sich entwickelt, sind die Lymphdrüsen
unter dem Sternocleidomastoideus ergriffen, bei den Schankern der
Nasenöffnung sitzt der Bubo submaxillar. Differentialdiagnostisch kommen
Impetigo und besonders Erysipel in Betracht.
73) Die rhinitis caseosa ist kein selbstständiges Krankheitsbild wie
Duplay, Borries, Cozzolino, Wagner behauptet haben, sondern
kann als Symptom gelegentlich bei jeder Verletzung der Nase — Septum-
difformität, Schleimhauthypertrophien, Fremdkörper — vorkommen. Die
aus der Nase selbst oder den erkrankten .Nebenhöhlen stammenden
Secretionsproducte und Epithelien der entzündeten Schleimhaut häufen
sich an. und es entwickelt sich eine putride Zersetzung durch eine Viel-
zahl von Mikroorganismen, besonders durch einen genauer in der Arbeit
beschriebenen fadenförmigen Bacillus, der oft in solcher Anzahl vor-
kommt, dass er allein ganze Parthieen der käsigen Massen bildet. Verf.
kritisiert sehr exact die bisher erschienenen Beobachtungen und belegt
seine Ansicht mit selbst beobachteten, Fällen. Zimmermann.
738) Löwenberg veröffentlicht in der vorliegenden Mittheilung das
Resultat langjähriger eifriger und fleissiger Arbeit. Die neuerdings von
ihm angestellten Untersuchungen stammen aus dem Institut Pasteur. L.
kommt zu folgenden Schlussfolgerungen: 1. Der Mikrobe der Ozäna
ist nicht identisch mit dem Pneumobacillus, er bildet weder eine abge-
schwächte noch eine höhere Form desselben. 2. Der Coccobacillus,
welcher von L. im Jahre 1884 beschrieben wurde, ist ein Mikrobe sui
generis und kommt nur der Ozäna zu. Er findet sich in allen
Fällen dieser Krahkheit in enormen Mengen und zwar meist ohne andere
172 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
Arten. Der Ozäna-Mikrobe wird nur bei Ozänakranken gefunden. Es
gelang L. nicht, in den Culturen den für Ozäna characteristischen Ge-
ruch zu produciren. 3. Der Mikrobe der Ozäna ist äusserst pathogen.
Seine Entdeckung ist desshalb nicht nur eine bakteriologische Neuheit,
sondern sie zeigt uns, dass sich im Körper der Ozänakranken ein Wesen
von furchtbarer Wirkung befindet, wenn es eintreten kann in die Blut-
oder I,ymphgefässe. 4. Der Mikrobe der Ozäna ist immer pathogen,
während der Pneumobaciilus in dieser Beziehung eine gewisse Veränder-
lichkeit zeigt. |
74) Ausgehend von der Annahme, dass 1. die meisten, vielleicht
ausser Cholera und Dysenterie, alle Infectionskrankheiten Inhalations-
krankheiten seien; 2. die erste Localisation im Nasen- und Rachenraum
stattfindet; 3. an diesem Ort die Incubationsperiode sich abspiele und 4. erst
von hier die Allgemeininfection stattfinde, ist Heller zu der Ueber-
zeugung gekommen, dass das A und O jeglicher Therapie der meisten
Infectionskrankheiten in gründlicher Ausspülung des Nasenrachenraumes
bestehen muss. Auf die erste Ausspülung schon folgt meist auffallender
Fieberabfall und sofortige Euphorie und gleichzeitig Besserung der
Localerscheinungen. Am meisten ist dieser Erfolg sichtbar bei Gesichts-
erysipel und Angina, die bisweilen in der Folge wirklich abortiv ver-
laufen; nicht mindere Triumphe feiert die Methode bei Diphtherie nicht
nur der Fauces sondern auch des Larynx: eine richtige Irrigation kann
die Tracheotomie ersetzen, wie H. an einer Reihe von Fällen, wo
letztere unvermeidlich schien, gesehen hat; eine Ausnahme bildet die
sog. septische Form. Zur Entfernung der Membranen gibt es kein
schonenderes Verfahren, auch für schwere Fälle genügen zwei Aus-
spülungen täglich. Sofortiger Erfolg, rasche Verminderung der Husten-
anfälle und Abkürzung des Verlaufs werden bei Keuchhusten erzielt.
Bei Scharlach und Masern sind die Spülungen von hohem Werth einmal
zur Prophylaxe und dann auch durch Beseitigung der Nasenverstopfung
mit ihren Folgen — Erschwerung der Expectoration, Benommenheit,
Kopfschmerz u. s. w. Dankbare Objecte sind ferner die für Rötheln
pathognomonischen Drüsenschwellungen, sodann die sogenannten scrophu-
lösen Drüsenschwellungen überhaupt, da sie häufig nichts anderes als
die Folge einer Nasenrachenaffection sind. Bei Tuberkulose wird eine
wesentliche Erleichterung der Expectoration erzielt, in initialen Fällen
sogar eine Eliminirung der Krankheit. Auch den Typhus abdom. zählt
H: zu den Inhalationskrankheiten und bekämpft ihn demgemäss mit Er-
folg (insbesondere Kopfschmerz und Sopor); ebenso den acuten Gelenk-
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 173
rheumatismus. Endlich kommen die Spülungen in Betracht bei Pneu-
monie und Bronchitis (als gutes Expectorans) bei Ekzem der Kinder,
typischen und atypischen Kopfneuralgien. — Die Ausspülungen, 2—3
genügen, werden gemacht mittelst einfachen Kautschukballons mit spitzer
Ausflussöffnung, verwendet wird gekochtes Wasser, dessen Temperatur
sich nach Individualität, Aussentemperatur und Fieber richtet. Der
Strahl ist horizontal zu richten und darf nicht stark sein.
Müller.
75) Die vorliegende Arbeit ist vor der Publication Heller’s (s. o.),
mit dessen Schlussfolgerungen die Ziem’s in der Hauptsache überein-
stimmen, entstanden. — Auch Z. betont, dass die Bedeutung der Ueber-
tragung von Infectionskrankheiten durch die obersten Luftwege im
‘Allgemeinen entschieden unterschätzt werde. Er bespricht zunächst, was
in der Literatur zu diesem Thema zu finden ist: so habe bezüglich
der Masern schon Hebra erklärt und werde wohl allgemein als fest-
stehend angenommen, dass der ursprüngliche Sitz der Erkrankung die
Nasenschleimhaut ist. Betreffs des Scharlachs sei schon von Voltolini
der allgemeinen Annahme, dass derselbe nur selten auf die Nasen-
schleimhaut übergehe, widersprochen und für den Beginn Ausspülungen
der Nase und des Rachens empfohlen worden, auch von Henoch
stammen richtige Beobachtungen (aus d. J. 1864) über maligne Coryza
bei Scharlach der Kinder. Am eingehendsten beschäftigt sich Z. mit
der Diphtherie: schon 1876 erwähne Örtel und nach ihm Wagner
als „seltenere“ Erscheinung den Beginn der Diphtherie in der Nase,
ferner haben Gerhard u.a. in einer gesunden Nase die beste Prophy-
laxe gegen Diphtherie erkannt. Er selbst habe schon i. J. 1887 die
Ansicht ausgesprochen, dass die wichtigste Dispostion zur Diphtherie in
primären eiterigen Erkrankungen der Nasenschleimhaut gegeben sei, und
dieselbe eingehend begründet. Seine damaligen Deductionen (die z. Th.
reproducirt.werden), halte er immer noch für zutreffend. Feruer spreche
Henoch in seinem Werk von Diphtheritis-Coryza, die die Erkrankung
einleite, wobei sich der Process meist durch die Choanen nach abwärts
ausdehne; wie überhaupt Henoch offenbar nicht an eine Diphtheritis
ascendens glaube. Des weiteren werden die einschlägigen Mittheilungen
von Caille (X. intern. Congr.) und Prof. A. Jacobi (XI. intern. Congr.)
angezogen, endlich das Löffler’sche Referat für den VIII. intern.
Congr. f. Hygiene. In ähnlicher Weise finden sodann Besprechung:
Influenza, Intermittens, Typhus abdom. und exanthematicus, gelbes Fieber,
Pest, epidem. Meningitis, Parotitis, Erysipel, kryptogenetische Septikämie,
174 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
Pertussis, Lungenphthise, endlich Rotz und granulöse Conjunctivitis. —
Verf. weist darauf hin, dass mit seinen Ansichten die auf zahlreichen
Sectionen basirenden Angaben Harke’s (Hamburg) übereinstimmen, dass
bei den meisten Infectionskrankheiten, namentlich bei Kindern, ausge-
dehnte und schwerste Erkrankungen der Nase und ihrer Nebenhöhlen
vorkommen. Diese Erkrankungen aber schon bei Lebzeiten zu erkennen
— und damit kommt Z. zur Hauptsache — dazu dienen die von ihm
empfohlenen Probedurchspülungen mit 1°/,igem Salzwasser (am besten
mittelst der Zöllner’schen Druckpumpe). Solche Spülungen bilden
auch, im Verein mit der allgemeinen Gesundheitspflege, das beste Pro-
phylacticum gegen fast alle Infectionskrankheiten. Als Heilmittel sind
sie nach dem Verfasser äusserst werthvoll bei Influenza und Diphtherie,
bei schweren Fällen der letzteren hält er sie trotz Heilserum, dem er
Zukunft und Werth abspricht, jetzt und für alle Zeit unerlässlich.
Gegenüber dem Ausspruch Virchow’s, dass es Pflicht sei, das
Behring’sche Mittel anzuwenden, erhebt er „seine Stimme so laut er
vermag, um zu erklären, dass es Pflicht eines jeden Arztes sei, das
beschriebene einfache und sicherlich unschädliche Verfahren anzuwenden
und in jedem Fall Nase und Rachen gründlich und regelmässig zu
säubern, damit die natürlichen Heilkräfte des Organismus zur Geltung ge-
langen können.“ Im Uebrigen werden sich durch die Spülungen mindestens
Erkrankungen der Augen und Ohren und wahrscheinlich auch des Ge-
hirns verhüten lassen, wenn je die Krankheit im Ganzen nicht beeinflusst
werde, was nicht zu erwarten sei. Müller.
76) Ziem kommt eingehend auf die Publication Harke’s (Ham-
burg) zurück, in der die ausserordentliche Häufigkeit schwerer Er-
krankungen der Haupt- und Nebenhöhlen der Nase und des Nasenrachen-
raums unwiderstehlich demonstrirt werde und bespricht die interessantesten
Punkte derselben, besonders soweit sie sich auf Diphtherie und Croup
beziehen. Es geht daraus hervor, wie eminent wichtig es sei, das
Freisein oder Nichtfreisein der ersten Athmungswege festzustellen und
weiterhin wie oft die gebührende Berücksichtigung dieses Punktes die
Tracheotomie entbehrlich machen würde Hinsichtlich der Lungen-
tuberkulose und chronischer Bronchopneunomie müssen aus der Thatsache,
dass fast immer bedeutende Veränderungen der ersten W ege — Eiterungen
der verschiedenen Höhlen, Geschwüre, Stenosen u. s. w. — gefunden
wurden, wichtige Folgerungen für die Behandlung dieser Krankheiten
gezogen werden. Auch für eine Reihe anderer Infectionskrankheiten
zieht Z. aus den Harke’schen Sectionsergebnissen Beweismaterial für
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 175
die Richtigkeit seiner Ansichten (conf. Nr. 49 ders. Zeitschrift). So
fanden sich in den 14 Fällen von Typhus abdom. fast immer schwere
Veränderungen der obersten Luftwege. Endlich hält Z. es für wahr-
scheinlich, dass bei der Entstehung von Carcinom des Oesophagus und
des Magens Eiterungen der ersten Wege, wie sie in den 4 Fällen
Harke’s gefunden wurden, eine wichtige Rolle spielen (durch die be-
ständige Reizung durch das Secret). — In einem Zusatz kritisirt Verf.
einige Punkte der Mittheilungen Prof. v. Widerhofer’s über das
Diphtherieheilserum. Er selbst bezweifelt den Werth des letzteren
immer noch. Müller.
77) Knapp gehaltene Besprechung der für Schulkinder in Betracht
kommenden Nasenkrankheiten und ihrer Bedeutung für den Gesammt-
organismus sowie für die benachbarten Organe, Auge, Ohr u. s. w.,
ursprünglich dazu bestimmt, in der Section für Schulhygiene des
VIII. internationalen Congresses für Hygiene vorgetragen zu werden.
Müller.
78) Drei von den fünf berichteten Fällen sind von wirklichem
Interesse. Fall I war ein Angiom des Nasenrachenraums,
welches bei einer 40jährigen Patientin beobachtet wurde und die rechte
Seite des Raumes ausfüllte; es war pulsirend und inserirte sich an
dem rechten untern Schwellkörper. Keine Operation. Fall IV bot ein
gespaltenes Septum dar, dessen Spalte von einem Exudat zwischen
den beiden Platten ausgefüllt war. Es wurde durch einen Fall auf das
Gesicht von einem Zweirad herbeigeführt, wahrscheinlich durch directe
Gewalt gegen die Nasenbrücke. Compression näherte die Platten ein-
ander und führte vollständige Heilung herbei. — Fall V zeigte ein
angio-neurotisches Oedem des Auges und der linken Seite des
Gesichtes, durch den Gebrauch von nasalen Applicationen.
M. Toeplitz.
79) Hauptsächlich für Nichtspecialisten geschrieben, gibt Meyjes
in geđrängter Form eine Uebersicht über die innerhalb und ausserhalb
der Nase gelegenen Ursachen von Nasalstenose. Bei Deviatio septi
bei Erwachsenen fürchtet er nicht durch Wegsägen der obstruirenden
Knorpelwand, eine Perforation zu machen. ` Das Ersparen des Periostes
ist ihm gleichgiltig. Die Deviatio nach links fand er bei 300 von ihm
untersuchten Schädeln des Amsterdamschen anatomischen Museum un-
gefähr 200 mal. — Rhinitis caseosa rach Verf. eine Krankheit sui
generis wurde 2 mal als Ursache des Verstopftseins der Nase gefunden.
Von den maligne Tumoren des Öberkiefers fand er 4mal Sarcom mit
Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXVII. 12
176 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
mehr oder weniger bedeutenden Metastasen in der Halsgegend, 1mal
einen typischen Nasen-Rachenpolyp. Im Allgemeinen zieht er die An-
wendung der Chromsäure dem Galvanokauter vor. Er stimmt Hart-
mann vollkommen bei, dass die sogenannten hintern Enden öfters die
Ursache von Nasalstenose, sowie von Taubheit sind. Dass bei acutem
oder subacutem Nasenkatarrh junger Kinder, wobei die gewöhnlichen
Mittel vergebens angewandt sind, eine Inspection resp. Sondirung der
Nase von grossem Nutzen sein kann, beweisen die Fälle, wo Verf. als
Ursache des doppelseitigen Katarrhes Corpora aliena im Naseninnern
fand. Wegen zu starker Entwicklung der obern zwei Halswirbel war
die Rhin. post., sowie die Laryngoscopie in einem Fall, sehr erschwert.
Durch Nachbehandlung der chron. Rhinitis hypertrophica mit Bougies
in verschiedener Stärke hat Verf. oft Recidiven vorbeugen können.
Er legt hervorragendes Gewicht auf die Behandlung constitutioneller
Krankheiten resp. Anämie und Constipation bei Frauen. Das Haupt-
streben seiner Arbeit ist dahin gerichtet dem Nichtspecialisten die Ur-
sache der aufgehobenen Nasalathmung deutlich und damit dem schab-
lonenmässigen Aufschnupfen von lauwarmem Salzwasser ein Ende zu
machen, auf dass durch locale Behandlung ganz zu heilende Nasal-
stenose nicht der Zeit ungeheilt überlassen werde.
Posthumes Meyjes.
Die unter Nr. 80), 81), 82), 83) aufgeführten Arbeiten behandeln
denselben Gegenstand: Gutartige Neubildungen, die an der
Pars anterior septi Zuckerkandls sitzen und sich durch
eine grosse Neigung zum Bluten auszeichnen. Die Summe:
der beschriebenen Geschwülste ist 13. Davon sassen 6 gestielt auf,
4 breitbasig, bei dreien ist die Art der Insertion nicht angegeben.
Die Oberfläche war stets uneben, “die Farbe dunkelroth., 3 Fälle be-
trafen Männer, 10 Weiber. &8mal sass der Tumor links (1 Mann, 7
Weiber), 5mal rechts (2 Männer, 3 Weiber). — Die Patienten suchten
entweder wegen 'Nasenblutens oder wegen Nasenvertopfung ärztliche
Hilfe auf. — Bei der Operation, die theils mit der kalten, theils mit
der glühenden Schlinge, theils mit der Zange ausgeführt wurde, trat
regelmässig eine heftige Blutung auf, die mehrmals die Tamponade
nothwendig machte. Scheier und Heymann haben in je einem
Falle rasch eintretende Recidive beobachtet. Ihrer histiologischen
Structur nach erwiesen sich von den mikroskopisch untersuchten 9 Ge-
schwülsten 7 als teleangiectatische Fibrome, einer als Lymphangioma
teleangiectaticum (Hansemann-Scheier), einer als gefässreiches
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 177
Granulom (Alexander). Der epitheliale Ueberzug war theils Cylinder-
epithel, theils geschichtetes Pflasterepithel mit papillären Fortsätzen nach
der Unterlage hin. Die soeben characterisirten Geschwülste will Scha-
dewaldt durch die Bezeichnung »blutender Polyp der Nasen-
scheidewand« in eine besondere Gruppe gestellt wissen. Der Ref.
muss sich principiell gegen diesen Vorschlag erklären. Denn erstens
handelt es sich nur bei einem Theil der Geschwülste um Polypen in.
des Wortes rechter Bedeutung, nämlich um gestielte Geschwülste.
Zweitens brauchen sich die Tumoren nicht in allen Fällen durch
Blutungen bemerkbar zu machen (Alexander). Und endlich bilden
sie keine histiologische Einheit. Zarniko.
84). Réthi untersuchte einen mit der galvanocaustischen Schlinge
entfernten »blutenden Polypen« der Nasenscheidewand und kommt zu
dem Schlusse, dass diese Septumgeschwülste, ebenso wie die polypoiden
Hypertrophien der anderen Stellen auf chronisch-catarrhalischen Pro-
cessen beruhen, und man weder aus ätiologischen Gründen, noch nach
den histologischen Bildern berechtigt ist, diesen Geschwülsten eine
Sonderstellung in der Rhinologie einzuräumen. Pollak.
85) Die Mittheilung von Spiess handelt eigentlich nicht, wie
man aus dem Titel schliessen muss, von der Operatipn der Verbie-
gungen, sondern von der der Verdickungen der Nasenscheide-
wand. Zur Abtragung des Ueberflüssigen bedient sich Sp. einer Anzahl
von Instrumenten, die durch einen sehr schnell laufenden Electromotor
(3600 Touren per Minute) in Bewegung versetzt werden. Die Ueber-
tragung vom Motor aufs Instrument geschieht durch die Drahtspirale
der zahnärztlichen Bohrmaschine. Die Instrumente sind theils Trephinen,
Bohrer und Fraisen, die den zahnärztlichen Instrumenten nachgebildet
sind; theils Sägen. Diese werden in einem besondern Handgriff befestigt,
der die rotirende Bewegung der Spirale in:eine hin- und hergleitende ver-
wandelt. Sp. rühmt seinem Verfahren grosse Schnelligkeit und Schmerz-
losigkeit nach. Er bohrt z. B. 3 cm lange Bohrkerne in 5 Secunden
heraus und macht in kurzer Zeit soviel Bohrlöcher nebeneinander bis
der ganze abzutragende Vorsprung beseitigt ist. In einem Anhange
werden einige weitere Verwendungsweisen des Instrumentsriums erwähnt.
Mit den Trephinen und Bohrern gelingt die Eröffnung der Kieferhöhle
vom untern Nasengange und vom Alveolarfortsatz aus sehr leicht. Be-
festigt man statt der Säge eine Massivsonde in dem dafür bestimmten
Handgriff, so kann man gut die innere Schleimhautmassage damit aus-
12*
178 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
üben. Auf dieselbe Weise ist die Erschütterungsmassage des Larynx
vermittelst des Ewer’schen Concussors vortreffich zu bewerkstelligen.
Zarniko.
86) In dem Falle einer 30 jährigen Patientin wurden die vorderen
Nasenöffnungen, welche so sehr contrahirt waren, dass sie nur noch ein
Besenreis durchliessen, mit dem Messer eröffnet, worauf die Schleimhaut
angenäht wurde. Die Wunde wurde durch Gummiröhren von der Form
des Simrock’schen Speculum, welches aus einer kurzen den Nasen-
eingang ausfüllenden Röhre mit umgeworfenem Rande besteht, ausein-
ander gehalten; die Röhren wurden drei Monate lang permanent mit
gutem Endresultat getragen. M. Toeplitz.
87) In beiden Beobachtungen zeigte sich die eine Hälfte der Nasen-
höhle gegenüber der andern von vorn bis hinten enger. Diese Enge
nahm nach hinten zu und entwickelte sich bei dem einen Patienten vor
Beginn des hintern Drittels zu einer completen knöchernen Atresie von
ziemlicher Dicke und Härte, bei der andern Patientin etwa 10 mm vor
der Choane zu einer Spalte, die durch eine Membran verschlossen wurde.
Beidemale war der Verschluss wahrscheinlich angeboren. Im ersten
Falle bestand auf der Seite des Verschlusses Empyem der Kieferhöhle
mit Polypenwucherung. Durch die Operation mit Meissel und Galvano-
kauter konnte in beiden Fällen die Nasenathmung frei gemacht werden,
Abdrücke der Choanen in Stents Masse errwiesen in beiden Fällen er-
hebliche Assymmetrien. | Zarniko.
88) Unter Hinweis auf die Vortheile frühzeitiger Entfernung von
Nasensequestern und die Misstände der bisher geübten mechanischen
Verfahren berichtet Bergeat über Versuche, die er mit verschiedenen
Säuren hinsichtlich ihrer Wirkung auf Knochen- und Sequesterstücke,
sowie Theile eines Rhinolithen angestellt hat. Dieselben ergaben, dass
die nicht gereinigte Salzsäure bei weitem den Vorzug verdient, bei grosser
Empfindlichkeit gegen Dämpfe und Geruch statt ihrer Phosphorsäure. Die
Säure wird nach sorgfältigem Auftupfen mitttelst Sonde an die frei-
liegenden Knochenstellen gebracht, wenn möglich soll versucht werden,
Furchen zu ätzen, in denen der Sequester gebrochen werden kann. Die
erweichte Knochenschicht wird jedesmal abgekratzt. B. beschreibt einen
Fall von luetischem Sequester, in dem eine rasche Verkleinerung des
S. erzielt wurde. Die Anwendung von Säuren hält er auch bei Rhino-
lithen, deren Entfernung nur durch Zerkleinerung möglich ist, für wohl-
angezeigt. Zum Schluss wird über einen Fall von Rhinolith berichtet,
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 179
der sich um einen Kirschkern Be hatte und leicht mit der Zange
entfernt werden konnte. Müller.
89) Meyjes hat sich zum Offenhalten der Bohröffnung im Alveolar-
satz ein Röhrchen anfertigen lassen mit federndem Deckel. Ein Aus-
fliessen von Pus aus dem Antrum in den Mund ist dann unmöglich.
Die Tube bleibt in Situ und die Durchspülung des Antrum findet von
Seiten des Patienten sehr bequem statt. Das silberne, besser goldene
Röhrchen wird an den nächsten Molaris befestigt oder bei Fehlen
desselben vom Zahnarzt mit einer Gaumenplatte versehen.
Posthumus Meyjes.
90) Starr berichtet über vier Fälle von acuter Entzündung der
Stirnhöhle bei Patienten im Alter von 23 bis 31 Jahren, von denen
zwei sich nach 7 resp. 9 Tagen an eine Erkältung, die beiden andern
nach 10 Tagen an Influenza anschlossen. Schmerzen über den Augen-
brauen, allmählig stärker werdend, mit Entleerung von Secret in
Zwischenräumen waren die hervorragendsten Symptome. Das Infundi-
bulum war in allen Fällen offen. Druckempfindlichkeit über dem Sinus,
sowie über der Rolle des m. obliquus superior waren ganz deutlich.
Senfaufschläge führten schnelle Milderung der Schmerzen herbei. Voll-
ständige Heilung trat in 5, 3, 7 resp. 8 Tagen ein.
M. Toeplitz.
91) Als Stirnhöhlencatarrh bezeihnet Engelmann nach dem Vor-
gange Zuckerkandls die sämmtlichen diffusen Entzündungen der
Stirnhöhlenschleimhaut, die schleimige (Sinuitis frontalis serosa), die
schleimig-eitrige (S. f. seropurulenta) und die phlegmonöse
Entzündung Weichselbaums (S. f. phlegmonosa). Der Betrach-
tung dienen 15 Beobachtungen zur Grundlage, die Verf. in der Frei-
burger Universitätspoliklinik Killians gesammelt hat. An ihnen misst
er die Angaben der anderen Autoren, die er mit bemerkenswerthem Fleisse
aus der Literatur zusammengestellt hat.. In einem kurzen. Referate lässt
sich das, was der Verf. dem festen Bestande unserer Kenntnisse neues
hinzufügt, nicht vollständig wiedergeben. Nur Folgendes möchten wir
hervorheben: Verf. hält die Sondirung der Stirnhöhle vom mittlern
Nasengange aus in ca. 50°/, der Fälle für ausführbar. Nur ist es
dazu öfters nothwendig, das Haupthindernis, das Operculum der mittlern
Muschel, wegzunehmen. Dazu schiebt G. Killian »das Blatt einer
schlanken Nasenscheere durch die Fissura opercularis nach hinten
oben und führt einen Schnitt dicht am Ansatze des Operculums;
dann führt er eine Schlinge um den Klappdeckel bis zum obern Ende
180 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
des Schnittes und schnürt das Ganze ab.«e — Bei der Besprechung
der Therapie wird das Verfahren Schäffer’s, die Stirnhöhle von der
Gegend zwischen mittlerer Muschel und Septum her zu eröffnen, in
seiner ` Gefährlichkeit genügend beleuchtet. Ausführlich schildert der
Verf. die Methode Killians, die Stirnhöhle von aussen her zu ope-
riren. K. eröffnet zuerst die Höhle in der üblichen Weise, räumt sie
aus und führt eine Sonde in den Duct. nasofrontalis. Darauf schlägt
er mit dem Meissel das Nasenbein vom Stirnbein ab, klappt es sammt
Periost und Hautlappen zurück und meisselt nun bis auf die Sonde in
die Tiefe, wobei einige Siebbeinzellen eröffnet werden. Auf diese Art
wird, nachdem das Nasenbein reponirt und der untere Theil der Wunde
vernäht ist, ein weiter Canal zwischen Stirnhöhle nnd Nasenhöhle frei,
von dem aus die Höhle auch nach Schluss der Hautwunde genügend
übersehen und versorgt werden kann. Das Resultat der K.’schen
Methode ist, soweit 3 Beobachtungen ein Urtheil erlauben, günstig. —
Im Ganzen waren die therapeutischen Erfolge in den geschilderten
Fällen nicht sehr glänzend. 3 Fälle von acutem Catarrh heilten spontan,
von 10 chronischen Fällen heilten 2 durch die Operation, einer wurde
dadurch gebessert, die übrigen entzogen sich der Beobachtung. Den
Schluss der breit angelegten Arbeit bildet eine Tabelle, in der die
Operationsresultate von 120 Fällen aus der Literatur seit 1865 zu-
sammengestellt sind, sowie ein ausführliches Literaturverzeichniss.
Zarniko.
92) Snellen will bei Orbital-Entzündungen, wenn man nicht die
gewöhnlichen Ursachen findet, stets die benachbarten Sinus untersuchen.
Obgleich er in der Litt. fast keine Fälle von Sinus-Erkrankung mit
secundärer Orbital-Entzündung beschrieben — weil vielleicht nicht er-
kannt — findet, so hat er doch selber einen bez. Fall wahrgenommen
und theilt die Krankengeschichte mit. Einige Fälle von glücklich ope-
rirtem Empyem des Sinus frontalis werden mitgetheilt. Bloss durch
Ausdehnung der sphenoïdalen Sinuswand konnte nach Verf. der Nervus
opticus in dem Foramen durch Druck atrophisch werden; aber noch
früher wird die Entzündung der Sinuswand übergreifen auf den Nerv,
welcher sich auf einer Strecke von 1 cm Länge dem letztern anlegt.
Posthumus Meyjes.
93) Nach Besprechung der Schwierigkeiten, welche sich der exacten
Diagnose des Stirnhöhlenempyems entgegenstellen, schildert Herzfeld
sein Operationsverfahren: Eindringen von aussen, Entfernung alles Krank-
haften event. Erweiterung der natürlichen Oeffnung in die Nase mittelst
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 181
eines hierfür construirten und abgebildeten Instrumentes. Verf. verwirft
mit Recht die gewaltsame Eröffnung von der Nase aus. 3 Kranken-
geschichten vervollständigen das Gesagte. Noltenius.
94) Diese häufige Pharyngitis ist wenig gekannt. Verf. unter-
scheidet 2 Formen: chronische einfache und granulöse Form. Man
begegnet ihnen am meisten bei Kindern, sie hängen in der Mehrzahl
der Fälle vom Allgemeinzustand ab. Diesen soll man deshalb besonders
ins Auge fassen. Als Localbehandlung muss man Aetzungen vor-
nehmen, auch Massage wirkt günstig. Die Affectionen sind nur gefähr-
lich durch Complicationen von Seiten der Tuben und des Mittelohrs:
Catarrhe und Eiterungen.
95) Hopkins berichtet über 12 Fälle von Wiederkehr von a:
noiden Vegetationen nach radicalen Operationen, Fälle, die er theils
seiner eignen Praxis, theils von Andern entnommen hatte, und gelangt
daraus zu dem Schluss, dass bei -Kindern die vollständige und früh-
zeitige Operation in der Narcose bestimmt angerathen und dass der
.Nachbehandlung und den hygienischen Zuständen, besonders der der
Schlafzimmer grössere Aufmerksamkeit zugewandt werden müsse. Die
von Hopkins zusammengestellten, erschöpfenden Literaturbeläge werfen
wenig Licht auf die Frage des Wiederauftretens der Wucherungen.
| M. Toeplitz.
96) Hermet warde durch einen Fall von aden. Vegetationen, wo
ihm die vorgeschlagene operative Entfernung verweigert wurde und den
er Jahre lang ohne üble Folgen zu bemerken beobachtet hat, dazu ge-
führt, die Indicationen der Operation enger zu begrenzen. Von ins-
gesammt 103 Fällen hat er nur 14 zu operiren brauchen. Bestanden
keine Ohrcomplicationen, Kopfschmerzen, Arbeitsunlust und Entwicklungs-
hemmung, so hat er nur abgewartet und sorgfältig beobachten lassen.
Tritt eine Mittelohrentzündung ein, so kratzt er die Adenoiden aus und
heilt dann die Mittelohreiterung in wenigen Tagen. Die Operation
hält er wegen der drohenden Meningitis, der Narcotisirung, abgesehen
von event. Hämorrhagien für ein keineswegs harmloses Unternehmen.
Zimmermann.
97) Ein 19jähriges Mädchen zeigte eine leichte Congestion mit
vereinzelten grau-weissen Flecken des Rachens, ohne Husten oder Kehl-
kopf- und Lungenaffection, aber mit Fieber und Tuberkelbacillen im
Sputum. Die Flecken wurden grösser, ulcerirten und flossen ineinander
und die Lungen wurden später auch mitergriffen. Der Tod erfolgte in
vier Monaten. M. Toeplitz.
182 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
98) Das von Targett in der Pathological Society London de-
monstrirte Präparat stellt einen Tumor von 2 Zoll im Durchmesser
dar, der histologisch die Structur eines Endothelioms zeigte und nest-
fömige (Zellnester) Gebilde enthielt. Zu Lebzeiten bestand eitriger
Ausfluss aus der linken Nase. Bei der Section fand man eitrige Menin-
gitis, die Geschwulst war durch den Boden der »Fossa pituitoria« durch-
gewachsen.
99) Im ersten Fall, von Beadles in der Pathological Society of
London mitgetheilt, handelte es sich um einen Patienten, der im Colney
Hatsch Asylum starb; vor Eintritt des Todes war Ausfluss aus dem
linken Ohr und Schwellung der linken Gesichtshälfte aufgetreten. Bei
der Section zeigte sich die Schädelbasis in weitem Umfang zerstört
durch ein Plattenepithelcarcinom, das wahrscheinlich von der linken
Paukenhöhle ausgegangen war. Im zweiten Fall handelte es sich um
einen Drüsencarcinom, das seineu Ausgang vermuthlich von dem Drüsen-
epithel des Nasenrachenraums genommen hatte.
100) Marcel entfernte die Tonsillen mittelst der kalten Schlinge:
in 50 Fällen und hält dies Verfahren für angezeigt bei furchtsamen
Kindern und sehr grossen Tonsillen. Pollak.
101) Machell’s 10jährige Patientin litt zwei Jahre lang an einer
hochgradigen Vergrösserung beider Mandeln, welche den Rachen buch-
stäblich ausfüllten und aus zahllosen gestielten Massen bestanden. Die
Patientin starb an Diphtherie und Scharlach und eine Mandel liess sich
nach dem Tode mit dem Zeigefinger leicht enucleiren. Zwei Photo-
graphien des Zustandes während des Lebens, resp. des Präparates sind
dem Artikel beigefügt. Der Bericht über die mikroskopische Unter-
suchung ist ziemlich dürftig. M. Toeplitz.
102) Dass in vielen Fällen von sog. Globus hystericus Vergrösserung
der Zungenpapillen die Ursache der Parästhesie war, illustrirt Sikkel
mit einigen Krankengeschichten. Durch caustisches Entfernen ar Papillen
befreite er die Kränken von ihren Beschwerden.
Posthumus Meyjes.
Bericht über die Verhandlungen der Deutschen
otologischen Gesellschaft auf ihrer vierten Ver-
sammlung zu Jena am ı. und 2. Juni 1895.
Erstattet von
Arthur Hartmann-Berlin und H. Seligmann-Frankfurt a. M.
Die diesjährige Versammlung der Deutschen otologischen Gesell-
schaft zeichnete sich aus durch zahlreichen Besuch und eine Reihe
interessanter Vorträge und Debatten. Sie lieferte den Beweis, dass die
Gesellschaft volle Lebenskraft besitzt und dass ihre Gründung einem
Bedürfnisse entsprach. Durch den von der Versammlung gefassten Be-
schluss, die Verhandlungen gesondert im Buchhandel erscheinen zu
lassen, wird auch nach Aussen hin die unabhängige und für die Ohren-
‚heilkunde bedeutungsvolle Stellung der Gesellschaft zum Ausdruck ge-
langen. Die Vorbereitungen für die Versammlung waren von Herrn
Prof. Kessel-Jena in ausgezeichneter Weise getroffen. Eine kleine
Ausstellung von Instrumenten und Apparaten befand sich in den Neben-
räumen des Sitzungssaales.
1. Sitzung.
Vorsitzender: Hr. Walb.
Der Vorsitzende begrüsst die Gesellschaft und gedenkt der im ver-
flossenen Jahre verstorbenen Mitglieder Helmholtz, Lemcke, Gott-
stein und theilt mit, dass 18 neue Mitglieder aufgenommen wurden.
1. Hr. Hartmann: Ueber durch fibröse Membranen ausgefüllte
Dehiscenzen im Schläfenbein.
Der Vortragende legt folgende Präparate vor:
Ein Präparat eines normalen Schläfenbeins.. Im Tegmen tympani findet
sich eine linsengrosse Stelle, welche statt aus Knochen aus einer derben durch-
sichtigen Membran besteht, welche sowohl an der oberen als unteren Fläche
glatt in den umgebenden Knochen übergeht.
Sodann 3 Präparate von an den Folgen chronischer Mittelohreiterung resp.
Cholesteatombildung verstorbenen Patienten (Sinus Thrombose, Hirnabscess). In
184 Bericht üb. d. Verhandl. d. 4. Versamnıl. d. Deutsch. otolog. Gesellsch.
zwei Fällen befanden sich die Membranen im Tegmen antri mastoid, in einem
anderen Falle auf der hinteren Fläche des Schläfenbeins zum Theil den Sulcus
sigmoideus einnehmend. In Mitte dieser grossen Membran befindet sich fest
eingewachsen ein mit der knöchernen Umgebung nur durch die Membran in
Verbindung stehendes etwa linsengrosses Knochenstück. In allen Fällen bestand
keine Verwachsung der Knochenmembranen mit der Dura mater. Dieselben
gehen alle glatt in die benachbarten Knochen über.
Die an macerirten Schläfenbeinen angestellten Untersuchungen geben keinen
Anhaltspunkt dafür, ob es sich bei den gewöhnlichen Dehiscenzen nicht auch um
die Ausfüllung mit Membranen handelt. Im ersten Falle, das normale Schläfen-
bein betreffend, handelt es sich um eine jedenfalls selten vorkommende Ent-
wickelungsanumalie.
Was die Knochenmembranen in den erkrankten Schläfenbeinen betrifft, so
muss durch den Entzündungsprocess ein Reiz auf den Knochen ausgeübt worden
sein, welcher zu einer Umwandlung desselben in fibrdses Gewebe Veranlassung
gab. Es dürfte eine rückläufige Umbildung zur bindegewebigen Anlage des
Knochens stattgefunden haben.
Ob die Bildung der recht derben Membranen wie die Sclerose des Knochens
vielleicht eine Zeit lang die Uebertragung der Eiterung auf die Umgebung zu
hindern im Stande ist, lässt der Vortragende unentschieden. Bei operativen
Eingriffen wird man geneigt sein, die Knochenmembran für Dura mater zu halten.
2. Hr. Kretschmann: Die eitrigen Processe im unteren Raume
der Paukenhöhle:
Kretschmann schildert ausführlich die anatomischen Verhältnisse des
den Sulcus tympanicus nach unten überragenden Theils der Paukenhöhle und
schlägt vor, ihn Recessus hypotympanicus zu nennen. Auch die benachbarten anato-
mischen Verhältnisse der Tube, des Canalis caroticus, Facialiswulstes, der Jugu-
larvene, sowie die Dicke der trennenden Knochenschichten werden eingehend
erörtert. Von den pathologischen Aflectionen beschränkt sich Vortragender auf
die eitrigen Processe, die meist im hinteren Zipfel sitzen. In solchen Fällen
gaben die Patienten meist subjectiv ein Gefühl von Spannung im Warzentheil
an. Die Behandlung besteht in Ausspülungen mit entsprechend gebogener
Canüle und Aetzungen mit Chromsäure und Trichloressigsäure. Wird die Auf-
meisselung des Warzenfortsatzes vorgenommen, so empfiehlt Kretschmann die
Abschrägung der unteren Wand behufs besseren Ueberblicks und Behandlung.
Discussion: Hr. Wolf empfiehlt bei in diesem Raum befindlichen
Granulationen die Curettirung mit seinem Löffel, keine Abschnürungen. Letzteres
Verfahren, bei einer im hypotympanischen Recessus befindlichen pulsirenden
Geschwulst von ihm angewandt, führte starke Blutung und Tod durch Pyämie
herbei. |
Hr. Walb empfiehlt für die Untersuchung des hypotympanischen Raumes
die Anwendung von Doppelspiegeln.
Hr. Hessler bemerkt zu der von Kretschmann betonten Gefahr der
Facialisverletzung, dass vor der Durchschlagung des Facialis die Genehmigung
des Patienten eingeholt werden müsse.
Hr. Kretschmann hat Doppelspiegel nicht sehr gut befunden.
Bericht üb. d. Verhandl. d. 4. Versamml. d. Deutsch. otolog. Gesellsch. 185
3. Hr. Barth: Ueber die sog. Lateralisirung bei Knochenleitung.
Das Lateralisiren bei Knochenleitung ist entweder ein subjectives, wie es der
Untersuchte hört, oder ein objectives, welches man mittelst zweier gleicher Otoskope
controlliren kann. Letzteres ist ausschliesslich bedingt durch Veränderungen in
der Leitung und in der Resonanz. Bei dem subjectiven Herüberhören ist ausser
den vorher genannten zwei Punkten zuerst zu nennen einseitige Erkrankung des
percipirenden Apparates, die wohl selten Veranlassung zu objectiven nachweis-
baren Aenderungen der Leitungs- und Resonanzverhältnisse geben wird, ausser-
dem aber spielen wahrscheinlich noch mit: die günstigeren Verhältnisse der
Schallübertragung auf ein untersuchtes Ohr, Schallreflexe und der Abschluss
eines erkrankten Ohres gegen Schalleinwirkungen von aussen. Nicht von Ein-
fluss in Bezug auf einseitig verstärktes Hören sind: verstärkter Druck auf das
innere Ohr, sogen. Hyperästhesie des Acusticus. Die Erscheinungen beim
Weber’schen Versuch beruhen also auf complicirten Verhältnissen, so dass es
nicht erlaubt ist, ihn blind als Maassstab für eine Diagnosenstellung zu benutzen,
obwohl er, mit Kritik angewendet, oft zu recht brauchbaren Untersuchungser-
gebnissen führen kann.
4. Hr. Dennert: Zur Prüfung des Tongehörs.
Hierzu hält Dennert die Benutzung des Schallquantums als am zweck-
mässigsten. Um ein gleichmässiges Quantum zu erhalten, lässt er die Stimm-
gabel nicht ununterbrochen ausklingen, sondern nur 1 Secunde oder nur einmal
in der Secunde am Ohr des Patienten vorbeiführen, bis bei Annäherung auf
solche Zeitdauer nichts mehr wahrgenommen wird; erfolgt die Annäherung
dann auf längere Dauer als 1 Secunde, so tritt wieder Tongehör ein. Für ver-
schieden hohe Stimmgabeln sind die Verhältnisse verschieden.
Hr. Barth hat 2 Fälle beobachtet, wo eine kurze Annäherung der Stimm-
gabel unbemerkt blieb, Ausklingenlassen aber bemerkt wurde. Zur Anstellung
solcher Versuche hat er einen eigenen Apparat construirt, aus oberer Scheibe mit
grosser, unterer mit kleiner Oeffnung mit darauf befestigter Stimmgabel und
gegen einander drehbar, bestehend. Die Stimmgabel schreibt ihre Schwin-
gungen auf die mit Fett bestrichene Scheibe auf.
5. Hr. Lucae: Weitere Mittheilungen über die mit der federnden
Drucksonde gemachten Erfahrungen.
Es wurden 46 Fälle ausgewählt und auf den Rinne’schen Versuch ge-
prüft, bei denen alle hohen Töne noch gut gehört wurden; diese wurden mit
der Drucksonde allein behandelt. Der Erfolg war, dass 28 Fälle mit positivem
Rinne sehr gebessert, bei 8 mit negativem Rinne derselbe positiv wurde. 12
mit negativem Rinne wurden wenig und 6 gar nicht gebessert. Bei doppel-
seitiger Affection besserte sich die Seite, wo der Rinne positiv ausfiel. Bis
auf einen Fall wurden bei den 28 mit positivem Rinne musikalische Töne
noch gut gehört, bei denen mit negativem Rinne schlecht. Bei dem einen
Fall mit positivem Rinne wurde c# vor der Behandlung nicht, nachher wieder
gehört. Auch ein Fall mit Meniere’schen Symptomen wurde völlig geheilt.
186 Bericht üb. d. Verhandl. d. 4. Versamml. d. Deutsch. otolog. Gesellsch.
6. Hr. Haug: a. Zur Polymyositis infectiosa ex otitide.
Nachdem Haug zunächst auf die in der Literatur niedergelegten Fälle
von Polymyositis pyaemica ex otitide hingewiesen hat, Fälle, die sich zumeist
im Anschlusse an eine während einer allgemeinen Infection aufgetretene purulente
Media entwickelt hatten, führt er seine eigenen Beobachtungen an, in denen es
sich um reine Muskelmetastasen, um Abscesse innerhalb der Muskel-
substanz und innerhalb der Fascie handelte, die im Verlaufe einer
vulgären acuten eitrigen Media ohne causalen Nexus mit einer Allgemein-
infection sich herausgebildet hatten. Nicht die von Fränkel-Schwabach
beobachtete Form der Dermatomyositis lag hier vor, sondern reine wirkliche
Muskelmetastasen allein. In dem ersten der 3 Fälle war im Verlaufe einer
nach dem Gebrauche der Nasendouche aufgetretenen acuten Perforatiomedia
erst eine Schwellung mit Röthung auf der Gegend des l. Musc. deltoid. nach
vorausgegangenem Schüttelfroste entstanden. Diese erste Iniumescenz bildete
sich wieder zurück, allein unter Wiederholung der Schüttelfröste und der Tem-
peratursteigerungen in starken Sprüngen stellte sich eine Abscedirung von klein
Apfelgrösse im obern Drittel des l. Gastrocnemius ein, die sich bei ihrer Er-
öffnung als in das Muskelgewebe eingelagert ergab (Streptococcen). Nach dieser
Hauptmetastase zeigten sich noch 3 leichtere, aber immer noch typisch pyämische
Attaken, indem Schwellung in der Gegend des l. Supinator longus, der recht.
Abduct. magn. und des l. Masseter folgten; sie schwanden ohne in Abscedirung
überzugehen. Heilung.
Im 2. Falle hatte sich während einer durch eine Verkühlung entstandenen
acuten Ohreiterung am 19. Tage der Erkrankung nach starkem abendlichen
Schüttelfrost erst eine Schwellung des Handgelenks gezeigt, dann spontane In-
volution, nach 3 Tagen unter Wiederholung des Schüttelfrostes eine schmerzhafte
Röthung und Schwellung im vordern Drittel des r. Vorderarmes folgte, die zur
Abscedirung gelangte. Bei der Eröffnung des Abscesses war auch hier wieder
die Bildung des Abscesses als eine intramusculäre deutlich zu erkennen. Heilung
in der 7. Woche.
Der 3. Fall hatte seine acute Mittelohreiterung durch Infection einer
Trommelfellläsion acquirirt. Trotz der Eröffnung des Warzenfortsatzes (Empyem)
stellte sich nach Heilung des ÖOhres eine Schwellung der l. Fossa supraspinata,
der l. Achselhöhle in der Gegend über dem Muscul. deltoides ein. Die ersten
zwei gingen in Suppuration über und es fand sich der M. supraspinatus ver-
eitert; die Achselhöhlenabscedirung beruhte auf Lymphdrüseninfection. Das
Infiltrat der Deltagegend ging zurück. (Autorreferat.)
In der Discussion glaubt Hr. Brieger hierin eine andere Form sehen
zu sollen als die kürzlich von Fränkel beschriebenen Fälle von Dermatomyositis
septica infolge von Otitis media suppurativa.
b. Ueber Bildung hämorrhagischen Exsudates in der Paukenhöhle
und im äusseren Gehörgange in Folge einer Pulpitis eines Molarzahnes.
Ein notorisch bisher immer ohrengesund gewesener Mann (auch nicht
hereditär quoad Ohr belastet) bekommt während einer heftigen Zahnschmerz-
attake ein typisches Hämatotympanum der Paukenhöhle und gleich-
zeitig eine bohnengrosse Blutblase im Gehörgange. Jrgend welche Irritation
Bericht üb. d. Verhandl. d. 4. Versamml. d. Deutsch. otolog. Gesellsch. 187
des Gehörganges oder des Trommelfells hatte, wie das sonst zuweilen bei Ge-
legenheit von Zahnweh zu geschehen pflegt (durch Einträufeln verschiedener
Mittel: Chloroform, Painexpeller etc.), nicht stattgefunden; ebenso war Nase
und Rachen vollkommen gesund.
Die Untersuchung der Zähne ergab eine ausgedehnte Caries eines oberen
Molar, complieirt mit Blutblasenbildung innerhalb der Höhlung des Zahnes.
Die typischen Symptome einer acuten Pulpitis waren vorhanden.
In thatsächlicher Ermangelung irgend welcher ätiologisch wirksamen Ur-
sache muss die blutige Trommelhöhlenexsudation sowie die Blutblase im Gehör-
gange in causalen Nexus mit dem Zahnleiden gebracht werden. (Autorreferat.)
7. Hr. Kayser: Zur Pathologie und Therapie der objectiven
Ohrgeräusche, welche er in Tubar- und wirkliche Ohrgeräusche nach
ihrer Entstehungsweise eintheilt.
Die Tubargeräusche sind entweder Muskelgeräusche, oder, wie bei der
Autophonie, durch Veränderungen in der Tube fortgeleitete, anderswo entstandene
Geräusche. Gegen letztere Form hat Kayser Verstopfung der Tubenmündung
durch ein indifferentes Fett mit Erfolg angewandt. Erstere Form hält er für
verwandt mit Chorea und Hysterie und entstehend durch Contractionen des Tens.
vel. palat. Therapeutisch wendet er hier einen Reiz beliebig durch Druck auf
das Gaumensegel, den Warzenfortsatz, den Vagus an mit wechselndem Erfolg.
Entsteht das Knacken durch Abheben der Tube, so wird eine Sonde tief ein-
. geführt mit sofortigem Erfolg, der aber nur in 3 Fällen andauerte.
Hr. Zaufal möchte das Geräusch durch Abhebung der lateralen von der
medialen Tubenwand behandeln. Er empfiehlt Massage und Zug des Gaumen-
segels mit dem . Finger nach unten oder Andrücken der Tubenwände gegen-
einander. Ä
Ueber die Hörbarkeit der Geräusche, die durch Contraction des Tensor
tympani entstehen, entspinnt sich eine Discussion, an der sich die Herren
Brieger, Barth, Zaufal, Noltenius, Beckmann betheiligen, die
aber keine einheitliche Ansicht aufkommen lässt. |
2. Sitzung. M
Zum ersten Vorsitzenden für das nächste Jahr wird Herr Walb-
Bonn, zum zweiten Herr Zaufal-Prag gewählt. Für das Helmholtz-
Denkmal werden 100 Mark bewilligt. Die Herausgabe der Verhand-
lungen, von welcher jedes Mitglied ein Exemplar erhält, wird beschlossen.
Die nächste Versammlung soll vor Pfingsten in Nürnberg stattfinden.
Der Jahresbeitrag von 10 Mark wird beibehalten.
8. Hr. Kretschmann: Theilweise Plastik der Ohrmuschel.
Lupus der Innenfläche und eines Theiles der Aussenfläche der rechten
Ohrmuschel, local und allgemein erfolglos behandelt, veranlasste in einem Falle
‚ Vortragenden, den ganzen Herd auszurotten und den Defect durch Plastik zu
decken. Es wurde die erkrankte Haut bis auf den Knorpel entfernt und durch
einen aus der benachbarten Haut gebildeten Lappen gedeckt.
e
188 Bericht üb. d. Verhandl. d. 4. Versamml. d. Deutsch. otolog. Gesellsch.
9. Hr. Kretschmann demonstrirt ferner Stahlzwicken zur Lappen-
fixation.
10. Hr. Anton: Beiträge zur Kenntniss des Jacobson’schen
Organs des Erwachsenen.
Nach einer historischen Einleitung theilt Redner mit, dass nicht alle
Untersuchten das Organ besassen, und zwar, wie er glaubt, ist dieser Mangel
angeboren. Dies wird daraus ersichtlich, dass das Organ bereits bei einem
Embryo gar nicht, bei einem Neugeborenen nur einseitig entwickelt war; es fand
sich dagegen trotz gleichzeitiger Atrophie der Schleimhaut zuweilen vor. Es
bestand stets aus einer offenen spalt- oder muldenförmigen Rinne und einem
nicht offenen Canal, die Mündungen sind frontal gegeneinander etwas verschoben.
Der Canal bestand meist aus einer grossen Erweiterung und einigen kleineren
Ausbuchtungen ungleich aneinander gegliedert; der Verlauf war immer etwas
ansteigend. Das Epithel war medialwärts hoch, lateralwärts niedrig. Die ein-
mündenden Drüsen sind acinöse Schleimdrüsen von wechselnder Zahl; sie münden
im grossen Ganzen meist in der oberen Wand ein. Oefter fand Redner eine
Basalmembran und spärliche Kalkconcremente. Für die Funktion des Organs
ergaben die Untersuchungen keine Anhaltspunkte.
11. Hr. Hessler: Die Behandlung der acuten Mittelohr- und
Warzenfortsatzeiterungen.
Die Eiterungen des Mittelohrs bestehen oft oder meist als Folgeerkran-
kungen von Affectionen des Nasenrachenraumes. In solchen Fällen beschleunigt
die Beseitigung der letzteren den Ablauf der acuten Eiterung, wird also vor
Heilung der letzteren vorgenommen. Zur Verwendung neuer Infectionen von
der Nase aus widerräth er das Politzer’sche Verfahren bei acuter Eiterung.
Die Entfernung des Eiters bewirkt er auf trockenem Wege, besonders bei starker
Secretion; übermässige flüssige Reinigung erzeugt Furunkel. Ist in acuten
Fällen die Trepanatio proc. mıast. indicirt, so erfolgt nur die typische Auf-
meisselung nach Schwartze; Durchspülungen sind zu vermeiden. Lockere
Tamponade vertritt deren Stelle; Verbandwechsel alle 2—3 Tage. Die Patienten
können das Bett früh verlassen ; längeres Verweilen im Bett verzögert die Recon-
valescenz. Nur bei pyämischen Erscheinungen muss die Heilung abgewartet
werden.
In der Discussion empfiehlt Hr. Panse, nach der frühen Paracentese
einen Verband zu machen und jede Manipulation mit dem Ohre dem Patienten
zu untersagen. Gegen die entstehende Maceration des Gehörganges benutzt er
Lapislösungen.
Hr. Barth lässt die Wunde lieber ausspülen als auswaschen, auch wäscht
er die Umgebung der Wunde feucht ab.
Hr. Stacke operirt seit 5 Jahren aseptisch, trocken, tamponirt in die Tiefe,
nicht locker.
Hr. Leutert betont, dass auch in der Schwartze’schen Klinik nach
der Paracentese nicht mehr gespritzt werde.
Hr. Brieger fürchtet auch von festerer Tamponade des Gehörganges keine
Retention.
Bericht üb. d. Verhandl. d. 4. Versamm!. d. Deutsch. otolog. Gesellsch.. 189
Hr. Hartmann ist der Ansicht, dass bereits seit Jahren von der Mehr-
zahl der Ohrenärzte ohne Ausspritzungen und Luftdouche im Anfangsstadium
die acute Eiterung behandelt werde. Bei Aufmeisselungen sind Auswaschungen .
oder Ausspritzungen nicht erforderlich, lang fortgesetzte Tamponade kann die
Heilung verlangsamen.
Hr. Noltenius glaubt ebenfalls nicht, dass die Tampons den Abfluss
beeinträchtigen.
Hr. Reinhard, Barth, Walb und Hessler betheiligen sich ebenfalls
an der Discussion.
. 12. Hr. Joël: Leptomeningitis purul. nach Otit. med. pur. ac.
bei einem dreijährigen Kinde.
Dreijähriger Knabe erkrankt im Anschluss an Masern an rechtsseitiger
Ohreiterung mit Empyem des Warzenfortsatzes bei wenig gestörtem Allgemein-
befinden. Typische Aufmeisselung und Ausräumung massenhafter Granulationen
bis ins Antrum hinein, Knochen in der Richtung auf die mittlere Schädelgrube
und den äusseren Bogengang intact. Die ersten vier Tage nach der Operation
verlaufen vollkommen normal, am fünften starkes Erbrechen und hohes Fieber,
wofür der sofort vorgenommene Verbandwechsel keinen Grund ergibt; auch die
Paracentese des bereits vernarbten Trommelfells entleert nur wenige Tropfen
Eiter. Bei anhaltend hohen Temperaturen treten Kopfschmerzen, Facialis- und
Abducenslähmung, Obstipation und Delirien auf, sodass die Diagnose Meningitis
zweifellos wird. (Augenhintergrund kaum verändert). Da hereditäre tuberkulöse
Belastung vorhanden ist, und andererseits nirgends ein Fortschreiten der Eiterung
nach dem Schädelinnern nachgewiesen werden kann, scheint die Wahrscheinlichkeit
für eine tuberkulöse Meningitis zu sprechen. Am 19. Tage nach der Aufmeisse-
lung Exitus. Die Section muss sich auf den Kopf beschränken, ohne dass eine
Entnahme des ganzen Schläfenbeins möglich ist. Es findet sich eine ausge-
dehnte Meningitis an der Basis, übergehend in den Rückenmarkskanal und an
einzelnen Stellen, besonders den grossen Gefässen folgend, auf.die Convexität,
nirgends aber Tuberkelknötchen. Die Innenfläche des Schläfenbeins zeigt
nirgends cariöse Stellen, insbesondere an der Sutura petroso-squamosa und
dem Hiatus subarcuatus normale Verhältnisse. Dagegen findet sich der innere
Gehörgang angefüllt mit Eiter, in dem Acusticus und Facialis eingebettet
liegen. Die Paukenhöhle enthält wenig eitrige EBEN, die Gehörknöchelchen
anscheinend normal.
Da eine anderweite Ursache für die Meningitis nicht vorhanden war, muss
eine Fortleitung der Eiterung durch das Labyrinth (wahrscheinlich nach Zer-
st5rung einer Fenstermembran) angenommen werden.
Fast gleichzeitig wurde ein 4jähriger Knabe beobachtet, welcher eine ohne
nachweisbare Ursache aufgetretene geringe eitrige Absonderung aus dem rechten
Ohr aufwies. Erst nach dem Zurückgehen einer circumscripten Gehörgangs-
schwellung konnte eine kleine Perforation hinten unten nachgewiesen werden.
Eine intercurrirende Influenza mit vorübergehender Albuminurie (die genau ebenso
auch bei einem Schwesterchen des kleinen Patienten auftrat) führte zu hohen Tem-
peraturen und schwerer Störung des Allgemeinbefindens. Allmählich bildele sich
190 Bericht üb. d. Verhandl. d. 4. Versamml. d. Deutsch. otolog. Gesellsch.
auch hier das deutliche Bild der Meningitis mit Lähmung der Gesichts- und
Augenmuskelnerven, Delirien und Nackensteifigkeit aus, unter welchen Erschei-
nungen der Exitus eintrat. Da bis auf eine geringe Druckempfindlichkeit
keinerlei Betheiligung des Warzenfortsatzes nachweisbar war, schien eine tuber-
kulöse Meningitis das Wahrscheinlichste, doch konnte in Erinnerung an den
eben beobachteten Fall der Gedanke, es könne sich auch hier um eine Ueber-
leitung durch das innere Ohr handeln, nicht ganz von der Hand gewiesen werden.
Die Section ergab eine ausgedehnte Meningitis der Basis, nirgends Tuberkel,
aber auch völliges Intactsein des Schläfenbeins (bis auf die leichte Mittelohr-
eiterung). Der Fall muss wohl als eine reine Meningitis post Influenzam ge-
deutet werden.
Beide Fälle lehren wiederum die Schwierigkeit der Deutung endocranieller
Processe, welche gleichzeitig mit bestehenden Ohreiterungen auftreten, besonders
im Kindesalter. (Autorreferat.)
13. Hr. Stacke: Eine Methode der Plastik bei grossen Knochen-
defecten.
Es werden mehrere Lappen in folgender Weise formirt: Ein Hautlappen
der das Periost nicht mitnimmt, mit der Basis nach oben, der Spitze nach
unten, letztere entsprechend der Spitze des Warzenfortsatzes, dann ein Periost-
lappen in umgekehrter Form, von der Linea temporalis, beide zur Deckung
der oberen resp. unteren Wand der Operationshöhlen dienend, der 3., der Ge-
hörgangslappen, wird mit dem Periostlappen zur Deckung der unteren Hälfte
der Wunde mitverwandt. Ist der Periostlappen zu klein, so wird ein Hinter-
hauptslappen umschnitten, seines Periosts beraubt und dann wieder an seine
Stelle gebracht: der so entstandene Periostlappen dient dann zur Vergrösserung
des zweiten Lappens. Ein Nachtheil der Methode ist das Bestehenbleiben der
Fistel, die indess nach Jahren osteoplastisch gedeckt werden könnte.
Discussion: Hr. Noltenius hält den Körner’schea Lappen fast
stets für ausreichend.
Hr. Zaufal fragt, ob Erfahrungen da sind, dass von dem Periostlappen
neuer Knochen produeirt werde; wenn nicht, so würde er Siebenmann’s Methode
vorziehen. |
Hr. Kretschmann möchte die nachträgliche Verdünnung der Lappen
vermieden wissen, auch tadelt er die Zweizeitigkeit des Verfahrens.
Hr. Hartmann spricht sich zu Gunsten des Körner’schen Lappens aus.
Hr. Leutert erläutert die Nothwendigkeit der persistenten Oeffnungen
bei Cholesteatom zur Verhütung von Recidiven.
Hr. Noltenius lässt bei der Körner’schen Lappenbildung ein dickes
Drainrohr 14 Tage im Gehörgang.
Hr. Körner betont die Nothwendigkeit verschiedener Lappenbildung bei
verschieden gestalteter Knochenwunde; der erste Schnitt muss jede Form der
Plastik gestatten.
Hr. Hansberg u. A betheiligen sich noch an der Discussion, aus der
sich im Allgemeinen eine Abneigung gegen complicirte Lappenbildungen ergibt.
Bericht üb. d. Verhandl. d. 4. Versamml. d. Deutsch. otolog. Gesellsch. 191
3. Sitzung.
Vorsitzender: Herr Zaufal.
Hr. Körner und Hr. Jansen erstatten die ihnen übertragenen
Referate über die Operationsmethoden bei den verschiedenen otitischen
Gehirncomplicationen.
14. Hr. Körner: Historische. Einleitung und allgemeine Be-
trachtungen.
Erschlossen wurde das Gebiet Mitte der 80er Jahre. Schede hatte zuerst
eine Fiste] des Schläfenbeins verfolgend einen Hirnabscess geheilt. Zaufal ver-
danken wir die Idee, den Sinus zu eröffnen und die Vena jugularis zu unter-
binden. Sorgfältige Auswahl der diagnosticirten Fälle brachte die ersten Er-
folge; die gekreuzten Lähmungen voın motorischen Centrum ausgehend glaubend,
verfehlte man dort trepanirend den Abscess. Körner fasste die Sectionsergeb-
nisse zusammen, wies auf den Sitz nahe dem erkrankten Ohr hin und schlug
vor, vom Schläfenbein aus auf den Abscess einzugehen ; ihm schloss sich Ma-
cewen an. Er legt den Schläfenlappen durch Wegnahme des Tegmen tympani
bloss, aber manchmal auch von der Schuppe aus, oder beides. Bergmann
eröffnet die mittlere Schädelgrube vom Tegmen tymp. et antri aus und trifft
so den Weg des Eiters in der Mitte, ihn nach beiden Seiten verfolgend. Auf
diesem Wege findet man auch nicht diagnosticirbare extradurale Abscesse etc.
Die Nachbehandlung wird verschieden geübt, meist als lockere Tamponade;
nicht immer wird gespült; die buchtigen Abscesse müssen unter künstlicher
Beleuchtung durchsucht werden. In den Leichen Operirter finden sich meist
multiple, in denen nicht Operirter stets nur ein Abscess. Auch Gewebszerfall
in der Umgebung der Abscesse, hämorrhagische Herde wurden gefunden. Dies
sind die Ergebnisse der letzten zwei Jahre.
15. Hr. Jansen:
Für diejenigen Fälle, welche die Symptome der intracraniellen Eiterung
bieten, aber eine genauere Diagnose nicht zulassen, ist es wichtig zu wissen,
in welcher Häufigkeit die verschiedenen Erkrankungen vorkommen.
Aus den Krankengeschichten der Berliner Ohrenklinik während der letzten
31/2 Jahre konnte Jansen unter 184 noch nicht publicirten intracraniellen
Eiterungen 144 Mal extradurale Abscesse aufzeichnen, 35 Mal Sinus transversus
Thrombose, 5 Mal Hirnabscess.
Von extraduralen Abscessen lagerten 161 Mal die Eiterungen in der
hinteren Schädelgrube und 38 Mal in der mittleren, 14 Mal waren beide Gruben
betheiligt.
Daraus folgt, dass die extraduralen Eiterungen weitaus die häufigste
Complication bei den Mittelohreiterungen und ganz besonders bei der acuten
Form sind.
Die extraduralen Eiterungen in der hinteren Schädelgrube überwiegen
die in der mittleren etwa um das 5fache; bei den chronischen Formen stellt
sich das Verhältniss fast wie 2:1. Auch die Kleinhirnabscesse überwiegen in
unseren Beobachtungen etwas die im Schläfenlappen (2:3).
Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXVII. 13
192 Bericht üb. d. Verhandl. d. 4. Versamm!. d. Deutsch. otolog. Gesellsch.
Diese Zahlen geben uns wichtige Anhaltspunkte für die Art des operativen
Vorgehens.
In Fällen mit zweifelhafter Diagnose eröffnet man somit zunächst die
hintere Schädelgrube im Anschluss an die Aufmeisselung des Warzenfortsatzes
und forscht der Reihenfolge ihrer Häufigkeit entsprechend nach perisinuösem
Abscess, Sinusthrombose, Kleinhirnabscess.
Nach Darlegung der Operationsmethode geht Jansen auf die epitym-
panischen Eiterungen über, bei denen häufig die Entfernung des Tegmen
tympani vom Waurzenfortsatz aus genügt. Bei grösserer Ausdehnung empfiehlt
Jansen die Eröffnung der mittleren Schädelgrube nach den Vorschlägen von
Bergmann’s, aber im Anschluss an die Aufmeisselung des Warzenfurtsatzes.
Bei Pachymeningitis int. muss die Dura ineidirt werden und bei circumscripter
Arachnitis pur. Dura und Arachnoides zusammen.
Eine ausführliche Besprechung widmet Jansen einer 3. Form von extra-
duralen Abscessen, die vom Vorhof durch die Canäle an die hintere obere Kante
durchbrechen, und deren Prognose in Folge ihrer tiefen Lage ungünstig ist.
Diese tiefen Abscesse kommen meist im Anschluss an Mittelohreiterungen vor
und sind verhältnissmässig selten. Um diese Eiterherde freizulegen, ist es
nöthig, die mittlere Schädelgrube von der Schuppe aus zu eröffnen und sowohl
die obere wie die hintere Wand des Warzentheiles bis an den Labyrinthkern
fortzunehmen. Doch das genügt nicht. Da die Labyrintheiterung in diesen
Fällen sehr destructiven Charakter hat und die Arachnoides in grosse Gefahr
bringt, so empfiehlt Jansen die Eröffnung des Vorhofes im Anschluss an die
Freilegung des extraduralen Abscesses und beschreibt die Methode.
An der Hand eines von ihm anfänglich mit schönem Erfolg behandelten
Falles von tiefem extraduralem Abscess labyrinthären Ursprungs sucht J. die
Richtigkeit seines Vorschlages zu beweisen.
Dieselbe Operationsmethode empfiehlt J. bei denjenigen Kleinhirnabscessen,
bei denen die Eiterung aus dem Vorhofe resp. den Canälen auf das Hirn fortge-
schritten ist und weiterhin auch bei denen, bei welchen eine Vorhofseiterung
mit Sicherheit diagnosticirt werden kann. Nach dieser radicalen Eröffnung der
mittleren und hinteren Schädelgrube unter Entfernung der hinteren und oberen
Wand des Warzentheiles und Beseitigung der Canäle nnd des hinteren Ab-
schnittes vom Vestibulum hat man ein breites Operationsterrain für die Er-
öffnung der Kleinhirnabscesse an der vorderen Fläche des Cerebellum.
Nach derselben Methode, aber ohne das Labyrinth anzugreifen, hat J. in
letzter Zeit 2 Mal die Abscesse im Schläfenlappen durch 5—6 cm lange Incision
an der unteren Fläche eröffnet, mit gutem Erfolg einmal, einmal mit vorüber-
gehendem. Ein Vortheil dieser Methode liegt unter anderem darin, dass selbst
tief gelegene Fisteln noch gefunden werden, dass noch die Sinusthrombose von
derselben Wunde aus operirt werden kann und dass nach erfolgter Heilung nur
ein geringer Theil der Dura nach aussen zu Tage liegt, der grössere Theil da-
gegen der Höhle im Schläfenbein zugekehrt ist. Bei der Eröffnung der hinteren
Schädelgrube im Anschlusse an die Aufmeisselung des Warzenfortsatzes präsentirt
sich der am meisten befallene Abschnitt des Sinus sigm. zu allererst. Wenn
er sich frei zeigt, möge man sich erinnern, dass der Abschnitt am Bulbus jug.
Bericht üb. d. Verhandl. d. 4. Versamm!. d. Deutsch. otolog. Gesellsch. 193
befallen ist oder der Bulbus selbst. Die Eröffnung geschieht am zweckmässigsten
mit Meissel und Knochenzange. Der Sinus wird zum Foramen jug. hin freigelegt,
so weit er sich septisch zeigt und nach hinten bis über den thrombosirten Ab-
schnitt, wenn es nöthig wird bis zum Torcular Heroph. So weit die septische
Beschaffenheit reicht, wird er incidirt und die äussere Wand fortgeschnitten.
Geht der septische Thrombus auf die Jugularis über, so ist nach J. die Unter-
bindung der Jugularis zweifellos angezeigt, ferner in den Fällen, wo nach der
Eröffnung des Sinus die Pyämie fortbesteht. In den Fällen, wo die Thrombose
auf den Sinus beschränkt ist, hält J. im Allgemeinen die Sinuseröffnung für
ausreichend. Die Verhältnisse liegen nach Thrombosirung des Bulbus gar nicht
so günstig für eine Verschleppung.
Durch einfache Entleerung des persinuösen Abscesses gelingt es noch, den
bereits gebildeten Thrombus vor dem Zerfall zu schützen. Bestimmend für den
Erfolg ist vor allem die Schwere der Infection, ein Moment, welches in den
statistischen Tabellen zur Berechnung des Werthes der verschiedenen Operations-
methoden nicht ausgedrückt ist.
Zum Schlusse theilt Jansen die Resultate mit, die an der Berliner Ohren-
klinik erzielt sind. (Autorreferat.)
Im Anschluss an diese beiden Referate entwickelt sich eine ziemlich
ausgedehnte Discussion, aus der wir Folgendes hervorheben wollen.
Hr. Kretschmann wendet sich gegen die Ausräumung des Sinus mit
dem Löffel wegen der Gefahr der Nebenverletzung; er würde lieber den Thrombus
spontan loslösen lassen.
Hr. Jansen glaubt die Infectionsgefahr durch den septischen Thrombus
gleichzeitig mit dem Eingriff beseitigen zu müssen.
Hr. Jo&1 betont die Nothwendigkeit des Aufsuchens des Abscesses bei acuten
Eiterungen von der Schupp® aus als zweckmässiger behufs Conservirung der
Funktionsfähigkeit des Mittelohres.
Herr Kümmel fürchtet bei Probepunktionen, besonders nahe bei einander
liegenden, Schädigung der Hirnsubstanz durch Eindringen des infeetiösen Eiters
in die Stichcanäle.
Hr. Jansen hat bei den Sectionen die Canäle der Probestiche entweder
klar oder hämorrhagisch, aber nie eitrig oder zerfallen aussehend gefunden.
Auf Anfrage des Herrn Barth bestätigt er das Verkommen von frucht-
losen Operationen mit Heilung der Hirnsymptome.
Hr. Kessel fragt nach den Labyrinthsymptomen bei Eröffnung der Bogen-
gänge. Diese waren selten, da die Bogengänge meist schon vorher durch die
Eiterung funktionsunfähig waren; doch war zeitweise Schwindel vorhanden, oder
anamnestisch festzustellen.
16. Hr. Wolf: Eisen, Blei, Silber und Quecksilber in der Ohren-
heilkunde.
Redner will sich sowohl über den Nutzen als auch über die Schäd-
lichkeit dieser Metalle im internen Gebrauch verbreiten. Das Eisen beseitigt
die Chlorose und mit ihr die durch sie bedingten trophischen Störungen der
Hörfunktion, als Sausen, Schwerhörigkeit, Pulsgeräusche; das Zustandekommen
13*
194 Bericht üb. d. Verhandl. d. 4. Versamm!. d. Deutsch. otolog. Gesellsch.
letzterer wird besonders bei zugleich bestehender hereditärer Disposition zu Ohr-
erkrankungen beobachtet. Ueber die Wirkungsweise des Eisens schliesst sich
Vortragender der Ansicht von Noordens an, dass mangelhafte Anbildung,
nicht Hämoglobinverlust, die Ursache der Chlorämie sei und das Medicament
demgemäss als Anbildungsreiz wirke. Daher genügen kleine Dosen; 1 Messer-
spitze Ferr. reduct. nach der Suppe; weniger empfiehlt er Stahlbäder und -Wässer.
Das Silber wird als Argentum nitricum in Form der Schwartze'schen
‚ Aetzungen von Wolf nicht gerne benutzt, vielmehr der weiter unten zu be-
sprechende Sublimatspiritus. Es wird zur Haarfärbung benutzt, ebenso wie das
Blei. Letzteres ist weit gefährlicher; es kann plötzlich hochgradige Schwer-
hörigkeit mit heftigen Neuralgieen auftreten, wie W olf an einem sehr drastischen
Falle schildert, der geheilt wurde. Das Quecksilber (s. oben) bezeichnet Redner
als vortreffliches Heilmittel bei chronischen Otorrhoen in Form von Sublimat-
spiritus in 10/oiger Concentration. Der Gehörgang wird damit erfüllt und durch
das Politzer’'sche Verfahren das Eindringen in die Paukenhöhle erleichtert.
Dabei werden vorhandene Granulationen vorher mit dem scharfen Löffel entfernt. In
einem Falle von erheblicher Gesichts- und Gehörsstörung bei einem jungen Mädchen
sah Wolf trotz einer Schmiercur von 60 Einreibungen mit Ungt. cinereum,
Pilocarpininjectionen, Lufteinblasungen, Kalium jodatum per os keine wesentliche
Besserung; solche trat erst nach einer Cur in — Wörishofen ein, aber nur be-
züglich des Gesichtes. Vortragender glaubt die von den Metallen ausgehenden
Heilungen im Wesentlichen durch Mitwirkung des Sympathicus bewerkstelligt.
Discussion: Hr. Szenes will bei dem Gebrauch des Sublimatspiritus
das heilende Agens mehr im Spiritus als im Sublimat sehen.
Hr. Stimmel zieht das Hydrargyrum oxydatum cyanatum in 5 procentiger
Lösung vor, da es im Gehörgang weniger reizt; alternirend mit Resorcinlösung
erreicht er gute Erfolge. Bei M&niere’scher Erkrankung, auch alten Formen,
bedient sich St. mit Erfolg der Schmierkur, selb nach erfolgloser Darreichung
von Kalium jodatum.
Hr. Reinhard lobt die Schmiercur bei Lues des inneren Öhres.
Hr. Dennert empfiehlt die tonisirende Behandlung. Er hat eine grosse
Anzahl von chronischen Mittelohreiterungen gesehen, welche operirt werden
sollten, aber ohne operative Eingriffe zur Heilung kamen.
17. Hr. Szenes: Sollen wir uns in acuten Fällen gegenüber der
Indication von Warzenfortsatzoperationen conservativ oder radical ver-
halten ? |
Wenn auch die operative Eröffnung des Warzenfortsatzes heutzutage von
jedem modernen Ohrenarzte als „Conditio sine qua non“ seiner Thätigkeit be-
trachtet werden muss, und nach chirurgischer Vorschrift ausgeführt kaum etwas
Bedenkliches an sich hat, soll die Operation dennoch nur als ultimum refugium
hingestellt werden, wenngleich als certissimum, da man durch die günstigen
Erfolge des Opcrirens leicht vom anderen Extreme: hingerissen werden könnte,
und auch dort operiren will, wo es nicht unbedingt nothwendig ist. Die Ope-
ration für den einzelnen Fall kann immer nur bei grosser Erfahrung mit Sicher-
heit bestimmt werden (Schwartze), und Sz. meint, dass solche Erfahrungen
Bericht üb. d. Verhandl. d. 4. Versamml. d. Deutsch. otolog. Gesellsch. 195
nur an solchen Fällen instructiv sein können, welche man vom Beginne, wo
selbst die geringsten Spuren einer Mitaffection des Warzenfortsatzes noch fehlen,
bis zur vollkommenen Genesung beobachtet hat. In Fällen, wo Sz. Anfangs
nur die primäre Paukenhöhlenerkrankung sah, später aber, während und trotz
seiner Behandlung, die consecutive Miterkrankung des Warzenfortsatzes nicht
ausblieb, wurde das operative Einschreiten seltener nothwendig, als in solchen
Fällen, welche er schon bei bestandener Mitaffection des Warzenfortsatzes zum
ersten Male sah.
