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Full text of "Zeitschrift für Ohrenheilkunde 27.1895"

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ZEITSCHRIFT 


FÜR 


OHRENHEILKUNDE 


UNTER MITWIRKUNG VON 


Pror. Dr. A. BARTH IN BRESLAU, 

PROF. DR. E. BERTHOLD IN KÖNIGSBERG, 

Pror. Dr. F. BEZOLD IN MÜNCHEN, 

DR. E. BLOCH IN FREIBURG I. B., 

DR. G. BRUNNER IN ZÜRICH, 

DR. Swan BURNETT IN WASHINGTON, 

PRosEcCTOR Dr. E. FRAENKEL IN 
HAMBURG, 

DR. E. GRÜNING IN NEW-YORK, 

Pror. DR. A. GUYE IN AMSTERDAM, 

DR. ARTHUR HARTMANN IN BERLIN, ° 

MED.-RATH Dr. A. HEDINGEX IN 
STUTTGART, 

HoFRATH DR. TH. HEIMAN IN WARSCHAU, 

ProF. Dr. G. KILLIAN IN FREIBURG I. B., 

Dg. CHARLES KIPP IN NEWARK, 


Pror. DR. O. KOERNER IN ROSTOCK, 
Dr. B. LÖWENBERG IN PARIS, 
DR. HOLGER MYGIND IN KOPENHAGEN, 
PROF. Dr. U. PRITCHARD IN LONDON, 
ProrF. Dr. ST. J. RoosA IN NEW-YORK, 
ProF. DR. E. DE ROSSI IN ROM, 
DR. A. SCHEIBE IN MÜNCHEN, 
DR. E. SCHMIEGELOW IN KOPENHAGEN, 
SANITÄTSRATH Dk. D. SCHWABACH IN 
BERLIN, 
Pror. Dr. F. SIEBENMANN IN BASEL, 
ProF. DR. H. STEINBRÜGGE IN GIESSEN, 
Dr. C. TRUCKENBROD IN REGENSBURG, 
PRoF. DR. V.UCHERMANN IN CHRISTIANIA, 
DR. O. WOLF IN FRANKFURT A. M. 


IN DEUTSCHER UND ENGLISCHER SPRACHE 


HERATSGEGEBEN VON 


Pror. DR. H. KNAPP vxo PROF. Dere. S. MOOS 


IN NEW-YORK 


IN HEIDELBERG, 


SIEBENUNDZWANZIGSTER BAND. 


MIT ZWEI LITHOGRAPHISCHEN FARBENTAFELN, EINEM PORTRÄT VON S. MOOS IN 
HELIOGRAVÜR UND ELF ABBILDUNGEN IM TEXTE. 





WIESBADEN. 
VERLAG VON J. F. BERGMANN. 


1895. 







JUN 15 1909 


nO 00mm 


LIBRARY 


Alle Rechte vorbehalten. 


CATALOGURA 
JUN 15 1909 
J.F, B. 






Druck von Carl Ritter in Wiesbaden, 


— 


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INHALT. 


—— 


Nekrolog: S. Moos, HEIDELBERG t. Von H. Knapp in New- York. 


I. 
II. 
III. 


IV. 
- Richmond, Va. 


vV. 


VI. 
VII. 


VIII. 


IX. 


XI. 


XII. 


XIII. 
XIV. 


XV. 
XVI. 


XVII. 


XVIII. 


Porträt in Heliogravür 

Geschichte und Autopsie zweier tödtlich verlaufenen oltischen 
Hirnkrankheiten. Von Hermann Knapp, New-York. Mit 
2 lithographischen Farbentafeln I/II und I Abb. im Texte. 


Eine neue Form der Influenza - Otitis. Von 0. Körner m 
Rostock . 


Ein Fall von Basis- Urartu Von J shi Duam Richmond: Va. 


(Uebersetzt von C. Truckenbrod). 


Ein Fall von Otitis haemorrhagica externa. Von J ohh Dun i; 
(Uebersetzt vor C. Truckenbrod) 


Kann man aus der Form des Schädels wichtige Schlüsse auf die 
Beschaffenheit des Schläfenbeines ziehen? Beantwortet auf Grund 
von 500 Schädel-Messungen. Von B. Alexander Randall, 

ls DB von C. Truc k enbrod.) Mit3 Abb. 
im Texte. . . 


Doppeltseitiges Hämatom de Lobulus. “Fon. B. A ie exan d er 
Randall, Philadelphia. (Uebersetzt von C. Truckenbrod) 


Ein Fall von u otitischen Hirnabscess nebst einer 
Statistik aus dem paa :-anat. Institut zu Berlin. Von L. Treitel 
in Berlin . 


Bildunsssnomähen im häufigen Labyrinth bei Paxbstimmheit, 
Von A. Scheibe in München. (Aus dem u Institut in 
München) ; 


He histologischer Beitrag zur ır Taubstummheit durch Otitis interna, 


n A. Scheibe in München. (Aus dem histolog. Institut in 
München) 


. Drei Fälle von ifene Otitis it epiduralen Risen, (Vor- 


en in der deutschen medicinischen Gesellschaft zu New-York.) 
on W. Vulpius, Assistenzarzt anı N ew-Yorker ee: 
and Aural- Institute i 


Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. Von Stani islaus 
von Stein, Privatdocent an der Käiserl. Universität zu Moskau. 
Mit 7 Abbildungen im Texte ; 

Ein Wort im Interesse unserer na Fachliteratur. 
Fr. Bezold in München. TEE 
Fortsetzung und Schluss von Artikel XI a š 
Zur diagnostischen Verwerthung der oberen und unteren Ton- 
grenze, sowie des Rinne’schen und Schwabach'schen Versuches. 
Von Gustav Brunner in Zürich . . . 

Die Ermittlung USE: ae Taubheit. Von E. Bloch 
in Freiburg i. BPa 

Verticillium Graphii als Übsnche einer hartnäckigen Otitis teria 
diffusa. Von Maximilian Herzog in Chicago, früher Ohren- 
und Halsarzt am deutschen S I in Cincinnati, Ohio. Do 
setzt von C. Truckenbro be 

Ueber die Indicationen der Warzenfortsatzoperationen pi Sauter 


Von 


eitriger Mittelohrentzündung, mit vier erläuternden Fällen. Von. 


Hermaun Knapp in New-York.. 


Ueber die Möglichkeit einer deutlichen Bosshrung bei der Be- 
handlung der Taubheit und der vermutheten Taubstummheit 
durch akustische Uebungen — ein System von Tonbehandlung 
des Gehörnerven, wie es Prof. Urbantschitsch in Wien a eben 
hat. Von M. A. Goldstein, Saint Louis, Missouri. eber- 
setzt von C. Truckenbrod. ; á 


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282 


296 


IV Inhalt. 


XIX. Zwei Fälle von otitischer Hirnerkrankung (Sinus thrombose und 
Abscess). Von Robert E. Moss in San Antonio, Texas. 
(Uebersetzt von C. Truckenbrod.) . 


Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Pathologie und Therapie 
im Gebiete der Krankheiten des Gehörorganes und 'der Nase 
im zweiten Halbjahr 1894. le von Arthur 
Hartmann in Berlin . 


Bericht über die Leistungen und Fortschritte im Gebiet der normalen and 
pathologischen Anatomie und Histologie, sowie der Physiologie 
des Gehörorganes und Nasenrachenraumes im ersten Sun 
des Jahres 1895. Von Ad. Barth in Marburg . 


Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Pathologie und Therapie 
im Gebiete der Krankheiten des Gehörorganes und der Nase 
im ersten Quartal des Jahres 1895. nn. von 
Arthur Hartmann in Berlin 


Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Pathologie und Ther apie 
im Gebiete der Krankheiten des Gehörorganes und der Nase 
im zweiten Quartal des Jahres 1895. ne) von 
Arthur Hartmann in Berlin: 


Bericht über die Verhandlungen der Deutschen Btologischen Gesellschaft 
auf ihrer vierten Versammlung zu Jena am 1. und 2. Juni 1895. 
Erstattet von Arthur Hartmann-Berlin und na 
Frankfurt a. M. 


V. Internationaler Otologischer Cora in Pioi vom 23. Di 26. Sep- 
` tember 1895. Bericht von T. Bobone in San Remo 


Bericht über die Verhandlungen der otologischen Abtheilung der 67. Ver. 


sammlung deutscher Naturforscher und Aerzte in Lübeck vom 
"16. bis 21. September 1895. Von Karutz in Lübeck 


Besprechung von E. Bloch in Freiburg i. Br.: 


Ueberschau über den gegenwärtigen Stand der Ohrenheilkunde. Nach 
den Ergebnissen meiner 24jährigen statistischen Beubachtung. 


Von Dr. Friedr. Bezold, Prof. d. Ohrenheilkunde an 2 


Universität München 
Besprechung von F. Bezold in München : Ä 
Labyrinthtaubheit und Sprachtaubheit. Klinische Beiträge zur 
Kenntniss der sogenannten subcorticalen sensorischen Aphasie, 
sowie des Sprachverständnisses der ınit Hörresten begabten Taub- 
stummen von Dr. C. S. Freund, Nervenarzt in Breslau . 


Besprechung von A. Scheibe in München: 


Die Nasenhöhle und ihre Nebenräume in Gypsmodellen natürlicher 
Grösse nach Schnitten eines Spiritusschädels hergestellt. Von 
Dr. Odo Betz in Heilbronn a. N. ea e a n a y 


Besprechung von E. Bloch in Freiburg i. B.: 


Sammlung zwangloser Abhandlungen aus dem Gebiete der Nasen-, 
Ohren-, Mund- und Halskrankheiten. OAOE CEE DEN von Dr. 
Maximilian Bresgen. an ee > real 3 


Nekrolog: 
DR. WILHELM MEYER, KOPENHAGEN t. Von S. Moos, Heidelberg. 


Personalien . . 20.2 2.0.19. 


Berichtigung von E. E in kopanhagén 
Berichtigung von E. Bloch in Freiburg . 
Redactionelle Mittheilung i 





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JUN 15 1909 


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I. 


‘Geschichte und Autopsie zweier tödtlich ver- 


laufenen otitischen Hirnkrankheiten, 
(1. eines typischen Schläfenlappenabscesses und. 2. eines 
acuten otitischen Retropharyngealabcesses mit eitriger 
Leptomeningitis der Vorderlappen.) 


Von Hermann Knapp, New-York. 
Mit 2 lithographischen Farbentafeln I/II und 1 Abb. im Texte. 


Die Veröffentlichungen der beiden hier zu beschreibenden Fälle, 
von welchen ich .im Stande bin, gute colorirte Abbildungen des früh- 
zeitigen Sectionsbefundes zu liefern, dürfte zur Zeit, wo die chirurgische 
Behandlung der otitischen Hirnleiden so eifrig und fruchtbar bebaut 
wird, nicht ohne Interesse sein. 


I. 


Der erste Fall stellt einen typischen, von chronischer 
Otorrhöe bedingten, Abscess im Schläfenkeilbeinlappen 
dar, welcher ohne weitere Complicationen durch seine Grösse zum Tode 
durch Hirndruck führte. Der Sectionsbefund macht es durchaus wahrschein- 
lich, dass der Patient hätte gerettet werden können, wenn der Abscess, 
selbst eine Woche vor dem Tode, entleert worden wäre. 


Patient, G. A. N., war ein junger Arzt von New-York. Er hatte von 
Jugend auf an beiderseitiger Otorrhöe gelitten, und war mehrere Jahre an 
Ohrpolypen mit Trichloressigsäure und andern Aetzmitteln behandelt worden. 
Am 19. October 1894 kam er in Behandlung meines früheren Schülers Dr. J. B. 
McMahon, welcher einen Polypen aus dem linken Ohre entfernte. P. hatte 
heftiges allgemeines Kopfweh, kein Erbrechen. Die weitere Behandlung bestand 
in Reinigen des Ohres, Einträufelung einer schwach alcoholischen Borsäurelösung 
und Betupfen des Granulationsgewebes mit Chromsäure. Am 12. November 
wurde Me Mahon gerufen. Pat. war im Bett seit zwei Tagen. Heftige Kopf- 
schmerzen. Schlafsucht. Kein Erbrechen. Keine Empfindlichkeit auf Druck. 
Nimmt Nahrung zu sich. Stuhl regelmässig. Puls 72; Resp. 16; Temp. 37,40C. 


Am 14. November. Ungefähr derselbe Zustand. Temp. 37,6. 
Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Rd. XXVII. 1 


2 H. Knapp: Geschichte und Autopsie 


Am 15. November. Puls 60; Resp. 18; Temp. 37,1. Granulationsgewebe 
mit scharfem Löffel ausgekratzt. Ausgesprochene Benommenheit des Kopfes. 
Fragen nur schwierig beantwortet. Schmerz geringer. Pupillen und Augen- 
grund normal. 

Am 16. November Abends sah ich Pat. in Consultation. Er lag theil- 
nahmlos im Bett, antwortete nicht, bewegte die Hände nur, wenn mit dem 
Baumwollträger sein Gehörgang gereinigt, wurde. Die Pupillen waren gleich 
weit und reagirten gut auf eine von beiden Seiten in sie geworfene Lichtspitze. 
Augengrund normal. Er hatte sehr starkes Kopfweh, Uebelkeit, kein Erbrechen, 
war sehr reizbar. Puls 64, Temp. 37. Warzenfortsatz normal. 


Wir diagnostirten einen Abscess im Schläfenlappen und riethen zur Operation 
am nächsten Tage, was auch bewilligt wurde, aber der Kranke bekam in der- 
selben Nacht starkes Fieber (Puls 136; Temp. 40,7) und starb am nächsten 
Morgen um 7 Uhr comatös. 

Die 8 Stunden nach dem Tode gemachte Section ae einen enormen, 
fast den ganzen Schläfenkeilbeinlappen einnehmenden Abscess. 


Die Dura mater war mit Ausnahme des das Felsenbein deckenden Theiles 
nicht wesentlich abnorm. Als sie eingeschnitten und abgezogen wurde, sah 
man die oberflächliche Schichte des Schläfenlappens grau verfärbt, leicht ein- 
gesunken und so verdünnt und brüchig, dass sie bei leiser Berührung barst, 
worauf eine grosse Menge sehr übelriechenden, rahmigen, leicht grünlichen Eiters 
hervorstürzte. Die Durchbruchstelle lag5öcm über und 2,5 cm hinter dern Gehörgang. 
Die Abscesshöhle war 8cm lang und 6,5cm hoch. (Siehe Zeichnung, Taf. 1). 
Sie war mit einer dünnen, schwarzgrauen, leicht zerfallenden Schichte eingedickten 
Eiters ausgekleidet, welche sich nach allen Seiten an erweichte Gehirnsubstanz 
anlehnte, ausgenommen gerade nach innen, wo die Gehirnsubstanz normale Con- 
sistenz zeigte, aber sehr gefässreich war. (Siehe Zeichnung.) 

Als das Gehirn herausgenommen wurde, zeigte sich die Dura auf der 
Vorderfläche des Felsenbeins schwarz verfärbt, mit dem Knochen verwachsen 
und an einer kleinen Stelle, dicht vor der Eminentia arcuata, durchbrochen. 
Nach dem Abziehen der Dura sah man an dem gleich schwarz verfärbten 
Knochen eine der Perforation in der Dura entsprechende Lücke von 4mm Durch- 
messer und mit Granulationsgewebe ausgefüllt. Durch die Lücke gelangte man 
mit der Sonde in die Trommelhöhle. | 

Merkwürdigerweise hatte der Abscess den übrigen Theil des Gehirns kaum 
sichtbar verändert. Es fanden sich weder eine epidurale Eiterung, noch Ver- 
änderungen an den weichen Häuten, noch in der Hirnsubstanz und den Ven- 
trikeln, deren Flüssigkeit weder vermehrt, noch verfärbt war. Von der Durch- 
bruchsstelle in der Dura war kein Gang in die Abscesshöhle zu sehen. Der 
Temporosphenoidallappen wurde herausgenommen, in Eis aufbewahrt, am nächsten 
Tage geöffnet und gezeichnet, darauf in einer Formollösung (zuerst 50/,, dann 
100/,) gehärtet und aufbewahrt. In wenigen Tagen war er ebenso erblasst, als 
ob er in starkem Weingeist gelegen hätte. 

Das ganze Felsenbein sammt dem Warzenfortsatz und dem den Gehörgang 
bis in die Fossa glenoidea umgebenden Knochen wurde bei der Section entfernt 
und am nächsten Tage durch einen Lgubsägenschnitt gespalten, welcher durch 


zweier tödtlich verlaufenen otitischen Hirnkrankheiten. 3 


‚die Mitte des äusseren und inneren Gehörgangs (Siehe Fig. 1 ea und ia) verlief. 
Das Trommelfell fehlte, der Hammergriff (m) ragte frei in den Canal; von der 
knöchernen, rauhen, lateralen Wand des Kuppelraumes ging ein Polyp (d) aus, 
welcher einen Theil des Kuppel- und Trommelraumes mit verdickter Schleim- 
haut (b) bedeckt, einnahm. Der untere Trommelraum war leer, die Labyrinth- 
wand rauh, auf dem Durchschnitt compact und glänzend, in ihrem oberen 
Theile (e) durchbrochen. Der Kuppelraum war durch Granulationen und grün- 
liche Massen ausgefüllt, welche sich bis in die Durchbruchsstelle an der oberen 
Wand des Felsenbeins und durch den Durchbruch in der Labyrinthwand in das 
Labyrinth (f) erstreckten, dieses vollkommen ausfüllten und bis in den inneren 
Gehörgang (ia) drangen, ohne dessen Mündung zu erreichen. Die Dura mater 





“und der Knochen an der hinteren Felsenbeinwand waren normal, ebenso das 
Kleinhirn und die Blutleiter. | 


Epikrise. Man wird wohl kaum einen schulmässigern Fall des 
gewöhnlichen otitischen Hirnabscesses finden können, als den eben be- 
schriebenen. Seine Entstehung ist klar und oft dargelegt worden. 
Welche Lehren lassen sich an denselben anknüpfen? Ich glaube, dass 
man noch ein günstiges Resultat hätte erzielen können, als der Patient 
schon schlafsüchtig war, denn es sind Fälle bekannt, wo Patienten in 
solchem Zustande operirt wurden, das Coma bald nach der Eröffnung 
des Abscesses aufhörte, und dauernde Genesung eintrat. In unserem 
Falle wäre dies auch möglich gewesen, denn ausser dem allerdings grossen 
Abscesse und der denselben umgebenden Erweichungsschichte, lagen 
keine nennenswerthen Veränderungen im Gehirn vor. Die Operations- 
methode würde, wie sie beabsichtigt war, zuerst in der gründlichen 
Reinigung des Trommel-, Kuppel- und Labyrinthraumes von dem Antrum 

1* 


e 


4 H. Knapp: Geschichte und Autopsie 


mastoideum aus bestanden haben, sodann in einer Trepanation . des 
Schädels an der gewöhnlichen Stelle, nämlich 4 cm über und 3 cm hinter 
dem äusseren Gehörgange, mit breiter Trepankrone, ganz in derselben 
Weise, wie ich dies in einem im ersten Hefte dieses Bandes (p. 20, etc.) 
beschriebenen erfolgreich operirten Falle gethan habe.!) Dass derartige 
Fälle mit grosser Ueberzeugungskraft uns zu sorgfältiger Behandlung 
aller chronischen Otorrhöen, namentlich derer mit übelriechendem Secrete, 
Caries und Polypenbildung auffordern, versteht sich von selbst, und 
treten bei den so weit fortgeschrittenen Fällen die sog. Radicaloperationen, 
d.h. gründliche Ausräumung der Trommel- und der damit verbundenen 
Nebenhöhlen, einschliesslich der Labyrinthhöhle, in ihre Rechte ein. 


II. 


Der zweite Fall ist in seinem ganzen Verlaufe nichts weniger 
als typisch. | 


Max G., 24 Jahre alt, 97 Orchard St., New-York, kam am 29. November 
1894 in meine Klinik. Er wurde mit der Diagnose: Otitis media purulenta 
acuta aur. sin. eingetragen. Schmerzen im Kopf. Etwas Anschwellung 
der Haut des Warzenfortsatzes, nicht des Gehörgangs. Vorsichtiges Ausspritzen 
mit Borsäurelösung empfohlen; Aufnahme in’s Hospital angerathen, welches 
am 7. December geschah. Sein Leiden fing vor zwei Wochen mit heftigem 
Kopfschmerz an, zu welchem sich bald übelriechender Ausfluss und Granulations- 
bildung gesellte. Das jetzige Leiden war vielleicht ein acuter Rückfall einer 
früheren Otitis purulenta. Patient klagt über Schmerzen im Ohre, aber noch 
mehr über Schmerzen, welche sich über die ganze linke Kopfhälfte erstreckten, 
bald mehr in der Schläfe, bald mehr über der Stirn, bald mehr im Hinterkopf 
auftraten. Dies verhielt sich so im ganzen Verlauf seiner Krankheit. Percussion 
über dem Ohre wurde zuweilen als schmerzhaft bezeichnet, nie an andern Stellen. 

Am 8. December klagte er über Schmerzen hinter dem Ohre, und der 
Proc. mast. war leicht geröthet und angene hen: Anwendung des Leiter- 
schen Kühlapparates. 

Am 10. December. Beständig Schmerzen in und hinter dem Ohre. Warzen- 
fortsatz teigig, hinterer Abschnitt des Trommelfells vorgebaucht. Paracen- 
tese: Blut, kein Eiter. 

Am 12. December. Eis erleichtert nicht mehr. Tiefer Schmerz bei Druck 
auf den Warzenfortsatz. Reguläre Eröffnung des Processus mast, 
Geringe Menge Eiter nahe der Spitze. Viel Granulationsgewebe ausgelöffelt. Sonde 
dringt in den Atticus. Kein Nachlass der Schmerzen im Kopf. Augengrund, 
Sehschärfe und Sehfeld normal. Gehör null. Als keine wesentliche Besserung 
eintrat, wurde am 21. December eine Radicaloperation angefangen. Die 


1) Die kleine Patientin, welche ich vor 13 Monaten operirte und vor einer 
Woche wieder untersuchte, hat keine weiteren Beschwerden gehabt und befindet 
sich vollkommen wohl, 


zweier tödtlich verlaufenen otitischen Hirnkrankbeiten. 5 


frühere Wunde erweitert und viel Granulationsgewebe ausgekratzt. Im Anfang 
des Meisselns, und zwar .ganz nahe an der hinteren Gehörgangswand stürzte 
dunkles Blut hervor (Sinusverletzung). Die Wunde wurde tamponirt und 
die Operation nicht fortgesetzt. 


Am 24. December. Verband und Wunde rein. Schmerzen grösser als je 
zuvor, besonders im Ohr. Paracentese des im hinteren-oberen Quadranten 
vorgebauchten Trommelfells. Kein Eiter. Warme Ohrdouche giebt etwas Er- 
leichterung. 

Die regelmässig Morgens und Abends vorgenommenen Messungen ergaben 
eine von 76 bis 88 schwankende Pulscurve, und eine zwischen 86,8 und 38 
schwankende Temperaturcurve; nur einmal, am 14. December, stieg die Tem- 
peratur auf 38,5. 


Am 25. December. Unzweifelhafte Empfindlichkeit bei der Percussion 
3,9 cm über dem äusseren Gehörgang. Der Kranke speit beständig und 
klagt über Schmerzen im Halse, und eine Anschwellung hin- 
derte ihn am Schlucken. DiePharynxwand rothundgeschwollen, 
aber nicht mehr, als man es bei einer leichten catarrhalichen Pharyngitis sieht. 
Kein Appetit. 


Am 26. December. Keine Besserung; deshalb Craniotomie. Da Pat 
zuweilen die Schmerzhaftigkeit direct über dem Ohre als am grössten bezeichnete 
und auch die Percussion daselbst am meisten schmerzhaft empfunden wurde, 
ferner da eine intradurale Eiteransammlung in der mittleren Schädelgrube nicht 
unwahrscheinlich erschien, so beschloss ich, die Trepanationsöffnung gerade über 
dem Ohre vorzunehmen. Ich löste zuerst die Ohrmuschel von der hinteren 
Gehörgangswand ab und drang vom Warzenfortsatz aus in die Paukenhöble, 
reinigte dieselbe, namentlich den reichlich Eiter enthaltenden Kuppelraum, 
welchen ich erweitert fand und in welchem ich mit dem Löffel ungewöhnlich 
weit nach vorn und innen dringen konnte. Dabei wurde ein kleines cylindrisches 
Muskelstück, offenbar vom Tensor tympani, entfernt. Nachdem ich auf diese 
Weise Luft geschafft, trepanirte ich die Schläfenschuppe mit einer Krone von 
2cm Durchmesser. Die Dura war normal, anfangs pulsirend, hernach nicht 
mehr. Ich drang mit einer breiteren Aspirationsnadel durch die Dura nach 
verschiedenen Richtungen in die Gehirnmasse ein, ohne eine Spur von Eiter zu 
erhalten. Darauf löste ich mit einer Sonde die Dura von dem Knochen bis auf 
den Bodeu der mittleren Schädelgrube. Es zeigte sich keine Abnormität. Bei 
der Lostrennung der Dura vom Knochen entstand plötzlich eine ziemlich starke, 
arterielle Blutung. Dieselbe wurde durch Tamponade mit Sublimatgaze leicht 
gestillt. Die Hautwunde wurde in ihrem oberen Theile vernäht, ein silbernes, 
perforirtes Abzugsrohr eingelegt und die Wunde verbunden. 


Die Reaction war ziemlich bedeutend. Die Temperatur, welche am 
Operationstage 37. war, stieg am Morgen des nächsten Tages, 27. December, 
auf 37,5, am Abend auf 38,4, am 28. December morgens auf 38,8, fiel dann 
am 29. December auf 38. In der Nacht nach der Operation schlief Patient 
ruhig. Am nächsten Tage, 27. December, klagte er über einen im Halse 
steckenden Körper, er spie beständig, konnte nicht schlucken und erbrach wieder- 
holt. Malzextract war die einzige Nahrung, welche er nahm und vertrug. 


6 H. Knapp: Geschichte und Autopsie 


Am 28. December. Beständig Erbrechen, von grünlicher Farbe. Ein- 
genommenheit des Kopfes. Spricht nichts als Ja oder Nein, wenn gefragt, 
er scheint doch Alles zu verstehen. Pupillen und Augengrund normal. 


Da die Erscheinungen sich am Nachmittag verschlimmert hatten und der 
Patient, ohne weitere Hülfe, dem Tode verfallen zu sein schien, so machte ich 
um 4 Uhr noch eine Operation. Ich öffnete die Wunde, legte die normal 
aussehende, nicht pulsirende Dura mater blos, incidirte sie, und sondirte mit einer 
breiteren Nadel noch einmal den Schläfenkeilbeinlappen und da ich nirgends 
Eiter fand, so stiess ich zum Ueberfluss noch ein Scalpell 3cm gerade nach 
innen ein und drehte es im rechten Winkel beim Herausziehen, ohne irgend 
einen Erfolg. Darauf erweiterte ich die Wunde im oberen Theile des Warzen- 
fortsatzes und stellte eine freie Communication zwischen demselben und dem 
oberen Trommelhöhlentheil her. Zuletzt, um in der verzweifelten Lage des 


Patienten nichts unversucht zu lassen, drang ich tiefer in den Knochen am. 


unteren Theile der Warzenfortsatzwunde, mit dem Vorhaben, in die hintere 
Schädelgrube zu dringen. Der Knochen war gesund, mit kleinen Lufthöhlen 
durchsetzt, und frei von Secret. Trotz des vorsichtigsten Vordringens trat 
plötzlich wieder eine profuse Venenblutung ein, die durch Tamponade leicht 
gestillt wurde. Drainagerohr. Verband. 


Am 29. December. Nacht ruhig. Schläft den ganzen Tag. Nimmt Malz- 
extract. Erbrechen und Speien aufgehört. Temp. 38,9 am Morgen, 38,3 am 
Abend. Weder Ausfluss aus dem Öhre, noch aus der Warzenfortsatzwunde, 
auch durch Ausspritzen kein Eiter. 

Am 30. December stieg die Temperatur auf 39,7; Puls 84. Patient schläft 
meistens, hat Incontinenz und Zuckungen in den Gliedern. 

Am 31. December, Stat. idem. 

Am 1. Januar 1895, comatös. Temperatur 40,1. 

Am 2. Januar Morgens 38,7, am Abend 39,7. Respiration 42, Puls 124. 

Am 3. Januar, 11 Uhr Vormittags Tod im Coma. 


Autopsie (siehe Tafel II) am Nachmittag um 4 Uhr. 


Der Schädel wurde in gewöhnlicher Weise geöffnet. Die Dura war wenig 


verändert. Keine extradurale Eiterung. Nach Ablösung der Dura zeigt sich 


an der Convexität und der Medianfläche beider vorderen Lappen eine Ansamm-. 


lung von gelbweissem Eiter entlang den Sulci in schlangenförmigen Linien. 
Von den Vorderlappen an bis in die Mitte der convexen Fläche des Gehirns waren 
kleine eitrige subarachnoidale Heerde zerstreut. Die Venen waren sehr dunkel 
und wohl gefüllt über die ganze Gehirnoberfläche, mehr an der Convexität, als 
an der Basis. Die hintere Hälfte der Convexität, die ganze Basis und die 
hinteren zwei Drittel beider Medianflächen waren, abgesehen von meningealer 
Hyperämie, normal. Das Hirn wurde als Ganzes herausgenommen, in Eis gelegt, 
‘am nächsten Tage gezeichnet und dann secirt. Beide Hemisphären wurden 
durch einen Medianschnitt getrennt, auf der Schnittfläche fand sich nichts 
Abnormes. Die linke Hemisphäre wurde dann vom Scheitel bis zur Basis in 
parallele, sagittale, ungefähr 1cm dicke Scheiben zerlegt. Dabei zeigte sich, 
dass nirgends ein Abscess vorhanden war. Im hinteren Abschnitt war ein 
Klumpen frisch geronnenen Blutes mit etwas erweichter Umgebung. Dies und 





— 


—— 


zweier tödtlich verlaufenen otitischen Hirnkrankheiten. 7 


ein ganz oberflächlicher Bluterguss an der sonst unveränderten Basis der 
mittleren Schädelgrube, waren die einzigen auf die Operation zu beziehenden 
Veränderungen. Durch die Lücke in der Dura an der Trepanationsstelle war 
die Hirnsubstanz etwas vorgetreten, zeigte aber keine nennenswerthen Ver- 
änderungen. | | 

An den Vorderlappen, sowohl auf deren convexen als medianen Fläche, 
sah man, dass die Eiterung auf den Subarachnoidalraum beschränkt war und 
nirgends in die Gehirnsubstanz eindrang. Die Gehirnmasse, die Ventrikel und 
deren Flüssigkeit, das Kleinhirn und sämmtliche Sinus waren nicht merklich 
verändert, mit Ausnahme der Gefässe der linken Sylvischen Spalte, welche von 
einer dünnen Lage durchsichtigen Exsudates umgeben schienen. Das Gehirn 
wurde einen Tag lang in eine 10 prozentige Formollösung gelegt, dann in einer 
5 prozentigen aufbewahrt. Die rechte Hemisphäre wurde als Ganzes präservirt. 

Nach der Herausnahme des Gehirns entfernte ich das Schläfenbein. Dabei 
zeigte sich ein sehr merkwürdiger Befund: der obere Theil der Trommelhöhle 
war voll Eiter, welcher sich längs des erweiterten Semicanalis pro tensore tym- 
pani in dem die Tube umgebenden Gewebe aufhäufte und im oberen Rachen- 
raum prominirte. Eine Sonde vom Kuppelraum durch den Eiterheerd geführt, 
stülpte die linke Hälfte des Gaumensegels vor und konnte von dem durch den 
Mund eingeführten Zeigefinger gefühlt werden. Ich schnitt das Gaumensegel 
und die demselben anliegende obere Rachenwand durch und entleerte die mit 
dem Mittelohr zusam menhängende Eiteransammlung, einen otitischen Retro- 
pharyngealabscess. Ich entfernte darauf die Tube und das sie umgebende 
Gewebe und konnte daran und mit Sondenprüfung constatiren, dass der Eiter 
augenscheinlich nicht durch die Tube, sondern durch das sie umgebende Gewebe, 
hauptsächlich den Tensorcanal sich fortgepflanzt hatte. Auf diese Weise er- 
klärte sich auch das mit dem scharfen Löffel bei der letzten Operation ent- 
fernte Muskelstück. 


Epikrise. Dieser Abscess war mir eine neue Erfahrung. Mit 
mehr Sachkenntniss würde ich die beständigen Beschwerden des Patienten, 
dass in seinem Halse ein Schluckhinderniss vorhanden sei, nicht durch 
die sichtbare Röthe des Gaumens, welche ich für eine einfache catarrha- 
lische Pharyngitis hielt, für hinreichend erklärt angesehen haben. Ich 
würde mit Spiegel und Finger den oberen Rachenraum untersucht und 
durch die Eröffnung des Retropharyngealabscesses möglicherweise das 
Leben meines Patienten gerettet haben. Ich kann mir nämlich nicht 
anders denken, als dass die Eitererreger von dem Abscess aus auf 
irgend einem Wege, am wahrscheinlichsten entlang der Hypophysis 
cerebri, die ja embryologisch zum Gaumen gehört, in die Schädelhöhle 
gelangt und von da längs der Medianfläche auf die Convexität der 
Vorderlappen gelangt sind. Das Chiasma der Sehnerven, welches zum 
Zweck histologischer Untersuchungen aus dem Schädel herausgenommen 
und sofort in Formollösung gelegt wurde, zeigte an einem Tractus 


opticus eine fleischige Anschwellung, welche näher untersucht werden soll. 


8 H. Knapp: Geschichte und Autopsie etc. 


Dieser merkwürdige Befund würde, wenn richtig gedeutet, einen 
neuen, mir wenigstens bisher unbekannten, Weg der Fortpflanzung 
eitriger Processe vom Mittelohr in die Schädelhöhle darstellen. Es ist 
ja nicht schwer einzusehen, dass Eiter sich durch die natürlichen 
Oeffnungen der Trommelhöhle, die Tuba Eustachii und den Canal des 
Trommelfellspanners, fortpflanze. Durch die Tube entleert er sich, wie 
man zuweilen direct beobachten kann, in den Nasenrachenraum, während 
er im Muskelcanal keinen Ausweg finden, und sich als Abscess anhäufen 
müsste, welcher durch die daselbst befindlichen zahlreichen Knochenlücken 
ebenso leicht in die Schädelhöhle dringen könnte, als dies durch das Dach 
der Pauken- und Mastoidhöhle ja so oft geschieht. Auf diese Weise lassen 
sich vielleicht auch die durch Meningitis tödtlichen Ausgänge acuter 
eitriger Mittelohrentzündungen erklären, namentlich bei Kindern, bei 
welchen die Schädelspalten noch nicht so fest geschlossen sind, wie bei Er- 
wachsenen. Wenn der Fortpflanzungsweg des eitrigen Prozesses durch 
das Paukendach oder den Warzenfortsatz nicht erwiesen werden kann, 
so sollte man, meiner Ansicht nach, den vordern Ausweg der Trommel- 
höhle bei künftigen Obductionen nicht unberücksichtigt lassen. 

Literarische Belege, welche ich allerdings nur unvollständig aufge- 
sucht habe, sind recht dürftig ausgefallen. Die meisten Lehrbücher der 
Ohrenheilkunde eıwähnen den vom Ohre ausgehenden Retropharyngeal- 
abscess gar nicht. Bei denjenigen Autoren, welche denselben erwähnen, 
wird nur kurz angegeben, dass „vom Ohr aus Senkungsabscesse gewöhn- 
lich aussen am Halse, selten nach innen im Rachen auftreten, (Ur- 
bantschitsch, Schwartze, Bosworth). W. Macewen (Infective 
Diseases of the Brain etc., S. 84) sagt: „Eitrige Entzündung in der 
Paukenhöhle kann sich in die E.-Röhre fortsetzen, in deren Wänden 
sich ein Abscess bildet und schliesslich als Senkungsabscess im Naso- 
Pharynx auftritt. Diese Abscesse verursachen Athem- und Schluckbe- 
schwerden*. Eine Angabe über die Entstehung der Leptomeningitis aus 
einem otitischen Retropharingealabscess habe ich nirgends gefunden. In 
dem oben von mir beschriebenen Falle kann ich diesen Zusammenhang 
auch nicht nachweisen, sondern muss mich damit bescheiden, denselben 
als möglich und in dem gegebenen Falle als das Nächstliegende zu be- 
zeichnen, woran man bei künftigen Forschungen denken sollte. OÖ. Körner 
(otitische Erkrankungen etc., S. 38) bemerkt zu einigen Fällen (Ray, 
Panse) wo die Eiterung vorzugsweise die Convexität ergriffen hat, dass 
dieselben vielleicht nicht als direct übergeleitet, sondern als metastatische 
aufzufassen seien. | | 


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ZEITSCHRIFT FÜR OHRENHEILKUNDE. XXVII. Taf I. 


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Verlagv./F Bergmann, Wiesbaden. Lith Anst v Werners Winter. Frarkfart *M 


PURULENTE LEPTOMENINGITIS 


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O0. Körner: Eine neue Form der Influenza-Otitis. 9 


Tafel- Erklärung. 


Taf. I. 
Abscess im linken Temporo-Sphenoidallappen. 


John A. N. Gesehen in Consultation mit Dr. J. B. Mac Mahon am 
16. Nov. 1894. Chronische Otorrhoe. Der Abscess wurde diagnosticirt, die 
Operation auf den nächsten Tag festgesetzt. Der comatöse Patient starb am 
nächsten Morgen. Section Nachmittags. 


Taf. II. 
Purulente Leptomeningitis. 


Acute purulente Otitis und Mastoiditis. Retropharyngeal-Abscess in Folge 
von Trommelhöhlen-Eiterung. Vier Operationen wegen Mastoiditis, Otitis und 
vermeintlichem Gehirnabscess. Kein Abscess gefunden. Tod in Folge purulenter 
Leptomeningitis der vorderen Lappen. (Max G., 25 Jahre alt. Erster Besuch 
der Klinik 29. Nov. 1894. Tod den 3. Januar 1895.) 


II. 


Eine neue Form der Influenza-ÖOtitis. 
Von O. Körner in Rostock. 


Der Redaction zugegangen am 6. Februar 1895. 








Die Influenza-Pandemie von 1889—90 hat, wie alle ihre Vor- 
läuferinnen, eine grosse Anzahl: kleinerer Epidemien und sporadischer 
Fälle nach sich gezogen und auch jetzt noch treten solche immer wieder 
auf. Gerade wie bei der Pandemie finden sich auch bei den localen 
Nach-Epidemien und den sporadischen Fällen sehr häufig Ohreiterungen 
als bedenkliche Complicationen. 

Uebersieht man die über diese Ohreiterungen vorhandene Literatur, 
so staunt man über die Vielgestaltigkeit der geschilderten Krankheits- 
bilder. Ausser den häufig beobachteten Formen der gewöhnlichen Otitis 
media, die sich von der gleichen Erkrankung aus andern Ursachen weder 
klinisch noch bacteriologisch unterscheiden, sind einzelne Krankheits- 
bilder häufig beschrieben worden, denen.man vor der Pandemie 89—90 
sehr selten begegnet ist. Während das häufige Auftreten der gewöhnlichen 
Otitis media bei Influenzakranken mit der Annahme erklärt werden kann, 
dass der geschwächte Organismus durch die Influenza den gewöhnlichen 
Eitercoccen geringeren Widerstand entgegensetzt oder einen günstigeren 
Nährboden für sie abgiebt, als der gesunde Organismus, darf man anderer- 


10 O. Körner: Eine neue Form der Influenza-Otitis. 


seits wohl vermuthen, , dass die erst während und seit der Pandemie 
häufiger beobachteten Otitiden durch den Influenza-Bacillus selber ver- 
ursacht sind. Jedenfalls sollte man nur diese: Formen der Erkrankung 
als wahre Influenza-Otitis bezeichnen. Ich rechne dazu folgende Formen: 

1) Die vom Beginne an mit hämorrhagischem Exsudat und :hämor- 
rhagischen Blasen am Trommelfell einhergehende Form. (Patrzek, 
Dreyfuss, Schwabach, Haug u. A.) | 

2) Die, soviel ich weiss von mir!) zuerst beschriebene, und dann 
von zahlreichen Beobachtern bestätigte Form mit ungewöhnlich verdickter 
Schleimhautschicht und zapfen- und beutelartigen Ausstülpungen am 
Trommelfell, welche so mit der geschwellten Schleimhaut angefüllt sind, 
dass gar kein Lumen vorhanden ist. Zur selben Form gehören die 
zuerst von Bezold?) erwähnten Wucherungen der verdickten Schleim- 
haut, welche durch die Trommelfellper foration prolabiren, in der Mitte 
perforirt sind und nach der Abtragung wiederholt von Neuem auswachsen. 

3) Die primäre centrale Erkrankung des Warzenfortsatzes mit 
secundärer Betheiligung der Paukenhöhle, welche wiederholt von mir?) 
und von Eulenstein‘) beschrieben worden ist. 

Diesen drei Krankheitsbildern möchte ich im elsönden‘; ein viertes 
anreihen, welches mir noch nicht beschrieben zu sein scheint und welches 
ich erst in den letzten Monaten gesehen habe. Da ich dasselbe in 
Frankfurt a. M. und in Rostock kurz hintereinander beobachten konnte, 
nehme ich an, dass es jetzt nicht selten vorkommt und bereits auch von 
Andern gesehen worden ist. Ich verfüge bis jetzt über 3 Fälle. Die- 
selben betrafen einen etwa 36 Jahre alten Lehrer, den ich in Frank- 
furt in Consultation mit dem Hausarzte Dr. Rosenbaum gesehen habe, 
eine Krankenpflegerin an der Universitäts-Augenklinik in Rostock und 
einen 6jährigen Knaben, der auf einem Gute bei Lalendorf i. M. er- 
krankte und in meiner Klinik behandelt wurde. o 

Herr U. erkrankte am 1. September 1894 an einer schweren Influenza mit 
vorwiegender Betheiligung der Respirationsschleimhaut und grosser Prostration. 


Am 4. stellte sich rechtsseitiger Ohrschmerz ein. Früh morgens am 5. kam es 
zum Durchbruch eines serös-blutigen Exsudats. Als ich den Kranken am 8. zum 


1) Bericht über die X. Versammlung befreundeter süddeutscher und schweize- 
rischer Ohrenärzte zu Nürnberg am 25. Mai 1890. Zeitschrift für Qarenlein 
kunde, Bd. XXI. 

2) Ebenda. 

3) Loc. cit. und Bericht über die III. Versammlung der deutschen Oto- 
logischen Gesellschaft am 12. u. 13. Mai 1894 zu Bonn, 

4) Ebenda: 2 - 


O. Körner: Eine neue Form der Influenza-Otitis. 11 


ersten Male sah, hatten die Schmerzen noch kaum nachgelassen, obwohl aus 
einer grossen, im hinteren unteren Quadranten gelegenen Perforation reichliches 
serös-eitriges Exsudat ausfloss. Auf dem Warzenfortsatze war etwas Periost- 
schwellung zu fühlen und die Bezold’sche Fossa mastoidea war druckempfind- 
lich. Unter Eisbehandlung gingen die Schmerzen, sowie die Schwellung langsam 
zurück. Am 15. zeigte sich oberhalb der Perforation im hinteren oberen Qua- 
dranten eine Vorwölbung am Trominelfell, dieselbe wurde gespalten, worauf 
sich Eiter entleerte. Am 24. fand sich an. Stelle der incidirten Vorwölbung 
eine neue zitzenförmige Prominenz, die wiederum gespalten wurde. Am 3. October 
waren die Perforationen geschlossen und das Trommelfell bot einen neuen eigen- 
thümlichen Anblick dar. Der Hammer war nicht erkennbar, das Trommelfell 
matt, grau-röthlich gefärbt, mit 7 oder 8 stecknadelkopfgrossen, kupferrothen 
granulirenden Stellen bedeckt. Diese Stellen machten den Eindruck, als ob sie 
durch Hindurchwachsen der geschwellten Schleimhaut durch das Trommelfell 
entstanden wären. Die Auscultation beim Katheterisnus liess kein Exsudat 
mehr nachweisen und das Gehör war auffallend gut. 2 Tage später war Röthung 
nur noch hinten oben vorhanden, der Hammer wieder erkennbar, die flachen 
Granulationen waren verschwunden, an ihrer Stelle sah man ringförmige Hämor- 
rhagien, die dem Rande der früher granulirenden Stellen entsprachen. Diese 
Ringe waren nicht geschlossen, sondern meist nur halbe oder Dreiviertel-Ringe. 
Auf dem grauen, theilweise grauröthlichen Grunde gewährten 
diese braunrothen Ringe ein Bild, das lebhaft an die Zeichnung 
eines Pantherfelles erinnerte. Nach 14 Tagen waren sie verschwunden. 

Bei der Krankenpflegerin waren am 4. Tage der Influenza unter neuer 
Steigerung des Fiebers auf 39,3 heftige rechtsseitige Ohrenschmerzen aufge- 
treten und hatten am nächsten Tage, nach Eintritt eines serös-blutigen Aus- 
flusses, wieder nachgelassen. Ich fand jetzt das Trommelfell hinten unten vor- 
gewölbt; auf grauröthlichem Grunde sah man mehrere kleine Hämorrhagien. 
Eine Perforation war nicht zu finden. Die Paracentese (hinten unten) entleerte 
reichliches seröses Exsudat. Am nächsten Tage kein Fieber, keine Schmerzen, 
starker seröser Ausfluss. 7 Tage nach der Paracentese fanden sich braunrothe 
Ringe an Stelle der Hämorrhagien wie in dem vorher beschriebenen Falle. 
10 Tage später war Trommelfell und Gehör wieder normal. 

Der Knabe war gleichzeitig mit mehreren Leuten in der Nachbarschaft an 
Influenza erkrankt, bekam am 3. Tage der Erkrankung beiderseits Ohren- 
schmerzen, am stärksten rechts, 5 Tage später wurde er Abends 11 Uhr hierher 
in meine Klinik gebracht. Er hatte eine Temperatur von 40, Benommenheit, 
Flockenlesen, häufiges und heftiges Schreien. Beide Trommelfelle waren intensiv 
fleischroth, der Hammer nicht zu erkennen und beiderseits schimmerte hinten 
unten Eiter gelbweiss durch und wurde sogleich durch die beiderseitige Para- 
centese entleert. In den nächsten Tagen sehr geringe Eiterung, Fieber und 
Schmerzen verschwinden. Grosse Mattigkeit, viel Schlaf. Die Perforation links 
schloss sich am 5. Tage und das subjective Befinden besserte sich so rasch, 
dass ich nun die hyperplastische Rachentonsille mit dem Gottstein'schen 
Messer entfernte. 6 Stunden darauf wieder Schmerzen links, am Abend 38,5 
in der Achselhöhle. Mässige Röthung und Vorwölbung des Trommelfells hinten 
oben. Bei der Paracentese an der vorgewölbten Stelle entleerte sich dunkles 


T2 John Dunn: Ein Fall von Basis-Fractur. 


Blut und lief einige Minuten ununterbrochen aus dem Ohre ab. Am nächsten 
Tage war der Knabe fieber- und schmerzfrei und es bestand kein Ausfluss mehr. 
Im hintern oberen Quadranten sah man nun eine stecknadelkopfgrosse flach- 
granulirende Stelle, dahinter konnte man deutlich den zweiten Paracentesen- 
schnitt erkennen. Nach 2 Tagen zeigte sich eine ringförmige Hämorrhagie um 
die granulirende Stelle und der kurze Hammerfortsatz tauchte wieder auf. Von 
da ab verlief die Heilung ungestört. 


Das im Vorstehenden geschilderte, besonders durch die secundären 
ringförmigen Hämorrhagien characterisirte Krankheitsbild hat gewisse 
Aehnlichkeiten mit bereits bekannten Formen der Influenza-Otitis. An 
die primär hämorrhagische Form erinnern die spät nach dem Durch- 
bruche des Exsudats oder der Paracentese auftretenden ringförmigen 
Hämorrhagien, während das Durchwuchern der Schleimhaut durch das 
Trommelfell an mehreren, bisweilen zahlreichen Stellen dem von Bezold 
beobachteten Schleimhautprolapse an die Seite gestellt werden kann. 


i 


MI. 


Ein Fall von Basis-Fractur. 


Von John Dunn, Richmond, Va. 
(Uebersetzt von C. Truckenbrod.) 


Ein Farmer, 50 Jahre alt, fiel am 16. Januar 1894 von seinem Wagen, 
ein Mehlfass, das gleichzeitig vom Wagen fiel, traf ihn an der rechten Schläfen- 
gegend. Es trat während einer halben Stunde Bewusstlosigkeit ein. Als die 
Anschwellung des Gesichtes zurückging, bemerkte er. dass „sein Gesicht ver- 
zogen war“ und dass er „auf dieser Seite des Gesichtes kein Gefühl hatte.“ 
Ende Februar kam er seines rechten Auges wegen zu mir. Es ergab sich fol- 
gender Befund. Complete Lähmung des fünften, sechsten und siebenten Nerven 
auf der rechten Seite. Auf der ganzen vom fünften Nerven versehenen Haut- 
partie des Gesichtes bestand keine Empfindung. Eine neuro-paralytische Kera- 
titis war aufgetreten. Die Cornea war der oberflächlichen Schicht entblösst 
und auch einige der tieferen Schichten ergriffen, mit Ausnahme einer halbmond- 
förmigen Stelle, deren äusserer Rand genau dem von dem oberen Lide bedeckten 
Theile der Cornea entsprach, und ein kleiner Streifen der benachbarten Con- 
junctiva. Es bestand Hypopyon. Die Conjunctiva war stark geschwollen und 
entzündet und der untere Conjunctival-Sack mit weisslichem, serös-schleimigem 
Exsudat bedeckt; es bestand kein Thränenfluss, Conjunctiva etc. gefühllos. 
Ectropion. Das Auge gegen den Canthus internus gedreht. Rechter Nasen- 
eingang durch ein serös-blutiges Exsudat verschlossen, dessen wässrige Bestand- 
theile sich entleert hatten, so dass ein trockener, fester, klebriger Pfropf im 
Naseneingang vorhanden war, Nach der Herausnahme des Pfropfes schien bei 


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John Dunn: Ein Fall von Basis-Fractur. 13 


der Untersuchung die Nase trocken und frei von Secretion zu sein; die Schleim- 
haut war blass und mit einem dünnen weisslichen Häutchen überzogen, das aus 
abgestossenen Epithelzellen zu bestehen schien. Schleimhaut absolut un- 
empfindlich (es wurden verschiedene Prüfungsmethoden angewandt). Abgesehen 
vom Verlust des Riechvermögens, was nicht sicher constatirt werden konnte, 
war die andere Seite gesund. Die gewöhnlichen Symptome der Lähmung des 
5. Nerven im Mund und Rachen. Vollständige Lähmung der Gesichts-Nerven. 
Patient, ein Farmer, blieb nur 4 Tage zur Beobachtung, in welcher Zeit ein 
Durchbruch der Cornea erfolgte und eine grössere Zerstörung ihres Gewebes 
eintrat. Trommelfell normal. Rechts bestand eine leichte Abnahme des Gehörs. 
Gleichwol war das Gehör gut. Patient klagte nur über leichte Unbehaglichkeit 
in diesem Ohre. Kein Ausfluss. Kein Schwindel. Die Hauptklagen des Patienten 
waren das Verstopftsein der rechten Nase und wenn diese zeitweise zurückging, 
sein Unvermögen, die Speisen im Munde zu fühlen. Das rechte Auge machte 
keine Beschwerde. 


Am 6. Juli sah ich Patienten wieder. Zustand ganz der gleiche. Es war 
eine weitere Zerstörung der Cornea eingetreten, die Reste derselben und die 
Iris waren verwachsen. Auge Nachts schmerzhaft. Gehör abgeschwächt (big 
auf 1 Fuss die Uhr). Mässige Klagen über Störungen im Ohre. 


Wenn wir nach dem Sitze eines Insultes fragen, der Lähmung des 
fünften, sechsten und siebenten Nerven, und zwar dieser ganz allein, 
verursacht, so kann es nur die Spitze des knöchernen Theiles des 
Schläfenbeines sein, der innere Theil des Eintrittes des Canalis auditorius 
internus über dem Canalis caroticus. Die Richtung, in welcher der 
Stoss in der Schläfengegend erfolgte, war fast ganz direct nach Innen. 
Wenn dem so war, so konnte nur eine Fractur entstehen, die oben 
erwähnte Lähmungen veranlasste. Die Bruch-Linie muss direct durch 
die Grube des Ganglion Gasseri hingehen, und ferner so hoch, dass 
sie den siebenten Nerven verletzt, weil der achte Nerv nur ganz 
wenig weiter darunter entspringt. Das Einklemmen des abgesprengten 
'Theiles in den oberen Theil des das Foramen lacerum anticum aus- 
kleidenden Knorpels kann eine Verletzung des 6. Nerven bewirkt haben, 
der ja in dem Zwischenraum zwischen der Spitze der Felsenbein-Pyra- 
mide und dem Processus clinodeus des Keilbeines nach Vorne verläuft. 
Das Allgemeinbefinden des Patienten schien in keiner Richtung durch 
den Unfall gelitten zu haben. Er schlug jede Behandlung aus, um so 
mehr, da keine Aussicht auf Heilung vorhanden war. Sein Zustand 
6 Wochen nach dem Unfall ist wie oben geschildert. 


14 John Dunn: Ein Fall von Otitis haemorrhagica externa. 


IV. 


Ein Fall von Otitis. E externa. 
Von John Dunn, Richmond, Va 
(Uebersetzt von C. Trúckenbrod.) 


Am 13. Februar 1894 Abends 6 Uhr hatte Herr M., 30 Jahre alt, kein 
abnormes Gefühl in den Ohren. Nach einiger Zeit, zwischen 6 und 11 Uhr, 
bekam er Schmerzen im linken Ohre uud diese Schmerzen nahmen sehr rasch 
an Heftigkeit zu bis 1 Uhr Morgens, als „Etwas platzte und eine Menge von 
Blut und Materie sich aus dem Ohre entleerte.“ Der Schmerz war unerträglich 
geworden. Nach dem Eintreten der Entleerung aus dem Ohre verschwand der 
‘Schmerz und er hatte im Ohr nur ein dumpfes, lästiges Gefühl. Als ich Herrn 
M. am 14. Februar Früh 11 Uhr sah, fand ich etwas halbflüssiges Blut und 
Serum im Gehörgang. Nachdem: dasselbe mit einer mit Watte umwickelten 
Sonde entfernt und der Gehörgang gereinigt war, konnte man sehen, dass die 
Haut des knöclhernen Gehörganges und des Trommelfelles der Sitz einer heftigen 
Entzündung war, die in der Bildung zahlreicher kleiner Hämorrhagieen in die 
Haut bestand. Ihre Grösse schwankte von Nadelspitz-Grösse bis zu 1 mm Durch- 
messer; sie waren nicht regelmässig placirt. Das Trommelfell war so geschwollen, 
dass vom Hammer Nichts zu sehen war. Die Stelle, aus der sich das blutige 
Serum entleerte, konnte nicht gefunden werden. Gleichwol hatte der grösste 
Theil der Hämorrhagieen seinen Sitz an der oberen hinteren Wand in der Nähe 
des Trommelfelles, sie fanden sich in der ganzen Ausdehnung der Haut des 
knöchernen Gehörganges, erstreckten sich jedoch nicht auf den knorpeligen Theil. 
Die Haut des knöchernen Gehörganges hatte keine Aehnlichkeit mit der des 
Trommelfelles, sie war geschwollen. Die Untersuchung des rechten Ohres ergab 
ein Trommelfell von normaler Farbe und mit Ausnahme einer leichten Ein- 
ziehung (die übrigens schon alt zu sein schien) auch sonst von normalem Aus- 
sehen. Es war absolut keine Spur einer Entzündung zu finden. Ich theilte 
Herrm M. mit, dass seine Beschwerden im linken Ohre, dem Anscheine nach, 
sich auf die äussere Seite des Trommelfelles beschränken und keine Anzeichen 
einer Mittelohrentzündung vorliegen. Um 4 Uhr Nachmittags kam Herr M. 
wieder zu mir und sagte, dass ihm jetzt sein rechtes Ohr ähnliche Beschwerden 
mache, wie es sein linkes. im Beginn gethan. Die Untersuchung ergab eine 
acute Entzündung des Trommelfelles, das in der ganzen Ausdehnung geschwollen 
war, so dass der Hammergriff nicht zu sehen war. Die stärkste Schwellung 
bestand. im hinteren Abschnitt des Trommelfelles, und die stärkste im Gehör- 
gang im hinteren oberen Theile desselben dicht am Trommelfell. Ich rieth 
Herrn M. das Zimmer zu hüten, ordinirte Pilocarpin und Tartarus natronatus, 
was ihm gute Dienste that. Am nächsten Tag war etwas blutiges Serum im 
Gehörgang, während sich im hinteren Abschnitt des Trommelfelles eine Blase 
aus Blut und Serum constatiren liess, die die Hälfte des Raumes zwischen 
Hammergriff und der hinteren Gehörgangswand einnahm. Einige blutige Flecken 
zeigten sich auch an der hinteren oberen Gehörgangswand. Gleichwohl zeigten 
sie sich nicht in der ganzen Ausdehnung des knöchernen Gehörganges, wie dies 


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John Dunn: Ein Fall von Otitis haemorrhagica externa.. 15 


auf der anderen Seite der Fall war. Am 16. Februar war der Inhalt der Blasen 
so weit resorbirt, dass eine deutliche Faltung derselben wahrzunehmen war. 
Am 17. Februar war der ganze Inhalt resorbirt. Der Hammergriff war voll- 
ständig zu sehen und am Trommelfell war keine Spur einer Schwellung mehr 
wahrzunehmen, obwohl es in ganzer Ausdehnung noch etwas geröthet. war. 
Auch im Gehörgang traten keine weiteren Hämorrhagien auf. Die Beschwerden 
gingen: so rasch zurück, dass nach einer Woche der äussere Gehörgang, ein- 
schliesslich des Trommelfelles, dasselbe Aussehen wie vor dem Auftreten der 
Entzündung zeigte; auch hatte sich im Anschluss an die Affection keine Ver- 
schlechterung des Gehöres eingestellt. Natürlich hatte während der Dauer des 
Geschwollenseins der Trommelfelle eine Betzächtliche Abnahme der Schall- 
Perception bestanden... 


Betrachten wir den Zustand der Ohren vor dem Eintritt der 
Hämorrhagieen: — Als Folge. der Vernachlässigung der Nase und des 
Nasenrachenraumes, in der sich sehr starke adenoide Wucherungen zeigten, 
litt Herr M. an Mittelohreatarrh, der sich durch beträchtliche Einziehung 
beider Trommelfelle, besonders des linken, äusserte, ohne irgend eine 
Beeinträchtigung des Gehöres. Uhr !/,. Und trotzdem bestand in den 
letzten 2 Jahren keine sichtbare Gehörsabnahme, noch vor dem Auftreten 
der Entzündung der Gehörgänge irgend eine Störung von Seiten des Mittel- 
ohres, die als Vorläufer des Anfalles aufzufassen gewesen wäre. Gruber 
ist geneigt, von einer »Otitis externa hämorrhagica« als einer bestimmten 
Krankheitsform zu sprechen (Lehrbuch der Ohrenheilkunde, englische 
Ausgabe Seite 239), aber die "Beschreibung dieser Affection ist nicht 
so genau, als ein Fall, wie der unsrige, dies verlangen darf. Politzer 
(Ohrenheilkunde Seite 147) beschreibt dagegen diese Form der Entzündung 
des äusseren Gehörganges sehr genau. Unser Fall weicht insofern 
von der Regel ab, als der Sitz der Entzündung hauptsächlich das Trommel- 
fell und der hintere obere Theil des Gehörganges war. Auch sagt 
Politzer, dass »der Höhepunkt dieser Entzündungsform in der Regel 
am dritten Tage überschritten ist.« Auch in unserem Falle war der 
Höhepunkt der Entzündung, als welchen ich das Platzen der Bläschen 
betrachte, schon nach 12 Stunden nach dem Bemerken der lästigen 
Symptome von Seiten des Patienten erreicht. Es ist bemerkenswerth, 
dass erst das eine und innerhalb 24 Stunden auch das andere Ohr der 
Sitz einer solchen Entzündung war. Es konnte keine Erklärung über 
die Entstehung gegeben werden, als das Aus- und Eingehen in einem 
überhitzten Ausschuss-Sitzungszimmer bei kaltem Wetter. | 


16 B. A. Randall: Kann man aus der Form des Schädels wichtige 
V. 


Kann man aus der Form des Schädels wichtige 
Schlüsse auf die Beschaffenheit des Schläfenbeines 


ziehen? Beantwortet an Hand von 500 Schädel- 


Messungen. 


Von B. Alexander Randall, Philadelphia. 
(Uebersetzt von C. Truckenbrod.)- 
Mit 3 Abbildungen im Texte. 


Die bejahende Antwort, die Dr. Otto Körner in seinem be- 
kannten Aufsatz über diese Frage an Hand von 60 Schädelmessungen 
gegeben, veranlasste sofort den Verfasser dieses, sich mit der gleichen 
Frage zu beschäftigen und weitere Anhaltspunkte in dieser Sache zu 
suchen. Eine Menge von Ueberlegungen verzögerten jeden entscheiden- 
den Schritt in der Verfolgung der Aufgabe, sodass es mir wichtig er- 
schien, die Arbeit in ihren Details möglichst vollständig und auf mög- 
lichst grosser Basis anzulegen; und da ich zu entgegengesetzten Resul- 
taten als Schültzke kam, so entstand noch die Frage, welches wohl 
die beste Methode der Untersuchung sei. 


Körner’s Methode der orthographischen Projection. zwingt zu sagit- 
taler Spaltung des Schädels und erlaubt keine eingehende Untersuchung 
des angewandten Materials; da die Zahl der Punkte, die sich zur Vor- 
nahme von Messungen eignen, grossen persönlichen Spielraum lässt, 
leidet darunter ihre bekannte Genauigkeit in anderer Hinsicht. Mes- 
sungen mit Tasterzirkeln, wie sie von Schültzke und mir angegeben, 
haben die bekannten Nachtheile, dass sie am ungetheilten Schädel in 
Anwendung kommen und dabei entsteht eine Ungleichheit in der Ein- 
haltung der Punkte, die leicht die geringste Dicke des Knochens an 
der gemessenen Stelle stärker erscheinen lässt. Selten handelt es sich 
allerdings um mehr als den Bruchtheil eines Millimeters und schwankt 
es von Fall zu Fall in mehr oder weniger mikroskopischem Verhältniss. 
Es kann absolut versichert werden, dass in den folgenden Abbildungen 
nach keiner Richtung mehr als ein Millimeter in den grösseren Zahlen 
Differenz sein kann, ausgenommen, dass von Sulcus zu Sulcus sich mit- 
unter ein Fehler bis zu 2 mm ergab, und dass bei den kleineren Zahlen 
die Daten bis auf einen kleinen Bruchtheil eines Millimeters genau 


Schlüsse auf die Beschaffenheit des Schläfenbeines ziehen? 17 


sind!). Wenn ein Operateur genaue Anhaltspunkte bei Ausführung 
einer Operation haben will, so muss er noch viel eingehendere Unter- 
suchungen selbst vornehmen, als Körner dies in neuester Zeit bis zu 
Zehntheilen eines Millimeters bei 27 Schädeln gethan hat. Es ist nur 
zu bedauern, dass diese unendlich genauen Untersuchungen so geringen . 
praktischen Werth haben. 


Beim Nachdenken über dieses Thema in der Voraussetzung, ana- 
tomische Leitpunkte zu erhalten, ohne Rücksicht auf die Richtigkeit 
oder Unrichtigkeit der Theorie von Körner, zeigte es sich von äusser- 
ster Wichtigkeit, eine hinreichend genaue Methode zu ersinnen, wie sie 
eben der Arzt nöthig hat und die sich bei den meisten oder an jedem 
Schädel in Anwendung bringen lässt. Eine derartige Methode und die 
Instrumente zu ihrer Ausführung wurde in einer Versammlung der 
American Otological Society im Jahre 1892 zur Besprechung vorge- 
bracht, nebst den diese Methode illustrirenden Daten von 122 Schädeln 
aus der Collection Hyrtl in dem College of Physicians in Philadelphia. 
Die weitere Arbeit, die alle brauchbaren Exemplare im Museum der 
Universität und in der Academie der Naturwissenschaften in Philadelphia 
und des United States Army in Washington umfasst, hat sich bis auf 
die Hälfte der beabsichtigten Zahl von 1000 erstreckt; sie wurde in 
ihren Details in den Verhandlungen des Pan-Amerikanischen Congresses 
veröffentlicht, sodass sie auch Anderen vollständig zugänglich war. Jeder 
Fall kann durch seine Museums-Nummer identificirt werden und irgend 
ein Fehler, den ich vielleicht gemacht habe, lässt sich daher leicht 
finden. Da ich als Ohrenarzt hauptsächlich mit der kaukasischen Rasse 
zu thun habe, so wurden zuerst solche Schädel ausgewählt, und erst, 
wenn alle diese vollständig ausgenützt waren, wurden die unbekannten, 
prähistorischen oder andere ungewöhnliche und vielleicht nicht in der 
Praxis vorkommende Fälle vorgenommen. Endlich schien eine Serie 
von extremen Typen geeignet, die mehr symmetrischen Reihen auszu- 
füllen, da jeder Schädel die gewüuschte Angabe seines Fundortes zeigte, 
ohne Rücksicht auf das, was eine spätere Messung ergab. 


Eintausend Schädel schien eine geringe Reihe zu sein, um darauf 
ein weit reichendes Gesetz zu basiren, das dem Arzt als Richtschnur 


1) Körner bekämpft meine Methode und kommt (Zeitschr. f. Ohrenheilk. 
Bd. XXIV, S. 173) zu dem Schluss, dass sie keinen Anspruch auf absolute 
Genauigkeit machen und ihre Richtigkeit nur bei einer Anzahl selten extremer 
Fälle bewiesen werden kann. Es ist eine Erwiderung nöthig. 
Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXVII. 2 


18 B.A. Randall: Kann man aus der Form des Schädels wichtige 


dienen könnte, aber ich hoffe, dass Andere vollenden, was ich so be- 
gonnen habe, da es nicht unwahrscheinlich ist, dass ich nicht mehr 
Zeit auf dieses exacte Thema verwenden kann. 

Bei dem detailirten Vorlegen meiner Untersuchungs-Resultate war 
. es mein Bestreben, den Collegen den Schädel eines Individuums in all 
seinen richtigen Dimensionen vorzulegen, ihnen überlassend, alle Schlüsse 
‚daraus selbst zu ziehen. Wenn die Höhe gegeben ist als ein Anhalts- 
punkt für die Einführung bei den deformirten Schädeln, so giebt die 
Breite zwischen den Tubera parietalia für solche, die das inter-parietale 
Maximum verwerfen, den Index, wenn man sie durch die grösste Länge 
dividirt — die Breite von der Spina supra meatum und der „Operations- 
stelle“ 5 mm hinter ihr — der grösste Abstand der Sulcus sigmoideus 
und die geringste Dicke des Knochens über diesen, und die Entfernung 
dieser dünnsten Stelle der Spina auf jeder Seite — so lässt sich für 
jeden Schädel ein Schema wie beifolgende Figur 1 construiren, wO- 
durch dieses gegenseitige Verhältniss vollständig sichtbar wird. Andere 
können sich ja anderer Messungsmethoden und anderer Punkte bedienen ; 
aber einige von diesen müssen zum Wenigsten gemessen werden und 
die Resultate lassen sich dann auf diese Weise vergleichen. Die Höhe 
des Boden der wittleren Schädelgrube über der Spina wurde also mit 
Tasterzirkeln bestimmt und das Verhältniss dieses tiefsten Punktes in 
oder über der Spina ist also gegeben. 

Es ist nothwendig, hier die eingehenden Funde, die anderswo 
angegeben sind, vorzubringen; noch will ich versuchen, Schlüsse von 
allgemein praktischer Bedeutung zu ziehen von einem Material, das mir 
noch nicht genügend erscheint; noch will ich’ auf Basis der so erhal- 
tenen Resultate die Theorie Körner’s bestreiten. Weitere Untersuchun- 
gen können dann die Richtigkeit ihrer Generalisirung bestätigen. Aber 
es scheint nicht boshaft, sondern von praktischer Wichtigkeit zu sein, 
zu sehen, wie weit sich meine Ergebnisse mit seinen decken, und wie 
weit wir als Aerzte eine Stütze haben oder irregeführt sind, wenn wir 
uns bemühen, die von ihm angegebenen Regeln an den verschiedenen 
Schädeln zu probiren, die ich der Reihe nach untersucht habe. 

Mesocephale Schädel, oder diesen nahestehende Typen, werden 
zweifelsohne in der operativen Praxis der europäischen und der ameri- 
kanischen Acrzte vorherrschend sein, obschon die Neger und andere 
Stämme Ausnahmen bedingen. Der Befund bei 80 solcher Schädel 
(Katalog-Scite 777—779) hat, wie auch die Ergebnisse bei den ganzen 
500, hervorragend praktische Bedeutung. 


Schlüsse auf die Beschaffenheit des Schläfenbeines ziehen ? 19 


Die Höhe des Bodens der mittleren Schädelgrube wurde in der 
verticalen Ebene der Spinae gemessen und mit Rücksicht auf diese als 
genau bestimmte Punkte, was ja praktischer und genauer ist, als die 
Distanz von den Gehörgängen, besonders den tiefer gelegenen Theilen 


Fig. 1. 





Schema, das die wichtigsten Dimensionen an einem Schädel aus des Verfassers 
Sammlung zeigt. 
a Grösste Breite; b Abstand zwischen den Spinae; ce Abstand zwischen den 
Warzenfortsätzen; d Abstand zwischen den Sulei; e Abstand zwischen den 
Seitenwandbeinen; f Hinterhaupt - Protuberanz; g Sulcus des Gehörgangs; 
h Operations-Stelle; i dünnster Punkt. 


derselben, zu nehmen; und die tiefste Stelle wurde nach der Seite loca- 

lisirt, und so oft in oder über die Spina. Bei den 80 mesocephalen 

Schädeln lag der Boden im Durchschnitt 6,27 mm (18 bis 0) über der 

Spina auf der rechten, und 5,94 mm (13 bis 1) auf der linken Seite; 
9% 


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20 B. A. Randall: Kann man aus der Form des Schädels wichtige 


höher war er auf der rechten Seite bei 41, auf der linken bei 18, und 
gleich bei 21. Bei den gesammten 500 Schädeln betrug die Höhe im 
Durchschnitt 6,6 mm (18 bis 0) rechts, 5,6 mm (15 bis O) links; er 
war höher auf der rechten Seite, mit der grössten Differenz von 7 mm, 
287 Mal, auf der linken Seite, mit der grössten Differenz von 5 mm, 
102 Mal und von gleicher Höhe 111 Mal. Bei den 210 brachycephalen 
Schädeln (Katalog Seite 780—97) und für die gleiche Anzahl von 
dolichocephalen (Katalog Seite 610—776) waren im Durchschnitt die 
Bilder meist identisch, sowohl im Durchschnitt unter sich als mit andern. 
Suchen wir aus jeder Reihe 40 Schädel als extrem aus, so finden wir 
für die ultra-dolichocephalen (Katalog Seite 61—71) einen Durchschnitt 
von 5,42 mm (14 bis O) rechts und 5,87 mın (14 bis 0) links; die 
rechte Schädelgrube lag höher in 13, die linke in 17 und gleich war 
sie in 10. Diese scheinbare Bestätigung der von Körner aufgestellten 
Norm wird jedoch in den Schatten gestellt durch den Befund bei den 
Ultra-Brachycephalen (Katalog Seite 87—97), wo die Höhe im Durch- 
schnitt 6,6 mm (15 bis 0) auf der rechten und 6,0 mm (15 bis 0) auf 
der linken Seite betrug; grösser war sie rechts in 20, links in 12 und 
auf beiden Seiten gleich bei 8 Schädeln. 

So wenig ja meine Abbildungen in mancher Hinsicht beweiskräftig 
sind, so gewiss zeigen sie, dass die mittlere Schädelgrube in jeder Höhe 
bis zu 15 mm über der Spina auf jeder Seite liegen kann und bei jeder 
beliebigen Schädelform, was jedoch selten ist, wenn es überhaupt vor- 
kommt, auch unterhalb dieser Grenze. Dass sie auf der linken Seite 
und bei dolichocephalen Schädeln im Durchschnitt tiefer gefunden wurde, 
lässt den Befund Körner’s als mehr zufällig erscheinen, berechtigt 
jedoch noch nicht, ein diesem widersprechendes Gesetz aufzustellen. 

Der dünnste Punkt, wo der Sinus lateralis der Oberfläche am 
nächsten liegt, fand sich bei den Mesocephalen durchschnittlich 6,17 mm 
(15 bis 1) dick rechts, und 6,89 mm (18 bis 2) links, die Dicke war 
grösser rechts bei 22, links bei 42 und gleich bei 16 Schädeln. Bei 
der Gesammtzahl von 500 Schädeln betrug der Durchschnitt 6,1 mm 
(20 bis 0O) rechts und 6,6 mm (18 bis O) links; er war dicker rechts 
bei 151, links bei 231 und gleich bei 118 — die grösste Differenz bei 
jeder Seite betrug 6 mm. Diese Bestätigung der Körner’schen Befunde 
verliert ihren Werth, wenn wir bedenken, dass er es übersehen hat, 
Bezold zu folgen, der gefunden hat, dass dieser dünnste Punkt meistens 
ziemlich nach oben von der Öperationsstelle liegt, durchschnittlich 17,38 mm 
hinter der Spina (40 bis 0,5) rechts und 17mm (35 bis 1) links bei 





Schlüsse auf die Beschaffenheit des Schläfenbeines ziehen? 21 


den 500 Schädeln; mit einer etwas grösseren Differenz bei den Meso- 
cephalen (18,3 rechts; 16,8 links) und dem kleinsten Maasse von 4, 
resp. 5 mm. 


So gleicht sich bei der ganzen Gruppe der langen und der breiten 
Schädel die etwas oberflächlichere Lage des Sinus bei den Brachycephalen 
und auf der rechten Seite aus durch die mehr nach vorne gerichtete 
Lage desselben auf der linken Seite und bei den Dolichocephalen. Bei 
den extremen Fällen jeder Gattung war das allgemeine Ergebniss um- 


Fig. 2. 





ETIT 








Abbildung des Instrumentes zur Bestimmung des tiefsten Punktes der mittleren 
Schädelgrube und dessen Beziehung zur Spina supra meatum. 


gekehrt, und die 40 ultra-breiten Schädel ergaben im Durchschnitt 
6,95 mm rechts und 7,33 mm links, und die ultra-langen Schädel ergaben 
6,43 und 6,82 mm. Bei jeder Gruppe war sie rechts dünner bei 11 
und links bei 19 Schädeln. 


Wenn wir zu der Zeichnung über die Bestimmung des Abstandes 
des Sulcus von der hinteren Gehörgangswand zurückkehren — ein weit 


22 B. A. Randall: Kann man aus der Form des Schädels wichtige 


wichtigeres Maass, da es die hintere Grenze des Operationsfeldes be- 
zeichnet —, so finden wir, dass im Allgemeinen hierfür auf der rechten 
Seite weniger Platz ist. Im Durchschnitt betrug dieser bei den 500 
Schädeln 12,1 mm (21 bis 0) rechts, 12,5 (25 bis 0,2) links — rechts 
war er grösser bei 153 (grösster Unterschied 6 mm), links bei 201 
(grösster Unterschied 8 mm) und gleich war er bei 146 Schädeln. Die 
80 mesocephalen Schädel ergaben weniger grosse Differenzen und etwas 
mehr Platz — 12,55 mm (18 bis 6) rechts, 12,75 mm (20 bis 6) links. 
Die grosse Gruppe der langen und breiten Schädel stimmten wiederum 
nahezu unter sich und mit dem allgemeinen Durchschnitt überein, aus- 
genommen, dass die dolichocephalen rechts einen kleineren Durchschnitt 


Fig. 3. 





Abbildung des Taster-Zirkels zur Messung des grössten Abstandes der Suleci- 
rigmoides. 
aufwiesen als die brachycephalen — 11,4mm zu 12,53 mm. Bei den 
extremsten Fällen war dies noch deutlicher hervortretend, 11,38 (20 
bis 0) rechts und 12,7 mm (25 bis 0,2) links bei den 40 längsten 
Schädeln, dagegen 12,95 mm (18 bis 7) rechts und 13,12 mm (18 bis 3) 
links bei den 40 breitesten Schädeln. Es erscheint sehr beachtenswerth, 
dass 7 mm das kleinste Maass für den Abstand des Sulcus vom Gehör- 
gang war und dies fand sich rechts bei 60 der ausgesprochensten brachy- 
cephalen Schädel (Katalog Seite 86 und folgend). 
Für den Chirurgen ist ausser obigem Funde natürlich noch eine 
weitere Frage vom hervorragender Wichtigkeit, sobald er den Warzen- 
fortsatz freigelegt und den Meissel, bereit in die Tiefe einzudringen, 


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Schlüsse auf die Beschaffenheit des Schläfenbeines ziehen ? 23 


angesetzt hat: Wie weit ist mein Instrument vom Sinus lateralis ent- 
fernt? Dieses Maass ist für einen Punkt 5 mm horizontal nach hinten 
von der Spina bestimmt und ÖOperationsstelle genannt worden. Für die 
500 Schädel betrug es im Durchschnitt 11,3 mm (20 bis 0,3) rechts 
und 11,8 mm (25 bis 0) links. Rechts war es grösser (bis zum Maximum 
von 9mm) bei 159, links (bis zu 8) bei 206 und gleich bei 135 Schä- 
deln. Das Gleichsein fand sich häufiger bei den mittleren Schädeln, 
kam jedoch bei allen Formen und bei allen Maassen von 1mm bis 
17 mm vor. Bei den Mesocephalen waren die Extreme weniger deut- 
lich ausgesprochen und auf beiden Seiten im Durchschnitt fast gleich — 
11,79 mm : 11,84 mm. Bei den grösseren Gruppen der langen und kurzen 
Schädel war der Durchschnitt für beide Seiten fast gleich, jedoch einen 
ganzen Millimeter geringer für die dolichocephalen — 11,7 und 12 zu 
10,8 und 11 mm. Noch deutlicher war dieser das Gegentheil von 
Körner’s Resultaten ergebende Befund in den extremen Fällen jeder 
Form: bei den 40 hyper-dolichocephalen (20 mit Katalog-Seite unter 70) 
betrug der Durchschnitt 10,81 mm (20 bis 0,2) rechts und 11,45 mm 
(25 bis 0) links, im Gegensatz zu 12,85 mm (16 zu 4) rechts und 
12,07 mm (16 bis 0,2) links bei den extremst-breiten Schädeln (20 mit 
Katalog-Seite 91—97). Hieraus ergiebt sich, dass bei sehr kurzem 
Schädel der rechte Warzenfortsatz sicherer zu sein scheint als der linke, 
da bei ihm die Entfernung zwischen der Öperationsstelle und dem 
Sinus etwas unter 6 mm beträgt, als bei allen anderen Formen, bei 
denen sie, wenn überhaupt eine Differenz da ist, höchstens den Bruch- 
theil eines Millimeters beträgt. Bei einer nicht geringen Anzahl von 
gefährlichen Knochen kann man hoffen, das grosse Gefäss durch die 
dünne Knochenschicht über ihm durchscheinen sehen zu können. 

Dass der rechte Sinus oberflächlicher und mehr nach vorne liegt, 
was das Gewöhnliche ist, erklärt sich theilweise dadurch, dass er grösser 
ist. Diese längst bekannte Thatsache ist oft übertrieben worden, viel- 
leicht weil man sie identisch hielt damit, dass er die Grösse der Fossa 
jugularis und des Foramen bestimmt. Letzteres war rechts grösser bei 
277 Schädeln und unbestimmt bei weiteren 29 Schädeln; links war es 
grösser bei 125, unbestimmt bei weiteren 18 und gleich gross war es 
bei 51 Schädeln. 

Die Jugularis erhält Blut aus dem Sinus petrosus inferius und aus 
dem Sinus sigmoidei und ein grosser Theil des Blutes der übrigen Ge- 
fässe (zeitweise vielleicht das ganze Blut) entleert sich durch die Emis- 
sarien im Warzenfortsatz in die Vena jugularis externa. Hinwiederum 
findet sich öfter eine Verschiedenheit der Grösse des Foramen als der 


24 B. A. Ranaall: Kann man aus der Form des Schädels etc. 


des Sinus sigmoideus auf beiden Seiten, da der Sulcus rechts bei 225 
und unbestimmt bei weiteren 53 Schädeln grösser war, dagegen war er 
links bei 128 und unbestimmt bei weiteren 47 Schädeln grösser und 
gleich war er bei 47. | 

So wenig ja das vorliegende Material hinreichend ist, um allgemein 
gültige Gesetze über die durchschnittliche Lage der gefährlichen Theile 
zu der Operationsstelle am Wearzenfortsatz aufzustellen, so zeigt es uns 
doch einige wichtige Factas. Sichere oder gefährliche Beziehungen mit 
grossem oder kleinem Maassergebniss für die in Betracht kommenden 
Theile kann man auf jeder Seite und bei jedem Schädel-Typus finden, 
obgleich in 1 oder 2 Punkten meine Ergebnisse durch Andere eine Er- 
gänzung erfahren müssen, und zwar um festzustellen, dass das rechte 
Felsenbein der ultra-brachycephalen Schädel stets die gefährlichste Bildung 
zeigt, was Körner für dieselbe als charakteristisch bezeichnet. 

Hieraus ergiebt sich, dass der Arzt in jedem Falle bei der Ope- 
ration so vorgehen muss, als ob es sicher wäre, dass der Sinus lateralis 
oder die mittlere Schädelgrube direct im Wege läge und nur durch 
äusserste Vorsicht ihre unbeabsichtigte Eröffnung zu vermeiden wäre. 
Der Drillbohrer und die Trephine mnss von nun an als viel weniger 
sicher als der Meissel gelten, was übrigens die meisten Operateure mit 
grosser Erfahrung schon längst festgestellt hatten. Die Oberfläche des 
Warzenfortsatzes soll vollständig freigelegt und genau untersucht werden, 
da der Sinus lateralis direct unter der gewöhnlichen Operationsstelle 
liegen kann und vielleicht durch die dünne Knochenschicht über ihn 
hindurchscheinen kann. Die obere hintere Grenze des Gehörganges mit 
seiner Spina (die unter 200 Schläfebeinen nur bei 5 fehlt, und zwar 
jedes Mal auf der rechten Seite) giebt den besten Anhaltspunkt für die 
Stelle des Eindringens, da ich unter 1100 Schläfebeinen die mittlere 
Schädelgrube nie tiefer als bis an diesen Punkt reichen sah und da 
der Sulcus sigmoideus sich fast nie so weit nach vorne erstreckte. Das 
Meisseln sollte so dicht als möglich hinter der Spina beginnen und vor- 
sichtig nach innen fortgesetzt werden, leicht nach oben haltend und 
zwar in solchen Fällen, wo die Oberfläche des Warzenfortsatzes keine 
besonderen Indicationen zeigt und wenn man die Absicht hat, das Antrum 
zu eröffnen. Die Höhle muss bis zu einer Tiefe von weniger als 20 mm 
hergestellt werden, tiefer einzudringen ist selten sicher, obschon meine 
Messungen ergeben, dass der Canalis facialis und der äussere Halbzirkel- 
Gang nie weniger als 16 mm von einem Punkte 5 mm hinter der Spina 
liegen. 


B. A. Randall: Doppeltseitiges Hämatom des Lobulus. 25 


VI. 


Doppeltseitiges Hämatom des Lobulus. 


Von B. Alexander Randall, Philadelphia. 
(Uebersetzt von C. Truckenbrod.) 


Der folgende Fall ist so ungewöhnlich, dass er seiner unvollständigen 
Form wegen der Veröffentlichung werth erscheint: 


Florence M., 16 Jahr alt, von irischer Abstammung, wurde am 28. Nov. 
auf die Ohr-Abtheilung des Kinder-Spitales von Dr. Walter J. Freemann 
gebracht, der sie bisher wegen Rhinitis behandelt hatte. Jedes Ohrläppchen 
zeigte einen weichen fluctuirenden Tumor von purpurrother Farbe in der Gegend 
des hinteren Ansatzes des Lobulus — der grössere links hat etwa die Grösse 
einer kleinen Kastanie. Beim Fragen stellte sich heraus, dass die Ohren vor 
4 Wochen durchlöchert wurden, um Ohrringe zu tragen; es hatten sich jedoch 
bis vor 1 Woche keine Beschwerden gezeigt, zu welcher Zeit während eines 
epileptischen Anfalles, an denen Pat. öfters sehr stark leidet, behufs ihres Er- 
weckens aus demselben ein heftiger Zug an den Lobuli oder an den Ringen 
in denselben vorgenommen wurde. Die Geschwülste hatten sich in wenigen 
Stunden schmerzlos gebildet und zeigten keine Veränderung, mit Ausnahme einer 
geringen Abnahme und unregelmässigen Einschrumpfung der Geschwulst auf 
der rechten Seite. Die Stichkanäle für die Ohrringe waren leer, mit Ausnahme 
einer stellenweise vorhandenen leichten Verlegung durch Epidermis-Massen; sie 
zeigten keine Spur einer Entzündung und lagen ganz ausserhalb des Bereiches 
der Schwellung und ohne Zusammenhang mit dieser. Die Geschwulst war ganz 
schmerzlos und bei der Palpation hatte man ein eigenthümlich weichliches 
Gefühl, als ob ihr Jnhalt aus Granulationen bestände. 


Eine wenig schmerzhafte Incision wurde auf beiden Seiten vorgenommen, 
bei der sich dickes Blut ohne irgend welchen Eiter entleerte ; die Höhlen zeigten 
sich theilweise mit Granulationen angefüllt und schienen sich gegen das untere 
Ende des Ohrknorpels abzugrenzen. Jede Höhle wurde vorsichtig ausgekratzt 
und tüchtig mit Jod-Glycerin ausgespült, dann mit Jodoform-Gaze ausgestopft 
und mit einem Druck-Verband bedeckt. Letzterer wurde am nächsten Tage 
durch einen leichten Collodium-Verbard, der einen mässigen Druck ausübte, 
ersetzt — die leicht mit Blut getränkte Jodoform-Gaze wurde nicht gewechselt. 
Nach 2 Tagen wurde diese entfernt und die rechte Höhle heilte rasch aus; 
die linke Höhle eiterte etwas und, da es besser ging, entzog sich Patientin 3 
oder 4 Tage später der weiteren Beobachtung. 


Da sich in der Regel im Lobulus kein Knorpel befindet, so könnte 
man eigentlich nicht an Hämatom oder an Perichondritis in Verbindung 
mit einer Schwellung an dieser Stelle denken und das Aussehen der 
Geschwulst war so, dass wohl Mancher ganz ruhig eingeschnitten hätte, 


26 L. Treitel: Ein Fall von multiplem otitischen Hirnabscess. 


ohne sich über den nicht-eitrigen Character klar zu sein, und dann 
wohl überrascht gewesen wäre, wenn sich nur Blut entleert hätte. 
Sollte diese Methode, Epileptische zu wecken, mehr in Mode kommen, 
so kann man diese Affection wohl noch öfter beobachten; für uns 
handelte es sich nur darum, ihre Möglichkeit zu kennen, die in unserem 
Falle eben dem epileptischen Anfall ihre Entstehung verdankte. 


VI. 


Ein Fall von multiplem otitischen Hirnabscess nebst 
einer Statistik aus dem path.-anat. Institut zu Berlin. 


Von L. Treitel in Berlin. 


Der Redaction zugegangen am 21. Februar 1895. 


Die Frage, wie oft mehrere Hirnabscesse gleichzeitig vorkommen, 
dürfte durch die zwischen Körner!) und Schwartze?) gepflogene 
Replik erneutes Interesse, besonders bei den Ohrenärzten gewonnen 
haben. Es bedarf wohl kaum des Hinweises auf ihre Wichtigkeit, da 
von ihr zum nicht geringen Theil der Ausgang, die Prognose der 
Operation, abhängt. Um so schwerwiegender ist die Differenz zweier 
auf diesem Gebiete so erfahrener Autoren in Bezug auf dieses Moment. 
Während Körner) das gleichzeitige Vorkommen mehrerer Hirnabscesse 
auf wenige Prozent berechnet, giebt Schwarze an, dass es in dem 
kleinsten Theil aller Hirnabscesse der Fall sei. Körner fand unter 62 
Grosshirnabscessen 5 und unter 32 Kleinhirnabscessen 4 Mal mehrere 
zugleich, ausserdem in 6°/,je einen Abscess im Gross- und im Kleinhirn. 
Schwarze führt an, dass unter den 75 Fällen otitischer Hirnabscesse, 
welche in den 36 Bänden des Arch. f. Ohrenh. insgesammt veröffentlicht 
worden sind, 15 multipel waren, während allerdings bei 25 otitischen 
Hirnabscessen, welche im Laufe der Jahre im pathologischen Institut 
der Universität Halle zu verzeichnen waren, nur 2mal noch ein zweiter 
zu finden war. Mir scheint die Differenz zwischen den Angaben der 
beiden Autoren garnicht so bedeutend zu sein. Denn nach Körners 
Angabe waren unter 94 Abscessen 9 multipel im selben Hirntheil und wohl 
ausserdem in 6°/, je ein Abscess in verschiedenen Hirntheilen, das 
sind etwa 16°/,, und wenn man zu den 75 Fällen von Schwarze 


L. Treitel: Ein Fall von multiplem otitischen Hirnabscess. 27 


die 25 des pathologischen Instituts hinzuzählt. so sind es auch nur 17°;,, 
in denen die otitischen Hirnabscesse multipel waren. 


Man hat natürlich für die Entscheidung dieser Frage ausschliess- 
nur die secirten Fälle zu verwerthen. Denn, wenn es auch einige Male 
vorgekommen ist, dass einige Tage nach der Eröffnung eines Hirn- 
abscesses wegen erneuten Auftretens bedrohlicher Erscheinungen ein 
zweiter Einstich ins Gehirn wieder Eiter entleerte, so handelte es sich 
in diesen Fällen sicherlich nur um eine Eiterverhaltung durch einen 
Hirnprolaps, wie in dem von Knapp*) und dem von Truckenbrod’) 
veröffentlichten Falle. In den 25 Bänden der Zeitschr. f. Ohrenh. habe 
ich nur 11 Autopsien an Hirnabscessen im Original geschildert gefunden, 
darunter 5 von Heimann®), je 2 von Moos’) und Truckenbrod®) 
und 1 von Knapp und Rotholz°). In diesen 10 Fällen war 6 mal 
ein doppelter Abscess vorhanden oder nur 5 Mal, wenn man das gleich- 
zeitige Vorkommen eines Kleinhirnabscesses und einer extraduralen Eiter- 
ansammlung in einem Falle von Heimann nicht mitzählen will. Da- 
gegen ist es ausserdem sehr wahrscheinlich, dass in dem ersten Falle 
von Heimann ursprünglich mehrere Abscesse bestanden haben, welche 
später in einen verschmolzen sind, denn sonst wäre die Ausdehnung 
desselben über den Frontal-Temporal- und Occipitallappen unverständlich. 
Wäre dieser Fall in einem früheren Stadium zur Section gekommen, 
so hätte man also auch mehrere Abscesse gefunden. 


Der von mir beobachtete Fall von multiplen Abscessen des Gehirns dürfte 
in mancher Beziehung ein Interesse beanspruchen, und deswegen erlaube ich 
mir, denselben hier zu veröffentlichen: 


Herr S., 22 Jahre alt, consultirte mich am 11. October vorigen Jahres 
auf Veranlassung seines Arztes wegen heftiger Kopfschmerzen, welche ihn bereits 
5 Tage quälten und so heftig waren, dass sie ihm den Schlaf raubten. Da 
sonst keine Ursache derselben zu finden war und Pat, eine alte Mittelohreiterung 
hatte, so dachte der Herr College an die Möglichkeit, dass der Kopfschmerz 
von dem Öhrenleiden hervorgerufen sei. Allerdings secernirte das kranke rechte 
Ohr nach Angabe des Pat. in den letzten Wochen wieder reichlicher, während 
es zeitweise ganz trocken war oder wenig absonderte. Ich fand im rechten 
Gehörgang ein foetides, eitrig-schleimiges Sekret, nach dessen Entfernung sich 
im Hintergrunde eine rote Fläche zeigte, deren Natur ich durch den Einblick 
allein nicht erkennen konnte. Der Versuch einer Paracentese belehrte mich, 
dass sie die hochgerötete Paukenhöhlenschleimheit war. Der Kopfschmerz wird 
weder spontan localisirt, noch ist irgend eine Stelle des Schädels, insbesondere 
auch nicht der Warzenfortsatz, auf Beklopfen besonders empfindlich. Schwindel 
oder Erbrechen sind bis jetzt nicht aufgetreten; weder beim Gehen noch beim 
Stehen mit geschlossenen Augen zeigt sich ein Schwanken. — Die Hörprüfung 


28 L. Treitel: Ein Fall von multiplem otitischen Hirnabscess. 


ergab Taubheit für laute Flüstersprache rechts, während das linke Ohr normal 
hörte. — | 

Wie die Anamnese ergiebt, ist die Ohreiterung bei dem Pat. nach Scharlach 
in der Jugend entstanden, sonst war er stets gesund bis auf die vor wenigen 
Tagen erfolgte Erkrankung, Sein Vater ist vor 2 Jahren an Lungentuberculose 
gestorben; derselbe war Steinmetz. 

Ich wies den Pat., da ich zunächst keinen Anhalt für seine Kopfschmerzen 
fand, an seinen Arzt zurück, wurde aber nach drei Tagen nach seiner Wohnung 
genesen, da er inzwischen bettlägerig geworden war. Seine Kopfschmerzen 
hatten sich noch gesteigert und waren durch keines der üblichen Mittel (Anti- 
pyrin etc.) zu lindern. Schlaf fehlte. Pat. war bei vollem Bewusstsein, klagte 
aber fortwährend über seinen Kopf, Erbrechen war auch jetzt nicht da, hin 
und wieder soll eine leichte Uebelkeit eingetreten sein, ebenso fehlten Schwindel- 
anfälle. Die Untersuchung des rechten Ohres und Schädels ergab dieselben 
Resultate wie drei Tage vorher; die Secretion aus dem Ohre war reichlich. — 
Wir dachten an eine Hirnaffection, aber es fehlte jedes Zeichen, ausser den 
Kopfschmerzen und dem Verhalten des Pulses: die Pupillen waren gleich weit 
und reagirten normal, die Bewegungen der Augenmuskeln, der Gesichts- und 
Extremitätenmuskeln waren ungestört. Die Temperatur morgens 37,5 und abends 
38,3. Der Puls hatte die normale Frequenz (72—76) aber setzte bei jedem 
siebenten aus. Kräftezustand schwach. — Das Bild war an den beiden folgenden 
Tagen unverändert bis auf eine geringe Steifigkeit des Nackens, die sich beim 
Erheben des Kopfes zeigte. Ein am zweiten Tage zugezogener Nervenarzt 
glaubte eine leichte Parese des rechten, also gleichseitigen, Facialisgebietes 
zu bemerken, welche ich aber nicht bestätigen konnte. Sonst fand auch er 
nichts, woraus er eine bestimmte Diagnose construiren konnte; er sah auch den 
Augenhintergrund normal und constatirte, dass die Reflexe prompt eintraten. 
Es wurde nach dem Consilium beschlossen, Pat. nach einem Krankenhaus zu 
bringen, damit sofort operirt werden könnte, falls sich ein Hirnabscess heraus- 
stellte. Pat. wurde daher auf die chirurgische Abtheilung des Krankenhauses der 
hiesigen jüdischen Gemeinde überführt, deren Leiter, Herrn Prof. Jsrael, ich 
die gütige Erlaubniss zur Veröffentlichung des dort beobachteten weiteren Ver- 
laufs und des Sectionsbefundes verdanke. 

Am 16. X., dem Tage der Aufnahme, wurde kurz folgender Status notirt: 
Pat. wird in halb bewusstlosem Zustande aufgenommen und klagt über heftigen 
diffusen Kopfschmerz; übelriechender Ausfluss aus dem rechten Ohre. Puls 75; 
Atmung 20. Temperatur 37,9 Cels., keine ausgesprochene Nackensteifigkeit. Be- 
wegung der Augenlider, der Bulbi, Accommodation, Facialis normal. 

17. X. Pat. ist dauernd soperös, reagirt aber auf Anrufen und nimmt 
gut Nahrung. Puls 70—90 unregelmässig. Atmung 18—20 regelmässig. Kein 
Erbrechen. Pat. klagt immer über Kopfschmerzen und besonders auf der rechten 
Seite; er hält den Kopf ziemlich steif nach hinten, ohne dass Nackensteifigkeit 
ausgesprochen wäre. Die Sprache ist ohne Störung, auch sonst keinerlei 
Herdsymptome. Reflexe normal. 

18. X. Zunehmen des Sopor und starke Nackensteifigkeit. Temperatur 
morgens 37,9. Puls 70. Kein Erbrechen. Der linke Mundwinkel ist herabgesunken, 
die linke Nasalialfalte verstrichen. 


L. Treitel: Ein Fall von multiplem otitischen Hirnabscess. "29 


19. X. Pat. verbringt den grössten Theil des Tages in comatösem Zu- 
stande. Die Facialispares auf der linken Seite ist sehr deutlich. Puls irregulär. 
Urin frei von Zucker. 

20. X. Früh 6 Uhr Exitus im Coma. 


Autopsie, 


Die Section wurde am 22. X. mittags von Herrn Dr. Oestreich, Assistenten 
am pathologischen Institut der Kgl. Charite, ausgeführt. Das diesbezügliche 
Protokoll lautet: 


„Bei der Herausnahme des Gehirns entleert sich aus der unteren Fläche 
des rechtem Temporallappens missfarbener grüner Eiter aus einem in diesem 
Lappen gelegenen Abscess. An der entsprechenden Stelle ist die Dura missfarben 
grünlich; unterhalb der Dura erscheint im Felsenbein, dicht von der oberen 
Kante ein nicht ganz fünfpfennigstück-grosser unregelmässiger Substanzverlust, 
aus dem sich eine jauchige Masse entleert. Man gelangt mit der Sonde durch 
weiche Massen ins Mittelohr.*“ Ferner: „Im hinteren Theile des Temporal- jund 
dem angrenzenden Theil des Occipitallappens findet sich ein apfelgrosser Abscess, 
ausserdem nach hinten anschliessend (im Occipitallappen) mehrere kleinere. 
Sämmtliche Abscesse sind gegen die umgebende Hirnsubstanz durch eine gelb- 
lich grüne Membran abgeschlossen. Die anstossende Hirnsubstanz ist oedematös 
und gelblich. Das rechte Unterhorn und die in ihm liegenden Theile, besonders 
das Ammonshorn sind etwas nach links dislocirt. Sonst findet sich im Gehirn 
nichts. Das kleine Gehirn ist frei.“ 

Aus dem übrigen Sectionsprotokoll sei nur erwähnt, dass die Lungen 
normal waren, während das Herz ein wenig erweitert gefunden wurde. 

Das Felsenbein wurde in der Längsachse der Pyramide durchsägt und 
nachträglich noch einmal von mir untersucht, nachdem es in Spiritus eingelegt 
worden war. Der oben beschriebene Defekt des tegmen tympani führte in 
eine etwa erbsengrosse Höhle, welche besonders auf der medialen Seite von 
grauschwarz verfärbten Knochen in einer Ausdehnung von 1—2 mm umgeben 
ist. Die Höhle umfasst den ganzen Kuppelraum, der durch Fehlen der Gehör- 
knöchelchen vergrössert ist; nur eine dünne Lamelle ist von der oberen Peripherie 
des knöchernen Trommelfellringes erhalten. Das Trommelfell selbst ist ganz 
zerstört und durch ein verfilztes, sehniges Gewebe ersetzt, dass auch das Foramen 
ovale und die Nische des runden Fensters erfüllt. 

Das Labyrinth konnte mikroskopisch nicht untersucht werden ; makroskopisch 
war nichts Pathologisches zu bemerken. 

Der Process. mast. war sclerosirt und enthielt nur wenige Zellen, in denen 
sich etwas Schleim befand. 


Epikrise: Die nachträgliche Betrachtung hat zunächst die Auf- 
gabe, die Frage zu beantworten, ob es nicht möglich war in vivo einen 
Gehirnabscess zu diagnosticiren und dadurch dem Kranken eventuell das 
Leben zu retten. Diese Frage muss leider verneint werden. Die hoch- 
gradigen Kopfschmerzen und die Unregelmässigkeit des Pulses bei grosser 
Prostration der Kräfte führten bald zu der Annahme einer Hirner- 


30 L. Treitel: Ein Fall von multiplem otitischen Hirnabscess. 


krankung und bei dem Vorhandensein einer Mittelohreiterung wurde 
auch von vornherein ein Hirnabscess für am wahrscheinlichsten gehalten. 
Indessen fehlten in den ersten Tagen, bevor Pat. in das Krankenhaus 
überführt wurde, alle Localsymptome, bis auf eine geringe Steifig- 
keit des Nackens: der Kopfschmerz wurde nicht localisirt, der Schädel 
war an keiner Stelle besonders empfindlich, die Augen waren in jeder 
Beziehung normal, die Muskeln des Gesichtes und der Extremitäten 
boten keine Anomalie. Die geringe Temperatursteigerung konnte auch 
keinen Anhaltspunkt liefern. In dieser Zeit war keiner der bekannten 
Hirnprocesse auszuschliessen. Ausser dem Hirnabscess konnte es eine 
tuberculöse Meningitis sein, was etwas für sich hatte, da der Vater des 
Patienten an Tuberculose gestorben ist. Es sind auch einige Fälle, z. B. 
von Moos berichtet, in denen fälschlich ein Hirnabscess angenommen 
und bei der Operation oder Section eine tuberculöse Meningitis gefunden 
wurde; ich habe selbst vor einigen Jahren bei einem Kinde, das nicht 
operirt wurde, in vivo einen Abscess für wahrscheinlich gehalten, bei 
dem post mertom Hirntuberkel festgestellt wurden. Ein Hirntumor war 
sehr unwahrscheinlich, weil Mittelohreiterung und Tumor gleichzeitig 
in diesem Alter bis jetzt nicht gefunden worden und ausserdem ein 
hektisches Fieber bestand, das eher auf eine Eiterung schliessen liess. 
Dagegen liess sich ein extraduraler Abscess nicht mit Sicherheit aus- 
schliessen, wenn auch keine äussere Schwellung am Schädel und keine 
Fistel vorhanden waren; diese ist ja vielfach erst nach breiter Eröffnung 
des Warzenfortsatzes gefunden worden. Für eine Cerebrospinalmeningitis 
war das Sensorium zu wenig benommen und die Nackensteifigkeit zu 
gering, die Temperatur zu niedrig, das Abdomen nicht eingezogen. 
Gegen eine Sinusthrombose sprach das Fehlen von ausgesprochenem 
Schüttelfrost und localer Schwellungen am Halse, doch war sie nicht 
ganz sicher auszuschliessen. 

Im Krankenhause wurden die Symptome deutlicher. Das Sensorium 
wurde benommen, die Nackensteifigkeit stärker und zwei Tage vor dem 
Tode trat auf der gekreuzten Seite eine Facialislähmung auf. Ein 
Hirnabscess war jetzt mit grosser Wahrscheinlichkeit im rechten Schläfen- 
lappen anzunehmen, aber die Nackensteifigkeit wies auf eine compli- 
cirende Meningitis, und die Operation unterblieb. Der Patient starb. 

Die Section hat gelehrt, dass dieses Symptom irre geführt hat und 
darum sei dasselbe etwas ausführlicher berücksichtigt. Denn die Ver- 
dickung und Verfärbung der Dura über dem perforirten Tegmen tympani 
war auf einen abgelaufenen oder zum wenigsten chronischen Process zurück- 


L. Treitel: Ein Fall von multiplem otitischen Hirnabscess. 3l 


zuführen. Nach Körners Angabe spricht eine Nackensteifigkeit, wofern 
man einen Abscess und keine Meningitis annehmen zu müssen glaubt, 
für einen Kleinhirnabscess. Dieser Fall zeig,” dass seine Annahme 
nicht zutrifft. Umgekehrt kann eine basale Meningitis bestehen, ohne 
dass Nackensteifigkeit intritt, wie in dem Falle von Truckenbrodt, 
in dem die Section ein eitriges Exsudat an der Basis, am stärksten 
am Chimasma nerv. opt. und am linken Oculomoterius, finden liess, 
ohne dass in vivo Nackensteifigkeit bestanden hätte. Nach alledem dürfte 
der Nackensteifigkeit bei der Diagnose der Hirnabscesse kein zuver-. 
lässiger diagnostischer Werth beizumessen sein. 

Auch nicht ganz zuverlässig für die Localdiagnose ist das alleinige 
Auftreten einer Facialislähmung zu verwerthen. In der Regel ist die 
gekreuzte Parese des Facialis oder ein Krampf desselben ein Zeichen 
eines Temporalabscesses der ohrkranken Seite infolge der Fernwirkung 
auf die innere Kapsel. Sie kann aber auch durch Fernwirkung auf die 
Brücke von Seiten eines Kleinhirnabscesses hervorgerufen werden, und 
daran konnte man in diesem Falle bei dem gleichzeitigen Vorhandensein 
der Nackenstarre denken. Auch Abscesse im Pons machen Faclalis- 
lähmung auf derselben oder auf der gekreuzten Seite und man hätte 
z. B. in dem Falle von v. Bergmann ?!°), in welchem Parese des linken 
Armes und Beines und Zuckungen im rechten Facialis bestanden, eine 
solche annehmen müssen, wenn nicht bei Beklopfen des Schädels die 
rechte Temporalgegend am meisten schmerzempfindlich gewesen wäre. 
Die Operation entleerte mit gutem Erfolg einen Abscess des Schläfen- 
lappens. Dennoch scheint mir in diesem Falle die Motivirung v.. 
Bergmanns nicht ganz zutreffend, »dass sich aus der rechtsseitigen 
Facialislähmung für die Abscessdiagnose nichts gewinnen liess. Der 
Nerv verläuft mitten durch die eiternde Partie.« Da nur die unteren 
Aeste des Facialisgebietes zuckten, so konnte die Affection des Nerven 
nicht im Knochen liegen. Wenn daher andere Localsymptome wie 
Schmerzhaftigkeit des Knochens auf derselben Seite, Hemianopsie etc. 
fehlen, so ist man nicht berechtigt, aus den allgemeinen Hirndruck- 
symptomen und einer gekreuzten Facialislähmung auf einen Temporal- 
abscess sicher zu schliessen. Wenn man sich dennoch zu einem operativen 
Eingriff entschliesst, so wird man nicht enttäuscht sein dürfen, an der 
erwarteten Stelle keinen Eiter zu finden. Im Allgemeinen dürfte das 
Berücksichtigen aller Symptome eine Localdiagnose öfter ermöglichen ; 
aber man sieht, dass auf das einzelne Symptom kein unbedingter Werth 
zu legen ist. 


32 L. Treitel: Ein Fall von multiplem otitischen Hirnabscess. 


In meinem Falle hätte, wie die Section zeigte, selbst wenn es möglich 
gewesen wäre, einen Temporalabscess zu diagnosticiren, die Operation 
nichts genützt, sondern nur die Qualen des Patienten verlängert. Denn 
wider Erwarten fanden sich nicht nur zwei grössere, sondern auch 
mehrere kleinere Abscesse. Letztere zeigen, dass ein Hirnabscess sich 
sich sowohl durch eignes Wachsthum, als auch durch Verschmelzung 
mehrerer Abscesse vergrössern kann. Es ist mir kein Fall aus der 
Literatur bekannt, wo sich in der Peripherie eines grossen Abscesses 
in der beschriebenen Art mehrere kleinere fanden. Diese dürften durch 
Fortpflanzung auf dem I,ymphwege entstanden sein. Die Entstehung 
des primären Temporalabscesses ist in diesem Falle ganz klar: die Caries 
des Kuppelraums bat erst das Tegmen tympani nekrotisch gemacht und 
gleichzeitig oder im Anschluss daran eine locale Meningitis erzeugt, 
welche den angrenzenden Schläfenlappen inficirte. Dieser Zusammenhang 
oder vielmehr die Entstehung ist ja recht häufig, sie sollte uns aber 
gerade ermahnen, mit der Sondirung des Kuppelraumes recht 
vorsichtig zu sein. 


Anhang. 


Statistik aus dem pathologisch-anatomischen Institut 
zu Berlin. 


Mit gütiger Erlaubniss des Herrn Geheimrath Virchow habe 
ich mehrere Jahrgänge der Sectionsprotocolle der Kgl. Charit& aut die 
Häufigkeit und eventuelle Multiplicität der otitischen Hirnabscesse durch- 
gesehen. Im ganzen fanden sich unter ca. 6000 Sectionen 21 Hirn- 
abscesse, davon 


waren 7 infolge von Ohrleiden, 
14 aus andern Ursachen entstanden. 


Die otitischen Hirnabscesse machen aber gerade den dritten Theil 
aller Hirnabscesse aus, ein Verhältniss, wie es auch Pitt°) unter 9000 
Sectionen gefunden hat. 


Unter den 7 otitischen Hirnabscessen war nur einmal noch ein 
zweiter vorhanden, aber es darf nicht unerwähnt bleiben, dass derselbe 
in der dem kranken Ohre entgegengesetzten Grosshirnhälfte lag und 
sich bei einer im vierten Monat der Gravidität befindlichen Frau 
zeigte. Es kann in diesem Falle zweifelhaft sein, ob der Abscess 
durch das Ohrleiden hervorgerufen worden ist. Ausserdem verdient 
andererseits hervorgehoben zu werden, dass ein Temporalabscess weit 
verzweigt war, so dass es wahrscheinlich ist, dass er aus mehreren ent- 


L. Treitel: Ein Fall von multiplem otitischen Hirnabscess. 83 


standen ist. — Von den 7 otitischen Hirnabscessen sassen 4 im Grosshirn 
(im Temporo-Occipitalgebiet) und 3 im Kleinhirn; sie betrafen alle er- 
wachsene Personen, wenn auch in dem einen Falle das Alter nicht aus- 
drücklich angegeben ist. Uncomplicirt war nur ein Kleinhirnabscess, 
in allen anderen bestanden eine oder mehrere Complicationen. Zwei 
Mal war der Abscess in den dritten Ventrikel durchgebrochen, drei 
Mal war daneben eitrige Thrombophlebitis und 5 Mal Meningitis vor- 
handen. Diese Befunde dürfen nicht wunderbar erscheinen, da es doch 
Fälle sind, in denen der Hirnabscess zum Tode geführt hat; es ist 
nicht ausgeschlossen, dass er vorher zu einer Zeit uncomplieirt war. 
Aber für die Fälle, welche erst spät zur Beobachtung kommen, ist es 
von grosser Bedeutung, zu wissen, dass die Hirnabscesse meist mit einer 
anderen Hirnaffection complicirt und dass auch aus diesem Grunde die 
Chancen einer Operation zweifelhaft sind. 


Unter den 14 Abscessen, die aus anderen zum Theil unbekannten 
Ursachen entstanden waren, waren 5 multipel. Einige waren ohne Zweifel 
‚auf pyämische Embolieen zurückzuführen (3), in einem Falle fanden sich 
sehr zahlreiche kleine Abscesse an der Hirnoberfläche im Anschluss 
an Influenza. Ein besonderes Interesse dürften 2 Fälle haben, in 
denen eine Stirnhöhleneiterung einen Frontalabscess erzeugt hatte. 
Bei dieser Gelegenheit sei noch erwähnt, dass in einem andern Falle 
eine Stirnhöhleneiterung zu Meningitis und zur subduralen Eiteran- 
sammlung geführt hatte. 


Die Gelegenheit der Durchsicht der Journale benutzte ich gleich- 
zeitig dazu, die Anzahl der Todesfälle festzustellen, welche mit einem 
Ohrenleiden in causalem Connex standen. Unter ca. 4800. Fällen war 
dies 19mal der Fall, und zwar: 


war 5mal eine Thrombophlebitis purulenta zu constatiren, 
(ohne Complication). 
T „ Arachnitis purulenta allein. 
u. 2% „ Arachnitis pur. und Pyocephalus int. 


Bemerkenswerth ist, dass in einem Falle von Meningitis sich an 
eine acute Mittelohrentzündung ausgeschlossen hatte. In 2 Fällen 
ist sehr zweifelhaft, ob das Ohrleiden und nicht viehnehr eine Lungen- 
phthise zum Tode geführt hat und bei einem 7 Monate alten Kinde, das 
nach der Aufmeisselung des Warzenfortsatzes gestorben war, fand sich 
nichts Pathologisches im Gehirn, sondern eine doppelseitige Broncho- 
pneumonie. Ich wage daher nicht, nach diesen Zahlen einen bestimmten 

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXVII. 3 


34 L. Treitel: Ein Fall von multiplem otitischen Hirnabscess. 


Prozentsatz der durch Ohreiterung verursachten Todesfälle zu den ge- 
samınten Sectionen anzugeben; im übrigen dürfte eine solche überhaupt 
wenig Werth haben. 


Literatur- Verzeichniss. 


. Körner. Arch. f. Ohrenheilk. Bd. XXXVII. 

. Schwartze: Ebenda. 

. Körner: Die otitischen Erkrankungen des Hirns, 1894. 

. Knapp: Zeitschr. f. Ohrenheilk., Bd. XXIV. 

. Truckenbrod: Ebenda, Bd. XV. 

. Heimann: Ebenda, Bd. XXIII. 

Moos: Ebenda, Bd. XX u. XXIV. 

. Truckenbrod: Ebenda, Bd. XXI. 

. Rothholz: Ebenda, Bd. XIV. 

v. Bergmann: Die chirurgische Behandlung von Hirnkrankheiten, 1889. 
(2. Auflage.) 


oO 19T POmD m 


jmd 


Bericht 


über die 


Leistungen und Fortsehritte 


der 


Pathologie und Therapie im Gebiete der Krankheiten 
des Gehörorganes und der Nase 


in der zweiten Hälfte des Jahres 1894. 


Zusammengestellt von Dr. Arthur Hartmann in Berlin. 
eg 


Allgemeines. 


. Bürkner, Prof. Bericht über die in den beiden Etatsjahren 1892/93 


und 1893/94 in der Poliklinik für Ohrenkrankheiten zu Göttingen beob- 
achteten Krankheitsfälle. Archiv für Ohrenheilk., 37. Bd., S. 17. 


. Haug, Priv.-Docent. Allerlei Casuistisches aus der Öhrenabtheilung der 


chirurg. Poliklinik zu München. Münch. med. Wochenschrift Nr. 34 ete. 
1894. 


. Randall, B. Alex. Statistische Studien über das Foramen Rivini und die 


Achse des äusseren Gehörgangs in ihrer Beziehung zur intratympanalen 
Chirurgie. Transact. amer. otol. Soc., Bd. VI, 1894. 


. Randall, B. Alex. Behandlung von Ohrenerkrankungen durch den praktisch. 


Arzt. Philadelphia Poliklinik 27. Oct. 1894. 


. Pliques. L/electricit€e en otologie. Annales des mal. de T’oreille etc. 


IX, 1894. 


. Schmidt, W. Ueber die Betheiligung des Felsenbeines besonders des 


Ohres bei Basisfracturen. Dissert. Marburg 1894. 


. Baron, B. J. Four cases of labyrinthine disease treated by injections of 


pilocarpine. Brit. med. Journ. 1. Dec. 1894. 


. Gradenigo, G. La sclerosi auricolare quale affezione parasifilitica nella 


sifilide ereditaria tarda. Archivio ital. d’otologia etc., fasc. 4. 1894. 


. Witters, Oliver. Öhrschwindel. Brit. med. Journ. 22, Juni 1894. 
. Burnett, Char. H. Chronischer Trommelhöhlenschwindel und seine Heilung 


durch chirurgische Freimachung des Steigbügels. Trans. americ. otol. 
Soc., Bd. VI, 1894. | 
gr 


36 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


11. Szenes. Ueber zwei geheilte Fälle von Taubheit. Arch. f. Ohrenheilk. 
Bd. XXXVII, S. 234. 


12. Avoledo. Le malattie dell’orcecchio negli allievi delle scuole elementari. 
Arch. ital. di Otol. 1894, S. 13. 


13. Benedikt, Prof. Zur Frage der Hörübungen bei Taubstummen u. Tauben. 
Berl. klin. Wochenschr., No. 31, 1894. 


14. Robertson, W. Deaf Mutism. An examination of the inmates of the 
northern counties constitution for the deaf and dumb. Lancet 8. Sept. 1894. 


15. Hubbard, W. H. Taubstummheit. Leisure Home, Juli 1894. 


1) Bei Eiterungen der Paukenhöhle wurde Kresolum purum lique- 
factum (Nördlinger) statt Creolin angewandt, das eine klare Lösung giebt, 
wenig reizt und bezüglich der chemischen Reinheit und antiseptischen 
Wirkung dem Creolin überlegen ist. Die von Katz empfohlene Chrom- 
säurelösung wurde oftmals probirt und wirksam gefunden, musste aber 
nicht selten, ebenso wie das Jodtrichlorid, wegen allzu heftiger Irritation 
bei Seite gelassen werden. Rumler (Berlin). 


2) Haug bringt eine Serie von casuistischen Mittheilungen, 
die speciell für den Allgemeinpractiker berechnet sind. An die aus- 
führliche Beschreibung der einzelnen Fälle werden jeweils practische 
Bemerkungen geknüpft. Den Anfang bildet I. Ein Fall von Fremd- 
körper im Ohr: Eine Glasperle ist durch Extractionsversuche von un- 
geübter Hand in die Paukenhöhle gestossen worden; Entfernung in, 
Narkose mittelst schmalen Löffelchens, worauf Fieber und Erbrechen, 
die vorher bestanden hatten, aufhörten, ebenso nach kurzer Zeit 
eine consecutive Otorrhoe. II. Fractur des Gehörgangs, Rupturirung 
des Trommelfells durch Sturz auf den Unterkiefer: Intensive Blutung 
aus dem Ohr; die vordere Gehörgangswand schief durchrissen, die 
Wundränder an einander verschoben, bei Kieferbewegungen deutliche 
Crepitation. Der Riss setzte sich fort von der v. u. Gehörgangswand 
über Limbus und Trommelfell zum Hammergriff und noch eine Strecke 
entlang desselben, ein zweiter Riss im h. o. Quadranten — wohl durch 
Contrecoup entstanden — setzt sich in die h. o. Gehörgangswand fort. 
Heilung p. pr. int. II. Eine Zecke, Ixodes ricinus, im Gehörgang: 
Bei einem Handwerksburschen, der Tags zuvor im Wald geschlafen hatte. 
Nach Eingiessen von Sublimatlösung mit der Pincette extrahirt. IV. 
Lähmung der Chorda tymp. durch Einträufeln von Carbolglycerin. Totale 
einseitige Geschmackslähmung: Bei der 2. Einträufelung von 10°/,igem 
Carbolgl. wegen Otitis med. ac. sin. ohne nachweisbare Perforation oder 
Exsudatbildung plötzlich Brennen, Priekeln, süsslicher Geschmack auf 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 37 


der l. Zungenhälfte, nach !/, Stunde in Pelzigsein übergehend. Trotz- 
dem sich die Ohrerscheinungen rasch besserten, ist die totale einseitige 
Geschmackslähmung andauernd. V. Emphysem des Trommelfells und 
Luftgeschwulst der Regio mast: Nach einmaliger Luftdouche (ca. !/, 
Atmosph.) das auffallend dünne 1. Trommelfell ecchimosirt, auf den oberen 
Partieen sammt Membr. Shrap. stecknadelkopf- bis linsengrosse Blasen, 
gleichzeitig Luftgeschwulst auf dem Proc. mast. bis Eigrösse anwachsend. 
VI. Syphilitischer Primäraffeet des pharyngealen Tubenostiums därch 
Katheterismus: Primärer Schanker am Ostium durch Rhinoskop. post. 
festzustellen. VII. Perichondritis auriculare, geheilt durch einfache wieder- 
holte Punctionsaspiration. VIII. Acute eitrige Paukenhöhlenentzündung 
mit Empyem des Warzenfortsatzes im directen Anschluss an eine un- 
vorsichtig ausgeführte Nasendouche. Typischer Fall. 
Müller (Stuttgart). 

3) Randall fast seine Resultate dahin zusammen: »In der ver- 
tikalen Ebene verläuft der Kanal in dieser Serie immer nach oben, 
(wenn man nicht die Neigung nach unten seines innersten Theiles un- 
gebührlich in Betracht zieht), wobei der Winkel zwischen 5° und 17° 
schwankt. Mehr als ein Drittel der Fälle (rechts 36, links 39) zeigten 
eine Inclination von 10°, und der Winkel oberhalb und unterhalb der- 
selben war an Zahl und Grad ungefähr gleich, was einen Durchschnitt 
von 11,37° für Rechts und von 10,9° für Links giebt. Unterschiede 
zwischen beiden Seiten waren selten ausgesprochen, wobei das Maximum 
von 4° Rechts, oder 5° Links als Ausnahme bestand. Dies stimmt 
mit meinen früheren Befunden überein, welche bei dieser Messung 
ziemlich genau waren. — In der Horizontalebene war das Resultat fast 
ganz ähnlich. Eine Inclination nach vorn von 10° wurde fast ebenso 
häufig gefunden (31 Rechts, 30 Links) und die Durchschnitte waren 
9,99° resp. 8,94°. Ein Unterschied zwischen beiden Seiten bestand 
weniger selten, aber überschritt niemals 7°, und doch waren die 
Schwankungsgrenzen in verschiedenen Schädeln viel weiter, indem sie 
vom Maximum von 20° nicht nur bis zum Nullpunkt reichten, sondern, 
in einem Schädel wenigstens, eine rückwärts geneigte Inclination von 
2° ergeben. 

Bezüglich der Sichtbarkeit und Erreichbarkeit des Steigbügels und 
ovalen Fensters, fand Randall in hundert Fällen, dass der Steigbügel 
vierzig Mal vorhanden, neun Mal frei zu sehen, zwanzig Mal durch eine 
mehr oder weniger versperrende Lage des Annulus und neun Mal ganz 
versteckt war. 


38 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


In den übrigen ein hundert und sechzig Fällen war das leere ovale 
Fenster 4 mal (14°/,) frei sichtbar, 13 mal (45°/,) theilweise sichtbar, 
und 12 mal (41°/,) versteckt bei den mit weniger als 10° Inclination 
aufweisenden Fällen, während es, in denen mit mehr als 10°, 26mal 
(39°/,) frei zu sehen, 34mal (48°/,) theilweise sichtbar und 9mal 
(13°/,) ganz verborgen war. Der Verf. schliesst daraus, dass die 
Neigung des Gehörgangs nach vorn zwar nicht ohne Einfluss ist, dass 
aber die Sichtbarkeit und Zugänglichkeit der Steigbügelgegend durch den 
Horizontalkanal am geringsten, durch den am meisten nach oben steigenden 
Kanal am grösten sei. 

Mit Bezug auf die Anwesenheit des Foramen Rivini fand der 
Verf., dass unter einer Gesammtzahl von 260 Trommelfellen, 65 mit 
dem Foramen (-+ 25 zweifelhaften Fällen) oder genau 25 °/, bestanden. 
Unter 47 Kindern im Alter von nicht über 14 Jahren, war das Foramen 
auf beiden Seiten nur bei zweien vorhanden: rechts in 3 und links 
in 2; in Allem, 9 Fälle (-3?) unter 94 Trommelfellen. 

Ä G. Bacon. 

4) Randall räth dem practischen Arzt der Behandlung der Nase 
und der Choanen mit dem Spray und alkalischen Lösungen seine Auf- 
 merksamkeit zuzuwenden. Nachher soll man 2°/,iges Jodglycerin ver- 
mittelst Wattebäuschchen dem Rachendach einpinseln. In manchen Fällen 
soll man einen Albolinspray mit 2 bis 5°/,igem Mentholkampfer ge- 
brauchen und die Nasenhöhle mit Calomel einstäuben. Der äussere Gehör- 
gang sollte durch Ausspritzen gründlich gereinigt werden, wobei in manchen 
Fällen Wasserstoffsuperoxyd nothwendig ist. Einblasung von Borsäure- 
pulver ist in eitrigen Fällen anzurathen, Luftmassage und Politzer’s 
Verfahren in katarrhalischen Fällen und Einreibung mit gelber Queck- 
silbersalbe bei Furunkeln und Ekzem des äusseren Gehörgangs. 

G. Bacon. 

5) I. Experimentelle Haupt-Grundsätze: 1. Normale 
Erregbarkeit des Nerven. Schwierigkeiten der Untersuchung, die sich 
aus der tiefen Lage des Nerven, aus der Nachbarschaft des Facialis 
und aus den Centralorganen ergeben. Der continuirliche Strom ist allein 
verwendbar, das Erb’sche Verfahren das beste, die nothwendige Stärke 
um eine Gehörreaction hervorzurufen 4—6 milliampere. 2. Veränderte 
Erregbarkeit. a) Vermehrte pathologische Erregbarkeit, Trommelfell- 
perforation, Labyrinthaffection ; b) qualitativ veränderte schwere Labrinth- 
affection; c) paradoxe. Die Gehörsempfindung kommt auf dem Ohre, 
wo keine Electrode applicirt ist, zu Stande, ferner inverse Reaction — 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. | 39 


ohne diagnostischen Werth. d) Verminderte Erregbarkeit bei Labyrinth- 
affectionen mit Geräuschen bei Neuritis des Acusticus; e) diagnostischer 
Werth der anormalen Reaction. Die vermehrte Erregbarkeit entspricht 
einer Hyperämie des Laabyrinths und nicht einer entfernter gelegenen 
Entzündung, oft coincidirt sie mit einer Neuroretinitis bei Tumor oder 
Gehirnverletzung. f) Einfluss auf den Nerv. acust. Der Strom vermehrt 
allmählich seine Erregbarkeit, und die elektr. Erschütterungen sind der 
Function schädlich. g) Verlust des galvanischen Schwindels bei ‘den 
Taubstummen; h) die Geräusche vermehren sich im Beginn der Strom- 
anwendung, werden durch die Unterbrechung vermindert. 

I. Arten der Electrisirung: a) Der constante Strom. Der 
wirksame Pol ist der positive; der negative ist schädlich. Langsam 
zunehmende Steigung eines schwachen Stroms ohne Stösse und Strom- 
wendung. b) Der unterbrochene Strom ist nützlich um die Gehör- 
knöchelchen zu mobilisiren. Die Electrode in Salzwasser getaucht, den 
Gehörgang ausfüllend. Unangenehme Reflexerscheinungen. c) Statische 
Electrieität, Funken und electrische Bäder wenig gebraucht; oberfläch- 
liche Wirkung. | 

III. Therapeutische Anwendung. 1. Geräusche. Schwache 
constante Ströme ohne brüske Wendungen. Anwendung des Gell&’schen 
Metallpinsels. Besserung nicht constant; zuweilen Verschlimmerung. 
2. Otalgieen. Nützlich bei neuralgischen Schmerzen, continuirlicher 
Strom combiniert mit Cocainanästhesie (Massini). 3. Meniere’sche 
Krankheit. Schwache, vorsichtige Ströme zu überwachen (Politzer). 
4. Trommelfelltrübungen, sehr mässige Wirkung. 5. Ankylose der 
Gehörknöchelchenkette, besonders Funken und bei unvollständiger An- 
kylose. 6. Taubheit. Nicht bei labyrinthöser Taubheit; Faradisation 
bei hysterischer Taubheit. Ripault. 

6) Ausser 69 in der Literatur niedergelegten Fällen, über die 
Schmidt theilweise auch kurz berichtet, hat er aus der Marburger 
Poliklinik 10 weitere zusammengestellt. Das Ergebniss ist wieder, 
dass man aus den äusseren Erscheinungen im Ohr und den functionellen 
Störungen keine sichere Schlüsse auf den anatomischen Sitz, die Schwere 
oder den Verlauf der Fraktur ziehen kann. Die Art der Gehörsherab- 
setzungen lässt oft auf eine Läsion des mittleren Ohrs, oft des inneren 
Ohrs meist auf eine Combination beider schliessen. Subjective Geräusche 
stehen sehr im Vordergrund, zuweilen auch auf der nicht affıcirten 
Seite. Gleichgewichts- und Schwindelerscheinungen fehlen selten, doch 
lässt Verf. unentschieden, ob sie nicht indirect durch die Schwere der 


40 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


Schädelverletzung an sich bedingt sind. Facialislähmungen fanden sich 
unter 79 Fällen 44 mal. Zimmermann (Dresden). 


7) Von den 4 Fällen, über welche Bacon berichtet, erhielten zwei 
30 und zwei 40 Injectionen. Die Resultate waren ungenügend. Zwei 
Fülle wurden in keiner Weise gebessert. Im dritten Falle trat Schwindel 
und Erbrechen nach den ersten Injectionen ein, aber es konnte etwas 
Hörverbesserung wenige Monate nach Aufhören der Injectionen beobachtet 
werden. Im vierten und am meisten befriedigenden Falle wurde das 
Hören und der Schwindel gebessert, das Ohrensausen blieb bestehen. 
Bacon glaubt, dass die Pilocarpinbehandlung gerechtfertigt ist als letztes 
Mittel in hoffnungslosen Fällen von Erkrankung des innern Ohrs. 


8) Die Erkrankung betrifft vorwiegend den Schallleitungapparat, 
bisweilen den Perceptionsapparat. Die Ohrerkrankung kann die einzige 
Erscheinung der Diathese sein, dann kann die Diagnose gestellt werden, 
durch Beweise, welche von den Eltern oder von den Geschwistern ent- 
nommen werden. Häufig sind Erscheinungen von Seiten der Zähne 
oder eine Keratitis vorhanden. Ungünstige Prognose. Gradenigo. 


9) Mit Beziehung auf die Artikel und Briefe von Stephen 
Mackenzie, Sir William Dalby u. A., welche kürzlich die Auf- 
merksanıkeit auf den „Ohrenschwindel® gelenkt hatten, befürwortet 
Withers die Venäsectionen in denjenigen Fällen, in welchen der 
Schwindel offenbar durch vermehrte arterielle Spannung hervorgerufen 
wird und ein Symptom drohender Apoplexie ist. Withers berichtet 
über einige auffallende Besonderheiten in einem Falle, in welchem prompte 
Venäsection von unmittelbarem Erfolg begleitet war. Silk. 

10) Burnett giebt denjenigen Fällen von chronischem Mittelohr- 
katarrh den Namen von chronischem Paukenschwindel, in welchem 
Schwindel von chronischem Charakter zum bereits vorhandenen Ohren- 
sausen und zur Taubheit hinzugetreten ist. Er glaubt, dass das beste 
Mittel zur Erleichterung dieses störenden Symptoms in der Entfernung 
des Ambosses besteht und er berichtet zur Stütze dieser Theorie über 
eine Reihe von Fällen. G. Bacon. 


11) Bei einem Kinde trat 2 Wochen vor der Untersuchung durch 
Szenes Schmerz in beiden Ohren auf, dann Eiterung, welche zwei 
Tage anhielt. Trotz Luftdouche, die kein Exsudat erkennen liess, Ver- 
schlechterung des Gehöres in der Weise, dass die Besserung nach der 
Luftdouche immer kürzere Zeit anhielt. Nach 4 Wochen wurde die 
Uhr weder am Ohr noch durch Knochenleitung gehört, ebensowenig die 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 41 


Stimmgabel. Szenes machte dann 7 Pilocarpininjectionen zu 1 Cgrm. 
darauf stellte sich mit Knacken das Gehör ein und blieb ohne Ver- 
minderung. 

Szenes hält die Wirkung des Pilocarpins in diesem Falle für er- 
wiesen. Als Gegenstück führt Szenes einen Fall an, wo es sich ebenfalls 
um die Wiederkehr des Gehörvermögens handelt, jedoch ohne jedwelchen . 
therapeutischen Eingriff. Ein Mann von 60 Jahren, der an Atheromatose 
litt, wurde plötzlich taub auf dem linken Ohre, gleichzeitig Schwindel, 
Brechreiz. Bei Anwendung von absoluter Ruhe nach 36 Stunden Wieder- 
kehr des Gehörs, noch 10 Tage lang Kopfschwindel. Rumler. 

12) Avolldo giebt eine interessante Statistik über seine Unter- 
suchungen von Elementarschülern und bestätigt die bisherigen Erfahrungen 
bezüglich der Häufigkeit von Ohrkrankheiten. Gradenigo. _ 

13) Benedikt giebt eine Erklärung der von Urbantschitsch 
neuerdings mitgetheilten Erfahrung, dass Taubstumme durch methodische 
Hör-Uebungen eine Besserung des Gehörs erlangen können, an der Hand 
seiner „Nervenpathologie.* Eine Besserung käme fast nur vor bei 
Kindern, da diese ein ausgebildetes Auffassungsvermögen noch besitzen, 
das den Erwachsenen fehle. Oft sei bei Kindern dadurch eine Besserung 
zu erklären, dass die Kinder wohl noch hörten, es aber schwer sei, 
dies nachzuweisen. Dann ist es unzweifelhaft, dass der Acusticus mehrere 
centrale Wurzeln hat, die selbstständig erkranken, so dass ein Kind 
wohl noch Geräusch aber keine artikulirten Laute wahrnimmt. Hierbei 
kann die Erziehung durch Vorsprechen Besserung erzielen. 

Rumler. 

14) Robertson kommt in seiner mit 14 statistischen Tabellen 
versehenen Arbeit zu folgenden Anschauungen: 1) Scharlach und Nieren- 
krankheiten sind die häufigsten Ursachen von Taubstummheit. 2) In 
der Mehrheit der Fälle von Scharlachficber ist die Taubstummheit durch 
Erkrankung des inneren Ohres verursacht. 3) Cerebro-spinalmeningitis 
ist die häufigste Ursache der cerebralen Taubstummheit. 4) In der 
Mehrheit der Fälle entsteht die Taubstummheit vor dem Ende des dritten 
Jahres. 5) Ein sehr grosser Prozentsatz von Taubstummen haben normales 
Mittelohr. 6) Katarrh und Hyperplasie der dem Ohr benachbarten 
Schleimhäute bestehen bei einer abnorm grossen Anzahl von Fällen. 
7) Fälle von totaler Taubheit sind häufiger unter der erworbenen als 
unter der angeborenen Taubstummheit. Mehr als die Hälfte aller Taub- 
stummen sind ganz taub. 8) Vererbung und Blutverwandtschaft der 
Eltern spielen eine grosse Rolle bei der Entstehung der Taubstummiheit. 


42 | Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


15) Der Artikel ist für die „Leisure Home“ in Brochürenform ver- 
öffentlicht und die darin angegebene Statistik ist auch für alle Ohren- 
ärzte von grossem Interesse. Nach der neuesten Volkszählung hat sich 
das Verhältniss von Taubstummen zur Gesammtbevölkerung verringert. 
Im Jahre 1851 war es 1:1738, im Jahre 1891 1:2043. Unter den 
Juden erscheint das Verhältniss eher grösser zu sein als gewöhnlich, 
wahrscheinlich als Ergebniss von Erblichkeit und Verwandtschaftsheiraten. 

Silk. 


Instrumente und Untersuchungsmethoden. 


16) Bergeat, Hugo, Dr., München. Gummihütchen als Ueberansatz beim 
Politzer’schen Verfahren. Monatsschr. f. Ohrenheilk. No. 1894. 

17. Cheatle, Arthur. Auskultationsröhre für das Ohr. Brit. med. Journ. 
22. Sept. 1894, Lund, Manchester. 

18. Macdonald, Greville, Dr. Universal nasal snare. Lancet, 1. Dez. 1894. 

19. Keimer, Düsseldorf. Ein neuer Griff für galvanokaustische Schlingen. 
Arch. f. Laryngol. etc. Bd. I, H. 1. 

20. Avellis, Frankfurt a. M. Beschreibung eines Taschenbestecks für Hals-, 
Nasen- und Ohrenärzte und eines veränderten Kehlkopfspiegels. Ibid. 
Bd. I, H. 1. 

21. Corradi, Cateterismo alle insufflazioni d’aria del canale naso-lacrymale 
della via del naso etc. Rivista veneta di Sc. mediche 1894. Fasc. 3. 

22. Wagner, Henry Lewis. Der Werth der Antroskopie. Journ. americ. 
med. Assoc. 29. Sept. 1894. 

23. De Rossi. Sopra alcuni esperimenti di Miringografia e su un nuovo me- 
todo di massagio dell’orrechio medio. Archivio ital. diotol. 1394. 8.281. 

24. Schwabach, Dr. Ueber den diagnostischen Werth der Stimmgabel- 
prüfungen auf Grund einer Beobachtung von Tumor der Schädelbasis. 
Berl. klin. Wochenschr. Nr. 43. 1894. 

25. Gradenigo. Rapporto, tra la distanza per la voce afonea e l’orologio. qual 
criterio diagnostico nelle malattie del’orrehio. Giornale della R. Accad. 
di Medic. di Torino, fasc. 4 und 5. 1894. 

26. Boyel. Stanley. Ein Tonsillotom. Brit. med. Journal 16. Juni 1894. 


27. Kelly, A. Brown, Glasgow. Ein Locheisen (Punch) der Mandel. Lancet, 
7. Juli 1894. 


16) Hat die Form eines Cylinderhütchens und wird über den 
Ballonansatz gezogen, so dass die breite Krämpe gegen den Ballon ge- 
richtet ist, um die Beschmutzung desselben zu vermeiden. 

Killian (Freiburg). 

17) Cheatle beschreibt einen Apparat, der im Wesentlichen aus 
zwei leichten Metallfedern besteht, von denen die eine über den Scheitel 
des Arztes in einer Ebene mit dem äussern Gehörgang, und die andre 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 43 


ebenso dem Patienten angelegt wird. Am Ende der Feder, ganz nahe 
dem Gehörgange, befindet sich eine kleine Oeffnung, in welche ein Holz- 
oder Knochenansatz hineinpasst. Derselhe verbindet sich durch eine 
Gummiröhre mit dem entsprechenden Ansatz der andern Feder. 


18) Bei dem von Macdonald empfohlenen Nasenschlingenschnürer 
braucht der Draht nicht vollständig in die Röhre zurückgezogen zu 
werden und bricht dadurch weniger leicht. Ausserdem kann durch 
eine besondere Vorrichtung die gefasste Geschwulst abgedreht ‚werden. 


19) Keimer hat sich unter Zugrundelegung des Hartmann ’schen 
Schlingenschnürers einen galvanokaustischen Schlingengriff construirt, 
dessen Vortheile er hervorhebt. Originell ist der Contact, der durch 
Vorwärtsbewegung eines am Daumenringe befestigten Schlittens bewirkt 
wird. Lieferant: Blänsdorf’s Nachfolger in Frankfurt a. M. 

Zarniko. 


20) Der Kehlkopfspiegel von Avellis ist zerlegbar. Den eigent- 
lichen Spiegel führt der Patient im Portemonnaie bei sich, den Stiel 
der Arzt in seinem Besteck. Die Verbindung geschieht dadurch, dass 
ein auf die Fassung des Spiegels gelötetes Knöpfchen in einen dreieckigen 
Schlitz des Stiels fest eingeschoben wird. Kehlkopfspiegel von Glas 
lassen sich nicht so desinficiren, wie es für einen saubern und gewissen- 
haften Arzt nothwendig ist“, dieser Satz, der für A. Grund zur Con- 
struction seines Spiegels gewesen ist, gilt nicht für die von P. Doerffel 
in Berlin gefertigten Spiegel. Diese lassen sich ohne Schaden im 
Durchschnitt 25 mal auskochen — je 2 Minuten —, sodass die Unter- 
suchung ca. 5 Pf. kostet. (Ref.) 


Das Taschenbesteck von A. enthält in sehr kleinem Raume eine 
Menge von Untersuchungsinstrumenten: 6 Spiegel, 1 Stiel, 2 Griffe, 
1 Nasenspiegel (modifi. nach Fränkel), 1 Zungenspatel, geknöpfte und 
geriefte Kehlkopf- und Nasensonde, auch fürs Ohr benutzbar, Wattebe- 
hälter, Messer, Schielhaken, 3 Ohrtrichter, 1 Flasche Cocain, 1 Re- 
fleetor mit Stirnbinde. Alles zusammen kostet 50 bis 63 Mark und 
ist von Steiner, Frankfurt a. M., Allerheiligenstr. 58 zu beziehen. 

Zarniko. 


21) Corradi erörtert die Verhältnisse des Katheterismus des 
Thränenkanals.. Er benutzt Canülen mit doppelter Krümmung, führt 
sie unter der unteren Muschel ein zwischen dem vorderen und mittleren 
Drittel gegen den Sulcus zwischen Muschel und äusserer Wand. Beim 
Einblasen soll Luft aus dem Thränensack treten. Gradenigo. 


44 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


22) Die Antroskopie ist eine Ocularinspection der Highmor’shöhle 
vermittelst eines Endoskops durch eine in der Fossa canina hergestellte 
Oeffnung. Sie ist brauchbbr für die Entdeckung einer Drainageröhre, 
eines Polypen nahe dem Hiatus semilunaris, von knöchernen Scheide- 
wänden, für die Differenzialdiagnose von Angiom und zur Unterstützung 
im Gebrauch der Cürette. M. Toeplitz. 


23) De Rossi beschreibt unter Abbildung ein von ihm construirtes 
Instrument, welches dazu bestimmt ist, die Schwingungen einer Stimm- 
gabel (do!) unter Vermittlung einer Membran auf eine andere Membran 
durch eine Flüssigkeitssäule zu übertragen. Die Schwingungen der einen 
Membran entsprachen denen der anderen und konnten graphisch darge- 
stellt werden. R. berichtet in Kürze’ über Versuche, die er auf diesem 
Wege beim Menschen anstellte. Gradenigo. 


24) Schwabach konnte bei einer Kranken, die wegen einer von 
der Keilbeinhöhle ausgehenden Erkrankung an Plattenepithelkrebs in 
das Krankenhaus aufgenommen wurde und dort starb, den Werth der 
Stimmgabelprüfung für die Beurtheilung der Gehörkrankheiten erproben. 
Die Kranke hatte bei der Aufnahme auf der linken Seite beinahe nor- 
males Gehör, das immer mehr abnahm. Aus dem Ausfalle der Unter- 
suchung mit hohen und tiefen Tönen des Rinne’schen und Weber- 
schen Versuches schloss Schw. auf eine Erkrankung des Schallleitungs- 
apparates. Eine Annahme, die durch die Section bestätigt wurde. 

Rumler. 


25) Gradenigo kommt zu folgenden Schlusssätzen: 1. Flüstersprache 
und Uhr werden in verhältnissmässig gleicher Entfernung gehört — 
leichte Affectionen des Schallleitungsapparates. 2. Flüstersprache wird 
nicht viel weiter gehört als die Uhr — ist der häufigste Typus bei 
Erkrankungen des Schallleitungsapparates. 3) Flüstersprache wird viel 
weiter gehört als die Uhr — Erkrankungen vorwiegend des inneren 
Ohres. 4. Die Uhr wird weiter gehört als die Sprache — acustische 
Hyperästhesie hysterischen Characters. | Gradenigo. 


26) Das Instrument Boyels unterscheidet sich dadurch von dem 
bekannten Mackenzie’schen, dass es durch einen Drücker oder durch 
Zug bewegt wird, wodurch die Schnittfläche ringförmig anstatt spaten- 
oder meisselförmig wird. Zur Verbesserung des Griffes ist es mit einem 
Handgriff versehen, welcher der Form der geschlossenen Hand, etwa 
in der Art moderner Geburtszangen, nachgebildet ist. Silk. 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 45 


27) Kelly glaubt, dass in gewissen Fällen die Anwendung des 
Tonsillotoms nicht rathsam, und dass es dann besser wäre, eine Reihe 
von kleinen Stücken aus der Mandel herauszubohren, als die ganze 
Masse abzuschneiden. Ein zu diesem Zwecke angegebenes Instrument 
wird abgebildet und beschrieben. Silk. 


Aeusseres Ohr. 

28. Haug, München. Eine einfache neue plastische Methode zur Rücklagerung 
hochgradig abstehender Ohrmuscheln. Deutsche med. Wochenschrift 
No. 40, 1894. 

29. Peroni und Gradenigo. Cancrena spondanea dei due padiglioni, della 

` punta del naso e della dita dei piedi. Archivio ital. d’Otolog. etc. 1895 
S. 235. 

30. Spiers, H.H. Cyste der Ohrmuschel. Cincinnati Lancet clinic 8. Dec. 1894. 

81. Ferreri Sull’epitelioma del padiglione. Archivio ital. di Otolog. 1894, 
S. 214. 

82. Ferreri. Sulla presenza di tamponi di cerume in casi di alterazioné 
croniche dell'orecchio medio. Ibid. S. 129. 

33. D’Aquanno. Pseudootolite dell’orecchio destro. Ibid. S. 480. 

34. Taylor, S. Johnson, Norwich. Exostose des äusseren Gehörganges. Brit. 
med. Journ. 20. Oct., 1894. 

35. Hovell, Mark. Exostose des äusseren Gehörganges. Brit. med. Journ. 
16. Juni, 1894. 

36. Ostmann.,. Dr., Königsberg. Beiträge zu dem Vorkommen von Exostosen 
des äusseren knöchernen Gehörganges bei den verschiedenen Völkerrassen. 
Monatsschr. f. Ohrenheilk. No. 8 etc., 1894. 

37. Kuhn. Ein Fall von Atresia auris acquisita. Deutsche med. Wochenschr. 
No. 27, 1894. 

38. Welsford, A. S., Dover. Trommelfellruptur durch Husten. Brit. med. 
Journ. 14. Febr., 1894. 


28) Haug verfährt in der Weise, dass er hinter dem Ohr zwei 
bogenförmige Schnitte anbringt, den einen in der Insertionslinie der 
Ohrmuschel, den anderen etwas weiter rückwärts. Das umschnittene 
Stück der Haut wird entfernt und die beiden Wundränder unter starkem 
Zug durch Naht vereinigt. Ist der Knorpel sehr resistent, so wird 
derselbe zuvor fracturirt. Ein Compressivverband sorgt für gute Heilung. 

Noltenius (Bremen). 

29) Die Erkrankung betrifft einen 43 jährigen sehr abgemagerten, 
weder syphilitischen noch tuberkulösen Mann. An beiden Ohrmuscheln 
fanden sich gangranöse Ulcerationen, ausserdem an der Nasenspitze und 
an den mittleren Zehen der Füsse. Die Ulcerationen waren innerhalb 
dreier Monate aufgetreten. Gradenigo. 


46 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


30) Der Fall war eine Geschwulst, welche den Helix, den oberen 
Theil des Anthelix, und die dazwischen liegende Grube einnabm. Die 
Geschwulst war fest und dicht. Eine Aspirationsnadel entzog etwa 
!/, Unze dicker, röthlich gefärbter Flüssigkeit. Zwei Drachmen von 
Tinct. jodi aetherea wurden dann injieirt. Zwei Monate später trat 
vollständige Heilung ein. G. Bacon. 


31) Die Arbeit Ferreri’s bildet eine vollständige Monographie 
über das Epitheliom der Ohrmuschel, enthält den Bericht über eigene 
Operation und solche von de Rossi und Gradenigo. Mehrere histo- 
logische Abbildungen sind beigegeben. | Gradenigo. 


32) Ferreri machte pathologisch-anatomische und histologische 
Untersuchungen des Mittelohres bei alten Individuen mit alten Ceruminal- 
pfröpfen. F. ist verschiedenen Veränderungen begegnet atrophischen 
Charakters, hält es jedoch nicht für sicher, ob dieselben als senile 
Involution zu betrachten sind oder ob dieselben zur Ceruminalansamm- 
lung in Beziehung stehen. Gradenigo. 


33) Es handelte sich um einen Fremdkörper, der einen Bleikern 
enthielt, der viele Jahre zuvor in den äusseren Gehörgang gebracht war 
und sich in eine kalkähnliche Masse inkrustirt hatte. Nach der 
chemischen Analyse bestand derselbe aus bleihaltigen Substanzen. 

Gradenigo. 


34) Taylor berichtet über einen Fall, in welchem er kürzlich 
‚eine sehr grosse Exostose durch Ablösung der Ohrmuschel von ihrem 
hintern Ansatz und Abmeisselung der Geschwulst entfernt hatte. Die 
Exostose war in diesem Falle ganz besonders interessant, weil von ihr 
nach hinten ein Zweig in den Gehörgang hineinragte, welcher das 
Trommelfell vollständig zerstört hatte. Silk. 


35) Bei einer kürzlichen Operation zur Entfernung einer Exostose 
des äusseren Gehörgangs bei einer 22jährigen Frau gebrauchte Mark 
Hovell zuerst einen kleinen zahnärztlichen Drillbohrer und befestigte 
dann in dem damit gebohrten Loche ein Instrument mit einem 'Schrauben- 
kopf, wodurch er in den Stand gesetzt wurde, die Exostose von ihrer 
Basis abzubrechen. Silk. 


36) Unter 2633 Schädeln der verschiedensten Menschenrassen, be- 
fanden sich 16 mit Gehörgangsexostosen. Wesentlich häufiger als bei 
Europäern, Asiaten und Negern sind die Exostosen bei den Oceaniern 
und vor allem bei der amerikanischen Rasse, bei denen wieder die alten 
Peruaner (mit 10,8°/,) bei weitem die höchste Ziffer erreichen. Bei 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 47 


diesen erklärt sich die auffallende Häufigkeit »aus dem besonderen Zu- 
sammenwirken zweier Momente, der eigenartigen Verdrückung des äusseren 
Gehörganges bei den brachy- und hyperbrachycephalen Schädeln und 
einer gegebenen Neigung zu excessivem Knochenwachsthum überhaupt, 
wie sie durch die Exostosis multiplex zu Tage tritt.« Killian. 


37) Kuhn berichtet über einen Fall von Atresia auris acquisita. 
Um einen eitrigen Ohrenfluss zu heilen, hatte eine Mutter bei ihrem 
Kinde ein Blasenpflaster auf die äussere Ohröffnung gelegt und Jahre 
lang Cantharidensalbe aufgestrichen. Dadurch war die Ohrmuschel völlig 
missbildet und zusammengeschrumpft und die äussere Ohröffnung hatte 
nur die Weite eines Stecknadelkopfes. Ein erster Versuch durch Aus- 
schneidung der narbigen Wülste die Missbildung zu beseitigen, scheiterte 
an der starken Narbencontraction. Die zweite Operation, bei welcher 
Hautstückchen auf die Wundflächen transplantirt wurden, hatte den 
gewünschten Erfolg. Noltenius. 


38) Es ist nicht gerade sehr häufig, dass Husten, wenn auch noch so 
stark, zur gleichzeitigen Zerreissung beider Trommelfelle führt. Dies 
war jedoch bei Welford’s Patienten der Fall. Der Zufall ereignete 
sich bei einem 60 jährigen Manne, woran sich Taubheit und Ohrensausen 
und Verlust der Knochenleitung anschloss. Silk. 


Mittelohr. 


39. Gradenigo u. Pes. Ueber die rationelle Therapie der acuten Min elobi: 
entzündung. Arch. f. Ohrenheilk., Bd. 38, S. 43. 


40. Blaxall, Dr. F. R. A bacteriological Investigation of the suppurative 
eardischarge occuring as a complication of scarlet fever. Brit. med, Journ. 
21. Juli, 1894. 

41. Turina. Complicazioni piemiche in una forma di otite media acuta con 
carattere epidemico. Archivio ital. di Otologia etc., Bd. II, No. 1. 


42. Hennebert. Un cas d’otite moyenne aigue. Revue de laryngol. etc., 
1. Nov. 1894. | 


43. Davidsohn, Dr. Ueber Otitis media diabetica. Berl. klin. Wochenschr. 
No. 51, 1894. 


44. Würdemann, H. V. Intratympanale Massage und Dämpfe bei der Be- 
handlung von chronischem Ohrenkatarrh. Journ. of the americ. Assoc., 
13. Oct. 1894. 

45. Kuhn. Myxosarcom der Paukenhöhle. Deutsche med. Wochenschr. No. 27,- 
1894. 

46. Cozzolino. Fibroma papillare cistico telangectatico della cassa timpanica. 
Arch. ital. di otol., 1894, S. 333. 

47. Hessler, Dr. Weber die otitische Pyämie. Arch. f. Ohrenheilk. Bd. 38, 8.1. 


48 


48. 


49. 
50. 
51. 


92. 


59. 
54. 
50. 
56. 


57. 


59. 
60. 


61. 
62. 
63. 
64. 
65. 
66. 


67. 


68. 


Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


Szenes, Dr. Ueber den therapeutischen Werth von Europhen, Alumnol, 
Diaphtherin und Antiseptin bei Ohreneiterungen. Arch. f. Ohrenheilk., 
Bd. 27, S. 229. 

Hessler, Dr., Halle. Ueber die klimatische Behandlung der chronischen 
Ohreiterung. Münch. med. Wochenschr. No. 50, 1894. 

Hofmann, R., Dr. Zur Tenotomie des Tensor tympani bei chronischer 
Mittelohreiterung. Arch. f. Ohrenheilk., Bd. 36, S. 271 u. Bd. 37, S. 1. 

Baginsky, Dr. Ueber das Cholesteatom des Ohres. Berl. klin. Wochen- 
schrift, Nr. 26 und 27, 1894. 

Körner, Otto. Dr., Frankfurt a. M. Tuberkulose des Schläfenbeins. 
Uebergang der Tuberkulose auf die Basis des Schläfenlappens. Monatsschr. 
f. Ohrenheilk. No. 9, 1894. 

Haug, Dr. Beiträge zur Würdigung der Hyperostose des Felsenbeins. Arch. 
f. Ohrenheilk., Bd. 37, S. 161. 

Körner, Otto Dr., Fraukfurt a. M. Gestielte Exostosen der Spina supra 
meatum. Mon. f Ohrenh. No. 11, 1894. 

Zaufal, Prof. Zur Geschichte und Technik der operativen Freilegung der 
Mittelohrräume. Arch. f. Ohrenheilk., Bd. 27, S. 33. 

Burnett, Char. H. Chirurgische Behandlung von chronischer Ohreiterung. 
Journ. amer. med. Assoc., 13. Oct. 1894. 

Ferreri. Influenza della cura caustica nella eliminazione degli ossicini. 
Archivio ital. d’Otol. 1893, S. 30. 


. Heflebower, Rob. Die Entfernung der Gehörknöchelchen für die 


Besserung chronischer Taubheit und anderer abnormer Zustände. New- 
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Gelle. Desenchatonnement de l’etrier. Arch. de laryngol., Sept. 1894. 

Jack, F. L. Bemerkungen über Stapedectomie. Trans. amer. otol. Soc., 
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Buck, Albert H. Ein Fall von acuter Entzündung des Mittelohres, mit 
Ausgang in eiterige Periphlebitis und Thrombose des Sinus lateralis, 
Operation durch Dr. F. Lange, Heilung. Trans. amer. otol. Soc., Bd. VI, 
No. 1. 

Jack, F. L; Ein Fall von septischer Thrombose des Sinus lateralis. Neun 
Fälle von Warzenfortsatzoperationen mit Complicationen. Ein Fall von 
Osteom des Gehörkanals. Ibid. 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 49 


69. Crocket, E. A. Ein Fall von Operation des Sinus lateralis mit Bemer- 
kungen über 8 nicht operirte Fälle. Ibid. 


70. Wilson, F. M. Fünf Todesfälle nach Otitis med. purulenta, mit zwei 
Sectionen. Ibid. 


71. Drummond, David, Newcastle on Tyne. Kleinhirnabscess. Lancet 
28. Juli 1894. 


72. Harrison, Windsor. Kleinhirnabscess, Menningitis, Sequester an der 
inneren Schädelfläche,. Lancet 6. Oct. 1894. 


39) Gradenigo u. Pes fordern, dass die durch bacteriologische 
Untersuchungen gewonnenen Kenntnisse über die Aetiologie der acuten 
Mittelohrentzündung bei dem Suchen und Formuliren von rationellen 
therapeutischen Maassregeln berücksichtigt werden. Zur Entstehung einer 
acuten eitrigen Mittelohrentzündung bedarf es gleichzeitig der Anwesen- 
heit von pathogenen Mikroorganismen und Wirkung accessorischer Ur- 
sachen, wie z. B. rheumatischer oder traumatischer Einflüsse, Vermin- 
derung der Widerstandsfähigkeit des Organismus. 

Gradenigo und Pes. untersuchten zahlreiche Fälle von Mittel- 
ohrentzündung, um das Verhältniss der Mikroorganismen zu dem klinischen 
Verlauf und zur Heilmethode zu prüfen. Da sich das Mittelohr nicht 
desinficiren lässt, nahmen sie Abstand von einer Zerstörung der infici- 
renden Mikrorganismen an Ort und Stelle, sondern suchten den cyclischen 
Verlauf zu unterstützen und den Organismus zu kräftigen. 

Zunächst ist es nothwendig eine bestehende Eiterung durch das 
Trommelfell zum Abfluss zu bringen. Natürlich muss die Paracentese mit 
Anwendung streng antiseptischer Vorsichtsmassregeln gemacht werden und 
darf auch nachher kein Reiz durch Luftdouche etc. erfolgen oder eine 
Infection eintreten. Nach diesen Grundsätzen wird folgende Methode an- 
gewandt: Bei leichten Formen abortive Behandlung zuerst versucht: Ruhe, 
Diät, Einträufeln einer 1°/ igen wässerigen Lösung von Carbolsäure. 
Bestehen die Beschwerden, frühzeitig eine ausgiebige Paracentese gewöhn- 
lich im hinteren Segment des Trommelfelles. Vorher Ohrbad mit 
Sublimat 1 : 1000. Nach der Paracentese keine Waschungen, überhaupt 
keine reizenden Manöver, sondern lockere Tamponade mit Jodoformgaze. 

Rumler. 

40) Auf Grund sorgfältiger Untersuchung von 14 Fällen schliesst 
Blaxall: 1) dass der Streptococcus pyogenes am wichtigsten ist als 
Erreger von Otitis media bei Scharlachfieber. Die Organismen nehmen 
ihren Weg von den oberen Luftwegen nach dem Mittelohre. 2) In 
zweiter Linie sind der Staphylococcus albus und aureus von Wichtigkeit. 

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXVII. 4 


50 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde, 


(e So wichtig auch die Rolle sein mag, welche Diplococcus oder Ba- 
cillus pneumoniae als Erreger anderer Ohrkrankheiten spielen, so werden 
dieselben bei Scharlach nicht oft gefunden. 

41) Die aus dem Militärlazareth in Turin stammenden Beobach- 
tungen erstrecken sich auf 96 Fälle von acuter Mittelohreiterung aus 
dem Winter 1892/93. 76 waren ohne Complication, 17 waren mit 
bronchopneumonischen Processen vergesellschaftet, 7 mit Mastoiditis, 1 
mit Parotitis und Orchitis, 1 mit Morbillen, 4 mit metastatischen Abs- 
cessen. Das Auftreten der Erkrankungen war in der Truppe ein epide- 
misches. Die bakteriologische Untersuchung ergab Pneumococcen im 
Sekret. Die Prognose ist eine günstige. Gradenigo. 

42) Hennebert hat sich mit Vortheil in diesem Falle (eine Schleim- 
flocke aus dem Nasenrachenraum war beim Schlucken in die Pauke 
a des Rarefakteurs |} d_dann Paraffin ins Mittelohr in: 





bei chronischen: Fog R 

ist; dann als diagnẹstisches Dtorrhoen, um zu sehen, 
ob die Eiterung auch Paraffininjectionen per 
Tubam sind nützlich, um he Tubenstenose zu vermeiden, 


um die Schmerzen: zu lindern und auch um die Entzündungserscheinungen 
in der Pauke einzuhalten. Sie können sogar die Perforation verhindern. 
Ripault (Paris). 

43) Davidsohn schöpfte Verdacht auf Diabetes bei einem an- 
geblich durch Sorgen stark abgemagerten Kranken aus dem Auftreten 
einer tiefen Halsphlegmone bei der eitrigen Entzündung des Warzenfortsatzes, 
welche trotz ausgedehnter Spaltung sich weiter verbreitete. Der Verdacht 
bestätigte sich und trat nach Einführung einer antidiabetischen Kost 
Besserung auch in der Heilung der Wunde ein. 

Davidsohn beantwortet die Fragen: Auf welche Ursachen ist 
die Otitis media bei Diabetikern zurückzuführen, dahin, dass Diabetes 
selbst nicht die Kranhheit hervorruft, aber ungünstig beeinflusst. Ferner 
ist er der Ansicht, dass die Otitis media diabetica nicht im Warzenfort- 
satz entstehe, sondern im Mittelohr und, dass die grossen, schnell auf- 
tretenden Zerstörungen des Knochens bedingt seien durch die grössere 
Virulenz der Mikroben bei Anwesenheit von Zucker in den Gewebssäften. 
Endlich bejaht er auch die Frage, ob man bei Diabetes überhaupt 
operiren darf und solle man nicht zu lange damit zögern, die Operation 
vorzunehmen. Rumler. 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 51 


44) Würdemann räth zur Combination von Massage und Dampf- 
behandlung in der Mehrzahl solcher Fälle: Vibrationsmassage durch den 
Katheter und die Eustachische Trompete. Man braucht dazu einen 
Apparat mit Luftcompression. Die comprimirte Luft streicht durch den 
mit der Medizin gefüllten Apparat (Dampferzeuger) hindurch und wird 
durch Gummigebläse in die Oeffnung des Katheters geleitet. Das Luft- 
ventil wird dann unter einem erforderlichen Druck (ca. 15 bis 25 Pfund) 
angedreht und das Gummigebläse am Katheter durch den Daumen und 
Zeigefinger comprimirt, wodurch es einen unterbrochenen Strom erzeugt 
und so die Massage auf die Trompete und das Mittelohr ausübt. 

Bacon. 

45) Bei einem einjährigen Knaben wurde eine Geschwulst entfernt, 
welche aus dem Mittelohr entspringend, theils durch den äusseren Ge- 
hörgang hervorgewuchert war, theils denselben nach hinten durchbrochen 
und unter der Spitze des Warzenfortsatzes zu einer Fistelbildung geführt 
hatte. Die mikroskopische Untersuchung ergab ein Myxosarkom. Der 
Patient ging am Recidiv zu Grunde. Verfasser sucht den Ausgangs- 
punkt der Geschwulst in jenem Bindegewebspolster der Labyrinthwand, 
wo beim Neugeborenen und oftmals noch in den ersten Lebensmonaten 
jene gallertartige Masse gefunden wird, die aus embryonalem Bindege- 
webe mit spindel- und sternförmigen Zellen in einer structurlosen gallert- 
artigen Grundsubstanz besteht. Noltenius. 

46) Das Fibrom, welches von Cozzolino in seiner Arbeit durch 
Photographie und Zeichnung erläutert wird, ist durch die besondere 
Grösse bemerkenswerth. Gradenigo. 

47) Körner unterscheidet eine otitische Pyämie mit Sinusphlebitis 
und eine solche ohne Sinusphlebitis.. Die letztere entstehe durch Auf- 
nahme von Eiter aus dem primären Herde im Ohr oder Schläfenbein 
in den Kreislauf, aus den zahlreichen kleinen Knochenvenen ohne er- 
hebliche Einschmelzung der Knochensubstanz (Osteophlebitis); häufiger 
bei acuten als chronischen Ohrerkrankungen. Auffällige und wichtige 
Unterschiede zwischen beiden Arten der Pyämie zeigen sich in der Art 
und der Häufigkeit der Metastasen. Bei der Sinusphlebitis embolische 
Metastasen häufig — bei der Osteophlebitis-Pyämie diese selten. 
Bei der Sinusphlebitis fast stets Metastasen in der Lunge und selten an 
anderen Stellen, bei der Osteophlebitis Lungenmetastasen sehr selten, 
Gelenk- und Muskelmetastasen aber häufiger. 

Hessler durchsuchte darauf die Literatur und fand nur 10 
sichere Fälle von Pyämie mit Sinusphlebitis und Metastasen, in denen die 

4* 


52 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


Lungen frei von Metastasen waren. Er zweifelt, dass in allen Fällen, in denen 
angeblich die Lungen frei waren, dies wirklich zutraf, da die Lungen- 
affection übersehen werde. Hessler nimmt einen wesentlichen Unter- 
schied zwischen der Annahme von Körner und sich darin an, dass 
Körner die Aufnahme der osteophlebitischen Eiterstoffs direct ins Blut 
geschehen lässt, während H. sie durch Mitwirkung der Hirnsinus statt- 
finden lassen möchte. „Nach Körner reichten aus, die ursächliche 
Erkrankung der Schläfenbeine zu beseitigen, nach ihm kommt secundär 
der Sinus nicht in Gefahr. Nach meiner Ansicht genügt es nicht, dem 
Eiter aus Mittelohr- und Warzenfortsatzhöhle freien Abfluss zu verschaften, 
die Wand des Sinus von den umspülenden Eitermengen zu befreien, 
sondern wir müssen dahin streben, dass es nicht weiter zur Thrombose 
und schliesslich zur Thrombophlebitis der gefährdeten Hirnsinus kommt. 
Lassen nach Eröffnung des Warzenfortsatzes und Bloslegung des Sinus 
die pyämischen Erscheinungen und zumal die Metastasen nicht nach, so 
muss die Vena jugularis unterbunden werden.“ 


Es folgen 9 Krankengeschichten von otitischer Pyämie; in 6 Fällen 
kam es zur Heilung; in 1 Fall zum Tode infolge von metastatischem 
Pyopneumothorax, leider ohne Section; in 2 weiteren Fällen bestätigte 
die Section die Pyämie als Folge von Sinusphlebitis. Rumler. 


48) Szenes gebraucht die erwähnten Mittel in Pulverform bei 
eitrigen Processen im äusseren Gehörgange und in der Paukenhöhle in 
86 Fällen ohne Erfolg. Rumler. 


49) Hessler erinnert daran, welch wesentlichen Einfluss Klima 
und hygienische Beschaffenheit des Aufenthaltsortes auf Ohrencatarrh 
und -Eiterungen haben und welcher Unterschied besteht zwischen Land- 
und Stadtkindern sowohl in der allgemeinen Gesundheit als namentlich 
bezüglich der Schleimhautkatarrhe und Mandelschwellungen. Eine grosse 
Rolle spiele in dieser Hinsicht der Schulbesuch. Er theilt 2 Fälle mit, 
die den Erfolg des sog. Luftwechsels beweisen. H. kommt zu dem 
Schluss, dass bei der chronischen Otorrhoe ausser der rationellen localen 
Behandlung, Sorge für reine Luft auch mitten in der Stadt und Schutz 
der kleinen Patienten gegen neue Infectionen der Nase und des Rachens 
und sekundär des Ohrs erforderlich sei. Ersteren Zweck erreicht man, 
wo Aufenthalt im Süden, an der See, auf dem Land u. s. w. nicht zur 
Verfügung steht, dadurch, dass man die Kleinen womöglich den ganzen 
Tag ins Freie, an Spielplätze u. dergl. bringt, den letzteren durch 
strengere Schul-Hygiene: Desinfection der Schulräume, ärztliche Ueber- 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 58 


wachung der Geschwister erkrankter Kinder, Desinfection derselben durch 
Bad und Kleiderwechsel in der Schule (!); Anstellung von Schulärzten. 
Müller. 

50) Hoffmann, ein Schüler von Kessel, berichtet über den 
weiteren Verlauf der Fälle, welche Müller im Arch. f. Ohrenheilk. 
Bd. XXXII (Referat in der Zeitschr. f. Ohrenheilk. Bd. 23) veröffent- 
licht hat, zur Unterstützung der von Kessel aufgestellten Indication 
für die Tenotomie des Tensor tympani bei den nieren- und herzförmigen 
Perforationen des Lichtkegels und fügt einige neue Fälle hinzu. Nur 
solche Fälle wurden berücksichtigt, bei denen seit der Operation mindestens 
1 Jahr verflossen ist. 

Im Ganzen kam in den Jahren 1888 bis September 1892 die Teno- 
tomie bei den genannten Perforationen 30mal in Anwendung. Von 
diesen konnte in 22 Fällen der Erfolg. constatirt werden. 

Subjective Empfindungen sind in 3 Fällen seit der Operation ge- 
schwunden, in einem wichen die Geräusche erst nach Ablauf eines 
Jahres vollständig. „In Bezug auf die mechanische Schwerhörigkeit er- 
hielten wir in 3 Fällen = 15°/, eine Besserung der Hörschärfe, 9 mal 
— 45°/, blieb dieselbe unverändert, 8 mal = 40 °/, Verschlechter zur 
Zeit der Untersuchung. Von Letzteren liessen sich 3 Fälle auf Nasen- 
affectionen zurückführen.“ 

Die Eiterung hatte in 8 Fällen = 40°/, seit der Operation sistirt, 
in 12 Fällen =.60°/, sind neue Entzündungen aufgetreten, hervorge- 
rufen namentlich durch Complicationen von Seiten der Nase. 

Rumler. 

51) In der Cholesteatomfrage steht Baginsky auf dem Standpunkte 
Virchow’s, dass die Cholesteatome heteroplastische Geschwülste sind 
und nur als solche vorkommen. Daneben nimmt er mit Kuhn die 
Entstehung cholesteatomähnlicher Massen im Verlaufe chronischer Eite- 
rungen an. Rumler. 

52) Der zur Sektion gekommene Fall zeigte ausser anderen Zer- 
störungen im Bereiche des Schläfenbeines eine solche des Tegmen tym- 
pani. Die Dura war an dieser Stelle verdickt und mit Granulationen, 
welche Knochentrümmer enthielten, bedeckt. Innen haftete an ihr ein 
Stück Hirnsubstanz, welches ebenso wie sie selbst, mit verkästen Knoten 
durchsetzt war. Die Lungen waren in ihren Oberlappen tuberculös. 

Killian. 

53) Haug ist ein entschiedener Anhänger der Ansicht, dass die 

Hyperostose des Felsenbeins eine directe Gefahr für ihren Träger bildet 


54 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde, 


und dass ihre Existenz eine directe, jederzeit ungünstige Complication 
ist. Die Hyperostose des Schläfenbeins hat die Eigenthümlichkeit, dass 
sich nicht alle Knochenlager gleichmässig verdicken, sondern gewöhnlich 
die Pars mastoidea, häufig auch der Gehörgang oder seltener die Pars- 
petrosa. Der sich bildende Eiter und anderweitige Secretionsproducte 
müssen dann nach dem Orte des geringeren Widerstandes hin, also 
gegen die Schädelhöhle durchbrechen. Die Osteosclerose bildet sich nach 
Mittelohreiterungen, welche längere Zeit gedauert haben. Nach seinen 
Untersuchungen glaubt Haug, dass sie nach acuten oder chronischen 
Processen einfach catarrhalischer Natur nicht eintritt. Haug zieht 
seine Schlüsse aus einem sehr lehrreichen Falle, der zur Section kam 
und aus 13 auch besprochenen Befunden bei Operationen. Die Osteo- 
sclerose macht die spontane Heilung einer Mittelohreiterung unmöglich, 
erschwert sehr die operative Technik und legt der Diagnose eine Menge 
Hindernisse in den Weg. Rumler. 

54) Eine hanfkorngrosse gestielte Exostose wurde gelegentlich einer 
Antrumoperation aussen neben der Spina supra meatum gefunden. Das- 
selbe ereignete sich bald darauf in einem zweiten Falle. Beide Patienten 
hatten früher eiternde Fisteln hinter dem Ohre gehabt und glaubt K., 
die Exostosen könnten an der ehemaligen Durchbruchsstelle des Eiters 
durch das Periost als Reizproducte entstanden sein. Killian. 

55) Zaufal beansprucht die Anerkennung der Erste gewesen zu 
sein, der den von Küster aufgestelltem Grundsatz : den Knochen breit 
und übersichtlich zu eröffnen, alles Krankhafte zu entfernen und die 
Eiterquelle so vollkommen freizulegen, dass der Eiter nirgends in seinem 
Abfluss behindert ist — thatsächlich bei der Freilegung der Mittel- 
ohrräume durchgeführt habe und dass die Operationsmethode, da sie 
eine typische sei, nach ihm benannt werde. Das Wichtigste bei der 
Operation sei die Wegnahme der Pars epitympanica. Schon im April 
1890 berichtete Zaufal über 12 nach seiner Methode operirte Fälle. 

Zaufal geht in der Weise vor, dass er nach Freilegung des 
Operationsfeldes die hintere obere membranöse Auskleidung der Pars 
ossea des Gehörganges exstirpirt, dann das Antrum durch Ausmeisselung 
des Warzenfortsatzes und Wegnahme der ganzen hinteren knöchernen 
Gehörgangswand freilegt. Darauf Wegnahme der Pars epitympanica 
vom Antrum aus und Exenteration der Mittelohrräume. Als Instrument 
wird die Luer’sche Knochenzange bevorzugt und mit dieser auch die 
Pars epitympanica entfernt. Grosses Gewicht legt Zaufal auf die 
Beseitigung von allem Erkrankten, besonders bei der Operation des 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 55 


Cholesteatoms, und gebraucht er zu diesem Zwecke, nachdem die Höhle 
ausgekratzt ist, noch den Paquelin’schen Brenner. Hinter dem Ohre 
wird keine dauernde Oeffnung angelegt. Rumler. 


56) Burnett räth zur Entfernung aller cariösen Gehörknöchelchen 
mit Ausnahme des Steigbügels in Fällen von chronischer Otitis media 
purulenta, besonders bei „Atticus“-Erkrankung; ebenso zur Entfernung 
von erkrankten Trommelfellen und Polypen zur Herstellung freier Drai- 
nage. Er glaubt nicht an den Nutzen des Kürettement des Atticus 
wegen der Gefahr einer Facialisparalyse. G. Bacon. 


57) Ferreri empfiehlt vor der Entfernung der cariösen Gehör- 
knöchelchen bei Mittelohreiterung die Anwendung von 3°/, Höllenstein- 
lösung. In vielen Fällen soll dadurch die Eiterung zum Stillstand ge- 
bracht werden und die spontane Elimination der cariösen Knöchelchen 
stattfinden. Zwei Krankengeschichten. Gradenigo. 


58) Heflebower gelangt zu den folgenden Schlüssen: 1. Keine 
schlimmen Folgen begleiten die Excision des Hammers und Ambosses, 
dagegen ist die Entfernung des Steigbügels von der grössten Gefahr 
sowohl für das Leben als auch für das Gehör. 2. Die ausschliessliche 
Entfernung des Hammers und Ambosses ist der des Steigbügels bei 
weitem vorzuziehen. 3. Die Operation ist bei passenden Fällen von 
chronischer Eiterung von ausserordentlichem Werth, da sie häufig 
Störung von Seiten des Warzenfortsatzes und anderer Organtheile ver- 
meidet. 4. Sie muss in Fällen mit hochgelegener Perforation, bei 
solchen der Membrana flaccida und bei Nekrose der Gehörknöchelchen 
ausgeführt werden. 5. Ohrensausen, Kopfschmerzen vom Ohre ausgehend 
und Schwindel werden erleichtert. 6. In passenden Fällen ist die 
Operation für die Besserung von Taubheit von unschätzbarem Werth, 
sei dieselbe durch Eiterung oder durch chronischen Catarrh und Sclerose 
bedingt. G. Bacon. 


59) Der Steigbügel ist oft von Schleimhauthypertrophieen nach 
Mittelohrentzündung eingeschlossen und kann durch Operation befreit 
werden. In andern Fällen retrahirt sich das Trommelfell und mit 
ihm der engverbundene Steigbügel in Folge alter Fungositäten. Endlich 
ist bei der Otitis sicca die Einbettung die unnachgiebigste und es 
empfiehlt sich die Mobilisation oder Extraction (Kessel). Bei obliterirtem 
runden Fenster, unbeweglichen Steigbügel und unzugänglichen ovalen 
Fenster — Gehör aufgehoben. Bei beweglichem Steigbügel Gehörs- 
empfindung, Wiederkehr der Perception vom Knochen und Aufhören 


56 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


der Geräusche. Eine Neuinfection (Grippe) vernichtet das Gehör vollends. 
Multiple tiefe Incisionen bis auf den Knochen sind nöthig; auch kann 
Chromsäure günstig einwirken auf diese Knochen- und Knochenhaut- 
entzündungen der inneren Wand. Ripault. 
60) Als Ergebniss der Erfahrungen Jack’s während der letzten 
‚beiden Jahre giebt Jack an, 1. dass die besten Resultate für das 
Gehör in Fällen frühzeitiger Entfernung des Knochens erreicht worden, 
und dass diese Operation in Fällen von Otitis media insidiosa (sclerosis) 
nicht anzurathen sei; 2. dass Fälle von chronischem Ohrenschwindel 
durch Freimachung des Steigbügels oder durch Ausstossung des Knochens 
selbst geheilt worden sind; 3. dass sowohl in Fällen von nichteitriger 
Erkrankung des Mittelohres, als auch den aus eitrigen Fällen hervor- 
gehenden Fällen, sollte chirurgische Mobilisirung des Steigbügels vor 
dem Versuch seiner Entfernung versucht werden; 4. dass die meisten 
Operationen zur Mobilisirung des Steigbügels oder Freimachung des 
ovalen Fensters als durchaus experimentell angesehen werden sollten 
und dass bei vielen Fällen eine Fractur der Schenkel zur Zeit der 
versuchten Austreibung mit Zurücklassung der Basalplatte stattfände, 
G. Bacon. 
61) Reinhard behandelte Cholesteatom mit persistenter retro- 
auriculärer Oeffnung, um die Gefahr, dass die sich bildenden Häute 
jauchig zerfallen, zu vermeiden. Er operirt in der Weise, dass zuerst 
die typische Aufmeisslung des Antrum nach Schwartze gemacht wird, 
dann löst er den häutigen Gehörgang in seinem oberen und unteren 
Theile mittelst Raspatorium los, trennt ihn dicht am Trommelfell quer 
durch und zieht ihn aus seiner knöchernen Schale vor. Die so los- 
gelöste häutige Gehörgangswand wird parallel ihrer Längsaxe durch- 
schnitten und die Lappen werden nach oben und unten fixirt. Aus 
Gehörgang, Pauke, Aditus, Atticus, Antrum und Warzenfortsatz wird 
ein einziger Holılraum gebildet, der sowohl von der vorderen als auch 
von der lateralen Wand des Processus durch eine breite Oeffnung dauernd 
offengehalten wird. Um dies zu erreichen, bildet Reinhard einen 
Lappen aus der hinteren Fläche der Concha, sobald er vor Beginn der 
Operation bestimmt weiss, dass Cholesteatom vorliegt. Rumler. 
62) Der Aufsatz von Kretschmann enthält eine Wiedergabe 
seiner Demonstration am Präparate vor der deutschen otologischen Ge- 
sellschaft 1893, über die Modification des Stacke’schen Verfahrens. 
Da ohne die beigefügten 4 Abbildungen ein Referat unverständlich ist, 
sei auf die Arbeit selbst verwiesen. Rumler. 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 57 


63) Der erste Fall, den Schubert beschreibt, betrifft einen 
40 jährigen Arbeiter mit 2 Hirnabscessen im Schläfenlappen, die sich 
im Anschluss an eine acute Otitis entwickelt hatten. Der eine Abscess 
wurde operativ eröffnet, der zweite, welcher dicht daneben lag, konnte 
nicht diagnosticirt werden, brach auch nicht durch die nur wenige 
Millimeter dicke Scheidewände nach dem drainirten Raume des ersten 
durch, sondern führte den Tod durch Encephalitis und Leptomeningitis 
herbei. Bemerkenswerth an diesem Falle war noch eine sehr früh auf- 
getretene gleichseitige Abducenslähmung, welche in ihrem Wesen un- 
aufgeklärt blieb. — Als zweiten Fall schildert Sch. eine Sinusphlebitis 
nach acuter Mittelohreiterung und (wahrscheinlich tuberkulöser) Felsen- 
beincaries, welche nach breiter Freilegung der cariösen Herde, Spaltung 
und Auskratzung des Sinus zur Ausheilung gelangte. Schliesslich wird 
noch ein interessanter Fall von Pyämie ohne Sinusphlebitis beschrieben, 
welcher mit acuter Otitis media begann, zu Endocarditis, Entzündung 
des Sternoclavicular- und Schultergelenkes führte und ohne grösseren 
Eingriff heilte. Killian. 

64) Winter und Deansley berichten über einen sehr interessanten 
Fall von Kleinhirnabscess. Der Fall ist genau beschrieben und giebt 
D. eine sehr sorgfältige Zusammenstellung über 21 Fälle, die er aus 
den Zeitschriften und Handpüchern der letzten 10 Jahre sammelte. 
Der Patient war 16 Jahre alt, seit 6 Monaten etwas schwerhörig, hatte 
aber keinen bemerkenswerthen Ausfluss aus dem Ohre bis etwa 14 Tage 
vor der Aufnahme ins Hospital. Die Operation wurde ausgeführt, indem 
ein Knochenstück über dem Sinus lateralis entfernt und dieser frei- 
gelegt wurde. Die so hergestellte Oeffnung wurde dann nach oben und 
unten erweitert, dass ein Zugang zur mittleren und zur hinteren Schädel- 
grube hergestellt war. Der Schläfenlappen drang frei in die Oeffnung 
vor, doch konnte kein Eiter mit eingeführtem Troikart entleert werden. 
Obwohl das Kleinhirn. sich nicht vorwölbte und keine Zeichen von Ent- 
zündung oder Verwachsung da waren, entleerten sich doch durch den 
Troikart einige Drachmen Eiter. Schnelle Heilung. 

65) Broca hebt wieder die Häufigkeit dieser Abscesse hervor, 
mahnt deshalb zur richtigen Prophylaxe, betont die grossen Gefahren, 
die diagnostischen Schwierigkeiten, die sich bezüglich der Frage der 
Localisation und des Vorhandenseins ergeben. Meist finden sie sich 
an den der Mittelohrläsion correspondirenden Stellen im Schläfenlappen 
oder Kleinhirn. Der chirurgische Eingriff soll stets vom Wearzenfort- 
satz ausgehen, aber nicht systematisch (Picqui) zur Eröffnung der 


58 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


Schädelhöhle führen. Die Oeffnung im Knochen und Mittelohr soll 
immer weit angelegt werden. Ripault. 
66) Der 25jährige Patient hatte früher an heftigen Schmerzen im 
linken Ohr eine Woche oder zehn Tage lang gelitten, an welche sich 
einige Tage anhaltender, reichlicher Ausfluss mit darauffolgenden Schüttel- 
frösten und hohem Fieber, Erbrechen und grossen Schmerzen über der 
linken Kopfhälfte anschloss. Dle Untersuchung ergab reichlichen Aus- 
fluss aus dem Ohre mit »Attikus«-Eiterung. Er wurde zwar unter der 
Behandlung besser, aber zeigte nach zwei Wochen tägliche Temperatur- 
erhöhung von 1—2° mit Schmerzen im Ohr und der Kopfhälfte. Der 
Warzenfortsatz wurde eröffnet, aber es wurde kein Eiter gefunden. 
Der Zusstand des Patienten besserte sich einige Tage, aber er bekam 
wieder einen schweren Schüttelfrost mit 105°F. Etwa zehn Tage später 
machte sich eine sehr deutliche Schwellung des Halses entlang dem 
m. sterno-cleido-mastoideus bemerkbar, wobei der Patient Schüttelfröste 
mit Temperaturen bis zu 105,5°F. hatte. Ungefähr fünf Tage später 
wurde in der Halsschwellung Eiter gefunden. Es wurden etwa zwei 
Unzen grünlich-gelben Eiters entleert, welcher sich zwischen dem innern 
Rand des m. sterno-cleido-mastoideus und seiner Scheide, und direct 
über der Vena jugularis befunden hatte. Der Patient bessert sich 
sofort auf etwa zehn Tage, worauf eine Beweglichkeitsstörung des 
rechten Beines eintrat. Heftige Kopfschmerzen, welche auf die linke 
Schläfen- und Stirngegend begrenzt waren, erfolgten. Die Temperatur 
war normal, der Puls 60 zu 70. Die Beinlähmung wurde ausgesprochener 
und schloss schliesslich den rechten Arm und die rechte Hand ein. 
Es bestand auch zögernde Sprache und ein Verlust des Wortgedächtnisses. 
Eine Gehirnabscess-Operation wurde ausgeführt, wozu als Ausgangspunkt 
eine 1 und 1!/,‘ über und hinter dem äussern Gehörgang gelegene 
Stelle gewählt wurde. Das Gehirn wurde nach allen Richtungen auf 
eine Strecke von 2 bis 21/,‘ jedoch ohne Erfolg untersucht. Am 
12. Tage etwa nach der Operation begann sich der Allgemeinzustand 
des Patienten zu bessern, und er war bald im Stande das Hospital zu 
verlassen. Es blieb eine leichte Facialisparalyse zurück. Der Patient 
kehrte zwei Monaten mit heftigen Schmerzen im Kopf zurück, an 
welcher sich Koma mit ungleichmässiger Erweiterung der Pupillen an- 
schloss. Er starb schliesslich nnter Symptomen von Gehirndruck. — 
Section. Die Dura normal, mit Ausnahme der motorischen Zone auf 
der linken Seite, wo sie ganz adhärent war; sie war ausserordentlich 
verdickt und es bestanden beträchtliche entzündliche Ablagerungen 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 59 


fibröser Natur auf dem Cortex. Es wurde ein Abscess gefunden, welcher 
die untere und centrale Portion des Stirnlappens der linken Hemisphäre 
einnahm. Derselbe bestand aus zwei verschiedenen Säcken, von denen 
der grössere von Hühnereigrösse war und Wände von beträchtlicher 
Dicke hatte. Die centralen Gewebe selbst waren auf einige Entfernung 
vom Sack erweicht und fielen leicht zusammen. G. Bacon. 

67) Buck berichtet über einen Fall eines starken und gesunden 
Mannes, im Alter von ungefähr 54 Jahren, welcher sich eine acute 
eitrige Mittelohrentzündung nach einer Erkältung zugezogen hatte. Die 
Entwickelung der Symptome zwangen zur, Eröffnung des Autrums, in 
welchem etwas erweichter Knochen und Eiter gefunden wurde. Nach 
der Operation verschwanden anfangs die Schmerzen, kehrten aber all- 
mälig wieder, Patient hatte einen Schüttelfrost mit auffallender Zunahme 
der Röthung und Schwellung der den untern nnd hintern Theil des 
Warzenfortsatzes bedeckenden Haut. Der Knochen in dem untern Theile 
des Warzenfortsatzes wurde weggemeisselt. Er war hyperämisch, aber 
nicht eitrig. Eine weitere Operation zeigte die Anwesenheit von Eiter 
unmittelbar in der Wand des Kanals für den Sinus lateralis. Eiter 
quoll aus der Umgebung des Sinus heraus. Die Oeffnung im Knochen 
wurde so vergrössert, dass die Jugularvene von der Fossa sigmoidea an bis 
zu einem etwa einen Zoll unterhalb der Fläche der Warzenfortsatzspitze 
gelegenen Punkte freigelegt wurde. Der Processus styloideus wurde 
ebenfalls freigelegt. Der Patient wurde wiederhergestellt. 

Buck schliesst seinen Artikel mit der Bemerkung, dass »das Fort- 
dauern tiefgelegener Schmerzen hinter dem Warzenfortsatz nach der 
Eröffnung und gründlicher Drainirung des Antrums eine genügende 
Berechtigung zur Eröffnung der Fossa sigmoidea des Sinus lateralis 
böte, und dass es nicht rathsam wäre, abzuwarten, bis Schüttelfröste 
entstanden oder die Körpertemperatur auf einen sehr hohen Grad 
gestiegen wäre, bevor man in dieser Richtung operativ eingriffe.« 

G. Bacon. 

68) Der Fall von septischer Thrombose des Sinus lateralis betraf 
einen 33jährigen Mann. Er hatte eine langjährige Otorrhoe mit plötz- 
licher Entwickelung von schweren Schmerzen im rechten Ohr, ohne 
Empfindlichkeit oder Rötlıung über dem Warzenfortsatz. Zwei Tage 
später trat ein Schüttelfrost mit einer Temperatur von 105°F. auf. 
Eine Operation wurde ausgeführt, der Knochen über dem Antrum sehr 
dick befunden, und das Antrum und die Warzenzellen enthielten übel- 
riechende Flüssigkeit und cholesteatomatöse Masse, welche ganz entfernt 


60 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


wurden. Der Patient fühlte sich sieben Tage lang sehr erleichtert. 
Am 7. Tage hatte er einen Schüttelfrost mit einer Temperatur von 
105°F. und 140 Puls. Der Sinus wurde freigelegt und viel Eiter ent- 
leert. Der Sinus war so wenig thrombosirt, dass man eine septische 
Fortpflanzung nach der Jugularvene nicht für möglich hielt. Der Patient 
starb jedoch nach vier Tagen an Pyämie. — Die andern Fälle mit 
Ausnahme des Osteoms waren Warzenfortsatzerkrankungen, in denen 
meistens die Dura mater oder der Sinus lateralis freigelegt war. Sie 
wurden alle, mit einer Ausnahme, wieder hergestellt. G. Bacon. 
69) Die 54 jährige Patientin gab eine Vorgeschichte von Eiterung 
aus dem rechten Ohre, welche in Zwischenräumen fünfzehn Jahre lang 
bestanden hatte. Das Trommelfell war fast ganz zerstört. Bei der drei 
Wochen später erfolgten Aufnahme in das Hospital hatte sich das Aus- 
sehen des Trommelfells nicht geändert. Es bestand keine Empfindlich- 
keit des Schädels oder des Warzenfortsatzes, kein Schüttelfrost. Die 
Temperatur betrug aber 102,5°F. Am dritten Tage nach der Auf- 
nahme trat ein ausgesprochener Schüttelfrost mit einer Temperatur von 
105,5°F. auf. Es wurde die Diagnose von Thrombose des Sinus late- 
ralis gestellt. Crockett führte eine Warzenfortsatzoperation nach 
Schwartze-Stacke aus und fand auf der einen Tafel des Warzen- 
fortsatzes gerade über dem Sinus zwei kleine cariöse Stellen, aus deren 
Erweiterung Eiter herausströmte. Der Knochen wurde zur Freilegung 
des Sinus entfernt, welcher nach dem Einschneiden thrombosirt und 
blutleer gefunden wurde. Ein etwa anderthalb Zoll langer, erweichter 
Thrombus wurde entfernt. Der Sinus war augenscheinlich durch einen 
festen Thrombus verstopft. Die Jugularvene wurde nicht unterbunden. 
Der Patient wurde völlig wiederhergestell. Der Verf. giebt noch 
Notizen über acht Fälle von Sinusthrombose, welche im N.-Y. Eye and 
Ear Infirmary beobachtet wurden. G. Bacon. 
70) Fal I. Localisirte Lepto-Meningitis. Ein 24 jähriger 
Mann litt seit seiner Kindheit an Otitis media purulenta chronica. 
Wilson fand den Patienten am 19. August 1891 bei seinem ersten 
Besuche seit sechs Tagen ans Bett gefesselt und mit starken Schmerzen 
im rechten Ohre in derselben Kopfseite und mehreren Schüttelfrösten. 
Temp. 100°F. Derselbe wurde am folgenden Tage ins Hospital auf- 
genommen. Anı 1. September wurde das rechte Antrum eröffnet (nach- 
dem Patient jeden Tag ein oder mehrere Schüttelfröste mit früher fest- 
gestellten Symptomen von Pyämie gehabt hatte) und nach jeder Richtung 
durch das Antrumdach bis zur Dura mater und auch durch die knöcherne 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 61 


Wand des Sinus lateralis erodirt befunden. Die Operation wurde von 
hier nicht weiter fortgeführt. Patient starb am 11. September. Section. 
Ganz localisirte Leptomeningitis, die Gehirnhäute durch plastische Exsu- 
dation über dem Antrumdach und der Trommelhöhle, auch um den Sinus 
lateralis herum, zusammengeklebt. Eitriger Zerfall des Thrombus im 
Sinus lateralis. Ausgedehnte Erosion des Knochens nach allen Rich- 
tungen. Infectiöses Material wurde auch in den Lungen, besonders in der 
linken, gefunden. 

Fall II Pyämie durch Sinusthrombose. Ein 28jjähriger 
Mann litt seit seiner Kindheit an einem Ausfluss aus dem linken Ohre. 
Wilson sah ihn zuerst am 20. December 1893. Derselbe hatte 
Schmerzen in linken Ohre und derselben Kopfseite, und Schüttelfröste 
seit einer Woche. Temp. 103°F., Puls 94, Respir. 20. Patient starb 
am 2. Januar 1894. Es fand keine Section statt. Die Temperatur- 
tabelle zeigt einen typischen Fall von Pyämie. Die Lungenaffection rührt 
unzweifelhaft von Sinusthrombosis her. 

Fall II. Acute Mittelohreiterung. Tod durch infec- 
tiöse Pericarditis. Ein 45 jähr. Kaufmann litt am 27. Februar 1892 
an Otitis media purulenta acuta ohne vorausgegangene Ohrenerkrankung. 
An frühzeitige Paracentese mit darauffolgender Eiterung, schloss sich 
localisirter Schmerz oberhalb der Ohrmuschel, welcher allmählig nach- 
liess und auf einen Tag vollständig verschwand. Er kehrte dann mit 
verstärkter Kraft wieder, mit Temperaturerhöhung auf 105!/,0F. und 
Empfindlichkeit im Halse. Reinigung des Antrums verscheuchte den 
Schmerz oberhalb der Ohrmuschel und drängte die Temperatur auf 
101°F. herunter. Vier Tage darauf erfolgte der Tod durch Pericarditis, 
die ohne Zweifel infectiöser Natur war. 

Fall IV. Chronische Otorrhoe Tod durch Basilar- 
meningitis. Ein wohlgenährter Mann stellte sich am 4. Juli 1892 
mit einer zweijährigen Eiterung aus dem rechten und einer anderthalb- 
jährigen aus dem linken Ohre vor. Ungefähr 5 Monate später, bei der 
zweiten Vorstellung, schien er sehr reizbar und böse auf Widerspruch. 
Er hatte Schütelfröste. Temp. 103° F., Puls 130. Er wurde bewusstlos. 
Es traten klonische Zuckungen beider Gesichtshälften und beider Arme 
auf. Keine Röthung, Empfindlichkeit oder Schwellung über den Warzen- 
fortsätzen. — Bei der Section fanden sich die Gehirnbasis, das Klein- 
hirn, die Medulla und das Rückenmark, soweit es von oben gesehen 
werden konnte, in Eiter gebadet. Der linke Gehörnerv war ein bräun- 
licher Brei. Es bestand keine Caries. 


62 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


Fall V. Acute Otorrhoe Tod durch Pyämie. Sechs 
Wochen vor seinem ersten Besuch hatte der 49 jährige Patient Schmerzen 
im linken Ohre, welche von Ausfluss gefolgt waren. Ungefähr zwei 
Wochen später erschien eine Schwellung unter dem linken Ohre, welche 
immer grösser wurde, bis sie die ganze linke Seite des Halses und 
Warzenfortsatzes einschloss. Der Abscess öffnete sich spontan am Halse 
und es entleerte sich ungefähr ein halbes Quart grünlicher Flüssigkeit. 
Der Patient bekam Schüttelfröste und starb an Pyämie. Keine Section. 

G. Bacon. 


71) Ein 9jähriger Patient wurde mit rechtsseitiger Otitis purulenta, 
Paralyse der rechten Seite und rechtsseitigen Zuckungen nach dem 
Hospital gesandt. Obgleich weder bestimmte Spuren übelriechenden 
Ausflusses vom rechten noch vom linken Gehörgang bestanden, deuteten 
doch die anderen Symptome stark auf eine Läsion in der linken Gross- 
hirngegend hin. Der Temporo-Sphenoidallappen dieser Seite wurde 
explorativ durchforscht, aber ohne bestimmtes Resultat, und der Patient 
starb im Laufe weniger Tage. Bei der Section fand sich ein grosser 
Abscess im rechten Lappen des Kleinhirns. Silk. 


72) Dass intrakranielle Störungen sehr lange Zeit latent und un- 
vermuthet bleiben können, beweist der Fall eines jungen Soldaten, welcher 
mit einem Anfall von akuter Otitis media ins Hospital aufgenommen 
wurde und nach einer Verschlimmerung von Harrison operirt wurde, 
dem es gelang, eine Abcesshöhle im Kleinhirn zu eröffnen und zu drai- 
niren. Der Patient starb ein oder zwei Tage nach der Operation. 
Bei der Section fanden sich deutliche Zeichen einer ausgedehnten Menin- 
gitis; der rechte Sinus lateralis war durch organisirte Lymphe verschlossen 
und ein Stück nekrotisirten Knochens wurde in Verbindung mit den 
Warzenfortsatzzellen an der inneren Schädelfläche gefunden. Obgleich 
keine Vorgeschichte von früheren Anfällen von Otitis media zu erlangen 
war, so war Harrison unzweifelhaft zur Annahme berechtigt, dass 
der Patient bereits zu früherer Zeit von solchen Anfällen gelitten hatte 
und dass die daraus entspringende Störung bisher latent geblieben war. 

Silk. 


Nervöser Apparat. 
73. Cannieu. Recherches sur le nerv auditif au point de vue morphologique. 
Ann. des mal. de lor. Juli 1894. 


74. Curnow, Dr., John. Auditory Vertigo caused of working in compressed 
air. Lancet 10. Nov. 1894. 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 63 


75. Gradenigo. Emorragie nella chiocciota. Archivio ital. d’Otologia etc. 
1894. S. 512. 


76. Luzzati, A. Contribuzione allo studio del senso statico unei sugetti sani 
ed in quelli affetti da malattie del’orecchio. Ibid S. 383. 


76a. Ueber einen Tumor der Vierhügelgegend und über die Beziehungen der 
hintern Vierhügel zu Gehörstörungen. Von Dr. Ernst Weinland. 
Arch. f. Psych. u. Nervenkrankh.. Bd. 26, Hft. 2, S. 363. 


73) S. Barth’s Bericht, diese Zeitschr. Bd. XXVI, S. 328, No. 10. 


74) Curnow berichtet über einen Fall, in welchem ein akuter 
Anfall von Ohrschwindel einen Mann ungefähr 1 Stunde nachdem der- 
selbe seine Tagesarbeit im Blackwalltunnel beendigt hatte, befiel. Der 
Mann war lange gewohnt gewesen, in Tunnels zu arbeiten ohne Nach- 
theil. Er hatte unter Druck von 2/, Atmosphären gearbeitet. Er- 
scheinungen von Mittelohrentzündung waren nicht vorhanden. Durch 
dreiwöchentlichen Aufenthalt im Hospital trat keine Besserung des 
Schwindels ein. 


75) Drei Beobachtungen von Gradenigo, bei welcher die Er- 
scheinungen die Existenz einer auf die Schnecke beschränkten Blutung 
wahrscheinlich machten. In zwei Fällen handelte es sich um Trauma. 
In allen Fällen bestanden keine Schwindelerscheinungen. 

Gradenigo. 


76) Die Untersuchungen wurden mit dem von v. Stein 1892 
empfohlenen und zweckmässig verbesserten Apparate angestellt. Die 
Erkrankungen des Ohres, bei welchen statische Störungen gefunden 
werden, sind solche, bei welchen die galvanische Reaction des Acusticus 
leicht eintritt. Dieselben weisen auf eine Erkrankung des inneren 
Ohres oder des Nervus acusticus hin. Gradenigo. 


76a) 67jähr. Mann. Krankheitsdauer 12 Monate. Haupt- 
symptome: Differenz der beiderseitigen erweiterten Pupillen (links 
enger) und abgeschwächte Convergenzreaction rechts. Herabsetzung der 
Sehschärfe, Gehörsabnahme rechts; ataktische Symptome ohne 
Lähmungen; Kopfschmerzen; häufiges Erbrechen; Abnahme von Ge- 
dächtniss und Aufmerksamkeit; starke Gewichtsabnahme obne Fieber. 
Section: Linke Hälfte der Vierhügelplatte durch eine Geschwulst 
ersetzt mit consecutivem Druckschwund des Kleinhirnwurms, wobei 
(Tumor nicht mit diesem verwachsen) nach Losschälung nur noch ein 
Rest von Vorderwurm in Gestalt einer dünnen Platte als Dach des 
vordern Theils des 4. Ventrikels zurückbleibt. Kleinhirn in den Wirbel- 


64 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


canal gepresst. Brücke plattgedrückt. Geschwulst ein Gliom mit Kalk- 
concrementen. Bemerkenswerth ist die Schädigung des Gehörs 
auf der gekreuzten Seite, wie in den Fällen von Ferrier und Ruel, 
daher: »Erkrankung eines hintern Vierhügels bewirkt 
Gehörsstörung auf der gekreuzten Seite; die Annahme einer 
2. Bahn vom N. cochlearis zum Grosshirn neben der lateralen Schleife 
ist unbegründet. Moos. 


Nase und Nasenrachenraum. 


77. Zwaardemaker, Utrecht. Atembeschlag als Hilfsmittel zur Diagnose 
der nasalen Stenose, Arch. f. Laryngol. Bd. I. Heft 2. 


78. Gradenigo. Importanza dell’esame del senso olfattivo come mezzo diag- 
nostico in determinate affezioni nasali e auricolari. Giornale della R. 
Accad. di Medic. di Torino No. 4-5, 1894. 


79. Chappell, Walter F. Vaso-motorische Rhinitis durch Malariagift. New-York. 
Med. Journ. 29. Sept. 1892. 


80. Straight, Howard S. Ein Fall von Reflexneurose der Nase. Annal. of 
Ophtalm. and Otol. Oct. 1894. 

81. Dunn, John. Erbrechen gleich nach der Mahlzeit. New-York. Med. 
Journ. 22, Sept. 1894. 

82. Wolfe. Die Behandlung des Heufiebers. Journ. americ. med. Assoc. 22. 
Sept. 1894. 

83. Chiari, O., Wien. Ueber Tuberculome der Nasenschleimhaut. Arch. f. 
Laryngol. Bd. I, Heft 2. 

84. Hopmann, Köln. Ueber Messungen des Tiefendurchmessers der Nasen- 
scheidewand bezw. des Nasenrachenraums; ein Beitrag zur ätiologischen 
Beurtheilung der Ozäna. Arch. f. Laryngol. Bd. I, Heft 1. 

85. Tissier. La rhinite atrophique ou sclereuse. Annal. des mal. de l'oreille 
No. X. etc. 1894. 

86. Chappell, Walter, J. Behandlung eitriger Rhinitis, Sycosis und Ekzem 
der Nasenflügel. Arch. of Ophthalm. and Otol. Juli 1894. 

87. Schwager, Würzburg. Ueber cavernöse Angiome der Nasenschleimhaut. 
Arch. f. Laryngol. Bd. I, Heft 1. 

88. Wyngrave, Wyatt. Turbinal Varix. Medic. Press and Circular 7. Nov. 1894. 
89. Gomperz, Dr. B., Wien. Ueber das Vorkommen von Lipomen in der 
Schleimhaut der Nasenhöhle. Monatsschr. f. Ohrenh. No. 9, 1894. 

90. De Santi, Philipe. Papilloma of the septum nasi in a man aged eighty 
two years complicated with rodent ulcer of the nose, some remarks of 
nasal papillomata. Lancet, 8. Dec. 1894. 

91. Stepanow, E. M., Moskau. ` Zur pathologischen Anatomie und Histologie 
des Seleroms. Monatsschr. f. Ohrenh. No. 7, 1894. 





92. 


93. 


94. 


9. 


96. 


97. 
98. 


99. 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 65 


Goldstein, S. Ueber Nasenpolypen bei Individuen unter 10 Jahren. 
Dissert. Königsberg 1894. 


Gerber, Dr. Die Nasensteine — ein Bakterienprodukt. Monatsschr. f. 
Ohrenh. No. 10 1894. l 


Hess, Dr., Falkenstein. Zur Anwendung der Elektrolyse bei Leisten und 
Verbiegungen des Septum narium. Münch. med. Wochenschr. No. 39, 1894. ` 


Ziem, Dr. Zur Behandlung der Verbiegungen der Nasenscheidewand. Monats- 
schrift f. Ohrenh. No. 7, 1894. 


Anton, Dr. Angeborener knöcherner Verschluss der rechten Choane. Arch. 
f. Ohrenh. Bd. 38, S. 40. 


Burger, H. Das Empyem der Highmorshöhle. Klin. Vortr. No. 111. 

Bresgen, Dr., Frankfurt a. M. Die Eiterungen der Nase und ihrer Neben- 
höhlen. Münch. med. Wochenschr. No, 81 u. 32 1894. 

Mackenzie, John. Aspergillusmykose der Oberkieferhöhle. New-York 
med. Journ. 25. Aug. 1894. 


100. Fink, E., Hamburg. Ueber maligne Transformation gutartiger Geschwülste 


101. 
102. 


108. 
104. 
105. 
106. 
107. 
108. 
109. 
110. 
111. 


112. 


113. 


der Highmorshöhle. Arch. f. Laryngol. etc. Bd. I, H. 2. 
Bosworth, J. H. Siebbeinerkrankung. Med. Record 13. Okt. 1894. 


Winkler, E., Bremen. Zur Anatomie der unteren Wand des Sinus fron- 
talis. Arch. f. Laryngol. etc. Bd. I, Heft 3. 

Hawkes, J., Marshall. Trepanation des Stirnbeins wegen chronischer 
Kopfschmerzen. Med. Record 25. Aug. 1894. 

Frank, J. u Kunz, S. Tuberkulose der Stirnhöhle. Med. Record 
3. Nov. 1994. : 

Krecke, Dr., München. Beitrag zur Pathologie u. Therapie des chronischen 
Stirnhöhlenempyems. Münch. med. Wochenschr. No. 51, 1894. 

Eaton, J. B. Ein Fall von Retentionscyste der Stirnhöhle. Journ. americ. 
med. Assoc. 22. Sept. 1894. 

Jansen, A., Berlin. Zur Eröffnung der Nebenhöhlen der Nase bei 
chronischer Eiterung. Arch. f. Laryngol. Bd. I, Heft 2. 

Ziem, C. Zur Operation der adenoiden Vegetationen. Monatsschr. f. Ohrenh. 
No. 11, 1894. 

Guillaume. Vegetations adénoides leur diagnostic et traitement par le 
doigt. Rev. de Laryngol. etc. 15. Nov. 1894. 

Hessler, Dr. Ueber die Behandlung der adeoniden Vegetation mit dem 
Schütz’schen Pharyngo-tonsillotom. Arch. f. Ohrenh. Bd. 38 S. 30. 

Lermoyez. Vegetations adenoides tuberculeuses. Annal. des mal. del’oreille 
etc. 10, 1894. 

Riegner. Exstirpation eines basilaren Rachentumors nach Resektion des 
harten Gaumens. (Methode von Gussenbauer). Deutsche med. Wochenschr. 
No. 33, 1894. 

Kahn, Dr., Würzburg. Syphilis des Nasenrachenraums u. Otalgie. Münch. 
med. Wochenschr. No. 39, 1894. l 


Zeitschrift für Ohrenbeilkunde, Bd. XXVII. 5 


66 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


114. Krecke, Dr., München. Ein besonderer Fall von syphilitiseher Granu: 
lutionsgeschwulst im Rachen. Münch. med. Wochenschr. No. 47, 1894. 


115. Rean, C. E., Mycosisis, tonsillaris. New-York. med. Journ. 18. Aug. 1894. 
116. Dunn, John. Ein Fall von Mykose der Rachentonsille. Ibid. 28. Juli 1894. 


117. Ingels, E. Fletscher. Mykose des Rachens und der Mandeln. Ibid. 1. 
Sept. 1894. 


118. Butler, W. K. Mandelstein. Ungewöhnlicher Fall und Präparat. Medic. 
News. 24. Nov. 1894, 


119. Campena e Arena. Su di un calcolo tonsilare. Archivio ital. di Laryngol. 
1894. Fasc. III. 


120. Schadle, J. E. Totale Verwachsung des weichen Gaumens. Operation u. 
Heilung. Journ. americ. med. Assoc. 22. Sept. 1894. 


121. Vansant, E., Larne. Ein Fall von syphilitischer narbiger Verwachsung 
der Zunge mit dem Gaumen und den Rachenwänden. Med. News. 
1. Dec. 1894. 


122. Johnson, Walter B. Ein Fall von Sarcom des Gaumens, mit Toxinen 
von Erysipel erfolgreich behandelt. Medic. Record 17. Nov. 1894. 


77) Die Methode Zwaardemaker’s dürfen wir bei den Lesern 
dieser Zeitschrift wohl als bekannt voraussetzen. Verf. warnt zunächst 
mit Recht davor, aus der Asymmetrie der Atemflecke zu weitgehende 
Schlüsse auf den Sitz der Stenose zu machen. Er versucht darauf, die 
Verwendbarkeit der Methode auch für die Diagnose der doppelseitigen 
Stenose zu erweisen. Weitere Bemerkungen sind der Figur des Atem- 
beschlags (getheilter Fleck der aus einem medialen und lateralen Stück. 
besteht) und endlich der Möglichkeit gewidmet, damit Gaumensegelparesen 
zu diagnosticiren und ihre Stärke zu messen. Zarniko. 


78) Gradenigo prüft das Geruchsvermögen nach der Methode von 
Zwaardemaker. Es werden dadurch wichtige, diagnostische Anhalts- 
punkte gewonnen über das Stadium des chronischen Katarrhs, wenn die 
objective Untersuchung keine sicheren Anzeigen gibt. 

Gradenigo. 


79) Chappell berichtet über vier Fälle von vasomotorischer 
Rhinitis, welche bei Patienten mit chronischer Malaria auftraten, und 
auf Chinin prompt besser wurden. M. Toeplitz. 


80) Ein 35 jähriger Mann hatte 2!/, Jahre lang plötzliche Anfälle 
von Reflexneurose der Nase, welche im Sommer und Winter alle zwei 
Wochen auftraten und fast zwei Tage lang mit hochgradigem Niessen 
und Ausfluss, aber ohne Asthma oder allgemeine Symptome und ohne 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 67 


Störungen in den Zwischenzeiten anhielten. Jede mögliche Behandlung 
mit Einschluss von Aetzungen mit Chromsäure war ohne Erfolg. Schliess- 
lich führten oberflächliche galvanokaustische Aetzungen der unteren 
Nasenmuschel sehr schnell zur Heilung. M. Toeplitz. 


81) Dunn berichtet über die Fälle von drei Erwachsenen, welche 
häufig von spasmodischen Hustenanfälllen, Erbrechen nach dem Frühstück 
und einer beständigen Anstrengung ihren Hals von „etwas“ zu reinigen, 
ergriffen wurden. Zwei derselben wurden durch die Entfernung eines 
erschlafften Zäpfchens, Behandlung von Nasenhypertrophie und Ver- 
biegung des Septums geheilt; der dritte Fall durch die Entfernung ge- 
schwollener papillae circumvallatae, welche gegen das normale Zäpfchen 
rieben. M. Toeplitz. 


82) Wolfe legt bei Patienten mit Heufieber auf die neurotische 
Anlage besonderes Gewicht und behauptet, dass, wenn die Behandlung 
frühzeitig dagegen gerichtet wird, d.h. indem man zwei Monate vor dem 
Herannahen der Erkrankung damit beginnt, die Fälle dann thatsächlich 
geheilt werden. Er gebraucht Bosworth’s Belladonna- und Phosphor- 
zink-Combination zu diesem Zwecke in der folgenden Formel: 


Rp. Extr. Belladonnae 0,6 
Zinc phosphid. 0,5 
M. f. massa in pill. No. XL. 
eine Pille drei mal täglich nach der Mahlzeit. 


Bei schlecht genährten Patienten füge man der obigen Vorschrift 
acid arsenicos. 0,06 hinzu. M. Toeplitz. 


83) Chiari berichtet über 6 typische Fälle von tuberculösen Ge- 
schwülsten der Nasenschleimhaut. Bei vieren konnten in mikroskopischen 
Schnitten spärliche Tuberkelbacillen aufgefunden werden, bei den übrigen 
beiden nicht. Doch boten diese einen characteristischen histiologischen 
Befund. Auf Grund seiner Fälle und der übrigen in der Lit. nieder- 
gelegten (15 an der Zahl) entwirft nun Verf. von Neuem ein Bild von 
der in Rede stehenden Erscheinungsform der Nasentuberculose Es ist 
übersischtlich und klar, bringt aber dem mit dem Gegenstande Ver- 
trauten nichts Neues. (Dass Tuberkelbacillen auf dem Lymphwege 
in die Schleimhaut der Pars cartilag. septi gelangen sollen, beruht wohl 
auf einem Lapsus calami. D. Ref.) Nicht erwähnt wird die Möglichkeit, 
dass die Bacillen mit dem Luftstaube bei der Inspiration an den Locus 
morbi gelangen können. Wie man aus den Bemerkungen zur Differential- 

5* 


68 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


diagnose ersieht, will Verf. den Lupus der Nasenschleimhaut von der 
eigentlichen Tuberculose getrennt wissen. Zarniko. 

84) Hopmann bekennt sich zu der Ansicht, dass die Ozäna eine 
wohl characterisirte Krankheit sui generis ist. Ihre Pathogenese sei 
noch dunkel. Indess glaubt er, dass abnorme Weite des Nasenlumens 
die causa prima des Complexes ist (Theorie Zaufal’s). Diese Con- 
figuration soll in erster Reihe auf einer Entwickelungshemmung be- 
ruhen, die sich häufig schon in der foetalen Periode ausbildete und als 
deren Grnndlage vielleicht foetale Rachitis anzusehen wäre. Ferner 
aber theilt Verf. Entzündungsvorgängen eine wichtige Rolle für das Zu- 
standekommen der Ozäna zu, die begünstigt durch die mangelhafte Ent- 
wickelung des Scelets um so eher zu Störungen der Ernährung und des 
Wachsthums führen könnten. Seine Ansicht sieht Verf. bestätigt durch 
vergleichende Messungen, die er an gesunden und kranken Nasen aus- 
geführt hat. Sie erstrecken sich auf den Tiefendurchmesser des Nasen- 
rachens und der Nasenscheidewand. Das Messinstrument besteht aus 
einem mit Millimetertheilung versehenen Aluminiumstab mit endständigem 
Haken und verschiebbarer Marke. Er führt den Stab durch die Nase 
bis zur Hinterwand des Nasopharynx und schiebt die Marke bis zur 
Berührung mit der Nasenspitze vor. So wird die Entfernung der 
Hinterwand von der Nasenspitze (A) ermittelt. Wird der Haken jetzt 
hinters Septum gehakt, so zeigt die Marke die Tiefe des Septums (B) 
an. Die Differenz A—B ist die Tiefe des Nasenrachens. Da die ab- 
soluten Werthe nicht gut vergleichbar sind, so wurden sämmtliche Zahlen 
auf A = 100 umgerechnet. Dergestalt gewann Verf. folgende Ergeb- 
nisse: Bei 40 Ozänakranken war das Verhältniss der Werte B: A—B 
= < 71 : `> 29, bei 27 Kranken mit Rhinitis sicca < 77 : > 23, 
bei 61 Kranken mit anderweiten Nasenaffectionen oder bei normalen 
Nasen `> 77 : < 23. »Bei reiner Ozäna ist demnach das Septum im 
Durchmesser von vorn nach hinten in der Regel erheblich kürzer als 
normal. Umgekehrt ist dabei die Tiefe des Nasenrachenraums gegen 
die Norm nicht unerheblich vergrössert. « Zarniko. 

85) Aetiologie: a. localisirt: Die Muscheln, gewöhnlich die 
untere, oder die Scheidewand. Einfluss der Compression — Tumoren, 
spinae — oder Einfluss einer Entzündung mit Veränderung an den 
Gefässen : eirrhose zugleich mit Pigmentveränderung verbunden : Xanthose, 
allgemeine oder localisirte (durch Veränderung des Blutpigments, in 
Folge vorausgegangener Blutungen), die Schleimhaut wird mit der Zeit 
weisslich und sehr dünn. b. generalisirt: aber ungleichmässig ver- 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 69 


theilt — bei alten Leuten oder nach einer abgeheilten Ozäna oder bei 
Syphilis. Symptome-Behandlung. Anblick erinnert an eine Serosa; bei 
Sondirung unnachgiebige Consistenz und Fehlen des Gefässreichthums. 
Wenig subjective Symptome bei localisirtem Process. Bei generalisirtem 
aber: Zahlreiche, festhaftende Krusten, ohne Verletzung der Schleim- 
haut, die sehr geniren. Dann constant: retropharyngitis sicca, oft 
ebenso chronische Laryngitis. Ohren- und nervöse Störungen. Der 
objective Anblick ist der der gewöhnlichen Ozäna. Die atrophische 
Rhinitis ist keineswegs immer die Folge einer abgelaufenen Ozäna; es 
braucht niemals fötider Geruch vorhanden gewesen zu sein. Behand- 
lung: Heilung unmöglich, bei generalisirtem Process; Salzbäder sind 
nützlich, Insufflationen, Perubalsam. De l’atrophie de la partie antérieur 
de la cloison. a. Hyperplasie — mit häufigem Nasenpvluten, Crusten 
im Naseneingang, die am Septum festhaften. b. Rückbildung. Blasse, 
dünne Schleimhaut; keine Läsionen. c. Fibröse Umwandelung; Atrophie, 
Perforation möglich. Sehr anämische Schleimhaut, Verschwinden der 
Drüsen. Behandlung mit Salben, Cauterisation gegen Nasenbluten. 
| Ripault. 
86) Die Behandlung der Sycose und des Ekzems des Naseneingangs 
besteht in der Anwendung von 2 bis 10°/,igen Höllensteinlösungen 
und der folgenden Salbe: Rp. Acid. Carbolic. 0,1, Acid. tannic 0,21, 
in Benzoinol 10,0 und Ung. Zinc. oxyd. q. s. ad 20,0. Die für die 
Behandlung der neun beigefügten Fälle erforderliche Durchschnittszeit 
betrug ungefähr fünf Tage. M. Toeplitz. 
87) Schwager giebt im Anschluss an 6 aus dem Seiiert’schen 
Ambulatorium berichtete Krankheitsfälle die Analyse einer seltnern gut- 
artigen Geschwulst der Nasenschleimhaut: des cavernösen Angioms. 
Es präsentirt sich makroskopisch als circumscripter, tiefdunkelrother bis 
bläulichrother Tumor, der sich mit der Sonde nicht vollkommen ein- 
drücken lässt und nach Cocainisirung nur wenig abschwillt. Es sitzt 
ausschliesslich an der untern Muschel und am Septum. Auf seine 
Abschnürung folgt regelrecht eine starke Blutung. Die mikroskopische 
Untersuchung lehrt, dass die Geschwulst der Hauptsache nach aus venösen 
Gefässen besteht, deren Anzahl und Weite von aussen nach innen 
wachsen. Die oberflächlichern Gefässe haben ein regelmässiges rund- 
liches oder ovales Lumen, die tiefern sind unregelmässig gestaltet. 
Stellenweise erkennt man, dass die Zwischenwand zwischen zwei Gefässen 
schwindet und beide mit einander confluiren. — Drüsen sind auffallend 
wenige vorhanden. Verf. will die c. A. von solchen Tumoren trennen, 


70 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


die lediglich durch Erweiterung und vermehrte Schlängelung bereits 
vorhandener Gefässe entstanden sind (den teleangiectatischen 
Tumoren). Jedoch seien diese nur die Vorstufe der c. A. und es 
existirten zahlreiche Uebergangsstufen zwischen beiden. Zarniko. 

88) Wingrave beschreibt die Form von hypertrophischer Rhinitis, 
welche auf dauernder Erweiterung der venösen Sinus der unteren Muschel 
beruht. Er ist der Ansicht, dass in den Wandungen der Sinus Muskel- 
fasern vorhanden sind, durch krankhafte Veränderungen dieser Muskel- 
fasern entsteht die besondere Form der vasculären Hypertrophie. Die 
Hypertrophien werden mit dem Ringmesser entfernt. Die Arbeit ent- 
hält zahlreiche makroskopische und mikroskopische Abbildungen. 

89) Der kirschgrosse Tumor ging von der Gegend aus, wo sich 
die Cartilago triangularis an das Nasenbein ansetzt und bestand aus 
gefässreichem Fettgewebe. Ein ähnlicher Fall ist bisher noch nicht 
beobachtet. Killian. 

90) Eine papilläre von der Nasenscheidewand entfernte Geschwulst 
erwies sich bei der mikroskopischen Untersuchung als Papillom. De 
Santi hält die wahren Papillome der Nase für sehr selten. 

91) Stepanow schildert den klinischen Verlauf, die Ergebnisse 
der Section und speciell die makroskopischen und mikroskopischen Ver- 
änderungen in Nase, Rachen, Kehlkopf und Trachea eines Scleromfalles 
in ausserordentlich genauer und eingehender Weise. Die Einzelheiten 
bitten wir im Originale nachzusehen, da sie sich unmöglich in ein 
kurzes Referat zusammenfassen lassen. Wir möchten nur besonders auf 
seine musterhafte Beschreibung der scleromatösen Veränderungen der 
Nasenschleimhaut hinweisen, bei welcher die frühesten Stadien der Er- 
krankung speciell berücksichtigt sind. Beachtenswerth ist auch, dass 
in dem späteren fibrösen Stadium die Constatirung der Bacillen und 
damit die Diagnose an Probestückchen sehr schwierig werden kann. 

Killian. 