Sz. tbeilt in extenso die Krankengeschichte eines Falles mit, wo sich bei der
acuten Otitis media, trotz sofortigen Einschreitens (Paracentese, Blutegel, Anti-
phlogose) die characteristischen Symptcme des Warzenfortsatzempyems (profuse
Secretion, rahmiges Secret, Druckempfindlichkeit, aufgetriebener Knochen, schlitz-
förmige Verengerung der Gehörgangslichtung gefüllt mit Wucherungen) ent-
wickelten, und es erfolgte dennoch ohne Operation eine Restitutio ad integrum
im strengsten Sinne des Wortes,
Sz. will durch diesen Fall nicht im geringsten Maasse Stellung genommen
haben gegen das operative Einschreiten, auch denselben nicht mitge-
theilt haben, um zu beweisen, dass man etwa Kunststücke ohne Operation aus-
führen kann, sondern eher nur einen Beleg dazu liefern, wie schwer es
manchmal werden kann, die vollkommen unbedingte Nothwen-
digkeit eines operativen Eingriffes vor sich selbst zu verantworten.
Man soll in puncto des Operirens und Nichtoperirens bei acuten Fällen weder
zu conservativ noch zu radical sein, sondern möglichst sich an die goldne
Mittelstrasse halten. (Autorreferat.)
4. Sitzung.
18. Demonstration der Katz’schen Präparate, die allseitigen
Beifall finden.
18a. Hr. Szenes: Ueber einen seltenen Fall von Otitis externa
post infectionem. |
Der protrahirte Verlauf einer rechtsseitigen Otitis externa diffusa
betraf eine Amme, welche sich das Ohr wegen Juckreizes rüttelte, und sich un-
achtsamer Weise die Infection vom geimpften Arme des Säuglings zuzog.
Pat. hatte übrigens auf der linken Wange. lcm weit von dem linken Mund-
winkel, auch noch eine regelrechte Vaccinations-Pustel.
Nach einem Verlaufe von 23 Tagen hörte die früher unter stürmischen
Erscheinungen einhergegangene Entzündung auf, es erfolgte eine schwache
Desquamation der Gehörgangswände, und nach weiteren 10 Tagen war im
Eingange des äusseren Wehörganges, an der unteren Wand, die
narbige Entartung der Haut zu sehen, ähnlich jenen Stellen, die jeder
am Oberarm dort hat, wo die Vaccination vorgenommen wird,
Aehnliche Infectionen sind in der Ophthalmologie beschrieben, wo die
Infection auf die Conjunctiva übertragen wurde. Die otologische Literatur
enthält keine ähnlichen Fälle, weshalb Sz. den seinigen schon der Seltenheit
wegen für erwähnenswerth hielt. (Autorreferat.)
196 Bericht üb. d. Verhandl. d. 4. Versamml. d. Deutsch. otolog. Gesellsch.
19. Hr. Walb:
Anknüpfend an die Erfolge der Untersuchungen von Kossel und Hart-
mann, die die schon von v. Tröltsch geäusserte Ansicht, dass die im Mittelohr
von Neugeborenen gefundenen Secrete pathologische seien, besonders durch die
bakteriologische Untersuchung bestätigten, hat Walb seine Aufmerksamkeit
einer Anzahl atrophischer Kinder zugewandt. Zur Reinigung des Gehörgangs
diente ihm Glycerin. Um jedoch den Abfluss des Secretes durch die bei Säug-
lingen ja weite Tube zu sichern, wandte er eine Form des Politzer'schen Ver-
fahrens an, indem er durch kleine Ballons Luft einblasen liess; die Erfolge
waren gute. Walb glaubt, dass man bei allen nicht sehr gut gedeihenden
Kindern von den Müttern und Hebammen regelmässige Lufteintreibungen und
desinficirende Ausspülungen der Nase und des Nasenrachenraumes machen
lassen solle.
Discussion: Hr. Panse wendet sich gegen die mit den übrigen Unter-
suchungen in Widerspruch stehenden Gonokokkenbefunde im Mittelohr Neuge-
borener, die der (nicht mehr anwesende) Herr Haug veröffentlichte; ihm stimmt
Herr Brieger und Herr Hartmann zu.
Hr. Hartmann empfiehlt, den Gehörgang in erster Linie trocken unter
Ablösung einer dünnen Membran mit der Sonde und Entfernung mit der Zange
zu reinigen. Gelingt dies nicht, erweist sich die Anwendung von Wasserstoff-
hyperoxyd als am zweckmässigsten.
. Hr. Beckmann will stets zuerst die Rachentonsille operiren.
Hr. Zaufal erinnert daran, dass in der Mundhöhle durch allzu grosse
Reinlichkeit Ulcerationen hervorgerufen werden können; die beste Reinigungs-
methode ist der Saugact; die Secrete aus Nasenrachenraum und Tube werden
dadurch wohl mit entleert. Hebammen den Ballon in die Hände zu geben,
‚sowie solche unfertige Sachen zu früh ins Publikum zu bringen, ist nicht rathsam,
sondern eher oft unheilvoll.
Es folgen Demonstrationen.
I
20. Hr. Lucae: Ein neues Instrument zur Hervorziehung des
Hammergriffs bei starker Einziehung resp. Verwachsung des Trommelfells.
Ein langer dünner Cylinder, in dem sich mit Feder- und Schraubenwirkung
ein Häkchen vorschiebt. Die Kraft der Einwirkung wird hierdurch regelmässig
und nicht manuell ausgeübt. |
21. Hr. Hansberg demonstrirt an in Müller’scher Flüssigkeit
und Alkohol gehärteten Gehirnen die Beziehungen der Hirnabscesse zur
inneren Kapsel etc.
22. Hr. Reinhard zeigt eine Haube vor, die, Raum zur Warzen-
fortsatzoperation lassend, den übrigen Kopf bedeckt behufs Einhaltung
des Asepsis; ferner kleine Keile zum Fixiren des Kopfes, um dem
Assistenten eine Hand zu sparen. Demonstration pathologisch anatomischer
Präparate durch Herrn Reinhard.
Bericht üb. d. Verhandl. d. 4. Versamnıl. d. Deutsch. otolog. Gesellsch. 197
233. Hr. Panse zeigt sterilisirte kleine billige Tücher mit Löchern
für Trichter und Muschel zum Fortwerfen nach kurzem Gebrauch.
24. Hr. Brieger zeigt die photographische Abbildung eines grossen
Hautcarcinoms, das 15 Jahre bestanden und das Ohr mit ergriffen
hatte. Krebszellen waren bei der langen Dauer des Processes nicht
mehr aufzufinden.
25. Hr. Beckmann zeigt sein Instrument zur Entfernung der
Rachentonsille.
Dasselbe, ähnlich dem Gottstein'schen, bildet aber ein Viereck, ist ohne
Stielkrümmung, kräftiger gearbeitet (Windler-Berlin) und über die Fläche
gekrümmt, mit frontaler Erhebung, Convexität nach oben. Beim Einführen
muss der Kopf nach vorn gedrückt werden; das Abschneiden geschieht in einem
Zuge; selbst Kinder unter einem halben Jahre hat Vortragender operirt. Die
Luftdouche hat er in Folge dessen bei Kindern fast nicht mehr nöthig, in 950/g
aller Fälle genügte die Operation.
Discussion: Hr. Noltenius operirt die Tonsilla pharyngea in Chloro-
formnarcose.
Hr. Hoffmann ist dagegen. Hr. Joël dafür.
Hr. Walb liebt Instrumente mit veränderlicher Form, entsprechend der
veränderlichen Form der Rachenmandel.
Hr. Stacke wünscht die Narcose wegen der Beängstigung der Patienten,
seine Instrumente sind die von Gottstein und Moritz Schmidt.
Hr. Brieger hält Recidive für vorkommend, wendet sich gegen die An-
nahme, dass Tuberkulose die Ursache der Rachenmandel sei und operirt mit dem
Löffel von Trautmann und dem Finger.
Hr. Zaufal hält die Auskratzung der adenoiden Wucherungen mit dem
Finger bei deren Weichheit für genügend. |
Hr. Hartmann empfiehlt bei genügend weiter Nase, insbesondere bei
älteren Kindern die Anwendung der kalten Schlinge durch die Nase.
Hr. Walb empfiehlt das Instrument von Schütz.
Hr. Kayser hat ebenfalls Recidive beobachtet.
Hr. Seligmann hält bei Narcose die Gefahr der Aspirationspneumonie für
gegeben.
26. Hr. Leutert: Zwei Präparate zur Entstehung eines Choleste-
atoms. |
27. Hr. Kayser: Demonstration eines Apparates zur exacten Be-
stimmung der Luftdurchgängigkeit der Nase. (Rhinometer).
Dieser etwas umständliche, aber ingeniöse Apparat besteht aus einem Blase-
balg, welcher eine bestimmte Menge Luft mit stets gleicher Kraft ansaugt.
Durch eine selbstthätige Vorrichtung öffnet und schliesst dieser Blasebalg bei
seiner eigenen Oeffnung das untere Abflussende einer mit Wasser gefüllten
gruduirten Glasröhre, so dass nur während der Zeit, in der der Balg saugt,
Wasser abfliesst. Je langsamer daher die Luft in den Balg strömt, um so mehr
kann Wasser abfliessen und umgekehrt. Kennt man nun die Menge des ab-
t
198 Bericht üb. d. Verhandl. d. 4. Versammil. d. Deutsch. otolog. Gesellsch.
fliessenden Wassers beim einfachen Ansaugen durch ein geöffnetes Rohr und
setzt man nun dieses Rohr luftdicht an den Mund bei ruhig gestelltem Zwerchfell
(Exspirationsstellung), so erfährt man aus dem Vergleich der nunmehr abfliessenden
Wassermenge mit der bekannten den Grad der jeweiligen Behinderung des
Luftdurchgangs durch die Nase, da der Blasebalg nur auf diesem Wege die
Luft ansaugen kann, d. h. sie durch Nase und Mund ziehen muss. Eine Tabelle
gestattet leichtere und rasche Berechnung.
28. Hr. Zaufal schliesst die Versammlung, nachdem er selbst
noch seine Instrumente zur Aufmeisselung der Felsenbeinhöhlen demon-
strirt hat.
Präsenzliste.
1. Anton, Prag. 35. Krehe, Jena.
2. Barth, Marburg. 36. Kretschmann, Magdeburg.
3. Beckmann, Berlin. 37. Kümmel, Breslau.
4. Behrendt, Berlin. 38. Leutert, Halle.
5. Biedermann, Jena. 39. Lucae, Berlin.
6. Binswanger, Jena. 40. Meier, Magdeburg.
7. Brandt, Strassburg i. E. 41. Moldenhauer, Leipzig.
8. Brauckmann, Jena. 42, Müller, Altenburg.
9
. Breitung, Coburg.
10. Brieger, Breslau.
11. Brockhoff, Bonn.
12. Bürkner, Göttingen.
13. Dennert, Berlin.
14. Fricke, Stettin.
15. Friedrich, Leipzig.
16. Haeckel, Jena.
17. Hansberg, Dortmund.
18. Hartmann, Berlin,
19. Haug, München.
20. Hecke, Breslau.
21. Heine, Berlin.
22. Hessler, Halle.
23. Hoffmann, Dresden.
24. Hübner, Stettin.
25. Jansen, Berlin.
26. Jens, Hannover.
27. Joël, Gotha. _
28. Joseph, Stettin.
29. Karutz, Lübeck.
30. Katz, Berlin.
8l. Kayser, Breslau.
32. Kessel, Jena.
33. Koch, Jena.
34. Körner, Rostock.
. Noltenius, Bremen.
. Obermüller, Jena.
. Panse, Dresden.
. Pfeiffer, Leipzig.
. Reinhard, Duisburg.
. Riedel, Jena.
. Richter, Prag.
. Rohden, Halberstadt.
. Roller, Trier.
. Schubert, Nürnberg.
. Seligmann, Frankfurt a. M.
. Skutsch, Jena.
. Sonnenkalb, Chemnitz.
. Stacke, Erfurt.
. Stern, Metz.
. Stimmel, Leipzig.
. Stintzing, Jena.
. Szenes, Budapest.
. Thies, Leipzig.
. Ulrichs, Halle,
. Walb, Bonn.
. von Wild, Frankfurt a. M.
. Wolf, O. Frankfurt a. M.
. Zaufal, Prag.
. Ziehen, Jena.
Vermischtes. 199
Nekrolog.
Dr. Wilhelm Meyer, Kopenhagen t.
Am 17. Juni verstarb auf der Rückkehr von einer Erholungsreise
in Venedig an Cholerine Dr. Wilhelm Meyer, Ehrendoctor der
Medicinischen Facultät in Halle.
Der Entdecker und klassische Monograph der adenoiden Vegetationen
hat sich durch diese wissenschaftliche Leistung allein ein Denkmal ge-
setzt, dauernder als Erz!
Ehre’ seinem Andenken! | E Moos.
Personalien.
Professor Dr. Koerner in Rostock hat einen Ruf nach Breslau
als Nachfolger Gottstein’s erhalten und abgelehnt; in den letzten
Tagen wurde Professor Dr. Siebenmann berufen.
Unser geschätzter Mitarbeiter, der Docent für Hals- und Ohren-
krankheiten V. Uchermann in Christiania ist zum ordentlichen
Professor ernannt worden. Durch Gesetz vom 21. Juli 1894 können
Professoren auf begrenzte Zeit ernannt werden, welche »zubeorderte«
(tileforderde) Professoren heissen. Sie haben Sitz und Stimme in der
Facultät wie ordentliche Professoren. Gleichzeitig mit Uchermann’s
»zubeorderter Professur« wurden noch 4 andere geschaffen.
Berichtigung
von
E. Schmiegelow in Kopenhagen.
Nach Veröffentlichung meiner Arbeit über otitische Gehirnabscesse
in dieser Zeitschrift, XXVI. Band, hat Herr College Jo&l aus Gotha -
die Freundlichkeit gehabt, mich darauf aufmerksam zu machen, dass
die Sprachstörungen, die in einem seiner Fälle, die ich in meiner Arbeit
nach einem Referate im Archive für Ohrenheilkunde referirt habe, nicht
200 Vermischtes.
vor, sondern nach der Operation aufgetreten sind. Mein Irrthum wird
erklärlich durch das kurze Referat seines Falles im Archive. Dr. Joël
glaubt, und ich kann ihm in dieser Beziehung beipflichten, dass die
Sprachstörungen durch Verletzung der Hirnrinde in Folge der zahlreichen
Einschnitte bedingt sind.
Kopenhagen, Mai 1895.
Berichtigung.
In Heft 1 der Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Band XXVII, ist in
der Besprechung von E. Bloch in Freiburg,
»Ueberschau über den gegenwärtigen Stand der
Ohrenheilkunde von Prof. Dr. Fr. Bezold«
‘auf Seite 85, Zeile 19 von oben der sinnstörende Druckfehler last not
least stehen geblieben. Es muss, wie aus dem Zusammenhange ersicht-
lich, last and least heissen.
Der fünfte internationale otologische Congress
findet vom 23. bis 26. September 1895 in Florenz statt.
Präsident: Professor V. Grazzi in Florenz, Borgo dei Greci No. 8.
Secretär: Dr. T. Bobone in San Remo.
Die Herren Mitarbeiter
der Zeitschrift werden ersucht, alle Beiträge für
die Zeitschrift für Ohrenheilkunde nicht dem Unter-
zeichneten, sondern direct dem Herrn Verleger
J. F. Beremann in Wiesbaden zusenden zu wollen.
D
Moos.
Tausch und Lieferung med. Bücher und Zeit-
nkauf schriften zu günstigen Bedingungen.
unm Krüger & Comp., Leipzig, Med. Antig.
Kataloge gratis; Preisanfragen werden sofort beantwortet.
Neuester Verlag von J. F. BERGMANN in Wiesbaden.
Soeben erschien: e
Atlas
der
Histopathologie der Nase, der Mundrachenhöhle
und des Kehlkopfes.
Enthaltend 77 Figuren auf 4o Tafeln in Farbendruck und 8 Zeichnungen.
Bearbeitet von
Dr. Otto Seifert, und Dr. Max Kahn,
Privatdocent ın Würzburg. Specialarzt in Würzburg.
In Mappe. Preis: M. 27.— l
P Die Bilder sind colorirt, durchweg ausserordentlich klar
und übersichtlich, naturtreu und prachtvoll gezeichnet und mit
erklärendem Text versehen. Man kommt in Verlegenheit, wenn man sagen soll,
a dieser Bilder am besten gelungen ist. — Alle lassen nichts zu wünschen
übrig ......
Es unterliegt keinem Zweifel, dass dieses Werk eine allseitige, wohlverdiente
Beachtung finden wird. Dasselbe ist und bleibt für den Laryngologen
ein geradezu unentbehrlicher Berather, für den Forscher auf dem
Gebiete der pathologischen Anatomie ein erwünschtes Hilfsmittel zur raschen
Orientirung und für den praktischen Arzt eine willkommene Stütze für seine
Studien und für die Controlle seiner operativen Thätigkeit. — Die Austattung
ist eine Baus und der Preis (27 Mk.) muss im Verhältniss zu dem, was
das Werk bietet und wie es ausgestattet ist, als ein sehr mässiger bezeichnet
‘werden. Deutsche med. Wochenschrift.
en Auf den vierzig Tafeln, von welchen jeder ein erläuternder Text
beigegeben ist, werden wir durch 79 Abbildungen gründlich über das ganze
Gebiet der Nasen-, Mund-, Rachen- und Kehlkopfkrankheiten belehrt. Die
‚Abbildungen selbst sind nicht etwa schematischer Natur, sondern grösstentheils
naturgetreuest wiedergegebene Originale. Man muss beim An-
blick den rastlosen Fleiss der Herausgeber bewundern .....
ER: Und so möge das vortreffliche Werk, dessen Preis im Ver-
hältniss zu dem, was es bietet, ein sehr mässiger genannt
werden muss, in keiner Bibliothek fehlen, möge es, wie die Verfasser sagen,
dem Anfänger zur Belehrung, dem Geübteren zur Controle seiner operativen
Thätigkeit dienen. Münchener med. Wochenschrift.
LEE Ein zusammenfassendes Werk über die Histopathologie der Nase,
der Mundrachenhöhle und des Kehlkopfes hat bisher gefehlt. Daher haben
Seifert und Kahn, die bekanntlich zu den berufensten Vertretern ihres Special-
faches zählen, sich die dankenswerthe Aufgabe gestellt, diese Lücke auszufüllen.
Was sie ausführen wollten, ist ihnen gelungen. Sie haben ihre Aufgabe
mit meisterhaftem Geschicke gelöst. Die nach selbst ange-
fertigten mikroskopischen Präparaten gezeichneten Abbildungen
sind vorzüglich gelungen und künstlerich ausgeführt.
Therapeutische Monatshefte.
Neuester Verlag von J. F. BERGMANN in Wiesbaden.
Soeben erschien:
UVeberschau
über
‚den gegenwärtigen Stand
Dee
Von
Dr. Fr. Bezold,
Professor der Ohrenheilkunde an der Universität München.
Preis: M. 7.—
Kae Der Verfasser, gewiss den meisten Collegen bereits durch seine Bor-
säurebehandlung ein im eigentlichen Sinne des Wortes wohlbekannter Mann, giebt
uns hier „nach den Ergebnissen einer 24jährigen statistischen Beobachtung“ in
ebenso origineller als wissenschaftlicher Form eine kritische Beleuchtung der
modernen Ohrenheilkunde, ihrer diagnostischen und therapeutischen Hilfsmittel,.
sowie ihrer wirklichen Leistungen .... .
a Ueberhaupt geht durch das Buch der nämliche grosse Zug, der das:
gesammte Schaffen Bezold's kennzeichnet, und der uns wiederum beweist, wie-
der echte klinische Forschergeist selbst da durchdringt, wo das Arbeitsfeld
räumlich beschränkt und unsern Untersuchungsmitteln schwer zugänglich ist,.
wie das ganz besonders beim menschlichen Hör-Organe zutrifft... ..
Dr. Nager in „Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte“.
Der um die Ohrenheilkunde sehr verdiente Verfasser giebt unter Zugrunde--
legung einer Statistik über die von ihm in den letzten 24 Jahren beobachteten
Ohrenkranken eine Ueberschau über den gegenwärtigen Stand der Ohrenheilkunde
und über seine Anschauungen und Erfahrungen. Obwohl das Buch für den
Specialisten gesehrieben ist, wird jeder Arzt, der mit der Untersuchung des Ge-
hörorgans vertraut ist, viele Anregung und Belehrung daraus schöpfen können..
Prof. O. Körner (Rostock) in „Zeitschrift für die ärztliche Landprazis“.
er Dieses Beobachtungsmaterial, es umfasst mehr denn 20000 Fälle, ist
in Anbetracht seiner gründlichen Verwerthung als ein sehr grosses zu bezeichnen ...
Es ist kein ermüdender Bericht, sondern seine Zahlen führen eine beredte
Sprache, weil ihnen der Verfasser einen klaren Commentar leiht. Fast über alle-
Capitel der Otiatrie wirft dieser Bericht helle Lichter. Darum wird ihn auch der
Nicht-Specialist mit vielem Nutzen lesen und aus dem reichen Erfahrungsschatze,
den er birgt, so manches für die tägliche Praxis Verwendbare sich zu eigen machen.
Dr. Eitelberg in der „Wiener med. Presse“.
Nekrolog.
— eo
Salemen Moos, geboren den 15. Juli 1831 zu Randegg,
einem Dorfe in Baden nahe dem Bodensee, starb am 15. Juli
1895. „Von biedern Eltern zu ernster Lebensauffassung er-
zogen, hat er sich aus ärmlichen Verhältnissen emporgearbeitet.
Nachdem er in der Heimath den Unterricht der Volksschule
genossen, besuchte er die israelitische Stiftungsschule in Müll-
heim, woselbst er sich vorwiegend der hebräischen Literatur
widmete und darin solche Fortschritte machte, dass er als
Knabe den Titel Chaver (Genosse) erhielt. Er besuchte und
absolvirte sodann, immer unter kärglichen Umständen, das
Lyceum in Karlsruhe.“ Er studirte Medicin in Heidelberg
unter Henle, Hasse, Moleschott, Chelius u. A., pro-
movirte in Heidelberg, machte sein Staatsexamen in Karlsruhe,
war 2 Jahre lang Assistent an der medicinischen Klinik von
Hasse, ging zu seiner weitern Ausbildung noch nach Prag und
Wien, fing 1856 in Heidelberg an zu prakticiren und habilitirte
sich im Jahre 1859 an (der Universität. Der Titel seiner
Habilitationsschrift war: „Ueber den Einfluss der Pfortader-
verschliessung auf die Zuckerbildung in .der Leber.“
Kurz darauf verheirathete er sich mit Fräulein Sophie
Haas aus Karlsruhe, mit der er bis an sein Ende in glück-
lichster Ehe lebte.
Seit dem Jahre 1859 widmete sich Moos speciell dem
Studium der Ohrenheilkunde, wobei er die freundlichste Unter-
stützung von dem durch technische Gewandtheit und wissen-
schaftliche Auffassung gleich ausgezeichneten Professor Fried-
rich Arnold fand. Derselbe sagte ihm eines Tages: „Sie
haben sich den härtesten Knochen des menschlichen Körpers
ausgesucht.“ In der praktischen Ausbildung der ÖOhrenheil-
kunde genoss Moos vielfach den Beistand von Politzer,
mit welchem er zeitlebens im regsten wissenschaftlichen und
freundschaftlichen Verkehr geblieben ist. Seine anatomischen
Studien veranlassten ihn zur Uebersetzung des Lehrbuchs des,
namentlich durch seine pathologisch-anatomischen Forschungen
ausgezeichneten, englischen Otologen Toynbee. Er trat da-
durch ein in den Strom der damals in Deutschland von
Tröltsch, Schwartze u.A. mit so viel Erfolg betriebenen
grundlegenden anatomischen Richtung der Ohrenheilkunde. Nach-
dem er eine Anzahl Artikel im Archiv für Ohrenheilkunde und
anderwärts veröffentlicht hatte, fasste er seine Studien und Er-
fahrungen in einem Lehrbuche: „Klinik der Ohrenkrankheiten“,
Wien, Braumüller 1866, zusammen. An der Hand der ein-
schlägigen Literatur entwarf Moos ein besonders klares Bild
des damaligen Standes der Otiatrik, woraus hervorgeht, dass
er das praktische Gebiet derselben nicht nur aus Büchern,
sondern auch durch eigene Erfahrung nach allen Richtungen
zu beherrschen gelernt hatte.
In dem von ihm und dem Schreiber dieser Zeilen seit
1869 in deutscher und englischer Sprache herausgegebenen
Archiv für Augen- und Ohrenheilkunde redigirte er den otia-
trischen Theil der deutschen Ausgabe und als von dem achten
Bande desselben an die beiden Abtheilungen dieses Archivs ge-
trennt und selbstständig erschienen, setzte er die Redaction der
deutschen otologischen Abtheilung unter dem Titel „Zeitschrift
für Ohrenheilkunde“ bis an sein Ende fort. In seiner redactio-
nellen Arbeit zeichnete er sich durch Fleiss, Pünktlichkeit, Ge-
wissenhaftigkeit und unparteiisches Urtheil aus. In der Zeit-
schrift für Ohrenheilkunde hat er den grössten Theil seiner
Arbeiten niedergelegt. Sein beständiges Bestreben, sich durch
persönliche Arbeit und Erfahrung in allen Zweigen seiner
Specialität tüchtig auszubilden, machte ihn für die Stellung eines
Redacteurs besonders geeignet und hat wesentlich zu dem Er-
folg der „Zeitschrift“ beigetragen. In seiner Praxis war er
rationell, vorsichtig und ausdauernd. Er folgte vielleicht nicht
der Entwickelung der sog. Radicalchirurgie durch die deutsche
und englische Schule, nämlich die gründliche Heilung der schweren
Eiterungsprocesse und deren Folgen, in demselben Umfange, wie
er es ohne Zweifel gethan haben würde, wenn nicht eine er-
schöpfende und tödtlich endende Krankheit in den letzten Jahren
seines Lebens seine Thatkraft : geschwächt hätte.
In den ersten 7 Bänden des Archivs für Augen- und
Ohrenheilkunde (1869—1876) veröffentlichte er 31 Abhand-
lungen, auf welche wir hier nicht näher einzugehen brauchen.
Sie sind im Generalregister des 7. Bandes des Archivs, S. 558,
zusammengestellt. Besonders hervorheben möchten wir jedoch
die im 6. Bande erschienene und auf 2 Doppeltafeln vortreff-
lich illustrirte Abhandlung über die Blutgefässe und den Kreis-
lauf des Trommelfells und Hammergriffs. Die letzte Veröffent-
lichung in diesem Cyklus war das combinirte Vorkommen von
Störungen im Gehör- und Sehorgan.
In dem zweiten Cyklus von sieben Jahren (1879—1885,
den ersten 7 Bänden der Zeitschrift für Ohrenheilkunde) ver-
öffentlichte er, nach der Zusammenstellung in der englischen
Ausgabe dieser Zeitschrift, 47 Arbeiten.
In dem dritten Cyklus, 1886—1892, erschienen, nach der
Zusammenstellung von Band 21 der engl. Ausgabe *), 7 Arbeiten
von ihm und 3 in Gemeinschaft mit Dr. Steinbrügge.
Seit 1892 hat Moos noch 6 Artikel in dieser Zeitschrift
veröffentlicht.
*) Die Bände der englischen Ausgabe der Zeitschrift (Archives
`of Otology) stimmen an Zahl nicht mit denen der deutschen überein,
sie umfassen je einen Jahrgang, erscheinen in vierteljährigen Heften
und sind von ungleichem Umfang, durchschnittlich 400—450 Seiten.
Ausserdem hat er eine Anzahl Abhandlungen in Virchow’s
Archiv und andern Journalen erscheinen lassen und ferner noch
tolgende Monographien verfasst :
1. Beiträge zur normalen und pathologischen Anatomie
und zur Physiologie der Eustachischen Röhre.
Bergmann, Wiesbaden 1874.
2. Ueber Meningitis cerebrospinalis epidemica, ins-
besondere über die nach derselben zurückbleibenden
combinirten Gehörs- und Gleichgewichtsstörungen.
C. Winter, Heidelberg 1881.
3. Allgemeine Aetiologie und Beziehungen der Allge-
meinerkrankungen zu den Krankheiten des Gehör-
organs, das 12. Capitel in Prof. Schwartze’s
Handbuch der Ohrenkrankheiten, Band 1, Seite
472—600. 1892. Jede Seite dieser ausgezeich-
neten Arbeit legt Zeugniss ab von dem Fleiss, der
Sorgfalt und Detailkenntniss des Verfassers. Das
Literaturverzeichniss allein füllt 17 enggedruckte
Seiten. Und doch hat es Moos verstanden, durch
Präcision und Knappheit der Sprache den umfang-
reichen Stoff auf 112 Seiten zu bewältigen. „Die
Monographie ist nicht allein eine Aufzählung der
allgemeinen Krankheitsursachen, sondern auch eine
Schilderung der pathologisch-anatomisch-histiologi-
schen und, soweit unsere Kenritnisse reichen, 'bak-
teriologischen Veränderungen in den betreffenden
Organen, und ferner eine Schilderung der Krank-
heitssymptome, also im wesentlichen 'eine ‚Pathologie
des Gehörorgans.“*
All dieses zeigt, was für eine grosse Energie und Arbeits-
kraft der Verstorbene besas. Zu allen Abtheilungen der
Otologie hat er werthvolle Beiträge geliefert; in einer, der
Pathologie des inneren Ohres, sowohl in normaler als in:
pathologischer Beziehung, war er ein Pionier. Seine, durch
üie schönsten Zeichnungen veranschaulicliten, ‘vielfältig in den
Bänden dieser Zeitschrift niedergelegten Beschreibungen sind
nicht nur ein Denkmal für ihren Verfasser, sondern werden
auch grundlegend für künftige Forschungen bleiben. In ma-
kroskopischer und mikroskopischer Anatomie kann man Moos
an die Seite der besten Untersucher stellen; in der Erforschung
der Pathologie des Labyrinths steht er oben an.
Bezüglich seiner akademischen Stellung mag erwähnt sein,
dass seine wissenschaftlichen Arbeiten ihm frühzeitig den Titel
eines ausserordentlichen Professors verschafften. Seine klinischen
Kurse und Vorlesungen führten zur Errichtung einer staat-
lichen otiatrischen Poliklinik, welcher er bis an sein Ende
unermüdlich vorstand. Im Laufe der Jahre brachte er eine |
ausgezeichnete, anatomische und pathologisch-anatomische Samm-
lung zu Stande, welche an feineren mikroskopischen Präparaten
kaum übertroffen sein dürfte. Da es an den deutschen Uni-
versitäten noch keine ordentlichen Professuren für Otologie
giebt, ernannte ihn sein Landesherr, um seine Verdienste zu
ehren, nicht nur zum Hofrath, sondern auch zum Professor
honorarius. Was er angeregt und geschaffen hat, wird seinen
Nachfolgern an der Universität zu gute kommen, seine wissen-
schaftlichen Leistungen bleiben in der Geschichte der Ohren-
heilkunde aufbewahrt.
New-York, den 23. September 1895.
H. Knapp.
parea Google
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 201
°
XIII.
Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden.
Von Stanislaus von Stein,
Privatdocent an der Kaiserl. Universität zu Moskau.
(Mit 7 Abbildungen im Texte.)
Der Redaction zugegangen am 28. Fehruar 1895.
(Fortsetzung aus dem 2. Heft, Bd. XXVII.)
Was die subjectiven Empfindungen des Kranken, d. h. Schwindel
und Ohrensausen, anbetrifft, so muss ich Folgendes bemerken.
Die Mehrzahl der von mir untersuchten Kranken leidet an Co-
ordinationsstörungen ohne cine Spur von Schwindelgefühl.
Die Unmöglichkeit gewisse Bewegungen zu verrichten, oder gewisse
Lagen zu behaupten, wird von den Patienten verschieden erklärt. Die
einen sagen, dass eine unüberwindliche Kraft sie in einer gewissen
Richtung hinstösst, hinzieht; die anderen aber verlieren Raumvorstellungen
in gewissen Richtungen, und bemühen sich durch entsprechende Be-
wegungen zu compensiren, aber verlieren dabei das Gleichgewicht.
Ein Parallelismus zwischen subjectiven Gehörsempfindungen (Ge-
räuschen, Summen, Sieden, Sausen etc.) und Gleichgewichtsstörungen
liess sich nicht immer feststellen. Oft aber werden sehr starke Ge-
räusche von Störungen begleitet. Starke Geräusche ohne Gehörsschwächung
mit gleichzeitig gut markirten Coordinationsstörungen sprechen mehr
bei Ausschluss anderer möglicher Nervenleiden für ein Labyrinthleiden.
Auf diese Weise wird uns ein Mittel in die Hand gegeben dort, wo
wir mit der Inspection des Ohres und Prüfung mit Tönen (Rinne,
Weber), nicht sicher sind, ob das Labyrinth schon affieirt ist oder
nicht, noch eine Diagnose festzustellen.
a) Gehörverminderung für Luftleitung, gute Knochenleitung, keine
Coordinationsstörungen — Affection des schallleitenden Apparates.
b) Gehörverminderung für Luftleitung, gute Knochenleitung, Ohren-
sausen, keine Coordinationsstörungen — Affection des schallleitenden
Apparates und des Hörzweiges. |
c) Gehörverminderung für Luftleitung, gute Knochenleitung, kein
Ohrensausen, Coordinationsstörungen — Affection des schallleitenden
Apparates und des rami statico-dynamici in Folge des erhöhten Intra-
labyrinthdruckes, der Hyperämie oder Entzündung. Werden die Störungen
Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXVII. 14
202 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden.
besser nach dem Catheterisiren, so haben wir mit dem Leiden des
Schallleitungsapparates zu thun. Bei veralteten Fällen erhält man nach
dem Durchblasen ein negatives Resultat.
d) Gehörverminderung für‘ Luftleitung, Knochenleitung erhalten,
Ohrensausen, .Coordinationsstörungen — Affection des schallleitenden
Apparates, des rami acustici und des rami statico-dynamici. °
e) Luftleitung gut, Knochenleitung gut, Ohrensausen, Coordinations-
störungen — Affection des rami acustici und rami statico-dynamici.
f) Luftleitung gut, Knochenleitung gut, Coordinationsstörungen —
hier kann man nicht gradeaus sagen, dass uns eine Affection des rami
statico-dynamici vorliegt. Sobald nach dem Durchblasen die Störungen
besser werden, so kann man ein Labyrinthleiden vermuthen. Noch mehr
gewinnt die Diagnose an Wahrscheinlichkeit, sobald nach Instillation von
Cocaintropfen in den äusseren Gehörgang oder nach Eintreibung von
Cocaindämpfen die Störungen an Intensität abnehmen. In diesen Fällen
müssen sehr sorgfältig alle Organe untersucht werden. In schwereren
Fällen können Gleichgewichtsstörungen auch mit offenen Augen eintreten.
Was die Localisation der Coordinationsstörungen der Bewegungen
anbetrifft, so kann man auf Grund der bekannten Hypothese einstweilen
folgendes vermuthen:
1. Störungen der statischen Muskelthätigkeit weisen auf die Affection
des Utrieulus und Sacculus hin.
2. Störungen der dynamischen Muskelthätigkeit (mit Augennystagmus)
lassen ein Leiden des Ampullarapparates vermuthen.
Bei Vorhandensein von Schwindel treten alle Bewegungsstörungen
noch klarer zu Tage, aber werden dabei diffuser, unordentlicher.
Die Symptome einer Labyrintherkrankung — Geräusche, Schwer-
hörigkeit bis Taubheit, Schwindel, Gleichgewichtsstörungen (unsicherer
Gang, Drehbewegungen etc.), Ueblichkeit, Brechneigung, Erbrechen,
ohnmachtsähnliche Zustände — können sich auf folgende Weise com-
biniren.
I. Ohrgeräusche allein verschiedenen Charakters (seit lange bekannt).
II. Schwerhörigkeit bis Taubheit allein (seit lange bekannt).
III. Ohrensausen, Schwerhörigkeit bis Taubheit (seit lange bekannt).
VI. Schwindel allein mit Gleichgewichtsstörungen (seit M&niere).
„Un cocher ressentit un jour quelques troubles de la vision. Jl lui sem-
blait que les objets se voilaient de blanc, et oscillaient comme si la voiture
était en mouvement. Jl se couche, et bientôt il éprouve des vertiges, mais
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 203
sans accompagnement de bruits. Il dort mal, et le lendemain, au lever, il
ne peut plus se tenir debout. Il luij fallut se recoucher; il n'avait pas de
nausées, pas de.mal de tête: mais dès qu'il essayait de s'asseoir sur son
lit, tout tournait autour de lui, et il devait s'étendre à plat. Cependant
il se sentait de l'appétit etc.
V. Plötzliches Stürzen zu Boden, Ohrgeräusch, Schwindel mit Gleich-
gewichtsstörungen (seit Ménière). .
p. 379. „Une dame sentit tout à voup un coup de sang dans l’oreille
gauche. Elle fut prise en même temps d'un état syncopal, mais sans nausées;
elle se retira dans sa chambre, se mit au lit, éprouvant des bruits tout à
fait nouveaux pour elle, qui occupaient cette oreille. Il y avait en même temps
de légers vertiges.“
VI. Ménière’scher Symptomencomplex : gemeinschaftliches, manches-
mal apoplektiformes Auftreten von Ohrensausen, Schwerhörigkeit (bis
Taubheit), Schwindel, Uebelkeit, Brechneigung bis zum Erbrechen, Gleich-
gewichtsstörungen.
Hierher füge ich noch folgende zwei Symptomencomplexe hinzu:
VI. Ohrensausen mit Gleichgewichtsstörungen in be-
stimmten Richtungen, mit oder ohne Schwächung des Gehörs,
ohne Schwindelanfälle, ohne Uebelkeit, ohne Erbrechen.
Zu dieser Categorie gehört die Mehrzahl der von mir untersuchten
Kranken. Die Gleichgewichtsstörungen äussern sich gut mit geschlossenen
Augen, mit offenen aber nur in einigen Fällen bei sehr schnellen Be-
wegungen.
VII. Ohrgeräusche, Schwächung des Gehörs verschiedenen Grades,
momentaner Sturz zu Boden mit geschlossenen Augen,
ohne Schwindelanfälle, Uebelkeit, Erbrechen bei Intactseins der Haut-
empfindlickeit, der Muskelkraft und des Muskelsinns ohne Verlust des
Bewusstseins. Durch die Anwesenheit der Hautsensibilität unterscheiden
sich diese Symptomcomplexe (sub VII und VIII) von dem Brach-
Rompberg’schen Symptome, durch Abwesenheit von Schwindel, Uebel-
keit, Erbrechen von M&niere’schem Symptomencomplexe.
Die Symptome sub. VII bilden nur eine Theilerscheinung leichteren
Grades des Symptomencomplexes sub VIII, bei welchen die beiden
unteren Extremitäten versagen und der ganze Körper zusammenbricht.
In prognostischer Hinsicht. ist folgendes zu bemerken: Je
stärker, permanenter oder mannigfaltiger die Gleich-
gewichtsstörungen beim peripheren Ohrenleiden mit gleich-
zeitiger Schwächung des Gehörs sind,’desto weniger hat
man Hoffnung auf eine Herstellung des Gehörs.
14*
204 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden
Ausserdem ist in differential-diagnostischer Hinsicht nicht zu ver-
gessen, dass viele Ohrenleidende über schnell vorübergehende Ohnmachts-
anwandlungen, über ein zur Seite Schleudern während des Gehens und
über ein momentanes Niederfallen (Meniere)!). dabei aber ohne Ver-
lust oder nur mit leichter Betäubung des Bewusstseins
Charcot?) Meniere?°), klagen. Alle diese Leiden wurden und werden
öfters auch noch jetzt, wie ich mich auch überzeugen konnte, als petit
mal oder als epileptischer Schwindel behandelt (M&niere)*). Ich meiner
Seits muss hier notiren, dass unbedeutende Störungen bei nicht diagno-
stieirten Ohrenleiden öfters als Anfangsperiode einer Ataxie (corticalen,
cerebellaren, bulbären, spinalen, sensorischen) betrachtet und darauf hin
behandelt wurden. Leichte incoordinirte Bewegungen beim schnellen
Aufstehen von einem niedrigen Sessel, beim Stehen auf einem Fusse,
beim Gehen, beim plötzlichen Stillhalten, beim Rückwärtsgehen, beim
Niedersteigen über eine Treppe u. s. w. werden als Anfangsperiode einer
Ataxie erklärt. Alle diese abnormalen Erscheinungen lassen sich
ganz leicht auch durch Labyrinthaffeetion erklären. Der bekannten
Theorie nach sind die Otolithenplatten Gebilde, welche nicht unserem
Willen, sondern der Schwerkraft gehorchen und welche einen ge-
1) Paul Ménière. Mémoire sur des lésions de l'oreille interne donnant
lieu à des symptômes de congestion cérébrale apoplectiforme.
Lu à l'Académie impériale de médecine dans la séance de Janvier 1861,
Gazette Médicale de Paris. 1861. 21. Septembre p. 597—601. Fernere Beiträge
in derselben Gazette auf den pp. 29, 55, 88—89, 239--240, 379—380, 597—601.
2) Charcot. Leçons sur les maladies du système nerveux. 1877 T. II.
p. 311—328. Du vertige de Ménière. — Poliklinische Vorträge. I. Bd. Schuljahr
1587—1888. Aus dem Französ. von Freud. S. 78, 201.
3) Meniere 1861. „Il faut cependant noter qu'il ny a pas de paralysie,
pas de déviation de le face, ni de la langue; la parole reste facile, l'intelligence
est intacte, et la trouble fonctionnel signalé précédemment n'a qu'une courte
durée. — Il n'existe après l'accident ni assoupissement ni torpeur, le patient
se rend bien compte de ce qui s'est passé ....“
4) p. 239. „Il serait curieux de vvir si dans les établissements où l'on reçoit
beaucoup d'épileptiques, il en est un certain nombre chez lesquels le sens de
l'ouïe est notablement affaibli.“
p. 598. „Les personnes qui sont sujettes à la migraine offrent souvent
des phénomènes analogues à ceux què nous avons signalés; mais il faut dire
que certaines hémicranies accompagnées de vomissements se terminent très
fréquemment par la surdité. Je n'hésite pas à regarder ces migraines comme
dépendant d'une lésion de l’oreille interne; elle s'accompagnent de bruit, de
vertiges, d’affaiblissement graduel de l'ouïe et le plus souvent cette surdité
resiste à tous les moyens de traitement .. ..“
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 205
wissen continuirlichen gleichmässigen Reiz auf die Nervenendigungen
des Utriculus und Sacculus ausüben. Bei Endzündungsprocessen
können wir uns vorstellen, dass die Ötolitbenplatte auf das ge-
reizte Endorgan eine viel intensivere Wirkung ausübt oder sich theil-
weise oder ganz loslöst und in der Endolymphe herumschwimmt. Die
Folge davon wird sein, dass bei schnellen Bewegungen oder beim plötz-
lichen Stillstande die Otolithen, herumschlotternd, nicht gleichmässige
gewohnte, centripetale Impulse beim Sehen und bei Augenschluss zu
den entsprechenden Muskeln senden werden, durch deren synergische
und antergische Contraction die Coordination der Bewegungen be-
dingt wird. Störungen in dieser Richtung, d. h. in der Erhaltung
gleichzeitiger Impulse, schlage ich vor als Asynergia zu bezeichnen,
und den Begriff Ataxie nur speciell für diejenigen einfachen Fälle fest-
zuhalten, in welchen uncoordinirte langsame ausgiebige Bewegungen trotz
Controle der Augen ohne Schwindelanfälle und beim Ausschluss einer
Affection des Ohres beobachtet werden. Auf diese Weise werden wir
im Allgemeinen eine Asynergia musculorum labyrinthica und
bei näherer Bestimmung womöglich eine Asynergia utricularis,
saccularis et ampullaris haben.
Bevor -ich zur. Darstellung einiger Krankengeschichten übergehe,
betone ich ausdrücklich, dass überall Leiden des Centralnervensystems
nach Möglichkeit ausgeschlossen wurden. Es sind auch mitunter zweifel-
hafte Fälle als Beispiele aufgenommen. Jeder Kranke wurde auf den
Zustand der Hautsensibilität, der Sehnenreflexe und des Muskelsinnes
untersucht. Die ersten Krankengeschichten sind etwas kürzer ausge-
fallen, da der Goniometer erst später erfunden wurde, und da ich hier
die dynamische Muskelthätigkeit nicht prüfte. Der Beobachtungsplan
wurde also allmälig complicirter und vollständiger. Einige von den
Kranken beobachte ich seit vielen Jahren. .
1. Fall. Dr. med. E. H., geb. 1865. "Im Jahre 1872 Scharlach mit
starker Angina ohne Affection der Ohren. Bis zum Jahre 1879 jeden Winter
1—2 mal Anginen, dabei häufig 1—2 Tage anhaltende Ohrenstiche ohne Aus-
fluss. Im Jahre 1882 bemerkte der Patient, dass er auf dem linken Ohre
schlechter hört. Schmerzen im Ohre oder Tinnitus aurium bestanden nicht.
Die Harthörigkeit auf dem linken Ohre nahn. trotz beständiger Behandlung
(Politzer's Verfahren, Jodeinspritzungen in die Tube, Catheterismus mit und
ohne Bougies, Empl. cantharid. hinter das Ohr, Einträufelungen von Coc.-Resor-
cinlösungen im Herbst 1891) progressiv zu. Häufig leichter Rachen- und Nasen-
catarrh (Behandlung: Jod, Jodkali, Glycerin, Tannin, Beizungen mit Arg. nit,
acid. chromic. und trichloracetie., Nasendouchen mit alkalischen Lösungen).
206 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden.
Im Herbste 1891 stellte sich links Ohrensausen und Summen ein, das zuerst
zeitweilig, seit October 1891 aber permanent geworden ist. Während der ganzen
Zeit keine Schmerzen im Ohre. — Im Sommer 1890 wurde auf der rechten
Seite gleichfalls ein Tubencatarrh constatirt, der aber nach kurzer Zeit schwand.
Eine Abnahme des Gehörs wurde nicht constatirt; keine Schmerzen, kein Ohren-
sausen. Im October 1891 Erkrankung des rechten Ohres. Gehörschärfe wechselnd,
aber nie bedeutend herabgesetzt. Nach dem Katheterisiren trat stets eine
Besserung ein. Gehörschärfe im November, December 1891 und Januar. 1892
normal. Iın Februar plötzlich eine Verschlimmerung der Gehörschärfe auf
beiden Ohren ohne constatirbare Ursache. Lues nicht dagewesen. In der
Familie keine Fälle von Harthörigkeit bekannt. Seit Kindheit Neigung zum
Höhenschwindel.
Ich untersuchte den Herrn Collegen zum ersten Male am 10. März 1892
und demonstrirte ihn im August auf dem Internationalen Congresse der Zoologie
(Physiologische. Abtheilung) in Moskau. Der Patient ist ein stark gebauter,
etwas blass aussehender Mann. Sonst ausser Ohren keine Leiden.
Rechts: M.t. leicht getrübt, eingezogen, beweglich. Tuba frei; nach dem
Kath. eine Besserung des Gehörs. Flsp. Ilm. Politz. Hörm. 8m.
Alle Töne!) per aörem gut gehört von 24 Vib. hinauf bis 24576
Sol8 König, Galton = 3,1.
Links: M. t. getrübt. stark eingezogen, beweglich. Tuba frei; nach dem
Kath. mässige Besserung. Continuirliches sehr starkes Ohrensausen,
welches den Patienten oft melancholisch stimmt. Zeitweise ein
Pfeifen, Tönen, Pulsiren. Flsp. ad conch. Politz. Hörm. ad conch.
Töne per aörenı schwach gehört von 36 Vib. bis 20480 Mi8 König,
Galton = 3,6. Der Ton von 1024 Vib. bewirkt ein sehr langes
Nachklingen. Weber — links. Rinne: — c 128, — c 256, — c5l2.
Knochenleitung gut für alle Töne bis 1024.
Statik. | Oa. | Oo.
Pp. : fest , Nach längerem Stehen ein leichtes Wacken bald nach
| rechts, bald nach links, bald nach vorwärts.
D.pp. fest Nimmt Zehenstellung mit offenen Augen ein. Jetzt
| werden die Augen geschlossen. Ein unüberwind-
liches Fallen nach vorwärts. Patient bietet alle
| seine Kraft auf, um das Gleichgewicht zu erhalten,
indem er die Beine in den Knien beugt, den Rumpf
| und die Hände stark nach rückwärts hinüberbeugt,
| aber umsonst. Wenn er erst ein wenig bei Augen-
schluss gestanden hat und darauf die Zehenstellung
| einnimmt, so wird er ebenfalls nach vorne hin
geschleudert. Alle seine Bemühungen, rückwärts
zu fallen, bleiben erfolglos.
|
} ef
I) In der letzten Zeit wurden die Tonprüfungen mit Edelmann’'s
eontinuirlicher Stimmgabelreihe nach Prof. Bezold gemacht.
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 907
Statik. Oa. Oo.
P.d. fest Nach rechts mit schwacher Neigung nach vorn
— also in diagonaler Richtung.
P. s. fest Grade nach links. Nach grossen Anstrengungen,
das Gleichgewicht zu erhalten, ein Fallen nach
hinten rechts.
G. i. ant. | 385—370 | 120,
i. post. 300 30°,
i. lat. 870 p. dex. zum Stützbrettchen gewandt — Fallen bei
140 diagonalwärts nach rechts; p. s. — Fallen bei
90 grade nach links.
Während des Hebens verursachen die leisesten Umdrehungen der Kurbel
starke ruckweise Vorwärtsbeugungen.
Dynamik.
It. rl. ant. | gradaus | gradaus, die Beine etwas gespreizt.
post. gradaus | Abweichen nach links.
S. d. pp. | gradaus | gradaus.
S.d.dex. ant. | gradaus | gradaus. Sprünge regelmässig.
post. gradaus | Beschreibt einen grossen Bogen nach links (ohne
Augenbinde). Mit Augenbinde, beim Versuche, einen _
Sprung nach rückwärts, ein momentanes Hinstürzen
i auf den Boden.
S. p. sin. ant.| gradaus
Das Rückwärtsstürzen, wie der Patient berichtet, wird durch eine
unüberwindliche Kraft bedingt, welche ihn ohne Schwindelempfin-
dung nach vorn oder nach links hinreisst. Wenn er während des
Fallens nicht sogleich die Augen Öffnet, so muss er aufgefangen werden.
Besonders leicht geschieht dies, sobald ihm die Augen mit einem Taschen-
tuche verbunden werden. Vorwärts konnte der Herr College noch mit
der Augenbinde gehen; sobald er aber das linke Bein hob und auf dem
rechten rückwärts zu hüpfen versuchte, so fiel er wie ein lebloser Körper
zu Boden, wo er jedesmal aufgefangen wurde. Er lag stramm ausge-
streckt mit blassem Gesichte; keine Convulsionen. Sobald ihm die Binde
abgenommen wurde und er die Augen öffnete, konnte er von selbst
schnell von der Diele aufstehen. Er klagte über einen schweren Kopf
und Mattigkeit ohne Spuren von Schwindel. Während des Stürzens
schien es dem Kranken, als ob kein Raum mehr existire, der Boden
unter seinen Füssen dahinschwinde, und er ohne das Bewusstsein
zu verlieren in einen Abgrund hinunterstürze. Diesen Zustand ver-
‚glich der Herr College ‘mit dem Gefühle, welches man beim Fallen:
während des Schlafes empfindet. Alle diese Beobachtungen verursachten
eine grosse Müdigkeit. |
208 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden.
Seitens des Nervensystems konnte nichts Besonderes constatirt werden.
Gegen das Ohrensausen habe ich in der letzten Zeit (1894) Cocaindämpfe
eingeblasen. Dabei schwand das lästige Ohrensausen fast ganz und die Hör-
schärfe stieg fast bis 3m Flüstersprache ohne besondern Einfluss auf die Gleich-
gewichtsstörungen.
32. Fall. D., 19 J. alt, Schüler der Kunstschule, 1892. Vor 8 Jahren hat
er einen Rheumatismus articularis durchgemacht, dabei wurden grosse Dusen
von Natr. salicyl. verabreicht. 2—3 Jahre darauf stellte sich eine Schwerhörig-
keit erst im A. s. und nach ca. 1 Jahre im A. d. ein. Seit 2 Jahren ist er
vollständig taub. Lues in suspectu. .
Status präsens. Starker Körperbau. Leichtes Herzgeräusch in der
Valv. tricup. Schnupfen. M. t. beiderseits fast normal. Tuben frei. Ein
schreckliches Ohrensausen, welches sogar das Denken verhindert. Knochen-
leitung: Empfindet das Contra-C nur als Zittern, alle übrigen Töne percepirt
er nicht. A.s. hört bei Luftleitung die nicht musikalischen Töne bis 20480
Mi8 König’s Cylinder.
Mit offenen Augen ist die Statik normal. Bei Augenschluss:
Pp.— fest, D. pp. — Ein leichtes Wackeln von hinten nach vorn und um-
gekehrt. P. d. — Fallen nach links. P. s. — nach rechts.
Hier haben wir also eine gekreuzte Coordinationsstörung.
3. Fall. Lehrerin G., 21 J.; 10. März 1892. Seit 5 Jahren eine progressive
Abnahme des Gehörs. Pilvearpininjectionen und andere Mittel ohne Erfolg. —
Anämische schwächliche Person. M.t. — normal, Tuben frei. Kein besonderes
lästiges Ohrensausen. Im A. s. gegen Abend stärker.
A.d.: Flsp. — ad conch. Politz. Hörm. — 1,5 m. Cj-Luftleitung schwach.
König — 32000, Galton — 3, Rinne —.
A. s.: Fisp. —0, Politz. Hörm. Im, Cı — gar nicht. König 32000.
Galton 3, Rinne —.
Knochenleitung vom Proc. mast. für alle Töne erhalten. Diagnosis:
Otit. med. catarrh. chr.
Mit offenen Augen die Statik und das Gehen normal, nur beim Stehen auf
dem rechten Beine wird die Kranke immer nach links hingezogen.
Bei Augenschluss :
Pp. — leichtes Hin- und Herwackeln. D.pp. — Vorwärtsfallen.
P.d. — nach links. P.s. — nach links.
Ausserdem bemerkt man bei geschlossenen Augen ein leichtes Zucken in
den Armen und in den Händen mit Supinationsbewegungen. Manches Mal
zuckte unbewusst die Kranke mit den Schultern.
Hier haben wir bei grosser Schwerhörigkeit schwach ausgeprägte
Störungen des. Gleichgewichts in der Richtung des schlechter hören-
den linken Ohres. |
4. Fall. S., 33 J. alt; 12. März 1892. Seit 17 Jahren hört er schlecht
auf dem rechten Ohre, seit einem Monate auf dem linken. M.t. leicht getrübt,
Tuben frei. A. d. Laute Sprache ad conch. A. s. Flsp. 1m. Starkes Ohren-
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 209
sausen. Knochenleitung erhalten. Die Statik und das Gehen mit offenen Angen
sicher.
Bei Augenschluss: À` l
Pp. sicher. D.pp. leichtes Wackeln. P.d. Hinbeugen nach rechts.
P. s. Hinbeugen nach rechts. Gon. i. ant. = 38°,
Also bei starker Schwächung des Gehörs Störungen in der Richtung
des schlechter hörenden Ohres für beide Beine.
5. Fall. S., 32 J. alt; 28. März 1892. 10 Jahre zurück Syphilis. Jetzt
seit 2 Monaten nach einem Schnupfen Öt. med. catarrh. subacuta und Cat.
tub. Eust.
A. s.: An der M. t. leichte Entzündungserscheinungen. Flsp. 0.5 m.
Schwaches Ohrensausen. Tuba undurchgängig.
A. d.: M. t. leicht getrübt. Flsp. 3m. Statik und Gehen mit offenen
Augen sicher. Se
Bei Augenschluss:
Pp. — ein Hinneigen nach links. D.pp. — nach links vorwärts. |
P.d. — nach links. Steht nur ein paar Secunden und muss immerfort den
Boden mit dem gehobenen linken Beine berühren, um das Gleichgewicht zu be-
halten. P.s. — bleibt stehen, indem er leicht hin und her wackelt. Gon. i.
ant. =: 390,
: Therapie — Cocain-Resoreintropfen.
Den 1. April wurde das Geräusch rechts stärker und noch mehr verlegt.
Mit offenen Augen. P.d. — ein Wackeln mit Fallen nach rechts.
Bei Augenschluss:
Pp. — sicher. D.pp. — ein Zittern mit Fallen nach rechts. P.d. —
Wackeln; bald ein Sturz nach rechts, bald nach links. P.s. — sicher.
Den 1. Mai. Das Gehör etwas besser.
Bei Augenschluss:
Pp. — sicher. D.pp. — diagonalwärts nach rechts. P.d. — nach
rechts. P.s.— nach rechts. Gon. i. ant. = 390. i. post. = 26°, i. Cat. — 360,
Nach dem Katheterisiren steht der Patient auf dem rechten Beine
sicherer. i
Hier geschah das Fallen in der Richtung des besser hören-
den Ohres.
6. Fall. Arbeiter, 30 J.; 10. Febr. 1893. Locomotivführer über 9 Jahre.
Sonst gesund. Früher sang er nach Noten. Die letzten 3 Jahre wurde er erst
auf dem rechten Ohr und die letzten 2 Jahre auf dem linken schwerhörig.
Syphilis. Die Füsse transspiriren stark.
Status präsens. In den inneren Organen nichts Besonderes zu notiren.
Schwindel. Continuirliches Sausen. Mm. tt. leicht getrübt ohne Lichtkegel.
Tuben frei.
210 Stan. | v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden.
Das Gehör. Aur. dex. Aur. sin.
: Luftleitung.
Flüsterspr. 32 cm 0
Laut. Spr. — ad conch.
Politz. Acum. 36cm 2cm
C, 32 ein Zittern 0
C 64 0 ` 0
c 128 0 0
c1256 schwach schwach
Hinauf alle Töne bis
Galton | 2,5 (ca. 10600 V.) | 3,0 (ca. 10240 V.)
König 24576 sol8 | 20480 Mi8
Knochenleitung.
Weber Vom Vertex und anderen Stellen kann nicht lateralisiren,
empfindet nur ein Zittern.
C, 32 ein grobes Zittern id.
c 128 ein Zittern id.
c1256 Gar keine Empfindung.
Rinne. Von 256 bis 2048 V. positiv +.
Statik. Oa. | Oo.
Pp. fest i fest.
D. pp. fest | leichtes Pendeln
P. dex. fest leichtes Pendeln
P. sin. fest Der rechte Fuss wird fortwährend herunter-
| gelassen.
Gon. i. ant. 350 850
i. post. 210 210
Dynamik. Ä
J. rectl. gradaus | gradaus
R. p. dex. | Langsam, aber den-, Rechtsum— Rechtsfallen, auf einer Stelle
noch gleichmässig bleibend, keine volle Umdrehung.
auf einer Stelle Linksum — Pes. sin. wird heruntergelassen,
mit Fortrücken von der Stelle.
R. p. sin. Wie p. dex. Linksum — das Bein beugt sich im Knie,
macht langsam eine Bewegung, bleibt
stehen, als ob er nachdenken muss, um
eine neue Bewegung zu machen. Zeitweise
wird das rechte Bein heruntergelassen.
Er rückt von der Stelle fort.
Rechtsum — verlässt die Stelle; das
rechte Bein wird sehr oft während einer
Umdrehung gesenkt.
\
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohtenleiden. 211
7. Fall. Frau A. aus Orel, 29 J. alt, eine intelligente Person; 21. April
1892. 7 Jahre alt machte sie eine Erysipel durch, welches .mit Eisblasen und
grossen Dosen Chinin behandelt wurde. Als Mädchen hörte sie gut. 9 Jahre
verheirathet mit 5 Kindern. Eine rapide Gehörschwächung bemerkte die Pat.
nach dem ersten Kinde. Nach jedem nächstfolgendem wurde sie immer tauber
und tauber. Früher, als das Gehör besser war, wurde sie mehr vom Ohrensausen
geplagt, welches gegenwärtig nur während Müdigkeit sich einstellt. An Schwindel
litt sie nie. Als Mädchen war die Kranke stark anämisch. Wurde im Auslande
von bekannten Specialisten behandelt, aber ohne Erfolg.
Status präsens. Eine vom mässigen Wuchse, aber rosig und wohl-
genährt aussehende Person. |
Mm. tt. leicht getrübt und eingezogen. Tuben frei.
A. dex. = A sin.
. Laute Sprache ad conch. 0
Cı schwach ein Schwirren
128 c schwach schwach °
256 c 0 0
512 0 0 0
1024 c -schwach ‚0
° 2048 c schwach . 0
König 10240 Mi? 8192 Ut?
Galton 6 4,5
Rinne - — —
Knochenleitung erhalten rechts für alle Töne, links aber fehlt sie für
die hohen. Besonders gut hört die Kranke Geräusche: „Was hilft es mir“,
sagte sie öfters, „dass ich alle Geräusche gut höre.“ Statik und Gehen mit
offenen Augen gut erhalten. Gon. i. ant. — 35°, i. post. — 290, Bei Augen-
schluss wird sie leicht schwindlig und sehr abgespannt.
Pp — sicher.
D. pp. — ein momentanes Rückwärtsfallen. Die Kranke muss viel Mühe
anwenden, um die Ferse vom Boden zu heben. Sobald sie aber dies er-
reicht hat, so fällt sie sogleich wieder auf die Ferse und dann weiter
nach hinten, so dass man sie auffangen muss.
P.d. — leichtes Wackeln.
P.s. — leichtes Wackeln.
Gon. i. ant. — 300, f, post. — 290.
Beim Gehen beobachtet man ein Wackeln und ein Fallen bald nach links,
bald nach rechts. Jede Therapie erfolglos.
8. Fall. 41 Jahre alter Obrist S., hatte während eines Sturmes im russisch-
türkischen Kriege 1877 am rechtem Ohre durch eine explodirte Granate eine
Contusion erhalten und fiel betäubt hin. Nachdem das Bewusstsein wiederge-
kehrt war, merkte er ein leichtes Geräusch im Ohre. Erst nach dem Kriege
wurde der Pat. von starken Kopfschmerzen und Schwindelanfällen mehrere Male
am Tage heimgesucht, sodass er ganze Tage hindurch das Bett hüten musste,
212 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden.
Während des Schwindels schien es ihm, dass alle Gegenstände auf ihn fallen.
Wenn er selbst zu Boden stürzte, so verlor er niemals das Bewusstsein, welches
nur bei dilatirten Pupillen (constatirt von Aerzten) schwach getrübt war, und
raffte sich sogleich wieder auf. Ungefähr im Jahre 1880 wurde er auf dem
rechten Ohr ganz taub. Kopfschmerzen mit Schwindel wiederholten sich recht
oft bis zum J. 1882. Seitdem bis zum J. 1891 wiederholten sich die Symptome
periodisch bald seltener, bald öfters. Sein allgemeiner Zustand war in diesem
Zwischenraume ganz gut. Im J. 1891 wurden die Kopfschmerzen stärker und
häufiger und es gesellte sich zu ihnen noch ein neues Symptom, welches den
Pat. sehr beunruhigte. Er bekam nämlich 2—3 mal täglich, nach seinem Aus-
druck, starke „Hiebe‘ in den Kopf: dieser wurde momentan sehr schwer, das
Gesicht blass und die Augen roth. In diesem Zustande, bei vollem Bewusstsein,
behauptete der Kranke mit grosser Mühe die aufrechte Stellung. Besonders
nach überstandener Influenza im J. 1892 wiederholte sich dieses Symptom sehr
oft sowohl im Zimmer, als auch im Freien, begleitet von einem momentanen
Sturze zu Boden, ohne Schwindelgefühl, von dem er sogleich aufstand
und seine Arbeit fortsetzte. Manches Mal war der Kranke im Stande, den Fall
zu lindern, indem er sich auf die in seiner Nähe stehenden Gegenstände mit
den Händen stützte. Aber alle seine Anstreugungen blieben fruchtlos, und er
wurde schliesslich dennoch von einer inneren Kraft niedergeworfen. Dasselbe
geschah auch beim Sitzen. Während des Anfalls wurde die Zunge niemals wund
gebissen, es trat aus dem Munde kein Schaum heraus, es wurden kein Zähne-
knirschen, keine Convulsionen ınit darauf folgender grosser Mattigkeit beobachtet.
Im September 18592 schlug sich der Pat. in Gegenwart eines Arztes während
des plötzlichen Sturzes den'Kopf und die Lippen an einem Tischrande wund.
Jede psychische Aufregung und physische Anstrengung’ verschlimmerten den Zu-
stand. Nach einem Vesicatorium auf den Nacken nahm die Stärke und Häufig-
keit der „Hiebe‘ und „Schläge“ ab, aber dennoch waren dieselben häufig ge-
nug, um störend auf seine Prufession als Kriegsintendant zu wirken. Der Obrist
führt ein regelmässiges Leben. Kein Raucher und Potator. Kein Lues.
Behandlung des allgemeinen Nervensystems blieb erfolglos. Die zeitweise
unternommenen Lufteintreibungen verschlimmerten nur den Zustand. Zum ersten
Male consultirte mich Hr. S. am 29. Sept. 1892.
Status präsens. Stark gebauter und gut genährter Mann. Innere
Krankheiten und besondere Nervenleiden konnten ausgeschlossen werden.
Mm. tt. beiderseits normal, leicht eingezogen. Tuben frei. Nach dem
Katheterisiren keine Veränderungen. Kein Nasen- und Nasenrachen-Catarrh.
Rechts Links
Laute Sprache 0 Ä sehr gut
Flüstersprache . 0 1, 5m
Politzer’s Acumeter 0 - 1,5 m
Galton | 4 oo T
: König 16384 ut® schwach 24576 sol® sehr gut `
Knochenleitung ein unbestimmtes Zittern | gut für alle Töne
Rinne — | +
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 213
Mit offenen Augen ist die Statik sicher nur beim Zehenstande ein leichtes
Wackeln. Gon. i. ant. — 220,
Bei Angenschluss:
Pp. — sicher. |
D pp. — Vorwärtsfallen und etwas nach rechts.
P.d. — Seitwärtsfallen nach rechts.
P.s. — Seitwärtsfallen nach rechts.
Gon. i. ant. —= 15°,
Dynamik. Offene Augen. Geschlossene Augen.
It. rl. vorwärts gradaus nach rechts
rückwärts | gradaus, . gradaus
Rot. p. d. rechtsum | gleichmässig hüpft nach rechts, balancirt mit den
auf einer Stelle Händen und dem Körper
linksum idem ein noch grösseres Ablenken nach links
Rot. p. s. rechtsum | gleichmässig kaum von der Stelle, Fallen nach rechts
linksum gleichmässig etwas leichter, Fallen nach rechts.
Es wurden dem Obrist Instillationen von Cocaïn-Resorcintropfen nur ins
rechte Ohr 2mal täglich verordnet.
e11. Nov. 1892. Kopfschmerzen bedeutend besser. Däs Stürzen zu Boden
wiederholte sich nicht mehr. Bei Augenschluss ist der Gang viel sicherer ge-
worden. Das Geräusch kaum merklich. Rechts die Symptome in status quo.
Die auffälligste Erscheinung war eine ohne vorherigen Katheterismus bedeutende
Zunahme der Gehörschärfe auf dem linken Ohre. Flüstersprache bis ca. 7m,
für Politzer's Acumeter bis ca. 6m. In diesem gebesserten arbeitsfähigen Zu-
stande befindet sich der Kranke bis jetzt, aber dabei muss er jeden 8. bis 4. Tag
sich Cocain ins Ohr instilliren, sonst bekommt er bei längerem Aussetzen des
Mittels leichte Sturzanfälle. Im Allgemeinen ist der Kranke mit seinem Zu-
stande ganz zufrieden.
9. Fall: Frl. S., Lehrerin, 32 J. alt. Diese im höchsten Grade interessante
Kranke steht in meiner Behandlung seit dem Jahre 1884.
Anamnesis. Die Pat. kam zu mir im September 1884 mit der Klage
über ein schreckliches Ohrengeräusch und Brausen mit permanenten Kopfschmerzen
in den Stirn- und Scheitelregionen. Dieser peinliche Zustand stellte sich vor
einem Monat im Juli 1834 kurz nach einer Lapis-Aetzung des Nasenrachenraumes
ein. Darauf folgte ein bilateraler Ohrenfluss, welcher nach einer Woche sistirte.
Die damalige objective Untersuchung ergab folgendes Resultat: mässige Rhinitis
hypertrophica mit starker Hyperämie sämmtlicher Nasenschleimhäute; Tuben
frei; mässige Trübung der Trommelfelle mit leichter Einwärtswölbung; Hör-
schärfe augenscheinlich nicht geschwächt. :
Seitdem war die Kranke stets unter ıneiner Aufsicht, wobei auch andere
Collegen zu Rath gezogen wurden. Es wurde eine ganze Phalanx von Mitteln
und Heilverfahren erfolglos erprobt: Ars., Arg., Fe., Antipyrin, Antifebrin,
Phenacetin, Cocain, Pilocarpin, Vesicatoria, galvanischer Strom, Franklinisation,
-
214 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden.
Aetzungen der Nasenmuscheln, KJ, KBr, electrisches Lich? u. s. w. Am Besten
half der Kranken das Arsenik. Electrisches Licht befreite sie fast ganz von
dem Druckgefühl in den Ohren und von den Geräuschen auf mehrere Wochen.
Die anderen Mittel schafften eine vorübergehende .Erleichterung. meistentheils .
aber eine Verschlimmerung des Zustandes. Durch Pilocarpin schwollen die
Öhrenmuscheln ödematös an. Salin.-alkalische Eingiessungen in die Nase blieben
resultatlos. Nach deın Katheterisiren nahmen die Geräusche an Stärke zu. Nur
Politzer’s Verfahren schaffte eine Linderung in den ersten Jahren. Des Sommers
nahmen alle krankhaften Symptome an Intensität Anfangs ab, die letzte Zeit
aber nicht. Witterungswechsel verursachte eine bedeutende Verschlimmerung
des Zustandes. Mit der Zeit wurde die Rhinitis beseitigt, die Hörschärfe aber
mit den subjectiven Symptomen nahm progressiv zu.. Die starken Kopfschinerzen
zwangen die Pat. tagelang das Bett zu hüten. Die letzten 6 Jahre schläft sie
im Bette halbsitzend, denn sobald sie eine horizontale Lage auf dem Rücken
einnimmt, bekommt sie sogleich unausstehliche Schmerzen mit Brausen in den
Ohren, besonders in den Ohrmuscheln, und einem Gefühl von Hinabstürzen in
die Tiefe. Beim Liegen auf der Seite stellen sich ebenfalls Schmerzen erst auf
der entsprechenden und gleich darauf auf der anderen Seite ein. Dieser Zustand
stimmt die Kranke hypochondrisch. Die 2 letzten Jahre hat S. ihre Beschäf-
tigung als Lehrerin aufgegeben und ernährt jetzt ihre Familie (alte Mutter und
Schwester) mit Näharbeiten, wobei sie sehr oft 18 Stunden hindurch sitzt. Diese
Anstrengungen verschlimmern die Symptome noch mehr. — Seit dem J. 1885
hat S. ein paarmal die Influenza mit Ohrenfluss — aus dem linken Ohre im J. 1889
und aus dem rechten im J. 1892 durchgemacht. Hat fast alle infectiösen Kinder-
krankheiten (Scharlach, Masern, Windpocken etc.) durchgemacht. Wurde öfters
von Anginen heimgesucht. Zwischen dem 6.—8. Jahre litt sie am Somnambulismus
und wurde in Folge dessen ans Bett gefesselt. Seitdem aber und bis zum Ohren-
leiden fühlte sich die Pat. ganz wohl. Das Gedächtniss war stets gut bis vor
kurzer Zeit.
Status präsens. Mässiger Körperbau. Etwas anämisch. Ein trauriger
Gesichtsausdruck. Menstruation regelmässig. Von den inneren Organen nichts
Besonderes zu notiren. Muskulatur mässig entwickelt. Das Gehen fällt der
Pat. am Tage nicht schwer. Sie ermüdet dahei nicht bald, kann aber dabei
keine schnellen Bewegungen ausführen, z. B. sich plötzlich umdrehen, über
die Strasse laufen, einem fahrenden Wagen aus dem Wege weichen, von einem
Tramway herunterspringen, vom Trottoir auf die Strasse heruntergehen etc.,
ohne das Gleichgewicht zu verlieren. In Folge dessen wurde die Pat. ein paar-
mal fast überfahren. Des Abends geht sie entlang der Häusermauern. Das
Besteigen der Treppen des Abends ist leichter als das Absteigen, wobei die
Hände sich an die Geländer klammern.
Die Oberextremitäten vollführen geschmeidig die feinsten Bewegungen
beim Nähen und Sticken. Keine abnorme Bewegungen. Patellarsehnenreflex
sehr gesteigert. Das Sprachvermögen normal.
Berührungsempfindlichkeit, Tastvermögen, Drucksinn, Schmerzempfindlich-
keit, Localisationsvermögen, Temperatursinn, Kraftsinn, Bewusstsein von der
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 215
Lage der Glieder und stereognostische Perception erhalten. Die Muskeln sind
auf Druck empfindlich. Markirte Punkte werden sicher und prompt mit dem
Finger oder Beine mit geschlossenen Augen berührt. Die Handschrift nicht.
alterirt (cf. Fig. 4). Russisch schreibt die Kranke ebenso wie Deutsch.
Fig. 4. `
Ich war das Decke
OLE Hin P) $ Decoubas
(59%. One Korn
Nase. Mässige hypertrophische Rhinitis. Die Schleimhaut hyperämisirt
und höchst sensibel: Die leisesten Berührungen mit einer mit Watte umwickelten
Sonde verursachen Schmerz mit Aufschreien und Verzerrung sämmtlicher Ge-
sichtsmuskeln. Cocainbepinselungen beseitigen diese Hyperästhesie nur theil-
weise. In Folge dessen gelingt es nur mit grosser Mühe einen Katheter durch-
zuführen. Catarrhus cavi naso-pharyng. Geruch und Geschmack nicht alterirt.
Ohr. Mm. tt. etwas einwärts gewölbt, getrübt, besonders an der Peri-
pherie. Der Lichtkegel verkürzt und verwischt. Tuben frei. Nach dem Ka-
theterisiren eine Abnahme des Gehörs mit Verstärkung des Brausens. Š
Ein continuirliches Geräusch gleichzeitig mit einem lästigen Brausen. In
horizontaler Lage nehmen diese subjectiven Empfindungen an Stärke zu, die-
Gehörschärfe dagegen ab. Bald darauf stellen sich unerträgliche Schmerzen im
Obre und in den Ohrmuscheln ein. In Folge dessen schläft die Pat. die letzten
9—6 Jahre, seit 1889, halbsitzend ohne das Kissen mit den Ohren zu berühren.
Rückenlage verursacht Schwindel, Brechneigung mit starken Herzpalpitationen,
die bei Seitenlage sogleich verschwinden. In verticaler Stellung kein Schwindel,
keine Brechneigung mit offenen und geschlossenen Augen.