92) Goldstein giebt zunächst in extenso eine Uebersicht dessen, 
was die Literatur über Histologie, Classification und Statistik der Nasen- 
polypen ergeben hat und kommt dann zu einer Bestätigung der Hop- 
mann'schen Behauptung, dass Nasenpolypen im Alter unter 10 Jahren 
gar nicht so selten sind. In dem Königsberger Ambulatorium (Gerber) 
wurden unter 75 Fällen 5 solche = 6,85 °/, beobachtet. 

Zimmermann. 

93) Gerber glaubt, dass Microben den regelmässigen und wesent- 

lichen Bestandtheil der Nasensteine ausmachen, und zwar die ver- 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 71 


schiedensten Arten, also nicht ausschliesslich Leptothrix, wie Moure 
annimmt. | Killian. 
94) Wenn auch die Galvanokaustik oder der blutige Weg vor- 
zuziehen ist bei sonst gesunden Leuten mit hochgradigen Verengerungen, 
die zudem nicht viel Zeit aufwenden können, so ist sicher die Electro- 
lyse die geeignetste Operationsmethode bei einem Material, wie es 
Hess in der Heilanstalt Falkenstein zur Verfügung steht. Die Be- 
schwerden sind selten sehr. stark, die Patienten schwächere, vielleicht 
fiebernde Personen ; es kommt auch in Betracht die psychische Erregbarkeit 
des Phthisikers; für. ihn könnte zudem eine stärkere Reaction wie nach 
Galvanokaustik recht nachtheilig sein. Die E. ist schonend, der Pat. 
wird dabei im Curleben nicht gestört. H. giebt der bipolaren Methode 
den Vorzug, er benützt Stromstärken von 10—15 M. A. unter lang- 
lamgsamem Ein- und Ausschleichen des Stroms; statt des Galvanometers 
kann zur Noth das Gefühl des Pat. den Massstab für die Stromstärke 
geben. Sitzungsdauer 3—10 Minuten. Pausen zwischen den einzelnen 
Sitzungen von 8—10 Tagen. Das günstigste Object bilden kleine 
Spinen und besonders Verdickungen vorn am Septum. Die Beschwerden 
durch den Eingriff sind sehr gering, Blutungen sehr selten, eine Nach- 
behandlung ist unnöthig. Zum Schluss erwähnt Verf. noch, dass nach 
seiner Erfahrung in Falkenstein starke reactive Entzündung nach Gal- 
vanokaustik nur selten vorkommt, was wohl nur durch den dauernden 
Aufenthalt des Pat. in reiner Luft und durch den Mangel an Gelegen- 


heit zur Infection zu erklären sei. Müller. 
95) Empfehlung einer durch Rotationsmaschine getriebenen Nasen- 
säge. | Killian. 


96) Anton konnte im Anschluss an die von Schwendt ver- 
öffentlichten 25 Fälle von Verschlüssen der hinteren Nasenöffnungen 
noch 13 aus der Literatur zusammenstellen. Der Fall von Anton 
betraf einen 21jährigen Mann, der erst mit dem 12. Jahre bemerkt 
hatte, dass er durch die rechte Nasenseite nicht ausblasen konnte. 
Ausser Kurzluftigkeit keine Beschwerden. Bei Rhinoscopia posterior 
zeigte sich die rechte Choane durch eine senkrecht stehende, weissliche 
Platte verschlossen. Der Geruchsinn war in der verschlossenen Nasen- 
seite vollständig aufgehoben. Die Knochenplatte wurde mit einer Zahn- 
bohrmaschine durchbohrt und hat 3 Monate nachher noch 6—7 mm im 
Durchmesser. Der Geruchsinn hat sich jedoch nicht eingestellt. Rumler. 

97) In sehr präciser und erschöpfender Form bespricht Verf. zu- 
nächst die Geschichte und Aetiologie der Krankheit; betont unter den 


72 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


objectiven Symptomen die Einseitigkeit und Periodicität der Eiterung, 
legt den Schwerpunkt der Diagnose aber in eine genaue Untersuchung 
der Nase. Dabei hat er aber niemals den lateralen Schleimhautwulst 
(Kaufmann) constatiren können, das Hauptmoment liegt in der Auf- 
findung des Eiters allein in der Gegend des Ostium maxillae, ev. in 
der von Fränkel angegebenen Haltung des Patienten. Zuweilen kann 
man sich auf den secundär veranlassten Befund von polypösen oder 
Granulations-Wucherungen oder einen begleitenden trockenen Catarrh 
stützen. Ein wesentliches Hülfsmoment liegt in der Durchleuchtung und 
zwar in der subjectiven Lichtempfindung. In Zweifelsfällen greift man 
zur Probepunction. Ein kurzes Resume über die Differential-Diagnostik 
beschliesst die klar geschriebene Arbeit. Zimmermann. 
98) Flächeneiterungen der Nase sind nach Bresgen’s Erfahrungen 
selten, meist liegt der Eiterung eine Herderkrankung zu Grunde. Hin- 
sichtlich der Entstehung von Naseneiterungen unterscheidet B. 2 Arten: 
die erste wird durch Trippereiter — hauptsächlich bei Neugeborenen (beim 
Durchtritt der Frucht), aber auch bei Erwachsenen — oder anderen 
Eiterstoff hervorgerufen, sie findet sich auch in der zweiten Hälfte des 
acuten Schnupfens; die zweite — mit auffallender Betheiligung der 
Nebenhöhlen — bildet eine Theilerscheinung acuter Infectionskrank- 
heiten, besonders Masern, Scharlach, Influenza und Diphtherie. Eine 
dritte aber kleine Gruppe bilden die Kieferhöhleneiterungen in Folge 
von Zahncaries. Nach kurzer Schilderung der Symptome der Nasen- 
eiterungen wird die Diagnose eingehend besprochen. B. weist darauf 
hin, wie wichtig es ist, bei der Untersuchung die Reinigung unter 
Leitung des Auges vorzunehmen, da nur dadurch zu entscheiden sei, 
ob Flächen- oder Herdeiterung vorliegt, und wo die letztere localisirt 
ist. Zur letztgenannten Entscheidung nimmt B. ausser den verschiedenen 
Kopfhaltungen, bezüglich der Kiefer- und der Stirnhöhle die Durch- 
leuchtung zu Hilfe, ferner die Probepunction oder -eröffnung bezw. 
Sondirung, Erkrankungen der Keilbeinhöhle und der Siebbeinzellen sind 
mittelst der Sonde festzustellen event. unter Wegnahme eines Theils 
der mittleren Muschel; Herdeiterungen können auch namentlich in den 
oberen Parthieen bestehen einfach durch Schleimhautschwellung des 
tiefer liegenden Thcils ohne Betheiligung einer Nebenhöhle. Nach B.’s 
Erfahrungen bilden bei Ozäna in der Regel Herderkrankungen die 
Grundlage, Erkrankungen des Knochens, die er dabei viel seltener ge- 
funden hat, als Grunnow, hält er viel weniger wichtig als solche 
der Nebenhöhlen. Zum Schluss beschreibt B. seine Therapie, wie dies 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 13 


schon an anderem Ort geschehen ist. Sie besteht in der Hauptsache 
in möglichster Freilegung des Herds auf operativem Wege, ausserdem 
für die Nebenhöhlen in Einführung von Hexa-Aethylviolett. Diese Be- 
handlungsweise sei nicht nur weit bequemer als die früher geübte, 
sondern führe auch sicherer und schneller zur Heilung. Müller. 
99) Bei einer 35jährigen Frau, welche an Otalgie, einem Furunkel 
des äusseren Gehörgangs und einem Abscess des Ohrläppchens gelitten 
hatte, wurde eine Erkrankung der Öberkieferhöhle im Januar 1889 
erkannt, aber nicht vor 1892 operirt; dann wurde nach der Extraction 
des zweiten Mahlzahns der Boden der Kieferhöhle mit einem grossen 
Drillbohrer perforirt. Durch die Oeffnung, welche permanent geblieben 
war, kamen zwei Jahre später Fäden von falscher Membran in Zwischen- 
räumen von wenigen Tagen bis zu einer Woche oder zehn Tagen heraus, 
welche ihrer Länge nach bis zu der eines Zeigefingers schwankten. 
Die Membranen enthielten Aspergillus fumigatus. Der Infectionsmodus 
ist dunkel. M. Toeplitz. 
100) Der Patient, über den Fink ausführlich berichtet, litt seit 
dem 12. Lebensjahre an recidivirenden Schleimpolypen der rechten 
Nasenhöhle. Mit 33 Jahren stellte sich Auftreibung des Oberkiefers 
ein, drei Jahre später colossale Schmerzen. Verf. eröffnete jetzt die 
Highmorshöhle vom Proc. alveolaris aus, fand aber wider Erwarten nur 
wenig Eiter darin, vielmehr reichlich weiche Geschwulstmasse. Bald 
nachher Auftreibung des Proc. zygomaticus, Drüsenschwellung auf der 
rechten Halsseite.e Diagnose: Maligne Neubildung in der Kieferhöhle, 
Versuch einer radicalen Operation durch Schede; Ausräumung der 
Kieferhöhle nach breiter Eröffnung von der Wangenseite. Die entfernten 
Geschwulstmassen erwiesen sich als Carcinom. Nach wenigen Tagen 
Zeichen einer Metastase im 5. Halswirbel.e Nach 6 Wochen Exitus. 
Die Analyse des Krankheitsfalles führt den Verf. zu der Annahme, dass 
es sich zunächst um gutartige Neoplasmen in der Kieferhöhle gehandelt . 
habe, die sich später in maligne umgewandelt hätten. Dem Ref. scheint 
diese Annahme völlig in der Luft zu schweben. Dagegen kann er dem 
nur beistimmen, dass eine frühere energische Behandlung des Leidens 
der Kieferhöhle wohl am Platze gewesen wäre. Zarniko. 
101) Die Erkrankungen des Siebbeins sind anatomisch und symp- 
tomatologisch von denen der andern Nebenhöhlen durch die Eintheilung 
der Höhle in Zeilen und durch die nervösen und Augensymptome ver- 
schieden. Acute Fälle, besonders in Folge von Influenza sind häufiger 
als allgemein angenommen wird. Die chronischen Fälle sind mit poly- 


74 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


pöser Degeneration mit oder ohne Eiterung verbunden und lassen sich 
auch durch die Veränderungen der mittleren Muschel von der Nase aus 
diagnostiziren. Die Eiterung ergiesst sich in den mittleren Nasengang, 
in den Nasenracheraum oder in die Augenhöhle. Die acuten Fälle 
werden mit Vorliebe mit heissen salinischen Naseneinspritzungen ver- 
mittelst der Thudichum-Dusche hehandelt. Für die Behandlung der 
chronischen Fälle zieht Bosworth nach der Entfernung aller Hyper- 
trophien, den kleinen zahrfärztlichen Bohrer der Curette zur Eröffnung 
und Erweiterung der Höhle vor. Unter den 97 Fällen von. Siebbein- 
erkrankung, welche von Bosworth während fünf Jahre beobachtet 
wurden, befanden sich drei Carcinome und vier Sarcome. Die Lebens- 
alter der Patienten schwankten zwischen dem zweiten und siebenten Jahr- 
zehnt, wobei die mittleren am häufigsten betroffen .waren.. 61. waren 
männlich und 32 weiblich. 15 Fälle waren entzündlicher Natur mit 
Polypen oder Eiterung, von denen 9 geheilt und 3 gebessert wurden. 
29. Fälle zeigten Polypen ohne Eiterung von denen 12 geheilt und 10 
gebessert wurden. Von 22 Fällen von Polypen und Eiter wurden 9 
geheilt und 10 gebessert. Von 27 rein eitrigen Fällen, wurden 8 
geheilt und 12 gebessert, von denen fast alle mit der Schlinge oder 
dem Drillbohrer operirt worden waren. Es wäre von grossem Interesse 
gewesen zu erfahren, gerade in wie viel Fällen und mit welchem Resultate 
der Drillbohrer gebraucht wurde. ` = =- M. Toeplitz. 

102) Die vorliegende Arbeit beschäftigt sich vor Allem mit der 
Frage: Ist es statthaft und durch die anatomischen Verhältnisse be- 
gründet, medianwärts von der mittlern Muschel eine Eröffnung der 
untern Stirnhöhlenwand zu versuchen (wie es Schäffer that). Um 
diese Frage zu beantworten hat der Verf. Experimente und Messungen 
an den Stirnhöhlen von 33 Leichen gemacht. Zuerst wurde die Son- 
dirung vom mittlern Nasengange aus versucht. Darauf wurde eine 
starke Sonde nach Schäffer wennmöglich in die Stirnhöhle eingeführt. 
Die Lage der Instrumente controlirte Verf. durch Aufmeisselung des 
Sinus von der Schädelhöhle her und machte schliesslich die Harke’sche 
Section um Messungen vorzunehmen. Verf. gelangte dergestalt zu 
folgenden Resultaten: „Berechnet man die gelungenen Sondirungs- und 
Trepanationsversuche auf die Gesammtsumme aller männlichen und 
weiblichen Stirnhöhlen, so konnte von den ersteren kaum der 6. Teil 
sondirt, wohl aber über die Hälfte trepanirt werden, während bei der 
Hälfte der weiblichen Stirnhöhlen die Trepanation der untern Stirn- 
höhlenwand gelungen war, jedoch nicht einmal der 4. Teil aller Sin. 


. Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 75 


front. sich hatte sondiren lassen.“ — Kann man nun nach irgend 
welchen Merkmalen am Lebenden Schlüsse auf die Ausdehnung, der 
Stirnhöhle oder die Dicke ihrer Wände, besonders der unteren, zıehen? 
Diese Frage muss nach den Messungen des Verf. verneint werden. 
(Die Methode Schäffer’s ist durchaus nicht gefahrlos. Man kann, 
wie W. selbst sagt, vermittels der Rhinoscopie die Richtung des Trepa- 
nationsinstrumentes in den obern Nasalraum nicht verfolgen, und man 
wird um so eher statt der Stirnhöhlenwand die Siebplatte durchstossen 
können, wenn jene wie in 22 Fällen von W. eine feste Knochenplatte 
von 2, 3, 5 und mehr Millimeter Dicke ist. Wer sagt mir aber, ob 
der Patient, den ich operiren will, nicht gerade eine so unglücklich 
dicke untere Stirnhöhlenwand hat? Die Ermittelungen Winckler’s 
sprechen somit gegen die Methode Schäffer’s. . Zarniko. 
103) Der 28jährige Patient litt 20 Jahre lang an Kopfschmerzen, 
welche sich auf einen Fall auf einen Rinnstein datiren liessen, wobei 
der obere rechte Quadrant der Stirn ungefähr einen Zoll oberhalb und 
parallel mit der supra-orbitalen Leiste eingeschnitten wurde. Der Schnitt 
war vereitert und langsam verheilt. Die Kopfschmerzen waren that- 
sächlich continuirlich. Die leichte Depression des Knochens, welche 
nicht mehr als einen halben Zoll lang war, wurde durch einen Trepan 
in einer °/, Zoll im Durchmesser messenden Scheibe entfernt. Der 
Patient hat nun drei Jahre nach der Operation keinen Kopfschmerz 
mehr. M. Toeplitz. 
104) Ein 28jähriger,, heriditär mit Tuberkulose belasteter Mann 
klagte über Druck, der quer über der Stirn lastete. über schmerzhafte 
Schwellung über der rechten Stirnhöhle mit nachfolgender Schwellnng 
des oberen Lides, wobei das rechte Auge leicht nach unten gedrängt 
war und Fluctuation über der Thränendrüse zeigte. Durch eine Inzision, 
welche von der Glabella bis nach dem äusseren processus augularis, !/,’ 
über der Augenbraue, reichte, wurde die Stirnhöhle nach Wegmeisselung 
des rauhgewordenen Knochens eröffnet und mit einer gelblich käsigen 
Masse gefüllt gefunden. Ein cariöser Herd der hinteren Knochenwand 
wurde cürettirt, wodurch die Dura mater fast freigelegt wurde. Vom 
rechten untern Winkel der Höhle führte ein kleiner Canal vom oben 
beschriebenen cariösen Herd aus zu der fluctuirenden Masse des oberen 
Lides, welche eine Drachme Eiters enthielt. Der ganze Supraorbital- 
bogen war erkrankt; er wurde fortgemeisselt und ausgelöffelt, und ebenso 
die Nasenhöhle durch die Stirnhöhle hindurch. Am 8. Tage nach der 
Operation erfolgte die Heilung. Eine vollständige Literaturangabe, die 


76 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. X 


95 aus dem Index medicus zusammengestellte Fälle enthält, ist bei- 
gefügt. M. Toeplitz. 
105) An die Beschreibung eines Falles von Stirnhöhlenempyem — 
Eiterung seit 50 Jahren, vor 1!/, Jahren Durchbruch nach aussen, 
seitdem Fistel; Vordrängung des Bulbus, nie Kopfweh; breite Eröffnung 
von aussen: Die Höhle zu Hühnereigrösse erweitert, die Schleimhaut in 
eine bis 4 mm dicke bindegewebige Membran mit warzigen Erhebungen 
verrandelt; Tod am 14. Tage an Meningitis von einem latenten Hirn- 
abscess ausgehend — knüpft K. bemerkenswerthe Auslassungen über die 
Behandlung der Stirnhöhleneiterungen. Er hält bei erheblich veränderter 
Schleimhaut eine Heilung durch nasale Therapie für unmöglich, hier 
sei sie nur zu erreichen durch breite Eröffnung von aussen. Die Stirn- 
höhle sei in diesex Beziehung ebenso zu beurtheilen wie die starrwan- 
digen Höhlen z. B. bei Osteomyelitis und bei Pleuraempyemen, wo die 
Heilung nur möglich sei, wenn eine Wand völlig abgetragen ist, so dass 
die Höhle veröden kann; dieselben Bedingungen gelten für das chron. 
Empyem der Kieferhöhlen. Sein Verfahren ist folgendes: Schnitt genau 
am Margo supraorb. bis zum äusseren Drittel, Abhebelung des Periosts 
nach oben und unten, Abtragung der ganzen vorderen ev. eines Stücks 
der unteren Wand, Ausschabung der Schleimhaut mit einem scharfen 
Löffel, als unwesentlich Erweiterung des Ausführungsgangs nach der 
Nase. Tamponade mit Gaze. Verbandwechsel alle 14 Tage (erster 
nach 5—6 Tagen). Heilungsdauer 2—3 Monate. Entstellung minimal. 
Die breite Eröffnung sei ein durchaus sicheres und unbedenkliches Heil- 
mittel. Müller. 
106) Eine Geschwulst bestand drei Jahre lang über der rechten 
Augenbraue eines 26 jährigen Italieners, zugleich mit grossen polypoiden 
Hypertrophien der Schwellkörper der mittleren Muscheln, besonders der 
rechten, nach deren Entfernung sich eine grosse Menge Flüssigkeit aus 
dem Nasenlocl entleerte.e Die Entfernung der Stirnhöhlengeschwulst 
von aussen und tägliche Tamponade der Höhle während vier Monate, 
führte zu völliger Heilung. M. Toeplitz. 
107) In der Einleitung betont Jansen die Schwierigkeit, chronische 
Nebenhöhlenempyeme zur Ausheilung zu bringen. Die Gründe dafür 
sieht er 1. in der Hartnäckigkeit, mit der allseitig starrwandige Höhlen 
im Allgemeinen der Heilung trotzen, 2. in dem Umstande, dass häufig 
Empyeme mehrerer Höhlen nebeneinander bestehen und sich gegenseitig, 
oft durch die dünnen Knochensepta hindurch, von Neuem inficiren. 
»Schwere Erkrankungen sämmtlicher Nebenhöhlen«, sagt er, »gehören 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 77. 


durchaus nicht zu den grossen Seltenheiten. Bei 7 Kranken mit Stirn- 
höhlenempyemen, welche ich im letzten Jahre operrirt habe, fand ich in 
allen Fällen das Siebbein und in 6 Fällen die Kieferhöhle krank; bei 
zwei Kranken waren die Empyeme doppelseitig, in einem Falle stiess 
ich auch noch auf eine Vereiterung der Keilbeinhöhlen.< Als weiteres 
Hinderniss führt er 3. enge und zuweilen ungünstig gelegene Ausfüh- 
rungsgänge an, die häufig noch durch Schwellungen und Granulationen 
verlegt werden: endlich 4. ausgedehnte pathologische Veränderungen: 
riesige Anhäufungen von Granulationsgewebe mit abgesackten Eiterherden 
darin; ausgedehnte cariöse Processe mit grossen Defecten oder Seque- 
stern in den Wänden. Auf Grund dieser Erwägungen und Erfahrungen 
glaubt Verf., dass alle, die über Heilung chronischer Nebenhöhlenempyeme 
durch einfache Ausspülungen berichten, sich getäuscht haben oder nicht 
lange genng auf Recidive geachtet haben.*) Die ungünstige Prognose 
bei den bisherigen Behandlungsmethoden hat den Verf. dazu geführt, 
noch radicaler vorzugehen, als die radicalsten neuern ÖOperateure, z. B. 
Grünwald. Er verfährt folgendermassen : 

A. Kieferhöhle. Er entfernt nach Abschaben des Periosts die 
ganze vordere Wand bis zum Foramen infraorb., das erhalten wird, 
dessen Gefässe und Nerven geschont werden. Auskratzung der Höhle, 
Entfernung von Sequestern etc., Implantation eines Schleimhautlappens, 
der vom Proc. alveolaris (hier zugleich mit dem Periost) und von der 
Innenfläche der Lippe gewonnen wird. Jodoformgazetampon, der jeden 
Tag oder jeden 2. Tag gewechselt wird. Nach 8—14 Tagen Einlegen 
eine Kautschukobturators, der an einem künstlichen Gebiss oder einem 
gesunden Zahn befestigt wird. Er soll die Wunde offenhalten und der 
Granulationswucherung entgegenwirken. Die Nachbehandlung dauert in 
der Regel sehr lange, bis zu 2 Jahren, kann aber vom Patienten zum 
grossen Theil selbst besorgt werden. 

B. Stirnhöhle oder Siebbein, die ja in allen Fällen des 
Verf. zugleich erkrankt waren (s. o0.). Bogenförmiger Schnitt unterhalb 
der Augenbraue vom lateralen Orbitalrande bis auf die Seitenwand der 
Nasenwurzel abwärts von der Lidspalte. Ablösung des Periosts von der 
untern Wand des Sinus front., Entfernung des Boders der Stirnhöhle 


*) Jeder, der einige Fälle von Nasenhöhlenempyem sei es durch einfache 
Ausspülungen, sei es durch Zahnextraction und Anbohrung behandelt hat, weiss, 
dass dieselben oft überraschend schnell dauernd zur Heilung gelangen. Wenn 
Jansen demnach für alle Fälle die Radicaloperation empfiehlt, so ist vor einer 
solchen Empfehlung zu warnen. Hartmann. 


78 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


bis zur Nasenwurzel und dem Ausführungsgange. Bei grössern Höhlen 
wird von der vordern Wand noch der untere Saum !/,—!/, em hoch 
weggenommen. Ausräumung der Höhle mit allen ihren Buchten. Von 
der Stirnhöhle aus auch Ausräumung des erkrankten Siebbeins mit 
Fortnahme der orbitalen und der nasalen untern Wand. Dabei muss 
man sich vor Verletzung des Inhalts der Fossa sphenomaxillaris in Acht 
nehmen. Oft kann man und wird man in zweifelhaften Fällen immer 
C. die Keilbeinhöhle von vorn eröffnen und ausschaben. 
(Ref. will nicht unterlassen zu bemerken, dass die Eröffnung des Sieb- 
beins von der Orbita her wie sie Verf. ausführt, schon von Grünwald 
als typische Operation für gewisse Fälle an der Leiche ausprobirt und 
empfohlen ist.) Beim combinirten Empyem eröffnet. Verf. zuerst Stirn- 
höhle und Siebbeinzellen und lässt die Kieferhöhle in einer zweiten 
Sitzung folgen. Bei doppelseitiger Erkrankung warnt er vor gleich- 
zeitiger Eröffnung beider Stirnhöhlen. Nach einigen Bemerkungen zur 
Diagnostik der Nebenhöhlenempyeme bilden 7 ausführliche z. T. illustrirte 
Krankengeschichten den Schluss der interessanten Arbeit. 
| Zarniko. 
108) Die schon seit lange gebräuchliche Operation der adenoiden 
Vegetationen vermittelst der kalten Schlinge durch die Nase übt Ziem 
so aus, dass er gleichzeitig den Zeigefinger der andern Hand zur Con- 
trolle in den Nasenrachenraum einführt. Killian. 
109) Guillaume betont den Einfluss der Erblichkeit; hält als 
Operation für die beste die mit dem Finger, der aber mehr zerdrücken 
als mit dem Nagel kratzen soll, unter strenger Antisepsis; nur bei 
harten oder sehr grossen Vegetationen ist die Methode contraindicirt. 
Das Verfahren selbst ist weder gewaltsam noch blindlings. 
Ripault. 
110) Hessler operirte in 100 Fällen mit dem Schütz’schen 
Pharyngotonsillotom und ist mit den Erfolgen recht zufrieden. Als 
Hauptvorzüge rühmt er, das es sich auch bei kleinen Kindern leicht 
und gefahrlos gebrauchen lasse und die Blutung gering sei, wegen 
fehlender Nebenverletzungen. Hessler betont die Nothwendigkeit, die 
adenoiden Vegetationen zu entfernen besonders wegen der Gefahren 
für die Ohren. Rumler. 
111) Ein Kind aus tuberkulöser Familie mit adenoiden Vegetationen 
wird nach Entfernung derselben wieder davon befallen unter gleichzeitiger 
Verschlechterung des Allgemeinzustandes: es handelt sich um eine Ver- 
schlimmerung einer bis dahin latenten Nasopharynxtuberculose. Die 


-` Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 79 


Operation kánn eine Dissemination tuberkulöser Keime in die Blutbahn 
herbeiführen und eine energische Allgemeinbehandlung erforderlich machen. 
Die Fälle sind selten; aber bemerkenswerth, man soll bei jedem Recidiv 
oder wo in der Vorgeschichte etwas suspect ist, mikroskopisch unter- 
suchen. Die Behandlung selbst bleibt die gleiche und soll sie besonders 
gründlich und mit einem tonisirenden Verfahren verbunden sein. 
Ripault. 


112) Ein 18 jähriger Patient wurde durch die Gussenbauer’sche 
Operationsmethode, deren Beschreibung nachzulesen ist, von einem 
gänseeigrossen seit 1!/, Jahren bestehenden cavernösen Fibrom des Nasen- 
rachenraums befreit. Dasselbe entsprang breitstielig an der Schädelbasis, 
füllte den ganzen Nasenrachenraum aus, war an der rechten Seite mit 
der Rachenwand verwachsen und hatte in die rechte Nase einen starken 
Fortsatz geschickt, der dieselbe völlig ausfüllte und an der vorderen 
Oeffnung zum Vorschein gekommen war. Die Operation verlief günstig. 

Noltenius. 


113) An 4 Fällen von Otalgie bei Syphilis des Nasenrachenraums, 
von denen 2 Fälle von „isolirter“ Nasennrachenraumsyphilis darstellen, 
deren einziges Symptom Otalgie war, zeigt K., wie wichtig bei Otalgie 
die Untersuchung des Nasenrachenraums ist zur Feststellung von Aetiologie 
und Therapie und wie eine Otalgie zur Entdeckung einer so schwer- 
wiegenden Affection des Nasenrachenraums führen kann. Die Otalgie 
war in allen 4 Fällen einseitig, 2 mal war der Trommelfellbefund ganz 
normal, 2mal bestand Einziehung, Trübung und Verdickung ohne ent- 
zündliche Erscheinungen. Die Einziehung u. s. w. sei als unabhängig 
aufzufassen von der specifischen Erkrankung, dafür spreche die dabei 
festgestellte Verlängerung der Kopfknochenleitung, die ja bei luetischen 
Affectionen frühzeitig völlig ausfalle. Die Otalgie sei in allen 4 Fällen 
reflectorischen Ursprungs. Müller. 


114) Bei einem vor 30 Jahren inficirten Patienten waren Geschwüre, 
die 1 Jahr post inf. im Rachen aufgetreten waren, wenn auch durch 
Jodkali zeitweise gebessert, so doch nie ganz zur Heilung gekommen. 
Von 19 seitdem gezeugten Kindern sind 16 klein gestorben, einmal 
Abort. Im September 93 heftige Schluck- und Athembeschwerden. Die 
Untersuchung ergibt an der hinteren Rachenwand 2 rundliche taubeneigrosse 
Tumoren, glatt, graugelb, von sehr harter Consistenz, an der Basis scharf 
gegen das normale abgegrenzt, deren unterer sich über den Kellkopf- 
eingang legte. Unter Jodkali trat, wenn auch sehr langsam, Schrumpfung 


80 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


ein. Per exclusionem und ex juvantibus kommt K. zur Annahme der 
syphilitischen Natur derselben. Müller. 
115) Bean’s 26jährige Patientin hatte seit sieben Jahren Anfälle 
von folliculärer Tonsilitis. Der letzte Anfall hinterliess weisse Flecken 
auf beiden Mandeln, welche sich auf die Zungenbasis ausdehnten und 
zwischen den Gaumenbögen besonders ausgesprochen waren. Die Curette 
mit nachfolgender Galvanokaustik führten eine Heilung herbei. Die 
Literaturangaben sind sehr unvollständig. M. Toeplitz. 
116) Dunn’s 24 jährige Patientin bot eine hochgradige Entwickelung 
von Mycosis leptothricia des ganzen lymphatischen Ringes bis hinunter 
zur glossoepiglottischen Falte dar, einschliesslich der Rachentonsille, in 
welcher sie anfangs nur zeitweise auftrat, später jedoch stationär blieb, wobei 
sie dasselbe knotige weisse Aussehen hatte als in den Zungen- und Schlund- 
mandeln. Unter der grossen Menge von Heilmitteln, welche in diesem 
Falle versucht wurden, heilten die kalte Schlinge und, vor Allem, sa- 
turirte Lösungen von Kali hypermanganicum die Affection. Aus 
Dunn’s mikroskopischen Untersuchungen geht hervor, dass die Ursache 
für die Pilzbildung in Veränderungen der Epithelienschicht der Schleim- 
haut zu suchen ist. M. Toeplitz. 
117) Ingals berichtet über 12 Fälle von Pharyngomykose, die 
er in drei Jahren beobachtet hat, worunter acht nur durch Galvano- 
kaustik geheilt wurden. Bei sieben dieser Fälle hatten die Patienten 
an vielen vorausgegangenen Anfällen von „wundem Halse“ gelitten, 
welche bei acht Fällen vier bis acht Wochen ‚gedauert hatten, während 
nur bei einem deutliche Anzeichen von folliculärer Tonsillitis vorhanden 
waren. In einem Falle hatte specifische Pharyngitis bestanden, in dreien 
Dyspepsie, in einem allgemeine Schwäche und die Hälfte der Fälle be- 
fanden sich in sehr gutem Gesundheitszustande. 
M. Toeplitz. 
118) Der weiche Gaumen des 26 jährigen Mannes war gerade über 
der zugleichsubacut entzündetenrechten Mandel deutlich hervorgewölbt. Das 
einen vermuthlichen Abscess einschneidende Messer stiess auf einen 
Stein, welchen man vergebens mit der Zange durch die erweiterte 
Oeffnung herauszuziehen versuchte, der aber schliesslich mit dem Finger 
herausgeschält wurde. Der Stein ist der grösste Mandelstein in der 
Literatur, er misst 25:22:18 mm und wiegt ca. 5!/, Gramm. 
| | M. Toeplitz. 
119) Der von Campani und Arena entfernte Mandelstein hatte 
ein Gewicht von 2,79 grm. 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 81 


120) Schadle trennte die Verwachsungen mit Messer und Scheere 
und hielt die Höble durch einen, der halben Länge nach getheilten 
Jodoformgazestreifen offen. Die Hälften wurden durch die Nasenlöcher 
gezogen und mit dem Mundende verbunden. Die Wundflächen wurden 
gelegentlich mit Monochloressigsäure gepinselt. M. Toeplitz. 

121) Vausant'’s Fall betraf einen 45 jährigen Minenarbeiter, dessen 
Zunge mit der Gaumenfläche und dem Munddach durch eine dicke 
Narbe verwachsen war, welche sich quer über den Zungenrücken gegen- 
über dem letzten Mahlzahn erstreckte, und dabei nur eine kleine rundliche 
Oeffnung nahe der Mitte von °/,‘ im Durchmesser zurückliess, dieselbe 
führte nach unten in einen engen Canal rechts von dem Kehldeckel. 
Nach zwei früheren erfolglosen Versuchen von Ablösung der Adhäsionen 
mit dem Messer unter Cocain, wurden die Narben nach vorausgeschickter 
Tracheotomie von dem Gaumen und der Zunge durch einen halbkreis- 
förmigen Schnitt unter dem Kinn bis zum harten Gaumen hindurch 
abpräparirt.. Die Loslösung der Zungenseite legte vier Abscesse frei, 
welche eine Unze grünlichen Eiters enthielten; aber die Narben bilden 
sich auch jetzt und nach zwei weiteren Operationen wieder zurück und 
der Patient starb an Erschöpfung. M. Toeplitz. 

122) Ein 16 jähriger junger Mann bot eine Infiltration beider 
Gaumen, der Gaumenbögen des Zungengrundes, der Rachenwand der 
Epiglottis und des oberen Kehlkopfes mit kleinen Granulationen und 
Ulzerationen, mit Zerstörung des Zäpfchens und Drüsenschwellung dar. 
Die mikroskopische Untersuchung ergab Spinelzellensarcom. Die Be- 
handlung bestand in subcutanen Injectionen der Toxine von Erysipel 
und Bacillns prodigiosus, täglich mit 15 Min. beginnend und bis zu 60 
Min. ansteigend. Die Einspritzungen waren mit Schmerzen, Fieber und 
Schwellung verbunden. Die Behandlung wurde mit Ausnahme mehrerer 
Unterbrechungen während der Zufälle von Schüttelfrösten, Keratitis und 
Wundgefühl, acht Monate lang fortgesetzt, um zu langsamer aber sicherer 
Heilung zu führen, die mit Hinterlassung einiger Geschwüre, durch 
Narbenbildung und Adhäsionen erfolgte. M. Toeplitz. 


Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXVII. 6 


82 | Besprechungen. 


Besprechungen. 


Ueberschau über den gegenwärtigen Stand der 
Ohrenheilkunde. Nach den Ergebnissen meiner 
24 jährigen statistischen Beobachtung. Von Dr. Friedr. 
Bezold, Prof. d. Ohrenheilkunde an der Universität 


München. J. F. Bergmann’s Verlag, Wiesbaden, 
1895. IX u. 196 S. Preis 7 M. 


Besprochen von 


E. Bloch (Freiburg i. Br.) 


In diesem Werke gibt Bezold nebst dem VII. seiner 3jährigen 
klinisch-statistischen Berichte hauptsächlich eine Darstellung seiner Er- 
fahrungen und Meinungen über die wichtigsten Fragen der modernen 
Otiatrie. Der Bericht über die Jahre 1890 bis mit 1892 schliesst sich 
in seiner äusseren Anordnung den früheren an. Schon hier hebt Verf. 
die Thatsache hervor, dass er sich noch weniger als früher bei der 
Stellung der Diagnose auf den Trommelfellbefund beschränkt und immer 
mehr der Functionsprüfung die Stelle der entscheidenden Instanz für 
gewisse häufige Erkrankungsformen angewiesen habe. 


In dem Gesammtberichte betont B. eingangs, dass entsprechend der 
fortschreitenden Entwicklung unserer Erkenntniss auf dem vorliegenden 
Gebiete den jüngeren Berichten ein verhältnissmässig höherer Werth 
innewohne für die Beurtheilung bestimmter Fragen, dem neuesten also 
für gewisse Puncte ein grösserer als allen übrigen zusammengenommen. 


Drei Momente sind nach B. massgebend geworden für die Ent- 
wicklung unserer Disciplin in diesen letzten zwei Decennien: Die von 
Schwartze inaugurirte (und — darf man wohl sagen — beherrschte) 
Aera der Warzenfortsatz-Operationen, die Lister’sche Antiseptik, aus- 
gedehnt auf alle Ohreiterungen, und die Einführung der functionellen 
Prüfung des Hörorganes, zu welcher den ersten Anstoss Lucae gegeben 
hat. Wir müssen bezüglich des dritten Momentes ergänzen, was des 


Besprechungen. 83 


Verfassers Bescheidenheit verschweigt, dass nämlich gerade Bezold 
diese wichtige Lehre recht eigentlich ausgebaut hat. 

I. Die Erkrankungen des äusseren Ohres betrugen in dem 
ganzen Zeitraum etwa !/, bis !/, von allen Ohrenleiden, kommen zu 
%/j0 bei Erwachsenen und zu ?/, aller Fälle einseitig vor. Bei ange- 
borener Atresie des äusseren Ohres fehlt, wie von Joël nachgewiesen, 
regelmässig der Annulus tympanicus, sodass ein operativer Versuch von 
vornherein aussichtslos erscheint. Aber selbst bei doppelseitiger Atresie 
ist das innere Ohr functionsfähig, sodass solche Individuen nicht taub- 
stumm werden. Von Interesse ist die Angabe über Idiosynkrasie gegen 
Borsäurepulver, die sich in Gestalt eines Borekzems von characte- 
ristischer Form äussert. Mit anderen Autoren hat sich B. davon über- 
zeugt, dass Furunkel nur im äusseren, behaarten Theile des Gehör- 
ganges vorkommen. Verf.’s Behandlungart besteht jetzt in der An- 
wendung eines trockenen Druckverbandes (Jodoformwatte in den knor- 
peligen Meatus). Dabei findet er die Schmerzen gelinder, die Rück- 
fälle seltener. Diffuse Otit. extern. sieht B. nur in etwa 1°/,, 
meist bei Erwachsenen und einseitig. Früher mögen manche Fälle von 
Mittelohreiterung als Otit. ext. passirt sein, namentlich auch kleine 
Perforationen der Shrapnell’schen Membran, deren Wichtigkeit erst 
seit etwa einem Jahrzehnt gewürdigt wird. Doch kann auch eine fötide 
Secretion im äusseren Gehörgang bestehen, bedingt, wie B. schon vor 
längerer Zeit hervorgehoben, durch die Fäulnissbacterien. Otomykose 
fand er fast nur bei Erwachsenen (96°/,). Die Diagnose wurde stets 
durch die mikroskopische Untersuchung gesichert. Auf eine besondere 
Erkrankungsform des äusseren Gehörgangs, die genuine Otit. extern. 
crouposa, hat in Deutschland B. zuerst aufmerksam gemacht. In 
0,5°/, aller Kranken fand er sie meist bei Erwachsenen und einseitig. 
Heftige Schmerzen, Schwellung der retromaxillaren Drüsen, Verengerung 
des Gehörganges, Abscheidung fibrinöser Membranen characterisiren die- 
selbe, die ohne Nachwirkung auf das Hörvermögen vorübergeht. 
Exostosen fand B. nur bei Erwachsenen, zwar nicht weitaus, aber 
doch ein wenig häufiger doppel- als einseitig, meist bei Männern, oft 
mit Sclerosirungsprocessen im Mittelohr verbunden, selten bei Eiterungen. 
Bei der Besprechung der Fremdkörper wird wieder auf die Gefahren 
unzweckmässiger Extractionsversuche hingewiesen. »Nur wer mit der 
Spiegeluntersuchung und ebenso mit den Formen des Gehörganges voll- 
kommen vertraut ist, darf an die instrumentelle Extraction eines Fremd- 
körpers aus dem Ohre sich wagen.« | | 

6* 


84 Besprechungen. 


Von den isolirten Erkrankungen des Trommelfelles waren 1/, trau- 
matische Rupturen. Auch hier warnt B. mit Fug vor jedem überflüssigen 
therapeutischen Eingriffe. Bei Rupturen in Folge indirecter Gewalt- 
einwirkung, besonders von Luftcompression, entsteht von selbst eigentlich 
nie Eiterung. Bringt man aber durch Einträufelungen oder dergl. die 
im trockenen Gehörgang ungefährlich weilenden pyogenen Mikroben 
auf die Schleimhaut des Mittelohrs, so vermehren sie sich hier rasch. 
Auch B. sah nur sehr selten eine uncomplicirte Myringitis acuta oder 
chronica. | i 

II. Die Gesammtsumme der Mittelohrerkrankungen setzt sich 
zu °/, aus solchen an Erwachsenen und nur !/, an Kindern beobachteten 
zusammen. Dagegen fanden sich Tubenaffectionen — mit oder 
ohne seröses Exsudat der Paukenhöhle, mit oder ohne Trommelfellatrophie 
— häufiger bei Kindern, etwa 56°/,. Im Gegensatz zu Entzün- 
dungen jeglicher Art enthält das seröse Exsudat bei Tubenverschluss, 
Folge der Hyperaemia ex vacuo, keinerlei Organismen, wie die von 
A. Scheibe ausgeführten Untersuchungen beweisen. Therapeutisch 
kommt bei diesen Tubenerkrankungen hauptsächlich die Hyperplasie 
der Rachentonsille in Betracht: in den letzten sechs Jahren hat B. in 
etwa !/, aller bezäglichen Fälle die adenoiden Vegetationen entfernt, 
die indessen in viel grösserer Häufigkeit zugegen waren. Der Verschluss 
der Tube ist durch Politzer oder Katheter zu beseitigen, Bougirung 
in der Regel entbehrlich. Die Erkrankungen der Tube haben auch 
fast ausschliesslich am pharyngealen oder am tympanalen Ende ihren 
Sitz, wie schon Schwartze angegeben. Paracentesen des Trommelfelles 
wurden hier nicht eben häufig ausgeführt und waren nie von Entzündung 
oder Eiteruug gefolgt. 

Die Otit. med. katarrhal. acut. oder subacut. lässt B. nur 
als graduell — nicht als wesentlich verschieden gelten von der rein 
eitrigen acuten Entzündung. Die Beschaffenheit des Secrets und der 
Mikroorganismen ist in beiden identlsch, doch ist bei den purulenten 
Formen die Schleimhaut des Mittelohres nicht mehr im Stande die 
Secretmassen wieder zu resorbiren, und es kommt zum Durchbruch durch 
das Trommelfell bezw. zu länger währender Eiterung. Nur in Fällen 
letzterer Art kann dann eine Zersetzung der Secrete eintreten in Folge 
Eindringens von Fäulnissbacterien vom Meatus aus. Gegen das Herein- 
gelangen von solchen vom Nasenrachenraume her schützt das 
Flimmerepithel der Tubenschleimhaut. Diese Erkenntniss 
ist von Wichtigkeit für das therapeutische Handeln: Sondiren der Tube 


Besprechungen. 85 


und Injection von Flüssigkeiten vom Nasenrachen aus widerräth B. in 
den betreffenden Fällen, während er von Katheter und Politzer nur 
Vortheile gesehen hat. 

Im Gegensatze zur acuten ist die chronische Form nichteitriger 
Mittelohrentzündung bei Kindern sehr selten (nur 6,5°/,), meist ist sie 
doppelseitig (87 °/,). Was überhaupt als Otitis media chronic. katarrhal. 
bezeichnet werden soll, darüber gehen die Ansichten der otologischen 
Statistiken soweit auseinander, dass die eine 15, eine andere 51°/, aller 
Ohrenkrankheiten dazu rechnet. Hier befinden wir uns gerade bei einem 
derjenigen Kapitel unserer Disciplin, in welchen B. bahnbrechend ge- 
arbeitet hat. Er hat gezeigt, dass hier, wo oft genug weder Spiegel 
noch Katheter einen Anhalt zur Beurtheilung liefern, die genaue 
Functionsprüfung (richtiger müssen wir leider auch heute noch 
sagen: Hörprüfung) uns einen sicheren differentialdiagnostischen Auf- 
schluss ertbeilt. Finden sich am Trommelfell Einsenkungserscheinungen, 
so steht ihnen ein besonderer Werth bezüglich der Diagnose und Therapie 
nach B. zu. Fehlen sie, so kann nur eine sorgfältige Hörprüfung 
(Flüstern, Bestimmung der unteren Tongrenzen für Luftleitung, Schwa- 
bach, Rinne, Galton, Tonlücken .und last not least Weber) 
die Diagnose sichern. Im Gegensatze zu manchen Öhrenärzten misst 
B. dem Weber’schen Versuche hier nur geringen Werth bei. In 
Fällen zweifelloser patholog. Veränderungen im Mittelohr, nämlich bei 
Residuen abgelaufener Eiterungen, erhalten wir die gleichen Resultate 
der Functionsprüfung, wie bei den sog. trockenen chron. Katarrhen, 
nämlich Heraufrücken der unteren Tongrenze für die Perception in 
Luftleitung, äbernormale Perceptionsdauer bei DV, sowie Rinne verkürzt, 
in der Regel nicht mehr verkürzt +4, sondern schon —, um so nega- 
tiver, je tiefer der Prüfungston in der musikalischen Scala steht, bis 
zu — 8, d. h. Fehlen der Luftleitung. Schon die Verlängerung der 
Knochenleitung über die Norm muss ja den positiven Werth des Rinne 
verkürzen. 

Nun ist aber nach B. nicht einzusehen, wesshalb bei chronischen 
nicht eitrigen Erkrankungen der gleiche Symptomencomplex nicht auf 
den gleichen Ort und Sitz der Krankheit hinweisen sollte, mit anderen 
Worten: dass nicht dieser Complex pathognomonisch wäre für 
Erkrankungen des Schallleitungsapparates.. Und diese diagnostische 
Characteristik wird um so sicherer, als bei Affectionen des nervösen 
Theiles des Hörorganes ein ganz anderes Bild der Functionsstörungen 
erscheint. 


86 Besprechungen. 


Otit. med. chron. simpl. mit Einsenkungserscheinungen fand B. 
bei 3°/,, solche ohne Einsenkung des Trommelfells (also sog. Sclerosen), 
bei 7°/, aller Kranken, fast ausschliesslich bei Erwachsenen und meist 
doppelseitig. Ausserdem wirft er in eine dritte Gruppe als Dysakusis, 
mit 4°/, der Gesammtzahl, alle die Fälle, in welchen aus irgend einem 
Grunde eine characteristische Form von Mittelohr- oder nervöser Erkran- 
kung nicht gefunden werden konnte. Die wissenschaftlich interessanteste 
ist z. Z. die zweite dieser drei Gruppen. Auffallend ist bei derselben, die 
sich schon diagnostisch so scharf abhebt, die erwähnte geringe Bethei- 
ligung des kindlichen Alters, ihr vorwiegendes Auftreten bei Erwachsenen 
der ersten Decennien, unter 50 Jahren, sowie ferner das Ueberwiegen 
des weiblichen Geschlechtes. Hier spielen wohl Gravidität und Puer- 
perium eine ätiologische Rolle. (Die in diese Gruppe gehörenden 
Kranken jenseits des 50. Lebensjahres sind nach der Ansicht des 
Ref. in der von B. mit Dysakusis bezeichneten Sammelgruppe zu suchen, 
"in welche sie ‘wegen Uebergreifens der Erkrankung auf das Labyrinth 
geworfen wurden.) Auch die Erblichkeit überragt in dieser Abtheilung 
an Frequenz alle anderen Arten von Öhrenleiden, öfter finden sich auch 
subjective Geräusche, zuweilen Schwindel. Pathologisch-anatomisch fand 
B. in den fünf bis nun klinisch und anatomisch genau untersuchten 
Fällen der hier besprochenen Art stets Ankylose der Stapesplatte bei 
intactem Zustande des übrigen Mittelohres. Die Untersuchungen stimmen 
mit jenen anderer Autoren, so besonders Politzer’s, vollkommen 
überein, wenn gleich von anderer Seite keine so exacten klinischen 
Beobachtungen vorliegen. 

Somit wäre es richtiger, diese zweite Gruppe der Otit. med. 
katarrh. chronic. ganz von den katarrhalischen Erkrankungen des Ohres 
abzutrennen und als »Sclerosirungsprocesse am Schallleitungsapparate mit 
negativem Befund am Trommelfell« zu bezeichnen, wobei man sich 
gegenwärtig zu halten hat, dass der pathologische Process in der Regel 
an der Stapesplatte abläuft. Und diese Gegend müssen wir dem Schall- 
leitungsapparate zurechnen. Ref. ist der Ueberzeugung, dass wenn der 
geehrte Verf. den Pressionsversuch unter seine diagnostischen Methoden 
aufnehmen würde, er, wie wir auf unserer Klinik seit längerer Zeit 
thun, diese Fälle statt des langen Namens kurzweg mit der Bezeichnung 
»Stapesankylose« belegen würde. Die complicirten Fälle, die sich indess 
durch die Functionsprüfung noch recht wohl analysiren lassen, tragen 
wir hier als »Stapesankylose mit Labyrintherkrankung« ein. Denn das 
Labyrinth ist, wie B. seine Sectionsergebnisse lehren, oft betheiligt; 


Besprechungen. 87 


er findet dann bei der Hörprüfung eine Einengung der oberen Ton- 
grenze. | 


Physiologisch betrachtet zeigen alle diese Beobachtungen, dass 
gerade die Wahrnehmung des tieferen Theiles der Scala in der gewöhn- 
lichen Form der Zuleitung an eincn intacten Leitungsapparat gebunden ist. 


Therapeutisch führt die von B. gewählte Unterscheidung zur Be- 
handlung der zweiten Gruppe mit Drucksonde, Raréfacteur und Katheter 
unter Ausschluss operativer Eingriffe, welche nach seinen Erfah- 
rungen die schlechte Prognose nicht bessern. Günstiger ist diese, wo 
Einsenkungserscheinungen bestehen, wo also die Luftdouche noch mehr 
nützen kann. 


Otit. med. purulenta. Als wesentliches Unterscheidungsmerk- 
mal zwischen acuten und chronischen Formen gilt B. nicht die Dauer 
der Erkrankung und nicht der Umfang der Trommelfellperforation, 
sondern die Neigung der letzteren zum Offenbleiben oder Wiederverschluss. 
Darum rechnet er auch die phthisischen Eiterungen von Anfang an zu 
den chronischen. Natürlich kommt es auch bei einer Purulenta chronica 
gelegentlich zum Verschluss der Perforation, selbst einer recht grossen. 


Die acute eitrige Entzündung des Mittelohrs einschliesslich des 
Empyems des Warzenfortsatzes ist bei Kindern ziemlich häufig — über 
40°/, — und findet sich meist einseitig. Acute genuine Mittelohr- 
eiterung bei Erwachsenen hat B. nie sich wiederholen sehen im Gegen- 
satze zu der häufig recidivirenden bei Tubenprocessen der Kinder. Bei 
sonst Gesunden ist und bleibt die Trommelfellperforation klein. Dauert 
die Eiterung länger, so kommt es leicht zu einem Hervorwuchern der 
Paukenschleimhaut über die Ränder der Oeffnung. Bei schweren All- 
gemeinerkrankungen, besonders marantischen Charakters, fehlt diese 
Erscheinung gewöhnlich. Der Sitz der Perforation bei acuten Eiterungen 
ist nach B. in der Regel nicht, wie meist gelehrt wird, im vorderen, 
sondern im hinteren unteren Quadranten. Einen Durchbruch durch die 
Membr. Shrapnell. hat B. bei acuter Eiterung nie entstehen sehen. Von 
neuem macht er hier vom ätiologischen Standpunkte auf die schädliche 
Wirkung der Weber’schen Nasendouche aufmerksam, deren Gebrauch 
er thunlichst eingeschränkt wissen will. Bei Betheiligung des Warzen- 
fortsatzes kann die Eiterung in der Pauke aufhören, die Perforation sich 
schliessen, während sie dort selbständig weiterspielt. Dass überhaupt 
primär eine Suppuration des Warzenfortsatzes eintrete, zögert B. anzu- 
nehmen. Die secundäre Betheiliguug ist wohl häufiger als man gemein- 


88 Besprechungen. 


hin annimmt, und wenn die meisten Fälle ohne operative Eröffnung des 
Knochens und ohne schwere Complicationen ausheilen, so liegt dies nach 
B. an den räumlichen Verhältnissen der pneumatischen Zellen: eine er- 
hebliche Zahl kleiner Zellen, also eine grössere Ausdehnung der Schleim- 
hautoberfläche begünstigt die Resorption der Secrete, wenige und grosse 
Zellen disponiren zu selbständiger Fortdauer der Eiterung in letzteren. 
Der Durchbruch des Eiters nach der Knochenoberfläche erfolgt meist 
an der von B. als Fossa mastoidea bezeichneten Stelle über dem hinteren 
Ende des Antrum. Nicht so gar selten wird die andere, nach Bezold 
benannte Art des Durchbruches an der unteren Fläche des Proc. 
mastoid. beobachtet. 

Als Otitis media purulenta chronica bezeichnet B. in 
seinen Statistiken die Fälle, in welchen zur Zeit der Aufnahme die 
Eiterung noch vorhanden war; die abgelaufenen werden besonders 
‚registrirt. Etwa 17°/, aller Erkrankungen gehören hierher, meist 
Erwachsene betreffend, mehr einseitig vorkommend. Durchweg bei ver- 
nachlässigten chronischen Formen findet man den Foetor. Granula- 
tionsbildungen und Sclerosirung der Knochen sind zwar an sich Schutz- 
vorrichtungen des Organismus, können aber dessenungeachtet in mannig- 
facher Weise nachtheilig wirken. Letzterer Process findet sich regel- 
mässig — ausgenommen dyskrasische, besonders phthisische Kranke — 
bei den chronischen Eiterungen des Mittelohrs. 

Die Perforationen des Membran. Shrapnelli werden, obwohl Moos 
ihnen schon 1866 besondere Beachtung geschenkt, erst seit etwa einem 
Jahrzehnt sorgfältiger studirt. Sie sind oft mit Tubenprocessen com- 
binirt oder deren Folge und anderseits selbst wieder die gewöhnliche 
Ursache eines Cholesteatoms des Kuppelraumes und weiterer Hohlräume, 

In 1°/, seiner Fälle fand B. Cholesteatom vor, meist bei Er- 
wachsenen und einseitig. Doch drückt diese Ziffer noch nicht die 
Häufigkeit aus, in welcher geschichtete Epidermislamellen gefunden 
werden, die im Mittelohr entstanden sind. Nicht immer ist gerade der 
obere Rand des Trommelfelles und der benachbarte Knochen zerstört: 
auch’ der hintere, selten der vordere obere Theil des Margo tympanicus 
können die Eintrittspforte der deletären Veränderung abgeben. Stets 
aber befindet sich die Perforation am Rande des Trommelfells, sodass 
die Epidermis des Gehörgangs sich contiguirlich nach den Mittelohr- 
räumen fortsetzen kann. Mag auch diese Epidermisumwandlung wieder 
eine Art von Schutzeinrichtung sein, sofern Epidermis: äussere Schäd- 
lichkeiten besser abhält als Mucosa, so wird sie doch verhängnissvoll 


Besprechungen. 89 


in Hohlräumen, in welchen die abschuppenden Hornhautmassen nicht 
entleert werden, sondern sich concentrisch zu Cholesteatom zusammen- 
‘ ballen — also in Räumen mit engen Ausmündungsöffnungen. Aber 
nur dann kommt es zu stärkerem Anwachsen dieser Massen und zu 
weiteren Störungen, wenn sie durchfeuchtet sind, aufquellen und einen 
Druck auf die umgebenden Knochenwände ausüben, wenn sie sich zer- 
setzen und so zu fortdauender Eiterung Anlass bieten. 


Perforationen der Shrapnell’schen Membran und 
Cholesteatom fordern unter allen Ohrenkrankheiten die 
meisten Menschenleben. 


Seit 1881 verzeichnet B. die Otitis media purulenta phthi- 
sica getrennt für sich, bis jetzt in 0,7°/, aller Ohrkranken, in 4,4], 
der chronischen Eiterungen, meist bei Erwachsenen, in ?/, einseitig. Nach 
ihren Symptomen steht diese Form mitten inne zwischen acuter und 
chronischer Purulenta. Eiterung und Perforationsbildung setzen zwar 
acut ein, aber es fehlen die übrigen Qualitäten, rubor, tumor, dolor. 
Dazu kommt die rasch fortschreitende Zerstörung des Trommelfells von 
einer oder mehreren kleinen Perforationen aus, der Zerfall der Gelenke, 
der Binnenmuskelsehnen, des Knochens selbst. Sodann fehlt die gesunde 
Reaction der betroffenen Gewebe gegen die verheerenden Schädlich- 
keiten; Schleimhautschwellung, Granulationsbildung, Sclerosirung des 
Knochens, Epidermisirung der Schleimhaut. — all’ dies bleibt aus. 
Höchstens findet sich ein fibrinöses Exsudat an einzelnen Stellen. Doch 
die Tuberkelbacillen können nicht als Ursache dieses hilflosen Zustandes 
des Organismus angeklagt werden. Denn unter Anwesenheit derselben 
trifft man bei scrophulösen Kindern Caries und Nekrose mit üppig schwel- 
lenden Granulationen, mit nachfolgender Sclerose der Knochen und mit 
Epidermisirung der Schleimhaut. Hier liegt vielmehr der reducirte 
Stand marantischer Ernährungsverhältnisse vor, wie sie ähnlich bei ver- 
schiedenen Infectionskrankheiten, wie sie sich bei Diabetes, bei Marasmus 
senilis wiederfinden und analoge Erscheinungen bieten. Unter Umständen 
handelt es sich wohl auch um eine angeborene geringere Widerstandskraft 
des Organismus überhaupt. 


Bei sämmtlichen Formen acuter und chronischer Eiterung kann es 
zu Caries und Necrose kommen, die deshalb von B. nicht besonders 
rubricirt sind. 


Therapeutisch sind die Ohreiterungen insgesammt dankbare 
Objecte — und wichtige zugleich, wegen der Nähe der Schädelhöhle. 


90 Besprechungen. 


B. hat bis heute die Borsäurebehandlung bewährt gefunden und sich 
von ihr trotz aller Angriffe nicht abdrängen lassen. Er kennt nur 
eine Gegenindication gegen diese Pulverbehandlung, den Ausbruch des 
schon erwähnten Borkzems. Natürlich operirt auch B. in acuten Fällen 
am Wearzenfortsatz so oft es nöthig fällt und sieht, gleich Anderen, 
in diesen Fällen die besten Resultate. Bei chronischen Eiterungen 
mit Perforation der Shrapnell und mit Cholesteatom rühnıt der Verf. 
noch gleich lebhaft die Paukenausspülungen mit Borinsufflationen, eine 
Methode, welche ihm viele Otiater mit gleich günstigem Erfolge nach- 
gemacht haben. Bei der operativen Behandlung des Cholesteatoms 
plaidirt auch er für die Anlegung permanenter Oeffnungen hinter der 
Muschel, wenn es sich um grosse Höhlen handelt, sowie für die Er- 
haltung der Matrix (nach Siebenmann) und operirt im Uebrigen nach 
Zaufal. Während man hier in 4—6 Wochen Heilung einteten sehen 
kann, verlaufen die wegen Caries operirten Fälle. (von Tuberkulose, 
Scrophulose, Rachitis, Lues hereditar.) viel langsamer, oft Jahre bean- 
spruchend. 

Bei reinen Otalgien fand B. in etwa 40 °/, Zahncaries als Ursache, 
etwa ebenso oft konnte keine solche ermittelt werden. 

In einem besonderen Abschnitte werden die Beobachtungen über 
Scharlach mitgetheilt, die sich auf fast 1000 Gehörorgane erstrecken. 
Zu allermeist sind es chron. Eiterungen, zum kleineren Theile Residuen 
von solchen, persistirende Perforationen oder Narben. Dass eine sach- 
gemässe Behandlung meist erst dann eintritt, wenn die Eiterung chronisch 
geworden ist, das stellt, wie B. mit Recht beklagt, ein trauriges Zeichen 
der Nachlässigkeit sowohl seitens des Publicums als von Seiten vieler 
nicht besser unterrichteter Aerzte dar. Zur Begründung dieses harten 
Urtheiles braucht nur erwähnt zu werden, dass in der Hälfte aller 
Scharlachfälle der grösste Theil des Trommelfells zerstört war, dass eine 
totale Zerstörung desselben bei acuten Fällen in 8°/,, dagegen in 
chronischen, d. h. spät in Behandlung kommenden, in 34°/,, dass 
Verlust von Gehörknöchelchen in 5°/, acuter, dagegen in 23°/, chro- 
nischer Eiterung eintrat, und dass Taubheit, bei manchen Kindern Taub- 
stummheit in 4!/,°/, der acuten, in fast 16°/, der chronischen Scharlach- 
eiterungen aufgezeichnet wurde! Welch’ grosses Gebiet segensreicher 
Thätigkeit für den practischen Arzt, den Hausarzt! Denn dieser müsste 
eigentlich gerade die acuten Processe besonders im Gefolge der acuten 
Infectionskrankheiten beobachten und behandeln. »Eine nothwendige 
Voraussetzung hiefür ist es aber, dass sämmtliche Aerzte nicht nur 


Besprechungen. 91 


theoretisch, sondern auch praktisch auf der Universität mit Ohrenheil- 
kunde soweit sich beschäftigt haben, dass sie zum Wenigsten mit der 
Beurtheilung und Behandlung der am häufigsten vorkommenden Erkrank- 
ungen dieses Gebietes vertraut sind.« (S. 174.) 


Fürwahr ein zwingenderes Argument für die Nothwendigkeit ie 
otologischen Unterrichtes als die- obige trockene Statistik kann nicht 
wohl beibebracht werden. 


- III. Ueber 10°/, des gesammten Bezold’schen Materiales betreffen 
Erkrankungen des inneren Ohres, meistens bei Erwachsenen, etwas 
häufiger doppelseitig. Bei der Diagnose sind wir hier ganz auf die 
functionelle Prüfung angewiesen. Mit: Sicherheit nimmt B.: nervöse 
Erkrankung an, wenn andauernde und vollkommene Taubheit besteht. 
"Auch Schwerhörigkeit mit mangehafter Sprache rechnet er hierher, des- 
gleichen Klagen über subjective Geräusche ohne Herabsetzung der 
Hörschärfe. 5°/, aller Ohrenkranken hatten ihre nervöse Schwerhörig- 
keit erworben, nach der letzten Statistik sogar fast 7°/,. Die 
Diagnose musste meist — mangels ätiologischer Momente zu ihrer Stütze 
— ailein per exclusionem gestellt werden. Das heisst die für Mittel- 
ohrleiden bezeichnende diagnostische Gruppe: verlängerter Schwabach, 
negativen Rinne und Ausfall der tiefsten Töne in Luftleitung werden hier 
nicht nur nicht beobachtet, sondern schlagen vielmehr constant in das 
Gegentheil um. Wir treffen also bei Erkrankungen des inneren Ohres: 
verkürzten DV, positiven Rinne und Erhaltensein der tiefen Töne in der 
aöro-tympanalen Zuleitung. Dagegen sind ausgesprochene Tonlücken, 
namentlich im oberen Theile der Scala, selten, meist nur bei Taub- 
stummen vorhanden. 


Wie ein rother Faden durchzieht dieses Werk die stets wieder- 
kehrende Mahnung B.’s, die functionelle Prüfung nicht zu verabsäumen, 
und speciell in dem vorliegenden Abschnitte verdichtet sich dieselbe zu 
einer bei dem Autor ganz ungewohnten Polemik, welche der geneigte 
Leser im Original kennen lernen mag. 


Schwere Störungen nach Meningitis sah B. bei 126 Kranken, 
nach Mumps bei 11, die meist erst als Erwachsene zur Untersuchung 
kamen. 


Die Werthmessung der bei nervösen Affectionen des Ohres gebräuch- 
lichen Heilmittel, diaphoretische Curen, besonders Pilocarpin, sodann 
Jodkali, wird durch die zuweilen spontan eintretende Besserung er- 
schwert — wiederum ein Unterscheidungszeichen gegenüber den sclero- 


92 Besprechungen. 


tischen Processen im Mittelohr, die nennenswerthe Rückgänge nicht auf- 
weisen. 


Von malignen Neubildungen beobachtete B. 3 Sarcome und 
4 Carcinome. 


Der Verf.. bezeichnet es in der Einleitung zu dem vorstehend — 
nur höchst lückenhaft — skizzirten Werke als eine Aufgabe desselben 
zu zeigen, wie bei seiner Beobachtungsmethode neue theoretische und 
practische Gesichtspunkte auf den verschiedenen Zweigen der Disciplin 
sich gewinnen lassen. Diese Aufgabe ist dem Verfasser in reichem 
Maasse geglückt. Jeder, der Belehrung annehmen will, wird vielerlei 
Anregung aus dem Buche schöpfen. 


Seine vortreffliche Ausstattung ist eine des Bergmann’ schen 
Verlages würdige. 


DEUTSCHE OTOLÖGISCHE GESELLSCHAFT. 


Die vierte Versammlung der Deutschen Otologischen Gesell- 
schaft wird in diesem Jahre | ° 


am 1. und 2. Juni in Jena 
` stattfinden. 

Diejenigen Herren Collegen, welche Vorträge oder Demonstra- 
tionen zu halten beabsichtigen, werden gebeten, ihre Themata bis 
zum 30. April d. J. an den Unterzeichneten gelangen zu lassen. 


Anmeldungen zur Aufnahme in die Gesellschaft sind gleichfalls 
an den Unterzeichneten zu richten. 


Das ausführliche Programm wird Anfang Mai versendet werden. 


| im Namen des Ausschusses: 
Göttingen, den 15. März 1895. der Ständige Secretär: 
Prof. Dr. K. Bürkner. 


Diejenigen Herren Theilnehmer, welche bei dieser Versammlung 
Vorträge halten, werden freundlichst ersucht, im Interesse einer raschen 
und genauen Publication ein kurzes Autoreferat an den Unterzeichneten 
gefälligst einsenden zu wollen. Moos. 


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Der fünfte internationale otologische Congress 
findet vom 23. bis 26. September 1895 in Florenz statt, 


Präsident: Professor V. Grazzi in Florenz, Borgo dei Greci No. 8. 
Secretär: Dr. T. Bobone in San Remo, 


Í Redactionelle Mittheilung. 


Der grosse Zufluss von Material hat es in den letzten Jahren un- 
möglich gemacht sämmtliche Artikel’ sowohl in der deutschen als in 
der englischen Ausgabe der Zeitschrift erscheinen zu lassen, und es 
werden daher auch künftig volle Uebersetzungen nur ausnahmsweise und 
abgekürzte nur in dem’ Maasse stattfinden können, als es der verfügbare 
Raum gestattet. 


. Um aber Prioritätsrechte zu wahren und den Lesern einer Ausgabe 
der Zeitschrift Kenntniss von dem Inhalte der anderen zu geben, sollen 
künftig die Titel aller Artikel der einen Ausgabe in dem nächsterscheinenden 
Heft der anderen abgedruckt werden. Ausserdem werden alle Artikel 
beider Ausgaben in dem vierteljährlich erscheinenden systematischen. Be- 
richt über die Fortschritte der Ohrenheilkunde berücksichtigt werden. 


Sonderabzüge sämmtlicher Original-Artikel der englischen Ausgabe 
sind bei dem Verleger der deutschen niedergelegt und können leihweise 
von demselben bezogen werden. 


H. Knapp. S. Moos. 


= 


Todesanzeige. 


I iu ——— 


Am 15. Juli dieses Jahres verschied nach langem, qual- 
vollen Leiden, im 65. Lebensjahre, 


Dr. Samuel Moos, 


der Mitbegründer und ständige Mitherausgeber dieser Zeit- 
schrift. Er war ein Mann von aussergewöhnlicher Begabung, 
seltenem Fleisse, peinlicher Gewissenhaftigkeit und weit- 
gehender allgemeiner und medicinischer Bildung. Vollständig 
bewandert und thätig in allen Zweigen der Ohrenheilkunde, 
pflegte und förderte er mit Vorliebe gerade deren schwierigstes 
Gebiet, die pathologische Anatomie des Labyrinthes. 


Durch eigene Arbeit schwang er sich vom Dorfschüler 
empor zum Universitätsprofessor, welchen, in Anerkennung 
seiner Verdienste, der Landesfürst mit dem Titel Hofrath 
auszeichnete. Von Kindheit auf an Entbehrungen und An- 
strengungen gewöhnt, erlahmte er nie in der Erfüllung 
seiner Pflichten, wiewohl er seit langen Jahren mit einer 
schwächenden Krankheit zu kämpfen hatte. Sein Beispiel 
zeigt, dass auch einer reichlich mit Dornen besetzten und 
von Steinen verlegten Laufbahn die Krone des Erfolges 
nicht versagt ist. 


Seine wissenschaftlichen Leistungen und seine Verdienste 
um diese Zeitschrift werden wir später zu würdigen suchen. 


New-York, den 31. Juli 1895. 


Hermann Knapp. 





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A.Scheibe: Bildungsanomalieni. häut. Labyrinth b. Taubstummheit. 95 
VIII. 


(Aus dem histolog. Institut in München.) 


Bildungsanomalien im häutigen Labyrinth bei 
Taubstummheit. 
Von A. Scheibe in München. 


Der Redaction zugegangen am 19. Mai 1895. 


Vor 4 Jahren habe ich in dieser Zeitschrift!) über die anatomische 
Untersuchung eines Falles von Taubstummheit berichtet. Es fanden 
sich neben hochgradiger Atrophie des Ramus posterior des Acusticus 
(Nervus cochleae, sacculi und ampullae inferioris) beiderseits eigenthüm- 
liche Veränderungen im häutigen Theil der Schnecke und des Sacculus, 
welche als Bildungsanomalien gedeutet wurden. Das knöcherne Labyrinth 
war normal entwickelt. Der Fall stand in der Literatur ganz ver- 
einzelt da, wenn auch die Möglichkeit vorliegt, dass in einem Theil der 
älteren Sectionen, bei welchen die histologische Untersuchung nicht ge- 
macht worden ist, derartige Veränderungen übersehen worden sind. 
Vielleicht erklärt sich so ein Theil der Sectionen mit negativem Befund 
im Felsenbein, da gewiss diese Fälle nicht alle cerebralen Ursprungs sind. 


In den letzten Jahren habe ich Gelegenheit gehabt, zwei weitere 
mir von Prof. Bezold gütigst überlassene Fälle von Taubstummheit 
anatomisch zu untersuchen und in dem einen derselben mit Ausnahme 
kleiner Abweichungen genau derselben Befund erhalten und zwar eben- 
falls in beiden Ohren.?) Durch die Wiederholung gewinnt der Befund 
an Bedeutung. 


Michel J., Gütlerssohn, 11 J. alt, von Traunstein, starb am 12. December 
1893 unter Suffocationserscheinungen, nachdem er 6 Wochen vorher an Scharlach- 
Diphtherie und Hydrops erkrankt war. Er war Schüler des hiesigen Taub- 
stummeninstituts. Mittelmässig talentirt. Sprache nicht gut. Höchst aufge- _ 
regter Natur. Nach Angabe der Eltern taub durch „Fraisen“ nach dem ersten 
Lebensjahre. Im bezirksärztlichen Zeugniss dagegen ist angegeben, dass nn 
taub geboren ist. Seine zwei Geschwister hören. 


1) XXII. Bd., 1. u. 2. Heft. 

2) Der Fall wurde auf der vorjährigen Versammlung Deutscher Natur- 
forscher und Aerzte in Wien durch Verlegung von Zeichnungen und histologi- 
schen Schnitten demonstrirt. 

Zeitschrift für Ohrenheilkunde. Bd. XXVII. 7 


96 A.Scheibe: Bildungsanomalien i. häut. Labyrinth b. Taubstummheit. 


Die Section wurde am Tage nach dem Tode vorgenommen und be 
schränkte sich auf den Kopf. Die weichen Hirnhäute zeigen auf der ganzen 
Convexität beiderseits starke weissliche Trübungen, welche über den Sulci die 
Häute mehr oder weniger vollständig undurchsichtig erscheinen lassen. An der 
Basis verliert sich die Trübung allmälig. In der Umgebung der Austrittsstelle 
des Facialis und Acusticus aus der Medulla oblongata ist keine Veränderung 
vorhanden. Das .Gehirn erscheint im Ganzen ziemlich blutleer, nur an den 
Occipitallappen zeigen die venösen Gefässe stärkere Füllung. Formdifferenzen 
des Gehirns zwischen der rechten und linken Seite sind nicht erkennbar. Die 
Dura über den Pyramiden ist normal. Die Acustici anscheinend nicht ver- 
schmälert. | 


Section der Schläfenbeine. Bei der Herausnahme des rechten 
' Schläfenbeins in Keilform wurde die knorplige Tuba an ihrem unteren Ende 
abgeschnitten. Der Durchschnitt erscheint normal, das Lumen leer. Der Nasen- 
rachenraum, soweit er am Präparat mit entfernt ist, enthält gewaltig entwickelte 
adenoide Vegetationen, welche in grossen Lappen herunterhängen. Während 
des Lebens war zwar oft, aber nicht ausschliesslich Mundathmung beobachtet 
worden. Links wurden Mittelohr mit dem Trommelfell und Pyramide heraus- 
gemeisselt. 


Linkes Schläfenbein: Das Trommeltell, von aussen Feehan: zeigt eine 
stark ausgesprochene hintere Falte. Die Membrana Shrapnelli ist stark einge- 
sunken und ebenso wie die hintere Zone des Trommelfells röthlich durchscheinend. 

Nach Entfernung des Tegmen tympani und antri findet sich die Schleim- 
haut insbesondere im Aditus und Antrum ziemlich stark hyperämisch, aber nur 
mässig geschwellt. Besonders erscheint ein durch das Antrum laufender centraler 
Strang, der nach allen Seiten Fäden abgiebt, etwas succulent und grauröthlich. 
In der hinteren Partie und aın Boden der Paukenhöhle findet sich glasig durch- 
sichtiger, theilweise blutiger Schleim. Die Mucosa der Paukenhöhle ist weniger 


geröthet, und in der knöchernen Tuba verliert sich die Injection ganz, und die 


Schleimhaut erscheint normal. Trommelfell nicht wesentlich verdickt. Das 
Stapes-Köpfchen ergiebt bei der Sondirung normale Bewegungsverhältnisse. 


Rechtes Schläfenbein: Dura, Aquaeducte und Porus acusticus internus 
zeigen auch hier keine Veränderung. An der Aussenfläche des Trommelfells ist 
‚eine Andeutung von hinterer Falte vorhanden. Der hintere untere en des 
Trommelfells zeigt eine Beimischung von gelb. 


Nach Entfernung des Tegmen tympani finden sich Paukenhöhle, Aditus 
und Antrum vollständig gefüllt mit dickem zähen Eiter, der an einer Stelle ein 
‚kleines Streifchen Blut enthält. Die Schleimhaut der Paukenhöhle, des Aditus 
und Antrum ist ziemlich stark verdickt, grauroth, succulent und leicht granu- 
lirend. Hammer und Amboss sind vollständig in der succulenten Schleimhaut 
eingebettet. Die Trommelfellschleimhaut ist nicht wesentlich verdickt und zeigt 
nur einige radiäre Gefässchen. Ebenso ist die Schleimhaut der knöchernen Tuba 
frei von Schwellung und Injection. Auf dem Promontorium ist die Schleimhaut 
ziemlich verdickt und granulirend. Sie füllt die Nische des runden Fensters 
so ziemlich aus und umhüllt das Köpfchen des Steigbügels. Die Bewegung des 
Steigbügels erweist sich wie links normal. 


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A.Scheibe: Bildungsanomalien i. häut. Labyrinth b. Taubstummheit. 97 


= Auf der Durchsägungsfläche der Pars mastoidea kommt beiderseits nur 
ziemlich hyperämische epongióse Substanz ohne pneumatische’ Zellen zum Vor- 
schein. 
Es fand sich also im Mittelohr bidei eine frische Entzündung, wie 
das nach unserer Erfahrung bei Scharlachsectionen zur Regel gehört. 


Zur Untersuchung des Labyrinths wurden die mir von Prof. Bezold 
übergebenen Felsenbeine in Müller’scher Flüssigkeit und Alcohol gehärtet, mit 
50/, Salpetersäure entkalkt und nach den bekannten weiteren Manipulationen 
in Serienschnitte zerlegt. 

Aus der histologischen Untersuchung des Mittelohrs wären erwähnenswerth 
zahlreiche drüsenähnliche, mit flachem Epithel ausgekleidete Gebilde in der 
Schleimhaut von der Tuba bis ins Antrum, deren Ausmündung an die Oberfläche 
sich in vielen Schnitten verfolgen lässt. Ihr Inhalt ist eine klare z. Th. fädige 
Masse mit einzelnen sternförmigen Zellen. Unabhängig von der Entzündung 
fand sich: im Mittelohr nur eine Hypoplasie und theilweise Degeneration des 
Musculus tensor tympani wie auch in dem früheren Fall von Taubstummbeit. 


Histologische Untersuchung des Labyrinths: Der. Hörnerv, welcher 
ausserhalb des Schläfenbeins anscheinend normal war, weist im Labyrinth 
atrophische Veränderungen auf, die sich in diesem Falle auf einen Theil des 
Ramus posterior, den Schneckenäst, beschränken und zwar in der Hauptsache 
auf die erste Windung. In der zweiten Windung füllen die Nervenfasern die 
Lamina spiralis ossea schon fast ganz und in der dritten vollkommen aus. Dem- 
entsprechend färben sich die erhaltenen Fasern nach Weigert’s Methode auch 
nur in der Spitzenwindung annähernd normal und in der Basalwindung‘, wo sie 
sehr spärlich sind, fast gar nicht. Das Ganglion spirale betheiligt sich eben- 
falls nur in der ersten Windung an der Atrophie. Lücken wie in dem früheren 
Fall finden sich nicht im Rosenthal’schen Canal. 

Das Corti’sche Organ ist im grössten Theil der Basalwindung nur an- 
gedeutet; in den oberen Windungen ist es zwar: niedriger als normal, zeigt aber 
seine gewöhnliche Gestalt. 


Unser Hauptinteresse nehmen die Veränderungen an der Corti- 
schen Membran und an der Stria vascularis in Anspruch. !) 
Die Corti’sche Membran zeigt beiderseits nur auf einigen kurzen Strecken 
normalen Bau, bleibt aber auch hier hinter der gewöhnlichen Grösse 
zurück. In der ganzen übrigen Schnecke aber ist die sonst hüllenlose 
Membran von einer kernhaltigen Hülle umgeben und liegt zusammeu- 
gerollt als Rudiment im Sulcus spiralis internus oder zum’ Theil auch 
auf den Huschke’schen Zähnen, ohne deutlich an einer Stelle zu 
inseriren. 


1) Zur leichteren Orientirung empfiehlt es sich, die der Beschreibung .des 
ersten Falls beigegebenen Abbildungen zu vergleichen. Diese Ruh: XXII: Bd., 
Tafel I. 

7* 


98 A.Scheibe: Bildungsanomalien i. häut. Labyrinth b. Taubstummheit. 


Auch die Stria vascularis zeigt fast in der ganzen Schnecke abnormes 
Verhalten. Am häufigsten sieht man Schnitte, in denen sie hypertrophisch 
ist und entweder knopfförmig oder blasenförmig in das Lumen des 
Ductus cochlearis vorspringt. Die blasenförmige Abhebung der Stria 
besteht, wenigstens auf ihrer Höbe, nur aus einer Reihe niederer Zellen, 
ebenso wie die Hülle der Corti’schen Membran. Man kann nun in 
Serienschnitten verfolgen, wie sich von der Corti’schen Membran ihre 
Hülle abhebt, und wie sich diese Abhebung und die der Stria immer 
mehr gegeneinander zuspitzen und schliesslich in einander übergehen. 
So wird eine abnorme, aus zwei kernhaltigen Membranen bestehende 
Brücke zwischen Sulcus spiralis internus und Ligamentum spirale ge- 
bildet, zwischen deren zwei Blättern das eingerollte Rudiment der 
Corti’schen Membran liegt, indem es sich mehr oder weniger weit vom 
Sulcus spiralis internus weg nach dem Ligamentum spirale zu entfernt. 
Diese abnorme Brückenbildung kommt nicht nur einmal vor, sondern 
wiederholt sich mit ihren Uebergängen an verschiedenen Stellen der 
Schnecke ganz in der gleichen Weise. 


Die Reissner’sche Membran ıst nach dem Ductus cochlearis zu 
deprimirt und liegt theilweise den Gebilden des Ductus cochlearis sowie 
der oben geschilderten Brücke so dicht an, dass es scheint, als ob sie 
mit denselben verwachsen wäre. Das Ligamentum spirale ist nicht 
wesentlich verändert. 


Im Gegensatz zur Schnecke sind Vorhof und Bogengänge 
ebenso wie beide Aquaeducte normal entwickelt. Nur einige hyaline 
und Colloidkugeln im Neuroepithel wären zu erwähnen. 


Entzündungserscheinungen oder Producte früherer Entzündung finden 
sich nirgends im Labyrinth. 


Wenn wir den Befund des vor 4 Jahren und des eben beschriebenen 
Falles kurz recapituliren und mit einander vergleichen, so findet sich 
bei beiden im Mittelohr eine Hypoplasie des Musculus tensor tympani 
und im Labyrinth neben Acusticusatrophie und geringerer Ausbildung 
resp. Degeneration .des Corti’schen Organs eigenthümliche Veränderungen 
an der Membrana Corti und an der Stria vascularis, welche nach ihrer 
Beschaffenheit nur als. Bildungsanomalien aufgefasst werden können. 
Der Umstand, dass diese Abnormitäten ganz in der gleichen Weise bei 
zwei‘ Taubstummen wiederkehren, und dass sie bei beiden doppelseitig 
sind, spricht dafür, dass eine Entwicklungshemmung vorliegt. In dem 


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A.Scheibe: Bildungsanomalien i. häut. Labyrinthb. Taubstummheit. 99 


ersten Fall ist ausserdem im Sacculus an Stelle der normal zellenlosen 
Ötolithenmembran eine zellenhaltige Hülle vorhanden, welche der Macula 
acustica in Pilzform aufsitzt und ungewöhnlicherweise trotz der Entkalkung 
zahlreiche gut erhaltene Otolithen einschliesst. Diese zellenhaltige Otolithen- 
membran des Sacculus kann man ebenfalls nur als eine Abnormität in der 
Entwicklung auffassen. Im Uebrigen unterscheiden sich beide Fälle nur 
noch durch die verschiedene Ausdehnung der Nervenatrophie. Während 
im ersten Falle die entwicklungsgeschichtlich zusammengehörigen Nerven 
(der Schnecke, des Sacculus und der unteren Ampulle (Ramus posterior 
nach Retzius) atrophisch sind, ist es im letzten Fall nur der 
Schneckennerv. 


Es handelt sich mithin bei beiden Fällen um angeborene Taub- 
 stummheit. Auch bei dem letzten, bei welchem zwar nach dem bezirks- 
ärztlichen Zeugniss angeborene Taubheit vorliegt, nach Angabe der Eltern 
aber die Taubheit in der frühesten Kindheit durch »Fraisen« entstanden 
ist, finden sich nirgends im Labyrinth auch nur Spuren einer Entzündung. 


Die Section ergab für beide Taubstumme keine weiteren Störungen 
in der Entwicklung, wenn nicht die bei dem ersten Taubstummen im 
Stirnhirn gefundenen Cysten als angeborene gedeutet werden müssen. 


Wie verhalten sich nun die Resultate der Entwicklungsgeschichte 
zu unserer Deutung der oben beschriebenen Befunde als Entwicklungs- 
hemmung? Nach Kölliker wird zu einer gewissen Zeit des embryo- 
nalen Lebens der Sulcus spiralis internus vollkommen ausgefüllt von 
einem sehr hohen Epithel. Auf der Oberfläche desselben und der Crista 
spiralis bildet sich die Membrana Corti als Cuticularausscheidung. Von 
der Stria vascularis weiss man zwar, dass dieselbe beim Embryo als 
Wulst in den Ductus cochlearis vorgewölbt ist, aber von einer Ver- 
bindung der Stria vascularis mit der Gegend des Sulcus spiralis internus 
resp. der Bildung der Corti’schen Membran aus der Stria ist in der 
Entwicklungsgeschichte bisher nichts bekannt. Unser Befund, der durch 
seine Wiederholung in vier Gehörorganen typisch ist, fordert dazu anf, 
bei den entwicklungsgeschichtlichen Studien speciell auf diesen Punkt 
zu achten. 


Während in allen bisher bekannten sicher constatirten Fällen von 
Missbildung des Labyrinths die knöcherne Kapsel betheiligt war, ist 
durch unsere Fälle bewiesen, dass eine Entwicklungshemmung sich auch 
auf den häutigen Theil des Labyrinths beschränken kann bei normaler 
Ausbildung des knöchernen.. Theils. 


100 A.Scheibe: Ein histolog. Beitr. z. Taubstummbheit d. Otitis interna. 
IX. 
(Aus dem patholog. Institut in München.) 


Ein histologischer Beitrag zur Taubstummheit durch 
| Otitis interna. | 


Von A. Scheibe in München. 


Der Redaction zugegangen am 19. Mai 1895. 


Der Schüler der hiesigen Taubstummenanstalt Beck, 81/3 Jahre alt, er- 
krankte an Scharlach-Diphtherie und erlag derselben am 17. November 1893. 

Wie Herr Koller, Inspector des Taubstummeninstituts, die Güte hatte 
mir mitzutheilen, ist Beck sowohl nach dem bezirksärztlichen Zeugniss als auch 
nach den Angaben der Eltern im 4. Lebensjahre durch eine Hirnkrankheit taub 


geworden. Heredität besteht nicht. Seine vier Geschwister hören gut. Der. 


Verstorbene war sehr talentvoll. Die Sprache hat sich gut entwickelt. 


Bei der am Tage nach dem Tode stattfindenden Section, welche auf den 
Kopf beschränkt wurde, fanden sich an der Stirn im subcutanen Gewebe einige 
kleine hämorrhagische Stellen. Meningen besonders nach rückwärts zeigen alle 
Gefässe strotzend mit Blut gefüllt. 


Dura über dem Schläfenbein, Porus acusticus und Sinus transversus bieten 
nichts Abnormes. Trommelfellwölbung und -Aussenfläche beiderseits normal, 
links im oberen Theil und dem Hammergriff entlang durchscheinende Röthung. 


Rechts Paukenhöhle, Aditus und Antrum leer; Schleimhaut normal und 
ohne wesentliche Injection. Im Antrum und in der Paukenhöhle einige zarte 
Schleimhautduplikaturen. Steigbügelköpfchen zeigt bei Druck mit der Sonde 
auf die Schenkel Bewegung. An der Basis des Steigbügels verändern sich dabei 
die Reflexe. 


Links findet sich am Boden der Paukenhöhle etwas blutiges Serum ind 
ein. wegzuspülendes kleines Blutcoagulum. Faukenhöhle und Antrum zeigen eine 
frische, ziemlich starke, aus einzelnen Gefässramificationen bestehende Injection. 
Die Injection erstreckt sich auch in die knöcherne Tuba und ist am stärksten 
im Isthmus, wo die Schleimhaut succulent ist, während die knorplige Tuba 
nahezu frei von Injection und Schwellung ist. Schleimhaut der Paukenhöhle 
zeigt geringe, die des Antrum keine Schwellung. Warzentheil beiderseits grössten- 
theils spongiös. Zellen beiderseits ziemlich reichlich. 


Zur Untersuchung des Labyrinths wurden die mir von Prof. Bezold über- 
gebenen Felsenbeine, nachdem sie gehärtet und entkalkt waren, in Serienschnitte 
zerlegt. Die histologische Untersuchung ergiebt rechts die Schleimhaut des 
Mittelohrs von erweiterten Gefässen durchzogen und mässig kleinzellig infiltrirt, 
am stärksten in der knöchernen Tuba, am Boden der Paukenhöhle und am 
Promontorium. In den Zellen unterhalb der knöchernen Tuba, sowie am Boden der 


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A. Scheibe: Ein histolog. Beitr. z. Taubstummheit d. Otitis interna.. 101 


Paukenhöhle Spuren von Secret, in der Hauptsache aus abgestossenen Epithelien 
bestehend. Die beiden Fenster auf der Paukenhöhlenseite 1), sowie die beiden 
Binnenmuskeln normal. Als besondere Abnormität sollen einige kleine acinöse 
Drüsen in der Schleimhautschicht des Trummelfells erwähnt werden. Dieselben 
liegen nahe seiner vorderen Peripherie in der Gegend der Tubenmündung. 


Links ist der Befund, abgesehen von den Drüsen im Trommelfell, ein 
ähnlicher. Ausser den frischen finden sich aber an den Gefässen auch alte Ver- 
änderungen, nämlich Verschluss einzelner Arterien, eine Strecke weit auch der 
Arterie des Nervus facialis durch Bindegewebe und eine eigenthümliche Ver- 
änderung anı Periost des Promontorium und an der darunter liegenden Knochen- 
schicht der Labyrinthkapsel. Der tiefere Theil der letzteren, welcher das 
Labyrinth direct begrenzt und durch stärkere Färbbarkeit gegenüber Häma- 
toxylin als normal characterisirt ist, bleibt von der Erkrankung frei. Es findet 
sich nämlich auf der Paukenhöhlenseite des Promontorium direct unterhalb des 
ovalen Fensters, dessen Knorpelbelag nicht ganz erreichend, eine kleine circun:- 
scripte Knochenauftreibung und auf letzterer die Periostschicht der Schleimhaut 
durch Vermehrung ihrer Fasern um das 3—6 fache verdickt. Die innerste Schicht 
des Periosts weist sehr viel einkernige, den Zellen des osteoiden Gewebes ähnliche, 
Zellen auf. Dadurch, dass die oberflächliche Schicht des Knochens aus osteoidem 
Gewebe besteht, und durch theilweise körnige Structur der Knochenhaut ist die 
Grenze zwischen derselben und dem Knochen ziemlich verwischt. Die Oberfläche 
des Knochens erscheint zerklüftet. Der grösste Theil des veränderten Knochenkerns 
ist eingenommen von grossen unregelmässig gestalteten Markräumen, welche, nach 
der runden Form der kleineren zu urtheilen, aus den Havers’schen Kanälen her- 
vorgegangen sind. Das Mark besteht aus zahlreichen zumeist einkernigen Zellen. 
Es finden sich auch einzelne Riesenzellen, welche zum Theil in Lacunen liegen. 
Erwähnenswerth sind noch lange, schmale Nadeln, die man auch in den Schichten 
der Schleimhaut sieht. Gefässe reichlich. Die die Markräume trennenden schmalen 
Knochenbalken und besonders die den Knochenkern nach der Paukenhöhle zu 
begrenzende Knochenschicht bestehen theilweise aus osteoider Substanz. Labyrinth- 
wärts werden die Markräume von normalem Knochen begrenzt. 


Die Untersuchung des Labyrinths ergiebt ganz hochgradige Veränderungen, 
welche im Gegensatz zu denen im Mittelohr wohl im Stande sind, die Taub- 
stummbheit zu erklären. Sowohl in der Schnecke als auch im Vorhof und in 
den Bogengängen finden sich die Residuen einer Entzündung. Während die 
- knöcherne Labyrinthkapsel fast überall intact ist, sind die häutigen Gebilde 
grösstentheils zu Grunde gegangen, und ist das Lumen des Labyrinths in beträcht- 
licher Ausdehnung ausgefüllt von neu gebildetem Bindegewebe und Knochen- 
substanz. Die Neubildung von Gewebe hat am stärksten stattgefunden in den 

Bogengängen, etwas weniger in der Schnecke und am wenigsten im Vorhof. 


Rechts. Wenn wir zunächst die Schnecke betrachten, so finden sich - 
bei Weitem die stärksten Veränderungen in der Basalwindung, speziell in deren 
Vorhofstheil, während sie nach der Spitze zu allmählich an Intensität abnehmen. 


1) Auf die Labyrinthseite der Fenster werden wir später zu sprechen 
kommen. 


102 A. Scheibe: Ein histolog. Beitr. z. Taubstummbheit d. Otitis interna. 


Das was am meisten in die Augen. fällt, ist das neugebildete Knochen- und 
Bindegewebe. Die Scala tympani ist von demselben in viel ausgedehnterem 
Maasse ausgefüllt als die Scala vestibuli. Die Zerstörungen, welche durch die 
Entzündung gesetzt worden sind, fallen dieser Neubildung von Gewebe gegen- 
über zwar weniger in die Augen, doch haben sie gerade die wichtigsten Theile, 
die Gebilde des Ductus cochlearis, betroffen. Die Lamina ossea, sowie die 
Zwischenwände der Windungen sind verschont geblieben. 


Die Reissner’sche und die Corti’sche Membran fehlen in der ganzen Schnecke. 
Durch den Defect der ersteren sind der Ductus cochlearis und die Scala vestibuli 
zu einem Raum vereinigt. Das Cortische Organ ist in der ersten Windung 
nur mehr angedeutet, in den beiden oberen Windungen ist es wenigstens in 
seiner Form annähernd erhalten, an einigen Stellen sind sogar die Pfeiler zu 
erkennen. Die Lamina membranacea hat im grössten Theil der Schnecke der 
Entzündung widerstanden. Nur im Anfangstheil der ersten Windung findet 
sich eine durch derbes Bindegewebe ersetzte Stelle (Narbe) in derselben, und im 
letzten Theil der zweiten und in der dritten Windung ist die Lamina mem- 
branacea vom Ligamentum spirale abgerissen und ungefähr im rechten Winkel 
zur Lamina ossea mit dem Periost der Scala tympani verwachsen. Das Liga- 
mentum spirale ist in der Spitze der Schnecke theilweise atrophisch oder defect, 
die Stria vascularis verhältnissmässig gut erhalten. M 


Neubildung von Gewebe hat,. wie schon erwähnt, besonders in der Scala 
tympani stattgefunden und zwar bei Weitem am stärksten im Anfangstheil der 
Schnecke. Direct hinter der Membran des runden Fensters ist die Paukentreppe 
ausgefüllt von compacter Knochensubstanz. Die Ausfüllung "mit der Knochen- 
masse ist eine fast totale, sodass die Lamina ossea theilweise und das Tympanum 
secundarium vollständig mit derselben verwachsen ist. Es ist so allein durch die 
Otitis interna eine vollkommene Fixation der Membran des runden Fensters 
erfolgt. Auch die Mündung des Aquaeductus cochleae ist durch die Knochen- 


masse verschlossen. Weiter nach aufwärts bis weit hinein in den aufgerollten _ 


Theil der ersten Windung sieht man nur mehr ein Gitterwerk schmaler 
Knochenbalken und ausserdem lockeres reticuläres Bindegewebe. Dle Zahl der 
Knochenbalken vermindert sich im weiteren Verlauf der Schnecke immer mehr, 
um dem reticulären Bindegewebe Platz zu machen, welches das Lumen der 
Paukentreppe ganz ausfüllt oder höchstens einige grössere Lücken freilässt. In 
den Maschen oder den grösseren Lücken des Bindegewebes befinden sich an ver- 
schiedenen Stellen eigenthümliche zu Ketten aneinander gereihte grosse rundliche 
Zellen mit blassem feingekörnten Inhalt. Der Kern ist randständig und meistens 
plattgedrückt. Es dürfte sich um Steinbrügges „Ringzellen“ handeln, die 
auch Schwabach bei Otitis interna gesehen hat. 


In der Scala vestibuli hält sich die Neubildung von Bindegewebe, welches 
hier sclerotischer Natur und derber ist, in der Nähe des Modiolus, den grössten 
Theil des Lumens freilassend. Neugebildeten Knochen sieht man hier nur wenig 
und nur im Anfangstheil der Schnecke. Das Periost ist an den freigebliebenen 
Stellen des Lumens nicht besonders verändert. 


Der Hörnerv weist ebenfalls beträchtliche Veränderungen auf. Nerven- 
fasern ziehen zwar ziemlich reichlich in die Schnecke hinein, in der Endaus- 


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A. Scheibe: Ein histolog. Beitr. z. Taubstummbheit d. Otitis interna. 103. 


breitung in der Lamina ossea aber sind nur mehr vereinzelte Fasern erhalten, 
welche nach der Weigert'schen Methode sich nur sehr mangelhaft und in der 
unteren Windung überhaupt nicht färben. Die Stelle der ausgefallenen Fasern 
ist von Bindegewebe eingenommen, das im Anfangstheil der ersten Windung 
dichter ist und theilweise verknöchert zu sein scheint. 


Das Ganglion spirale ist im Vergleich zum Nerven ziemlich gut erhalten. 
Dasselbe betheiligt sich in den oberen Windungen gar nicht und in der untersten 
Windung nur wenig an der Atrophie. Hier fehlt ein Theil der Ganglienzellen, 
und bei den übrigen ist sowohl das Protoplasma stärker gekörnt, als auch die 
Färbung einzelner Kerne eine sehr mangelhafte. 


Die Gefäss- und Lymphräume im Modiolus sind mit Ausnahme einer un- 
wesentlichen Vermehrung des Bindegewebes nicht verändert. 


Da die Knochenneubildung in der Nähe der Einmündungsstelle des Aquae- 
ductus cochleae bei Weitem am stärksten ist, wurde der Untersuchung des letz- 
teren selbst besonderes Interesse gewidmet. Es zeigt sich wider Erwarten, dass 
der Knochencanal der Schneckenwasserleitung, deren Eingang in die Schnecke 
wir verschlossen gefunden haben, in seinem weiteren Verlauf zwar eng, aber 
überall durchgängig, und dass das Periost des Canals nicht wesentlich ver- 
ändert ist. 


Die Untersuchung des Vorhofs ergiebt eine Zerstörung seiner häutigen 
Gebilde. Neugebildetes Bindegewebe und insbesondere Knochen findet sich nur 
wenig in seinem Lumen. Sein Periost ist hauptsächlich auf der Steigbügelfuss- 
platte beträchtlich hypertrophirt, so dass dieselbe von der vestibularen Seite 
her fest im ovalen Fenster fixirt ist. Ihre Beweglichkeit ist hierdurch, womit 
auch die makroskopische Section übereinstimmt, zwar nicht wie die der Membran 
des runden Fensters ganz aufgehoben, aber doch beträchtlich herabgesetzt. Ven 
der Schnecke ist der Vorhof durch eine derbe Bindegewebsmembran vollständig 
abgeschlossen. 


Von den Bogengängen ist der obere an beiden Felsenbeinen nur zum 
kleinen Theil erhalten, da er bei der beabsichtigten Eröffnung vor der Härtung 
der Präparate übersehen und weggemeisselt worden ist. Aus dem Befund an 
den beiden anderen Bogengängen erklärt es sich leicht, warum er übersehen 
worden ist. Von den häutigen Bogengängen ist rechts nur der untere Schenkel 
des hinteren eine Strecke weit erhalten, wenn auch stark verändert. Von den 
knöchernen Bogengängen ist der äussere mit Knochenmasse gleichsam ausge- 
gossen. Ohne Kenntniss von seiner Lage würde es schwer gelingen ihn aufzu- 
finden. Nur die mehr rundlichen Formen der Knochenkörperchen und die ge- 
ringere Anzahl ihrer Ausläufer lassen den neugebildeten Knochen erkennen. 
Bei der makroskopischen Section hätte er ebenso wie der obere Bugengang über- 
sehen werden müssen. Ich stimme Mygind, Moos und Steinbrügge voll- 
ständig bei, dass das angebliche Fehlen einzelner Bogengänge, welches von 
älteren Anatomen meist als Bildungshemmung aufgefasst wurde, in vielen Fällen 
auf abgelaufene Otitis inferna zurückzuführen ist. 


Im hinteren Bogengang findet sich, abgesehen von einer mässigen Ein- 
 engung seines oberen Schenkels durch Knochenmasse nur Bindegewebe. Auf- 


104 A. Scheibe: Ein histolog. Beitr. z. Taubstummbheit d. Otitis interna. 


fällig ist, dass das Narbengewebe nur in diesem Schenkel des hinteren Bogen- 
gangs derber, sogar sclerotischer Natur, in seinem anderen Schenkel aber und 
in dem nicht von Knochen erfüllten Theil der beiden anderen Bogengänge reti- 
culär ist. 


Was den Aquaeductus vestibuli anbetrifft, so ist bei der Enge und 


dem gewundenen Verlauf seines häutigen Canals nicht sicher zu sagen, ob der 


letztere überall offen ist; eine gröbere Veränderung desselben ist jedenfalls nicht 
vorhanden. Dagegen erscheint der knöcherne Canal an seiner Einmündung in 
den Vorhof uneben. ` 


Die Nerven des Vorhofs und der Ampullen füllen ihre Canäle ziemlich gut 
aus, färben sich aber nur mangelhaft nach der Weigert’schen Methode. 


An der Dura, soweit sie am Präparat erhalten ist, lassen sich Abweichungen 
von der Norm nur in dem Fortsatz erkennen, welchen dieselbe in den Porus 
acusticus internus hineinsendet. An der unteren Wand des letzteren ist die 
harte Hirnhaut durch Vermehrung der Kerne, welche rundliche oder ovale 
Gestalt haben, verdickt. Der makroskopischen Untersuchung, welche sich 
nicht auf das Innere des Meatus auditorius internus ersteckte, war dies ent- 
gangen. 


Links sind die Veränderungen ganz der gleichen Art, nur sind sie noch 
stärker ausgesprochen. Vom Nerven sind in der Schnecke höchstens noch 
vereinzelte Fasern vorhanden, die sich überdies nach Weigert nicht färben. 
Auch das Ganglion spirale ist stärker atrophisch und zeigt ebenso wie die 
Lamina spiralis ossea streckenweise die bei Atrophie häufig vorkommende Lücken- 
bildung. Das Corti’sche Organ ist links nirgends mehr erhalten, nur an einzelnen 
Stellen sieht man an seiner Stelle noch niedrige Zellreste. Die Lamina mem- 
branacea fehlt zum Theil ganz; in den oberen Windungen ist sie nach der 
Paukentreppe zu ganz verzogen und mit dem dieselbe ausfüllenden .Narben- 
gewebe verwachsen. Die Neubildung von Knochen hat in der gleichen Weise 
wie rechts bei Weitem am meisten die Scala tympani in der Nähe des runden 
Fensters betroffen. Ein grosser Theil des Lumens der Scala vestibuli ist durch 
Bindegewebe ausgefüllt. 


Auch Vorhof und Bogengänge zeigen im linken Felsenbeine stärkere 
Abweichungen von der Norm. Die häutigen Theile derselben sind ganz zerstört; 
die Knochenneubildung ist stärker und geht an der medialen Wand des Vorhofs 
direct in die Labyrinthkapsel über, so dass die Grenze der letzteren und des 
Vorhofs theilweise verwischt ist. Der Aquaeductus vestibuli ist links völlig 
durch Knochenneubildung obliterirt, die auch auf seine Umgebung übergreift. 
An den Nerven des Vorhofs ist deutlicher eine quantitative Atrophie zu er- 
kennen, wenn sie auch bei Weitem nicht so hochgradig ist wie in der Schnecke. 
Von den knöchernen Bogengängen zeigt nur der äussere eine Strecke weit ein 
offenes Lumen. Der hintere erweist sich durchgehends von solider Knochenmasse 
erfüllt. Der obere ist ebenso wie auf dem anderen Ohr am Präparat weg- 
‚gemeisselt. 


ya 


mm ee E A Sogar Sun — DF 


A. Scheib e: Ein histolog. Beitr. z. Taubstummheit d. Otitis interna. 105 


Schlussbetrachtungen. 


Wie aus der Beschreibung hervorgeht, handelt es sich um Ver- 
änderungen von verschiedener Bedeutung. Im Mittelohr findet sich 
beiderseits eine frische Entzündung der Schleimhaut, welche offenbar 
während der letzten Wochen vor dem Tode durch die Scharlach-Diph- 
therie entstanden ist. Links sind ausserdem im Mittelohr noch ältere 
Veränderungen vorhanden, auf welche unten zurückgekommen werden soll. 


Die Zerstörungen, welche sich beiderseits im Labyrinth finden, 
sind älteren Datums und genügen vollauf, die Taubheit resp. die zur 
Stummheit führende hochgradige Schwerhörigkeit zu erklären. Dass es 
sich um die Residuen einer Entzündung handelt, geht aus der Beschrei- 
bung zur Genüge hervor. In der Literatur finden sich bereits mehrere, 
dem unserigen ganz ähnliche Fälle beschrieben, welche nicht nur die 
gleichen Zerstörungen und ebenso die Neubildung von Binde- und 
‚und Knochengewebe, sondern die letztere auch genau an den gleichen _ 
Stellen am stärksten aufweisen, nämlich im Anfangstheil der Pauken- 
treppe direct hinter der Membran des runden Fensters an der Ein- 
mündung der Schneckenwässerleitung einerseits und in den Bogengängen 
. andererseits. Die betreffenden in der Literatur verzeichneten Fälle 
konnten auf Meningitis cerebrospinalis zurückgeführt werden. Nur 
Schultze!) lässt es unentschieden, ob sein Fall durch eine Meningitis 
entstanden, oder ob der Process einer Poliomyelitis acuta gleichzusetzen 
ist. Auch in unserem Fall ist Meningitis als wahrscheinliche Ursache 
-anzunehmen, umsomehr als auch die Dura im Meatus auditorius internus 
Abnormitäten zeigt, und da im bezirksärztlichen Zeugniss angegeben ist, 
dass Beck im 4. Lebensjahre durch eine Hirnkrankheit taub geworden ist. 


Es existiren vier Wege, auf denen die Meningitis sich in’ das 
Labyrinth fortpflanzen kann: Durch die beiden Aquaeducte, den Meatus 
auditorius internus und endlich zunächst in das Mittelohr und erst von 
da durch die Fenster in das Labyrinth. Am häufigsten bietet der 
Aquaeductus cochleae die Eingangspforte.. Auf diesem Wege dürfte 
auch in unserem Falle die Infection erfolgt sein, wie die auffallend 
hochgradige Neubildung von Knochengewebe an seiner Einmündungsstelle 
in die Schnecke : vermuthen läst. Das verhältnissmässige Intactsein des 
Aquaeductus selbst dürfte verständlich werden, wenn wir mit Stein- 
brügge annehmen, dass die Infection nicht durch eine directe Fort- 


1) Virchow’s Archiv 119. Bd., 1. Heft. 


106 A. Scheibe: Ein histolog. Beitr. z. Taubstummbheit d. Otitis interna. 


pflanzung des Eiterungsprocesses, sondern durch Hineinschwemmen der 
Mikroorganismen mittelst der Perilymphe stattfindet. 


Die Lymph- und Blutgefässräume im Modiolus sind in unserem 
Falle kaum afficirt, und ebenso ist der gewiss höchst seltene Weg durch 
die Fenster auszuschliessen, da wenigstens die Paukenhöhlenseite der 
Fenster vollkommen normal ist, wenn auch an anderen Stellen der 
Paukenhöhle sich Veränderungen alten Datums finden. Dagegen deutet 
die starke Knochenneubildung am Aquaeductus vestibuli des linken 
Ohres darauf hin, dass wenigstens auf dieser Seite die Fortpflanzung 
auch auf diesem Wege erfolgt ist. 


Die Betheiligung der Bogengänge ist eine auffällig hochgradige. 
Das ist auch schon anderen Autoren aufgefallen. Habermann hat es 
durch die anhaltende Rückenlage erklärt, während welcher die Bogen- 
gänge den tiefsten Theil bilden, so dass sich in ihnen das Secret leicht 
anhäufen kann. Steinbrügge nimmt als Ursache an, dass wahr- 
scheinlich im Periost der Bogengänge schlechtere Circulationsverhältnisse 
beständen als in der Schnecke. Das hat sich in der That durch die 
Untersuchungen Siebenmanns und Eichlers bestätigt. Mir er- 


scheint die Erklärung Steinbrügges am plausibelsten. Die Rücken- 


lage müsste sich auch in den entsprechenden Stellen der oberen Win- 


dungen der Schnecke mehr bemerkbar machen. Immerhin ist ihr ein 


gewisser Einfluss nicht abzusprechen. 


Bei der von Prof. Bezold vorgenommenen Untersuchung der In- 
sassen des hiesigen Taubstummeninstituts ergab sich die auffällige Be- 
obachtung, dass bei den durch Meningitis taub Gewordenen es meist 
unmöglich war, Schwindel zu erzeugen. Die hochgradigen Veränderungen 
in den Bogengängen geben dafür die Erklärung. Dass in einzelnen 
Ausnahmefällen Schwindel zu erzeugen ist, erklärt sich dadurch, dass 
bei Otitis interna die Bogengänge auch intact bleiben können (Stein- 
brügge, Habermann). | 


Besonders zu besprechen ist die circumscripte Ostitis auf der Pauken- 
höhlenseite des Promontorium im linken Ohr. An der Entzündung des 
inneren Öhres betheiligt sich manchmal, wie sich aus der Literatur 
ergiebt, auch die Labyrintlikapsel, so auch in unserem Falle in der 
Gegend des Aquaeductus vestibuli des linken Ohres, wo ein abgelaufener 
Knochenprocess nachzuweisen ist. Der oben beschriebene Process in 
der Promontorialwand aber ist kein abgelaufener, sondern spielt im 
Knochen weiter, indem sich noch unverknöchertes osteoides Gewebe 


Alpa pa umam 


A. Scheibe: Ein histolog. Beitr. z. Taubstummbheit d. Otitis interna. 107 


findet. Habermann hat zwar bei Otitis interna im Knochen des 
Promontorium eine ganz ähnliche Erkrankung beschrieben, doch handelt 
es sich bei ihm nicht um einen abgelaufenen, sondern um einen frischen 
Fall von Labyrinthentzündung. Da überdies bei unserem Taubstummen 
die Ostitis nicht wie bei Habermann auf der Vorhofsseite, sondern 
auf der Paukenhöhlenseite des Promontorium localisirt ist, müssen wir 
_ für unseren Fall eine andere Erklärung suchen. Dass die leichte frische 
Entzündung des Mittelohrs zur Erkrankung des Knochens geführt hätte, 
ist ebenfalls nicht anzunehmen. In diesem Falle würde die oben be- 
schriebene Obturation der Blutgefässe durch Bindgewebe unerklärt 
bleiben. Auffällig ist die Aehnlichkeit mit der von Bezold!), Politzer?) 
und vom Verfasser?) beschriebenen unabhängig von einer Entzündung 
des Mittelohrs eintretenden Knochenerkrankung der Labyrinthkapsel 
und der Steigbügel-Vestibular-Symphyse bei der sogenannten Sclerose 
des Mittelohrs. Doch unterscheidet sich unser Fall besonders durch 
seine Einseitigkeit, ferner dadurch, dass die Erkrankung die Steigbügel- 
Vestibular-Symphyse nicht erreicht, und weiter durch eine verhältniss- 
mässig stärkere Betheiligung des Periosts an der betreffenden Stelle und 
durch die Erkrankung der Blutgefässe in einem grossen Theil des 
Mittelohrs, wenn anders dieselbe mit dem Knochenprocess in einem Zu- 
. sammenhang steht. Auch das jugendliche Alter ist auffällig. Die 
Schwerhörigkeit beginnt nach unseren klinischen Erfahrungen bei 
»Sclerose« meist erst später. Wir dürfen dabei allerdings nicht ausser 
Acht lassen, dass die Erkrankung im Promontorium, solange sie nicht 
das ovale Fenster erreicht, keine Störung im Gehör hervorruft. Aus 
allen diesen Gründen dürfte es gerathen sein, mit einer Erkärung zu 
warten, bis mehrere Fälle von. einseitiger »Sclerose« einer ana- 
tomischen Untersuchung unterworfen sind. Die bisher histologisch unter- 
suchten Fälle gehören sämmtlich der bei weitem häufigeren doppelseitigen 
»Sclerose« an, die vielleicht eine andere Genese hat als die einseitige. 


Nach dieser Abschweifung möchte ich noch auf einen Befund bei 
der Otitis interna zurückkommen, der auf das Resultat der funktionellen 
. Prüfung dieser Erkrankung ein interessantes Licht wirft. Unser Befund 
zeigt ebenso wie der anderer Autoren, dass die Otitis interna auch ohne. 
Betheiligung des Mittelohrs zu schweren Veränderungen am Schallleitungs- 


1) II. Congress der deutschen otolog. Gesellsch., 21. Mai 1893. 
2) Versammlung der Ohrenärzte in Boston, Sommer 1893. 
3) 65. Versammlung der Gesellsch. Deutsch. Naturf. u. Aerzte, 12. Sept. 1893. 


108 A. Scheibe: Ein histolog. Beitr. z. Taubstummheit d. Otitis interna. 


apparat führen kann. Die Membran des runden Fensters ist auf der 
Labyrinthseite durch Knochenneubildung vollständig und die Steigbügel- 
platte durch eine derbe Bindegewebsschwarte auf der Vorhofsseite ziem- 
lich fest fixir. Wir dürfen uns also nicht wundern, wenn die funktionelle 
Prüfung bei Otitis interna Ergebnisse liefert, welche sowohl für Er- 
krankung des inneren Ohres wie des Schallleitungsapparates sprechen. 
Am eingehendsten hat Schwabach!) seinen Fall von Otitis interna 
funktionell geprüft. Während bei Erkrankung des inneren Ohres bis- 
her gewöhnlich ein gutes Gehör für tiefe und ein schlechtes Gehör für 
hohe Töne erwartet wurde, fand er einen Ausfall der tiefen Töne (c), 
während ein, wenn auch stark herabgesetztes, Gehör für die höheren 
(c?) und höchsten Töne (ct) vorhanden war. Das kann bedingt sein 
durch gleichzeitige Fixation des Schallleitungsapparates oder nach der 
Helmholtz’schen Theorie durch stärkere Veränderungen in der Spitze 
der Schnecke als in der basalen Windung. Im Schwabach’schen 
Falle traf die letztere Erklärung zu, während die Veränderungen am 
Schallleitungsapparat verhältnissmässig gering waren. Ich möchte hier 
nur darauf hinweisen, dass bei Otitis interna resp. deren Residuen der 
Ausfall der tiefen Töne (in Luftleitung) nach den vorliegenden ana- 
tomischen Untersuchungen ebensowohl durch eine Erkrankung des Schall- 
leitungsapparates auf dessen Labyrinthseite, als durch eine ungewöhnliche - 
Localisation der Veränderungen in den Windungen der Schnecke be- 
dingt sein kann. Bisher sind der Schwabach’sche und ein von 
Bezold und vom Verfasser mitgetheilter, möglicherweise gleichfalls 
durch Meningitis verursachter Fall?) von Erkrankung des inneren 
Ohres die einzigen, bei welchen die Veränderungen in der Spitze der 
Schnecke stärker. waren als in der Basalwindung, während Fixation 
des Steigbügels und der Membran des runden Fensters häufig be- ` 
schrieben sind. 





1) Zeitschr. f. klin. Med. 18. Bd.. 3. und 4. Heft. 
2) Diese Zeitschr. 22. Bd., 3. und 4. Heft. 





W.Vulpius: Drei Fälle v. Influenza-Otitis m. epiduralen Abscessen. 109 


X. 


Drei Fälle von Influenza-Otitis mit epiduralen 


Abscessen. 
(Vorgestellt in der deutschen medicinischen Gesellschaft zu New-York.) 


. Von W. Vulpius, 
Assistenzarzt am New-Yorker Ophthalmic and Aural-Institute. 


M. H.! Ich stelle Ihnen 3 Patienten vor, deren Krankengeschichte 
einen Beitrag zu dem grossen Capitel der Influenzafolgekrankheiten 
liefern möge. M 

Zwar hat man vom pathologisch anatomischen und bacteriologischen 
. Standpunkt aus mehrfach hervorgehoben, dass Erkrankungen, die sich 
als Complication während oder nach einem Grippeanfall einstellen, keine 
Merkmale böten, welche sie von den primär auftretenden Formen der 
entsprechenden Kategorien unterscheiden liessen, die Kliniker aber haben 
während der grossen Influenzaepidemien der letzten 6 Jahre nur zu 
häufig Gelegenheit gehabt, den bösartigen und schweren Character 
solcher Folgekrankheiten fürchten zu lernen. 

Man hat sich auf Grund solcher Erfahrungen zu einer grösseren 
Reserve in der Prognose der betreffenden Fälle gedrängt gesehen, und 
wird — soweit dies möglich ist — auch die therapeutischen Maass- 
nahmen dadurch beeinflussen lassen. So habe ich es mir zur Regel 
gemacht, bei einer während oder unmittelbar nach Influenza auftretenden 
acuten Otitis media keine Zeit mit palliativen oder äusserlich ableiten- 
den Maassregeln zu verlieren in der Hoffnung, dass die Entzündung 
ohne Perforation und Eiterung sich zurückbilden möge, sondern ich 
suche durch eine möglichst frühzeitige und ausgiebige (d. h. galvano- 


caustische) Paracentese der Tendenz einer Ausbreitung der Entzündung 


in die entfernteren Mittelohrräume entgegenzuarbeiten, eine Tendenz, 
welche gerade bei Influenza-Otitis von vornherein besonders ausgesprochen 
zu sein scheint. | - 

Die Geschichte der gegenwärtigen Fälle, welche leider zu spät. 
in meine Behandlung kamen, um das eben dargelegte Princip noch er- 
folgreich auf sie anwenden zu können, werden letzteres vor dem Vor- 
wurf übereiliger Activität schützen. Bei allen 3 Patienten hatte sich 


während oder nach einem Influenzaanfall mit stürmischen Symptomen . 


eine Mittelohreiterung entwickelt, die im Verlauf von Wochen einen 


mehr subacuten Character annahm, während gleichzeitig — bedingt. 


”- n SE 


ET I RR en EN ra En ee a a 


11 0 W.Vulpius: Drei Fälle v. Influenza-Otitis m. epiduralen Abscessen. 


durch ungünstige Drainageverhältnisse der Paukenhöhle — die Entzündung 
und Eiterung sich auf die Knochenzellen des Processus mastoideus und 
weiterhin in die hintere, bei zweien auch in die mittlere Schädelgrube 
fortpflanzte. Die Patienten kamen in meine Behandlung als die Com- 
plication der Mittelohreiterung schon im Gange war, doch nur bei einem 
waren die Symptome der eitrigen Mastoiditis so ausgeprägt, dass ich 
zu einer schnellen Operation rieth, während bei den zwei anderen eine 
energische galvanocaustische Paracentese des derben Trommelfelles die 
subjectiven Beschwerden und die objectiven Reizsymptome so herab- 
setzten, dass es wochenlang dauerte, bis ich eine zureichende Indication 
zur Warzenfortsatzeröffnung in dem eigenthümlichen Character und der 
Unheilbarkeit der abundanten Ohreiterung fand. 


Der erste Patient, in dessen Anamnese nichts von Bedeutung vorliegt, 
hatte seinen Influenzaanfall am 17. Januar 1892. Nach einigen Tagen bekam 
.er heftige Ohrenschmerzen, welche mit Kamillentheeumschlägen und Borsäure- 
ausspritzungen behandelt wurden. Trotzdem sich eine mässige Eiterung ein- 
stellte, liessen die Schmerzen zunächst nicht nach; dann besserte sich das sub- 
jective Befinden für einige Zeit unter der Behandlung eines Specialisten. 

Als er am 15. März 1894 in meine Behandlung kam, zeigte sich eine starke 
ödematöse Schwellung hinter und über dem linken Ohre, die sich über die 
Schläfengegend bis an das linke Auge erstreckte. Der Gehörgang war durch 
Schwellung und besonders durch Senkung der oberen Wand gänzlich verschlossen ; 
aus dem engen Spalt drängte sich etwas dünnflüssiger Eiter. Das vorhandene 
Fieber (39,20) und die starke Druckempfindlichkeit über dem Proc. mastoideus, 
sowie ein scheinbares Fluctationsgefühl daselbst bestimmten mich, die Operation 
schon am folgenden Tag zu unternehmen. 

Die starke und äusserst starre ödematöse Infiltration erforderte einen un- 
gewöhnlich langen Hautschnitt zur genügenden Bloslegung des Operationsfeldes, 
wobei sich kein Eiter und keine Verfärbung an der Knochenoberfläche zeigte. 

Ich begann die Meisseloperation an der typischen Stelle und eröffnete in 
‚geringer Tiefe eine eiterhaltende Knochenzelle; von hier aus führte die Sonde 
in einen engen Gang nach hinten, den ich vorsichtig aufmeisselte. Auf diese 
Weise wurde ein Abscess im Sulcus Sinus tranversi eröffnet, dessen Eiter den 
pulsirenden und elastisch sich anfühlenden Blutleiter umspülte. Noch mehrere 
Knochenzellen im Proc. mastoideus und über der oberen Gehörgangswand zeigten 
sich eiterführend, während ein ähnlicher Fistelgang, wie der nach dem Sinus 
sich erstreckende, zu einem bohnengrossen Abscess über dem Tegmen antri führte. 
Ich eröffnete denselben breit und kratzte Granulationen der Dura mater vor- 
sichtig ab. 

Die grosse Hautwunde wurde durch eine Naht am unteren Ende verkleinert, 
im übrigen zugleich mit der Knochenwundhöhle fest austamponirt und auf diese 
Weise noch einige Wochen zur sicheren Controlle offen gehalten. Die erkrankte 
Durastelle entwickelte Anfangs üppige und sehr schwammige Granulationen, 
die ich durch mehrfaches Abkratzen und Galvanocaustik niederhielt und zu ge- 


W. Vulpius: Drei Fälle v. Influenza-Otitis m. epiduralen Abscessen. 111 


sunder Verdichtung brachte. Im übrigen wurde der Heilungsverlauf nur durch 
das Auftreten eines Furunkels im äusseren Gehörgang kurz gestört. — Die 
Secretion in der Trommelhöhle nahm bald ab; nach 31/8 Wochen war die Per- 
foration geschlossen und die Pauke frei. Im Verlauf von 6 Wochen 'schloss 
sich auch die äussere Wunde vom Grund aus vollständig und dauernd. Das 
Gehör des betreffenden Ohres ist ein gutes. | 


Der zweite Fall — eine junge sonst gesunde Frau von 24 Jahren — 
wurde mir am 1. April von einem Collegen zugeschickt, nachdem er sie selbst 
schon einige Wochen an einer linksseitigen Ohreiterung in Folge von Influenza 
erfolglos behandelt hatte — Die Patientin klagte über Schmerzen im Ohr und 
der linken. Parietalgegend; die Bedeckung des Warzenfortsatzes war geröthet 
und mässig ödematös, der Knochen auf Druck schmerzhaft. Der. Gehörgang 
zeigte sich mässig’ verschwollen, das Trommelfell vorgewölbt und von derber. 
: Beschaffenheit. Die Shrapnell 'sche Membran bauchte sich sackförmig aus, 
und durch eine kleine Perforation in aerze ben quoll in pulsirenden en 
dicker Eiter. 

Ich machte sogleich je eine galvonocaustische Paracentese in der Shrap- 
nell’schen Membran, sowie im unteren hinteren Trommelfellabschnitt und ver- 
ordnete Eisumschläge über den Proc. mastoideus. Nach drei Tagen war bei 
freiem und reichlichem Eiterabfluss das Befinden subjectiv und objectiv wesent- 
lich gebessert, die entzündliche Schwellung und Druckempfindlichkeit über dem 
Warzenfortsatz gänzlich geschwunden. ' | 

Nach drei Wochen aber sah ich mich durch Wiederkehr derselben Reiz- 
symptome genöthigt, die klein gewordene Perforation wieder zu vergrössern, 
. was denselben günstigen und etwas länger anhaltenden Erfolg wie die erste 
Operation hatte. Als aber zum drittenmale heftige Schmerzen und entzündliche 
Schwellung bei unverminderter Eiterung auftraten, schlug ich die Eröffnung 
des Warzenfortsatzes vor und führte die Operation am 24. Mai 1894 aus. 

Unter gesund erscheinender Corticali® traf ich in geringer Tiefe auf eine 
graugelbliche Membran, welche die Sonde leicht durchbrach: ein Strom von 
dickem, geruchlosem Eiter quoll hervor. Die ganze Kuppel des Warzenfort- 
satzes bildete eine grosse Abscesshöhle, aus der ich ausser dem Eiter bedeutende 
Massen schmieriger Granulationen mit dem scharfen Löffel entfernte. Bei sorg- 
fältigem Sondiren fand sich aber auch ein etwa bohnengrosser Abscess am 
Boden der mittleren, sowie ein bedeutend grösserer‘ an der Seitenwand der hin- 
tereh Schädelgrube, welch’ letzterer zu seiner gründlichen Blosslegung die Ent- 
fernung der ganzen Innenwand des Proc. mastoideus erforderte, so dass hier- 
schliesslich die granulirende Dura in der Ausdehnung eines halben Silber-Dollars 
freilag. 

Die Heilung verlief glatt, und war nach 5 Wochen vollkommen. Auch 
‘ Trommelfell und Paukenhöhle sind wieder zu ihrem früheren Zustand zurück- 
gekehrt und die schon vorher bestehende, auf Sclerose beruhende Schwerhörig- 
keit ist nicht verschlimmert. 


Im dritten Falle handelt es sich um einen Collegen, in dessen Vor- 
geschichte ein vorübergehender Zuckergehalt des Urins bemerkenswerth ist. Er 
erkrankte am 14. Januar 1894 an Influenza und hatte dann vom 21. ab mehrere 

` Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXVII. g 


112 W.Vulpius: Drei Fälle v. Influenza-Otitis m. epiduralen Abscessen. 


Tage und "besonders Nächte heftige Ohrenschmerzen, die auch beim Eintritt 
einer mässigen Eiterung nur wenig und periodenweise nachliessen, besonders 
aber Nachts heftiger wurden. Später traten Empfindlichkeit des Warzenfort- 
satzes ünd Schwindelgefühl hinzu. Die Selbstbehandlung hatte in warmen und 
kalten Umschlägen, Ausspritzungen, Alkoholeinträufelungen und Borsäureein- 
blasungen bestanden. Am 21. März frug der Patient einen Chirurgen um Rath, 
der ihn zur specialistischen Behandlung an mich verwies. 


Anch hier war entzündliche Schwellung über dem Warzenfortsatz und im 
‘ Gehörgang vorhanden. Letztere liess sich durch allmählich stärker werdende 
Tamponade so weit verdrängen, dass man einen Theil des stark vorgewölbten, 
derben Trommelfelles mit einer sehr kleinen Perforation übersehen und eine 
galvanocaustische Paracentese ausführen konnte. Auch hier erfolgte schnell ein 
wesentliches Nachlassen sämmtlicher Reizsymptome, und der Eatient befand sich 
‘bei täglichem Durchspülen der Paukenhöhle mit sterilisirter Kochsalzlösung 
(0,60/0) leidlich wohl, wenn auch nie ganz frei von Schwindel und einem Gefühl 
von Völle, zumal Morgens vor dem Durchspülen. Das Trommelfell wurde zarter, 
blasste ab und liess durch die etwa 1,5 mm grosse, runde, scharfrandige Per- 
foration, wenn sie frei von Eiter war, erkennen, dass auch die Paukenhöhlen- 
‘schleimhaut wesentlich abgeschwollen war. 

In diesem Stadium fiel mir ein Symptom auf, dessen abermalige Beob- 
achtung bei einem ähnlichen Falle mir zu einer schnelleren und sichereren Indi- 
cationsstellung verholfen hat, und das sich vielleicht nach dieser Richtung hin 
verwerthen lässt. 

Wenn die Paukenhöhle nach gründlichem Durchspülen, Ausblasen und Aus- 
tupfen soweit von Secret gereinigt war, dass sich in der Perforation .für etwa 
10 Minuten kein pulsirender Tropfen mehr zeigte, noch durch den Vasalva’schen 
Versuch oder sonstige Lufteintreibung zum Vorschein gebracht werden konnte, 
kam augenblicklich ein Stoss Eiter geschossen, sobald der Patient hustete. Ich 
habe den Versuch häufig wiederholt und zwar stets mit demselben Resultat. 


Diese Erscheinung deutet auf das Vorhandensein eines Eiterdepots, welches 
durch den die Paukenhöhle durchstreichenden Wasser- oder Luftstrom kaum 
berührt, jedenfalls nicht entleert wird, welches aber doch in genügender Com- 
munication mit diesem Raume steht, um aueh Hustenstösse zum Ueberlaufen 
in denselben gebracht zu werden 

Trotz nochmaliger Erweiterung der Perforation nach 1 Monat und dem 
Gebrauch adstringirender Tropfen, nahm aber die Eiterung nicht ab. Gelegent- 
lich konnte man auch ein eben bemerkbares Oedem bei nur ganz geringer Druck- 
empfindlichkeit über dem Warzenfortsatz nachweisen. Dann schaffte der Eis- 
beutel für etwa 11/3 Wochen wesentliche Erleichterung; als aber gegen Mitte 
. Mai auch leichte Temperatursteigerungen auftraten, rieth ich immer dringender 
zur Operation, die am 29. Mai ausgeführt wurde. 

Auch hier fand sich ein gesunder Cortex des Proc. mast., und in geringer 
Tiefe eine Abscessmembran, nach deren Durchbrechen sich ein Strom Eiters ent- 
leerte. Bedeutende Granulationsmassen wurden durch den scharfen Löffel heraus- 
befördert, und auch hier die ganze Innenwand des proc. mast. weggenommen, 
da sich eine starke Eiterausbreitung über der Dura mater des Kleinhirns fand. 


W. Vulpius: Drei Fälle v. Influenza-Otitis m. epiduralen Abscessen. 113 


Beim Säubern der letzteren fiel im hinteren, unteren Winkel der Abscesshöhle 
eine schwärzlich verfärbte Stelle auf, die in der dritten Woche der Nachbehand- 
lung durch gesunde Granulationen abgestossen wurde, und demnach einen necro- 

. - tisirten Heerd darstellte, an dem wahrscheinlich in kurzer Zeit ein Durchbruch 
des Abscesses nach den Meningen stattgefunden hätte. 

- Die fast hühnereigrosse Wundhöhle füllte sich allmählich mit Granulationen, 
die wenig Aetzung erforderten, und schloss sich gegen Mitte Juli 1894 voll- 
kommen. Auch die Mittelohreiterung versiechte während dieser Zeit, aber eine 
Perforation, den Umbo umgreifend, ist noch vorhanden. Anfangs October 
öffnete sich eine kleine Stelle der retroauriculären Narbe nochmals ohne wesent- 
liche Reaction, um 2 kleinen necrotischen Knochensplittern Auslass zu gewähren, 
hat sich aber nach 2 Wochen wieder gänzlich und wohl definitiv geschlossen. 


Das Gehör ist in diesem Falle — der Perforation entsprechend — noch 


nicht in alter Schärfe wiederhergestellt, während einige unangenehme Sensationen 
hinter dem Ohr wohl auf Einbeziehung einer grösseren Durastrecke in die Narbe 
zurückzuführen sind. 


In, allen 3 Fällen handelte es sich offenbar nicht um eine mit der 
Paukenhöhle gleichzeitig erfolgte Infection der Warzenfortsatzräume; bei 
zweien konnte die unnachgiebige Derbheit des Trommelfells und die 

„ hierdurch bedingte Erschwerung des Eiterabflusses als wahrscheinlichste 
Ursache der Weiterausbreitung des Eiterungsprocesses nachgewiesen 
werden. Der unmittelbare Erfolg einer gründlichen Drainage vermittelst 
galvanocaustischer Paracentese des Trommelfells war in diesen beiden 
Fällen so verheissungsvoll, dass man hoffen. durfte, die Entzündung sei 
noch auf die Paukenhöhle beschränkt gewesen und ihrem weiteren Um- 
sichgreifen durch die Operation Schranken gesetzt. Um so schwieriger 
und später ergab sich in Folge dessen eine klare Indication für die 
eingreifende Knochenoperation. 

In keinem der 3 Fälle deuteten die Symptome auf mehr als ein 
Empyem der Warzenfortsatzzellen, während die schweren Complicationen 
der epiduralen und paraphlebitischen Abscesse sich erst während der 
Operation zeigten. 

Vielen dieser, und‘noch verhängnissvolleren Complicationen kann 
vorgebeugt werden durch frühzeitige und ausreichende Drainage der 
Paukenhöhle, wenn dieselbe von einer acuten eitrigen Entzündung be- 
fallen ist, und das Trommelfell sich entweder individuell oder auf Grund 
einer besonderen Infiltrationsform als unnachgiebig erweist. 

Auf diese Weise würden und sollten viele Warzenfortsatzaufmeisse- 
lungen nach acuter eitriger Mittelohrentzündung überflüssig werden. 


g* 


1]4 Stan. v. Ste in: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 


d 


XI. 


Veber Gleichgewichtsstörungen bei. len 


Von Stanislaus von Stein, 
Privatdocent an der Kaiserl. Universität zu Moskau. 


(Mit 7 Abbildungen im Texte.) 


Der Redaction zugegangen am 28. Fehruar 1895. 


Nach. der Goltz’schen und der Mach-Breuer’schen Hypothese!) 
functioniren im Ohrlabyrinthe besondere automatische Apparate, specielle 
Sinnesorgane, welche auf reflectorischem Wege zur Erhaltung des 
Gleichgewichts während der Bewegung (halbkreisförmige Canäle, dy- 
namisches Sinnesorgan) und während der Ruhe (utriculus und sacculus, 
statisches Sinnesorgan) dienen. Durch zahlreiche mannigfache haupt- 
sächlich an Thieren gemachte Experimente hat die Hypothese sehr 
an Wahrscheinlichkeit gewonnen und kann bei jetzigem Stande der Erage 
schon als eine Theorie betrachtet werden. Paul. Meniere sen. (1861) 
gebührt das Verdienst zuerst den klinischen Beweis erbracht zu haben, 
dass auch beim Menschen Gleichgewichtsstörungen durch eine Labyrinth- 
affection bedingt werden können. James, Kreidl, Pollak und 
Rosenbach?) benutzten als pathologische Beobachtungsobjecte die 
Taubstummen, bei denen je nach der Läsion des nicht näher bestimmten 


1) Die hierher bezüglichen Literaturangaben sind von mir detaillirt in 
meinem, in deutscher Sprache erschienenen Werke angeführt: „Die Lehren von 
. den Functionen der einzelnen Theile des Ohrlabyrinths* zusammengestellt von 
Stanislaus von Stein. Aus dem Russischen übersetzt, für die deutsche 
Ausgabe bearbeitet und herausgegeben von Dr. C. van Krzywicki. Privat- 
docenten an der Universität zu Königsberg i. Pr. Mit 190 Abbildungen. Verlag 
von Gustav Fischer in Jena, 1894. l 


2) O. Rosenbach. Beitrag zur Lehre von den Regulationsstörungen der 
Muskelthätigkeit bei Taubstummen. Centralblatt "für Nervenheilkunde und 
Psychiatrie. Mai 1893. 

R. beobachtete, dass bei taubstummen Kindern das Gehen uhd Laufen 
von stärkerem Geräusche begleitet war, als bei normalen Kindern gleichen 
Alters in Folge eines „stärkeren Aufsetzens“ der Füsse. Es waren eigentlich 
keine Coordinationsstörungen, wie z. B. bei Tabetikern. Die Patellarreflexe und 
die Sensibilität waren normal. Es lag also in den angeführten Fällen nur eine 
Verstärkung des Innervationsimpulses vor. Es scheint als wenn hier wegen 
des Fortfalles des Gehöres, als Regulationsmechanismus das Urtheil 
über die Stärke der Muskelcontraction mangelhaft geworden wäre. 


Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 115 


Labyrinththeiles Gleichgewichtsstörungen bei gleichzeitiger Unfähigkeit 
‚sich mit geschlossenen Augen zu orientiren und Abwesenheit von Augen- 
nystagmus ‘bei Durchleitung galvanischer Ströme quer durch den Kopf 
beobachtet wurden. Es lag nun der Gedanke nahe das Verhalten des 
- Gleichgewichtsregulirenden Sinnesorganes nicht nur bei Taubstummen, 
bei welchen die Localaffectionen meistens schon stationär geworden sind, 
sondern auch bei den Mittelohrleiden und bei Affectionen des rami 
cochlearis n. octavi näher zu studiren und aus dem gegenseitigen Ver- 
halten der Symptome Merkmale für die Prognose und Therapie zu ge- 
winnen. Eine fernere Aufgabe wird sodann darin bestehen — wenn 
es überhaupt eine Möglichkeit geben wird — differentieldiagnostische 
Symptome für Gleichgewichtsstörungen durch Ohrenleiden und für solche, 
welche durch Leiden des Centralnervensystems bedingt worden sind, 
ausfindig zu machen. Im gegenwärtigen Artikel werde ich mich bemühen, 
durch einige Ohrenleiden bedingte Bewegungsstörungen etwas näher zu 
studiren und theilweise zu systematisiren!). In dieser Richtung habe 
ich seit August 1892 über 50 Krankheitsfälle notirt und längere Zeit 
beobachtet. _Reine Gehirn- und Rückenmarkleiden wurden womöglich 
ausgeschlossen, um die Frage nicht zu compliciren. | 


Flourens und pach ihm Rich. Ewald haben nur an Vögeln 
bewiesen, dass die Bewegungsstörungen bei J,abyrinthverletzungen in 
denjenigen Locomotionsorganen (Flügeln, Füssen) mit besonderer Stärke 
zu Tage treten, welche von einer gewissen Vogelart vorwiegend zur 
Locomotion benutzt werden. So z. B. bei vorwiegend hüpfenden und 
kletternden Vögeln werden die Fussbewegungen alterirt, bei vorwiegend 
fliegenden manifestiren sich die Störungen in den Flügeln?). Bei den 


1) Es liegen zahlreiche Beispiele (siehe die Literatur in Schwartze’s 
Handb. d. Ohrenheilk. Bd. I u. II) vor, wo in Folge Reizung der Terminal- 
gebilde des n. octavus bei Druckerhöhung im Labyrinthe durch Ausspritzen, 
Durchblasen, Compression der Luft im äusseren Gehörgange, beim Berühren 
‘der Gehörknöchelchen, durch Einwirkung von Tönen, oder durch thermale 
chemische Reize etc. Gleiehgewichtsstörungen bald nach der erkrankten, bald 
nach der gesunden Seite stattfanden. — Knapp. Klinische Analyse der ent- 
zündlichen Affectionen des inneren Ohres. Archiv für Ohrenheilkunde. Band 
IX. S. 37. | 


2) Rich. Ewald. Zur Physiologie der Bogengänge. Pflüger's Archiv 
für die gesammte Physiologie. Bd. 41, S. 481. 

Ewald sagt: „Ich stehe daher nicht an, als Resultat der oben beschriebenen 
Untersuchungen folgenden Satz aufzustellen: Macht man an den Bögen immer 
die gleiche Verletzung (vollführt von Ewald nur an den Canales semicirc. hori« 


116 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 


Säugethieren liegen über diesem Punkt keine näheren Beobachtungen 
vor. Ferner wurde zuerst von Böttcher (1873) und später von 
Anderen beobachtet, dass die Läsion eines Canals von einer Schwäche 
der oberen und unteren (Einknicken und Stolpern beim Gehen) Ex- 
tremitäten der operirten Seite begleitet wird... Beim Menschen, der ge- 
wöhnlich nur die Füsse zur Locomotion benutzt, geben sich die schwächsten 
Affectionen gewisser Labyrinth- resp. Hirntheile durch Coordinations- 
störungen kund. Es ist selbstverständlich, dass die labile Gleichgewichts- 
lage, in welcher der Menschenkörper, sowie anderer Thiere sich stets 
befindet, bei mannigfachen Stellungen verschiedene Arbeitsleistung der 
. einzelnen Muskelgruppen erheischt. | 

Auf Coordinationsstörungen in der rechten Hand beim Schreiben 
in Folge von Ohrenleiden hat Guye!) hingewiesen. 

In dieser Richtung habe ich meine Untersuchungen nach einem 
bestimmten Plane gemacht, und benutzte dabei solche Lagen und Be- 
‚wegungen, die jeder normale Mensch leicht, correct und schnell anzu- 
nehmen und zu vollführen gewohnt ist, oder welche er ohne besonderer 
Vorübung in ein paarmal erlernt. Ausserdem ist es wichtig zu eruiren, 
in wie weit sich das an Menschen beobachtete klinische Material mit 
den an Thieren erhaltenen Experimenten deckt. | 

Das Beobachtungsmaterial theilte ich in zwei Gruppen. Die erste 
Symptomgruppe ist das Resultat der Gehörprüfung und die zweite 
Symptomgruppe ist das Prüfungsresultat der Muskelthätigkeit der 
Unter- und theilweise der Oberextremitäten mit offenen und geschlossenen 
Augen (oculi aperti = o. a. und oculi occlusi = 0. 0.) 


Die zweite Gruppe zerfällt in zwei DET SIUDDeR: 


I. Statische und 
II. Dynamische Muskelthätigkeit. 


Statische Muskelthätigeit wurde von mir bei folgenden Lagen 
näher studirt: 

1. Das ruhige Stehen mit aneinander geschlossenen Beinen, 

2. das Stehen auf den Zehen (Zehenstellung), 


zontales s. externi. Ref.), so sind die darauf eintretenden Störungen bei den 
Vögeln desto grösser, je schwerer es für die verschiedenen Thiere bei Ausübung 
der beobachteten Bewegungsform normaler Weise ist, das Gleichgewicht zu be- 
haupten und je feiner sie daher ihre Muskelbewegungen dabei abstufen.“ 

1) A. Guye. Ueber die Meniere’sche Krankheit. 9. Sept. 1879. Zeitschr. 
für Ohrenheilk. Bd. IX, S. 35. 1880. In diesem einen Falle ist die Handschrift 
während und nach Ablauf der Krankheit in der Zeitschrift abgebildet. 


Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 117 


3. das Stehen auf einem rechten oder linken Beine, und 
4. das Stehen auf schiefer Ebene. !) ' 
Aus der Untergruppe der dynamischen Muskelthätigkeit unter- 
suchte ich ; 
1. Das geradlinige Gehen vorwärts und rückwärts auf ebenem 
Boden, i 
2. das Hüpfen auf Zehen vorwärts und rückwärts mit ren 
Beinen, 
3. das Hüpfen auf einem rechten oder einem linken Beine vor- 
wärts und rückwärts, 
4. das Herumdrehen um die verticale Körperaxe mit EIERN 
‚ Beinen nach rechts und links, 1 
5. ‘das Herumdrehen auf einem rechten oder linken Beine. 2) 


Statische Muskelthätigkeit (Statik). 
1. Das Stehen mit aneinander geschlossenen Beinen (Plan- 
tarstellung, Zweibeinstellung, 2 pedes = Pp.) und mit 
steifen Knien. 


Die Unterextremitäten werden aneinander bis zur Berührung der 
inneren Fussränder genähert. Bevor man aber zur weiteren Unter- 
suchung schreitet, muss man einige Vorsichtsmaassregeln treffen. Die 
untersuchende Person muss mit nach vorn gerichteten Augen auf gerader 
Diele gestellt werden, da, wie wir weiter sehen werden, die kleinste 
Neigung in einigen Fällen schon genügt, um Gleichgewichtsstörungen 
zu verursachen. Darauf lässt man die Augen schliessen, oder noch 
besser man verbindet sie mit einer 'leichten Binde. Bei den ersten 
Untersuchungen ist es gerathener, einfach die Augen schliessen zu lassen, 
aus folgendem triftigen Grunde. Beim Verbinden treten die Bewegungs- 
störungen viel prägnanter zu Tage, und nicht selten fallen die Kranken 
auf die Diele, wenn man sie nicht zeitig auffängt, da die Möglich- 
keit sich mit Hilfe der Augen zu orientiren ausgeschlossen ist. 

Der zu Untersuchende muss die Arme adduciren, welche gerade- 
linig an den Seiten des Rumpfes herabhängen sollen. Beim Verlieren 
des Gleichgewichts werden sie in die Luft gehoben. 

Ein gesunder Mensch steht minutenlang ganz ruhig mit ge- 
schlossenen und geöffneten Augen, nur zeitweise ganz leicht, kaum be- 


1) Das Stehen auf einem Balken wurde nicht untersucht, da man dasselbe 
auf der schiefen Ebene beobachtet. 
i 2) Auf das Laufen wurden die Patienten nicht systematisch untersucht. 


118 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden, 


merkbar schwankend. Eine Gruppe von Ohrenleidenden verhält sich 
normal, eine ändere (die Mehrzahl) aber weist Störungen auf. Mit 
offenen Augen steht der Patient fest; sobald er aber die Augen schliesst, 
so fängt er an zu pendeln, oder den Rumpf nach verschiedenen oder 
vorzugsweise nach einer Seite hinzuneigen, um schliesslich je nach dem 
Grade der Erkrankung ganz das Gleichgewicht zu verlieren. Es treten 
Coordinationsstörungen in folgender Richtung ein: 


a) Ein gerades Pendeln von vorn nach hinten und umgekehrt 
(sehr oft) eventuell bis zum Vorwärts- resp. Rückwärtsstürzen. 

b) Ein Pendeln in diagonaler Richtung von vorn rechts (oder 
links) nach hinten links (oder rechts), wobei sich der Körper 
vorwiegend auf einen Fuss stützt. Diese Diagonalbewe- 
gungen werden öfters beobachtet. a 

c) Der Oberkörper beschreibt einen mit einer Basis nach oben 
gerichteten Kegel, indem er sich erst nach vorn (oder hinten), 
dann nach rechts (oder links), später nach hinten (oder vorn) 
und schliesslich nach links ‚(oder rechts) successiv hinneigt. 
Diese Conus-(Kegel)-Bewegungen werden Rus seltener 
beobachtet. !) 


2. Das Stehen theilweise auf den Zehen und theilweise 
auf den Fusssohlen (Zehenstellung, Digiti pedum = Dpp.) 
mit aneinander geschlossenen Beinen. 


Da bei dieser Stellung der Mensch noch mehr in eine labile Lage 
versetzt wird, so äussern sich die Störungen noch. regelmässiger und 
prägnanter. Ein normaler Mensch nimmt schnell und leicht die 
Zehenstellung mit offenen und. geschlossenen Augen ein und kann in 
dieser Lage eine Minute und länger verharren, indem er zeitweise 
- compensatorische Bewegungen in verticaler Richtung, d. h. ein Heben 
und Sinken, verrichtet. 

Es gibt Ohrenleidende, die se in dieser Hinsicht wie Gesunde 
verhalten. Andere stehen mit offenen Augen fest, wie normale Menschen ; 
schliessen sie aber die Augen, so stellt sich sogleich oder nach ein 
paar Secunden ein Wackeln und Pendeln ein, welche so lange dauern, 
bis der Patient wieder auf die Ferse zurückfällt. Bei der Untersuchung 
kann man in zweierlei Weise verfahren. Der Patient nimmt erst bei 
offenen Augen eine bestimmte Lage ein und dann schliesst er die Augen, 


1) Ein grades Pendeln von rechts naci links und umgekehrt habe ich 
nicht gesehen. 


Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 119 


oder er bemüht sich von vornherein mit geschlossenen Augen in eine 
gewisse Stellung zu kommen. Im ersten Falle äussern sich die Störungen 
präciser, und man beobachtet folgende Fall- oder Sturzrichtungen 

a) grade nach vorne (sehr oft), 

b) grade nach hinten (seltener), 

c) diagonalwärts nach vorn rechts, oder nach vorn links, 

d) diagonalwärts nach hinten rechts, oder nach hinten links.!) 

Patient steht eine zeitlang mit geschlossenen Füsseh und geschlossenen 

Augen. Jetzt heisst man ihm die Zehenstellung einzunehmen. Dabei 
beobachtet man folgende Möglichkeiten: 

œ) Der Patient kann seine Fersen bei grösster Anstrengung nicht 
in die Höhe heben, als ob sie an den Boden angeleimt wären, 
und wackelt nur hin und her. Bei offenen Augen geht es 
leicht (selten). 

$) Die Fersen werden vom Boden gehoben, wobei aber der Patient . 
sogleich auf dieselben zurückfällt, öfters den Rumpf nach hinten 
hinüberbeugt und schliesslich, um Gleichgewicht zu erhalten, 
ein paar Schritte rückwärts macht (recht oft.) 

y) Es gelingt dem Patienten in die Zehenstellung zu kommen 
und dieselbe ein paar Secunden zu behaupten, um sogleich 
darauf in der Richtung a, b, c, d zu stürzen. Manchesmal 
trippelt er auf den Zehen vorwärts oder rückwärts. 

In schwereren Fällen beobachtet man dasselbe auch dann, wenn 

der. Paiient die Zehenstellung mit etwas gespreizten Füssen einnimmt. 


3. Das Stehen auf einem rechten oder einem linken Beine 
(pes dexter s. sinister = P.d. s. P.s. Einbeinstellung). 


“ Ein normaler Mensch kann bei offenen und geschlossenen Augen 
auf einem Fusse leicht !/,—!/, Minute eventuell noch länger stehen, 
wenn er auch zeitweise mit den Händen und dem gehobenen Beine 
balancirt und manchesmal ein wenig von der Stelle fortrückt. Um das 
Stehen ohne besonderen Kraftaufwand und Vorübung zu erleichtern, 
verfährt man auf zweierlei Weise: erstens, das gehobene Bein stützt. 
sich mit seiner Plantargegend auf die Dorsalfläche des anderen Fusses 
(bequem bei Damen), oder zweitens, das gehobene Bein wird rechtwinklig 
im Knie gebogen und auf das Kniegelenk des anderen Fusses gestützt. 
Bei frei in der Luft schwebendem Beine ist es bedeutend schwerer, das 
Gleichgewicht zu behaupten. 


1) Ein Fallen lateralwärts nach rechts oder links habe ich nicht angetroffen. 


120 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 


Experimentelle Thatsachen. Bornhardt’s Beobachtungen 
(1875).. Die Tauben können lange Zeit auf einem Beine stehen, und 
zwar auf der nicht lädirten Seite. Die andere Extremität hingegen 
ist nach der Operation geschwächt (Einknicken beim Stehen und Gehen). — 
Die aufgehobene Extremität wird in vielen Fällen nicht gleich auf den 
Fussboden gesetzt, sondern erst nach mehrmaligem, nicht vollem Strecken 
und Krümmen. 


Klinische Beobachtungen. Einige Ohrenleidende verhalten 
sich beim Stehen auf einem Fusse, wie Gesunde, die anderen aber weisen 
verschiedene Störungen auf. 


Erste Beobachtungsreihe. Der Patient stellt sich erst auf 
einem Beine mit offenen Augen ein und steht auf ihm mehrere Secunden. 
Nun schliesst er die Augen. Jetzt können sich folgende Sturzrichtungen 
beim Stehen, z. B. auf dem rechten Beine, manifestiren: 


a) lateralwärts nach rechts (oft), 

b) lateralwärts nach links (oft), 

c) diagonalwärts nach rechts vorn, oder nach rechts hinten (seltener), 
d) diagonalwärts nach links yorn, oder nach links hinten (seltener) }). 


Beim Stehen auf dem linken Beine kann man dieselben Erschei- 
nungen beobachten. 


Zweite Beobachtungsreihe. Der Patient steht eine Zeit- 
lang mit geschlossenen Beinen und . geschlossenen Augen. Jetzt heisst 
man ihm z. B. das linke Bein zu heben. Dabei erweist sich Folgendes: 


a) Der Patient, nachdem er eine Weile gestanden hat, fällt in 
der Richtung wie bei a, b, c, d. 

b) Kaum hat der Patient das rechte Bein gehoben, so setzt er 
es sogleich wieder auf den Boden. Dieses Spiel wiederhölt 
sich in einem fort, so lange er sich bemüht, Einbeinstellung 
einzunehmen. 


Die hier geschilderten Gleichgewichtsstöürungen können nur für 
beide Beine oder für ein linkes resp. ein rechtes existiren. Während 
der Untersuchung klagt der Kranke über ein schnelles Ermüden. Was 
den Zusammenhang zwischen den Ohrenleiden und den Fallrichtungen 
anbetrifft, so ergibt sich Folgendes: 


a) z. B..rechtes Ohrenleiden. Feste rechte Einbeinstellung, 
und Fallen nach rechts bei linker Einbeinstellung. 


1) Ein Fallen grade nach hinten oder vorn habe ich nicht gesehen. 


Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 121 


p) Rechtes Ohrenleiden. Bei rechter Einbeinstellung Fallen 
nach links und feste linke Einbeinstellung. 

y) Rechtes Ohrenleiden. Bei rechter Einbeinstellung Fallen 
nach links und bei linker Einbeinstellung Fallen nach rechts 
— gekreuzte Coordinationsstörung. 

6) Rechtes resp. linkes Ohrenleiden. Fallen nach rechts resp. 
links (selten). - | | 

e) Bilaterales Ohrenleiden.. Störungen wie bei «a, ß, y. 


Die angeführten klinischen Thatsachen berechtigen zum folgenden 
Schlusse: jedes Ohrlabyrinth regulirt die statische Muskel-’ 
thätigkeit der unteren Extremitäten gleichzeitig auf 
der gleichnamigen und entgegengesetzten Seite. Ich stelle 
mir den Gang der Sache auf folgende Weise vor. Betrachten wir die 
. Störungen sub «. Hier entsendet der gesunde Theil einer Region des 
rechten Labyrinths normale Impulse zur rechten Unterextremität, welche 
gleichzeitig dieselben Impulse durch die gekreuzten Bahnen vom linken 
Labyrinth erhält. In Folge dessen bleibt das rechte Bein fest stehen. 
Bei linker Einbeinstellung entsendet das linke Labyrinth normale Im- 
pulse zur linken Unterextremität, das rechte Labyrinth aber nicht. Die 
Folge dieser Schwächung oder Ausfallens des Impulse bewirkt ein Hin- 
Ziehen nach rechts. Bei Störungen sub ß bedingen die stärkeren Impulse 
der linken Seite und Schwächung der rechten ein Hinziehennach links. 


Ich muss hier ausdrücklich bemerken, dass die Patienten dabei 
ausgenommen einige acute Fälle, an keinen Schwindelanfällen litten. 
Äuf meine Frage, warum sie nicht die eingenommene Stellung behaupten 
können, antworteten die Kranken, dass sie von einer unüberwindlichen 
Kraft "hingerissen werden. À | 


4. Das Stehen auf schiefer Ebene mit aneinanderge- 
schlossenen Beinen und mit steifen Knien. 


Um die Intensität der Gleichgewichtsstörungen in einigen Fall- 
richtungen einigermaassen in Zahlen auszudrücken, habe ich einen be- 
sonderen Apparat construirt, welchen ich den statischen Gonio- 
meter oder Winkelmesser (goniometre statique = G. st. oder 3) 
genannt und welchen ich auf dem Internationalen Congresse für Zoologie 
in Moskau 1892 demonstrirt habe.!) Wie man auf der beigefügten 


1) St. von Stein. Appareil servant & determiner les deviations des 
fonctions statiques du labyrinthe de l’oreille et sa démonstration. Communi- 
cation préliminaire. Congrès Internationale de Zoologie à Moscou. Août 1892. 


122 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 


Zeichnung sieht, besteht das Instrument aus zwei übereinander ge- 
lagerten Brettern, von denen das untere 85 cm lange (1) immobil 
horizontal auf dem Boden liegt, während das obere 1,4 m lange (2) 
um ein Scharnier in Höhe bis 50° sich bewegen kann. Das obere 
Brett ist an seinem vorderen Ende mit einem Stützbrettchen 5 cm hoch 


Fig. 1. 





(3) versehen, welches als Stützpunkt für die Zehen dient. Die Hebung 
geschieht mit Hilfe von zwei feinen starken parallel verlaufenden Schnüren 
(6), welche am hinteren Ende des oberen Brettes befestigt sind, und 
welche mit der Kurbel (7) ohne Geräusch und Erschütterung auf eine 
2cm dicke mit Zahnrad (8 nicht zu sehen) und Schnappvorrichtung 
versehene Walze gewickelt werden können. Das ganze eiserne 1,16 m 


Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 123 


hohe Gestell (4) lässt sich leicht aus den an das untere Brett ange- 
brachten Hülsen (5) herausstossen. An der rechten Seite des Apparates, 
wo auch’ sich -die Kurbel befindet, ist ein Gradbogen (75 cm lang und 
4 cm breit, 9) in 50° getheilt angebracht. Das eiserne Gestell wird 
mit dem eisernen Zwischenstücke (10) zusammengehalten. .Die Breite 
des Apparates beträgt 25 cm.!) 

Mit dem statischen Winkelmesser lässt sich eine Reihe interessanter 
klinisch wichtiger Beobachtungen machen. 


Das Verhalten eines normalen Menschen auf dem 
.Goniometer. 

Die zu prüfende Person stellt sich auf das obere Brett in auf- 
“rechter Stellung mit aneinander geschlossenen Beinen, steifen Knieen und 
mit geradlinig an den Seiten des Rumpfes herabhängenden Oberextremi- 
täten und stützt die Stiefelspitzen °) gegen das Stützbrettchen. Beim 
continuirlichen sogar schnellen Drehen der Kurbel steigt ein gesunder ` 
Mensch gleichmässig und gleich gut mit offenen und geschlossenen 
Augen in die Höhe ohne zu wackeln, bis zu einem gewissen Grade, 
von dem an er das Gleichgewicht nicht mehr im Stande ist zu be- 
haupten und nach vorn fällt. Die Stiefelsohlen müssen auf dem Brette 
liegen, und der untersuchte muss nicht die Zehenstellung einnehmen. 
Der maximale Hebewinkel für die Neigungsrichtung nach vorn 
oder Vorwärtsneigung (inclinatio) entspricht bei normalen Er- 
wachsenen (nicht Greisen) folgenden Graden, die selbstverständlich einen 
relativen, aber keinen absoluten Werth haben: 

Inclinatio anterior (Inc. ant.) = 36°—40°.) 

Sobald man sich dem kritischen Punkte nähert, muss man die 
Kurbel sehr langsam und mit kleinen Pausen drehen, da die geprüfte 
- Person, um das Gleichgewicht, wie bei offenen, so auch bei geschlossenen 
Augen zu erhalten, die Zehenstellung annimmt und auf diese Weise 





1) Ich habe mir noch einen kleinen 1/4 m langen Apparat construiren lassen, 
dessen oberes Brett mit Hilfe eines Zahnrades und Schlüssels gehoben wird. 
Das Arbeiten mit dem grossen Goniometer ist bequemer, da er stabiler ist. 

2) Die Spitzen müssen hart sein, sonst kann die Versuchsperson vor Schmerz 
nicht stehen. Die Absätze waren nicht über 2cm hoch. Schuhe bei Damen 
mit Korkeinlagerungen und höheren Absätzen wurden nicht zugelassen. 

3) Ausnahmeweise beobachtet man bei sehr biegsamen Sprunggelenken ein 
Vorwärtsfallen erst: bei 450 und sogar noch mehr Graden, indem die Person 
sich auf Fingerspitzen stellt, Bei Anwendung des verticalen Lineals mit den 
Halbkreisbogen werden die Winkel auf 1—20 kleiner. Be da die verticale 
Stellung noch präciser eingestellt wird. 


124 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 


die Sohlen vom Brette abhebt. In Folge dessen neigt sie sich vorwärts 
und fällt darauf wieder auf das Brett zurück; dieses Balanciren wieder- 


holt sie ein paarmal bis schliesslich ein Sturz nach vorn erfolgt. Bei. 


normalen Menschen geschieht die Hebung auch in denjenigen Fällen 
sehr gleichmässig, wo man von vorne herein die Kurbel sehr schnell 
dreht. Um der untersuchten Person die Angst vor Beschädigung in 
Folge des Sturzes zu ersparen, stellt man den Apparat vor eine Wand, 
| auf welche man sich im Nothfalle 
mit den Händen stützen kann, oder 
.man hält seinen linken Arm vor. 
Ausserdem ist es sehr wichtig für 
Erhaltung exacterer Resultate diese‘ 
Cauteln zu beachten. Denn wenn 
zufällig oder aus Angst während 
des Hebens die Augen geöffnet und 
dann wieder geschlossen werden, 
so.erhält man bei Kranken einen 
grösseren Neigungswinkel. Zweck- 
mässiger, wenn es der Fall erlaubt, 
ist es, die Beobachtungen mit und 
ohne der Augenbinde zu machen. 

Um gleichmässigere Resultate 
zu erhalten und groben Fehlern in 
Form von zu grossen, oder zu klei- 
nen Gradezahlen aus dem Wege zu 
gehen, muss man einige Vorsichts- 
maassregeln treffen. Erstens, man 


nicht höher als 1—2cm sein sollen 
und im Schuhe sich keine Korkplatten 
in der Fersengegend befinden, und 
zweitens, dass die aufrechte senkrechte Stellung mit steifen Knieen 
möglichst beibehalten wird, da der Körper während des Steigens ganz 
unwillkürlich zurückgeneigt und die Knie etwas vorwärts gebeugt werden. 
Auf diese Weise ist man im Stande, das Gleichgewicht auf der schiefen 
Ebene bei 50° und noch mehr Graden zu behaupten. Um diesem theil- 
weise vorzubeugen, benutzte ich bei meinen ersten Untersuchungen ein 
0,2 m breites und 2 m hohes leichtes Brett mit Riemen, wie es die 
Fig. 2 zeigt. Dasselbe wurde mit dem Riemen 1 und 2, welche sich 





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achte darauf, dass die Stiefelabsätze . 


Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 125 


vorn kreuzten, an den Rücken, mit den Riemen 3 an die Lendengegend 
und mit 4 oberhalb der Malei angeschnallt.e. An der Seite‘ hing ein 
‚Loth (5). Da mir diese Vorrichtung noch zu compendiös und zeit- 
raubend in Folge des vielen Schnallens, so construirte ich mir eine 
andere, die in der Fig. 3 abgebildet ist. Das Instrument besteht aus 
einem 5 cm breiten, 15 mm dicken und 2 m hohen Lineale mit einem 
Transportire oben, von dessen Centrum ein Loth an einem feinen festen 
Faden herunterhängt!). Das Lineal wird an die Lendengegend und 


Fig. 3. 





über die.Mallei so angeschnallt, dass das untere Ende durch Anstossen 
an die Ferse nicht das freie Extendiren der Füsse hindert. Bei der 
Aufstellung soll der Kopf bei horizontal gerichtetem Blicke mit mög- 
lichst geringer Muskelänstrengung auf dem Halse aufruhen (horizontale 
Kopfstellung), die ausgestreckten Arme und Hände am Körper symmetrisch 
herabhängen ?) und die Beine aneinander geschlossen. Darauf giebt man 





1) Der Gradbogen hat auf der ungetheilten Seite des horizontalen Theiles 
einen breiten senkre£ght gebogenen Haken, welcher grade und fest in eine an 
das Lineal geschraubte Hülse passt. 

2) Emil Schmidt. Anthropologische Methoden. Anleitung zum Beob 
achten und Sammeln. 1888, S. 54. 


126 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 


dem Körper eine solche Stellung, dass der Faden grade auf den Null 
oder 90° zu stehen kommt und hier während des Hebens bleibt. Die 
geringsten Vor- oder Rückwärtsbewegungen machen sich sogleich be- 
' merkbar, und man heisst dann den Kranken die verticale Stellung ein- 
nehmen. Man achte darauf, dass der Kopf stets, seine einmal ange- 
nommene Stellung nicht verändert, da ein Vor- resp. Rückwärtsbeugen 
schon genügt, um Gleichgewichtsstörungen auszugleichen !), In dem 
neuesten Modelle des Lineales sind 2 Transportire in senkrecht entgegen- 
gesetzten Horizontalrichtungen angebracht, um im Stande zu sein, auch ° 
die seitwärts gemachten Ablenkungen zu bemerken. Der Kopf wird 
hier durch eine Gabelvorrichtung, wie bei den Photographen, fixirt. 

Mit dem Goniometer lässt sich auch der maximale Winkel für. die 
anderen zwei Neigungsrichtungen, nämlich für die Neigung nach 
hinten — Rückwärtsneigung (inclinatio posterior — Incl. post.) 
und Neigung nach den Seiten — rechte resp. linke Seitwärts- 
neigung (inclinatio lateralis dextra seu sinistra == Inc. lat. dex. s. sin.) - 
bestimmen. Im ersten Falle werden die Absätze der geschlossenen 
Füsse, im zweiten der äussere Rand dės rechten oder linken Fusses 
gegen das Stützbrettchen gekehrt. Die erhaltenen Mittelwerthe sind 
folgende: , 

Inclinatio posterior = 26—30°, 
Inclinatio lateralis = 37—38°. 

Hier betone ich ausdrücklich, dass ich bei Kranken nur Gewicht 
auf Unterschiede von mehreren Graden im Vergleich mit den Normal- 
zahlen, aber nicht auf ein, anderthalb oder zwei Grade lege, und dabei, 
wenn wiederholte Prüfungen ungefähr ein und dasselbe Abweichen . er- 
geben haben, da die Beobachtungen noch nicht genug zahlreich und 
die Beobachtungsmethoden noch nicht genug exact ausgearbeitet sind, 
‚um gegenwärtig auf solche kleine Schwankungen einen Werth zu legen. 
Seitdem ich das verticale Lineal benutze, habe ich kleinere Normal- 
zahlen erhalten. Aus dem mir von Prof. Gradenigo gütigst zuge- 
gesandten Artikel ersehe ich, dass Dr. Luzzatti2) in seiner Klinik 
nach meiner etwas modificirten Goniometermethode schon Beobachtungen ` 





1) Das wird ganz verständlich, wenn man bedenkt, dass der Kopf fast 
1/;—1/g des Gesammtgewichtes des ganzen Körpers ausmacht. 

2) G. Luzzatti. Contribuzione allo studio del senso statico nei soggetti 
sani ed in quelli affetti da malattie dell’ orrecchio. ‘Archivio italiano di Otologia; ' 
Rinologia e Laryngologia. p. 383. å 

Leider habe ich den Artikel zu spät erhalten, um die Resultate dieser vor- 
läufigen Mittheilung zu prüfen. Dieses wird meine nächste Aufgabe sein. Worin 
die Modification besteht, wird nicht angegeben. 


Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 127 


gemacht hat. Die von ihm bei normalen Individuen erhaltenen Zahlen 
sind folgende: Inclinatio anterior. . . 36—39°, 

5 posterior . . 26—30°, 

» lateralis . . . 36—38°. 


Wie verhält sich auf dem statischen Goniometer ein 
Ohrenleidender? 


Hier muss man mehrere Gruppen von Kranken unterscheiden. 


Die I. Gruppe verhält sich ganz normal mit offenen und ge- 
schlossenen Augen. Also in diesen Fällen haben wir nur mit der 
Affection des rami acustici n. octavi zu thun. 


Die II. Gruppe verhält sich normal mit offenen und äussert statische 
Störungen mit geschlossenen Augen. 


Die Ill. Gruppe äussert leichte statische Störungen mit offenen 
und sehr starke mit geschlossenen Augen. 


Gleichgewichtsstörungen manifestiren sich meistens schon bei ganz 
langsamen Drehungen der Kurbel dadurch, dass der Patient nicht gleich- 
mässig in die Höhe steigt, sondern ruckweise vorwärts resp. rück- 
wärts schnellt, und wenn man das Drehen nicht sogleich unterbricht 
und eine Pause macht, so fällt der Patient, ohne seinen maximalen 
Neigungswinkel erreicht zu haben. Man sieht daraus, dass die Co- 
ordinationsimpulse nicht schnell genug zu den betreffenden Muskeln ge- 
langen und dass der Kranke bei jeder Hebung des Brettes in einen 
solchen Zustand versetzt wird, wie ein Normaler, wenn er sich nahe 
am kritischen Neigungswinkel befindet. Viele Kranke machen noch 
laterale Bewegungen und balanciren mit den Händen in der Luft aus 
Angst vor einem Sturze. Darum muss man sie immer beruhigen und 
darauf aufmerksam machen, dass sie in jedem nöthigen Momente vom 
Arzte oder seinen Gehilfen aufgefangen werden. Ein Patient, welcher 
bei seinem maximalen Neigungswinkel mit geschlossenen Augen fällt, 
kann noch mit offenen Augen stehen. Wenn er jetzt die Augen schliesst, 
so kann er noch ein paar Grade höher gehoben werden oder er stürzt 
bei der leisesten Umdrehung. 


Schlimme Fälle erlebte ich bei der Prüfung mit dem Winkelmesser 
nicht. Ich untersuche erst die Kranken ohne Loth und sobald ich sehe, 
dass es ein schwerer Fall ist, so binde ich das Loth nur an einen Fuss, 
um bei Schwindelanfällen den Kranken leichter auf den Boden zu stellen. 
Sehr oft beugt man einem Schwindelanfall vor, indem man den Unter- 

Zeitschrift für Ohrenheilkunde. Bd. XXVII. 9 


128 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 


suchenden die Augen öffnen heisst. Ohrenleidende ermüden sehr schnell 
bei allen angeführten Versuchen und darum ist es rathsamer, in schwereren 
Fällen die Untersuchung in ein paar Sitzungen zu beenden. Sehr oft ver- 
halten sich Ohrenleidende normal beim Stehen und Gehen und äussern 
Störungen auf dem statischen Winkelmesser, welcher auf diese Weise 
als ein sehr sensibler Apparat zum Nachweise von Coordinationsstörungen 
leichten Grades benutzt werden kann. Das nähere Verhalten der Kranken 
mit Neurasthenie, Hysterie und anderen Nervenleiden auf dem statischen 
Winkelmesser habe ich nicht näher studirt. Sehr schwache, anämische 
und corpulente Personen fallen bei einem kleineren Winkel. 


Dynamische Muskelthätigkeit (Dynamik). 


I. Das Gehen in geradliniger Richtung auf ebenem Boden 
(Itio rectolinearis = J. rl.) vorwärts (It. rl. ant.) oder rückwärts 
(It. rl. post.). 


. Einem normalen Menschen ist es leicht auf egalem Fussboden mit 
offenen und geschlossenen Augen in schnurgrader Richtung vorwärts 
und rückwärts zu gehen, wobei die Schritte gleichmässig gross bleiben 
und die Fussspitzen auswärts gekehrt bleiben. Vorwärts geht ein Ge- 
sunder ein bischen schneller und sicherer, als rückwärts. Viele aus 
Angst sich an etwas zu stossen verlangsamen ihre Schritte und strecken 
die Hände nach vorn. Um dieser Unannehmlichkeit aus dem Wege 
zu gehen, stellt man sich an das entgegengesetzte Ende des Zimmers 
und heisst den Untersuchenden dreist zu gehen. Das Marschiren wieder- 
holt man mehrere Male, erst in einem langsamen Tempo, darauf in 
einem beschleunigten. Die Erfahrung hat gezeigt, dass in einigen Fällen 
Gleichgewichtsstörungen nur bei einer gewissen Geschwindigkeit zu Tage 
treten. Bei Kranken ist es gut, wenn der Arzt und sein Gehilfe zu 
beiden Seiten von ihm geräuschlos mitgehen, denn dadurch wird dem 
Patienten Muth eingeflösst, und er ist sicher, dass er im Nothfalle einen 
Stützpunkt finden wird. 


Manchesmal benutzte ich zum Gehen ein 3 m langen, sargdeckel- 
förmigen Holzkasten mit gleichen Brettern ZN, wobei die offene 
Seite als Basis dient. Das obere Brett ist ca. 0,15 m breit und 0,1 m 
vom Boden entfernt. Ein gesunder Mensch geht auf diesem Apparate 
sehr leicht ohne das Gleichgewicht zu verlieren, indem er mit der ganzen 
Sohle auftritt. Man kann auch einen Balken benutzen, aber dadurch 
wird. der Apparat zu schwer. 


Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 129 


Beobachtungen bei Ohrenleidenden. 


Im Allgemeinen bemerkte schon James!) die Coordinationsstörungen 
bei Taubstummen, Nähere Studien darüber fehlen uns noch vorläufig. 
Aus Experimenten an Vögeln wissen wir, dass nach Läsion der halb- 
kreisförmigen Canäle eine Schwäche in den oberen und unteren Ex- 
tremitäten sich einstellt und zwar nach Boettcher’s Beobachtungen 
in gewissen Richtungen.2) Auf diese Weise erhalten wir einige Finger- 


1) James (1882) war es schon bekannt, dass Taubstumme beim Gehen 
die Beine auseinander spreizen und einen schwankenden Gang haben; bisweilen 
gingen sie in Zickzack. 

Die Lehrer in den Taubstummenanstalten haben schon längst bemerkt, 
dass die Zöglinge die Beine nicht aufheben, sondern mit denselben am Boden 
entlang schlürfen. 


Kreidl (1891) beobachtete, dass die meisten der von ihm untersuchten 
Taubstummen mit geschlossenen Augen nicht auf einem Beine stehen und ge- 
radeaus gehen konnten. 

Rosenbach’s Beobachtungen (1893) an Taubstummen s. oben sub 2. 


2) Boettcher (1872, Curschmann (1874), Berthold (1874), Born- 
hardt (1875), Cyon (1878). 

Boettcher (1872). Beim Herausbrechen des horiz. Canals wird ein 
momentanes Versagen, ein vorübergehendes Einknicken und Stolpern nach 
innen des Beines auf der operirten Seite beim Gehen bemerkbar. Bei beider- 
seitiger Verletzung knickt bald das eine, bald das andere Bein ein. 

Bei Läsion des linken frontalen Canals oberhalb der Kreuzungsstelle er- 
folgt ein Ausweichen der Füsse nach vorn und ein momentanes Zusammen- 
knicken des linken Beines. Normale Schritte wechseln mit nicht normalen. 
Hierbei beobachtet man ein Ueberschwanken des Körpers nach links — 
Läsion des front. Canals unterhalb der Kreuzungsstelle. Gang der Taube nicht 
fest, weicht dabei nach rechts hinten, oder nach links hinten ohne zu 
fallen. — Beiderseitige Läsion der frontalen Canäle. Ausweichen der Füsse 
nach vorn, Fallen nach hinten, auf den Schwanz stützend. — Läsion des Canalis 
semicirc. sagittalis sin. Bestreben sich nach vorn.zu überkugeln. 

Bornhardt (1875). Bei Läsion eines horizont. Canals knickt die ent- 
sprechende Extremität nach innen zur Mittellinie ein. Bei Läsion des front. 
Canals biegt sie sich mehr nach vorn. Nach Durchtrennung beider horizont. 
Cänäle schwankt die Taube beim Gehen von einer Seite zur anderen 
und beider senkrechten (front. und sagitt.) Canäle geht sie, indem sie sich 
duckt. Bei Kaninchen beobachtet man eine Schwäche einer oder beider 
hinteren Extremitäten, je nachdem der Canal auf einer oder auf beiden Seiten 
durchschnitten ist, indem dieselben beim Gehen zurückbleiben und nachge- 
schleppt werden. 

Rich. Ewald (1888) konnte bei Tauben mittelst Gewichte die Ver- 
minderung der Muskelkraft der Extremitäten auf der lädirten Seite constatiren. 


. g* 


130 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 


zeige für die mögliche Localisation gewisser Bewegungsstörungen beim 
Menschen. 


Bei Ohrenleidenden beobachtet man Folgendes: 
1) Normales Gehen mit offenen und geschlossenen Augen. 


2) Beim geradelinigen Gehen vorwärts resp. rückwärts mit ge- 
schlossenen Augen ein Wackeln von einer Seite zur andern — laby- 
rinthärer Entengang. 


Dieser schwankende Gang wird dadurch bedingt, dass die Beine, 
wie man das besonders gut bei Taubstummen je nach der Intensität 
der Affection beobachten kann, mehr oder weniger stark auseinander- 
gespreizt werden und entlang des Bodens: geschlürft werden. 


3) Beim Gehen mit geschlossenen Augen bald ein Abweichen nach 
rechts, bald nach links — labyrinthärer Zickzackgang. 


4) Beim Vorwärtsgehen ein Abweichen nach rechts oder nach 
links mit geschlossenen Augen. 


: 5) Beim Rückwärtsgehen ein Abweichen nach rechts oder nach 
links mit geschlossenen Augen. 


In manchen Fällen sub 4) und 5) muss der Kranke, um die 
Störungen zu gewahren, eine grössere Strecke zurücklegen. Dabei be- 
merkt man, dass das Bein der einen Seite stärker seitwärts geworfen 
wird und darum einen grösseren Bogen beschreibt als der anderen, was 
ein Abweichen verursacht. Um einen Begriff über den Grad der Ablenkung 
zu geben und einigermaassen dieselbe in Zahlen auszudrücken, verfahre 
ich die letzte Zeit auf folgende Weise: ich notire die durchschrittene 
Distanz erst in grader Richtung und darauf die Ablenkung nach rechts 
oder links. So z. B. auf 3m in gerader Richtung geht der Kranke 
1m seitwärts. l 


6) Ein Vorwärts- resp. Rückwärtsgehen mit geschlossenen Augen 
schwer oder geradezu unmöglich in Folge eines Hinstürzens. 


Der Kranke steht eine Weile, leicht schwankend, hebt zaghaft das 
Bein vom Fussboden, als ob es angeleimt ist, macht einen kleinen 
Schritt und bleibt wieder stehen. Darauf folgt ein 2. 3. u. s. w. Schritt. 
Ein Doctor, wie wir weiter sehen werden, ging gradeaus vorwärts und 
stürzte momentan zu Boden, sobald er einen hüpfenden Schritt rückwärts 
machte. 


Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 131 


N. Hüpfen auf Zehen mit geschlossenen Beinen und steifen 
Knieen (Saltus digitorum pedum = S. d. pp.) vorwärts (s. d p p. ant.), 
rückwärts (S. d pp. post.) oder auf einer und derselben Stelle (S. d. pp.). 


Ein normaler Mensch ist im Stande, leicht minutenlang auf einer 
Stelle, geradelinig, oder im Kreise mit geschlossenen und offenen Augen 
 herumzuhüpfen, wobei er die Grösse der Sprünge beliebig variiren kann. 
Nicht so ist es bei Ohrenleidenden, wobei man folgende Gleichgewichts- 
störungen bemerkt. 

1) Der Patient hüpft mit offenen Augen vorwärts resp. rückwärts 
wie ein Normaler, aber mit dem Unterschiede, dass sich bald, nach ein 
paar Sprüngen, eine Ermüdung und Mattigkeit einstellt, welche 
der geleisteten Arbeit garnicht proportional sind. Die Sprünge sind in 
schwereren Fällen nicht regelmässig, die Beine knicken in den Knie- 
gelenken ein und werden etwas beim Zurückfallen auf den Boden aus- 
einandergespreizt. 

2) Mit geschlossenen Augen werden die Sprünge noch unregel- 
mässiger, plumper, geräuschvoller. Beim Vorwärtsspringen sind meistens 
die ersten 2—3 Sprünge gross, darauf folgen ein paar kleinere, endlich 
hüpft der Patient auf einer Stelle und meint, dass er sich vorwärts 
bewegt. Das Einknicken der Kniee geschieht noch stärker. Die Er- 
müdung tritt noch schneller ein, so dass der Kranke sich hinsetzen muss. 

3) Beim Rückwärtsspringen bemerkt man dieselben Erscheinungen, 
wie sub 2. 

4) Beim Vorwärts- resp. Rückwärtsspringen ein Ablenken oder 
Fallen nach rechts oder nach links. 

Das Abweichen von der geradelinigen Richtung wird dadurch be- 
dingt, dass das Sprunggelenk des gesunden Beines stärker im Momente 
des Sprunges, als dasjenige der anderen Seite extendirt wird. In einigen 
Fällen ist dieses Aufschnellen so gross, dass der Körper von vornherein 

seitwärts geworfen wird. 

5) Der Patient ist nicht im Stande, mit geschlossenen Augen einen 
Sprung zu machen, sondern stürzt wie eine leblose Masse zu Boden. 


IH. Hüpfen auf einem Beine 
(Saltus pedis dextrae seu sinistrae —= S. p. dex. s. S. p. sin.). 
Das gehobene Bein wird im Kniegelenke flectirt, die adducirten Ober- 
extremitäten hängen geradelinigan den Seiten des Rumpfes herab und die 
Schultern werden horizontal gehalten. Ein normaler Mensch hüpft dabei 
leicht und gleichmässig auf den Zehen mit offenen und geschlossenen 


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132 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 


Augen ein paar Meter in gerader Richtung, wobei die Fussspitze des 
hüpfenden Beines auswärts gerichtet wird. 


Ein Ohrenleidender verhält sich auf folgende Weise: 
1) Wie ein gesunder Mensch, ermüdet aber öfters sehr schnell. 


2) In Fällen, wo der Patient mit geschlossenen Augen noch auf 
einem Fusse stehen kann, beobachtet man ein ganz eigenthümliches 
Verhalten. Er macht erst 1—2—3 relativ grosse Sprünge, die in 
einigen Fällen durch verschiedene grosse Pausen unterbrochen werden 
und die nicht stets geradelinig ausfallen: es hat den Anschein, als ob 
der Kranke erst nachdenken muss, um einen Sprung zu machen. Darauf 
folgen mehrere immer kürzer werdende Sprünge, meistens in Zickzack. 
Endlich hüpft der Kranke auf einem und demselben Flecke. Sodann 
macht er wieder mit grossem Kraftaufwande ein paar Sprünge, welche 
aber nie so gross, wie die ersten, ausfallen. Schliesslich wird er so 
müde, dass er sich hinsetzen muss. Während des Hüpfens wird das 
Bein immer schwächer und schwächer extendirt, so dass der Rumpf 
sich mehr und mehr dem Boden nähert. Dieses Letztere beobachtete 
ich in einigen schweren Fällen. 


Das oben geschilderte Verhalten ist dermaassen charakteristisch und 
bei keinem anderen Leiden, so viel mir bekannt ist, anzutreffen, sodass 
ich ferner der Kürze wegen einfach „Labyrinthsprünge“ sagen 
werde. 

Während des Hüpfens kann der Patient, wie beim Gehen, nach 
rechts oder nach links abweichen. Nicht selten wird die Fussspitze 
des springenden Beines nach innen zur Mittellinie hingekehrt. Dabei 
wird auch der Rumpf ein bischen nach vorn und seitwärts gebeugt, 
so dass die eine Schulter ein bischen nach vorn sieht. Vor jedem 
Sprunge werden in schweren Fällen die Arme erst flectirt und im 
Momente des Sprunges extendirt. Die Sprünge sind plump und ge- 
räuschvoll, und beim Fallen auf den Boden balancirt der Patient mit 
den Händen. Um das Erhalten des Gleichgewichtes zu erleichtern, 
erlaubt man dem Patienten am Ende des Sprunges sich auf die ganze 
Plantarfläche zu stützen. 

3) In Fällen, wo der Patient mit geschlossenen Augen auf einem 
Fusse nicht stehen kann. kommt es schwer zu einem Sprunge, da das 
andere Bein sogleich auf den Boden gesetzt wird. 

4) Beim Rückwärtsspringen beobachtete man die Erscheinungen, 
welche sub 1, 2 und 3 geschildert sind. 


Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 133 


IV. Herumdrehen um die verticale Axe des Körpers mit 
geschlossenen Beinen nach rechts oder links 
(Rotatio pedum = Rot. p.) 


Die Bewegung wird sehr leicht und gleichmässig von jedem ge- 
sunden Menschen vollführt. Dieselbe besteht darin, dass man sich erst 
auf den Zehen etwas in die Höhe hebt und dann den Körper im Kreise 
verschiebt, wobei das rechte resp. linke Bein als Axe dient. Ein ge- 
sunder Mensch beschreibt ununterbrochen einen oder mehrere Kreise 
mit oftenen und geschlossenen Augen gleich gut nach rechts und links. 
Den Radius des Kreises bilden die Füsse, deren Spitzen zum Centrum 
gewandt sind. 


Verhalten eines Ohrenleidenden mit geschlossenen Augen: 
1) Ein normales Verhalten. 


2) Der Patient beschreibt einen vollen Kreis, aber alle seine Be- 
wegungen sind sehr langsam, plump, und er ermüdet bald oder wird 
schwindlig. 

3) Der Patient verlässt seinen Platz bei jeder Umdrehung und 
spreizte leicht die Beine. Um diese Bewegungen noch mehr zu er- 
leichtern, erlaubt man dem Kranken, mit den Füssen im Kreise rechts- 
um oder linksum zu stampfen. | 


V. Herumdrehen auf einem Beine (Rotatio pedis dext. s. sin. = 
Rot. p. dex. s. Rot. p. sin.). 


Dies Art von Bewegungen ist die schwerste. Ein Normaler erlernt 
dieselbe nach ein paar Anstrengungen, ein Ohrenleidender aber nicht. 
Am leichtesten vollführt man dieselbe auf folgende Weise. 


Das gehobene Bein wird im Kniegelenke gebeugt, wie beim Stehen 
und Hüpfen auf einem Fusse. Man hebt die Ferse in die Höhe und 
dreht langsam den Körper um das stehende Bein, wie um eine verticale 
Axe auf ein paar Grade. Darauf setzt man die Ferse wieder auf den 
Boden, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, stellt sich vom Neuen 
auf die Zehen und so weiter, bis man einen Kreis ohne den Fleck zu 
verlassen beschrieben hat. Sehr vielen ist es leichter sich, auf einem 
Beine hüpfend, zu drehen. Es gibt 4 Drehungsrichtungen, nämlich: 


für das rechte Bein: nach rechts hinten, 
nach links vorn, 

für das linke Bein: nach links hinten, 
nach rechts vorn. 


134 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden 


Die Drehungen nach links vorn und nach rechts vorn, also nach 
der Seite des gehobenen Beines, sind leichter zu vollführen, als in der 
entgegengesetzten Richtung. Einem Normalen gelingen diese Bewegungen 
durchweg. 


Verhalten der Ohrenleidenden mit geschlossenen Augen. 
1) Ein normales Verhalten (selten). 


2) Das Drehen unmöglich. Dieses beobachtet man in denjenigen 
Fällen, wo der Patient nicht auf einem Beine stehen kann. 


3) Es gelingt eine Umdrehung mit grossen Anstrengungen und 
grosser Erschöpfung zu machen. Der Rumpf neigt sich bald vorwärts, 
bald rückwärts, bald seitwärts. Das gehobene Bein wird bald ausge- 
streckt, bald stärker adducirt, bald nach hinten oder vorn gestreckt. 
Das Individuum balancirt mit den Händen in der Luft, um nur Gleich- 
gewicht zu erhalten. Dabei bleibt der Patient nicht auf einer Stelle, 
sondern beschreibt mit einer Reihe von Sprüngen einen Kreis. 


4) Mit ein, zwei oder mehreren Sprüngen nach vorn, hinten oder 
seitwärts entfernt sich der Patient von seiner ersten Stelle (manchesmal 
auf 1—2 Meter), verliert das Gleichgewicht und setzt rasch den 
anderen Fuss nieder. 


5) Jede Bemühung zum Drehen oder Springen wird sogleich von 
einem Fallen begleitet. Diese Sturzrichtungen sind nach rechts hinten, 
nach links vorn, nach links hinten, nach rechts vorn. In einigen Fällen 
geschieht dieses aber in entgegengesetzten Richtungen. So z. B. beim 
Drehen nach links vorn fällt der Kranke nach rechts hinten. 


f 


Die oben geschilderten Coordinationsstörungen können einzeln (was 
seltener ist) oder gruppenweise auftreten. Diejenigen Fälle, in welchen 
Gleichgewichtsstörungen nur in einer gewissen Richtung stattfinden, be- 
trachte ich als einfache im Gegensatz zu den complicirten 
Fällen, wo gleichzeitig mehrere Sturzrichtungen existiren. Die einfachen 
Fälle sind besonders instructiv, da sie uns auf rein klinischem Wege 
einen Beweis für strenge Localisation von peripherischen Elementen 
darbringen, von denen peripherische Reize aus dem automatisch functio- 
nirenden Labyrinthapparate zu gewissen Muskelgruppen continuirlich aus- 
strömen. Die Gleichgewichtsstörungen können sich auch mit Gehör- 
störungen verschiedenen Grades combiniren. Auf diese Weise erhalten 
wir ein höchst complicirtes klinisches Bild. Angesichts des anatomischen 


Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 135 


Baues und einiger experimentellen Thatsachen (Högyes, S. 414)!) 
müsste man eigentlich so viel einzelne Symptomcomplexe annehmen, als 
der n. octavus specielle periphere Endzweige in das Labyrinth absendet, 
nämlich einen Symptomcomplex | 


1) für ramus cochlearis, 

2) für r. saecularis, 

3) für r. utricularis, 

4) für rami ampullares (sagittalis, frontalis, horizontalis). 


Aber im Mangel von exacten wissenschaftlichen Untersuchungs- 
methoden, mit deren Hülfe wir im Stande wären, die klinischen Symp- 
tome präcis mit den Erkrankungen gewisser Theile des Labyrinths in 
causalen Zusammenhang zu bringen, müssen wir uns einstweilen mit: 
der Feststellung der mannigfaltigen Störungen begnügen und unsere 
Zuflucht zu einer minder exacten Gruppirung des noch spärlichen klinischen 
Materials nehmen. | 


Die I. Gruppe werden alle Fälle ausmachen. in denen Schwächung 
oder totales Verlorensein des Gehörs ohne Gleichgewichtsstörungen be- 
obachtet wird. Diese Fälle erlauben uns den Schluss zu ziehen, dass- 
wir einen bestimmten Nervenzweig nur für die Gehörsempfindungen 
besitzen. 


Die II. Gruppe bilden Fälle mit einfachen oder complicirten Gleich- 
gewichtsstörungen verschiedener Intensität bei gleichzeitiger Schwächung 
des Gehörs. ' 

Eine Intactheit des Gehörs bei scharf ausgeprägten Coordinations- 
störungen habe ich nur einmal beobachtet. Diese Fälle bieten der 
differential-diagnostischen Localisation des Leidens grosse Schwierigkeiten,, 
da die Störungen durch Hysterie, Anämie, eventuell durch Centralleiden 
bedingt sein können. 


Die III. Gruppe enthält die complicirten Fälle, d. h. diejenigen, 
in welchen sich gleichzeitig Symptome des Gehörleidens mit Gleich- 
gewichtsstörungen combiniren. Diese Fälle bilden die Mehrzahl der in. 
der Praxis vorkommenden Fälle. 


Die Gleichgewichtsstörungen, welche noch eine weitere detaillirte- 
Bearbeitung erheischen, lassen sich öfters bei acuten und chronischen 
Mittelohrleiden, seltener bei Leiden des äusseren Ohres constatiren. Bei 
Laabyrinthleiden sind sie stets permanenter und treten relief hervor. 
Bei Endzündungsprocessen des Gehörganges und des Mittelohres bilden. 
öfters die Coordinationsstörungen nur eine vorübergehende Erscheinung, 


136 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 


welche mit der Besserung verschwinden. Bei chronischen Mittelohrleiden 
schwankt ihre Intensität sehr. Die hier auftretenden Störungen werden, 
wahrscheinlich, durch erhöhten Labyrinthdruck, partielle oder totale 
Hyperämie resp. Entzündung oder gleichzeitig durch alle drei Ursachen 
bedingt. Die Feststellung der Häufigkeit des Auftretens dieser Störungen 
muss ferneren Beobachtungen einstweilen überlassen werden. 

Jetzt fragt sich: Sind denn diese anormale Bewegungen nicht zur 
Ataxie zu rechnen? Wenn wir uns an die Definition der Ataxie nach 
Möbius!) halten, so müssen wir eine negative Antwort geben, denn 
„Eigentliche oder echte Ataxie diagnosciren wir da, wo 
der nicht gelähmte Kranke Bewegungen, die er früher 
geschickt machte, ungeschickt ausführt trotz Controle 
der Augen.“ Da ausserdem die Empfindlichkeit der unteren Ex- 
tremitäten nicht gestört war, so müssen die Schwankungen beim Stehen 
mit geschlossenen Füssen nicht durch Anästhesie, welche das Brach- 
Rompberg’sche Symptom bedingt, sondern durch Etwas anderes ver- 
ursacht werden, nämlich durch Schwächung oder Ausfall der tonisirenden 
Impulse von Seiten des Labyrinthes für die Muskeln (Labyrinthtonus 
von Rich. Ewald). Die Folge davon ist eine Alteration der Muskel- 
action. Man muss eine grobe und feine Muskelcontraction unter- 
scheiden. Die groben Bewegungen werden durch ganze Muskelgruppen 
vollführt und sind unserem Willen und der Augencontrolle gehorsam. 
Mit dem Abfall der feinen Muskelcontraction, welche man auch die 
fibrilläre Contraction nennen kann, werden die groben Bewegungen 
langsam, ungleichmässig, scandirend, gehen nicht ununterbrochen in 
einander über und dieses besonders beim Ausschluss der Augen. Bei 
Anwesenheit der feinen Muskelcontraction werden also alle, sogar die 
schnellsten Bewegungen geschmeidig. Auf Grund meiner Beobachtungen 
an Ohrenleidenden bin ich auch einstweilen der Meinung, dass die feinen 
Muskelcontractionen, z. B. beim „Gehen auf dem Seile, Balken, durch 
einen automatischen Apparat regulirt werden, welcher seinen Sitz im 
Ohrlabyrinthe hat. - Ein Theil des sogenannten «Muselsinnes» ist, viel- 
leicht, nichts anderes als die unbewussten Empfindungen, welche den 
Muskeln vom Labyrinthe aus immerfort zuströmen. Die Coordinations- 
störungen bei Ohrenleiden unterscheiden sich durch folgende Merkmale. 

1. Die Störungen treten mit geschlossenen Augen bei Abwesenheit 
von Ataxie und Empfindungsalterationen auf. 


1) Jul. Möbius. Allgemeine Diagnostik der Nervenkrankheiten. Leipzig. 
1886, S. 88. 


Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 137 


2. Bei offenen Augen erreichen die schnellen Bewegungen niemals 
ihre normale Correctheit und Promptheit, sondern sind öfters unsicher 
und langsamer. 

3. Die Störungen äussern sich meist bei gewissen Lagen und in 
gewissen Richtungen. 

4. Vertheilen sich nicht immer gleichmässig auf beide untere Ex- 
tremitäten. So z. B. kann der Kranke auf dem rechten Beine stehen, 
auf dem linken aber nicht. 

5. Polymorphie der Bewegungsstörungen. 

6. Leichte Ermüdung bei Bewegungen, besonders mit geschlossenen 
Augen. 

Ob die Muskelkraft dabei alterirt wird, kann ich nicht sagen, da 
mir nähere klinische Beobachtungen beim Menschen fehlen. Bei hüpfen- 
den Vögeln (Sperlinge, Kanarienvögel) hat Rich. Ewald eine schnell 
eintretende Ermüdung constatirt; bei Tauben eine Muskelschwäche (Nä- 
heres S. 233—236).!) Die Ermüdung lässt sich auch durch: den Aus- 
fall der Impulse des automatisch wirkenden Labyrinthmechanismus er- 
klären, und der Mensch muss erst nachdenken, um eine Bewegung zu 


machen. | 
7. Das Verhalten auf dem Goniometer. — Ruckweises Steigen 


und ein kleinerer Fallwinkel. 
8. Eine gleichzeitig existirende Gehörverminderung oder ein anderes 


Ohrenleiden. 

9. Ohrensausen ohne Gehörschwäche. 

10. Ein Nasenleiden (adenoide Vegetationen, hypertrophische Rhi- 
nitis), nach deren Besserung oder Beseitigung die Coordinationsstörungen 
schwinden. . 

11. Schwindelanfäıle nach Ausschluss von Nerven- und Augenleiden. 
Der Sehschwindel unterscheidet sich vom Obrenschwindel dadurch, dass 
er bei geschlossenen Augen schwindet, und der Kranke dabei 
gut geht und seine Bewegung ganz sicher ausführt. Beim Gehen mit 
offenen Augen zittern alle Gegenstände. 2 Kranke empfanden ein Schief- 
stehen der Diele. In Folge dessen wurde z. B. im einen Falle das 
rechte Bein hoch gehoben und beim Niederlassen mehr nach vorn links 
gekehrt. Dabei stolperte der Patient nach vorn und nach mehreren 
Schritten beschrieb er einen Kreis nach links. Beim Gehen schien es ihm, 
als ob er in die Höhe steigen musste. Beim Zudrücken eines Auges 
oder bei Augenschluss marschirte er geradeaus. 


138 Fr. Bezold: Ein Wort im Interesse unserer künftig. Fachliteratur. 


12. Beim Stürzen bleibt der Kranke bei vollem Bewusstsein, welches 
manchesmal nur leicht getrübt wird. (M&niere, Charcot). 


Und dennoch wird man noch oft genug Kranke treffen, bei denen 
die einzelnen Symptome dermaassen verwickelt sind, dass man nicht im 
Stande ist, bestimmt zu localisiren. In diesen Fällen wird sich die 
Sache manchesmal nach längerer Beobachtung entscheiden. Man muss 
sich zur Regel machen, sein Urtheil über den Zustand des Labyrinths 
nicht nach Prüfung einer Art von Bewegungen, sondern vieler zu fällen. 


(Schluss folgt.) 


XII. 


Ein Wort im Interesse unserer künftigen Fach- 


literatur. 
Von Fr. Bezold in München. 


Auf der II. Versammlung der deutschen otologischen Gesellschaft 
zu Frankfurt 1893 habe ich einen Vortrag über „eine Entfernung des 
Steigbügels“ gehalten.!) 


Als Beweggründe für diesen von mir in einem Falle ausgeführten 
operativen Eingriff habe ich daselbst einerseits die fundamentale Be- 
deutung hervorgehoben, welche es für die Physiologie des Ohres hat, 
zu wissen, wie viel das Ohr nach Ausschaltung seiner einzelnen Glieder 
noch hört. Andererseits waren im vorausgegangenen Jahre von dem 
Amerikaner Jack, einem Schüler Blake’s, Mittheilung über nicht 
weniger als 17 im Verlauf kurzer Zeit hintereinander ausgeführte Steig- 
bügel-Extractionen gemacht worden, bei welchen derselbe durchgängig 
eine eclatante Hörbesserung sah. Es stand zu erwarten, dass bei solchen 
günstigen Aussichten die kleine und meist leicht ausführbare Operation 
sich rasch allgemein verbreiten werde, und da ich bereits damals im 
Besitz der für eine vollkommene functionelle Prüfung unentbehrlichen 
continuirlichen Tonreihe mich befand, so durfte ich mich wohl für be- 
rufen halten, einen Versuch in dieser Richtung am Lebenden zu machen, 
um über die Zulässigkeit dieser Operation entscheiden zu können, ob- 
gleich ich selbst von vorneherein aus physiologischen Gründen wenig von 
ihr hoffte, und eine Eröffnung der Labyrinthräume, insbesondere neben 


1) Diese Zeitschr., Bd. XXIV und Arch. f. Ohrenheilk., Bd. XXXV, S. 120. 


Fr. Bezold: Ein Wort im Interesse unserer künftig. Fachliteratur. 139 


noch bestehender Eiterung im Mittelohr, als nicht ganz ungefährlich 
betrachtet werden darf. 

Um zum Wenigsten keinen grösseren Schaden zu stiften, wählte ich 
einen Fall von abgelaufener doppelseitiger Mittelohreiterung mit ziemlich 
hochgradiger Schwerhörigkeit und entfernte hier den Steigbügel auf dem 
schlechter hörenden Ohre. Im directen Anschluss an die Extraction 
traten eine Anzahl eigenthümlicher, theilweise bis dahin noch nicht be- 
schriebener, beängstigender Symptome ein, welche in meinem Vortrag 
eingehender characterisirt sind. 

Das Resultat der Operation war, kurz zusammengefasst, in den 
nächsten Tagen absolute Taubheit. „Dagegen stellte sich von der 3. Woche 
‚ab wieder ein Rest von Hörvermögen ein, welcher allerdings weit hinter 
dem ursprünglich vorhandenen zurückblieb.“ 

Für die uns vor Allem interessirende Wiederkehr dieses Restes von 
Hörvermögen trotz fehlender Steigbügelfussplatte habe ich mich pemalt, 
eine physiologische Erklärung zu suchen. 

Der Fall wurde möglichst bald von mir veröffentlicht, um andere 
Collegen vor ähnlichen Erfahrungen zu bewahren, und es scheint, dass 
mein Vortrag, im Verein mit den späteren Mittheilungen Blak e’s, 
diesen Zweck auch erreicht hat. 


Von einem Referat iiber die Publication eines derartigen Versuches 
am Lebenden, insbesondere wenn dasselbe für einen Kreis von Ferner- 
stehenden berechnet ist, darf wohl eine besondere Delicatesse erwartet 
werden. 

Man höre nun, in welcher Form die Münchener Aerzte über den 
: Inhalt dieses Vortrags unterrichtet wurden! 

Kurz nachdem ich von Frankfurt zurückgekehrt war, fand ich in 
der Münchner med. Wochenschr. No. 22, 1893, über den Vortrag das 
folgende Referat von Privatdocent Dr. Haug: 

„Bezold-München: Ueber Hörfähigkeitnach Extraction 
des Steigbügels. 

Sofort nachdem die allarmirenden Symptome, die der Steigbügel- 
extraction immer folgen, also Uebelsein, Brechen, höchstgradiger 
Schwindel, Coordinationsstörungen, sich gelegt hatten und Patient wieder 
‚sich aufrecht halten konnte, hatte es den Anschein, als ob die Hör- 
weite sich etwas gebessert habe; sehr kurze Zeit darauf jedoch war diese 
temporäre Besserung wieder verschwunden und hatte einer (! Verf.) 
Taubheit Platz gemacht.“ 


140 Fr. Bezold: Ein Wort im Interesse unserer künftig. Fachliteratur. 


Der practische Arzt kann aus diesem Referat kaum etwas Anderes 
herauslesen, als dass ich mit einem überflüssigen Experiment am Leben- 
den die „immer“ eintretenden Symptome erzeugt und den Kranken taub 
gemacht hätte. (Bereits weiter oben hat H. mich in der Discussion 
über den Vortrag von Dr. Denker einen reinen Unsinn sagen lassen.) 


Der Ref. fährt fort: „Als der Vortragende bei der Besprechung 
der Function der Schnecke als Hörorgan gedenkt, erhebt sich Lucae, 
um in einer äusserst animirten Discussion die Unrichtigkeit der Helm- 
holtz’schen Schneckentheorie klar zu legen etc.“ 

Die letztere Bemerkung bezieht sich nicht auf den obigen Vortrag, 
in welchem die Schneckentheorie gar keine Erwähnung gefunden hatte, 
sondern auf einen zweiten, welchen ich am nächsten Tage gehalten habe. 
In der Zwischenzeit scheint der Ref. geträumt zu haben, was auch 
daraus hervorgeht, dass er sich mehrere Male als an der Discussion im 
wissenschaftlichen Theil der Verhandlungen betheiligt anführt, ohne dass 
die Anwesenden etwas davon gehört haben.) 

Ich habe mich damals darauf beschränkt, mir bei der Redaction die 
Berichterstattung über den von mir daselbst gehaltenen zweiten Vortrag 
seitens H.’s, der in der nächsten Nummer kommen sollte, zu verbitten, 
welchem Wunsche die Redaction auch nachgekommen ist. 

Dieser „Originalbericht“ bildete auch im nächsten Jahre die Ver- 
anlassung für den vom Ausschuss der deutschen otologischen Gesellschaft 
gefassten Beschluss, selbst einen kurzen Bericht über die jedesmaligen 
Verhandlungen zu verfassen, welcher zur Vertheilung an die grösseren 
medicinischen Zeitungen bestimmt ist, um künftig ähnliche Vorkommnisse 
zu vermeiden. | 

Ich würde auch Jetzt auf diesen Bericht ebensowenig zurückgekommen 
sein, als ich die verschiedenen versteckten und offenen Invectiven gegen 
meine Arbeiten, welche in den literarischen Producten H.’s immer wieder- 
kehren, einer Antwort für werth gehalten habe, wenn nicht neuerdings 
geradezu das Interesse für eine gedeihliche Entwicklung unserer künftigen 
Fachliteratur es fordern würde, dass die Art, in welcher H. referirt, 
wenigstens den Fachgenossen etwas allgemeiner bekannt wird. 

Es sind nämlich in der letzten Zeit Dr. Haug nicht nur die 
Referate über eine grosse Anzahl neuer Arbeiten von Seiten des Archivs 
für Ohrenheilkunde übertragen worden (eines dieser Referate hat bereits 


1) Man vergleiche den vollständigen officiellen Bericht von Bürkner. 
Arch. f. Ohrenheilk., Bd. XXXV, S. 112 ff. 


Fr. Bezold: Ein Wort im Interesse unserer künftig. Fachliteratur. 141 


seine Abweisung durch Ostmann!) erfahren), sondern er hat es auch 
übernommen, einen „Ueberblick über den gegenwärtigen Stand der 
Cholesteatomfrage“ in einem angesehenen für weitere ärztliche Kreise 
bestimmten Blatte?) zu geben, über dessen Fassung von otologischer 
Seite mir bereits Stimmen der Missbilligung zugekommen sind. Eine 
grosse Beeinflussung ist endlich für unsere künftige otologische Literatur | 
zu erwarten von einem Unternehmen, dessen Prospect die Unterschrift 
H.’s trägt und jüngst von einer Buchhandlung versandt wurde, nämlich 
„Klinische Vorträge aus dem Gebiet der Otologie etc. für practische 
Aerzte“ herauszugeben, an welchen mitzuarbeiten bereits eine Reihe zum 
Theil hervorragender Kräfte sich bereit erklärt hat. 


Wir sind bisher gewohnt gewesen, dass die Führung bei solchen 
Sammlungen Männer in Händen hatten, auf deren Besitz wir die Be- 
rechtigung haben, stolz zu sein, und es liegt vor Allem im Interesse 
Derjenigen, welche am Weiterausbau ihres Faches selbständig mitwirken, 
etwas genauer darnach zu fragen, wer sich an die Spitze von derartigen 
Unternehmungen stellt. 


Dies ist der Grund, warum ich geglaubt habe, über den oben mit- 
getheilten Vorgang nicht länger schweigen zu dürfen. 


1) Arch. f. Ohrenheilk., Bd. XXXVIII, S. 335. 
2) Centralbl. f. allg. Path. u. path. Anat., Bd. VINo.3 u. 4, 23. Febr. 1895. 


» 


Bericht 


über die 


Leistungen und Fortschritte 


im Gebiete der 


normalen und pathologischen Anatomie und Histologie, sowie der 
Physiologie des Gehörorganes und Nasenrachenraumes !) 
im ersten Quartal des Jahres 1895. 


Von Ad. Barth in Marburg. 


—— e — 


I. Anatomie. 


a) Gehörorgan. 
1. Anatomie, physiologie et semiologie de l’oreille.e Von A. Courtade, 
Paris 1894. 


2. Die ersten Anlagen von Mittelohr und Gehörknöchelchen des menschlichen 
Embryo in der vierten bis sechsten Woche. 2 Tafeln. Von F. Sieben- 
mann. Arch. f. Anatomie 1894, Hft. V u. VI. 

3. Abnormal course of Chorda Tympani through middle ear. Von R. u 
2 Figuren. Lancet 1895, January 5. 

4. Die Entwicklung des Hörnerven. Von Retzius. HygieaLV, Freies 

3. Ueber Nervencentren an den Gehörorganen der Vögel, Reptilien und 


Amphibien. Von G. Weidenbaum. Inaug.-Diss. Dorpat 1894. 2 Tafeln. 
(Russisch.) 


2) Die bis dahin vorliegenden Untersuchungen über die Entstehung 
der Gehörknöchelchen sind ungenügend, da sie nicht bis in die aller- 
ersten Stadien und über diese zurück reichen. Verf. hat diese Lücke 


1) Die Arbeiten, welche in der Uebersicht angeführt, aber bei der 
Besprechung ausgelassen sind, standen dem Referenten nicht zur Verfügung. 
Um den Bericht möglicht vollständig erscheinen zu lassen, wird um gefällige 
Zusendung der Arbeiten höflichst gebeten. 


I. Anatomie. 143 


ausgefüllt durch Studien an Serienschnitten von gut erhaltenen mensch- 
lichen Embryonen der sechs ersten Wochen und kommt dabei zu folgen- 
den einwandfreien Resultaten: Der Steigbügel ist als unförmliche 
Blastemmasse schon in der vierten Embryonalwoche angedeutet. Als 
vorknorpliger Annulus tritt er in der sechsten Woche gleichzeitig mit 
Hammer und Amboss auf; er besteht nur aus einem Stück und ist nicht 
doppelten Ursprungs. Sämmtliche Gehörknöchelchen sind schon Mitte 
der sechsten Woche in ihrer Form annähernd vollendet; sie bilden eine 
zusammenhängende Kette, deren Endglieder aus dem ersten und zweiten 
Kiemenbogenvorknorpel bestehen; sie sind aber sowohl von diesen als 
vom Labyrinth durch ihr tinctoriell verschiedenes Verhalten deutlich 
abgrenzbar und qualificiren sich sonach von Anfang an als gesonderte 
Skelettstücke des vorknorpligen Primordialcranium. Vom Mittelohrraum, 
dessen mediale Grenzen in ihrer Beziehung zur Lage der Carotis eine 
besondere Beachtung verdient, ist anfänglich nur die Paukenhöhle vor- 
handen, welche bis unmittelbar unter die seitliche Gesichtsoberfläche 
reicht. In der sechsten Woche entsteht die Ohrmuschel auf der Vorder- 
fläche der ersten Kiementaschenspitze und umrahmt das auf diese Weise 
markirte Trommelfell, in welchem der Hammergriff schon bis in das 
Centrum hinabreicht. Von dem Ende der sechsten Woche an entsteht 
der Gehörgang und die Tube, indem die seitliche Gesichtswand an Dicke 
zunimmt und in Folge dessen die Paukenhöhle einerseits von der Ge- 
sichtsoberfläche, anderseits vom Pharynx abrückt. — In physiologiseher 
Beziehung befriedigen diese Ergebnisse durchaus. Siebenmann. 

3) Lake found the Chorda tympani after making its exit at the 
usual level, running horizontally forwards to about the junction of the 
lowest fourth of the handle of malleus to the remainder, it was clearly 
visible through the Membrane from the Meatus. From the inner side, 
after reaching the Malleus it race upwards passing off to leave the 
Tympanum by the Canal of Hughier, keeping below the tendon of the 
Tensor tympani. Lake. 


b) Nasenrachenraum. 
1. The Anatomy of the Nasal Cavity. Von A. Owen, London. 
2. The Connection between the Olfactory Bulb and the Hippocampus. Von 
E. Smith. Anat. Anz. 1895, S. 470. 
3. Die Palatingegend der Ichthyosauria. Von G. Baur. Anat. Anz. 1895, S. 456. 
4. Les moulages du pharynx superieur et des choanes. Von Dr. Hopmann, 
Revue intern. de Rhinol. etc. 25. Fevr. 1895. 
5. Le microbe de l’ozene Von Dr. Löwenberg. Extrait des Annales de 
l'institut Pasteur, Mai 1894. 
Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXVII. 10 


144 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


4) Hopmann beschreibt ein Verfahren, Abdrücke vom Pharynx 
und den Choanen des Lebenden zu nehmen, um hieran in der bequensten 
Weise die verschiedenen Abweichungen studiren zu können. 


5) Löwenberg führt noch einmal die Beschreibung des Ozäna- 
bacillus an, wie er sie schon im Jahre 1880 und 1881 gegeben hat. 
Der Bacillus wächst auf Nährgelatine in zwei Arten von Colonien: die 
eine bildet kleine runde, gelbliche, dem Aussehen nach compacte Colonien 
in der Gelatinemasse und ist die seltenere; die anderen sind grösser, 
halb durchsichtig, mehr oder weniger milchweiss und sitzen auf der Ober- 
fläche. Keine von beiden verflüssigt die Gelatine. Die Culturen des 
Bacillus geben meist Gerüche von sich, die nicht unangenehm sind. Die 
Mikroben der Ozäna und der Pneumonie sehen einander sehr ähnlich, 
unterscheiden sich aber im Aussehen ihrer Colonien und deren Gerüche. 
Weisse Mäuse starben nach subcutaner Application einer Ozänabacillen- 
cultur innerhalb 20 Stunden. Meerschweinchen vertragen subcutane 
Einspritzungen, gehen aber an solchen in die Bauchhöhle zu Grunde. 
Die ersteren machen aber nicht gegen letztere immun. Auch die meisten 
Kaninchen starben, eines konnte immun gemacht werden. Bei 54° 
starben die Bacilen ab. Sie können dadurch leicht abgetödtet werden, 
sodass in den Culturen nur die Toxine zur Wirkung kommen. Mit 
diesen gelang es eine Maus immun zu machen. Serum eines immunen 
Kaninchens machte ein anderes immun. Das Serum immunisirter Thiere 
verliert aber nach kurzer Zeit die Eigenschaft immun zu machen. 
Immunität gegen den Friedländer’schen Pneumoniebacillus schützt 
nicht gegen den der Ozäna und umgekehrt. Beide Bakterienarten sind 
also trotz ihrer Aehnlichkeit nicht identisch. 


11. Physiologie. 


Gehörorgan. 

1. Ueber die statischen Functionen des Ohres mit experimentellen Demonstrationen 
an Thieren. Von Matte. Münch. med. Wochenschr. 4. Dec. 1894. 

2. Ueber die Beziehungen der Taubstummheit zum sogenannten statischen Sinn. 
Von A. Bruck. Arch. f. d. ges. Physiologie, Bd. 59, 8. 16. 

3. Taubstummensprache und Bogengangsfunctionen. Von Dr. phil. L. W. Stern. 
Ibidem Bd. 60, S. 124, 

4. Intorno agli effetti delle lesioni portate sull’ organo dell’ udito, Von Fano 
und Marini. Sperimentale 1893, Fasc. 5 u. 6. 

5. Ueber den Druck im Labyrinth, vornehmlich bei Hirntumor. Von Dr.. 
L. Asher. Zeitschr. f. klin. Medicin, Bd. XXVII, Hft. 5 u. 6. 


II. Physiologie. 145 


2) Bruck untersuchte 82 Taubstumme in Bezug auf ihr Vermögen 


gerade aus zu marschiren, auf einem Fusse zu hüpfen, mit geschlossenen ` 


Beinen und auf einem Beine zu stehen und auf dem Schwebebalken zu 
balanciren. 43 zeigten ein abnormes locomotorisches Verhalten. Bruck 
schliesst, dass das Gehörorgan als solches, bezüglich die normale Function 
desselben für die vollkommene Statik des Körpers von Bedeutung ist. 
Es ergeben sich aber aus den Untersuchungen verschiedene Punkte, 
welche dagegen sprechen, das innere Ohr, resp. die Canäle als Gleich- 
gewichtsorgane aufzufassen. 

3) Stern untersuchte eine Reihe von Taubstummen in Bezug auf 
die Deutlichkeit und Geläufigkeit ihrer Sprache und vergleicht die 
Resultate mit den Gleichgewichtsuntersuchungen Kreidl’s und Pollak’s. 
Dabei zeigte sich, dass unter denen, welche bei jenen Versuchen normales 

Verhalten zeigen, sich in jeder Versuchsgruppe ein viel grösserer 


Procentsatz von gut Sprechenden befand, als unter denen, die sich - 


abnorm verhielten. Von den absolut Normalen sprach die Hälfte fliessend 
und deutlich, von den irgendwie Abnormen nur der vierte Theil. Dieses 
Resultat stützt sich auf briefliche Mittheilungen von Director Lehfeld 
in Wien. Alsdann benutzte Stern noch die von Bruck untersuchten 
Taubstummen und konnte bei ihnen ähnliches Verhalten constatiren. 
Demnach besteht ein Zusammenhang zwischen der Fähigkeit des arti- 
culirten Sprechens und obigen Verrichtungen. 

4) Die beiden Autoren widerlegen die Anschauung, dass den halb- 
zirkelförmigen Canälen die Aufgabe eines Gleichgewichtsorganes zukomme 
an Thierexperimenten. Sie fanden weder einen Unterschied in den Er- 
scheinungen je nach Zerstörung eines bestimmten Canales, noch zwischen 
dem Ramus vestibularıs und dem Ramus cochlearis. Ein Thier, bei 
welchem das ganze innere Ohr zerstört ist, befindet sich in Bezug auf 
seinen Gleichgewichtszustand besser, als eins mit nur theilweiser Ver- 
letzung. Es gelangen vom Ohr aus beständig Impulse zu den Central- 
apparaten. Diese Impulse, welche unter normalen Bedingungen mehr 
oder weniger dazu dienen, die Körperbewegungen zu coordiniren, rufen 
bei einer Störung eine Unordnung in den nervösen Centren hervor. Im 
Nervus acusticus andere als acustische Fasern anzunehmen liegt kein 
Grund vor, und die Function der Canäle ist ebenso, wie die der 
Schnecke, eine ausschliesslich acustische. 

5) Asher bespricht zuerst in theoretischer Weise die Vorrichtungen 
zur Druckregulirung im Labyrinth und versucht die starke Differenz 
zwischen der Betheiligung des Auges und des Ohres (95:11) durch 

10* 


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It A Se r o o d a a r E a T oad e aa di e mr a a A aaa aiita rdia Der e oah a TE Fe en 


146 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


Stauungserscheinungen bei Hirntumoren zu erklären. Dann beschreibt 
. er einen selbst beobachteten Fall, bei welchem die Tumormassen be- 
sonders links in den Meatus internus, theilweise bis in die Lamina 
spiralis gewuchert waren. Die Zellen des Ganglion spirale waren voll- 
ständig durch die Neubildung ersetzt. Die Membrana basilaris und 
Reissneri waren normal, ebenso die Stria vascularis. Die Blutgefässe 
waren erweitert und mit Blutkörperchen wie injieirt (da man diese Er- 
scheinung auch bei ganz normalen Felsenbeinen beobachten kann, dürfte 
sie nicht immer als Stauungserscheinung aufzufassen sein. Ref.), das 
Corti’sche Organ fehlte, obwohl die Zellen der Umgebung intact waren. 
Der linke Acusticus war atrophisch, der Tensor tympani fettig entartet. 
Die Reissner’sche Membran war nicht, wie in dem Falle von Stein- 
brügge, deprimirt. — Man muss annehmen, dass der erhöhte intra- 
cranielle Druck dank der Schutzvorrichtungen des Labyrinthes keine 
„Schädigung des Gehörs und keine anatomischen Veränderungen hervor- 
bringen kann. Deswegen bedingt auch eine Drucksteigerung im Schädel 
durchaus nicht pathologische Symptome von Seiten des Ohres. Das 
Ganglion spirale ist wahrscheinlich als trophisches Centrum für das 
Corti’sche Organ aufzufassen. Eine Prüfung der Hörfunction wird im 
Allgemeinen dem Kliniker keine zuverlässigen Dienste bei der Erkennung 
krankhafter Vorgänge im Schädelraum leisten. 


Bericht 


über die 


Leistungen und Fortschritte 


der 


Pathologie und Therapie im Gebiete der Krankheiten des 
Gehörorganes und der Nase 


im ersten Quartal des Jahres 1898. 


Zusammengestellt von Dr. Arthur Hartmann in Berlin. 


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Allgemeines. 


1. Grünberg, B. Beiträge zur Aetiologie des Ohrschwindels. Dissert. Bern 
1894. 

2. Heflebower, R.C. Klonischer Krampf des musc. tensor tympani. N.Y. 
Med. Journ. 16. März 1895. 

3. Steuer, Alfred. Zwei Fälle von objectiven Geräuschen des Ohres. Wiener 
klin. Wochenschr. 1894, Nr. 51. 

4. Jennings, J. Ellis. Otalgia, ihre Ursachen und Behandlung, Medical 
Review 16. März 1895. 

5. Phillips, W.C. Die Behandlung der Ohren während der exanthematischen 
Erkrankungen. N.-Y. Med. Journ. 16. Februar 1895. 

6. Hessler, Dr., Halle a S. Rose bei Ohrerkrankungen. Münch. med. 
Wochenschr. Nr. 3, 1895. 

7. Alderton, H. A. Der Einfluss von Affectionen der oberen Luftwege auf 
das Ohr. Annals of Ophthal. and Otology etc., Januar 1895. 

8. Szenes, S., Budapest. Ueber die in Folge von Behandlung der Nasen- 
Rachenkrankheiten entstehenden Erkrankungen des Ohres. Allg. Wien. 
med. Ztg. 1894, Nr. 38 und 39. 

9. Shirmunsky, M. Ch., Petersburg. Pilocarpin bei Erkrankungen des 
Mittelohres und des Labyrinthes. Monatsschr. f. Ohrenheilkunde Nr. 2, 
1895. 

10. Urbantschitsch, V. Prof., Wien. Ueber den Einfluss methodischer Hör- 
übungen auf den Hörsinn. Wiener med. Presse 1894, Nr. 493, 


148 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


11. Bonnier, R. Sur T'inertie de milieux auriculaires. Societé de biologie 
°” Bull. medical. 6. Februar 1895. 


12. Raugé, P. Le canal incisif et l'organe de Jacobson. Arch. int. de 
laryng etc. Jullet aoüt 1894. 


13. Lermoyez. M. Rhinologie, Otologie, Laryngologie enseignement et pra- 
tique de la Facult de Medicıne de Vienne. Paris, Care. 


14. Richards, George L. Halle und die Ohrenklinik des Herrn Prof. Schwartze. 
Boston. Med. and Surg, Journal 26. März 1895. 


15. Gleason, E. B. Gewöhnliche Erkrankungen des Ohres. Präparate zur 
Illustration ihrer Pathologie. Atlantic Med. Monthly 23. März 1895. 


16. Tomka, S. Dr. Die Hygiene des Ohres inı Kindesalter. Intern. klin. 
Rundschau 1894, Nr. 41. 


17. Szenes, S., Budapest. Zur Statistik der Taubstummheit. Intern. klin. 
Rundschau 1894, Nr. 38. 


18. Chervin. Bégaiement et autres défauts de prononciation. Paris. 


1) Auf Veranlassung von Professor Valentin hat Grünberg 
folgende Methoden von Reizung des Gehörorgans bezüglich ihrer Wir- 
kungen auf das Gleichgewicht des Körpers untersucht: 1. Infection der 
halbzirkelförmigen Canäle beim Kaninchen durch Injection von Conidien 
des Aspergillus fumigatus. 2. Kältereize des äusseren Ohres durch 
Aethylchloridspray. 3. Reizungen des Gehörorgans durch electrische 
Ströme. 