* Zustand der Gleichgewichtsstörungen am 16. Februar 1893:
Statik. Oa. Oo.
Pp. fest Wackeln und Fallen rückwärts.
D. pp. Wackeln | Mit grosser Mühe nimmt die Kranke die Zehenstellung
% ein und fällt sogleich bald seitwärts, bald vor-
wärts, bald nach links (öfters), indem sie in
der Luft mit den Händen balancirt.
216 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden.
Statik.
P. dex.
P. sin.
Gon.i.ant.
Dynamik.
J. retl. .
S.D.pp.
R.P p.
O a. Oo.
Wackeln | Sobald das linke Bein gehoben wird, findet sogleich
ein Sturz nach links statt.
Wackeln | Beim Heben des rechten Beines ein Stürzen nach
rechts.
4—60 | Ein momentanes Stürzen bei der leisesten Hebung
des Brettes auf 1—20 bald nach links, bald nach
rechts.
Gradaus | Zickzackgang.
Nicht im Stande, fällt wie ein lebloser Körper zu Boden.
Auf beiden Beinen stehend, kann die Kranke mit offenen Augen
sich auf einer Stelle nicht umdrehen, als ob ihr die Füsse
an den Boden angeleimt wären. Wenn sie sich an etwas hält,
z.B. am Finger des: Arztes, so. gelingt es ihr leicht, eine
Umdrehung zu machen. Bei Augenschluss ohne Stütze erfolgt
ein momentaner Sturz zu Boden.
Untersuchungsresultat vom 10. November 1894:
Das Gehör.
‘ Flüsterspr.
Politz. Acum.
Gu 24 V.
28
Cı 34
D, 36
20 V.
28
Rinne.
G 90 V.
e 160
a 213
d1288
al 426
e? 640
Aur. dex. Aur. sin.
Luftleitung.
ca. Iim | ca. 4,5 m
ca. 35 cm ca. 4,5 m
0 ein schwaches Zittern, Schwirren
0 ein Zittern
0 sehr schwach, ein Ton
schwach gut
Weiter hinauf werden alle Stimmgabeln percipirt.
Knochenleitung von Proc. mastoideus.
ein Zittern ein Zittern
sehr schwach, ein Ton
schwach, ein Ton -
sehr schwach l stark
Weiter hinauf werden alle Stimmgabeln gehört.
— + sehr schwach
K9 | K15
= 70 Sec. + E20 Sec.
— = Sec. | + z Sec.
-+ 8 Sec. | T m Sec. _
+ 5 Sec. | + ne Sec.
es nn nn rn Th un
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 217
Das letzte Untersuchungsresultat vom 18. December 1894:
Die Gehörfunction. Aur. dex. Aur. sin.
Luftleitung.
Flüsterspr. | ca. 40 cm ca. 1,8 m
Politz. Acum. ca. 20 cm ca. 1,8 m
24 Gu 0 0
86 Dı 0 0
40 Eı 0 sehr schwach, ein Zittern
45 0 sehr schwach, ein Zittern
50 0 etwas klarer. ein Zittern
55 sehr schwach, ein Zittern sehr schwach, ein Ton -
60 H; sehr schwach, ein Ton recht laut, ein Ton
90 etwas lauter, ein Ton gut, ein Ton
Weiter hinauf werden alle Stimmgabeln percipirt.
213 a Diese Schwingungszahl entspricht ungefähr dem continuirlichen
quellenden subjectiven Summen.
288 di Wird sehr schmerzhaft empfunden.
640 e2 Diese Schwingungszahl entsprichtdem ununterbrochenen Klingeln,
welches nicht so lästig ist, wie das Summen. Sogar beim
schwachen Anschlagen wird der Ton schmerzhaft empfunden
und der Kopf beim Nähern der Stimmgabeln zum Aur. dext.
krampfhaft nach links abgelenkt und umgekehrt.
Weiter hinauf werden: ‚ebenfalls alle Töne schmerzhaft pereipirt
bis zu
König
8192 ut? keine Hyperakusis | keine Hyperakusis
12283 sol? gehört schwach noch gut
16384 ut3 0 sehr schwach
Weiter hinauf wird der Schall nicht gehört.
Galton
3,3 (ca. 10600V.) schmerzhaft | 30 (ca. 10240 V.) schmerzhaft.
Knochenleitung.
Bis zu 36 V. nur als Zittern oder Schwirren empfunden.
36 Dı schwach, ein Ton | etwas lauter, ein Ton
, Weiter hinauf wird der Ton immer lauter.
160 e gut gut
1024 c3 gut gut
2048 c4 noch hörbar noch hörbar
2730 fis4 noch hörbar | noch hörbar
Weber lateralisirt dex.
Rinne 90 + Ton Fa + Ton schwach
128 c Ä +
256 cl a | +
812 c2 + | —
1024 c3 + +
2048 c4 + | +
Dieses Mal die Zeitdauer des Abklingens der Stimmgabel in
Secunden auszudrücken gelang nicht, da ein jeder Ton von
einem lange dauernden Nachklingen begleitet wurde.
Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXVII. 15
218 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden.
Statik.
Pp.
Oa.
Steht gut
Oo.
Steht einen Moment (1—2 Sec.),
um gleich darauf blitzschnell wie
eine leblose Masse rückwärts
zu Boden zu stürzen, indem die
Knie gebeugt, die Hände in die
Luft geworfen und der Rumpf
geduckt werden.
Wenndie Kranke schnell dieAugen
schliesst und darauf dieselben
| aufmacht und die Beine ausein-
anderspreizt, so kann siemanches
Mal das Gleichgewicht behaup-
ten. Das Hinstürzen wird durch
keinen Schwindel bedingt.
Der Kopf ist dabei nicht be-
nommen. Eine unüberwindliche
. Kraft reisst und stösst sie zu
Boden. Im Momente des Augen-
schlusses hat sie keine Raum-
vorstellung mehr: es scheint ihr,
als ob der Boden unter den Füssen
schwindet. Auch mit gespreizten
Beinen kann die Patientin nicht
stehen. Wenn man sie während
des Sturzes nicht auffangen
würde, so würde sie sich stark
beschädigen. Mit verbundenen
Augen horizontal auf die Diele
gelegt, ist sie im Stande, nur
die Knieenstellung, ohne sich auf
‚ Etwas zu stützen, anzunehmen.
Diese Stellung behauptet sie gut,
sogar beim Stossen fällt sie nicht
um. Um aber auf die Beine zu
kommen, muss Frl. S. sich mit
den Händen an feststehende
Gegenstände anklammern. So-
bald dieselben aus den Händen
ihr fortgenommen werden, so
fällt sie wieder auf die Diele.
In horizontaler Lage verliert sie
nicht dic Raumvorstellungen und
bestimmt gut die Stellung der
Glieder, beschreibt mit denselben
Kreise, berührt die angezeigten
Körperpunkte etc.
|
|
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden.
Statik.
D. pp.
P. dex.
P. sin.
Goniom.
Dynamik.
J. retl.
S. Pp.
S. p. dex. et sin gar nicht möglich.
Oa.
Mit Mühe gelangt sie in die
Zehenstellung, um sogleich auf
die Ferse zurückzufallen.
Steht ca. 8 Sec. leicht wackelnd
und fällt sodann nach rechts.
Steht besser ca. 15 Sec., wackelt
und fällt nach rechts.
Beim leisesten Heben, vielleicht
auf 10, ein Niederstürzen nach
rechts hinten.
ant. u gradaus.
post. — gradaus.
Die Kranke kann gut kauern,
schnell aufstehen und sogleich
weiter gehen. Hebt prompt
mit beiden Händen von der
Diele die hingelegten Gegen-
stände bis 10 Kilo auf.
Mit geschlossenen Beinen ist ein
Sprung sogar auf einer Stelle
unmöglich, denn sobald die
Kranke die Diele verlässt, so
fällt sie momentan in die Arme
des Arztes nack links hin-
ten. Beim besten Willen kann
sie das Gleichgewicht nicht er-
halten. Ein Paar Anstrengungen’
in dieser Richtung werden von
einer grossen Mattigkeit be-
gleitet. Im Moment des Ver-
lassens des Bodens sieht sie |
klar alle Gegenstände, aber die,
Contraction der Beinmuskulatur
gehorcht dem Willen der Pat.
nicht mehr.
t
219
Oo.
Erst bei offenen Augen die Zehen-
stellung eingenommen, darauf
folgt Augenschluss: blitzschnel-
les Fallen nach hinten und
etwas nach rechts. Niemals
wurde ein Stürzen nach vorne
beobachtet.
Blitzschnelles Fallen nach hin-
ten rechts.
Blitzschnelles Fallen nach hin-
ten links.
Schon bei Augenschluss ein Sturz.
Ein Sturz nach hinten links,
ohne einen Schritt gethan zu
haben.
Beim Kauern fällt sie nach
hinten.
Gar nicht möglich.
15*
220 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden.
Dynamik.
R. pp. Um die verticale Axe des Körpers | Unmöglich.
kann die Kranke auf einer Stelle
sich nicht umdrehen. Sehr be-
- hutsam und langsam beschreibt
sie einen 1/4-Kreis und stürzt
dann plötzlich nach hinten.
Mit gespreizten Beinen beob-
achtet man dasselbe Resultat.
Im Kreise kann die Kranke
gut gehen und je grösser der
Kreis ist, desto leichter gelingt
ihr dieses. Der minimalste
Kreis, welchen sie machen kann,
hat ca. 45cm im Durchmesser. à
‘
Diagnosis probabilis. Affectio partialis rami acustici
n. octavi und ausserdem, da die Kranke die verticale Stellung bei
Augenschluss nicht behaupten kann, Affectio rami saccularis, welcher
der Theorie nach ein automatisch functionirender Apparat zur Erhaltung
von Verticalstellungen ist.
10. Fall. Fräulein W., 18. J. alt; 8. April 1893.
Anamnesis. Seit früher Kindheit erfreut sich die Kranke eines guten
Gehörs. 13 J. alt machte sie Abdominaltyphus durch. Bald darauf wurde eine
Abnahme der Gehörschärfe auf dem rechten Ohre constatirt. Nach ca. 1 bis
2 Jahren stellte sich eine Hörschwäche auch auf dem linken Ohre ein. Von
Geräuschen wurde die Kranke niemals heimgesucht. Nur in der ganz ersten
Zeit empfand sie ein Läuten vor dem Schlafengehen. Die letzten 3—31/2 Jahre
fühlt die Pat. beim Gehen im Dunkeln eine Unsicherheit, so dass sie sich an
den Gegenständen halten muss. Als 8—9jähriges Kind konnte sie gar nicht
laufen in Folge einer schneļl eintretenden Dyspnoë mit darauf folgendem be-
wusstlosen Hinstürzen. Nach ein paar Minuten spielte sie schon mit anderen
Kindern. Gegen das 15, Jahr schwanden die Anfälle fast ganz. Auch jetzt
noch fällt der Pat. das rasche Gehen schwer.
Status präsens. Schwächlicher Körperbau. Im Allgemeinen gesund.
In den inneren Organen nichts Besonderes.
Rhinitis hypertrophica. Mm. tt. matt und leicht eingezogen ohne Licht-
kegel. Tuben frei. Flüsterspr. für das rechte Ohr 0, für das linke 0,1 m.
Beim Gehen mit geschlossenen Augen ein Abweichen nach rechts.
Therapie bestand in Einträufelungen von Cocaïn-Resorcintropfen und
galvanocaustischer Aetzung der Muschefn.
Genauer konnte ich die Kranke erst den 4. Novbr. 1893 untersuchen.
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 221
Das Gehör. Aur. dex. Aur. sin.
Luftleitung.
Laute Spr. ad conch. 4m
Flüsterspr. 0 0,1
Cı 32 Wird schmerzhaft empfunden. | schmerzlos, sehr schwach, ein Ton
Der Kopf wird fortgeneigt.
C 64 Hyperakusis schmerzlos
c 128 Hyperakusis schwächer als im A. dex.
cl 256 Hyperakusis, hört laut schwächer als im A. dex.
c2 512 laut schwächer als im A. dex.
c31024 hört gar nicht laut, schmerzhaft
c12048 kaum hörbar nach sehr starkem laut, schmerzhaft
Anschlagen (vielleicht hörte
hier das linke Ohr)
König alle 0 bis 16384 ut8
Galton ein Blasegeräusch, sonst nichts 3,5 (ca. 9600 Vibrationen)
mehr
Politz. Acum. ad conch. 90 cm
Statik. Oa. Oo.
Pp. fest fest
D.pp. Fest; beim Augenschluss ein | Die Kranke kann die Zehenstellung
Vorwärtsfallen. nicht einnehmen, da sie beim
besten Willen immer wieder auf
die Ferse zurückfällt.
P. dex. | Fest. Bei Augenschluss ein|Rechtsfallen.
Pendeln von links nach rechts
und umgekehrt. |
P. sin. Fest. | Linksfallen.
Gon. i. ant. 35—360, 23—250, Beim Heben ein Scandiren.
i. post. 250, 230,
Dynamik. | |
J.rctl. ; Grade, die Fussspitzen nach | Abweichen nach rechts. Beim
| auswärts gekehrt. | Gehen wird die rechte Fussspitze
' nach Innen gekehrt.
S. pp. Fällt auf dieselbe Stelle zurück. | Weicht von der Stelle ab.
S. p. dex. | Gradeaus, schwankend. Ein unüberwindliches Hinziehen
nach vorn. bis schliesslich,
| um das Gleichgewicht zu er-
| halten, das linke Bein auf den
Boden heruntergelassen wird.
Die ersten Sprünge erfolgen in
grader Richtung, dann aber bald
nach rechts, bald nach links,
immer kleiner werdend, bis end--
| lich das linke Bein auf die Diele
| gesetzt wird.
222 Stan. v. Stein: eier Gleichgewichtsstörungen bei Öhrenleiden.
Dynamik. | |
S. p. sin. , Gradaus. Mit grossen Sprüngen in diagonaler
| Richtung nach rechts mit
Rechtsfallen und Niederlassen
| ) des rechten Beines.
R. p. dex. | Rechtsum. Dreht sich auf| Keine volle Umdrehung in Folge
einer Stelle um. des Fallens nach rechtsrück-
wärts.
Linksum. Keine volle Uin- | Keine Umdrehung, Rückwärts-
drehung. fallen.
Linksum. Fast eine Um-| Keine volle Umdrehung, Fallen
drehung. nach links rückwärts.
Rechtsum. Fast eine Um- | Keine volle Umdrehung, Fallen
drehung. nach links rückwärts.
|
|
|
|
|
Seit dem 4. Novbr. 1893 bis zum 18. April 1894 wurden der Kranken
Cocaindämpfe eingeblasen. Die Gleichgewichtsstörungen nahmen um ein Weniges
an Intensität ab, das Gehen im Dunkeln geschah sicherer.
Flüsterspr. für das rechte Ohr ad conch., für das linke = 46cm.
Laute Spr. „p „ n »„ = 3m. =. 5 x = 7m.
Eine eingehendere Untersuchung konnte ich nicht machen, da die Kranke
ihre Hochzeit feiern wollte. Erst den 19. Novbr. 1894 consultirte mich wieder
die Kranke. Keine Graviditas.
Gehörfunction. Aur. dex. ‚ Aur. sin.
Luftleitung.
Flüsterspr. 5—10 cm 46 cm
Laute Spr. 7m '6,5m. Beim Schliessen des rech-
| ten Ohres ein starkes Brausen
| im linken Ohre, was sehr
störend wirkt und was eine
kleinere, als es in der Wirklich-
keit, Hördistanz giebt.
Politz. Acum. 25 cm 85 cm
24 V, schwach schwach
36 Dı besser rechts als links
Dieser Ton ruft eine dermaassen
unangenehme Empfindung
hervor, dass die Kranke den
Kopf schnell ablenkt und das
Gesicht verzerrt.
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 223
Gehörfunction. Aur. dex. Aur. sin.
Luftleitung.
Bis zum e 160 hinauf werden alle Töne
lauter rechts "als links gehört.
Von e hinauf 0.
König'’s Cyl.|0. Sogar das Anschlaggeräusch alle Töne bis 8192 ut?
wird nicht empfunden. |
Galton 0 7,4 (= ca. 6400 V.)
Knochenleitung.
Erhalten stärker für das linke Ohr als für das rechte.
Für A. dex. bis e 160 für A. sin. bis h 240.
Rinne’scher Versuch gelingt nicht in Folge eines zu langen Nachklingens des
Stimmgabeltones.
Statik. Oa. Oo.
Pp. fest fest
D.pp. fest Vorwärtsfallen
P. dex. Wackeln. Bei Augenschluss | nach links
nach 5 Sec. Fallen nach
links.
P. sin. Wackeln. Bei Augenschluss nach links
nach 5 Sec. nach links.
Gon. i. ant. 83—350 Beim continuirlichen allmäligen
Heben erfolgt der Sturz vor-
wärts zwischen 10—150. Darauf
wird das Heben sistirt, die Kranke
nochmals mit geschlossenen Au-
gen auf's Brett gestellt. Jetzt
wird das Brett wieder gehoben.
Definitiver Sturz bei 230.
i. post. 19—200 4—50
Dynamik.
Jt. rctl. ant. | Gradaus, sicher. Leicht wackelnd gradaus.
post. | Gradaus, unsicher. Etwas nach rechts.
S. pp. Leicht,bleibt nach dem Sprunge | Leicht, das Niederfallen plump,
auf demselben Flecke. geräuschvoll.
S. D. pp. ant. | Nach 2—3 Sprüngen folgt eine | Characteristische Labyrinth-
grosse Mattigkeit. sprünge.
post. | Gradaus, Schwachheit. = | Recht grade, nach ein paar
S. p. dex. ant.
post.
S. p. sin. ant.
Sprüngen Rück wärs fallen.
Zickzacksprünge, schnelle Er- |In einer Entfernung von 1m er-
müdung (erholt sich bald.) folgt ein Fallen nach links.
Zickzacksprünge, Ermüdung. |Rückwärtsfallen nach links.
Springt weiter und grader als |In einer Entfernung von ca. 2m
auf dem P. dex. ein Fallen nach links. |
224 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden.
Dynamik. |
S. p. sin. post. | Besser als auf dem P. dex. Beschreibt beim Springen eine
Spirale mit immer schneller fol-
genden und kleiner werdenden
: Sprüngen, bis endlich ein Fallen
nach rückwärts erfolgt.
| Manches Mal wird nur ein Theil
der Spirale beschrieben.
Fig. 5.
s = linke Schulter,
d= rechte „
a — Gesicht,
b = Rücken.
R. p. dex. |Rechtsum. Beim Hüpfen um |'Rückt noch weiter von der Stelle
die verticale Körperaxe ein); mit Fallen nach rückwärts
Ablenken nach rück-| ab.
wärts.
Linksum. Auf der Stelle. | Auf der Stelle.
R. p. sin. |Rechtsum. Auf der Stelle. | Verlässt die Stelle mit Ablenkung
nach rechts vorn.
Linksum. Beschreibt einen | Kein voller Kreis, verlässt die
Kreis mit Abweichen nach| Stelle, ein Sprung nach rechts,
links hinten. der andere nach links mit
Senkung des P. dex.
11. Fall. 13 J. altes Mädchen B.; 15. Febr. 1892. Nach rechtseitiger
Parotitis stellte sich eine totale Taubheit auf dem rechten Ohr ein. Kein
Schwindel.
Mit offenen Augen ist die Statik gut erhalten.
Bei Augenschluss:
D. Pp. — Ein Trampeln auf den Zehen bald nach hinten, bald nach vorn mit
schliesslichem Vorwärtsfallen.
P. dex. — Wackelt, verschiebt sich auf dem Beine nach links in Folge eines
Hinziehens nach links, Dabei wird der rechte Arm und das linke
Bein in die Luft gehoben, um das Gleichgewicht zu erhalten. End-
lich aber, um dem Sturze vorzubeugen, wird das linke Bein auf den
Boden gesetzt.
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 225
P. sin. --- Das Stehen fest.
Gon. i. ant, — 400,
i. post. — 300.
Beim Gehen ein Abweichen nach rechts.
Alle Bemühungen, das Gehör wiederherzustellen, blieben fruchtlos. Gleich-
gewichtsstörungen bestanden noch den 15. Mai 1892.
12. Fall. Schüler B., 11 J. alt, aus der Commertienschule; 10. März 1894.
Erkrankte den 9. März an Parotitis duplex. Es wurde Ungt. camph.
auf die geschwollenen Partien applicirt. Temp. = 38 Ab.
10. März. Beim Kauen leichte Schmerzen im rechten ÖOhre. Mm. tt.
ein normales Aussehen. Morg. — 37,80, Ab. — 36,80.
11. März. Schmerzen im Ohre geschwunden. Morg. = 36,70, Ab. — 37,70,
12. März Parotidengegenden nicht kleiner geworden. Morg. — 36,7°,
Ab. = 36,80. x
13. März. Morg. — 37,20. Im Laufe des Tages ein plötzliches Abschwellen
der geschwollenen Parotiden bis zur Norm mit darauf folgendem Erbrechen mit
Speiseresten (während des Tages) und Kopfschmerzen in der Stirngegend.
Ab. = 38,50. Mehrere Male Schwindelanfälle.
14. März. Morg. — 390, Ab. — 38,70. Am Abend untersuchte ich den
Pat. mit Herrn Collegen Sergiewsky nochmals. Mm. tt. bilateral normal.
Flüsterspr. über 6m. Beim Aufstehen vom Bette Schwindelanfälle: alle Gegen-
stände drehen langsam ihre Spitzen von links nach rechts und schnellen
darauf momentan in ihre verticale Stellung zurück.
Mit offenen Augen in der Zweibeinstellung ein Wackeln. .
Bei Augenschluss: Fallen nach hinten rechts.
Beim Stehen mit offenen Augen auf P. dex. oder P. sin. wird der Patient
bleich und fällt nach hinten.
Verordnet: Phenacetin, Diät, Instillationen von Cocaintropfen.
15. März. Morg. 37,30. Von diesem Tage an wurde die Temperatur
normal und die Gleichgewichtsstörungen verschwanden bei voller Wiederher-
` stellung des Gehörs.
18. Fall. Advocat B., 32 J. alt; den 20. Febr. 1893.
Anamnesis., Progressive Schwerhörigkeit besonders rechts seit 1886.
Seit 1890 ohne augenscheinliche Ursache eine plötzliche Verschlimmerung rechts
mit rechtsseitiger Otorrhoe.
Status präsens. Schwächliche Augen. Rhinitis hypertrophica mit
starker Injection der Schleimhaut. Pharyngitis lateralis. Kein Ohrensausen;
selten in Aur. dex. ein Pulsiren. Kein Schwindel. Anstrengende Kopfarbeiten
verschlimmern den Zustand der Ohren nicht.
Aur. dex.‘ Meatus aud. ext. voll Eiter und in Folge consecutiver Eczema.
verengt. Otitis med. pur. perforativa. Tuba frei.
Aur. sin. Trommelfell eingezogen, an der Peripherie verdickt, Lichtkegel
auf einen Lichtpunkt reducirt. Tuba frei.
226 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Öhrenleiden.
Das Gehör. Aur. dex. Aur. sin,
Luftleitung.
Flüsterspr. | 0 | 8m
Laute Spr. | ad conch. |
Politz. Acum. 2 cm |
32 | 0 |
C 64 | 0
c 128 | 0 Alle Töne gut.
c1256 laut |
Hinauf alle Töne bis |
Galton 3 (ca. 10240 V.) |
König 20480 Mi8
| Knochenleitung.
Weber Vertex + à
Knochenleitung verlängert.
|
Rinne 128 u. | weiter hinauf —
En | Oa. Oo.
fest Wackeln mit Hinneigen nach
| | rechts.
D. pp. | fest Ein Steigen und Sinken auf den
Zehen od. Trampeln mit schliess-
lichem Vorwärtsfallen.
P. dex. fest Leichtes Wackeln.
P. sin. fest fest
Gon. i. ant. 350 350
Dynamik.
J. retl. Geradaus Geradaus
R. p. dex. Gleichmässig, voller Kreis | Rechtsum — schwer, ungleich-
mässig, pausirt, balancirt in der
Luft mit den Händen.
Linksum — etwas besser, aber
dennoch mit Pausen.
R. p. sin. Wie P. dex. 'Rechtsum — macht eine Um-
3 drehung mit balancirenden Hän-
den, aber ohne das Bein zu
senken.
Linksum — kann keine volle
Umdrehung machen, das rechte
Bein wird immerfort niederge-
lassen.
Es tritt schnell eine Ermüdung ein.
14. Fall. Dienstmann K., 30 Jahre alt; 4. Oct. 1894. Ist ungefähr ein
Jahr auf dem linken Ohre taub. Im Herbste 1893 glitschte er aus und fiel mit
der Schläfengegend auf einen Eckstein. Eine Zeit lang lag er besinnungslos.
Darauf stand er auf und ging nach Hause. Er blutete aus dem linken Nasen-
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 227
loche und: er taumelte in Folge von Schwindel. Den nächsten Tag begab er
sich in’s Hospital. wo ihm ein Eisbeutel auf die kranke Kopfseite verordnet
wurde. Die ganze Woche hindurch blutete er aus der linken Nasenhälfte. Augen
früher gut. Aus dem Krankenhause konnte er nur mit grosser Mühe nach Hause
gehen: er konnte nicht geradeaus .gehen, taumelte in einem fort und wurde
bald nach der einen, bald nach der anderen Seite geschleudert. Alle Gegen-
stände zitterten und er konnte auf ca. 50 Schritt einen Menschen nicht erkennen.
Der taumelnde Gang besserte sich mit der Zeit bis zum jetzigen Zustande.
Auf dem Trottoire kommt er in Collision mit anderen Fussgängern. Das
linke Bein ist etwas schwächer geworden, und er stolpert in Folge dessen öfters,
Kniephänomen erhalten. Das linke Bein ist nicht magerer geworden. Hand-
schrift unverändert.
Auf dem linken Ohre hat er vor neun Jahren eine durch eine Öhrfeige
bedingte Otitis purulenta durchgemacht. Seitdem war er schwerhöriger. Im
Dunklen ist das Gehen schwierig. In den Augen hat Dr. Adelheim eine
Paresis des Musc. recti interni sinitri (rsp. paresis partialis n. oculomotorii)
constatirt. Der Schwindel ist theilweise durch die Diplopia bedingt. Ob die
Parese durch eine periphere oder centrale Ursache bedingt ist, ist schwer zu
entscheiden. Wahrscheinlich war eine Fissura Basis cranii vorhanden.
Rhinitis catarrhalis, sonst nichts besonderes. \
Gehörprüfung.
Aur. dex. normal. |
Aur. sin. M. t. getrübt, eingezogen, Handgriff verkürzt, pr. brevis gut
ausgeprägt. Auf der Grenze der zwei unteren Quadranten eine dreieckige Narbe.
Tuba frei.
Flüsterspr. 0. Laute 0, Politzer’s Acumeter kaum, C, 32 — Zittern, C 64 --
Zittern, c 128 — Zittern, ce 266 — sehr schwach ein Ton, c 512 — fast ebenso
laut, wie rechts. Alle Töne bis Galton 3,7 (ca. 9300 b) und König 20480 Mi.
Stimmgabelnvertex werden alle rechts lateralisirt.
Statik. Oa. Oo.
Pp. fest Schwankt, es scheint ihm, als ob er
nach rechts hingezogen wird.
D. pp. fest Unüberwindliches Vorwärtsfallen. Beim
Stehen auf den Fersen ebenfalls ein
| Vorwärtsfallen.
P. dex. fest a) Jetzt werden die Augen geschlossen:
ein Fallen nach rechts vorwärts.
b) Kann bei Augenschluss nur mit grosser
Mühe das linke Bein etwas heben,
um es sogleich auf die Diele wieder
niederzulassen. 22
228 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden.
Statik. | Oa. O0.
P. sin. fest a) Erst Einbeinstellung bei offenen Augen.
| | Jetzt werden die Augen geschlossen.
Pendelt ein paar Mal hin und her,
um schliesslich dennoch nach rechts
vorwärts zu fallen. Um das Gleich-
gewicht zu erhalten, wird das rechte
Bein in die Luft gehoben, aber ver-
geblich.
b) Steht eine Zeit laug bei Augenschluss
mit geschlossenen Beinen. Jetzt wird
das rechte Bein bis zu 906 im Knie-
gelenke geknickt undin dieser Stellung
länger gehalten als das linke beim
Rechts-Beinstehen.
Gon. i. ant. 370 320
i. post. 210 910
| Beim leisesten Heben hüpft er stark in die Höhe und greift mit
den Händen herum, einen Stützpunkt suchend.
Dynamik.
J. retl. Gradeanus. Schwankt und weicht nach rechts.
D. pp. | Beim schnell. Sichsetzen Beim Hucken schwankt und zittert er;
| (Hucken) und Heben mit grosser Mühe, als ob er eine Last
behauptet das Gleich-! hebt. steht er auf und weicht nach
gewicht. | links vorne. Beim schnellen Nie-
| dersetzen wird der Rumpf nach
i hinten gebeugt mit Rückwärts-
| i fallen. E
Geradeaus. ‚, Labyrintbsprünge. Erst 3 bis 4 grosse
Sprünge in gerader Richtung, dann
folgen ein paar kleinere, endlich hüpft
I er bald nach rechts, bald nach links
i und meint dabei, dass er vorwärts hüpft.
post. Geradeaus, ‚Schwankt, aber hüpft geradeliniger.
S. p. sin. ant. Geradeaus. © Weicht mit Zickzacksprüngen nach
rechts, ohne auf einem Platze zu
taumeln, ab.
S. p. dex. ant.
post. Geradeaus. Hüpft in gerader Richtung.
R. pp. Dreht sich sicher auf Die Beine werden gespreizt, und er weicht
einer Stelle. | von der Stelle ab.
eineUmdrehung, ohne; berührt fortwährend die Diele mit dem
das linke Bein zu: linken Beine.
|
R. p. dex. Rechtsum — machte Weicht immerfort von der Stelle ab und
senken.
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 229
Dynamik.
R.p.dee. |Linksum -— dreht| Ohne Zuhilfenahme des P. sin. kann er
sich auf einer Stellel keine Umdrehung machen, verlässt die
um. F | Stelle. Die Bewegungen sind sehr ver-
langsamt, erfolgen stossweise.
R. p. sin. 'Rechtsum — fest auf | Verlässt die Stelle, ohne das rechte Bein
einerStelle,Schwindel- | kanv er keine volle Umdrehung machen.
gefühl nach rechts. -
Linksum — fest, re- Langsam, macht eine Umdrehung, ohne
gelmässig auf einer| zu oft mit dem rechten Beine die
Stelle. Diele zu berühren.
15. Fall. Doctor med. K., 39 Jahre alt; 15. November 1893. Der Herr
College K., ein gesunder und stark gebauter Mann, bat mich, sein linkes. schlechter-
hörendes Ohr zu untersuchen. Die Ursache des Leidens konnten wir nicht
eruiren. Nur eines haben wir festgestellt, nämlich, dass die Hörschwäche schon
mehrere Jahre existirte. Keine Geräusche.
Linkes Ohr: M. t. — schwach eingezogen, leicht getrübt, hauptsächlich
in den zwei oberen Quadranten. Hammergriff perspectivisch verkürzt. Licht-
kegel schwach.
Rechtes Ohr: M. t. — stärker milchig getrübt, noch mehr eingezogen,
Lichtkegel in Form eines verlängerten Punktes.
Gehörpräfung. Aur. dex, Aur. sin.
Luftleitung.
Flüsterspr. über 10 m. 2—4m. Post Catheteris. — 1m.
Cı 32 Schwach.
C 64 Noch schwächer.
c 128 Alle Töne sehr laut | 0
cl 256 und gut. Ein Summen.
c2 512 Schwächer als rechts.
c3 1024 Fast ebenso wie rechts.
Hinauf alle Töne bis
Galton 2,0 (ca. 10922) 2,0 (ca. 10922 V.)
König | 20480 Mi8 40960 Mi?
Politz. Ac. | über 10 m. 4m.
Weber Lauter rechts. |
c 128 vertex | |
u. Froc. mast. |
Kuochenleitung erhalten für alle Töne.
Gelle + | 4-
, K15. K10
Rinne c 128 [43 ve L 00`
aai K 8 K8
cl 256 TE Sec. To
K6 K5
c2? 512 —— Sec
Lu S Lg t
230 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden.
Statik. = Oa. Oo.
Pp. fest Leichtes Pendeln nach allen Richtungen.
D. pp. fest Schwaches Zittern.
P. dex. fest a) Jetzt werden die Augen geschlossen.
| Ein Zittern, Hinneigen nach links.
b) Etwas fester, bleibt auf der Stelle,
| balancirt mit den Händen und hebt.
| das linke Bein.
P. sin. fest a) Nach Augenschluss — rückt nach
links.
b) Neigen nach links ohne zu fallen.
Verlässt die Stelle, rückt auf dem Beine
bald nach links, bald nach rechts.
| Balancirt mit den Armen.
Gon. i. ant. 400 400
i. post. 170 170
Dynamik.
J. rctl. ant. Geradeaus. Geradeaus.
post. Geradeaus. Geradeaus.
S. pp. ant. Geradeaus. Leichtes Pendeln.
post. Geradeaus. Leichtes Pendeln.
. P- ta Sicher. Sicher.
. p. sin .
R. p. dex. |Rechtsum — auf der Bleibt auf der Stelle.
Stele.
Linksum — ebenfalls. Ebenfalls.
R.p.sin. |Rechtsum — bleibt Rückt nach links ab und balaneirt
auf der Stelle, aberi mit den Armen.
muss mit Armen und
rechtem Beine balan-
ciren.
Linksum — dasselbe. |Rückt nach rechts ab.
Den 12. Nov. 1894 suchte der Herr College K. mich auf. Unterdessen
trat eine Verschlimmerung ein. Ich erfuhr Folgendes. Ende April stellten sich
Schwindelanfälle ein; dieselben wurden von bleicher Gesichtsfarbe und kaltem
Schweisse begleitet. Im Juni wurden die Anfälle noch intensiver und traten
bei jeder schnellen Kopfbewegung oder Wendung nach links. Manchesmal
wurde er plötzlich von einer Kraft zur Seite, mit Brechneigung und Erbrechen
geschleudert. Allmälig nahmen die Symptome an Stärke ab. Juli, August
fühlte sich der Kranke ganz gut. Im September 1894 wurde er wieder plötzlich
schwindlig; die Schwindelerscheinungen wurden von einem Schlage in dem Kopf
begleitet. Den ganzen October empfand er jeden Tag oder sogar mehrere Male
am Tage vorübergehende Schwindelgefühle öfters mit Uebelbefinden und Schwäche-
gefühl. Das Bewusstsein wurde niemals getrübt. Beim Liegen im
Bette mit offenen und geschlossenen Augen hat er das Gefühl, als ob er in
einen Abgrund fällt. Das plötzlich auftretende Taumeln oder Stürzen wird
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 231.
durch einen Stoss bedingt. der von links nach rechts wirkt. In diesem
Momente macht der Kranke eine compensirende Bewegung nach links. Beim
Stehen empfindet er ein Gefühl von Taubsein in den Füssen, es scheint ihm,
als ob die Diele nicht da ist. Darum stampft er öfters des Tages mit Fersen
um zu hören, dass er eine feste Unterlage hat. Ermüdet die letzte Zeit sehr
schnell und empfindet eine Schwäche und Unsicherheit. Im linken Ohre ein
kaum merkbares leichtes Ohrengeräusch, welcher während der Insulte niemals
besonders intensiver war. Das Gehör hat sich bedeutend verschlimmert. Die
letzte Zeit hat der Herr College das Rauchen und Weintrinken aufgegeben.
Geistige Arbeit verschlimmert den Zustand.
Diagnosis: Morbus Menieri chronica leichteren Grades mit periodisch
auftretenden Insulten und progressiver Gehörverschlimmerung.
Gehörprüfung.
Die Hörschärfe des rechten Ohres unverändert.
Linkes Ohr. Luftleitung: C, 32, C 64, 90 V., c 128 — nicht gehört;
c1256 — ganz schwach, unklar, 512 c2 — als ein Klang eines gesprungenen
Gefässes. Hinauf werden alle Töne bis Galton 3,0 (cr. 10240 V.) und König’s
Cylinder 16384 ut8 percipirf. Flüstersp. — 0,1 — 0,15 m. |
Statik. | Oa. Oo.
Pp. | fest Kaum merkbares Fendeln.
D. pp. fest Leichtes Pendeln.
P. dex. fest Wackelt, rückt von der Stelle ab, manches
Mal berührt er die Diele mit dem
linken Beine.
Dasselbe.
ca. 440. Beim Heben wackelt, zittert.
und fällt nach vorn von Anfang an.
Ohne. Unterstützung erreicht er die
|
|
P. sin. | fest
Gon. i. ant. | 450 (besonders hoch)
440 nicht.
Dynamik.
J. rctl. ant. Geradeaus. Ein Abweichen auf 6,5m Distanz nach
rechts auf ca. 0,2 m.
post. (reradeaus. Ein Abweichen auf 6,5m Distanz nach
links auf ca. 0,2 m.
S. pp. ant. et post. Geradeaus. Ungefähr wie das Gehen.
S. p. dex. ant. Geradeaus. Abweichen auf 6,5m nach rechts auf
ca. 0,2 m.
post. Geradeaus. Abweichen auf 3m nach links auf
ca. 0,2 m.
S. p. sin. ant. Geradeaus. : Abweichen nach rechts auf 6,5 m auf
ca. 0,2 m.
post.| ° Geradeaus. Abweichen nach links auf 6,5 m auf
ca. 0,2 m.
R. pp. Gut. ó Gut.
232 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden.
Dynamik.
R. p. dex. iRechtsum — gut, auf Gleichmässig auf der Stelle.
| der Stelle.
Linksum — auf der Im letzten !/; des Kreises ein Stürzen
Stelle. nach links hinten mit Abweichung
von der Stelle auf ca. 0,1 m.
R. p. sin. Rechtsum — gut. Gut, auf der Stelle.
Linksunr — gut. Nach einem 1/4 Kreise ein Stürzen nach
links hinten mit Abweichen auf
ca. 0,1 m. l
Bis zum Neujahr wurden Cocaintropfen ins Ohr 2 mal instillirt und Cocain-
dämpfe 2 mal wöchentlich durch den Katheter eingeblasen. Das Resultat: All-
gemeine Sicherheit, keine schnelle Ermüdung, Schwindelerscheinungen sehr
schwach 1—2 mal die Woche, geistige Arbeit geht besser von Statten; Hör-
function unverändert; Gleichgewichtsstörungen in den Füssen besser.
16. Fall. S. Schl., 8 Jahre alt; 28. Sept. 1894. Wurde den 20. August
1886 bewusstlos geboren. Geimpft 3 Monate alt. Den nächsten Tag schwoll
die Stirnfontanelle an. Ein paar Tage darauf stellte sich ein Nackenkrampf ein
und der Hals war bei Berührung sehr schmerzhaft. Beim Consilium theilten sich
die Meinungen: 2 Aerzte erklärten die Krankheit als Abdominalthyphus und
die anderen 2 als Meningitis mit letalem Ausgange. Nur sehr langsam genas
das Kind. Der Nackenkrampf wurde immer schwächer und verschwand schliess-
lich ganz. — Ein Jahr 3 Monate eine leichte Pneumonie. — Fing sehr spät
an zu gehen und stürzte bis zu seinem 6. Jahre sehr oft hin. Wurde jeden
Sommer mit Salzbädern behandelt. — Im Vergleich mit seinen Brüdern und
Schwestern entwickelt er sicl sehr schwach. Im Winter 1892 hatte das Kind
einen Anfall des Nachts durchgemacht: es lag röchelnd mit unbeweglichen
Augen und klonischen Krämpfen. Gegen den Morgen verging der Anfall und
der Hausarzt. konnte keine Ursache finden. Seitdem wiederholte sich der Anfall
nicht mehr. (Ich denke, dass es einfach ein Alpdrücken in Folge des Schnupfens
war).
Nach dem letzten Anfall merkte man auch, dass das Kind schwerhöriger wird.
Status präsens. Anämisches schwach entwickeltes Kind mit einge-
sunkener Brust. Intellectuell sehr entwickelt. Kniephänomen erhalten. In
anderen Organen nichts besonderes zu notiren, die schnellen Bewegungen beim
Laufen sind plump. Im dunkeln Zimmer ist das Gehen erschwert.
Rhinitis hypertrophica bilateralis stark ausgeprägt. Adenoide Vegetationen.
M. t. rechts getrübt ohne Lichtkegel, links normales Aussehen. Tuben nicht
ganz frei. Vor der Entfernung der Rhinitis und Vegetationen hörte das Kind
die Flüsterspr. ad concham. Darauf wurde Coc.-Resor.- Tropfen verordnet,
ratheterisirt und bougirt. Die nächstfolgende Hörprüfung, nach der Kur unter-
nommen, welche aber ganz ohne Einfluss auf die Coordinationsstörung blieb,
ergab:
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 233
Hörprüfung. Aur. dex. Aur. sin.
Luftleitung.
Flüsterspr. 3—2,5 m. 4,5—5 m. |
Politz. Acum. 4 m. lm (ganz eigenthümlich).
14—60 V. 0 0
60 Hı + sehr schwach. + sehr schwach.
i Hinauf alle Töne bis
Galton 2,4 (ca. 10540 V.) 2,7 (ca. 10840 V.)
König 10240 Mi? 10240 Mi?
Knochenleitung.
Weber cl 256 — nach rechts |
Rinne + bis 512 c2 | + bis 512 c2
von 60 Hı.
Knochenleitung fängt von 60 V. an.
Keine Schwindelanfälle.
Statik. Oa. Oo.
Pp. fest Schwankt, neigt ngch rechts hin.
D. pp. fest Wackelt, wird nach vorn geneigt.
Wenn er aber sich erst mit off. Augen
auf D.pp. einstellt und dann die Augen
schliesst, so stürzt er nach hinten.
P. dex. fest a) Erst bei off. Augen. Nach Augenschluss
ein Sturz nach links hinten.
* |b) Bei Augenschluss.. Kann nicht das
linke Bein beben.
P. sin. fest a) Erst bei off. Augen. Nach Augenschluss
ein Sturz nach rechts hinten.
‘b) Bei Augenschluss kann er nicht das
‚rechte Bein heben.
Gon. i. ant. 33—340 27—260. Während des Steigens dreht
sich die linke Schulter nach vorn
und der Rumpf nach links hin, so
dass man ihn fortwährend geraderichten
muss. Bei einmaliger sehr langsamer
Kurbeldrehung fällt er nach vorn, so
dass man ihn immerfort auf das Brett
zurückstellen muss. Sogar bei Dreh-
ungen um 1/4—1/g des Kreises erfolgen
. Vorwärtsfallen. Besonders bemerkbar
ist dieses ruckweise Fallen bis 100,
s Darüber hinauf steht er schon sicherer.
i. post. 170 |170. Ruckweises Schwanken bis 100,
Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXVII
Während des Steigens kehrt die linke
Schulter nach vorn, die rechte
nach hinten mit gleichzeitigem Ab-
rücken des linken Fusses vom Stütz-
brettchen.
16
234 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden.
Dynamik.
Laufen. Geradeaus. Abweichen nach rechts.
J. rctl. ant. Leicht schwankend, Schritte ungleichmässig, Zickzackgang,
post. | geht geradeaus. dennoch erreicht er langsam das Ziel.
S. pp. | Geradeaus, bald schnell, | Labyrinthsprünge. 2—3 grosse Sprünge,
bald langsam. Das) dann folgen einige kleinere mit Ab-
linke Bein wird höher | weichen nach rechts und darauf ein
gehoben plötzliches Hinwerfen nach links
mit Spreizen der Beine. i
S. p. dex. ant. Gerade, leichte 2 grosse Sprünge und darauf ein un-
Zickzacke. überwindliches Stürzen nach rechts
vorn.
post. | Gerade. Der Fuss wird | Ungleichmässige Sprünge. Nach 1—2 m
bewegt bald nach ei-| ein Stürzen nach rechts hinten.
ner, bald nach der
anderen Seite.
S. p. sin. ant. | Gerade. Gleichmässig. | Leichtes Schwanken. Hüpft mehrere
Meter ohne zu fallen.
post. | Gerade. Der Fuss dreht | Die Sprünge unregelmässig. Nach 2—3 m
sich. M ein Stürzen nach rechts hinten.
R. p. dex. ‚Rechtsum-—-bleibtauf | Verlässt die Stelle, beschreibt einen
der Stelle. Kreis. ;
Linksum — verlässtdie | Kann nicht eine Umdrehung machen und .
| Stelle. fallt nach rechts vorn.
R. p. sin. |Rechtsum — verlässt | Sogleich wird das rechte Bein herunter-
, die Stelle. gelassen mit Stürzen nach. rechts.
Linksum -—. etwas | Dasselbe.
besser. ..,
17. Fall. J. S., Tischler, 26 Jahre alt; 6. Oct. 1893. Hört seit einem
Jahre auf dem linken Öhre schlecht, nachdem er sich in der Badestube er-
kältet hatte. Seitdem wird er von einem continuirlichen Geräusche sehr ge-
plagt und beim Vorwärtsbücken emptindet er Schwindel. Die Füsse transspiriren.
Rhinitis hypertrophica. Die Augen sehen gut. Allgemeiner Zustand leidlich.
Mm. tt. leicht getrübt, Lichtkegel verwischt. Tuben frei. Subjectives
Geräusch: bald ein Heulen, bald ein Zischen, Pfeifen.
Gehörfunction.
®
Aur. dex. — normal.
Aur. sin. Flüst. u. Laute Spr. = 0. Politz. Acum. = 0. Cı 32 ein Zittern,
C 64, c 128, c1 256 = (0. c? 512, c3 1024, c4 2048 = etwas hohes, kein Ton.
Galton — 4 (cr. 9216 V.), König — 8192 ut”.
Knochenleitung: alle Töne werden rechts lateralisirt; das linke Ohr
empfindet nur ein Zittern.
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 235
Statik. Oa.
Pp. fest
D. pp. fest
P. dex. fest
P. sin. fest
Gon. i. ant. 330
i. post. 280
Dynamik.
J. rctl. ant. Geradeaus.
post. Geradeaus.
S. pp. ant. Geradeaus.
post. Geradeaus.
S. p. dex.
ant. Geradeaus.
post. |
S. p. sin. ant. Cene
post.
R. pp. | Gleichmässig auf einer
Stelle.
R. p. dex. Rechtsum — fest.
Linksum — fest.
R. p. sin. Rechtsum — fest.
Linksum — fest.
Die Beine ermüden sehr schnell.
Bewegungen gut.
Oo.
Leichtes Schwanken.
a) Die Zehenstellung bei off. Augen ein-
genommen. Jetzt werden die Augen
geschlossen — Stürzen nach rechts
hinten.
b) Erst Augenschluss, Jian die Zeħen-
stellung: Stürzen nach rechts
hinten.
Stürzen nach rechts hinten.
Mit grosser Mühe wird das rechte Bein
gehoben. Kaum gelingt ihm dieses,
sofort fällt er nach rechts.
290
280
Abweichen nach rechts.
A n 9
n 2 ”
5 a- Beim Hüpfen
armaden sehr schnell die Beine und
nach 1—2 Sprüngen werden sie ge-
spreizt, wobei beim Niederfallen ein
Bein früher die Diele erreicht als das
andere.
Zickzackhüpfen mit Abweichen nach
rechts. Rückwärtshüpfen mit Ab-
- weichen nach links.
Fallen nach rechts.
Recht geradelinig.
Leicht schwankend. :
Kann eine voll@ Umdrehung nicht machen,
ohne das P. sin. hinunterzulassen ; ver-
lässt die Stelle.
Eine Umdrehung gelingt leichter und
schneller. Ä
‚Fallen nach rechts mit Verlassen der
Stelle.
Keine volle Umdrehung, naan wird
das rechte Bein heruntergelassen.
Die Arme vollführen alle
In diesem Falle manifestiren sich bei fast vollständiger Taubheit
des einen Ohres die Gleichgewichtsstörungen in der Richtung des ge-,
sunden Ohres.
16*
it
236 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden.
18. Fall. T., 31 Jahre alt; 2. Nov. 1894. Im 18. Jahre während an-
strengender Vorbereitungen zum Examen litt T. 3 Monate an Ohrengeräuschen,
die später schwanden. Im Jahre 1881 stellte sich im linken Ohre ein Geräusch
ein. Merkliche Hörschwäche wurde im Jahre 1884 festgestellt und seitdem
nahm dieselbe ohne Schwindelerscheinungen progressiv zu. Die letzten Jahre
erkrankte auch das rechte Ohr. Eine systematische Behandlung wurde niemals
vorgenommen.
Status präsens. Kein Schwindel. Mm. tt. leicht getrübt und einge-
zogen. Tuben frei. Im linken Ohre sind 2 Geräusche: 1) ein permanentes
Pulsiren, 2) ein zeitweise auftretendes. Im rechten ist nur ein Geräusch. —
Rhinitis catarrhalis.e
Hörprüfnng. Aur. dex. Aur. sin.
Flüsterspr. | 0- 0
Laute Spr. | 0,6 m ad concham.
Bis 60 V. garnichts.
60 Hı schwach | schwach.
Hinauf alle Töne bis
3,0 (ca. 10240 V.) 5,0 (ca. 8192 V.)
20480 Mi®8 20480 Mi8.
Knochenleitung erhalten für alle, angefangen mit 16—20 Schwingungen.
Weber — lateralisirt rechts.
Rinne — beiderseits negativ.
Gellé — negativ. ..
Galton
König
!
i
I
í
l
Statik: Mit offenen Augen normal; bei Augenschluss ein sehr schwaches
Schwanken und bei Zehenstellung ein Vorwärts fallen.
Gon. i. ant. 380; bei Augenschluss 260—300 mit ruckweisem Steigen.
i. post. 250; mit Augenschlus 250.
Dynamik — normal.
Hier haben wir eine Otitis media sclerotica mit sehr schwach aus-
geprägten Gleichgewichtsstörungen, welche wahrscheinlich durch erhöhten
Labyrinthdruck in Folge der Stapesankylose bedingt sind.
19. Fall. Doct. med. C., 50 Jahre alt; 3. Nov. 1894. In der Jugend litt
Patient an sehr starkem Schnupfen. Im Jahre 1876 bekam er, (wie er dachte),
rheumatische Schmerzen in den Füssen, die er durch heisse Bäder beseitigen
wollte. Eines Abends wurde ihm ganz schwarz vor Augen mit Schwindel-
erscheinungen. Sogleich wurden Blutegel ad anum applicirt. Die Nachblutung
dauerte die ganze Nacht hindurch. Dessen ungeachtet begab er sich zur Morgen-
visitation ins Hæpital. Wurde’ aber bald in Folge starken Schwindels nach
' Hause geführt. Die nächsten 8 Monate litt er an Schwere im Kopfe und ging
mit nach vorwärts gebeugten Rumpfe herum. Es wurde damals Anämie des
Gehirns diagnoscitirt. Allmälig besserte sich sein Zustand so weit, dass er
wieder als Militärarzt fungiren konnte. — Im Jahre 1879 hat der Patient be-
merkt, dass er beim Gehen zeitweise plötzlich zur Seite geschleudert wurde und
‘es bemächtigte sich seiner ein Gefühl von Unsicherheit und Angst, sobald er sich
auf breiten Strassen, leeren Plätzen und Brücken befand — also Agoraphobia.
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 237
Durch grosse Dosen Bromkalium (4,0 pro die) wurde dieser Zustand nur ge-
bessert. Im Jahre 1881 wurde das rechte Ohr etwas schwerhöriger. Syste-
matisch durchgeführte Lufteinblasungen stellten die Hörschärfe wieder her. —
Bis zum Jahre 1893 fühlte sich der Kranke relativ gut. Seit October 1893
stellte sich in der Scheitelgegend ein Läuten ein. Das zurseite Schleudern be-
unruhigte während des Gehens, Sitzens und beim “chreiben (Vorwärtsfallen mit
dem Kopfe). Im Januar 1894 kam es so weit, dass Doctor C. nicht einen
Schritt machen konnte. Beim Liegen im Bette schien es ihm, als ob die Füsse
in die Höhe gehoben wurden, und der Kopf in einen Abgrund hinunterstürzte.
: Aengstlich, bleich und im Schweisse gebadet griff er mit den Händen herum.
Seit Ende Januar bis März 1894 weilte er in einem Sanatorium für
Neurastheniker auf dem Lande. Sein Zustand wurde etwas besser. Im Sommer
als er einmal im Felde fuhr, empfand er eine dermaassen grosse Angst, dass
er vom Wagen abstieg und sich auf die Erde hinlegte. Im Herbste wurde das
rechte Ohr verlegt, und das Schlucken wurde von einem Knacken begleitet.
Es schien dem Kranken, als ob er immerfort auf einer schiefen Ebene 'herunter-
steige. Das einfache Catheterisiren während 3 Wochen (2 mal wöchentlich)
schaffte keine Linderung.
Status präsens. Im rechten Ohre ein schwaches Zischen, Pfeifen, Läuten
(beim Liegen). Während des Gespräches sind sie unhörbar. Manchesmal scheint
es ihm, als ob er sich im Walde befinde. In den Augen nichts besonderes.
Im rechten Ohre hat er das Gefühl eines Fremdkörpers, welches er fort-
während, mit dem Kopfe schüttelnd, entfernen möchte. M.t. dex. leicht getrübt;
Tuben frei.
Gehörprüfung. Aur. dex. Aur. sin.
Luftleitung.
Flüsterspr. 4m 10-12 m
Politz. Acum. lm 4—6n
16 Cu 0 gut
24—60 0 gut
90 kaum hörbar gut
Hinauf hörbar alle Töne bis
Galton 3,0 (ca. 10240 V.) ; 2,4 (ca. 10640 V.)
König 24578 sol8 dumpf 24578 sol8 laut
Knochenleitung
erhalten für alle Töne, ausgenommen 14 V. für das rechte Ohr.
Weber — unbestimmt, eher nach rechts.
1
Rinne — für niedrige Töne und mittlere negativ.
Statik. Oa. Oo.
Pp. fest fest
D. pp. fest schwaches Pendeln.
P. dex. fest ; Wackeln, Fallen nach links.
P. sin. nicht genug fest Pendeln.
Gon. i. ant. Et . 400 400, Leichtes Pendeln.
i. post. 27—280 210,
Dynamik ganz gut, ausgenommen das P. sin, welches während der Rotation
~ ein wenig einknickt.
238 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden,
Nach Cocain-Instillationen und Einblasungen von Cocaindämpfen, welche
vom 3. November 1893 bis zum Neujahr 1895 fortgesetzt wurden, besserte sich
sein Gehör rechts für Flüstersprache bis 10 m. Die Stimmung ist eine heiterere
geworden und die Bewegungen sicherer. Ich zweiflg dass dieser gebesserte Zu-
stand längere Zeit anhalten wird. |
Dieser Fall ist in der Hinsicht interessant, dass jedesmal nach der
Verschlimmerung des Ohrenleidens die Agoraphobie sich stärker mani-
festirte. Ausserdem stellte ich den Herren Collegen auf den Goniometer
während der Exacerbation seiner subjectiven Empfindung von grosser
Unsicherheit, er verhielt sich dabei ganz gut, nur zeitweise leicht pendelnd.
Dieses Verhalten und der Widerspruch zwischen subjectiven Empfindungen
und objectiven Symptomen spricht mehr für ein Gehirnleiden.
20. Fall. R., Kaufmann, 35 Jahre alt; 4. Dec. 1894. War sonst gesund.
1883 — weicher Schanker. Manchesmal abusus in baccho. War als Soldat ein
fixer Turner.
Den 24. März 1894 stürzte er im betrunkenen Zustande yon einer Höhe
bis 6m und fiel dabei auf die rechte Seite. Bewusstlos wurde er nach Hause
gebracht. Aus der rechten Nasenhälfte wurde coagulirtes Blut ausgeschneuzt.
Eine ganze Woche war er gezwungen, das Bett zu hüten, da er von starkem
Schwindel, Schwäche in den Füssen und Ohrengeräuschen im Kopfe geplagt
wurde. Es wurden ihm Eisbeutel, 6. Blutegel und Kal. jod. verordnet. Erst nach
13 Tagen war er so weit, dass er bei schwachen Schwindelerscheinungen und
_ mit Abweichen nach der Seite des rechten lädirten Fusses fester gehen konnte.
Suggilationes sanguinis waren nirgends zu sehen. Es war auch kein Ohrenfluss.
Den 14. April verliess er das Krankenhaus, um nach 2 Wochen, “Ende
April in dasselbe wieder einzutreten, weil sich von Neuem sehr starke Schwindel-
erscheinungen. taumelnder Gang, Schwarzwerden vor den Augen beim Heben
von Gegenständen von .der Diele, und continuirliches Ohrensausen im rechten
Öhre einstellten. Hier wurden grosse Dosen von Jodkalium und Quecksilberein-
reibungen verordnet. Es besserte sich der Zustand: die Schwindelanfälle schwanden,
das Ohrensausen und die Hörschwäche blieben unverändert. Ende Mai verliess
er das Krankenhaus. Auch jetzt noch wurde manchesmal sein Gang, aber ohne
Schwindel, taumelnd. — Der Patient setzte mit Pausen die Jodkaliumkur den
ganzen Sommer fort. In's rechte Ohr wurde Aether eingeblasen. Erst gegen
Mitte November 1894 wurde das Ohrensausen schwächer. Schwerhörigkeit in
status quo ante. Die letzte Zeit ist das Gedächtniss schwächer geworden. Der
Patient ermüdet jetzt schneller. Trinkt jetzt täglich nur 2—83 Flaschen Bier.
Im allgemeinen stark gebauter Mensch. Handschrift ganz regelmässig und
sicher. Kniephänomen gesteigert. Pupillen reagiren, aber rechts etwas stärker
als links. Schwaches Stottern, welches sich erst nachher einstellte. |
M. t. dex. leicht getrübt, Lichtkegel verwischt. M. t. sin. getrübt an
der Peripherie, Lichtkegel reducirt auf einen Lichtpunkt. Schwach ausgeprägte
catarrhalische Entzündung in Nase und Nasenrachenraum. Tuben frei.
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 239
Das Gehör.
Laute Spr.
Flüsterspr.
Politz. Acum.
14 V.
24
36 D;
60 Hı
60—288
288 di
426 al
Galton
Statik.
Pp.
D. pp.
P. dex.
P. sin.
Gon. i. ant.
i. post.
i. later. p. dex.
p. sin.
Aur. dex. Aur. sin.
Luftleitung.
0 r)
0 9,5 m
0 5,4m
0 Lärm
0 Brummen
0 Ton gut
0 gut
0 ;
hört mässig Hört alle Töne gut.
schwach |
Hôrt hinauf bis
4,0 (ca. 9216 V. dD. |
2,1 (ca. 10822 V.)
l Knochenleitung
links erhalten, rechts nicht. Lateralisirt alle Töne links.
08. Oo. s
fest fest
fest a) Zehenstellung bei Oa., dann Oo.:
Pendelt, zappelt mit Füssen nach
rechts hinten.
bJ) Erst die Oo., dann die Zehenstellung:
rückt erst seitwärts nach rechts
‘und etwas nach hinten auf Im
weit, dann stampft er auf einer Stelle
und weicht nach rechts hinten,
immer in der Zehenstellung verweilend.
fest, a) Rücktseitwärts nach rechts hinten
auf ca. Im ab.
b) Nach rechts etwas hinten auf
ca. 1’m. |
fest a) Nach rechts und etwas nach
hinten auf 1 m.
: b) Gleichgewichtsstörungen nicht mit ein-
mal; Abweichen nach rechts hin-
ten auf Im.
85—370 Das erste Fallen bei 210, das zweite bei
379, |
24—25 0 149,
24260 ” 450, »
836380 26-280,
240 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Öhrenleiden.
Dynamik.
de Toran Geradeaus. Geradeaus.
post. i
S. pp. ant. | Geradeaus — Sprünge |2—3 gleiche grosse Sprünge mit Ab-
ungleichmässig, lang-| weichen nach links, dann Stampfen
sam, als ob die Füsse | auf einer Stelle mit darauf folgenden
an der Diele kleben | schnellen Sprüngen nach rechts,
bleiben. von Neuem Stampfen an einer Stelle
mit Fallen nach rechts. Krampf-
artiges Abstossen der Füsse von: Boden.
post. | Hüpft geradeaus und |2 grosse Sprünge auf Im, Abweichen
fällt auf die Zehe zu-
rück. Im Momente des
Niederfallens beugt er
den Rumpf nach vorn.
Jeder nächstfolgende
Sprung wird kleiner.
nach rechts, Stampfen auf der
Stelle, Abweichen nach links, ge-
steigertes Hüpfen, eine Zahl kleiner
Sprünge und schliesslich Fallen nach
hinten. Während des Hüpfens wer-
den die Beine krampfhaft abgestossen
und gespreizt. Beim Niederfallen
knicken die Knie ein und der Rumpf
pendelt von hinten nach vorn und um-
gekehrt nach jedem Sprunge.
Geradeaus — mit kleiner | Auf 4m ein Abweichen auf 1m mit
werdenden Sprüngen.| Fallen nach rechts bei Zickzack-
hüpfen.
S. p. dex. ant.
post. | Dasselbe. Auf 2 m ein Abweichen auf 1,5 m, Laby-
rinthsprünge, wie oben mit Fallen
nach rechts hinten.
S. p. sin. ant. | Geradeaus .— gleich- | Auf 4m ein Abweichen auf Im nach
mässig beim leichten | rechts.
Kehren desFusses bald
nach rechts, bald nach
links, T
Geradeaus — mit immer Auf 2m ein Abweichen auf Im mit
kleiner werdenden Fallen nach rechts. Nach jedem
schwerfälligen Sprün- | Sprunge wird das rechte Bein herunter-
gen. Es bedarf eines! gelassen und dennoch kommt es zum
Nachdenkens, um zu Fallen.
hüpfen, als ob er an-
geleimt ist. |
| Be
post.
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 241
Dynamik.
R. p. dex. |Rechtsum—nachzwei | Nach dem ersten Sprunge wird die Stelle
Sprüngen verlässt er| verlassen, beschreibt einen unregel-
schon die Stelle, dann | mässigen Halbkreis im Hüpfen, mit
stampft auf einem | plötzlichem Abweichen nach rechts;
Platze und weicht mit] beschreibt darauf einen anderen Halb-
der rechten Schulter| kreis mit einem ca. 4mal grösseren
seitwärtsnachrechts| Radius, um schliesslich, seitwärts ab-
hinten. gewichen, zu fallen.
Fig. 6.
Linksum-—machtÜUm- | Beschreibt hüpfend einen Kreis vom
drehungen auf der! kleinen Radius und weicht dann seit-
Stelle. wärts ohne zu fallen ab.
R.p.sin. |Rechtsum — macht | Macht zwei Umdrehungen mit kleinem
leicht zwei Umdreh- | Abweichen nach rechts.
ungen auf der Stelle. |
Linksum —.nach einer | Fast auf der Stelle mit leichten Ab-
1/g Umdrehung weicht | weichungen bald nach einer, bald nach
nach rechtshinten| der anderen Seite.
ab und lässt das andere
Bein sinken.
R. pp. Rechtsum | auf der | Auf der Stelle.
Linksum J Stelle. |Hüpfend auf den Zehen, um sich umzu-
drehen, beschreibt folgende Figur:
Fig. 7.
21. Fall. S., Nähterin, 23 Jahre alt; 10. März 1894. Seit früher
Kindheit sah die Kranke öfters die Gegenstände doppelt. Ausserdem erinnert
sie sich, dass vom 5. Jahre während der Uebelkeit alle Gegenstände sich grün
färbten. Diese Erscheinung, welche auch bis jetzt fortdauert, wurde durch die
Anwesenheit von Ascariden erklärt. i
942 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden.
12 Jahre alt — Masern mit Otorrhoea sin., welche 11/2 Monate mit Schief- `
stellung des ganzen Rumpfes nach links dauerte. Während dieser Periode
(sie lag im St. Wladimir-Kinderhospitale) verfiel sie in einen somnolenten Zustand;
aber man liess sie nicht schlafen, sondern rüttelte sie fortwährend auf. In Folge
von Schmerzen hinter dem Ohr konnte sie sich nicht mit der linken Seite
auf's Kissen: hinlegen. Diese Schmerzen dauerten vom März bis Ende Mai,
zu welcher Zeit die Otorrhoe (Ausspritzungen mit Borsäure) sistirte und das
Gehör wiederkehrte. Bald darauf schwoll die linke Wange und die Zunge der-
massen auf, dass die Speisen mit Mühe in die Speiseröhre durchgestossen wurden.
Die geschwollenen Partien waren mit einem weissen Belage bedeckt und bluteten.
Eiter kam nirgends zum Vorschein. Allınälig gegen August schwand die An-
schwellung. Seitdem und bis zum Jahre 1893 fühlte sich die Patientin ganz
wohl und arbeitete viel.
Vom 14. Jahre an während anstrengender Arbeiten stellte sich zeitweise
ein Zittern und Doppelsehen der Gegenstände ein. 15 Jahre alt, brachte sie
sich in die Stirn zufällig einen sehr kräftigen Hieb mit unerträglichen
Schmerzen bei.
Zeitweise verspürte sie ein Läuten bald im linken, bald im rechten Ohre.
Ende Januar 1893 in Folge einer feuchten Souterrain-Wohnung erkältete
sie sich und bekam in der linken Kopf- und Halsseite Schinerzen. Den 24.
März 1893 manifestirte sich der erste Anfall, nach 3 Wochen ein zweiter, nach
1 Monate ein dritter. Darauf eine Pause bis zum 8. October. Die Anfälle
wurden häufiger, aber nahmen an Stärke ab. Ende November ein sehr starker
Anfall, nach drei Tagen zwei nacheinander mit einer Dauer bis 3 Stunden.
‚Sobald der Anfall vorüber war, nahm die Kranke sogleich ihre Arbeit auf. Im
December 1893 dauerten die Anfälle ein paar Secunden. |
Beschreibung eines Anfalles.
Vor dem Auftreten des Anfalles machen alle Schallempfindungen einen
Eindruck, als ob sie von weiter Ferne kommen, bald wie ein Waldgeräusch,
bald wie ein Brausen oder Rasseln, bald in Form von musikalischen Klängen.
Die Ohren sind wie verlegt; dieser prodromale Zustand dauert mehrere Se-
cunden. — Während des Anfalles sind alle Gegenstände grün gefärbt und
werden von Schwindelerscheinungen begleitet, ganz gleich, ob die Kranke sitzt,
geht oder liegt. Alle Gegenstände neigen sich von rechts nach links,
wobei dieselben nur ihre Spitzen zum Horizonte neigen, die Basis aber un-
beweglich bleibt. Ein vollständiges Umkippen mit der Basis nach vben ge-
schieht nicht. Gleichzeitig rotirt sich das Object nach links binten, auf
‚die Kranke fallend. Die Stärke der subjectiven Empfindungen ist proportional
der Grösse der Neigung. Jede Annäherung der verticalen Axe der Gegenstände
zum Horizonte wird von einem intensiven Schwindelgefühle mit-Uebelbefinden
und sogar Erbrechen begleitet. Ob die Gegenstände eine horizontale Lage an-
nehmen können, konnte die Patientin nicht bemerken, da sie, um den unange-
nehmen Empfindungen vorzubeugen, jedesmal die Augen schloss, Bei Augen-
‚schluss ist kein Schwindel. Wenn die Neigung nicht zu gross ist, so sieht die
Patientin, dass det Gegenstand in dieser Lage bleibt und vibrirt. Auch bei
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörangen bei Ohrenleiden. 243
schneller Bisgung nach links vollführen dieselben auch nebenbei zitternde Be-
wegungen. Diese Linksbewegung verursacht ein momentanes Stürzen des ganzen
Rumpfes nach links, wobei die Patientin, um Gleichgewicht zu behalten,
sich krampfhaft an den Stuhl, an das Bett oder an einen anderen Gegenstand
klammert. Das ist keine Scheinbewegung, sondern ich selbst habe gesehen, wie
der ganze Körper nach links geworfen wurde. Manchesmal im Anfange der
Erkrankung, wie die Kranke erzählt, wurde nur der Kopf allein nach links
gekehrt, wobei er pendelnde Bewegungen von hinten rechts nach vorn
links unten machte, wie ein Vogel, der mit dem Schnabel hackt. Wie in
"diesem Momente der Kopf auf Etwas gestützt wurde. so beruhigte er sich so-
gleich. — Während des Schwindels palpitirt das Herz stark und die Athmung
wird beschwert. Je stärker die Palpitation ist, desto grösser die Neigung.
Endlich folgen ein paar tiefe Seufzer und der Anfall ist vorbei. Ueber be-
sondere Mattigkeit konnte die Kranke sich nicht beklagen.
Begünstigeande Ursachen des Auftretens des Anfalles.
‘Schnelle Neigung des Körpers nach vorn beim Heben von Gegenständen,
plötzliches Umdrehen des Kopfes, Schielen mit den Augen, schnelles Gehen und
andauerndes Nähen, welches die letzte Zeit ganz unmöglich geworlen ist.
Während des Anfalles war das Gesicht bald bleich, bald roth.
Die letzte Zeit, 2—83 Tage vor dem Anfalle scheint es ihr, als ob eine
Kraft sie nach links ohne Schwindel stösst. Auf der Strasse beim Gehen
wird die Kranke nach links hingezogen und, wenn sie auf dem rechten
Trottoire geht, so fällt sie von ihm auf die Strasse mit leichtem Schwindel-
gefühle und stösst auf vorübergehende Personen zu ihrer grossen Entrüstung.
Die Kranke kann nichts Saures oder Salziges ohne Erbrechen geniessen;
Milch wurde auch nicht vertragen. Stuhlgang nur 1—2 mal wöchentlich; wurde
vom Anfalle begleitet, welcher mit Beendung schwand. Menstrua regelmässig.
Therapie: K Br.. NaJ, As, Elix. Hoffm. Im December 1893 bestand
folgender Zustand: Stuhl regelmässig, jede Speise wird genossen, die Anfälle
dauerten nur ein paar Secunden ohne Erbrechen. Ungefähr den 24. Januar
1894 stellten sich Stirnschmerzen, verhinderte Nasenathmung mit Drücken in
den Backenknochen ein; darauf folgten ein Zucken und Anschwellen der Augen-
lider, Taubsein in den Händen, Krämpfe in den Waden beim Liegen, die beim
Aufstehen und Herumgehen jedesmal schwanden. Continuirliche Schmerzen in
der linken Brustseite. Zeitweise stechende Schmerzen "im Sternum durch die
Brust hindurch bis zwischen die Scapulae. |
Untersuchung am 10. März 1893.
Mm. tt. leicht getrübt. Das Gehör sehr gut. Rhinitis hypertrophica
mässig. In den inneren Brustorganen und im Abdomen nichts besonderes; stark
anämisch. In der Region zwischen Musc. sternocleido-mastdideus und m. cuccu-
laris hat die Kranke die Empfindung, als ob Etwas nach hinten zieht und *
darum muss sie immer den Kopf nach vorn bücken. Die Bewegungen nach
hinten sind leichter. Beim Palpiren entsteht Husten.
244 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden.
Statik. Oa. i i O0. .
Pp. fest ı Kein Schwindel. Der Kopf scheint schwerer
als der Rumpf zu sein. Schwankend
wird der Körper nach hinten
links von einer Kraft gebeugt. Um
Gleichgewicht zu erhalten, werden die
Arme in die Luft gehoben.
D. pp. fest “Nimmt mit Mühe die Zehenstellnng ein
und zappelt mit den Füssen bald nach
hinten, bald nach vorn, bis schliesslich
! ' . ein Fallen nach vorn eintritt.
P. dex. Ä fest . Steht leicht pendelnd, Zittern in Knieen,
i ı schnelle Ermüdung.
P. sin. -` fest ° Dasselbe.
Gon. i. ant. 380 ohne Wackeln Stossweises Steigen mit Neigung nach
l
f | vorn, darauf plötzlich nach hinten, mit
| ‚ schliesslichen Stürzen nach vorn bei 280.
i. post. | 240 M
I
|
240 ohne Wackeln.
Dynamik.
. rectl. ant. ei
12 = fest, geradeaus | Fest und geradeaus.
i Jede schnelle Wendung:
wird von Schwindel
begleitet. 3
R. pp. |Rechtsum — leicht, | Glatt, gleichmässig, auf der Stelle.
schnell, gleichmässig.
Linksum— Schwindel Gut.
und ein Stossen nach
links mit- Brech-
neigung. Die Kranke
muss sich hinsetzen, |
dabei hält sie sich fest. |
17 J. alt merkte sie, |
dass während des Tan?
zens sich beim Drehen
nach links ein star-
ker Schwindel ein-
stellte; nach rechts |
konnte sie sich die
ganze Zeit drehen.
R. p. dex. |Rechtsum — glatt, | Gleichmässig, aber langsanı.
gleichmässig, eine
volle Umdrehung ohne
des’ P. sin. auf einer
Stelle.
Linksum — dasselbe, | Ein Neigen nach links hinten, eine
aber nicht so leicht. | Umdrehung auf der Stelle.
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 245
Dynamik.
R. p sin. |Linksum — wackelt, | Sehr langsam, neigt den Rumpf, keine
pausirt, eine volle Um- volle Umdrehung, Abweichen ‘von der
drehungmitMüheund | Stelle .mit Fallen nach links
mitAbweichen vonder | hinten.
Stelle.
Rechtsum— langsam, | Langsam, leicht wackelnd, volle Um-
2 gleichmässig. drehung auf der Stelle.
Um das Labyrinth als Ursache der beschriebenen Symptome auszuschliessen,
verordnete ich 30/ọ Cocaintropfen in die Ohren. Sobald die Tropfen eingegossen
wurden, so verfiel die Kranke in einen Schlaf. Nach 4 Tagen wurde der
Schwindel schlimmer. l
15. März. Dr. Adelheim hat eine Refractionsverschiedenheit und
Astigmatismus constatirt. Das rechte Auge sieht schlechter. Diplopie. Während
des Gehens ein Zittern der Gegenstände und Schiefstehen der Diele. Verordnet
Brillen. Das Zittern ist schwächer und das Gehen leichter geworden.
25. März: — Schwindel. 26.: Eine Kraft dreht nach links. Im linken
Ohre eine Schwere. Auf der Strasse wurde Patientin dermaassen nach links hin-
gezogen, dass sie vom Trottoir auf die Strasse hinstürzte. — 27.: Das Arbeiten
mit Brillen ist leichter, ohne sie ist alles in Rauch gehüllt. 29.: Das Zusammen-
ziehen im linken Cuccularis ist geschwunden. Nach einstündigem Arbeiten ein
Hinziehen und Stossen des Kopfes nach hinten.
6. April. Das linke Brillenglas gewechselt. Schiefstellung der Diele
ist besser. Nasenathmung unmöglich. Temporalschmerzen. — 7.: Morgens alle
Gegenstände grün gefärbt. Rückwärtsziehen des Kopfes. Beim Schnauben
Schwindel. '
8. April Leichter Schwindel, ein dunkler Flecken im rechten Auge.
Cauterisirt die linke Nasenmuschel. Athmung besser.
9. April. Schwanken des Ruınpfes, Kopfschmerzen in der Temporalgegend.
Kein Rückwärtsziehen des Kopfes. Bei Kopfneigung ein Wackeln.
10. April. Sol. arnicalis Fowleri. Dr. Adelheim erklärt die noch
existirenden Schwindelerscheinungen abhängig von der Anämie. Gehör sehr gut.
12. April. Cauterisirt die rechte Muschel. In beiden Augen dunkle
Flecke. Unsicherheit beim Gehen.
13. April. Schwankender Gang, welcher den 14. noch stärker wurde.
15.: Schmerzen in der ganzen linken Kopfhälfte, beim Schwanken ein starkes
Pendeln und Geräusche in den guthörenden Ohren, dunkler Flecken im linken Auge,
starker Anfall mit Schwindel, Uebelkeit, Gähnen, Schmerzen in den Füssen und
grosse Mattigkeit.