Bezüglich der sub 1 aufgeführten 10 Versuche kommt Verf. zu 
dem Resultat, dass diese von Lichtheim zuerst ausgeführte Infection 
der Labyrinthe als experimentell-pathologische Untersuchungsmethode 
unanwendbar ist, weil ihre Ergebnisse unsicher und zum grössern Theil 
negativ ausgefallen sind. — Die Versuche Nr. 2 wurden am Menschen 
und zwar so angestellt, dass ein haarfeiner Strahl sofort verdunstenden 
Aethylchlorids auf Trommelfell und Gehörgangswand applicirt wurde, 
ein Verfahren, wobei der mechanische Druck gar nicht in Frage kommen 
konnte. Zwei von den 9 geprüften zeigten keinen Schwindel; die 
übrigen, besonders solche mit Trommelfelldefecten, reagirten in characte- 
ristischer Weise. — Die Versuche Nr. 3 wurden an 26 mit einseitigen 
oder doppelseitigen Affectionen des mittleren Ohres behafteten Kranken 
der otiatrischen Poliklinik von Prof. Valentin ausgeführt. In Ueber- 
einstimmung mit Gärtner, Pollak und Gradenigo fand Verf., 
dass das kranke Ohr bei fast allen Versuchen für die electrischen Ein- 
griffe sich empfindlicher erwies als der gesunde. 

Siebenmann (Basel). 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 149 


2) Heflebower berichtet über einen Fall einer 35jährigen Frau, 
welche sich in ausgezeichnetem Gesundheitszustande befand. Im rechten 
Ohr bestand eine grosse Perforation und chronische Eiterung, welche 
unter vierwöchentlicher Behandlung aufhörte, wobei die Perforation viel 
kleiner wurde. Die Hördistanz für die Uhr betrug 2!/, cm. Das 
Trommelfell des linken Ohres war etwas schlaff und die Hördistanz für 
die Uhr betrug 40 cm. Der Patient erholte sich Raths wegen eines 
tickenden Geräusches in den Ohren, welches mehrere Jahre bestanden 
hatte und von Zucken der Halsmuskeln begleitet. war. Es wurde auf 
Anstrengung, plötzlichen Schrecken und während der Menstruation 
schlimmer. Bei der Beobachtung der Trommelfelle konnte keine Be- 
wegung im rechten Ohr entdeckt werden, obwohl das tickende Geräusch 
schwach gehört werden konnte. Im linken Ohre konnte man eine gut 
wahrnehmbare Einziehung der Membran bei jedem Ticken sehen, wobei 
die Muskeln des weichen Gaumens synchronisch mit dem tensor tympani 
-contrahirten. Der Verf. glaubt, dass diese Affection (klonischer Krampf 
des tensor tympani) alle Merkmale einer chorea minor habe. 

G. Bacon. 

3) Beim ersten Falle hörte man noch !/, m vom linken, an 
Mittelohrcatarrh erkrankten Ohre, ein knacksendes, rhythmisches Ge- 
räusch, welches 100-—150 Schläge in der Minute zählt, welches bei 
allen, das Gaumensegel hebenden Proceduren sistirt werden konnte. 
Beim zweiten Falle mit normalem Ohrbefunde bestanden abwechselnd in 
beiden Ohren objectiv wahrnehmbare Geräusche, welche durch Compression 
des Vagus zeitweilig sistirbar waren. Steuer bezieht diese Geräusche 
auf klonischen Krampf beider Tubenmuskeln, des Levator und Tensor 
pal. mollis. Die eingeleitete Therapie war fruchtlos. Pollak (Wien). 


4) Jennings beschreibt die in alten Zeiten gebrauchten verschie- 
denen Heilmittel und drängt dem praktischen Arzt die Nothwendigkeit 
und Wichtigkeit auf, bei jedem an Ohrenschmerzen leidenden Patienten 
die Diagnose zu stellen und zu behandeln. G. Bacon. 


5) Nach Phillips begünstigt die Rückenlage, die Anhäufung 
krankhafter Secrete, welche so sorgfältig als möglich entfernt werden 
müssen. Die Nase des Kindes muss häufig geschnäuzt werden, um die 
Secrete besser zu dislociren und es müssen Applicationen mit Borsäure, 
‘Glycerin, Wasserstoffsuperoxyd etc. gemacht werden. Der Hauptzweck 
muss darin bestehen, die Ausdehnung der Entzündung auf die Gewebe 
des Mittelohres zu verhüten. G. Bacon. 


150 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


6) Hessler theilt kurz die Krankengeschichten von 7 Fällen von 
_ Erysipel bei Ohrerkrankungen mit, die er in einem Semester beobachtet 
hat. Im Anschluss daran entwickelt er ausführlich die Gründe, aus 
denen eine Uebertragung von Fall zu Fall durch ihn selbst auszu- 
schliessen sei, dagegen eine autochthone Entstehung jedes einzelnen 
Falles angenommen werden müsse. In sämmtlichen Fällen ging die 
Rose primär vom Ohr aus, über Gesicht und Kopf wandernd endete sie 
an der andern Ohrmuschel; der Verlauf schwankte zwischen 5 und 13 
Tagen. Der Versuch durch Jodanstrich um die Rose herum eine Cou- 
pirung herbeizuführen, blieb bei allen erfolglos im Gegensatz zu früheren 
Fällen, von denen einige beschrieben werden. Gestorben ist keiner. 
H. zieht aus seinen Erfahrungen den Schluss, dass Rose keine Contra- 
indication für operative Eingriffe, sondern in bis dahin zweifelhaften 
Fällen eher eine Indication mehr bilde. Für das häufige Zusammen- 
treffen von Mittelohreiterung und Rose gebe die Bakteriologie genügende 
Erklärung. Aus der erwiesenen Identität des Fehleisen’schen Kokkus 
mit den gewöhnlichen pyogenen Mikroorganismen wäre praktisch zu 
folgern, dass Erysipel nicht infectiöser ist als acute Mittelohreiterung, 
dass eine Isolirung der Rosekranken nicht angezeigt ist, und dass die 
Desinfection der Instrumente bei Behandlung jeder Otorrhoe ebenso 
sorgfältig vorzunehmen ist, wie es bisher bei Erysipel geschieht. Für 
die wiederholte Erkrankung mancher Personen müsse als Grund eine 
individuelle Disposition angenommen werden. Eine zufällige Häufung 
von Prädisponirten in einer Behandlung bringe dann kleine Rose- 
epidemieen, wie die des Verf., zu Stande. Müller (Stuttgart). 


7) Alderton findet, dass bei Störungen des äusseren Ohres, be- 
sonders bei Cerumen, der Zustand des Nasenrachenraumes einen geringen 
Einfluss hat, dass bei Mittelohrerkrankungen derselbe einen grossen 
Einfluss auf die Ohrenprozesse ausübt (wobei er direct causal bei 35°/, 
bis 88°/,, theilweise causal bei 10°/, bis 29°/, ist.) Bei Otitis media 
und interna war der Nasenrachenraum theilweise bei 36°/, Schuld, 
bei Otitis interna konnten nur 14°/, möglicher Weise einen Einfluss 
gehabt haben. G. Bacon. 


8) Artificielle Otitiden beobachtete Szenes in Folge von Gurgeln, 
nach Nasenausspülungen, Bepinselung der Nasenschleimhaut mit Nitr. 
argenti-Lösung, sowie nach operativen Eingriffen in der Nase. 

Pollak. 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes, 151 


9) Shirmunsky sah in einigen Fällen von frischen Labyrinth- 
affectionen guten Erfolg von Pilocarpininjectionen; in veralteten Fällen 
und bei Sklerose half das Mittel nichts. Killian. 


10) Urbantschitsch berichtet über die Resultate der methodischen 
Hörübungen, die er an 60 Zöglingen des niederösterreichischen Taub- 
stummeninstitutes angestellt hate. Am Beginn der Hörübungen bestand 
ein Satzgehör in keinem Falle, nach 6 Monaten in 12 Fällen; ein 
Wortgehör ursprünglich in 6, dann in 16 Fällen; ein Vocalgehör erst 
in 22, dann in 21 Fällen; geringe Hörspuren wiesen anfänglich 32, 
nach 6 Monaten nur 11 Fälle nach. Pollak. 


11) Bei Reizung der molekulären Unthätigkeit ruft die Erschütte- 
rung eine physiologisch nützliche Einwirkung auf die labyrinthären 
Nervenendigungen hervor. Die Unthätigkeit der gesammten Luft- 
leitungsbahnen, der festen wie der flüssigen im Ohr, welche eingeschaltet 
und für die gesammten Schwingungen empfindlich sind, kommt in’s 
Spiel und gestattet der Schallerschütterung Oscillationen von viel grösserer 
Stärke und Schnelligkeit. 


12) Erschöpfende kritische Uebersicht über die über diesen Gegen- 
stand bisher publicirten französischen und ausländischen Arbeiten. Nach 
einer genauen Studie über dies Organ beim Hammel, wo es besonders. 
gut ausgebildet ist, wendet sich Rauge& zu dem des Menschen, bespricht 
die zahlreichen Hypothesen und weist die physiologischen Theorien 
zurück; es handelt sich um ein in Rückbildung begriffenes Organ, das. 
physiologisch völlig belanglos ist. 


13) Dieser zweite Theil des Werks enthält die bei Politzer, 
Schrötter etc. gebräuchlichen therapeutischen Maassnahmen bei den 
betreffenden Krankheiten. 


14) Richards liefert einen interessanten Bericht über die Ohren- 
abtheilung zu Halle, besonders über die von Herrn Prof. Schwartze 
abgehaltene Klinik, indem er den grössten Theil des Artikels einer 
Beschreibung seiner Operationsmethode und der allgemeinen Behandlung 
von Ohrenfällen widmet. G. Bacon. 


15) Gleason giebt an, dass man klinisch die Affectionen des. 
Ohres ungefähr eintheilen kann: 1. in Erkrankungen des äussern 
Ohres 23°/,, von denen mehr als ein Viertel Fälle von Cerumen 
inspissatum sind, 2. Mittelohrcatarrh 45 °/,, von denen weniger als ein 
Viertel acut sind; 3. Mittelohreiterung, von denen ein Fünftel acut: 


152 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


sind, während 4. Erkrankungen des innern Ohres ungefähr 2°/, aller 
Ohrenerkrankungen darstellen. L. Bacon. 


16) Nichts Bemerkenswerthes. Pollak. 


17) Szenes kommt zu folgenden Schlüssen: 1. Bei einzigen 
Kindern ist die Taubstummheit äusserst selten. 2. Die Taubstummbheit 
kommt verhältnissmässig am häufigsten bei erstgeborenen Kindern vor. 
Um so häufiger ist die Taubstummheit bei Familien, die mehrere 
Kinder haben. Pollak. 


18) Das eigentliche Stottern ist dadurch characterisirt, dass es in der 
Kindheit beginnt, von atypischen Athembewegungen abhängig ist, inter- 
mittirt und beim Singen ausfällt. Verf. theoretisirt über die Behand- 
lungsmethoden und beschreibt dann kurz die von seinem Vater erfundene 
Methode, die in dreiwöchentlichen Uebungen besteht und hinterher von 
den aus dem Institut Entlassenen noch verschieden lange Zeit geübt 
werden muss. Das letzte Capitel handelt über Gaumenspalten und ihre 
Behandlung mit Operation und Prothesen. 

Zimmermann (Dresden). 


Instrumente und Untersuchungsmethoden. 


19. Park, J. W. Ein neueres und bequemeres Instrument als die Politzer'sche 
Luftdusche zur Lufteintreibung in das Mittelohr. Ann. of Ophth. and 
Otol. Januar 1895. 


20. Randall, B. Alexander. Die Anwendung des Eustachischen Katheters. 
Philadelphia. Polyclinic. d. 12. Januar 1895. 


21. Lauterbach, Marcell in Annaberg. Ein neuer Apparat zur Constatirung 
| einseitiger hochgradiger Schwerhörigkeit oder Taubheit und zur Entlarvung 
von Simulanten. Wiener med. Presse No. 9, 1895. 


22, Bergeat, H. in München. Stirnreif von Hartgummi als Reflectorträger. 
Gegenschraube an der Gelenkvorrichtung. Vorrichtung gegen das Be- 
schmutzen des Reflectors beim Gebrauche. Verwendung von unge- 
schwärztem Aluminium auch am Spiegelgehäuse. Arch. f. Laryngol., 
Ba. 1. 3. | 

23. Palmer, A. W. Ein Drillbohrer für die Stirnhöhle. N.-Y. med. Journ. 
2. März 1895. 


24. Black, G., Melville. Der Nasentrepan bei der Hypertrophie der untern 
Schwellkörper. Annals of Ophthalm. and Otology. Januar 1895. 
25. de Lens, Anton in Kiew. Ueber einen neuen Nasendilatator. Wien. med. 
Wochenschr. Nr. 5, 1893. 
26. Kretschmann, Dr. Ein Instrument zur Behandlung grosser Formen 
hypertrophischer Tonsillen. Münch. med. Wochenschr. Nr. 9, 1895. 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 153 


19) Dieses Instrument kann nur von denjenigen gebraucht werden, 
welche ein Luftreservoir besitzen. Der Nasenansatz von Hartgummi 
hat ein konisches Endstück für die Insertion in die Nase. Auf der 
andern Seite kann man einen metallenen Ansatz befestigen, der in die 
automatisch abschliessenden Endstücke der Compressionsapparate hinein- 
passt. G. Bacon. 


20) Randall findet, dass die Indicationen für den Gebrauch des 
Katheters denen für die Einblasung mit dem Politzer’schen Apparat 
ähnlich sind; aber der Katheter ist unbedingt in vielen einseitigen 
Fällen vorzuziehen, ebenso wenn mehr eine medicamentöse Behandlung 
als eine mechanische Lufteintreibung durch die Eustachi’sche Trompete 
und die Pauke erforderlich ist; ferner bei diagnostischen Schwierigkeiten 
der Affectionen der Eustachi’schen Röhre und besonders bei der 
Behandlung der vorgeschrittenen und sklerotischen Fälle, bei welchen 
das Labyrinth mitergriffen ist, und Politzerisiren im Allgemeinen. das 
Gehör und den Zustand verschlimmert. — Er gebraucht zwei Katheter 
von reinem Silber von 3mm resp. 2 mm im äussern Durchmesser. — 
Dämpfe, Sprays und Flüssigkeiten können durch den Katheter hindurch 
applicirt ‘werden. Von medizinischen Dämpfen gebraucht er die von 
Jod: als Spray-, Menthol-, Kampfer in 1 bis 5 °/,iger Lösung und für 
Injectionen von Flüssigkeiten das reine flüssige Vaselin ohne einen 
medicamentösen Zusatz. G. Bacon. 


21) Die Complicirtheit der Apparate scheint mit den zu erreichenden 
Zwecken nicht im Verhältnisse zu stehen. Pollak. 


22) Mit Recht tadelt Bergeat an den gebräuchlichen Stirnbinden 
ihre Unsauberkeit. Er ersetzt sie deshalb durch einen vielfach per- 
forirten Hartgummireifen, der auf einfache Weise (durch Erwärmen 
und auf dem Kopfe erkalten lassen) der Kopfform des Untersuchers 
adaptirt wird. 

Damit die Spiegelfläche des Reflectors durch die einstellende Hand 
nicht beschmutzt wird, befestigt B. an der Peripherie ein Brechplättehen, 
das um den Rand des Reflectors gekrömpt wird. 

Die übrigen Neuerungen erklärt der Titel. 

Zarniko (Hamburg). 

23) Das Instrument besteht aus einem Bohrer von 4!/,mm im 
Durchmesser, welcher in ein stumpfes Sondenende ausläuft. Eine ge- 
krümmte Canüle läuft durch den Handgriff. Der Bohrer ist durch ein 
Kabel, welches durch die Canüle und den Handgriff läuft, mit einem 


154 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


andern sich drehenden Handgriff verbunden, der hinter dem ersten liegt. 
Das Instrument wird mit der Hand bewegt. M. Toeplitz. 


24) Black verkleinert Hypertrophien und Schwellungen der 
unteren Schwellkörper allein durch Entfernung eines kreisförmigen 
Stückes vermittelst des Nasentrepan, welcher 2!/,‘ lang sein muss, um 
den ganzen Körper entlang schneiden zu können. Er behauptet durch 
diese Operation weniger Schaden den Geweben zu stiften, als durch 
irgend eine andere Prozedur. M. Toeplitz. 


25) Der Nasendilatator besteht im Wesentlichen aus 2 Branchen 
von je 11cm Länge, deren nach entgegengesetzten Richtungen ge- 
krümmte Enden dem Instrumente eine ungefähr S-förmige Gestalt 
verleihen. Lens rühmt dem Instrumente nach, dass durch dasselbe der 
Untersuchende den Kopf selbst fixiren kann, und dass im Bedarfsfalle, 
da das Instrument durch ein Stirnband befestigt werden kann, beide 
Hände frei seien. Pollak. 


26) Das zur stückweisen Entfernung der Tonsillen bestimmte In- 
strument hat die Form der Jurasz’schen Zange für Entfernung der 
adenoiden Wucherungen, nur dass der schneidende Theil von 2 inein- 
ander passenden scharfen Ringen nach Art der Krause’schen Doppel- 
cürette gebildet wird. (Abbildung.) Müller. 


Aeusseres Ohr. 


27. Girard, Prof. Ueber eine eigenthümliche Missbildung der Ohren. Correspbl. 
f. Schweizer Aerzte S. 151, 1895. 


28. Burger, H. in Amsterdam. Angeboreu misvorming der Oorschelp en 
Ötoplastick. Niederl. tydschrieft v. Geneesk. 5. Mai 1894. 


29. Gruber, Jos., Prof., Wien. Ein Fall von arigeborener Lücke im Trommel- 
fell und ihre physiologische Bedeutung. Allgem. Wien. med. 7tg. 1894, 
Nr. 5l. 


30. Grove, H. N. An artificial Auricle. Lancet. 2. Febr. 1895. 


3l. Smith, S. W., Cuen. . Furunkulose des äussern Gehörganges. Medical 
News, Januar 1895. 


32. Highet, H. C. Otomycosis. Brit. medical Journal. 9. März 1895. 


| 27) Es handelt sich um eine in der Familie der demonstrirten 
Patientin hereditäre Missbildung, welche Girard als Jagdhundohr 
bezeichnet: Der obere Theil der Muschel ist sehr verlängert und fällt 
lappenförmig herunter, so dass der Eingang zum Meatus dadurch ver- 
deckt wird. Abgesehen von dieser mit der allgemeinen Verdünnung 
des Knorpels theilweise in Zusammenhang zu bringenden Anomalie ist 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 155 


die Ohrmuschel gut ausgebildet; nur ist auf einem Ohr das Läppchen 
rudimentär. G. hat den stärker affıcirten Bruder mit gutem Erfolg 
operirt: er excidirte einen Theil der retroauriculären Umschlagsfalte 
der Cutis, um die Muschel kürzer an den Kopf zu nähen und ver- 
kleinerte den zu stark entwickelten obern Muscheltheil mittelst sichel- 
förmiger Excision aus der ganzen Muscheldecke bei Erhaltung des 
Helix. — Nach des Vortragenden Ansicht wäre es jedenfalls indicirt, 
die Haube wenigstens bei denjenigen kleinen Kindern einzuführen, 
welche eine hereditäre Anlage zu sog. abstehenden Ohren darbieten. 
Siebenmann. 


28) Zwei Fälle von sog. Katzenohr sind von Burger operirt; der 
äussere Gehörgang war einmal nicht — das andere Mal rudimentär 
entwickelt. Die Operation geschah, indem das nach unten vor dem 
Gehörgang iestgewachsene oberste Ende der Muschel lospräparirt — 
und 180° nach oben umgedreht und befestigt wurde. 

Posthumus Meyjes. 


29) Gruber secirte einen Fall von luetischer Erkrankung des 
Nasenrachenraumes, den er auch intra vitam untersuchte. Der obere 
Rachenraum an der rechten Seite zeigte sich von narbigem Gewebe 
begrenzt, in welchem auch nicht die Spur einer Pharyngealmündung 
zu entdecken war. Dabei erwies sich die Paukenhöhle nach Weg- 
nahme des Daches lufterfüllt, die Gehörknöchelchen in natürlicher Lage 
und Beschaffenheit vollkommen beweglich, die Tensor tymp. Sehne 
nicht verkürzt. Am vorderen oberen Quadranten des Paukenfells, ganz 
nahe dem Rande des Gehörganges, fand sich ein über 1 mm im Diam. 
haltendes kreisrundes Loch, dessen Lichtung aber nicht direct nach 
aussen gegen den Gehörgang, sondern nach hinten und oben gerichtet 
ist, so zwar, dass es gegen den äusseren Gehörgang, gleichsam wie von 
einer Klappe, die durch das Trommelfell gebildet ist, verdeckt wird. 
Gruber fasst diese Lücke als angeborene Bildungshemmung auf, die 
in diesem Falle eine Compensation für die unbrauchbar gewordene Tuba 
Eust. bot. Pollak. 


30) Dem Zahnarzte Grove verdanken wir folgende sinnreiche 
Methode der Herstellung und Befestigung einer künstlichen Ohrmuschel : 
Zuerst wird ein Gipsabdruck der Kopfseite genommen, auf diesem wird 
eine künstliche der gesunden gleichende Ohrmuschel aus Wachs angesetzt. 
Nach diesem Wachsmodell wird sodann eine Ohrmuschel aus Vulcanit 
und Aluminium hergestellt und entsprechend der Gesichtsfarbe gefärbt und 


156 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


emaillirt. Die Befestigung am Kopf geschieht mittelst einer gesättigten 
Lösung von Mastix in absolutem Alkohol. 


31) Smith gebraucht locale Applicationen von Camphor-Phenol 
um den Furunkel zu coupiren und hält sich auf Grund seiner über 
mehr als acht Jahre ausgedehnte Erfahrung für berechtigt, sie zu em- 
pfehlen. Eine gelbe Präzipitatsalbe (0,03 : 4,0) kann bei Nachlass der 
Entzündung gegeben werden. Er gebraucht auch andere Mittel bei 
verschiedenen Fällen, so Blutentziehung, antiseptische Irrigationen des 
Gehörgangs und trockene Kälte. Er vermeidet Umschläge und giebt 
Tonika und Alterantia, besonders Solutio arsenicalis Fowleri. Wenn 
eine Operation nöthig ist, macht er eine freie Incision durch den 
Furunkel. G. Bacon. 


32) Nach Highet in Singapore ist die Otomycosis die häufigste 
Affection des äusseren Gehörgangs; er legt besonderen Nachdruck auf 
diese im Vergleich zu Europa grössere Häufigkeit des Vorkommens. 
Den Hauptfactor bildet das Baden in der See. An Complicationen 
kommen vor: diffuse Entzündung des äusseren Gehörgangs, acuter und 
chronischer Catarrh des Mittelohrs, Perforation des Trommelfells, 
Schwellung und Vereiterung der Drüsen, Ekzem des Gehörgangs. Die 
Behandlung besteht in gründlicher Reinigung und localer Anwendung 
von Sublimatalcohol 1,0 : 1000,0. 


Mittleres Ohr. 


33. White, F. Complete Deafness for 24 Yrs. from Eustachian closure; 
perfect recovery after a course of Politzersation. British medical Journal. 
3. March 1895. 

34. Heflebower, B. C., Boston. Die Entfernung der Gehörknöchelchen zur 
Milderung chronischer Taubheit und anderer abnormen Zustände. Med. 
and Surg. Journ. 31. Jan. 1895. 

35. Jack, J. L. Bemerkungen über Stapedectomie. Boston Med. and Surg. 
Journ. 10. Jan. 1895. 

36. Bishop, S. S. Operationen am Trommelfell und den Gehörknöchelchen. 
Laryngitis. Gaillard’s med. Journal, Februar 1895. 

37. Lermoyez et Helme. Les stapylocoques de l’otorrhee. Ann. des mal. 
de lor. du lar. et du phar. Jan. 1895. 

38. Meyjes, Posthumus in Amsterdam. Behandeling von acute middenoor- 
ontsteking. Med. Weekblad von Noord and Zuid Nederland. 9. Juni 1894. 

39. Nichols, J. E. H. Die trockne Behandlung der otitis media purulenta 
(Vortrag, gehalten vor der Medical Society of the State of New York). 
N. Y. med. Journ. Febr. 1895. 


40. 


41. 


42. 


43. 


44. 


45. 


46. 


47. 


49. 


50. 


öl. 


52. 


99. 


95. 


56. 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes,. 157 


Müller, J., Karlsbad. Ueber die abortive Wirkung der frühzeitigen. 
Paracentese auf die acute Mittelohrentzändung. Wiener med. Wochenschr. 
1894, Nr. 43, 44 u. 49. 

Kutscher. Ueber die Aetiologie einer im Verlauf von Rachendiphtherie 
entstandenen Otitis media. Deutsche med. Wochenschr. 1895, Nr. 10, 
Guranowski, L., Warschau. Ein Fall von tuberkulöser Otitis media, 
nebst einigen Bemerkungen über tuberkulöse Mittelohrprocesse. Monats- 

schrift für Ohrenheilk. 1894, Nr. 12. 

Stewart, J. H. Vernünftige chirurgische Behandlung der Mittelohr- 
erkrankungen. Northwestern Lancet, März 1895. 

Oknneff, W. N. Ueber Anwendung des Acidum trichloraceticum bei 
chronischen eitrigen Entzündungen des Mittelohres. Monatsschr. f. Ohren- 
heilk. 1895, Nr. 1. 

Park, J. Walter. Ein Fall von acuter eitriger Mittelohrenentzündung mit. 
zwei Anfällen von doppelseitiger neuritis optica ohne Complication von 
Seiten des Warzenfortsatzes; häufiges Delirium, zwei Operationen. Heilung. 
Annals of Ophthalm and Otol. Januar 1895. 

Broca et Lubet-Barbon. Les suppurations de l’apophyse mastoide et 
leur traitement. Paris 1895. 

Stout, G. C. Zwei Fälle von Abscess des Warzenfortsatzes nach acuter 
Mittelohrentzündung. Operation. Heilung. Philadelphia. Polyclinic. 
9. Febr. 1895. 


. Baker, Chas. H. Ein Fall von combinirter Antrum und Warzenfortsatz- 


erkrankung. N. Y. Med. Record. März 1895. 

Friedenwald, Harry. Labyrinthnecrose. Bericht über einen Fall von 
Eröffnung des Warzenfortsatzes, Küster’'sche Operation. Schliesslich. 
spontane Elimination eines Theiles des Labyrinthes. N. Y. med. Journ. 
Februar 189. 

Zaufal, E., Prof., Prag. Zur Hautplastik in Verbindung mit der radi- 
calen Freilegung der Mittelohrräume. Prag. med. Wochenschr. 1895, 
Nr. 16. 

Morris, John L. Ein Fall von Kleinhirnabscess. Sinusphlebitis und 
otitis media purulenta. Journ. Amer. med. Assoc. 16. März 1895. 

Pollak, Jos., Wien. Beitrag zur Lehre vom otitischen Hirnabscess. Wien. 
med. Presse 1894, Nr. 49. 

Enlenstein, H., Frankfurt a. M. Mittheilungen über den tiefen Hirn- 
abscess bei acuten Erkrankungen im Schläfenbein nebst Bericht über 
einen operativ geheilten Fall von Gehirnabscess. Monatsschr. f. Ohren- 
heilk. 1895, Nr. 3. 


. Ballance, C. A. A case of cerebellar abscess secondary to middle ear 


suppuration. Operation. Recovery. British med. Journ. 16. March 1895. 
Mourray, R. W. Three cases of intracranial abscess, Recovery in each case 
Brit. med. Journ. 5. Jan. 1895. 


Etans, O. C. Cerebral abscess in Frontal lobe secondary to middle ear 
snppuration. British med. Jour. 23. March 1895. 


158 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


57. Joël. Beiträge zur Himchirurgie. D. med. Wochenschr. Nr. 8, 1895. 

58. Reinhard. Beitrag zur operativen Behandlung der otitischen Sinusthrom- 
bose mit allgemeiner Pyaemie. D. med. Wochenschr. Nr. 13, 1895. 

59. Morton, C. A. A case of Otitic Pyaemie. British med. Journ. 5. Jan. 1895. 


33) White berichtet über einen Fall, in dem 24 Jahre lang 
complete Taubheit in Folge Verschlusses der Eustachi’schen Röhre 
bestanden hatte und nach fortgesetzter Anwendung des Politzer’schen 
Verfahrens völlige Wiederherstellung eintrat. 35jährige Person; taub 
seit dem 9. Jahr, so dass auf keinem Ohr irgend etwas gehört wurde; 
nach 3monatlicher täglicher Anwendung des Politzer’schen Verfahrens 
Hörvermögen normal, dabei deutliche Zunahme der geistigen Fähigkeiten. 
Vor der Behandlung las Patientin gut von den Lippen ab und war auch 
einer beschränkten Anzahl von Worten mächtig, nach Herstellung des 
Gehörs verstand sie Lautsprache überhaupt nicht. 

34) Heflebower hält diese Operation sowohl bei Taubheit, als 
auch bei Kopfschmerz, Schwindel, Ohrensausen etc., welche diesen 
Zustand begleiten, bei Adhäsionen, chronischer Eiterung aus dem Mittel- 
ohr, besonders wenn die Knöchelchen nekrotisch sind, für indizirt. 

G. Bacon. 

35) Jack schliesst seinen Artikel, indem er die Resultate seiner 
persönlichen Erfahrungen während zweier Jahre in Erwägung zieht, mit 
der Angabe: 1. Dass die besten Resultate für das Gehör in Fällen 
von frühzeitiger Entfernung des Knochens erreicht worden sind und 
dass die Operation bei Fällen von otitis media insidiosa (sclerosis) von 
geringem Werth ist. 2. Dass Fälle von chronischem Ohrenschwindel 
für immer durch Befreiung des Steigbügels oder durch Extraction des 
Knochens selbst gebessert worden sind. 3. Dass bei Fällen von nicht- 
eitriger Erkrankung des Mittelohrs, sowie bei jener Classe von Fällen, 
welche aus einem chronischen eitrigen Process resultiren, die chirurgische 
Mobilisirung erst versucht werden muss, bevor die Entfernung des Steig- 
bügels vorgenommen wird. 4. Dass die meisten Operationen zur Mobili- 
sirung des Steigbügels oder Befreiung des ovalen Fensters für durchaus 
experimentell angesehen werden müssen, und dass in vielen Fällen eine 
Fraktur der Schenkel bei den Extractionsversuchen mit Zurücklassung 
der Fussplatte erfolgt. G. Bacon. 

36) Bishop stellte einen Patienten vor, dessen Trommelfell und 
Hammer von einem Chirurgen vor zwei Jahren entfernt worden waren, 
ohne dass Verbesserung des Gehörs oder des Ohrensausens erfolgt war. 
Er glaubt, dass es gewisse Fälle gäbe, welchen durch diese Operation 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 159 


genützt werden könne, nämlich, diejenigen, bei welchen das percipirende 
Organ nicht mitergriffen ist, und wenn der Verlust des .Gehörs gänzlich 
auf dem erkrankten Zustand des Leitungsapparats' beruht. 

G. Bacon. 

37) Aus den bakteriologischen Untersuchungen von L ermoyez 
und Helme geht hervor, dass die meisten acuten Mittelohrentzündungen 
durch nur einen Mikroorganismus bedingt sind. Am meisten finden 
sich Streptokokken und Pneumokokken. Andere Mikrobenarten ge- 
sellen sich oft zu ihnen, aber — und das ist wichtig — sie erscheinen 
erst, wenn die Trommelfellperforation eingetreten ist. Das Auftreten 
von Staphylokokken würde für die Verf. ein Beweis der Chronicität 
des Leidens sein. Sie dringen durch den Gehörgang und nicht durch 
die Tube ein. Sie können schon vorher da vorhanden sein, werden 
aber gewöhnlich durch Instrumente oder Verbandstoffe eingebracht. 
Das gilt besonders für die Wattetampons. Um diese gut zu sterilisiren 
haben die Verff. ein einfaches Mittel gefunden; sie empfehlen den wie 
gewöhnlich erneuerten Watteträger in Alkoholborsäurelösung zu tauchen 
und dann anzubrennen. Dadurch sterilisirt sich die Watte in wenigen 
Secunden, ohne ihre hydrophile Eigenschaft zu verlieren. 

38) Posthumus Meyjes meint, man solle in Fällen von acuter 
Otitis media weder in den äussern Gehörgang spritzen, noch das 
Politzer Verfahren üben. Das blosse Eintröpfeln von Antiseptica 
(Sublimat) in das Ohr genügt, wenn das Trommelfell spontan durch- 
brochen, — oder durch Paracentese, welche möglichst früh gemacht 
werden soll, reichliche Secretion eingetreten ist. Erst Ende der zweiten 
Woche darf man Politzern, wenn das Gehör indessen noch nicht 
vollständig normal ist. Dass er bei einigen hunderten Fällen niemals 
Complicationen von Seiten des Proc. mast. wahrnahm, — ausser leichten 
Entzündungen, welche durch Anwendung von Jod und Watte-Verband 
bald heilten — schreibt er dem Unterlassen von Einblasungen und Ein- 
spritzungen zu. Posthumus Meyjes. 

39) Nichols gebraucht eine passende Spritze und Wasserstoffsuper- 
oxydlösung, um das Ohr zu reinigen und die Secrete sofort bei ihrer 
Bildung zu entfernen. Die Ohren müssen im frühen Stadium wenigstens 
zwei Mal wöchentlich inspicirt werden, bis die schlimmen Symptome 
gemildert sind. Kleine Perforationen im Trommelfell müssen wegen 
ordentlicher Drainage erweitert werden. Cüretten müssen zur Ent- 
fernung von Granulationen, necrotischen Gewebes etc., und Kaustika 
mässiger Stärke nachher angewandt werden. Als Astringentien empfiehlt 

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXVII. 11 


2 


160 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


er Alumnol und absoluten Alkohol. Europhen und Jodoform hält er 
für nachtheilig. - Geeignete Behandlung der Nase und des Nasenrachen- 
raums muss eingeleitet werden. G. Bacon. 

' 40) Müller empfiehlt die frühzeitige Paracentese bei allen nicht 
complieirten (Tuberkulose, Diabetes) Mittelohrentzündungen, da sie anti- 
phlogistisch schmerzstillend und abortiv wirke. Pollak. 

41) Es ist Kutscher gelungen, aus dem ÖOhreiter eines an 
schwerer Hals- und Rachendiphtherie leidenden 2!/,jährigen Knaben die 
Diphtheriebacillen fast in Reincultur zu züchten, ausserdem waren nur 
ganz vereinzelte Culturen des Staphylokokkus aureus zur Entwickelung 
gekommen. Verf. zweifelt nicht daran, dass der Diphtheriebacillus der 
Erreger der Mittelohreiterung gewesen sei. . Noltenius. 

43) Gestützt auf mehrere Fälle eigener Beobachtung und unter 
eingehender Verwerthung der Literatur giebt Guranowski eine über- 
sichtliche Darstellung der vom Mittelohr ausgehenden tuberkulösen Ent- 
zündungen. Bei der Diagnose betont er besonders das schmerzlose Auf- 
treten von Trommelfellperforationen, welchen rascher Zerfall der ganzen 
Membran und Caries der Gehörknöchelchen und des Warzenfortsatzes 
folgt, bei gleichzeitigem Bacillengehalt des Ohreiters und tuberkulösen 
Erkrankungen anderer Organe. Letztere fehlten in einem von G.’s 
Fällen anfangs gänzlich, so dass die Tuberkulose anscheinend im Ohre 
ihren Anfang nahm. Killian. 

43) Stewart hält es für sehr wichtig den Sitz der Erkrankung, 
anzugreifen. Wenn die Gehörknöchelchen cariös sind, dann müssen sie 
entfernt und jeder Fall muss nach echt chirugischen Grundsätzen be- 
handelt werden. G. Bacon. 

44) Okuneff bringt nach vorheriger Cocainisirung die Trichlor- 
essigsäure in Krystallform an die zu ätzenden Theile und spritzt darnach 
aus. Durch öftere Wiederholung dieser Procedur hat er in 38 von 
42 Fällen von chronischer Ohreneiterung Aufhören ‘des Ausflusses 
und in mehr als der Hälfte der Fälle Vernarbung der Trommelfellper- 
forationen erzielt. Killian. 

45) Park berichtet über einen Fall unter diesem Titel und zieht 
die folgenden Schlüsse: 1: Neuritis optica kann in den frühen Stadien 
von acuter eitriger Mittelohrentzändung vorhanden sein und der Augen- 
spiegel muss daher in allen acuten und chronischen Fällen von Otitis 
media gebraucht werden. 2; Symptome, welche Gehirnabscess und 
Sinusthrombose vortäuschen, können durch directe septische Infection 
vom Mittelohr aus hervorgerufen werden. 3. Man muss in allen acuten 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 161 


Fällen gründliche Drainage herstellen, und wenn auf Nachlass der 
acuten Symptome und nutzloser Erschöpfung jeder Behandlung, die 
Eiterung nicht aufhört, cürettire man die Trommelhöhle, wodurch man 
in.den meisten Fällen weitere Infection verhütet. 4. Da bei Symptomen, 
welche Gehirnabscess etc. vortäuschen, diagnostische Irrthümer leicht 
vorkommen können, so cürettire man jedenfalls als Vorsichtsmassregel 
zuerst und entferne alle cariösen und necrotischen Knöchelchen und 
erkrankten Beimischungen, wodurch man oft jede weitere operative 
Maassregel unnöthig macht. — Wenn jedoch trotzdem noch Complicationen 
von Seiten des Gehirns bestehen, so eröffne man den Warzenfortsatz 
und dann, wenn auch dies ohne Erfolg ist, eröffne man den Schädel 
nach den Indicationen der Symptome. G. Bacon. 

46) Aus dem Zusammengehen der beiden auf ihren Specialgebieten 
ausgezeichneten Verff. resultirt eine sehr exacte Darstellung alles dessen, 
was bezüglich der Warzenfortsatzentzündungen die neueren Forschungen 
ergeben haben. Der Arbeit liegt ein Krankenmaterial von 128 Fällen 
mit insgesammt 143 wegen acuter oder chronischer Eiterung ausge- 
führter Operationen zu Grunde. Cholesteatome und andere Erkrankungen 
sind ‘von der Betrachtung ausgeschlossen. Die pathologisch-anatomischen 
Beobachtungeu der Verff. stehen ganz auf dem Standpunkt, dem wir 
auch seit lange in deutschen Arbeiten begegnen, so bezüglich des Um- 
standes, dass iede acute Otitis fast stets von einer Mastoiditis begleitet 
ist, dass dabei das Antrum eine bedeutsame Rolle spielt u. s. w. Bei 
den Verbreitungswegen des Eiters werden ausführlich jene Periostitiden 
besprochen, die sich vom Mittelohr aus — ohne intermediäre Erkran- 
kung der pneumatischen Zellen — längs des Gehörgangs über dem 
Warzenfortsatz entwickeln. Eine Osteomyelitis ähnlich der an den 
langen Röhrenknochen negiren auch die Verff. Sehr prägnant sind 
in dem Capitel Diagnose die verschiedenen differentialdiagnostistisch 
wichtigen Punkte hervorgehoben. Bezüglich einer Warzenfortsatzeiterung, 
die nicht durch .vorausgehende Mittelohrentzündung hervorgerufen wäre, 
verhielten sich die Verf. sehr skeptisch, zeigen weiterhin an zwei 
Krankengeschichten die Möglichkeit der scheinbar spontan entstehenden 
condensirenden ÖOsteitis der Apophyse des Woarzenfortsatzes. In recht 
präciser Form sind die Capitel über die therapeutischen Maassnahmen 
abgefasst, sie empfehlen die Trepanation bei den acuten Formen, indem 
sie betonen, dass die einfachen Wilde’sche Operationen immer nur pal- 
liativ wirken können, und verlangen für die chronischen Formen stets 
eine exacte Freilegung des Antrum und des Aditus ad antrum. Die 

11* 
® 


162 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


Methoden selbst sind eingehend geschildert und wie die ganze Arbeit 
durch instructive Krankengeschichten illustirt. Eine übersichtliche sta- 
tistische Gruppirung des selbst beobachteten Krankenmaterials beschliesst 
die lesenswerthe Arbeit. Zimmermann (Dresden). 
47) Im ersten Falle wurde eine Oefinung im Wearzenfortsatze von 
der Grösse eines Stecknadelkopfes gefunden. Dieselbe wurde erweitert 
und die Abscesshöhle von Eiter und Granulationen gereinigt. Der 
Patient wurde bald geheilt. — Im zweiten Falle erfolgte die Ruptur 
des Abscesses in der Fossa digastrica, wodurch ein Abscess am Halse 
entstand. Druck auf den letzteren veranlasste den Eiter durch die 
Oeffnung im Wearzenfortsatz herauszuquellen. Eine Operation wurde 
ausgeführt und der Patient geheilt. G. Bacon. 
48) In diesem Falle rührte die acute Otitis media purulenta vom 
Aufschnaufen kalten Wassers aus der Handfläche her, wobei etwas 
davon in die Eustachische Röhre und die Pauke gerieth. Es wurde 
dann nothwendig, die Warzenfortsatzzellen zu eröffnen. G. Bacon. 
49) Die vierjährige Patientin kam zuerst im October 1890 zur 
Beobachtung, als sie an einer linksseitigen Otitis media purulenta chro- 
nica litt. Sechszehn Monate vorher hatte sie Scharlach und Diphtherie 
und seitdem eiterte das linke Ohr beständig. Eine Untersuchung stellte 
die Anwesenheit von Eiter im äussern Gehörgang und einen grossen 
Polypen daselbst fest. Der Polyp und ein Knochenstück wurden ent- 
fernt. Die Patientin hatte bald darauf einen Schüttelfrost, an den sich 
eine Temperatur von 103° F. anschloss. Da Symptome von Eiter- 
retention sehr deutlich waren, so wurde am 7. November 1890 eine 
Operation ausgeführt und ein tiefer Abscess im Warzenfortsatz gefunden. 
Die Wände desselben wurden ausgekratzt. Der Polyp stellte sich wieder 
ein, die Eiterung blieb bestehen und dabei waren Zeichen von Caries 
im Mittelohre vorhanden. Küster’s Operation wurde im April 1892 
ausgeführt und eine cariöse Höhle freigelegt und so gründlich als mög- 
lich ausgekratzt. Es wurde kein Sequester gefunden. Die Eiterung 
kehrte wieder und blieb trotz täglicher Ausspritzungen etc. und Ent- 
fernung von Polypen bis Mai 1894 bestehen, als .ein Sequester sich 
seinen Weg bis in den äusseren Gehörgang bahnte und sich nach seiner 
Entfernung, als ein Theil eines halbzirkelförmigen Canals von 7 mm 
Länge, 2!/, mm Weite und 4 mm Dicke erwies. G. Bacon. 
50) Zaufal berichtet über fünf nach Körner’s Methode operirte 
Fälle und hält sich nach den bisher erzielten Resultaten für verpflichtet, 
von nun an in allen geeigneten Fällen die Körner’sche Plastik in 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 163 


Verbindung mit der radicalen Freilegung der Mittelohrräume zu ver- 
suchen, um zu einem Schlussurtheile zu gelangen. Pollak. 


51) Die gegenwärtige Krankheit des 27jährigen Patienten begann ' 
4 Wochen vor der Aufnahme ins Hospital (welche am 4. October 1894 
erfolgte), mit plötzlichen Schmerzen im linken Ohr und einem darauf 
folgenden Schüttelfrot. Am dritten Tage dieser Erkrankung erbrach 
er und setzte dies jeden folgenden Tag fort. Vier Tage später bekam 
er einen zweiten Schüttelfrost, welcher von 10tägigem Delirium gefolgt 
war. Während dieser Periode hatte er mehrere Schüttelfröste, aber 
keine Ohrenschmerzen. Bei der Aufnahme war der Puls 66, die Tempe- 
ratur subnormal, Respiration 20. Keine empfindlichen Stellen um das 
Ohr oder am Schädel, aber übler Geruch vom linken Gehörgang: Vena 
jugularis interna der linken Seite fühlte sich wie ein Strang und ge- 
schwollen an. Am 12. October hatte er Strabismus convergens und 
Diplopie; der linke Rectus externus war gelähmt; die linke Pupille 
war von unregelmässiger Form. Er starb am 15. October. Section: 
Es wurde im vorderen Theile der linken Hemisphäre des Kleinhirns 
ein Abscess von der Grösse einer englischen Wallnuss gefunden. Die 
Furche für den Sinus lateralis (links) war ungefähr auf eine Entfer- 
nung von 2!/, cm oberhalb und unterhalb des Abscesses mit plastischen 
_ phlebitischen Producten angefüllt. Das Innere des Felsenbeins enthielt 
eingedickten Eiter. G. Bacon. 


52) Pollak berichtet über einen Fall von spontanem Durchbruch 
eines Hirnabscesses in die durch eine typische Mastoidoperation gebildete 
Höhle. Der Symptomencomplex, auf dessen Grundlage die Diagnose: 
Hirnabscess im rechten Schläfelappen gestellt wurde, war: Bewusstlosig- 
keit, Lähmung der linken oberen und linken unteren Extremität, 
Cheyne-Stokes’sches Athmen, Parese des linken Facialis, beiderseitige 
Pupillenstarre, Mydriasis, leichte Ptosis des rechten Augenlides. Diese 
Erscheinungen schwanden nach Durchbruch des Abscesses. Der Kranke 
genas vollständig. P. schlägt schliesslich vor, in solchen Fällen, wo 
der Verdacht auf Hirnabscess im Schläfelappen vorliegt, sofort bei 
der Mastoidoperation die Dura am Tegm. mast. freizulegen und eine 
 Probeincision zu machen. Pollak. 


53) Statistische Bearbeitung der bisher bekannt gewordenen 18 Fälle 
von Hirnabscess nach acuten Ohr- bezw. Schläfenbeinerkrankungen und 
ausführliche Beschreibung eines selbstbeobachteten Falles, aus der wir 
Folgendes hervorheben: Ein 45 Jahre alter Mann erkrankte nach In- 


164 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


fluenza an. einer acuten, isolirten Entzündung des rechten Warzenfort- 
satzes. Aufmeisselung. Die vorher sehr quälenden Kopfschmerzen in 
.der rechten Kopfhälfte dauern fort. Nach 5 Wochen vermehrte Schmerzen, 
Singultus, Schwäche und Herabsetzung von Tast- und Temperatursinn 
im linken Arm und Bein, welche sich kühler anfühlen, Abnahme des 
Gehörvermögens links, keine Somnolenz, kein Fieber. Später Facialis- 
parese, Erbrechen. Operation: grosser Schläfelappenabscess. Im weiteren 
Verlaufe Wiederkehr schwerer Symptome wegen Eiterverhaltung. Er- 
neute Eröffnung. Ausgang in Heilung. Killian. 


54) 15jähriger Junge. Otorrhoe links seit 9 Jahren; seit 5 Wochen 
Kopfweh, taumelnder Gang, Schwindel, Erbrechen, Nystagmus, subnormale 
Temperaturen. Bei der Operation Entleerung einer halben Unze Eiters 
aus dem vorderen Theil der linken Kleinhirnhemisphäre; in der Folge 
Bildung eines Blutcoagulums an Stelle des Abscesses, mit Rückkehr der 
früheren Symptome; nach Entfernung desselben völlige Genesung. 


55) Mourray berichtet zuerst über den weiteren Verlauf eines 
von ihm operirten und im Brit. med. Journal, Januar 1892, ver- 
öffentlichten Falles von Gehirnabscess; die Lähmung in Arm und Bein 
ist verschwunden und der Patient ist seitdem körperlich und geistig 
gesund geblieben. Von den beiden anderen Fällen betrifft der eine 
einen Abscess im Temporo-Sphenoidallappen im Gefolge von acuter Otitis, 
der zweite einen Kleinhirnabscess. — Diese Fälle sind im Auszug ver- 
öffentlicht in den Archives Bd. XXIV, S. 115. 


56) Sechzehnjähriges Mädchen ; Otorrhoe rechts seit 2 oder 3 Jahren. 
Einen Monat bevor Evans die Patientin sah, Anfall, dabei 2 oder 
3 Stunden bewusstlos, mit Zuckungen in der linken Gesichtshälfte, linkem 
Arm und Bein; Kopfweh nach dem Anfall schlimmer; sonderbares Wesen 
seit 2 Jahren. Seit dem Anfall Strabismus internus rechts mit Doppel- 
sehen; heftige Schmerzen, in der Stirngegend, lancinirende Schmerzen 
im rechten und gelegentlich im linken Arm; Neuritis optica beiderseits ; 
Fehlen der Plantar- und Cremasterreflexe. Temperatur normal, Puls 72. 
Es trat Erbrechen ein, die Schmerzen steigerten sich, der linke Arm 
wurde paretisch, Patientin delirirte und wurde schliesslich halbcomatös. 
— Trepanation über dem rechten Temporo-Sphenoidallappen, Einführung 
der Aspirationsspritze in die Tiefe; Entleerung von 3!/, Unzen stinken- 
den schmierigen Eiters. Vier Tage später Tod. Die Section ergab einen 
hühnereigrossen Abscess im rechten Stirnlappen mit gut abgegrenzter 
l/a Zoll dicker Wandung. 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 165 


57) 1. Achtzehnjähriger Zimmergeselle leidet angeblich erst seit 
3 Wochen an Otorrhoe und Mastoiditis. Die Aufmeisselung lässt keine 
Erkrankung des der Dura anliegenden Knochens erkennen. Gleichwohl 
heilt die Wunde nicht aus. Drei Monate später zweite Operation, die 
einen bis zur Dura reichenden Sequester entfernt. Die sich steigernden 
Beschwerden (Kopfschmerzen, Schwindel, Pulsverlangsamung, schliesslich 
Stauungspapille) machen einen dritten Eingriff nothwendig, bei dem ein 
Abscess des Schläfelappens gefunden und entleert wird. Pat. wird geheilt. 
2. Elfjähriger Knabe leidet seit Jahren an fötider Otorrhoe mit 
Perforation der Shrapnell’schen Membran. Bei der Herausnahme des 
cariösen Hammers kann eine Erkrankung des Kuppelraumes nicht nach- 
gewiesen werden. Nach einigen Wochen plötzliche Verschlimmerung: 
Erbrechen, Besinnungslosigkeit, Krampfanfälle. Bei der Operation zeigte 
sich der der Dura anliegende Knochen und diese selbst gesund, da- 
gegen starker intracranieller Druck. Vielfache Incisionen in das Gehirn 
mit einem schmalen Bistouri führten nicht zur Entdeckung des ver- 
mutheten Hirnabscesses. Gleichwohl schwanden die bedrohlichen Symptome 
und der Knabe genas. Verf. nimmt an, dass es sich um Leptomenin- 
gitis gehandelt habe. Noltenius. 

58) Zunächst bespricht Verf. in extenso die Pathogenese dieser 
Krankheitsform und beschreibt dann zwei genau beobachtete, sehr schwere 
und operativ geheilte Fälle, von denen er den einen schon auf dem 
Congress in Bonn vorgestellt hat. In Anmerkung wird noch ein weiterer 
mit gleichem Erfolg behandelter Fall erwähnt. Im ersten der beiden 
Fälle fand sich zunächst nur ein stinkender Eiterherd in den Mittelohr- 
und Warzenfortsatzräumen, ohne Hinweis auf eine intracranielle Secun- 
därerkrankung; erst als man wegen Fortbestehen des ganzen schweren 
Symptomencomplexes zu einer zweiten Operation schritt. fand sich hinter 
der schwarzgrau verfärbten Dura, die auch nicht mehr pulsirte, ein 
Sinusabscess, der an beiden Enden durch schmierig eitrige Thromben 
begrenzt war. Ausräumung und feuchte Jodoformgazetamponade. Der 
zweite Fall zeigte ausser dem ursächlichen Herd schon multiple cariöse 
Defecte im Knochen und der Sinuswand; der Sinusabscess selbst hatte 
sich schon nach aussen entleert und war nach oben und unten durch 
schmierige Thromben abgeschlossen. Wegen fortbestehender pyämischer 
Erscheinungen wurde in einer zweiten Sitzung noch die Jugularis unter- 
bunden und weiterhin, da inzwischen auch das bis dahin gesunde Ohr 
verdächtige Symptome aufwies, auch dieses operirt, doch ohne etwas zu 
finden. Beide Fälle wurden schliesslich mit trockenem Ohr und per- 


166 Bericht über die Fortschritte der. Ohrenheilkunde. 


sistenter retroauricularer Fistel geheilt entlassen. Epikritische Bemer- 
kungen und die Mahnung, das „laufende Ohr“ als eine folgenschwere 
Krankheit anzusehen, beschliessen den Aufsatz. Zimmermann. 

59) Morton unterband die V. jugul. interna, der Kranke starb 
jedoch an diffuser Peritonitis in Folge Durchbruchs eines pyämischen 
Milzabscesses, 


Nervöser Apparat. 


60. Dalby, W. B. Sir. Hysterical (so called) and Functional Deafness. Brit. 
med. Journ., 16. March 1895. 

6l. Mackenzie, H. A Case of Hysterical Deafness. Brit. med. Journ., 
4. March 1895. 

62. Ransom, W. B. A Case of Functional Deaf-Mutism. Brit. med. Journ., 
2. March 1895. 

63. Ménière. Observation de surdité complète dans le cours d'une leucocythémie. 
Bull. et mem. de la soc. de laryng. d’otol. etc. Paris, Jan. 1895. 

64. Gradenigo, J., Turin. Partielle erworbene Tontaubheit. Intern. klin. 
Rundschau 1894, No. 44. 


60) Dalby erwähnt zunächst den Fall einer 19jährigen Dame, 
die ohne Ursache plötzlich das Gehör verlor und ebenso plötzlich wieder 
erlangte. Er verwirft den Ausdruck ‚„hysterische Taubheit“, denn wenn 
es sich um einen speciellen Sinn, wie das Gehör, handle, könne ein 
Patient nicht unter der Impression stehen, dass er nicht höre, da die 
Function ja eine unfreiwillige sei, im Gegensatz zur hysterischen Läh- 
mung eines Gliedes, und da der Gehörsinn vollkommen fungire, sei es 
unrichtig, von „‚functioneller Taubheit‘“ zu sprechen. Er giebt dann 
Beispiele von wahrer functioneller Taubheit in Folge von heftigen Ge- 
müthsbewegungen u. s. w. und constatirt weiterhin, dass diese letzt- 
genannten Fälle dazu beitragen, zu beweisen, dass es ebenso wenig 
wirklich hysterischen Verlust des Gehörs geben kann, wie hysterischen 
Verlust des Geruchs oder’irgend eines anderen speciellen Sinnes. 

61) Sechzehnjähriges Mädchen, erkrankte im Januar '1892 an 
leichter Influenza, in deren Gefolge Schmerzen im linken Ohr auftraten. 
Es wurde das Politzer’sche Verfahren angewandt ; dasselbe verursachte 
heftigen Schmerz und war unmittelbar von Taubheit gefolgt. Aus dem 
linken Ohr entleerte sich einige Tage lang grünliche Flüssigkeit. Später 
stellte sich Schwäche in den Gliedern und Anästhesie im Bereich des 
Nackens ein. Im März 1893 Weir-Mitchell’sche Kur; Gewichts- 
zunahme, aber keine Hörverbesserung; allmälig wurde der Gebrauch 
der Glieder wieder erlangt. Noch 2 Jahre später vollständige Taubheit 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 167 


rechts und annähernd vollständige links; allmälig stellte sich das Gehör 
wieder ein. | 

62) Ransom theilt einen Fall von functioneller Taubstummheit 
mit: Ein 19jähriger junger Mann erwachte eines Morgens complet taub 
und stumm; dabei war er völlig vernünftig, er verkehrte mit seiner 
Umgebung mittelst einer Schiefertafel. Ein Jahr vorher war plötzlich 
eine Parese des rechten Armes aufgetreten, die 3 Wochen dauerte. 
Auch beim lautesten Geräusch, unerwartet hinter seinem Rücken gè- 
macht, wurde beim Patienten kein Zucken bemerkt, dagegen schien 
er gelegentlich einfache in seinem Angesicht gegebene Anweisungen, 
wie man sie von einem Arzt etwa erwarten mag, zu verstehen. Da- 
neben wurde Anästhesie des weichen Gaumens und Fehlen des Gaumen- 
reflexes beobachtet. Nach Verlauf von 14 Tagen wurde auf den Larynx 
der 'Faradische Strom applicirt und Sprache und Gehör kehrten augen- 
blicklich wieder. 

63) Bei einer 43jährigen Dame, die an schwerster Leukocythämie 
litt, trat während einer Besserung dieser Krankheit Schwindel, Ohren- 
sausen und Erbrechen 'ein. Das rechte Ohr ertaubte in wenigen 
Tagen, das linke wurde allmälig immer schwerhöriger. Beiderseits weder 
alte noch frische Veränderungen. Verf. erwähnt den Fall wegen seiner 
Seltenheit und dann, um anderen Autoren gegenüber wieder zu betonen, 
dass sich in seinen Fällen von Meniere’scher Krankheit nie Abnormi- 
täten im Mittelohr gefunden hätten. ‘ Zimmermann. 

64) In einem der Fälle war die Erkrankung congenital, im zweiten 
handelte es sich um Neuritis des N. acust., möglicherweise in Folge 
eines intracraniellen Gumma; im dritten wahrscheinlich um eine trau- 
matische Haemorrhagie in der Schnecke. Pollak. 


Nase und Nasenrachenraum. 


65. Scheff, Gottfried, Wien. Beiträge, zur. Anatomie und: Physiologie der 
Nase. Der Weg des Lufstromes in der Nase. Intern. klin. Rundschau 
1894, Nr. 40 u. 42. ` 

66. Wroblewski, Wladyslaw in Warschau. Ueber die Anwendung des Anti- 
pyrins als Anaestheticum bei Krankheiten der Nase, des Rachens und 
des Kehlkopfes. Arch. f. Laryngol. I. 3. 

67. Hedderich, L. (aus der Jurasz’schen Klinik zu Heidelberg). Ein neues 
Hämostaticum Ferripyrin. Münch. med. Wochenschr. Nr. 1, 1895. 

68. Schech, Prof., München. Ueber Mund- und Nasenathmung. Münch. med. 
Wochenschr. Nr. 9, 1895. l 

69. Mink, P. J. in Amsterdam. Die Gefahren der Nasendouche. Medisch 
Weekblad voon Noord en Zuid Nederland. 5. Mai 1894. 


168 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


70. Brodie & Regers. Acute Specfic Rhinitis, South African medical Journ. 
November 1894. | 

71. Felsenthal, Dr. in Mannheim. Zur Lehre von der Rhinitis fibrinosa. 
Münch. med. Wochenschr. Nr. 3, 1895. 

72. Fournier. Chancre de la pituitaire. Höpital. S. Louis Clinique du Prof. 
Fournier. 

73. Beausoleil. Étude sur l’etiologie et la pathogenie du coryza caseeux. 
Rev. de laryngol., d’otol etc. 1895, 12. 

73a. Löwenberg. Le microbe de l’Ozene. Annales de l'Institut Pasteur. 
25. Mai 1894. 

74. Heller, Dr. Nürnberg. Pharyngotherapie. Ein Beitrag zur Behandlung 
der Infectionskrankheiten. Münch. med. Wochenschr. 1894, Nr. 44. 

75. Ziem, Dr., Danzig. Nasenleiden bei Infectionskrankheiten. Münch. med. 
Wochenschr. Nr. 49, 1894. 

76. Ziem, Dr., Danzig. Nochmals die Erkrankungen der Nase bei Infections- 
krankheiten, besonders auch bei Diphtherie. Münch. med. Wochenschr. 
Nr. 8, 1895. 

77. Bresgen, Dr., Frankfurt a. M. Die Nasenkrankheiten bei Schulkindern. 
Münch. med. Wochenschr. Nr. 1, 1895. 

78. Martin, William. Interessante rhinologische Fälle. Medical News, 

i 26. Januar 1895. 

79. Meyjes, W., Posthumus in Amsterdam. Over Nasalstenose en have be- 
handeling 1894. 

80. Schadewaldt. Der blutende Polyp der Nasenscheidewand. Arch. für 
Laryngol. Bd. I, St. 3. 

8l. Alexander, Arth. Bemerkungen zur Anatomie des Hlatenden Septum- 
polypen. Ibid. 

82. Scheier. Beitrag zu den blutenden Polypen der Nasenscheidewand. Ibid. 

83. Heymann, P., Berlin. Zur Lehre von den blutenden Geschwülsten der 
Nasenscheidewand. Ibid. | 

84. Réthi, L., Wien. Blutender Polyp der Nasenscheidewand. Wiener med. 
Presse 1894, Nr. 46. 

85. Spiess, Gustav, Frankfurt a. M. Zur: Behandlung der Verbiegungen der 
Nasenscheidewand. Arch. f. Laryngol., Bd. I, H. 3. 

86. Loeb, W. Hanau. Doppelte Atresie der Nasenlöcher in Folge von Pocken. 
Journ. Amer. Med. Assoc. 19. Januar 1895. 

87. Hopmann, Cöln. Zwei weitere Fälle von completer einseitiger Choanal- 
atresie. Arch. f. Laryngol. Bd. I, H. 3. 

88. Bergeat, München. Die Verkleinerung von Sequestern in der Nasenhöhle 
und von Rhinolithen mittelst Säuren. Notiz über einen Rhinolithen. 
Münch. med. Wochenschr. Nr. 12, 1895. 

89. Meyjes, W. Posthumus in Amsterdam. Die behandeling van het empyeem 
van de borenkaak. Tijdschrift voor Tandheelkunde 1894. afi. 3. 

90. Starr, F. N. G. Entzündung der Stirnhöhle. N. Y. med. Journ. 12. Jan. 1894. 

91. Engelmann, W. Der Stirnhöhlencatarrh. Arch. f. Laryngol. Bd. I, H. 3. 

92. Snellen, H. Fr. in Utrecht. Ontsteking van orbita en van aangrenzende 
holten. Nederl. Tijdschrift v. Geneesk. 17. Febr. 1894. 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes, 169 


93. Herzfeld. Zur Behandlung des Stirnhöhlenempyems. D. med. Wochenschr. 
Nr. 12, 1895. | 
94. Vacher. Pharyngite retro-nasale. Rev. de laryng. d’otolog. etc. aoüt 1894. 
95. Hopkins, F. E. Das Wiederauftreten von adenoiden Vegetationen im 
Nasenrachenraume. N. Y. med. Journ. 26. Januar 189. 
96. Hermet. Doit on toujours operer les vegetations adenoides. Bull. et mem. 
de la soc. de laryngol. d’otolog. etc. Paris 95, 1 u. 2. 
97. Griffin, E., Harrison. Ein Fall von Tuberkulose des Rachens. N. Y. 
med. Journ. 16. Februar 1895. 
98. Targett, J. H. Tumour of Pituitary Fossa. British med. Journal, 
22. December 1894. 
99. Beadles, C. Two cases of malignant Disease involving the Hypophysis 
Cerebri. Ibid. 
100. Marcel, D., Bukarest. Ueber die Strangulation der Tonsillen. Wiener 
med. Presse 1894, Nr. 31. 
101. Machell, H. F. Papillom der Mandeln. N.Y. med. Journ. 19. Jan. 1895. 
102. Sikkel, A. Haag. De Hypertrophie van de tonsil der tongbasis. Medisch 
Weekblad, 30. Juni 1894. 


65) Scheff fand durch Experimente an der Leiche, dass ein durch 
die Nase streichender Luftstrom seinen Weg hauptsächlich durch den 
mittleren Nasengang nimmt. Pollak. 


66) Wroblewski rühmt für Nasenoperationen folgende Lösung 
zur Herbeiführung der Anaesthesie: Rp. Antipyrini 2,0, Cocain mur. 1,0, 
Ag. dest. 10,0. Ob dabei die Hauptwirkung, wie Verfasser will, dem 
Antipyrin zukommt, hält Ref. für unerwiesen. — Anders steht es, wenn 
Verf. nach parenchymatöser Injection einiger Theilstriche einer 50 proc. 
Lösung von Antipyrin eine 10 Stunden lange Anaesthesie zu operirender 
Theile (des Kehlkopfes, der Tonsilla palatina und lingualis) hat eintreten 
sehen. Schädliche Nebenwirkungen hat Verfasser nie beobachtet. Die 
höchste Dosis, die er injicirte, betrug 0,36 (grm? Ref.) 
Zarniko.. 
67) Ferripyrin, eine Doppelverbindung von Eisenchlorid und Anti- 
pyrin, wird angewendet wie Eisenchlorid ; es soll vor. diesem den Vorzug 
haben, dass Aetzwirkungen auch bei längerem Contact des Mittels und 
der Nasenschleimhaut nicht beobachtet werden, die blutstillende Wirkung 
aber trotzdem eine vorzügliche ist. Müller. 


68) Schech bespricht in eingehender Weise, indem er über die 
Arbeiten der verschiedenen Autoren kurz referirt, zuerst die physio- 
logische Function der Nase für die Athmung, sodann die Ursachen und 
Folgen der Mundathmung, soweit unsere Ansichten darüber feststehen. 
Uuter den letzteren werden hervorgehoben: Disposition zu catharrhalischen 


170 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


Erkrankungen der Luftwege, Veränderungen an Weichtheilen und Skelett 
des Gesichts mit ihren Folgen für die Sprache; Missbildungen an der 
Nase, wie Schiefstand des Septums und allgemeine Verengerung; flacher 
schmaler Thorax; ferner die mannigfaltigen subjectiven Beschwerden, vor 
allem der so häufige Kopfschmerz, Veränderungen der Psyche und des 
Intellectes in Form von geistiger und gemüthlicher Depression. In Zu- 
sammenhang mit Störungen der Nasenathmung werden ferner mit mehr 
oder weniger Recht gebracht: Asthma, Epilepsie, Morb. Basedowii, 
Chorea, endlich auch Enuresis nocturna. — Von der Prophylaxe resp. 
der Aufklärung weiterer Kreise über die grosse Bedeutung der Nasen- 
athmung könne man eine höchst segensreiche Wirkung erwarten. 
Müller. 

69) Mink warnt auf Grund einiger von ihm wahrgenommenen 
Ohrenentzündungen vor dem schablonenmässigen Durchspritzen der Nase 
und besonders vor sofortigem sich Schneutzen nach Anwendung desselben. 
Die Canüle eines Ballönspray lässt er in den Nasenrachenraum ein- 
führen und entfernt dadurch — ebenso wie durch mit Watte armirte 
Kupferdrähte — die Borken. Bei Kindern entfernt er die Schleim- 
masse aus der Nase durch Lufteinblasung mit Politzers Ballon. 

Posthumus Meyjes. 

70) Brodie u. Royers beobachteten unter den in den Minen 
angestellten Kaffern eine Reihe von Fällen einer acuten Rhinitis, die 
entweder in 3 oder 4 Tagen zum Tod führte oder sich durch 1—2 Monate 
hinzog. Bei allen bildete das einzige constante Symptom livide Färbung, 
Injection und Schwellung der Schneider’sthen Membran. Bei den 
Gestorbenen fand sich Meningitis und Pneunomie. Die Krankheit war 
anscheinend nicht contagiös. 

71) Felsënthal hat in der Poliklinik von Dr. B. Baginsky 
in Berlin 2 Fälle von Rhinitis fibrinosa bacteriologisch untersucht und 
in dem einen keine Diphtheriebacillen gefunden, in dem anderen dem 
Löffler’schen Bäcillus morphologisch identische Bacterien, die jedoch 
für Kaninchen abgeschwächte Virulenz zeigten. Aus den in den letzten 
Jahren bei Rh. f. erhobenen Befunden gewinnt V. den Eindruck, dass 
es sich in den meisten Fällen um eine Erscheinungsform der Diphtherie 
handle, zumal da nach neueren Untersuchungen als sicher anzunehmen 
sei, dass unter noch unbekannten Verhältnissen der Diphteriebacillus 
seine Virulenz ganz oder theilweise verlieren, dass aber auch der ab- 
geschwächte wieder voll virulent werden könne. Daraus erhelle die 
grosse Bedeutung der bacteriologischen Untersuchung bei membran- 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes,. 171 


bildenden Nasenerkrankungen. Sobald sich Diphtheriebacillen in den 
Membranen finden, soll der Patient isolirt werden. (Ref. hat im ver- 
gangenen Winter einen typischen Fall von Rh. f. bei einem 9 jährigen 
Knaben beobachtet, die noch nicht ganz abgeheilt war, als der 7 jährige 
Bruder an schwerer Rachendiphtherie erkrankte, deren Complicationen 
er auch erlag. Eine bacteriologische Untersuchung wurde aus äusseren 
Gründen nicht vorgenommen; auch ein positiver Ausfall wäre “übrigens 
darum weniger beweisend gewesen, weil damals eine ziemlich ausge- 
dehnte Diphtherie-Epidemie in Stuttgart herrschte.) Müller. 

72) Von diesen sehr seltenen Localisationen hat Fournier 5 Fälle 
beobachtet. Die Infection geschieht mittelst der Finger, zuweilen mittelst 
chirurgischer Instrumente. Bezüglich des Sitzes müssen unterschieden 
werden die Schanker des Naseneingangs und die der Schleimhaut. Der 
Beginn der Erkrankung ist fast immer unmerklich. In den Fällen, wo 
der Schanker auf der Schleimhaut sich entwickelt, sind die Lymphdrüsen 
unter dem Sternocleidomastoideus ergriffen, bei den Schankern der 
Nasenöffnung sitzt der Bubo submaxillar. Differentialdiagnostisch kommen 
Impetigo und besonders Erysipel in Betracht. 

73) Die rhinitis caseosa ist kein selbstständiges Krankheitsbild wie 
Duplay, Borries, Cozzolino, Wagner behauptet haben, sondern 
kann als Symptom gelegentlich bei jeder Verletzung der Nase — Septum- 
difformität, Schleimhauthypertrophien, Fremdkörper — vorkommen. Die 
aus der Nase selbst oder den erkrankten .Nebenhöhlen stammenden 
Secretionsproducte und Epithelien der entzündeten Schleimhaut häufen 
sich an. und es entwickelt sich eine putride Zersetzung durch eine Viel- 
zahl von Mikroorganismen, besonders durch einen genauer in der Arbeit 
beschriebenen fadenförmigen Bacillus, der oft in solcher Anzahl vor- 
kommt, dass er allein ganze Parthieen der käsigen Massen bildet. Verf. 
kritisiert sehr exact die bisher erschienenen Beobachtungen und belegt 
seine Ansicht mit selbst beobachteten, Fällen. Zimmermann. 

738) Löwenberg veröffentlicht in der vorliegenden Mittheilung das 
Resultat langjähriger eifriger und fleissiger Arbeit. Die neuerdings von 
ihm angestellten Untersuchungen stammen aus dem Institut Pasteur. L. 
kommt zu folgenden Schlussfolgerungen: 1. Der Mikrobe der Ozäna 
ist nicht identisch mit dem Pneumobacillus, er bildet weder eine abge- 
schwächte noch eine höhere Form desselben. 2. Der Coccobacillus, 
welcher von L. im Jahre 1884 beschrieben wurde, ist ein Mikrobe sui 
generis und kommt nur der Ozäna zu. Er findet sich in allen 
Fällen dieser Krahkheit in enormen Mengen und zwar meist ohne andere 


172 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


Arten. Der Ozäna-Mikrobe wird nur bei Ozänakranken gefunden. Es 
gelang L. nicht, in den Culturen den für Ozäna characteristischen Ge- 
ruch zu produciren. 3. Der Mikrobe der Ozäna ist äusserst pathogen. 
Seine Entdeckung ist desshalb nicht nur eine bakteriologische Neuheit, 
sondern sie zeigt uns, dass sich im Körper der Ozänakranken ein Wesen 
von furchtbarer Wirkung befindet, wenn es eintreten kann in die Blut- 
oder I,ymphgefässe. 4. Der Mikrobe der Ozäna ist immer pathogen, 
während der Pneumobaciilus in dieser Beziehung eine gewisse Veränder- 
lichkeit zeigt. | 

74) Ausgehend von der Annahme, dass 1. die meisten, vielleicht 
ausser Cholera und Dysenterie, alle Infectionskrankheiten Inhalations- 
krankheiten seien; 2. die erste Localisation im Nasen- und Rachenraum 
stattfindet; 3. an diesem Ort die Incubationsperiode sich abspiele und 4. erst 
von hier die Allgemeininfection stattfinde, ist Heller zu der Ueber- 
zeugung gekommen, dass das A und O jeglicher Therapie der meisten 
Infectionskrankheiten in gründlicher Ausspülung des Nasenrachenraumes 
bestehen muss. Auf die erste Ausspülung schon folgt meist auffallender 
Fieberabfall und sofortige Euphorie und gleichzeitig Besserung der 
Localerscheinungen. Am meisten ist dieser Erfolg sichtbar bei Gesichts- 
erysipel und Angina, die bisweilen in der Folge wirklich abortiv ver- 
laufen; nicht mindere Triumphe feiert die Methode bei Diphtherie nicht 
nur der Fauces sondern auch des Larynx: eine richtige Irrigation kann 
die Tracheotomie ersetzen, wie H. an einer Reihe von Fällen, wo 
letztere unvermeidlich schien, gesehen hat; eine Ausnahme bildet die 
sog. septische Form. Zur Entfernung der Membranen gibt es kein 
schonenderes Verfahren, auch für schwere Fälle genügen zwei Aus- 
spülungen täglich. Sofortiger Erfolg, rasche Verminderung der Husten- 
anfälle und Abkürzung des Verlaufs werden bei Keuchhusten erzielt. 
Bei Scharlach und Masern sind die Spülungen von hohem Werth einmal 
zur Prophylaxe und dann auch durch Beseitigung der Nasenverstopfung 
mit ihren Folgen — Erschwerung der Expectoration, Benommenheit, 
Kopfschmerz u. s. w. Dankbare Objecte sind ferner die für Rötheln 
pathognomonischen Drüsenschwellungen, sodann die sogenannten scrophu- 
lösen Drüsenschwellungen überhaupt, da sie häufig nichts anderes als 
die Folge einer Nasenrachenaffection sind. Bei Tuberkulose wird eine 
wesentliche Erleichterung der Expectoration erzielt, in initialen Fällen 
sogar eine Eliminirung der Krankheit. Auch den Typhus abdom. zählt 
H: zu den Inhalationskrankheiten und bekämpft ihn demgemäss mit Er- 
folg (insbesondere Kopfschmerz und Sopor); ebenso den acuten Gelenk- 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 173 


rheumatismus. Endlich kommen die Spülungen in Betracht bei Pneu- 
monie und Bronchitis (als gutes Expectorans) bei Ekzem der Kinder, 
typischen und atypischen Kopfneuralgien. — Die Ausspülungen, 2—3 
genügen, werden gemacht mittelst einfachen Kautschukballons mit spitzer 
Ausflussöffnung, verwendet wird gekochtes Wasser, dessen Temperatur 
sich nach Individualität, Aussentemperatur und Fieber richtet. Der 
Strahl ist horizontal zu richten und darf nicht stark sein. 
Müller. 

75) Die vorliegende Arbeit ist vor der Publication Heller’s (s. o.), 
mit dessen Schlussfolgerungen die Ziem’s in der Hauptsache überein- 
stimmen, entstanden. — Auch Z. betont, dass die Bedeutung der Ueber- 
tragung von Infectionskrankheiten durch die obersten Luftwege im 
‘Allgemeinen entschieden unterschätzt werde. Er bespricht zunächst, was 
in der Literatur zu diesem Thema zu finden ist: so habe bezüglich 
der Masern schon Hebra erklärt und werde wohl allgemein als fest- 
stehend angenommen, dass der ursprüngliche Sitz der Erkrankung die 
Nasenschleimhaut ist. Betreffs des Scharlachs sei schon von Voltolini 
der allgemeinen Annahme, dass derselbe nur selten auf die Nasen- 
schleimhaut übergehe, widersprochen und für den Beginn Ausspülungen 
der Nase und des Rachens empfohlen worden, auch von Henoch 
stammen richtige Beobachtungen (aus d. J. 1864) über maligne Coryza 
bei Scharlach der Kinder. Am eingehendsten beschäftigt sich Z. mit 
der Diphtherie: schon 1876 erwähne Örtel und nach ihm Wagner 
als „seltenere“ Erscheinung den Beginn der Diphtherie in der Nase, 
ferner haben Gerhard u.a. in einer gesunden Nase die beste Prophy- 
laxe gegen Diphtherie erkannt. Er selbst habe schon i. J. 1887 die 
Ansicht ausgesprochen, dass die wichtigste Dispostion zur Diphtherie in 
primären eiterigen Erkrankungen der Nasenschleimhaut gegeben sei, und 
dieselbe eingehend begründet. Seine damaligen Deductionen (die z. Th. 
reproducirt.werden), halte er immer noch für zutreffend. Feruer spreche 
Henoch in seinem Werk von Diphtheritis-Coryza, die die Erkrankung 
einleite, wobei sich der Process meist durch die Choanen nach abwärts 
ausdehne; wie überhaupt Henoch offenbar nicht an eine Diphtheritis 
ascendens glaube. Des weiteren werden die einschlägigen Mittheilungen 
von Caille (X. intern. Congr.) und Prof. A. Jacobi (XI. intern. Congr.) 
angezogen, endlich das Löffler’sche Referat für den VIII. intern. 
Congr. f. Hygiene. In ähnlicher Weise finden sodann Besprechung: 
Influenza, Intermittens, Typhus abdom. und exanthematicus, gelbes Fieber, 
Pest, epidem. Meningitis, Parotitis, Erysipel, kryptogenetische Septikämie, 


174 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


Pertussis, Lungenphthise, endlich Rotz und granulöse Conjunctivitis. — 
Verf. weist darauf hin, dass mit seinen Ansichten die auf zahlreichen 
Sectionen basirenden Angaben Harke’s (Hamburg) übereinstimmen, dass 
bei den meisten Infectionskrankheiten, namentlich bei Kindern, ausge- 
dehnte und schwerste Erkrankungen der Nase und ihrer Nebenhöhlen 
vorkommen. Diese Erkrankungen aber schon bei Lebzeiten zu erkennen 
— und damit kommt Z. zur Hauptsache — dazu dienen die von ihm 
empfohlenen Probedurchspülungen mit 1°/,igem Salzwasser (am besten 
mittelst der Zöllner’schen Druckpumpe). Solche Spülungen bilden 
auch, im Verein mit der allgemeinen Gesundheitspflege, das beste Pro- 
phylacticum gegen fast alle Infectionskrankheiten. Als Heilmittel sind 
sie nach dem Verfasser äusserst werthvoll bei Influenza und Diphtherie, 
bei schweren Fällen der letzteren hält er sie trotz Heilserum, dem er 
Zukunft und Werth abspricht, jetzt und für alle Zeit unerlässlich. 
Gegenüber dem Ausspruch Virchow’s, dass es Pflicht sei, das 
Behring’sche Mittel anzuwenden, erhebt er „seine Stimme so laut er 
vermag, um zu erklären, dass es Pflicht eines jeden Arztes sei, das 
beschriebene einfache und sicherlich unschädliche Verfahren anzuwenden 
und in jedem Fall Nase und Rachen gründlich und regelmässig zu 
säubern, damit die natürlichen Heilkräfte des Organismus zur Geltung ge- 
langen können.“ Im Uebrigen werden sich durch die Spülungen mindestens 
Erkrankungen der Augen und Ohren und wahrscheinlich auch des Ge- 
hirns verhüten lassen, wenn je die Krankheit im Ganzen nicht beeinflusst 
werde, was nicht zu erwarten sei. Müller. 

76) Ziem kommt eingehend auf die Publication Harke’s (Ham- 
burg) zurück, in der die ausserordentliche Häufigkeit schwerer Er- 
krankungen der Haupt- und Nebenhöhlen der Nase und des Nasenrachen- 
raums unwiderstehlich demonstrirt werde und bespricht die interessantesten 
Punkte derselben, besonders soweit sie sich auf Diphtherie und Croup 
beziehen. Es geht daraus hervor, wie eminent wichtig es sei, das 
Freisein oder Nichtfreisein der ersten Athmungswege festzustellen und 
weiterhin wie oft die gebührende Berücksichtigung dieses Punktes die 
Tracheotomie entbehrlich machen würde Hinsichtlich der Lungen- 
tuberkulose und chronischer Bronchopneunomie müssen aus der Thatsache, 
dass fast immer bedeutende Veränderungen der ersten W ege — Eiterungen 
der verschiedenen Höhlen, Geschwüre, Stenosen u. s. w. — gefunden 
wurden, wichtige Folgerungen für die Behandlung dieser Krankheiten 
gezogen werden. Auch für eine Reihe anderer Infectionskrankheiten 
zieht Z. aus den Harke’schen Sectionsergebnissen Beweismaterial für 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 175 


die Richtigkeit seiner Ansichten (conf. Nr. 49 ders. Zeitschrift). So 
fanden sich in den 14 Fällen von Typhus abdom. fast immer schwere 
Veränderungen der obersten Luftwege. Endlich hält Z. es für wahr- 
scheinlich, dass bei der Entstehung von Carcinom des Oesophagus und 
des Magens Eiterungen der ersten Wege, wie sie in den 4 Fällen 
Harke’s gefunden wurden, eine wichtige Rolle spielen (durch die be- 
ständige Reizung durch das Secret). — In einem Zusatz kritisirt Verf. 
einige Punkte der Mittheilungen Prof. v. Widerhofer’s über das 
Diphtherieheilserum. Er selbst bezweifelt den Werth des letzteren 
immer noch. Müller. 

77) Knapp gehaltene Besprechung der für Schulkinder in Betracht 
kommenden Nasenkrankheiten und ihrer Bedeutung für den Gesammt- 
organismus sowie für die benachbarten Organe, Auge, Ohr u. s. w., 
ursprünglich dazu bestimmt, in der Section für Schulhygiene des 
VIII. internationalen Congresses für Hygiene vorgetragen zu werden. 

Müller. 

78) Drei von den fünf berichteten Fällen sind von wirklichem 
Interesse. Fall I war ein Angiom des Nasenrachenraums, 
welches bei einer 40jährigen Patientin beobachtet wurde und die rechte 
Seite des Raumes ausfüllte; es war pulsirend und inserirte sich an 
dem rechten untern Schwellkörper. Keine Operation. Fall IV bot ein 
gespaltenes Septum dar, dessen Spalte von einem Exudat zwischen 
den beiden Platten ausgefüllt war. Es wurde durch einen Fall auf das 
Gesicht von einem Zweirad herbeigeführt, wahrscheinlich durch directe 
Gewalt gegen die Nasenbrücke. Compression näherte die Platten ein- 
ander und führte vollständige Heilung herbei. — Fall V zeigte ein 
angio-neurotisches Oedem des Auges und der linken Seite des 
Gesichtes, durch den Gebrauch von nasalen Applicationen. 

M. Toeplitz. 

79) Hauptsächlich für Nichtspecialisten geschrieben, gibt Meyjes 
in geđrängter Form eine Uebersicht über die innerhalb und ausserhalb 
der Nase gelegenen Ursachen von Nasalstenose. Bei Deviatio septi 
bei Erwachsenen fürchtet er nicht durch Wegsägen der obstruirenden 
Knorpelwand, eine Perforation zu machen. ` Das Ersparen des Periostes 
ist ihm gleichgiltig. Die Deviatio nach links fand er bei 300 von ihm 
untersuchten Schädeln des Amsterdamschen anatomischen Museum un- 
gefähr 200 mal. — Rhinitis caseosa rach Verf. eine Krankheit sui 
generis wurde 2 mal als Ursache des Verstopftseins der Nase gefunden. 
Von den maligne Tumoren des Öberkiefers fand er 4mal Sarcom mit 

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXVII. 12 


176 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


mehr oder weniger bedeutenden Metastasen in der Halsgegend, 1mal 
einen typischen Nasen-Rachenpolyp. Im Allgemeinen zieht er die An- 
wendung der Chromsäure dem Galvanokauter vor. Er stimmt Hart- 
mann vollkommen bei, dass die sogenannten hintern Enden öfters die 
Ursache von Nasalstenose, sowie von Taubheit sind. Dass bei acutem 
oder subacutem Nasenkatarrh junger Kinder, wobei die gewöhnlichen 
Mittel vergebens angewandt sind, eine Inspection resp. Sondirung der 
Nase von grossem Nutzen sein kann, beweisen die Fälle, wo Verf. als 
Ursache des doppelseitigen Katarrhes Corpora aliena im Naseninnern 
fand. Wegen zu starker Entwicklung der obern zwei Halswirbel war 
die Rhin. post., sowie die Laryngoscopie in einem Fall, sehr erschwert. 
Durch Nachbehandlung der chron. Rhinitis hypertrophica mit Bougies 
in verschiedener Stärke hat Verf. oft Recidiven vorbeugen können. 
Er legt hervorragendes Gewicht auf die Behandlung constitutioneller 
Krankheiten resp. Anämie und Constipation bei Frauen. Das Haupt- 
streben seiner Arbeit ist dahin gerichtet dem Nichtspecialisten die Ur- 
sache der aufgehobenen Nasalathmung deutlich und damit dem schab- 
lonenmässigen Aufschnupfen von lauwarmem Salzwasser ein Ende zu 
machen, auf dass durch locale Behandlung ganz zu heilende Nasal- 
stenose nicht der Zeit ungeheilt überlassen werde. 
Posthumes Meyjes. 

Die unter Nr. 80), 81), 82), 83) aufgeführten Arbeiten behandeln 
denselben Gegenstand: Gutartige Neubildungen, die an der 
Pars anterior septi Zuckerkandls sitzen und sich durch 
eine grosse Neigung zum Bluten auszeichnen. Die Summe: 
der beschriebenen Geschwülste ist 13. Davon sassen 6 gestielt auf, 
4 breitbasig, bei dreien ist die Art der Insertion nicht angegeben. 
Die Oberfläche war stets uneben, “die Farbe dunkelroth., 3 Fälle be- 
trafen Männer, 10 Weiber. &8mal sass der Tumor links (1 Mann, 7 
Weiber), 5mal rechts (2 Männer, 3 Weiber). — Die Patienten suchten 
entweder wegen 'Nasenblutens oder wegen Nasenvertopfung ärztliche 
Hilfe auf. — Bei der Operation, die theils mit der kalten, theils mit 
der glühenden Schlinge, theils mit der Zange ausgeführt wurde, trat 
regelmässig eine heftige Blutung auf, die mehrmals die Tamponade 
nothwendig machte. Scheier und Heymann haben in je einem 
Falle rasch eintretende Recidive beobachtet. Ihrer histiologischen 
Structur nach erwiesen sich von den mikroskopisch untersuchten 9 Ge- 
schwülsten 7 als teleangiectatische Fibrome, einer als Lymphangioma 
teleangiectaticum (Hansemann-Scheier), einer als gefässreiches 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 177 


Granulom (Alexander). Der epitheliale Ueberzug war theils Cylinder- 
epithel, theils geschichtetes Pflasterepithel mit papillären Fortsätzen nach 
der Unterlage hin. Die soeben characterisirten Geschwülste will Scha- 
dewaldt durch die Bezeichnung »blutender Polyp der Nasen- 
scheidewand« in eine besondere Gruppe gestellt wissen. Der Ref. 
muss sich principiell gegen diesen Vorschlag erklären. Denn erstens 
handelt es sich nur bei einem Theil der Geschwülste um Polypen in. 
des Wortes rechter Bedeutung, nämlich um gestielte Geschwülste. 
Zweitens brauchen sich die Tumoren nicht in allen Fällen durch 
Blutungen bemerkbar zu machen (Alexander). Und endlich bilden 
sie keine histiologische Einheit. Zarniko. 


84). Réthi untersuchte einen mit der galvanocaustischen Schlinge 
entfernten »blutenden Polypen« der Nasenscheidewand und kommt zu 
dem Schlusse, dass diese Septumgeschwülste, ebenso wie die polypoiden 
Hypertrophien der anderen Stellen auf chronisch-catarrhalischen Pro- 
cessen beruhen, und man weder aus ätiologischen Gründen, noch nach 
den histologischen Bildern berechtigt ist, diesen Geschwülsten eine 
Sonderstellung in der Rhinologie einzuräumen. Pollak. 


85) Die Mittheilung von Spiess handelt eigentlich nicht, wie 
man aus dem Titel schliessen muss, von der Operatipn der Verbie- 
gungen, sondern von der der Verdickungen der Nasenscheide- 
wand. Zur Abtragung des Ueberflüssigen bedient sich Sp. einer Anzahl 
von Instrumenten, die durch einen sehr schnell laufenden Electromotor 
(3600 Touren per Minute) in Bewegung versetzt werden. Die Ueber- 
tragung vom Motor aufs Instrument geschieht durch die Drahtspirale 
der zahnärztlichen Bohrmaschine. Die Instrumente sind theils Trephinen, 
Bohrer und Fraisen, die den zahnärztlichen Instrumenten nachgebildet 
sind; theils Sägen. Diese werden in einem besondern Handgriff befestigt, 
der die rotirende Bewegung der Spirale in:eine hin- und hergleitende ver- 
wandelt. Sp. rühmt seinem Verfahren grosse Schnelligkeit und Schmerz- 
losigkeit nach. Er bohrt z. B. 3 cm lange Bohrkerne in 5 Secunden 
heraus und macht in kurzer Zeit soviel Bohrlöcher nebeneinander bis 
der ganze abzutragende Vorsprung beseitigt ist. In einem Anhange 
werden einige weitere Verwendungsweisen des Instrumentsriums erwähnt. 
Mit den Trephinen und Bohrern gelingt die Eröffnung der Kieferhöhle 
vom untern Nasengange und vom Alveolarfortsatz aus sehr leicht. Be- 
festigt man statt der Säge eine Massivsonde in dem dafür bestimmten 
Handgriff, so kann man gut die innere Schleimhautmassage damit aus- 

12* 


178 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


üben. Auf dieselbe Weise ist die Erschütterungsmassage des Larynx 
vermittelst des Ewer’schen Concussors vortreffich zu bewerkstelligen. 
Zarniko. 


86) In dem Falle einer 30 jährigen Patientin wurden die vorderen 
Nasenöffnungen, welche so sehr contrahirt waren, dass sie nur noch ein 
Besenreis durchliessen, mit dem Messer eröffnet, worauf die Schleimhaut 
angenäht wurde. Die Wunde wurde durch Gummiröhren von der Form 
des Simrock’schen Speculum, welches aus einer kurzen den Nasen- 
eingang ausfüllenden Röhre mit umgeworfenem Rande besteht, ausein- 
ander gehalten; die Röhren wurden drei Monate lang permanent mit 
gutem Endresultat getragen. M. Toeplitz. 


87) In beiden Beobachtungen zeigte sich die eine Hälfte der Nasen- 
höhle gegenüber der andern von vorn bis hinten enger. Diese Enge 
nahm nach hinten zu und entwickelte sich bei dem einen Patienten vor 
Beginn des hintern Drittels zu einer completen knöchernen Atresie von 
ziemlicher Dicke und Härte, bei der andern Patientin etwa 10 mm vor 
der Choane zu einer Spalte, die durch eine Membran verschlossen wurde. 
Beidemale war der Verschluss wahrscheinlich angeboren. Im ersten 
Falle bestand auf der Seite des Verschlusses Empyem der Kieferhöhle 
mit Polypenwucherung. Durch die Operation mit Meissel und Galvano- 
kauter konnte in beiden Fällen die Nasenathmung frei gemacht werden, 
Abdrücke der Choanen in Stents Masse errwiesen in beiden Fällen er- 
hebliche Assymmetrien. | Zarniko. 


88) Unter Hinweis auf die Vortheile frühzeitiger Entfernung von 
Nasensequestern und die Misstände der bisher geübten mechanischen 
Verfahren berichtet Bergeat über Versuche, die er mit verschiedenen 
Säuren hinsichtlich ihrer Wirkung auf Knochen- und Sequesterstücke, 
sowie Theile eines Rhinolithen angestellt hat. Dieselben ergaben, dass 
die nicht gereinigte Salzsäure bei weitem den Vorzug verdient, bei grosser 
Empfindlichkeit gegen Dämpfe und Geruch statt ihrer Phosphorsäure. Die 
Säure wird nach sorgfältigem Auftupfen mitttelst Sonde an die frei- 
liegenden Knochenstellen gebracht, wenn möglich soll versucht werden, 
Furchen zu ätzen, in denen der Sequester gebrochen werden kann. Die 
erweichte Knochenschicht wird jedesmal abgekratzt. B. beschreibt einen 
Fall von luetischem Sequester, in dem eine rasche Verkleinerung des 
S. erzielt wurde. Die Anwendung von Säuren hält er auch bei Rhino- 
lithen, deren Entfernung nur durch Zerkleinerung möglich ist, für wohl- 
angezeigt. Zum Schluss wird über einen Fall von Rhinolith berichtet, 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 179 


der sich um einen Kirschkern Be hatte und leicht mit der Zange 
entfernt werden konnte. Müller. 
89) Meyjes hat sich zum Offenhalten der Bohröffnung im Alveolar- 
satz ein Röhrchen anfertigen lassen mit federndem Deckel. Ein Aus- 
fliessen von Pus aus dem Antrum in den Mund ist dann unmöglich. 
Die Tube bleibt in Situ und die Durchspülung des Antrum findet von 
Seiten des Patienten sehr bequem statt. Das silberne, besser goldene 
Röhrchen wird an den nächsten Molaris befestigt oder bei Fehlen 
desselben vom Zahnarzt mit einer Gaumenplatte versehen. 
Posthumus Meyjes. 
90) Starr berichtet über vier Fälle von acuter Entzündung der 
Stirnhöhle bei Patienten im Alter von 23 bis 31 Jahren, von denen 
zwei sich nach 7 resp. 9 Tagen an eine Erkältung, die beiden andern 
nach 10 Tagen an Influenza anschlossen. Schmerzen über den Augen- 
brauen, allmählig stärker werdend, mit Entleerung von Secret in 
Zwischenräumen waren die hervorragendsten Symptome. Das Infundi- 
bulum war in allen Fällen offen. Druckempfindlichkeit über dem Sinus, 
sowie über der Rolle des m. obliquus superior waren ganz deutlich. 
Senfaufschläge führten schnelle Milderung der Schmerzen herbei. Voll- 
ständige Heilung trat in 5, 3, 7 resp. 8 Tagen ein. 
M. Toeplitz. 
91) Als Stirnhöhlencatarrh bezeihnet Engelmann nach dem Vor- 
gange Zuckerkandls die sämmtlichen diffusen Entzündungen der 
Stirnhöhlenschleimhaut, die schleimige (Sinuitis frontalis serosa), die 
schleimig-eitrige (S. f. seropurulenta) und die phlegmonöse 
Entzündung Weichselbaums (S. f. phlegmonosa). Der Betrach- 
tung dienen 15 Beobachtungen zur Grundlage, die Verf. in der Frei- 
burger Universitätspoliklinik Killians gesammelt hat. An ihnen misst 
er die Angaben der anderen Autoren, die er mit bemerkenswerthem Fleisse 
aus der Literatur zusammengestellt hat.. In einem kurzen. Referate lässt 
sich das, was der Verf. dem festen Bestande unserer Kenntnisse neues 
hinzufügt, nicht vollständig wiedergeben. Nur Folgendes möchten wir 
hervorheben: Verf. hält die Sondirung der Stirnhöhle vom mittlern 
Nasengange aus in ca. 50°/, der Fälle für ausführbar. Nur ist es 
dazu öfters nothwendig, das Haupthindernis, das Operculum der mittlern 
Muschel, wegzunehmen. Dazu schiebt G. Killian »das Blatt einer 
schlanken Nasenscheere durch die Fissura opercularis nach hinten 
oben und führt einen Schnitt dicht am Ansatze des Operculums; 
dann führt er eine Schlinge um den Klappdeckel bis zum obern Ende 


180 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


des Schnittes und schnürt das Ganze ab.«e — Bei der Besprechung 
der Therapie wird das Verfahren Schäffer’s, die Stirnhöhle von der 
Gegend zwischen mittlerer Muschel und Septum her zu eröffnen, in 
seiner ` Gefährlichkeit genügend beleuchtet. Ausführlich schildert der 
Verf. die Methode Killians, die Stirnhöhle von aussen her zu ope- 
riren. K. eröffnet zuerst die Höhle in der üblichen Weise, räumt sie 
aus und führt eine Sonde in den Duct. nasofrontalis. Darauf schlägt 
er mit dem Meissel das Nasenbein vom Stirnbein ab, klappt es sammt 
Periost und Hautlappen zurück und meisselt nun bis auf die Sonde in 
die Tiefe, wobei einige Siebbeinzellen eröffnet werden. Auf diese Art 
wird, nachdem das Nasenbein reponirt und der untere Theil der Wunde 
vernäht ist, ein weiter Canal zwischen Stirnhöhle nnd Nasenhöhle frei, 
von dem aus die Höhle auch nach Schluss der Hautwunde genügend 
übersehen und versorgt werden kann. Das Resultat der K.’schen 
Methode ist, soweit 3 Beobachtungen ein Urtheil erlauben, günstig. — 
Im Ganzen waren die therapeutischen Erfolge in den geschilderten 
Fällen nicht sehr glänzend. 3 Fälle von acutem Catarrh heilten spontan, 
von 10 chronischen Fällen heilten 2 durch die Operation, einer wurde 
dadurch gebessert, die übrigen entzogen sich der Beobachtung. Den 
Schluss der breit angelegten Arbeit bildet eine Tabelle, in der die 
Operationsresultate von 120 Fällen aus der Literatur seit 1865 zu- 
sammengestellt sind, sowie ein ausführliches Literaturverzeichniss. 
Zarniko. 
92) Snellen will bei Orbital-Entzündungen, wenn man nicht die 
gewöhnlichen Ursachen findet, stets die benachbarten Sinus untersuchen. 
Obgleich er in der Litt. fast keine Fälle von Sinus-Erkrankung mit 
secundärer Orbital-Entzündung beschrieben — weil vielleicht nicht er- 
kannt — findet, so hat er doch selber einen bez. Fall wahrgenommen 
und theilt die Krankengeschichte mit. Einige Fälle von glücklich ope- 
rirtem Empyem des Sinus frontalis werden mitgetheilt. Bloss durch 
Ausdehnung der sphenoïdalen Sinuswand konnte nach Verf. der Nervus 
opticus in dem Foramen durch Druck atrophisch werden; aber noch 
früher wird die Entzündung der Sinuswand übergreifen auf den Nerv, 
welcher sich auf einer Strecke von 1 cm Länge dem letztern anlegt. 
Posthumus Meyjes. 
93) Nach Besprechung der Schwierigkeiten, welche sich der exacten 
Diagnose des Stirnhöhlenempyems entgegenstellen, schildert Herzfeld 
sein Operationsverfahren: Eindringen von aussen, Entfernung alles Krank- 
haften event. Erweiterung der natürlichen Oeffnung in die Nase mittelst 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 181 


eines hierfür construirten und abgebildeten Instrumentes. Verf. verwirft 
mit Recht die gewaltsame Eröffnung von der Nase aus. 3 Kranken- 
geschichten vervollständigen das Gesagte. Noltenius. 

94) Diese häufige Pharyngitis ist wenig gekannt. Verf. unter- 
scheidet 2 Formen: chronische einfache und granulöse Form. Man 
begegnet ihnen am meisten bei Kindern, sie hängen in der Mehrzahl 
der Fälle vom Allgemeinzustand ab. Diesen soll man deshalb besonders 
ins Auge fassen. Als Localbehandlung muss man Aetzungen vor- 
nehmen, auch Massage wirkt günstig. Die Affectionen sind nur gefähr- 
lich durch Complicationen von Seiten der Tuben und des Mittelohrs: 
Catarrhe und Eiterungen. 

95) Hopkins berichtet über 12 Fälle von Wiederkehr von a: 
noiden Vegetationen nach radicalen Operationen, Fälle, die er theils 
seiner eignen Praxis, theils von Andern entnommen hatte, und gelangt 
daraus zu dem Schluss, dass bei -Kindern die vollständige und früh- 
zeitige Operation in der Narcose bestimmt angerathen und dass der 
.Nachbehandlung und den hygienischen Zuständen, besonders der der 
Schlafzimmer grössere Aufmerksamkeit zugewandt werden müsse. Die 
von Hopkins zusammengestellten, erschöpfenden Literaturbeläge werfen 
wenig Licht auf die Frage des Wiederauftretens der Wucherungen. 

| M. Toeplitz. 

96) Hermet warde durch einen Fall von aden. Vegetationen, wo 
ihm die vorgeschlagene operative Entfernung verweigert wurde und den 
er Jahre lang ohne üble Folgen zu bemerken beobachtet hat, dazu ge- 
führt, die Indicationen der Operation enger zu begrenzen. Von ins- 
gesammt 103 Fällen hat er nur 14 zu operiren brauchen. Bestanden 
keine Ohrcomplicationen, Kopfschmerzen, Arbeitsunlust und Entwicklungs- 
hemmung, so hat er nur abgewartet und sorgfältig beobachten lassen. 
Tritt eine Mittelohrentzündung ein, so kratzt er die Adenoiden aus und 
heilt dann die Mittelohreiterung in wenigen Tagen. Die Operation 
hält er wegen der drohenden Meningitis, der Narcotisirung, abgesehen 
von event. Hämorrhagien für ein keineswegs harmloses Unternehmen. 

Zimmermann. 

97) Ein 19jähriges Mädchen zeigte eine leichte Congestion mit 
vereinzelten grau-weissen Flecken des Rachens, ohne Husten oder Kehl- 
kopf- und Lungenaffection, aber mit Fieber und Tuberkelbacillen im 
Sputum. Die Flecken wurden grösser, ulcerirten und flossen ineinander 
und die Lungen wurden später auch mitergriffen. Der Tod erfolgte in 
vier Monaten. M. Toeplitz. 


182 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


98) Das von Targett in der Pathological Society London de- 
monstrirte Präparat stellt einen Tumor von 2 Zoll im Durchmesser 
dar, der histologisch die Structur eines Endothelioms zeigte und nest- 
fömige (Zellnester) Gebilde enthielt. Zu Lebzeiten bestand eitriger 
Ausfluss aus der linken Nase. Bei der Section fand man eitrige Menin- 
gitis, die Geschwulst war durch den Boden der »Fossa pituitoria« durch- 
gewachsen. 

99) Im ersten Fall, von Beadles in der Pathological Society of 
London mitgetheilt, handelte es sich um einen Patienten, der im Colney 
Hatsch Asylum starb; vor Eintritt des Todes war Ausfluss aus dem 
linken Ohr und Schwellung der linken Gesichtshälfte aufgetreten. Bei 
der Section zeigte sich die Schädelbasis in weitem Umfang zerstört 
durch ein Plattenepithelcarcinom, das wahrscheinlich von der linken 
Paukenhöhle ausgegangen war. Im zweiten Fall handelte es sich um 
einen Drüsencarcinom, das seineu Ausgang vermuthlich von dem Drüsen- 
epithel des Nasenrachenraums genommen hatte. 

100) Marcel entfernte die Tonsillen mittelst der kalten Schlinge: 
in 50 Fällen und hält dies Verfahren für angezeigt bei furchtsamen 
Kindern und sehr grossen Tonsillen. Pollak. 

101) Machell’s 10jährige Patientin litt zwei Jahre lang an einer 
hochgradigen Vergrösserung beider Mandeln, welche den Rachen buch- 
stäblich ausfüllten und aus zahllosen gestielten Massen bestanden. Die 
Patientin starb an Diphtherie und Scharlach und eine Mandel liess sich 
nach dem Tode mit dem Zeigefinger leicht enucleiren. Zwei Photo- 
graphien des Zustandes während des Lebens, resp. des Präparates sind 
dem Artikel beigefügt. Der Bericht über die mikroskopische Unter- 
suchung ist ziemlich dürftig. M. Toeplitz. 

102) Dass in vielen Fällen von sog. Globus hystericus Vergrösserung 
der Zungenpapillen die Ursache der Parästhesie war, illustrirt Sikkel 
mit einigen Krankengeschichten. Durch caustisches Entfernen ar Papillen 
befreite er die Kränken von ihren Beschwerden. 

Posthumus Meyjes. 


Bericht über die Verhandlungen der Deutschen 
otologischen Gesellschaft auf ihrer vierten Ver- 
sammlung zu Jena am ı. und 2. Juni 1895. 


Erstattet von 
Arthur Hartmann-Berlin und H. Seligmann-Frankfurt a. M. 


Die diesjährige Versammlung der Deutschen otologischen Gesell- 
schaft zeichnete sich aus durch zahlreichen Besuch und eine Reihe 
interessanter Vorträge und Debatten. Sie lieferte den Beweis, dass die 
Gesellschaft volle Lebenskraft besitzt und dass ihre Gründung einem 
Bedürfnisse entsprach. Durch den von der Versammlung gefassten Be- 
schluss, die Verhandlungen gesondert im Buchhandel erscheinen zu 
lassen, wird auch nach Aussen hin die unabhängige und für die Ohren- 
‚heilkunde bedeutungsvolle Stellung der Gesellschaft zum Ausdruck ge- 
langen. Die Vorbereitungen für die Versammlung waren von Herrn 
Prof. Kessel-Jena in ausgezeichneter Weise getroffen. Eine kleine 
Ausstellung von Instrumenten und Apparaten befand sich in den Neben- 
räumen des Sitzungssaales. 


1. Sitzung. 
Vorsitzender: Hr. Walb. 


Der Vorsitzende begrüsst die Gesellschaft und gedenkt der im ver- 
flossenen Jahre verstorbenen Mitglieder Helmholtz, Lemcke, Gott- 
stein und theilt mit, dass 18 neue Mitglieder aufgenommen wurden. 


1. Hr. Hartmann: Ueber durch fibröse Membranen ausgefüllte 
Dehiscenzen im Schläfenbein. 
Der Vortragende legt folgende Präparate vor: 


Ein Präparat eines normalen Schläfenbeins.. Im Tegmen tympani findet 
sich eine linsengrosse Stelle, welche statt aus Knochen aus einer derben durch- 
sichtigen Membran besteht, welche sowohl an der oberen als unteren Fläche 
glatt in den umgebenden Knochen übergeht. 

Sodann 3 Präparate von an den Folgen chronischer Mittelohreiterung resp. 
Cholesteatombildung verstorbenen Patienten (Sinus Thrombose, Hirnabscess). In 


184 Bericht üb. d. Verhandl. d. 4. Versamnıl. d. Deutsch. otolog. Gesellsch. 


zwei Fällen befanden sich die Membranen im Tegmen antri mastoid, in einem 
anderen Falle auf der hinteren Fläche des Schläfenbeins zum Theil den Sulcus 
sigmoideus einnehmend. In Mitte dieser grossen Membran befindet sich fest 
eingewachsen ein mit der knöchernen Umgebung nur durch die Membran in 
Verbindung stehendes etwa linsengrosses Knochenstück. In allen Fällen bestand 
keine Verwachsung der Knochenmembranen mit der Dura mater. Dieselben 
gehen alle glatt in die benachbarten Knochen über. 

Die an macerirten Schläfenbeinen angestellten Untersuchungen geben keinen 
Anhaltspunkt dafür, ob es sich bei den gewöhnlichen Dehiscenzen nicht auch um 
die Ausfüllung mit Membranen handelt. Im ersten Falle, das normale Schläfen- 
bein betreffend, handelt es sich um eine jedenfalls selten vorkommende Ent- 
wickelungsanumalie. 

Was die Knochenmembranen in den erkrankten Schläfenbeinen betrifft, so 
muss durch den Entzündungsprocess ein Reiz auf den Knochen ausgeübt worden 
sein, welcher zu einer Umwandlung desselben in fibrdses Gewebe Veranlassung 
gab. Es dürfte eine rückläufige Umbildung zur bindegewebigen Anlage des 
Knochens stattgefunden haben. 

Ob die Bildung der recht derben Membranen wie die Sclerose des Knochens 
vielleicht eine Zeit lang die Uebertragung der Eiterung auf die Umgebung zu 
hindern im Stande ist, lässt der Vortragende unentschieden. Bei operativen 
Eingriffen wird man geneigt sein, die Knochenmembran für Dura mater zu halten. 


2. Hr. Kretschmann: Die eitrigen Processe im unteren Raume 
der Paukenhöhle: 


Kretschmann schildert ausführlich die anatomischen Verhältnisse des 
den Sulcus tympanicus nach unten überragenden Theils der Paukenhöhle und 
schlägt vor, ihn Recessus hypotympanicus zu nennen. Auch die benachbarten anato- 
mischen Verhältnisse der Tube, des Canalis caroticus, Facialiswulstes, der Jugu- 
larvene, sowie die Dicke der trennenden Knochenschichten werden eingehend 
erörtert. Von den pathologischen Aflectionen beschränkt sich Vortragender auf 
die eitrigen Processe, die meist im hinteren Zipfel sitzen. In solchen Fällen 
gaben die Patienten meist subjectiv ein Gefühl von Spannung im Warzentheil 
an. Die Behandlung besteht in Ausspülungen mit entsprechend gebogener 
Canüle und Aetzungen mit Chromsäure und Trichloressigsäure. Wird die Auf- 
meisselung des Warzenfortsatzes vorgenommen, so empfiehlt Kretschmann die 
Abschrägung der unteren Wand behufs besseren Ueberblicks und Behandlung. 


Discussion: Hr. Wolf empfiehlt bei in diesem Raum befindlichen 
Granulationen die Curettirung mit seinem Löffel, keine Abschnürungen. Letzteres 
Verfahren, bei einer im hypotympanischen Recessus befindlichen pulsirenden 
Geschwulst von ihm angewandt, führte starke Blutung und Tod durch Pyämie 
herbei. | 

Hr. Walb empfiehlt für die Untersuchung des hypotympanischen Raumes 
die Anwendung von Doppelspiegeln. 

Hr. Hessler bemerkt zu der von Kretschmann betonten Gefahr der 
Facialisverletzung, dass vor der Durchschlagung des Facialis die Genehmigung 
des Patienten eingeholt werden müsse. 

Hr. Kretschmann hat Doppelspiegel nicht sehr gut befunden. 


Bericht üb. d. Verhandl. d. 4. Versamml. d. Deutsch. otolog. Gesellsch. 185 


3. Hr. Barth: Ueber die sog. Lateralisirung bei Knochenleitung. 


Das Lateralisiren bei Knochenleitung ist entweder ein subjectives, wie es der 
Untersuchte hört, oder ein objectives, welches man mittelst zweier gleicher Otoskope 
controlliren kann. Letzteres ist ausschliesslich bedingt durch Veränderungen in 
der Leitung und in der Resonanz. Bei dem subjectiven Herüberhören ist ausser 
den vorher genannten zwei Punkten zuerst zu nennen einseitige Erkrankung des 
percipirenden Apparates, die wohl selten Veranlassung zu objectiven nachweis- 
baren Aenderungen der Leitungs- und Resonanzverhältnisse geben wird, ausser- 
dem aber spielen wahrscheinlich noch mit: die günstigeren Verhältnisse der 
Schallübertragung auf ein untersuchtes Ohr, Schallreflexe und der Abschluss 
eines erkrankten Ohres gegen Schalleinwirkungen von aussen. Nicht von Ein- 
fluss in Bezug auf einseitig verstärktes Hören sind: verstärkter Druck auf das 
innere Ohr, sogen. Hyperästhesie des Acusticus. Die Erscheinungen beim 
Weber’schen Versuch beruhen also auf complicirten Verhältnissen, so dass es 
nicht erlaubt ist, ihn blind als Maassstab für eine Diagnosenstellung zu benutzen, 
obwohl er, mit Kritik angewendet, oft zu recht brauchbaren Untersuchungser- 
gebnissen führen kann. 


4. Hr. Dennert: Zur Prüfung des Tongehörs. 


Hierzu hält Dennert die Benutzung des Schallquantums als am zweck- 
mässigsten. Um ein gleichmässiges Quantum zu erhalten, lässt er die Stimm- 
gabel nicht ununterbrochen ausklingen, sondern nur 1 Secunde oder nur einmal 
in der Secunde am Ohr des Patienten vorbeiführen, bis bei Annäherung auf 
solche Zeitdauer nichts mehr wahrgenommen wird; erfolgt die Annäherung 
dann auf längere Dauer als 1 Secunde, so tritt wieder Tongehör ein. Für ver- 
schieden hohe Stimmgabeln sind die Verhältnisse verschieden. 


Hr. Barth hat 2 Fälle beobachtet, wo eine kurze Annäherung der Stimm- 
gabel unbemerkt blieb, Ausklingenlassen aber bemerkt wurde. Zur Anstellung 
solcher Versuche hat er einen eigenen Apparat construirt, aus oberer Scheibe mit 
grosser, unterer mit kleiner Oeffnung mit darauf befestigter Stimmgabel und 
gegen einander drehbar, bestehend. Die Stimmgabel schreibt ihre Schwin- 
gungen auf die mit Fett bestrichene Scheibe auf. 


5. Hr. Lucae: Weitere Mittheilungen über die mit der federnden 
Drucksonde gemachten Erfahrungen. 


Es wurden 46 Fälle ausgewählt und auf den Rinne’schen Versuch ge- 
prüft, bei denen alle hohen Töne noch gut gehört wurden; diese wurden mit 
der Drucksonde allein behandelt. Der Erfolg war, dass 28 Fälle mit positivem 
Rinne sehr gebessert, bei 8 mit negativem Rinne derselbe positiv wurde. 12 
mit negativem Rinne wurden wenig und 6 gar nicht gebessert. Bei doppel- 
seitiger Affection besserte sich die Seite, wo der Rinne positiv ausfiel. Bis 
auf einen Fall wurden bei den 28 mit positivem Rinne musikalische Töne 
noch gut gehört, bei denen mit negativem Rinne schlecht. Bei dem einen 
Fall mit positivem Rinne wurde c# vor der Behandlung nicht, nachher wieder 
gehört. Auch ein Fall mit Meniere’schen Symptomen wurde völlig geheilt. 


186 Bericht üb. d. Verhandl. d. 4. Versamml. d. Deutsch. otolog. Gesellsch. 


6. Hr. Haug: a. Zur Polymyositis infectiosa ex otitide. 


Nachdem Haug zunächst auf die in der Literatur niedergelegten Fälle 
von Polymyositis pyaemica ex otitide hingewiesen hat, Fälle, die sich zumeist 
im Anschlusse an eine während einer allgemeinen Infection aufgetretene purulente 
Media entwickelt hatten, führt er seine eigenen Beobachtungen an, in denen es 
sich um reine Muskelmetastasen, um Abscesse innerhalb der Muskel- 
substanz und innerhalb der Fascie handelte, die im Verlaufe einer 
vulgären acuten eitrigen Media ohne causalen Nexus mit einer Allgemein- 
infection sich herausgebildet hatten. Nicht die von Fränkel-Schwabach 
beobachtete Form der Dermatomyositis lag hier vor, sondern reine wirkliche 
Muskelmetastasen allein. In dem ersten der 3 Fälle war im Verlaufe einer 
nach dem Gebrauche der Nasendouche aufgetretenen acuten Perforatiomedia 
erst eine Schwellung mit Röthung auf der Gegend des l. Musc. deltoid. nach 
vorausgegangenem Schüttelfroste entstanden. Diese erste Iniumescenz bildete 
sich wieder zurück, allein unter Wiederholung der Schüttelfröste und der Tem- 
peratursteigerungen in starken Sprüngen stellte sich eine Abscedirung von klein 
Apfelgrösse im obern Drittel des l. Gastrocnemius ein, die sich bei ihrer Er- 
öffnung als in das Muskelgewebe eingelagert ergab (Streptococcen). Nach dieser 
Hauptmetastase zeigten sich noch 3 leichtere, aber immer noch typisch pyämische 
Attaken, indem Schwellung in der Gegend des l. Supinator longus, der recht. 
Abduct. magn. und des l. Masseter folgten; sie schwanden ohne in Abscedirung 
überzugehen. Heilung. 

Im 2. Falle hatte sich während einer durch eine Verkühlung entstandenen 
acuten Ohreiterung am 19. Tage der Erkrankung nach starkem abendlichen 
Schüttelfrost erst eine Schwellung des Handgelenks gezeigt, dann spontane In- 
volution, nach 3 Tagen unter Wiederholung des Schüttelfrostes eine schmerzhafte 
Röthung und Schwellung im vordern Drittel des r. Vorderarmes folgte, die zur 
Abscedirung gelangte. Bei der Eröffnung des Abscesses war auch hier wieder 
die Bildung des Abscesses als eine intramusculäre deutlich zu erkennen. Heilung 
in der 7. Woche. 

Der 3. Fall hatte seine acute Mittelohreiterung durch Infection einer 
Trommelfellläsion acquirirt. Trotz der Eröffnung des Warzenfortsatzes (Empyem) 
stellte sich nach Heilung des ÖOhres eine Schwellung der l. Fossa supraspinata, 
der l. Achselhöhle in der Gegend über dem Muscul. deltoides ein. Die ersten 
zwei gingen in Suppuration über und es fand sich der M. supraspinatus ver- 
eitert; die Achselhöhlenabscedirung beruhte auf Lymphdrüseninfection. Das 
Infiltrat der Deltagegend ging zurück. (Autorreferat.) 

In der Discussion glaubt Hr. Brieger hierin eine andere Form sehen 
zu sollen als die kürzlich von Fränkel beschriebenen Fälle von Dermatomyositis 
septica infolge von Otitis media suppurativa. 

b. Ueber Bildung hämorrhagischen Exsudates in der Paukenhöhle 
und im äusseren Gehörgange in Folge einer Pulpitis eines Molarzahnes. 

Ein notorisch bisher immer ohrengesund gewesener Mann (auch nicht 
hereditär quoad Ohr belastet) bekommt während einer heftigen Zahnschmerz- 
attake ein typisches Hämatotympanum der Paukenhöhle und gleich- 
zeitig eine bohnengrosse Blutblase im Gehörgange. Jrgend welche Irritation 


Bericht üb. d. Verhandl. d. 4. Versamml. d. Deutsch. otolog. Gesellsch. 187 


des Gehörganges oder des Trommelfells hatte, wie das sonst zuweilen bei Ge- 
legenheit von Zahnweh zu geschehen pflegt (durch Einträufeln verschiedener 
Mittel: Chloroform, Painexpeller etc.), nicht stattgefunden; ebenso war Nase 
und Rachen vollkommen gesund. 

Die Untersuchung der Zähne ergab eine ausgedehnte Caries eines oberen 
Molar, complieirt mit Blutblasenbildung innerhalb der Höhlung des Zahnes. 
Die typischen Symptome einer acuten Pulpitis waren vorhanden. 

In thatsächlicher Ermangelung irgend welcher ätiologisch wirksamen Ur- 
sache muss die blutige Trommelhöhlenexsudation sowie die Blutblase im Gehör- 
gange in causalen Nexus mit dem Zahnleiden gebracht werden. (Autorreferat.) 


7. Hr. Kayser: Zur Pathologie und Therapie der objectiven 
Ohrgeräusche, welche er in Tubar- und wirkliche Ohrgeräusche nach 
ihrer Entstehungsweise eintheilt. 


Die Tubargeräusche sind entweder Muskelgeräusche, oder, wie bei der 
Autophonie, durch Veränderungen in der Tube fortgeleitete, anderswo entstandene 
Geräusche. Gegen letztere Form hat Kayser Verstopfung der Tubenmündung 
durch ein indifferentes Fett mit Erfolg angewandt. Erstere Form hält er für 
verwandt mit Chorea und Hysterie und entstehend durch Contractionen des Tens. 
vel. palat. Therapeutisch wendet er hier einen Reiz beliebig durch Druck auf 
das Gaumensegel, den Warzenfortsatz, den Vagus an mit wechselndem Erfolg. 
Entsteht das Knacken durch Abheben der Tube, so wird eine Sonde tief ein- 
. geführt mit sofortigem Erfolg, der aber nur in 3 Fällen andauerte. 


Hr. Zaufal möchte das Geräusch durch Abhebung der lateralen von der 
medialen Tubenwand behandeln. Er empfiehlt Massage und Zug des Gaumen- 
segels mit dem . Finger nach unten oder Andrücken der Tubenwände gegen- 
einander. Ä 
Ueber die Hörbarkeit der Geräusche, die durch Contraction des Tensor 
tympani entstehen, entspinnt sich eine Discussion, an der sich die Herren 
Brieger, Barth, Zaufal, Noltenius, Beckmann betheiligen, die 
aber keine einheitliche Ansicht aufkommen lässt. | 


2. Sitzung. M 
Zum ersten Vorsitzenden für das nächste Jahr wird Herr Walb- 
Bonn, zum zweiten Herr Zaufal-Prag gewählt. Für das Helmholtz- 
Denkmal werden 100 Mark bewilligt. Die Herausgabe der Verhand- 
lungen, von welcher jedes Mitglied ein Exemplar erhält, wird beschlossen. 
Die nächste Versammlung soll vor Pfingsten in Nürnberg stattfinden. 
Der Jahresbeitrag von 10 Mark wird beibehalten. 


8. Hr. Kretschmann: Theilweise Plastik der Ohrmuschel. 


Lupus der Innenfläche und eines Theiles der Aussenfläche der rechten 
Ohrmuschel, local und allgemein erfolglos behandelt, veranlasste in einem Falle 
‚ Vortragenden, den ganzen Herd auszurotten und den Defect durch Plastik zu 
decken. Es wurde die erkrankte Haut bis auf den Knorpel entfernt und durch 
einen aus der benachbarten Haut gebildeten Lappen gedeckt. 


e 


188 Bericht üb. d. Verhandl. d. 4. Versamml. d. Deutsch. otolog. Gesellsch. 


9. Hr. Kretschmann demonstrirt ferner Stahlzwicken zur Lappen- 
fixation. 


10. Hr. Anton: Beiträge zur Kenntniss des Jacobson’schen 
Organs des Erwachsenen. 


Nach einer historischen Einleitung theilt Redner mit, dass nicht alle 
Untersuchten das Organ besassen, und zwar, wie er glaubt, ist dieser Mangel 
angeboren. Dies wird daraus ersichtlich, dass das Organ bereits bei einem 
Embryo gar nicht, bei einem Neugeborenen nur einseitig entwickelt war; es fand 
sich dagegen trotz gleichzeitiger Atrophie der Schleimhaut zuweilen vor. Es 
bestand stets aus einer offenen spalt- oder muldenförmigen Rinne und einem 
nicht offenen Canal, die Mündungen sind frontal gegeneinander etwas verschoben. 
Der Canal bestand meist aus einer grossen Erweiterung und einigen kleineren 
Ausbuchtungen ungleich aneinander gegliedert; der Verlauf war immer etwas 
ansteigend. Das Epithel war medialwärts hoch, lateralwärts niedrig. Die ein- 
mündenden Drüsen sind acinöse Schleimdrüsen von wechselnder Zahl; sie münden 
im grossen Ganzen meist in der oberen Wand ein. Oefter fand Redner eine 
Basalmembran und spärliche Kalkconcremente. Für die Funktion des Organs 
ergaben die Untersuchungen keine Anhaltspunkte. 


11. Hr. Hessler: Die Behandlung der acuten Mittelohr- und 
Warzenfortsatzeiterungen. 


Die Eiterungen des Mittelohrs bestehen oft oder meist als Folgeerkran- 
kungen von Affectionen des Nasenrachenraumes. In solchen Fällen beschleunigt 
die Beseitigung der letzteren den Ablauf der acuten Eiterung, wird also vor 
Heilung der letzteren vorgenommen. Zur Verwendung neuer Infectionen von 
der Nase aus widerräth er das Politzer’sche Verfahren bei acuter Eiterung. 
Die Entfernung des Eiters bewirkt er auf trockenem Wege, besonders bei starker 
Secretion; übermässige flüssige Reinigung erzeugt Furunkel. Ist in acuten 
Fällen die Trepanatio proc. mıast. indicirt, so erfolgt nur die typische Auf- 
meisselung nach Schwartze; Durchspülungen sind zu vermeiden. Lockere 
Tamponade vertritt deren Stelle; Verbandwechsel alle 2—3 Tage. Die Patienten 
können das Bett früh verlassen ; längeres Verweilen im Bett verzögert die Recon- 
valescenz. Nur bei pyämischen Erscheinungen muss die Heilung abgewartet 
werden. 

In der Discussion empfiehlt Hr. Panse, nach der frühen Paracentese 
einen Verband zu machen und jede Manipulation mit dem Ohre dem Patienten 
zu untersagen. Gegen die entstehende Maceration des Gehörganges benutzt er 
Lapislösungen. 

Hr. Barth lässt die Wunde lieber ausspülen als auswaschen, auch wäscht 
er die Umgebung der Wunde feucht ab. 

Hr. Stacke operirt seit 5 Jahren aseptisch, trocken, tamponirt in die Tiefe, 
nicht locker. 

Hr. Leutert betont, dass auch in der Schwartze’schen Klinik nach 
der Paracentese nicht mehr gespritzt werde. 

Hr. Brieger fürchtet auch von festerer Tamponade des Gehörganges keine 
Retention. 


Bericht üb. d. Verhandl. d. 4. Versamm!. d. Deutsch. otolog. Gesellsch.. 189 


Hr. Hartmann ist der Ansicht, dass bereits seit Jahren von der Mehr- 
zahl der Ohrenärzte ohne Ausspritzungen und Luftdouche im Anfangsstadium 
die acute Eiterung behandelt werde. Bei Aufmeisselungen sind Auswaschungen . 
oder Ausspritzungen nicht erforderlich, lang fortgesetzte Tamponade kann die 
Heilung verlangsamen. 

Hr. Noltenius glaubt ebenfalls nicht, dass die Tampons den Abfluss 
beeinträchtigen. 

Hr. Reinhard, Barth, Walb und Hessler betheiligen sich ebenfalls 
an der Discussion. 


. 12. Hr. Joël: Leptomeningitis purul. nach Otit. med. pur. ac. 
bei einem dreijährigen Kinde. 


Dreijähriger Knabe erkrankt im Anschluss an Masern an rechtsseitiger 
Ohreiterung mit Empyem des Warzenfortsatzes bei wenig gestörtem Allgemein- 
befinden. Typische Aufmeisselung und Ausräumung massenhafter Granulationen 
bis ins Antrum hinein, Knochen in der Richtung auf die mittlere Schädelgrube 
und den äusseren Bogengang intact. Die ersten vier Tage nach der Operation 
verlaufen vollkommen normal, am fünften starkes Erbrechen und hohes Fieber, 
wofür der sofort vorgenommene Verbandwechsel keinen Grund ergibt; auch die 
Paracentese des bereits vernarbten Trommelfells entleert nur wenige Tropfen 
Eiter. Bei anhaltend hohen Temperaturen treten Kopfschmerzen, Facialis- und 
Abducenslähmung, Obstipation und Delirien auf, sodass die Diagnose Meningitis 
zweifellos wird. (Augenhintergrund kaum verändert). Da hereditäre tuberkulöse 
Belastung vorhanden ist, und andererseits nirgends ein Fortschreiten der Eiterung 
nach dem Schädelinnern nachgewiesen werden kann, scheint die Wahrscheinlichkeit 
für eine tuberkulöse Meningitis zu sprechen. Am 19. Tage nach der Aufmeisse- 
lung Exitus. Die Section muss sich auf den Kopf beschränken, ohne dass eine 
Entnahme des ganzen Schläfenbeins möglich ist. Es findet sich eine ausge- 
dehnte Meningitis an der Basis, übergehend in den Rückenmarkskanal und an 
einzelnen Stellen, besonders den grossen Gefässen folgend, auf.die Convexität, 
nirgends aber Tuberkelknötchen. Die Innenfläche des Schläfenbeins zeigt 
nirgends cariöse Stellen, insbesondere an der Sutura petroso-squamosa und 
dem Hiatus subarcuatus normale Verhältnisse. Dagegen findet sich der innere 
Gehörgang angefüllt mit Eiter, in dem Acusticus und Facialis eingebettet 
liegen. Die Paukenhöhle enthält wenig eitrige EBEN, die Gehörknöchelchen 
anscheinend normal. 

Da eine anderweite Ursache für die Meningitis nicht vorhanden war, muss 
eine Fortleitung der Eiterung durch das Labyrinth (wahrscheinlich nach Zer- 
st5rung einer Fenstermembran) angenommen werden. 


Fast gleichzeitig wurde ein 4jähriger Knabe beobachtet, welcher eine ohne 
nachweisbare Ursache aufgetretene geringe eitrige Absonderung aus dem rechten 
Ohr aufwies. Erst nach dem Zurückgehen einer circumscripten Gehörgangs- 
schwellung konnte eine kleine Perforation hinten unten nachgewiesen werden. 
Eine intercurrirende Influenza mit vorübergehender Albuminurie (die genau ebenso 
auch bei einem Schwesterchen des kleinen Patienten auftrat) führte zu hohen Tem- 
peraturen und schwerer Störung des Allgemeinbefindens. Allmählich bildele sich 


190 Bericht üb. d. Verhandl. d. 4. Versamml. d. Deutsch. otolog. Gesellsch. 


auch hier das deutliche Bild der Meningitis mit Lähmung der Gesichts- und 
Augenmuskelnerven, Delirien und Nackensteifigkeit aus, unter welchen Erschei- 
nungen der Exitus eintrat. Da bis auf eine geringe Druckempfindlichkeit 
keinerlei Betheiligung des Warzenfortsatzes nachweisbar war, schien eine tuber- 
kulöse Meningitis das Wahrscheinlichste, doch konnte in Erinnerung an den 
eben beobachteten Fall der Gedanke, es könne sich auch hier um eine Ueber- 
leitung durch das innere Ohr handeln, nicht ganz von der Hand gewiesen werden. 

Die Section ergab eine ausgedehnte Meningitis der Basis, nirgends Tuberkel, 
aber auch völliges Intactsein des Schläfenbeins (bis auf die leichte Mittelohr- 
eiterung). Der Fall muss wohl als eine reine Meningitis post Influenzam ge- 
deutet werden. 

Beide Fälle lehren wiederum die Schwierigkeit der Deutung endocranieller 
Processe, welche gleichzeitig mit bestehenden Ohreiterungen auftreten, besonders 
im Kindesalter. (Autorreferat.) 


13. Hr. Stacke: Eine Methode der Plastik bei grossen Knochen- 
defecten. 


Es werden mehrere Lappen in folgender Weise formirt: Ein Hautlappen 
der das Periost nicht mitnimmt, mit der Basis nach oben, der Spitze nach 
unten, letztere entsprechend der Spitze des Warzenfortsatzes, dann ein Periost- 
lappen in umgekehrter Form, von der Linea temporalis, beide zur Deckung 
der oberen resp. unteren Wand der Operationshöhlen dienend, der 3., der Ge- 
hörgangslappen, wird mit dem Periostlappen zur Deckung der unteren Hälfte 
der Wunde mitverwandt. Ist der Periostlappen zu klein, so wird ein Hinter- 
hauptslappen umschnitten, seines Periosts beraubt und dann wieder an seine 
Stelle gebracht: der so entstandene Periostlappen dient dann zur Vergrösserung 
des zweiten Lappens. Ein Nachtheil der Methode ist das Bestehenbleiben der 
Fistel, die indess nach Jahren osteoplastisch gedeckt werden könnte. 

Discussion: Hr. Noltenius hält den Körner’schea Lappen fast 
stets für ausreichend. 

Hr. Zaufal fragt, ob Erfahrungen da sind, dass von dem Periostlappen 
neuer Knochen produeirt werde; wenn nicht, so würde er Siebenmann’s Methode 
vorziehen. | 

Hr. Kretschmann möchte die nachträgliche Verdünnung der Lappen 
vermieden wissen, auch tadelt er die Zweizeitigkeit des Verfahrens. 

Hr. Hartmann spricht sich zu Gunsten des Körner’schen Lappens aus. 

Hr. Leutert erläutert die Nothwendigkeit der persistenten Oeffnungen 
bei Cholesteatom zur Verhütung von Recidiven. 

Hr. Noltenius lässt bei der Körner’schen Lappenbildung ein dickes 
Drainrohr 14 Tage im Gehörgang. 

Hr. Körner betont die Nothwendigkeit verschiedener Lappenbildung bei 
verschieden gestalteter Knochenwunde; der erste Schnitt muss jede Form der 
Plastik gestatten. 

Hr. Hansberg u. A betheiligen sich noch an der Discussion, aus der 
sich im Allgemeinen eine Abneigung gegen complicirte Lappenbildungen ergibt. 


Bericht üb. d. Verhandl. d. 4. Versamml. d. Deutsch. otolog. Gesellsch. 191 


3. Sitzung. 
Vorsitzender: Herr Zaufal. 


Hr. Körner und Hr. Jansen erstatten die ihnen übertragenen 
Referate über die Operationsmethoden bei den verschiedenen otitischen 
Gehirncomplicationen. 


14. Hr. Körner: Historische. Einleitung und allgemeine Be- 
trachtungen. 


Erschlossen wurde das Gebiet Mitte der 80er Jahre. Schede hatte zuerst 
eine Fiste] des Schläfenbeins verfolgend einen Hirnabscess geheilt. Zaufal ver- 
danken wir die Idee, den Sinus zu eröffnen und die Vena jugularis zu unter- 
binden. Sorgfältige Auswahl der diagnosticirten Fälle brachte die ersten Er- 
folge; die gekreuzten Lähmungen voın motorischen Centrum ausgehend glaubend, 
verfehlte man dort trepanirend den Abscess. Körner fasste die Sectionsergeb- 
nisse zusammen, wies auf den Sitz nahe dem erkrankten Ohr hin und schlug 
vor, vom Schläfenbein aus auf den Abscess einzugehen ; ihm schloss sich Ma- 
cewen an. Er legt den Schläfenlappen durch Wegnahme des Tegmen tympani 
bloss, aber manchmal auch von der Schuppe aus, oder beides. Bergmann 
eröffnet die mittlere Schädelgrube vom Tegmen tymp. et antri aus und trifft 
so den Weg des Eiters in der Mitte, ihn nach beiden Seiten verfolgend. Auf 
diesem Wege findet man auch nicht diagnosticirbare extradurale Abscesse etc. 
Die Nachbehandlung wird verschieden geübt, meist als lockere Tamponade; 
nicht immer wird gespült; die buchtigen Abscesse müssen unter künstlicher 
Beleuchtung durchsucht werden. In den Leichen Operirter finden sich meist 
multiple, in denen nicht Operirter stets nur ein Abscess. Auch Gewebszerfall 
in der Umgebung der Abscesse, hämorrhagische Herde wurden gefunden. Dies 
sind die Ergebnisse der letzten zwei Jahre. 


15. Hr. Jansen: 


Für diejenigen Fälle, welche die Symptome der intracraniellen Eiterung 
bieten, aber eine genauere Diagnose nicht zulassen, ist es wichtig zu wissen, 
in welcher Häufigkeit die verschiedenen Erkrankungen vorkommen. 

Aus den Krankengeschichten der Berliner Ohrenklinik während der letzten 
31/2 Jahre konnte Jansen unter 184 noch nicht publicirten intracraniellen 
 Eiterungen 144 Mal extradurale Abscesse aufzeichnen, 35 Mal Sinus transversus 
Thrombose, 5 Mal Hirnabscess. 

Von extraduralen Abscessen lagerten 161 Mal die Eiterungen in der 
hinteren Schädelgrube und 38 Mal in der mittleren, 14 Mal waren beide Gruben 
betheiligt. 

Daraus folgt, dass die extraduralen Eiterungen weitaus die häufigste 
Complication bei den Mittelohreiterungen und ganz besonders bei der acuten 
Form sind. 

Die extraduralen Eiterungen in der hinteren Schädelgrube überwiegen 
die in der mittleren etwa um das 5fache; bei den chronischen Formen stellt 
sich das Verhältniss fast wie 2:1. Auch die Kleinhirnabscesse überwiegen in 
unseren Beobachtungen etwas die im Schläfenlappen (2:3). 

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXVII. 13 


192 Bericht üb. d. Verhandl. d. 4. Versamm!. d. Deutsch. otolog. Gesellsch. 


Diese Zahlen geben uns wichtige Anhaltspunkte für die Art des operativen 
Vorgehens. 

In Fällen mit zweifelhafter Diagnose eröffnet man somit zunächst die 
hintere Schädelgrube im Anschluss an die Aufmeisselung des Warzenfortsatzes 
und forscht der Reihenfolge ihrer Häufigkeit entsprechend nach perisinuösem 
Abscess, Sinusthrombose, Kleinhirnabscess. 

Nach Darlegung der Operationsmethode geht Jansen auf die epitym- 
panischen Eiterungen über, bei denen häufig die Entfernung des Tegmen 
tympani vom Waurzenfortsatz aus genügt. Bei grösserer Ausdehnung empfiehlt 
Jansen die Eröffnung der mittleren Schädelgrube nach den Vorschlägen von 
Bergmann’s, aber im Anschluss an die Aufmeisselung des Warzenfurtsatzes. 
Bei Pachymeningitis int. muss die Dura ineidirt werden und bei circumscripter 
Arachnitis pur. Dura und Arachnoides zusammen. 


Eine ausführliche Besprechung widmet Jansen einer 3. Form von extra- 
duralen Abscessen, die vom Vorhof durch die Canäle an die hintere obere Kante 
durchbrechen, und deren Prognose in Folge ihrer tiefen Lage ungünstig ist. 
Diese tiefen Abscesse kommen meist im Anschluss an Mittelohreiterungen vor 
und sind verhältnissmässig selten. Um diese Eiterherde freizulegen, ist es 
nöthig, die mittlere Schädelgrube von der Schuppe aus zu eröffnen und sowohl 
die obere wie die hintere Wand des Warzentheiles bis an den Labyrinthkern 
fortzunehmen. Doch das genügt nicht. Da die Labyrintheiterung in diesen 
Fällen sehr destructiven Charakter hat und die Arachnoides in grosse Gefahr 
bringt, so empfiehlt Jansen die Eröffnung des Vorhofes im Anschluss an die 
Freilegung des extraduralen Abscesses und beschreibt die Methode. 


An der Hand eines von ihm anfänglich mit schönem Erfolg behandelten 
Falles von tiefem extraduralem Abscess labyrinthären Ursprungs sucht J. die 
Richtigkeit seines Vorschlages zu beweisen. 


Dieselbe Operationsmethode empfiehlt J. bei denjenigen Kleinhirnabscessen, 
bei denen die Eiterung aus dem Vorhofe resp. den Canälen auf das Hirn fortge- 
schritten ist und weiterhin auch bei denen, bei welchen eine Vorhofseiterung 
mit Sicherheit diagnosticirt werden kann. Nach dieser radicalen Eröffnung der 
mittleren und hinteren Schädelgrube unter Entfernung der hinteren und oberen 
Wand des Warzentheiles und Beseitigung der Canäle nnd des hinteren Ab- 
schnittes vom Vestibulum hat man ein breites Operationsterrain für die Er- 
öffnung der Kleinhirnabscesse an der vorderen Fläche des Cerebellum. 


Nach derselben Methode, aber ohne das Labyrinth anzugreifen, hat J. in 
letzter Zeit 2 Mal die Abscesse im Schläfenlappen durch 5—6 cm lange Incision 
an der unteren Fläche eröffnet, mit gutem Erfolg einmal, einmal mit vorüber- 
gehendem. Ein Vortheil dieser Methode liegt unter anderem darin, dass selbst 
tief gelegene Fisteln noch gefunden werden, dass noch die Sinusthrombose von 
derselben Wunde aus operirt werden kann und dass nach erfolgter Heilung nur 
ein geringer Theil der Dura nach aussen zu Tage liegt, der grössere Theil da- 
gegen der Höhle im Schläfenbein zugekehrt ist. Bei der Eröffnung der hinteren 
Schädelgrube im Anschlusse an die Aufmeisselung des Warzenfortsatzes präsentirt 
sich der am meisten befallene Abschnitt des Sinus sigm. zu allererst. Wenn 
er sich frei zeigt, möge man sich erinnern, dass der Abschnitt am Bulbus jug. 


Bericht üb. d. Verhandl. d. 4. Versamm!. d. Deutsch. otolog. Gesellsch. 193 


befallen ist oder der Bulbus selbst. Die Eröffnung geschieht am zweckmässigsten 
mit Meissel und Knochenzange. Der Sinus wird zum Foramen jug. hin freigelegt, 
so weit er sich septisch zeigt und nach hinten bis über den thrombosirten Ab- 
schnitt, wenn es nöthig wird bis zum Torcular Heroph. So weit die septische 
Beschaffenheit reicht, wird er incidirt und die äussere Wand fortgeschnitten. 
Geht der septische Thrombus auf die Jugularis über, so ist nach J. die Unter- 
bindung der Jugularis zweifellos angezeigt, ferner in den Fällen, wo nach der 
Eröffnung des Sinus die Pyämie fortbesteht. In den Fällen, wo die Thrombose 
auf den Sinus beschränkt ist, hält J. im Allgemeinen die Sinuseröffnung für 
ausreichend. Die Verhältnisse liegen nach Thrombosirung des Bulbus gar nicht 
so günstig für eine Verschleppung. 

Durch einfache Entleerung des persinuösen Abscesses gelingt es noch, den 
bereits gebildeten Thrombus vor dem Zerfall zu schützen. Bestimmend für den 
Erfolg ist vor allem die Schwere der Infection, ein Moment, welches in den 
statistischen Tabellen zur Berechnung des Werthes der verschiedenen Operations- 
methoden nicht ausgedrückt ist. 

Zum Schlusse theilt Jansen die Resultate mit, die an der Berliner Ohren- 
klinik erzielt sind. (Autorreferat.) 


Im Anschluss an diese beiden Referate entwickelt sich eine ziemlich 
ausgedehnte Discussion, aus der wir Folgendes hervorheben wollen. 


Hr. Kretschmann wendet sich gegen die Ausräumung des Sinus mit 
dem Löffel wegen der Gefahr der Nebenverletzung; er würde lieber den Thrombus 
spontan loslösen lassen. 

Hr. Jansen glaubt die Infectionsgefahr durch den septischen Thrombus 
gleichzeitig mit dem Eingriff beseitigen zu müssen. 

Hr. Jo&1 betont die Nothwendigkeit des Aufsuchens des Abscesses bei acuten 
Eiterungen von der Schupp® aus als zweckmässiger behufs Conservirung der 
Funktionsfähigkeit des Mittelohres. 

Herr Kümmel fürchtet bei Probepunktionen, besonders nahe bei einander 
liegenden, Schädigung der Hirnsubstanz durch Eindringen des infeetiösen Eiters 
in die Stichcanäle. 

Hr. Jansen hat bei den Sectionen die Canäle der Probestiche entweder 
klar oder hämorrhagisch, aber nie eitrig oder zerfallen aussehend gefunden. 

Auf Anfrage des Herrn Barth bestätigt er das Verkommen von frucht- 
losen Operationen mit Heilung der Hirnsymptome. 

Hr. Kessel fragt nach den Labyrinthsymptomen bei Eröffnung der Bogen- 
gänge. Diese waren selten, da die Bogengänge meist schon vorher durch die 
Eiterung funktionsunfähig waren; doch war zeitweise Schwindel vorhanden, oder 
anamnestisch festzustellen. 


16. Hr. Wolf: Eisen, Blei, Silber und Quecksilber in der Ohren- 
heilkunde. 


Redner will sich sowohl über den Nutzen als auch über die Schäd- 
lichkeit dieser Metalle im internen Gebrauch verbreiten. Das Eisen beseitigt 
die Chlorose und mit ihr die durch sie bedingten trophischen Störungen der 
Hörfunktion, als Sausen, Schwerhörigkeit, Pulsgeräusche; das Zustandekommen 


13* 


194 Bericht üb. d. Verhandl. d. 4. Versamm!. d. Deutsch. otolog. Gesellsch. 


letzterer wird besonders bei zugleich bestehender hereditärer Disposition zu Ohr- 
erkrankungen beobachtet. Ueber die Wirkungsweise des Eisens schliesst sich 
Vortragender der Ansicht von Noordens an, dass mangelhafte Anbildung, 
nicht Hämoglobinverlust, die Ursache der Chlorämie sei und das Medicament 
demgemäss als Anbildungsreiz wirke. Daher genügen kleine Dosen; 1 Messer- 
spitze Ferr. reduct. nach der Suppe; weniger empfiehlt er Stahlbäder und -Wässer. 
Das Silber wird als Argentum nitricum in Form der Schwartze'schen 
‚ Aetzungen von Wolf nicht gerne benutzt, vielmehr der weiter unten zu be- 
sprechende Sublimatspiritus. Es wird zur Haarfärbung benutzt, ebenso wie das 
Blei. Letzteres ist weit gefährlicher; es kann plötzlich hochgradige Schwer- 
hörigkeit mit heftigen Neuralgieen auftreten, wie W olf an einem sehr drastischen 
Falle schildert, der geheilt wurde. Das Quecksilber (s. oben) bezeichnet Redner 
als vortreffliches Heilmittel bei chronischen Otorrhoen in Form von Sublimat- 
spiritus in 10/oiger Concentration. Der Gehörgang wird damit erfüllt und durch 
das Politzer’'sche Verfahren das Eindringen in die Paukenhöhle erleichtert. 
Dabei werden vorhandene Granulationen vorher mit dem scharfen Löffel entfernt. In 
einem Falle von erheblicher Gesichts- und Gehörsstörung bei einem jungen Mädchen 
sah Wolf trotz einer Schmiercur von 60 Einreibungen mit Ungt. cinereum, 
Pilocarpininjectionen, Lufteinblasungen, Kalium jodatum per os keine wesentliche 
Besserung; solche trat erst nach einer Cur in — Wörishofen ein, aber nur be- 
züglich des Gesichtes. Vortragender glaubt die von den Metallen ausgehenden 
Heilungen im Wesentlichen durch Mitwirkung des Sympathicus bewerkstelligt. 


Discussion: Hr. Szenes will bei dem Gebrauch des Sublimatspiritus 
das heilende Agens mehr im Spiritus als im Sublimat sehen. 


Hr. Stimmel zieht das Hydrargyrum oxydatum cyanatum in 5 procentiger 
Lösung vor, da es im Gehörgang weniger reizt; alternirend mit Resorcinlösung 
erreicht er gute Erfolge. Bei M&niere’scher Erkrankung, auch alten Formen, 
bedient sich St. mit Erfolg der Schmierkur, selb nach erfolgloser Darreichung 
von Kalium jodatum. 


Hr. Reinhard lobt die Schmiercur bei Lues des inneren Öhres. 


Hr. Dennert empfiehlt die tonisirende Behandlung. Er hat eine grosse 
Anzahl von chronischen Mittelohreiterungen gesehen, welche operirt werden 
sollten, aber ohne operative Eingriffe zur Heilung kamen. 


17. Hr. Szenes: Sollen wir uns in acuten Fällen gegenüber der 
Indication von Warzenfortsatzoperationen conservativ oder radical ver- 
halten ? | 


Wenn auch die operative Eröffnung des Warzenfortsatzes heutzutage von 
jedem modernen Ohrenarzte als „Conditio sine qua non“ seiner Thätigkeit be- 
trachtet werden muss, und nach chirurgischer Vorschrift ausgeführt kaum etwas 
Bedenkliches an sich hat, soll die Operation dennoch nur als ultimum refugium 
hingestellt werden, wenngleich als certissimum, da man durch die günstigen 
Erfolge des Opcrirens leicht vom anderen Extreme: hingerissen werden könnte, 
und auch dort operiren will, wo es nicht unbedingt nothwendig ist. Die Ope- 
ration für den einzelnen Fall kann immer nur bei grosser Erfahrung mit Sicher- 
heit bestimmt werden (Schwartze), und Sz. meint, dass solche Erfahrungen 


Bericht üb. d. Verhandl. d. 4. Versamml. d. Deutsch. otolog. Gesellsch. 195 


nur an solchen Fällen instructiv sein können, welche man vom Beginne, wo 
selbst die geringsten Spuren einer Mitaffection des Warzenfortsatzes noch fehlen, 
bis zur vollkommenen Genesung beobachtet hat. In Fällen, wo Sz. Anfangs 
nur die primäre Paukenhöhlenerkrankung sah, später aber, während und trotz 
seiner Behandlung, die consecutive Miterkrankung des Warzenfortsatzes nicht 
ausblieb, wurde das operative Einschreiten seltener nothwendig, als in solchen 
Fällen, welche er schon bei bestandener Mitaffection des Warzenfortsatzes zum 
ersten Male sah. 

Sz. tbeilt in extenso die Krankengeschichte eines Falles mit, wo sich bei der 
acuten Otitis media, trotz sofortigen Einschreitens (Paracentese, Blutegel, Anti- 
phlogose) die characteristischen Symptcme des Warzenfortsatzempyems (profuse 
Secretion, rahmiges Secret, Druckempfindlichkeit, aufgetriebener Knochen, schlitz- 
förmige Verengerung der Gehörgangslichtung gefüllt mit Wucherungen) ent- 
wickelten, und es erfolgte dennoch ohne Operation eine Restitutio ad integrum 
im strengsten Sinne des Wortes, 

Sz. will durch diesen Fall nicht im geringsten Maasse Stellung genommen 
haben gegen das operative Einschreiten, auch denselben nicht mitge- 
theilt haben, um zu beweisen, dass man etwa Kunststücke ohne Operation aus- 
führen kann, sondern eher nur einen Beleg dazu liefern, wie schwer es 
manchmal werden kann, die vollkommen unbedingte Nothwen- 
digkeit eines operativen Eingriffes vor sich selbst zu verantworten. 
Man soll in puncto des Operirens und Nichtoperirens bei acuten Fällen weder 
zu conservativ noch zu radical sein, sondern möglichst sich an die goldne 
Mittelstrasse halten. (Autorreferat.) 


4. Sitzung. 


18. Demonstration der Katz’schen Präparate, die allseitigen 
Beifall finden. 


18a. Hr. Szenes: Ueber einen seltenen Fall von Otitis externa 
post infectionem. | 


Der protrahirte Verlauf einer rechtsseitigen Otitis externa diffusa 
betraf eine Amme, welche sich das Ohr wegen Juckreizes rüttelte, und sich un- 
achtsamer Weise die Infection vom geimpften Arme des Säuglings zuzog. 
Pat. hatte übrigens auf der linken Wange. lcm weit von dem linken Mund- 
winkel, auch noch eine regelrechte Vaccinations-Pustel. 

Nach einem Verlaufe von 23 Tagen hörte die früher unter stürmischen 
Erscheinungen einhergegangene Entzündung auf, es erfolgte eine schwache 
Desquamation der Gehörgangswände, und nach weiteren 10 Tagen war im 
Eingange des äusseren Wehörganges, an der unteren Wand, die 
narbige Entartung der Haut zu sehen, ähnlich jenen Stellen, die jeder 
am Oberarm dort hat, wo die Vaccination vorgenommen wird, 

Aehnliche Infectionen sind in der Ophthalmologie beschrieben, wo die 
Infection auf die Conjunctiva übertragen wurde. Die otologische Literatur 
enthält keine ähnlichen Fälle, weshalb Sz. den seinigen schon der Seltenheit 
wegen für erwähnenswerth hielt. (Autorreferat.) 


196 Bericht üb. d. Verhandl. d. 4. Versamml. d. Deutsch. otolog. Gesellsch. 


19. Hr. Walb: 


Anknüpfend an die Erfolge der Untersuchungen von Kossel und Hart- 
mann, die die schon von v. Tröltsch geäusserte Ansicht, dass die im Mittelohr 
von Neugeborenen gefundenen Secrete pathologische seien, besonders durch die 
bakteriologische Untersuchung bestätigten, hat Walb seine Aufmerksamkeit 
einer Anzahl atrophischer Kinder zugewandt. Zur Reinigung des Gehörgangs 
diente ihm Glycerin. Um jedoch den Abfluss des Secretes durch die bei Säug- 
lingen ja weite Tube zu sichern, wandte er eine Form des Politzer'schen Ver- 
fahrens an, indem er durch kleine Ballons Luft einblasen liess; die Erfolge 
waren gute. Walb glaubt, dass man bei allen nicht sehr gut gedeihenden 
Kindern von den Müttern und Hebammen regelmässige Lufteintreibungen und 
desinficirende Ausspülungen der Nase und des Nasenrachenraumes machen 
lassen solle. 

Discussion: Hr. Panse wendet sich gegen die mit den übrigen Unter- 
suchungen in Widerspruch stehenden Gonokokkenbefunde im Mittelohr Neuge- 
borener, die der (nicht mehr anwesende) Herr Haug veröffentlichte; ihm stimmt 
Herr Brieger und Herr Hartmann zu. 

Hr. Hartmann empfiehlt, den Gehörgang in erster Linie trocken unter 
Ablösung einer dünnen Membran mit der Sonde und Entfernung mit der Zange 
zu reinigen. Gelingt dies nicht, erweist sich die Anwendung von Wasserstoff- 
hyperoxyd als am zweckmässigsten. 

. Hr. Beckmann will stets zuerst die Rachentonsille operiren. 

Hr. Zaufal erinnert daran, dass in der Mundhöhle durch allzu grosse 
Reinlichkeit Ulcerationen hervorgerufen werden können; die beste Reinigungs- 
methode ist der Saugact; die Secrete aus Nasenrachenraum und Tube werden 
dadurch wohl mit entleert. Hebammen den Ballon in die Hände zu geben, 
‚sowie solche unfertige Sachen zu früh ins Publikum zu bringen, ist nicht rathsam, 
sondern eher oft unheilvoll. 


Es folgen Demonstrationen. 


I 

20. Hr. Lucae: Ein neues Instrument zur Hervorziehung des 
Hammergriffs bei starker Einziehung resp. Verwachsung des Trommelfells. 

Ein langer dünner Cylinder, in dem sich mit Feder- und Schraubenwirkung 
ein Häkchen vorschiebt. Die Kraft der Einwirkung wird hierdurch regelmässig 
und nicht manuell ausgeübt. | 

21. Hr. Hansberg demonstrirt an in Müller’scher Flüssigkeit 
und Alkohol gehärteten Gehirnen die Beziehungen der Hirnabscesse zur 
inneren Kapsel etc. 


22. Hr. Reinhard zeigt eine Haube vor, die, Raum zur Warzen- 
fortsatzoperation lassend, den übrigen Kopf bedeckt behufs Einhaltung 
des Asepsis; ferner kleine Keile zum Fixiren des Kopfes, um dem 
Assistenten eine Hand zu sparen. Demonstration pathologisch anatomischer 
Präparate durch Herrn Reinhard. 


Bericht üb. d. Verhandl. d. 4. Versamnıl. d. Deutsch. otolog. Gesellsch. 197 


233. Hr. Panse zeigt sterilisirte kleine billige Tücher mit Löchern 
für Trichter und Muschel zum Fortwerfen nach kurzem Gebrauch. 


24. Hr. Brieger zeigt die photographische Abbildung eines grossen 
Hautcarcinoms, das 15 Jahre bestanden und das Ohr mit ergriffen 
hatte. Krebszellen waren bei der langen Dauer des Processes nicht 
mehr aufzufinden. 


25. Hr. Beckmann zeigt sein Instrument zur Entfernung der 


Rachentonsille. 

Dasselbe, ähnlich dem Gottstein'schen, bildet aber ein Viereck, ist ohne 
Stielkrümmung, kräftiger gearbeitet (Windler-Berlin) und über die Fläche 
gekrümmt, mit frontaler Erhebung, Convexität nach oben. Beim Einführen 
muss der Kopf nach vorn gedrückt werden; das Abschneiden geschieht in einem 
Zuge; selbst Kinder unter einem halben Jahre hat Vortragender operirt. Die 
Luftdouche hat er in Folge dessen bei Kindern fast nicht mehr nöthig, in 950/g 
aller Fälle genügte die Operation. 

Discussion: Hr. Noltenius operirt die Tonsilla pharyngea in Chloro- 
formnarcose. 

Hr. Hoffmann ist dagegen. Hr. Joël dafür. 

Hr. Walb liebt Instrumente mit veränderlicher Form, entsprechend der 
veränderlichen Form der Rachenmandel. 

Hr. Stacke wünscht die Narcose wegen der Beängstigung der Patienten, 
seine Instrumente sind die von Gottstein und Moritz Schmidt. 

Hr. Brieger hält Recidive für vorkommend, wendet sich gegen die An- 
nahme, dass Tuberkulose die Ursache der Rachenmandel sei und operirt mit dem 
Löffel von Trautmann und dem Finger. 

Hr. Zaufal hält die Auskratzung der adenoiden Wucherungen mit dem 
Finger bei deren Weichheit für genügend. | 

Hr. Hartmann empfiehlt bei genügend weiter Nase, insbesondere bei 
älteren Kindern die Anwendung der kalten Schlinge durch die Nase. 

Hr. Walb empfiehlt das Instrument von Schütz. 

Hr. Kayser hat ebenfalls Recidive beobachtet. 

Hr. Seligmann hält bei Narcose die Gefahr der Aspirationspneumonie für 
gegeben. 


26. Hr. Leutert: Zwei Präparate zur Entstehung eines Choleste- 
atoms. | 


27. Hr. Kayser: Demonstration eines Apparates zur exacten Be- 
stimmung der Luftdurchgängigkeit der Nase. (Rhinometer). 

Dieser etwas umständliche, aber ingeniöse Apparat besteht aus einem Blase- 
balg, welcher eine bestimmte Menge Luft mit stets gleicher Kraft ansaugt. 
Durch eine selbstthätige Vorrichtung öffnet und schliesst dieser Blasebalg bei 
seiner eigenen Oeffnung das untere Abflussende einer mit Wasser gefüllten 
gruduirten Glasröhre, so dass nur während der Zeit, in der der Balg saugt, 
Wasser abfliesst. Je langsamer daher die Luft in den Balg strömt, um so mehr 
kann Wasser abfliessen und umgekehrt. Kennt man nun die Menge des ab- 


t 


198 Bericht üb. d. Verhandl. d. 4. Versammil. d. Deutsch. otolog. Gesellsch. 


fliessenden Wassers beim einfachen Ansaugen durch ein geöffnetes Rohr und 
setzt man nun dieses Rohr luftdicht an den Mund bei ruhig gestelltem Zwerchfell 
(Exspirationsstellung), so erfährt man aus dem Vergleich der nunmehr abfliessenden 
Wassermenge mit der bekannten den Grad der jeweiligen Behinderung des 
Luftdurchgangs durch die Nase, da der Blasebalg nur auf diesem Wege die 
Luft ansaugen kann, d. h. sie durch Nase und Mund ziehen muss. Eine Tabelle 
gestattet leichtere und rasche Berechnung. 


28. Hr. Zaufal schliesst die Versammlung, nachdem er selbst 
noch seine Instrumente zur Aufmeisselung der Felsenbeinhöhlen demon- 
strirt hat. 


Präsenzliste. 
1. Anton, Prag. 35. Krehe, Jena. 
2. Barth, Marburg. 36. Kretschmann, Magdeburg. 
3. Beckmann, Berlin. 37. Kümmel, Breslau. 
4. Behrendt, Berlin. 38. Leutert, Halle. 
5. Biedermann, Jena. 39. Lucae, Berlin. 
6. Binswanger, Jena. 40. Meier, Magdeburg. 
7. Brandt, Strassburg i. E. 41. Moldenhauer, Leipzig. 
8. Brauckmann, Jena. 42, Müller, Altenburg. 
9 


. Breitung, Coburg. 
10. Brieger, Breslau. 
11. Brockhoff, Bonn. 
12. Bürkner, Göttingen. 
13. Dennert, Berlin. 
14. Fricke, Stettin. 

15. Friedrich, Leipzig. 
16. Haeckel, Jena. 


17. Hansberg, Dortmund. 


18. Hartmann, Berlin, 
19. Haug, München. 
20. Hecke, Breslau. 
21. Heine, Berlin. 

22. Hessler, Halle. 
23. Hoffmann, Dresden. 
24. Hübner, Stettin. 
25. Jansen, Berlin. 
26. Jens, Hannover. 
27. Joël, Gotha. _ 

28. Joseph, Stettin. 
29. Karutz, Lübeck. 
30. Katz, Berlin. 

8l. Kayser, Breslau. 
32. Kessel, Jena. 

33. Koch, Jena. 

34. Körner, Rostock. 


. Noltenius, Bremen. 

. Obermüller, Jena. 

. Panse, Dresden. 

. Pfeiffer, Leipzig. 

. Reinhard, Duisburg. 

. Riedel, Jena. 

. Richter, Prag. 

. Rohden, Halberstadt. 

. Roller, Trier. 

. Schubert, Nürnberg. 

. Seligmann, Frankfurt a. M. 
. Skutsch, Jena. 

. Sonnenkalb, Chemnitz. 
. Stacke, Erfurt. 

. Stern, Metz. 

. Stimmel, Leipzig. 

. Stintzing, Jena. 

. Szenes, Budapest. 

. Thies, Leipzig. 

. Ulrichs, Halle, 

. Walb, Bonn. 

. von Wild, Frankfurt a. M. 
. Wolf, O. Frankfurt a. M. 
. Zaufal, Prag. 

. Ziehen, Jena. 


Vermischtes. 199 


Nekrolog. 
Dr. Wilhelm Meyer, Kopenhagen t. 


Am 17. Juni verstarb auf der Rückkehr von einer Erholungsreise 
in Venedig an Cholerine Dr. Wilhelm Meyer, Ehrendoctor der 
Medicinischen Facultät in Halle. 


Der Entdecker und klassische Monograph der adenoiden Vegetationen 
hat sich durch diese wissenschaftliche Leistung allein ein Denkmal ge- 
setzt, dauernder als Erz! 


Ehre’ seinem Andenken! | E Moos. 


Personalien. 


Professor Dr. Koerner in Rostock hat einen Ruf nach Breslau 
als Nachfolger Gottstein’s erhalten und abgelehnt; in den letzten 
Tagen wurde Professor Dr. Siebenmann berufen. 


Unser geschätzter Mitarbeiter, der Docent für Hals- und Ohren- 
krankheiten V. Uchermann in Christiania ist zum ordentlichen 
Professor ernannt worden. Durch Gesetz vom 21. Juli 1894 können 
Professoren auf begrenzte Zeit ernannt werden, welche »zubeorderte« 
(tileforderde) Professoren heissen. Sie haben Sitz und Stimme in der 
Facultät wie ordentliche Professoren. Gleichzeitig mit Uchermann’s 
»zubeorderter Professur« wurden noch 4 andere geschaffen. 


Berichtigung 
von 
E. Schmiegelow in Kopenhagen. 

Nach Veröffentlichung meiner Arbeit über otitische Gehirnabscesse 
in dieser Zeitschrift, XXVI. Band, hat Herr College Jo&l aus Gotha - 
die Freundlichkeit gehabt, mich darauf aufmerksam zu machen, dass 
die Sprachstörungen, die in einem seiner Fälle, die ich in meiner Arbeit 
nach einem Referate im Archive für Ohrenheilkunde referirt habe, nicht 


200 Vermischtes. 


vor, sondern nach der Operation aufgetreten sind. Mein Irrthum wird 
erklärlich durch das kurze Referat seines Falles im Archive. Dr. Joël 
glaubt, und ich kann ihm in dieser Beziehung beipflichten, dass die 
Sprachstörungen durch Verletzung der Hirnrinde in Folge der zahlreichen 
Einschnitte bedingt sind. 


Kopenhagen, Mai 1895. 


Berichtigung. 


In Heft 1 der Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Band XXVII, ist in 
der Besprechung von E. Bloch in Freiburg, 


»Ueberschau über den gegenwärtigen Stand der 
Ohrenheilkunde von Prof. Dr. Fr. Bezold« 


‘auf Seite 85, Zeile 19 von oben der sinnstörende Druckfehler last not 
least stehen geblieben. Es muss, wie aus dem Zusammenhange ersicht- 
lich, last and least heissen. 


Der fünfte internationale otologische Congress 
findet vom 23. bis 26. September 1895 in Florenz statt. 


Präsident: Professor V. Grazzi in Florenz, Borgo dei Greci No. 8. 
Secretär: Dr. T. Bobone in San Remo. 


Die Herren Mitarbeiter 


der Zeitschrift werden ersucht, alle Beiträge für 
die Zeitschrift für Ohrenheilkunde nicht dem Unter- 
zeichneten, sondern direct dem Herrn Verleger 


J. F. Beremann in Wiesbaden zusenden zu wollen. 
D 


Moos. 


Tausch und Lieferung med. Bücher und Zeit- 
nkauf schriften zu günstigen Bedingungen. 
unm Krüger & Comp., Leipzig, Med. Antig. 

Kataloge gratis; Preisanfragen werden sofort beantwortet. 








Neuester Verlag von J. F. BERGMANN in Wiesbaden. 


Soeben erschien: e 


Atlas 


der 
Histopathologie der Nase, der Mundrachenhöhle 
und des Kehlkopfes. 
Enthaltend 77 Figuren auf 4o Tafeln in Farbendruck und 8 Zeichnungen. 


Bearbeitet von 


Dr. Otto Seifert, und Dr. Max Kahn, 
Privatdocent ın Würzburg. Specialarzt in Würzburg. 
In Mappe. Preis: M. 27.— l 
P Die Bilder sind colorirt, durchweg ausserordentlich klar 


und übersichtlich, naturtreu und prachtvoll gezeichnet und mit 
erklärendem Text versehen. Man kommt in Verlegenheit, wenn man sagen soll, 
a dieser Bilder am besten gelungen ist. — Alle lassen nichts zu wünschen 
übrig ...... 

Es unterliegt keinem Zweifel, dass dieses Werk eine allseitige, wohlverdiente 
Beachtung finden wird. Dasselbe ist und bleibt für den Laryngologen 
ein geradezu unentbehrlicher Berather, für den Forscher auf dem 
Gebiete der pathologischen Anatomie ein erwünschtes Hilfsmittel zur raschen 
Orientirung und für den praktischen Arzt eine willkommene Stütze für seine 
Studien und für die Controlle seiner operativen Thätigkeit. — Die Austattung 
ist eine Baus und der Preis (27 Mk.) muss im Verhältniss zu dem, was 
das Werk bietet und wie es ausgestattet ist, als ein sehr mässiger bezeichnet 
‘werden. Deutsche med. Wochenschrift. 


en Auf den vierzig Tafeln, von welchen jeder ein erläuternder Text 
beigegeben ist, werden wir durch 79 Abbildungen gründlich über das ganze 
Gebiet der Nasen-, Mund-, Rachen- und Kehlkopfkrankheiten belehrt. Die 
‚Abbildungen selbst sind nicht etwa schematischer Natur, sondern grösstentheils 
naturgetreuest wiedergegebene Originale. Man muss beim An- 
blick den rastlosen Fleiss der Herausgeber bewundern ..... 

ER: Und so möge das vortreffliche Werk, dessen Preis im Ver- 
hältniss zu dem, was es bietet, ein sehr mässiger genannt 
werden muss, in keiner Bibliothek fehlen, möge es, wie die Verfasser sagen, 
dem Anfänger zur Belehrung, dem Geübteren zur Controle seiner operativen 
Thätigkeit dienen. Münchener med. Wochenschrift. 


LEE Ein zusammenfassendes Werk über die Histopathologie der Nase, 
der Mundrachenhöhle und des Kehlkopfes hat bisher gefehlt. Daher haben 
Seifert und Kahn, die bekanntlich zu den berufensten Vertretern ihres Special- 
faches zählen, sich die dankenswerthe Aufgabe gestellt, diese Lücke auszufüllen. 
Was sie ausführen wollten, ist ihnen gelungen. Sie haben ihre Aufgabe 
mit meisterhaftem Geschicke gelöst. Die nach selbst ange- 
fertigten mikroskopischen Präparaten gezeichneten Abbildungen 
sind vorzüglich gelungen und künstlerich ausgeführt. 
Therapeutische Monatshefte. 


Neuester Verlag von J. F. BERGMANN in Wiesbaden. 


Soeben erschien: 


UVeberschau 
über 


‚den gegenwärtigen Stand 


Dee 


Von 
Dr. Fr. Bezold, 


Professor der Ohrenheilkunde an der Universität München. 


Preis: M. 7.— 


Kae Der Verfasser, gewiss den meisten Collegen bereits durch seine Bor- 
säurebehandlung ein im eigentlichen Sinne des Wortes wohlbekannter Mann, giebt 
uns hier „nach den Ergebnissen einer 24jährigen statistischen Beobachtung“ in 
ebenso origineller als wissenschaftlicher Form eine kritische Beleuchtung der 
modernen Ohrenheilkunde, ihrer diagnostischen und therapeutischen Hilfsmittel,. 
sowie ihrer wirklichen Leistungen .... . 

a Ueberhaupt geht durch das Buch der nämliche grosse Zug, der das: 
gesammte Schaffen Bezold's kennzeichnet, und der uns wiederum beweist, wie- 
der echte klinische Forschergeist selbst da durchdringt, wo das Arbeitsfeld 
räumlich beschränkt und unsern Untersuchungsmitteln schwer zugänglich ist,. 
wie das ganz besonders beim menschlichen Hör-Organe zutrifft... .. 


Dr. Nager in „Korrespondenzblatt für Schweizer Aerzte“. 


Der um die Ohrenheilkunde sehr verdiente Verfasser giebt unter Zugrunde-- 
legung einer Statistik über die von ihm in den letzten 24 Jahren beobachteten 
Ohrenkranken eine Ueberschau über den gegenwärtigen Stand der Ohrenheilkunde 
und über seine Anschauungen und Erfahrungen. Obwohl das Buch für den 
Specialisten gesehrieben ist, wird jeder Arzt, der mit der Untersuchung des Ge- 
hörorgans vertraut ist, viele Anregung und Belehrung daraus schöpfen können.. 


Prof. O. Körner (Rostock) in „Zeitschrift für die ärztliche Landprazis“. 


er Dieses Beobachtungsmaterial, es umfasst mehr denn 20000 Fälle, ist 
in Anbetracht seiner gründlichen Verwerthung als ein sehr grosses zu bezeichnen ... 

Es ist kein ermüdender Bericht, sondern seine Zahlen führen eine beredte 
Sprache, weil ihnen der Verfasser einen klaren Commentar leiht. Fast über alle- 
Capitel der Otiatrie wirft dieser Bericht helle Lichter. Darum wird ihn auch der 
Nicht-Specialist mit vielem Nutzen lesen und aus dem reichen Erfahrungsschatze, 
den er birgt, so manches für die tägliche Praxis Verwendbare sich zu eigen machen. 


Dr. Eitelberg in der „Wiener med. Presse“. 


Nekrolog. 


— eo 


Salemen Moos, geboren den 15. Juli 1831 zu Randegg, 
einem Dorfe in Baden nahe dem Bodensee, starb am 15. Juli 
1895. „Von biedern Eltern zu ernster Lebensauffassung er- 
zogen, hat er sich aus ärmlichen Verhältnissen emporgearbeitet. 
Nachdem er in der Heimath den Unterricht der Volksschule 
genossen, besuchte er die israelitische Stiftungsschule in Müll- 


heim, woselbst er sich vorwiegend der hebräischen Literatur 
widmete und darin solche Fortschritte machte, dass er als 
Knabe den Titel Chaver (Genosse) erhielt. Er besuchte und 
absolvirte sodann, immer unter kärglichen Umständen, das 
Lyceum in Karlsruhe.“ Er studirte Medicin in Heidelberg 
unter Henle, Hasse, Moleschott, Chelius u. A., pro- 
movirte in Heidelberg, machte sein Staatsexamen in Karlsruhe, 
war 2 Jahre lang Assistent an der medicinischen Klinik von 
Hasse, ging zu seiner weitern Ausbildung noch nach Prag und 
Wien, fing 1856 in Heidelberg an zu prakticiren und habilitirte 
sich im Jahre 1859 an (der Universität. Der Titel seiner 
Habilitationsschrift war: „Ueber den Einfluss der Pfortader- 
verschliessung auf die Zuckerbildung in .der Leber.“ 

Kurz darauf verheirathete er sich mit Fräulein Sophie 
Haas aus Karlsruhe, mit der er bis an sein Ende in glück- 
lichster Ehe lebte. 

Seit dem Jahre 1859 widmete sich Moos speciell dem 
Studium der Ohrenheilkunde, wobei er die freundlichste Unter- 





stützung von dem durch technische Gewandtheit und wissen- 


schaftliche Auffassung gleich ausgezeichneten Professor Fried- 
rich Arnold fand. Derselbe sagte ihm eines Tages: „Sie 
haben sich den härtesten Knochen des menschlichen Körpers 
ausgesucht.“ In der praktischen Ausbildung der ÖOhrenheil- 
kunde genoss Moos vielfach den Beistand von Politzer, 
mit welchem er zeitlebens im regsten wissenschaftlichen und 
freundschaftlichen Verkehr geblieben ist. Seine anatomischen 
Studien veranlassten ihn zur Uebersetzung des Lehrbuchs des, 
namentlich durch seine pathologisch-anatomischen Forschungen 
ausgezeichneten, englischen Otologen Toynbee. Er trat da- 
durch ein in den Strom der damals in Deutschland von 
Tröltsch, Schwartze u.A. mit so viel Erfolg betriebenen 
grundlegenden anatomischen Richtung der Ohrenheilkunde. Nach- 
dem er eine Anzahl Artikel im Archiv für Ohrenheilkunde und 
anderwärts veröffentlicht hatte, fasste er seine Studien und Er- 
fahrungen in einem Lehrbuche: „Klinik der Ohrenkrankheiten“, 
Wien, Braumüller 1866, zusammen. An der Hand der ein- 
schlägigen Literatur entwarf Moos ein besonders klares Bild 
des damaligen Standes der Otiatrik, woraus hervorgeht, dass 
er das praktische Gebiet derselben nicht nur aus Büchern, 
sondern auch durch eigene Erfahrung nach allen Richtungen 
zu beherrschen gelernt hatte. 


In dem von ihm und dem Schreiber dieser Zeilen seit 
1869 in deutscher und englischer Sprache herausgegebenen 
Archiv für Augen- und Ohrenheilkunde redigirte er den otia- 
trischen Theil der deutschen Ausgabe und als von dem achten 
Bande desselben an die beiden Abtheilungen dieses Archivs ge- 
trennt und selbstständig erschienen, setzte er die Redaction der 
deutschen otologischen Abtheilung unter dem Titel „Zeitschrift 
für Ohrenheilkunde“ bis an sein Ende fort. In seiner redactio- 
nellen Arbeit zeichnete er sich durch Fleiss, Pünktlichkeit, Ge- 
wissenhaftigkeit und unparteiisches Urtheil aus. In der Zeit- 
schrift für Ohrenheilkunde hat er den grössten Theil seiner 
Arbeiten niedergelegt. Sein beständiges Bestreben, sich durch 





persönliche Arbeit und Erfahrung in allen Zweigen seiner 
Specialität tüchtig auszubilden, machte ihn für die Stellung eines 
Redacteurs besonders geeignet und hat wesentlich zu dem Er- 
folg der „Zeitschrift“ beigetragen. In seiner Praxis war er 
rationell, vorsichtig und ausdauernd. Er folgte vielleicht nicht 
der Entwickelung der sog. Radicalchirurgie durch die deutsche 
und englische Schule, nämlich die gründliche Heilung der schweren 
Eiterungsprocesse und deren Folgen, in demselben Umfange, wie 
er es ohne Zweifel gethan haben würde, wenn nicht eine er- 
schöpfende und tödtlich endende Krankheit in den letzten Jahren 
seines Lebens seine Thatkraft : geschwächt hätte. 


In den ersten 7 Bänden des Archivs für Augen- und 
Ohrenheilkunde (1869—1876) veröffentlichte er 31 Abhand- 
lungen, auf welche wir hier nicht näher einzugehen brauchen. 
Sie sind im Generalregister des 7. Bandes des Archivs, S. 558, 
zusammengestellt. Besonders hervorheben möchten wir jedoch 
die im 6. Bande erschienene und auf 2 Doppeltafeln vortreff- 
lich illustrirte Abhandlung über die Blutgefässe und den Kreis- 
lauf des Trommelfells und Hammergriffs. Die letzte Veröffent- 
lichung in diesem Cyklus war das combinirte Vorkommen von 
Störungen im Gehör- und Sehorgan. 


In dem zweiten Cyklus von sieben Jahren (1879—1885, 
den ersten 7 Bänden der Zeitschrift für Ohrenheilkunde) ver- 
öffentlichte er, nach der Zusammenstellung in der englischen 
Ausgabe dieser Zeitschrift, 47 Arbeiten. 


In dem dritten Cyklus, 1886—1892, erschienen, nach der 
Zusammenstellung von Band 21 der engl. Ausgabe *), 7 Arbeiten 
von ihm und 3 in Gemeinschaft mit Dr. Steinbrügge. 


Seit 1892 hat Moos noch 6 Artikel in dieser Zeitschrift 
veröffentlicht. 


*) Die Bände der englischen Ausgabe der Zeitschrift (Archives 
`of Otology) stimmen an Zahl nicht mit denen der deutschen überein, 
sie umfassen je einen Jahrgang, erscheinen in vierteljährigen Heften 
und sind von ungleichem Umfang, durchschnittlich 400—450 Seiten. 









Ausserdem hat er eine Anzahl Abhandlungen in Virchow’s 
Archiv und andern Journalen erscheinen lassen und ferner noch 
tolgende Monographien verfasst : 





1. Beiträge zur normalen und pathologischen Anatomie 
und zur Physiologie der Eustachischen Röhre. 
Bergmann, Wiesbaden 1874. 







2. Ueber Meningitis cerebrospinalis epidemica, ins- 
besondere über die nach derselben zurückbleibenden 
combinirten Gehörs- und Gleichgewichtsstörungen. 
C. Winter, Heidelberg 1881. 


3. Allgemeine Aetiologie und Beziehungen der Allge- 
meinerkrankungen zu den Krankheiten des Gehör- 
organs, das 12. Capitel in Prof. Schwartze’s 
Handbuch der Ohrenkrankheiten, Band 1, Seite 
472—600. 1892. Jede Seite dieser ausgezeich- 
neten Arbeit legt Zeugniss ab von dem Fleiss, der 
Sorgfalt und Detailkenntniss des Verfassers. Das 
Literaturverzeichniss allein füllt 17 enggedruckte 
Seiten. Und doch hat es Moos verstanden, durch 
Präcision und Knappheit der Sprache den umfang- 
reichen Stoff auf 112 Seiten zu bewältigen. „Die 
Monographie ist nicht allein eine Aufzählung der 
allgemeinen Krankheitsursachen, sondern auch eine 
Schilderung der pathologisch-anatomisch-histiologi- 
schen und, soweit unsere Kenritnisse reichen, 'bak- 
teriologischen Veränderungen in den betreffenden 
Organen, und ferner eine Schilderung der Krank- 
heitssymptome, also im wesentlichen 'eine ‚Pathologie 
des Gehörorgans.“* 


























All dieses zeigt, was für eine grosse Energie und Arbeits- 
kraft der Verstorbene besas. Zu allen Abtheilungen der 
Otologie hat er werthvolle Beiträge geliefert; in einer, der 
Pathologie des inneren Ohres, sowohl in normaler als in: 
pathologischer Beziehung, war er ein Pionier. Seine, durch 
üie schönsten Zeichnungen veranschaulicliten, ‘vielfältig in den 
















Bänden dieser Zeitschrift niedergelegten Beschreibungen sind 
nicht nur ein Denkmal für ihren Verfasser, sondern werden 
auch grundlegend für künftige Forschungen bleiben. In ma- 
kroskopischer und mikroskopischer Anatomie kann man Moos 
an die Seite der besten Untersucher stellen; in der Erforschung 
der Pathologie des Labyrinths steht er oben an. 

Bezüglich seiner akademischen Stellung mag erwähnt sein, 
dass seine wissenschaftlichen Arbeiten ihm frühzeitig den Titel 
eines ausserordentlichen Professors verschafften. Seine klinischen 
Kurse und Vorlesungen führten zur Errichtung einer staat- 
lichen otiatrischen Poliklinik, welcher er bis an sein Ende 
unermüdlich vorstand. Im Laufe der Jahre brachte er eine | 
ausgezeichnete, anatomische und pathologisch-anatomische Samm- 
lung zu Stande, welche an feineren mikroskopischen Präparaten 
kaum übertroffen sein dürfte. Da es an den deutschen Uni- 
versitäten noch keine ordentlichen Professuren für Otologie 
giebt, ernannte ihn sein Landesherr, um seine Verdienste zu 
ehren, nicht nur zum Hofrath, sondern auch zum Professor 
honorarius. Was er angeregt und geschaffen hat, wird seinen 
Nachfolgern an der Universität zu gute kommen, seine wissen- 
schaftlichen Leistungen bleiben in der Geschichte der Ohren- 
heilkunde aufbewahrt. 


New-York, den 23. September 1895. 


H. Knapp. 





parea Google 


Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 201 


° 


XIII. 


Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 


Von Stanislaus von Stein, 
Privatdocent an der Kaiserl. Universität zu Moskau. 


(Mit 7 Abbildungen im Texte.) 
Der Redaction zugegangen am 28. Fehruar 1895. 


(Fortsetzung aus dem 2. Heft, Bd. XXVII.) 


Was die subjectiven Empfindungen des Kranken, d. h. Schwindel 
und Ohrensausen, anbetrifft, so muss ich Folgendes bemerken. 

Die Mehrzahl der von mir untersuchten Kranken leidet an Co- 
ordinationsstörungen ohne cine Spur von Schwindelgefühl. 
Die Unmöglichkeit gewisse Bewegungen zu verrichten, oder gewisse 
Lagen zu behaupten, wird von den Patienten verschieden erklärt. Die 
einen sagen, dass eine unüberwindliche Kraft sie in einer gewissen 
Richtung hinstösst, hinzieht; die anderen aber verlieren Raumvorstellungen 
in gewissen Richtungen, und bemühen sich durch entsprechende Be- 
wegungen zu compensiren, aber verlieren dabei das Gleichgewicht. 

Ein Parallelismus zwischen subjectiven Gehörsempfindungen (Ge- 
räuschen, Summen, Sieden, Sausen etc.) und Gleichgewichtsstörungen 
liess sich nicht immer feststellen. Oft aber werden sehr starke Ge- 
räusche von Störungen begleitet. Starke Geräusche ohne Gehörsschwächung 
mit gleichzeitig gut markirten Coordinationsstörungen sprechen mehr 
bei Ausschluss anderer möglicher Nervenleiden für ein Labyrinthleiden. 
Auf diese Weise wird uns ein Mittel in die Hand gegeben dort, wo 
wir mit der Inspection des Ohres und Prüfung mit Tönen (Rinne, 
Weber), nicht sicher sind, ob das Labyrinth schon affieirt ist oder 
nicht, noch eine Diagnose festzustellen. 


a) Gehörverminderung für Luftleitung, gute Knochenleitung, keine 
Coordinationsstörungen — Affection des schallleitenden Apparates. 

b) Gehörverminderung für Luftleitung, gute Knochenleitung, Ohren- 
sausen, keine Coordinationsstörungen — Affection des schallleitenden 
Apparates und des Hörzweiges. | 

c) Gehörverminderung für Luftleitung, gute Knochenleitung, kein 
Ohrensausen, Coordinationsstörungen — Affection des schallleitenden 
Apparates und des rami statico-dynamici in Folge des erhöhten Intra- 
labyrinthdruckes, der Hyperämie oder Entzündung. Werden die Störungen 

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXVII. 14 


202 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 


besser nach dem Catheterisiren, so haben wir mit dem Leiden des 
Schallleitungsapparates zu thun. Bei veralteten Fällen erhält man nach 
dem Durchblasen ein negatives Resultat. 

d) Gehörverminderung für‘ Luftleitung, Knochenleitung erhalten, 
Ohrensausen, .Coordinationsstörungen — Affection des schallleitenden 
Apparates, des rami acustici und des rami statico-dynamici. ° 

e) Luftleitung gut, Knochenleitung gut, Ohrensausen, Coordinations- 
störungen — Affection des rami acustici und rami statico-dynamici. 

f) Luftleitung gut, Knochenleitung gut, Coordinationsstörungen — 
hier kann man nicht gradeaus sagen, dass uns eine Affection des rami 
statico-dynamici vorliegt. Sobald nach dem Durchblasen die Störungen 
besser werden, so kann man ein Labyrinthleiden vermuthen. Noch mehr 
gewinnt die Diagnose an Wahrscheinlichkeit, sobald nach Instillation von 
Cocaintropfen in den äusseren Gehörgang oder nach Eintreibung von 
Cocaindämpfen die Störungen an Intensität abnehmen. In diesen Fällen 
müssen sehr sorgfältig alle Organe untersucht werden. In schwereren 
Fällen können Gleichgewichtsstörungen auch mit offenen Augen eintreten. 


Was die Localisation der Coordinationsstörungen der Bewegungen 
anbetrifft, so kann man auf Grund der bekannten Hypothese einstweilen 
folgendes vermuthen: 


1. Störungen der statischen Muskelthätigkeit weisen auf die Affection 
des Utrieulus und Sacculus hin. 


2. Störungen der dynamischen Muskelthätigkeit (mit Augennystagmus) 
lassen ein Leiden des Ampullarapparates vermuthen. 

Bei Vorhandensein von Schwindel treten alle Bewegungsstörungen 
noch klarer zu Tage, aber werden dabei diffuser, unordentlicher. 

Die Symptome einer Labyrintherkrankung — Geräusche, Schwer- 
hörigkeit bis Taubheit, Schwindel, Gleichgewichtsstörungen (unsicherer 
Gang, Drehbewegungen etc.), Ueblichkeit, Brechneigung, Erbrechen, 
ohnmachtsähnliche Zustände — können sich auf folgende Weise com- 
biniren. 

I. Ohrgeräusche allein verschiedenen Charakters (seit lange bekannt). 

II. Schwerhörigkeit bis Taubheit allein (seit lange bekannt). 

III. Ohrensausen, Schwerhörigkeit bis Taubheit (seit lange bekannt). 
VI. Schwindel allein mit Gleichgewichtsstörungen (seit M&niere). 


„Un cocher ressentit un jour quelques troubles de la vision. Jl lui sem- 
blait que les objets se voilaient de blanc, et oscillaient comme si la voiture 
était en mouvement. Jl se couche, et bientôt il éprouve des vertiges, mais 


Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 203 


sans accompagnement de bruits. Il dort mal, et le lendemain, au lever, il 
ne peut plus se tenir debout. Il luij fallut se recoucher; il n'avait pas de 
nausées, pas de.mal de tête: mais dès qu'il essayait de s'asseoir sur son 
lit, tout tournait autour de lui, et il devait s'étendre à plat. Cependant 
il se sentait de l'appétit etc. 

V. Plötzliches Stürzen zu Boden, Ohrgeräusch, Schwindel mit Gleich- 
gewichtsstörungen (seit Ménière). . 


p. 379. „Une dame sentit tout à voup un coup de sang dans l’oreille 
gauche. Elle fut prise en même temps d'un état syncopal, mais sans nausées; 
elle se retira dans sa chambre, se mit au lit, éprouvant des bruits tout à 
fait nouveaux pour elle, qui occupaient cette oreille. Il y avait en même temps 
de légers vertiges.“ 

VI. Ménière’scher Symptomencomplex : gemeinschaftliches, manches- 
mal apoplektiformes Auftreten von Ohrensausen, Schwerhörigkeit (bis 
Taubheit), Schwindel, Uebelkeit, Brechneigung bis zum Erbrechen, Gleich- 
gewichtsstörungen. 

Hierher füge ich noch folgende zwei Symptomencomplexe hinzu: 


VI. Ohrensausen mit Gleichgewichtsstörungen in be- 
stimmten Richtungen, mit oder ohne Schwächung des Gehörs, 
ohne Schwindelanfälle, ohne Uebelkeit, ohne Erbrechen. 

Zu dieser Categorie gehört die Mehrzahl der von mir untersuchten 
Kranken. Die Gleichgewichtsstörungen äussern sich gut mit geschlossenen 
Augen, mit offenen aber nur in einigen Fällen bei sehr schnellen Be- 
wegungen. 

VII. Ohrgeräusche, Schwächung des Gehörs verschiedenen Grades, 
momentaner Sturz zu Boden mit geschlossenen Augen, 
ohne Schwindelanfälle, Uebelkeit, Erbrechen bei Intactseins der Haut- 
empfindlickeit, der Muskelkraft und des Muskelsinns ohne Verlust des 
Bewusstseins. Durch die Anwesenheit der Hautsensibilität unterscheiden 
sich diese Symptomcomplexe (sub VII und VIII) von dem Brach- 
Rompberg’schen Symptome, durch Abwesenheit von Schwindel, Uebel- 
keit, Erbrechen von M&niere’schem Symptomencomplexe. 

Die Symptome sub. VII bilden nur eine Theilerscheinung leichteren 
Grades des Symptomencomplexes sub VIII, bei welchen die beiden 
unteren Extremitäten versagen und der ganze Körper zusammenbricht. 

In prognostischer Hinsicht. ist folgendes zu bemerken: Je 
stärker, permanenter oder mannigfaltiger die Gleich- 
gewichtsstörungen beim peripheren Ohrenleiden mit gleich- 
zeitiger Schwächung des Gehörs sind,’desto weniger hat 


man Hoffnung auf eine Herstellung des Gehörs. 
14* 


204 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden 


Ausserdem ist in differential-diagnostischer Hinsicht nicht zu ver- 
gessen, dass viele Ohrenleidende über schnell vorübergehende Ohnmachts- 
anwandlungen, über ein zur Seite Schleudern während des Gehens und 
über ein momentanes Niederfallen (Meniere)!). dabei aber ohne Ver- 
lust oder nur mit leichter Betäubung des Bewusstseins 
Charcot?) Meniere?°), klagen. Alle diese Leiden wurden und werden 
öfters auch noch jetzt, wie ich mich auch überzeugen konnte, als petit 
mal oder als epileptischer Schwindel behandelt (M&niere)*). Ich meiner 
Seits muss hier notiren, dass unbedeutende Störungen bei nicht diagno- 
stieirten Ohrenleiden öfters als Anfangsperiode einer Ataxie (corticalen, 
cerebellaren, bulbären, spinalen, sensorischen) betrachtet und darauf hin 
behandelt wurden. Leichte incoordinirte Bewegungen beim schnellen 
Aufstehen von einem niedrigen Sessel, beim Stehen auf einem Fusse, 
beim Gehen, beim plötzlichen Stillhalten, beim Rückwärtsgehen, beim 
Niedersteigen über eine Treppe u. s. w. werden als Anfangsperiode einer 
Ataxie erklärt. Alle diese abnormalen Erscheinungen lassen sich 
ganz leicht auch durch Labyrinthaffeetion erklären. Der bekannten 
Theorie nach sind die Otolithenplatten Gebilde, welche nicht unserem 
Willen, sondern der Schwerkraft gehorchen und welche einen ge- 


1) Paul Ménière. Mémoire sur des lésions de l'oreille interne donnant 
lieu à des symptômes de congestion cérébrale apoplectiforme. 

Lu à l'Académie impériale de médecine dans la séance de Janvier 1861, 
Gazette Médicale de Paris. 1861. 21. Septembre p. 597—601. Fernere Beiträge 
in derselben Gazette auf den pp. 29, 55, 88—89, 239--240, 379—380, 597—601. 

2) Charcot. Leçons sur les maladies du système nerveux. 1877 T. II. 
p. 311—328. Du vertige de Ménière. — Poliklinische Vorträge. I. Bd. Schuljahr 
1587—1888. Aus dem Französ. von Freud. S. 78, 201. 

3) Meniere 1861. „Il faut cependant noter qu'il ny a pas de paralysie, 
pas de déviation de le face, ni de la langue; la parole reste facile, l'intelligence 
est intacte, et la trouble fonctionnel signalé précédemment n'a qu'une courte 
durée. — Il n'existe après l'accident ni assoupissement ni torpeur, le patient 
se rend bien compte de ce qui s'est passé ....“ 

4) p. 239. „Il serait curieux de vvir si dans les établissements où l'on reçoit 
beaucoup d'épileptiques, il en est un certain nombre chez lesquels le sens de 
l'ouïe est notablement affaibli.“ 

p. 598. „Les personnes qui sont sujettes à la migraine offrent souvent 
des phénomènes analogues à ceux què nous avons signalés; mais il faut dire 
que certaines hémicranies accompagnées de vomissements se terminent très 
fréquemment par la surdité. Je n'hésite pas à regarder ces migraines comme 
dépendant d'une lésion de l’oreille interne; elle s'accompagnent de bruit, de 
vertiges, d’affaiblissement graduel de l'ouïe et le plus souvent cette surdité 
resiste à tous les moyens de traitement .. ..“ 


Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 205 


wissen continuirlichen gleichmässigen Reiz auf die Nervenendigungen 
des Utriculus und Sacculus ausüben. Bei Endzündungsprocessen 
können wir uns vorstellen, dass die Ötolitbenplatte auf das ge- 
reizte Endorgan eine viel intensivere Wirkung ausübt oder sich theil- 
weise oder ganz loslöst und in der Endolymphe herumschwimmt. Die 
Folge davon wird sein, dass bei schnellen Bewegungen oder beim plötz- 
lichen Stillstande die Otolithen, herumschlotternd, nicht gleichmässige 
gewohnte, centripetale Impulse beim Sehen und bei Augenschluss zu 
den entsprechenden Muskeln senden werden, durch deren synergische 
und antergische Contraction die Coordination der Bewegungen be- 
dingt wird. Störungen in dieser Richtung, d. h. in der Erhaltung 
gleichzeitiger Impulse, schlage ich vor als Asynergia zu bezeichnen, 
und den Begriff Ataxie nur speciell für diejenigen einfachen Fälle fest- 
zuhalten, in welchen uncoordinirte langsame ausgiebige Bewegungen trotz 
Controle der Augen ohne Schwindelanfälle und beim Ausschluss einer 
Affection des Ohres beobachtet werden. Auf diese Weise werden wir 
im Allgemeinen eine Asynergia musculorum labyrinthica und 
bei näherer Bestimmung womöglich eine Asynergia utricularis, 
saccularis et ampullaris haben. 


Bevor -ich zur. Darstellung einiger Krankengeschichten übergehe, 
betone ich ausdrücklich, dass überall Leiden des Centralnervensystems 
nach Möglichkeit ausgeschlossen wurden. Es sind auch mitunter zweifel- 
hafte Fälle als Beispiele aufgenommen. Jeder Kranke wurde auf den 
Zustand der Hautsensibilität, der Sehnenreflexe und des Muskelsinnes 
untersucht. Die ersten Krankengeschichten sind etwas kürzer ausge- 
fallen, da der Goniometer erst später erfunden wurde, und da ich hier 
die dynamische Muskelthätigkeit nicht prüfte. Der Beobachtungsplan 
wurde also allmälig complicirter und vollständiger. Einige von den 
Kranken beobachte ich seit vielen Jahren. . 


1. Fall. Dr. med. E. H., geb. 1865. "Im Jahre 1872 Scharlach mit 
starker Angina ohne Affection der Ohren. Bis zum Jahre 1879 jeden Winter 
1—2 mal Anginen, dabei häufig 1—2 Tage anhaltende Ohrenstiche ohne Aus- 
fluss. Im Jahre 1882 bemerkte der Patient, dass er auf dem linken Ohre 
schlechter hört. Schmerzen im Ohre oder Tinnitus aurium bestanden nicht. 
Die Harthörigkeit auf dem linken Ohre nahn. trotz beständiger Behandlung 
(Politzer's Verfahren, Jodeinspritzungen in die Tube, Catheterismus mit und 
ohne Bougies, Empl. cantharid. hinter das Ohr, Einträufelungen von Coc.-Resor- 
cinlösungen im Herbst 1891) progressiv zu. Häufig leichter Rachen- und Nasen- 
catarrh (Behandlung: Jod, Jodkali, Glycerin, Tannin, Beizungen mit Arg. nit, 
acid. chromic. und trichloracetie., Nasendouchen mit alkalischen Lösungen). 


206 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 


Im Herbste 1891 stellte sich links Ohrensausen und Summen ein, das zuerst 
zeitweilig, seit October 1891 aber permanent geworden ist. Während der ganzen 
Zeit keine Schmerzen im Ohre. — Im Sommer 1890 wurde auf der rechten 
Seite gleichfalls ein Tubencatarrh constatirt, der aber nach kurzer Zeit schwand. 
Eine Abnahme des Gehörs wurde nicht constatirt; keine Schmerzen, kein Ohren- 
sausen. Im October 1891 Erkrankung des rechten Ohres. Gehörschärfe wechselnd, 
aber nie bedeutend herabgesetzt. Nach dem Katheterisiren trat stets eine 
Besserung ein. Gehörschärfe im November, December 1891 und Januar. 1892 
normal. Iın Februar plötzlich eine Verschlimmerung der Gehörschärfe auf 
beiden Ohren ohne constatirbare Ursache. Lues nicht dagewesen. In der 
Familie keine Fälle von Harthörigkeit bekannt. Seit Kindheit Neigung zum 
Höhenschwindel. 


Ich untersuchte den Herrn Collegen zum ersten Male am 10. März 1892 
und demonstrirte ihn im August auf dem Internationalen Congresse der Zoologie 
(Physiologische. Abtheilung) in Moskau. Der Patient ist ein stark gebauter, 
etwas blass aussehender Mann. Sonst ausser Ohren keine Leiden. 


Rechts: M.t. leicht getrübt, eingezogen, beweglich. Tuba frei; nach dem 
Kath. eine Besserung des Gehörs. Flsp. Ilm. Politz. Hörm. 8m. 
Alle Töne!) per aörem gut gehört von 24 Vib. hinauf bis 24576 
Sol8 König, Galton = 3,1. 

Links: M. t. getrübt. stark eingezogen, beweglich. Tuba frei; nach dem 
Kath. mässige Besserung. Continuirliches sehr starkes Ohrensausen, 
welches den Patienten oft melancholisch stimmt. Zeitweise ein 
Pfeifen, Tönen, Pulsiren. Flsp. ad conch. Politz. Hörm. ad conch. 
Töne per aörenı schwach gehört von 36 Vib. bis 20480 Mi8 König, 
Galton = 3,6. Der Ton von 1024 Vib. bewirkt ein sehr langes 
Nachklingen. Weber — links. Rinne: — c 128, — c 256, — c5l2. 
Knochenleitung gut für alle Töne bis 1024. 


Statik. | Oa. | Oo. 
Pp. : fest , Nach längerem Stehen ein leichtes Wacken bald nach 
| rechts, bald nach links, bald nach vorwärts. 
D.pp. fest Nimmt Zehenstellung mit offenen Augen ein. Jetzt 


| werden die Augen geschlossen. Ein unüberwind- 
liches Fallen nach vorwärts. Patient bietet alle 
| seine Kraft auf, um das Gleichgewicht zu erhalten, 
indem er die Beine in den Knien beugt, den Rumpf 
| und die Hände stark nach rückwärts hinüberbeugt, 
| aber umsonst. Wenn er erst ein wenig bei Augen- 
schluss gestanden hat und darauf die Zehenstellung 
| einnimmt, so wird er ebenfalls nach vorne hin 
geschleudert. Alle seine Bemühungen, rückwärts 

zu fallen, bleiben erfolglos. 


| 


} ef 





I) In der letzten Zeit wurden die Tonprüfungen mit Edelmann’'s 
eontinuirlicher Stimmgabelreihe nach Prof. Bezold gemacht. 


Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 907 


Statik. Oa. Oo. 


P.d. fest Nach rechts mit schwacher Neigung nach vorn 
— also in diagonaler Richtung. 
P. s. fest Grade nach links. Nach grossen Anstrengungen, 


das Gleichgewicht zu erhalten, ein Fallen nach 
hinten rechts. 
G. i. ant. | 385—370 | 120, 
i. post. 300 30°, 
i. lat. 870 p. dex. zum Stützbrettchen gewandt — Fallen bei 
140 diagonalwärts nach rechts; p. s. — Fallen bei 
90 grade nach links. 


Während des Hebens verursachen die leisesten Umdrehungen der Kurbel 
starke ruckweise Vorwärtsbeugungen. 


Dynamik. 
It. rl. ant. | gradaus | gradaus, die Beine etwas gespreizt. 
post. gradaus | Abweichen nach links. 


S. d. pp. | gradaus | gradaus. 
S.d.dex. ant. | gradaus | gradaus. Sprünge regelmässig. 
post. gradaus | Beschreibt einen grossen Bogen nach links (ohne 
Augenbinde). Mit Augenbinde, beim Versuche, einen _ 
Sprung nach rückwärts, ein momentanes Hinstürzen 
i auf den Boden. 


S. p. sin. ant.| gradaus 

Das Rückwärtsstürzen, wie der Patient berichtet, wird durch eine 
unüberwindliche Kraft bedingt, welche ihn ohne Schwindelempfin- 
dung nach vorn oder nach links hinreisst. Wenn er während des 
Fallens nicht sogleich die Augen Öffnet, so muss er aufgefangen werden. 
Besonders leicht geschieht dies, sobald ihm die Augen mit einem Taschen- 
tuche verbunden werden. Vorwärts konnte der Herr College noch mit 
der Augenbinde gehen; sobald er aber das linke Bein hob und auf dem 
rechten rückwärts zu hüpfen versuchte, so fiel er wie ein lebloser Körper 
zu Boden, wo er jedesmal aufgefangen wurde. Er lag stramm ausge- 
streckt mit blassem Gesichte; keine Convulsionen. Sobald ihm die Binde 
abgenommen wurde und er die Augen öffnete, konnte er von selbst 
schnell von der Diele aufstehen. Er klagte über einen schweren Kopf 
und Mattigkeit ohne Spuren von Schwindel. Während des Stürzens 
schien es dem Kranken, als ob kein Raum mehr existire, der Boden 
unter seinen Füssen dahinschwinde, und er ohne das Bewusstsein 
zu verlieren in einen Abgrund hinunterstürze. Diesen Zustand ver- 
‚glich der Herr College ‘mit dem Gefühle, welches man beim Fallen: 
während des Schlafes empfindet. Alle diese Beobachtungen verursachten 
eine grosse Müdigkeit. | 


208 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 


Seitens des Nervensystems konnte nichts Besonderes constatirt werden. 

Gegen das Ohrensausen habe ich in der letzten Zeit (1894) Cocaindämpfe 
eingeblasen. Dabei schwand das lästige Ohrensausen fast ganz und die Hör- 
schärfe stieg fast bis 3m Flüstersprache ohne besondern Einfluss auf die Gleich- 
gewichtsstörungen. 


32. Fall. D., 19 J. alt, Schüler der Kunstschule, 1892. Vor 8 Jahren hat 
er einen Rheumatismus articularis durchgemacht, dabei wurden grosse Dusen 
von Natr. salicyl. verabreicht. 2—3 Jahre darauf stellte sich eine Schwerhörig- 
keit erst im A. s. und nach ca. 1 Jahre im A. d. ein. Seit 2 Jahren ist er 
vollständig taub. Lues in suspectu. . 


Status präsens. Starker Körperbau. Leichtes Herzgeräusch in der 
Valv. tricup. Schnupfen. M. t. beiderseits fast normal. Tuben frei. Ein 
schreckliches Ohrensausen, welches sogar das Denken verhindert. Knochen- 
leitung: Empfindet das Contra-C nur als Zittern, alle übrigen Töne percepirt 
er nicht. A.s. hört bei Luftleitung die nicht musikalischen Töne bis 20480 
Mi8 König’s Cylinder. 

Mit offenen Augen ist die Statik normal. Bei Augenschluss: 

Pp.— fest, D. pp. — Ein leichtes Wackeln von hinten nach vorn und um- 
gekehrt. P. d. — Fallen nach links. P. s. — nach rechts. 


Hier haben wir also eine gekreuzte Coordinationsstörung. 


3. Fall. Lehrerin G., 21 J.; 10. März 1892. Seit 5 Jahren eine progressive 
Abnahme des Gehörs. Pilvearpininjectionen und andere Mittel ohne Erfolg. — 
Anämische schwächliche Person. M.t. — normal, Tuben frei. Kein besonderes 
lästiges Ohrensausen. Im A. s. gegen Abend stärker. 

A.d.: Flsp. — ad conch. Politz. Hörm. — 1,5 m. Cj-Luftleitung schwach. 
König — 32000, Galton — 3, Rinne —. 

A. s.: Fisp. —0, Politz. Hörm. Im, Cı — gar nicht. König 32000. 
Galton 3, Rinne —. 

Knochenleitung vom Proc. mast. für alle Töne erhalten. Diagnosis: 
Otit. med. catarrh. chr. 

Mit offenen Augen die Statik und das Gehen normal, nur beim Stehen auf 
dem rechten Beine wird die Kranke immer nach links hingezogen. 

Bei Augenschluss : 

Pp. — leichtes Hin- und Herwackeln. D.pp. — Vorwärtsfallen. 
P.d. — nach links. P.s. — nach links. 

Ausserdem bemerkt man bei geschlossenen Augen ein leichtes Zucken in 
den Armen und in den Händen mit Supinationsbewegungen. Manches Mal 
zuckte unbewusst die Kranke mit den Schultern. 


Hier haben wir bei grosser Schwerhörigkeit schwach ausgeprägte 


Störungen des. Gleichgewichts in der Richtung des schlechter hören- 
den linken Ohres. | 
4. Fall. S., 33 J. alt; 12. März 1892. Seit 17 Jahren hört er schlecht 


auf dem rechten Ohre, seit einem Monate auf dem linken. M.t. leicht getrübt, 
Tuben frei. A. d. Laute Sprache ad conch. A. s. Flsp. 1m. Starkes Ohren- 





Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 209 


sausen. Knochenleitung erhalten. Die Statik und das Gehen mit offenen Angen 
sicher. 


Bei Augenschluss: À` l 
Pp. sicher. D.pp. leichtes Wackeln. P.d. Hinbeugen nach rechts. 
P. s. Hinbeugen nach rechts. Gon. i. ant. = 38°, 
Also bei starker Schwächung des Gehörs Störungen in der Richtung 


des schlechter hörenden Ohres für beide Beine. 


5. Fall. S., 32 J. alt; 28. März 1892. 10 Jahre zurück Syphilis. Jetzt 
seit 2 Monaten nach einem Schnupfen Öt. med. catarrh. subacuta und Cat. 
tub. Eust. 


A. s.: An der M. t. leichte Entzündungserscheinungen. Flsp. 0.5 m. 
Schwaches Ohrensausen. Tuba undurchgängig. 


A. d.: M. t. leicht getrübt. Flsp. 3m. Statik und Gehen mit offenen 
Augen sicher. Se 


Bei Augenschluss: 
Pp. — ein Hinneigen nach links. D.pp. — nach links vorwärts. | 
P.d. — nach links. Steht nur ein paar Secunden und muss immerfort den 
Boden mit dem gehobenen linken Beine berühren, um das Gleichgewicht zu be- 


halten. P.s. — bleibt stehen, indem er leicht hin und her wackelt. Gon. i. 
ant. =: 390, 


: Therapie — Cocain-Resoreintropfen. 

Den 1. April wurde das Geräusch rechts stärker und noch mehr verlegt. 

Mit offenen Augen. P.d. — ein Wackeln mit Fallen nach rechts. 

Bei Augenschluss: 

Pp. — sicher. D.pp. — ein Zittern mit Fallen nach rechts. P.d. — 
Wackeln; bald ein Sturz nach rechts, bald nach links. P.s. — sicher. 

Den 1. Mai. Das Gehör etwas besser. 

Bei Augenschluss: 

Pp. — sicher. D.pp. — diagonalwärts nach rechts. P.d. — nach 
rechts. P.s.— nach rechts. Gon. i. ant. = 390. i. post. = 26°, i. Cat. — 360, 


Nach dem Katheterisiren steht der Patient auf dem rechten Beine 
sicherer. i 


Hier geschah das Fallen in der Richtung des besser hören- 
den Ohres. 


6. Fall. Arbeiter, 30 J.; 10. Febr. 1893. Locomotivführer über 9 Jahre. 
Sonst gesund. Früher sang er nach Noten. Die letzten 3 Jahre wurde er erst 
auf dem rechten Ohr und die letzten 2 Jahre auf dem linken schwerhörig. 
Syphilis. Die Füsse transspiriren stark. 


Status präsens. In den inneren Organen nichts Besonderes zu notiren. 
Schwindel. Continuirliches Sausen. Mm. tt. leicht getrübt ohne Lichtkegel. 
Tuben frei. 


210 Stan. | v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 








Das Gehör. Aur. dex. Aur. sin. 
: Luftleitung. 
Flüsterspr. 32 cm 0 
Laut. Spr. — ad conch. 
Politz. Acum. 36cm 2cm 
C, 32 ein Zittern 0 
C 64 0 ` 0 
c 128 0 0 
c1256 schwach schwach 
Hinauf alle Töne bis 
Galton | 2,5 (ca. 10600 V.) | 3,0 (ca. 10240 V.) 
König 24576 sol8 | 20480 Mi8 
Knochenleitung. 
Weber Vom Vertex und anderen Stellen kann nicht lateralisiren, 
empfindet nur ein Zittern. 
C, 32 ein grobes Zittern id. 
c 128 ein Zittern id. 
c1256 Gar keine Empfindung. 
Rinne. Von 256 bis 2048 V. positiv +. 
Statik. Oa. | Oo. 
Pp. fest i fest. 
D. pp. fest | leichtes Pendeln 
P. dex. fest leichtes Pendeln 
P. sin. fest Der rechte Fuss wird fortwährend herunter- 
| gelassen. 
Gon. i. ant. 350 850 
i. post. 210 210 
Dynamik. Ä 
J. rectl. gradaus | gradaus 
R. p. dex. | Langsam, aber den-, Rechtsum— Rechtsfallen, auf einer Stelle 
noch gleichmässig bleibend, keine volle Umdrehung. 
auf einer Stelle Linksum — Pes. sin. wird heruntergelassen, 
mit Fortrücken von der Stelle. 
R. p. sin. Wie p. dex. Linksum — das Bein beugt sich im Knie, 


macht langsam eine Bewegung, bleibt 
stehen, als ob er nachdenken muss, um 
eine neue Bewegung zu machen. Zeitweise 
wird das rechte Bein heruntergelassen. 
Er rückt von der Stelle fort. 

Rechtsum — verlässt die Stelle; das 
rechte Bein wird sehr oft während einer 
Umdrehung gesenkt. 


\ 


Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohtenleiden. 211 


7. Fall. Frau A. aus Orel, 29 J. alt, eine intelligente Person; 21. April 
1892. 7 Jahre alt machte sie eine Erysipel durch, welches .mit Eisblasen und 
grossen Dosen Chinin behandelt wurde. Als Mädchen hörte sie gut. 9 Jahre 
verheirathet mit 5 Kindern. Eine rapide Gehörschwächung bemerkte die Pat. 
nach dem ersten Kinde. Nach jedem nächstfolgendem wurde sie immer tauber 
und tauber. Früher, als das Gehör besser war, wurde sie mehr vom Ohrensausen 
geplagt, welches gegenwärtig nur während Müdigkeit sich einstellt. An Schwindel 
litt sie nie. Als Mädchen war die Kranke stark anämisch. Wurde im Auslande 
von bekannten Specialisten behandelt, aber ohne Erfolg. 


Status präsens. Eine vom mässigen Wuchse, aber rosig und wohl- 
genährt aussehende Person. | 


Mm. tt. leicht getrübt und eingezogen. Tuben frei. 


A. dex. = A sin. 
. Laute Sprache ad conch. 0 
Cı schwach ein Schwirren 
128 c schwach schwach ° 
256 c 0 0 
512 0 0 0 
1024 c -schwach ‚0 
° 2048 c schwach . 0 
König 10240 Mi? 8192 Ut? 
Galton 6 4,5 


Rinne - — — 


Knochenleitung erhalten rechts für alle Töne, links aber fehlt sie für 
die hohen. Besonders gut hört die Kranke Geräusche: „Was hilft es mir“, 
sagte sie öfters, „dass ich alle Geräusche gut höre.“ Statik und Gehen mit 
offenen Augen gut erhalten. Gon. i. ant. — 35°, i. post. — 290, Bei Augen- 
schluss wird sie leicht schwindlig und sehr abgespannt. 


Pp — sicher. 
D. pp. — ein momentanes Rückwärtsfallen. Die Kranke muss viel Mühe 
anwenden, um die Ferse vom Boden zu heben. Sobald sie aber dies er- 
reicht hat, so fällt sie sogleich wieder auf die Ferse und dann weiter 
nach hinten, so dass man sie auffangen muss. 
P.d. — leichtes Wackeln. 
P.s. — leichtes Wackeln. 
Gon. i. ant. — 300, f, post. — 290. 
Beim Gehen beobachtet man ein Wackeln und ein Fallen bald nach links, 
bald nach rechts. Jede Therapie erfolglos. 


8. Fall. 41 Jahre alter Obrist S., hatte während eines Sturmes im russisch- 
türkischen Kriege 1877 am rechtem Ohre durch eine explodirte Granate eine 
Contusion erhalten und fiel betäubt hin. Nachdem das Bewusstsein wiederge- 
kehrt war, merkte er ein leichtes Geräusch im Ohre. Erst nach dem Kriege 
wurde der Pat. von starken Kopfschmerzen und Schwindelanfällen mehrere Male 
am Tage heimgesucht, sodass er ganze Tage hindurch das Bett hüten musste, 


212 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 


Während des Schwindels schien es ihm, dass alle Gegenstände auf ihn fallen. 
Wenn er selbst zu Boden stürzte, so verlor er niemals das Bewusstsein, welches 
nur bei dilatirten Pupillen (constatirt von Aerzten) schwach getrübt war, und 
raffte sich sogleich wieder auf. Ungefähr im Jahre 1880 wurde er auf dem 
rechten Ohr ganz taub. Kopfschmerzen mit Schwindel wiederholten sich recht 
oft bis zum J. 1882. Seitdem bis zum J. 1891 wiederholten sich die Symptome 
periodisch bald seltener, bald öfters. Sein allgemeiner Zustand war in diesem 
Zwischenraume ganz gut. Im J. 1891 wurden die Kopfschmerzen stärker und 
häufiger und es gesellte sich zu ihnen noch ein neues Symptom, welches den 
Pat. sehr beunruhigte. Er bekam nämlich 2—3 mal täglich, nach seinem Aus- 
druck, starke „Hiebe‘ in den Kopf: dieser wurde momentan sehr schwer, das 
Gesicht blass und die Augen roth. In diesem Zustande, bei vollem Bewusstsein, 
behauptete der Kranke mit grosser Mühe die aufrechte Stellung. Besonders 
nach überstandener Influenza im J. 1892 wiederholte sich dieses Symptom sehr 
oft sowohl im Zimmer, als auch im Freien, begleitet von einem momentanen 
Sturze zu Boden, ohne Schwindelgefühl, von dem er sogleich aufstand 
und seine Arbeit fortsetzte. Manches Mal war der Kranke im Stande, den Fall 
zu lindern, indem er sich auf die in seiner Nähe stehenden Gegenstände mit 
den Händen stützte. Aber alle seine Anstreugungen blieben fruchtlos, und er 
wurde schliesslich dennoch von einer inneren Kraft niedergeworfen. Dasselbe 
geschah auch beim Sitzen. Während des Anfalls wurde die Zunge niemals wund 
gebissen, es trat aus dem Munde kein Schaum heraus, es wurden kein Zähne- 
knirschen, keine Convulsionen ınit darauf folgender grosser Mattigkeit beobachtet. 
Im September 18592 schlug sich der Pat. in Gegenwart eines Arztes während 
des plötzlichen Sturzes den'Kopf und die Lippen an einem Tischrande wund. 
Jede psychische Aufregung und physische Anstrengung’ verschlimmerten den Zu- 
stand. Nach einem Vesicatorium auf den Nacken nahm die Stärke und Häufig- 
keit der „Hiebe‘ und „Schläge“ ab, aber dennoch waren dieselben häufig ge- 
nug, um störend auf seine Prufession als Kriegsintendant zu wirken. Der Obrist 
führt ein regelmässiges Leben. Kein Raucher und Potator. Kein Lues. 


Behandlung des allgemeinen Nervensystems blieb erfolglos. Die zeitweise 
unternommenen Lufteintreibungen verschlimmerten nur den Zustand. Zum ersten 
Male consultirte mich Hr. S. am 29. Sept. 1892. 


Status präsens. Stark gebauter und gut genährter Mann. Innere 
Krankheiten und besondere Nervenleiden konnten ausgeschlossen werden. 


Mm. tt. beiderseits normal, leicht eingezogen. Tuben frei. Nach dem 
Katheterisiren keine Veränderungen. Kein Nasen- und Nasenrachen-Catarrh. 


Rechts Links 
Laute Sprache 0 Ä sehr gut 
Flüstersprache . 0 1, 5m 
Politzer’s Acumeter 0 - 1,5 m 
Galton | 4 oo T 
: König 16384 ut® schwach 24576 sol® sehr gut ` 
Knochenleitung ein unbestimmtes Zittern | gut für alle Töne 


Rinne — | + 


Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 213 


Mit offenen Augen ist die Statik sicher nur beim Zehenstande ein leichtes 
Wackeln. Gon. i. ant. — 220, 


Bei Angenschluss: 
Pp. — sicher. | 
D pp. — Vorwärtsfallen und etwas nach rechts. 
P.d. — Seitwärtsfallen nach rechts. 
P.s. — Seitwärtsfallen nach rechts. 
Gon. i. ant. —= 15°, 


Dynamik. Offene Augen. Geschlossene Augen. 
It. rl. vorwärts gradaus nach rechts 
rückwärts | gradaus, .  gradaus 
Rot. p. d. rechtsum | gleichmässig hüpft nach rechts, balancirt mit den 
auf einer Stelle Händen und dem Körper 

linksum idem ein noch grösseres Ablenken nach links 

Rot. p. s. rechtsum | gleichmässig kaum von der Stelle, Fallen nach rechts 
linksum gleichmässig etwas leichter, Fallen nach rechts. 


Es wurden dem Obrist Instillationen von Cocaïn-Resorcintropfen nur ins 
rechte Ohr 2mal täglich verordnet. 


e11. Nov. 1892. Kopfschmerzen bedeutend besser. Däs Stürzen zu Boden 
wiederholte sich nicht mehr. Bei Augenschluss ist der Gang viel sicherer ge- 
worden. Das Geräusch kaum merklich. Rechts die Symptome in status quo. 
Die auffälligste Erscheinung war eine ohne vorherigen Katheterismus bedeutende 
Zunahme der Gehörschärfe auf dem linken Ohre. Flüstersprache bis ca. 7m, 
für Politzer's Acumeter bis ca. 6m. In diesem gebesserten arbeitsfähigen Zu- 
stande befindet sich der Kranke bis jetzt, aber dabei muss er jeden 8. bis 4. Tag 
sich Cocain ins Ohr instilliren, sonst bekommt er bei längerem Aussetzen des 
Mittels leichte Sturzanfälle. Im Allgemeinen ist der Kranke mit seinem Zu- 
stande ganz zufrieden. 


9. Fall: Frl. S., Lehrerin, 32 J. alt. Diese im höchsten Grade interessante 
Kranke steht in meiner Behandlung seit dem Jahre 1884. 


Anamnesis. Die Pat. kam zu mir im September 1884 mit der Klage 
über ein schreckliches Ohrengeräusch und Brausen mit permanenten Kopfschmerzen 
in den Stirn- und Scheitelregionen. Dieser peinliche Zustand stellte sich vor 
einem Monat im Juli 1834 kurz nach einer Lapis-Aetzung des Nasenrachenraumes 
ein. Darauf folgte ein bilateraler Ohrenfluss, welcher nach einer Woche sistirte. 
Die damalige objective Untersuchung ergab folgendes Resultat: mässige Rhinitis 
hypertrophica mit starker Hyperämie sämmtlicher Nasenschleimhäute; Tuben 
frei; mässige Trübung der Trommelfelle mit leichter Einwärtswölbung; Hör- 
schärfe augenscheinlich nicht geschwächt. : 

Seitdem war die Kranke stets unter ıneiner Aufsicht, wobei auch andere 
Collegen zu Rath gezogen wurden. Es wurde eine ganze Phalanx von Mitteln 
und Heilverfahren erfolglos erprobt: Ars., Arg., Fe., Antipyrin, Antifebrin, 
Phenacetin, Cocain, Pilocarpin, Vesicatoria, galvanischer Strom, Franklinisation, 


- 


214 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 


Aetzungen der Nasenmuscheln, KJ, KBr, electrisches Lich? u. s. w. Am Besten 
half der Kranken das Arsenik. Electrisches Licht befreite sie fast ganz von 
dem Druckgefühl in den Ohren und von den Geräuschen auf mehrere Wochen. 
Die anderen Mittel schafften eine vorübergehende .Erleichterung. meistentheils . 
aber eine Verschlimmerung des Zustandes. Durch Pilocarpin schwollen die 
Öhrenmuscheln ödematös an. Salin.-alkalische Eingiessungen in die Nase blieben 
resultatlos. Nach deın Katheterisiren nahmen die Geräusche an Stärke zu. Nur 
Politzer’s Verfahren schaffte eine Linderung in den ersten Jahren. Des Sommers 
nahmen alle krankhaften Symptome an Intensität Anfangs ab, die letzte Zeit 
aber nicht. Witterungswechsel verursachte eine bedeutende Verschlimmerung 
des Zustandes. Mit der Zeit wurde die Rhinitis beseitigt, die Hörschärfe aber 
mit den subjectiven Symptomen nahm progressiv zu.. Die starken Kopfschinerzen 
zwangen die Pat. tagelang das Bett zu hüten. Die letzten 6 Jahre schläft sie 
im Bette halbsitzend, denn sobald sie eine horizontale Lage auf dem Rücken 
einnimmt, bekommt sie sogleich unausstehliche Schmerzen mit Brausen in den 
Ohren, besonders in den Ohrmuscheln, und einem Gefühl von Hinabstürzen in 
die Tiefe. Beim Liegen auf der Seite stellen sich ebenfalls Schmerzen erst auf 
der entsprechenden und gleich darauf auf der anderen Seite ein. Dieser Zustand 
stimmt die Kranke hypochondrisch. Die 2 letzten Jahre hat S. ihre Beschäf- 
tigung als Lehrerin aufgegeben und ernährt jetzt ihre Familie (alte Mutter und 
Schwester) mit Näharbeiten, wobei sie sehr oft 18 Stunden hindurch sitzt. Diese 
Anstrengungen verschlimmern die Symptome noch mehr. — Seit dem J. 1885 
hat S. ein paarmal die Influenza mit Ohrenfluss — aus dem linken Ohre im J. 1889 
und aus dem rechten im J. 1892 durchgemacht. Hat fast alle infectiösen Kinder- 
krankheiten (Scharlach, Masern, Windpocken etc.) durchgemacht. Wurde öfters 
von Anginen heimgesucht. Zwischen dem 6.—8. Jahre litt sie am Somnambulismus 
und wurde in Folge dessen ans Bett gefesselt. Seitdem aber und bis zum Ohren- 
leiden fühlte sich die Pat. ganz wohl. Das Gedächtniss war stets gut bis vor 
kurzer Zeit. 