16. April. Starkes Taumeln, Krämpfe in den Füssen, Ohrgeräusch.
17. April. Allgemeines Befinden gut, nur Schmerzen in den: Beinen.
Die Nasenathmung wurde besser. Ein Schwanken im allgemeinen Zustande
dauerte bis zum 26. April, als Liq. ferri albuminati verordnet wurde. Schon
den 5. Mai nahmen alle Symptome an Intensität ab. Ende Mai konnte die
Kranke ganz sicher gehen, nähen und lesen ohne Schwindelerscheinung. Öhren-
246 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden.
geräusche schwanden. Die Statik und Dynamik waren ganz gut. Sobald aber
die Brillen abgenommen wurden, so stellte sich sogleich ein Zittern der Gegen-
stände und Unsicherheit in den Bewegungen ein. Die Gesichtsfarbe wurde
rosig und die Gemüthsstimmung- heiter. Das letzte mal sah ich die Kranke
im September 1894.
In dem geschilderten Falle war ein Theil der Gleichgewichts-
störungen durch die Augen, .der andere durch Anämie bedingt worden.
Ob hier die Anämie des Labyrinthes allein (und nicht des Gehirns auch)
die Hauptrolle spielte, muss einstweilen dahingestellt werden. l
22. Fall. Doctor med. M., 44 Jahre alt; 6. Sept. 1894. Die sebr
interessante Krankengeschichte ist theilweise vom Herrn Collegen selbst nieder-
geschrieben.
Die Eltern und Geschwister hatten kein Ohrenleiden, nur cine ange-
borene Schwäche des Sehens, meistentheils rechts. Bruder 43 J. und Schwester
46 J. alt sind an einem Herzfehler gestorben; die zweite Schwester 42 J. alt
ist einer Pleuro-Pneumonia chr. erlegen. Die noch am Leben gebliebenen Ge-
schwister sind schwächliche anämische Personen. Unser Patient hat in der
Jugend Typhus recurrens und Bronchitis mit Haemoptysis durchgemacht. Die
letzte Zeit litt er öfters an starken Kopfschmerzen ohne Brechneigung, Erbrechen
und Fieber. Keine Lues.
Gegen das Jahr 1887 stellte sich in Folge angestrengter Arbeit und
moralischen Erschütterungen eine allgemeine Nervenschwäche mit Hyperaesthesia
acustica und Gleichgewichtsstörungen beim Stehen und Gehen, besonders im
Dunkeln, mit Augenschwäche und lancinirenden Schmerzen in Reg. temporali sin.
ein. Kniephaenom normal. Das Romberg’sche Symptom fiel negativ aus. Für
den Sommer wurde der Herr College von Prof. Eichwald in Petersburg an
den Strand nach Dubbeln geschickt. Hier holte er sich bald in Folge eines
acuten Schnupfens eine Otitis medja catarrhalis sin., begleitet von Gehörschwäche
und einem leichten .Brausen und Läuten. Locale Therapie blieb erfolglos.
Im Herbste 1887 wurde von Prof. Prussak und Wreden dieselbe
Ohraffection auch rechts constatirt; Prof. Merzejewsky hielt das ganze
Leiden für eine Neurasthenie.
Im November 1887 war die Hörschärfe für Conversationssprache bis circa
2m reducirt.
Im December 1887 erklärte Dr. Baginsky in Berlin die Ohraffection
für eine Neurasthenie und verordnete Mastcur mit Einpackungen. Der Zustand
wurde noch schlechter. Prof. Mendel versuchte vergebens das Hypnotisiren.
Ausserdem verordneten Prof. Mendel und Prof. Eulenburg Kal. jod. und
den galvanischen Strom (Anode auf den Proc. mast., Kathode auf den Rücken).
Das Gehör nahm rapid ab. Dr. Jacobson erklärte das Ohrenleiden für eine
Labyrintherkrankung. 3
Ende December 1887 war Dr. Mandl beinahe schon taub. In Paris
diagnostieirten Dr. @elle und Prof. Charcot im Winter 1888 eine Ankylose
der Gehörknöchelchen und eine Infiltration der Papillen. Daraufhin wurden
Frictionen 8,0 pro dosi und 1,5 Kal. jod. täglich, point de feu in der Occipital-
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 247
region, Einblasungen von 100/9 Aether jodoformique verordnet. Diese Cur,
2 Monate pünktlich durchgeführt, blieb resultatlos.
Den Sommer verbrachte der Patient auf dem Lande.
Ende 1888 consultirte Dr. Mandl die Prof. Gruber und Urbantschitsch,
welche nach mehrfacher Prüfung eine Erkrankung der nn. acustici, wahrschein-
licher aber der akustischen Centren diagnosticirten. Prof. Reuss fand die
Augen gesund, verschrieb Brillen convex 1,25, mit deren Hilfe die Sehschwäche
beseitigt wurde. Prof. Benedict nahm die Erkrankung der Anfangstheile
der nn. acustici an. Durch Behandlung mit der Franklinisation besserte sich das.
Gehör für Geräusche und Zahlen, Ohrengeräusche und -läùten wurden schwächer.
Ex consilio mit Prof. Gruber wurden versuchsweise 24 subcutane Injectionen
mit Strychnin. nitric. gemacht. Die subjectiven Geräusche nahmen an Inten-
sität ab. Darauf rieth Prof. Meynert nach Hause zu reisen und -daselbst
forcirte Ernährung durchzumachen. Dr. Mandl zog aufs Land und probirte
erst die von Prof. Politzer vorgeschlagenen Pilocarpininjectionen. Nach 8
Injectionen trat eine allgemeine Schwäche mit Gehörverminderung ein. Darauf
nahm er seine Zuflucht zum Arsenik. Nach 21/2 monatlicher Anwendung stellten
sich vom Neuen hartnäckige Schlaflosigkeit, Zittern in den unteren Extremi-
täten und Kopfschmerzen ein. Das Resultat war eine geringe Besserung des.
Gehörs für Geräusche, Zahlen und einige musikalische Töne. Die nach 21/2 monat-
lichen Pause wiederholte Arsenkur war auch dieses Mal von der obengeschilderten
Nebenwirkung begleitet. Die von Prof. Benedict vorgeschlagene Strom-Alter-
native schwächte nur die Geräusche.
Im Januar 1890 besuchte Dr. Mandl wieder Wien, wo Prof. ee
und Urbantschisch bei der früheren Diagnose verharrten ; derselben Meinung
waren Kraft-Ebing, Obersteiner jun. und Beniedict, welcher wieder
die Electrieität aber ohne Erfolg versuchte. Im Sommer 1890 Schwefelbäder
(290 R.) in Kemmer gleichzeitig mit Un. ciner. (4,0) und Kal. jod. (1,5 pro die).
Die antisyphilitische Kur wurde in Folge der Verschlimmerung nach. 15: Ein-
reibungen nicht mehr fortgesetzt. — Das Jahr 1891 verlebte der Kranke auf
dem Lande. In Folge von traurigen Familienverhältnissen verschlimmerte sich
die Krankheit.
Im Jahre 1893 wurden Injectionen von Pehl’s Spermin gemacht: das:
Sehvermögen besserte sich dermaassen, dass 2 Monate die Brillen entbehrlich
waren, der Gang, besonders des Tages, wurde bedeutend sicherer, aber das Ge-
hör besserte sich nicht.
Status präsens.
Gut gebauter, im allgemeinen gesunder Mensch. Amblyopia congenita, -
Presbyopie. Mm. tt. leicht getrübt. Tuben frei. Ein continuirliches Ohren-
geräusch des Tages, aber nicht des Nachts. Sogar nach dem Erwachen ist.
es nicht immer hörbar. In horizontaler Lage verschwindet es. Die sub-
jectiven Empfindungen haben an Intensität abgenommen. Das Ohrengeräusch
und das Ohrenklingen exacerbiren periodisch mit dreitägigem Typus: den ersten
Tag ist Anfangs nür ein schwaches Ohrengeräusch und Ohrenklingen wahr-
nehmbar; gegen Abend wird das Klingen stärker und unangenehmer. Den 2.
Tag tritt besonders das Ohrenklingen hervor; am 3. Tage erreicht es solche
Intensität, dass der Kranke nirgends Ruhe finden kann und geradezu glaubt, den.
/
248 ‚Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen: bei Ohrenleiden.
Verstand zu- verliereu. Diese Periodicität wiederholt sich Tag ein, Tag aus
Jahrelang. Ein metallisches Ohrenklingen bei Augenschluss und Augenöffnen,
auch bei verschiedenen Bewegungen ist schwach ausgeprägt. Das Knistern im
Schlaf ist schon seit 3 Jahren geschwunden. Der Schlaf wird nicht von 11 Uhr
bis 3 Uhr Morgens gestört.
Geruch und Geschmack gut erhalten. Kein Schwindel. Handschrift un-
verändert. Kniereflex eher etwas geschweift. Keine Kopfschmerzen. Hebt gut
die Gegenstände von der Diele. Knöpft den Rock leicht zu. Steht vom Stuhle
schnell aufund geht geradeaus; nachdem mehrere Schritte gemacht sind, merkt man
ein schwaches Taumeln. Der Kranke wird beim Gehen bald müde, und fängt
dann stärker zu taumeln an. Des Abends ist das Gehen unsicher und erschwert.
Des Morgens ist das Gehen und Stehen bei Augenschluss sicherer, als gegen
Abend.
&ehörprüfung:
Gehör für Rede und Musik total verloren. Dafür aber werden die leisesten
und mannigfaltigsten Geräusche (Sägen, Knistern, Kleiderputzen, Tick-Tack der
Uhr, Klingeln u. s. w.) sehr gut gehört. Von allen Tönen hört nur das rechte
Ohr folgende: c 128 sehr schwach, als Ton 10240 Mi?. Die Töne werden em-
pfunden als Geräusche, Zischen, Dröhnen, Blasen.
Statik. | Oa. Oo.
Pp. Recht fest. Leichtes Wackeln.
D. pp. Nach mehreren Bemüh- |a) Nach Augenschluss — Vorwärts-
ungen gelangt er in fallen.
die Zehenstellung und | b) Sobald er sich hebt, fällt er wieder
behauptet sie. auf die Ferse zurück. Sobald er aber
in die Zehenstellung gelangt, fällt er
a nach vorn.
P. dex. Steht ein paar Secunden | Sobald das linke Bein gehoben, so folgt
und lässt das linke! ein Fallen nach links.
Bein nieder, |
P. sin. Dasselbe. Dasselbe, Fallen nach rechts.
Gon. i. ant. |300. 90, Ruckweises Steigen.
i. post. | 290. 70.
Dynamik. i
J. rctl. ant. | Geradeaus taumelnd. | Geringes Abweichen nach rechts.
post. | Geradeaus taumelnd. |Geringes Abweichen nach links.,
S. pp. ant. | Macht ein Sprung, dann | Hüpft nur auf der ganzen Fusssohle;
pausirtu.s.w.Mehrere | Sprünge geräuschvoll, ungleichmässig,
Sprünge kann er nach-| noch plumper und beim Niederfallen
einandernichtmachen, ein Sturz nach hinten. Die Beine
sie fallen plump, un-| werden gespreizt. Labyrinthsprünge
gelenkig aus. Beim | krampfhaften Characters mit Vorwärts-
Niederfall.einWackeln | stürzen. |
von einer Seite zur an-
deren. Greift herum
mit den Händen.
Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrerleiden. 249
Dynamik.
S. pp. post. Beim Rückwärtshüpfen | Nach einem grossen Sprunge bückt er
S. p. dex.
S. p. sin.
R. p. dex.
R. p. sin.
werden erst2—3grosse
Sprünge auf 1m mit
Gleichgewichtverlust
gemacht. Dann folgen
ö—6 kleinere Sprünge
ohne Geräusch und
Gleichgewichtverlust.
Plump auf die Sohle,
ungleichmässig, Zick-
zack, Balanciren mit
den Armen. Mitjedem
Sprunge wird das Knie
immer mehr und mehr
gebogen und der ganze
Rumpf nähert sich der
Diele.
Abweich. nach rechts
trotz aller Bemüh-
ungen.
Rechtsum — volle
Umdrehung mit Fort-
rücken von der Stelle.
Linksum — leichter,
gleichmässiger mit ge-
ringerem Abweichen.
Linksum -— volle Um-
drehung mit starker
Neigung des Rumpfes
und Fortrücken.
erst den Rumpf nach vorn, sodann
nach hinten, mit nachfolgenden
immer kleiner werdenden Sprüngen.
Plump, Abweichen nach links, Hüpfen
mit Pausen und mit Senkung des
linken Beines.
Abweichen nach rechts.
Fällt nach rechts hinten auf beide
Beine. ;
Keine Umdrehung in Folge des Nieder-
lassens des linken Beines mit Stürzen
nach hinten.
Keine Umdrehung. Nach dem Sprunge
stürzt seitwärts nach links hinten
(muss aufgefangen werden).
Rechtsum-—-dasselbe. | Eine Umdrehung nicht auf der Stelle.
Bei Verstärkung der Ohrengeräusche werden die Gleichgewichtsstörungen
intensiver.
Diese letztere Erscheinung, so auch die Polymorphie der Coordi-
nationsstörungen bei Abwesenheit von anderen Centralleiden sprechen
mehr dafür, dass Dr. Mandl’s Ohrenleiden durch die Affection des
peripheren Endapparates bedingt ist.
Die Untersuchung Ohrenleidender auf Gleichgewichtsstörungen ist
von Bedeutung bei Beantwortung von medicinisch-forensischen Fragen.
In einem Falle, wo ein Eisenbahnarbeiter eine Quetschung des Kopfes
Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXVII.
17
250 G. Brunner: Zur diagnost. Verwerthung der oberen und unteren
mit nachfolgender (wie man dachte) simulirter bedeutender Hörschwäche
erhalten hatte, wurde von der Eisenbahngesellschaft die Entschädigung
zurückgewiesen. Bei der Untersuchung wurden sehr intensive Gleich-
gewichtsstörungen constatirt. Schon dieser Zustand allein machte den
Menschen unfähig, Arbeiten zu verrichten. In diesem Sinne habe ich
mejne von mir geforderte Expertise dem Gerichte eingereicht. Darauf
hin erfolgte die Resolution, dem verstümmelten Arbeiter die geforderte
Entschädigung einzuhändigen.
Die von mir untersuchten Fälle stammten theilweise aus meiner
Privatpraxis, theilweise aus dem Ambulatorium der Hospitalklinik des.
Professor Ostroumow, und theilweise wurden sie mir von Professor
Dr. Roth und Dr. Korniloff zugesandt. Ich erfülle nur eine angenehme
Pflicht, indem ich den Herren Collegen hier meinen herzlichsten Dank
für ihr freundliches Entgegenkommen ausspreche.
XIV.
Zur diagnostischen Verwerthung der oberen
und unteren Tongrenze, sowie des Rinne’schen
und Schwabach’chen Versuches.
Von Gustav Brunner in Zürich.
Der Redaction zugegangen Anfang August.
Bei der grossen Bedeutung obiger Untersuchungsmethoden scheint:
es mir zweckmässig, dass die damit gewonnenen Resultate von recht.
vielen Seiten nachgeprüft werden. In diesem Sinne mögen die folgenden
Beobachtungen, die sich vor der Hand nur auf 100 Fälle beziehen,
einen bescheidenen Platz finden in voller Anerkennung der grossen Ver--
dienste, die sich Bezold, Lucae u. Andere in dieser Sache erworben
haben. | = u at
Noch immer sind die Vorgänge bei der craniotympanalen Leitung,
welche ich mir erlauben werde, kurzweg als Knochenleitung (K. L.)
Tongrenze, sowie des Rinne’schen und Schwabach’schen Versuches. 251
zu bezeichnen, nicht genügend aufgeklärt, sowohl was den Weg als die
verstärkenden Momente betrifft, doch mehren sich die Stimmen derjenigen,
welche in ihr einen von der gewöhnlichen Schallleitung verschiedenen
Vorgang erblicken. Auch ich möchte mich zu dieser Ansicht bekennen,
d. h. zu der Ansicht, dass bei der K. L. im Gegensatz zur gewöhnlichen
L. L. die molecularen Schwingungen die Hauptrolle spielen; nur so ver-
mag ich mir die klinischen Beobachtungen ungezwungen zu erklären,
welche zur Evidenz zeigen, dass die Präponderanz der K. L. am deut-
lichsten da hervortritt, wo der Mittelohr-Apparat defect und die gewöhn-
liche Art der Schallleitung erschwert oder gar verunmöglicht ist.
Nach der Helmholtz-Lucae’schen Theorie geht die osteotym-
panale Leitung auf drei Wegen vor sich, nämlich direkt durch die
Schädelknochen, zweitens durch die Massenschwingungen des Trommelfells
und der Knöchelchen, hervorgerufen durch die von den Wandungen des
Meatus an die Luftsäule des letzteren abgegebenen Schwingungen und
drittens durch moleculare Vibrationen des Trommelfells und der Knöchelchen,
welche ihm von den knöchernen Wandungen vermöge der Continuität
übermittelt werden. Ich bestreite keineswegs, dass alle 3 Wege in Be-
tracht kommen können, kann aber nicht zugeben, dass dem
zweiten Modus die Hauptrolle bei derK.L. zukomme. Das
würde meiner Meinung nach der klinischen Beobachtung widerstreiten.
Wie könnten wir sonst die Thatsache erklären, dass bei M. O.-Leiden
unsere grossen tiefen Stimmgabeln mit starkem Ton auch bei stärkstem
Anschlage durch die Luft nicht gehört werden, dagegen sehr gut vom
Knochen aus, ja sogar in manchen Fällen von der Hand aus, wenn der
Patient den Griff der Gabel fest umfasst. Ich glaube vielmehr, dass
bei der K. L. im Gegensatz zur L. L. nicht dem zweiten, sondern
dem ersten und dritten Weg, d. h. den molecularen
Schwingungen die Hauptrolle zufalle; ob hierbei diein
den Knöchelchen oder die im Felsenbein verlaufenden
Schwingungen von grösserer Bedeutung seien, lasse ich
unentschieden, unsere Kenntnisse scheinen zur Beantwortung dieser
Frage noch nicht auszureichen.
Bartsch!) in seinem Aufsatz: Zur Diagnostik der Erkrankungen
des schallleitenden und schallempfindenden Apparates, der im Uebrigen
mit Helmholtz dem zweiten Modus der Uebertragung die Hauptrolle
`
1) Z. f. Ohr. XV., 110.
17*
252 G. Brunner: Zur diagnost. Verwerthung der oberen und unteren
zuweist (pag. 116). setzt auseinander, dass wir es bei der gewöhnlichen
Luftschallleitung mit verhältnissmässig grosser Amplitude, aber geringer
Kraft, bei den molecularen Schwingungen dagegen umgekehrt mit kleiner
Amplitude aber grosser Kraft zu thun haben; daher sei es begreiflich,
dass in Fällen von Fixation des Trommelfells und der Knöchelchen die
Luftwellen weniger geeignet seien, den M. O.-Apparat in Bewegung zu
setzen, als die molecularen Schwingungen, die ihm direkt vom Knochen
übermittelt werden.
Als Prototyp des letzteren Modus kann uns die beidseitige complete
Synostose des Stapes dienen, wo das ganze Hören auf molecularen
Schwingungen beruht; denn hier kann von Massenschwingungen keine
Rede sein, man müsste denn zu Beugungswellen der runden Fenster-
membran, erzeugt durch Luftwellen in der Paukenhöhle, seine Zuflucht
nehmen, eine Annahme, die wohl noch grösseren Bedenken begegnet, als
die Möglichkeit einer Erregung der acust. Endorgane durch moleculare
Schwingungen im Felsenbein.
Bezold!) spricht sich anlässlich einer Controverse mit Steinbrügge
dahin aus, dass die direkte cranielle Zuleitung zum Labyrinth gegenüber
der experimentell von Lucae nachgewiesenen cranio tympanalen Zu-
leitung auf nur schwachen hypothetischen Füssen stehe; ob er bei der
letzteren mehr an Massenschwingungen des M. O.-Apparates oder an
moleculare Schwingungen denkt. ist nicht ersichtlich, wahrscheinlich das
letztere. Hierzu wäre zu bemerken, dass Lucae in seinen Unter-
suchungen über K. L.?) nicht bloss die Schwingungen im Trommelfell
und Knöchelchen, sondern auch die im Felsenbein verlaufenden
— es wurde ein Fühlhebel in der Nähe des Can. semic. sup. aufgekittet —
nachgewiesen hat, an deren Existenz ja von vornherein nicht zu zweifeln
war. Allerdings ist damit eine Erregung der acustischen Endorgane von
dieser Seite her noch nicht bewiesen, aber auch nicht gerade unwahr-
scheinlich, wenn man die Erregung durch moleculare Schwingungen in
den Knöchelchen zugiebt, ein drittes aber giebt es bei completer Synostose
des Stapes überhaupt nicht.
Dafür, dass bei der K. L. die Beugungswellen des Trommelfells
nicht maassgebend sind, spricht auch deutlich der Umstand, dass in
manchen Fällen von starker Anspannung des Trommelfells der Ton einer
r! terre
1) Z. f. Ohr. XVIIL, 206.
2) Arch. f. Ohr. I., 303.
Tongrenze, sowie des Rinne’schen und Schwabach’schen Versuches. 253
St. G. vom Knochen aus correct, durch die Luft hingegen um einen
halben bis ganzen Ton erhöht wahrgenommen wird.
So z. B. in der interessanten Beobachtung O. Wolf’s!) von completer
Obstruction der Tuba durch eine Flintenkugel, hier betrug die Differenz zwischen
L. L. und K. L. sogar eine Quinte, in einem anderen Falle von katarrh. Obstruction
der Tuba eine Terz, so dass der Patient, ein Musiker, seine Geige nicht mehr
richtig stimmen konnte. Nach Paracentese im ersten und Luftdusche im zweiten
Fall glich sich zugleich mit dem Eintreten normaler Wölbung des Trommelfells
auch die Differenz zwischen L. L. und K. L. aus, welche Wolf durch die That-
sache erklärt, dass ein Ton beim Durchgang durch eine Membran erhöht werden
kann, wenn man die Spannung der letzteren verstärkt.
Bezüglich der Momente, welche die Knochenleitung ver-
stärken, bestehen ebenfalls noch divergirende Ansichten und es ist ja
auch möglich oder wahrscheinlich, dass dabei verschiedene Factoren im
Spiele sind. Bezold sucht bekanntlich den Grnnd in vermehrter Spannung
des M. O.-Apparates, speciell des Lig. annulare staped., giebt aber zu,
dass seine Erklärung nicht für alle Fälle passe, so z. B. nicht bei Ver-
stärkung durch ganz lose Verstopfung des Meatus und wie mir scheint,
auch nicht bei Stapessynostose. Ich meinerseits erkläre mir mit Lucae
die bei den Krankheiten des äusseren und mittleren Ohres verstärkte
K. L. durch Mitschwingen (Resonanz); ich habe in einer früheren
Arbeit die Ansicht geäussert, dass wohl für die gewöhnliche: Luftschall-
leitung die störende Resonanz im Ohre sorgfältig eliminirt sei, dass aber
die Resonanz-Verhältnisse sich ganz anders gestalten, wenn, wie es bei
der K. L. geschehe, die festen Theile des Ohres (eventuell die knöchernen
Wandungen der Pauke und des Meatus) selbst in Schwingungen gerathen;
und die Verstärkung der K.L. tritt ja besonders dann deutlich hervor,
wenn die Luftschallleitung wesentlich gestört ist.
Es ist ja unzweifelhaft, dass in vielen Fällen von negativem Rinne
eine vermehrte Spannung des M. O.-Apparates vorhanden ist und dass
für die in den Knöchelchen fortschreitenden molecularen Schwingungen eine
straffere Spannung begünstigend wirken werde, analog dem Bezold’schen
Experimente mit der gespannten Schnur, das’ lässt sich nicht wohl in
Abrede stellen; aber diese Erklärung passt nicht überall, während sich
mit der Annahme des Mitschwingens alle Fälle genügend erklären lassen,
so auch das Experiment, das Siebenmann angestellt hat und als un-
zweideutigen Beweis für die Richtigkeit der Bezold’schen Auffassung
ansieht. Er konnte nämlich durch Druck auf das Stapes-Köpfchen den
1) Diese Zeitschrift II., 2, pag. 54 u. 58.
254 G. Brunner: Zur diagnost. Verwerthung der oberen und unteren
bereits verklungenen Ton einer auf den Scheitel gesetzten St. G. wieder
zur Perception bringen!). Kann es sich hier nicht um eine Verstärkung
durch Mitschwingen der Sonde handeln?
Jedenfalls wird man meiner Ansicht nach das Moment
des Mitschwingens bei der Erklärung nicht vernach-
lässigen dürfen. Man streift hier wieder die noch unerledigte Frage
nach der Möglichkeit einer Erregung des Cortischen Organs vom
Felsenbein aus; es ist klar, dass für diese Möglichkeit die Bezold’sche
Erklärung nicht passen würde.
Ich gehe nun zu den einzelnen functionellen Prüfungs-
methoden über und zwar zunächst zum Verhalten an der oberen und
unteren Tongrenze.
Die obere Tongrenze untersuchte ich mit einem aus London
bezogenen Galton-Pfeifchen, das einen zwar nicht sehr starken, aber sehr
reinen Ton giebt und das blasende Geräusch des Ballons nur sehr schwach
hervortreten lässt. Leider stimmt die Scala nicht mit den von Bezold
und Andern benutzten Instrumenten; ich bestimmte die normale obere
Tongrenze meines Pfeifchens zu 0,2 bis 0,5, während sie Bezold zu
1,7 bis 2,0 angiebt. |
Hinsichtlich der diagnostischen Bedeutung deroberen
Grenze bestehen leider ebenfalls Differenzen. Bezold?),
Politzer, Burkhardt-Merian, Rohrer sind nämlich der Ansicht,
dass gewisse chronische M. O.-Prozesse, namentlich die sog. Sclerose, für .
sich im Stande seien, die obere Tongrenze herabzusetzen, Zwaardemaker
dagegen behauptet rundweg, dass reine M. O.-Leiden die obere Tongrenze
nicht alteriren und dass man die Herabsetzung derselben stets auf eine
Störung im Labyrinth beziehen dürfe, höchstens gesteht er eine Herab-
setzung von 0,1 bis 0,2 der Galtonscala gleich ca. !/, Ton zu?). Er
glaubt und versucht es physikalisch zu begründen, dass die Perception
der höchsten Töne auch im Normalen vorzugsweise durch die K. L. ge-
schehe — eine Ansicht,. die auch Bezold äussert — dass aber die
letztere bei reinem M. O.-Leiden erhalten bleibe, sei nicht zu bezweifeln.
Ist es bei dieser Auffassung nicht auffallend, dass hohe St. G., z. B. die
grosse Lucae’sche fis4 Gabel, vom Schädel aus nicht oder doch viel schwächer
pereipirt werden, als durch die Luft und zwar nicht blos bei positivem, sondern
auch bei (für tiefe Gabeln) negativem Rinne?
. Ohr. XXIL, 301.
1) Z. f
2) Z. f£. Ohr. XXIII.. 266.
3) Z. f. Ohr. XXIV., 310.
e
-o me e a ip,
Tongrenze, sowie des Rinne’schen und Schwabach’schen Versuches. 255
Dass in der That bei manchen älteren M. O.-Processen,
namentlich solchen sclerotischer Natur, die obere Ton-
grenze mehr oder weniger herabgesetzt ist, davon kann
sich Jedermann leicht überzeugen. Es frägt sich nur,
welchen Schluss wir daraus ziehen dürfen. Warum finden
wir in den einen Fällen die obere Grenze intact, so z. B. ausnahmslos
bei verheilten Otorrhoön mit theilweisem Defect des Trommelfells, in '
anderen dagegen herabgesetzt. ohne dass die übrige klinische Beobachtung
uns das verschiedene Verhalten erklären würde. Dürfen wir,- wie
Zwaardemaker meint, jeden oberen Defect auf eine Störung der
Perception des Labyrinthes beziehen? Das würde uns dazu führen, bei
M. O.-Leiden häufiger als bisher eine Betheiligung des Labyrinthes an-
zunehmen, eine Auffassung, welcher neuere path.-anat. Beobachtungen
allerdings nicht im Wege stünden!). Oder aber ist es möglich, dass
Störungen im M. O für sich die obere Grenze herabsetzen können? Das
scheint die Ansicht von Bezold zu sein. Ich schliesse dies aus folgender
Stelle (Z. f. Ohr. XXIL., 266):
Der Einfluss der Mittelohrprocesse auch auf die obere Tongrenze ist durch-
aus kein so geringer .......
Während bei Residuen nach M. O.-Eiterungen die obere Tongrenze aller-
dings in der Regel vollkommen erhalten bleibt, finden wir bei einem nicht ge-
ringen Bruchtheile der sog. Sclerosirungsprocesse oft sehr beträchtliche Defecte
auch an dieser Stelle der Scala.
Anders lautet freilich folgender Passus desselben Autors, Z. f. O. XVII., 233.
Die Beobachtung (von Blake) beweist uns, dass eine Erkrankung des Schall-
leitungs-Apparates an sich dieselbe (i. e. die Perception hoher Töne) jedenfalls
nicht stört... .. 2.2...
Ferner: dass trotzdem die Perception für die hohen Töne in solchen Fällen
(Defect des Trommelfells etc.) vollkommen intact sein kann, lässt uns schliessen,
dass der Schallleitungs-Apparat für die Uebermittelung dieses Theils der Scala
überhaupt nur eine ganz geringfügige oder gar keine Rolle spielt.
Ich kann die citirten Aeusserungen ‘des verdienten Autors nicht
recht zusammenreimen und es scheint mir daraus hervorzugehen, dass
1) Man vergleiche z. B. einen von Bez old veröffentlichten Fall von Synostose
des Stapes (diese Zeitschr. XVII., 232), wo sich die knöcherne Auflagerung
noch eine Strecke weit in den Anfang der Scala vestib. verfolgen liess, sowie die
neulich von Politzer veröffentlichten Sectionsbefunde. Z. f. 0. XXV., 309.
Gewiss mit Recht bemerkt Bezold bei dieser Gelegenheit, dass die Labyrinth-
fenster functionell zum Schallleitungs-Apparate gehören und dass krankhafte
Processe, auch wenn sie auf der Labyrinthseite der Stapesplatte auftreten, nicht
als Leiden des percipirenden Apparates zu betrachten seien.
256 G. Brunner: Zur diagnost. Verwerthung der oberen und unteren
er in dieser Sache noch zu keinem sicheren Abschluss gekommen ist,
was mich übrigens nicht wundern würde, denn so angenehm es wäre,
sich der Anschauung Zwaardemaker’s anschliessen zu können und
damit für die diagnostisch oft unklaren Fälle sog. Sclerosis ein sicheres
Reagens zu gewinnen, so trage auch ich Bedenken, gestützt auf ver-
schiedene Beobachtungen:
So habe ich z. B. gefunden, dass die Luftdusche (mit Katheter
sowohl als Politzer-Verfahren) nicht ganz selten eine Veränderung
an der oberen Tongrenze herbeiführt, gew. im Sinne der Erhöhung,
in einem Falle aber auch der Herabsetzung (um 0,3 Galton’sche Theil-
striche). Die (momentane) Erhöhung bewegte sich gewöhnlich innerhalb
mässiger Grenzen (0,2 bis 0,6 Galton), konnte aber in einem Falle bis
auf 1,2 ansteigen.
Fall I.
Frl. A. K., 26 Jahr. Im Laufe der Jahre allmählig, ohne besondere Symp-
tome entstandene Schwerhörigkeit. Klinische Diagnose chron. einfacher M. O.-
Katharrh. Früher viel Nasenkatarrh. Beide Tr. etwas eingezogen, sonst normal,
Tuben nicht vollkommen durchgängig. rechts besser als links.
6—7 cm 20,
Cyl.-Uhr r. 0
defect, Galton r. 1,8, 1. 2,3; Rinne r. u. 1. — 9, d. h. 40 v. d.1) in L. L. r. u. 1.
nicht gehört, dagegen gut vom Scheitel, sowie auch von der Hand aus beim
Anfassen der Gabel, auch 16 v. d. werden in K. L. gestört. Schwabach normal
bis schwach verlängert (für 40 v. d.), Weber schwach links. Durch die Luft-
dusche stieg die obere Grenze plötzlich links von 2,3 auf 12
Galton, mit einem plötzlichen leichten Knall, aber ohne Verbesserung für Uhr
noch Sprache. Die Katheterbehandlung blieb links ohne Erfolg, rechts stieg
Flüst. auf 30 cm.
Flüst. r. 0, 1. 30. — obere und untere Tongrenze
Fall Il.
J. O., 15 Jahr. Otorrhoë in der Jugend, links total collabirtes und zum
Theil adhärentes Trommelfell, Perforation verheilt; rechts ebenso, nur besteht
hier noch eine kleine Perforation, durch welche bei der Luftdusche hier und da
etwas Eiter austritt. Dabei hypertroph. Nasenkatarrh mit Stenose. Beträcht-
liche Schwerhörigkeit, welche durch die Luftdusche gebessert werden kann. Die
obere Tongrenze ist beidseits ziemlich normal, 0,5 u. 0,4,nach Politzer sinkt
sie auf 0,8 u. 0.7! Die untere Grenze ist rechts deutlich reduecirt (für L. L.)
bis über 40 v. d., links nur bis 24 v. d., Rinne r.--ö, l. nur schwach negativ,
Schwabach deutlich verlängert. |
Diese Beobachtungen, die ich leicht vervielfältigen könnte, finde ich
auffallender Weise von anderer Seite nicht erwähnt; sie mahnen jeden-
1) = St. G. von 40 vibrat. dupl.
Tongrenze, sowie des Rinne’schen und Schwabach’schen Versuches. 257
A
falls zur Vorsicht in der Verwerthung der oberen Tongrenze. In dem
zweiten Falle waren die Trommelfelle stellenweise sehr atrophisch und
wurden durch die Luftdusche stark gebläht, worin man vielleicht den
Grund der Herabsetzung finden kann, dabei ist allerdings zu bemerken,
dass durch die Luftdusche das Hörvermögen für Sprache und Uhr ge-
steigert wurde. Von Interesse scheint mir auch folgender Fall:
Med. Dr. G. B., 28 Jahr, hat von Jugend her eine rechtseitige Perforation
ohne Secretion. Das linke Ohr ist normal bis auf eine in den letzten Tagen
eingetretene, leichte hatarrhalische Reizung des Mittelohrs mit leichter Injection
des Trommelfells ohne Abnahme des Gehörs, aber mit etwas Druckgefühl, wess-
‚wegen er meinen Rath einholt. Die Untersuchung ergiebt: Galton links normal
(0,3) rechts 0,6; untere Grenze links normal (16 v. d.), rechts defect, 40 v.d. in
L. L. nicht gehört, in K. L. gut, Schwabach verlängert; Weber lateralisirt
nach r., Cyl.-Uhr 1. 500 cm, r.6. Also ganz übereinstimmend mit der klinischen
Diagnose Zufällig besitzt Patient die Fähigkeit, seinen linken
Tensor tymp. willkürlich zu contrahiren, was objectiv am
Trommelfell zu sehen ist; währenddem wird Galton deutlicher.
Ferner bleibt in Folge des leichten Tubenkatarrhs das linke normale Trommelfell
nach Valsalva einige Zeit in Expansionsstellung stehen, wodurch Galton
undeutlicher wird und Weber leicht nach links lateralisirt.
Das letztere erkläre ich mir durch die unveränderten Resonanzverhältnisse in
Folge der in der Pauke eingesperrten Luft; mit der Bezold’schen Erklärung
durch straffere Anspannung des Lig. annulare stap. käme man hier in Ver-
legenheit.
Es zeigt dies auch, wie leicht durch zufällige, die
K. L. verstärkende Momente der Rinne’sche V. umgedreht werden
kann. Dass durch die vermehrte Anspannung des Trommelfells, speciell
durch Contraction des Tens. tymp. die hohen Töne deutlicher hervor-
treten und umgekehrt bei Valsalva schwächer werden, ist auch von
anderen Seiten genugsam beobachtet worden !) und spricht auch dafür,
dass Aenderungen in der Spannung des Trommelfells und der Knöchelchen-
kette die obere Tongrenze beeinflussen können.
Was im vorliegenden Falle den unbedeutenden Unterschied an der
oberen Grenze (0,3 gegen 0,6) zwischen beiden Ohren anlangt, den ich
bei einseitigen M. O.-Leiden häufig beobachtet habe?) so möchte ich
ihm keine grosse diagnostische Bedeutung beilegen, ich bin vielmehr ge--
1) Siebenmann (Z. f. Ohr. XXII., 307) ist auffallender Weise zu andern,
entgegengesetzten Resultaten gelangt; er hat nämlich gefunden, dass durch
Valsalva die obere Tongrenze meistens hinaufgerückt und ihre Perception oft
verschärft werde. Der Aspirations-Versuch aber beeinflusse die obere Ton-
grenze gar nicht oder setze sie etwas herunter.
2) In einem andern 'einseitigen Falle fand ich 0,2 gegen 0,6.
258 G. Brunner: Zur diagnost. Verwerthung der oberen und unteren
neigt, ihn der allgemeinen Herabsetzung des Gehörs durch die ge-
störte Luftschallleitnng zuzuschreiben. Es ist einleuchtend, dass in Folge
dessen die Vibrationen im Labyrinth des kranken Ohres mit geringerer
Kraft anlangen werden, als im gesunden und mancherlei Gründe scheinen
mir dafür zu sprechen, dass die Schwierigkeit der Erregung
der acustischen Endfaser mit der Höhe des Tones wächst-
Ich werde später auf diesen Punkt zurückkommen. Allerdings, wenn
die hohen Töne nur durch die K. L. übertragen würden, so wäre die
obige Erklärung hinfällig und man wäre gezwungen, eine Störung im
Labyrinth anzunehmen, wenn auch eine unbedeutende.
Auch bei Obturation durch Cerumen habe ich eine
nicht ganz unbeträchtliche Herabsetzung der oberen
Grenze beobachtet, die sich unmittelbar nach dem Ausspritzen
verlor und die ich auch nicht ohne Weiteres auf Veränderungen im
Labyrinth schieben möchte, z. B.:
Dienstmagd, 30 Jahr. Beidseits Cerumen mit Rauschen und sehr herabge-
setztem Gehör, Taschenuhr beidseits m cm, Galton rechts 2,0; links 1,9;
untere Grenze defect bis über 40 v. d., Rinne r. u. 1. — 3, Schwabach 25 (normal 15).
0 aitan 08 Rinne beld:
Nachdem Ausspritzen: Uhr r. u. l. Zo
seits +.
Ich machte dazu folgenden Versuch am normalen Gehörorgan; ich
füllte den Meatus mit Wasser, dadurch sank Galton von 0,4 auf 0,7,
Rinne (vorher +) wurde negativ; St. G. von 16 v. d. wurde in L. L.
noch gehört.
Aus diesen Beobachtungen geht hervor, dass Aen-
derungen in der Spannung des M.O.-Apparates — und
damit oft auch des Labyrinthes? — im Stande sind, die obere
Tongrenze zu beeinflussen. Einer weiteren Beobachtung bleibt
es vorbehalten, hierüber mehr Klarheit zu schaffen und wo möglich die
Grenzen festzustellen, innerhalb welcher sich solche mehr mechanische
Störungen bewegen; soviel ich bis jetzt gesehen habe, beträgt der Ausfall
in solchen Fällen selten mehr als 1,0 bis 1,2 der Galtonscala, meist
nur 0,2 vis 0,6. Zwaardemaker will, wie oben bemerkt, nur
0,1 bis 0,2 zugeben. Wie viel muss der Defect am oberen
Ende der Scala betragen, um daraus mit Sicherheit auf
einen Perceptionsfehler schliessen zu dürfen? Genügt
hierzu ein Ausfall von 1,0 pis 1,2 des Pfeifchens? Diese
Frage lässt sich leider noch nicht sicher beantworten.
Tongrenze, sowie des Rinne’schen und Schwäbach’schen Versuches. 259
. Mädchen von 24 Jahren. Bedeutende Schwerhörigkeit, seit Jahren allmählig
zunehmend, ohne besondere Symptome. Flüst. 0, Conversat. nur in nächster Nähe,
Beide Trommelfelle sehr blass, sonst normal, Tuben durchgängig. Rinne beid-
seits schwach negativ, Schwabach leicht verkürzt, untere Tongrenze für L. L.
deutlich defect, 40 v.d. nur bei ganz starkem Anschlage, Galton rechts 1,2;
links 1,0.
Wo liegthier die Hauptursache? Genügt der geringe obere Defect,
von 0,5 bis 0,6 in Verbindung mit dem leicht verkürzten Schwabach, um neben
dem M. O.-Leiden eine wesentliche Alteration der Perception anzunehmen ’?
Auch bei der Otitis media acuta habe ich einen ziem-
lich beträchtlichen Defect an der oberen Grenze betrachtet,
der sich mit dem Rückgang der Entzündung ziemlich ausglich. So z. B.
in dem folgenden Fall:
Herr W., Fabrikant, gebildet, 50 Jahre alt, ein gesunder kräftiger Mann,
bekam im Anschluss an Influenza-Bronchitis eine linksseitige Ot. med. ac. purul.
perfor., die im Laufe von 4 Wochen heilte. Anfangs heftige Schmerzen und
Fieber. Schon vor der Erkrankung beidseits etwas Sclerose mit etwas reducirtem
Gehör. — Am 6. Tage der Krankheit notirte ich Galton1) rechts links
1,0; 3,0,
am 16. Tage . . . . 0,8; 1,9,
De a a aa 1,5,
Ende der Kur „ 3. „ e ata a s 1,0.
Die untere Tongrenze zeigt auffallender Weise auch links keinen Defect,
die A ppunn’sche Drahtgabel von 20, ja selbst von 16 v. d. wird r. u. l. in L. L.
gehört, nur rechts stärker als links. Weber lateralisirt leicht nach links, dıe
Taschenuhr wird rechts E gehört, links anfänglich 0, dann allmählig steigend
auf ea und zuletzt auf 10 (am 25. Tage). Bis in die 3. Woche hinein tönte
die St. G. von 165 v.d. in L.L. links einen halben bis ganzen Ton höher als
rechts; dieselbe Gabel ergab in der 3. Woche links einen + Rinne.
Hier liegt es nahe, den anfänglich beträchtlichen oberen Defect auf
eine vorübergehende Rückwirkung der M. O.-Entzündung auf das Labyrinth
zu beziehen, obwohl sich das nicht strikte beweisen lässt. Auffallend
ist, nebenbei bemerkt, die gut erhaltene untere Tongrenze ; dieselbe
wurde allerdings erst um den 20. Tag herum gemessen, als die Ent-
zündung in der Hauptsache zurückgegangen und die Perforation verheilt
war; ebenso auffallend erscheint ferner der positive Rinne, den Bezold
in Fällen von acuter M. O.-Entzündung ebenfalls beobachtet hat 2), und
den er in Anbetracht, dass der Weber’sche Versuch in diesen Fällen
correct nach der kranken Seite lateralisirt, auch nicht zu erklären vermag.
1) Normal 0,3—0,5.
2) Z. f. Obr. XVIL, 228.
260 G. Brunner: Zur diagnost. Verwerthung der oberen und unteren
Aus den angeführten Beobachtungen geht hervor, dass am oberen
Ende unseres Hörbereichs Schwankungen vorkommen, die man meiner
Ansicht nach nicht ohne Weiteres auf (organische) Störungen im perci-
pirenden Theil bringen darf, und dass hier in unserem Wissen noch
Lücken bestehen, welche angesichts unserer noch mangelhaften physio-
logischen Kenntnisse sowie der spärlichen Gelegenheit zu Obductionen
nicht leicht auszufüllen sein werden.
Ehe ich meine Beobachtungen über die obere Tongrenze schliesse,
möchte ich mir noch ein paar Bemerkungen erlauben.
Dass wir aus einem Defect an der oberen Grenze auf ein Leiden
der Perception schliessen, ist ein Erfahrungssatz (per excelusionem), ge-
gründet auf die Beobachtung, dass durch Leiden des M. O. nur die
untere, nicht aber die obere Grenze — wenigstens nicht wesentlich —
alterirt werden (Lucae); dass also bei Defect an der oberen Grenze
eine Störung der Perception vorhanden sein müsse. Eine Erklärung ist
damit nicht gegeben; das Uebergreifen von Krankheitsprocessen an der
Fenestra ovalis auf die nahe liegende unterste Schneckenwindung und
damit auf das Organ der hohen Töne ist allerdings mehrfach nachge-
wiesen, kann aber natürlich nicht für alle Fälle als Erklärung dienen.
In letzterer Hinsicht möchte ich folgende Vermuthung aussprechen:
Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass am Eingange, in der
untersten Windung der Schnecke die lebendige Kraft zur Erregung der
nervösen Endapparate eine grössere ist, als in den oberen Windungen.
Wir müssen uns nämlich vorstellen t), dass die an der Basis der Schnecke
eintretende Stosswelle nicht erst am Helicotrema, sondern auf dem ganzen
Wege dahin durch die nachgiebige Membrana basilaris hindurch gegen
die Paukentreppe ausweiche, hierbei die acustischen Endorgane in Er-
regung setzend, zugleich aber in Folge der Reibung und der zu über-
windenden Widerstände, stetig an Kraft einbüssend. Wenn nun die für
die hohen Töne abgestimmten Theile entgegen den räumlichen Verhält-
nissen in den untersten Windungen untergebracht sind, so liegt die Ver-
muthung nahe, es sei diese Einrichtung so getroffen worden, weil hohe
Töne überhaupt grössere Schwierigkeit haben die betreffenden nervösen
Endapparate zu erregen, als die mittleren und tiefen Tonlagen. Dann
wäre auch das frühere Versagen der höchsten Töne begreiflich. Die
Beobachtungen bei hysterischer Anaesthesie des: Acusticus
scheinen dies in der That zu bestätigen, insofern als hierbei die
1) Hensen, Gehör, 106.
Tongrenze, sowie des Rinne’schen und Schwabach’schen Versuches. 261
Perception der hohen Töne früber aufhört, als die der
mittleren und tiefen, in einem Falle von C an aufwärts !). (Ebenso
hörte die K. L. früher auf, als die gew. L. L.) Bekannt ist auch, dass
bei lärmenden Berufsarten die Perception der hohen Töne zuerst leidet.
Ein instructiver Fall von oberem Defect bei gut erhaltener unterer
Tongrenze, mag hier Erwähnung finden : |
Ein Locomotivführer, seit 20 Jahren im Dienst, 48 Jahre alt, klagt über
Abnahme des Gehörs, welche ihm den Dienst erschwere und über ein subj.
hohes Geräusch in beiden Ohren, ähnlich der Signalpfeife. Trommelfellbefund
ist im Ganzen negativ, hingegen besteht etwas Tubenstenose — Patient wurde
schon vor 20 Jahren an leichtem chron. M. O.-Katarrh per Katheter behandelt.
Er hört Flüstern beidseits 0, Convers. 120—180 cm. Galton wird r.u.l. gar
nicht und auch die Lucae’sche fist Gabel bei stärkstem Anschlage
nicht gehört, das Tongehör beginnt (am Klavier) erst bei C4, ober-
halb hört er nur das Geräusch der Taste. Dagegen ist die untere Grenze
intact, r.u.1.16v.d. in L.L. gehört. Weber ist unentschieden, ebenso auch
Rinne; Schwabach istsehr verkürzt, bei schwachem (i. e. gewöhnlichem)
Anschlag wird die St. G. (40 v.) vom Scheitel gar nicht, bei starkem Anschlag
nur 3 Sekunden gehört.
Der Fall ist offenbar ein gemischter und diesem Umstande (leichte Tuben-
stenose) ist es wohl zuzuschreiben, dass Rinne nicht entschieden positiv ausfällt.
Die Hauptursache der Schwerhörigkeit liegt aber ohne Zweifel in dem Perceptions-
leiden, welches wohl durch die Schädlichkeiten des Berufes (Signalpfeife, Rasseln
der Maschine) bedingt wurde; dabei ist es interessant, dass das subjective Ge-
räusch in derselben. Tonhöhe liegt, wie die Pfeife der Locomotive.
Ich gehe nun zur unteren Tongrenze über. Zu ihrer Be-
stimmung benützte ich die Appunn’schen St. G. (Drahtgabeln) von
16, 20, 24, 28 u. 32 v. d., an welche sich dann meine grosse prismatische
Gabel anschliesst (ohne Klemmen 66, mit Klemmen ca. 40 v. d.), die einen
sehr kräftigen und — besonders im letzteren Falle — von Obertönen
freien Ton giebt. Die Appun’schen Gabeln sind wohlfeil und namentlich
ausser dem Hause bequem. da sie leicht und compendiös sind. Sie be-
sitzen keine Obertöne, haben aber, wie mir scheint, doch gewisse Nach-
theile, namentlich den, dass ungeübte, weniger intelligente Patienten die
schwirrende Bewegung der Luft leichter mit dem tiefen, flatternden Tone
verwechseln, als bei den prismatischen Gabeln. Auch eignen sie sich
weniger zur Prüfung der K. L., da sie keinen Stil haben und rascher
verklingen und drittens besitzen sie keinen so kräftigen Ton wie die
prismatischen Gabeln, was in manchen Fällen von grösserer Schwer-
mmt en
1) Walton, Verhandlungen der Berliner physiolog. Gesellsch. 1883, IX., 2.
262 G. Brunner: Zur diagnost. Verwerthung der oberen und unteren
hörigkeit unangenehm ist, indem man streng genommen bei negativem
Resultat nur auf geschwächte Perception, nicht auf völlige Taubheit für
die betreffenden Töne schliessen darf. |
Bekanntlich legt Bezold dem Defect an der unteren Grenze ein
besonders grosses diagnostisches Gewicht bei, was ich im Ganzen ebenfalls
bestätigen kann. Es istsicher, dass einnormales Gehörorgan
nicht bloss contra C = 33 v. d. (Siebenmann),sondern auch
16 v.d. noch deutlich in L. L. vernimmt und dass ein (zu-
sammenhängender) Defect an der unteren Grenze immer
pathologisch und,insoferner nur für L. L.und nichtauch für
K.L. vorhanden ist, auf eine Störung in der Schallleitung
zu beziehenist. Hingegen darf man meiner Ansicht nach,
den Satz nicht ohne Weiteres umkehren; vielmehr habe ich
nicht so ganz selten bei deutlichen M. O.-Leiden mit etwas collabirtem
und theilweise adhärentem Trommelfell eine intacte untere Tongrenze
(bis zu 16 v. d.) gefunden, ganz abgesehen von der noch unerklärten
Ausnahme bei der acuten M. O.-Entzündung.
Beispiel:
H. L., Schüler, 12 Jahre. Chron. einfacher M. O.-Katarrh ohne Perforation,
links frische nicht entzündliche Verschlimmerung, Einziehung des linken Trommel-
fells, Taschenuhr r. 40; 1. 4 cm. Flüstern r. 240; 1. 160. Galton beidseits 0,5,
nach Luftdusche 0,4; St. G. 16 v. d. beidseits gehört. Rinne r. schwach
negativ, links deutlich negativ. Schwabach etwas verlängert; Weber lateralisirt
schwach nach links.
Ich glaube daher, dass Bezold etwas zu weit geht, wenn er sagt!),
dass bei irgend stärkerer Herabsetzung für die Sprache ein dem Grade
der Hörverminderung entsprechend kürzeres oder längeres Stück vom
unteren Ende der Scala vollständig ausfalle. Freilich fragt es sich, was
man unter „irgend stärkerer Herabsetzung für die Sprache“ verstehe,
ob das angeführte Beispiel auch dahin zu nehmen sei. Noch viel be-
stimmter aber spricht sich Bezold gleich nachher dahin aus, dass wir
für jede, seieshochgradige oder geringe Störungam Schall-
leitungsapparate einen Defect am unteren Ende der Tonleiter auf-
finden können?). Ich bedaure, dies nicht bestätigen zu können, aller-
dings reichen meine Untersuchungen nicht unter 16 v. d. hinab.?)
Am prägnantesten und ausnahmslos fand auch ich den unteren
Defect (bis über 40 v.d. in L. L.) neben erhaltener oberer Grenze,
1) Z. f. Ohr. XIX., 226.
2) J. f. Ohr. XIX., 227.
3) Aber auch die Bezold’s nicht, wenn ich mich nicht irre.
Tongrenze, sowie des Rinne’schen und Schwabach’schen Versuches. 263
sowie ausgesprochen negativem Rinne (gew. — % für 40 v. d.) und ver-
längertem Schwabach bei abgeheilter Otorrho& mit grösserer oder kleiner
Perforation resp. Defect des Trommelfells. In diese Rubrik gehören auch
die instruktiven Beobachtungen, wo Donnern nicht, dagegen hohe Töne,
wie das Zwitschern der Vögel gut gehört werden, und wo die prismatische
St. G. von 40 v. d. auch bei stärkstem Anschlage durch die Luft nicht,
dagegen nicht blos vom Schädel aus stark, sondern auch durch blosses-
festes Umfassen des Griffes deutlich gehört werden; ein auch für die
Theorie der K. L. instruktiver Versuch. Diese Fälle bereiten uns übrigens
auch sonst weniger diagnostische Schwierigkeiten, als z. B. die sclerotischen
Processe und gerade bei diesen giebt leider die functionelle Prüfung nicht.
immer ein unzweideutiges Resultat.
Stets habe ich die untere Tongrenze bei Defect für die L. L. auch
für die K. L. bestimmt und hierbei, obwohl die Appunn-St.-G. sich
Mangels eines Stiles hierzu nicht besonders eignen, fast immer eine
deutliche Perception bis zu 16 v. d. gefunden,
Der Rinne’sehe Versuch, als dessen nothwendige Ergänzung der
Schwabach’sche angesehen werden muss, ist eine willkommene Be-
reicherung unserer physikalischen Diagnostik, doch muss man sich vor
Augen halten, dass er für sich allein noch keine sichere diagnostische
Handhabe giebt; ein deutlich negativer Rinne darf ebenso
wenig als Beweis für intacte Schallleitung angesehen
werden als ein positiver Rinne unter allen Umständen
für eine intacte Schallleitung spricht. Ich habe nicht selten
deutlich negativen Rinne neben deutlich herabgesetzter oberer Grenze
und selbst verkürztem oder doch nicht verlängertem Schwabach gesehen.
Dass ein + Rinne durch Hinzutreten eines die K. L. verstärkenden
Momentes negativ werden kann, ist bekannt, ich erinnere bloss an den
Weber’schen Versuch am normalen Ohre. So kann ohne Zweifel bei
Leiden des inneren Ohres durch zufällig vorhandenes obturirendes Cerumen
oder andere die K. L. verstärkende Momente der positive Rinne negativ
(überkorrigirt) werden. Wir müssen uns überhaupt die Häufigkeit ge-
mischter Leiden (der Schallleitung und Perception) vor Augen halten.
Dass bei selerotischer Erkrankung des M. O., d.h. bei negativem Befunde
am Trommelfell und Tuba und relativ guter Hörweite (Flüstern über
1 m) Rinne gew. positiv ausfällt, darauf hat Lucae schon früher hin-
gewiesen. Hier ist einestheils das die K. L. verstärkende Moment nicht
stark genug, anderseits die L.L. nicht reducirt genug, um den normal
264 G. Brunner: Zur diagnost. Verwerthung der oberen und unteren
positiven Rinne in negativen umzukehren. Inwiefern dabei die in solchen
Fällen meist etwas reducirte obere Grenze und die daran sich knüpfenden
noch unerledigten Fragen mitspielen, vermag ich ebenso wenig zu ent-
scheiden, als die Frage, warum wir bei acuter Otitis media häufig einen
positiven Rinne finden und zwar, während die auf den Scheitel gesetzte
St. G. nach der kranken Seite lateralisirt!). Dass durch Erkrankung
des percipirenden Theils die K. L. verkürzt wird, wissen wir; ebenso,
dass bei hysterischer Paralyse des Acusticus die K. L. vor der L. L. auf-
hört; ob aber dadurch ein in Folge von gleichzeitiger M. O.-Affection
negativer Rinne positiv werden könne, ist mir nicht bekannt. Es sind
dies Punkte, die sehr der weiteren Aufklärung bedürfen.
Noch einen Punkt möchte ich berühren: Bezold ist in seinen
stat. Ergebnissen über den Rinne Vers. im Resumé und ohne näher
darauf einzugehen, zu dem eigenthümlichen Resultat gelangt ?), dass bei
einseitiger hochgradiger Schwerhörigkeit ein negativer Rinne vorkommen
könne, trotzdem der Schallleitungsapparat intact sei. Dies
ist mir ganz unverständlich und würde in meinen Augen den Werth des
R. V. bedeutend herabsetzen. Ich möchte aber — weitere Belehrung
vorbehalten — die Ansicht vertreten, dass bei negativem Rinne stets.
ein die K. L. verstärkendes Moment vorhanden sei, das nur im äusseren
oder mittleren Ohre liegen könne, und glaube ich auf der in Betracht
kommenden Tab. IV?) trotz der spärlichen näheren Angaben doch An-
haltspunkte für meine Ansicht zu finden. Das Trommelfell wird zwar
als normal bezeichnet, aber in einem Falle heisst es z. B.: Katheter
macht kein deutliches Anschlagegeräusch, erzeugt aber eine deutliche
Vorwölbung des Trommelfells, welche längere Zeit stehen bleibt,
oder in einem anderen Falle: Rarefacteur bewegt den Hammergriff nicht.
Der Schwabach’sche Versuch ist eine ebenso werthvolle als
nothwendige Ergänzung des Rinne’schen und er würde noch werthvoller
sein, ohne die Fehlerquellen, welche der Methode noch anhaften. Wenn
Siebenmann behauptet, dass es nicht schwierig sei, sich einen ge-
nügend gleichmässigen Anschlag der St. G. anzugewöhnen, so kann ich
das nur für die exquisiten Fälle zugeben, aber nicht für die zahlreichen,
wo die Differenz nur wenige Secunden beträgt. Besser ist die Methode
1) Vergleiche den oben mitgetheilten Fall.
2) Z. f. Ohr. XVII., 230.
3) a. a. O. 218.
Tongrenze, sowie des Rinne’schen und Schwabach’schen Versuches. 265
Bezold’s, die eigene Perceptionsdauer jedesmal zur Kontrolle zu ver-
wenden, aber sie setzt voraus, dass der Arzt über ein normales Gehör-
organ verfüge. Es bleibt als Auskunftsmittel noch der von Lucae
angegebene federnde Hammer, der mir leider nicht zur Verfügung stand.
Eine weitere Fehlerquelle liegt bisweilen darin, dass wenig intelligente
Patienten gegen das Ende der Tonempfindung hin dieselbe leicht mit
der noch länger anhaltenden Gefühlsempfindung verwechseln.
Ich habe den Schwabach’schen wie den Rinne-Versuch nur
mit der prismatischen Gabel von 40 v.d. angestellt, weil ich ebenfalls
gefunden habe, dass mit tiefen Gabeln die Resultate deutlicher und die
Ausnahmen seltener werden. Als normale Perceptionsdauer bei mässig
starkem Anschlage (am Supinator longus) fand ich für obige Gabel
15 Sekunden. Den Satz, dass bei den Leiden des äusseren und mittleren
Ohres die Perceptionsdauer gegenüber der normalen verlängert, bei solchen
des inneren Ohres (genauer des percipirenden Theils) verkürzt sei, habe ich
im Allgemeinen ebenfalls bestätigt gefunden. Am ausgesprochensten und
constant fand ich den ersteren bei abgelaufenen M. O.-Eiterungen mit
grösserer Perforation, wo auch der negative Rinne, sowie der Defect an
der unteren Tongrenze bei erhaltener oberer mit aller nur wünschens-
werther Deutlichkeit hervortritt als eine Leuchte, als ein Wegweiser auf
dem bisweilen etwas unsicheren Pfade der functionellen Hörprüfung.
Denn nicht immer ist das Resultat ein so prägnantes, sei es, dass das
die K. L. verstärkende Moment wenig ausgesprochen ist, oder dass es
sich um eine Mischaffection handelt, wo sich dann die Frage aufwirft,
in welchem Grade ein gleichzeitiges Perceptionsleiden die sonst zu er-
wartende Verlängerung der Perceptionsdauer zu verringern vermöge.
Dass bei bloss einseitiger Erkrankung der Schwabach’sche Ver-
such nur bedingt zu verwerthen sei, ist wohl einleuchtend; eine ver-
längerte oder verkürzte Perception wird man allerdings auf das kranke
Ohr beziehen können, bei normaler Dauer dagegen wird man nicht
wissen, ob sie auf Rechnung des normalen Ohres zu setzen sei, während
das kranke für sich allein eine verkürzte Perception geben würde.
Wenn ich zum Schlusse die Resultate meiner Beobachtungen noch
einmal überblicke, so muss vor Allem zugegeben werden, dass wir in
der functionellen Hörprüfung eine willkommene Bereicherung unserer
diagnostischen Hülfsmittel besitzen, die wir nicht mehr entbehren möchten,
indem sie unserer oft unbefriedigenden Diagnostik ein neues Interesse
Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXVII. 18
266 G. Brunner: Zur diagnost. Verwerth. d. ob. u. unt. Tongrenze etc.
verleiht und neue Gesichtspunkte eröffnet. Allerdings sind noch zahl-
reiche Lücken in unserem Wissen auszufüllen und manche Detailfragen
harren noch der Erledigung, so namentlich die für die Beurtheilung der
sclerotischen Processe wichtige Frage, ob Störungen der Schallleilung für
sich im Stande seien, die obere Tongrenze herabzusetzen und bis zu
welchem Grade.
Nicht immer stimmt die functionelle Prüfung mit der gewöhnlichen
klinischen Untersuchung überein. In dieser Hinsicht bot es mir ein be-
sonderes Interesse, Fälle, die ich seit 20 und mehr Jahren hatte ver-
folgen können, in das Licht der gegenwätigen functionellen Prüfung zu
stellen. Dabei ergab sich als besonders in die Augen springend, dass
ich durch die neue Methode viel häufiger als früher zu der Annahme
eines (gleichzeitigen) Perceptionsleidens geführt wurde; gerade wie z. B.
Bezold in neuerer Zeit auf 12,5 °/, für die Perceptionsleiden gekommen
ist, anstatt blos 6°/, in früheren Jahren').
Ich bin in der That öfters durch einen nicht unbedeutenden ’?)
Defect an der oberen Grenze überrascht worden, in Fällen, wo ich vorher
sicher glaubte, es nur mit einem Leiden des M. O. zu thun zu haben.
Ich habe oben die Ansicht vertreten, dass wir uns gegenwärtig bezüglich
eines kleinen oberen Defectes noch keinen sicheren diagnostischen Schluss
erlauben dürfen, aber eine Herabsetzung um 2,0 bis 3,0 und mehr der
Galtonscala, vielleicht auch schon von 1,5 möchte ich doch auf eine
Störung der Perception beziehen. Die Fälle, wo der Defect bis in die
viergestrichene Oktave hinunterreicht (Lucae) sind selten. In manchen
Fällen von beidseitigem chron. M. O.-Katarrh verhielten sich beide Ohren
mit Bezug auf die functionelle Prüfung ganz verschieden, indem z. B.
das eine einen beträchtlichen oberen Defect zeigte, das andere nicht,
ohne dass die übrige klinische Untersuchung eine Erklärung dafür ge-
geben hätte.
Aus alledem geht hervor, dass wir in den besprochenen Unter-
1) In die Rubrik „nervöse Schwerhörigkeit“ wurden von Bezold in den
letzten 10 Jahren alle diejenigen Fälle mit negativem Befund am Trommelfell
etc. aufgenommen, welche neben hochgradiger Schwerhörigkeit darboten: 1) Ver.
kürzung für die K. L. (mit A. u. al), 2) erhaltene Perception der tiefen Töne in
L. L., 3) einen unverkürzten oder nur wenig verkürzten positiven Rinne.
2) Von 2,0 bis 4,0 der Galtonscala, also um ca. 2—4 Tonintervalle. Nimmt
man d? als mittleren oberen Grenzton, so kämen wir auf a6 bis f6 hinunter,
also in die Mitte der sechsgestrichenen Octave.
E. Bloch: Die Ermittlung einseitiger completer Taubheit. 267
suchungsmethoden !) eine werthvolle Bereicherung unserer diagnostischen
Hülfsmittel besitzen, die einer weiteren Ausbildung fähig is. Wenn
unsere Kenntniss von dem Wesen der Knochenleitung und den dieselbe
verstärkenden, resp. schwächenden Factoren eine genauere und sicherere
sein wird, so werden wir auch manche z. Z. noch unverständliche
Ausnahmen begreifen und richtig deuten lernen und wenn wir über
die Bedeutung der Defecte am oberen Ende der Scala besser unter-
richtet sein werden, so werden wir namentlich die zahlreichen Fälle von
Sclerosis noch besser beurtheilen können. Zu diesem Behufe wäre
essehr wünschenswerth, dassnach der Tonhöhe bestimmte
undeinheitlich geaichte Galton-Pfeifchen käuflich wären.
Am Schlusse meiner Arbeit angelangt, möchte ich noch meine Ver-
wunderung darüber aussprechen, dass in dem sonst so ausführlichen
Handbuch von Schwartze das wichtige Kapitel der functionellen Prüfung
so stiefmütterlich abgehandelt ist.
XV.
Die Ermittlung einseitiger completer Taubheit.
Von Dr. E. Bloch in Freiburg i. B.
Der Redaction zugegangen den 16. September 1895.
Unsere Methoden der Hörprüfung haben jede für sich nur einen
bedingten Werth. Diese allgemein anerkannte Grundlehre ist auch
dann anzuwenden, wenn wir den letzten Rest von Sinnesvermögen in
einem anscheinend tauben Ohre ermitteln wollen bei Erhaltensein des
Hörvermögens im andern. Die gewöhnlichen Prüfungsmittel, Pol. Hörm.,
Uhr, Flüstern und laute Sprache lassen uns hier im Stiche. P. H. und
Uhr können ausfallen, während laute Sprache noch percipirt wird. Und
wenn letzteres geschieht, so sind wir nicht im Stande, dem Untersuchten
anzusehen, ob sie im — selbstredend verschlossenen — besseren oder
im anscheinend tauben Ohre gehört wird.
Prüfen wir mit Stimmgabeln, so kann, zugegeben dass eine complete
einseitige Taubheit hierbei ermittelt würde, der Versuch jeweils nur
1) Die Untersuchung auf allfällige Tonlücken, welche übrigens nach Bezold’s
eigener Angabe nur bei Taubstummen und sehr hochgradig Schwerhörenden vor-
kommen, habe ich nicht vorgenommen aus Mangel der vollständigen continuir-
lichen Tonreihe.
18*
268 E. Bloch: Die Ermittlung einseitiger completer Taubheit.
für den betreffenden Ton gelten. Wir müssen also auch hier,
wie sonst, mit einer Anzahl von Tönen aus verschiedenen Theilen der
musikalischen Scala untersuchen, bevor wir die Diagnose auf absolute
einseitige Taubheit stellen. Und wäre gar zu vermuthen, dass wir es
mit Tonlücken oder -Inseln zu thun haben, so müsste eigentlich die
gesammte continuirliche Tonreihe (Bezold) herangezogen werden, bevor
wir unser Urtheil abgeben.
Was müssen wir bei einer Stimmgabelprüfung im Falle einseitiger
Taubheit verlangen ?
Die Antwort auf diese Frage scheint höchst einfach zu sein: dass
der Ton weder in Luft- noch in Knochenleitung von dem tauben Ohre
wahrgenommen wird. Ein differenzielles Verhalten beider Wege können
wir natürlich an dem wirklich tauben Ohre nicht erkennen. Wird aber
ein Rest von Hörvermögen auf der vermeintlich tauben Seite aufgefunden,
so gestaltet sich die Beurtheilung schwierig.
Betrachten wir zuerst die osteo-tympanale Leitung.
Setzen wir eine schwingende Stimmgabel auf den Scheitel (D. V.),
so fliessen cet. par. die Schallwellen allseitig gleicherweise, also auch
nach beiden (Gehörorganen gleichmässig ab. Sind beide normal, so
localisiren wir den Ton nicht in’s rechte und nicht in’s linke Ohr,
sondern in die Median- (Sagittal-) Ebene des Kopfes, in die Stirn, in
die Mitte des Schädelgrundes oder in’s Hinterhaupt, aber stets in einen
von beiden Ohren gleichweit entfernten Punkt desselben. Es entsteht
ein medianes subjectives Hörfeld (Urbantschitsch), wie das aus den
Verhältnissen des binauralen Hörens mit Nothwendigkeit sich ergiebt !).
Hört ein Ohr den Prüfungston besser als das andere, ohne dass ein-
seitige Taubheit für denselben besteht, so rückt, wie bekannt, das sub-
jective Hörfeld aus der Medianebene weg nach der Seite des besser
hörenden Ohres, um so weiter, je schlechter der Ton auf dem anderen
Ohre wahrgenommen wird. Ist dieses ganz taub, so findet die Ton-
aufnahme eben bloss in dem noch functionirenden Ohre statt, man hört
den Ton ganz lateral im Öhre selbst, nicht mehr im Innern des Kopfes,
nicht mehr: als subjectives Hörfeld. Theoretisch wären wir also durch-
aus berechtigt zu sagen: Wird der Ton des D. V. und bei Luftleitung
nur in einem Ohre gehört, so ist das andere für denselben taub.
Praktisch liegt die Sache anders. |
1) cf. Meine Arbeit über „Das binaurale Hören“, Z. f. O. Bd. XXIV,
1893, S. 25 ff.
E. Bloch: Die Ermittlung einseitiger completer Taubheit. 269
Es ist nämlich selbst für den mit solchen Untersuchungen Ver-
trauten nicht ganz leicht zu entscheiden, ob man einen Ton thatsächlich
bloss im Ohre hört oder ob man ein subjectives Hörfeld nahe dem Ohre,
in der Tiefe der Schläfe wahrnimmt. Wohl klingt der Ton im letzteren
Falle voller, im ersteren dünner; aber der Ungeübte ist in der Regel
nicht in der Lage, sofort den feinen Unterschied zwischen beiden heraus-
zufinden. Sprechen wir ja doch schon von einem „Lateralisiren des D.V.“,
von einem „Hören desselben im rechten oder linken Ohre* in Fällen,
in welchen es sich auch nicht annähernd um einseitige Taubheit handelt,
in denen ein wohl erkennbares subjectives Hörfeld in der einen Hälfte
des Kopfes besteht und wo wir somit keinen Grund hätten, die Empfindung
in ein Ohr zu verlegen. Also auf derartige feine Nuancen können wir
in der Regel bei unseren klinischen Hörprüfungen nicht eintreten, und
desshalb ist die Verwerthung der Knochenleitung, ist der Weber’sche
Versuch nicht dazu geeignet, einseitige Taubheit zu ermitteln.
Es bleibt uns somit nur der aöro-tympanale Zuleitungsweg offen.
Bei nervöser Schwerhörigkeit übertrifft bekanntlich ohnehin dieser
Weg an Leistungsfähigkeit den osteo-tympanalen, analog dem normalen
Verhalten. Die Untersuchung spitzt sich hier also auf die Frage zu:
Ist noch ein Rest von Hörvermögen auf einem an-
scheinend tauben Ohre vorhanden, wenn die vor dem-
selben schwingende Stimmgabel gehört wird?
Der Ton der Stimmgabel kann auch von dem anderen Ohre wahr-
genommen worden, die Schallwellen beugen sich um den Kopf herum
zu dem nicht geprüften Organe. Wir verschliessen also dieses Ohr, um
sie von ihm abzuhalten. Leider wird aber damit unsere Absicht, das
freie Ohr gänzlich auszuschalten, nicht erreicht. Wie von K. L. Schäfer?)
hervorgehoben worden ist, gelangt ein leiser Ton aus der Luft durch
ein Ohr hindurch und durch die Kopfknochen hinüber zum anderen
Ohre. Gerade dann, wenn wir das zweite (abgewendete) Ohr ver-
schliessen, hören wir den leisen Ton in dem letzteren, und zwar als
subjectives Hörfeld auf der Kopfseite desselben. Dieser Versuch, den
man mit jeder beliebigen Stimmgabel leicht anstellen kann, beweist,
dass ein Hinüberleiten eines sehr leisen Tones aus der Luft durch
ein schwerhöriges Ohr hindurch zum gut hörenden stattfindet.
Auch hier dürfte es einem ungeübten Kranken schwer fallen, zu
sagen, in welchem Öhre er den Ton hört, im anscheinend tauben oder
1) Schäfer, ein Versuch über die intracranielle Leitung leisester Töne
von Ohr zu Ohr. Z.f. Psych. u Phys. der Sinnesorgane, Bd. II, 1891, S. 111 ft.
270 . E. Bloch: Die Ermittlung einseitiger completer Taubheit.
im nicht geprüften. Die vor das erstere gehaltene Stimmgabel wird
ihm in der Regel suggeriren, dass er ihn in diesem höre.
Es kann also weder die Knochen-, noch die Luft-
leitung uns einen ganz zuverlässigen Weg bereiten, um
complete einseitige Taubheit zu erkennen, weil bei
beiden das andere Ohr nicht vollkommen auszuschalten ist.
Dass mit dieser Erklärung weder dem Weber’schen noch dem
Rinne’schen Versuche in ihrer Bedeutung für unsere Hörprüfungen
im Allgemeinen zu nahe getreten werden soll, braucht wohl nicht
besonders betont zu werden.
Bei der geringen Verlässlichkeit des D. V. für den Zweck der
Erkennung einseitiger Taubheit hat schon vor mehr als zwei Jahrzehnten
Knapp zwei Methoden angegeben !), welche mit Sicherheit die Diagnose
stellen sollen : |
I. Wird eine tönende Stimmgabel vor einem hörenden Ohre hin
und her bewegt, so wird die Tonempfindung periodisch verstärkt, näm-
lich so oft die Gabel gegenüber der Muschel zu stehen kommt. Ist
dieses Ohr taub, so bleibt die stossweise Zunahme der Intensität aus,
weil jetzt der Ton nur noch von dem anderen Ohre und zwar gleich-
mässig wahrgenommen wird.
In einer angeschlossenen Krankengeschichte traf diese Probe zu,
wo das r. Ohr auch für andere Prüfungsmittel taub erschien.
II. Bewegungen des Trommelfells, welche wir mit dem Siegle-
schen Trichter ausführen, hört der Untersuchte als tiefes, knackendes
Geräusch. Bei einseitiger Taubheit fehlt dasselbe auf der betreffenden
Seite.
Auch dieser Versuch wird durch einen Krankheitsfall illustrirt.
Mir ist nicht bekannt, ob diese Knapp’schen Methoden bis jetzt
anderweitig nachgeprüft wurden. Für das praktische Bedürfniss scheinen
sie allerdings zu genügen, aber einer strengen Analyse hält wenigstens
die erste kaum Stand. Es ist doch wohl leicht der Fall zu denken,
dass der Ton einer Stimmgabel in Luftleitung nicht gehört wird, ohne
dass das betreffende Ohr vollständig taub ist. Ich brauche nur an die
nicht gar seltenen Fälle von einseitiger Stapesankylose zu erinnern.
Der Wegfall der periodischen Tonverstärkung. bei der ersten Knapp-
1) Knapp, Zur Diagnose der einseitigen Taubheit. A. f A.u O. Bd. IV,
1874, S. 317 f.
E. Bloch: Die Ermittlung einseitiger completer Taubheit. 271
’schen Prüfungsmethode ist also auch nicht strict beweisend — zum
mindesten nicht für sich allein.
Ueber den Werth des zweiten Verfahrens muss eine öftere Wieder-
holung an weiteren Fällen entscheiden, die auch darauf zu achten hätte,
ob nicht das knackende Geräusch in das andere Ohr hinübergeleitet
und hier leise gehört wird. Wird es bei beweglichem Trommelfell
überhaupt nicht gehört, so dürfte dies für die Taubheit bezüglich der
das Knacken constituirenden tiefen Töne allerdings bezeichnend sein.
Besteht ein auch nur kleiner Defect in der Membran, so ist das Ver-
fahren nicht anwendbar.