Status präsens. Mässiger Körperbau. Etwas anämisch. Ein trauriger 
Gesichtsausdruck. Menstruation regelmässig. Von den inneren Organen nichts 
Besonderes zu notiren. Muskulatur mässig entwickelt. Das Gehen fällt der 
Pat. am Tage nicht schwer. Sie ermüdet dahei nicht bald, kann aber dabei 
keine schnellen Bewegungen ausführen, z. B. sich plötzlich umdrehen, über 
die Strasse laufen, einem fahrenden Wagen aus dem Wege weichen, von einem 
Tramway herunterspringen, vom Trottoir auf die Strasse heruntergehen etc., 
ohne das Gleichgewicht zu verlieren. In Folge dessen wurde die Pat. ein paar- 
mal fast überfahren. Des Abends geht sie entlang der Häusermauern. Das 
Besteigen der Treppen des Abends ist leichter als das Absteigen, wobei die 
Hände sich an die Geländer klammern. 


Die Oberextremitäten vollführen geschmeidig die feinsten Bewegungen 
beim Nähen und Sticken. Keine abnorme Bewegungen. Patellarsehnenreflex 
sehr gesteigert. Das Sprachvermögen normal. 


Berührungsempfindlichkeit, Tastvermögen, Drucksinn, Schmerzempfindlich- 
keit, Localisationsvermögen, Temperatursinn, Kraftsinn, Bewusstsein von der 


Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 215 


Lage der Glieder und stereognostische Perception erhalten. Die Muskeln sind 
auf Druck empfindlich. Markirte Punkte werden sicher und prompt mit dem 
Finger oder Beine mit geschlossenen Augen berührt. Die Handschrift nicht. 
alterirt (cf. Fig. 4). Russisch schreibt die Kranke ebenso wie Deutsch. 


Fig. 4. ` 


Ich war das Decke 
OLE Hin P) $ Decoubas 
(59%. One Korn 


Nase. Mässige hypertrophische Rhinitis. Die Schleimhaut hyperämisirt 
und höchst sensibel: Die leisesten Berührungen mit einer mit Watte umwickelten 
Sonde verursachen Schmerz mit Aufschreien und Verzerrung sämmtlicher Ge- 
sichtsmuskeln. Cocainbepinselungen beseitigen diese Hyperästhesie nur theil- 
weise. In Folge dessen gelingt es nur mit grosser Mühe einen Katheter durch- 
zuführen. Catarrhus cavi naso-pharyng. Geruch und Geschmack nicht alterirt. 


Ohr. Mm. tt. etwas einwärts gewölbt, getrübt, besonders an der Peri- 
pherie. Der Lichtkegel verkürzt und verwischt. Tuben frei. Nach dem Ka- 
theterisiren eine Abnahme des Gehörs mit Verstärkung des Brausens. Š 

Ein continuirliches Geräusch gleichzeitig mit einem lästigen Brausen. In 
horizontaler Lage nehmen diese subjectiven Empfindungen an Stärke zu, die- 
Gehörschärfe dagegen ab. Bald darauf stellen sich unerträgliche Schmerzen im 
Obre und in den Ohrmuscheln ein. In Folge dessen schläft die Pat. die letzten 
9—6 Jahre, seit 1889, halbsitzend ohne das Kissen mit den Ohren zu berühren. 
Rückenlage verursacht Schwindel, Brechneigung mit starken Herzpalpitationen, 
die bei Seitenlage sogleich verschwinden. In verticaler Stellung kein Schwindel, 
keine Brechneigung mit offenen und geschlossenen Augen. 





* Zustand der Gleichgewichtsstörungen am 16. Februar 1893: 


Statik. Oa. Oo. 


Pp. fest Wackeln und Fallen rückwärts. 
D. pp. Wackeln | Mit grosser Mühe nimmt die Kranke die Zehenstellung 
% ein und fällt sogleich bald seitwärts, bald vor- 
wärts, bald nach links (öfters), indem sie in 
der Luft mit den Händen balancirt. 


216 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 


Statik. 
P. dex. 


P. sin. 


Gon.i.ant. 


Dynamik. 
J. retl. . 


S.D.pp. 
R.P p. 


O a. Oo. 
Wackeln | Sobald das linke Bein gehoben wird, findet sogleich 
ein Sturz nach links statt. 
Wackeln | Beim Heben des rechten Beines ein Stürzen nach 
rechts. 


4—60 | Ein momentanes Stürzen bei der leisesten Hebung 
des Brettes auf 1—20 bald nach links, bald nach 
rechts. 

Gradaus | Zickzackgang. 


Nicht im Stande, fällt wie ein lebloser Körper zu Boden. 

Auf beiden Beinen stehend, kann die Kranke mit offenen Augen 
sich auf einer Stelle nicht umdrehen, als ob ihr die Füsse 
an den Boden angeleimt wären. Wenn sie sich an etwas hält, 
z.B. am Finger des: Arztes, so. gelingt es ihr leicht, eine 
Umdrehung zu machen. Bei Augenschluss ohne Stütze erfolgt 
ein momentaner Sturz zu Boden. 


Untersuchungsresultat vom 10. November 1894: 


Das Gehör. 


‘ Flüsterspr. 
Politz. Acum. 


Gu 24 V. 
28 
Cı 34 
D, 36 
20 V. 
28 


Rinne. 
G 90 V. 


e 160 
a 213 
d1288 
al 426 


e? 640 


Aur. dex. Aur. sin. 
Luftleitung. 
ca. Iim | ca. 4,5 m 
ca. 35 cm ca. 4,5 m 
0 ein schwaches Zittern, Schwirren 
0 ein Zittern 
0 sehr schwach, ein Ton 
schwach gut 


Weiter hinauf werden alle Stimmgabeln percipirt. 


Knochenleitung von Proc. mastoideus. 
ein Zittern ein Zittern 
sehr schwach, ein Ton 
schwach, ein Ton - 
sehr schwach l stark 
Weiter hinauf werden alle Stimmgabeln gehört. 





— + sehr schwach 
K9 | K15 


= 70 Sec. + E20 Sec. 
— = Sec. | + z Sec. 
-+ 8 Sec. | T m Sec. _ 
+ 5 Sec. | + ne Sec. 


es nn nn rn Th un 


Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 217 


Das letzte Untersuchungsresultat vom 18. December 1894: 


Die Gehörfunction. Aur. dex. Aur. sin. 
Luftleitung. 
Flüsterspr. | ca. 40 cm ca. 1,8 m 
Politz. Acum. ca. 20 cm ca. 1,8 m 
24 Gu 0 0 
86 Dı 0 0 
40 Eı 0 sehr schwach, ein Zittern 
45 0 sehr schwach, ein Zittern 
50 0 etwas klarer. ein Zittern 
55 sehr schwach, ein Zittern sehr schwach, ein Ton - 
60 H; sehr schwach, ein Ton recht laut, ein Ton 
90 etwas lauter, ein Ton gut, ein Ton 
Weiter hinauf werden alle Stimmgabeln percipirt. 
213 a Diese Schwingungszahl entspricht ungefähr dem continuirlichen 


quellenden subjectiven Summen. 
288 di Wird sehr schmerzhaft empfunden. 


640 e2 Diese Schwingungszahl entsprichtdem ununterbrochenen Klingeln, 
welches nicht so lästig ist, wie das Summen. Sogar beim 
schwachen Anschlagen wird der Ton schmerzhaft empfunden 
und der Kopf beim Nähern der Stimmgabeln zum Aur. dext. 
krampfhaft nach links abgelenkt und umgekehrt. 


Weiter hinauf werden: ‚ebenfalls alle Töne schmerzhaft pereipirt 


bis zu 

König 

8192 ut? keine Hyperakusis | keine Hyperakusis 
12283 sol? gehört schwach noch gut 
16384 ut3 0 sehr schwach 

Weiter hinauf wird der Schall nicht gehört. 
Galton 
3,3 (ca. 10600V.) schmerzhaft | 30 (ca. 10240 V.) schmerzhaft. 


Knochenleitung. 
Bis zu 36 V. nur als Zittern oder Schwirren empfunden. 





36 Dı schwach, ein Ton | etwas lauter, ein Ton 
, Weiter hinauf wird der Ton immer lauter. 
160 e gut gut 
1024 c3 gut gut 
2048 c4 noch hörbar noch hörbar 
2730 fis4 noch hörbar | noch hörbar 
Weber lateralisirt dex. 
Rinne 90 + Ton Fa + Ton schwach 
128 c Ä + 
256 cl a | + 
812 c2 + | — 
1024 c3 + + 
2048 c4 + | + 


Dieses Mal die Zeitdauer des Abklingens der Stimmgabel in 
Secunden auszudrücken gelang nicht, da ein jeder Ton von 
einem lange dauernden Nachklingen begleitet wurde. 


Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXVII. 15 


218 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 


Statik. 
Pp. 


Oa. 
Steht gut 


Oo. 

Steht einen Moment (1—2 Sec.), 
um gleich darauf blitzschnell wie 
eine leblose Masse rückwärts 
zu Boden zu stürzen, indem die 
Knie gebeugt, die Hände in die 
Luft geworfen und der Rumpf 
geduckt werden. 

Wenndie Kranke schnell dieAugen 
schliesst und darauf dieselben 

| aufmacht und die Beine ausein- 
anderspreizt, so kann siemanches 
Mal das Gleichgewicht behaup- 
ten. Das Hinstürzen wird durch 
keinen Schwindel bedingt. 
Der Kopf ist dabei nicht be- 
nommen. Eine unüberwindliche 

. Kraft reisst und stösst sie zu 
Boden. Im Momente des Augen- 
schlusses hat sie keine Raum- 
vorstellung mehr: es scheint ihr, 
als ob der Boden unter den Füssen 
schwindet. Auch mit gespreizten 
Beinen kann die Patientin nicht 
stehen. Wenn man sie während 
des Sturzes nicht auffangen 
würde, so würde sie sich stark 
beschädigen. Mit verbundenen 
Augen horizontal auf die Diele 
gelegt, ist sie im Stande, nur 
die Knieenstellung, ohne sich auf 

‚ Etwas zu stützen, anzunehmen. 
Diese Stellung behauptet sie gut, 
sogar beim Stossen fällt sie nicht 
um. Um aber auf die Beine zu 
kommen, muss Frl. S. sich mit 
den Händen an feststehende 
Gegenstände anklammern. So- 
bald dieselben aus den Händen 
ihr fortgenommen werden, so 
fällt sie wieder auf die Diele. 

In horizontaler Lage verliert sie 
nicht dic Raumvorstellungen und 
bestimmt gut die Stellung der 
Glieder, beschreibt mit denselben 
Kreise, berührt die angezeigten 
Körperpunkte etc. 


| 
| 


Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 


Statik. 
D. pp. 


P. dex. 
P. sin. 


Goniom. 


Dynamik. 


J. retl. 


S. Pp. 


S. p. dex. et sin gar nicht möglich. 


Oa. 
Mit Mühe gelangt sie in die 
Zehenstellung, um sogleich auf 
die Ferse zurückzufallen. 


Steht ca. 8 Sec. leicht wackelnd 
und fällt sodann nach rechts. 


Steht besser ca. 15 Sec., wackelt 
und fällt nach rechts. 


Beim leisesten Heben, vielleicht 
auf 10, ein Niederstürzen nach 
rechts hinten. 


ant. u gradaus. 
post. — gradaus. 


Die Kranke kann gut kauern, 
schnell aufstehen und sogleich 
weiter gehen. Hebt prompt 
mit beiden Händen von der 
Diele die hingelegten Gegen- 
stände bis 10 Kilo auf. 


Mit geschlossenen Beinen ist ein 
Sprung sogar auf einer Stelle 
unmöglich, denn sobald die 
Kranke die Diele verlässt, so 
fällt sie momentan in die Arme 
des Arztes nack links hin- 
ten. Beim besten Willen kann 
sie das Gleichgewicht nicht er- 
halten. Ein Paar Anstrengungen’ 
in dieser Richtung werden von 
einer grossen Mattigkeit be- 
gleitet. Im Moment des Ver- 
lassens des Bodens sieht sie | 
klar alle Gegenstände, aber die, 
Contraction der Beinmuskulatur 
gehorcht dem Willen der Pat. 
nicht mehr. 


t 


219 


Oo. 


Erst bei offenen Augen die Zehen- 
stellung eingenommen, darauf 
folgt Augenschluss: blitzschnel- 
les Fallen nach hinten und 
etwas nach rechts. Niemals 
wurde ein Stürzen nach vorne 
beobachtet. 

Blitzschnelles Fallen nach hin- 
ten rechts. 

Blitzschnelles Fallen nach hin- 
ten links. 


Schon bei Augenschluss ein Sturz. 


Ein Sturz nach hinten links, 
ohne einen Schritt gethan zu 
haben. 


Beim Kauern fällt sie nach 
hinten. 


Gar nicht möglich. 


15* 


220 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 


Dynamik. 


R. pp. Um die verticale Axe des Körpers | Unmöglich. 

kann die Kranke auf einer Stelle 
sich nicht umdrehen. Sehr be- 

- hutsam und langsam beschreibt 
sie einen 1/4-Kreis und stürzt 
dann plötzlich nach hinten. 
Mit gespreizten Beinen beob- 
achtet man dasselbe Resultat. 
Im Kreise kann die Kranke 
gut gehen und je grösser der 
Kreis ist, desto leichter gelingt 
ihr dieses. Der minimalste 
Kreis, welchen sie machen kann, 
hat ca. 45cm im Durchmesser. à 


‘ 


Diagnosis probabilis. Affectio partialis rami acustici 
n. octavi und ausserdem, da die Kranke die verticale Stellung bei 
Augenschluss nicht behaupten kann, Affectio rami saccularis, welcher 
der Theorie nach ein automatisch functionirender Apparat zur Erhaltung 
von Verticalstellungen ist. 


10. Fall. Fräulein W., 18. J. alt; 8. April 1893. 


Anamnesis. Seit früher Kindheit erfreut sich die Kranke eines guten 
Gehörs. 13 J. alt machte sie Abdominaltyphus durch. Bald darauf wurde eine 
Abnahme der Gehörschärfe auf dem rechten Ohre constatirt. Nach ca. 1 bis 
2 Jahren stellte sich eine Hörschwäche auch auf dem linken Ohre ein. Von 
Geräuschen wurde die Kranke niemals heimgesucht. Nur in der ganz ersten 
Zeit empfand sie ein Läuten vor dem Schlafengehen. Die letzten 3—31/2 Jahre 
fühlt die Pat. beim Gehen im Dunkeln eine Unsicherheit, so dass sie sich an 
den Gegenständen halten muss. Als 8—9jähriges Kind konnte sie gar nicht 
laufen in Folge einer schneļl eintretenden Dyspnoë mit darauf folgendem be- 
wusstlosen Hinstürzen. Nach ein paar Minuten spielte sie schon mit anderen 
Kindern. Gegen das 15, Jahr schwanden die Anfälle fast ganz. Auch jetzt 
noch fällt der Pat. das rasche Gehen schwer. 


Status präsens. Schwächlicher Körperbau. Im Allgemeinen gesund. 
In den inneren Organen nichts Besonderes. 

Rhinitis hypertrophica. Mm. tt. matt und leicht eingezogen ohne Licht- 
kegel. Tuben frei. Flüsterspr. für das rechte Ohr 0, für das linke 0,1 m. 
Beim Gehen mit geschlossenen Augen ein Abweichen nach rechts. 

Therapie bestand in Einträufelungen von Cocaïn-Resorcintropfen und 
galvanocaustischer Aetzung der Muschefn. 


Genauer konnte ich die Kranke erst den 4. Novbr. 1893 untersuchen. 


Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 221 


Das Gehör. Aur. dex. Aur. sin. 
Luftleitung. 
Laute Spr. ad conch. 4m 
Flüsterspr. 0 0,1 
Cı 32 Wird schmerzhaft empfunden. | schmerzlos, sehr schwach, ein Ton 
Der Kopf wird fortgeneigt. 
C 64 Hyperakusis  schmerzlos 
c 128 Hyperakusis schwächer als im A. dex. 
cl 256 Hyperakusis, hört laut schwächer als im A. dex. 
c2 512 laut schwächer als im A. dex. 
c31024 hört gar nicht laut, schmerzhaft 
c12048 kaum hörbar nach sehr starkem laut, schmerzhaft 


Anschlagen (vielleicht hörte 
hier das linke Ohr) 


König alle 0 bis 16384 ut8 
Galton ein Blasegeräusch, sonst nichts 3,5 (ca. 9600 Vibrationen) 
mehr 
Politz. Acum. ad conch. 90 cm 

Statik. Oa. Oo. 

Pp. fest fest 
D.pp. Fest; beim Augenschluss ein | Die Kranke kann die Zehenstellung 
Vorwärtsfallen. nicht einnehmen, da sie beim 


besten Willen immer wieder auf 
die Ferse zurückfällt. 

P. dex. | Fest. Bei Augenschluss ein|Rechtsfallen. 

Pendeln von links nach rechts 

und umgekehrt. | 











P. sin. Fest. | Linksfallen. 
Gon. i. ant. 35—360, 23—250, Beim Heben ein Scandiren. 
i. post. 250, 230, 

Dynamik. | | 

J.rctl. ; Grade, die Fussspitzen nach | Abweichen nach rechts. Beim 
| auswärts gekehrt. | Gehen wird die rechte Fussspitze 
' nach Innen gekehrt. 

S. pp. Fällt auf dieselbe Stelle zurück. | Weicht von der Stelle ab. 


S. p. dex. | Gradeaus, schwankend. Ein unüberwindliches Hinziehen 
nach vorn. bis schliesslich, 
| um das Gleichgewicht zu er- 
| halten, das linke Bein auf den 
Boden heruntergelassen wird. 
Die ersten Sprünge erfolgen in 
grader Richtung, dann aber bald 
nach rechts, bald nach links, 
immer kleiner werdend, bis end-- 
| lich das linke Bein auf die Diele 
| gesetzt wird. 


222 Stan. v. Stein: eier Gleichgewichtsstörungen bei Öhrenleiden. 
Dynamik. | | 

S. p. sin. , Gradaus. Mit grossen Sprüngen in diagonaler 

| Richtung nach rechts mit 

Rechtsfallen und Niederlassen 

| ) des rechten Beines. 
R. p. dex. | Rechtsum. Dreht sich auf| Keine volle Umdrehung in Folge 
einer Stelle um. des Fallens nach rechtsrück- 
wärts. 








Linksum. Keine volle Uin- | Keine Umdrehung, Rückwärts- 
drehung. fallen. 

Linksum. Fast eine Um-| Keine volle Umdrehung, Fallen 
drehung. nach links rückwärts. 
Rechtsum. Fast eine Um- | Keine volle Umdrehung, Fallen 
drehung. nach links rückwärts. 


| 
| 
| 
| 
| 


Seit dem 4. Novbr. 1893 bis zum 18. April 1894 wurden der Kranken 
Cocaindämpfe eingeblasen. Die Gleichgewichtsstörungen nahmen um ein Weniges 
an Intensität ab, das Gehen im Dunkeln geschah sicherer. 

Flüsterspr. für das rechte Ohr ad conch., für das linke = 46cm. 

Laute Spr. „p „ n »„ = 3m. =. 5 x = 7m. 

Eine eingehendere Untersuchung konnte ich nicht machen, da die Kranke 
ihre Hochzeit feiern wollte. Erst den 19. Novbr. 1894 consultirte mich wieder 
die Kranke. Keine Graviditas. 


Gehörfunction. Aur. dex. ‚ Aur. sin. 
Luftleitung. 
Flüsterspr. 5—10 cm 46 cm 
Laute Spr. 7m '6,5m. Beim Schliessen des rech- 


| ten Ohres ein starkes Brausen 
| im linken Ohre, was sehr 
störend wirkt und was eine 
kleinere, als es in der Wirklich- 
keit, Hördistanz giebt. 


Politz. Acum. 25 cm 85 cm 
24 V, schwach schwach 
36 Dı besser rechts als links 


Dieser Ton ruft eine dermaassen 
unangenehme Empfindung 
hervor, dass die Kranke den 
Kopf schnell ablenkt und das 
Gesicht verzerrt. 





Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 223 


Gehörfunction. Aur. dex. Aur. sin. 
Luftleitung. 
Bis zum e 160 hinauf werden alle Töne 
lauter rechts "als links gehört. 
Von e hinauf 0. 
König'’s Cyl.|0. Sogar das Anschlaggeräusch alle Töne bis 8192 ut? 
wird nicht empfunden. | 
Galton 0 7,4 (= ca. 6400 V.) 
Knochenleitung. 
Erhalten stärker für das linke Ohr als für das rechte. 
Für A. dex. bis e 160 für A. sin. bis h 240. 
Rinne’scher Versuch gelingt nicht in Folge eines zu langen Nachklingens des 
Stimmgabeltones. 
Statik. Oa. Oo. 
Pp. fest fest 
D.pp. fest Vorwärtsfallen 
P. dex. Wackeln. Bei Augenschluss | nach links 
nach 5 Sec. Fallen nach 
links. 
P. sin. Wackeln. Bei Augenschluss nach links 
nach 5 Sec. nach links. 

Gon. i. ant. 83—350 Beim continuirlichen allmäligen 
Heben erfolgt der Sturz vor- 
wärts zwischen 10—150. Darauf 
wird das Heben sistirt, die Kranke 
nochmals mit geschlossenen Au- 
gen auf's Brett gestellt. Jetzt 
wird das Brett wieder gehoben. 
Definitiver Sturz bei 230. 

i. post. 19—200 4—50 
Dynamik. 
Jt. rctl. ant. | Gradaus, sicher. Leicht wackelnd gradaus. 
post. | Gradaus, unsicher. Etwas nach rechts. 
S. pp. Leicht,bleibt nach dem Sprunge | Leicht, das Niederfallen plump, 
auf demselben Flecke. geräuschvoll. 
S. D. pp. ant. | Nach 2—3 Sprüngen folgt eine | Characteristische Labyrinth- 
grosse Mattigkeit. sprünge. 
post. | Gradaus, Schwachheit. = | Recht grade, nach ein paar 


S. p. dex. ant. 


post. 


S. p. sin. ant. 


Sprüngen Rück wärs fallen. 
Zickzacksprünge, schnelle Er- |In einer Entfernung von 1m er- 
müdung (erholt sich bald.) folgt ein Fallen nach links. 
Zickzacksprünge, Ermüdung. |Rückwärtsfallen nach links. 
Springt weiter und grader als |In einer Entfernung von ca. 2m 
auf dem P. dex. ein Fallen nach links. | 


224 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 





Dynamik. | 
S. p. sin. post. | Besser als auf dem P. dex. Beschreibt beim Springen eine 
Spirale mit immer schneller fol- 
genden und kleiner werdenden 
: Sprüngen, bis endlich ein Fallen 
nach rückwärts erfolgt. 
| Manches Mal wird nur ein Theil 
der Spirale beschrieben. 
Fig. 5. 
s = linke Schulter, 
d= rechte „ 
a — Gesicht, 
b = Rücken. 
R. p. dex. |Rechtsum. Beim Hüpfen um |'Rückt noch weiter von der Stelle 
die verticale Körperaxe ein); mit Fallen nach rückwärts 
Ablenken nach rück-| ab. 
wärts. 
Linksum. Auf der Stelle. | Auf der Stelle. 
R. p. sin. |Rechtsum. Auf der Stelle. | Verlässt die Stelle mit Ablenkung 


nach rechts vorn. 
Linksum. Beschreibt einen | Kein voller Kreis, verlässt die 
Kreis mit Abweichen nach| Stelle, ein Sprung nach rechts, 
links hinten. der andere nach links mit 
Senkung des P. dex. 


11. Fall. 13 J. altes Mädchen B.; 15. Febr. 1892. Nach rechtseitiger 
Parotitis stellte sich eine totale Taubheit auf dem rechten Ohr ein. Kein 


Schwindel. 


Mit offenen Augen ist die Statik gut erhalten. 
Bei Augenschluss: 
D. Pp. — Ein Trampeln auf den Zehen bald nach hinten, bald nach vorn mit 


schliesslichem Vorwärtsfallen. 


P. dex. — Wackelt, verschiebt sich auf dem Beine nach links in Folge eines 


Hinziehens nach links, Dabei wird der rechte Arm und das linke 
Bein in die Luft gehoben, um das Gleichgewicht zu erhalten. End- 
lich aber, um dem Sturze vorzubeugen, wird das linke Bein auf den 
Boden gesetzt. 


Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 225 


P. sin. --- Das Stehen fest. 
Gon. i. ant, — 400, 
i. post. — 300. 
Beim Gehen ein Abweichen nach rechts. 


Alle Bemühungen, das Gehör wiederherzustellen, blieben fruchtlos. Gleich- 
gewichtsstörungen bestanden noch den 15. Mai 1892. 


12. Fall. Schüler B., 11 J. alt, aus der Commertienschule; 10. März 1894. 


Erkrankte den 9. März an Parotitis duplex. Es wurde Ungt. camph. 
auf die geschwollenen Partien applicirt. Temp. = 38 Ab. 


10. März. Beim Kauen leichte Schmerzen im rechten ÖOhre. Mm. tt. 
ein normales Aussehen. Morg. — 37,80, Ab. — 36,80. 


11. März. Schmerzen im Ohre geschwunden. Morg. = 36,70, Ab. — 37,70, 

12. März Parotidengegenden nicht kleiner geworden. Morg. — 36,7°, 
Ab. = 36,80. x 

13. März. Morg. — 37,20. Im Laufe des Tages ein plötzliches Abschwellen 
der geschwollenen Parotiden bis zur Norm mit darauf folgendem Erbrechen mit 
Speiseresten (während des Tages) und Kopfschmerzen in der Stirngegend. 
Ab. = 38,50. Mehrere Male Schwindelanfälle. 


14. März. Morg. — 390, Ab. — 38,70. Am Abend untersuchte ich den 
Pat. mit Herrn Collegen Sergiewsky nochmals. Mm. tt. bilateral normal. 
Flüsterspr. über 6m. Beim Aufstehen vom Bette Schwindelanfälle: alle Gegen- 
stände drehen langsam ihre Spitzen von links nach rechts und schnellen 
darauf momentan in ihre verticale Stellung zurück. 

Mit offenen Augen in der Zweibeinstellung ein Wackeln. . 

Bei Augenschluss: Fallen nach hinten rechts. 

Beim Stehen mit offenen Augen auf P. dex. oder P. sin. wird der Patient 
bleich und fällt nach hinten. 

Verordnet: Phenacetin, Diät, Instillationen von Cocaintropfen. 


15. März. Morg. 37,30. Von diesem Tage an wurde die Temperatur 
normal und die Gleichgewichtsstörungen verschwanden bei voller Wiederher- 
` stellung des Gehörs. 


18. Fall. Advocat B., 32 J. alt; den 20. Febr. 1893. 


Anamnesis., Progressive Schwerhörigkeit besonders rechts seit 1886. 
Seit 1890 ohne augenscheinliche Ursache eine plötzliche Verschlimmerung rechts 
mit rechtsseitiger Otorrhoe. 

Status präsens. Schwächliche Augen. Rhinitis hypertrophica mit 
starker Injection der Schleimhaut. Pharyngitis lateralis. Kein Ohrensausen; 
selten in Aur. dex. ein Pulsiren. Kein Schwindel. Anstrengende Kopfarbeiten 
verschlimmern den Zustand der Ohren nicht. 

Aur. dex.‘ Meatus aud. ext. voll Eiter und in Folge consecutiver Eczema. 
verengt. Otitis med. pur. perforativa. Tuba frei. 

Aur. sin. Trommelfell eingezogen, an der Peripherie verdickt, Lichtkegel 
auf einen Lichtpunkt reducirt. Tuba frei. 


226 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Öhrenleiden. 


Das Gehör. Aur. dex. Aur. sin, 
Luftleitung. 


Flüsterspr. | 0 | 8m 
Laute Spr. | ad conch. | 
Politz. Acum. 2 cm | 
32 | 0 | 
C 64 | 0 
c 128 | 0 Alle Töne gut. 
c1256 laut | 
Hinauf alle Töne bis | 
Galton 3 (ca. 10240 V.) | 
König 20480 Mi8 
| Knochenleitung. 





Weber Vertex + à 
Knochenleitung verlängert. 


| 
Rinne 128 u. | weiter hinauf — 
En | Oa. Oo. 
fest Wackeln mit Hinneigen nach 
| | rechts. 
D. pp. | fest Ein Steigen und Sinken auf den 
Zehen od. Trampeln mit schliess- 
lichem Vorwärtsfallen. 
P. dex. fest Leichtes Wackeln. 
P. sin. fest fest 
Gon. i. ant. 350 350 
Dynamik. 
J. retl. Geradaus Geradaus 
R. p. dex. Gleichmässig, voller Kreis | Rechtsum — schwer, ungleich- 


mässig, pausirt, balancirt in der 
Luft mit den Händen. 

Linksum — etwas besser, aber 
dennoch mit Pausen. 
R. p. sin. Wie P. dex. 'Rechtsum — macht eine Um- 
3 drehung mit balancirenden Hän- 
den, aber ohne das Bein zu 

senken. 
Linksum — kann keine volle 
Umdrehung machen, das rechte 
Bein wird immerfort niederge- 

lassen. 

Es tritt schnell eine Ermüdung ein. 


14. Fall. Dienstmann K., 30 Jahre alt; 4. Oct. 1894. Ist ungefähr ein 
Jahr auf dem linken Ohre taub. Im Herbste 1893 glitschte er aus und fiel mit 
der Schläfengegend auf einen Eckstein. Eine Zeit lang lag er besinnungslos. 
Darauf stand er auf und ging nach Hause. Er blutete aus dem linken Nasen- 


Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 227 


loche und: er taumelte in Folge von Schwindel. Den nächsten Tag begab er 
sich in’s Hospital. wo ihm ein Eisbeutel auf die kranke Kopfseite verordnet 
wurde. Die ganze Woche hindurch blutete er aus der linken Nasenhälfte. Augen 
früher gut. Aus dem Krankenhause konnte er nur mit grosser Mühe nach Hause 
gehen: er konnte nicht geradeaus .gehen, taumelte in einem fort und wurde 
bald nach der einen, bald nach der anderen Seite geschleudert. Alle Gegen- 
stände zitterten und er konnte auf ca. 50 Schritt einen Menschen nicht erkennen. 
Der taumelnde Gang besserte sich mit der Zeit bis zum jetzigen Zustande. 


Auf dem Trottoire kommt er in Collision mit anderen Fussgängern. Das 
linke Bein ist etwas schwächer geworden, und er stolpert in Folge dessen öfters, 
Kniephänomen erhalten. Das linke Bein ist nicht magerer geworden. Hand- 
schrift unverändert. 

Auf dem linken Ohre hat er vor neun Jahren eine durch eine Öhrfeige 
bedingte Otitis purulenta durchgemacht. Seitdem war er schwerhöriger. Im 
Dunklen ist das Gehen schwierig. In den Augen hat Dr. Adelheim eine 
Paresis des Musc. recti interni sinitri (rsp. paresis partialis n. oculomotorii) 
constatirt. Der Schwindel ist theilweise durch die Diplopia bedingt. Ob die 
Parese durch eine periphere oder centrale Ursache bedingt ist, ist schwer zu 
entscheiden. Wahrscheinlich war eine Fissura Basis cranii vorhanden. 


Rhinitis catarrhalis, sonst nichts besonderes. \ 


Gehörprüfung. 

Aur. dex. normal. | 

Aur. sin. M. t. getrübt, eingezogen, Handgriff verkürzt, pr. brevis gut 
ausgeprägt. Auf der Grenze der zwei unteren Quadranten eine dreieckige Narbe. 
Tuba frei. 

Flüsterspr. 0. Laute 0, Politzer’s Acumeter kaum, C, 32 — Zittern, C 64 -- 
Zittern, c 128 — Zittern, ce 266 — sehr schwach ein Ton, c 512 — fast ebenso 
laut, wie rechts. Alle Töne bis Galton 3,7 (ca. 9300 b) und König 20480 Mi. 


Stimmgabelnvertex werden alle rechts lateralisirt. 


Statik. Oa. Oo. 
Pp. fest Schwankt, es scheint ihm, als ob er 
nach rechts hingezogen wird. 
D. pp. fest Unüberwindliches Vorwärtsfallen. Beim 
Stehen auf den Fersen ebenfalls ein 
| Vorwärtsfallen. 
P. dex. fest a) Jetzt werden die Augen geschlossen: 





ein Fallen nach rechts vorwärts. 





b) Kann bei Augenschluss nur mit grosser 
Mühe das linke Bein etwas heben, 
um es sogleich auf die Diele wieder 

niederzulassen. 22 





228 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 


Statik. | Oa. O0. 


P. sin. fest a) Erst Einbeinstellung bei offenen Augen. 

| | Jetzt werden die Augen geschlossen. 
Pendelt ein paar Mal hin und her, 
um schliesslich dennoch nach rechts 
vorwärts zu fallen. Um das Gleich- 
gewicht zu erhalten, wird das rechte 
Bein in die Luft gehoben, aber ver- 
geblich. 


b) Steht eine Zeit laug bei Augenschluss 
mit geschlossenen Beinen. Jetzt wird 
das rechte Bein bis zu 906 im Knie- 
gelenke geknickt undin dieser Stellung 
länger gehalten als das linke beim 
Rechts-Beinstehen. 

Gon. i. ant. 370 320 


i. post. 210 910 


| Beim leisesten Heben hüpft er stark in die Höhe und greift mit 
den Händen herum, einen Stützpunkt suchend. 





Dynamik. 
J. retl. Gradeanus. Schwankt und weicht nach rechts. 
D. pp. | Beim schnell. Sichsetzen Beim Hucken schwankt und zittert er; 


|  (Hucken) und Heben mit grosser Mühe, als ob er eine Last 
behauptet das Gleich-! hebt. steht er auf und weicht nach 
gewicht. | links vorne. Beim schnellen Nie- 
| dersetzen wird der Rumpf nach 
i hinten gebeugt mit Rückwärts- 
| i fallen. E 
Geradeaus. ‚, Labyrintbsprünge. Erst 3 bis 4 grosse 
Sprünge in gerader Richtung, dann 
folgen ein paar kleinere, endlich hüpft 
I er bald nach rechts, bald nach links 
i und meint dabei, dass er vorwärts hüpft. 
post. Geradeaus, ‚Schwankt, aber hüpft geradeliniger. 
S. p. sin. ant. Geradeaus. © Weicht mit Zickzacksprüngen nach 
rechts, ohne auf einem Platze zu 
taumeln, ab. 


S. p. dex. ant. 











post. Geradeaus.  Hüpft in gerader Richtung. 
R. pp. Dreht sich sicher auf Die Beine werden gespreizt, und er weicht 
einer Stelle. | von der Stelle ab. 


eineUmdrehung, ohne; berührt fortwährend die Diele mit dem 
das linke Bein zu: linken Beine. 


| 
R. p. dex. Rechtsum — machte Weicht immerfort von der Stelle ab und 
senken. 


Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 229 


Dynamik. 

R.p.dee. |Linksum -— dreht| Ohne Zuhilfenahme des P. sin. kann er 
sich auf einer Stellel keine Umdrehung machen, verlässt die 
um. F | Stelle. Die Bewegungen sind sehr ver- 


langsamt, erfolgen stossweise. 

R. p. sin. 'Rechtsum — fest auf | Verlässt die Stelle, ohne das rechte Bein 
einerStelle,Schwindel- | kanv er keine volle Umdrehung machen. 
gefühl nach rechts. - 

Linksum — fest, re- Langsam, macht eine Umdrehung, ohne 
gelmässig auf einer| zu oft mit dem rechten Beine die 
Stelle. Diele zu berühren. 


15. Fall. Doctor med. K., 39 Jahre alt; 15. November 1893. Der Herr 
College K., ein gesunder und stark gebauter Mann, bat mich, sein linkes. schlechter- 
hörendes Ohr zu untersuchen. Die Ursache des Leidens konnten wir nicht 
eruiren. Nur eines haben wir festgestellt, nämlich, dass die Hörschwäche schon 
mehrere Jahre existirte. Keine Geräusche. 


Linkes Ohr: M. t. — schwach eingezogen, leicht getrübt, hauptsächlich 
in den zwei oberen Quadranten. Hammergriff perspectivisch verkürzt. Licht- 
kegel schwach. 


Rechtes Ohr: M. t. — stärker milchig getrübt, noch mehr eingezogen, 
Lichtkegel in Form eines verlängerten Punktes. 


Gehörpräfung. Aur. dex, Aur. sin. 
Luftleitung. 
Flüsterspr. über 10 m. 2—4m. Post Catheteris. — 1m. 
Cı 32 Schwach. 
C 64 Noch schwächer. 
c 128 Alle Töne sehr laut | 0 
cl 256 und gut. Ein Summen. 
c2 512 Schwächer als rechts. 
c3 1024 Fast ebenso wie rechts. 
Hinauf alle Töne bis 
Galton 2,0 (ca. 10922) 2,0 (ca. 10922 V.) 
König | 20480 Mi8 40960 Mi? 
Politz. Ac. | über 10 m. 4m. 
Weber Lauter rechts. | 
c 128 vertex | | 
u. Froc. mast. | 
Kuochenleitung erhalten für alle Töne. 
Gelle + | 4- 
, K15. K10 
Rinne c 128 [43 ve L 00` 
aai K 8 K8 
cl 256 TE Sec. To 
K6 K5 
c2? 512 —— Sec 


Lu S Lg t 


230 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 


Statik. = Oa. Oo. 

Pp. fest Leichtes Pendeln nach allen Richtungen. 
D. pp. fest Schwaches Zittern. 
P. dex. fest a) Jetzt werden die Augen geschlossen. 


| Ein Zittern, Hinneigen nach links. 
b) Etwas fester, bleibt auf der Stelle, 
|  balancirt mit den Händen und hebt. 
| das linke Bein. 


P. sin. fest a) Nach Augenschluss — rückt nach 
links. 
b) Neigen nach links ohne zu fallen. 
Verlässt die Stelle, rückt auf dem Beine 
bald nach links, bald nach rechts. 
| Balancirt mit den Armen. 
Gon. i. ant. 400 400 
i. post. 170 170 
Dynamik. 
J. rctl. ant. Geradeaus. Geradeaus. 
post. Geradeaus. Geradeaus. 
S. pp. ant. Geradeaus. Leichtes Pendeln. 
post. Geradeaus. Leichtes Pendeln. 
. P- ta Sicher. Sicher. 
. p. sin . 
R. p. dex. |Rechtsum — auf der Bleibt auf der Stelle. 
Stele. 
Linksum — ebenfalls. Ebenfalls. 


R.p.sin. |Rechtsum — bleibt Rückt nach links ab und balaneirt 
auf der Stelle, aberi mit den Armen. 
muss mit Armen und 
rechtem Beine balan- 
ciren. 
Linksum — dasselbe. |Rückt nach rechts ab. 


Den 12. Nov. 1894 suchte der Herr College K. mich auf. Unterdessen 
trat eine Verschlimmerung ein. Ich erfuhr Folgendes. Ende April stellten sich 
Schwindelanfälle ein; dieselben wurden von bleicher Gesichtsfarbe und kaltem 
Schweisse begleitet. Im Juni wurden die Anfälle noch intensiver und traten 
bei jeder schnellen Kopfbewegung oder Wendung nach links. Manchesmal 
wurde er plötzlich von einer Kraft zur Seite, mit Brechneigung und Erbrechen 
geschleudert. Allmälig nahmen die Symptome an Stärke ab. Juli, August 
fühlte sich der Kranke ganz gut. Im September 1894 wurde er wieder plötzlich 
schwindlig; die Schwindelerscheinungen wurden von einem Schlage in dem Kopf 
begleitet. Den ganzen October empfand er jeden Tag oder sogar mehrere Male 
am Tage vorübergehende Schwindelgefühle öfters mit Uebelbefinden und Schwäche- 
gefühl. Das Bewusstsein wurde niemals getrübt. Beim Liegen im 
Bette mit offenen und geschlossenen Augen hat er das Gefühl, als ob er in 
einen Abgrund fällt. Das plötzlich auftretende Taumeln oder Stürzen wird 


Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 231. 


durch einen Stoss bedingt. der von links nach rechts wirkt. In diesem 
Momente macht der Kranke eine compensirende Bewegung nach links. Beim 
Stehen empfindet er ein Gefühl von Taubsein in den Füssen, es scheint ihm, 
als ob die Diele nicht da ist. Darum stampft er öfters des Tages mit Fersen 
um zu hören, dass er eine feste Unterlage hat. Ermüdet die letzte Zeit sehr 
schnell und empfindet eine Schwäche und Unsicherheit. Im linken Ohre ein 
kaum merkbares leichtes Ohrengeräusch, welcher während der Insulte niemals 
besonders intensiver war. Das Gehör hat sich bedeutend verschlimmert. Die 
letzte Zeit hat der Herr College das Rauchen und Weintrinken aufgegeben. 
Geistige Arbeit verschlimmert den Zustand. 


Diagnosis: Morbus Menieri chronica leichteren Grades mit periodisch 
auftretenden Insulten und progressiver Gehörverschlimmerung. 


Gehörprüfung. 

Die Hörschärfe des rechten Ohres unverändert. 

Linkes Ohr. Luftleitung: C, 32, C 64, 90 V., c 128 — nicht gehört; 
c1256 — ganz schwach, unklar, 512 c2 — als ein Klang eines gesprungenen 


Gefässes. Hinauf werden alle Töne bis Galton 3,0 (cr. 10240 V.) und König’s 
Cylinder 16384 ut8 percipirf. Flüstersp. — 0,1 — 0,15 m. | 


Statik. | Oa. Oo. 
Pp. | fest Kaum merkbares Fendeln. 
D. pp. fest Leichtes Pendeln. 
P. dex. fest Wackelt, rückt von der Stelle ab, manches 


Mal berührt er die Diele mit dem 
linken Beine. 

Dasselbe. 

ca. 440. Beim Heben wackelt, zittert. 
und fällt nach vorn von Anfang an. 
Ohne. Unterstützung erreicht er die 





| 
| 
P. sin. | fest 
Gon. i. ant. | 450 (besonders hoch) 








440 nicht. 
Dynamik. 
J. rctl. ant. Geradeaus. Ein Abweichen auf 6,5m Distanz nach 
rechts auf ca. 0,2 m. 
post. (reradeaus. Ein Abweichen auf 6,5m Distanz nach 
links auf ca. 0,2 m. 
S. pp. ant. et post. Geradeaus. Ungefähr wie das Gehen. 
S. p. dex. ant. Geradeaus. Abweichen auf 6,5m nach rechts auf 
ca. 0,2 m. 
post. Geradeaus. Abweichen auf 3m nach links auf 
ca. 0,2 m. 
S. p. sin. ant. Geradeaus. : Abweichen nach rechts auf 6,5 m auf 
ca. 0,2 m. 
post.| °  Geradeaus. Abweichen nach links auf 6,5 m auf 
ca. 0,2 m. 


R. pp. Gut. ó Gut. 


232 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 


Dynamik. 
R. p. dex. iRechtsum — gut, auf Gleichmässig auf der Stelle. 
| der Stelle. 
Linksum — auf der Im letzten !/; des Kreises ein Stürzen 
Stelle. nach links hinten mit Abweichung 
von der Stelle auf ca. 0,1 m. 
R. p. sin. Rechtsum — gut. Gut, auf der Stelle. 
Linksunr — gut. Nach einem 1/4 Kreise ein Stürzen nach 
links hinten mit Abweichen auf 
ca. 0,1 m. l 


Bis zum Neujahr wurden Cocaintropfen ins Ohr 2 mal instillirt und Cocain- 
dämpfe 2 mal wöchentlich durch den Katheter eingeblasen. Das Resultat: All- 
gemeine Sicherheit, keine schnelle Ermüdung, Schwindelerscheinungen sehr 
schwach 1—2 mal die Woche, geistige Arbeit geht besser von Statten; Hör- 
function unverändert; Gleichgewichtsstörungen in den Füssen besser. 


16. Fall. S. Schl., 8 Jahre alt; 28. Sept. 1894. Wurde den 20. August 
1886 bewusstlos geboren. Geimpft 3 Monate alt. Den nächsten Tag schwoll 
die Stirnfontanelle an. Ein paar Tage darauf stellte sich ein Nackenkrampf ein 
und der Hals war bei Berührung sehr schmerzhaft. Beim Consilium theilten sich 
die Meinungen: 2 Aerzte erklärten die Krankheit als Abdominalthyphus und 
die anderen 2 als Meningitis mit letalem Ausgange. Nur sehr langsam genas 
das Kind. Der Nackenkrampf wurde immer schwächer und verschwand schliess- 
lich ganz. — Ein Jahr 3 Monate eine leichte Pneumonie. — Fing sehr spät 
an zu gehen und stürzte bis zu seinem 6. Jahre sehr oft hin. Wurde jeden 
Sommer mit Salzbädern behandelt. — Im Vergleich mit seinen Brüdern und 
Schwestern entwickelt er sicl sehr schwach. Im Winter 1892 hatte das Kind 
einen Anfall des Nachts durchgemacht: es lag röchelnd mit unbeweglichen 
Augen und klonischen Krämpfen. Gegen den Morgen verging der Anfall und 
der Hausarzt. konnte keine Ursache finden. Seitdem wiederholte sich der Anfall 
nicht mehr. (Ich denke, dass es einfach ein Alpdrücken in Folge des Schnupfens 
war). 

Nach dem letzten Anfall merkte man auch, dass das Kind schwerhöriger wird. 


Status präsens. Anämisches schwach entwickeltes Kind mit einge- 
sunkener Brust. Intellectuell sehr entwickelt. Kniephänomen erhalten. In 
anderen Organen nichts besonderes zu notiren, die schnellen Bewegungen beim 
Laufen sind plump. Im dunkeln Zimmer ist das Gehen erschwert. 


Rhinitis hypertrophica bilateralis stark ausgeprägt. Adenoide Vegetationen. 
M. t. rechts getrübt ohne Lichtkegel, links normales Aussehen. Tuben nicht 
ganz frei. Vor der Entfernung der Rhinitis und Vegetationen hörte das Kind 
die Flüsterspr. ad concham. Darauf wurde Coc.-Resor.- Tropfen verordnet, 
ratheterisirt und bougirt. Die nächstfolgende Hörprüfung, nach der Kur unter- 


nommen, welche aber ganz ohne Einfluss auf die Coordinationsstörung blieb, 
ergab: 


Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 233 





Hörprüfung. Aur. dex. Aur. sin. 
Luftleitung. 
Flüsterspr. 3—2,5 m. 4,5—5 m. | 
Politz. Acum. 4 m. lm (ganz eigenthümlich). 

14—60 V. 0 0 

60 Hı + sehr schwach. + sehr schwach. 

i Hinauf alle Töne bis 

Galton 2,4 (ca. 10540 V.) 2,7 (ca. 10840 V.) 

König 10240 Mi? 10240 Mi? 
Knochenleitung. 

Weber cl 256 — nach rechts | 

Rinne + bis 512 c2 | + bis 512 c2 

von 60 Hı. 
Knochenleitung fängt von 60 V. an. 
Keine Schwindelanfälle. 
Statik. Oa. Oo. 
Pp. fest Schwankt, neigt ngch rechts hin. 

D. pp. fest Wackelt, wird nach vorn geneigt. 
Wenn er aber sich erst mit off. Augen 
auf D.pp. einstellt und dann die Augen 
schliesst, so stürzt er nach hinten. 

P. dex. fest a) Erst bei off. Augen. Nach Augenschluss 
ein Sturz nach links hinten. 

* |b) Bei Augenschluss.. Kann nicht das 
linke Bein beben. 

P. sin. fest a) Erst bei off. Augen. Nach Augenschluss 
ein Sturz nach rechts hinten. 

‘b) Bei Augenschluss kann er nicht das 
‚rechte Bein heben. 

Gon. i. ant. 33—340 27—260. Während des Steigens dreht 
sich die linke Schulter nach vorn 
und der Rumpf nach links hin, so 
dass man ihn fortwährend geraderichten 
muss. Bei einmaliger sehr langsamer 
Kurbeldrehung fällt er nach vorn, so 
dass man ihn immerfort auf das Brett 
zurückstellen muss. Sogar bei Dreh- 
ungen um 1/4—1/g des Kreises erfolgen 

. Vorwärtsfallen. Besonders bemerkbar 

ist dieses ruckweise Fallen bis 100, 

s Darüber hinauf steht er schon sicherer. 
i. post. 170 |170. Ruckweises Schwanken bis 100, 


Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXVII 


Während des Steigens kehrt die linke 
Schulter nach vorn, die rechte 
nach hinten mit gleichzeitigem Ab- 
rücken des linken Fusses vom Stütz- 
brettchen. 


16 


234 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 





Dynamik. 
Laufen. Geradeaus. Abweichen nach rechts. 
J. rctl. ant. Leicht schwankend, Schritte ungleichmässig, Zickzackgang, 
post. | geht geradeaus. dennoch erreicht er langsam das Ziel. 


S. pp. | Geradeaus, bald schnell, | Labyrinthsprünge. 2—3 grosse Sprünge, 
bald langsam. Das) dann folgen einige kleinere mit Ab- 
linke Bein wird höher | weichen nach rechts und darauf ein 


gehoben plötzliches Hinwerfen nach links 
mit Spreizen der Beine. i 
S. p. dex. ant. Gerade, leichte 2 grosse Sprünge und darauf ein un- 
Zickzacke. überwindliches Stürzen nach rechts 
vorn. 


post. | Gerade. Der Fuss wird | Ungleichmässige Sprünge. Nach 1—2 m 
bewegt bald nach ei-| ein Stürzen nach rechts hinten. 
ner, bald nach der 
anderen Seite. 

S. p. sin. ant. | Gerade. Gleichmässig. | Leichtes Schwanken. Hüpft mehrere 
Meter ohne zu fallen. 
post. | Gerade. Der Fuss dreht | Die Sprünge unregelmässig. Nach 2—3 m 


sich. M ein Stürzen nach rechts hinten. 
R. p. dex. ‚Rechtsum-—-bleibtauf | Verlässt die Stelle, beschreibt einen 
der Stelle. Kreis. ; 
Linksum — verlässtdie | Kann nicht eine Umdrehung machen und . 
| Stelle. fallt nach rechts vorn. 
R. p. sin. |Rechtsum — verlässt | Sogleich wird das rechte Bein herunter- 
, die Stelle. gelassen mit Stürzen nach. rechts. 
Linksum -—. etwas | Dasselbe. 
besser. .., 


17. Fall. J. S., Tischler, 26 Jahre alt; 6. Oct. 1893. Hört seit einem 
Jahre auf dem linken Öhre schlecht, nachdem er sich in der Badestube er- 
kältet hatte. Seitdem wird er von einem continuirlichen Geräusche sehr ge- 
plagt und beim Vorwärtsbücken emptindet er Schwindel. Die Füsse transspiriren. 
Rhinitis hypertrophica. Die Augen sehen gut. Allgemeiner Zustand leidlich. 


Mm. tt. leicht getrübt, Lichtkegel verwischt. Tuben frei. Subjectives 
Geräusch: bald ein Heulen, bald ein Zischen, Pfeifen. 


Gehörfunction. 


® 


Aur. dex. — normal. 

Aur. sin. Flüst. u. Laute Spr. = 0. Politz. Acum. = 0. Cı 32 ein Zittern, 
C 64, c 128, c1 256 = (0. c? 512, c3 1024, c4 2048 = etwas hohes, kein Ton. 

Galton — 4 (cr. 9216 V.), König — 8192 ut”. 

Knochenleitung: alle Töne werden rechts lateralisirt; das linke Ohr 
empfindet nur ein Zittern. 





Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 235 


Statik. Oa. 
Pp. fest 
D. pp. fest 
P. dex. fest 
P. sin. fest 
Gon. i. ant. 330 
i. post. 280 
Dynamik. 
J. rctl. ant. Geradeaus. 
post. Geradeaus. 
S. pp. ant. Geradeaus. 
post. Geradeaus. 
S. p. dex. 
ant. Geradeaus. 
post. | 
S. p. sin. ant. Cene 
post. 
R. pp. | Gleichmässig auf einer 


Stelle. 


R. p. dex. Rechtsum — fest. 
Linksum — fest. 
R. p. sin. Rechtsum — fest. 


Linksum — fest. 


Die Beine ermüden sehr schnell. 
Bewegungen gut. 


Oo. 
Leichtes Schwanken. 

a) Die Zehenstellung bei off. Augen ein- 
genommen. Jetzt werden die Augen 
geschlossen — Stürzen nach rechts 
hinten. 

b) Erst Augenschluss, Jian die Zeħen- 
stellung: Stürzen nach rechts 
hinten. 

Stürzen nach rechts hinten. 

Mit grosser Mühe wird das rechte Bein 


gehoben. Kaum gelingt ihm dieses, 
sofort fällt er nach rechts. 
290 
280 


Abweichen nach rechts. 


A n 9 
n 2 ” 
5 a- Beim Hüpfen 


armaden sehr schnell die Beine und 
nach 1—2 Sprüngen werden sie ge- 
spreizt, wobei beim Niederfallen ein 
Bein früher die Diele erreicht als das 
andere. 

Zickzackhüpfen mit Abweichen nach 
rechts. Rückwärtshüpfen mit Ab- 

- weichen nach links. 

Fallen nach rechts. 

Recht geradelinig. 

Leicht schwankend. : 


Kann eine voll@ Umdrehung nicht machen, 
ohne das P. sin. hinunterzulassen ; ver- 
lässt die Stelle. 

Eine Umdrehung gelingt leichter und 
schneller. Ä 


‚Fallen nach rechts mit Verlassen der 


Stelle. 

Keine volle Umdrehung, naan wird 
das rechte Bein heruntergelassen. 

Die Arme vollführen alle 


In diesem Falle manifestiren sich bei fast vollständiger Taubheit 
des einen Ohres die Gleichgewichtsstörungen in der Richtung des ge-, 


sunden Ohres. 


16* 


it 


236 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 

18. Fall. T., 31 Jahre alt; 2. Nov. 1894. Im 18. Jahre während an- 
strengender Vorbereitungen zum Examen litt T. 3 Monate an Ohrengeräuschen, 
die später schwanden. Im Jahre 1881 stellte sich im linken Ohre ein Geräusch 
ein. Merkliche Hörschwäche wurde im Jahre 1884 festgestellt und seitdem 
nahm dieselbe ohne Schwindelerscheinungen progressiv zu. Die letzten Jahre 
erkrankte auch das rechte Ohr. Eine systematische Behandlung wurde niemals 
vorgenommen. 


Status präsens. Kein Schwindel. Mm. tt. leicht getrübt und einge- 
zogen. Tuben frei. Im linken Ohre sind 2 Geräusche: 1) ein permanentes 
Pulsiren, 2) ein zeitweise auftretendes. Im rechten ist nur ein Geräusch. — 
Rhinitis catarrhalis.e 





Hörprüfnng. Aur. dex. Aur. sin. 
Flüsterspr. | 0- 0 
Laute Spr. | 0,6 m ad concham. 

Bis 60 V. garnichts. 
60 Hı schwach | schwach. 


Hinauf alle Töne bis 
3,0 (ca. 10240 V.) 5,0 (ca. 8192 V.) 
20480 Mi®8 20480 Mi8. 


Knochenleitung erhalten für alle, angefangen mit 16—20 Schwingungen. 
Weber — lateralisirt rechts. 

Rinne — beiderseits negativ. 

Gellé — negativ. .. 


Galton 
König 


! 
i 
I 
í 
l 





Statik: Mit offenen Augen normal; bei Augenschluss ein sehr schwaches 
Schwanken und bei Zehenstellung ein Vorwärts fallen. 
Gon. i. ant. 380; bei Augenschluss 260—300 mit ruckweisem Steigen. 
i. post. 250; mit Augenschlus 250. 
Dynamik — normal. 


Hier haben wir eine Otitis media sclerotica mit sehr schwach aus- 
geprägten Gleichgewichtsstörungen, welche wahrscheinlich durch erhöhten 
Labyrinthdruck in Folge der Stapesankylose bedingt sind. 


19. Fall. Doct. med. C., 50 Jahre alt; 3. Nov. 1894. In der Jugend litt 
Patient an sehr starkem Schnupfen. Im Jahre 1876 bekam er, (wie er dachte), 
rheumatische Schmerzen in den Füssen, die er durch heisse Bäder beseitigen 
wollte. Eines Abends wurde ihm ganz schwarz vor Augen mit Schwindel- 
erscheinungen. Sogleich wurden Blutegel ad anum applicirt. Die Nachblutung 
dauerte die ganze Nacht hindurch. Dessen ungeachtet begab er sich zur Morgen- 
visitation ins Hæpital. Wurde’ aber bald in Folge starken Schwindels nach 
' Hause geführt. Die nächsten 8 Monate litt er an Schwere im Kopfe und ging 
mit nach vorwärts gebeugten Rumpfe herum. Es wurde damals Anämie des 
Gehirns diagnoscitirt. Allmälig besserte sich sein Zustand so weit, dass er 
wieder als Militärarzt fungiren konnte. — Im Jahre 1879 hat der Patient be- 
merkt, dass er beim Gehen zeitweise plötzlich zur Seite geschleudert wurde und 
‘es bemächtigte sich seiner ein Gefühl von Unsicherheit und Angst, sobald er sich 
auf breiten Strassen, leeren Plätzen und Brücken befand — also Agoraphobia. 


Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 237 


Durch grosse Dosen Bromkalium (4,0 pro die) wurde dieser Zustand nur ge- 
bessert. Im Jahre 1881 wurde das rechte Ohr etwas schwerhöriger. Syste- 
matisch durchgeführte Lufteinblasungen stellten die Hörschärfe wieder her. — 
Bis zum Jahre 1893 fühlte sich der Kranke relativ gut. Seit October 1893 
stellte sich in der Scheitelgegend ein Läuten ein. Das zurseite Schleudern be- 


unruhigte während des Gehens, Sitzens und beim “chreiben (Vorwärtsfallen mit 


dem Kopfe). Im Januar 1894 kam es so weit, dass Doctor C. nicht einen 
Schritt machen konnte. Beim Liegen im Bette schien es ihm, als ob die Füsse 
in die Höhe gehoben wurden, und der Kopf in einen Abgrund hinunterstürzte. 


: Aengstlich, bleich und im Schweisse gebadet griff er mit den Händen herum. 


Seit Ende Januar bis März 1894 weilte er in einem Sanatorium für 
Neurastheniker auf dem Lande. Sein Zustand wurde etwas besser. Im Sommer 
als er einmal im Felde fuhr, empfand er eine dermaassen grosse Angst, dass 
er vom Wagen abstieg und sich auf die Erde hinlegte. Im Herbste wurde das 
rechte Ohr verlegt, und das Schlucken wurde von einem Knacken begleitet. 
Es schien dem Kranken, als ob er immerfort auf einer schiefen Ebene 'herunter- 
steige. Das einfache Catheterisiren während 3 Wochen (2 mal wöchentlich) 
schaffte keine Linderung. 

Status präsens. Im rechten Ohre ein schwaches Zischen, Pfeifen, Läuten 
(beim Liegen). Während des Gespräches sind sie unhörbar. Manchesmal scheint 
es ihm, als ob er sich im Walde befinde. In den Augen nichts besonderes. 
Im rechten Ohre hat er das Gefühl eines Fremdkörpers, welches er fort- 
während, mit dem Kopfe schüttelnd, entfernen möchte. M.t. dex. leicht getrübt; 
Tuben frei. 


Gehörprüfung. Aur. dex. Aur. sin. 
Luftleitung. 
Flüsterspr. 4m 10-12 m 
Politz. Acum. lm 4—6n 
16 Cu 0 gut 
24—60 0 gut 
90 kaum hörbar gut 
Hinauf hörbar alle Töne bis 
Galton 3,0 (ca. 10240 V.) ; 2,4 (ca. 10640 V.) 
König 24578 sol8 dumpf 24578 sol8 laut 


Knochenleitung 
erhalten für alle Töne, ausgenommen 14 V. für das rechte Ohr. 
Weber — unbestimmt, eher nach rechts. 


1 





Rinne — für niedrige Töne und mittlere negativ. 
Statik. Oa. Oo. 
Pp. fest fest 
D. pp. fest schwaches Pendeln. 
P. dex. fest ; Wackeln, Fallen nach links. 
P. sin. nicht genug fest Pendeln. 
Gon. i. ant. Et . 400 400, Leichtes Pendeln. 
i. post. 27—280 210, 


Dynamik ganz gut, ausgenommen das P. sin, welches während der Rotation 
~ ein wenig einknickt. 


238 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden, 


Nach Cocain-Instillationen und Einblasungen von Cocaindämpfen, welche 
vom 3. November 1893 bis zum Neujahr 1895 fortgesetzt wurden, besserte sich 
sein Gehör rechts für Flüstersprache bis 10 m. Die Stimmung ist eine heiterere 
geworden und die Bewegungen sicherer. Ich zweiflg dass dieser gebesserte Zu- 
stand längere Zeit anhalten wird. | 


Dieser Fall ist in der Hinsicht interessant, dass jedesmal nach der 
Verschlimmerung des Ohrenleidens die Agoraphobie sich stärker mani- 
festirte. Ausserdem stellte ich den Herren Collegen auf den Goniometer 
während der Exacerbation seiner subjectiven Empfindung von grosser 
Unsicherheit, er verhielt sich dabei ganz gut, nur zeitweise leicht pendelnd. 
Dieses Verhalten und der Widerspruch zwischen subjectiven Empfindungen 
und objectiven Symptomen spricht mehr für ein Gehirnleiden. 


20. Fall. R., Kaufmann, 35 Jahre alt; 4. Dec. 1894. War sonst gesund. 
1883 — weicher Schanker. Manchesmal abusus in baccho. War als Soldat ein 
fixer Turner. 


Den 24. März 1894 stürzte er im betrunkenen Zustande yon einer Höhe 
bis 6m und fiel dabei auf die rechte Seite. Bewusstlos wurde er nach Hause 
gebracht. Aus der rechten Nasenhälfte wurde coagulirtes Blut ausgeschneuzt. 
Eine ganze Woche war er gezwungen, das Bett zu hüten, da er von starkem 
Schwindel, Schwäche in den Füssen und Ohrengeräuschen im Kopfe geplagt 
wurde. Es wurden ihm Eisbeutel, 6. Blutegel und Kal. jod. verordnet. Erst nach 
13 Tagen war er so weit, dass er bei schwachen Schwindelerscheinungen und 
_ mit Abweichen nach der Seite des rechten lädirten Fusses fester gehen konnte. 
Suggilationes sanguinis waren nirgends zu sehen. Es war auch kein Ohrenfluss. 


Den 14. April verliess er das Krankenhaus, um nach 2 Wochen, “Ende 
April in dasselbe wieder einzutreten, weil sich von Neuem sehr starke Schwindel- 
erscheinungen. taumelnder Gang, Schwarzwerden vor den Augen beim Heben 
von Gegenständen von .der Diele, und continuirliches Ohrensausen im rechten 
Öhre einstellten. Hier wurden grosse Dosen von Jodkalium und Quecksilberein- 
reibungen verordnet. Es besserte sich der Zustand: die Schwindelanfälle schwanden, 
das Ohrensausen und die Hörschwäche blieben unverändert. Ende Mai verliess 
er das Krankenhaus. Auch jetzt noch wurde manchesmal sein Gang, aber ohne 
Schwindel, taumelnd. — Der Patient setzte mit Pausen die Jodkaliumkur den 
ganzen Sommer fort. In's rechte Ohr wurde Aether eingeblasen. Erst gegen 
Mitte November 1894 wurde das Ohrensausen schwächer. Schwerhörigkeit in 
status quo ante. Die letzte Zeit ist das Gedächtniss schwächer geworden. Der 
Patient ermüdet jetzt schneller. Trinkt jetzt täglich nur 2—83 Flaschen Bier. 
Im allgemeinen stark gebauter Mensch. Handschrift ganz regelmässig und 
sicher. Kniephänomen gesteigert. Pupillen reagiren, aber rechts etwas stärker 
als links. Schwaches Stottern, welches sich erst nachher einstellte. | 

M. t. dex. leicht getrübt, Lichtkegel verwischt. M. t. sin. getrübt an 
der Peripherie, Lichtkegel reducirt auf einen Lichtpunkt. Schwach ausgeprägte 
catarrhalische Entzündung in Nase und Nasenrachenraum. Tuben frei. 


Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 239 


Das Gehör. 


Laute Spr. 
Flüsterspr. 


Politz. Acum. 


14 V. 
24 

36 D; 

60 Hı 

60—288 
288 di 
426 al 


Galton 


Statik. 
Pp. 
D. pp. 


P. dex. 


P. sin. 


Gon. i. ant. 


i. post. 


i. later. p. dex. 


p. sin. 


Aur. dex. Aur. sin. 
Luftleitung. 
0 r) 
0 9,5 m 
0 5,4m 
0 Lärm 
0 Brummen 
0 Ton gut 
0 gut 
0 ; 
hört mässig Hört alle Töne gut. 
schwach | 


Hôrt hinauf bis 
4,0 (ca. 9216 V. dD. | 


2,1 (ca. 10822 V.) 


l Knochenleitung 
links erhalten, rechts nicht. Lateralisirt alle Töne links. 
08. Oo. s 
fest fest 
fest a) Zehenstellung bei Oa., dann Oo.: 
Pendelt, zappelt mit Füssen nach 
rechts hinten. 
bJ) Erst die Oo., dann die Zehenstellung: 
rückt erst seitwärts nach rechts 
‘und etwas nach hinten auf Im 
weit, dann stampft er auf einer Stelle 
und weicht nach rechts hinten, 
immer in der Zehenstellung verweilend. 
fest, a) Rücktseitwärts nach rechts hinten 
auf ca. Im ab. 
b) Nach rechts etwas hinten auf 
ca. 1’m. | 
fest a) Nach rechts und etwas nach 
hinten auf 1 m. 
: b) Gleichgewichtsstörungen nicht mit ein- 
mal; Abweichen nach rechts hin- 
ten auf Im. 
85—370 Das erste Fallen bei 210, das zweite bei 
379, | 
24—25 0 149, 
24260 ” 450, » 
836380 26-280, 


240 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Öhrenleiden. 


Dynamik. 
de Toran Geradeaus. Geradeaus. 
post. i 
S. pp. ant. | Geradeaus — Sprünge |2—3 gleiche grosse Sprünge mit Ab- 
ungleichmässig, lang-| weichen nach links, dann Stampfen 
sam, als ob die Füsse | auf einer Stelle mit darauf folgenden 
an der Diele kleben | schnellen Sprüngen nach rechts, 
bleiben. von Neuem Stampfen an einer Stelle 
mit Fallen nach rechts. Krampf- 
artiges Abstossen der Füsse von: Boden. 
post. | Hüpft geradeaus und |2 grosse Sprünge auf Im, Abweichen 


fällt auf die Zehe zu- 
rück. Im Momente des 
Niederfallens beugt er 
den Rumpf nach vorn. 
Jeder nächstfolgende 
Sprung wird kleiner. 


nach rechts, Stampfen auf der 
Stelle, Abweichen nach links, ge- 
steigertes Hüpfen, eine Zahl kleiner 
Sprünge und schliesslich Fallen nach 
hinten. Während des Hüpfens wer- 
den die Beine krampfhaft abgestossen 
und gespreizt. Beim Niederfallen 
knicken die Knie ein und der Rumpf 
pendelt von hinten nach vorn und um- 
gekehrt nach jedem Sprunge. 


Geradeaus — mit kleiner | Auf 4m ein Abweichen auf 1m mit 
werdenden Sprüngen.| Fallen nach rechts bei Zickzack- 
hüpfen. 


S. p. dex. ant. 


post. | Dasselbe. Auf 2 m ein Abweichen auf 1,5 m, Laby- 
rinthsprünge, wie oben mit Fallen 


nach rechts hinten. 


S. p. sin. ant. | Geradeaus .— gleich- | Auf 4m ein Abweichen auf Im nach 
mässig beim leichten | rechts. 
Kehren desFusses bald 
nach rechts, bald nach 
links, T 


Geradeaus — mit immer Auf 2m ein Abweichen auf Im mit 
kleiner werdenden Fallen nach rechts. Nach jedem 
schwerfälligen Sprün- | Sprunge wird das rechte Bein herunter- 
gen. Es bedarf eines! gelassen und dennoch kommt es zum 

 Nachdenkens, um zu Fallen. 
hüpfen, als ob er an- 
geleimt ist. | 


| Be 


post. 


Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 241 


Dynamik. 


R. p. dex. |Rechtsum—nachzwei | Nach dem ersten Sprunge wird die Stelle 
Sprüngen verlässt er| verlassen, beschreibt einen unregel- 
schon die Stelle, dann | mässigen Halbkreis im Hüpfen, mit 
stampft auf einem | plötzlichem Abweichen nach rechts; 
Platze und weicht mit] beschreibt darauf einen anderen Halb- 
der rechten Schulter| kreis mit einem ca. 4mal grösseren 
seitwärtsnachrechts| Radius, um schliesslich, seitwärts ab- 
hinten. gewichen, zu fallen. 


Fig. 6. 





Linksum-—machtÜUm- | Beschreibt hüpfend einen Kreis vom 
drehungen auf der! kleinen Radius und weicht dann seit- 
Stelle. wärts ohne zu fallen ab. 

R.p.sin. |Rechtsum — macht | Macht zwei Umdrehungen mit kleinem 

leicht zwei Umdreh- | Abweichen nach rechts. 
ungen auf der Stelle. | 

Linksum —.nach einer | Fast auf der Stelle mit leichten Ab- 
1/g Umdrehung weicht | weichungen bald nach einer, bald nach 
nach rechtshinten| der anderen Seite. 
ab und lässt das andere 
Bein sinken. 

R. pp. Rechtsum | auf der | Auf der Stelle. 
Linksum J Stelle. |Hüpfend auf den Zehen, um sich umzu- 
drehen, beschreibt folgende Figur: 


Fig. 7. 


21. Fall. S., Nähterin, 23 Jahre alt; 10. März 1894. Seit früher 
Kindheit sah die Kranke öfters die Gegenstände doppelt. Ausserdem erinnert 
sie sich, dass vom 5. Jahre während der Uebelkeit alle Gegenstände sich grün 
färbten. Diese Erscheinung, welche auch bis jetzt fortdauert, wurde durch die 
Anwesenheit von Ascariden erklärt. i 


942 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 


12 Jahre alt — Masern mit Otorrhoea sin., welche 11/2 Monate mit Schief- ` 
stellung des ganzen Rumpfes nach links dauerte. Während dieser Periode 
(sie lag im St. Wladimir-Kinderhospitale) verfiel sie in einen somnolenten Zustand; 
aber man liess sie nicht schlafen, sondern rüttelte sie fortwährend auf. In Folge 
von Schmerzen hinter dem Ohr konnte sie sich nicht mit der linken Seite 
auf's Kissen: hinlegen. Diese Schmerzen dauerten vom März bis Ende Mai, 
zu welcher Zeit die Otorrhoe (Ausspritzungen mit Borsäure) sistirte und das 
Gehör wiederkehrte. Bald darauf schwoll die linke Wange und die Zunge der- 
massen auf, dass die Speisen mit Mühe in die Speiseröhre durchgestossen wurden. 
Die geschwollenen Partien waren mit einem weissen Belage bedeckt und bluteten. 
Eiter kam nirgends zum Vorschein. Allınälig gegen August schwand die An- 
schwellung. Seitdem und bis zum Jahre 1893 fühlte sich die Patientin ganz 
wohl und arbeitete viel. 


Vom 14. Jahre an während anstrengender Arbeiten stellte sich zeitweise 
ein Zittern und Doppelsehen der Gegenstände ein. 15 Jahre alt, brachte sie 
sich in die Stirn zufällig einen sehr kräftigen Hieb mit unerträglichen 
Schmerzen bei. 

Zeitweise verspürte sie ein Läuten bald im linken, bald im rechten Ohre. 


Ende Januar 1893 in Folge einer feuchten Souterrain-Wohnung erkältete 
sie sich und bekam in der linken Kopf- und Halsseite Schinerzen. Den 24. 
März 1893 manifestirte sich der erste Anfall, nach 3 Wochen ein zweiter, nach 
1 Monate ein dritter. Darauf eine Pause bis zum 8. October. Die Anfälle 
wurden häufiger, aber nahmen an Stärke ab. Ende November ein sehr starker 
Anfall, nach drei Tagen zwei nacheinander mit einer Dauer bis 3 Stunden. 
‚Sobald der Anfall vorüber war, nahm die Kranke sogleich ihre Arbeit auf. Im 
December 1893 dauerten die Anfälle ein paar Secunden. | 


Beschreibung eines Anfalles. 


Vor dem Auftreten des Anfalles machen alle Schallempfindungen einen 
Eindruck, als ob sie von weiter Ferne kommen, bald wie ein Waldgeräusch, 
bald wie ein Brausen oder Rasseln, bald in Form von musikalischen Klängen. 
Die Ohren sind wie verlegt; dieser prodromale Zustand dauert mehrere Se- 
cunden. — Während des Anfalles sind alle Gegenstände grün gefärbt und 
werden von Schwindelerscheinungen begleitet, ganz gleich, ob die Kranke sitzt, 
geht oder liegt. Alle Gegenstände neigen sich von rechts nach links, 
wobei dieselben nur ihre Spitzen zum Horizonte neigen, die Basis aber un- 
beweglich bleibt. Ein vollständiges Umkippen mit der Basis nach vben ge- 
schieht nicht. Gleichzeitig rotirt sich das Object nach links binten, auf 
‚die Kranke fallend. Die Stärke der subjectiven Empfindungen ist proportional 
der Grösse der Neigung. Jede Annäherung der verticalen Axe der Gegenstände 
zum Horizonte wird von einem intensiven Schwindelgefühle mit-Uebelbefinden 
und sogar Erbrechen begleitet. Ob die Gegenstände eine horizontale Lage an- 
nehmen können, konnte die Patientin nicht bemerken, da sie, um den unange- 
nehmen Empfindungen vorzubeugen, jedesmal die Augen schloss, Bei Augen- 
‚schluss ist kein Schwindel. Wenn die Neigung nicht zu gross ist, so sieht die 
Patientin, dass det Gegenstand in dieser Lage bleibt und vibrirt. Auch bei 


Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörangen bei Ohrenleiden. 243 


schneller Bisgung nach links vollführen dieselben auch nebenbei zitternde Be- 
wegungen. Diese Linksbewegung verursacht ein momentanes Stürzen des ganzen 
Rumpfes nach links, wobei die Patientin, um Gleichgewicht zu behalten, 
sich krampfhaft an den Stuhl, an das Bett oder an einen anderen Gegenstand 
klammert. Das ist keine Scheinbewegung, sondern ich selbst habe gesehen, wie 
der ganze Körper nach links geworfen wurde. Manchesmal im Anfange der 
Erkrankung, wie die Kranke erzählt, wurde nur der Kopf allein nach links 
gekehrt, wobei er pendelnde Bewegungen von hinten rechts nach vorn 
links unten machte, wie ein Vogel, der mit dem Schnabel hackt. Wie in 
"diesem Momente der Kopf auf Etwas gestützt wurde. so beruhigte er sich so- 
gleich. — Während des Schwindels palpitirt das Herz stark und die Athmung 
wird beschwert. Je stärker die Palpitation ist, desto grösser die Neigung. 
Endlich folgen ein paar tiefe Seufzer und der Anfall ist vorbei. Ueber be- 
sondere Mattigkeit konnte die Kranke sich nicht beklagen. 


Begünstigeande Ursachen des Auftretens des Anfalles. 


‘Schnelle Neigung des Körpers nach vorn beim Heben von Gegenständen, 
plötzliches Umdrehen des Kopfes, Schielen mit den Augen, schnelles Gehen und 
andauerndes Nähen, welches die letzte Zeit ganz unmöglich geworlen ist. 


Während des Anfalles war das Gesicht bald bleich, bald roth. 


Die letzte Zeit, 2—83 Tage vor dem Anfalle scheint es ihr, als ob eine 
Kraft sie nach links ohne Schwindel stösst. Auf der Strasse beim Gehen 
wird die Kranke nach links hingezogen und, wenn sie auf dem rechten 
Trottoire geht, so fällt sie von ihm auf die Strasse mit leichtem Schwindel- 
gefühle und stösst auf vorübergehende Personen zu ihrer grossen Entrüstung. 


Die Kranke kann nichts Saures oder Salziges ohne Erbrechen geniessen; 
Milch wurde auch nicht vertragen. Stuhlgang nur 1—2 mal wöchentlich; wurde 
vom Anfalle begleitet, welcher mit Beendung schwand. Menstrua regelmässig. 


Therapie: K Br.. NaJ, As, Elix. Hoffm. Im December 1893 bestand 
folgender Zustand: Stuhl regelmässig, jede Speise wird genossen, die Anfälle 
dauerten nur ein paar Secunden ohne Erbrechen. Ungefähr den 24. Januar 
1894 stellten sich Stirnschmerzen, verhinderte Nasenathmung mit Drücken in 
den Backenknochen ein; darauf folgten ein Zucken und Anschwellen der Augen- 
lider, Taubsein in den Händen, Krämpfe in den Waden beim Liegen, die beim 
Aufstehen und Herumgehen jedesmal schwanden. Continuirliche Schmerzen in 
der linken Brustseite. Zeitweise stechende Schmerzen "im Sternum durch die 
Brust hindurch bis zwischen die Scapulae. | 


Untersuchung am 10. März 1893. 


Mm. tt. leicht getrübt. Das Gehör sehr gut. Rhinitis hypertrophica 
mässig. In den inneren Brustorganen und im Abdomen nichts besonderes; stark 
anämisch. In der Region zwischen Musc. sternocleido-mastdideus und m. cuccu- 
laris hat die Kranke die Empfindung, als ob Etwas nach hinten zieht und * 
darum muss sie immer den Kopf nach vorn bücken. Die Bewegungen nach 
hinten sind leichter. Beim Palpiren entsteht Husten. 


244 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 
Statik. Oa. i i O0. . 

Pp. fest ı Kein Schwindel. Der Kopf scheint schwerer 
als der Rumpf zu sein. Schwankend 
wird der Körper nach hinten 
links von einer Kraft gebeugt. Um 
Gleichgewicht zu erhalten, werden die 
Arme in die Luft gehoben. 

D. pp. fest “Nimmt mit Mühe die Zehenstellnng ein 
und zappelt mit den Füssen bald nach 
hinten, bald nach vorn, bis schliesslich 

! ' . ein Fallen nach vorn eintritt. 


P. dex. Ä fest . Steht leicht pendelnd, Zittern in Knieen, 
i ı schnelle Ermüdung. 
P. sin. -` fest ° Dasselbe. 


Gon. i. ant. 380 ohne Wackeln Stossweises Steigen mit Neigung nach 


l 

f | vorn, darauf plötzlich nach hinten, mit 

| ‚  schliesslichen Stürzen nach vorn bei 280. 
i. post. | 240 M 

I 

| 


240 ohne Wackeln. 
Dynamik. 
. rectl. ant. ei 
12 = fest, geradeaus | Fest und geradeaus. 


i Jede schnelle Wendung: 
wird von Schwindel 
begleitet. 3 

R. pp. |Rechtsum — leicht, | Glatt, gleichmässig, auf der Stelle. 
schnell, gleichmässig. 
Linksum— Schwindel Gut. 
und ein Stossen nach 
links mit- Brech- 
neigung. Die Kranke 
muss sich hinsetzen, | 
dabei hält sie sich fest. | 
17 J. alt merkte sie, | 
dass während des Tan? 
zens sich beim Drehen 
nach links ein star- 
ker Schwindel ein- 
stellte; nach rechts | 
konnte sie sich die 
ganze Zeit drehen. 
R. p. dex. |Rechtsum — glatt, | Gleichmässig, aber langsanı. 
gleichmässig, eine 
volle Umdrehung ohne 
des’ P. sin. auf einer 
Stelle. 
Linksum — dasselbe, | Ein Neigen nach links hinten, eine 
aber nicht so leicht. | Umdrehung auf der Stelle. 





Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 245 


Dynamik. 

R. p sin. |Linksum — wackelt, | Sehr langsam, neigt den Rumpf, keine 
pausirt, eine volle Um- volle Umdrehung, Abweichen ‘von der 
drehungmitMüheund | Stelle .mit Fallen nach links 
mitAbweichen vonder | hinten. 


Stelle. 
Rechtsum— langsam, | Langsam, leicht wackelnd, volle Um- 
2 gleichmässig. drehung auf der Stelle. 


Um das Labyrinth als Ursache der beschriebenen Symptome auszuschliessen, 
verordnete ich 30/ọ Cocaintropfen in die Ohren. Sobald die Tropfen eingegossen 
wurden, so verfiel die Kranke in einen Schlaf. Nach 4 Tagen wurde der 
Schwindel schlimmer. l 


15. März. Dr. Adelheim hat eine Refractionsverschiedenheit und 
Astigmatismus constatirt. Das rechte Auge sieht schlechter. Diplopie. Während 
des Gehens ein Zittern der Gegenstände und Schiefstehen der Diele. Verordnet 
Brillen. Das Zittern ist schwächer und das Gehen leichter geworden. 

25. März: — Schwindel. 26.: Eine Kraft dreht nach links. Im linken 
Ohre eine Schwere. Auf der Strasse wurde Patientin dermaassen nach links hin- 
gezogen, dass sie vom Trottoir auf die Strasse hinstürzte. — 27.: Das Arbeiten 
mit Brillen ist leichter, ohne sie ist alles in Rauch gehüllt. 29.: Das Zusammen- 
ziehen im linken Cuccularis ist geschwunden. Nach einstündigem Arbeiten ein 
Hinziehen und Stossen des Kopfes nach hinten. 


6. April. Das linke Brillenglas gewechselt. Schiefstellung der Diele 
ist besser. Nasenathmung unmöglich. Temporalschmerzen. — 7.: Morgens alle 
Gegenstände grün gefärbt. Rückwärtsziehen des Kopfes. Beim Schnauben 
Schwindel. ' 

8. April Leichter Schwindel, ein dunkler Flecken im rechten Auge. 
Cauterisirt die linke Nasenmuschel. Athmung besser. 

9. April. Schwanken des Ruınpfes, Kopfschmerzen in der Temporalgegend. 
Kein Rückwärtsziehen des Kopfes. Bei Kopfneigung ein Wackeln. 

10. April. Sol. arnicalis Fowleri. Dr. Adelheim erklärt die noch 
existirenden Schwindelerscheinungen abhängig von der Anämie. Gehör sehr gut. 

12. April. Cauterisirt die rechte Muschel. In beiden Augen dunkle 
Flecke. Unsicherheit beim Gehen. 

13. April. Schwankender Gang, welcher den 14. noch stärker wurde. 
15.: Schmerzen in der ganzen linken Kopfhälfte, beim Schwanken ein starkes 
Pendeln und Geräusche in den guthörenden Ohren, dunkler Flecken im linken Auge, 
starker Anfall mit Schwindel, Uebelkeit, Gähnen, Schmerzen in den Füssen und 
grosse Mattigkeit. 

16. April. Starkes Taumeln, Krämpfe in den Füssen, Ohrgeräusch. 


17. April. Allgemeines Befinden gut, nur Schmerzen in den: Beinen. 
Die Nasenathmung wurde besser. Ein Schwanken im allgemeinen Zustande 
dauerte bis zum 26. April, als Liq. ferri albuminati verordnet wurde. Schon 
den 5. Mai nahmen alle Symptome an Intensität ab. Ende Mai konnte die 
Kranke ganz sicher gehen, nähen und lesen ohne Schwindelerscheinung. Öhren- 


246 Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 


geräusche schwanden. Die Statik und Dynamik waren ganz gut. Sobald aber 
die Brillen abgenommen wurden, so stellte sich sogleich ein Zittern der Gegen- 
stände und Unsicherheit in den Bewegungen ein. Die Gesichtsfarbe wurde 
rosig und die Gemüthsstimmung- heiter. Das letzte mal sah ich die Kranke 
im September 1894. 


In dem geschilderten Falle war ein Theil der Gleichgewichts- 
störungen durch die Augen, .der andere durch Anämie bedingt worden. 
Ob hier die Anämie des Labyrinthes allein (und nicht des Gehirns auch) 
die Hauptrolle spielte, muss einstweilen dahingestellt werden. l 


22. Fall. Doctor med. M., 44 Jahre alt; 6. Sept. 1894. Die sebr 
interessante Krankengeschichte ist theilweise vom Herrn Collegen selbst nieder- 
geschrieben. 

Die Eltern und Geschwister hatten kein Ohrenleiden, nur cine ange- 
borene Schwäche des Sehens, meistentheils rechts. Bruder 43 J. und Schwester 
46 J. alt sind an einem Herzfehler gestorben; die zweite Schwester 42 J. alt 
ist einer Pleuro-Pneumonia chr. erlegen. Die noch am Leben gebliebenen Ge- 
schwister sind schwächliche anämische Personen. Unser Patient hat in der 
Jugend Typhus recurrens und Bronchitis mit Haemoptysis durchgemacht. Die 
letzte Zeit litt er öfters an starken Kopfschmerzen ohne Brechneigung, Erbrechen 
und Fieber. Keine Lues. 

Gegen das Jahr 1887 stellte sich in Folge  angestrengter Arbeit und 
moralischen Erschütterungen eine allgemeine Nervenschwäche mit Hyperaesthesia 
acustica und Gleichgewichtsstörungen beim Stehen und Gehen, besonders im 
Dunkeln, mit Augenschwäche und lancinirenden Schmerzen in Reg. temporali sin. 
ein. Kniephaenom normal. Das Romberg’sche Symptom fiel negativ aus. Für 
den Sommer wurde der Herr College von Prof. Eichwald in Petersburg an 
den Strand nach Dubbeln geschickt. Hier holte er sich bald in Folge eines 
acuten Schnupfens eine Otitis medja catarrhalis sin., begleitet von Gehörschwäche 
und einem leichten .Brausen und Läuten. Locale Therapie blieb erfolglos. 

Im Herbste 1887 wurde von Prof. Prussak und Wreden dieselbe 
Ohraffection auch rechts constatirt; Prof. Merzejewsky hielt das ganze 
Leiden für eine Neurasthenie. 

Im November 1887 war die Hörschärfe für Conversationssprache bis circa 
2m reducirt. 

Im December 1887 erklärte Dr. Baginsky in Berlin die Ohraffection 
für eine Neurasthenie und verordnete Mastcur mit Einpackungen. Der Zustand 
wurde noch schlechter. Prof. Mendel versuchte vergebens das Hypnotisiren. 
Ausserdem verordneten Prof. Mendel und Prof. Eulenburg Kal. jod. und 
den galvanischen Strom (Anode auf den Proc. mast., Kathode auf den Rücken). 
Das Gehör nahm rapid ab. Dr. Jacobson erklärte das Ohrenleiden für eine 
Labyrintherkrankung. 3 

Ende December 1887 war Dr. Mandl beinahe schon taub. In Paris 
diagnostieirten Dr. @elle und Prof. Charcot im Winter 1888 eine Ankylose 
der Gehörknöchelchen und eine Infiltration der Papillen. Daraufhin wurden 
Frictionen 8,0 pro dosi und 1,5 Kal. jod. täglich, point de feu in der Occipital- 


Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenleiden. 247 


region, Einblasungen von 100/9 Aether jodoformique verordnet. Diese Cur, 
2 Monate pünktlich durchgeführt, blieb resultatlos. 

Den Sommer verbrachte der Patient auf dem Lande. 

Ende 1888 consultirte Dr. Mandl die Prof. Gruber und Urbantschitsch, 
welche nach mehrfacher Prüfung eine Erkrankung der nn. acustici, wahrschein- 
licher aber der akustischen Centren diagnosticirten. Prof. Reuss fand die 
Augen gesund, verschrieb Brillen convex 1,25, mit deren Hilfe die Sehschwäche 
beseitigt wurde. Prof. Benedict nahm die Erkrankung der Anfangstheile 
der nn. acustici an. Durch Behandlung mit der Franklinisation besserte sich das. 
Gehör für Geräusche und Zahlen, Ohrengeräusche und -läùten wurden schwächer. 
Ex consilio mit Prof. Gruber wurden versuchsweise 24 subcutane Injectionen 
mit Strychnin. nitric. gemacht. Die subjectiven Geräusche nahmen an Inten- 
sität ab. Darauf rieth Prof. Meynert nach Hause zu reisen und -daselbst 
forcirte Ernährung durchzumachen. Dr. Mandl zog aufs Land und probirte 
erst die von Prof. Politzer vorgeschlagenen Pilocarpininjectionen. Nach 8 
Injectionen trat eine allgemeine Schwäche mit Gehörverminderung ein. Darauf 
nahm er seine Zuflucht zum Arsenik. Nach 21/2 monatlicher Anwendung stellten 
sich vom Neuen hartnäckige Schlaflosigkeit, Zittern in den unteren Extremi- 
täten und Kopfschmerzen ein. Das Resultat war eine geringe Besserung des. 
Gehörs für Geräusche, Zahlen und einige musikalische Töne. Die nach 21/2 monat- 
lichen Pause wiederholte Arsenkur war auch dieses Mal von der obengeschilderten 
Nebenwirkung begleitet. Die von Prof. Benedict vorgeschlagene Strom-Alter- 
native schwächte nur die Geräusche. 

Im Januar 1890 besuchte Dr. Mandl wieder Wien, wo Prof. ee 
und Urbantschisch bei der früheren Diagnose verharrten ; derselben Meinung 
waren Kraft-Ebing, Obersteiner jun. und Beniedict, welcher wieder 
die Electrieität aber ohne Erfolg versuchte. Im Sommer 1890 Schwefelbäder 
(290 R.) in Kemmer gleichzeitig mit Un. ciner. (4,0) und Kal. jod. (1,5 pro die). 
Die antisyphilitische Kur wurde in Folge der Verschlimmerung nach. 15: Ein- 
reibungen nicht mehr fortgesetzt. — Das Jahr 1891 verlebte der Kranke auf 
dem Lande. In Folge von traurigen Familienverhältnissen verschlimmerte sich 
die Krankheit. 

Im Jahre 1893 wurden Injectionen von Pehl’s Spermin gemacht: das: 
Sehvermögen besserte sich dermaassen, dass 2 Monate die Brillen entbehrlich 
waren, der Gang, besonders des Tages, wurde bedeutend sicherer, aber das Ge- 
hör besserte sich nicht. 


Status präsens. 

Gut gebauter, im allgemeinen gesunder Mensch. Amblyopia congenita, - 
Presbyopie. Mm. tt. leicht getrübt. Tuben frei. Ein continuirliches Ohren- 
geräusch des Tages, aber nicht des Nachts. Sogar nach dem Erwachen ist. 
es nicht immer hörbar. In horizontaler Lage verschwindet es. Die sub- 
jectiven Empfindungen haben an Intensität abgenommen. Das Ohrengeräusch 
und das Ohrenklingen exacerbiren periodisch mit dreitägigem Typus: den ersten 
Tag ist Anfangs nür ein schwaches Ohrengeräusch und Ohrenklingen wahr- 
nehmbar; gegen Abend wird das Klingen stärker und unangenehmer. Den 2. 
Tag tritt besonders das Ohrenklingen hervor; am 3. Tage erreicht es solche 
Intensität, dass der Kranke nirgends Ruhe finden kann und geradezu glaubt, den. 


/ 


248 ‚Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen: bei Ohrenleiden. 


Verstand zu- verliereu. Diese Periodicität wiederholt sich Tag ein, Tag aus 
Jahrelang. Ein metallisches Ohrenklingen bei Augenschluss und Augenöffnen, 
auch bei verschiedenen Bewegungen ist schwach ausgeprägt. Das Knistern im 
Schlaf ist schon seit 3 Jahren geschwunden. Der Schlaf wird nicht von 11 Uhr 
bis 3 Uhr Morgens gestört. 

Geruch und Geschmack gut erhalten. Kein Schwindel. Handschrift un- 
verändert. Kniereflex eher etwas geschweift. Keine Kopfschmerzen. Hebt gut 


die Gegenstände von der Diele. Knöpft den Rock leicht zu. Steht vom Stuhle 


schnell aufund geht geradeaus; nachdem mehrere Schritte gemacht sind, merkt man 
ein schwaches Taumeln. Der Kranke wird beim Gehen bald müde, und fängt 
dann stärker zu taumeln an. Des Abends ist das Gehen unsicher und erschwert. 
Des Morgens ist das Gehen und Stehen bei Augenschluss sicherer, als gegen 
Abend. 

&ehörprüfung: 


Gehör für Rede und Musik total verloren. Dafür aber werden die leisesten 
und mannigfaltigsten Geräusche (Sägen, Knistern, Kleiderputzen, Tick-Tack der 
Uhr, Klingeln u. s. w.) sehr gut gehört. Von allen Tönen hört nur das rechte 
Ohr folgende: c 128 sehr schwach, als Ton 10240 Mi?. Die Töne werden em- 
pfunden als Geräusche, Zischen, Dröhnen, Blasen. 


Statik. | Oa. Oo. 
Pp. Recht fest. Leichtes Wackeln. 

D. pp. Nach mehreren Bemüh- |a) Nach Augenschluss — Vorwärts- 
ungen gelangt er in fallen. 
die Zehenstellung und | b) Sobald er sich hebt, fällt er wieder 
behauptet sie. auf die Ferse zurück. Sobald er aber 

in die Zehenstellung gelangt, fällt er 
a nach vorn. 

P. dex. Steht ein paar Secunden | Sobald das linke Bein gehoben, so folgt 

und lässt das linke! ein Fallen nach links. 
Bein nieder, | 


P. sin. Dasselbe. Dasselbe, Fallen nach rechts. 
Gon. i. ant. |300. 90, Ruckweises Steigen. 
i. post. | 290. 70. 
Dynamik. i 
J. rctl. ant. | Geradeaus taumelnd. | Geringes Abweichen nach rechts. 
post. | Geradeaus taumelnd. |Geringes Abweichen nach links., 


S. pp. ant. | Macht ein Sprung, dann | Hüpft nur auf der ganzen Fusssohle; 
pausirtu.s.w.Mehrere | Sprünge geräuschvoll, ungleichmässig, 
Sprünge kann er nach-| noch plumper und beim Niederfallen 
einandernichtmachen, ein Sturz nach hinten. Die Beine 
sie fallen plump, un-| werden gespreizt. Labyrinthsprünge 
gelenkig aus. Beim | krampfhaften Characters mit Vorwärts- 
Niederfall.einWackeln | stürzen. | 
von einer Seite zur an- 
deren. Greift herum 
mit den Händen. 


Stan. v. Stein: Ueber Gleichgewichtsstörungen bei Ohrerleiden. 249 


Dynamik. 


S. pp. post. Beim Rückwärtshüpfen | Nach einem grossen Sprunge bückt er 


S. p. dex. 


S. p. sin. 


R. p. dex. 


R. p. sin. 


werden erst2—3grosse 
Sprünge auf 1m mit 
Gleichgewichtverlust 
gemacht. Dann folgen 
ö—6 kleinere Sprünge 
ohne Geräusch und 
Gleichgewichtverlust. 

Plump auf die Sohle, 
ungleichmässig, Zick- 
zack, Balanciren mit 
den Armen. Mitjedem 
Sprunge wird das Knie 
immer mehr und mehr 
gebogen und der ganze 
Rumpf nähert sich der 
Diele. 

Abweich. nach rechts 
trotz aller Bemüh- 


ungen. 
Rechtsum — volle 
Umdrehung mit Fort- 


rücken von der Stelle. 

Linksum — leichter, 
gleichmässiger mit ge- 
ringerem Abweichen. 

Linksum -— volle Um- 
drehung mit starker 
Neigung des Rumpfes 
und Fortrücken. 


erst den Rumpf nach vorn, sodann 
nach hinten, mit nachfolgenden 
immer kleiner werdenden Sprüngen. 


Plump, Abweichen nach links, Hüpfen 
mit Pausen und mit Senkung des 
linken Beines. 


Abweichen nach rechts. 


Fällt nach rechts hinten auf beide 
Beine. ; 


Keine Umdrehung in Folge des Nieder- 
lassens des linken Beines mit Stürzen 
nach hinten. 

Keine Umdrehung. Nach dem Sprunge 
stürzt seitwärts nach links hinten 
(muss aufgefangen werden). 


Rechtsum-—-dasselbe. | Eine Umdrehung nicht auf der Stelle. 


Bei Verstärkung der Ohrengeräusche werden die Gleichgewichtsstörungen 


intensiver. 


Diese letztere Erscheinung, so auch die Polymorphie der Coordi- 
nationsstörungen bei Abwesenheit von anderen Centralleiden sprechen 
mehr dafür, dass Dr. Mandl’s Ohrenleiden durch die Affection des 
peripheren Endapparates bedingt ist. 


Die Untersuchung Ohrenleidender auf Gleichgewichtsstörungen ist 
von Bedeutung bei Beantwortung von medicinisch-forensischen Fragen. 
In einem Falle, wo ein Eisenbahnarbeiter eine Quetschung des Kopfes 


Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXVII. 


17 


250 G. Brunner: Zur diagnost. Verwerthung der oberen und unteren 


mit nachfolgender (wie man dachte) simulirter bedeutender Hörschwäche 
erhalten hatte, wurde von der Eisenbahngesellschaft die Entschädigung 
zurückgewiesen. Bei der Untersuchung wurden sehr intensive Gleich- 
gewichtsstörungen constatirt. Schon dieser Zustand allein machte den 
Menschen unfähig, Arbeiten zu verrichten. In diesem Sinne habe ich 
mejne von mir geforderte Expertise dem Gerichte eingereicht. Darauf 
hin erfolgte die Resolution, dem verstümmelten Arbeiter die geforderte 
Entschädigung einzuhändigen. 


Die von mir untersuchten Fälle stammten theilweise aus meiner 
Privatpraxis, theilweise aus dem Ambulatorium der Hospitalklinik des. 
Professor Ostroumow, und theilweise wurden sie mir von Professor 
Dr. Roth und Dr. Korniloff zugesandt. Ich erfülle nur eine angenehme 
Pflicht, indem ich den Herren Collegen hier meinen herzlichsten Dank 
für ihr freundliches Entgegenkommen ausspreche. 


XIV. 


Zur diagnostischen Verwerthung der oberen 
und unteren Tongrenze, sowie des Rinne’schen 
und Schwabach’chen Versuches. 


Von Gustav Brunner in Zürich. 


Der Redaction zugegangen Anfang August. 


Bei der grossen Bedeutung obiger Untersuchungsmethoden scheint: 
es mir zweckmässig, dass die damit gewonnenen Resultate von recht. 
vielen Seiten nachgeprüft werden. In diesem Sinne mögen die folgenden 
Beobachtungen, die sich vor der Hand nur auf 100 Fälle beziehen, 
einen bescheidenen Platz finden in voller Anerkennung der grossen Ver-- 
dienste, die sich Bezold, Lucae u. Andere in dieser Sache erworben 
haben. | = u at 


Noch immer sind die Vorgänge bei der craniotympanalen Leitung, 
welche ich mir erlauben werde, kurzweg als Knochenleitung (K. L.) 


Tongrenze, sowie des Rinne’schen und Schwabach’schen Versuches. 251 


zu bezeichnen, nicht genügend aufgeklärt, sowohl was den Weg als die 
verstärkenden Momente betrifft, doch mehren sich die Stimmen derjenigen, 
welche in ihr einen von der gewöhnlichen Schallleitung verschiedenen 
Vorgang erblicken. Auch ich möchte mich zu dieser Ansicht bekennen, 
d. h. zu der Ansicht, dass bei der K. L. im Gegensatz zur gewöhnlichen 
L. L. die molecularen Schwingungen die Hauptrolle spielen; nur so ver- 
mag ich mir die klinischen Beobachtungen ungezwungen zu erklären, 
welche zur Evidenz zeigen, dass die Präponderanz der K. L. am deut- 
lichsten da hervortritt, wo der Mittelohr-Apparat defect und die gewöhn- 
liche Art der Schallleitung erschwert oder gar verunmöglicht ist. 


Nach der Helmholtz-Lucae’schen Theorie geht die osteotym- 
panale Leitung auf drei Wegen vor sich, nämlich direkt durch die 
Schädelknochen, zweitens durch die Massenschwingungen des Trommelfells 
und der Knöchelchen, hervorgerufen durch die von den Wandungen des 
Meatus an die Luftsäule des letzteren abgegebenen Schwingungen und 
drittens durch moleculare Vibrationen des Trommelfells und der Knöchelchen, 
welche ihm von den knöchernen Wandungen vermöge der Continuität 
übermittelt werden. Ich bestreite keineswegs, dass alle 3 Wege in Be- 
tracht kommen können, kann aber nicht zugeben, dass dem 
zweiten Modus die Hauptrolle bei derK.L. zukomme. Das 
würde meiner Meinung nach der klinischen Beobachtung widerstreiten. 
Wie könnten wir sonst die Thatsache erklären, dass bei M. O.-Leiden 
unsere grossen tiefen Stimmgabeln mit starkem Ton auch bei stärkstem 
Anschlage durch die Luft nicht gehört werden, dagegen sehr gut vom 
Knochen aus, ja sogar in manchen Fällen von der Hand aus, wenn der 
Patient den Griff der Gabel fest umfasst. Ich glaube vielmehr, dass 
bei der K. L. im Gegensatz zur L. L. nicht dem zweiten, sondern 
dem ersten und dritten Weg, d. h. den molecularen 
Schwingungen die Hauptrolle zufalle; ob hierbei diein 
den Knöchelchen oder die im Felsenbein verlaufenden 
Schwingungen von grösserer Bedeutung seien, lasse ich 
unentschieden, unsere Kenntnisse scheinen zur Beantwortung dieser 
Frage noch nicht auszureichen. 


Bartsch!) in seinem Aufsatz: Zur Diagnostik der Erkrankungen 


des schallleitenden und schallempfindenden Apparates, der im Uebrigen 
mit Helmholtz dem zweiten Modus der Uebertragung die Hauptrolle 


` 





1) Z. f. Ohr. XV., 110. 
17* 


252 G. Brunner: Zur diagnost. Verwerthung der oberen und unteren 


zuweist (pag. 116). setzt auseinander, dass wir es bei der gewöhnlichen 
Luftschallleitung mit verhältnissmässig grosser Amplitude, aber geringer 
Kraft, bei den molecularen Schwingungen dagegen umgekehrt mit kleiner 
Amplitude aber grosser Kraft zu thun haben; daher sei es begreiflich, 
dass in Fällen von Fixation des Trommelfells und der Knöchelchen die 
Luftwellen weniger geeignet seien, den M. O.-Apparat in Bewegung zu 
setzen, als die molecularen Schwingungen, die ihm direkt vom Knochen 
übermittelt werden. 


Als Prototyp des letzteren Modus kann uns die beidseitige complete 
Synostose des Stapes dienen, wo das ganze Hören auf molecularen 
Schwingungen beruht; denn hier kann von Massenschwingungen keine 
Rede sein, man müsste denn zu Beugungswellen der runden Fenster- 
membran, erzeugt durch Luftwellen in der Paukenhöhle, seine Zuflucht 
nehmen, eine Annahme, die wohl noch grösseren Bedenken begegnet, als 
die Möglichkeit einer Erregung der acust. Endorgane durch moleculare 
Schwingungen im Felsenbein. 


Bezold!) spricht sich anlässlich einer Controverse mit Steinbrügge 
dahin aus, dass die direkte cranielle Zuleitung zum Labyrinth gegenüber 
der experimentell von Lucae nachgewiesenen cranio tympanalen Zu- 
leitung auf nur schwachen hypothetischen Füssen stehe; ob er bei der 
letzteren mehr an Massenschwingungen des M. O.-Apparates oder an 
moleculare Schwingungen denkt. ist nicht ersichtlich, wahrscheinlich das 
letztere. Hierzu wäre zu bemerken, dass Lucae in seinen Unter- 
suchungen über K. L.?) nicht bloss die Schwingungen im Trommelfell 
und Knöchelchen, sondern auch die im Felsenbein verlaufenden 
— es wurde ein Fühlhebel in der Nähe des Can. semic. sup. aufgekittet — 
nachgewiesen hat, an deren Existenz ja von vornherein nicht zu zweifeln 
war. Allerdings ist damit eine Erregung der acustischen Endorgane von 
dieser Seite her noch nicht bewiesen, aber auch nicht gerade unwahr- 
scheinlich, wenn man die Erregung durch moleculare Schwingungen in 
den Knöchelchen zugiebt, ein drittes aber giebt es bei completer Synostose 
des Stapes überhaupt nicht. 


Dafür, dass bei der K. L. die Beugungswellen des Trommelfells 
nicht maassgebend sind, spricht auch deutlich der Umstand, dass in 
manchen Fällen von starker Anspannung des Trommelfells der Ton einer 


r! terre 


1) Z. f. Ohr. XVIIL, 206. 
2) Arch. f. Ohr. I., 303. 


Tongrenze, sowie des Rinne’schen und Schwabach’schen Versuches. 253 


St. G. vom Knochen aus correct, durch die Luft hingegen um einen 
halben bis ganzen Ton erhöht wahrgenommen wird. 

So z. B. in der interessanten Beobachtung O. Wolf’s!) von completer 
Obstruction der Tuba durch eine Flintenkugel, hier betrug die Differenz zwischen 
L. L. und K. L. sogar eine Quinte, in einem anderen Falle von katarrh. Obstruction 
der Tuba eine Terz, so dass der Patient, ein Musiker, seine Geige nicht mehr 
richtig stimmen konnte. Nach Paracentese im ersten und Luftdusche im zweiten 
Fall glich sich zugleich mit dem Eintreten normaler Wölbung des Trommelfells 
auch die Differenz zwischen L. L. und K. L. aus, welche Wolf durch die That- 
sache erklärt, dass ein Ton beim Durchgang durch eine Membran erhöht werden 
kann, wenn man die Spannung der letzteren verstärkt. 

Bezüglich der Momente, welche die Knochenleitung ver- 
stärken, bestehen ebenfalls noch divergirende Ansichten und es ist ja 
auch möglich oder wahrscheinlich, dass dabei verschiedene Factoren im 
Spiele sind. Bezold sucht bekanntlich den Grnnd in vermehrter Spannung 
des M. O.-Apparates, speciell des Lig. annulare staped., giebt aber zu, 
dass seine Erklärung nicht für alle Fälle passe, so z. B. nicht bei Ver- 
stärkung durch ganz lose Verstopfung des Meatus und wie mir scheint, 
auch nicht bei Stapessynostose. Ich meinerseits erkläre mir mit Lucae 
die bei den Krankheiten des äusseren und mittleren Ohres verstärkte 
K. L. durch Mitschwingen (Resonanz); ich habe in einer früheren 
Arbeit die Ansicht geäussert, dass wohl für die gewöhnliche: Luftschall- 
leitung die störende Resonanz im Ohre sorgfältig eliminirt sei, dass aber 
die Resonanz-Verhältnisse sich ganz anders gestalten, wenn, wie es bei 
der K. L. geschehe, die festen Theile des Ohres (eventuell die knöchernen 
Wandungen der Pauke und des Meatus) selbst in Schwingungen gerathen; 
und die Verstärkung der K.L. tritt ja besonders dann deutlich hervor, 
wenn die Luftschallleitung wesentlich gestört ist. 


Es ist ja unzweifelhaft, dass in vielen Fällen von negativem Rinne 
eine vermehrte Spannung des M. O.-Apparates vorhanden ist und dass 
für die in den Knöchelchen fortschreitenden molecularen Schwingungen eine 
straffere Spannung begünstigend wirken werde, analog dem Bezold’schen 
Experimente mit der gespannten Schnur, das’ lässt sich nicht wohl in 
Abrede stellen; aber diese Erklärung passt nicht überall, während sich 
mit der Annahme des Mitschwingens alle Fälle genügend erklären lassen, 
so auch das Experiment, das Siebenmann angestellt hat und als un- 
zweideutigen Beweis für die Richtigkeit der Bezold’schen Auffassung 
ansieht. Er konnte nämlich durch Druck auf das Stapes-Köpfchen den 


1) Diese Zeitschrift II., 2, pag. 54 u. 58. 


254 G. Brunner: Zur diagnost. Verwerthung der oberen und unteren 


bereits verklungenen Ton einer auf den Scheitel gesetzten St. G. wieder 
zur Perception bringen!). Kann es sich hier nicht um eine Verstärkung 
durch Mitschwingen der Sonde handeln? 

Jedenfalls wird man meiner Ansicht nach das Moment 
des Mitschwingens bei der Erklärung nicht vernach- 
lässigen dürfen. Man streift hier wieder die noch unerledigte Frage 
nach der Möglichkeit einer Erregung des Cortischen Organs vom 
Felsenbein aus; es ist klar, dass für diese Möglichkeit die Bezold’sche 
Erklärung nicht passen würde. 

Ich gehe nun zu den einzelnen functionellen Prüfungs- 
methoden über und zwar zunächst zum Verhalten an der oberen und 
unteren Tongrenze. 

Die obere Tongrenze untersuchte ich mit einem aus London 
bezogenen Galton-Pfeifchen, das einen zwar nicht sehr starken, aber sehr 
reinen Ton giebt und das blasende Geräusch des Ballons nur sehr schwach 
hervortreten lässt. Leider stimmt die Scala nicht mit den von Bezold 
und Andern benutzten Instrumenten; ich bestimmte die normale obere 
Tongrenze meines Pfeifchens zu 0,2 bis 0,5, während sie Bezold zu 
1,7 bis 2,0 angiebt. | 

Hinsichtlich der diagnostischen Bedeutung deroberen 
Grenze bestehen leider ebenfalls Differenzen. Bezold?), 
Politzer, Burkhardt-Merian, Rohrer sind nämlich der Ansicht, 


dass gewisse chronische M. O.-Prozesse, namentlich die sog. Sclerose, für . 


sich im Stande seien, die obere Tongrenze herabzusetzen, Zwaardemaker 
dagegen behauptet rundweg, dass reine M. O.-Leiden die obere Tongrenze 
nicht alteriren und dass man die Herabsetzung derselben stets auf eine 
Störung im Labyrinth beziehen dürfe, höchstens gesteht er eine Herab- 
setzung von 0,1 bis 0,2 der Galtonscala gleich ca. !/, Ton zu?). Er 
glaubt und versucht es physikalisch zu begründen, dass die Perception 
der höchsten Töne auch im Normalen vorzugsweise durch die K. L. ge- 
schehe — eine Ansicht,. die auch Bezold äussert — dass aber die 
letztere bei reinem M. O.-Leiden erhalten bleibe, sei nicht zu bezweifeln. 