Eine weitere Methode zur Prüfung einseitiger Taubheit wurde von
Gruber angegeben). Dieser Autor findet, dass, wenn der Ton einer
Stimmgabel vor dem Ohre erloschen ist, er sofort wieder hörbar wird,
wenn man mit dem Zeigefinger der freien Hand den Gehörgang lose
verschliesst und das Instrument auf den Finger nahe dem Ohre aufsetzt.
Bei einseitiger totaler Taubheit wird der Ton auch bei dieser Anordnung
nicht gehört, die wirksamer sein soll, als die einfache aöro-tympanale
Leitung.
Ich habe diesen Gruber’schen Versuch an mir und an Anderen
wiederholt. Ich kann aber den Thatbestand desselben nicht bestätigen.
Geprüft wurde mit C (= 128 v. d.), c!, c? u. c’, am meisten mit
einer c! von König (= 256 v. d.), die bei starkem Anschlage 345”
lang in der Luft schwingt. Ist der Ton der Gabel vor dem Ohre ver-
klungen, so wird er auch in der Gruber’schen Anordnung nicht mehr
gehört. Zudem stört das Rauschen des selbst ganz vorsichtig im Ohr-
eingange gehaltenen Fingers die Beobachtung.
Wir sind somit.nicht in der Lage, einseitige .totale
Taubheit mit voller Sicherheit stets festzustellen. Die
Diagnose ist nur eine mit Wahrscheinlichkeit zu prädicirende.
Unter diesem Vorbehalte steht auch die von mir?) angegebene
diagnostische Methode, die auf den Eigenthümlichkeiten des binauralen
Hörens fusst?): „Sind wir im Zweifel, ob auf einem Ohre noch eine
1, Gruber, Jos. Zur Hörprüfung. M. f. O., 1885, No. 2, S. 33 ff.
2) l.c. 8. 52.
3) Wie ich nachträglich sehe, stützt sich auch die von Preusse (M. f.O.,
1879, No. 6, S. 93) angegebene Telephonmethode auf eine Eigenthümlichkeit
des binauralen Hörens, auf das subjective Hörfeld; doch eignet sich diese, wie
bereits auseinandergesetzt, weniger zu dem gedachten Zwecke, als die binaurale
Schallverstärkung.
272 E. Bloch: Die Ermittlung einseitiger completer Taubheit.
Sinnesempfindung auszulösen ist, so werden wir zwei unisone Stimmgabeln
und zwar Paare aus verschiedenen Octaven vor die Ohren halten und
die vor dem zu prüfenden Ohre befindliche abwechselnd entfernen und
wieder nähern. Tritt im letzteren Falle ein merklicher Intensitäts-
zuwachs auf der besser hörenden Seite oder tritt eine Verlegung des
Schalles in das Innere des Kopfes (nach der Seite des besseren Ohres)
ein, so ist sicher auf der anscheinend tauben Seite noch einige Gehör-
empfindung erhalten. Verneinenden Falles dürfen wir wohl absolute
Taubheit annehmen.“
Da wohl keine unserer otiatrischen Anstalten so opulent ausgestattet
ist, dass sie über zwei unisone Garnituren von Gabeln verfügt, so stellt
man den Versuch zweckmässig in folgender Weise an:
Die beiden langen Enden eines gegabelten Hörschlauches werden
von hinten ber in die beiden Gehörgänge des zu Untersuchenden ein-
gesetzt und hier festgehalten. Auf das Verbindungsstück (von Glas
oder Metall) setzt man die schwingende Gabel auf. |
Bei einseitiger completer Taubheit kann der Ton nur in dem noch
functionirenden Ohre gehört werden. Verschliest man nun — stets
möglichst geräuschlos! — den zu diesem führenden Schenkel, so hört
die Tonwahrnehmung auf. Verschliesst man dagegen den zu
dem tauben Ohre leitenden Schlauchtheil, so wird im
Gegentheil der Ton im anderen Öhre lauter gehört und
bei Aufhebung des Verschlusses wieder leiser.
Ist aber in dem zu prüfenden Ohre noch ein merklicher Rest von
Perceptionsvermögen vorhanden, soviel dass der Ton der Stimmgabel
durch den Schlauch hindurch gehört werden kann, wenn auch nur
binaural (cf. mein binaurales Hören, S. 43 ff.), so wirkt der Verschluss
des zu diesem Ohre führenden Schlauches in entgegengesetzter Weise:
der Ton wird leiser und in’s andere Ohr verlegt, mit der Aufhebung
des Verschlusses wieder lauter und rückt in den Kopf hinein (subjectives
Hörfeld).
Die Erklärung für dieses Verhalten ist einfach. Bei beispielsweise
linksseitiger Taubheit gelangt die eine Hälfte des Schalles durch den
gegabelten Schlauch zum tauben, die andere zum hörenden rechten
Ohre. Die erstere nutzt der Sinneswahrnehmung nichts; sie fliesst ab,
ohne als Sinnesreiz zu wirken. Verschliessen wir den zum tauben Ohre
führenden Schlauch, so gelangt eine grössere, fast die ganze Summe
der Schallwellen zum hörenden Ohre, daher nun die bessere Perception
des Tones auf diesem.
E. Bloch: Die Ermittlung einseitiger completer Taubheit. 273
Ist aber noch ein Rest von Hörvermögen auf dem linken Ohre
vorhanden, so wirken die durch den Schlauch zu ihm gelangenden
Schallwellen als adäquater Reiz: es erfolgt ein Hören mit beiden Ohren,
unter Umständen, welche eine erhebliche gegenseitige Steigerung der
Perception herbeiführen (binaurale Schallverstärkung). Und
wenn nun der linke Schlauch comprimirt wird, so ist das übrig bleibende
monaurale Hören auf dem rechten Ohre immerhin schwächer als das
binaurale mit Hilfe des schwerhörigen linken Ohres.
Einige jüngst beobachtete Fälle aus unserem klinischen Materiale
mögen das Vorgetragene illustriren.
Beobachtung 1. W. Sch. (1895 No. 206, aufgen. 11. IlI.),
eine 16jährige Fabrikarbeiterin von schmächtigem Körperbau, aber
gesundem Aussehen, von angeblich gesunden Eltern, ohne Verdacht auf
Lues oder Tuberculose, hat als Kind Scharlach mit beiderseitiger Ohr-
eiterung und später öfter Anginen durchgemacht. Seit zwei Jahren
Schwerhörigkeit bemerkt. Rachen frei, Nase mässig eng, Katheter
beiderseits frei durch, ohne Rasseln. Trommelfell beiderseits eingezogen,
sonst nichts.
r. 0; Knochenleitung 0
1. 0,50; Knochenleitung’ en
Uhr (normal 5 m weit gehört)
Scheitel nach l. gehört.
r. 0
.>7—>7m
tiefe Laute mehr als 7 m weit).
A! (Appun) = 1.— (d.h. Rinne, Weber undSchwabach
mit A!: rechts nichts gehört in Luftleitung, vom r. Warzenfortsatz.
nach ]., desshalb Rinne r. 0, links Rinne +4; Weber nach |. late-
ralisirt; Perceptionsdauer verkürzt, das — Zeichen hinter 1.).
Ganz dasselbe Ergebniss liefert die Prüfung mit C, c, c! und c®.
Es ist nicht wohl anzunehmen, dass man es hier mit Hörlücken zu
thun habe und dass die anderen Töne der betreffenden Octaven gehört.
würden. Dagegen spricht auch das Ergebniss der Prüfung mit v.
G (Galtonpfeife), bei 0,1 normal schon deutlich als Pfeifen
22a 20
0,7... 0,9
2,2 Windungen an gehört, vor dem offenen linken von 0,7 an. Sind
beide Ohren dicht durch die Zeigefinger verschlossen, so erhalten wir
die in den Klammern stehenden Zahlen, nämlich r. 2,0 und |. 0,9
Windungen. Es lässt diese Differenz beider Seiten vermuthen, dass die:
Töne von rechts durch die Kopfknochen nach dem linken Ohre gelangen
und sämmtlich nur links gehört werden. König’sche Klangstäbe
bei geschlossenem l. Ohre noch e®, bei offenem noch g®,, eine Grenze,
v. (Flüstern r. nicht, l. für hohe und für
gehört: ); d. h. vor dem offenen rechten Ohre von
274 E. Bloch: Die Ermittlung einseitiger completer Taubheit.
die vielfach von Normalhörenden nicht überschritten wird. PCd!
0
{Druckversuch mit der d! Gabel) — r. in Luftleitung nicht gehört,
beim D. V. nach links lateralisirt, in gleichmässig abnehmender Stärke
gehört. 1. in beiden Wegen positives (normales) Ergebniss.
Wird von hinten her der binaurale Hörschlauch in
beide Gehörgänge gesteckt und die langtönende d!-Gabel
auf dessen Verbindungsstück gehalten, so hört Pat. den
Ton bloss links. Wird der zum r. (tauben) Ohre führende
Schenkel comprimirt, so hört sie den Ton 1l. lauter, bei
Oeffnung desselben wieder leiser.
Der Versuch wird verschiedentlich mit dem gleichen Ergebnisse
wiederholt. Dasselbe gilt für ce! und c®.
Wenn man ihr ein Paar nahezu unisoner c’-Gabeln vor die Ohren
hält, so tritt keine binaurale Schallverstärkung ein. Der
Ton wird l. in unveränderter Stärke gehört, mag die andere Gabel vor
dem r. Ohre tönen oder nicht.
Bewegt man nach Knapp eine tönende Stimmgabel vor dem
r. Ohre hin und her, so wird dieselbe weder in stossweiser Verstärkung
noch gleichmässig, sondern überhaupt nicht gehört.
Macht man, analog der zweiten Methode von Knapp, mit dem
Masseur von Delstanche Trommelfellbewegungen, so werden dieselben
l. als Geräusch wahrgenommen, r. dagegen nicht. Bei Anlegung des
Siegle’schen Trichters sieht man, dass beide Membranen gleich gut
beweglich sind.
Als Ursache der halbseitigen Taubheit ist mit Wahrscheinlichkeit
Hysterie anzunehmen. Pat. lag 1893 im Februar wegen hysterischer
Anfälle auf der medic. Klinik; doch sind jetzt keine derartigen Er-
scheinungen zugegen, auch Transfert gelingt nicht.
Die Diagnose auf absolute rechtsseitige Taubheit anlangend, so
kann das Fehlen der Perception der Uhr und der Flüstersprache sie
noch nicht begründen, ebensowenig, dass der D. V. für alle Schall-
quellen nach 1. lateralisirt. Alles dies könnte auch bei rechtsseitiger
Schwerhörigkeit vorkommen. Das Hören der Galtonpfeife vor dem
r. Ohre ist mit grösster Wahrscheinlichkeit auf die Wahrnehmung des
l. zu beziehen, wie aus der Betrachtung der Ziffern für G bei ge-
schlossenen Ohren sich ergiebt Entscheidend ist uns aber die binaurale
Methode mit unisonen Gabelpaaren, die wir eigentlich aus noch anderen
Octaven hätten wählen sollen, und mit dem gegabelten Hörschlauche,
welche die rechtsseitige Taubheit für die verwendeten Schallquellen sehr
schön demonstrirt. In Uebereinstimmung damit steht das Ergebniss der
E. Bloch: Die Ermittlung einseitiger completer Taubheit. 275
zweiten Methode von Knapp, während seine erste uns hier im
Stiche lässt.
Beobachtung 2. J. B., Schutzmann, 44 J. alt (No. 188 1895,
aufgen. 6. III.) seit einigen Wochen an Bronchialkatarrh erkrankt, als
dessen Ursache er die häufigen Nachtwachen und -Patrouillen des Dienstes
wiederholt anklagt. Gegen Ende der Erkrankung treten Schmerzen und
Schwerhörigkeit im rechten Ohre auf, welches wie das linke früher
stets gesund gewesen sei. Erbliche Momente sowie Schwindelgefühle
fehlen.
Trommelfell r. trübe, ohne Lichtfleck, ho. geröthet und wenig
vorgewölbt, 1. weisser, dichter, sonst normal. Katheter r. frei, ohne
Rasseln.
0, Knochenltg. 0
h | heitel nach |. ört.
Uhr 0,85 Knochenltg. vom Scheitel nac gehört
y r. 0
` Ll 2—1 m.
Am 11. März rechtes Trommelfell besser. AI, C, c, cl, c?, c’
werden im r. Ohre nur als ein stets gleiches „Brummen“ empfunden,
vom Warzenfortsatze r. nicht percipirt. Rinne links bei allen Stimm-
gabeln +, D. V. = 0. Klangstäbe bei verschlossenem 1. Ohre nicht
0
gehört, bei offenem noch g°. G 08 er
Am 22. März ergiebt die Prüfung mit den Stimmgabeln und
0 0,1.
Klangstäben dasselbe. erg) PCa! —
Am 29. März sind beide Trommelfelle gleich, weiss, dichter. Pat.
klagt über unveränderte complete rechtsseitige Taubheit.
. 0, Knochenltg. 0 0 0
Ca 0,75 Knochenltg. ’ "’ "S7_ 270 Dee SUN
man von der gewöhnlichen Conversationssprache ausgehend allmählig
lauter und lauter in das rechte Ohr hineinspricht (V.), so erhält man
doch stets negative Auskunft.
Al E l. Verschliesst man aber das linke Ohr beim D. V. mit
(Pressionsversuch }).
dieser Gabel, so giebt der Untersuchte an, dass er den Ton nicht mehr
höre! fist, eine starke breite Gabel mit sehr lautem Tone r. nr
norına
Klangstäbe —— PC.-Versuch wie am 22.
noch g®6
Die Prüfungsergebnisse nehmen sich sonderbar aus. Während am
22. G. links bei verstopffem Ohre von 1,5 Windungen an gehört wird,
Diagnose der Stapesfixation. Z. f. O. 1894, Bd. 25, S. 113 ff.
276 E. Bloch: Die Ermittlung einseitiger completer Taubheit.
will Pat. die durchdringenden schrillen Klänge der König’schen Stahl-
cylinder der 5- und 6-gestrichenen Octave hierbei gar nicht wahr-
nehmen, ebensowenig die fis*-Gabel bei fast schmerzhaft lautem An-
schlage. Beim D. V. leugnet er am gleichen Tage jede Tonwahrnehmung,
an welchem der Pressionsversuch mit d! leicht ausgeführt werden kann
und l. eine normale Formel liefert und an dem das Ticken der Uhr
vom Scheitel nach l. lateralisirt wird. Am 29. März, da er links alle
Flüsterlaute — 7 m weit hört, will er nach der rechten Kopfseite
ganz laut gesprochene Wörter von hohem wie von tiefem Klangcharakter
bei zugehaltenen 1l. Ohre gar nicht erkennen.
Der Versuch mit dem binauralen Hörschlauche klärt die Sache
vollends auf.
Wir verfahren wie bei Fall I. Wird der rechtsseitige Schlauch
(zum schlechten Ohre) geschlossen, so hört Pat. den Ton schwächer.
Wird der linksseitige Schenkel zugedrückt, so hört er den Ton immer
noch, angeblich im 1l. Ohre. Wird der linke Schlauch zwar im ÖOhre
belassen, aber, ohne dass der Untersuchte es bemerkt, vom Mittelstücke
losgelöst und frei herabhängen gelassen, so hört er, nun bloss der rechts-
seitige Schenkel noch mit dem Mittelstück, der tönenden Gabel und
dem rechten Ohre verbunden ist, den Ton noch immer deutlich —
sicherlich im rechten Ohre.
Gleichwohl giebt er an, ihn links zu hören.
Oder soll man hier eine Ueberleitung des Tones vom Hörschlauche
und dem r. Ohre durch den Kopf nach dem 1l. annehmen? Soll man
erwarten, dass der das l. Ohr verstopfende Schlauch, der frei über den
Rücken herabhängt, so sehr den Schallabfluss 1. hemmt, dass wenn das
r. Ohr taub und somit eine binaurale Schallverstärkung ausgeschlossen
ist, der von r. kommende Ton im linken gehört wird? Möglich! Bei
anderen zweifellos einseitig Tauben ist dies aber nicht so. Und wenn
wir statt der Schlaucholive links den Finger einsetzen, wenn wir so
dem Untersuchten die Illusion benehmen, als stehe das 1. Ohr mit der
tönenden Gabel in Verbindung, so leugnet er jede Tonwahrnehmung.
Und doch haben wir damit nichts wesentliches an dem Versuche geändert,
die Ueberleitung kann jetzt nicht schlechter sein als vorhin.
Dagegen hört er den Ton sofort wieder, angeblich links, wenn
man dieses Ohr offen lässt. Das steht nun völlig im Widerspruch mit
unserer Anschauung von der Ueberleitung eines Tones durch den Kopf
hindurch. Bei Verschluss des l. Ohres könnte er hier den vom r.
E. Bloch: Die Ermittlung einseitiger completer Taubheit. 277
kommenden Ton hören, aber nicht oder doch schwieriger bei offenem
Meatus und ungehindertem Schallabflusse.
Zudem steht seine Angabe beim Pressionsversuche derjenigen beim
binauralen unvereinbar gegenüber. Dort hört er rechts den aus einem
halb so langen Schlauche zugeführten Ton der gleichen Gabel nicht,
auch nicht nach links übergeleitet, hier will er ihn aus viel grösserer
Entfernung hören. Die Möglichkeit directer Zuleitung aus der Luft
nach dem 1. Ohre ist bei beiden Versuchen ungefähr gleich gross.
Die vielen Widersprüche der öfter wiederholten Untersuchung lösen
sich nur unter der Annahme, dass wir es mit einem Simulanten zu
thun haben. Die häufigen Nachtwachen beim Polizeidienste behagen
ihm nicht. Die Musse während seiner Bronchitis und das gleichzeitige
Auftreten eines leichten rechtsseitigen Mittelohrkatarrhs haben wohl in
seinem Busen den Entschluss gezeitigt, eine Taubheit zu insceniren, die
ihn zwar für den bisherigen beschwerlichen Dienst untauglich erscheinen
lässt, aber noch geeignet zu einem leichteren und nicht schlechter
bezahlten.
Zur Erlangung eines solchen wünscht er nun auch von uns ein
geeignetes ärztliches Zeugniss.
Beobachtung 3. Luise S., 21 J. alt, Dienstmädchen aus E.
(No. 417, 11. VI. 1895). Otitis med. chron. suppur. bilat.,
l. caries des Felsenbeines, linksseitige Taubheit. Mit
4 Jahren Scharlach mit Nasen- und Öhreneiterung. In der r. Nase
fehlen die untere und die mittlere Muschel, am Rachendach dicker
fötider Schleim. Kopfschmerz, Stirn über den Sin. front. bei Klopfen
schmerzend. Im r. Trommelfell grosser Defect, 1. Totaldefect, Griff
nicht zu sehen, die Sonde fühlt auf grösseren Strecken rauhen Knochen.
ié — ô =? —
eu . vy, ‚Al ee Be —r—;
h D Kltg. 0; v r—; C r she
0
o =>,
2 } — —
c! dasselbe; fist <. g (55 I: PCd! -- -—.,
0 Or
Versuch mit dem on a undderd!-Gabel:
bei Verschluss des 1. Schlauchschenkels wird der Ton rechts stärker
gehört, bei Offenlassen schwächer.
In diesem Falle — wir haben die Kranke bald darauf: aufgemeiselt,
es fand sich ein cariöser Hammer ohne Griff, kein Ambos vor — war
1. auf keine Weise eine Gehörempfindung zu constatiren. Der Knapp-
’sche Versuch 'war wegen der Trommelfelldefecte ausgeschlossen. Das
Ergebniss der Prüfung mit der Galtonpfeife, 1. 2,5..., bei geschlossenen
Ohren 2,7 Windungen, ist wohl auch auf das r. Ohr zu beziehen. Und
278 E. Bloch: Die Ermittlung einseitiger completer Taubheit.
auch hier stimmt der Versuch mit dem binauralen Schlauche vollkommen
zum sonstigen Befunde der Hörprüfung.
Beobachtung 4. Jakob G., 20 J. alt, Bierbrauer aus Dagers-
heim (Württemberg) (No. 357, 5. VI. 1895). Rechtsseitige Taub-
heit, l. nervöse Schwerhörigkeit. Litt im Alter von 5 J. an
„Hirnentzündung‘“, seither r. taub, auch 1. zeitweise schwerhörig, nie
Ausflus. Trommelfell beiderseitig normal bis auf eine Verdichtung in
der unteren Hälfte.
re: 0; v
i. c.
0 0
4 u eh. ER ae te ab pre e . o a 6. 1
fis : G 09. ( 56 } Klangstäbe noch ef; PCd
0 0.0 0 0
mua aaa AI—: Dr u enge 1ı___—_ (0:
Dort
0, links
z Ti
zwei unisone c?-Gabeln geben keine binaurale Schallverstärkung. Be-
wegung des Trommeltfells mittelst des Masseur wird l. gehört, r. bloss
gefühlt.
Versuch mit dem binauralen Schlauch und den Gabeln
ce! und d!: bei Zuhalten des rechten Schenkels wird der Ton l.
lauter gehört, schwächer, wenn beide offen sind. Wiederholt geprüft.
In diesem Falle dürfte es sich um eine central bedingte rechts-
seitige complete Taubheit handeln, die wohl durch Meningitis in der
Kindheit entstanden ist. Der Knapp’sche Versuch ist hier anzustellen,
weil die Trommelfelle erhalten sind, und er fällt der Erwartung ent-
sprechend aus: auch er kann rechts keine Gehörempfindung auslösen.
Uebereinstimmend mit ihm und der gesammten übrigen Hörprüfung
weist auch der binaurale Versuch auf rechtsseitige Taubheit hin. Aus
der Taubheit des linken Ohres für die tiefen Töne, Al und C, ist hier
nicht auf ein Mittelohrleiden zu schliessen, weil schon c einen absolut
positiven Rinne ergiebt, weil ferner der Pressionsversuch links positiv
ist (Poa: was wenigstens gegen Stapesankylose spricht, und
++)
weil die Prüfung mit Flüsterstimme links für tiefe Laute eine grössere
Hörweite nachweist als für hohe (v De) |
In den Fällen, wo wir aus dem übrigen Befunde auf einseitige
Taubheit schliessen können, hat also, wie wir sehen, der Versuch mit
dem binauralen Schlauche nicht versagt; bei demjenigen, in welchem
dies geschieht, handelte es sich um Simulation.
M. Herzog: Verticillium Graphii als Ursache v. Otit. externa diffusa. 279
XVI.
Verticillium Graphi als Ursache
einer hartnäckigen Otitis externa diffusa.
Von Dr. Maximilian Herzog in Chicago,
früher Ohren- und Hals-Arzt am deutschen Spital in Cincinnati, Ohio.
(Uebersetzt von C. Truckenbrod.)
Bei der Durchsicht der Litteratur über diesen Gegenstand finde
ich, dass bis jetzt Niemand in den Vereinigten Staaten einen Fall von
Otitis externa diffusa parasitica, veranlasst durch Verticillium Graphii
(Hary-Bezold) beschrieben hat, obwohl viele Autoren in unserem
Lande über die Mycose der Otitis externa diffusa geschrieben haben.
Eine Anzahl hierher gehöriger Fälle hat Siebenmann (Zeitschrift
für Ohrenheilkunde, Bd. XIX, S. 7) veröffentlicht, der eine Reihe von
"53, von Bezold beobachteten und auf ihre Aetiologie untersuchten,
Fällen veröffentlicht. Bei diesen 53 Fällen Bezold’s von Otomycosis
wurden die Pilze 36 Mal genau bestimmt; unter dieser Anzahl wurde
Verticillium Graphii 7 Mal gefunden. Siebenmann giebt l.c. folgende
Beschreibung dieses Pilzes:
„Mit der grossen Ziffer von 19,44 °/, finden wir ferner in unserer
statistischen Zusammenstellung ein Verticillium bezeichnet. So benennen
nämlich die Prof. Harz und Bezold einen Pilz, der — mit keinem
der botanisch bekannten identisch — zuerst von Hassenstein und
Hallier und ein Jahr später von Steudner als Rarität beschrieben
. wurde und den auch Prof. Bezold schon in den Jahren 1870—1879
3 Mal im Ohre gefunden hat. Prof. Hassenstein berichtet im
Archiv für Ohrenheilkunde Bd. IV, S. 162, ausführlich über einen
von ihm beobachteten Fall. ‚Die Hyphen des Thallus durchsichtig,
farblos, später dickwandig, gelb bis braun, septirt, verzweigt, Durch-
messer 2—3 u. Die Fruchtträger meistens etwas heller, in grösseren
Abständen zart septirt, gestreckter und etwas dünner als das Mycel.
Aeste reichlich paarig und gegenständig, häufiger unregelmässig ab-
gehend, oft wieder verzweigt. Sporen einzeln auf der Spitze der
Zweige, gegen den Fruchtträger zu sich verjüngend, bei der Reife
rauchgrau, eiförmig mit glatter Oberfläche (Durchmesser 5:3 u), bündel-
förmige Mycel-Stränge und Stamm-Bildungen mit normaler Conidien-
Bildung sind häufig.“
280 M. Herzog: Verticillium Graphii als Ursache v. Otit. externa diffusa.
Diese Beschreibung entspricht fast in jedem Detail dem Resultat,
das ich bei einem hartnäckigen Fall von Otitis externa diffusa erhielt.
Klinisch bot dieser Fall folgendes Bild:
Frau C. S., 27 J. alt, Deutsche von Geburt, kam 1883 nach den
Vereinigten Staaten und am 4. Oktober 1893 in meine Behandlung.
Ich stellte fest, dass sie im Verlauf der letzten 5—6 Jahre oft beider-
seits Ohr-Reissen hatte, und dass ihre Mutter in Deutschland oft die-
selben Beschwerden hatte.
Untersuchung: Die Haut des äusseren Gehörganges ist auf beiden
Seiten stark geschwollen und verdickt, so dass nur ein kleiner Theil
des Trommelfelles zu übersehen ist. Die Trommelfelle bieten, so weit
sie sich eben übersehen lassen, keine pathologische Veränderung :
Hörweite für Flüstersprache beiderseits 6—7 Meter; Stimmgabel-Befund
normal. Die Ohren wurden mit sterilisirtem warmen Wasser ausgespritzt,
der Gehörgang mit sterilisirter Watte getrocknet, die dann in Probe-
Röhrchen mit sterilisirter Bouillon ausgepresst wurde.
Die Bouillon enthielt bei der Untersuchung nach 24 Stunden viele
Mycelien. Mit der Cultur-Flüssigkeit wurden Pepton-Gelatine-Platten
beschickt. Auf diesen Platten entwickelten sich bei einer Temperatur
von 20—250 C. zahlreiche Colonien von kreisförmiger Gestalt, die
über die Oberfläche des Cultur-Bodens beträchtlich emporragten, von
grau-weisser Farbe mit einem leichten Stich ins Gelbliche. Die Colonien
bestanden nur aus Mycelium. es fanden sich keine Fruchtträger mit
Sporen. Diese Masse wurde nun zunächst auf Kartoffeln übertragen,
wo sie augenscheinlich einen besseren Boden zur Weiter-Entwicklung
fanden, da sich hier Fruchtträger mit Sporen bildeten. Das so gewonnene
Bild entsprach, wie schon oben gesagt, ganz der Beschreibung Bezold'’s
über Verticillium Graphii. Ich will noch einige Beobachtungen über
diesen Pilz mittheilen.
Augenscheinlich findet Vertieillium Graphii keinen sehr günstigen
Boden an Pepton-Gelatine (da diese sauer reagirt).. Es gelang mir bei
wiederholten Versuchen nicht, irgend eine Cultur auf irgend einer mir
bekannten Gelatine zu erzielen. Ich erzielte auf der Gelatine weder
eine Frucht-Bildung und das Mycelium zeigte eine andere Form als ich
sie auf einer Kartoffel-Cultur erhielt, indem es dünner und durchsichtiger
in seinen Stengeln und Aesten war. Es zeigte auch nicht sehr deutlich
die gelblich-braune Färbung, die ich an älteren Hyphen von Kartoffel-
Culturen fand. Auf letzterem Nährboden wächst Verticillium rascher
M. Herzog: Verticillium Graphii als Ursache v. Otit. externa diffusa. 281
als auf Gelatine und die Colonien erreichen eine bedeutendere Grösse
und sind über dem Cultur-Boden mehr erhaben. Die Sporen sind, wie
dies Siebenmann feststellt, birnförmig; sie scheinen sehr lose an
den Fruchtträgern befestigt, weil bei allen Präparaten, die ich mikro-
skopisch untersuchte, weitaus die Mehrzahl der Sporen aus ihren Frucht-
trägern ausgefallen war. Die Birnform ist oft sehr deutlich, indem die
Sporen an dem einen Pole des längeren Durchmessers einen warzen-
förmigen Ansatz zeigen; mitunter zeigt sich an beiden Polen ein solcher
Ansatz. Es hat den Anschein, als ob die Sporen sich theilen und zwei
Sporen bilden können, da ich unter dem Mikroskop Bilder gesehen
habe, die dieses Vorkommen bestätigen. Gleichwohl ist es auch mög-
lich, dass ich es bei diesen Präparaten mit zwei Sporen zu thun hatte,
die sich mit ihren warzenförmigen Ansätzen gegenüberstanden. In der
Regel erfolgt das Wachsthum auf folgende zwei Arten:
Durch Theilung. Die Spore verlängert sich und wächst in der
Richtung des grösseren Durchmessers, bis der letztere die zwei- bis
dreifache Grösse des kurzen Durchmessers erreicht hat. Dann theilt
sich das in der verlängerten Spore enthaltene körnige Protoplasma in
der Mitte der Zelle und die beiden getrennten Theile divergiren gegen
die Pole der langen Axe, indem sie einen hellen Raum in der Mitte
lassen. Hier baucht sich die Zell-Membran etwas nach Aussen, indem
sie so zu sagen einen Ring ,‚‚en relief‘‘ bildet. Dann sehen wir eine
Einschnürung, die immer deutlicher wird, bis endlich die Zelle in zwei
jetzt mehr oder weniger cylindrische Zellen getheilt ist.
Durch Knospung. Wir sehen die Sporen auch durch Knospung
wachsen. Nachdem sich die Pole verlängert und geglättet haben, sehen
wir an einem derselben sich eine kleine Warze bilden. Es scheint,
dass der Protoplasma-Inhalt der Zelle zuerst einen Process veranlasst,
der die Zell-Membran veranlasst, in der durch das Protoplasma gegebenen
Richtung an Grösse zuzunehmen. Diese Warze verlängert sich und
wird im Durchmesser grösser, bis sie die Grösse der Mutter-Zelle er-
reicht hat. Folgende Beschreibung mag diesen Wachsthums-Process
illustriren.
Das Bild des Mikroorganismus im Ganzen, wie es Verfasser unter
dem Mikroskop gesehen hat, ist fast identisch mit dem Bilde, das
Siebenmann in seinem oben angeführten Aufsatz gegeben hat (das
Bild ist in dem System of Diseases of the Ear, Nose and Throat,
Philadelphia 1893, Bd. I, S. 198 reproducirt). Die einzige Thatsache,
die in dieser Arbeit in einem Gegensatze zu mir zu stehen scheint, ist
Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXVII. 19
282 H. Knapp: Ueber die indicationen der Warzenfortsatzoperationen
die mit (a) bezeichnete Stielbildung, die bei dem Beobachter leicht die
Idee erzeugen kann, dass die Fruchtträger aus dem Stiele ‚‚trauben‘“- oder
„doldenförmig‘‘ herauskommen, was nie der Fall ist. Die Stiele sind
stets unregelmässig, dichotomisch getheilt und so sind sie Fruchtträger,
die nie mehr als eine Spore tragen. Ein Bild, wie wir es bei dem
Wachsen des Penicillium sahen, sehen wir bei Verticillium Graphii nie.
Nachdem die Ursache der Otitis externa gefunden war, wurde die
Behandlung nach Bezold eingeleitet, die in der Einträufelung einer
4°/, alcoholischen Salicyllösung bestand. Unter dieser Behandlung ging
die durch den Pilz veranlasste Entzündung bald zurück und verschwand
nach einer Behandlung von wenigen Wochen ganz. Als ich Patientin
nach sieben Monaten sah, konnte ich feststellen, dass sie keinen weiteren
Anfall von Ohrreissen gehabt, und dass sie thatsächlich in den letzten
5—6 Jahren keine so lange von Ohrreissen freie Zeit gehabt hatte.
XVII.
Ueber die Indicationen der Warzenfortsatz-
operationen bei acuter eitriger Mittelohr-
entzündung, mit vier erläuternden Fällen.
Von Hermann Knapp in New-York.
Viel ist in den letzten Jahren über operatives Eingreifen bei acuten
Mittelohrerkrankungen geredet und geschrieben worden. Es ist ein
Gegenstand von grosser Wichtigkeit, über welchen der Arzt bestimmte
Ansichten haben muss, die ihn befähigen, in manchen Fällen nach
kurzer Ueberlegung zu handeln, wo Aufschieben lebensgefährlich sein
kann, während auf der anderen Seite voreilige Chirurgie dem Patienten
eine Operation aufdringen würde, welche sich nicht immer als gefahrlos
herausgestellt hat. Die Frage ist die: Wie weit und wie lange ist in
einem gegebenen Falle conservative Behandlung erlaubt und empfehlens-
werth, und wann ist die Operation nicht nur gerechtfertigt, sondern
dringlich? Aus meiner Praxis der letzten acht Monate erlaube ich
mir, vier Fälle heranzuziehen, welche ich der Betrachtung der obigen
Frage zu Grunde legen will.
Wo und wie lange ist conservative Behandlung
empfehlenswerth?
bei acut. eitrig. Mittelohrentzündung, mit vier erläuternd. Fällen. 283
Wir dürfen getrost annehmen, dass jede ausgesprochene Mittelohr-
entzündung sich mehr oder weniger auf den Warzenfortsatz erstreckt
Dies ist natürlich kein hinreichender Grund zum Operiren. Wenn das
Atrium der Hauptsitz der Entzündung ist und der Trommelfelldurch-
bruch in der Pars tensa liegt, so denkt Niemand an eine Eröffnung des
Warzenfortsatzes, da die übergrosse Mehrzahl solcher Fälle ohne dieselbe
heilt. Selbst wenn die Symptome der Mastoiditis ausgesprochen sind,
brauchen wir uns mit der Operation nicht allzusehr zu beeilen. Ein
gewisser Grad von Fieber, besonders bei Kindern, Schmerz. Empfind-
lichkeit auf sanften oder starken Druck, Kopfweh, gedunsene Hautdecke
und selbst Schwellung des oberen-hinteren Endes des Gehörganges können
verschwinden und die Kranken vollkommen genesen, wobei der Nutzen
der üblichen Behandlung meistens recht deutlich hervortritt, ich meine
locale Kälte durch den Leiter’schen Röhrenapparat, Bettruhe, Reinigung
des Gehörganges mit einem Baumwollträger, bei reichlichem Ausfluss
- sanftes Ausspritzen mit einer schwachen antiseptischen Lösung und Ein-
blasen geringer Mengen feingepulverter Borsäure. Paracentese, wenn
das Trommelfell vorgebaucht oder die natürliche Durchbruchsöffnung
ungenügend ist, bildet eine der frühesten und heilsamsten Maassregeln.
Wie verhalten wir uns, wenn die Entzündung vor-
zugsweise den Atticus betrifft?
Solche Fälle werden allgemein für gefährlich und hartnäckig ge-
halten, und einige Autoren geben an, dass dieselben niemals ohne
Operation’ ausheilen. Diese Angabe geht meiner Erfahrung nach zu weit
und zur Stütze meiner Ansicht will ich einen aus einer ziemlichen An-
zahl mir zu Gebote stehender ähnlicher Fälle ausführlicher mittheilen.
Fall I. Acute Mittelohreiterung mit Ausdehnung auf den
Atticus und Warzenfortsatz. Vollkommene Genesung ohne
Warzenfortsatzoperation.
Am 15. December kam Herr Jos. St., ein corpulenter, gesund aus-
sehender Mann von 67 Jahren zu mir und klagte über Schmerzen und
Taubheit in beiden Ohren. Nur einmal in seinem Leben, vor 8 Jahren,
habe er an den Ohren gelitten, nämlich an einem nicht lange anhalten-
den Ausfluss aus dem linken Ohre. Seit den letzten 2—3 Wochen habe
er den Schnupfen. Vor 8 Tagen nahm er ein türkisches Bad. 5 Tage
später bekam er heftige Schmerzen im linken Ohr. 3 Tage nachher
fing dasselbe zu laufen an, wodurch die Schmerzen eine Zeit lang ge-
mildert wurden, vergangene Nacht seien sie aber wieder sehr heftig
gewesen.
19*
284 H. Knapp: Ueber die Indicationen der Warzenfortsatzoperationen
Ich fand Eiter im linken Gehörgang. Nach dessen Entfernung zeigte
sich die obere-hintere Wand roth und geschwollen, das Trommelfell ge-
röthet, sein oberer-hinterer Theil nach unten und vorn vorspringend, der
Sitz der Perforation nicht deutlich. Der linke Warzenfortsatz war
empfindlich auf Druck, nicht blos unmittelbar hinter dem oberen Theil
des Gehörganges, sondern auch an der Spitze und dem hinteren Rande.
Das rechte Trommelfell war gleichförmig geröthet, sein hinterer Theil
vorspringend. — Patient litt noch am Schnupfen; hatte geschwollene
Mandeln und Schmerzen beim Oeffnen des Mundes. . Er verstand nur
laute, direct in die Ohren gssprochene Worte. Sein Urin war normal.
Während des ganzen Krankheitsverlaufes bestand kein oder nur geringes
Fieber.
Ich verordnete ihm innerlich Tinct. nuc. vomic. und für seine
Ohren Ausspritzen mit einer warmen Borsäurelösung, Einblasen von Bor-
säurepulver und Bettruhe.
Zwei Tage später, am 17. December, kam er wieder. Beide Ohren
flossen reichlich. Fortsetzung derselben Behandlung.
19. December. Mehr Schmerzen in und hinter den Ohren, auch
Schmerzen im Kopf. Der linke Warzenfortsatz sehr empfindlich. Ausfluss
reichlich. Patient trat in’s Hospital ein, wo die Reinigung und Sterili-
sation des Ohres wie bisher fortgesetzt und ausserdem ein Leiter scher
Kühlapparat auf beide Ohren angelegt und Tag und Nacht unterhalten wurde.
Diese Behandlung verschaffte ihm zwei Tage lang bedeutende Linde-
rung, dann wurden die Kühlröhren, da sie Unbehagen verursachten,
foıtgelassen.
Der Ausfluss aus dem rechten ÖOhre hörte am folgenden Tage
auf, aber das Ohr wurde schmerzhaft und der obere-hintere Theil des
Trommelfells wölbte sich stark vor. Ein ergiebiger Einschnitt wurde
durch diesen Theil gemacht, wodurch sich schleimiger Eiter’ entleerte.
Der Ausfluss dauerte 3 Tage reichlich fort, dann liess er allmählig nach
und hörte in 2 Wochen gleichzeitig mit den Schmerzen in und hinter
dem Ohre auf. Zur grossen Freude des Patienten besserte sich das
Gehör allmählig.
Das linke Ohr nahm keinen so günstigen Verlauf. Am zweiten
Tage der Anlegung des Kühlapparates fühlte sich Patient nicht nur im
Allgemeinen behaglicher, sondern sein Ohr hatte sich auch gebessert.
Das Trommelfell erschien weniger geschwollen und eine grosse Perforation,
anscheinend vor dem Hammergriff, wurde sichtbar. Bald kehrten aber
die Schmerzen im Ohr, Warzenfortsatz und Kopf zurück. Shrapnell's
Haut und der hintere-obere Theil des Gehörganges waren beträchtlich
vorspringend, während der Öhrenfluss geringer war.
Ein kräftiger Einschnitt wurde durch den hinteren Theil von
Shrapnell’s Membran und den anstossenden Theil des eigentlichen
Trommeltells bis auf den Knochen gemacht. Politzer’s Lufteintreibung
förderte ziemlich viel Eiter zu Tage. Reichlicher Eiterfluss hielt nun
2 Wochen lang ununterbrochen an. Patient verbrachte den grössten
bei acut. eitrig. Mittelohrentzündung, mit vier erläuternd. Fällen. 285
Theil des Tages im Bett, hatte aber wenig Beschwerden und sein Gehör
besserte sich auch auf dem linken Ohre.
Am 1. Januar 1895 klagte er indessen über neuralgische Schmerzen
in der linken Kopfhälfte, namentlich im Hinterkopf, und die Spitze des
Warzenfortsatzes war auf Druck recht schmerzhaft. An der Vorderkante
der Spitze war eine auf Druck empfindliche, ovale geschwollene Drüse,
auch war die Haut leicht angeschwollen. — Ich verordnete Warmwasser-
bäder des Gehörganges eine halbe Stunde des Abends, und liess den
Warzenfortsatz mit erwärmter absorbirender Baumwolle bedeckt halten.
Am 2. Januar waren die Schmerzen im Ohr und Kopf fast ganz
verschwunden. Membrana Shrapnelli und die ganze hintere Hälfte des
Trommelfells vorgebaucht. Reichlicher Ausfluss.
Am 3. Januar begann eine stetige Besserung. Die Membrana vibrans
wurde blass und legte sich dem Promontorium an, was mit der Sonde
nachgewiesen wurde. In dem hinteren Abschnitt von Shrapnell’s
Membran, deutlich oberhalb des Randes der unteren
Falte, war eine kegelförmige Erhebung von Granulations-
gewebe, aus welcher Eiter kam. Wenn man denselben mit
einer baumwolltragenden Sonde abwischte, so quoll er
bald wieder aus der Oeffnung hervor, und zwar entweder
von selbst oder durch Druck mit der Sonde auf die be-
nachbarten Theile 2-3 Wochen lang entleerte dieser Krater
Eiter in grösseren oder kleineren Mengen, aber im Allgemeinen mit
einer Neigung zur Abnahme. Dieser secernirende kegelförmige Vorsprung
war cine ganze Woche lang die einzige rothe Stelle des Trommelfells
und dann blasste dieselbe auch ab und verschwand. Zur Zeit der Ent-
lassung des Patienten, 30. Januar 1895, war sie nur noch als ein ge-
schlossenes Wärzchen erkennbar. Nach Lufteintreibung war das Sprach-
verständniss normal in beiden Ohren. Am 2. Februar 1895 befand
sich Patient vollkommen wohl.
Sein Gehör war: |
v (Flüstersprache) R= *),, L = la —;
h (horologium) R= 2/,, L = tags
welches bei einem 67jährigen Manne dem Normalen nahe steht.
Zur Zeit, als ich dies schreibe, 24. August 1895, kann ich mit-
theilen, dass Patient seitdem frei von Beschwerden geblieben und sein
Gehör so gut ist, wie vor seiner Erkrankung.
Dieser Fall stellt ein typisches Beispiel einer Warzenfortsatz-
complication dar. Die Verbindung zwischen dem Antrum mastoideum
und der Paukenhöhle war zweimal unterbrochen, aber wiederhergestellt
durch kalte Aufschläge auf den Woarzenfortsatz und eine Paracentese
der Trommel bis auf den Knochen. Tiefe Paracentese verschafft Lin-
derung durch Verminderung der Stauung in den Weichtheilen in und
um den Antrumcanal, und kalte Aufschläge erfüllen denselben Zweck
durch Verminderung der Congestion. :
286 H. Knapp: Ueber die Indicationen der Warzenfortsatzoperationen
Der Atticus war nicht stark afficirt, obgleich der Eiter sich durch
eine Oeffnung in Shrapnell’s Membran entleerte, denn Erscheinungen
von Meningealreiz, Kopfweh, namentlich Hinterhauptschmerz, waren nur
einmal stärker, sonst aber in mässigem Grade vorhanden.
Dass der ganze Process local war, zeigte sich an dem fast gänz-
lichen Fehlen des Fiebers.
In welcher Ausdehnung die Zellen des Warzenfortsatzes ergriffen
waren, ist schwer zu sagen. Die Schmerzhaftigkeit an der Spitze deutet
auf eine umfangreiche Betheiligung der pneumatischen Räume, doch
erwies sich der Aditus ad antrum als ausreichend für die Entleerung
des Eiters. Vor Kurzem haben Broca und Lubet-Barbon in
einer äusserst klaren und lehrreichen Monographie!) einen Fall be-
schrieben, in welchem die Suppuration und Caries besonders in den
zwischen Antrum und Gehörgang gelegenen lufthaltigen Räumen — die
sie Cellules limitrophes nennen — vorkommt. In solchen Fällen
beschränkt sich das Vorspringen der Gehörgangswand nicht auf dessen
oberes-hinteres Ende, sondern erstreckt sich weiter nach aussen. Die-
selben lassen sich durch einen bis auf den Knochen dringenden, längeren
Einschnitt heilen. Sie sind nicht unbekannt und ich selbst habe ein
ausgesprochenes Beispiel davon in derselben Weise geheilt und im
Jahre 1893 beschrieben ?).
Obgleich Heilung ohne Mastoideröffnung bei acuter eitriger Mittel-
ohrentzündung mit Ausdehnung auf den Atticus und den Warzenfortsatz
vorkommt, so darf man sich doch nicht zu lange darauf verlassen, denn
zu jeder Zeit kann eine schwere und lebensgefährliche Complication
eintreten, wie unsere Beobachtungen zeigen werden. In dem folgenden
Falle schien eine spontane Genesung wahrscheinlich, doch trat plötzlich
eine Verschlimmerung auf, welche sofortige Operation erheischte. Die
Patientin genass, es würde aber besser gewesen sein, wenn die Operation
früher vorgenommen worden wäre.
Fall II. Acute eitrige Otitis nıedia bei einem 18jähr.
blutarmen Mädchen. Besserung unter antiphlogistischer Be-
handlung. Pilötzliche Verschlimmerung am 22. Tage der
Erkrankung. Operation am 323. Tage. Entlassung am
33. Tage. Poliklinische Nachbehandlung. Genesung.
Die 18jährige Rosa R... wurde am 25. Mai 1895 in meine
Klinik aufgenommen. Eine Woche zuvor bekam sie einen starken
1) Sur les Suppurations de l’Apophyse Mastoide. Observation X, p. 64.
2) Arch. of Otol. Vol. XXII, p. 194, und Zeitschr. f. Ohr. Bd. XXV, p. 73
und 74, 1893.
‘
bei acut. eitrig. Mittelohrentzündung, mit vier erläuternd. Fällen. "2387
Schnupfen, welcher von Schmerzen und Sausen im rechten Ohr be-
gleitet war. 3 Tage später trat Ohrenfluss ein, welcher den Schmerz
einigermaassen linderte. Seit den letzten 2 Tagen hat sie auch Schmerzen
im linken Öhre, mit nächtlichen Exacerbationen. Das Mädchen sieht
äusserst blass aus, ist aber anderweitig gesund.
Status praesens: Rechte Warzenfortsatzgegend leicht ge-
dunsen, empfindlich auf Druck, am meisten in der Antrumgrube. Das
rothe und geschwollene Trommelfell zeigt vorn und unten einen grossen
Durchbruch, durch welchen rahmiger, leicht übelriechender Eiter austritt.
2 10
h -25 v=
24 V0
Das linke Ohr ist nur über der Antrumgrube auf Druck empfind-
lich; das ganze Trommelfell roth und Shrapnell’s Membran vor-
springend. h=c/24 (das Ticken einer auf 24° hörbaren Uhr wird nur
auf Contact mit dem Ohr vernommen), v = ?/go-
Pat. hatte normale Temperatur, klagte aber über Kopfschmerzen.
Sie wurde im Bett gehalten. Ihr rechtes Ohr wurde sanft aus-
gespritzt, ausgetrocknet und Borsäurepulver eingeblasen. Die Leiter-
schen Kühlröhren wurden Tag und Nacht auf das rechte Ohr angelegt.
26. Mai: Shrapnell’s Membran im linken Ohr weniger vor-
springend; das Trommelfell wird blass. Im rechten Ohr weniger
Schmerzen. Reichlicher Ausflus. Kopfweh geringer. -
28. Mai: Empfindlichkeit bei Druck auf die Antrumgrube beider
Ohren.
29. Mai: Druckempfindlichkeit rechts in der Antrumgegend, links
nur an der Spitze.
31. Mai: Rechts Shrapnell’s Membran im hinteren Abschnitt
vorgebaucht. Incision.
1. Juni: Grosse Oefinung im rechten Trommelfell. Reichlicher
Ausfluss. Antrumgrube schmerzhaft. Druck auf die Spitze, namentlich
deren mediale Seite, schmerzlos. Die kalten Aufschläge, - weil unan-
genehm, weggelassen.
" 4. Juni: Rechts oberer Trommelfellabschnitt weniger angeschwollen.
5. Juni: Pat. fühlt sich ziemlich wohl. Rechts Schmerzen in der
Antrumgegend und am hinteren Rande.
| 8. Juni: Druckschmerz bloss am hinteren Rande ; mehr Ohrenfluss.
11. Juni: Rechts mehr Schmerzen, besonders an der Spitze.
Polypöse Wucherung der Schleimhaut vom Atticus herabhängend und
pulsirend. Temperatur 37,5. Puls 106. Rechter Sehnerv hyperämisch.
12. Juni: Temperatur 38,0. Warzenfortsatzgegend geschwollen.
Operatios: Einschnitt von der Spitze bis zur Schläfenlinie,
dicht am Ansatz der Muschel. Periost abgestreift. Knochen glatt,
blutreich. Einige Meisselschläge in der Antrumgrube bringen Eiter
zum Vorschein. Um den Eiter aus allen von ihm eingenommenen
Räumen zu entleeren, musste die ganze äussere Knochenwand fort-
genommen werden. Die Spitze enthielt am meisten Eiter, die Basis
288° H. Knapp: Ueber die Indicationen der Warzenfortsatzoperationen
weniger, das Antrum und die mittleren Zellen am wenigsten. Der
ganze Binnenraum des Warzenfortsatzes war mit Eiter, Granulations-
gewebe und morschen Knochen ausgefüllt. Der Inhalt wurde sorgfältig
mit dem scharfen Löffel ausgekratzt, bis die dichte, weisse Knochen-
wand der Mastoidhöhle nach allen Seiten hin blossgelegt und mit einer
Sonde untersucht war. Keine Verbindung mit der Schädelhöhle oder
der Fossa digastrica konnte entdeckt werden, und wenn ich auf die
Köpfe der Mm. Sterno-cleido-mastoideus und digastricus zwischen meinen
Fingern von unten nach oben drückte, kam kein Eiter auf der Wund-
fläche zum Vorschein. Die Sonde drang leicht vom Antrum aus in
den Atticus, ohne dass man rauhen Knochen fühlte. Erweiterung des
Antrumcanals und irgendwelche Manipulation im Atticus wurden deshalb
unterlassen. Die Wundhöhle wurde mit Sublimatgaze ausgefüllt.
15. Juni: Temperatur normal. Allgemeinbefinden besser. Sehnerv
noch etwas hyperämisch.
17. Juni: Pat. besser. Augengrund normal.
28. Juni: Heilung regelmässig fortgeschritten. Pat. entlassen, um
in der Ambulanz weiter behandelt zu werden.
15. August 1895: Die Wunde schloss sich in 6 Wochen; der
Ohrenfluss nahm rasch ab und verschwand: das Gehör wurde allmählich
schärfer.
28. August: Keine Beschwerden mehr. Trommelfell wieder-
hergestellt. Gehör normal, nämlich h = 1 v = J wie im anderen
Ohre. Allgemeinbefinden gut, und die Anämie sichtlich geringer.
Das Merkwürdige an dem vorhergehenden Falle ist, dass die
Affection 22 Tage lang wie eine gewöhnliche Otitis media purulenta ver-
lief. Die Existenz einer Ausdehnung des Processes auf den Warzen-
fortsatz war offenbar, aber keineswegs in höherem Grade als in Fall I,
welcher in Genesung endete, während Fall II am 23. Tage der Er-
krankung eine plötzliche Erhöhung der Temperatur und des Pulses und
Schwellung der Warzenfortsatzgegend zeigte, nachdem die Empfindlich-
keit der Antrumgrube abgenommen hatte. Von Seiten der Trommel-
höhle wurde die Verschlimmerung nicht durch Aufhören oder Vermin-
derung des Ohrenflusses, sondern nur durch Vortreiben von Granula-
tionsgewebe im hinteren-oberen: Trommelwinkel angezeigt. Der Warzen-
fortsatz musste, wie durch die Operation klar gelegt wurde, von Anfang
an stark entzündet gewesen sein und nur die Weite des Antrumcanals,
durch welche der Eiter genügend in die Paukenhöhle abgeleitet wurde,
hielt die Gefahr so lange hintan.
Aus den Erscheinungen geht klar hervor, dass die Warzenfortsatz-
complication im Antrum begann, und während sie sich daselbst all-
bei acut. eitrig. Mittelohrentzündung, mit vier erläuternd. Fällen. 289
mählig abschwächte und ablief, entwickelte sie sich kräftig in den
oberen und unteren Zellen.
Der gleiche Verlauf zeigte sich sehr deutlich in
Fall IIT. Acute purulente Mittelohrentzündung zwei
Monate lang leichten Grades. Plötzliche Anschwellung der
oberen Mastoid- und Supraauriculargegend mit Gehirn-
erscheinungen. Eröffnung des Warzentortsatzes, Eiter in der
Spitze. Rasche Heilung.
Edw. B. L.... 33 Jahre alt, ein starker, gesund aussehender
Arbeiter, wurde am 19. April 1895 in dre Klinik aufgenommen. Vor
2 Monaten begann acute Entzündung im rechten Ohre, bald gefolgt
von Öhrenfluss, :welcher bis 4 Tage vor der Aufnahme anhielt, aber
wenig Beschwerden verursachte. Dann schwoll der Warzenfortsatz an,
wurde auf Druck empfindlich, verursachte heftiges Kopfweh und, am
Tage vor der Aufnahme, Erbrechen. Als er sich in der Klinik vor-
stellte, bestand beträchtliche Röthe und Schwellung hinter und über
dem Ohre bis in die Schläfengrube. Die Gegend des Antrums und der
Spitze waren schmerzfrei und sahen normal aus, während der ge-
schwollene Theil sowohl spontan als auf Druck schmerzhaft war. Aus
dem Ohr floss geruchloser Eiter; das obere-innere Ende der Gehörgangs-
wand war mässig geschwollen.
Patient wurde an demselben Tage operirt. Einschnitt wie gewöhn-
lich von der Spitze bis oberhalb der Muschel in den angeschwollenen
Hautbezirk. Der Knochen erschien gesund. Die Eröffnung wurde in
der Antrumgrube begonnen und bis in’s Antrum fortgeführt. Im Antrum
war sehr wenig und in den Zellen oberhalb desselben gar kein Eiter.
Am Knochen unterhalb der geschwollenen Haut war keine Fistel oder
irgend etwas Abnormes, ausser Hyperämie, zu entdecken. Die unterhalb
des Antrums gelegenen Zellen, bis zur Spitze. waren mit Eiter gefüllt.
Die ganze Höhle wurde sorgfältig ausgeräumt. da ihre innere Wand
gesund erschien und zwar ohne Andeutung einer Verbindung mit der
digastrischen oder der hinteren Schädelhöhle, und da ferner die Sonde
vom Antrum aus leicht in den Aditus geführt werden konnte, ohne auf
rauhen Knochen zu stossen, so dehnte ich die Operation nicht weiter
aus, füllte die Wunde mit Sublimatgaze und brachte den Patienten
zu Bett. |
Zwei Tage später Verbandwechsel. Kein Eiter. Die Anschwellung
hinter und über dem Ohre geringer.
Genesung ununterbrochen und vollständig. Entlassung am 27. April,
8 Tage nach der Operation. Im Juli zum letzten Male gesehen. Keine
Beschwerden. Trommelfell und Gehör normal.
Dieser Fall ist einfach, aber recht lehrreich. Wir dürfen getrost
annehmen, dass die Eiterung von der Trommelhöhle auf's Antrum über-
ging. daselbst sich erschöpfte, selbst sich in die Spitze fortsetzte und als sie
290 H. Knapp: Ueber die Indicationen der Warzenfortsatzoperationen
sich darin gleichfalls erschöpft hatte, plötzlich in der Basis des Warzen-
fortsatzes mit den gewöhnlichen Erscheinungen der Meningealreizung,
Kopfweh und Erbrechen, auftrat. Eine sofortige Operation brachte die
Entzündung zum Stillstand und führte die Krankheit rasch einem glück-
lichen Ausgang entgegen.
Der vierte Fall, der letzte in dieser kleinen Reihe, verlief tödt-
lich, was, wie ich glaube, hätte verhindert werden können, wenn es
mir möglich gewesen wäre, den Kranken ununterbrochen zu be-
handeln.
Fall IV. Ein gesunder Mann bekam acute eitrige Mittel-
ohrentzündung nach der Grippe. Unter Behandlung mit
Paracentese und örtlicheu Mitteln rasche Besserung, sodass
Patient seinem Beruf (er war Klavierlehrer) wieder nachging.
Rückfall mit schweren Gehirnerscheinungen. Keine Operation.
Tod 51 Tage nach Beginn der Krankheit. Autopsie: Eitrige
Meningitis, extraduraler Abscess, Enıpyem des Warzenfort-
satzes mit Durchbruch in die hintere Schädelgrube und die
Fossa digastrica.
August St., 44 Jahre alt, von gesunder Constitution, consultirte
mich am 19. Januar 1895, kurz nachdem er die Grippe gehabt hatte.
In den letzten 8 Tagen hatte er Schmerzen und Schwerhörigkeit im
linken Ohre. Ich fand das Trommelfell roth, den hinteren Abschnitt
vorgebaucht, und incidirte denselben sofort.
Der Schmerz wurde gemildert und reichlicher Ausfluss stellte sich
ein. 2 Tage später fand ich den Patienten ziemlich wohl, das von dem
Secrete befreite Trommelfell flach und blass, den Einschnitt noch offen.
Ich verordnete sanftes Ausspritzen des Ohres mit warmem Borwasser,
Austrocknen des Canals mit absorbirender Baumwolle, und Einpudern
von Borsäurepulver. Er besuchte mich nur noch 2 Mal, besserte sich
rasch und nahm seinen Beruf wieder auf.
Mitte Februar schrieb mir seine Frau, ihr Mann habe einen Rück-
fall und leide sehr; ob ich nicht zu ihm kommen könnte? Da mir
dies bei der Entfernung des Kranken zur Zeit nicht möglich war, so blieb
er in Behandlung seines Hausarztes, welchen ich in der Wohnung des
Kranken consultarisch am 28. Februar traf.
Der Hausarzt sagte mir, dass Patient vor 2 Wochen starke
‘Schmerzen im Ohr und Kopf gehabt hätte, 4 Tage lang bewusstlos ge-
wesen wäre, dann seinen rechten Fuss nachgeschleppt, Dinge, welche
er in der rechten Hand hielt, fallen gelassen hätte, und nicht sprechen
konnte. In der letzten Woche habe er sich gebessert. Ich fand den
Patienten ausser Bett, herumgebend, vollständig vernünftig. Das linke
Ohr lief aus, die hintere Gehörgangswand war geschwollen, die Mastoid-
gegend sah normal aus, nirgends Druckempfindlichkeit, die Spitze zeigte
bei acut. eitrig. Mittelohrentzündung, mit vier erläuternd. Fällen. 291
weder bei Inspection, noch bei Palpation irgend welche Anomalie. Der
Kopf war frei, die Sehnervenscheiben und Retinae normal, Hände und
Beine kräftig, Sprache und Gedächtniss ungestört. Schon vor seiner
Ohrenaffection hatte er ähnliche cerebrale Anfälle, mit Convulsionen,
und sein Vater hatte auch daran gelitten. Sein jüngerer Bruder war
ein Trunkenbold und starb vor einigen Jahren. Er selbst liebte geistige
Getränke nicht wenig.
Die Erscheinungen wiesen deutlich auf ein schweres und ausge-
dehntes Ergriffensein der linken Hirnhälfte hin. In Anbetracht der
vorliegenden eitrigen Entzündung lag es nahe, die Hirnerscheinungen
auf ein Uebergreifen der Ohreiterung auf die Schädelhöhle anzunehmen.
Extraduraler oder cerebraler Abscess war die Wahrscheinlichkeitsdia-
gnose und nur die gegenwärtige Intermission und die Familiengeschichte
hielten mich von der Empfehlung einer sofortigen Operation ab, doch
unterliess ich nicht, dem behandelnden Arzte zu sagen, dass ich die
"Operation für dringend nothwendig hielte, sobald sich die geringste Ver-
schlimmerung einstellen sollte.
In der zweiten nächsten Nacht trat ein plötzlichen sich rasch
steigernder Rückfall der Gehirnaffecetion auf und Patient starb in 24
Stunden, 2. März, 3 Uhr Morgens.
Die Autopsie wurde am Nachmittag desselben Tages von mir
selbst, unter Mithülfe des Hausarztes und zweier Assistenten, vorge-
nommen. Sie zeigte ausgedehnte purulente Meningitis sowohl der Basis
als der Convexität. In der mittleren und hinteren Schädelgrube war
eine beträchtliche extradurale Eiteransammlung, welche durch eine grosse
Oeffnung in der hinteren Wand des Felsenbeines mit der Warzenfort-
satzhöhle und der digastrischen Grube communicirte. Eine Sinus-
thrombose war nicht vorhanden, wiewohl die Wand des Sulcus sigmoi-
deus schwärzlich aussah.
Das ganze Schläfenbein wurde weggenommen, um im Laboratorium
genauer untersucht zu werden. Während der Wegnahme bemerkten
wir, dass ein beträchtlicher Theil der extraduralen Eiteransammlung
durch eine über 1 Cmtr. breite Oeffnung in.der unteren medialen Fläche
des Warzenfortsatzes sich in die digastrische Grube ergossen hatte.
Eine zweite, ungefähr 3 Mm breite (Bezold’sche) Oefinung befand
sich weiter unten an der medialen Fläche der Wearzenfortsatzspitze.
Dieselbe führte in die Empyemhöhle des Fortsatzes und muss zum Zu-
standekommen des in der digastrischen Grube befindlichen Eiterherdes
beigetragen haben.
Die äussere Tafel des Warzenfortsatzes war hart und gesund, 'un-
gefähr 3 Mm dick. Die innere Tafel war angenagt und umfangreich
292 H. Knapp: Ueber die Indicationen der Warzenfortsatzoperationen
durchbrochen. Das Innere des Warzenfortsatzes war in einen grossen
Hohlraum umgewandelt, welcher, wie erwähnt, mit der hinteren Schädel-
grube und der Fossa digastrica communicirte.
Der Eiterherd in der digastrischen Grube manifestirte sich während
des Lebens durch kein Zeichen, und wurde an der Leiche erst bei der
Eröffnung des Schädels beobachtet. Er lag zwischen dem durchbrochenen
Knochen und den benachbarten Muskeln, senkte sich aber nicht den
Hals hinab.
Die lufthaltigen Räume über der Paukenhöhle und dem Warzen-
fortsatz, an der Basis der Felsenbeinpyramide, waren ausgedehnt und
auch mit Eiter gefüllt.
Die Geschichte dieses Falles liefert Stoff zu einigen wichtigen Be-
merkungen,
1. Die Familiengeschichte, wiewohl im Allgemeinen
wichtig, kann im concreten Falle unser Urtheil irre
leiten. Der objective Befund ist doch wichtiger als die Anamnese.
Im vorliegenden Falle braucht man zur Erklärung des Verlaufs und des
Endes der Krankheit die Familiengeschichte von cerebralen Anfällen
nicht, welche den Hausarzt bei Stellung der Diagnose so sehr beein-
flussten. Die Obduction brachte die nöthige Klarheit in die Auf-
fassung des ganzen Krankheitsbildes. Der erste cerebrale Anfall erklärt
sich vollständig durch die Anwesenheit des extraduralen Abscesses und
der davon abhängigen Meningitis.
2. Die so vollkommene Intermission, während welcher ich den
Patienten in Consultation sah, war höchst wahrscheinlich durch den Durch-
bruch des Daches der digastrischen Grube hervorgebracht, wodurch ein
theilweiser Abfluss des intracraniellen Eiters erfolgte. Da der Eiter
aber in der digastrischen Grube cingeschlossen blieb und die Ent-
leerung und Drainirung des extraduralen Abscesses ungenügend waren,
so war die Besserung nur temporär; die Meningitis war unterbrochen,
nicht beseitigt, und ihr Wiederaufflackern führte rasch zum Tode.
3. Die vorübergehende Unterbrechung der Meningitis hätte zu
einer dauernden Heilung werden können durch eine Operation, welche
eine genügende Entleerung des Eiters und ausreichende Drainirung der
Schädelhöhle bewirkt hätte. Unser Fall dient zur Bestätigung der
Meinung und Erfahrung von Wm. Macewen, welcher auch die eitrige
Septo- Meningitis für heilbar hält, so lange sie noch nicht allgemein
geworden ist und seine Behauptung auf sechs geheilte Fälle stützt,
bei acut. eitrig. Mittelohrentzündung, mit vier erläuternd. Fällen. 293
bei welchen die Symptome ausgesprochen genug waren, um die Diagnose
zu rechtfertigen !).
Wenn ich mir erlauben darf, aus den vorhergehenden Be-
obachtungen einige Schlüsse zu ziehen, so mögen es die folgen-
den sein
1. Bei acuter eitriger Mittelohrentzündung giebt es,
wie H. Schwartze sagt, kein einziges Symptom, welches
für sich allein eine Indication zur Mastoidoperation
liefert. Die wichtigsten Symptome sind: localer Schmerz sowohl
spontan als auf Druck, Kopfweh, Temperaturerhöhung oder -Erniedrigung,
Schwindel, Uebelkeit, Erbrechen, Eingenommenheit des Kopfes (Stupor),
Aphasie, Hemianopsie, Stauungspapille, Krämpfe, Paralyse, Coma. Ebenso
giebt es, vielleicht mit Ausnahme tiefen Comas, kein
einziges Symptom, w elches für sich allein die Operation
contraindicirt. Wenn Schwartze (Handbuch, Bd. II, Seite 796,
Zeile 17) sagt: »Bei ausgesprochener Stauungspapille scheint die Prognose
immer letal zu sein«, so kann ich damit nicht übereinstimmen, denn
ich weiss aus eigener Erfahrung, die mit Mittheilungen von Dr. J. C.
Kipp, aus Newark, N. J., übereinstimmt, dass Stauungspapille bei
otitischen Gehirnleiden, selbst wenn ausgesprochene Pyämie vorhanden
ist, wieder verschwinden und der Patient vollkommen genesen kann,
und zwar nicht nur durch operative Behandlung, sondern auch spontan ?).
In Bezug auf Coma sind eine Anzahl Fälle bekannt, in welchen
die Operation permanente Heilung erzielte. Broca und Lubet-
Barbon?) berichten, dass ein 7jähriges Kind am 5. Tage einer suppu-
rativen Otitis von einer Mastoiditis befallen wurde und am 6. Tage be-
wusstlos, mit einer Temperatur von 40°C in’s Spital gebracht und so-
fort operirt wurde. Im Proc. mast. wurde nur wenig Eiter gefunden,
etwas mehr im Sulcus transversus. Rasche Heilung. Schwartze‘)
veröffentlichte vor Kurzem einen brillanten Fall, wo ein Mann bewusst-
1) Comp. Wm. Macewen: Pyogenic Infective Diseaes of the Brain and
Spinal Cord. 1893, p. 100, Case XVIII und p. 329.
2) H. Knapp: Ear Disease with Brain Symptoms. Transactions of the amer.
otol. Society Vol. V, part 3. 1893, Case II, p. 405.
3) Les Suppurations de l’Apophyse Mastoide. Steinheil. Paris, 1895, pp.
29—81.
4) Arch. f. Ohr. Otogener Hirnabscess, durch Operation geheilt. Bd. 38,
p. 283.
294 H. Knapp: Ueber die Indicationen der Warzenfortsatzoperationen
los in’s Hospital gebracht wurde. Er litt an einem otitischen Hirn-
absces. Nach gründlicher Warzenfortsatz-Operation wurde der Schläfen-
lappenabscess entleert und Patient geheilt. Der Kranke wurde an-
scheinend moribund in die Klinik getragen. Hochgradig soporös, durch
Anrufen schwer und nur auf kurze Momente zu erwecken, unfähig zu
sprechen und zu schlucken; Stöhnen wie bei Meningitis.
Wo Coma vorhanden ist, handelt es sich natürlich um eine schwere
intracranielle Complication und bei den geheilten Fällen, soweit sie
meinem Gedächtnisse gegenwärtig sind, lag nicht vollständiges Coma vor,
indem die Patienten noch aus dem tiefen Schlafe aufgerüttelt werden
konnten.
2. Die Indication für die Operation wird durch die
Summe der Erscheinungen und den Verlauf der Krank-
heit festgestellt. In unserem Falle I, Atticuserkrankung mit Warzen-
fortsatzbetheiligung, wäre die Eröffnung des Fortsatzes gerechtfertigt
gewesen und ich hielt mich jeden Tag zu derselben bereit; da ich aber
die Patienten unter beständiger Aufsicht hatte, so versuchte ich die
nichtoperative Behandlung, während welcher kein gefährliches Symptom
auftrat, und der Kranke wurde vollständig geheilt. — In Fall II ge-
stattete der Verlauf während der ersten 3 Wochen die Hoffnung auf
eine spontane Heilung, dann aber traten plötzlich Temperaturerhöhung,
Anschwellung des Warzenfortsaszes und Congestion der Sehnervenscheiben
als Gefahrsignale auf, welche die sofortige Operation als dringlich er-
scheinen liessen.
3. Selbst wenn der Patient sich wohl befindet und
geheilt erscheint, dürfen wir ihn Wochen und Monate
nachher nicht aus den Augen verlieren, denn acute
eitrige Mittelohrentzündung ist eine tückische Krankheit. Sie kann sich
in der Trommelhöhle und im Antrum erschöpft haben und geheilt er-
scheinen, während plötzlich neue Eiterherde in der Spitze oder der
Basis des Warzenfortsatzes auftauchen, ebenso wie intracranielle Compli-
cationen in den Vordergrund treten können, welche eine unmittelbare
Operation erheischen. Diese Vorsichtsmaassregel wird durch Fall II
und IV eingeschärft.
Ausser diesen könnte ich noch einen selır beweiskräftigen Fall an-
führen, welchen ich erst vor 8 Tagen operirte. Ein starker Mann kam
vor 5 Wochen mit einer ausgesprochenen Tympano-mastoiditis in meine
Klinik. Bettruhe und locale Behandlung, namentlich die. Kühlröhren,
liessen Schmerzen, Anschwellung und Fieber rasch verschwinden. Er
bei acut. eitrig. Mittelohrentzündung, mit vier erläuternd. Fällen. 295
wurde convalescent entlassen, aber in zwei Wocher kam er mit einem
Rückfall zurück. In den letzten 2 Tagen war der Warzenfortsatz wieder
schmerzhaft, Temperatur 38,3, eine harte, geröthete, drüsenähnliche An-
schwellung dicht unter dem Ohre, in der Parotisgegend, complete Facialis-
paralyse, keine Anschwellung des Warzenfortsatzes und des Musc. sterno-
cleido-mastoideus. Es fanden sich :zwei Eiterherde: ein kleinerer mit,
Caries und umfangreichem Durchbruch der medialen Wand an der Spitze,
und ein grösserer in den hinteren-oberen Warzenfortsatzzellen mit Caries
der Wand des Sulcus sigmoideus. Die Operation beseitigte das Fieber
und die Schmerzen sofort und es geht dem Patienten soweit gut. Facialis-
paralyse im Abnehmen.
4. Was auch die Symptome sein mögen, so müssen
wir im Allgemeinen die Operation mit der Eröffnung
des Antrums beginnen und uns dann von denin die
Erscheinung tretenden Verhältnissen leiten lassen.
Diese jetzt so ziemlich überall angenommene Regel wird durch unsere
Fälle deutlich veranschaulicht. In Fall II, wo die Eiterung in Antrum
und Spitze abgelaufen war. wurde sie in dem oberen Theile, in welchem
sie gerade eingeleitet war, durch Entleerung des bereits gebildeten
Eiters und gute Drainage verhütet. Hätte ich in FallIV den Patienten
während der letalen Verschlimmerung gesehen, so würde die Eröffnung
des Warzenfortsatzes von dem Antrum aus mich direct in die hintere
Schädelgrube geführt und durch Entleerung des extraduralen Abscesses.
und Drainirung dem Patienten wahrscheinlich das Leben gerettet haben.
Wenn ich in dieser Abhandlung nur einen Fall von spontan ge-
heilter acuter Mittelohreiterung angeführt habe und drei Fälle, welche
Operationen erforderten, so folgt daraus natürlich nicht, dass die Mehrzahl
der acuten Mittelohreiterungen mit begleitender Mastoiditis eine Mastoid-
operation erheischen. Ueber die relative Häufigkeit der spontanen
Heilung liegt eine sehr brauchbare Angabe von Bezold vor, welcher
seit Jahren sein Krankenmaterial mit seltener Vollständigkeit und Ge-
nauigkeit statistisch bearbeitet hat. Er sagt in seiner äusserst lehrreichen
Monographie: »Ueberschau über den gegenwärtigen Stand
der Ohrenheilkunde, nach den Ergebnissen meiner
24jährigen statistischen Beobachtungen«, p. 104 Fol-
gendes: »In den Jahren 1887—1892 sind unter 701 acuten Mittelohr-
eiterungen 62 Operationen und zwar 5mal der Wilde’sche Schnitt,
57 mal die Schwartze’sche Eröffnung des Warzentheils zur Ausführung
gekommen. Danach findet eine Betheiligung der Warzenzellen in einem
Grade, dass sie eine spontane Ausheilung mit Wahrscheinlichkeit nicht
296 M. A. Goldstein: Ueber die Möglichkeit einer deutlichen
erwarten lässt, in nahezu 9°/, aller Fälle von Otitis media acuta statt,
wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass dem Öhrenarzt meist nur
die schwereren Fälle von acuter Mittelohreiterung zu Gesicht kommen«.
In Anbetracht der grossen Serien von Mastoidoperationen, welche in
den letzten Jahren veröffentlicht worden sind, habe ich das Gefühl, als
müsste ich mich entschuldigen, wenn ich mit einer so kleinen Anzahl
hervortrete. Indessen halte ich auch eine geringe Anzahl von Fällen
der Veröffentlichung werth, wenn sie Verhältnisse deutlich und ein-
dringlich veranschaulichen, welche nützlich zu wissen und noch nicht
allgemein gewürdigt sind. In der Mastoidoperation, die in der Ohren-
heilkunde ungefähr die Stellung einnimmt, wie die Staaroperation in
der Augenheilkunde, verdienen die kleinsten Einzelheiten von allen
Seiten betrachtet und besprochen zu werden.
XVIIL
Ueber die Möglichkeit einer deutlichen Besserung
bei der Behandlung der Taubheit und der ver-
mutheten Taubstummheit durch akustische Uebungen
— ein System von Tonbehandlung des Gehör-
nerven, wie es Professor Urbantschitsch in Wien
angegeben hat.
Von M. A. Goldstein, Saint Louis, Missouri.
(Uebersetzt von C. Truckenbrod.)
Die folgende Mittheilung lege ich den Collegen vor mit Genehmigung
des Herrn Prof. Urbantschitsch und enthält dieselbe einen Auszug
aus verschiedenen Monographieen Urbantschitsch’s, die Notizen und
persönlichen Erfahrungen des Verfassers, die er unter Urbantschitsch’s
Anleitung gesammelt hat.
Der Vorschlag, durch Ohr-Gymnastik (Trainirung der Gehör-Nerven)
einen Versuch bei Behandlung der Taubstummheit zu machen, ist
nicht neu.
Bock (Ohrenheilkunde 1827, S. 73) führt die Empfehlung von
Bewus aus dem Jahre 1743, Taubheit durch Schall-Zuleitung zu
behandeln, an. Itard (Traitè des Mal. de l’Oreille, 1821, Paris,
2. Bd., S. 446) und Toynbee (Diseases of the Ear 1860) berichten
Besserung bei der Behandlung der Taubheit etc. 297
über eine Anzahl von durch ähnliche Behandlungsmethoden gebesserten
Fällen. Philippe (Journal de Med., Bordeaux, 1846, S. 254) empfiehlt
dringend den Gebrauch einer Ohr-Trompete, eine Methode, die damals
bei französischen Ohrenärzten sehr beliebt war. |
Browne (British Medical Ass’n, Cork, 1879) und Keown
(Arch. f. Ohrenheilk., Bd. 16, S. 229) haben ebenfalls über günstige
Resultate bei Ohr-Gymnastik berichtet. Urbantschitsch (Archiv
für Physiologie, 1883, S. 129) hat zahlreiche Besserung der Gehörs-
Empfindungen gefunden bei der Untersuchung sowohl kranker wie
gesunder Ohren. Eitelberg (Zeitschr. f. Ohrenheilk., 1883, Bd. 12,
S. 258) hat eingehendere Untersuchungen ähnlicher Fälle vorgenommen.
Trotz all dieser Beobachtungen und der instructiven Untersuchungen
Itard’s und Toynbee’s, durch systematische Behandlung einen Ein-
fluss auf das Gehör bei theilweiser oder gänzlicher Taubheit zu erzielen,
ist die Sache vernachlässigt worden und ist wenig bekannt geworden,
speciell bei den Ohrenärzten. Selbst der bekannte Me&niere (Gazette
Med. de Paris, 1880, No. 50 u. 51), einer der bedeutendsten franzö-
sischen Ohrenärzte, scheint eine ablehnende Meinung gehabt zu haben,
die gewiss nicht zu weiteren Versuchen ermuthigen konnte, da er die im
Taubstummen-Institut zu Paris mit Ohr-Gymnastik und anderen Methoden
der Behandlung der Taubstummen erzielten Resultate als illusorisch und
vorübergehend bezeichnet.
„Vor einigen Jahren,“ so schreibt Urbantschitsch, ‚erzielte
ich durch systematische Ohr-Gymnastik überraschende Resultate bei
einem taubstummen Knaben, der mir zur Behandlung übergeben war;
zuerst konnte Patient nur laut gesprochene Vocale und einzelne Silben
hören; nach einjähriger Behandlung konnte er ganze Sätze, mässig laut
gesprochen, hören, und endlich konnte man die gewöhnliche Methode
der Ohrprüfung in Folge stetiger Besserung anwenden.“
Im letzten Jahre hat Urbantschitsch täglich eine grosse An-
zahl von Taubstummen durch ‚Ohr-Gymnastik‘‘ behandeln lassen und
hat sehr befriedigende Resultate erzielt. Diese Gruppe von Kindern,
die bei früheren Untersuchungen als hoffnungslos taub und geeignet
zum Eintritt in eine Taubstummen-Anstalt befunden wurde, hat sich
seit Durchführung methodischer ‚„Ohr-Gymnastik‘‘ gebessert, nicht nur
in Bezug auf die Hörfähigkeit von Vocalen, sondern im Verlauf einer
einjährigen Behandlung konnten sie ganze Sätze hören und nachsprechen.
Bei Manchen fand sich bei der ersten Untersuchung absolute Taubheit,
durch Stimmgabeln von verschiedener Schwingung bei Luft- und Knochen-
Zeitschrift für Ohrenheilkunde. Bd. XXVII. 29
298 M. A. Goldstein: Ueber die Möglichkeit einer deutlichen
leitung nachweisbar, und selbst bei sehr lauten Tönen, die auf das Ohr
zur Einwirkung gelangten. Auch durch Hörrohre und ähnliche Instru-
mente wurde keine Tonempfindung erzielt.
Verfasser hat persönlich viele dieser Fälle gesehen und die von
Monat zu Monat deutlich zunehmende Besserung notirt.
Die überraschende Thatsache, dass ein Individuum, das anscheinend
absolut taub ist, durch systematische Behandlung nicht nur Schall-
Empfindung, sondern auch Schall-Unterscheidung erlangen kann, lässt
sich nur durch die Annahme erklären, dass das betreffende Individuum
nicht wirklich taub war, sondern dass es nur die Fähigkeit verloren
hatte, Schallempfindungen richtig zu zerlegen.
Dieses System der methodischen, genau durchgeführten ,‚Ohr-
Gymnastik“, wie es hier nöthig ist, kann von entschiedenem Werthe
sein, selbst bei sehr ernster Schwerhörigkeit, indem dadurch: 1. eine
Differenzirung und eigene Perception der Schall-Eindrücke und 2. eine
Steigerung der Schall-Intensität, mit schrittweise zunehmender Schärfe
der Gehörs-Empfindung erreicht wird.
Diese neue Methode wird auf folgende Weise angewandt:
Es wird ein Fall completer Taubheit oder Taubstummheit vor?
gestellt. Dicht am Ohre des Patienten wird ein Vocal laut ausgesprochen;
Patient hat entweder gar keinen Eindruck oder er giebt eine ganz
unbestimmte Schall-Perception an; die Schall-Empfindung, wenn sie vor-
handen ist, kann für alle Vocale die gleiche sein, so dass je nach Lage
des Falles a-e-i-o-u als a oder e gehört wird. Die Uebungen beginnen
jetzt damit, dass dem Patienten die zur Anwendung gelangenden Vocale
mitgetheilt werden, zum Beispiel a (in Vater), i (in Igel). Es ist nun
sehr interessant zu beabachten, wie nach kurzem Vorsprechen dieser
beiden Vocale, das in gleichmässiger, lauter Sprache geschieht, Patient
schon den Schall zu unterscheiden anfängt; es ist zwar keine vollständige
Unterscheidung, aber der Schall a erweckt einen anderen Eindruck als i.
In manchen Fällen genügen wenige Minuten, um solch primären Unter-
schied zu erzielen; in anderen Fällen sind viele Sitzungen nothwendig.
Nach und nach, je nachdem der einzelne Fall es früher oder später
verlangt, werden die übrigen Vocale angewendet. Zuerst sollen nur
die einfachen Vocale zur Anwendung gelangen, z. B. a (Vater),
ae (Fährte), i (Igel), o (Ofen), u (Uhr).
Später sollen einsilbige Worte (Vocal mit einem Orikonänten ver-
eint) zur Anwendung gelangen, z. B. lo, mä, do, ba, te etc. Conso-
Besserung bei der Behandlung der Taubheit etc. 299
nanten, die mit dem Ohr schwer zu unterscheiden sind und daher leicht
verwechselt werden, z. B. b und p, d und t, g und k etc. muss besondere
Aufmerksamkeit gewidmet werden und müssen diese fleissig geübt werden.
Um das Interesse des Patienten an den Uebungen rege zu erhalten,
empfiehlt es sich anstatt mehrere Vocale Worte mit einfachen Silben
z. B. Ball, Katze, Jugend etc. zu benutzen.
Sollte Patient einen Ton falsch verstehen und wiederholt falsch
angeben, so empfiehlt es sich, ihm zuerst den richtigen und dann erst
den falschen Ton anzugeben und zwar so lange, bis er einen deutlichen
Unterschied empfindet.
Es ist sebr interessant, den Unterschied zwischen Schall-Perception
und Schall-Verständniss zu beobachten, wie er sich bei dieser Methode
nach und nach ergiebt.
Ein Taubstummer, der zuerst ein Wort hört und es auch richtig
nachspricht, versteht kaum den Sinn dieses Wortes. Ich entsinne mich
eines taubstummen Mädchens, dem im Verlauf der Uebungen das Wort
„Anna‘‘, der Name einer ihrer Schwestern, vorgesprochen wurde. Dieses
Wort wurde gut gehört und richtig nachgesprochen, aber wenn man
Patientin nach dem Sinn des Wortes fragte, konnte sie nicht begreifen,
dass der Name ihrer Schwester und das gehörte Wort ganz das gleiche
seien. Wenn ihr dies erklärt wurde, war die Ueberraschung des jungen
Mädchens gross, und von diesem Augenblick an konnte man eine rapide
Besserung constatiren, da Patientin sich alle Mühe gab, das gesprochene
Wort mit dem ihr angegebenen Sinne desselben zu behalten.
Es empfiehlt sich bei diesen Uebungen auch, Wörter ohne bestimmte
. Bedeutung zu benutzen, um zu sehen, ob Patient die benutzten Wörter
auch richtig hört und sich nicht auf das Errathen ähnlich klingender
Laute verlegt.
Je nachdem der einzelne Fall es erlaubt, sollten nach den Vocalen
ganze Sätze in Anwendung kommen, nachdem zuerst Vocale, Consonanten
und einzelne Worte angewendet waren. Auch die Hörweite sollte all-
mählich zunehmen. '
In dem Maasse, als Patient mehr Uebung erlangt, sollte darauf
geachtet werden, dass er nicht länger die Lippen-Bewegungen des Vor-
sprechenden beobachten kann, da ja die erzielten Resultate durch ‚Ohr-
Gymnastik‘‘ ganz allein erreicht werden sollen, ohne Zuhülfenahme der
Augen.
20*
300 M. A. Goldstein: Ueber die Möglichkeit einer deutlichen
Mir ist der Fall eines Knaben in Erinnerung, der Anfangs einen
einfachen, laut und dicht am Ohr gesprochenen Vocal nicht hören Konnte;
nach Verlauf von 6 Monaten konnte er ganze Sätze hören und richtig
nachsprechen, selbst in Entfernung von 5 Fuss und ohne Zuhülfenahme
des Ablesens von den Lippen, wie dies in vielen Taubstummen-Anstalten
Europas geübt wird. Es kamen viele derartige Fälle zur Beobachtung.
Was die Dauer der einzelnen Sitzungen bei diesen Uebungen
betrifft, so ist es von Wichtigkeit, zu wissen, dass oft einige Minuten
genügen, um das Hörvermögen des Patienten zu erreichen, dass dagegen
bei zu langem Ausdehnen der Sitzungen oft ein Zustand ähnlich der
nervösen Asthenopie beobachtet wird. Es empfiehlt sich daher, diese
Uebungen nicht über eine gewisse Grenze auszudehnen. Im Anfang
genügen täglich 2 oder 3 Sitzungen, jede von 10—15 Minuten Dauer;
allmählig kann man jede Sitzung auf eine halbe bis ganze Stunde aus-
dehnen, wie es eben der einzelne Fall zulässt. Länger als eine Stunde
sollte keine Sitzung dauern.
Wenn das Hörvermögen eines Patienten sich als hoffnungslos er-
weist, sollten die Uebungen nach 8—10 Tagen eingestellt werden.
Die Höhe und Stärke der Stimme muss je nach dem Falle ein-
gerichtet werden. Der Gebrauch von Hörrohren zur Verstärkung des
Schalles sollte ein nur beschränkter sein, da ein empfindlicher Schall-
Empfindungs-Apparat leicht durch rauhe oder starke Töne Schaden
leiden kann. Bei manchen Fällen, bei denen der Zustand des Gehöres
ein schlechter ist, kann der vorsichtige Gebrauch von Hörrohren von
Vortheil sein. Im Allgemeinen genügt es, einen gedehnten Vocal oder
ein Wort mit mässig lauter und deutlicher Aussprache dicht am Ohre
des Patienten oder in der Axe seines Gehörganges anzugeben, wobei
stets auf eine schr deutliche Aussprache geachtet werden muss.
Ueber das Endresultat der Anwendung dieses Systems können wir
keine genaue Schätzung geben, da der Grad der Besserung bei vielen
Fällen sich nicht abgrenzen liess. Nur durch lange Uebung, andauernde
und geduldige Arbeit, kann ein Aeusserstes erreicht werden. Gleich-
wohl sind die Besserungen ganz augenscheinlich und verlangen nur einen
kurzen Hinweis. Der Vortheil, den man durch das Hören der Vocale
erreicht, in Bezug auf Modulirung und Regulirung der Sprache, ist
sehr beträchtlich. Die fortschreitende Besserung vom Hören der Vocale
bis zu dem der Consonanten, Worte und endlich das Verstehen ganzer
Sätze lässt sich nur durch fleissige Anwendung der ‚Ohr-Gymnastik“
erzielen.
Besserung bei der Behandlung der Taubheit etc. 301
Günstige Resultate wurden sowohl bei congenitaler wie erworbener
Taubheit erzielt. Prof. Urbantschitsch berichtet über ausgezeichnete
Erfolge bei Fällen erworbener Taubheit in Folge von Meningitis cerebro-
spinalis, Typhus, Scharlach, Masern und Trauma, und in einem Falle
von Taubheit, in Folge von Schreck, bestand dieselbe bereits 22 Jahre.
Das Alter scheint kein Hinderniss für den Erfolg zu sein. In
den Taubstummen-Anstalter Oesterreichs sind die Vorschläge Urbant-
schitsch’s einer eingehenden Untersuchung unterzogen worden und
haben die practischen Versuche ein äusserst befriedigendes Resultat er-
geben. Vor nicht ganz einem Jahre wurden Versuche in Verbindung mit ,
der gewöhnlichen Lehrmethode in der Wiener Taubstummen-Anstalt zu
Oberdöbling begonnen und die Fortschritte der Schüler, wie die neuesten
Berichte zeigen, sind bemerkenswerth.
Eine Anzahl dieser Schüler, die dieser speciellen Methode unter-
worfen waren, wurde zu Wien am 27. April der Gesellschaft der Aerzte
vorgestellt und das Factum, dass diese taub geborenen Schüler Sprache
von wenigen Zoll bis zu 10 Fuss hören konnten, ohne das Ablesen
von den Lippen oder Zeichengeben zu Hülfe zu nehmen, ist wohl an
sich das schönste Zeugniss für die Erfolge dieser Methode.
Solch befriedigende Resultate mit einer Methode, die noch in ihrer
Kindheit steht, und noch dazu in verhältnissmässig so kurzer Zeit,
sprechen eine beredte Sprache! Die Einführung dieses Systems, welches
so grosse Hülfe bei der Erziehung und Bildung der Taubstummen bietet,
sollte mit Wohlwolleu begrüsst und mit Geduld in jeder Taubstummen-
Anstalt versucht werden und auch die Ohrenärzte Amerikas solłten sich
der Sache annehmen. Das Volta-Bureau in Washington hat, so viel
ich weiss, die Veröffentlichungen Urbantschitsch’s über seine
Methode erhalten und hat Untersuchungen über die Wirksamkeit dieser
Methode veranlasst.
Jeder Arzt und ganz besonders die Ohrenärzte sollten die in unseren
verschiedenen Anstalten für Taube und Stumme angewandten Systeme
aufmerksam verfolgen, um sie aus eigener Anschauung den Eltern und
Freunden solch unglücklicher Mitglieder unserer Gesellschaft empfehlen
zu können, da eine ausgedehnte Empfehlung die meisten Erfolge
verspricht.
302 Robert E. Moss: Zwei Fälle von otitischer Hirnerkrankung.
XIX.
Zwei Fälle von otitischer Hirnerkrankung
(Sinus thrombose und Abscess).
Von Dr. Robert E. Moss in San Antonio, Texas.
(Uebersetzt von Dr. C. Truckenbrod.)
1. Eitrige Mastoiditis complicirt mit Sinusthrombose —- Operation
—— Heilung.
Frau L. E., 27 J. alt, hatte vor 6 Wochen Masern gehabt und
gegen Ende der Krankheit als Complication Mittelohr-Eiterung. Später
kam der Warzenfortsatz in Mitleidenschaft und der Eiter suchte sich
an der unteren Seite der Spitze einen Ausweg und durchbrach die ober-
flächliche und die tiefe Hals-Fascie und gab so Veranlassung zu einer
ausgedehnten Entzündung des Unterhautzellgewebes vom Nacken bis
zum Schlüsselbein. Dr. Frank Paschal brachte sie am 14. August
1894 zu mir, an welchem Tage er sie selbst zum ersten Male gesehen
hatte. Der Hals war auf der rechten Seite stark geschwollen, bei der
Palpation zeigte sich Fluctuation, die Geschwulst war stets sehr schmerz-
haft. Der Ausfluss aus dem Ohr war gering, die hintere obere Gehör-
gangswand so stark geschwollen, dass das Trommelfell nicht zu sehen
war. Die Uhr wurde nur beim Anlegen gehört. Ich schlug einen
sofort auszuführenden operativen Eingriff vor, der auch am folgenden
Tage vorgenommen wurde. Zur Zeit der Operation betrug die Körper-
temperatur 101° F. Der Warzenfortsatz wurde mit dem Meisel eröffnet
und vorsichtig ausgekratzt, wobei ziemliche Mengen von Granulations-
geweben und cariösen Knochen entfernt wurden. Die Blutung war so
stark, dass sie durch Tamponade mit Gaze gestillt werden musste. Die
Nackengegend wurde breit gespalten, mit warmer Carbollösung aus-
gespült und ein Gazestreifen zur Drainage von der Spitze des Warzen-
fortsatzes bis zum tiefsten Punkte der Eiteransammlung eingelegt.
16. Aug. Temp. 100° F., Puls 92, Patientin zufrieden. Abnahme
des Verbandes, Ausspülen mit Carbollösung, Trocknen der Höhle, Ein-
blasen von Jodoform, leichtes Ausstopfen mit Gaze und Verband.
17. Aug. Temp. 99°, Puls 80.
18. Aug. Temp. normal, Ausfluss gering, Appetit ganz gut.
20. Aug. Kommt in meine Sprechstunde, kein Fieber, Zustand
der Wunde gut.
Robert E. Moss: Zwei Fälle von otitischer Hirnerkrankung. 303
21. Aug. Temp. 101°, Puls 110. Klagt über Kopfweh und Frost-
gefühl. Zustand der Wunde befriedigend.
22. Aug. Temp. 103°, Puls 130. Klagt sehr über Kopf und
Ohr. An der Vena jugularis interna zeigt sich deutliche Phlebitis.
Dr. Paschal sah sie mit mir zusammen und theilte meine Ansicht,
dass ein zweiter operativer Eingriff nöthig sei. Patientin wurde dem
städtischen Spital überwiesen, und wir setzten die Operation für den
nächsten Tag an, aber durch irgend ein Missverständniss erhielten wir
die Erlaubniss dazu nicht.
Ich sah Patientin am 25. Aug. wieder, Temp. 100, Puls 90, fühlt
sich wohl und der Zustand blieb 10 Tage lang der gleiche, wo sie
einen deutlichen Schüttelfrost hatte. Temp. 102,8°, Puls 130, heftiger
Schmerz im rechten unteren Lungenlappen, kurzer Husten und bei der
Auscultation deutliches Crepitiren. Es war das ganze Bild eines septischen
Infarctes der rechten Lunge.
5. Sept. Temp. 99,5°, Puls 100.
6. Sept. Temp. 101°, Puls 120. Chloroform-Narcose. Unter
Assistenz von Dr. Paschal, Kingsley und Fitzsimons legte ich
in 1!/, Zoll Ausdehnung den Sinus sigmoideus bloss und fand ihn fest
thrombosirt. Ich machte einen Einschnitt und legte nach beiden Rich-
tungen einen Gazestreifen hinein und stopfte die Wunde lose mit Gaze
aus. Die Höhle wurde mit Jodoform bestäubt und mit Gaze ausgestopft.
Ich schnitt dann auf die Vena jugularis interna ein, legte 2 Ligaturen
an und schnitt zwischen den Ligaturen die Vene auf. Es war sehr
schwer wegen der Entzündung des Unterhautzellgewebes, die Vene
freizulegen. Patientin überstand die Operation gut und hatte keine
unangenehme Erscheinungen, ausgenommen einen zweiten Infarct des
rechten Oberlappens, vorne, der für 3- 4 Tage eine. leichte Temperatur-
steigerung veranlasste. Nach Verlauf von 14 Tagen verliess Patientin
das Spital und kam zum Verbandwechseln in meine Sprechstunde:
22. Oktbr. Wunde fast geschlossen, absolut keine Secretion; Per-
. ; 36 AET
foration des Trommelfelles geheilt, Hörweite Uhr 0° ' Sie ist sehr
anämisch, die Milz vergrössert, leichtes Anasarca und etwas Ascites.
13. Novbr.: Wunde vollständig geheilt, Patientin ist im Stande,
ihrem Hauswesen vorzustehen, und auch ihr Allgemeinbefinden hat sich
bedeutend gebessert.
304 Robert E. Moss: Zwei Fälle von otitischer Hirnerkrankung.
Bei der Durchsicht der Literatur, so weit sie mir zur Verfügung
steht, finde ich nur über einen Fall von Burnett, operirt von Keen,
berichtet und zwei weitere Fälle in Macewen’s Werk.
II. Sclerose des Warzenfortsatzes, Cerebral- Abscess, Operation,
Exitus letalis.
Frau W., 51 J. alt, kam zu mir und berichtete über eine im
October 1893 überstandene acute Mastoiditis, in deren Gefolge sich
starker Ausfluss aus dem äusseren Gehörgang einstellte. Sie hatte
wiederholt Attaken in Zwischenräumen von 1—3 Monaten mit constant
tiefsitzendem Schmerz an dem Warzenfortsatz und am Hinterhaupt. Ich
sah sie das erste Mal am 15. Aug. 1894. Sie klagte über heftigen
Schmerz im Ohr und Hinterhaupt. Sie konnte im Bette nicht auf dem
Rücken liegen und konnte dies in Folge der starken Schmerzen schon
seit einigen Monaten nicht mehr. |
Das Trommelfell war trüb, leicht vorgewölbt im oberen hinteren
4
Quadranten. Hörweite Uhr 40, Keine Schwellung am Warzenfortsatz,
jedoch klagte sie über heftigen Schmerz dortselbst beim Percutiren mit
dem Finger. Augen-Hintergrund normal, ausgenommen ein Verschwommen-
sein beider Optici, Sehschärfe mit +.75 = e
lichtscheu. Ich schlug einen operativen Eingriff am Warzenfortsatz vor,
und um ihr vielleicht sofort etwas Erleichterung zu verschaffen, machte
ich die Paracentese und Politzerte. Eine geringe Menge seröser Flüssig-
keit entleerte sich. Ich gab Patientin ein Abführmittel, warme Brei-
umschläge auf Ohr und Warzenfortsatz, und beschloss, am nächsten
Tage die Operation vorzunenmen; aber plötzlich erhielt ich Nachricht,
es gehe ihr sehr schlecht und sie wünsche keinen operativen Eingriff.
Am 24. Aug. kam sie wieder zu mir und bat um Hülfe. Es bestand
keine auffallende Aenderung weder am Ohr noch am Auge.
; zeitweise ist Patientin
25. Aug. Ich eröffnete den Warzenfortsatz, ging ins Antrum vor
und fand nur wenige Tropfen Flüssigkeit, etwas käsige Massen und
deutliche Selerosirung. Operation wurde mit allen antiseptischen Cauteln
ausgeführt.
26. Aug. Temp. 98,6°, Puls 90. Hatte eine schlechte Nacht,
leichtes Uebelsein, klagt über Schmerzen im Ohr, klagte jedoch nicht
mehr über Schmerzen im Hinterkopf und kann seit 5 oder 6 Monaten
zum ersten Male wieder auf dem Rücken liegen.
`~
Robert E. Moss: Zwei Fälle von otitischer Hirnerkrankung. 305
27. Aug. Temp, 99,5°, Puls 100. Kopfschmerz und Se,
leichter Ausfluss aus dem Gehörgang.
28. Aug. Temp. 98°, Puls 96. Zunge belegt, Verstopfung. Urin
wenig, stark sauer, spec. Gewicht 1026, kein Eiweiss; Ausfluss aus
Ohr und Warzenfortsatz ziemlich reichlich, Schmerz sehr heftig, ver-
weigert die Nahrungsaufnahme.
29. Aug. Temp. 98°, Puls 90. Zustand so ziemlich der gleiche,
nur sind beide Opticus-Papillen vollständig verschwommen. Der Zustand
wechselte bis 12. Septbr. in geringem Maasse, die Temperatur blieb
1/,—1 Grad unter der Norm, der Puls 90. Der Schmerz wurde jetzt
so stark, dass ich gezwungen war, grosse Dosen Morphium zu geben.
um sie einigermaassen zu beruhigen. Pupillen erweitert, Lichtscheu,
Entzündung der Papille deutlich, Netzhautgefässe stark geschlängelt.
13. Septbr. Temp. 97,6°, Puls 86. Schlechte Nacht. Gehörgang
verschlossen, leichte Anschwellung des Gesichtes und der Augenlider,
Pupillen stark erweitert, sehr bedeutende Lichtscheu, ausgedehnte Retinal-
Blutungen auf beiden Augen, stärker noch links. Es wurde ein weiterer
Eingriff vorgeschlagen, derselbe wurde jedoch verweigert.
14. Sept. Temp. 97,8°, Puls 92. 7 Mal Erbrechen während der
Nacht. Verweigert jede Nahrung, es wurde die Ernährung per rectum
angewandt.
15. Sept. Temp. 98°, Puls 90. Unruhe, Stöhnen und Hin- und
Herwerfen, flehtt um Hülfe und ist mit der Operation einverstanden.
Unter Assistenz von Dr. Paschal und Hugh Young legte ich den
Sinus sigmoideus und lateralis frei und nahm nach oben den Knochen
in 1!/, Zoll Ausdehnung weg. Es fand sich nichts Abnormes weder
am Sinus noch an der Dura. Ich untersuchte Sinus und Gehirn mit
einer Explorativ-Nadel, jedoch mit negativem Resultate, dann spaltete
ich die Dura und untersuchte das Gehirn über der mittleren Schädel-
gruppe mit einer Hohlsonde, kam jedoch nicht auf Eiter. Ich hatte
das positive Gefühl, dass die Sonde in eine Höhle eingedrungen war,
es entleerte sich jedoch kein Eiter. Ich legte einen Gazestreifen in
das Gehirn, und zwar !/, Zoll tief in die Gehirnsubstanz selbst, liess
die Wunde offen, stopfte sie lose mit Gaze aus und legte einen Ver-
band an.
16. Sept. Temp. 98,6 °, Puls 96. Schlief in der Nacht 6 Stunden
ohne jede Arznei, leichtes Uebelsein, kann peptonisirte Milch und frischen.
Beef-Thee zu sich nehmen.
306 Robert E. Moss: Zwei Fälle von otitischer Hirnerkrankung.
17. Sept. Temp. 98,6°, Puls 86. Erbrechen während der Nacht,
wieder unruhig, klagt über das Ohr, Pupillen erweitert, reagiren auf
Licht. Verbandwechsel, Wunde vollkommen trocken.
18. Sept. Temp. 98,6, Puls 86. Pupillen normal, hatte eine
gute Nacht, bittet um kräftige Kost. Verband mit Eiter durchtränkt,
so dass man das Kleid und Kopfkissen durch Leinwand schützen musste.
Verband entfernt, es zeigte sich, dass der Eiter sich entlang dem in
das Gehirn eingelegten Gazestreifen entleert hatte. Ich führte eine
biegsame Sonde mit kolbenförmiger Spitze ein und fand die Höhle in
1!/, Zoll Tiefe. Die Oeffnung wurde erweitert und ein Gazestreifen
eingelegt.
19., 20., 21. Sept. Zustand fast der gleiche, Pupillen normal,
Ausfluss sehr gering, verlangt gierig nach Nahrung, klagt über Schmerz
nach vorne vom Ohre.
22., 23., 24. Temp. normal, Puls 90. Schmerz noch immer nach
vorne vom Ohre, zeitweise Schwindel, was sehr beängstigend ist.
25. Sept. Temp. 98,4°, Puls 86. Kein Ausfluss, Gehörgang ver-
schlossen, Pupillen erweitert.
26. Sept. Temp. 97,8°, Puls 90. Pupillen stark erweitert, kein
Ausfluss, heftiger Kopfschmerz. 3 Uhr Nachm. Temp. 98,6 °, Puls 92.
Pupillen mässig erweitert, Ausfluss aus der Wunde unbehindert. Der
Zustand blieb bis zum 1. Octbr. ungefähr der gleiche. Temp. 100,5,
Puls 96, Pupillen leicht erweitert. 11/, Uhr Nachm. Temp. 101,8°,
Puls 96, Patientin hat grosse Schwierigkeit, sich mit ihrer Umgebung
zu verständigen, da sie die Worte, die sie braucht, nicht finden kann;
wenn man ihr zu Hülfe kommt, will sie dann den Satz beenden. Es
war nur geringe Veränderung bis zum 9. Octbr., ausgenommen eine
zeitweise auftretende leichte Steigerung der Temperatur.
9. Oct. 7!/, Uhr früh. Temp. 98,6% Puls 86. Kein Ausfluss,
Pupillen normal, schlief in der Nacht 8 Stunden. 7!/, Uhr Nachm.
Temp. 103°, Puls 112, unruhig, murmelt im Delirium. Dann stieg
das Fieber von 103° auf 106° und sie starb am 13. Octbr. Section
verweigert.
Der Tod trat entweder als Folge des ursprünglichen Abscesses durch
septische Meningitis oder in Folge eines zweiten Abscesses ein.
V. Internationaler Otologischer Congress in Florenz
vom 23. bis 26. September 1895.*)
Bericht von T. Bobone in San Remo.
Die Begrüssung fand am 22. September, 9 Uhr Abends im Hause
des Herrn Professor Grazzi statt, wo eine gemüthliche Tanzgesellschaft,
an welcher zahlreiche Damen sich betheiligten, die gesammten Theil-
nehmer vereinigte.
Die Sitzungen wurden im Istituto degli Studi Superiori
abgehalten.
1. Sitzung.
Montag, den 23. September, 10 Uhr Morgens.
Vorstand: Prof. Grazzi.
Prof. Grazzi eröffnet den Congress mit einer warmen Anrede,
begrüsst alle die Theilnehmer, insbesondere Delstanche und Politzer,
durch welche heute Florenz die Ehre hat, so zahlreiche, aus allen
Regionen der Welt kommende, Cultoren der Otologie gastfreundlich zu
empfangen; bedauert den Verlust von hervorragenden Collegen wie
Professor Moos, Sapolini, Longhi, von Tröltsch, Joly,
Helmholtz, Tafani, die, von der unerbittlichen Parze, der Humanität
und der Verehrung ihrer Schüler geraubt worden sind, und erklärt im
Namen Seiner Majestät Humbert I, Königs von Italien den V. Inter-
nationalen Otologischen Congress für eröffnet. |
Prof. Politzer spricht sodann zur Gedächtnissfeier des jüngst
verstorbenen und verehrten Prof. Moos. |
Für die Dauer des Congresses wurden, zum Vorsitzenden Professor
Grazzi, zu Schriftführern DDr. Benni, Bobone, Creswell-Baber
und Chiucini ernannt.
*) Die Vorträge der Herren Avoledo und Szenes konnten dem Berichte
nicht eingefügt werden, da diese Herren trotz mehrfacher Aufforderung ihr
Manuscript bis zur Drucklegung dieses Berichtes noch nicht an den Schrift-
führer des Congresses eingeliefert hatten.
308 Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz.
O N D ut o N H
30,
36.
Theilnehmerliste.
. Arslan-Padua.
. Avoledo-Mailand.
W. W. Baldwin-Florenz.
Bar- Nizza.
Benni- Warschau.
Bianco-Turin. _
Bobone-San Remo.
. Boucheron -Paris.
. Brieger- Breslau.
. Bronner- Bradford.
. Brunetti- Venedig.
. Buscaroli-Imola.
. Canapelo-Wien.
. Capart- Brüssel.
. Chiucini-Rom.
. Coldstream - Florenz.
Coosemans- Brüssel.
. Corradi-Verona.
Cresswell Baber - Brighton.
. D’Aguanno-Palermo.
. Daly-Pittsburg.
. Damato- Neapel.
Damieno-Neapel.
Delie-Ypres.
. Delstanche- Brüssel.
. De Roaldes-New-Orleans.
. Dundas Grant- London.
. Ferreri-Rom.
Ficano - Palermo.
Galetti-Milan.
. Garzia- Neapel.
. Gellè- Paris.
. Goris- Brüssel.
Gouguenheim-Paris.
Gradenigo-Turin.
Grazzi- Florenz.
2. Sitzung.
37.
38.
39.
40.
41.
42.
. Lubet Barbon-Paris.
. Macnaughton Joney-London.
. Madeuf-Mont-Dore.
. Martin-Paris.
47.
48.
49.
50.
öl.
52.
53.
54.
55.
56.
57.
58.
59.
60.
61.
62.
63.
64.
69.
66.
67.
68.
69.
70.
11.
43
44
45
46
Heiman- Warschau.
Helme-Paris.
Kirchner -Würzburg.
Knapp, Arnold, New-York.
Krzywicki- Königsberg. -
Locatelli-Pesaro.
Masini-Genua.
Moltisanti-Siracusa.
Mongardi-DBologna.
Morpurgo- Triest.
Moure- Bordeaux.
Numa Cam pi- Livorno.
Okuneff-Petersburg.
Palazzolo-Agira.
Pietkowski-Radoin.
Politzer-Wien.
Putelli-Venedig.
Ricci-Savona.,
Rutten-Nemours.
Secchi-Bologna.
Secretan-Lausanne.
Slimon- London.
St.-Clair Thompson- London.
Steele- Florenz.
Ston e- Liverpool.
Suñe y Molist- Barcelona.
Szenes- Budapest.
Urban Pritchard- London.
V erdos - Barcelona.
Walton Browne- Belfast.
Zapparoli-Mantua.
Montag, den 23. September, 3!/, Uhr Nachmittags.
Vorstand: Prof. Grazzi.
1. Herr Gelle-Paris: Die allgemeine Behandlung der Ohren-
krankheiten (Thèse).
Bei den Ohrenkrankheiten, die so oft in Verbindung mit constitutionellen,
oder hereditair-syphilitischen, oder, noch öfter, infectiösen Zuständen stehen, ist
Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz. 309
eine allgemeine Behandlung unentbehrlich. G. bespricht zuerst die Prophylaxis,
indem er erinnert an die multiplen Infectionswege beim Fötus, bei dem Neu-
geborenen und beim Kind, die sich, sehr oft, mit einer Miterkrankung des
Ohres combiniren. Darauf folgt die Heredität, die infectiösen Processe der
Mutter während der Schwangerschaft, die hygienischen und diätetischen Fehler;
alle Ursachen von Darmentzündungen bei Kindern, von Atrophie und Eiterungen.
Wie oft das Ohr mit suppurativen Processen unter diesen Bedingungen reagirt,
ist bekannt.
Der Vortragende referirt nun über die allgemeine Behandlung der Otitis
acuta. Diese Behandlung kann anfangs eine abortive sein, insbesondere in
Fällen von Oto-Osteoperiostitis infectiva, solche z. B., die mit der
Influenza in Verbindung sind, wo eine allgemeine Behandlung, obwohl nicht so
erfolgreich, doch nicht unnützlich bleibt. Die verschiedenen Indicationen bei
der Otitis grippalis, Otitis rheumatica, guttosa etc., werden aus-
führlich besprochen. G. hofft, dass die Serumtherapie in kurzer Zeit im Stande
sein wird, die Immunität zu versichern.
Die allgemeine Behandlung bei der Otitis media chronica muss auf
die ätiologischen Momente derselben begründet sein; Tuberkulose, Scrophulose,
Syphilis, Diabetes, Cachexie, Schwangerschaft ete. Hier folgt eine lange Auf-
zählung der Thermalwässer, Bäder, Curorte, die für die verschiedenen Fälle be-
sonders indicirt sind.
In dem folgenden Capitel bespricht der Vortragende die allgemeine Be-
handlung der Fälle von Otitis chronica, die durch das Auftreten von
Schwindelanfällen characterisirt ist. Es handelt sich hier darum, die nervöse
Ueberreizbarkeit der Nervencentra und des Labyrinthes zu modificiren. Jene
Formen, die mit subjeetiren Gehörsstörungen vorkommen, müssen auch unter
einen besonderen klinischen Typus gruppirt werden, und können auch durch
verschiedene allgemeine,. sowohl interne als externe Mittel. behandelt werden.
Das letzte Capitel ist der Schwerhörigkeit im Allgemeinen gewidmet. Hier
werden besprochen die Behandlung mit der Suggestion, dem Hypnotismus und
der Electrieität.
Aber es bleibt immer festgestellt, dass bei allen Formen von Ohren-
erkrankungen insbesondere die Localbehandlung wirkt, während die allgemeine
Behandlung, obwohl nicht zu unterschätzen, doch jedenfalls in der zweiten Linie
bleiben muss.
2. Herr Arslan Yerwant: Beiträge zur Lehre von den adenolden
Wucherungen.
Anknüpfend an dievon Gradenigo und Corradi ausgesprochene Meinung
hält Arslan doch die adenoiden Wucherungen in Italien für häufiger als im
Allgemeinen geglaubt wird. Unter 4080 mit Ohren-, Nasen- und Rachenkrank-
heiten behafteten Individuen fand A. adenoide Granulationen 426 mal, also in
10,70/o der Fälle. Folgt eine sehr ausführliche Statistik über Sitz und Behand-
lung der Granulationen; Geschlecht, Alter der Kranken u. s. w.
Was die Aetiologie betrifft, ist der Vortragende der Ansicht, dass man
nicht dem nassen Klima eine so grosse Bedeutung beilegen soll. Hier treten die
dyscrasischen Krankheiten und die Erblichkeit in den Vordergrund.
310 Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz.
Dann betrachtet der Vortragende die verschiedenen Complicationen, die er
in zwei Gruppen eintheilt. Die erste Gruppe umfasst die Krankheiten des
Ohres, die Entzündungen der oberen Luftwege, die Nasenblutungen; die zweite
Gruppe die Reflexerscheinungen. Die Behandlung wird ausführlich besprochen:
Kurzdauernde Anästhesie mit Bromäthyl; rasche und womöglich im Laufe einer
einzigen Sitzung erfolgende Abtragung der Granulationen. Das fast immer vom
Vortragenden benutzte Instrument ist das Moritz Schmidt’sche Messer.
Discussion: Herr Corradi. Goris empfiehlt die Gottstein'sche
Curette und die Anästhesie.
Herr Helme sagt, dass man vor dem 14. Jahre nicht das Cocain anwen-
den solle, welches nicht im Stande ist, die Furcht des Patienten zu unterdrücken.
Die Wirkung des Bromäthyls ist zu kurz. H. meint, dass die Einführung des
Fingers in den Nasenrachenrauın nach der Operation Ursache zur Entwickelüng
von infectiösen Processen sein kann.
Herr Gradenigo bemerkt, dass das Verhalten des Operateurs nicht
immer dasselbe sein kann. Bei Kindern, die niemals operirt worden sind, ge-
schieht manchmal die Operation auch ohne Anästhesirung. Er zieht dem
Chloroform das Bromäthyl vor. Nach der Operation sind die Ausspülungen
mindestens überflüssig, weil das Blut das beste Antiseptikum ist.
Herr Pritchard operirt unter Anästhesie, die durch die Einathmung
eines, mit einer kleinen Menge Aether gemischten speciellen Gases erzeugt mu.
Er macht Ausspülungen mit einer antiseptischen Lösung.
Herr Cresswell Baber empfiehlt die strengste Asepsis der Instrumente.
Herr D’'Aguanno glaubt, dass die Anästhesirung nicht nöthig sei; operirt
mit der Löwenberg’schen Zange in einer Sitzung.
Herr Moure ist der Meinung, dass die Anästhesirung für viele Fälle un-
entbehrlich ist. Die complete Entfernung der Granulationen ist nicht nöthig;
man soll nur jene abtragen, die sowohl die Athmung als die Function der
Tuben behindern.
Herr Secretan macht auf die Häufigkeit der adenoiden Granulationen
im Schweizerland aufmerksam. Er spricht sich im Allgemeinen gegen die
Anästhesie aus.
Herr Dundas Grant benutzt als Anästheticum das Stickstoffoxyd, be-
ginnt die Operation mit dem Finger und beendet dieselbe mit Löffel oder
Zange. Hände und Instrumente sind vollständig zu sterilisiren.
Herr Bobone glaubt, dass auch in Italien die adenoiden Granulationen
ziemlich oft vorkommen, aber nicht an der Meeresküste. An der Riviera hat
er sehr wenige Fälle gesehen.
3. Herr Okuneff: Die Auscultation des Warzenfortsatzes bei
seiner Sclerose.
Vortragender erklärt sich gezwungen, der Bedeutung der Sache wegen,
eine schon publieirte Untersuchungsmethode zu wiederholen: Die Methode be-
steht darin, dass eine kleine klingende Stimmgabel, die mit dem Ohre mit
Hülfe eines Gummischlauches in Verbindung steht, über die Mastoid- resp. die
Perimastoidgegend applicirt wird. Bewegt man nun die klingende Stimmgabel
nach verschiedenen Richtungen, so werden vom Untersucher verschiedene Modi-
Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz. 311
ficationen, die mit der Dichtigkeit des darunterliegenden Knochens in Zusammen-
hang stehen, pereipirt. |
Discussion: Herr Morpurgo hat seinerseits die Versuche Okuneff’s
wiederholt, und ist zu keinem positiven Resultate gekommen.
4. Herr Avoledo: Welche Resultate hat bis jetzt die intra-
tympanale Chirurgie bei der Behandlung der an eitrige Mittelohrent-
zündungen sich anschliessenden Schwerhörigkeit gegeben ?
Discussion: Herr Ficano fragt, ob die von Avoledo erzählten Ver-
besserungen wirklich als Folge der Extraction des Trommelfells und des Hammers
zu betrachten sind, oder mehr des bei diesen Operationen stattfindenden Ziehens
am Steigbügel, welches die möglicherweise vorbandenen Adhäsionen zwischen
der Steigbügel-Platte und der Fenestra ovalis zerreisst.
Herr Politzer findet in dem Vortrage Avoledo’s kein Wort über die
intratympanalen Operationen im Bereiche der inneren Wand der Paukenhöhle,
die für den acustischen Effect noch wirksamer sind. Er meint nämlich die
Durchschneidung der zwischen der Platte und der Fenestra ovalis liegenden
narbigen Stränge, sowie jene, die manchmal den Hammer mit der inneren Wand
der Paukenhöhle verbinden. Aehnliche Resultate sind auch von der Resection
der hinteren Falte zu gewinnen.
Herr Gradenigo wünschte über einen Punkt besser aufgeklärt zu sein.
Es scheint, dass Avoledo von acuten, nach wenigen Tagen zu completer Taub-
heit führenden Mittelohreiterungen gesprochen hat. Er meint, dass es in solchen
Fällen sich um sehr nervöse oder syphilitische resp. tuberculöse Leute handle.
Herr Morpurgo: Die intratympanalen Operationen zu acustischem Zwecke
können die Suppuration zurückbringen; die Extraction des Ambosses zieht, nicht
selten, Facialparalyse mit sich. Sehr oft giebt die conservative Behandlung
unerwartete Erfolge.
Herr Gelle erinnert an die Recidive, die manchmal den chirurgischen Ein-
griffen in der Trommelhöhle folgen. Dieselben sind nicht selten ein Zeichen, dass
die Krankheit in den Mastoidzellen liegt, was die Eröffnung der letzteren erfordert.
Herr Dundas Grant hat manchmal eine zweifellose Verbesserung nach
der vollständigen Auslösung des hinteren Ligamentes des Hammers, womit eine
mehr complete Ausspülung des Raumes und Entfernung cholesteatomatöser
Massen möglich wird, constatirt.
Herr Ferreri hat glänzende Erfolge von der caustischen Behandlung
gesehen.
Herr Moure sagt. dass die Erkrankungen des vorderen-oberen Theiles der
Paukenhöhle sehr oft auf Caries oder Necrose des Hammers beruhen, der
exstirpirt werden soll; während jene des hinteren-oberen Theiles die Extraction
des Hammers mit dem Amboss erfordern, sowie die Resection der oberen-
inneren Wand des äusseren Gehörganges. — Arslan, Ferreri,
Herr Delstanche bemerkt dazu, dass bei den Erkrankungen des Kuppel-
raumes die Extraction des Hammers, combinirt mit Ausspülungen und Aetzungen
mittelst flüssigem Chlorzink, die Beseitigung der Otorrhöe erzielt. Nur aus-
nahmsweise musste er zur Extraction des Ambosses, oder zur Eröffnung des
Warzenfortsatzes schreiten. — Urban Pritchard, Daly, Helme, Avoledo.
312 Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz.
5. Herr Coosemans: Ein Fall von Horn der Ohrmuschel.
Patient war 71 Jahre alt. Die Warze datirte seit dem 1. Jahre und hat
in Folge von Kratzen des Pat. imıner zugeuominen. Dann und wann sehr
leichte Blutungen. - Das Neoplasma wurde an der Basis abgetragen. Vortragender
zeigt Photographieen des Falles und mikroskopische Präparate. Er schliesst den
Vortrag mit einer Uebersicht über die bis jetzt vorliegende Literatur.
3. Sitzung.
Dienstag, den 24. September, 9 Uhr Vormittags.
Vorstand: Prof. Politzer.
6. Herr Gradenigo: Die allgemeine Behandlung bei der Otitis
interna (Thèse).
Der Vortragende meint, dass die Specialisten bis jetzt zu viel vergessen
haben Biologen, Aerzte und Chirurgen zu sein, und die Beziehungen zwischen
dem Ohr und dem gesammten Organismus übersehen haben. In Folge dessen
war die ganze Therapie lange Zeit hindurch auf die Nasenluftdouche gestützt.
Es war nämlich die Entdeckung der Beziehungen zwischen den Ohrenkrank-
heiten und jenen des Nasopharynx, welche der Therapie die Hülfe der Chirurgie
zugebracht bat. Meyer hat mit seiner Entdeckung der adenoiden Wuche-
rungen der Behandlung der Otupathien einen grossen Aufschwung gegeben; ver-
vollständigt durch die Bekanntschaft mit der Pathologie des Schläfenbeines.
Der Otiater aber ist noch nicht Arzt genug. Es sind nämlich die Krankheiten
des inneren Ohres, die durch eine allgemeine Behandlung beeinflusst werden
können. Sehr wichtig für die Therapie ist das ätiologische Moment, weil ver-
schiedene Ursachen dieselbe klinische Form geben können, und andererseits
verschiedene klinische Formen aus einer und derselben Ursache hervorgehen
können.
Die Otitis interna kann erworben oder erblich sein. Die erworbene
ist öfter mit der Syphilis oder dem Rheumatismus verbunden. Bei den syphi-
litischen Formen giebt eine früh eingeleitete specifische Behandlung sehr oft
glänzende Resultate. Gradenigo hat nämlich die innerliche Darreichung von
alkalischen Jodkuren und die intramusculären Quecksilberinjectionen benützt.
Weniger oder gar nicht wirkt die allgemeine Behaudlung bei den rheumatischen
Formen. Nur die Hydrotherapie, die das Hautsystem stärkt und die Häufigkeit
der Recidive der Entzündungen in dem Nasopharynx vermindert, hat, nebst
einer Localbehandlung, die besten Resultate gegeben. Die Proguosis der Otitis
interna, die der Otitis media bei Tuberkulösen folgt, ist immer eine
ungünstige; eine Besserung ist nur möglich, wenn der Allgemeinzustand sich
bessert. Gute Resultate hat die innerliche Darreichung von Jod bei der
Gewerblabyrinthitis gegeben. Die Kranken die an Otitis interna erblichen
Ursprungs leiden, können, nach Gradenigo, in 3 Gruppen eingetheilt werden,
und zwar: 1. Tuberkulöse, oder von tuberkulösen Familien stammende, 2. Syphi-
litische, 3. jene, in deren Familie analoge Formen von Otitis existiren. Bei
den ersten zwei Gruppen muss die Erblichkeit in dem Sinne aufgefasst werden,
dass es sich hier nur um eine verminderte Resistenz des Organismus gegen die
Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz. 313
pathogenen Ursachen handelt. Die krankhaften Processe, die das Ohr in diesen
Fällen afficiren, können paratuberkulöse oder parasyphilitische genannt werden.
Hier hat die innere Behandlung den Hoffnungen nicht entsprochen. Bei den
parasyphilitischen Formen bessert die specifische Behandlung, heilt aber nicht;
bei den paratuberkulösen wurde die lang fortgesetzte Darreichung des Jods
zwar von einigen, aber sehr geringen, Resultaten gekrönt.
Discussion: Herr Morpurgo berichtet kurz über die Vortheile der
Nasenluftdouche und fürchtet, mit von Tröltsch, nicht so sehr das Eindringen
der Mikroorganismen in die Trommelhöhle. Was die allgemeine Behandlung
betrifft, so sind alle Behandlungsweisen, — die specifische gegen die Syphilis
ausgenommen — unsicher.
Herr Cresswell Baber hat in vielen Fällen von Otitis labyrinthica die
Pilocarpininjectionen benützt, die nur wenige Male erfolgreich gewesen sind.
Er meint, dass, wenn nach 3—4 Injectionen das Resultat Null bleibt, es besser
sei, nicht fortzusetzen. Einzelne Erfolge sah er bei den mit Myxoedem compli-
cirten Otitiden von Darreichung der Thyreoiddrüse.
Herr Moure spricht über die Nothwendigkeit der allgemeinen Behand-
lung bei Otitis diabetica.
Herr Dundas Grant ist der Ansicht, dass man zuerst jene Fälle unter-
scheiden muss, wo die Schwerhörigkeit wirklich von einer Erkrankung des
inneren Ohres oder der Centra stammt, und jene, wo die Schwerhörigkeit eine
blos functionelle ist. In den letzten Fällen ist die Pilocarpinbehandlung ein
Fehler.
Herr Corradi hat nach Pilocarpininjectionen sehr wenige Erfolge beob-
achtet, meint aber, dass man sie nicht nach 4 Injectionen sistiren soll.
Delie und Gell& empfehlen, für die interne Behandlung Combination
des Jods mit Tannin, wodurch das Jod durch lange Zeit ertragen wird.
7. Herr Brieger: Ueber primäre Ostitis des Warzenfortsatzes.
Unter den beschriebenen Fällen von primärer Ostitis des Warzenfortsatzes
finden sich vielfach solche, in denen es sich um abgeschlossene Empyeme der
Terminalzellen gehandelt hat. Ob diese Empyenie primär vorkommen, ist zum
mindesten zweifelhaft. Als primäre Östitiden wären nur solche Fälle anzu-
erkennen, die nicht von der Auskleidung der Warzenzellen, sondern von einer
wirklichen Osteomyelitis ihren Ausgang genommen haben.
Die Localisation acuter infectiöser Osteomyelitis am Warzenfortsatz ist
bisher nur von Küster als möglich bezeichnet, sonst allgemein angezweifelt.
Der Vortragende bespricht einen Fall von acuter Erkrankung des Warzen-
fortsatzes. mit von Anfang an geringfügiger, rasch vorübergehender, anscheinend
nur collateraler Betheiligung der Paukenhöhle, bei welchem sich allmählig das
Bild der nach Bezold benannten Form des Durchbruches durch die Incisura
mastoidea entwickelte. Bei der Operation, zwei Monate etwa nach dem Beginn
der Erkrankung, fand sich unter dicker, intacter Corticalis, ein etwa wallnuss-
grosser, mit Granulationsmassen und einer spärlichen Menge Eiter erfüllter
Hohlraum, welcher einen gelösten, deutlich noch diploetische Beschaffenheit
zeigenden Sequester enthielt. Gegen die Unterfläche bestand noch eine dünne,
Zeitschrift für Ohrenbeilkunde, Bd. XXVII. 21
314 Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz.
breit durchbrochene Knochenschale. Es bestand ferner ein Senkungsabscess
unter dem Kopfnicker bis zur Mitte des Halses. Die Paukenhöhle war, seit
Rückgang der anfänglich vorhandenen Transsudation, andauernd frei geblieben.
Der Vortragende meint, dass vielleicht der sogen. Bezold'schen Mastoi-
ditis, bei welcher, im Allgemeinen allerdings das Vorhandensein grosser Hohl-
räume die Regel darstellt, hier und da eine primäre Ostitis zu Grunde liegen
könne. Die Bedingungen für die Localisation der Osteomyelitis am Warzen-
fortsatz sind nicht sehr ungünstige, jedenfalls bessere als für ihr Vorkommen
an den übrigen Schädel- und Gesichtsknochen. Wenn aber die Localisation der
Osteomyelitis am Warzenfortsatz theoretisch möglich ist, so wird sie doch immer
nur eine seltene Ausnahme darstellen, und es bleibt immer noch die Mahnung
Schwartze’s in Geltung, welcher räth, an die Diagnose dieser Krankheits-
formen immer nur mit Misstrauen heranzugehen.
Im Anschluss an Infectionskrankheiten entwickelt sich eine wirkliche
Ostitis des Warzenfortsatzes ausserordentlich selten. Vortragender be-
zweifelt die Beweiskraft der als Ostitis beschriebenen Fälle bei Influenza und
Masern, bei welcher letzteren Krankheit er fast regelmässig in Fällen acuter
Paukeneiterung die Terminalzellen miterkrankt fand. Nur für den Ileotyphus
giebt Brieger die Möglichkeit primärer Ostitis des Warzentheils auf Grund
seiner Erfahrungen zu. Auch das Vorkommen primärer Ostitis bei Diabetes
ist durchaus unwahrscheinlich.
Vortragender bespricht sodann die Seltenheit des Vorkommens primärer
Tuberkulose des Warzenfortsatzes und die Schwierigkeit ihrer Erkennung.
Es ist oft ausserordentlich schwer, zuweilen unmöglich, durch die Untersuchung
der Granulationen oder gar des Knocheneiters auf Tuberkelbacillen die tuber-
kulöse Natur des Knochenprocesses zu beweisen.
4. Sitzung.
Dienstag, den 2. September, 31/, Uhr Nachmittags.
Vorstand: Prof. Gelle.
Discussion des Vortrages von Herrn Brieger.
Herr Morpurgo fragt, wie der exacte Zustand der Trommelhöhle und
des (ehörs war.
Herr Brieger antwortet, dass nichts als durchscheinende Hyperämie der
Paukenhöhlenschleimhaut otoskopisch nachweisbar war. Am 2.—3. Tage fand
sich eine Transudatansammlung, die, durch Paracentese entleert, schnell wieder-
kehrte, aber nach etwa einer Woche definitiv beseitigt war.
Herr Gell& hat einen Fall von, nach einem kalten Bad sich entwickeln-
der, primärer Ostitis beobachtet.
8. Herr Corradi: Die traumatischen Perforationen des Trommel-
felles aus indirecter Ursache, insbesondere unter gerichtsärztlichem Ge-
sichtspunkt.
Herr C. erörtert in Kürze die verschiedenen Ursachen der indirecten Perfo-
ration des Trommelfells. Für die Fälle, wo eine Compression der Luft im
Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz. 315
äusseren Gehörgang stattgefunden hat, ist Vortragender zu Schlüssen ge-
kommen, die mit jenen Politzer’'s übereinstimmend sind. Aber die Gestalt
und der Sitz der durch einen Stoss oder Schlag auf den Kopf erzeugten Perfo-
ration sind sehr verschiedene, wenn sie mit einer Knochenfractur complicirt ist.
In Fällen, wo keine Knochenfractur vorhanden ist, liegt die Perforation an der
Peripherie des Trommelfells. Die Bedingung, die in den letzteren Fällen die
Perforation ermöglicht, ist ein Tensionszustand des Trommelfells, erzeugt beim
Lebenden, durch die Contraction des Osteomuscular-Apparates, und begünstigt
durch das Vorhandensein von Alterationen, wie trockene Catarrhe und hyper-
plastische Formen, oder auch Atrophie oder Narbe des Trummelfells gegen die
Peripherie. Vortragender berichtet über 3 Fälle, wo eine solche Perforation
stattgefunden hat. Sie kommt jedoch sehr selten vor, und lässt immer die
Wirkung einer bedeutenden Gewalt vermuthen. Es muss demnach möglich sein,
nach dem Sitz der Perforation sagen zu können, welches ihr Entstehungs-
Mechanismus war, was von gerichtsärztlichem Standpunkte seine Bedeutung hat.
In der Discussion bemerkt Politzer, dass der Vortragende ein
wichtiges Symptom vergessen hat, das für die Differentialdiagnose zwischen
frischen und alten, von suppurativen Processen stammenden, Perforationen sehr
wichtig ist. Bei ersteren sind die Wundränder mit Blut bedeckt und bei
Valsalva geht die Luft sehr leicht im äusseren Gehörgange durch, während bei
pathologischen Perforationen die Luft nur unter grösserem Drucke und pfeifend
durchdringt.
9. Herr Ferreri; Die Alterationen des Mittelohres im Greisen-
alter. Be |
Herr Ferreri hat an über 201 Greisen Versuche gemacht, um festzu-
stellen, ob die Schwerhörigkeit, die das Greisenalter afficirt, von einer hyper-
plastischen Otitis media oder von einem Involutionsprocesse stamme. Er hat
auch zu diesem Zwecke zwei Schläfenbeine von Greisen von resp. 92 und 112
Jahren stammend, anatomisch untersucht, und nachgewiesen, dass bei ihnen die
Taubheit die Folge einer .Otitis media hyperplastica war, die zur Verunstaltung
des Stapes, Volumzunahme seines Köpfchens und seiner Schenkel, und Biegungen
der Platte geführt hatte. Der Steigbügel war atrophisch.
Bei der Mehrzahl der Greise handelt es sich um eine langsame graduelle
bis zu completer Taubheit führende Verminderung des Gehörs, ohne oder nur
mit geringfügigen Veränderungen (Atrophie der Membran, Ceruminal-Pfröpfe,
Sclerosis peritympanica, Trockenheit des Gehörganges).
Was die Acusticusfunction betrifft, stellt Vortragender 7 Tabellen vor, die
die Resultate zahlreicher Stimmgabelversuche enthalten; deren Schlussfolgerungen
sind die folgenden:
1. Bei Greisen findet die Knochenleitung vorzüglich durch das rechte Ohr
statt, während 2. die Luftleitung durch das linke Ohr stattfindet; 3. Von 201
Individuen waren nur 21 absolut frei von Labyrinthläsionen; 4. Es scheint, dass
die Perception der Uhr bei Greisen besser ist als jene der Flüstersprache;
5. Die Greise mit gesunden Ohren sind zahlreicher als die Greise, die mit Ohren-
krankheiten behaftet sind.
21"
316 Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz.
Aus den Untersuchungen des Vortragenden geht hervor, dass als Ursache der
Schwerhörigkeit oder Taubheit im Greisenalter nach ihrer Frequenz die Ceru-
minalansammlungen, die hyperplastischen Formen des Mittelohrs, die Folge von
Mittelvhreiterungen, die chronischen Mittelohreiterungen und schliesslich die
seltenen Acusticusläsionen zu betrachten sind.
Bei der Discussion meint Gradenigo, dass bei Greisen, wo die Unter-
suchung keine Läsion nachweist, es sich mit grosser Wahrscheinlichkeit um
Involutionsprocesse, sowohl des Mittelohrs als der acustischen Epithelien handelt.
Herr Politzer stimmt mit Ferreri nicht überein, indem nach seinen
Beobachtungen in der Mehrzahl der Fälle eine Verknöcherung der Labyrinth-
kapsel existirt.
Herr Masini verneint die Existenz eines Involutionsprocesses als Ursache
der leichten Schwerhörigkeit im Greisenalter.
10. Herr Bar: Eiterung des Mittelohres und Mastoiditis nach einer
Adenoid-Operation während einer Influenzaepidemie.
Schon einige Tage vor der Operation, Nasendouche mit 4procentigem
Borwasser. Vortragender hat, unter Bromäthylnarcose mit der Löwenberg-
schen Zange und der Gottstein'schen Cürette operirt. Der Operation folgte
eine Aristoleinblasung. Die Paukenentzündung begann 3 Tage nach dem Ein-
griff, die Mastoiditis 1 Tag später. Vortragender ist der Ansicht, dass während
der Epidemieen, die schon an sich zu infectiösen Processen in den oberen Luft-
wegen führen, das ÖOperiren nicht anzurathen sei, und warnt vor den Nasen-
irrigationen, die, wie vielleicht bei seinem Kranken der Fall war, in die Pauken-
höhle per tubam eindringen könnten.
Discussion: Herren Baber, Bar.
11. Herr Delstanche: Das flüssige Vaselin in der Behandlung
der Mittelohrerkrankungen.
Die guten, von ihm publicirten, Resultate der intratympanalen Injectionen,
von flüssigem Vaselin wurden von zahlreichen Autoren bestätigt. Vortragender
wendet sich gegen Alt's Anklage, er verlange, dass die Injectionen die Para-
centese des Trommelfelles ersetzen müssten. Er hat nur geschrieben, dass in
Fällen, wo die Paracentese nur vorübergehende Resultate giebt, die Vaselin-
injectionen vorzuziehen sind. Er rühmt im Gegensatz zu Alt die schönen Erfolge
der Injectionen von einfachem oder jodoformirtem Vaselin bei der Otitis media
purulenta acuta, die manchmal eine ausgeprägte Abortivwirkung gehabt haben.
Er injicirt 3—4 gr. Das Vaselin muss rein, farblos, geruchlos und sterilisirt
sein. Der Jodoformzusatz ist nur bei den infectiösen. Otitiden nothwendig.
Discussion: Herr Secretan injicirt nur 0,50 ce Vaselin und sah gute
Resultate bei der Otitis acuta, weniger bei der chronica und sclerotica.
Herr Sune y Molist hält grössere Mengen für überflüssig. Er injicirt
nur 6—8 Tropfen. a
Herr Grant hat die intratympanale Sonde benutzt, die erlaubt, eine
grössere Kraft auszuüben. Er konnte in der Weise Adhäsionen lösen und sehr
bedeutende und rasche Verbesserungen erhalten. -
Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz. 317
Herr Brieger hat die Delstanche’sche Methode in mehreren Fällen
von trockenem Mittelohrcatarrh sehr nützlich gefunden.
Herr Politzer erinnert, dass bei der ächten Sclerose, wo die Proliferation
von Knochengewebe in der Labyrinthkapsel besteht, Stapesankylose u. s. w.
jede Behandlung unnütz ist. Bei chronischen Catarrhen des Cavums mit
Adhäsionen zwischen den Gehörknöchelchen und der inneren Wand der Pauke
erzielen die Injectionen nach Delstanche mehr oder weniger glänzende
Besserungen.
12. Herr Macnaughton Jones: Die Beziehungen der Muschel-
hypertrophie zur Schwerhörigkeit, mit besonderer Rücksicht auf die
Operation der Turbinotomie.
Es wäre zu wünschen, sagt der Vortragende, dass dann und wann die
Kritik den unnöthigen Drang zu Operationen, insbesondere von Seiten der jungen
Enthusiasten, zu mässigen suche. Er hat eine Enquête gemacht bezüglich der
Frage über den Einfluss der Muschelhypertrophie auf das Gehör, und die beste
Behandlung derselben. Die Antworten lauteten in der Weise, dass die englischen
ÖOtologen im Allgemeinen der Ansicht sind, dass diese Hypertrophie sehr oft
Schwerhörigkeit und Sausen begleitet, und wenn auch die Gehöraffecetion nicht
verursacht, doch dieselbe verlängern und verstärken kann. Beobachtungen, vom
Vortragenden angestellt, haben als Resultat ergeben, dass unter 300 Fällen von
Öhrenkrankheiten nur 69mal die Muscheln hypertrophisch waren, während bei
den übrigen 231 keine Hypertrophie oder keine andere Ursache von Nasenver-
engerung vorhanden war. Was die Behandlung betrifft, so glaubt die Mehrheit
der befragten Autoren, dass die galvanocaustische Behandlung der hypertrophi-
schen Muscheln sowie die Aetzung mit Chrom- resp. Trichloressigsäure der
Turbinotomie vorzuziehen sind.
Vortragender schliesst, dass die Turbinotomie nur da indicirt sei, wo die
Natur und Grösse der Hypertrophie eine solche ist, dass die anderen Mittel
keine Hoffnung lassen, das Ziel erreichen zu können.
In der Discussion bemerkt Dundas Grant, dass er die Turbinotomie
nicht macht, um die Schwerhörigkeit zu bessern, sondern um die Nasenver-
engerung zu beseitigen, wenn auch keine Krankheit des Ohres besteht.
5. Sitzung.
Mittwoch den 25. September, 9 Uhr Vormittags. ;
Vorstand: Dr. Delstanche.
13. Herr Kirchner: Sarkom des Processus mastoideus.
K. zeigt ein myelogenes Sarkom, entstammend einem 40jährigen Manne,
der viele Jahre früher an eitriger Mittelohrentzündung gelitten hatte. In kurzer
Zeit führte das Neoplasma zu einer so hochgradigen und ausgedehnten Er-
“weichung des Knochens, dass bei der Autopsie das Schläfenbein in toto mit dem
Messer entfernt werden konnte. Das Neoplasma entstand primär in den Zellen
des Proc. mastoid. und breitete sich von hier aus gegen die Paukenhöhle und
noch weiter nach innen aus. Einige Wochen vor dem Exitus letal. klagte der
318 Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz.
Pat. über Schmerzen im Hinterkopfe, und auch der Proc. mastoid. war auf Druck
empfindlich. Nach-Eröffnung dieses Knochens fand sich unter der Knochenschale
eine höckerige Geschwulst von der Grösse eines Taubeneies, die sich mit der
Sonde 5cm in die Tiefe verfolgen liess. Da die ganze Schuppe beweglich war,
wurde die Geschwulst nicht abgetragen. — Die mikroskopische Untersuchung
zeigt die grossen Zellen des Knochenmarkes umlagernde Spindelzellen, so dass
zahlreiche Nester entstehen.
Discussion: Herr Ferreri erinnert daran, zwei Fälle von primärem
Epitheliom des Proc. mastoid. beschrieben zu haben und rühmt die Nützlichkeit
der capillaren Punktion zum diagnostischen Zwecke.
Herr Gradenigo hat ein vom Perioste des Proc. mast. ausgehendes
Sarkom beobachtet; das Ohr war ganz gesund.
Brieger, Gelle, Moure sah zwei Fälle von primärem Sarkoın des
Mittelohrs, wo sowohl die Drüsenanschwellung als die Facialisparalyse sehr spät
eingetreten sind; frühestes und vorwiegendes Symptom war der Schmerz.
Herr Politzer hat einen Fall von Sarkom des Proc. mast. beschrieben,
das sich gegen die Paukenhöhle ausgebreitet, die Schneckenspitze durchbohrt
hatte, und durch den inneren Gehörgang in die Schädelhöhle eingedrungen war.
Herr Sune y Molist macht einige Bemerkungen über das häufige Auf-
treten von Osteosarkom der Pars mastoid. in Spanien, die in die hintere
Schädelgrube hineindringen, das Kleinhirn comprimiren und als Symptome der
Compression Schmerzen im Hinterhaupte, Schwindel und Coma verursachen.
14. Herr Thomas Barr: Die Behandlung der intracraniellen
Abscesse nach eitrigen Ohrenentzündungen (These).
Anknüpfend an den Vortrag, den er schon auf dem 4. internat. otolog.
Congresse gehalten hat, betont der Referent, dass man einen guten Erfolg des
operativen Eingriffes in den folgenden Fällen erwarten kann: 1. Cerebralabscess,
insbesondere des Teimporo-sphenoidal-Lappens, 2. Cerebellarabscess, 3. Subdural-
abscess, 4. Infeetiöse Thrombose des Sinus sigmoid. Er ist auch der Ansicht,
dass es nöthig ist, bei der Operation zuerst die Mittelohrräume zu öffnen. Die
Eröffnung des Schädels geschieht am besten mit der Trephine der Zahnärzte,
dann Vervollständigung nit dem Öhrmeissel.
Die Extraduralabscesse können die Vorläufer des Temporo-sphenoidalabscesses
sein, und wenn sie in der Nähe des Sigmoidalsinus liegen, können sie zur sep-
tischen Thrumbose desselben, allgemeiner Septikämie oder zum Cerebellarabscesse
führen. Die gegen die Subduralabscesse eingeleiteten Eingriffe sind besonders
erfolgreich; während der letzten 7 Jahre sind 39 solche Fälle mit 39 Heilungen
publicirt worden.
In Fällen von Sinusthrombose, von septischen Symptomen begleitet, ist
der Verschluss des Sinus die erste Indication für den Operateur: es handelt sich
zuerst darum, weitere Infectionen zu verhindern. Dieser Verschluss erfolgt in
der Weise, dass man die Vena jugularis am Halse unterbindet oder der Sinus
gespalten, ausgeleert und mit Jodoformgaze tamponirt wird (Macewen). Wenn
die Symptome auf einen Cerebral- oder Cerebellarabscess deuten, hat man keine
Zeit zu verlieren; die Höhle wird mit einer Canüle, einem Troicart, einer Hubl-
nadel geöffnet, geleert und desinfieirt. Bei der Behandlung solcher Cerebral-
Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz. 319
resp. Cerebellarabscesse wird mit Hilfe der Trephine die Schuppe über dem Ohr
eröffnet oder in Fällen von Cerebellarabscessen öffnet man hinter dem Sinus.
Die Diagnose der Mischformen der Cerebralabscesse, die mit Pachy- resp.
Leptomeningitis oder Sinusthrombose complieirt sind, ist manchmal höchst
schwierig. Jedenfalls werden wir immer gut thun, wo schwere Cerebralsymptome
neben einer chronischen Mittelohrentzündung existiren, nicht zu lange zu warten,
sondern wir werden alle Wege erforschen, durch welche eine Extra- resp. Sub-
duralansammlung oder ein Cerebral- resp. Cerebellarabscess zu Stande gekommen
sein könnte. Zum Schluss legt der Vortragende dem Congresse die folgenden
Fragen vor: 1. Soll in Fällen von intracraniellen Operationen der Otologe oder
der Chirurge operiren? 2. Soll man den Schädel öffnen, wenn Symptome von
diffuser Meningitis vorliegen? 3. Ist bei der septischen Sinusthrombose die
Unterbindung der Vena der Spaltung und folgenden Desinfection des Sinus vor-
zuziehen? 4. Welches ist die beste Methode der Durchbohrung des Knochens?
d. Vorbeugender Werth der operativen Behandlung der chronischen, unheilbaren
. Fälle von Otitis media purulenta? i
Bei Abwesenheit des Vortragenden wird die Discussion abgelehnt,
um das folgende Thema zu hören.
15. Herr Gradenigo: Beitrag zur intracraniellen Chirurgie der
Complicationen der Otitis.
Obwohl noch sehr schwer, ist schon heute die Diagnose von intracraniellen
Complicationen nach Otitis media in vielen Fällen ınit Sicherheit zu stellen.
Diese Complicationen kommen sehr oft zur Beobachtung. Der Vortragende hat
im letzten Jahre unter 68 Fällen von Mastoiditis 14 Male diese Complicationen
gesehen (17,60/,), und zwar handelte es sich 5mal um Extradural-, 2mal um
Cerebral- und 3mal um Cerebellarabscesse, 2 mal um Meningitis, 2mal um
Sinusthrombose. Er operirte 11 Fälle mit 3 Todesfällen (2 Meningitis und
1 Cerebellarabscess) und 9 Heilungen.
Sehr schwierig ist die Diagnose zu stellen: die Natur und Lage des Processes
am Öhre sind, für den Vortragenden, ein ausgezeichneter Ausgangspunkt. Die
Diagnose von Meningitis ist die einfachste; dann folgt jene der Sinusthrombose.
Die aphasischen und amnestischen Symptome erleichtern wesentlich die Diagnose
in Fällen von, linksseitigem Cerebralabscess.
Was die Operationstechnik betrifft, so unterscheidet Vortragender zwischen
den dringenden und nicht dringenden Fällen. Bei letzteren ist es besser, zuerst
die Ohrräume zu öffnen, bei den ersteren dagegen ist die Operation am Schädel
vorzuziehen.
In Fällen, wo schwere Symptome für die Nothwendigkeit der Operation
sprechen und sichere Daten für die Diagnose eines Abscesses fehlen, schlägt
G. vor, zuerst den Processus mastoideus weit zu öffnen, dann den Sinus und
die cerebrale und cerebellare Dura mater bloss zu legen. Die Exploration des
Gehirnes wird durch einen höchstens 3 mm dicken Troicar gemacht, der nicht
weiter als 3cm eingeführt werden soll. Fällt diese Exploration negativ aus,
so kann man die Dura spalten und in das Gehirn mit dem Messer eindringen.
320 Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz.
Discussion: Herr Urban Pritchard meint, dass in den kleinen
Städten, wo gute Chirurgen fehlen, der Otolog selbst zur Operation schreiten
kann, aber nicht in den grossen Städten; er hält es für besser, immer den
Schädel zu öffnen. Bei Sinusthrombose ist die hintere Seite des Coagulums zu
entfernen, bis ein Blutstrom zum Vorschein kommt; dann wird tamponirt. Bei
Operationen benutzt er Hammer, Meissel und Hoblmeissel; nur in Fällen vun
sclerosirtem Processus mastoideus sei die Trephine vorzuziehen.
Herr Bobone schildert im Anschluss an den vorhergehenden Vortrag folgen-
den Fall, der für die möglichen Schwierigkeiten der Diagnose spricht. Pat. bot
chronische linksseitige Ohreiterung mit Fieber, Schwindel, Störungen des Gleich-
gewichtes, Schmerz in der Mitte des Kopfes, linksseitige Facialparese, Obstipation.
Erbrechen war nicht vorhanden. Er diagnosticirte Cerebralabscess. Die Operation
wurde von einem Chirurgen ausgeführt. Die ganze, vollständig sclerosirte Pars
mastoid. wurde entfernt und der Sinus blossgelegt. Da letzterer ganz gesund war
und nirgends ein Tropfen von Eiter zam Vorschein kam, so ist der Operateur nicht
weiter gegangen. Der Kranke starb 20—25 Tage darauf. Die Obduction zeigte:
diffuse Meningitis, linksseitige Encephalitis und einen Extraduralabscess von der
Grösse eines Taubeneies an der rechten Seite des Kopfes.
Herr Politzer erinnert an die Fälle, wo trotz sehr ausgeprägter Symptome
kein Abscess vorhanden ist, und andererseits, wo ein Abscess latent bleibt. Er
berichtet über einen Fall, wo nach der Operation eine wesentliche Besserung
eingetreten war: 6 Tage darauf Exitus let. Er fand bei der Autopsie einen
zweiten Abscess, hinter dem erst operirten gelegen.
Herr Brieger hat einen Fall von Sinusthrombose operirt, wo alle
Symptome nach der Operation zurückgingen. Bei einem anderen Falle, von
denselben Symptomen begleitet, gab die Operation ein nur vorübergehendes
Resultat. Der Kranke starb. Bei der Autopsie fand B. die Thrombose des
Sinus cavernosus auf der entgegengesetzten Seite. Vortragender hält die
Prognose der Extraduralabscesse für absolut günstig. Die Behandlung der
Sinusthrombose ist wahrscheinlich erfolgreicher als jene der Cerebralabscesse.
Was die Behandlungsmethode betrifft, ist er der Ansicht, dass, obwohl möglich
sei. dass die Aufmeisselung des Schädels die Ausleerung des Abscesses in den
Lateralventrikel begünstigen könne, doch Hammer und Meissel der Trephine
vorzuziehen sind. Bezüglich der Prognose bemerkt er, dass auch in Fällen, wo
die Operation den besten Erfolg gegeben hat, es nicht möglich ist, das End-
resultat sicher zu bestimmen.
Herr Goris, Morpurgo, Cresswel Baber, Gradenigo, Avoledo
glauben, man müsse zuerst den Processus mastoideus abtragen, gründlich reinigen
und dann den Schädel mit dem Bohrer öffnen.
16. Herr Benni: Mittheilung über Baron Lenwal’s Prämie.
Mit Rücksicht der Abwesenheit von Concurrenten wird mit der Einwilligung
des Herrn Baron Lenwal Folgendes mitgetheilt: Die in der Zwischenzeit zweier
Congresse angesammelten Zinsen der 3000 Franken werden dem Autor des her-
vorragendsten Fortschrittes in der praktischen Behandlung der Ohrenkrankheiten
Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz. 321
oder dem Erfinder eines neuen, leicht portativen Apparates zur Verbesserung
des Gehöres zugesprochen,
17. Herr Heiman: Ein Fall von otitischem Cerebellarabscess.
Es ist dies der siebente Fall, der nnter Heiman’s Beobachtung kam.
Die Frühsymptome waren jene der Meningitis: hohes Fieber, acuter Schmerz
im Hinterhaupt, Brechneigung, darn folgten Schwindel, Fall des Kopfes nach
hinten, zahlreiche und unwillkürliche Entleerungen, Unregelmässigkeit der
Pupillen, langsame Sprache; noch später Verminderung der Sehschärfe, Herz-
störungen, zeitweises Erbrechen, Hauthyperästhesie, Verlust des Gedächtnisses,
Ptosis des rechten oberen Augenlides, Hemiparese des Facialis (rechts). In
späteren Stadien Hemiparese der linken Extremitäten und Stauungspapille. Der
Kranke war seit langem an rechtsseitiger Otorrhöe leidend. — Auf diese Symp-
tomenreihe gestützt, diagnosticirte Heiman einen Abscess des rechten Klein-
hirnlappens. Trotz dieser Daten glaubten die Spitalchirurgen, es mit einem
Abscesse des Temporalphenoidallappens zu thun zu haben, und operirten in
dieser Richtung — natürlich ohne Erfolg. — Nach einiger Zeit wiederholte
der Vortragende die Operation, den Indicationen seiner Diagnose folgend. Der
Processus mastoideus wurde weit geöffnet und der grösste Theil der oberen
hinteren Wand des äusseren Gehörganges abgetragen. Wegen der Schwäche
des Kranken wurde ein weiteres Fortschreiten unmöglich; der Kranke besserte
sich nichtsdestoweniger durch einige Zeit, dann starb er. Bei der Obduction
fand man in der grauen Substanz des Temporallappens vier linsengrosse, mit
durchscheinender Flüssigkeit erfüllte Cysten. Der rechte Kleinhirnlappen und
die wurmförmige Apophyse waren voll von grünem, flüssigem, stinkendem Eiter
und eine Imm dicke Kapsel schloss den Abscess ein. Vortragender meint, dass.
in diesem Fall die Diagnose keine Schwierigkeit bot; er hat die Diagnose ins-
besondere auf den Hinterhauptschmerz, das Erbrechen und die Coordinations-
störungen der Bewegungen des Kopfes gestützt.
18. Herr St. Clair Thompson: Die Antisepsis und die Intra-
nasalbehandlung.
Schlussfolgerungen: Da das Innere der Nasenhöhlen praktisch aseptisch ist,
ist eine Antisepsis nicht möglich. Die Anwesenheit irgend eines Fremdkörpers
in der Nasenhöhle stimulirt die Secretion der Schleimhäute, das Flimmerepithel
vertreibt jedes sich anheftende feste Partikel rasch. Es ist demnach rathsam
— mit wenigen Ausnahmen —, sich irgend welcher Antisepsis zu enthalten.
Behufs der Entfernung von eitrigen Massen aus den Nasenhöhlen sind die Aus-
spülungen mit einer leicht alkalischen Lösung noch das Beste, was wir thun
können. Am wesentlichsten ist die gründliche Desinfection der Finger und
Instrumente. Jedes Instrument, das nach einer Operation in 50/ọiger Carbol-
säurelösung ausgewaschen und gebürstet. dann in einem mit Glasfenstern ver-
sehenen Schranke gehalten und vor jeder Operation wieder in derselben Lösung
ausgewaschen wird, sei als genügend aseptisch zu betrachten. Die Kunst der
Antisepsis besteht darin, dass auf die kleinsten Umstände eine ze Auf-
merksamkeit gerichtet wird.
322 Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz.
6. Sitzung.
Mittwoch, den 25. September, 2, Uhr Nachmittags.
Vorstand: Prof. Urban Pritchard.
Discussion des Vortrages von Herrn Dr. St. Clair Thompson:
Anknüpfend an die in Mitwirkung mit Herrn Dr. Lermoyez angestellten
Experimente bemerkt Herr Helme, dass ihre Methode praktisch sehr wenig
complicirt ist. Es handelt sich darum, das Eindringen von giftigen Keimen zu
verhindern, was minutiöse Regeln verlangt.
Herr Gradenigo bemerkt, dass, wenn man auf einer nicht gesunden
Nasenschleimhaut operirt, die Wunde mit Exsudaten oder eitrigen Infiltrationen
sich bedeckt zeigt. Hier ist die energischste antiseptische Behandlung nicht im
Stande, die eitrige, manchmal allgemeine Reaction zu verhindern.
Herr Bronner betont, dass die Sterilisation der Nase unmöglich ist;
man muss daher die Instrumente sterilisiren.
Herr Brieger und Cresswell Baber halten die aseptische Behand-
lung der Nasenschleimhautwunde für nicht möglich; Baber macht Ausspülungen
mit einer 7 pro Mille Kochsalzlösung.
: Herr Dundas Grant sagt, dass, wo die Nasenschleimhaut normal ist,
die Antisepsis überflüssig ist. In Fällen, wo die Schleimhaut secernirt, bläst
er Aristol ein.
Herr Daly zieht eine I pro 5 Mille Sublimat-Lösung, insbesondere nach
Operationen, vor, er benutzt auch Aluminiumhohlstäbchen, die, mit Bruns’scher
Watte umwickelt, dann in eine Eucalyptus - Benzoïn - Lösung getaucht, in die
Nase, als Tampon, eingeführt werden.
Herr St. Clair Thompson erwidert, dass es absolut nicht nöthig ist,
die Instrumente kochen zu lassen, und erinnert an die englischen grossen Kliniken,
wo bei Laparotomieen die Instrumente mit der von ihm erwähnten Methode
behandelt werden.
19. Herr Politzer: Heutiger Zustand der pathologischen Anatomie
des Labyrinthes. |
Nach einer historischen Uebersicht der pathologischen Anatomie, von
welcher unsere Kenntnisse über die pathologische Anatomie des Labyrinthes
ausgehen, sind dieselben die Frucht der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts.
Politzer theilt die pathologisch-anatomischen Veränderungen in 3 Categorien:
1. Hyperämie, 2. Blutergüsse, 3. primäre resp. secundäre Labyrinthentzündung.
Anatomisch ist die Hyperämie leicht zu constatiren. Das Gefässnetz des
Labyrinthes ist heute wohlbekannt. Als häufige Ursache dieser Hyperämie sind
die Hindernisse, die die Rückkehr des venösen Blutes vom Labyrinth zum
Schädel verhindern (z. B. Gehirntumoren). Folgen die Sympathicuswirkungen
und die chronischen Entzündungen der Pauke. Die Blutergüsse im Labv-
rinthe kommen am häufigsten bei Infectionskrankheiten und bei Herz- und
Lungenkrankheiten vor. Circumscripte Blutungen und auch grössere Blutergüsse
sind in den verschiedenen Theilen der Labyrinthhöhle beobachtet worden. Knapp
und Vortragender haben solche Labyrinthergüsse bei chronischen, insbesondere
Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz. 323
mit Taries complicirten Eiterungen der Trommelhöhle gesehen. Sehr interessant
sind die von Moos und Steinbrügge bei der Pachymeningitis hämorrhagica
und bei Hämatoma durae matris constatirten Labyrinthblutungen. Die unter
dem Namen Meniere’sche Krankheit bezeichneten Blutungen bleiben
immer auf einen einzigen Fall reducirt, so dass wir nur von einem Meniere'-
schen Symptomencomplex sprechen können.
Etwas mehr bekannt als die vorstehenden Affectionen sind die Labyrinth-
entzündungen. Vön den primären Entzündungen sind uns die Folgen kaum
bekannt; von den initialen Läsionen wissen wir gar nichts. Vortragender hat _
auf dem ‘internationalen Congresse zu Mailand den ersten Fall von primärer
Labyrinthentzündung demonstrirt. Die mit Infectionskrankheiten in Verbindung
kommenden Labyrinthalterationen sind, im Allgemeinen, einer Invasion der
spezifischen Mikroben resp. des Eiters zuzuschreiben. Es war Moos, welcher
diese 'Thatsache, insbesondere bei Masern, constatirt hat. Ein besonderes In-
teresse erwecken die bei der Cerebrospinal-Meningitis constatirten Labyrinth-
alterationen. Heller war der Erste, welcher hier Eiter nachgewiesen hat, und
jetzt ist das Eindringen des Eiters durch die Labyrinthaquäducte, nämlich
durch den Aquäductus cochleae, der sich in unmittelbarer Verbindung mit dem
Cerebrospinalraum befindet, vollständig demonstrirt. Die constatirten Alterationen
sind verschieden nach den verschiedenen Stadien der Hauptkrankheit: in den
früheren Stadien ist die eitrige Entzündung vorwiegend, während in den
späteren Stadien alle Folgen der Entzündung auftreten (Atrophie, ZEITUNGEN
von Membrantheilen, von Acusticuszweigen, Deformationen des Corti’schen
Organs, Bindegewebsneubildungen, Ossificationen).
Der Vortragende betont dann die Häufigkeit der im Verlaufe chronischer
Mittelohrentzündungen secundär auftretenden Labyrinthentzündungen, die von
dem Eindringen des Eiters durch die zerstörten Fenster oder von seiner Ueber-
tragung durch Blut- resp. Lymphbahnen entstehen.
Eine bis jetzt wenig bekannte Form von Exsudation im Labyrinth ist
durch ein Hinderniss in dem inneren Gehörgange verursacht und findet durch
die Compression der Blutgefässe statt. In einem von dem Vortragenden be-
obachteten Falle (Carcinom) bestand die Exsudation im Labyrinth aus einer
granulirten Masse und war theils auf dem Ueberzug der Schnecke, theils auf
der Lamina spiralis liegend. Ferner betrachtet Vortragender die Alterationen
bei der Leukäniie (Bindegewebsneubildungen oder Verknöcherungen in der Scala
tympanica, in den Halbzirkelcanälen, Ansammlung von Lymphzellen im Innern
der Halbzirkelcanäle, im Vorhofe etc.) und bei der Syphilis (Verkleinerung der
Labyrinthhöhlen durch Hyperostose des Schläfenbeines, Atrophie oder Zerstörung
der Ganglienzellen und der Acusticusfasern, Alterationen der Blutgefässe
[Kirchner], Verdickung des Periostes des Vorhofes |Moos], Bindegewebs- und
manchmal Kalkneubildungen).
Die primäre Labyrinthtubereulose wurde bis jetzt noch nicht beobachtet;
unter den secundären Läsionen sind die Necrosen des Gewebes und die Binde-
gewebsneubildungen in der Labyrinthhöhle vorwiegend.
Zum Schluss erwähnt Vortragender die Verknöcherungen der Labyrinth-
kapsel und die Depression der Reisner’schen Membran, zuerst von Stein-
brügge beobachtet.
324 Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz.
*
20. Herr Moure: Cavernöses Angiom des Ohres.
Moure hat die Geschwulst bei einer 47jährigen Dame, die sich über
Kopfschmerzen, Blutungen aus dem rechten Ohre mit geringer Eiterung be-
klagte, entfernt. Die von der Grösse einer Bohne, rosengefärbte, nicht
pulsirende Geschwulst wurde mit der kalten Schlinge abgetragen. Unmittelbar
nach der Abtragung folgte ein so starker Blutstrom, dass das Tamponiren des
Gehörganges mit Jodoformgaze sich nothwendig zeigte: Implantationsstelle der
Geschwulst war die obere hintere Abtheilung der Paukenhöhle.
Die anatomische Untersuchung zeigte die Geschwulst aus einer einen
geschlossenen Raum umschreibenden Wand gebildet. Unter dem Mikroskope
bestand die Wand aus 3 Schichten von Zellen, die eine Schicht von bindege-
webigen, mit kleinen Knötchen infiltrirten und zahlreiche kleine, mit Endothel
bekleidete Höhlen, enthaltenden Gewebe bedeckten. Die Centralhöhle, wahr-
scheinlich ein dilatirtes Gefäss, war mit keiner Bedeckung versehen.
Discussion: Herr Brieger, Helme, De Roaldes.
21. Herr Sune y Molist: Einige Besonderheiten der Schuss-
wunden in der Regio mastoidea.
In Spanien, wo Pistolen und Revolver noch mit zu grosser Leichtfertigkeit
gehandhabt werden, gehören die Schusswunden der Regio mastoidea nicht zu
den Seltenheiten. Das Resultat solcher Schusswunden ist das folgende: 1. die
Kugel verursacht eine kleinsplittrige Fractur des Knochens; 2. dieselbe geht
nicht weit nach innen und fällt zu Boden oder lässt sich mit der grössten
Leichtigkeit extrahiren; 3. Auftreten von Cerebral- resp. Labyrinthcommotions-
zeichen.
Vortragender meint, dass die Architeetur des Schläfenbeines, d. h. die
Resistenz des Felsenbeines combinirt mit der Elasticität der Mastoidzellen, die
als Kissen dienen, die Kraft und Schnelligkeit der Kugel aufheben.
Discussion: Herr Morpurgo, Avoledo.
7. Sitzung.
Donnerstag, den 26. September, 3 Uhr Vormittags.
Vorstand: Prof. Kirchner.
22. Herr Masini: Der Einfluss der am Gehörorgane erzeugten
Läsionen auf die Athmung.
Die Frage wurde vom Vortragenden in Gemeinschaft mit Polimanti,
Assistenten am physiologischen Laboratorium der Universität zu Genua
studirt. Die Versuche wurden an Tauben gemacht. Die Thiere wurden einige
Tage lang bei gleichmässiger Diät (25 gr Bohnen) erhalten. nachher in den
Fredericgq schen Respirationsapparat gebracht, wo der Normalzustand von
exspirirtem CO2 bestimmt wurde. Dann wurden die Halbzirkelcanäle oder die
Schnecke abgetragen. Die Resultate dieser Versuche lauteten: 1. dass partielle
oder totale Läsionen des Gehörorganes zu functionellen Störungen in den Bulbär-
centren führen; 2. dass die in Folge partieller Läsionen erzeugten Störungen
Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz. 325
schwerer sind als jene von Totalläsionen; 3. die Intensität der Störungen bleibt
mit der Schwere der Alterationen, des Gleichgewichts und der Bewegungen im
Verhältnisse.
Bei den Thieren, wo die Halbzirkelcanäle abgetragen wurden, beobachteten
die Autoren eine bedeutende Verminderung der exspirirten Kohlensäure, während
bei den Thieren, wo Schneckenläsionen gemacht wurden, die exspirirte Menge der
Kohlensäure fast unverändert blieb.
23. Herr Szenes: Die traumatischen Läsionen des Gehörganges.
Bei der Discussion fragt Herr Corradi, an welcher Partie des Gehör-
ganges die Fissur war, und ob das Trommelfell zerrissen war oder nicht.
Herr Szenes antwortet, dass die Fissur sich an der oberen hinteren
Wand des Gehörganges, dicht an dem Membran-Rand fand und mit der
Sonde erkennbar war. Die Hammerfractur wurde erst nach der Sistirung der
Eiterung nachgewiesen.
Herr Brieger bemerkt, dass die Commotion des Labyrinthes das Symptomen-
bild der traumatischen Neurose zur Folge haben kann, und dass die Functions-
störungen, die sich im Verlaufe der traumatischen Neurose einstellen können, von
organischen Läsionen hauptsächlich durch ihre Inconstanz zu differenziren sind.
24. Herr Heiman: Statistik der Ohrenkrankheiten.
Die Basis der Heiman’schen Statistik waren die Ohrenkranken, die der
Vortragende im Militärspital behandelte, und die jungen Leute, die er behufs
ihrer Fähigkeit zum Militärdienst untersuchen musste. Er hat die drei folgenden
Punkte studirt: 1. Frequenz der Ohrenkrankheiten zwischen 21—25 Jahren;
2. Mortalität unter denselben; 3. Frequenz der Krankheiten in den verschiedenen
Partien des Ohres; 4. therapeutische Resultate.
Was die Frequenz der Ohrenkrankheiten betrifft, so hat Heiman eine
Ziffer von 8,760/, gefunden. Er kann nicht die Ansichten von von Troeltsch
und Bürkner theilen, weil er klinisch die mit leichten Alterationen (Atrophie,
Narbe, Kalkconcretionen des Trommelfelles) behaftete Individuen nicht als
Kranke betrachten kann. |
Die durch Ohrenkrankheiten erzeugte Mortalität im Verhältnisse zu der
allgemeinen Mortalität des Spitals ist nach Heiman 1,7800, welche Ziffer mit
denjenigen von anderen Autoren beinahe übereinstimmend ist.
_ Gestützt auf die von ihm gefundenen Daten glaubt der Vortragende —
im Gegensatz zu anderen Autoren —, dass man heutzutage die Ziffer der
Mortalität bei Öhrenkrankheiten feststellen kann. Dieselbe variirt zwischen
0,3—0,50/, für die Ohrenkrankheiten im Allgemeinen und 2—41/90/, für die
chronische Mittelohrentzündung. |
Die betreffs der Frequenz der Krankheiten für die verschiedenen Partien
des Ohres vom Vortragenden angesammelten Ziffern, die 8,310), für die
Morbidität des äusseren Ohres, 85,310/, für mittleres und Tympanum, 3,3700
für inneres Ohr geben, stimmen nicht mit jenen — allerdings übereinstimmenden
— von Bezold, Hesse, Gradenigo, Bürkner, Böcke, Grunert,
De Rossi, Kalin gefundenen Ziffern. Vortragender erklärt diesen Umstand
326 Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz.
aus der Betrachtung des Alters der Patienten und aus der Thatsache, dass er
in die Kategorie der Mittelohrkrankheiten auch die Formen von secundärer
Entzündung des mittleren und äusseren Ohres aufgenommen hat.
Endlich sind die vom Vortragenden gewonnenen therapeutischen Resultate
in folgenden Ziffern gegeben: Heilungen 67,980/4, Besserung 18,770/,, keine
Verbesserung 11,870], Todesfälle 1,380/o.
25. Herr Grazzi: Ein Fall von completer Taubheit nach durch
Fraenkel’schen Diplococcus erzeugter acuter Meningitis.
Grazzi stellt ein 4jähriges Kind vor, das nach einer schweren Menin-
gitis vollständig taubstumm geblieben ist. Die in der pädiatrischen Klinik
gemachten bacteriologischen Untersuchungen haben den Fraenkel’'schen
Diplococcus als pathogenes Agens nachgewiesen. Das Kind ist sofort nach der
Heilung seiner Meningitis taub geworden. Alle möglichen Behandlungsmittel
mit Einschluss der Pilocarpininjectionen wurden vergeblich versucht. Jetzt ist
das Kind auch stumm. Vortragender meint, dass die Krankheit nicht nur die
Perceptionsfasern des acustischen Apparates, sondern auch die für die Sprache
bestimmten Nervencentren getroffen hat.
Discussion: Herr Corradi hat von Pilocarpininjectionen bei rheuma-
tischen und syphilitischen Taubheiten zwar einige Resultate gesehen, niemals
aber bei den meningitischen Formen.
Herr Gradenigo meint, dass dieser Fall einen höchst interessanten
Gesichtspunkt bietet, weil er die Frage der primären Labyrinthitis, wie sie
von Voltolini verstanden war, berührt. Bei einer Epidemie von Cerebrospinal-
Meningitis sah Gradenigo ziemlich oft diese Taubheitsformen von Fieber-
symptomen begleitet.
Herr Brieger bemerkt dazu, dass der ursächliche Zusammenhang der
Meningitis mit dem Pneumococcen-Befunde in der Nase nicht erwiesen ist, da
der Diplococcus-Fraenkel zu den die normalen Nasen bewohnenden Bacterien
gehört. |
26. Herr D’Aguanno: Ueber die Aetiologie der Paracusis Willisii.
Nach einer Erinnerung an die insbesondere von von Troeltsch,
Politzer, Roosa, Gellé, J. Müller über die Aetiologie der Paracusis
Willisii gegebenen Erklärungen kommt Vortragender zur Mittheilung eines
Falles, in dem die Ursache der Paracusis in der Trommelhöhle und ebenso
in der Gehörknöchelchenkette zu suchen war. In der That demonstrirte die
Functionuntersuchung eine vollständige Intaktheit des Acusticus, während
ein chronischer Paukencatarrh und eine verminderte Bewegungsfähigkeit der
Kette vorhanden waren.
27. Herr Verdos: Die durch Dynamit hervorgerufenen Ohren-
störungen.
Das anarchistische Attentat in dem Theater zu Barcelona im Jabre
1893 hat dem Vortragenden Gelegenheit gegeben, die Ohrenstörungen, durch
Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz. 327
Schlag von Dynamit hervorgerufen, zu studiren, die ganz anders als bei
gewöhnlichen Explosionen sind. Die Kranken, die sich sehr nahe der Bombe
befanden, waren von einer intensiven Hyperämie der Ohrinuschel, der Temporo-
mastoidal-Region, des äusseren Gehörganges und der äusseren Fläche des
Trommelfelles mit Fortpflanzung auf die Pauke behaftet. Nach 4—5 Tagen
waren alle Kranken genesen. Die Läsion war unilateral und affieirte die
nach dem Knall gewendete Seite. — Die etwas weiter entfernt gewesenen
Personen zeigten keine Hyperämie, aber eine beträchtliche Einsenkung des
Trommelfelles nebst Sausen und Schwindel. Hier war der Heilungsprocess
ein etwas längerer, 2-3 Wochen. Meistentheils war die Läsion bilateral.
Die in den oberen Rängen des Theaters sitzenden Leute boten, im Gegen-
satz, Phänomene von Seiten des Labyrinthes, welche nicht der Hyperämie zu-
geschrieben werden konnten, weil die Erleichterung des Sausens und Schwindels
nur durch congestionirende Mittel erreicht wurde. Vortragender meint, dass es:
sich hier um Reizung der acustischen Fasern handelte.
In einer vierten Gruppe von Fällen fanden die Patienten eine grosse
Schwierigkeit, sich zu orientiren. Es handelte sich mit grosser Wahrscheinlich-
keit un Zerreissungen; tiefer liegende Veränderungen des Trommelfelles waren
in keinem Fall zu beobachten.’
38. Herr Lubet Barbon: Die entzündlichen Localisationen am
Schläfenbein und ihre Beziehungen zu der anatomischen Entwickelung
dieses Knochens. | |
Der Vortragende erinnert an die Entwickelungsweise des Schläfenbeines,
an das Vorhandensein beim Erwachsenen der von Kirchner in ca. 50/9 der
Fälle constatirten Fissura mastoideo-squamosa und an die Möglichkeit, mit
welcher man so oft die Verschmelzungsgrenze des Os tympanale mit der Squama.
und dem Processus mastoideus sieht, und bemerkt dazu, dass sehr oft bei den
Östitiden des Schläfenbeines die Entzündung auf eine der beim Fötus von
einander gelösten Partien des Schläfenbeines localisirt bleibt. Hiermit erklärt
sich Vortragender einige Thatsachen, die von anderer Seite anders gedeutet
sind. Bei den Entzündungen der Erwachsenen müssen alle Stücke, die
das Schläfenbein zusammensetzen, betrachtet werden; es kommeu primäre
und isolirte Ostitiden nicht bloss des Processus mastoideus, sondern auch der
Schuppe und der Pars tympanica zur Beobachtung. Bei der Mastoiditis ent
wickeln sich die Erscheinungen unter der Linea temporalis; bei der Ostitis der
Schuppe hingegen ist der Processus mastoideus anfangs weder roth noch
schmerzhaft, während Schwellung und Schmerz über dem oberen Ansatze der
Ohrmuschel zu beobaehten sind. Manchmal nimmt die Entzündung den die
obere Wand des äusseren Gehörganges bildenden Theil der Schuppe ein;
und sind diese die Fälle, wo die Stacke’sche Operation indieirt ist. Seltener
kommt eine isolirte Entzündung des Os tympanale vor; jedoch glaubt der:
Vortragende, dass viele von den concentrischen Exostosen des Gehörganges-
der Östitis dieses Knochens zuzuzählen sind.
328 Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz.
29. Herr Secchi: Zur Physiologie des mittleren Ohres.
Vortragender betont, dass die von Helmholtz begründete Mechanik der
&ehörknöchelchen vor der Kritik nicht mehr bestehe. Er hat im physiologischen
Laboratorium zu Bologna Versuche an Katzen und Hunden in der Weise ge-
macht, dass er nach ausgeführter Tracheotomie, bei welcher auch eine Canüle
in den oberen Theil der Trachea eingelegt wurde, die Bulla auricularis frei-
legte, sie anbohrte und in die zur Höhlung führende Oeffnung eine luftdicht
abschliessende, mit einem Alkoholmanometer versehene Canüle einschraubte.
Die Versuche haben folgende Resultate ergeben:
1. Die Luft der Trommelhöhle besitzt einen Druck, der ca. 3mm Alkohol
höher als derjenige der äusseren Luft ist; 2. dieser Druck, gewöhnlich durch
das Schlucken veranlasst, kann auch die Folge der Thätigkeit der Muskeln der
Trommelhöhle sein; 3. der endotympanische Druck erhöht sich bei jedem, auch
leisestem,. die Aufmerksamkeit des Thieres auf sich ziehenden Ton, bleibt aber
unverändert, bei dem Thiere wohlbekannten Tönen; 4. wenn eine Reihe von
intensiveren, successive sich folgenden Tönen erzeugt wird, so reagirt das Mano-
meter mit vielen entsprechenden Erhebungen; 5. diese unter Töneeinfluss con-
statirte Drucksteigerung findet auch statt, wenn der Druck in’der Höhle negativ
ist; 6. die Vocale a, e, i, o, u erhöhen den Druck; 7. in einem Fall, wo es
gelungen war, die Sehne des Tensor tympani zu durchschneiden, nahm der
endotympanische Druck unter der Einwirkung von acuten und intensiven Tönen ab.
Vortragender erklärt sich hiermit geneigt, anzunehmen, dass die Schall-
wellen nicht durch die Knöchelchen, sondern durch die in der Trommelhöhle
stehende Luft und durch die Schnecke, von der Membrana tympani nach der
Membran des runden Fensters, nach dem Pascal'schen Princip sich fortpflanzen.
Die Demonstration des Experimentes, die vom Vortragenden gleichzeitig
gemacht wurde, fiel glänzend aus.
Discussion: Herr Mongardi erinnert an Müller's Versuche, die für
die Fortleitung durch die Knöchelchen sprechen.
Herr @elle kann nicht glauben, dass man durch die sonst sehr schönen
Secchi’schen Versuche genöthigt sei, eine Fortpflanzung der Schallwellen
durch das runde Fenster anzunehmen, da er schwer zu begreifen findet eine
Leitung der Töne gegen die Scala tympanica, die leer von sensoriellen Organen
ist, während. die Platte des Steigbügels mit den letzteren in unmittelbarer
Berührung ist. Das runde Fenster kann nur eine secundäre Function besitzen.
Grazzi. Gradenigo. Dundas Grant. Masini.
30. Demonstrationen.
Herr Chiueini demonstrirt eine neue Methode der anatomischen Section
.des Schläfenbeines.
Herr Politzer demonstrirt mikroskopische, und makroskopische Präparate,
die die verschiedenen Methoden und Stadien der operativen Behandlung der
chronischen Mittelohreiterung zeigen.
Herr Cresswell Baber demonstrirt Instrumente.
Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz. 329
8. Sitzung.
Donnerstag, den 26. September, 2 Uhr Nachmittags.
Vorstand: Dr. Morpurgo.
31. Demonstrationen von Instrumenten (Delstanche).
32. Herr Bronner: Die Localmassage in der Behandlung des
chronischen Eczems des äusseren Ohres.
Discussion: Herr Daly hat über die Behandlung des chronischen Eczems
des Ohres eine ziemlich grosse Erfahrung und eine ebenso einfache als erfolgreiche
Behandlungsweise angewendet. Zuerst wird der Gehörgang mit Watte gereinigt
und mit Wasser befeuchtet, dann werden die kranken Stellen mit einer aus Hydrarg.
ammoniac, Hydrarg. chlor. mit. ää 1,0, Ung. ros. 3,0 bestehenden Salbe bedeckt.
Herr Delstanche erinnert an die, schon von seinem Vater gebrauchte,
und sehr erfolgreiche Behandlung, die darin besteht, dass eine concentrirte
Lösung von Plumbum aceticum in den Gehörgang injieirt und auf der Muschel
pulverisirt wird; dann werden die kranken Stellen mit dem, mit feinem Linnen
umwickelten, Finger energisch eingerieben.
Herr Brieger empfiehlt Wattetampons mit einer Resorcinsalbe bestrichen,
die einen Druck auf die Gehörgangswände continuirlich üben. |
33. Herr Garzia: Die Bedeutung der Syphilis bei gewissen
Ohrenkrankheiten.
Der Vortragende lenkt die Aufmerksamkeit des Congresses auf die Syphilis,
die die wesentlichste Ursache für die unbegrenzte Dauer von einigen eitrigen
Mittelohrentzündungen sein kann. Diese Ursache besteht darin, dass als Grund
der Eiterung ein cariöser Knochenpunkt vorliegt, und dass dieser cariöse Process
von Syphilis bedingt ist. In diesen Fällen hat die specifische Behandlung sehr
schöne Resultate gegeben. Vortragender hat 7 solche Fälle, von denen 5 durch
acquirirte und 2 durch hereditäre Syphilis bedingt waren, beobachtet. Bei
den ersteren hatte die Krankheit vom Nasopharyngealcavum sich fortgepflanzt.
34. Herr Garzia: Gestielte Exostose des Gehörganges.
Die Geschwulst schloss den Gehörgang vollständig. Implantationsstelle
war die vordere Seite des Meatus. Die Hälfte der Geschwulst entfernte Vor-
‘tragender mit Burnett’'s Zange, die zweite Hälfte mit dem Meissel. Der
Gehörgang und das Trommelfell werden ausgekratzt, da dieselben von einer
dicken aus Plattenepithel bestehenden Schichte bedeckt waren.
Damit war die Tagesordnung erschöpft. Die folgenden Vorträge
konnten wegen Zeitmangels nicht gehalten werden.
1. Madeuf. Enquöte Medico-Veterinäre über die Ohrenkrankheiten
der Säugethiere.
2. A. Levy-Kopenhagen. Ein neues Instrument für die Behandlung der
acuten und chronischen Krankheiten des Mittelohres.
Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXVII. 29
330 Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz.
3. S. Ottolenghi-Siena. Die Zurechnungsfähigkeit der Taubstummen
und die Gesetze.
4.Cozzolino. Anatom.-pathologische und bakteriologische Untersuchungen
in Nase, Nasenrachenraum und Mittelohrhöhlen der Leichen von Säuglingen und
neugeborenen Kindern. — Neue Methode zur Eröffnung des Antrums und der
Mastoidzellen.
5. Soffiantini. Die intramusculären Injectionen von Calomel in der
Oto-rhino-laryngologie.
6. Stoker. Operation eines Intracranialabscesses.
7. Carmalt Jones. Die Turbinotomie gegen Tinnitus aurium.
Der Congress hat mit einstimmigem Beifall London als Sitzungs-
ort des nächsten VI. Internationalen Otologischen Congresses gewählt,
der im Jahre 1899 stattfinden wird.
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ar a en
Bericht über die Verhandlungen der otologischen
Abtheilung der 67. Versammlung deutscher Natur-
forscher und Aerzte ın Lübeck
vom 16.—21. September 1895.
Von Dr. Karutz in Lübeck.
Einführender: Dr. Karutz. — Schriftführer: Dr. Framm.
1. Sitzung
Vorsitzender: Herr Prof. Walb-Bonn.
Der Einführende, Herr Dr. Karutz, begrüsst die Anwesenden mit
einer kurzen Ansprache, dankt ihnen für ihr Erscheinen und eröffnet
die Sektion; er gedenkt mit wenigen Worten der verstorbenen Herren
Dr. Wilhelm Meyer in Kopenhagen und Hofrath Prof. Moos in
Heidelberg, theilt die zurückgezogenen und die nachträglich angemeldeten
Vorträge mit.
1. Herr Siebenmann-Basel: Beiträge zur Aetiologie des Mittel-
ohr-Cholesteatoms.
Siebenmann berichtet über einen Fäll von Cholesteatom des Aditus,
bei dem er nach der Radicaloperation auf der grossen granulirenden Wundfläche
insuläre, später confluirende Flecken von typischer Cholesteatommatrix auftreten
sah. Diese Flecken entsprachen den Stellen, wo grössere normale Zellen bei
der Operation aufgebrochen worden waren. Es handelt sich hier um eine
direkte Metaplasie des Epithels im Tröltsch-Wendt’schen Sinne. Es muss
also neben der Bezold-Habermann'schen Theorie der Epitheleinwanderung
auch die Möglichkeit der direkten Metaplasirung berücksichtigt werden. Die
Ursache des Schwundes der knöchernen Höhlenwand sieht Siebenmann in
einer Endothelhypertrophie der Gefässe der Cholesteatommatrix und in einer
secundären Verödung der Gefässe des Periosts. Dieselbe findet sich aber nur
in dem schon längere Zeit trocken gebliebenen reizlosen Gewebe, und auf ihr
beruht wohl auch die Thatsache, dass eröffnete Cholesteatomhöhlen sich oft
relativ rasch vergrössern. Redner zeigt entsprechende mikroskopische Präparate.
In der Discussion bemerkt Herr Siebenmann, dass der Knochen-
schwund bei Cholesteatom grosse Aehnlichkeit mit demjenigen hat, welcher
sich unter der metaplasirten Nasenschleimhaut — bei der Ozaena — einstellt. |
22*
332 Bericht über die Verhandlungen der otologischen Abtheilung
Herr Hartmann konnte einen Schwund der Muscheln bei Ozaena nicht
beobachten. Bei einem Knaben, der ohne Borkenbildung mit abnormer Weite
beider Nasenböhlen in Behandlung kam, wurde spätere Borkenbildung prognosticirt
und trat wirklich nach einigen Jahren auf. Die von Zuckerkandl gemachte
Angabe, dass bei der Ozaena der Uebergang einer Hypertrophie der Muscheln
in Atrophie zu beobachten sei, kann nicht als berechtigt erscheinen, da eine
solche Schlussfolgerung aus anatomischen Präparaten nicht gemacht werden kann.
Herr Siebenmann stellt sich ebenfalls nicht auf den Standpunkt von
Zuckerkandl., Dagegen sah er normale Muscheln atrophiren.
2. Herr Karutz-Lübeck: Ein Fall von Stapesextraktion.
Vortragender berichtet über eine Patientin, bei der er wegen Scleruse den
Steigbügel extrahirt hat. Von unangenehmen Zufällen nach der Operation war
nur kurzdauernde Pulsverlangsamung und drei Tage langer ziemlich starker
Schwindel zu bemerken. Nach fünf Tagen Trommelfell geschlossen. Wohl-
befinden. Erfolg der Operation: Flüsterzablen 1 m, während vor der Operation
nur Conversationssprache verstanden wurde; Pat. konnte mit dem operirten
Ohre ohne Anstrengung telephoniren. Vortrag. schreibt die Hörverbesserung
der Hyperästhesie des Acusticus zu. Nach sechs Wochen langsame aber stete
Abnahme des Gehörs, das augenblicklich — acht Monate nach der Operation —
ziemlich wieder den Stand wie vor der Operation erreicht hat. Dauernde
Besserung der subjectiven Gehörsempfindungen. Vortrag. hält es trotz des
wenig ermuthigenden Erfolges nicht für richtig, die Operation im Princip ab-
zulehnen, und empfiehlt, in hoffnungslosen Fällen mit ihr einen Versuch zu
machen.
Discussion: Herr Ludewig-Haınburg fragst, ob der Stapes sichtbar
war und wie Vortrag. die Extraction ausgeführt.
‚Herr Karutz: Der Stapes war sichtbar, die Operation war die von Blake
beschriebene.
Herr Ludewig hält die Stapesextraction nicht für so ausserordentlich
gefährlich auf Grund der Erfahrungen, die er mit unbeabsichtigten Extractionen
bei Gelegenheit von Hammer-Ambossexcisionen gemacht hat.
Herr Walb-Bonn bemerkt, dass die bei Eiterungen unabsichtlich vorge-
nommenen Stapesextractionen mit den bei Sclerose gemachten nicht ohne Weiteres
gleichgestellt werden können, da bei jenen der Stapes schon gelockert ist, das
Organ sich schon accommodirt hat und deshalb die tumultuarischen Erschei-
nungen ausbleiben. Bei der plötzlichen Eröffnung des Labyrinths treten stets
stürmische Erscheinungen auf, die sich zu der Höhe steigern können, wie sie
Bezold in einem Falle gesehen. Oft ist die Stapesextraction unmöglich, weil
der Stapes rom Margo tympanicus gedeckt liegt; hier erst den Knochenrand
abzumeisseln, erscheint nicht empfehlenswerth. Die Erfolge unserer Operationen
gehen stets nach einiger Zeit zurück, auch bei den Hammer-Ämbossextractionen ;
die Hörverbesserung ist unmittelbar nach der. Operation immer am grössten,
um dann allmählig wieder zu sinken, wie Redner noch vor Kurzem bei einer
Hammerextraction sah, die er wegen Narben- und Synechienbildung ausführte.
der 67. Versammlung deutscher Naturforscher u. Aerzte in Lübeck. 333
Herr Hartmann-Berlin macht darauf aufmerksam, dass durch Extraction
von Hammer und Amboss zuweilen auch Verschlechterung des Gehörs eintritt
und man deshalb nur mit Vorsicht zur operativen Behandlung sclerotischer
Fälle schreiten sollte.
2. Sitzung.
Vorsitzender: Dr. Hartmann- Berlin.
3. Herr Steinbrügge-Giessen: Demonstrationen.
Im Auftrage des am Erscheinen verhinderten Herrn Prof. Steinbrügge
demonstrirt Herr Karutz einige mikroskopische Präparate von Labyrinth-
eiterungen. Die eine Serie, von einem an Streptococcenmeningitis zu Grunde
gegangenen einjährigen Kinde stammend, zeigt in schönen Schnitten die eiter-
erfüllten Schneckenwindungen. Die zweite Serie stammt von einer an Cere-
brospinalmeningitis verstorbenen Frau, bei der während der letzten Lebenstage
eine eitrige Mittelohrentzündung constatirt war, und lässt besonders gut den
Eiterdurchbruch durch das Lig. annulare erkennen. Sämmtliche Schnitte sind
vertical gegen die Achse des Felsenbeins gerichtet.
4. Herr Körner-Rostock: Die Ohrenheilkunde des Hippokrates.
Der Vortrag wird in Separat-Ausgabe erscheinen.
Die Sitzung wird in Gemeinschaft mit der laryngologischen Ab-
theilung fortgesetzt.
5. Herr Moldenhauer-Leipzig: Zur operativen Behandlung der
Hypertrophien der unteren Nasenmuscheln.
Vortragender bespricht zunächst die verschiedenen Methoden, die bei der
Behandlung der hypertrophischen Nasenschleimhaut zur Anwendung kommen,
betont die Unzulänglichkeit der chemischen Mittel und der Massage. die Ge-
fahren einer intensiven Anwendung des Galvanocauters und die Nachtheile der
kalten Schlinge; er empfiehlt dann als souveränes Mittel zur Entfernung der
Muschelhypertrophien die Glühschlinge, deren Vorzüge geringe Schmerzhaftig-
keit, geringe Blutung, geringe Reaction sind. Findet die Schlinge keinen Halt,
so zieht M. mit einem messerförmigen Brenner eine tiefe Furche längs dem
unteren Rande der unteren Muschel, umgeht ihr vorderes Ende und trennt die
Hypertrophie los. Jetzt lässt sich die Geschwulstmasse leicht mit der Glüh-
schlinge fassen und ohne grössere Blutung entfernen. Unter Umständen zieht
er eine zweite Furche längs dem oberen Rande der Muschel bis zur Vereinigung
mit der ersten Furche und trennt das in diesem Winkel hervortretende Polster
ebenfalls mit der Glühschlinge los. Vortr. glaubt, dass diese Operationsmethode
die Resection der unteren Nasenmuschel überflüssig macht. Auch zur Ent-
fernung der Hypertrophien der hinteren Muschelenden bleibt meist nur die
Glühschlinge übrig; die Nachbehandlung besteht gewöhnlich nur in der Appli-
cation eines deckenden Pulvers, bei Blutungen soll man mit der vorderen
Tamponade nicht zu eilig sein. weil bei der Entfernung des Tampons am
nächsten Tage erneute Blutungen auftreten.
334 Bericht über die Verhandlungen der otologischen Abtheilung
Discussion: Herr Winkler-Bremen erachtet die Resection der unteren
Muscheln im Wesentlichen nur für die breiten, flächenhaften Verwachsungen
zwischen unterer Muschel und Septum und für galvanocaustisch zerstörte untere
Muscheln für indicirt.
Herr Zarniko-Hamburg weist auf die grossen Vorzüge der kalten vor
der glühenden Schlinge hin; sie sei weniger complicirt und leiste genau das-
selbe, wenn man eine in die Röhre ganz einziehbare Schlinge, wie die Hart-
mann'sche oder Krause’sche anwende. Man könne mit einer solchen die
Hypertrophie glatt abschneiden, ohne zu reissen. Die Blutung sei nicht stärker
als nach galvanocaustischer Operation. Redner lässt die Patienten sofort nach
der Abschnürung ‘ein paar Stunden ruhig liegen: sie verlieren dann nur wenige
Kaffeelöffel Blut. Tamponire man, so blute es nachträglich viel erheblicher.
Herr Walb-Bonn operirt nur mit der kalten Schlinge; stärkere Blutungen
könne man dadurch leicht vermeiden, dass man nach dem Zuschnüren der
Schlinge dieselbe erst einige Minuten liegen lässt und dann mit einem plötz-
lichen Ruck den Tumor abreisst. Knochenblasen der mittleren Muschel lassen
sich mit der kalten Schlinge sehr leicht abtrennen. Dass die kalte Schlinge
ausser dem gefassten Stück noch ein mehr weniger grosses Stück der Umgebung
mitentfernt, sei geradezu ein Vortheil, da auch letztere meist hypertrophisch
erkrankt sei.
Herr Heymann-Berlin ist der Ansicht, dass die kalte Schlinge in allen
Fällen genügt.
Herr Moldenhauer betont nochmals als Vorzug der Glühschlinge, dass
sie nicht reisst, sondern schneidet.
Herr Winkler fragt, welche Erfahrungen die Anwesenden bezüglich der
Recidive d. h. des Auftretens von Wucherungen an anderen Stellen als den
operirten gemacht haben, und wie sie solchen Nasenstenosen gegenüber handeln,
die trotz wiederholten Brennens der unteren Muscheln nicht beseitigt sind.
Herr Heymann sieht als Vorzüge der kalten Schlinge an ihre grössere
Leichtigkeit und Handlichkeit, sowie die geringere Reaction nach der Operation.
Echte Recidive der papillären Erkrankung gäbe es nicht. Die sog. Recidive
seien Erkrankungen von Nachbarstellen, also nicht zu vermeiden, wolle man
nicht die ganze Muschel exstirpiren. Bei der Trennung der Synechien komme
es auf die Operationsmethode nicht an, die Wiederverwachsung müsse man
verhüten durch Einlegung irgend welcher Fremdkörper (Watte, Staniol, Karten-
blatt etc.).
Herr Winkler meint, dass die kalte Schlinge bei omida Entartung
jedenfalls dann vorzuziehen sei, wenn die Nasenobstruction zu Stauungen in den
Nachbarorganen, besonders im Auge, geführt habe.
6. Herr Moldenhauer: Zur operativen Behandlung der kuppel-
förmigen Verbiegungen der Nasenscheidewand.
Vortragender hat sich zur Entfernung der kuppelfórmigen Verbiegungen
des vorderen Abschnittes der Nasenscheidewand spitze, über die Fläche stark
gebogene Messer construiren lassen, die ihm vortreffliche Dienste geleistet haben.
Er durchstösst mit dem Messer den oberen Rand der Verkrämmung mehr in
ihrem vorderen Abschnitte, geht nun schneidend soweit als möglich nach hinten,
der 67. Versammlung deutscher Naturforscher u. Aerzte in Lübeck. 335
dann nach unten und wieder nach vorn. zur Einstichstelle zurück, und um-
schneidet somit ein annähernd kreisförmiges Stück, das schr leicht mit einer
Zange entfernt werden kann. Die Operation ist auch bei Cocainisirung nicht
schmerzlos. Bei grösserer Ausdehnung der Verbiegung muss man sich oft durch
Abtrennung des Nasenflügels in der Nasenfurche Platz schaffen, was bei sub-
cutaner Application von Cocain fast schmerzlos gemacht werden kann. Die
Blutung ist ziemlich stark, wird durch Tamponade gestillt, die AUein 2—3
Tage dauern muss. Weitere Nachbehandlung ist unnöthig.
7. Derselbe: Ueber eine bisher unbekannte Form der Nasen-
verengung.
M. sah bei zwei Patientinnen Verlegung des Nasenlumens durch Verdickung
der Oberkiefer. Im ersten Falle waren der Körper, der Stirn-, Joch- und
Gaumenfortsatz gleichmässig diffus verdickt, der Alveolarfortsatz normal; im
zweiten Falle der Körper und Proc. frontal. erkrankt. Vortrag. lässt die Frage
nach der Ursache der Knochenveränderung unentschieden, möglich, dass hereditäre
Lues im Spiele ist. Bei der zweiten Patientin verschwanden nach 30 gr Kal.
jodat. und 15 Fl. Adelheidsquelle die Kopfschmerzen, die Verdickung des
rechten Proc. front. verringerte sich.
8. Herr Karutz-Lübeck: Krankenvorstellung.
Es handelt sich um einen durch Aufmeisselung geheilten Fall von chroni-
schem Stirnhöhlenempyem, das sich im Anschluss an eine Influenza entwickelte.
Die Nasenuntersuchung ergab nur Eiter am Nasendach, die Schleimhaut war
normal, ohne jede Wucherung der Muscheln oder Septumschleimhaut. Druck-
empfindlichkeit namentlich der unteren Wand. Durchleuchtung war nur inso-
fern von Werth, als sie eine Eiteransammlung in den Kieferhöhlen ausschloss.
Der Schnitt verlief horizontal von der Nasenwurzel, teımporalwärts im Augen-
brauenbogen, Wegmeisseln des grösseren Theils der vorderen Sinuswand, Aus-
kratzen des Stirnsinus und der angrenzenden Siebbeinzellen, Jodoformgaze-
tamponade nach aussen. Naht bis auf eine kleine Oeffnung für den Drain.
Nach zwölf Tagen Nase und Stirnhöhle eiterfrei. Vortr. spricht sich auf Grund
von Leichenuntersuchungen gegen die Schäffer’sche Trepanation der unteren
Sinuswand aus, betont die Schwere des Eingriffs bei der Jansen'schen Operation
und empfiehlt die Wegmeisselung der vorderen Wand nach Kuhnt. Speciell
wendet er sich gegen die Behauptung Jansen's, als müsse die letztere stets
eine „sehr widerwärtige“ Entstellung bedingen und illustrirt das Gegentheil
durch Vorstellung seines Patienten.
9. Herr Hartmann-Berlin: Demonstrationen.
Vortr. erwähnt zunächst einen Fall seiner Beobachtung, in dem einfacher
Verschluss des Ausführungsganges der Stirnhöhle Stirnkopfschmerzen verbunden
mit Druckgefühl verursachte, ohne dass die auskleidende Membran entzündet
gewesen wäre. Der Sinus erwies sich bei der Aufmeisselung frei, doch ragte
in seinem Boden eine mit eitriger Flüssigkeit gefüllte Siebbeinzelle hinein.
Die Wände der Zelle wurden entfernt, nach der Nase drainirt, völlige Heilung.
Später wiederholte Schmerzanfälle durch jeweiligen Verschluss des Ausführungs-
. x
336 Bericht über die Verhandlungen der otologischen Abtheilung
ganges, durch Sondirung beseitigt. Vortr. zeigt Präparate der Stirnhöhle,
welche darthun, dass eine Eröffnung der Stirnhöhle von der Nase aus zwischen
Septum und mittlerer Muschel unstatthaft ist, und ferner dass mit der neuen
Lichtwitz’schen Canüle, die genau die Form der vom Vortragenden für die
Highmorshöhle empfohlenen hat, die Stirnhöhle nicht ausgespült werden kann.
Die Abkrüämmung muss mindestens um 1 cm länger sein.
Discussion über beide Vorträge.
Herr Walb-Bonn wendet zur probatorischen Eröffnung der Stirnhöhle
die amerikanische Bohrmaschine an und fragt die Anwesenden, ob sie ebenfalls
Erfahrungen darüber gesammelt haben.
Herr Hartmann-Berlin und Herr Zarniko-Hamburg sprechen sich
gegen die Bohrmaschine aus, da in manchen Fällen die Stirnhöhlen überhaupt
fehlen und dann die Schädelhöhle angebohrt würde.
Herr Winkler-Bremen schliesst sich der Ansicht Hartmann's bezüg-
lich der probatorischen Eröffnung der vorderen Sinuswand ebenfalls an. Die
Trepanation der unteren Wand, die er früher empfohlen hat, wendet er nur
noch unter Umständen zur Feststellung der Diagnose an. Sehr guten Ueber-
blick über die in Betracht kommenden Verhältnisse fand Redner bei der
Operation nach Kuhnt.
Herr Moldenhauer-Leipzig glaubt, dass genuine Empyeme der Stirn-
höhle sehr selten vorkommen und dass es sich häufig um Verwechselung mit
Siebbeinempyem handelt. Auch bei der Sondirung ist es schwer zu entscheiden,
ob die Spitze der Sonde sich in der Stirnhöhle oder in einer stärker nach vorn
und oben vorspringenden Siebbeinzelle befindet.
Herr Hartmann hält es für nothwendig, eine dauernde freie Communi-
cation zwischen Stirn- und Nasenhöhle zu schaffen. Wird bei einer operativen
Eröffnung der Stirnhöhle kein Secret gefunden, so kann durch lineare Vereini-
gung der Wandränder jede Entstellung vermieden werden. Zu den Ausspülungen
empfiehlt er Wasserstoffhyperoxyd 1:100—1000.
IIerr Karutz fragt Herrn Hartmann, ob er nicht die Reinfection von
der Nase her fürchtet.
Herr Hartmann betont, dass durch die Schaffung der Communication
das natürliche Verhältniss wiederhergestellt wird.
Herr Leutert-Halle emptiehlt zur Catbeterisation der Stirnhöhlen eine
vom Instrumentenmacher Hellwig in Halle angefertigte Canüle. welche einer
geringen lateralen Biegung des Stirnhöhlencanals beim Eintritt in die Stirn-
höhle gerecht wird.
10. Herr Siebenmann-Basel: Der trockene Catarrh und die
Epithelmetaplasie der knorpeligen Nase (Rhinitis sicca anterior).
Siebenmann stellt das Krankheitsbild einer Rhinitis sicca anterior auf,
die zu Borkenbildung, Epistaxis, Eczem und Perforation der knorpeligen Nasen-
scheidewand führen kann und deren Häufigkeit ca. 100/ọ aller Fälle von Er-
krankung der Nase überhaupt beträgt. Die Symptome sind lästiges Gefühl
von Trockenheit und Spannung, eczemähnliche Reizzustände, die Schleimhaut
oft klebrig, zuweilen trocken und wie bestäubt oder gefirnisst, später hellgrau
der 67. Versammlung deutscher Naturforscher u. Aerzte in Lübeck. 337
von epidermisartigem oder sehnigem Aussehen. Durch Bohren mit dem Finger
entstehen Blutungen, mit den Borken zugleich wird lebendes Gewebe abgerissen,
was schliesslich zur Perforation führt, mit der der Process abgeschlossen ist.
In anderen Fällen wuchert die erkrankte Schleimhaut und führt zum sogen.
blutenden Septumpolyp. Furunkel, Erysipel, Lupus, idiopathische acute Septum-
phlegmone können von diesen Stellen aus entstehen. Mikroskopisch zeigt sich
die Schleimhaut feingefältet, mit Uebergangs- oder Plattenepithel. Der Firniss,
der die erkrankten Stellen bedeckt, zeigt bei der Färbung stellenweise die
deutliche Reaction der Hornsubstanz. Die Diagnose ist leicht, wird aber oft
bei Kindern nicht gestellt, da sich hier das Augenmerk vorwiegend auf die
Wucherungen im Nasenrachenraum richtet. Die Therapie beschränkt sich auf _
die bei der Blepharitis ciliaris gebräuchlichen Salben, Verbot des Bohrens und
foreirten Schneuzens, kurzes Zuiückschneiden der Vibrissae und auf Constitution
verbessernde Mittel. Bei habitueller Epistaxis empfiehlt er Kalihypermanganicum
in Substanz.
11. Herr Zarniko-Hamburg: Demonstrationen.
Vortragender demonstrirt mikroskopische Präparate eines Falles von
Papilloma durum nasi; bisher nur sechs Fälle bekannt. Der Tumor sass
mit dünnem Stiel dicht vor ‚dem vorderen Ende der rechten unteren Muschel
eines ca. 60 jährigen Mannes und füllte die Nasenseite ganz aus. Makroskopisch
zottig und durch Luftstaub oberflächlich geschwärzt, ähnlich einer schmutzigen
Bürste zeigt er mikroskopisch spärliches Bindegewebsgerüst, in der Hauptmasse
ein vielfach geschichtetes verhornendes Pflasterepithel mit mächtiger Abstossung
von Hornlamellen. Bis jetzt kein Recidiv (über 1 Jahr). Zweitens zeigt Vortr.
an mehreren Exemplaren, dass die alten Kehlkopfspiegel ein etwa 25 maliges
Kochen (jedesmal 2 Minuten in 10/9 Sodalösung) ertragen, ohne den geringsten
Makel zu zeigen und empfiehlt sie als die immer noch zweckmässigsten.
12. Herr Karutz-Lübeck: Die adenoiden Vegetationen und die
Schule.
Vortragender hat die Kinder der Schule für Schwachbefähigte untersucht
und in fast 700/9 Wucherungen gefunden; er empfiehlt gleiche Untersuchungen
in anderen Städten, um weiteres Material für die Frage der Schulärzte zu
gewinnen.
Discussion. Herr Hartmann-Berlin hält eine Gleichartigkeit in der
Beurtheilung der Grösse der Racheninandel für schwierig.
“ Herr Pluder - Hamburg hat den Procentsatz der Rachenmandel bei
schwachbefähigten Kindern nicht so hoch gefunden und glaubt, dass sie bei
ihnen eine geringere Rolle spielt, als bei stotternden Kindern.
3. Sitzung.
Vorsitzender: Prof. Körner.
13. Herr Walb-Bonn: Die Vibrationsmassage des Trommelfells.
und der Gehörknöchelchen mittelst der Lucae’schen Drucksonde.
Vortragender hat schon auf der Naturforscherversammlung in Halle mit-
getheilt, dass er in der Anwendung der Lucae’schen Drucksonde weitergehe,
338 Bericht über die Verhandlungen der otologischen Abtheilung
als Lucae selbst, indem er sehr viel mehr Stösse hintereinander macht und
meist zwei Sitzungen täglich abhält, Inzwischen hat derselbe an einer grossen
Anzahl von Fällen das Verfahren weiter erprobt. Sucht man sich die Fälle
aus, so kann man sehr gute Resultate erzielen, die besten bei reinen Beweglich-
keitsbeschränkungen ohne Erkrankung des Labyrinths.. In einer Reihe von
Fällen geht der Effect wieder verloren. Der Vortragende theilt einige aus dem
Journal herausgezogene Resultate mit, aus denen hervorgeht, dass mitunter die
Besserung sehr rasch eintritt. W. ist gegenwärtig damit beschäftigt, einen
selbstthätigen Apparat zu construiren, der die Stösse besser ausführen kann als
die Hand und gleichzeitig sehr viel rascher und häufiger.
Discussion: Herr Karutz- Lübeck empfiehlt die Anwendung der Druck-
sonde; es giebt sicher Fälle, in denen sie ganz bedeutend mehr leistet, wie die
Luftdouche; er erwähnt einen solchen Fall, in dem mehrere Wochen lang ohne
jeden Erfolg catheterisirt war und dann nach einmaliger Application der Druck-
sonde die Hörweite von 20 cm auf 3 m stieg, nach einigen Tagen auf 4 m und
dieser Erfolg noch nach 3/4 Jahren controllirt werden konnte. Der Fall war
umso interessanter, als er strenggenommen eine Contraindication gegen die
Drucksonde abgab wegen entzündlicher Reizung des Trommelfells.
Herr Ludewig-Hamburg hält ebenfalls jede Entzündungserscheinung am
Trommelfell für eine Contraindication der Drucksondenanwendung. Er fragt
Herrn Walb nach dem Verhalten der hohen Töne und der subjectiven Ge-
räusche in den mitgetheilten Fällen, und ferner, ob den Patienten selbst eine
Hörverbesserung von 5 auf 17 oder 30 cm bemerkbar und ob sie mit einer
solchen zufrieden gewesen wären.
Herr Walb erwiedert, dass die hohen Töne durchweg erhalten waren, und
dass meist subjective Geräusche vorlagen, die fast ausnahmslos auf die An-
wendung der Drucksonde schwanden, ja meist früher schwanden, als die Hör-
verbesserung eintrat. In einigen Fällen beschränkte sich der Erfolg überhaupt
nur auf das Nachlassen der subjectiven Geräusche. Die Besserung des Hör-
vermögens ist in vielen Fällen sehr bedeutend und den Patienten sehr wohl
bemerkbar. Welchen objectiven Effect die Vibrationsmassage hat, ob es sich
nur um Verbesserung der Schwingungsfähigkeit oder um weitergehende Ver-
änderungen handelt, kann noch nicht beantwortet werden. Möglicherweise hat
die Anwendung des Verfahrens zugleich einen trophischen Effect.
Herr Zarniko-Hamburg fragt, ob Vortr. die Lucae’sche Methode der
Abkühlung der Sonde anwendet, um die Empfindlichkeit herabzusetzen.
Herr Walb hält dieselbe nicht für nöthig und wendet sie nicht an.
Herr Pluder- Hamburg bemerkt, dass im praktischen Sinne die Hör-
erfolge Walb’s ihm so imponirend nicht erscheinen, dass aber schon die Ab-
nahme der subjectiven Geräusche die Behandlung empfehlenswerth mache. Er
selbst benutzt die modificirte Lucae’'sche Drucksonde. Die Erfolge sind immer-
hin besser als die der Delstanche’schen Trommelfellmassage.
Herr Zarniko-Hamburg hält die Hörverbesserungen, die Walb erzielt
hat, doch für recht beträchtlich. Nach den Ausführungen Bezold's muss man
die Verhältnisszahl in Betracht ziehen, nicht die Differenz der Hörweiten. Es
ist z. B. eine Hörverbesserung von 5 cm auf 20 cm gleichzusetzen einer solchen
von 5m auf 20 m.
der 67. Versammlung deutscher Naturforscher u. Aerzte m Lübeck. 339
Herr Naegeli-Akerblom-St. Gallen empfiehlt. die Patienten anzu-
weisen selbst Hörprüfungen mit eigener Taschenuhr vorzunehmen, da sie in
diesem Falle auch mit Hörverbesserungen von 5cm auf 25 oder 30 cm zu-
frieden sind. M
Herr Hartmann-Berlin bittet, darauf zu achten, ob auch bei Parakusis
Willisii Besserung zu erzielen ist. Bei ihr liegt stets einfache Sclerose vor ohne
Betheiligung des nervösen Apparates und wird durch andere Behandlungs-
methoden nie eine Besserung des Gehörs erreicht.
14. Herr Zarniko-Hamburg: Ueber isolirte Ozaena der Trachea
nebst Bemerkungen über das Wesen der Ozaena.
Vortragender sah einen Patienten, dessen Luftröhre mit dunklen fest-
haftenden Borken austapeziert war, die den specifischen Gestank der Ozaena
verbreiteten, während die höher gelegenen Luftwege von der Glottis aufwärts
völlig gesund waren. Von der einfachen trockenen Laryngotracheitis unter-
scheidet sich die Erkrankung durch den chronischen Verlauf und den Foetor
der Borken. In der Literatur findet sich nur noch ein ähnlicher Fall von
Baginsky in der Berl. klin. Wochenschr. 1876 Nr. 37 beschrieben. Beide Fälle
zeigen, dass die Ozaena eine selbstständige Erkrankung ist, die in jedem Ab-
schnitt des Respirationsapparates isolirt auftreten kann; sie widerlegen die
Fränkel’sche Vermuthung, dass der Foetor eine Folge des Schwundes der
Bowmann’schen Drüsen und des Fehlens ihres Secretes sei, ferner die Theorie
Zaufal’s, wonach abnorme Erweiterung des Luftweges und davon abhängige
Zersetzung des Nasensecretes den Foetor ozaenae hervorrufe. Vortr. wendet
sich auch gegen die bekannte Anschauung Grünwald’s und glaubt, dass die
Ozaena eine von Anfang bis zu Ende eigenthümliche Krankheit ist. Er hält
auch den Ozaenacoccus nicht für die Ursache derselben, wenn er auch vielleicht
den Foetor bedingt, und wiederholt seine schon vor zwei Jahren bekannt ge-
gebene, Ansicht von der Ozaena als einer Trophoneurose der Nasenschleimhaut
wobei die Ernährungsstörung das Primäre sei. Die Erfahrungen der Hautärzte
(Glossy skin) und die Ansichten Hopmann’s stützen diese Theorie.
15. Derselbe: Ueber Kakosmia subjectiva.
Vortragender macht auf einen cardinalen Unterschied zwischen subjectiven
Gerüchen auf der einen Seite und subjectiven Geräuschen und Lichtempfindungen
auf der anderen Seite aufmerksam. Jene sind fast immer unangenehmer Natur
(Koth, Cadaver etc.), diese mehr angenehmen Charakters (Vogelzwitschern;; rosige
Wolken, bunte Sterne etc... Vortr. glaubt, diese Erscheinung finde ihre Er-
klärung in der Thatsache, dass die sog. subjectiven Kakosmien in der über-
grossen Mehrzahl re vera objective sind und grossentheils von verkappten Neben-
höhlenempyemen herrühren. Zu dieser Ueberzeugung haben ihn vier Fälle
geführt, in denen nichts auf Nebenhöhlenerkrankung hinwies und wie von
anderen Aerzten, so auch von ihm zunächst auf Hysterie und Hypochondrie die
Diagnose gestellt war. Spätere Punction der Kieferhöhlen ergab aber in allen
vier Fällen Ansammlung von stinkendem Eiter. Vortrag. empfiehlt deshalb in
allen Fällen von Kakosmie, für die sonst keine handgreifliche Ursache vorliegt,
340 Bericht über die Verhandlungen der otologischen Abtheilung ete.
die Kieferhöhlen vom unteren Nasengang (nach M. Schmidt) auszuspülen.
Dann dürften sich viele subjective Kakosmien als objective entpuppen.
16. Herr Jankau-München: Demonstration.
Jankau zeigt einige Ohrmodelle, die aus einer neuen von J. Enzler
Söhne München, Obersendling, fabrieirten Marmormasse hergestellt sind. Sie
haben den Vorzug, unzerbrechlich, ja fast unzerstörbar und waschbar zu sein,
sodass man zu Demonstrationszwecken auf ihnen mit Farbe und Blei zeichnen kann.
17. Herr Hartmann-Berlin: Demonstration.
Redner zeigt einen Tricotschlauch. der mit Sublimatlösung befeuchtet bei
_ Operationen am Ohr über den Kopf gestülpt wird, um die Umgebung des Ohres
aseptisch zu halten. Er hat zwei Einschnitte, einen für das Gesicht und einen
für die Operationsstelle. Da die Schnittränder klaffen, so liegt das Operations-
gebiet vollständig frei.
Herr Prof. Urbantschitsch- Wien hat der Abtheilung ein
Widmungsexemplar seines neuen Buches »Ueber Hörübungen bei Taub-
stummheit und bei Ertaubung im späteren Lebensalter« übersandt.
Herr Prof. Körner-Rostock schliesst die Verhandlungen mit
einigen Worten des Dankes an den Einführenden der Abtheilung.
Präsenzliste.
}. Siebenmann-Basel; 2. Hartmann-Berlin; 3. Bockemöhle- Münster;
4. Grube- Flensburg; 5. Koch- Braunschweig; 6. Wegener - Hannover;
7. Ludewig-Hamburg; 8. von Wild-Frankfurt a. M.; 9. Walb-Bonn;
10. Düsterwald-Bremen; 11. Jankau-München; 12. Davidsohn-Berlin;
13. Koerner-Rostock; 14. Naegeli-Akerblom-St. Gallen; 15. Leutert-
Halle; 16. Pluder-Hamburg; 17. Zarniko-Hamburg; 18 Dormann-
Kassel; 19. Karutz-Lübeck; 20. Framm-Lübeck. l
Bericht
über die
Leistungen und Fortschritte
der
Pathologie und Therapie im Gebiete der Krankheiten des
Gehörorganes und der Nase
im zweiten Quartal des Jahres 1895.
Zusammengestellt von Dr. Arthur Hartmann in Berlin.
m
Allgemeines.
1. 74. Jahresbericht des Newyork Eye and Ear Infirmary für das am 30. Sep-
tember endende Berichtsjahr. Ohren- und Hals-Abtheilungen.
2. 25. Jahresbericht des Newyork Ophthalm. and Aural Institute für das am
80. September 1894 endende Berichtsjahr. Dr. Knapp, Toeplitz und
Vulpius. Ohren- und Halsabtheilungen.
3. 25. Jahresbericht des Manhattan Eye and Ear Hospital während des am
30. September 1894 endenden Berichtsjahres. Ohren- und Halsabthei-
lungen.
4. Jahresbericht aus dem Ambulatorium für Ohren-, Nasen-, Hals- und Mund-
krankheiten. Von Dr. Stetter, Monatsschr. f. Ohrenheilkunde 1895,
Nr, 24.
5. Bacon Gorham. Ursache und Verhütung von Taubheit. Americ. med.
surg. Bulletin 1. Mai 1895.
6. Dench, E. B. Ohrenerkrankungen in Folge von Influenza N.-Y. med. Record
6. April 1895.
7. Bernstein, E. J. Ohrencomplicationen bei innen Maryland Medical
Journal 4. Mai 1895.
8. Cheatle Arthur H. Bathing and aural Diseases. Lancet 15. Juni 1895.
9. Lermoyez et Helme. De l'asepsie en otologie, rhinologie et laryngologie
Ann. des mal. de l’oreille etc. Nr. 6, 1895.
10. Alt, Ferd. Dr. Ueber den Ausfall der Gehörperception auf einem Ohre.
Monatsschr. f. Ohrenheilkunde Nr. 25, 1895.
342 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
11. Gellé. Le torticollis ab aure laesa. Ann. des maladies de l'oreille etc.
Nr. 4, 1895.
12. Gellé. Des ödemes phlegmoneux souscoutanés périotiques. Ibid. Nr. 5,
1895.
13. Gillispie, L. Two Cases of Deaf Mutism and Goitre. A Deaf Mutism with
persistent anterior Fontanella. Provincial Medical Journal 1. Mai 1895.
1) In der Ohren-Abtheilung der Newyork Eye and Ear Infirmary
wurden 4688 neue Patienten behandelt und 495 Operationen ausgeführt,
worunter 133 Paracentesen, 6 Ossikulektomien wegen Otitis media catarrhalis,
19 Ossikulektomien wegen Otitis media purulenta, 48 Warzenfortsatz-
operationen mit 41 Aufmeisselungen, 74 Entfernung von adenoiden
Vegetationen und 28 Tonsillotomien sich befanden. — In der Hals-
abtheilung wurden unter 1884 neuen Fällen 401 Operationen ausgeführt,
einschliesslich 103 Entfernungen von Adenoiden, 69 Tonsillotomien, 4
Asch-Operationen zur Geradestellung der Nasenscheidewand, 3 Kürettir-
ungen der Siebbein- und Oberkieferhöhlen. Toeplitz.
2) In der Ohren- und Halsabtheilung der Newyork Ophthalmic
und Aural-Institute wurden 2028 neue Patienten behandelt und 234
Operationen ausgeführt. Unter den wichtigeren Operationen befanden
sich 14 Eröffnungen des Warzenfortsatzes mit dem Meissel (darunter
waren 2 Stacke, 1 modificirter Stacke, 1 mit Gehirnabscess und 1 mit
Cholesteatom), 19 Paracentesen (1 mit Tenotomie des Tensor tympani),
50 Entfernungen von adenoiden Vegetationen, 1 Entfernung von Epi-
theliom des weichen Gaumens, 24 Tonsillotomien, 1 Ossikulektomie, 1
Trennung des Amboss Steigbügel-Gelenks und 1 Trepanation wegen Ge-
hirnabscesses. Toeplitz.-
3) Die Ohren- und Halspatienten des Manhattan Eye und Ear
Hospital werden in getrennten Abtheilungen behandelt. Die Zahl der
neuen Patienten der . Öhrenabtheilung betrug 2749, die der Halsab-
theilung 3809. — 236 Operationen wurden in der ersteren ausgeführt,
worunter sich 39 Warzenfortsatzoperationen, 21 Paracentesen und 59
Entfernungen adenoider Vegetationen befanden. Die Gesammtzahl der
in der Nasen- und Halsabtheilung ausgeführten Operationen betrug 688,
einschliesslich 180 Entfernungen von adenoiden Vegetationen und 16
Operationen wegen Verbiegungen der Nasenscheidewand und Entstellungen
der Nase. = Toeplitz. `
4) Stetter empfiehlt die Wilde’sche Incision bei allen Periosti-
tiden des Warzenfortsatzes nach acuter und chronischer Mittelohreiterung
als ersten operativen Eingriff, welcher selbst in Fällen mit meningealer
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 343
Reizung zur Heilung genügen kann. Nur wenn sich der Knochen ver-
ändert zeigt, ist das Antrum sofort zu eröffnen, sonst werde mit dieser
Operation gewartet, da sie sich manchmal als unnöthig erweist.
| Killian (Freiburg).
5) Bacon gab eine Statistik von 203 Kindern, 115 männlichen
und 88 weiblichen. Unter den Ursachen ihrer Taubheit waren 10 Fälle
von Ohrenschmalz, 4 von Fremdkörpern, 30 von Otitis media catarrhalis
acuta, 3 von Otitis media catarrhalis subacuta, 25 von Otitis media
catarrhalis chronica, 37 von Otitis media purulenta acuta, 85 von Otitis
media purulenta chronica, 2 von Otitis media purulenta chronica mit
Warzenfortsatzerkrankung und 5 von Labyrintherkrankung. — Von
den 203 Fällen waren 177 Fälle von acutem und chronischem Catarrh
und acuter und chronischer Eiterung des Mittelohres. Viele Patienten
waren schlecht genährt, tuberkulös, scrophulös oder syphilitisch, so dass
Leberthran, Jodeisensyrup und Syrup. hypophosph. indicirt waren. Die
Untersuchung des Ohres bei Scharlach. Masern, Diphtherie und Influenza.
ist von grosser Wichtigkeit. Frühzeitige Paracentese ist hier oft von
Bedeutung, da sonst ausgiebige Zerstörung des Trommelfells mit nach-
folgender Caries der Gehörknöchelchen und des Schläfenbeins stattfinden
kann. Unter den 203 Fällen sind, ausser Ohrenschmalz, Erkältungen,
Influenza, adenoide Wucherungen, Schwimmen, Masern, Diphtherie,
Zahnen, Tuberkulose, Traumen und Cerebrospinalmeningitis als Ursachen
aufgezeichnet. Bacon.
6) Dench legt sehr viel Gewicht auf den Werth einer frühzeitigen
Eröffnung des Trommelfells; da der Ausfluss dann eher von kürzerer
Dauer sein kann. Das Ohr muss durch Ausspülungen rein gehalten
und Kälte muss im frühen Stadium von Entzündung des Warzenfort-
satzes angewandt, aber nicht länger als 48 Stunden fortgesetzt werden.
Die Warzenfortsatzzellen müssen eröffnet werden, wenn sich Eiter ge-
bildet hat. | Bacon.
7) Die gegenwärtige Influenza-Epidemie war ungewöhnlich fruchtbar
in Bezug auf ernste secundäre Erkrankungen des Ohres. Die Haupt-
eigenthümlichkeiten waren starke Hyperämie und' Schmerzen, die in
keinem Verhältniss zu den gewöhnlich beobachteten Zuständen waren.
Während des Anfalls der Influenza oder in der Reconvalescenz kommen
typische Symptome von acutem Magencatarrh, nämlich Kopfschmerzen,
Uebelkeit, übelriechender Athem, gefurchte Zunge und grosses Unbe-
hagen hinzu. Nach mehreren solchen Tagen erscheint Ausfluss aus dem
Ohr mit starker Empfindlichkeit über dem Warzenfortsatz und Tragus.
344 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
Der Fall kann dann bezüglich der Schmerzen günstig verlaufen, oder
die letzteren können nach kurzer Remission, wieder sehr heftig werden,
worauf eine reguläre Mastoiditis eintritt. Bacon.
8) Cheatle lenkt die Aufmerksamkeit auf die Thatsache, dass
Baden, besonders Baden in der See, oft die directe Ursache von Ohr-
erkrankungen abgibt, von denen er folgende anführt: Otitis media
acuta, Otitis externa diffusa, acute Exacerbationen bei chronischer
Mittelohreiterung, gelegentliche Ausdehnung eines Eiterungsprocesses auf
Antrum, Processus mast. etc. Exostosen, Trommelfellrupturen, Labyrinth-
erschütterung endlich Aufquellen von Ceruminalpfröpfen. Er ist der
Ansicht, dass acute Otitis manchmal dadurch verursacht wird, dass vom
Nasenrachenraum Wasser ins Mittelohr geblasen wird; er betont ferner,
dass ein Patient mit Ausfluss aus dem Mittelohr überhaupt nie, und
derjenige, der irgendwie zu Ohrerkrankungen geneigt ist nur dann baden
sollte, wenn der Gehörgang entsprechend zugestopft ist.
| Erhard Müller (Stuttgart).
9) Nach einigen einleitenden Worten über die bakterientödtende
Wirkung des Nasenschleims und über die Infectionsmöglichkeit von
Operationsstellen aus, wird von Lermoyez und Helme dringend das
aseptische Verfahren empfohlen, da das antiseptische wegen der grossen
Resorptionsfähigkeit der Schleimhaut Gefahren bietet. Dass der Arzt
wie zu einer Laparotomie desinficirt sei, ist ein Ding der Unmöglichkeit
und unnöthig, er soll es nur machen wie die Bakteriologen, die, ohne
selbst keimfrei zu sein, doch absolut keimfrei arbeiten; nur zuweilen,
wo man direct manuell zu thun hat, muss. man die Hände exact des-
inficiren. Bezüglich der Desinfection des Patienten so gelingt es den
Gehörgang nach dem Zaufal’schen Verfahren aseptisch zu machen,
nicht aber die Nase oder den Larynx. Spülungen sind eher schädlich,
weil sie den Nasenschleim und damit auch dessen keimtödtende Wirkung
entfernen. Unbedingt nöthig und möglich ist es aber die Instrumente
zu sterilisiren und da empfehlen Verff. mehr als Heissluft und Wasser-
dampf für die metallischen Instrumente das kochende Wasser; für sehr
empfindliche Instrumente kann man sich mit längerem Eintauchen in
Chloroform begnügen. Die Schwierigkeit einer exacten Sterilisirung
liegt bekanntermaassen bei den nicht metallischen Instrumenten: da
muss man zu kalten Lösungen greifen am besten zu der 1°/, Christ-
mas’schen Pheno-Salyc.-Lösung (9 Carbolsäure, 2 Milchsäure, 1 Salicyl
säure, 0,1 Menthol.) die in doppelter Concentration selbst tuberkulösen
Auswurf innerhalb weniger Minuten desinficirt, ohne selbst 43 Stunden
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 345
darin liegenden Spiegeln zu schaden. Verff. beschreiben weiterhin
ihre kochbare Asbestspritze und einige andere sehr praktische Apparate.
Für die Sterilisation des Wassers haben sie sich einen 40 Liter
fassenden Apparat construirt, der ihnen zu jeder Zeit ein beliebiges
Quantum keimfreien Wassers beliebig zu erwärmen gestattet. Zur Steri-
lisation der Watte lassen sich kleine birnförmige Tampons im strömenden
Wasserdampf oder Sandband sterilisiren, die sie in gut verschlossenen
Gefässen aufbewahren und dann mit sterilen Pincetten daraus entnehmen.
Muss man die Tampons nachher noch mit mehr weniger keimhaltigen
Fingern formen, befeuchtet man sie mit Borsäure-Alcohollösung und
flammt sie ab, bis sie eben anfangen zu verkohlen. Im Schlusskapitel
belegen die Verff. die Nothwendigkeit und Zweckmässigkeit ihrer minu-
tiösen Asepsis mit 257 während der ersten 15 Monate ambulant vor-
genommenen Operationen. Die Erfolge sind glänzend.
G. Zimmermann (Dresden).
10) Alt glaubt, dass bei rein einseitiger oder vorwiegend ein-
seitiger Schwerhörigkeit die psychische Perceptionsfähigkeit für Schall-
eindrücke in Folge des Nichtgebrauches vollständig verloren gehen kann
und empfiehlt solchen Patienten regelmässige Hörübungen mit dem
schlechter hörenden Ohre anzustellen, während welcher das andere zu-
zustopfen ist. Killian.
11) Jede Contractur des Sternokleidomastoideus oder der Nacken-
muskulatur soll einen veranlassen, das Ohr zu untersuchen. Acute
Mittelohrentzündungen, die auf die Warzenfortsatzzellen übergreifen
besonders auf die unteren und inneren die Drüsenschwellung machen,
die cerebrale Complicationen im Gefolge haben, können die Ursache
des Schiefhalses sein, selbst bei der Sclerose (!) und subacuten Formen,
bei Meniere’schen Schwindel will Verf. Torticollis beobachtet haben.
Zimmermann.
12) Gell& hat schon 1890 (Berliner Congr.) auf die oft den
Facialislähmungen vorausgehenden acuten schmerzhaften Gesichtsödeme
aufmerksam gemacht; nun beschreibt er analoge Fälle, wo ein peri-
auriculäres Oedem das hervorstechende Krankheitssymptom ausmacht.
Es ist immer einseitig, diffus über die ganze Seite oft bis herab zum
Zungenbein ausgedehnt, heiss und schmerzhaft, und verlegt am meisten
das Gehörgangslumen. Gleicherweise greift es auch in die Tiefe, wie
das Auftreten von Schwindel und Geräuschen beweist. Schwellungen
der Pharynxschleimhaut sind häufig dabei. Die Oedeme können spurlos
in 8—12 Tagen verschwinden, hinterlassen manchmal Schwerhörigkeit
Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXVII. 23
346 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
manchmal Facialislähmung. Aetiologisch kann es sich einmal um
nervösen Ursprung handeln, dann um constitutionelle — gichtische —
und schliesslich um infectiöse Ursachen. Es ist nicht leicht, sich
differentialdiagnostisch über die Natur des Leidens schlüssig zu werden.
Es kommen Entzündungen im Canalis Fallopii, Entzündungen des
äusseren und mittleren Ohres, Erysipel, Ekzem und Warzenfortsatz-
erkranknngen in Frage. Für die primären Oedeme entscheidend aber
ist immer die schliessliche Resolution etwa am 12. Tage. Verf. hat
11 Beobachtungen gesammelt, die er der Beschreibung dieses neuen
Krankheitsbildes zu Grunde legt. Zimmermann.
13) In der Edinburgh Med. Chi. Society stellte Gillispie 2
Schwestern vor, die beide taubstumm waren und an Kropfbildung und
Pulsbeschleunigung litten; 2 andere Schwestern, die nicht vorgestellt
wurden, boten genau denselben Zustand dar, das einzige weitere Kind
in der Familie war ein Knabe, der vollkommen gesund war. Unter
Darreichung von „Jodide und Bromide of Strontium“ trat Besserung
im Allgemeinbefinden ein. Ausserdem stellte er ein 9jähriges taub-
stummes Mädchen mit persistirender vorderer Fontanelle und theilweise
in 2 Hälften getheiltem Stirnbein vor.
Instrumente und Untersuchungsmethoden.
14. Chasman N. S. Pipette für Mittelohrspritze. New-York, Med. Journ.
1l. Mai 1895.
15. Jackson, Chevalier. Ein ÖOhrmasseur. Journ. americ. med. Assoc.
1l. Mai 1895. |
16. Lestee John C. Eine elektrische Drucksonde für die direkte Vibration
des Trommelfells. New-York med. Journ. 8. Juni 189.
14) Das Instrument ist der Buck’schen Glaspipette sehr ähnlich ;
nur hat der Verfasser an Stelle des Glases Hartgummi gesetzt und es mit
einem gewöhnlichen Pipettenballon, einem feinen, am Ende leicht ge-
krümmten Gummiansatz zur leichten Einführung in Perforationen ver-
sehen. Bacon.
15) Bei diesem Instrument wird die Bewegung auf den Masseur
durch einen kleinen elektrischen Motor, der von einer Batterie oder
Akkumulatorenzelle bewegt wird, übertragen. Eine Gummiröhre führt
vom Boden des Cylinders zum Ohrrenendstück, welches in den äusseren
Gehörgang eingeführt wird. Der Verfasser behauptet mit diesem In-
strument bessere Resultate erhalten zu haben, als mit Delstanche’s
Rarefactor und Siegle’s Otoskop. | Bacon.
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 347
16) Lestee gibt eine Beschreibung dieses Instrumentes (eines
Motors mit daran befestigter Drucksonde) mit Abbildungen. Der kurze
Fortsatz des Hammers ist als Berührungspunkt ausgewählt, und die
Sonde wird durch ein Spekulum eingeführt und in sicherer Lage er-
halten, Die Schwingungen betragen von 500 bis 1500 und darüber
in der Minute. In den bisher behandelten Fällen wurden die besten
Resultate mit einer minimalen Länge oder Ausdehnung und einer maxi-
malen Anzahl der Schwingungen erreicht. Die Dauer der Behandlung
schwankt, im Durchschnitt zwischen 3 und 10 Sekunden in jeder Sitzung
und muss 2 bis 3mal in der Woche wiederholt werden. Der Verfasser
behauptet, dass dieses Instrument kraft seiner Wirkung zur Erhöhung
der Vaskularität und deshalb auch der Ernährung der Theile, für Fälle
von Sklerose und atrophischen Zuständen von besonderem Werthe sei.
Bacon.
Aeusseres Ohr.
17. Holinger J. Ein ungewöhnlicher Fall von Deformität des Ohres. Annal.
of ophth. and otol. April 1895.
18. Lederman M. D. Otitis externa diffusa. New-York med. Journ. 18.
Mai 1895.
19. Corradi. Des sténoses rebelles de la portion cartilagineuse du conduit
aud. externe et leur traitement. Annal. des mal. de l'oreille ete. No.
4, 1895.
20. Lannois. Rupture du tympan chez un pendu. ibid. No. 6, 1895.
21. Weissenstein, Dr. in Stuttgart. Fremdkörper im Ohre. Württ. med.
Corresp.-Blatt No. 14. 1895
17) In diesem Falle war der ganze Kopf unsymmetrisch: Die linke
Gesichtshälfte war in allen Dimensionen niedriger als die rechte und
zeigte eine deutliche Depression, welche sich vom ramus des Unterkiefers
bis zur linea temporalis und vom Jochbein bis zur Hinterhauptsgegend
erstreckte. Das Ohrläppchen war kleiner als gewöhnlich. Die Insertions-
linie der Ohrmuschel bildete °/, eines Kreises und der freie Rand der
Ohrmuschel war über sich selbst und im spitzen Winkel nach vorn
gebogen. Der Tragus fehlte. Die Ohrmuschel wurde in ihrer Stellung
verbessert, indem man sie halb von ihrem breiten Ansatz abpräparirte
und an einen Einschnitt in die vertikale Verlängerung des noch ad-
härenten Theiles annähte. Das Resultat war eine kleine senkrechte
Narbe vor dem Ohre und ein etwas zugespitztes Ohr. Bacon.
18) Die 23jährige Patientin spritzte sich wegen starken Juckens
in beiden Ohren, dieselben mit einer starken Karbolsäurelösung aus,
welche eine Otitis externa diffusa erzeugte. Zwei Tage später fand
23*
348 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
Lederman beim ersten Besuche, das Gesicht, in Folge seröser In-
filtration, welche sich über die Wangen- und äussere Infraorbitalgegend
verbreitet hatte, sehr aufgedunsen. Die Bindehäute beider Augen waren
stark injicirt. Es bestand eine diffuse Schwellung beider Ohrmuscheln,
welche sich auf der linken Seite über den Kieferwinkel ausdehnte.
Serum erfüllt die Vertiefungen der Ohrmuscheln und quoll an der Basis
einer Pseudomembran hervor. Die Uhr wurde auf keiner Seite gehört.
Die Patientin wurde vollständig wieder hergestellt. Bacon.
19) Im ersten Falle fand sich bei einem Mann, der sich vor einem
Monat eine Kugel in die hintere Gehörgangswand geschossen hatte,
eine mässige Stenose im knorpeligen Theil, daneben Ausfluss und bisweilen
Schwindel. Unblutige Dilatationsversuche verschlimmerten die Sache
so, dass man kaum einen Stecknadelknopf einführen konnte und schwere
Retentionserscheinungen auftraten. Deshalb circuläre Excision und
Drainage bis in’s Antrum. Hinterher doch noch Caminariabehandlung,
aber schliessliche Heilung. — Im zweiten Falle hatte sich bei einer
Frau nach einem Erysipel eine Otorrhoe entwickelt, das Erysipel reci-
divirte in Jahresfrist 15 mal, hinterliess eine bleibende Verdickung der
Weichtheile der rechten Gesichtshälfte und eine Yerengerung des linken
Gehörgangs. Diese bestand weniger in einer Zunahme des Dicken- als
des Längendurchmessers so, dass, wenn man das eingeführte Speculum
zurückzog, die Gehörgangsumkleidung sich fernrohrartig in einander
schob. Resektion eines ca. 0,5 cm breiten Stückes und Jodoformgaze-
tamponade, die später durch ein Drain ersetzt wurde. Heilung bis auf
Fortbestehen der Mittelohreiterung. Zimmermann.
20) Den seltenen Fällen von Trommelfellruptur bei Erhängten fügt
Lannois einen neuen hinzu. Ausser starker Cyanose des Gesichtes,
Ekchymosirung der linken Conjunctiva, Zungenbeinbruch und Bluterguss
in die pia fand sich im Trommelfell links eine ovale Ruptur im
hinteren unteren Quadranten, mit gerötheten Rändern und punktförmigen
Hämorrhagieen und Röthung der Paukenhöhlenschleimhart. Eine Er-
klärung des Mechanismus wird nicht gegeben, und die Zaufal’sche
Annahme eines durch den hinaufgedrängten Zungengrund bedingten
Tubenverschlusses und die Trautmann’sche, dass es sich um post-
mortale Erscheinung handele, verworfen. Zimmermann.
21) In dem im Stuttgarter Aerztl. Verein gehaltenen Vortrag‘ be-
spricht Weissenstein das Capitel der Fremdkörper nach anatomischen
wie klinischen Gesichtspunkten, wobei insbesondere die Therapie in
eingehender Weise erörtert wird, daran schliesst er die Beschreibung
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 349
eines Falles, den er gemeinschaftlich mit einem Chirurgen beobachtet
hat. Es betrifft ein 8jähriges Mädchen, das mit durch entzündliche
Schwellung stark verengtem Gehörgang in Behandlung kam. Beim Aus-
spritzen — es bestand Eiterung — floss Wasser in den Nasenrachen-
raum ab. Es wurde zunächst von Extractionsversuchen abgesehen und
Boralcoholeinträufelungen verordnet. Als aber die Otorrhoe täglich
zunahm und Schmerz hinter dem Ohr und auf dem Scheitel auftrat,
wurde in tiefer Narkose Muschel und Gehörgang abgelöst und nach
vorn geklappt und es gelang jetzt, den grösstentheils in der Pauken-
höhle liegenden Fremdkörper — einen 4eckigen Körper aus Glas
(Abb.) — herauszuhebeln, ohne dass die knöcherne Trommelfellwand
verletzt wurde. Glatter Wundverlauf, Aufhören der Sekretion nach 5
Wochen, Gehör normal. Eine anfängliche Stenose am Uebergang des
knorpeligen in den knöchernen Gehörgang bildete sich grösstentheils
zurück. Müller.
Mittiores'Ohr.
22. Dench E. B. Was soll der practische Arzt bei acuter Otitis thun? Americ.
med. surg. Bullet. 1. Mai 1895.
23. Nichols J. E. H. Otitis bei kleinen Kindern. Ibid.
24. Bishop S. S. Acuter Catarrh des Mittelohres von epidemischem Character.
Med. and surg. Reporter. 27. April 1895.
25. Pes und Gradenigo. Les staphylocoques pyogènes dans les otites
moyennes aigues et chroniques et en particulier de leur mode de traitement.
Annal. des mal. de l'oreille etc. 1895.
26. Chipault et Demoulin. Les méfaits de l’ineision de Wilde. Ibid. No. 4,
1895. T
27. Hamon du Fougeray. Traitement antiseptique des suppurations chroniques
simples de la caisse. Ibid. No. 6, 1895. à
28. Smith S. W. Cuen. Empyem des Warzenfortsatzes und seine Beziehungen
zu acuten Ohrerkrankungen. Med. and surg. Reporter. 1. Juni 1995.
29. Lake R. Facial Paralysis in recent otitis media. Provinc. med. Journ.
1. Juni 1895.
830. Buck Alb. H. The prognosis of operations upon the mastoid process of
diabetic persvns. New-York med. Journ. 29. Juni 1895. |
31. Roberts N. S. Ein Fall von Necrose des Warzenfortsatzes, welche die
Wände des Sinus lateralis mit ergriff. N. Y. Eye and Ear Inf. Rep.
Januar 1895.
82. Goldstein M. A. Exfoliation der Schnecke, des Vorhofs und der halb-
cirkelförmigen Kanäle. Annal. of Ophth. and Otol. April 1895.
33. Bacon Gorham. Ein Fall von Otitis media purul. chronica, complicirt
mit Erkrankung der Zellen des Warzenfortsatzes und einem extraduralen
Abcess, Operation, Heilung. New-York Eye and Ear Inf. Report. Januar
1895.
350 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
34. Barrow Bryce. A case of disease of the ear in which a resulting Tem-
porosphenoidal Abscess discharged throngh the nose. Lancet 29. Juni
1895.
35. Carson N. B. Gehirnabscess.. New-York med. Journ. 27. April 1895.
36. Grünwald Dr. München. Casuistische Mittheilungen I. Otitischer Hirn-
abscess. Münch. med. Wochenschr. No. 20, 1895.
37. Thomas J. L. und Purris W. T. Cerebellar abscess following middle
ear suppuration with polypus in external. meatus. Lancet 18. Mai 1895.
38. Moore W. A case of abscess in temporosphenoidal lobe secondary to
middle ear suppuration — recovery. Ibid. 20. April 1895.
39. Leith R. T. C. Cerebral abscess with symptoms resembling tubercular
meningitis. Brit. med. Journ. 11. Mai 1895.
40. Deanesly E. A case of aural pyämia without sinusthrombosis treated
by ligature of the internal Iugular vein and plugging of the lateral sinus.
Ibid. 13. April 1895. , i
41. Bacon Gorham. Spontane Ruptur der Warzenfortsatzzellen. New-York
med. Journ. 18. Mai 1895.
42. Lautenbach Louis. Nicht eiterige Fälle von Ohrenerkrankungen. Mas-
sage versus Entfernung des schallleitenden Apparates. Atlantic med.
Weekly. 18. Mai 1895. |
43. Story J. B. A case of malignant disease of the middle ear. Lancet 27.
April 1895.
22) Diese Arbeit nebst der folgenden von J. E. H. Nichols
wurde in der pädiatrischen Sektion der N.-Y. Academy of Medicine
vorgetragen. — Dench wies auf die Symptome acuter Otitis bei
Kindern hin und betrachtete davon den Schmerz als das Hervorragendste.
Locale Blutentziehung mit dem Heurteloup ist von grossem Werth,
wenn die Schmerzen von Entzündung des mittleren und äusseren Ohres
herrühren. Der Patient muss dann an’s Bett gefesselt und auch purgiert
werden. Opiate sind zuweilen nothwendig und trockne statt feuchte
Hitze wird empfohlen. Nach dem Eintritt des Ausflusses sind anti-
septische Ausspülungen erforderlich. Die Menge des Ausflusses braucht
nicht abzunehmen, bis die Temperatur normal geworden ist und alle
Schmerzen verschwunden sind. Wenn Empfindlichkeit hinter dem Ohre
vorhanden ist, dann gebraucht er einen Eisbeutel, aber niemals länger
als 48 Stunden zu einer Zeit. Schwellung des äusseren Gehörgangs
oder Vorlagerung des Trommelfells, mit vorausgehenden Schmerzen, bieten
hinreichenden Grund zu freier Incision. Bacon.
23) Eine chronische, katarrhalische Rhinitis ist bei Kindern sehr
gewöhnlich. Vor der Reinigung der Nase muss .das Kind auf das Ge-
sicht gelegt und etwas 2°/,ige Kokainlösung in beide Nasenhälften
zerstäubt werden. Ein olivenförmiger Nasenansatz von einem Irrigator
Pathologie und Therapie des Gehörorganes, hl
wird in ein Nasenloch eingeführt und eine 2°/,ige Borsäurelösung ge-
braucht. Diese Behandlung soll bei den exanthematischen Fiebern
ausgeführt werden. Die digitale Untersuchung wird das Vorhandensein
von adenoiden Vegetationen feststellen. Bacon.
24) Während der Influenzaepidemie hat der Verfasser beobachtet,
dass die Ohrenkomplikationen gewöhnlich ungefähr am fünften Tage
nach dem Anfall auftreten. Die Schmerzen sind sehr heftig. In 12
bis 24 Stunden erscheint seröser Ausflus. Das Verhältniss von Fällen
mit gleichzeitiger Affection des Warzenfortsatzes ist bedeutend grösser
als bei einfacher Otitis media acuta. Die Neigung zur Eiterung ist
ebenfalls bedeutend grösser. Die konstitutionellen Störungen sind viel
tiefer und die Erkrankung wird weniger leicht in Schranken gehalten.
Bacon.
25) Eine sehr exact gehaltene Widerlegung der von Lermoyez
und Helme publicirten Theorie, dass 1. die Staphylococcen nur secundär
und 2. nur durch den Gehörgang einwanderten und 3. die Chronicität
bedingten. ad 1. wird mit bisherigen Publicationen belegt, dass das
primäre Vorkommen von Staphylococcen bei noch uneröffnetem Trommel-
fell gar nicht so selten, ebenso häufig z. B. ist, wie das der Fränkel-
schen Diplococcen und Streptococcen, wenn auch die Möglichkeit secun-
därer Substitution durch die spärlichen, exact beobachteten Fälle er-
wiesen ist. ad 2 ist theoretisch zunächst gar nicht zu erwarten, dass
die Staphylococcen eine Sonderstellung einnehmen und nur vom Gehör-
gang aus einwandern können; und ein genau beobachteter Fall, wo der
Gehörgang keimfrei gehalten wurde und doch Staphylococcen auftraten,
beweist, dass diese hier nur durch die Tube gekommen sein können.
ad 3 sieht man in ausgesprochen chronischen Fällen, wie Zaufal u. a.
zeigten, die verschiedenartigsten Mikroorganismen. Die Chronieität
hängt eben weniger von den betreffenden Mikroorganismen ab als von
constitutionellen und localen Ursachen. Diese letzteren bestehen einmal
in Hindernissen, die eine Eiterretention bedingen, im Fortbestehen von
Entzündungen im Nasenrachenraum und Gehörgang, und in Compli-
cationen von Seiten des Warzenfortsatzes, wenn diese auch nicht so
einseitig, wie Bezold will, die Hauptschuld tragen. — Was nun die
von Lermoyez und Helme als Infectionsmodus angeschuldigte Watte
anbelangt, so kommt dieser Infectionsmodus bei keinem exact geschulten
und gewissenhaften Otologen in Frage, ganz abgesehen davon, dass das
Wattetampon selten bis an’s Trommelfell gebracht wird und dass selbst
352 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
die von den Patienten gebrauchte Watte, wenn sie nicht von inficirten
Aerzten erst infieirt ist, nur Saprophyten enthält.
Zum Schluss geben Verff. eine Uebersicht über die Erfolge ihrer
ausschliesslich mit Jodoformgazetamponade behandelten acuten Fälle.
Leider fehlen ihnen Vergleiche mit andern Statistiken, weil fast keine
von diesen gleichmässig exact, die Dauer vom Auftreten der ersten
Schmerzen bis zum Verschwinden der Sekretion angeben. Unter ihren
167 Fällen kam es bei 96 zur Perforation. Von diesen konnten 49
bis zur Heilung verfolgt werden und diese Heilung trat im Mittel in
14 Tagen ein. In 6,2°;, waren Warzenfortsatz- und endocranielle
Complicationen dabei; eine ungemeine rapide Form der meningitis die
in 24 Stunden total endete, wurde darunter beobachtet.
Ein kurzes Resume beschliesst die anregende, lesenswerthe Studie.
Zimmermann.
26) Chipault et Demoulin illustriren an mehreren Fällen, an
zweien ausführlich, nicht nur die Nutzlosigkeit des einfachen Wilde-
schen Schnittes, sondern auch dessen Gefahren bezüglich der secundären
Infection. In einem Falle hatten sich schwere phlegmonöse subcutane
. Fistelgänge und periphere Facialislähmung entwickelt, im anderen Falle
ausser Fisteln, die auf den entblössten Warzenfortsatz und auf die
Hinterhauptsschuppe führten, auch eine Fistel, die bis in’s seitliche
Atlasgelenk reichte und die Resection des Wirbelbogens nöthig machte.
Beide Fälle wurden schliesslich geheilt. Zimmermann.
27) Im Anschluss an die Arbeit von Lermoyez und Helme
und von der gleichen Theorie der secundären Staphylococceninvasion
ausgehend, publicirtt Hamon du Fongeray sein Verfahren, das in
subtilen Jodoformgazetamponaden des zuvor mit steriler Watte gereinigten
Gehörgangs besteht. Zimmermann.
28) Smith hat während der letzten paar Monate elf Fälle von
Empyem des Warzenfortsatzes in Folge von Otitis media acuta gesehen.
Die Lebensalter der Patienten hielten sich zwischen neun Monaten und
44 Jahren. In vier Fällen war der Abscess oberflächlich; von den
übrigen Fällen war bei fünf die Krankheit auf das Antrum beschränkt,
während bei zwei die Zellen ebenfalls ergriffen waren. Der Verfasser
legt auf die frühzeitige Erkennung und prompte Behandlung aller acuten
Öhrenerkrankungen sehr viel Gewicht, wodurch Complicationen: von
Seiten des Warzenfortsatzes verhütet werden. | Bacon.
29) In einer Versammlung der British Laryngological Rhino-
skopieal und Otological Society macht Lake auf das Vorkommen von
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 353°
Facialislähmung bei acuter Mittelohrentzändung aufmerksam, indem er
über 4 Fälle berichtet, die er unter 658 Fällen von acuter Mittelohr-
entzündung in St. Thomas Hospital gesehen hat.
30) Von den bisher veröffentlichten 10 Fällen von Warzenfortsatz-
erkrankung bei Diabetes (9 von Kuhn zusammengestellt mit 2 eigenen,
1 von Körner), deren Krankengeschichten kurz wiedergegeben sind,
wurden 7 operirt; von den Öperirten starben 5. Buck ist in der
Lage, 4 eigene Beobachtungen hinzuzufügen, die sämmtlich operirt
wurden und von denen 2 starben, einer am Coma diabet, der andere
an Sinusphlebitis. B. ist überzeugt, dass eine spätere Statistik eine
bessere Prognose geben wird, sofern nämlich, wie zu erwarten, künftig
in einem verhältnissmässig frühen Stadium der Erkrankung operirt
würde, jedenfalls bevor Sinus oder Dura mater in Mitleidenschaft ge-
zogen sind. Fast in allen der bisher bekannten Fälle sei relativ spät
operirt worden. Müller.
31) Roberts berichtet über einen Fall von Otitis media purulenta
von achtwöchentlicher Dauer mit nachfolgender Erkrankung des Warzen-
fortsatzes, in welchem die Warzenfortsatzzellen und ein gutes Stück er-
weichten Knochens entfernt werden mussten. Auf die Freilegung des
Sinus lateralis erfolgte eine bedeutende Blutung, welche durch Verpacken
mit Sublimatgaze gestillt wurde. Die Wunde heilte in sechs Wochen
vollständig. Der Fall dient nach der Meinung des Verfassers dazu,
„zu zeigen, wie die Kraft der Natur bei einer ziemlich kräftigen Con-
stitution im Stande ist, den Verwüstungen der Krankheitswirkung in
der Nähe vitaler Organe zu widerstehen, und wie hoffnungsvoll die
Aussichten in Folge radicaler Operationen seien, die nach Maassgabe
wohl festgestellter chirurgischer Grundsätze und unter scrgfältigen anti-
septischen Vorsichtsmassregeln ausgeführt werden.“ Bacon.
32) Goldstein berichtet über einen Fall eines 6!/,jährigen
Knaben, welcher drei Jahre vorher von einem Masernanfall olıne Ohren-
complicationen geheilt wurde. Ein Jahr später bekam er heftige, mehrere
Wochen anhaltende Ohrenschmerzen, auf welche reichlicher Ausfluss
erfolgte und noch vorhanden war, als der Patient sich zuerst unter
Beobachtung stellte. Der Gehörgang schloss sich und es stellte sich
eine Schwellung hinter der Ohrmuschel ein. Der Abscess wurde eröffnet
und 1!/, Unzen grünen, übelriechenden Eiters entleerten sich. Es fand
sich ein Canal, der zu ausgedehnter Knochencaries führte. Facialis-
paralyse erfolgte. Eine Operation wurde ausgeführt, welche in freier
Incision hinter der Ohrmuschel bestand, und beträchtliche Knochencaries-
354 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
aufdeckte. Granulationen etc. wurden entfernt und ein antiseptischer
Verband angelegt. Während der folgenden drei Monate wurde die Wunde
reingehalten und der Verband gewechselt. Ein Sequester von 36mm
Länge und 18mm Breite wurde schliesslich entfernt, welcher die Schnecke
und tieferen Gebilde enthielt. Später stiessen sich zu verschiedenen
Zeiten andere Sequester ab. Das Sputum enthielt Tuberkelbacillen und
die Diagnose auf Miliartuberculose wurde gestellt. Der Patient starb.
Die Untersuchung des Schläfenbeins zeigte ein ausgedehntes Gebiet von
Necrose. Bacon.
33) Ein zehnjähriger Knabe kam am 4. November 1894 mit kummer-
vollem, ängstlichem Gesichtsausdruck, kalten Händen, und vollem, springen-
dem, eher zu schnellem als normalem Puls in das Infirmary. Er klagte
über grosse Schmerzen im linken Warzenfortsatz und hörte die Uhr
auf dieser Seite nur im Contact. Die Ohrmuschel stand weit vom Kopf
ab und es bestand entschiedene Fluktuation über dem Wearzenfortsatz.
Das linke 'Trommelfell war roth getrübt und mazerirt. — Er hatte eine
Temperatur von 103°F. Der Knabe wurde sofort ätherisirt und der
postaurale Abscess eröffnet, worauf sich etwa vier Gramm Eiter ent-
leerten. Der Warzenfortsatz wurde dann eröffnet und der erweichte
Knochen bis zur Spitze hinunter entfernt. — Der Sinus lateralis wurde
zwar normal befunden, aber man beobachtete, wie Eiter aus der mitt-
leren Schädelgrube hervorquoll, so dass ein bedeutendes Knochengebiet
um das Antrum und über demselben entfernt werden musste, um die
Dura mater zu untersuchen. Die letztere fand sich zwar verdickt, aber
es wurde im Gehirn selbst mit der Probenadel kein Eiter entdeckt.
Der Eiter hatte sich offenbar durch eine kleine Perforation in der oberen
Wand des Mittelohres seinen Weg in die mittlere Schädelgrube erzwungen,
obwohl dieselbe nicht entdeckt werden konnte. Die Wunde heilte sehr
schnell und der Knabe wurde vollständig wiederhergestellt.e. Bacon.
34) Während der Aufmeisselung eines Warzenfortsatzes, die Barrow
behufs Operation eines Temporo-Sphenoidalabscess machte, sah man Eiter
aus Nase und Mund lauien. Bei der Section fand sich eine Ansamm-
lung von Eiter unter dem rechten Stirnlappen, der Abfluss hatte durch
eine Perforation in der Lamina cribrosa des Siebbeins seitlich der Crista
galli stattgefunden, von wo aus ein Gang nach dem Temporo-Sphenoidal-
lappen, der die Abscesshöhle enthielt, führte.
35) Carson hatte in seiner chirurgischen Praxis während eines
Zeitraumes von etwas über drei Jahren neun Fälle von Gehirnabscess
beobachtet, worunter acht von Mittelohrerkrankungen ausgingen. Von
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 359
einem dieser Fälle gibt er genaue Notizen. In demselben eröffnete er
bei einem 15jährigen Burschen wegen Otitis media purulenta chronica
von mehrjähriger Dauer die Warzenfortsatzhöhle. Während der voraus-
gegangenen zwei Wochen hatte derselbe über heftige Schmerzen im Ohr,
mit freiem Ausfluss und Druckempfindlichkeit über dem Warzenfortsatz
geklagt. Die Warzenfortsatzhöhle und das Mittelohr wurden kürettirt.
Auf die durch die Operation herbeigeführte Besserung folgten bald Symp-
tome von Gehirnabscess, nämlich langsamer Puls, subnormale Temperatur,
Erbrechen, Nackenschmerzen, Unruhe, verworrene Sprache, Erhöhung
der Sehnenreflexe und heftige Kopfschmerzen. Es wurde eine Schädel-
öffnung 1!/,“ hinter der Mitte des äusseren Gehörgangs und 3],
über der Reed’schen Basallinie angelegt. In dieser. Oeffinung wölbte
sich das Gehirn ohne irgend welche Pulsation vor. Die Schläfenlappen
wurden mit negativem Ergebniss durchsucht. Die Oeffnung wurde dann
nach unten erweitert und das Kleinhirn durchsucht, aus welchem sich
ein Eiterstrom entleerte. Der Patient überlebte die Operation nur 1!/,
Stunden. =- Bacon.
36) 43jähriger Patient. Beginn der Erkrankung mit Schwellung
und diffuser Entzündung des rechten Gehörgangs, die bald zurückgingen.
Nach 5 wöchentlichem Wohlbetinden Kopfschmerzen, Druckempfindlichkeit
und Schwellung hinter dem rechten Ohr; es wird incidirt und Eiter
aus einer den ganzen Fortsatz einnehmenden Höhle entleert. Breite
Freilegung. Nach 3 Wochen neuerdings Kopfschmerzen, Schüttelfröste,
Druckempfindlichkeit der rechten vena jug. int. Abermalige Operation,
Entfernung der ganzen knöchernen Decke des Warzenfortsatzes. Nach
14 Tagen tritt, im linken Facialis beginnend, Parese der ganzen linken
Körperhälfte auf, Patient matt, apathisch. Es wird trepanirt und das
Gehirn mehrfach ohne Erfolg punktirt. Eine zweite Trepanation 3 Tage
später bleibt ebenfalls resultatlos und nach wenigen Tagen tritt Exitus
ein. — Die Section ergibt einen hühnereigrossen mit fester Membran
ausgekleideten Abscess im rechten Schläfenlappen. Dura über dem
Tegmen tympani grauroth verfärbt, Knochen daselbst porös, gelblich ver-
färbt. — Auffallend ist in diesem Fall der gänzliche Mangel einer
Mittelohreiterung. Die Weiterverbreitung in das Gehirn geschah offen-
bar auf lymphatischem Weg durch das Tegmen tympani. Müller.
37) In dem Fall von Thomas — der Patient hatte seit mehreren
Jahren an eitrigem Ausfluss aus dem rechten Ohr gelitten — wurde
das Antrum eröffnet und ausgeräumt, ohne dass eine Besserung im Zu-
stand des Patienten eingetreten wäre; keine (Stauungspapille) Neuritis
356 ` Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
optica, mässiges Erbrechen zu Beginn der Erkrankung, Temperatur
durchweg erhöht; man vermuthete einen Abscess, jedoch der Patient
war zu elend für eine weitere Operation. Bei der Section fand sich
ein Abscess im rechten Kleinhirnlappen ; die Hinterfiäche des Felsenbeins
erwies sich als cariös. |
38) Auf einer Versammlung der Medical Society of Australia stellte
Moore .ein 9jähriges Mädchen vor, das, nachdem es seit mehreren
Jahren Ausfluss aus dem linken Ohr gehabt hatte, plötzlich von Krämpfen
befallen wurde und das Bewusstsein verlor ; dabei rechtsseitige Hemiplegie.
Bei der ersten Operation fand man keinen Eiter, dagegen wurden bei
der zweiten 5 Tage später 2 Unzen Eiter aus dem Temporo-Sphenoidal-
lappen entleert; Sprache und Gebrauchsfähigkeit des Beins stellten sich
wieder ein, jedoch blieb Schwäche des Arms mit Contracturen an den
Fingern zurück.
39) In der Versammlung der Med. Chi. Society zu Edinburgh
. zeigte Leith das Schläfenbein eines 14jährigen Mädchens, das Er-
scheinungen ähnlich denen bei tuberkulöser Meningitis gezeigt hatte. Bei
der Section zeigte sich däs Mittelohr cariös und faulig, ein Abscess an
der Vereinigung des Occipital- und Parietallappens mit einem Durch-
messer von 2 Zoll. |
40) In Deanesly’s Fall, doppelseitige Otorrhoe nach Scharlach bei
bei einem 4jährigen Kind, bildete sich ein Abscess über dem linken
Warzenfortsatz und es traten dabei alle Symptome von Pyaemie auf;
es wurde die linke V. jugul. interna unterbunden und der Sinus unter-
sucht; derselbe wurde jedoch normal befunden, denn beim Einschneiden
blutete es frei. Trotzdem weder Schüttelfröste noch Erbrechen nach
der Operation auftraten, starb Patient (an Erschöpfung).
41) Das zweijährige Mädchen wurde der Gesellschaft der „Alumni
of Bellevue Hospital“ vorgestellt. Sie wurde zuerst am 9. November
1894 gesehen. Das rechte Ohr zeigte seit 19 Monaten einen Aus-
fluss, und seit 4 Monaten stellte sich plötzlich eine Schwellung hinter
dem Ohr ein, welche sich später spontan eröffnete. Ein Einschnitt bis
auf den Knochen gerade hinter dem Ansatz der Ohrmuschel brachte
einen etwa 1:?/,“ grossen Sequester zu Tage. Die ganze Höhle wurde
ausgekratzt und viele ungesunde Granulationen wurden mit der Kürette
entfernt. Die Wunde heilte sehr schnell. Bacon.
42) In Folge von Massage wurde das Gehör gebessert und Tinnitus
gemildert in über 90°, der Fälle von nicht-eitriger Erkrankung. Etwa
in der Hälfte der Fälle hat diese Behandlungsmethode die vertiginösen
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 357
Symptome beseitigt. Der Verfasser glaubt nicht, dass die Gehörknöchelchen
eher entfernt werden müssen, als bis der Patient nicht wenigstens drei
Monate lang behandelt und während dieser Zeit Massage und andere
nothwendige Behandlung versucht worden ist. Nach Misserfolgen ist
die Operation angezeigt. Bacon.
43) In einer Versammlung des Royal Academy of Medecine in
Ireland berichtete Story über einen Fall von Sarkom des Mittelohres,
den ersten, den er im Lauf von 18 Jahren unter 12000 Fällen von
Ohrerkrankung gesehen hatte. Ein Polyp recidivirte immer von neuem,
der Patient starb 6 Monate nach der ersten Entfernung des Polypen
an einer (secundären Neubildung) Metastase am Hals.
Nervöser Apparat.
44. Gruber, Jos. Prof. Ueber Morbus M£nieri. Monatsschr. für Ohrenheilk.
No. 6, 1895.
45. Van Dyck, Hysterical Deafness. — A Case. British Medical. Journal.
4. Mai 1895.
44) Nach Gruber sollten mit Morbus M£nieri nur primäre La-
byrintherkrankungen bezeichnet werden, welche mit Schwindel, subjectiven
Hörempfindungen und Schwerhörigkeit einhergehen. Zu trennen wäre
davon nur die Labyrinthidis. Er weist namentlich auch auf die Mög-
lichkeit hin, dass Veränderungen am Aquaeductus vestibuli und Recessus
Cotugni M£niersche Erscheinung&n hervorbringen können. Killian.
45) Van Dycks Fall von hysterischer Taubheit betraf einen 19-
jährigen Jüngling, der Gehör und Sprache innerhalb 3 Tagen verlor,
und bei dem plötzlich Genesung eintrat. Die Anamnese ergab Mastur-
bation und die Thatsache, dass ein ebensolcher Anfall schon 14 Monate
früher stattgefunden hatte. i
Nase und Nasenrachenraum.
46. Wright, Jonathan. Der Gefässmechanismus der Nasenschleimhaut und
seine Beziehung zu gewissen pathologischen Processen. Amer. Journ.
Medic. Science. Mai 1895.
47. Chappell Walter. Halbflüssige Präparate für gewöhnlichen Gebrauch.
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46) Nach einer kurzen Besprechung der Gefässanatomie der Schwell-
körper, wie sie von Zuckerkandl festgestellt worden ist, ist Wright
doch der Ueberzeugung, dass die primären Arteriolen sich doch nicht
gelegentlich direct in die venösen Sinus entleeren. Seine an mikro-
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 399
skopischen Schnitten gemachten Beobachtungen, besonders des Schafes,
zeigen, dass der venöse Rückfluss gehemmt wird: 1. durch die Er-
weiterung der Arterie, welche die Vene gegen die Wand des Knochen-
kanals drückt, durch welchen sie zusammengehen; 2. durch die voll-
ständige Anastomose zwischen den oberflächlichen Venen untereinander,
und mit denen der Haut der Nasenöffnungen, der Dura mater und der
Augenhöhle, welche das tiefe Netzwerk erweitert, wobei sie als die
Zu- und Ausgangsklappe der cavernösen Gewebe an Stelle contra-
hirender Muskeln dient; 3. durch die Contraction circulärer Muskel-
fasern um die Arteriolen und Venen, welche eine Ueberfüllung der
Vene verhütet, während die Erweiterung der Arterie die Venen com-
primirt; 4. durch Compression der Venen zwischen den parallelen Fasern
der Periostalschicht und den nach aussen davon liegenden elastischen
Fasern und Drüsen. — Verdickung der Wände des venösen Sinus be-
einträchtigt die Contraction der Muskelfasern. Bei der Atrophie würden
das muskuläre Element und demnach die Vascularräume in gewisser
Ausdehnung ausgeschaltet. Die Capillaren der Oberfläche und die
Drüsen sind in so unmittelbarer Nähe, dass man sich Exsudationen von
Serum auf die Oberfläche direct aus den Gefässen leicht erklären kann.
— Drei Abbildungen zeigen deutlich die Anordnung der Gefässe in
den Knochenkanälen, der Muskelfasern und der Venen zwischen den
parallelen Periostalschichten. Toeplitz.
47) Um Heilmittel lange Zeit mit Schleimhäuten in directer Be-
rührung zu halten, muss man fadenziehende Lösungen anwenden.
Chapell gebraucht eine Combination von Zinksalbe und sterilisirtem
Ricinusöl mit Hydrocarbonöl im Verhältniss von 2—8 gr Zink und Ol.
ricin. : 30 gr. Hydrocarbonöl. Das letztere ist die Basis von Zerstäubungs-
flüssigkeiten oder Lösungen, zu welchen man je nach Bedarf des Falles
andere Mittel, wie Borsäure, Kamphor-Menthol, Cocain etc. hinzu-
fügen kann. Toeplitz.
48) Die Verbindung von zwei Kampherarten, Menthol und Kampher,
ergibt eine Flüssigkeit mit der Formel CioH;§0, welche sich als sehr
wirksam bewährt hat bei: Coryza, Heufieber, Rhinitis intumescens,
Rhinitis hypertrophica, einfacher Halsentzündung, acuter Laryngitis,
Tracheitis, Bronchitis und Cauterisationen zur Verhütung von Blutung
und Entzündung. Es wird für den Hausgebrauch in 3°/,igen Lösungen mit
Lanolin gebraucht, bei empfindlichen Personen mit Heufieber in schwächeren
Lösungen und nach Galvano-Kauterisationen durch leichte Verpackung
der Nasenhöhle durch einen mit einer 20 °/ igen Lösung imprägnirten
360 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
Wattepfropf, welcher auch gebraucht wird, um zu Secretion bei atro-
phischer Rhinitis zu reizen. Ä Toeplitz.
49) Nach seinen während den Grippe-Epidemien in den letzten
Jahren gemachten Erfahrungen kommt Delavan zu dem Schlusse,
dass die. Nase keinen chirurgischen Eingriffen während solchen Epi-
demien ausgesetzt werden darf, weil dieselben leicht von einem acuten
Grippeanfall und üblen Resultaten gefolgt sind. Dasselbe gilt auch vom
Heufieber, und Operationen müssen lange genug vor dem erwarteten
Ausbruch dieser Erkrankung ausgeführt werden, um vorher völlig geheilt
zu sein. Toeplitz.
50) Berens hat 78 Fälle von Rhinitis atrophicans mit reinem
Ichthyol für klinischen und mit einer 10°/,igen Salbe für Hausgebrauch
behandelt. 15 Fälle wurden nicht gebessert. Er hält Ichthyol für
heilend, hei Rhinitis atrophica chronica (Ozäna) und bei Laryngitis
tuberculosa. Es reizt zur Secretion, es desodorirt, absorbirt und an-
ästhesirt local. Toeplitz.
51) Man soll öfters am Tage, besonders vor der Nahrungsaufnahme
in den einen Nasengang bei offenem anderen zarte Lufteinblasungen
machen lassen, event. nach durch Cocain herbeigeführter Abschwellung.
Dadurch werden die Secrete aus der offenen Seite herausgeschleudert
und eine Infection des Mittelohrs ist nicht zu fürchten, da das bei
kleinen Kindern sehr tief liegende Tubenostium durch den Gaumen-
schluss meist mit geschlossen wird. Die Schleimhaut selbst wird hinterher
mit 3°/, Borsäure-Glycerinlösung behandelt. Zimmermann.
52) Ein 32jähriger Arzt bekam eine leichte Angina follicularis.
Drei Tage nach dem Anfall trat ein acutes Ekzem auf dem Kinn, den
Wangen, der Stirn, den Handflächen, Oberschenkeln und Armen auf.
Gleichzeitig waren die Innenflächen der Lippen, die Schleimhäute der
Zunge und Wangen mit winzigen, trüben Blasen bedeckt, welche Brennen
verursachten und nach dem Platzen Geschwüre mit nachträglichen
heftigen Schmerzen hinterliessen. Nach einer Woche erschienen auf der
Conjunctiva des Augapfels Gruppen von kleinen Blasen. Die Nasen-
schleimhaut bot jetzt ebenfalls einen Ausbruch von Blasen dar, welche
eine Coryza erzeugten. Es traten dann Schmerzen in beiden Knieen
ein. Dies war der dritte Ekzemanfall des Patienten, wobei die Mund-
'schleimhaut allein beim zweiten Anfall afficirt war. Während manche
Beobachter das Auftreten von Ekzem der Schleimhäute leugnen, das
ganz gewiss sehr selten ist, glaubt Hartzell, dass auch die bron-
chialen, gastrischen oder Darmschleimhäute der Sitz ekzematöser Ent-
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 361,
zündung sein können. — Die Behandlung besteht in der Anwendung
von Cocain von 1°/,igen Resoreinlösungen, von Borsäurelösungen und
1°/,iger Carbolsalbe. Bei ekzematöser Conjunctivitis sind nach von
Sehlen schwache Ichthyolsalben ausserordentlich nützlich.
Toeplitz.
53) Wingrave versteht unter Turbinal Varix eine besondere
Form von Hypertrophie, welche die hintere Hälfte der unteren Muschel
betrifft und sich charakterisirt durch permanente Erweiterung der
venösen Hohlräume. Die Affection wird in seiner Abhandlung er-
schöpfend beschrieben; er empfiehlt die Entfernung mittelst Jones’
verbessertem Ringmessers. i
54) In der Londoner Laryngologischen Gesellschaft stellte Baber
einen Patienten vor mit einem ausgesprochen papillomatösen Tumor,
breitbasig von Nasenboden und Septum ausgehend.
55) Beschreibung zweier Fälle, bei welchen die entfernten Ge-
schwülste sich als cavernöse Angiome erwiesen. Auffallend war bei
beiden eine starke Wucherung des Endothels, wie sie gewöhnlich bei
Leberangiomen vorkommt. Bei den sog. blutenden Septumpolypen handelt
es sich um in pathologisch-anatomischer Hinsicht sehr verschiedene
Bildungen. Killian.
56) Bloxam stellte in der Medical Society of London einen Mann
vor, dessen Nase durch Syphilis zerstört worden war, und dem man
eine neue aus dem steifen und unbrauchbaren Mittelfinger der linken
Hand gemacht hatte. Der entsprechend zurechtgemachte Finger wurde
dem Gesicht angepasst, wobei der Arm durch Heftpflaster gestützt wurde;
als der Finger angewachsen war, wurde er von der Hand abgeschnitten.
Die Flügel wurden später von den Wangen aus gebildet.
57) Knight berichtet über den Fall eines 21jährigen Mannes,
dessen linke Nasenhälfte durch einen platten beweglichen Tumor ver-
legt war, welcher bis ganz nach hinten gesehen werden konnte, sich an
das hintere Ende des mittleren Schwellkörpers ansetzte und die linke
Choane fast ganz ausfüllte..e Die mikroskopische Untersuchung ergab
ein reines Fibrom, welches sich durch Dichtigkeit und Mangel an Vascu-
larität auszeichnete. Toeplitz.
58) Die Kieferhöhle enthielt in 37 Fällen eine klare, gelbe Flüssigkeit,
deren Anwesenheit vermittelst der Probepunktion vom unteren Nasengange
aus nachgewiesen wurde. Die subjectiven und objectiven Erscheinungen
Zeitschrift für Ohrenheilkunde. Bd. XXVII. 24
362 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
waren geringe; zur Heilung genügte meist das einmalige Aussaugen der
Flüssigkeit vermittelst der Spritze. Killian.
59) Nach einigen Bemerkungen über die Anatomie und Physiologie
der Nebenhöhlen, theilt Myles die Eiterungen so ein, dass er diejenigen
der Oberkieferhöhle von denen der andern drei Nebenhöhlen trennt.
Die entzündlichen Erkrankungen des Antrum Highmori werden wiederum
kausal eingetheilt, in solche dentalen und nasalen Ursprungs, wobei ihre
relative Häufigkeit durch neunzehn Fälle dargelegt wird, unter welchen
zwei direct, zwei indirect und vier wahrscheinlich durch die Zähne verur-
sacht, während zehn Polypen zeigten, einschliesslich zweier dentaler Fälle;
ein Fall wurde durch einen acuten Schnupfen hervorgerufen; in acht
Fällen waren die Siebbeinhöhlen und in vier die Stirnhöhlen miterkrankt.
Bei Siebbein-, Stirnbein- und Keilbeinhöhlenerkrankungen waren Polypen
die Ursache bei sieben von acht Fällen. — Für die Diagnose benutzt
Myles die Durchleuchtung ‚mit grossem Erfolge, wofür er eine Reihe
von parallelen, mit einem schwarzen Tuch bedeckten Lampen von zu-
sanımen 66 Kerzen und eine Lampe von 4 Kerzen im Munde benutzt;
durch Veränderung der Kerzenstärke in der Reihe, kann man irgend
eine Stärke im Munde benutzen. Einseitige Schatten zeigten, nur mit
einer einzigen Ausnahme, ein erkranktes Antrum an. Er wäscht auch
die Höhle durch die natürlichen Oeffnungen oder durch. einen Troikart
aus oder gebraucht die Veränderung der Kopflage für diagnostische
Zwecke. — Myles befürwortet den frühzeitigen Gebrauch von chirur-
gischen Maassregeln für die Entfernung von pathologischen Zuständen.
Er zieht die Eröffnung des Antrums von der Alveole oder der Fossa
canina aus mittelst elektrischen Drillbohrers und nachfolgender Aus-
kratzung mit stumpfen und scharfen Küretten andern Maassregeln vor.
Auswaschungen durch die natürliche Oeffnung hat die Erkrankung eben-
falls gehessert, obwohl nicht radical geheilt, aber die Eröffnung durch
die Mikulicz’sche Operation vom unteren Nasengang aus ergab un-
befriedigende Resultate. Die letztere Methode hatte besseren "Erfolg,
wenn das vordere Ende der unteren Nasenmuschel abgesägt, ein Theil
ihres Ansatzes an dem Oberkiefer mit der Scheere abgeschnitten und
schliesslich der elektrische Drillbohrer in das Antrum eingeführt wurde;
Kürettiren von dieser Oeffnung aus ist schwierig. Borsäure-, Karbol-
säure- und Wasserstoffsuperoxydlösungen passen am besten für die Nach-
behandlung. In Fällen von Siebbein- oder Keilbeinhöhlenerkrankung
wird der Boden mit einem kleinen Drillbohrer nach Entfernung der
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 363
mittleren Muschel perforirt, worauf Küretten mit Nutzen angewandt
werden. Wenn bei Stirnhöhlenerkrankung eine Operation von aussen
verweigert wird, dann legt man durch die vorderen Siebbeinzellen dem
Infundibulum entlang, mit der Scheere, dem Drillbohrer oder der Kürette
eine Oeffnung an, wobei man einen Theil des Nasenfortsatzes des Ober-
kiefers entfernt; die heftigen Kopfschmerzen werden hierdurch ausser-
ordentlich gemildert.
Der Artikel schliesst mit einem ausführlichen Bericht über vier-
undzwanzig Fälle. Toeplitz.
60) In dem Fall, den Symonds in der Laringological Society
of London vorstellte, hatte der Patient an stinkendem Ausfluss aus der
linken Nase seit 7, aus der rechten seit 3 Jahren gelitten. Es wurde
beiderseits die Kieferhöhle eröffnet und dicker stinkender Eiter entleert;
später trat mitten auf der Stirne eine Schwellung auf, gerade über der
Nase, als man sie incidirte, floss stinkender Eiter aus'ıund man fand
etwas links von der Medianlinie eine Oefinung im Knochen, welche in
die Stirnhöhle führte, mit einer gekrümmten Sonde gelangte man in
die Nase; es wurde ein Stück eines elastischen Gummibugies eingelegt
und dieses später durch eine kleine silberne Canüle ersetzt.
61) 24jähriger Mann leidet seit 2—3 Jahren an stinkender Nasen-
eiterung mit Borkenbildung. Durch Eröffnung der Kieferhöhlen und
des Siebbeinlabyrinths Besserung. Es trat jedoch wieder fötide Secretion
ein, deren Ursprung aus den Stirnhöhlen nachgewiesen wurde. Diese
wurden eröffnet und ihre Hinterwand cariös zerstört gefunden, Dura
lag, etwas verdickt und granulirt, rechts ganz frei. Tamponade. Nach
10 Tagen Kopfschmerz im Hinterkopf. Die Dura wurde gespalten, die
Hirnoberfläche fand sich leicht rothgrau verfärbt. Bald nach der Ope-
ration bekam Patient Anfälle von Bewustlosigkeit und Convulsionen.
Sofort wurde die Schädeldecke um die cariöse Oeffnung herum aufge-
meisselt und dabei ein ca. erbsengrosser oberflächlicher encephalischer
Herd gefunden. Punction blieb resultatlos. 8 Tage nach der Operation
zeigte sich Fluktuation an dieser Stelle; durch Incision wurde ein Ess-
löffel gelben, nicht fötiden Eiters entleert. Die Schmerzen verschwanden
sofort und nach 7 Wochen wurde der Patient entlassen. Müller.
62) Ziem demonstrirt an zwei Zuckerkandl’schen Figuren,
dass bei der Durchleuchtung vom Munde aus Licht aus der Nasenhöhle
im Bereiche des mittleren Nasenganges direkt in die Orbita gelangen
kann, ohne das Gebiet, der Kieferhöhle passirt zu haben. Bezüglich
24*
364 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
der subjectiven Lichtempfindung bei der Durchleuchtung erklärt Ziem,
dass das Fehlen derselben in vielen Fällen durch eine grössere Dicke
der knöchernen Sinuswände, vielleicht auch durch starken Pigmentgehalt
der Chorioidea bedingt sei, und dass selbst bei beträchtlicher Eiter-
ansammlung im Antrum maxillare subjective Lichtempfindung vorhanden
sein kann. Killian.
63) Bei dem neuen Instrument ist das Messer sammt den Zugfedern
aus einem Stück Federstahl hergestellt und mit der Zugschiene durch
einfaches Einhängen verbunden; der Preis ist von 45 auf 25 Mark
herabgesetzt. — Die Blutung ist nach Hessler meist gering, Nach-
blutungen kommen selten vor; Narkose ist gewöhnlich unnöthig, ebenso
locale Nachbehandlung (Irrigation etc.) Ca. 5°/, der Fälle waren auf
Tuberkulose verdächtig. Bei ihnen gingen der definitiven Heilung mehr-
fach Symptome der Allgemeininfection (Schwellung des Halzlymphdrüsen,
Fieber etc.) vorauf. Müller.
64) Eustache Smith ist der erste allgemeine Arzt von Ruf,
der über die Wichtigkeit der Diagnose und der Beseitigung von adenoiden
Wucherungen bei Kindern geschrieben hat; in seiner sehr interessanten
Abhandlung beschreibt er sowohl die allgemeinen als die (localen) speciellen
Erscheinungen, die sie hervorrufen, wobei er insbesondere hinweist auf
den Symptomcomplex, den man „Infantile Respiratory Spasm“ (Spasmus
glottidis infantum?) genannt hat, ferner auf das Krächzen (croaking)
der Neugeborenen, sowie auf die Retraction der Brustwände unterhalb
der Brustwarzen und die Depression des Schwertfortsatzes bei kleinen
Kindern.
Er befürwortet die sofortige Entfernung, sobald sich irgend welche
Störungen bemerkbar machen, und sorgfältige Ueberwachung, wenn
Wucherungen zwar vorhanden sind, aber keine Störungen verursachen.
65) Behufs Entfernung von adenoiden Wucherungen empfiehlt
Hewetson, den Patienten flach zu legen, den Kopf dem zu seiner
Rechten stehenden Operateur zugewendet; als Instrument gebraucht er
eine Modification :der Hartmann’schen Kürette; dieselbe stellt ein
halbkreisförmiges zweischneidiges Messer dar, mit dem man unter ent-
sprechender Aenderung des Drucks in der Richtung nach oben, nach
hinten und sogar nach unten schaben kann. Gegen den weichen Gaumen
zu ist es stumpf, am Griff ist es unter einem stumpfen Winkel befestigt.
66) Der Unterschied der Lieven’schen Behandlungsweise der
schweren und seltenen Fälle totaler Verwachsung der Gaumenbögen und
Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 365
des Gaumensegels mit der Rachenwand von den sonst üblichen Methoden
beruht hauptsächlich in der Art der Nachbehandlung. Lieven tampo-
nirt die erste Zeit nach der Operation, die er in Narcose bei hängen-
dem Kopf macht, mit steriler, mit Europhen bestäubten Gazeballen,
welche innerhalb 10 Tagen 2—3 mal gewechselt werden. Alsdann be-
nutzt er eine von Dionisio angegebene Gummikugel, die in einen
Schlauch aus demselben Material ausläuft und mittelst eines durch die
Nase in den Rachen geführten Gummikatheters so in den Nasenrachen-
raum gebracht wird, dass sie von dem vor der Nase liegenden Schlauch-
ende aus mittelst eines Gebläses mit Luft gefüllt werden kann. Dieser
Apparat wird während der ersten 2—3 Wochen täglich 4—5, dann nur
nach 2—3 Stunden und nach 2—3 Monaten je nach der Schrumpfungs-
tendenz der Operationsnarbe und noch einige Male wöchentlich eingelegt.
Die Vorzüge des Ballons gegenüber starren Prothesen oder compacten
Tampons liegen in seiner energischeren dehnenden Wirkung und seiner
schmerzloseren Application, sowie der Erleichterung der ambulanten
Nachbehandlung. — Aussicht auf günstigen Erfolg bieten nur relativ
frische Fälle. Müller.
67) Einen Tag nach einer doppelten Tonsillotomie bei einem 4jährigen
Knaben mit adenoiden Wucherungen, hypertrophischen Mandeln und
Gingivitis durch cariöse Zähne, fanden sich die Stümpfe beider Mandeln
mit einer dicken Pseudomembran bedeckt, welche sich auch über die
vorderen Gaumenbögen erstreckte und mit Schwellung der Submaxillar-
drüsen, hohem Fieber, Erbrechen etc. verbunden war. Die von der
Membran angefertigten Culturen enthielten Diphtheriebacillen und Strepto-
coccen (Gemischte Infection). Am folgenden Tage wurde durch croupösen
Husten mit laryngealer Stenose eine Intubation nöthig. Der Patient
wurde geheilt. — Caill&e wiederholt die von ihm bereits im Jahre
1888 gegen Diphtherie empfohlenen prophylaktischen Maassregeln aus
dem Grunde, dass die im Nasenrachenraum und in cariösen Zähnen
latenten Bacterien ohne Gefahr sind, bis sie wieder aufgerüttelt werden,
wie es kürzlich durch die Untersuchungen von Chautemesse, Kurth,
Dörnberger u. A., besonders aber durch Biggs und Park bewiesen
worden ist, welche Diphteriebacillen selbst noch fünf Wochen nach der
Heilung im Munde mancher Patienten fanden. Caille rieth daher,
bei Leuten, die einer Infection mit Keuchhusten, Masern, Scharlach
ausgesetzt sind, ebenso ‚vor der Entfernung von adenoiden Wucherungen
und Mandeln, zu Auswaschungen mit Salz oder Borsäurelösungen, als
einer sicheren prophylaktischen Maassregel. Cariöse Zähne müssen vor
366 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde.
Operationen von adenoiden Wucherungen und hypertrophischen Mandeln
entfernt werden. Toeplitz.
68) Ein 6jähriges Kind konnte wegen Schwellung der Zunge, die
auf der rechten Seite mehr ausgesprochen war, weder schlucken, noch
den Mund schliessen. Die Zunge hing theilweise heraus und war mit
einer dicken Membran belegt, welche auch den Zungenrücken, die rechte
Lippe und die Innenfläche der Wange bedeckte. Die Drüsen waren
geschwollen, die Salivation war profus, Patient sass immer und hatte
eine Temperatur von 101° F. Die Membran wurde leicht abgestreift,
enthielt Klebs-Loeffler’sche Bacillen und die Krankheit wurde durch
wiederholte Incisionen geheilt, welche nur Blut und Serum entfernten.
Toeplitz.
Besprechungen.
Labyrinthtaubheit und Sprachtaubheit. Klinische
Beiträge zur Kenntniss der sogenannten subcorticalen
sensorischen Aplasie, sowie des Sprachverständ-
nisses der mit Hörresten begabten Taubstummen
von Dr. C. S. Freund, Nervenarzt in Breslau.
Wiesbaden, Verlag von Bergmann 1895.
Besprochen von
Fr. Bezold in München.
Dem Verfasser erschien in zwei Fällen von hochgradiger Schwer-
hörigkeit das Missverhältniss zwischen dem noch vorhandenen Hörver-
mögen im Allgemeinen und dem Mangel an Sprachverständniss auffällig
und einer Erklärung bedürftig. Der erste Fall betraf eine im Verlauf
von Meningitis cerebrospin. epidem. aufgetretene partielle Taubheit, im
zweiten war eine analoge Hörstörung direct nach einem schweren Fall
auf den Hinterkopf gleichzeitig mit starken Coordinationsstörungen ein-
getreten. Der letztere Fall war bereits einige Jahre früher auf der psychia-
trischen Klinik von Wernicke beobachtet und als subcorticale sensorische
Aphasie gedeutet worden.
Diese Beobachtungen veranlassten den Verf. zu weiteren Unter-
suchungen von erwachsenen Taubstummen, weil die bei letzteren häufig
noch vorhandenen Reste von Hörvermögen ihn ähnliche Verhältnisse
erwarten liessen, und auch hier am häufigsten wie in den beiden. obigen
Fällen der Sitz der Grundkrankheit in das Labyrinth zu verlegen ist.
Verfasser unterwarf sechs erwachsene Taubstumme einer genauen
klinischen Untersuchung und insbesondere auch einer eingehenden Prüfung
ihres Sprachverständnisses, welche er noch durch einen Taubstummen-
368 Besprechungen.
lehrer vervollständigen liess. Die specielle Untersuchung des Ohres und
dessen functionelle Prüfung ist von Brieger vorgenommen worden.
Bei dreien der geprüften Fälle ist bereits die vom Ref. eingeführte
continuirliche Tonreihe zur Verwendung gekommen, liegt also eine voll-
kommene Analyse des Hörvermögens für Töne vor.
Auf Grund dieser Beobachtungen kommt Freund zu dem Schlusse,
dass das Symptomenbild der sogenannten subcorticalen sensorischen Aphasie
auch durch doppelseitige Erkrankung des Labyrinths hervorgerufen wer-
den kann, ohne dass eine cerebrale Erkrankung vorzuliegen braucht.
Darin, dass die von ihm untersuchten Kranken Geräusche und Töne
noch hörten, dagegen nur einzelne ihnen bekannte Worte nachzusprechen
im Stande waren, findet er die Veranlassung, diesen Fällen eine Sonder-
stellung gegenüber der „gemeinen Schwerhörigkeit“ zu geben.
Wenn wir unsere Erfahrungen zu Rathe ziehen, wie sie der Ohren-
arzt täglich an hochgradig Schwerhörigen zu machen Gelegenheit hat,
und in den einzelnen Fällen Freund’s die Reste von Sprachverständ-
niss gegenüber den vorhanden gebliebenen sonstigen Hörresten abwägen, .
so finden wir keine so grosse Abweichung von den bei derartigen Hör-
defecten im Allgemeinen vorkommenden Sprachstörungen, dass dadurch
eine genügende Berechtigung gegeben wäre, denselben eine Ausnahme-
stellung als labyrinthär bedingte Worttaubheit anzuweisen. Ein Theil
derselben, welcher mit der ganzen Reihe von Tönen geprüft ist, lässt
eine sehr einfache Erklärung für die Beeinträchtigung des Sprachver-
ständnisses zu, indem bei ihnen gerade diejenige Strecke der Tonscala für
das Gehör theilweise verloren gegangen war, welche die Sprache und ins-
besondere die Vocallaute in sich einschliesst. Diese Fälle werden also
zutreffender als partielle Tontaubheit oder als Labyrintherkrankungen
mit Tonlücken an bestimmten Stellen der Scala bezeichnet. Der Ausfall
der letzteren bedingt eo ipso zugleich, je nach ihrer Lage und Aus-
dehnung, relative oder absoulte Sprachtaubheit.
Dem Ref. waren diese Untersuchungen Freund’s von um so
grösserem Interesse, als er bei seinen vor zwei Jahren angestellten Taub-
stummen-Prüfungen !) das Hörvermögen für Töne und Sprache ebenfalls
1) cf. Vorläufige Mittheilungen über die Untersuchung der Schüler des
Münchener Kgl. Taubstummeninstituts. Vortrag, geh. in der otol. Sect. der
65. Naturf.- u. Aerzte-Vers. zu Nürnberg. Münchener med. Wochenschr. 1893,
Nr. 48.
Besprechungen. 36%
einer Vergleichung unterzogen hat und zu dem Resultate gekommen ist,
dass es eine bestimmt abgegrenzte, in der 1 und 2 gestrichenen Octave
liegende Strecke der Tonscala ist, deren vollständiger Ausfall regel-
mässig vollkommene Sprachtaubheit zur Folge hat. Ref. muss diesbe-
züglich auf sein unter der Presse befindliches und demnächst bei
Bergmann erscheinendes Buch „Hörvermögen bei Taubstummen“ ver-
weisen.
Diese Form von Labyrinthtaubheit für Sprache als labyrinthäre.
Worttaubheit oder sensorische Aphasie zu bezeichnen, damit kann sich
der Ref. nicht einverstanden erklären. Gerade seine Taubstummen-
Untersuchungen haben den Ref. darüber belehrt, dass es eine und zwar
ziemlich bedeutende Anzahl von Taubstummen giebt, denen das Sprach-
verständniss theilweise oder vollkommen fehlt, trotzdem ein oftmals nur
wenig vermindertes Hörvermögen für die ganze Tonscala, auch für
den zum Sprachverständniss als unentbehrlich umgrenzten Theil derselben
vorhanden ist. Diese Taubstummen bieten also vollkommen das Bild
der cerebral bedingten sensorischen Aphasie, und wenn keine Verwirrung
in der Nomenclatur eintreten soll, so müssen wir auch ausschliesslich
für derartige Fälle von partieller oder totaler Wort- und Sprach-
taubheit die Bezeichnung „sensorische Aphasie* oder „Worttaubheit“
Teserviren.
Die Ausführungen Freund’s über die günstigen Erfolge, welche
sich für die partiell Tauben unter den Taubstummen auf Grund der
von ihm angestellten Hörübungen erwarten lassen, wenn die Zöglinge
ausser dem reinen Articulationsunterricht noch einem speciellen Sprach-
unterricht durch directes Hineinsprechen in das Ohr unterworfen werden,
ebenso die erreichbaren Grenzen, welche er, gegenüber Urbantschitsch,
den zł erwartenden Resultaten von einem derartigen Unterricht steckt,
stimmen vollkommen mit den Anschauungen überein, welche auch Ref.
in seiner oben angeführten, unter der Presse befindlichen Arbeit ent-
wickelt hat.
370 Besprechungen.
Die Nasenhöhle und ihre Nebenräume in Gyps-
modellen natürlicher Grösse nach Schnitten eines
Spiritusschädels hergestellt, zur Einführung in
die rhinologische Praxis sowie zur Demonstra-
tion und Einübung specialistischer Technicismen
für Studenten, praktische Aerzte, Specialisten und
Lehrer. Von Dr. Odo Betz in Heilbronn a. N.
Determann’s Verlag, Heilbronn. Preis 15,50 M.,
auch einzeln zu beziehen.
Besprochen von
A. Scheibe in München.
Die 4 Modelle sind recht übersichtlich; die Beschreibung, welche
mit Hülfe von Erläuterungsbildern gegeben wird, ist sehr genau. Die
Uebersichtlichkeit der Modelle würde noch gewonnen haben, wenn die
Schnittflächen, welche durch Abtragung einzelner Theile entstanden sind,
besonders markirt wären. Der benutzte Schädel stammt von einem
Greise und zeigt einige nicht störende Abnormitäten. Dass er einige
anatomische Varietäten zwischen der rechten und linken Seite aufweist,
kann nur als Vortheil bezeichnet werden. Die Modelle werden sich bei
Aerzten und Lehrern in Folge ihrer Handlichkeit gewiss viele Freunde
erwerben, wenn sie auch nicht dazu benutzt werden sollen, „einen Patienten
über den Ort und die Umgebung seiner Erkrankung aufzuklären.“
Besprechungen. 371
Sammlung zwangloser Abhandlungen aus dem
Gebiete der Nasen-, Ohren-, Mund- und Hals-
krankheiten. Herausgegeben von Dr. Maximilian
Bresgen.
Besprochen von
E. Bloch in Freiburg i. B.
(Der Redaction zugegangen im August.)
Heft I: H. Suchannek, Die Beziehungen zwischen
Angina und acutem Gelenkrheumatismus. Halle
1895. Preis 1 Mk.
Nach einer ausführlichen Durchmusterung der höchst reichhaltigen
Literatur über sein Thema und andere verwandte Gegenstände kommt
Verfasser zu dem Ergebnisse, dass man »den acuten, multiplen Gelenk-
rheumatismus zwar als infectiöses, aber ätiologisch nicht conformes
„und auch klinisch nicht in jedem Falle mit absoluter Sicherheit leicht
zu erkennendes Leiden auffassen« soll. Die Infection setzt in vielen
Fällen am lymphatischen Rachenring, speziell den Gaumentonsillen ein.
Der praktische Arzt soll also seiner Clientel eine Hygiene des Mund-
rachens empfehlen, fleissige Gurgelungen mit unschädlichen Antisepticis,
fehlerhafte Mundathmung beseitigen, die Mandeln schlitzen oder köpfen,
bei Entzündungen sie mit 1°/,igem Carbolwasser bestäuben und iuner-
lich Chinin reichen, das »immer kupirend« wirkt, wenn innerhalb der
ersten 24 Stunden gegeben.
Heft Il: Eman. Fink, Die Bedeutung des Schnupfens
der Kinder. Halle 1895. Preis 1 Mk. 50 Pfg.
Populäre Besprechung verschiedener Punkte der Physiologie und
der Pathologie der oberen Luftwege, die durchaus keinen Anspruch auf
Vollständigkeit machen kann und bezüglich der Beherrschung der
Literatur hinter dem soeben referirten Ilefte weit zurücksteht. Nur zu
einzelnen Punkten seien einige Bemerkungen gemacht.
372 Besprechungen.
Dass es unter »den vielen an Ohrenkrankheiten leidenden kleinen
Patienten nur sehr wenige giebt, die nicht auch mit einem chronischen
Schnupfen behaftet wären«, das kann der ÖOhrenarzt doch nicht be-
stätigen, wenn auch die Kenntniss des Zusammenhanges zwischen Ohren-
und Nasen-, aber noch mehr Rachenerkrankungen nachgerade Gemein-
gut des Publikums ist. — Die Schilderung des Kindes mit dem »halb-
offenen Munde«, den »cyanotischen und öÖdematösen Lippen«, den
»starren, harten Nasenflügeln«, den »Augen mit starrem, blödem Aus-
druck«, der »mehr oder weniger deutlich ausgeprägten Conjunctivitis«
und einer »mehr oder weniger starken Ausprägung einer Otitis media«,
dem unangenehmen Fötor ex ore — alles Erscheinungen eines lange
bestehenden Schnupfens, der »gar nicht oder nicht in angemessener
Weise behandelt worden ist« — diese Schilderung muthet doch etwas
phantastisch an! — Den dunklen Punkt der ‚Entstehung der Rhinit.
atrophic. hat der Verfasser durch die Erklärung beseitigt, dass die
hypertrophische Rhinitis nach längerer Dauer »bei vorhandener con-
stitutioneller Grundlage« in die atrophische übergeht. — Dass die Zähne
bei schmalem Gaumen eine »dachziegelartige Anordnung« haben, liest
man zuweilen, ist aber unmöglich, da sie in jedem Kiefer nur eine
einzige, wenn auch unregelmässige Reihe bilden. — S. 17 sagt der
Verfasser, dass hochgewölbte Gaumen vorkommen, ohne dass eine
Stenose der Nase bestanden hätte. Solche Formen hat man sich, meinen
wir, als angeboren zu denken. Der Verfasser spricht dagegen die Ueber-
zeugung aus, dass sie durch eine weiche Nahrung entstehen, die nicht
viel Kauarbeit erfordert; darum »bleibt die Entwicklung der knöchernen
Anhaftungsstellen der Kaumuskeln, also der Kiefer zurück«. Natürlich
der Oberkiefer, um den allein es sich handelt. Aber welche Kau-
muskeln inseriren eigentlich am Oberkiefer? Der Temporalis nicht,
der Masseter nicht, der Pteryg. intern. nicht, und nur ein Bruchtheil
von Pterygoid. extern. — Bei adenoiden Vegetationen, sagt der Ver-
fasser, fliesst das Secret des Rachens »namentlich wenn das Kind sich
in liegender Position befindet (was täglich 10 bis 12 Stunden lang der
Fall ist) zum Theil in die Nasenhöhlen«. Sehr richtig; er vergisst
indess hinzuzufügen: aber nur wenn das Kind auf dem Bauche liegt,
da auch der Rachenschleim nicht aufwärts fliessen kann. S. 19 lehrt
der Verfasser, dass das Kind in 24 Stunden 7000 Athemzüge macht.
Durch 24 X 60 dividirt, ergiebt dies für die Minute 4 bis 5 Ein- und
Ausathmungen.
Besprechungen. 373
Die Erklärung des Pavor nocturnus durch »schreckhafte Träume«
kann den Verfasser zunächst wissenschaftlich nicht befriedigen. Erst
einige Zeilen weiter genügt sie ihm, die Folge der Kohlensäureüber-
ladung sind nun allerdings »Träume schreckhafter Natur, welche schliess-
lich zum Aufwachen führen«e. — S. 22 erklärt uns der Verfasser, dass
beim Sprechen »ein guter Theil der verbrauchten Luft naturgemäss
durch die Nase entweicht«. Das ist neu. Die älteren Autoren liessen
nur bei den drei Nasallauten die Luft durch die Nase entweichen, Ver-
fasser behauptet dagegen, dass »die Aussprache vieler Buchstaben«
eine freie Nasenpassage erfordert. — Nicht recht verständlich ist, was
Verfasser S. 24 von den Funktionen der Tubenmuskeln sagt: Bei
»Hypertrophie der Gaumen- und Tubendrüsen bei Auflockerung der
Rachen- und Tubenschleimhaut werden die von den Tubenmuskeln zu be-
wältigenden Lasten vermehrt, sie und auch die Gaumenmuskeln.
werden relativ 'insufficient«. — Die Beziehungen zwischen Nase und Ge-
hirn bereiten dem Verfasser keine Schwierigkeiten. Mit Hilfe der von
Axel Key und Retzius — diesen beiden Schutzpatronen der Rhino-
logie — festgestellten Wechselverhältnisse der Lymphbahnen zwischen
beiden Theilen »begreift man leicht, dass eine Stauung in der Nase
sich oft auf das Gehirn fortpflanzt«. — Auch im Literaturverzeichnisse
wäre eine grössere Genauigkeit zu wünschen. Th. Aschenbrandt’s
verdienstvolle Abhandlung über die Nasenathmung ist keine »Habilita-
tionsschrift«. Eine Arbeit von G. W. Major (No. 24 des Verzeich-
nisses) »Ueber die Abhängigkeit der Enuresis nocturn. von Nasenobstruc-
tion« existirt überhaupt nicht, ebensowenig der wiederholt genannte
Pole Lubinsky. Ein ähnlich klingender Autornamen ist allerdings
seit Jahren der deutschen Rhinologie wohl bekannt. —
Populärwissenschaftliche Abhandlungen zu schreiben, ist oft schwierig.
374 Personalien.
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Personalien.
In Christiania ist im Januar 1895 eine Professur für Otologie,
Rhinologie und Laryngologie errichtet und dieselbe dem Professor
extraord. Uchermann übertragen worden. Derselbe hat Sitz und
Stimme in der medicinischen Facultät ohne Examinationsrecht.
| Nachdem die Herren Prof. Körner-Rostock, Prof. Walb-Bonn
und Prof. Siebenmann-Basel es abgelehnt haben einem Rufe nach
Breslau zur Uebernahme der ausserordentlichen Professur für Otologie und
Laryngologie Folge zu leisten, wurde die Stellung Herrn Prof. Barth-
Marburg übertragen. — An Stelle des letzteren wurde Herr Stabsarzt
Dr. Ostmann, Privatdocent in Königsberg nach Marburg berufen.
Es wird uns mitgetheilt, dass derselbe die Stellung übernahm, ohne
dass ihm der seinem Vorgänger von der Regierung gewährte Gehalt
bewilligt wurde.
Unser Mitarbeiter Dr. Stanislaus von Stein in Moskau wurde
von der Moskauer Medic. Fakultät zum geschäftsführenden Mitgliede
des Organisations-Comit6s der Abtheilungen für Otiatrie, Laryngologie
und Rhinologie des im nächsten Jahre in Moskau stattfindenden inter-
nationalen Congresses gewählt.
Dem Privatdocenten der Ohrenheilkunde an der Universität Königs-
berg, Dr. Georg Stetter, ist das Prädikat „Professor“ verliehen worden.
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