Ist es bei dieser Auffassung nicht auffallend, dass hohe St. G., z. B. die 
grosse Lucae’sche fis4 Gabel, vom Schädel aus nicht oder doch viel schwächer 


pereipirt werden, als durch die Luft und zwar nicht blos bei positivem, sondern 
auch bei (für tiefe Gabeln) negativem Rinne? 


. Ohr. XXIL, 301. 


1) Z. f 
2) Z. f£. Ohr. XXIII.. 266. 
3) Z. f. Ohr. XXIV., 310. 


e 


-o me e a ip, 


Tongrenze, sowie des Rinne’schen und Schwabach’schen Versuches. 255 


Dass in der That bei manchen älteren M. O.-Processen, 
namentlich solchen sclerotischer Natur, die obere Ton- 
grenze mehr oder weniger herabgesetzt ist, davon kann 
sich Jedermann leicht überzeugen. Es frägt sich nur, 
welchen Schluss wir daraus ziehen dürfen. Warum finden 
wir in den einen Fällen die obere Grenze intact, so z. B. ausnahmslos 
bei verheilten Otorrhoön mit theilweisem Defect des Trommelfells, in ' 
anderen dagegen herabgesetzt. ohne dass die übrige klinische Beobachtung 
uns das verschiedene Verhalten erklären würde. Dürfen wir,- wie 
Zwaardemaker meint, jeden oberen Defect auf eine Störung der 
Perception des Labyrinthes beziehen? Das würde uns dazu führen, bei 
M. O.-Leiden häufiger als bisher eine Betheiligung des Labyrinthes an- 
zunehmen, eine Auffassung, welcher neuere path.-anat. Beobachtungen 
allerdings nicht im Wege stünden!). Oder aber ist es möglich, dass 
Störungen im M. O für sich die obere Grenze herabsetzen können? Das 
scheint die Ansicht von Bezold zu sein. Ich schliesse dies aus folgender 
Stelle (Z. f. Ohr. XXIL., 266): 


Der Einfluss der Mittelohrprocesse auch auf die obere Tongrenze ist durch- 
aus kein so geringer ....... 

Während bei Residuen nach M. O.-Eiterungen die obere Tongrenze aller- 
dings in der Regel vollkommen erhalten bleibt, finden wir bei einem nicht ge- 
ringen Bruchtheile der sog. Sclerosirungsprocesse oft sehr beträchtliche Defecte 
auch an dieser Stelle der Scala. 

Anders lautet freilich folgender Passus desselben Autors, Z. f. O. XVII., 233. 
Die Beobachtung (von Blake) beweist uns, dass eine Erkrankung des Schall- 
leitungs-Apparates an sich dieselbe (i. e. die Perception hoher Töne) jedenfalls 
nicht stört... .. 2.2... 

Ferner: dass trotzdem die Perception für die hohen Töne in solchen Fällen 
(Defect des Trommelfells etc.) vollkommen intact sein kann, lässt uns schliessen, 
dass der Schallleitungs-Apparat für die Uebermittelung dieses Theils der Scala 
überhaupt nur eine ganz geringfügige oder gar keine Rolle spielt. 


Ich kann die citirten Aeusserungen ‘des verdienten Autors nicht 
recht zusammenreimen und es scheint mir daraus hervorzugehen, dass 


1) Man vergleiche z. B. einen von Bez old veröffentlichten Fall von Synostose 
des Stapes (diese Zeitschr. XVII., 232), wo sich die knöcherne Auflagerung 
noch eine Strecke weit in den Anfang der Scala vestib. verfolgen liess, sowie die 
neulich von Politzer veröffentlichten Sectionsbefunde. Z. f. 0. XXV., 309. 
Gewiss mit Recht bemerkt Bezold bei dieser Gelegenheit, dass die Labyrinth- 
fenster functionell zum Schallleitungs-Apparate gehören und dass krankhafte 
Processe, auch wenn sie auf der Labyrinthseite der Stapesplatte auftreten, nicht 
als Leiden des percipirenden Apparates zu betrachten seien. 


256 G. Brunner: Zur diagnost. Verwerthung der oberen und unteren 


er in dieser Sache noch zu keinem sicheren Abschluss gekommen ist, 
was mich übrigens nicht wundern würde, denn so angenehm es wäre, 
sich der Anschauung Zwaardemaker’s anschliessen zu können und 
damit für die diagnostisch oft unklaren Fälle sog. Sclerosis ein sicheres 
Reagens zu gewinnen, so trage auch ich Bedenken, gestützt auf ver- 
schiedene Beobachtungen: 


So habe ich z. B. gefunden, dass die Luftdusche (mit Katheter 
sowohl als Politzer-Verfahren) nicht ganz selten eine Veränderung 
an der oberen Tongrenze herbeiführt, gew. im Sinne der Erhöhung, 
in einem Falle aber auch der Herabsetzung (um 0,3 Galton’sche Theil- 
striche). Die (momentane) Erhöhung bewegte sich gewöhnlich innerhalb 
mässiger Grenzen (0,2 bis 0,6 Galton), konnte aber in einem Falle bis 
auf 1,2 ansteigen. 


Fall I. 


Frl. A. K., 26 Jahr. Im Laufe der Jahre allmählig, ohne besondere Symp- 
tome entstandene Schwerhörigkeit. Klinische Diagnose chron. einfacher M. O.- 
Katharrh. Früher viel Nasenkatarrh. Beide Tr. etwas eingezogen, sonst normal, 
Tuben nicht vollkommen durchgängig. rechts besser als links. 

6—7 cm 20, 

Cyl.-Uhr r. 0 
defect, Galton r. 1,8, 1. 2,3; Rinne r. u. 1. — 9, d. h. 40 v. d.1) in L. L. r. u. 1. 
nicht gehört, dagegen gut vom Scheitel, sowie auch von der Hand aus beim 
Anfassen der Gabel, auch 16 v. d. werden in K. L. gestört. Schwabach normal 
bis schwach verlängert (für 40 v. d.), Weber schwach links. Durch die Luft- 
dusche stieg die obere Grenze plötzlich links von 2,3 auf 12 
Galton, mit einem plötzlichen leichten Knall, aber ohne Verbesserung für Uhr 
noch Sprache. Die Katheterbehandlung blieb links ohne Erfolg, rechts stieg 
Flüst. auf 30 cm. 


Flüst. r. 0, 1. 30. — obere und untere Tongrenze 


Fall Il. 


J. O., 15 Jahr. Otorrhoë in der Jugend, links total collabirtes und zum 
Theil adhärentes Trommelfell, Perforation verheilt; rechts ebenso, nur besteht 
hier noch eine kleine Perforation, durch welche bei der Luftdusche hier und da 
etwas Eiter austritt. Dabei hypertroph. Nasenkatarrh mit Stenose. Beträcht- 
liche Schwerhörigkeit, welche durch die Luftdusche gebessert werden kann. Die 
obere Tongrenze ist beidseits ziemlich normal, 0,5 u. 0,4,nach Politzer sinkt 
sie auf 0,8 u. 0.7! Die untere Grenze ist rechts deutlich reduecirt (für L. L.) 
bis über 40 v. d., links nur bis 24 v. d., Rinne r.--ö, l. nur schwach negativ, 
Schwabach deutlich verlängert. | 


Diese Beobachtungen, die ich leicht vervielfältigen könnte, finde ich 
auffallender Weise von anderer Seite nicht erwähnt; sie mahnen jeden- 


1) = St. G. von 40 vibrat. dupl. 


Tongrenze, sowie des Rinne’schen und Schwabach’schen Versuches. 257 


A 


falls zur Vorsicht in der Verwerthung der oberen Tongrenze. In dem 
zweiten Falle waren die Trommelfelle stellenweise sehr atrophisch und 
wurden durch die Luftdusche stark gebläht, worin man vielleicht den 
Grund der Herabsetzung finden kann, dabei ist allerdings zu bemerken, 
dass durch die Luftdusche das Hörvermögen für Sprache und Uhr ge- 
steigert wurde. Von Interesse scheint mir auch folgender Fall: 


Med. Dr. G. B., 28 Jahr, hat von Jugend her eine rechtseitige Perforation 
ohne Secretion. Das linke Ohr ist normal bis auf eine in den letzten Tagen 
eingetretene, leichte hatarrhalische Reizung des Mittelohrs mit leichter Injection 
des Trommelfells ohne Abnahme des Gehörs, aber mit etwas Druckgefühl, wess- 
‚wegen er meinen Rath einholt. Die Untersuchung ergiebt: Galton links normal 
(0,3) rechts 0,6; untere Grenze links normal (16 v. d.), rechts defect, 40 v.d. in 
L. L. nicht gehört, in K. L. gut, Schwabach verlängert; Weber lateralisirt 
nach r., Cyl.-Uhr 1. 500 cm, r.6. Also ganz übereinstimmend mit der klinischen 
Diagnose Zufällig besitzt Patient die Fähigkeit, seinen linken 
Tensor tymp. willkürlich zu contrahiren, was objectiv am 
Trommelfell zu sehen ist; währenddem wird Galton deutlicher. 
Ferner bleibt in Folge des leichten Tubenkatarrhs das linke normale Trommelfell 
nach Valsalva einige Zeit in Expansionsstellung stehen, wodurch Galton 
undeutlicher wird und Weber leicht nach links lateralisirt. 
Das letztere erkläre ich mir durch die unveränderten Resonanzverhältnisse in 
Folge der in der Pauke eingesperrten Luft; mit der Bezold’schen Erklärung 
durch straffere Anspannung des Lig. annulare stap. käme man hier in Ver- 
legenheit. 

Es zeigt dies auch, wie leicht durch zufällige, die 
K. L. verstärkende Momente der Rinne’sche V. umgedreht werden 
kann. Dass durch die vermehrte Anspannung des Trommelfells, speciell 
durch Contraction des Tens. tymp. die hohen Töne deutlicher hervor- 
treten und umgekehrt bei Valsalva schwächer werden, ist auch von 
anderen Seiten genugsam beobachtet worden !) und spricht auch dafür, 
dass Aenderungen in der Spannung des Trommelfells und der Knöchelchen- 
kette die obere Tongrenze beeinflussen können. 

Was im vorliegenden Falle den unbedeutenden Unterschied an der 
oberen Grenze (0,3 gegen 0,6) zwischen beiden Ohren anlangt, den ich 
bei einseitigen M. O.-Leiden häufig beobachtet habe?) so möchte ich 
ihm keine grosse diagnostische Bedeutung beilegen, ich bin vielmehr ge-- 


1) Siebenmann (Z. f. Ohr. XXII., 307) ist auffallender Weise zu andern, 
entgegengesetzten Resultaten gelangt; er hat nämlich gefunden, dass durch 
Valsalva die obere Tongrenze meistens hinaufgerückt und ihre Perception oft 
verschärft werde. Der Aspirations-Versuch aber beeinflusse die obere Ton- 
grenze gar nicht oder setze sie etwas herunter. 

2) In einem andern 'einseitigen Falle fand ich 0,2 gegen 0,6. 


258 G. Brunner: Zur diagnost. Verwerthung der oberen und unteren 


neigt, ihn der allgemeinen Herabsetzung des Gehörs durch die ge- 
störte Luftschallleitnng zuzuschreiben. Es ist einleuchtend, dass in Folge 
dessen die Vibrationen im Labyrinth des kranken Ohres mit geringerer 
Kraft anlangen werden, als im gesunden und mancherlei Gründe scheinen 
mir dafür zu sprechen, dass die Schwierigkeit der Erregung 
der acustischen Endfaser mit der Höhe des Tones wächst- 
Ich werde später auf diesen Punkt zurückkommen. Allerdings, wenn 
die hohen Töne nur durch die K. L. übertragen würden, so wäre die 
obige Erklärung hinfällig und man wäre gezwungen, eine Störung im 
Labyrinth anzunehmen, wenn auch eine unbedeutende. 


Auch bei Obturation durch Cerumen habe ich eine 
nicht ganz unbeträchtliche Herabsetzung der oberen 
Grenze beobachtet, die sich unmittelbar nach dem Ausspritzen 
verlor und die ich auch nicht ohne Weiteres auf Veränderungen im 
Labyrinth schieben möchte, z. B.: 

Dienstmagd, 30 Jahr. Beidseits Cerumen mit Rauschen und sehr herabge- 
setztem Gehör, Taschenuhr beidseits m cm, Galton rechts 2,0; links 1,9; 
untere Grenze defect bis über 40 v. d., Rinne r. u. 1. — 3, Schwabach 25 (normal 15). 


0 aitan 08 Rinne beld: 


Nachdem Ausspritzen: Uhr r. u. l. Zo 


seits +. 


Ich machte dazu folgenden Versuch am normalen Gehörorgan; ich 
füllte den Meatus mit Wasser, dadurch sank Galton von 0,4 auf 0,7, 
Rinne (vorher +) wurde negativ; St. G. von 16 v. d. wurde in L. L. 
noch gehört. 


Aus diesen Beobachtungen geht hervor, dass Aen- 
derungen in der Spannung des M.O.-Apparates — und 
damit oft auch des Labyrinthes? — im Stande sind, die obere 
Tongrenze zu beeinflussen. Einer weiteren Beobachtung bleibt 
es vorbehalten, hierüber mehr Klarheit zu schaffen und wo möglich die 
Grenzen festzustellen, innerhalb welcher sich solche mehr mechanische 
Störungen bewegen; soviel ich bis jetzt gesehen habe, beträgt der Ausfall 
in solchen Fällen selten mehr als 1,0 bis 1,2 der Galtonscala, meist 
nur 0,2 vis 0,6. Zwaardemaker will, wie oben bemerkt, nur 
0,1 bis 0,2 zugeben. Wie viel muss der Defect am oberen 
Ende der Scala betragen, um daraus mit Sicherheit auf 
einen Perceptionsfehler schliessen zu dürfen? Genügt 
hierzu ein Ausfall von 1,0 pis 1,2 des Pfeifchens? Diese 
Frage lässt sich leider noch nicht sicher beantworten. 


Tongrenze, sowie des Rinne’schen und Schwäbach’schen Versuches. 259 


. Mädchen von 24 Jahren. Bedeutende Schwerhörigkeit, seit Jahren allmählig 
zunehmend, ohne besondere Symptome. Flüst. 0, Conversat. nur in nächster Nähe, 
Beide Trommelfelle sehr blass, sonst normal, Tuben durchgängig. Rinne beid- 
seits schwach negativ, Schwabach leicht verkürzt, untere Tongrenze für L. L. 
deutlich defect, 40 v.d. nur bei ganz starkem Anschlage, Galton rechts 1,2; 
links 1,0. 

Wo liegthier die Hauptursache? Genügt der geringe obere Defect, 
von 0,5 bis 0,6 in Verbindung mit dem leicht verkürzten Schwabach, um neben 
dem M. O.-Leiden eine wesentliche Alteration der Perception anzunehmen ’? 


Auch bei der Otitis media acuta habe ich einen ziem- 
lich beträchtlichen Defect an der oberen Grenze betrachtet, 
der sich mit dem Rückgang der Entzündung ziemlich ausglich. So z. B. 
in dem folgenden Fall: 

Herr W., Fabrikant, gebildet, 50 Jahre alt, ein gesunder kräftiger Mann, 
bekam im Anschluss an Influenza-Bronchitis eine linksseitige Ot. med. ac. purul. 
perfor., die im Laufe von 4 Wochen heilte. Anfangs heftige Schmerzen und 


Fieber. Schon vor der Erkrankung beidseits etwas Sclerose mit etwas reducirtem 
Gehör. — Am 6. Tage der Krankheit notirte ich Galton1) rechts links 


1,0; 3,0, 
am 16. Tage . . . . 0,8; 1,9, 
De a a aa 1,5, 


Ende der Kur „ 3. „ e ata a s 1,0. 
Die untere Tongrenze zeigt auffallender Weise auch links keinen Defect, 
die A ppunn’sche Drahtgabel von 20, ja selbst von 16 v. d. wird r. u. l. in L. L. 
gehört, nur rechts stärker als links. Weber lateralisirt leicht nach links, dıe 


Taschenuhr wird rechts E gehört, links anfänglich 0, dann allmählig steigend 


auf ea und zuletzt auf 10 (am 25. Tage). Bis in die 3. Woche hinein tönte 
die St. G. von 165 v.d. in L.L. links einen halben bis ganzen Ton höher als 


rechts; dieselbe Gabel ergab in der 3. Woche links einen + Rinne. 

Hier liegt es nahe, den anfänglich beträchtlichen oberen Defect auf 
eine vorübergehende Rückwirkung der M. O.-Entzündung auf das Labyrinth 
zu beziehen, obwohl sich das nicht strikte beweisen lässt. Auffallend 
ist, nebenbei bemerkt, die gut erhaltene untere Tongrenze ; dieselbe 
wurde allerdings erst um den 20. Tag herum gemessen, als die Ent- 
zündung in der Hauptsache zurückgegangen und die Perforation verheilt 
war; ebenso auffallend erscheint ferner der positive Rinne, den Bezold 
in Fällen von acuter M. O.-Entzündung ebenfalls beobachtet hat 2), und 
den er in Anbetracht, dass der Weber’sche Versuch in diesen Fällen 
correct nach der kranken Seite lateralisirt, auch nicht zu erklären vermag. 


1) Normal 0,3—0,5. 
2) Z. f. Obr. XVIL, 228. 


260 G. Brunner: Zur diagnost. Verwerthung der oberen und unteren 


Aus den angeführten Beobachtungen geht hervor, dass am oberen 
Ende unseres Hörbereichs Schwankungen vorkommen, die man meiner 
Ansicht nach nicht ohne Weiteres auf (organische) Störungen im perci- 
pirenden Theil bringen darf, und dass hier in unserem Wissen noch 
Lücken bestehen, welche angesichts unserer noch mangelhaften physio- 
logischen Kenntnisse sowie der spärlichen Gelegenheit zu Obductionen 
nicht leicht auszufüllen sein werden. 


Ehe ich meine Beobachtungen über die obere Tongrenze schliesse, 
möchte ich mir noch ein paar Bemerkungen erlauben. 


Dass wir aus einem Defect an der oberen Grenze auf ein Leiden 
der Perception schliessen, ist ein Erfahrungssatz (per excelusionem), ge- 
gründet auf die Beobachtung, dass durch Leiden des M. O. nur die 
untere, nicht aber die obere Grenze — wenigstens nicht wesentlich — 
alterirt werden (Lucae); dass also bei Defect an der oberen Grenze 
eine Störung der Perception vorhanden sein müsse. Eine Erklärung ist 
damit nicht gegeben; das Uebergreifen von Krankheitsprocessen an der 
Fenestra ovalis auf die nahe liegende unterste Schneckenwindung und 
damit auf das Organ der hohen Töne ist allerdings mehrfach nachge- 
wiesen, kann aber natürlich nicht für alle Fälle als Erklärung dienen. 
In letzterer Hinsicht möchte ich folgende Vermuthung aussprechen: 


Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass am Eingange, in der 
untersten Windung der Schnecke die lebendige Kraft zur Erregung der 
nervösen Endapparate eine grössere ist, als in den oberen Windungen. 
Wir müssen uns nämlich vorstellen t), dass die an der Basis der Schnecke 
eintretende Stosswelle nicht erst am Helicotrema, sondern auf dem ganzen 
Wege dahin durch die nachgiebige Membrana basilaris hindurch gegen 
die Paukentreppe ausweiche, hierbei die acustischen Endorgane in Er- 
regung setzend, zugleich aber in Folge der Reibung und der zu über- 
windenden Widerstände, stetig an Kraft einbüssend. Wenn nun die für 
die hohen Töne abgestimmten Theile entgegen den räumlichen Verhält- 
nissen in den untersten Windungen untergebracht sind, so liegt die Ver- 
muthung nahe, es sei diese Einrichtung so getroffen worden, weil hohe 
Töne überhaupt grössere Schwierigkeit haben die betreffenden nervösen 
Endapparate zu erregen, als die mittleren und tiefen Tonlagen. Dann 
wäre auch das frühere Versagen der höchsten Töne begreiflich. Die 
Beobachtungen bei hysterischer Anaesthesie des: Acusticus 
scheinen dies in der That zu bestätigen, insofern als hierbei die 


1) Hensen, Gehör, 106. 


Tongrenze, sowie des Rinne’schen und Schwabach’schen Versuches. 261 


Perception der hohen Töne früber aufhört, als die der 
mittleren und tiefen, in einem Falle von C an aufwärts !). (Ebenso 
hörte die K. L. früher auf, als die gew. L. L.) Bekannt ist auch, dass 
bei lärmenden Berufsarten die Perception der hohen Töne zuerst leidet. 


Ein instructiver Fall von oberem Defect bei gut erhaltener unterer 
Tongrenze, mag hier Erwähnung finden : | 


Ein Locomotivführer, seit 20 Jahren im Dienst, 48 Jahre alt, klagt über 
Abnahme des Gehörs, welche ihm den Dienst erschwere und über ein subj. 
hohes Geräusch in beiden Ohren, ähnlich der Signalpfeife. Trommelfellbefund 
ist im Ganzen negativ, hingegen besteht etwas Tubenstenose — Patient wurde 
schon vor 20 Jahren an leichtem chron. M. O.-Katarrh per Katheter behandelt. 
Er hört Flüstern beidseits 0, Convers. 120—180 cm. Galton wird r.u.l. gar 
nicht und auch die Lucae’sche fist Gabel bei stärkstem Anschlage 
nicht gehört, das Tongehör beginnt (am Klavier) erst bei C4, ober- 
halb hört er nur das Geräusch der Taste. Dagegen ist die untere Grenze 
intact, r.u.1.16v.d. in L.L. gehört. Weber ist unentschieden, ebenso auch 
Rinne; Schwabach istsehr verkürzt, bei schwachem (i. e. gewöhnlichem) 
Anschlag wird die St. G. (40 v.) vom Scheitel gar nicht, bei starkem Anschlag 
nur 3 Sekunden gehört. 

Der Fall ist offenbar ein gemischter und diesem Umstande (leichte Tuben- 
stenose) ist es wohl zuzuschreiben, dass Rinne nicht entschieden positiv ausfällt. 
Die Hauptursache der Schwerhörigkeit liegt aber ohne Zweifel in dem Perceptions- 
leiden, welches wohl durch die Schädlichkeiten des Berufes (Signalpfeife, Rasseln 
der Maschine) bedingt wurde; dabei ist es interessant, dass das subjective Ge- 
räusch in derselben. Tonhöhe liegt, wie die Pfeife der Locomotive. 


Ich gehe nun zur unteren Tongrenze über. Zu ihrer Be- 
stimmung benützte ich die Appunn’schen St. G. (Drahtgabeln) von 
16, 20, 24, 28 u. 32 v. d., an welche sich dann meine grosse prismatische 
Gabel anschliesst (ohne Klemmen 66, mit Klemmen ca. 40 v. d.), die einen 
sehr kräftigen und — besonders im letzteren Falle — von Obertönen 
freien Ton giebt. Die Appun’schen Gabeln sind wohlfeil und namentlich 
ausser dem Hause bequem. da sie leicht und compendiös sind. Sie be- 
sitzen keine Obertöne, haben aber, wie mir scheint, doch gewisse Nach- 
theile, namentlich den, dass ungeübte, weniger intelligente Patienten die 
schwirrende Bewegung der Luft leichter mit dem tiefen, flatternden Tone 
verwechseln, als bei den prismatischen Gabeln. Auch eignen sie sich 
weniger zur Prüfung der K. L., da sie keinen Stil haben und rascher 
verklingen und drittens besitzen sie keinen so kräftigen Ton wie die 
prismatischen Gabeln, was in manchen Fällen von grösserer Schwer- 


mmt en 


1) Walton, Verhandlungen der Berliner physiolog. Gesellsch. 1883, IX., 2. 


262 G. Brunner: Zur diagnost. Verwerthung der oberen und unteren 


hörigkeit unangenehm ist, indem man streng genommen bei negativem 
Resultat nur auf geschwächte Perception, nicht auf völlige Taubheit für 
die betreffenden Töne schliessen darf. | 

Bekanntlich legt Bezold dem Defect an der unteren Grenze ein 
besonders grosses diagnostisches Gewicht bei, was ich im Ganzen ebenfalls 
bestätigen kann. Es istsicher, dass einnormales Gehörorgan 
nicht bloss contra C = 33 v. d. (Siebenmann),sondern auch 
16 v.d. noch deutlich in L. L. vernimmt und dass ein (zu- 
sammenhängender) Defect an der unteren Grenze immer 
pathologisch und,insoferner nur für L. L.und nichtauch für 
K.L. vorhanden ist, auf eine Störung in der Schallleitung 
zu beziehenist. Hingegen darf man meiner Ansicht nach, 
den Satz nicht ohne Weiteres umkehren; vielmehr habe ich 
nicht so ganz selten bei deutlichen M. O.-Leiden mit etwas collabirtem 
und theilweise adhärentem Trommelfell eine intacte untere Tongrenze 
(bis zu 16 v. d.) gefunden, ganz abgesehen von der noch unerklärten 
Ausnahme bei der acuten M. O.-Entzündung. 

Beispiel: 

H. L., Schüler, 12 Jahre. Chron. einfacher M. O.-Katarrh ohne Perforation, 
links frische nicht entzündliche Verschlimmerung, Einziehung des linken Trommel- 
fells, Taschenuhr r. 40; 1. 4 cm. Flüstern r. 240; 1. 160. Galton beidseits 0,5, 
nach Luftdusche 0,4; St. G. 16 v. d. beidseits gehört. Rinne r. schwach 
negativ, links deutlich negativ. Schwabach etwas verlängert; Weber lateralisirt 
schwach nach links. 

Ich glaube daher, dass Bezold etwas zu weit geht, wenn er sagt!), 
dass bei irgend stärkerer Herabsetzung für die Sprache ein dem Grade 
der Hörverminderung entsprechend kürzeres oder längeres Stück vom 
unteren Ende der Scala vollständig ausfalle. Freilich fragt es sich, was 
man unter „irgend stärkerer Herabsetzung für die Sprache“ verstehe, 
ob das angeführte Beispiel auch dahin zu nehmen sei. Noch viel be- 
stimmter aber spricht sich Bezold gleich nachher dahin aus, dass wir 
für jede, seieshochgradige oder geringe Störungam Schall- 
leitungsapparate einen Defect am unteren Ende der Tonleiter auf- 
finden können?). Ich bedaure, dies nicht bestätigen zu können, aller- 
dings reichen meine Untersuchungen nicht unter 16 v. d. hinab.?) 

Am prägnantesten und ausnahmslos fand auch ich den unteren 
Defect (bis über 40 v.d. in L. L.) neben erhaltener oberer Grenze, 


1) Z. f. Ohr. XIX., 226. 
2) J. f. Ohr. XIX., 227. 
3) Aber auch die Bezold’s nicht, wenn ich mich nicht irre. 


Tongrenze, sowie des Rinne’schen und Schwabach’schen Versuches. 263 


sowie ausgesprochen negativem Rinne (gew. — % für 40 v. d.) und ver- 
längertem Schwabach bei abgeheilter Otorrho& mit grösserer oder kleiner 
Perforation resp. Defect des Trommelfells. In diese Rubrik gehören auch 
die instruktiven Beobachtungen, wo Donnern nicht, dagegen hohe Töne, 
wie das Zwitschern der Vögel gut gehört werden, und wo die prismatische 
St. G. von 40 v. d. auch bei stärkstem Anschlage durch die Luft nicht, 
dagegen nicht blos vom Schädel aus stark, sondern auch durch blosses- 
festes Umfassen des Griffes deutlich gehört werden; ein auch für die 
Theorie der K. L. instruktiver Versuch. Diese Fälle bereiten uns übrigens 
auch sonst weniger diagnostische Schwierigkeiten, als z. B. die sclerotischen 
Processe und gerade bei diesen giebt leider die functionelle Prüfung nicht. 
immer ein unzweideutiges Resultat. 

Stets habe ich die untere Tongrenze bei Defect für die L. L. auch 
für die K. L. bestimmt und hierbei, obwohl die Appunn-St.-G. sich 
Mangels eines Stiles hierzu nicht besonders eignen, fast immer eine 
deutliche Perception bis zu 16 v. d. gefunden, 


Der Rinne’sehe Versuch, als dessen nothwendige Ergänzung der 
Schwabach’sche angesehen werden muss, ist eine willkommene Be- 
reicherung unserer physikalischen Diagnostik, doch muss man sich vor 
Augen halten, dass er für sich allein noch keine sichere diagnostische 
Handhabe giebt; ein deutlich negativer Rinne darf ebenso 
wenig als Beweis für intacte Schallleitung angesehen 
werden als ein positiver Rinne unter allen Umständen 
für eine intacte Schallleitung spricht. Ich habe nicht selten 
deutlich negativen Rinne neben deutlich herabgesetzter oberer Grenze 
und selbst verkürztem oder doch nicht verlängertem Schwabach gesehen. 
Dass ein + Rinne durch Hinzutreten eines die K. L. verstärkenden 
Momentes negativ werden kann, ist bekannt, ich erinnere bloss an den 
Weber’schen Versuch am normalen Ohre. So kann ohne Zweifel bei 
Leiden des inneren Ohres durch zufällig vorhandenes obturirendes Cerumen 
oder andere die K. L. verstärkende Momente der positive Rinne negativ 
(überkorrigirt) werden. Wir müssen uns überhaupt die Häufigkeit ge- 
mischter Leiden (der Schallleitung und Perception) vor Augen halten. 
Dass bei selerotischer Erkrankung des M. O., d.h. bei negativem Befunde 
am Trommelfell und Tuba und relativ guter Hörweite (Flüstern über 
1 m) Rinne gew. positiv ausfällt, darauf hat Lucae schon früher hin- 
gewiesen. Hier ist einestheils das die K. L. verstärkende Moment nicht 
stark genug, anderseits die L.L. nicht reducirt genug, um den normal 


264 G. Brunner: Zur diagnost. Verwerthung der oberen und unteren 


positiven Rinne in negativen umzukehren. Inwiefern dabei die in solchen 
Fällen meist etwas reducirte obere Grenze und die daran sich knüpfenden 
noch unerledigten Fragen mitspielen, vermag ich ebenso wenig zu ent- 
scheiden, als die Frage, warum wir bei acuter Otitis media häufig einen 
positiven Rinne finden und zwar, während die auf den Scheitel gesetzte 
St. G. nach der kranken Seite lateralisirt!). Dass durch Erkrankung 
des percipirenden Theils die K. L. verkürzt wird, wissen wir; ebenso, 
dass bei hysterischer Paralyse des Acusticus die K. L. vor der L. L. auf- 
hört; ob aber dadurch ein in Folge von gleichzeitiger M. O.-Affection 
negativer Rinne positiv werden könne, ist mir nicht bekannt. Es sind 
dies Punkte, die sehr der weiteren Aufklärung bedürfen. 


Noch einen Punkt möchte ich berühren: Bezold ist in seinen 
stat. Ergebnissen über den Rinne Vers. im Resumé und ohne näher 
darauf einzugehen, zu dem eigenthümlichen Resultat gelangt ?), dass bei 
einseitiger hochgradiger Schwerhörigkeit ein negativer Rinne vorkommen 
könne, trotzdem der Schallleitungsapparat intact sei. Dies 
ist mir ganz unverständlich und würde in meinen Augen den Werth des 
R. V. bedeutend herabsetzen. Ich möchte aber — weitere Belehrung 
vorbehalten — die Ansicht vertreten, dass bei negativem Rinne stets. 
ein die K. L. verstärkendes Moment vorhanden sei, das nur im äusseren 
oder mittleren Ohre liegen könne, und glaube ich auf der in Betracht 
kommenden Tab. IV?) trotz der spärlichen näheren Angaben doch An- 
haltspunkte für meine Ansicht zu finden. Das Trommelfell wird zwar 
als normal bezeichnet, aber in einem Falle heisst es z. B.: Katheter 
macht kein deutliches Anschlagegeräusch, erzeugt aber eine deutliche 
Vorwölbung des Trommelfells, welche längere Zeit stehen bleibt, 
oder in einem anderen Falle: Rarefacteur bewegt den Hammergriff nicht. 


Der Schwabach’sche Versuch ist eine ebenso werthvolle als 
nothwendige Ergänzung des Rinne’schen und er würde noch werthvoller 
sein, ohne die Fehlerquellen, welche der Methode noch anhaften. Wenn 
Siebenmann behauptet, dass es nicht schwierig sei, sich einen ge- 
nügend gleichmässigen Anschlag der St. G. anzugewöhnen, so kann ich 
das nur für die exquisiten Fälle zugeben, aber nicht für die zahlreichen, 
wo die Differenz nur wenige Secunden beträgt. Besser ist die Methode 


1) Vergleiche den oben mitgetheilten Fall. 
2) Z. f. Ohr. XVII., 230. 
3) a. a. O. 218. 


Tongrenze, sowie des Rinne’schen und Schwabach’schen Versuches. 265 


Bezold’s, die eigene Perceptionsdauer jedesmal zur Kontrolle zu ver- 
wenden, aber sie setzt voraus, dass der Arzt über ein normales Gehör- 
organ verfüge. Es bleibt als Auskunftsmittel noch der von Lucae 
angegebene federnde Hammer, der mir leider nicht zur Verfügung stand. 


Eine weitere Fehlerquelle liegt bisweilen darin, dass wenig intelligente 
Patienten gegen das Ende der Tonempfindung hin dieselbe leicht mit 
der noch länger anhaltenden Gefühlsempfindung verwechseln. 


Ich habe den Schwabach’schen wie den Rinne-Versuch nur 
mit der prismatischen Gabel von 40 v.d. angestellt, weil ich ebenfalls 
gefunden habe, dass mit tiefen Gabeln die Resultate deutlicher und die 
Ausnahmen seltener werden. Als normale Perceptionsdauer bei mässig 
starkem Anschlage (am Supinator longus) fand ich für obige Gabel 
15 Sekunden. Den Satz, dass bei den Leiden des äusseren und mittleren 
Ohres die Perceptionsdauer gegenüber der normalen verlängert, bei solchen 
des inneren Ohres (genauer des percipirenden Theils) verkürzt sei, habe ich 
im Allgemeinen ebenfalls bestätigt gefunden. Am ausgesprochensten und 
constant fand ich den ersteren bei abgelaufenen M. O.-Eiterungen mit 
grösserer Perforation, wo auch der negative Rinne, sowie der Defect an 
der unteren Tongrenze bei erhaltener oberer mit aller nur wünschens- 
werther Deutlichkeit hervortritt als eine Leuchte, als ein Wegweiser auf 
dem bisweilen etwas unsicheren Pfade der functionellen Hörprüfung. 
Denn nicht immer ist das Resultat ein so prägnantes, sei es, dass das 
die K. L. verstärkende Moment wenig ausgesprochen ist, oder dass es 
sich um eine Mischaffection handelt, wo sich dann die Frage aufwirft, 
in welchem Grade ein gleichzeitiges Perceptionsleiden die sonst zu er- 
wartende Verlängerung der Perceptionsdauer zu verringern vermöge. 


Dass bei bloss einseitiger Erkrankung der Schwabach’sche Ver- 
such nur bedingt zu verwerthen sei, ist wohl einleuchtend; eine ver- 
längerte oder verkürzte Perception wird man allerdings auf das kranke 
Ohr beziehen können, bei normaler Dauer dagegen wird man nicht 
wissen, ob sie auf Rechnung des normalen Ohres zu setzen sei, während 
das kranke für sich allein eine verkürzte Perception geben würde. 


Wenn ich zum Schlusse die Resultate meiner Beobachtungen noch 
einmal überblicke, so muss vor Allem zugegeben werden, dass wir in 
der functionellen Hörprüfung eine willkommene Bereicherung unserer 
diagnostischen Hülfsmittel besitzen, die wir nicht mehr entbehren möchten, 
indem sie unserer oft unbefriedigenden Diagnostik ein neues Interesse 

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXVII. 18 


266 G. Brunner: Zur diagnost. Verwerth. d. ob. u. unt. Tongrenze etc. 


verleiht und neue Gesichtspunkte eröffnet. Allerdings sind noch zahl- 
reiche Lücken in unserem Wissen auszufüllen und manche Detailfragen 
harren noch der Erledigung, so namentlich die für die Beurtheilung der 
sclerotischen Processe wichtige Frage, ob Störungen der Schallleilung für 
sich im Stande seien, die obere Tongrenze herabzusetzen und bis zu 
welchem Grade. 


Nicht immer stimmt die functionelle Prüfung mit der gewöhnlichen 
klinischen Untersuchung überein. In dieser Hinsicht bot es mir ein be- 
sonderes Interesse, Fälle, die ich seit 20 und mehr Jahren hatte ver- 
folgen können, in das Licht der gegenwätigen functionellen Prüfung zu 
stellen. Dabei ergab sich als besonders in die Augen springend, dass 
ich durch die neue Methode viel häufiger als früher zu der Annahme 
eines (gleichzeitigen) Perceptionsleidens geführt wurde; gerade wie z. B. 
Bezold in neuerer Zeit auf 12,5 °/, für die Perceptionsleiden gekommen 
ist, anstatt blos 6°/, in früheren Jahren'). 


Ich bin in der That öfters durch einen nicht unbedeutenden ’?) 
Defect an der oberen Grenze überrascht worden, in Fällen, wo ich vorher 
sicher glaubte, es nur mit einem Leiden des M. O. zu thun zu haben. 
Ich habe oben die Ansicht vertreten, dass wir uns gegenwärtig bezüglich 
eines kleinen oberen Defectes noch keinen sicheren diagnostischen Schluss 
erlauben dürfen, aber eine Herabsetzung um 2,0 bis 3,0 und mehr der 
Galtonscala, vielleicht auch schon von 1,5 möchte ich doch auf eine 
Störung der Perception beziehen. Die Fälle, wo der Defect bis in die 
viergestrichene Oktave hinunterreicht (Lucae) sind selten. In manchen 
Fällen von beidseitigem chron. M. O.-Katarrh verhielten sich beide Ohren 
mit Bezug auf die functionelle Prüfung ganz verschieden, indem z. B. 
das eine einen beträchtlichen oberen Defect zeigte, das andere nicht, 
ohne dass die übrige klinische Untersuchung eine Erklärung dafür ge- 
geben hätte. 


Aus alledem geht hervor, dass wir in den besprochenen Unter- 


1) In die Rubrik „nervöse Schwerhörigkeit“ wurden von Bezold in den 
letzten 10 Jahren alle diejenigen Fälle mit negativem Befund am Trommelfell 
etc. aufgenommen, welche neben hochgradiger Schwerhörigkeit darboten: 1) Ver. 
kürzung für die K. L. (mit A. u. al), 2) erhaltene Perception der tiefen Töne in 
L. L., 3) einen unverkürzten oder nur wenig verkürzten positiven Rinne. 

2) Von 2,0 bis 4,0 der Galtonscala, also um ca. 2—4 Tonintervalle. Nimmt 
man d? als mittleren oberen Grenzton, so kämen wir auf a6 bis f6 hinunter, 
also in die Mitte der sechsgestrichenen Octave. 


E. Bloch: Die Ermittlung einseitiger completer Taubheit. 267 


suchungsmethoden !) eine werthvolle Bereicherung unserer diagnostischen 
Hülfsmittel besitzen, die einer weiteren Ausbildung fähig is. Wenn 
unsere Kenntniss von dem Wesen der Knochenleitung und den dieselbe 
verstärkenden, resp. schwächenden Factoren eine genauere und sicherere 
sein wird, so werden wir auch manche z. Z. noch unverständliche 
Ausnahmen begreifen und richtig deuten lernen und wenn wir über 
die Bedeutung der Defecte am oberen Ende der Scala besser unter- 
richtet sein werden, so werden wir namentlich die zahlreichen Fälle von 
Sclerosis noch besser beurtheilen können. Zu diesem Behufe wäre 
essehr wünschenswerth, dassnach der Tonhöhe bestimmte 
undeinheitlich geaichte Galton-Pfeifchen käuflich wären. 

Am Schlusse meiner Arbeit angelangt, möchte ich noch meine Ver- 
wunderung darüber aussprechen, dass in dem sonst so ausführlichen 
Handbuch von Schwartze das wichtige Kapitel der functionellen Prüfung 
so stiefmütterlich abgehandelt ist. 


XV. 


Die Ermittlung einseitiger completer Taubheit. 
Von Dr. E. Bloch in Freiburg i. B. 


Der Redaction zugegangen den 16. September 1895. 


Unsere Methoden der Hörprüfung haben jede für sich nur einen 
bedingten Werth. Diese allgemein anerkannte Grundlehre ist auch 
dann anzuwenden, wenn wir den letzten Rest von Sinnesvermögen in 
einem anscheinend tauben Ohre ermitteln wollen bei Erhaltensein des 
Hörvermögens im andern. Die gewöhnlichen Prüfungsmittel, Pol. Hörm., 
Uhr, Flüstern und laute Sprache lassen uns hier im Stiche. P. H. und 
Uhr können ausfallen, während laute Sprache noch percipirt wird. Und 
wenn letzteres geschieht, so sind wir nicht im Stande, dem Untersuchten 
anzusehen, ob sie im — selbstredend verschlossenen — besseren oder 
im anscheinend tauben Ohre gehört wird. 

Prüfen wir mit Stimmgabeln, so kann, zugegeben dass eine complete 
einseitige Taubheit hierbei ermittelt würde, der Versuch jeweils nur 


1) Die Untersuchung auf allfällige Tonlücken, welche übrigens nach Bezold’s 
eigener Angabe nur bei Taubstummen und sehr hochgradig Schwerhörenden vor- 
kommen, habe ich nicht vorgenommen aus Mangel der vollständigen continuir- 
lichen Tonreihe. 

18* 


268 E. Bloch: Die Ermittlung einseitiger completer Taubheit. 


für den betreffenden Ton gelten. Wir müssen also auch hier, 
wie sonst, mit einer Anzahl von Tönen aus verschiedenen Theilen der 
musikalischen Scala untersuchen, bevor wir die Diagnose auf absolute 
einseitige Taubheit stellen. Und wäre gar zu vermuthen, dass wir es 
mit Tonlücken oder -Inseln zu thun haben, so müsste eigentlich die 
gesammte continuirliche Tonreihe (Bezold) herangezogen werden, bevor 
wir unser Urtheil abgeben. 


Was müssen wir bei einer Stimmgabelprüfung im Falle einseitiger 
Taubheit verlangen ? 


Die Antwort auf diese Frage scheint höchst einfach zu sein: dass 
der Ton weder in Luft- noch in Knochenleitung von dem tauben Ohre 
wahrgenommen wird. Ein differenzielles Verhalten beider Wege können 
wir natürlich an dem wirklich tauben Ohre nicht erkennen. Wird aber 
ein Rest von Hörvermögen auf der vermeintlich tauben Seite aufgefunden, 
so gestaltet sich die Beurtheilung schwierig. 


Betrachten wir zuerst die osteo-tympanale Leitung. 


Setzen wir eine schwingende Stimmgabel auf den Scheitel (D. V.), 
so fliessen cet. par. die Schallwellen allseitig gleicherweise, also auch 
nach beiden (Gehörorganen gleichmässig ab. Sind beide normal, so 
localisiren wir den Ton nicht in’s rechte und nicht in’s linke Ohr, 
sondern in die Median- (Sagittal-) Ebene des Kopfes, in die Stirn, in 
die Mitte des Schädelgrundes oder in’s Hinterhaupt, aber stets in einen 
von beiden Ohren gleichweit entfernten Punkt desselben. Es entsteht 
ein medianes subjectives Hörfeld (Urbantschitsch), wie das aus den 
Verhältnissen des binauralen Hörens mit Nothwendigkeit sich ergiebt !). 
Hört ein Ohr den Prüfungston besser als das andere, ohne dass ein- 
seitige Taubheit für denselben besteht, so rückt, wie bekannt, das sub- 
jective Hörfeld aus der Medianebene weg nach der Seite des besser 
hörenden Ohres, um so weiter, je schlechter der Ton auf dem anderen 
Ohre wahrgenommen wird. Ist dieses ganz taub, so findet die Ton- 
aufnahme eben bloss in dem noch functionirenden Ohre statt, man hört 
den Ton ganz lateral im Öhre selbst, nicht mehr im Innern des Kopfes, 
nicht mehr: als subjectives Hörfeld. Theoretisch wären wir also durch- 
aus berechtigt zu sagen: Wird der Ton des D. V. und bei Luftleitung 
nur in einem Ohre gehört, so ist das andere für denselben taub. 

Praktisch liegt die Sache anders. | 


1) cf. Meine Arbeit über „Das binaurale Hören“, Z. f. O. Bd. XXIV, 
1893, S. 25 ff. 


E. Bloch: Die Ermittlung einseitiger completer Taubheit. 269 


Es ist nämlich selbst für den mit solchen Untersuchungen Ver- 
trauten nicht ganz leicht zu entscheiden, ob man einen Ton thatsächlich 
bloss im Ohre hört oder ob man ein subjectives Hörfeld nahe dem Ohre, 
in der Tiefe der Schläfe wahrnimmt. Wohl klingt der Ton im letzteren 
Falle voller, im ersteren dünner; aber der Ungeübte ist in der Regel 
nicht in der Lage, sofort den feinen Unterschied zwischen beiden heraus- 
zufinden. Sprechen wir ja doch schon von einem „Lateralisiren des D.V.“, 
von einem „Hören desselben im rechten oder linken Ohre* in Fällen, 
in welchen es sich auch nicht annähernd um einseitige Taubheit handelt, 
in denen ein wohl erkennbares subjectives Hörfeld in der einen Hälfte 
des Kopfes besteht und wo wir somit keinen Grund hätten, die Empfindung 
in ein Ohr zu verlegen. Also auf derartige feine Nuancen können wir 
in der Regel bei unseren klinischen Hörprüfungen nicht eintreten, und 
desshalb ist die Verwerthung der Knochenleitung, ist der Weber’sche 
Versuch nicht dazu geeignet, einseitige Taubheit zu ermitteln. 

Es bleibt uns somit nur der aöro-tympanale Zuleitungsweg offen. 
Bei nervöser Schwerhörigkeit übertrifft bekanntlich ohnehin dieser 
Weg an Leistungsfähigkeit den osteo-tympanalen, analog dem normalen 
Verhalten. Die Untersuchung spitzt sich hier also auf die Frage zu: 

Ist noch ein Rest von Hörvermögen auf einem an- 
scheinend tauben Ohre vorhanden, wenn die vor dem- 
selben schwingende Stimmgabel gehört wird? 

Der Ton der Stimmgabel kann auch von dem anderen Ohre wahr- 
genommen worden, die Schallwellen beugen sich um den Kopf herum 
zu dem nicht geprüften Organe. Wir verschliessen also dieses Ohr, um 
sie von ihm abzuhalten. Leider wird aber damit unsere Absicht, das 
freie Ohr gänzlich auszuschalten, nicht erreicht. Wie von K. L. Schäfer?) 
hervorgehoben worden ist, gelangt ein leiser Ton aus der Luft durch 
ein Ohr hindurch und durch die Kopfknochen hinüber zum anderen 
Ohre. Gerade dann, wenn wir das zweite (abgewendete) Ohr ver- 
schliessen, hören wir den leisen Ton in dem letzteren, und zwar als 
subjectives Hörfeld auf der Kopfseite desselben. Dieser Versuch, den 
man mit jeder beliebigen Stimmgabel leicht anstellen kann, beweist, 
dass ein Hinüberleiten eines sehr leisen Tones aus der Luft durch 
ein schwerhöriges Ohr hindurch zum gut hörenden stattfindet. 

Auch hier dürfte es einem ungeübten Kranken schwer fallen, zu 
sagen, in welchem Öhre er den Ton hört, im anscheinend tauben oder 


1) Schäfer, ein Versuch über die intracranielle Leitung leisester Töne 
von Ohr zu Ohr. Z.f. Psych. u Phys. der Sinnesorgane, Bd. II, 1891, S. 111 ft. 


270 . E. Bloch: Die Ermittlung einseitiger completer Taubheit. 


im nicht geprüften. Die vor das erstere gehaltene Stimmgabel wird 
ihm in der Regel suggeriren, dass er ihn in diesem höre. 


Es kann also weder die Knochen-, noch die Luft- 
leitung uns einen ganz zuverlässigen Weg bereiten, um 
complete einseitige Taubheit zu erkennen, weil bei 
beiden das andere Ohr nicht vollkommen auszuschalten ist. 


Dass mit dieser Erklärung weder dem Weber’schen noch dem 
Rinne’schen Versuche in ihrer Bedeutung für unsere Hörprüfungen 
im Allgemeinen zu nahe getreten werden soll, braucht wohl nicht 
besonders betont zu werden. 


Bei der geringen Verlässlichkeit des D. V. für den Zweck der 
Erkennung einseitiger Taubheit hat schon vor mehr als zwei Jahrzehnten 
Knapp zwei Methoden angegeben !), welche mit Sicherheit die Diagnose 
stellen sollen : | 


I. Wird eine tönende Stimmgabel vor einem hörenden Ohre hin 
und her bewegt, so wird die Tonempfindung periodisch verstärkt, näm- 
lich so oft die Gabel gegenüber der Muschel zu stehen kommt. Ist 
dieses Ohr taub, so bleibt die stossweise Zunahme der Intensität aus, 
weil jetzt der Ton nur noch von dem anderen Ohre und zwar gleich- 
mässig wahrgenommen wird. 


In einer angeschlossenen Krankengeschichte traf diese Probe zu, 
wo das r. Ohr auch für andere Prüfungsmittel taub erschien. 


II. Bewegungen des Trommelfells, welche wir mit dem Siegle- 
schen Trichter ausführen, hört der Untersuchte als tiefes, knackendes 
Geräusch. Bei einseitiger Taubheit fehlt dasselbe auf der betreffenden 
Seite. 

Auch dieser Versuch wird durch einen Krankheitsfall illustrirt. 


Mir ist nicht bekannt, ob diese Knapp’schen Methoden bis jetzt 
anderweitig nachgeprüft wurden. Für das praktische Bedürfniss scheinen 
sie allerdings zu genügen, aber einer strengen Analyse hält wenigstens 
die erste kaum Stand. Es ist doch wohl leicht der Fall zu denken, 
dass der Ton einer Stimmgabel in Luftleitung nicht gehört wird, ohne 
dass das betreffende Ohr vollständig taub ist. Ich brauche nur an die 
nicht gar seltenen Fälle von einseitiger Stapesankylose zu erinnern. 
Der Wegfall der periodischen Tonverstärkung. bei der ersten Knapp- 


1) Knapp, Zur Diagnose der einseitigen Taubheit. A. f A.u O. Bd. IV, 
1874, S. 317 f. 








E. Bloch: Die Ermittlung einseitiger completer Taubheit. 271 


’schen Prüfungsmethode ist also auch nicht strict beweisend — zum 
mindesten nicht für sich allein. 

Ueber den Werth des zweiten Verfahrens muss eine öftere Wieder- 
holung an weiteren Fällen entscheiden, die auch darauf zu achten hätte, 
ob nicht das knackende Geräusch in das andere Ohr hinübergeleitet 
und hier leise gehört wird. Wird es bei beweglichem Trommelfell 
überhaupt nicht gehört, so dürfte dies für die Taubheit bezüglich der 
das Knacken constituirenden tiefen Töne allerdings bezeichnend sein. 
Besteht ein auch nur kleiner Defect in der Membran, so ist das Ver- 
fahren nicht anwendbar. 

Eine weitere Methode zur Prüfung einseitiger Taubheit wurde von 
Gruber angegeben). Dieser Autor findet, dass, wenn der Ton einer 
Stimmgabel vor dem Ohre erloschen ist, er sofort wieder hörbar wird, 
wenn man mit dem Zeigefinger der freien Hand den Gehörgang lose 
verschliesst und das Instrument auf den Finger nahe dem Ohre aufsetzt. 
Bei einseitiger totaler Taubheit wird der Ton auch bei dieser Anordnung 
nicht gehört, die wirksamer sein soll, als die einfache aöro-tympanale 
Leitung. 

Ich habe diesen Gruber’schen Versuch an mir und an Anderen 
wiederholt. Ich kann aber den Thatbestand desselben nicht bestätigen. 
Geprüft wurde mit C (= 128 v. d.), c!, c? u. c’, am meisten mit 
einer c! von König (= 256 v. d.), die bei starkem Anschlage 345” 
lang in der Luft schwingt. Ist der Ton der Gabel vor dem Ohre ver- 
klungen, so wird er auch in der Gruber’schen Anordnung nicht mehr 
gehört. Zudem stört das Rauschen des selbst ganz vorsichtig im Ohr- 
eingange gehaltenen Fingers die Beobachtung. 


Wir sind somit.nicht in der Lage, einseitige .totale 
Taubheit mit voller Sicherheit stets festzustellen. Die 
Diagnose ist nur eine mit Wahrscheinlichkeit zu prädicirende. 


Unter diesem Vorbehalte steht auch die von mir?) angegebene 
diagnostische Methode, die auf den Eigenthümlichkeiten des binauralen 
Hörens fusst?): „Sind wir im Zweifel, ob auf einem Ohre noch eine 


1, Gruber, Jos. Zur Hörprüfung. M. f. O., 1885, No. 2, S. 33 ff. 

2) l.c. 8. 52. 

3) Wie ich nachträglich sehe, stützt sich auch die von Preusse (M. f.O., 
1879, No. 6, S. 93) angegebene Telephonmethode auf eine Eigenthümlichkeit 
des binauralen Hörens, auf das subjective Hörfeld; doch eignet sich diese, wie 
bereits auseinandergesetzt, weniger zu dem gedachten Zwecke, als die binaurale 
Schallverstärkung. 


272 E. Bloch: Die Ermittlung einseitiger completer Taubheit. 


Sinnesempfindung auszulösen ist, so werden wir zwei unisone Stimmgabeln 
und zwar Paare aus verschiedenen Octaven vor die Ohren halten und 
die vor dem zu prüfenden Ohre befindliche abwechselnd entfernen und 
wieder nähern. Tritt im letzteren Falle ein merklicher Intensitäts- 
zuwachs auf der besser hörenden Seite oder tritt eine Verlegung des 
Schalles in das Innere des Kopfes (nach der Seite des besseren Ohres) 
ein, so ist sicher auf der anscheinend tauben Seite noch einige Gehör- 
empfindung erhalten. Verneinenden Falles dürfen wir wohl absolute 
Taubheit annehmen.“ 

Da wohl keine unserer otiatrischen Anstalten so opulent ausgestattet 
ist, dass sie über zwei unisone Garnituren von Gabeln verfügt, so stellt 
man den Versuch zweckmässig in folgender Weise an: 

Die beiden langen Enden eines gegabelten Hörschlauches werden 
von hinten ber in die beiden Gehörgänge des zu Untersuchenden ein- 
gesetzt und hier festgehalten. Auf das Verbindungsstück (von Glas 
oder Metall) setzt man die schwingende Gabel auf. | 

Bei einseitiger completer Taubheit kann der Ton nur in dem noch 
functionirenden Ohre gehört werden. Verschliest man nun — stets 
möglichst geräuschlos! — den zu diesem führenden Schenkel, so hört 
die Tonwahrnehmung auf. Verschliesst man dagegen den zu 
dem tauben Ohre leitenden Schlauchtheil, so wird im 
Gegentheil der Ton im anderen Öhre lauter gehört und 
bei Aufhebung des Verschlusses wieder leiser. 

Ist aber in dem zu prüfenden Ohre noch ein merklicher Rest von 
Perceptionsvermögen vorhanden, soviel dass der Ton der Stimmgabel 
durch den Schlauch hindurch gehört werden kann, wenn auch nur 
binaural (cf. mein binaurales Hören, S. 43 ff.), so wirkt der Verschluss 
des zu diesem Ohre führenden Schlauches in entgegengesetzter Weise: 
der Ton wird leiser und in’s andere Ohr verlegt, mit der Aufhebung 
des Verschlusses wieder lauter und rückt in den Kopf hinein (subjectives 
Hörfeld). 

Die Erklärung für dieses Verhalten ist einfach. Bei beispielsweise 
linksseitiger Taubheit gelangt die eine Hälfte des Schalles durch den 
gegabelten Schlauch zum tauben, die andere zum hörenden rechten 
Ohre. Die erstere nutzt der Sinneswahrnehmung nichts; sie fliesst ab, 
ohne als Sinnesreiz zu wirken. Verschliessen wir den zum tauben Ohre 
führenden Schlauch, so gelangt eine grössere, fast die ganze Summe 
der Schallwellen zum hörenden Ohre, daher nun die bessere Perception 
des Tones auf diesem. 


E. Bloch: Die Ermittlung einseitiger completer Taubheit. 273 


Ist aber noch ein Rest von Hörvermögen auf dem linken Ohre 
vorhanden, so wirken die durch den Schlauch zu ihm gelangenden 
Schallwellen als adäquater Reiz: es erfolgt ein Hören mit beiden Ohren, 
unter Umständen, welche eine erhebliche gegenseitige Steigerung der 
Perception herbeiführen (binaurale Schallverstärkung). Und 
wenn nun der linke Schlauch comprimirt wird, so ist das übrig bleibende 
monaurale Hören auf dem rechten Ohre immerhin schwächer als das 
binaurale mit Hilfe des schwerhörigen linken Ohres. 

Einige jüngst beobachtete Fälle aus unserem klinischen Materiale 
mögen das Vorgetragene illustriren. 


Beobachtung 1. W. Sch. (1895 No. 206, aufgen. 11. IlI.), 
eine 16jährige Fabrikarbeiterin von schmächtigem Körperbau, aber 
gesundem Aussehen, von angeblich gesunden Eltern, ohne Verdacht auf 
Lues oder Tuberculose, hat als Kind Scharlach mit beiderseitiger Ohr- 
eiterung und später öfter Anginen durchgemacht. Seit zwei Jahren 
Schwerhörigkeit bemerkt. Rachen frei, Nase mässig eng, Katheter 
beiderseits frei durch, ohne Rasseln. Trommelfell beiderseits eingezogen, 
sonst nichts. 

r. 0; Knochenleitung 0 


1. 0,50; Knochenleitung’ en 


Uhr (normal 5 m weit gehört) 


Scheitel nach l. gehört. 

r. 0 
.>7—>7m 
tiefe Laute mehr als 7 m weit). 


A! (Appun) = 1.— (d.h. Rinne, Weber undSchwabach 


mit A!: rechts nichts gehört in Luftleitung, vom r. Warzenfortsatz. 
nach ]., desshalb Rinne r. 0, links Rinne +4; Weber nach |. late- 
ralisirt; Perceptionsdauer verkürzt, das — Zeichen hinter 1.). 


Ganz dasselbe Ergebniss liefert die Prüfung mit C, c, c! und c®. 
Es ist nicht wohl anzunehmen, dass man es hier mit Hörlücken zu 
thun habe und dass die anderen Töne der betreffenden Octaven gehört. 
würden. Dagegen spricht auch das Ergebniss der Prüfung mit v. 


G (Galtonpfeife), bei 0,1 normal schon deutlich als Pfeifen 
22a 20 
0,7... 0,9 

2,2 Windungen an gehört, vor dem offenen linken von 0,7 an. Sind 

beide Ohren dicht durch die Zeigefinger verschlossen, so erhalten wir 

die in den Klammern stehenden Zahlen, nämlich r. 2,0 und |. 0,9 

Windungen. Es lässt diese Differenz beider Seiten vermuthen, dass die: 

Töne von rechts durch die Kopfknochen nach dem linken Ohre gelangen 

und sämmtlich nur links gehört werden. König’sche Klangstäbe 

bei geschlossenem l. Ohre noch e®, bei offenem noch g®,, eine Grenze, 


v. (Flüstern r. nicht, l. für hohe und für 








gehört: ); d. h. vor dem offenen rechten Ohre von 


274 E. Bloch: Die Ermittlung einseitiger completer Taubheit. 


die vielfach von Normalhörenden nicht überschritten wird. PCd! 


0 
{Druckversuch mit der d! Gabel) — r. in Luftleitung nicht gehört, 





beim D. V. nach links lateralisirt, in gleichmässig abnehmender Stärke 
gehört. 1. in beiden Wegen positives (normales) Ergebniss. 


Wird von hinten her der binaurale Hörschlauch in 
beide Gehörgänge gesteckt und die langtönende d!-Gabel 
auf dessen Verbindungsstück gehalten, so hört Pat. den 
Ton bloss links. Wird der zum r. (tauben) Ohre führende 
Schenkel comprimirt, so hört sie den Ton 1l. lauter, bei 
Oeffnung desselben wieder leiser. 


Der Versuch wird verschiedentlich mit dem gleichen Ergebnisse 
wiederholt. Dasselbe gilt für ce! und c®. 


Wenn man ihr ein Paar nahezu unisoner c’-Gabeln vor die Ohren 
hält, so tritt keine binaurale Schallverstärkung ein. Der 
Ton wird l. in unveränderter Stärke gehört, mag die andere Gabel vor 
dem r. Ohre tönen oder nicht. 


Bewegt man nach Knapp eine tönende Stimmgabel vor dem 
r. Ohre hin und her, so wird dieselbe weder in stossweiser Verstärkung 
noch gleichmässig, sondern überhaupt nicht gehört. 


Macht man, analog der zweiten Methode von Knapp, mit dem 
Masseur von Delstanche Trommelfellbewegungen, so werden dieselben 
l. als Geräusch wahrgenommen, r. dagegen nicht. Bei Anlegung des 
Siegle’schen Trichters sieht man, dass beide Membranen gleich gut 
beweglich sind. 


Als Ursache der halbseitigen Taubheit ist mit Wahrscheinlichkeit 
Hysterie anzunehmen. Pat. lag 1893 im Februar wegen hysterischer 
Anfälle auf der medic. Klinik; doch sind jetzt keine derartigen Er- 
scheinungen zugegen, auch Transfert gelingt nicht. 


Die Diagnose auf absolute rechtsseitige Taubheit anlangend, so 
kann das Fehlen der Perception der Uhr und der Flüstersprache sie 
noch nicht begründen, ebensowenig, dass der D. V. für alle Schall- 
quellen nach 1. lateralisirt. Alles dies könnte auch bei rechtsseitiger 
Schwerhörigkeit vorkommen. Das Hören der Galtonpfeife vor dem 
r. Ohre ist mit grösster Wahrscheinlichkeit auf die Wahrnehmung des 
l. zu beziehen, wie aus der Betrachtung der Ziffern für G bei ge- 
schlossenen Ohren sich ergiebt Entscheidend ist uns aber die binaurale 
Methode mit unisonen Gabelpaaren, die wir eigentlich aus noch anderen 
Octaven hätten wählen sollen, und mit dem gegabelten Hörschlauche, 
welche die rechtsseitige Taubheit für die verwendeten Schallquellen sehr 
schön demonstrirt. In Uebereinstimmung damit steht das Ergebniss der 


E. Bloch: Die Ermittlung einseitiger completer Taubheit. 275 


zweiten Methode von Knapp, während seine erste uns hier im 
Stiche lässt. 


Beobachtung 2. J. B., Schutzmann, 44 J. alt (No. 188 1895, 
aufgen. 6. III.) seit einigen Wochen an Bronchialkatarrh erkrankt, als 
dessen Ursache er die häufigen Nachtwachen und -Patrouillen des Dienstes 
wiederholt anklagt. Gegen Ende der Erkrankung treten Schmerzen und 
Schwerhörigkeit im rechten Ohre auf, welches wie das linke früher 
stets gesund gewesen sei. Erbliche Momente sowie Schwindelgefühle 
fehlen. 

Trommelfell r. trübe, ohne Lichtfleck, ho. geröthet und wenig 
vorgewölbt, 1. weisser, dichter, sonst normal. Katheter r. frei, ohne 
Rasseln. 

0, Knochenltg. 0 


h | heitel nach |. ört. 
Uhr 0,85 Knochenltg. vom Scheitel nac gehört 
y r. 0 

` Ll 2—1 m. 


Am 11. März rechtes Trommelfell besser. AI, C, c, cl, c?, c’ 
werden im r. Ohre nur als ein stets gleiches „Brummen“ empfunden, 
vom Warzenfortsatze r. nicht percipirt. Rinne links bei allen Stimm- 
gabeln +, D. V. = 0. Klangstäbe bei verschlossenem 1. Ohre nicht 





0 
gehört, bei offenem noch g°. G 08 er 


Am 22. März ergiebt die Prüfung mit den Stimmgabeln und 
0 0,1. 
Klangstäben dasselbe. erg) PCa! — 


Am 29. März sind beide Trommelfelle gleich, weiss, dichter. Pat. 
klagt über unveränderte complete rechtsseitige Taubheit. 
. 0, Knochenltg. 0 0 0 
Ca 0,75 Knochenltg. ’ "’ "S7_ 270 Dee SUN 
man von der gewöhnlichen Conversationssprache ausgehend allmählig 
lauter und lauter in das rechte Ohr hineinspricht (V.), so erhält man 
doch stets negative Auskunft. 


Al E l. Verschliesst man aber das linke Ohr beim D. V. mit 





(Pressionsversuch }). 





dieser Gabel, so giebt der Untersuchte an, dass er den Ton nicht mehr 


höre! fist, eine starke breite Gabel mit sehr lautem Tone r. nr 
norına 


Klangstäbe —— PC.-Versuch wie am 22. 


noch g®6 


Die Prüfungsergebnisse nehmen sich sonderbar aus. Während am 
22. G. links bei verstopffem Ohre von 1,5 Windungen an gehört wird, 


Diagnose der Stapesfixation. Z. f. O. 1894, Bd. 25, S. 113 ff. 


276 E. Bloch: Die Ermittlung einseitiger completer Taubheit. 


will Pat. die durchdringenden schrillen Klänge der König’schen Stahl- 
cylinder der 5- und 6-gestrichenen Octave hierbei gar nicht wahr- 
nehmen, ebensowenig die fis*-Gabel bei fast schmerzhaft lautem An- 
schlage. Beim D. V. leugnet er am gleichen Tage jede Tonwahrnehmung, 
an welchem der Pressionsversuch mit d! leicht ausgeführt werden kann 
und l. eine normale Formel liefert und an dem das Ticken der Uhr 
vom Scheitel nach l. lateralisirt wird. Am 29. März, da er links alle 
Flüsterlaute — 7 m weit hört, will er nach der rechten Kopfseite 
ganz laut gesprochene Wörter von hohem wie von tiefem Klangcharakter 
bei zugehaltenen 1l. Ohre gar nicht erkennen. 


Der Versuch mit dem binauralen Hörschlauche klärt die Sache 
vollends auf. 


Wir verfahren wie bei Fall I. Wird der rechtsseitige Schlauch 
(zum schlechten Ohre) geschlossen, so hört Pat. den Ton schwächer. 
Wird der linksseitige Schenkel zugedrückt, so hört er den Ton immer 
noch, angeblich im 1l. Ohre. Wird der linke Schlauch zwar im ÖOhre 
belassen, aber, ohne dass der Untersuchte es bemerkt, vom Mittelstücke 
losgelöst und frei herabhängen gelassen, so hört er, nun bloss der rechts- 
seitige Schenkel noch mit dem Mittelstück, der tönenden Gabel und 
dem rechten Ohre verbunden ist, den Ton noch immer deutlich — 
sicherlich im rechten Ohre. 


Gleichwohl giebt er an, ihn links zu hören. 


Oder soll man hier eine Ueberleitung des Tones vom Hörschlauche 
und dem r. Ohre durch den Kopf nach dem 1l. annehmen? Soll man 
erwarten, dass der das l. Ohr verstopfende Schlauch, der frei über den 
Rücken herabhängt, so sehr den Schallabfluss 1. hemmt, dass wenn das 
r. Ohr taub und somit eine binaurale Schallverstärkung ausgeschlossen 
ist, der von r. kommende Ton im linken gehört wird? Möglich! Bei 
anderen zweifellos einseitig Tauben ist dies aber nicht so. Und wenn 
wir statt der Schlaucholive links den Finger einsetzen, wenn wir so 
dem Untersuchten die Illusion benehmen, als stehe das 1. Ohr mit der 
tönenden Gabel in Verbindung, so leugnet er jede Tonwahrnehmung. 
Und doch haben wir damit nichts wesentliches an dem Versuche geändert, 
die Ueberleitung kann jetzt nicht schlechter sein als vorhin. 


Dagegen hört er den Ton sofort wieder, angeblich links, wenn 
man dieses Ohr offen lässt. Das steht nun völlig im Widerspruch mit 
unserer Anschauung von der Ueberleitung eines Tones durch den Kopf 
hindurch. Bei Verschluss des l. Ohres könnte er hier den vom r. 


E. Bloch: Die Ermittlung einseitiger completer Taubheit. 277 


kommenden Ton hören, aber nicht oder doch schwieriger bei offenem 
Meatus und ungehindertem Schallabflusse. 

Zudem steht seine Angabe beim Pressionsversuche derjenigen beim 
binauralen unvereinbar gegenüber. Dort hört er rechts den aus einem 
halb so langen Schlauche zugeführten Ton der gleichen Gabel nicht, 
auch nicht nach links übergeleitet, hier will er ihn aus viel grösserer 
Entfernung hören. Die Möglichkeit directer Zuleitung aus der Luft 
nach dem 1. Ohre ist bei beiden Versuchen ungefähr gleich gross. 


Die vielen Widersprüche der öfter wiederholten Untersuchung lösen 
sich nur unter der Annahme, dass wir es mit einem Simulanten zu 
thun haben. Die häufigen Nachtwachen beim Polizeidienste behagen 
ihm nicht. Die Musse während seiner Bronchitis und das gleichzeitige 
Auftreten eines leichten rechtsseitigen Mittelohrkatarrhs haben wohl in 
seinem Busen den Entschluss gezeitigt, eine Taubheit zu insceniren, die 
ihn zwar für den bisherigen beschwerlichen Dienst untauglich erscheinen 
lässt, aber noch geeignet zu einem leichteren und nicht schlechter 
bezahlten. 

Zur Erlangung eines solchen wünscht er nun auch von uns ein 
geeignetes ärztliches Zeugniss. 


Beobachtung 3. Luise S., 21 J. alt, Dienstmädchen aus E. 
(No. 417, 11. VI. 1895). Otitis med. chron. suppur. bilat., 
l. caries des Felsenbeines, linksseitige Taubheit. Mit 
4 Jahren Scharlach mit Nasen- und Öhreneiterung. In der r. Nase 
fehlen die untere und die mittlere Muschel, am Rachendach dicker 
fötider Schleim. Kopfschmerz, Stirn über den Sin. front. bei Klopfen 
schmerzend. Im r. Trommelfell grosser Defect, 1. Totaldefect, Griff 
nicht zu sehen, die Sonde fühlt auf grösseren Strecken rauhen Knochen. 


ié — ô =? — 
eu . vy, ‚Al ee Be —r—; 
h D Kltg. 0; v r—; C r she 





0 
o =>, 
2 } — — 
c! dasselbe; fist <. g (55 I: PCd! -- -—., 
0 Or 

Versuch mit dem on a undderd!-Gabel: 
bei Verschluss des 1. Schlauchschenkels wird der Ton rechts stärker 
gehört, bei Offenlassen schwächer. 





In diesem Falle — wir haben die Kranke bald darauf: aufgemeiselt, 
es fand sich ein cariöser Hammer ohne Griff, kein Ambos vor — war 
1. auf keine Weise eine Gehörempfindung zu constatiren. Der Knapp- 
’sche Versuch 'war wegen der Trommelfelldefecte ausgeschlossen. Das 
Ergebniss der Prüfung mit der Galtonpfeife, 1. 2,5..., bei geschlossenen 
Ohren 2,7 Windungen, ist wohl auch auf das r. Ohr zu beziehen. Und 


278 E. Bloch: Die Ermittlung einseitiger completer Taubheit. 


auch hier stimmt der Versuch mit dem binauralen Schlauche vollkommen 
zum sonstigen Befunde der Hörprüfung. 


Beobachtung 4. Jakob G., 20 J. alt, Bierbrauer aus Dagers- 
heim (Württemberg) (No. 357, 5. VI. 1895). Rechtsseitige Taub- 
heit, l. nervöse Schwerhörigkeit. Litt im Alter von 5 J. an 
„Hirnentzündung‘“, seither r. taub, auch 1. zeitweise schwerhörig, nie 
Ausflus. Trommelfell beiderseitig normal bis auf eine Verdichtung in 
der unteren Hälfte. 


re: 0; v 
i. c. 


0 0 
4 u eh. ER ae te ab pre e . o a 6. 1 
fis : G 09. ( 56 } Klangstäbe noch ef; PCd 


0 0.0 0 0 
mua aaa AI—: Dr u enge 1ı___—_ (0: 
Dort 

0, links 
z Ti 


zwei unisone c?-Gabeln geben keine binaurale Schallverstärkung. Be- 
wegung des Trommeltfells mittelst des Masseur wird l. gehört, r. bloss 
gefühlt. 


Versuch mit dem binauralen Schlauch und den Gabeln 
ce! und d!: bei Zuhalten des rechten Schenkels wird der Ton l. 
lauter gehört, schwächer, wenn beide offen sind. Wiederholt geprüft. 


In diesem Falle dürfte es sich um eine central bedingte rechts- 
seitige complete Taubheit handeln, die wohl durch Meningitis in der 
Kindheit entstanden ist. Der Knapp’sche Versuch ist hier anzustellen, 
weil die Trommelfelle erhalten sind, und er fällt der Erwartung ent- 
sprechend aus: auch er kann rechts keine Gehörempfindung auslösen. 
Uebereinstimmend mit ihm und der gesammten übrigen Hörprüfung 
weist auch der binaurale Versuch auf rechtsseitige Taubheit hin. Aus 
der Taubheit des linken Ohres für die tiefen Töne, Al und C, ist hier 
nicht auf ein Mittelohrleiden zu schliessen, weil schon c einen absolut 
positiven Rinne ergiebt, weil ferner der Pressionsversuch links positiv 


ist (Poa: was wenigstens gegen Stapesankylose spricht, und 





++) 
weil die Prüfung mit Flüsterstimme links für tiefe Laute eine grössere 
Hörweite nachweist als für hohe (v De) | 

In den Fällen, wo wir aus dem übrigen Befunde auf einseitige 
Taubheit schliessen können, hat also, wie wir sehen, der Versuch mit 
dem binauralen Schlauche nicht versagt; bei demjenigen, in welchem 
dies geschieht, handelte es sich um Simulation. 


M. Herzog: Verticillium Graphii als Ursache v. Otit. externa diffusa. 279 


XVI. 


Verticillium Graphi als Ursache 
einer hartnäckigen Otitis externa diffusa. 


Von Dr. Maximilian Herzog in Chicago, 
früher Ohren- und Hals-Arzt am deutschen Spital in Cincinnati, Ohio. 


(Uebersetzt von C. Truckenbrod.) 


Bei der Durchsicht der Litteratur über diesen Gegenstand finde 
ich, dass bis jetzt Niemand in den Vereinigten Staaten einen Fall von 
Otitis externa diffusa parasitica, veranlasst durch Verticillium Graphii 
(Hary-Bezold) beschrieben hat, obwohl viele Autoren in unserem 
Lande über die Mycose der Otitis externa diffusa geschrieben haben. 
Eine Anzahl hierher gehöriger Fälle hat Siebenmann (Zeitschrift 
für Ohrenheilkunde, Bd. XIX, S. 7) veröffentlicht, der eine Reihe von 
"53, von Bezold beobachteten und auf ihre Aetiologie untersuchten, 
Fällen veröffentlicht. Bei diesen 53 Fällen Bezold’s von Otomycosis 
wurden die Pilze 36 Mal genau bestimmt; unter dieser Anzahl wurde 
Verticillium Graphii 7 Mal gefunden. Siebenmann giebt l.c. folgende 
Beschreibung dieses Pilzes: 

„Mit der grossen Ziffer von 19,44 °/, finden wir ferner in unserer 
statistischen Zusammenstellung ein Verticillium bezeichnet. So benennen 
nämlich die Prof. Harz und Bezold einen Pilz, der — mit keinem 
der botanisch bekannten identisch — zuerst von Hassenstein und 
Hallier und ein Jahr später von Steudner als Rarität beschrieben 
. wurde und den auch Prof. Bezold schon in den Jahren 1870—1879 
3 Mal im Ohre gefunden hat. Prof. Hassenstein berichtet im 
Archiv für Ohrenheilkunde Bd. IV, S. 162, ausführlich über einen 
von ihm beobachteten Fall. ‚Die Hyphen des Thallus durchsichtig, 
farblos, später dickwandig, gelb bis braun, septirt, verzweigt, Durch- 
messer 2—3 u. Die Fruchtträger meistens etwas heller, in grösseren 
Abständen zart septirt, gestreckter und etwas dünner als das Mycel. 
Aeste reichlich paarig und gegenständig, häufiger unregelmässig ab- 
gehend, oft wieder verzweigt. Sporen einzeln auf der Spitze der 
Zweige, gegen den Fruchtträger zu sich verjüngend, bei der Reife 
rauchgrau, eiförmig mit glatter Oberfläche (Durchmesser 5:3 u), bündel- 
förmige Mycel-Stränge und Stamm-Bildungen mit normaler Conidien- 
Bildung sind häufig.“ 


280 M. Herzog: Verticillium Graphii als Ursache v. Otit. externa diffusa. 


Diese Beschreibung entspricht fast in jedem Detail dem Resultat, 
das ich bei einem hartnäckigen Fall von Otitis externa diffusa erhielt. 


Klinisch bot dieser Fall folgendes Bild: 


Frau C. S., 27 J. alt, Deutsche von Geburt, kam 1883 nach den 
Vereinigten Staaten und am 4. Oktober 1893 in meine Behandlung. 
Ich stellte fest, dass sie im Verlauf der letzten 5—6 Jahre oft beider- 
seits Ohr-Reissen hatte, und dass ihre Mutter in Deutschland oft die- 
selben Beschwerden hatte. 


Untersuchung: Die Haut des äusseren Gehörganges ist auf beiden 
Seiten stark geschwollen und verdickt, so dass nur ein kleiner Theil 
des Trommelfelles zu übersehen ist. Die Trommelfelle bieten, so weit 
sie sich eben übersehen lassen, keine pathologische Veränderung : 
Hörweite für Flüstersprache beiderseits 6—7 Meter; Stimmgabel-Befund 
normal. Die Ohren wurden mit sterilisirtem warmen Wasser ausgespritzt, 
der Gehörgang mit sterilisirter Watte getrocknet, die dann in Probe- 
Röhrchen mit sterilisirter Bouillon ausgepresst wurde. 


Die Bouillon enthielt bei der Untersuchung nach 24 Stunden viele 
Mycelien. Mit der Cultur-Flüssigkeit wurden Pepton-Gelatine-Platten 
beschickt. Auf diesen Platten entwickelten sich bei einer Temperatur 
von 20—250 C. zahlreiche Colonien von kreisförmiger Gestalt, die 
über die Oberfläche des Cultur-Bodens beträchtlich emporragten, von 
grau-weisser Farbe mit einem leichten Stich ins Gelbliche. Die Colonien 
bestanden nur aus Mycelium. es fanden sich keine Fruchtträger mit 
Sporen. Diese Masse wurde nun zunächst auf Kartoffeln übertragen, 
wo sie augenscheinlich einen besseren Boden zur Weiter-Entwicklung 
fanden, da sich hier Fruchtträger mit Sporen bildeten. Das so gewonnene 
Bild entsprach, wie schon oben gesagt, ganz der Beschreibung Bezold'’s 
über Verticillium Graphii. Ich will noch einige Beobachtungen über 
diesen Pilz mittheilen. 


Augenscheinlich findet Vertieillium Graphii keinen sehr günstigen 
Boden an Pepton-Gelatine (da diese sauer reagirt).. Es gelang mir bei 
wiederholten Versuchen nicht, irgend eine Cultur auf irgend einer mir 
bekannten Gelatine zu erzielen. Ich erzielte auf der Gelatine weder 
eine Frucht-Bildung und das Mycelium zeigte eine andere Form als ich 
sie auf einer Kartoffel-Cultur erhielt, indem es dünner und durchsichtiger 
in seinen Stengeln und Aesten war. Es zeigte auch nicht sehr deutlich 
die gelblich-braune Färbung, die ich an älteren Hyphen von Kartoffel- 
Culturen fand. Auf letzterem Nährboden wächst Verticillium rascher 


M. Herzog: Verticillium Graphii als Ursache v. Otit. externa diffusa. 281 


als auf Gelatine und die Colonien erreichen eine bedeutendere Grösse 
und sind über dem Cultur-Boden mehr erhaben. Die Sporen sind, wie 
dies Siebenmann feststellt, birnförmig; sie scheinen sehr lose an 
den Fruchtträgern befestigt, weil bei allen Präparaten, die ich mikro- 
skopisch untersuchte, weitaus die Mehrzahl der Sporen aus ihren Frucht- 
trägern ausgefallen war. Die Birnform ist oft sehr deutlich, indem die 
Sporen an dem einen Pole des längeren Durchmessers einen warzen- 
förmigen Ansatz zeigen; mitunter zeigt sich an beiden Polen ein solcher 
Ansatz. Es hat den Anschein, als ob die Sporen sich theilen und zwei 
Sporen bilden können, da ich unter dem Mikroskop Bilder gesehen 
habe, die dieses Vorkommen bestätigen. Gleichwohl ist es auch mög- 
lich, dass ich es bei diesen Präparaten mit zwei Sporen zu thun hatte, 
die sich mit ihren warzenförmigen Ansätzen gegenüberstanden. In der 
Regel erfolgt das Wachsthum auf folgende zwei Arten: 

Durch Theilung. Die Spore verlängert sich und wächst in der 
Richtung des grösseren Durchmessers, bis der letztere die zwei- bis 
dreifache Grösse des kurzen Durchmessers erreicht hat. Dann theilt 
sich das in der verlängerten Spore enthaltene körnige Protoplasma in 
der Mitte der Zelle und die beiden getrennten Theile divergiren gegen 
die Pole der langen Axe, indem sie einen hellen Raum in der Mitte 
lassen. Hier baucht sich die Zell-Membran etwas nach Aussen, indem 
sie so zu sagen einen Ring ,‚‚en relief‘‘ bildet. Dann sehen wir eine 
Einschnürung, die immer deutlicher wird, bis endlich die Zelle in zwei 
jetzt mehr oder weniger cylindrische Zellen getheilt ist. 

Durch Knospung. Wir sehen die Sporen auch durch Knospung 
wachsen. Nachdem sich die Pole verlängert und geglättet haben, sehen 
wir an einem derselben sich eine kleine Warze bilden. Es scheint, 
dass der Protoplasma-Inhalt der Zelle zuerst einen Process veranlasst, 
der die Zell-Membran veranlasst, in der durch das Protoplasma gegebenen 
Richtung an Grösse zuzunehmen. Diese Warze verlängert sich und 
wird im Durchmesser grösser, bis sie die Grösse der Mutter-Zelle er- 
reicht hat. Folgende Beschreibung mag diesen Wachsthums-Process 
illustriren. 

Das Bild des Mikroorganismus im Ganzen, wie es Verfasser unter 
dem Mikroskop gesehen hat, ist fast identisch mit dem Bilde, das 
Siebenmann in seinem oben angeführten Aufsatz gegeben hat (das 
Bild ist in dem System of Diseases of the Ear, Nose and Throat, 
Philadelphia 1893, Bd. I, S. 198 reproducirt). Die einzige Thatsache, 
die in dieser Arbeit in einem Gegensatze zu mir zu stehen scheint, ist 

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXVII. 19 


282 H. Knapp: Ueber die indicationen der Warzenfortsatzoperationen 


die mit (a) bezeichnete Stielbildung, die bei dem Beobachter leicht die 
Idee erzeugen kann, dass die Fruchtträger aus dem Stiele ‚‚trauben‘“- oder 
„doldenförmig‘‘ herauskommen, was nie der Fall ist. Die Stiele sind 
stets unregelmässig, dichotomisch getheilt und so sind sie Fruchtträger, 
die nie mehr als eine Spore tragen. Ein Bild, wie wir es bei dem 
Wachsen des Penicillium sahen, sehen wir bei Verticillium Graphii nie. 


Nachdem die Ursache der Otitis externa gefunden war, wurde die 
Behandlung nach Bezold eingeleitet, die in der Einträufelung einer 
4°/, alcoholischen Salicyllösung bestand. Unter dieser Behandlung ging 
die durch den Pilz veranlasste Entzündung bald zurück und verschwand 
nach einer Behandlung von wenigen Wochen ganz. Als ich Patientin 
nach sieben Monaten sah, konnte ich feststellen, dass sie keinen weiteren 
Anfall von Ohrreissen gehabt, und dass sie thatsächlich in den letzten 
5—6 Jahren keine so lange von Ohrreissen freie Zeit gehabt hatte. 


XVII. 


Ueber die Indicationen der Warzenfortsatz- 
operationen bei acuter eitriger Mittelohr- 
entzündung, mit vier erläuternden Fällen. 


Von Hermann Knapp in New-York. 


Viel ist in den letzten Jahren über operatives Eingreifen bei acuten 
Mittelohrerkrankungen geredet und geschrieben worden. Es ist ein 
Gegenstand von grosser Wichtigkeit, über welchen der Arzt bestimmte 
Ansichten haben muss, die ihn befähigen, in manchen Fällen nach 
kurzer Ueberlegung zu handeln, wo Aufschieben lebensgefährlich sein 
kann, während auf der anderen Seite voreilige Chirurgie dem Patienten 
eine Operation aufdringen würde, welche sich nicht immer als gefahrlos 
herausgestellt hat. Die Frage ist die: Wie weit und wie lange ist in 
einem gegebenen Falle conservative Behandlung erlaubt und empfehlens- 
werth, und wann ist die Operation nicht nur gerechtfertigt, sondern 
dringlich? Aus meiner Praxis der letzten acht Monate erlaube ich 
mir, vier Fälle heranzuziehen, welche ich der Betrachtung der obigen 
Frage zu Grunde legen will. 


Wo und wie lange ist conservative Behandlung 
empfehlenswerth? 


bei acut. eitrig. Mittelohrentzündung, mit vier erläuternd. Fällen. 283 


Wir dürfen getrost annehmen, dass jede ausgesprochene Mittelohr- 
entzündung sich mehr oder weniger auf den Warzenfortsatz erstreckt 
Dies ist natürlich kein hinreichender Grund zum Operiren. Wenn das 
Atrium der Hauptsitz der Entzündung ist und der Trommelfelldurch- 
bruch in der Pars tensa liegt, so denkt Niemand an eine Eröffnung des 
Warzenfortsatzes, da die übergrosse Mehrzahl solcher Fälle ohne dieselbe 
heilt. Selbst wenn die Symptome der Mastoiditis ausgesprochen sind, 
brauchen wir uns mit der Operation nicht allzusehr zu beeilen. Ein 
gewisser Grad von Fieber, besonders bei Kindern, Schmerz. Empfind- 
lichkeit auf sanften oder starken Druck, Kopfweh, gedunsene Hautdecke 
und selbst Schwellung des oberen-hinteren Endes des Gehörganges können 
verschwinden und die Kranken vollkommen genesen, wobei der Nutzen 
der üblichen Behandlung meistens recht deutlich hervortritt, ich meine 
locale Kälte durch den Leiter’schen Röhrenapparat, Bettruhe, Reinigung 
des Gehörganges mit einem Baumwollträger, bei reichlichem Ausfluss 
- sanftes Ausspritzen mit einer schwachen antiseptischen Lösung und Ein- 
blasen geringer Mengen feingepulverter Borsäure. Paracentese, wenn 
das Trommelfell vorgebaucht oder die natürliche Durchbruchsöffnung 
ungenügend ist, bildet eine der frühesten und heilsamsten Maassregeln. 


Wie verhalten wir uns, wenn die Entzündung vor- 
zugsweise den Atticus betrifft? 


Solche Fälle werden allgemein für gefährlich und hartnäckig ge- 
halten, und einige Autoren geben an, dass dieselben niemals ohne 
Operation’ ausheilen. Diese Angabe geht meiner Erfahrung nach zu weit 
und zur Stütze meiner Ansicht will ich einen aus einer ziemlichen An- 
zahl mir zu Gebote stehender ähnlicher Fälle ausführlicher mittheilen. 


Fall I. Acute Mittelohreiterung mit Ausdehnung auf den 
Atticus und Warzenfortsatz. Vollkommene Genesung ohne 
Warzenfortsatzoperation. 


Am 15. December kam Herr Jos. St., ein corpulenter, gesund aus- 
sehender Mann von 67 Jahren zu mir und klagte über Schmerzen und 
Taubheit in beiden Ohren. Nur einmal in seinem Leben, vor 8 Jahren, 
habe er an den Ohren gelitten, nämlich an einem nicht lange anhalten- 
den Ausfluss aus dem linken Ohre. Seit den letzten 2—3 Wochen habe 
er den Schnupfen. Vor 8 Tagen nahm er ein türkisches Bad. 5 Tage 
später bekam er heftige Schmerzen im linken Ohr. 3 Tage nachher 
fing dasselbe zu laufen an, wodurch die Schmerzen eine Zeit lang ge- 
mildert wurden, vergangene Nacht seien sie aber wieder sehr heftig 
gewesen. 


19* 


284 H. Knapp: Ueber die Indicationen der Warzenfortsatzoperationen 


Ich fand Eiter im linken Gehörgang. Nach dessen Entfernung zeigte 
sich die obere-hintere Wand roth und geschwollen, das Trommelfell ge- 
röthet, sein oberer-hinterer Theil nach unten und vorn vorspringend, der 
Sitz der Perforation nicht deutlich. Der linke Warzenfortsatz war 
empfindlich auf Druck, nicht blos unmittelbar hinter dem oberen Theil 
des Gehörganges, sondern auch an der Spitze und dem hinteren Rande. 
Das rechte Trommelfell war gleichförmig geröthet, sein hinterer Theil 
vorspringend. — Patient litt noch am Schnupfen; hatte geschwollene 
Mandeln und Schmerzen beim Oeffnen des Mundes. . Er verstand nur 
laute, direct in die Ohren gssprochene Worte. Sein Urin war normal. 
Während des ganzen Krankheitsverlaufes bestand kein oder nur geringes 
Fieber. 

Ich verordnete ihm innerlich Tinct. nuc. vomic. und für seine 
Ohren Ausspritzen mit einer warmen Borsäurelösung, Einblasen von Bor- 
säurepulver und Bettruhe. 

Zwei Tage später, am 17. December, kam er wieder. Beide Ohren 
flossen reichlich. Fortsetzung derselben Behandlung. 


19. December. Mehr Schmerzen in und hinter den Ohren, auch 
Schmerzen im Kopf. Der linke Warzenfortsatz sehr empfindlich. Ausfluss 
reichlich. Patient trat in’s Hospital ein, wo die Reinigung und Sterili- 
sation des Ohres wie bisher fortgesetzt und ausserdem ein Leiter scher 
Kühlapparat auf beide Ohren angelegt und Tag und Nacht unterhalten wurde. 


Diese Behandlung verschaffte ihm zwei Tage lang bedeutende Linde- 
rung, dann wurden die Kühlröhren, da sie Unbehagen verursachten, 
foıtgelassen. 

Der Ausfluss aus dem rechten ÖOhre hörte am folgenden Tage 
auf, aber das Ohr wurde schmerzhaft und der obere-hintere Theil des 
Trommelfells wölbte sich stark vor. Ein ergiebiger Einschnitt wurde 
durch diesen Theil gemacht, wodurch sich schleimiger Eiter’ entleerte. 
Der Ausfluss dauerte 3 Tage reichlich fort, dann liess er allmählig nach 
und hörte in 2 Wochen gleichzeitig mit den Schmerzen in und hinter 
dem Ohre auf. Zur grossen Freude des Patienten besserte sich das 
Gehör allmählig. 

Das linke Ohr nahm keinen so günstigen Verlauf. Am zweiten 
Tage der Anlegung des Kühlapparates fühlte sich Patient nicht nur im 
Allgemeinen behaglicher, sondern sein Ohr hatte sich auch gebessert. 
Das Trommelfell erschien weniger geschwollen und eine grosse Perforation, 
anscheinend vor dem Hammergriff, wurde sichtbar. Bald kehrten aber 
die Schmerzen im Ohr, Warzenfortsatz und Kopf zurück. Shrapnell's 
Haut und der hintere-obere Theil des Gehörganges waren beträchtlich 
vorspringend, während der Öhrenfluss geringer war. 


Ein kräftiger Einschnitt wurde durch den hinteren Theil von 
Shrapnell’s Membran und den anstossenden Theil des eigentlichen 
Trommeltells bis auf den Knochen gemacht. Politzer’s Lufteintreibung 
förderte ziemlich viel Eiter zu Tage. Reichlicher Eiterfluss hielt nun 
2 Wochen lang ununterbrochen an. Patient verbrachte den grössten 


bei acut. eitrig. Mittelohrentzündung, mit vier erläuternd. Fällen. 285 


Theil des Tages im Bett, hatte aber wenig Beschwerden und sein Gehör 
besserte sich auch auf dem linken Ohre. 

Am 1. Januar 1895 klagte er indessen über neuralgische Schmerzen 
in der linken Kopfhälfte, namentlich im Hinterkopf, und die Spitze des 
Warzenfortsatzes war auf Druck recht schmerzhaft. An der Vorderkante 
der Spitze war eine auf Druck empfindliche, ovale geschwollene Drüse, 
auch war die Haut leicht angeschwollen. — Ich verordnete Warmwasser- 
bäder des Gehörganges eine halbe Stunde des Abends, und liess den 
Warzenfortsatz mit erwärmter absorbirender Baumwolle bedeckt halten. 

Am 2. Januar waren die Schmerzen im Ohr und Kopf fast ganz 
verschwunden. Membrana Shrapnelli und die ganze hintere Hälfte des 
Trommelfells vorgebaucht. Reichlicher Ausfluss. 

Am 3. Januar begann eine stetige Besserung. Die Membrana vibrans 
wurde blass und legte sich dem Promontorium an, was mit der Sonde 
nachgewiesen wurde. In dem hinteren Abschnitt von Shrapnell’s 
Membran, deutlich oberhalb des Randes der unteren 
Falte, war eine kegelförmige Erhebung von Granulations- 
gewebe, aus welcher Eiter kam. Wenn man denselben mit 
einer baumwolltragenden Sonde abwischte, so quoll er 
bald wieder aus der Oeffnung hervor, und zwar entweder 
von selbst oder durch Druck mit der Sonde auf die be- 
nachbarten Theile 2-3 Wochen lang entleerte dieser Krater 
Eiter in grösseren oder kleineren Mengen, aber im Allgemeinen mit 
einer Neigung zur Abnahme. Dieser secernirende kegelförmige Vorsprung 
war cine ganze Woche lang die einzige rothe Stelle des Trommelfells 
und dann blasste dieselbe auch ab und verschwand. Zur Zeit der Ent- 
lassung des Patienten, 30. Januar 1895, war sie nur noch als ein ge- 
schlossenes Wärzchen erkennbar. Nach Lufteintreibung war das Sprach- 
verständniss normal in beiden Ohren. Am 2. Februar 1895 befand 
sich Patient vollkommen wohl. 

Sein Gehör war: | 

v (Flüstersprache) R= *),, L = la —; 
h (horologium) R= 2/,, L = tags 
welches bei einem 67jährigen Manne dem Normalen nahe steht. 

Zur Zeit, als ich dies schreibe, 24. August 1895, kann ich mit- 
theilen, dass Patient seitdem frei von Beschwerden geblieben und sein 
Gehör so gut ist, wie vor seiner Erkrankung. 


Dieser Fall stellt ein typisches Beispiel einer Warzenfortsatz- 
complication dar. Die Verbindung zwischen dem Antrum mastoideum 
und der Paukenhöhle war zweimal unterbrochen, aber wiederhergestellt 
durch kalte Aufschläge auf den Woarzenfortsatz und eine Paracentese 
der Trommel bis auf den Knochen. Tiefe Paracentese verschafft Lin- 
derung durch Verminderung der Stauung in den Weichtheilen in und 
um den Antrumcanal, und kalte Aufschläge erfüllen denselben Zweck 
durch Verminderung der Congestion. : 


286 H. Knapp: Ueber die Indicationen der Warzenfortsatzoperationen 


Der Atticus war nicht stark afficirt, obgleich der Eiter sich durch 
eine Oeffnung in Shrapnell’s Membran entleerte, denn Erscheinungen 
von Meningealreiz, Kopfweh, namentlich Hinterhauptschmerz, waren nur 
einmal stärker, sonst aber in mässigem Grade vorhanden. 

Dass der ganze Process local war, zeigte sich an dem fast gänz- 
lichen Fehlen des Fiebers. 

In welcher Ausdehnung die Zellen des Warzenfortsatzes ergriffen 
waren, ist schwer zu sagen. Die Schmerzhaftigkeit an der Spitze deutet 
auf eine umfangreiche Betheiligung der pneumatischen Räume, doch 
erwies sich der Aditus ad antrum als ausreichend für die Entleerung 
des Eiters. Vor Kurzem haben Broca und Lubet-Barbon in 
einer äusserst klaren und lehrreichen Monographie!) einen Fall be- 
schrieben, in welchem die Suppuration und Caries besonders in den 
zwischen Antrum und Gehörgang gelegenen lufthaltigen Räumen — die 
sie Cellules limitrophes nennen — vorkommt. In solchen Fällen 
beschränkt sich das Vorspringen der Gehörgangswand nicht auf dessen 
oberes-hinteres Ende, sondern erstreckt sich weiter nach aussen. Die- 
selben lassen sich durch einen bis auf den Knochen dringenden, längeren 
Einschnitt heilen. Sie sind nicht unbekannt und ich selbst habe ein 
ausgesprochenes Beispiel davon in derselben Weise geheilt und im 
Jahre 1893 beschrieben ?). 

Obgleich Heilung ohne Mastoideröffnung bei acuter eitriger Mittel- 
ohrentzündung mit Ausdehnung auf den Atticus und den Warzenfortsatz 
vorkommt, so darf man sich doch nicht zu lange darauf verlassen, denn 
zu jeder Zeit kann eine schwere und lebensgefährliche Complication 
eintreten, wie unsere Beobachtungen zeigen werden. In dem folgenden 
Falle schien eine spontane Genesung wahrscheinlich, doch trat plötzlich 
eine Verschlimmerung auf, welche sofortige Operation erheischte. Die 
Patientin genass, es würde aber besser gewesen sein, wenn die Operation 
früher vorgenommen worden wäre. 


Fall II. Acute eitrige Otitis nıedia bei einem 18jähr. 
blutarmen Mädchen. Besserung unter antiphlogistischer Be- 
handlung. Pilötzliche Verschlimmerung am 22. Tage der 
Erkrankung. Operation am 323. Tage. Entlassung am 
33. Tage. Poliklinische Nachbehandlung. Genesung. 

Die 18jährige Rosa R... wurde am 25. Mai 1895 in meine 
Klinik aufgenommen. Eine Woche zuvor bekam sie einen starken 


1) Sur les Suppurations de l’Apophyse Mastoide. Observation X, p. 64. 
2) Arch. of Otol. Vol. XXII, p. 194, und Zeitschr. f. Ohr. Bd. XXV, p. 73 
und 74, 1893. 


‘ 


bei acut. eitrig. Mittelohrentzündung, mit vier erläuternd. Fällen. "2387 


Schnupfen, welcher von Schmerzen und Sausen im rechten Ohr be- 
gleitet war. 3 Tage später trat Ohrenfluss ein, welcher den Schmerz 
einigermaassen linderte. Seit den letzten 2 Tagen hat sie auch Schmerzen 
im linken Öhre, mit nächtlichen Exacerbationen. Das Mädchen sieht 
äusserst blass aus, ist aber anderweitig gesund. 


Status praesens: Rechte Warzenfortsatzgegend leicht ge- 
dunsen, empfindlich auf Druck, am meisten in der Antrumgrube. Das 
rothe und geschwollene Trommelfell zeigt vorn und unten einen grossen 
Durchbruch, durch welchen rahmiger, leicht übelriechender Eiter austritt. 


2 10 
h -25 v= 
24 V0 
Das linke Ohr ist nur über der Antrumgrube auf Druck empfind- 
lich; das ganze Trommelfell roth und Shrapnell’s Membran vor- 
springend. h=c/24 (das Ticken einer auf 24° hörbaren Uhr wird nur 
auf Contact mit dem Ohr vernommen), v = ?/go- 


Pat. hatte normale Temperatur, klagte aber über Kopfschmerzen. 
Sie wurde im Bett gehalten. Ihr rechtes Ohr wurde sanft aus- 
gespritzt, ausgetrocknet und Borsäurepulver eingeblasen. Die Leiter- 
schen Kühlröhren wurden Tag und Nacht auf das rechte Ohr angelegt. 


26. Mai: Shrapnell’s Membran im linken Ohr weniger vor- 
springend; das Trommelfell wird blass. Im rechten Ohr weniger 
Schmerzen. Reichlicher Ausflus. Kopfweh geringer. - 

28. Mai: Empfindlichkeit bei Druck auf die Antrumgrube beider 
Ohren. 

29. Mai: Druckempfindlichkeit rechts in der Antrumgegend, links 
nur an der Spitze. 

31. Mai: Rechts Shrapnell’s Membran im hinteren Abschnitt 
vorgebaucht. Incision. 

1. Juni: Grosse Oefinung im rechten Trommelfell. Reichlicher 
Ausfluss. Antrumgrube schmerzhaft. Druck auf die Spitze, namentlich 
deren mediale Seite, schmerzlos. Die kalten Aufschläge, - weil unan- 
genehm, weggelassen. 

" 4. Juni: Rechts oberer Trommelfellabschnitt weniger angeschwollen. 

5. Juni: Pat. fühlt sich ziemlich wohl. Rechts Schmerzen in der 
Antrumgegend und am hinteren Rande. 
| 8. Juni: Druckschmerz bloss am hinteren Rande ; mehr Ohrenfluss. 

11. Juni: Rechts mehr Schmerzen, besonders an der Spitze. 
Polypöse Wucherung der Schleimhaut vom Atticus herabhängend und 
pulsirend. Temperatur 37,5. Puls 106. Rechter Sehnerv hyperämisch. 

12. Juni: Temperatur 38,0. Warzenfortsatzgegend geschwollen. 


Operatios: Einschnitt von der Spitze bis zur Schläfenlinie, 
dicht am Ansatz der Muschel. Periost abgestreift. Knochen glatt, 
blutreich. Einige Meisselschläge in der Antrumgrube bringen Eiter 
zum Vorschein. Um den Eiter aus allen von ihm eingenommenen 
Räumen zu entleeren, musste die ganze äussere Knochenwand fort- 
genommen werden. Die Spitze enthielt am meisten Eiter, die Basis 


288° H. Knapp: Ueber die Indicationen der Warzenfortsatzoperationen 


weniger, das Antrum und die mittleren Zellen am wenigsten. Der 
ganze Binnenraum des Warzenfortsatzes war mit Eiter, Granulations- 
gewebe und morschen Knochen ausgefüllt. Der Inhalt wurde sorgfältig 
mit dem scharfen Löffel ausgekratzt, bis die dichte, weisse Knochen- 
wand der Mastoidhöhle nach allen Seiten hin blossgelegt und mit einer 
Sonde untersucht war. Keine Verbindung mit der Schädelhöhle oder 
der Fossa digastrica konnte entdeckt werden, und wenn ich auf die 
Köpfe der Mm. Sterno-cleido-mastoideus und digastricus zwischen meinen 
Fingern von unten nach oben drückte, kam kein Eiter auf der Wund- 
fläche zum Vorschein. Die Sonde drang leicht vom Antrum aus in 
den Atticus, ohne dass man rauhen Knochen fühlte. Erweiterung des 
Antrumcanals und irgendwelche Manipulation im Atticus wurden deshalb 
unterlassen. Die Wundhöhle wurde mit Sublimatgaze ausgefüllt. 

15. Juni: Temperatur normal. Allgemeinbefinden besser. Sehnerv 
noch etwas hyperämisch. 

17. Juni: Pat. besser. Augengrund normal. 

28. Juni: Heilung regelmässig fortgeschritten. Pat. entlassen, um 
in der Ambulanz weiter behandelt zu werden. 

15. August 1895: Die Wunde schloss sich in 6 Wochen; der 
Ohrenfluss nahm rasch ab und verschwand: das Gehör wurde allmählich 
schärfer. 

28. August: Keine Beschwerden mehr. Trommelfell wieder- 
hergestellt. Gehör normal, nämlich h = 1 v = J wie im anderen 


Ohre. Allgemeinbefinden gut, und die Anämie sichtlich geringer. 


Das Merkwürdige an dem vorhergehenden Falle ist, dass die 
Affection 22 Tage lang wie eine gewöhnliche Otitis media purulenta ver- 
lief. Die Existenz einer Ausdehnung des Processes auf den Warzen- 
fortsatz war offenbar, aber keineswegs in höherem Grade als in Fall I, 
welcher in Genesung endete, während Fall II am 23. Tage der Er- 
krankung eine plötzliche Erhöhung der Temperatur und des Pulses und 
Schwellung der Warzenfortsatzgegend zeigte, nachdem die Empfindlich- 
keit der Antrumgrube abgenommen hatte. Von Seiten der Trommel- 
höhle wurde die Verschlimmerung nicht durch Aufhören oder Vermin- 
derung des Ohrenflusses, sondern nur durch Vortreiben von Granula- 
tionsgewebe im hinteren-oberen: Trommelwinkel angezeigt. Der Warzen- 
fortsatz musste, wie durch die Operation klar gelegt wurde, von Anfang 
an stark entzündet gewesen sein und nur die Weite des Antrumcanals, 
durch welche der Eiter genügend in die Paukenhöhle abgeleitet wurde, 
hielt die Gefahr so lange hintan. 


Aus den Erscheinungen geht klar hervor, dass die Warzenfortsatz- 
complication im Antrum begann, und während sie sich daselbst all- 


bei acut. eitrig. Mittelohrentzündung, mit vier erläuternd. Fällen. 289 


mählig abschwächte und ablief, entwickelte sie sich kräftig in den 
oberen und unteren Zellen. 


Der gleiche Verlauf zeigte sich sehr deutlich in 


Fall IIT. Acute purulente Mittelohrentzündung zwei 
Monate lang leichten Grades. Plötzliche Anschwellung der 
oberen Mastoid- und Supraauriculargegend mit Gehirn- 
erscheinungen. Eröffnung des Warzentortsatzes, Eiter in der 
Spitze. Rasche Heilung. 


Edw. B. L.... 33 Jahre alt, ein starker, gesund aussehender 
Arbeiter, wurde am 19. April 1895 in dre Klinik aufgenommen. Vor 
2 Monaten begann acute Entzündung im rechten Ohre, bald gefolgt 
von Öhrenfluss, :welcher bis 4 Tage vor der Aufnahme anhielt, aber 
wenig Beschwerden verursachte. Dann schwoll der Warzenfortsatz an, 
wurde auf Druck empfindlich, verursachte heftiges Kopfweh und, am 
Tage vor der Aufnahme, Erbrechen. Als er sich in der Klinik vor- 
stellte, bestand beträchtliche Röthe und Schwellung hinter und über 
dem Ohre bis in die Schläfengrube. Die Gegend des Antrums und der 
Spitze waren schmerzfrei und sahen normal aus, während der ge- 
schwollene Theil sowohl spontan als auf Druck schmerzhaft war. Aus 
dem Ohr floss geruchloser Eiter; das obere-innere Ende der Gehörgangs- 
wand war mässig geschwollen. 


Patient wurde an demselben Tage operirt. Einschnitt wie gewöhn- 
lich von der Spitze bis oberhalb der Muschel in den angeschwollenen 
Hautbezirk. Der Knochen erschien gesund. Die Eröffnung wurde in 
der Antrumgrube begonnen und bis in’s Antrum fortgeführt. Im Antrum 
war sehr wenig und in den Zellen oberhalb desselben gar kein Eiter. 
Am Knochen unterhalb der geschwollenen Haut war keine Fistel oder 
irgend etwas Abnormes, ausser Hyperämie, zu entdecken. Die unterhalb 
des Antrums gelegenen Zellen, bis zur Spitze. waren mit Eiter gefüllt. 
Die ganze Höhle wurde sorgfältig ausgeräumt. da ihre innere Wand 
gesund erschien und zwar ohne Andeutung einer Verbindung mit der 
digastrischen oder der hinteren Schädelhöhle, und da ferner die Sonde 
vom Antrum aus leicht in den Aditus geführt werden konnte, ohne auf 
rauhen Knochen zu stossen, so dehnte ich die Operation nicht weiter 
aus, füllte die Wunde mit Sublimatgaze und brachte den Patienten 
zu Bett. | 

Zwei Tage später Verbandwechsel. Kein Eiter. Die Anschwellung 
hinter und über dem Ohre geringer. 

Genesung ununterbrochen und vollständig. Entlassung am 27. April, 
8 Tage nach der Operation. Im Juli zum letzten Male gesehen. Keine 
Beschwerden. Trommelfell und Gehör normal. 

Dieser Fall ist einfach, aber recht lehrreich. Wir dürfen getrost 
annehmen, dass die Eiterung von der Trommelhöhle auf's Antrum über- 
ging. daselbst sich erschöpfte, selbst sich in die Spitze fortsetzte und als sie 


290 H. Knapp: Ueber die Indicationen der Warzenfortsatzoperationen 


sich darin gleichfalls erschöpft hatte, plötzlich in der Basis des Warzen- 
fortsatzes mit den gewöhnlichen Erscheinungen der Meningealreizung, 
Kopfweh und Erbrechen, auftrat. Eine sofortige Operation brachte die 
Entzündung zum Stillstand und führte die Krankheit rasch einem glück- 
lichen Ausgang entgegen. 

Der vierte Fall, der letzte in dieser kleinen Reihe, verlief tödt- 
lich, was, wie ich glaube, hätte verhindert werden können, wenn es 
mir möglich gewesen wäre, den Kranken ununterbrochen zu be- 
handeln. 


Fall IV. Ein gesunder Mann bekam acute eitrige Mittel- 
ohrentzündung nach der Grippe. Unter Behandlung mit 
Paracentese und örtlicheu Mitteln rasche Besserung, sodass 
Patient seinem Beruf (er war Klavierlehrer) wieder nachging. 
Rückfall mit schweren Gehirnerscheinungen. Keine Operation. 
Tod 51 Tage nach Beginn der Krankheit. Autopsie: Eitrige 
Meningitis, extraduraler Abscess, Enıpyem des Warzenfort- 
satzes mit Durchbruch in die hintere Schädelgrube und die 
Fossa digastrica. 


August St., 44 Jahre alt, von gesunder Constitution, consultirte 
mich am 19. Januar 1895, kurz nachdem er die Grippe gehabt hatte. 
In den letzten 8 Tagen hatte er Schmerzen und Schwerhörigkeit im 
linken Ohre. Ich fand das Trommelfell roth, den hinteren Abschnitt 
vorgebaucht, und incidirte denselben sofort. 


Der Schmerz wurde gemildert und reichlicher Ausfluss stellte sich 
ein. 2 Tage später fand ich den Patienten ziemlich wohl, das von dem 
Secrete befreite Trommelfell flach und blass, den Einschnitt noch offen. 
Ich verordnete sanftes Ausspritzen des Ohres mit warmem Borwasser, 
Austrocknen des Canals mit absorbirender Baumwolle, und Einpudern 
von Borsäurepulver. Er besuchte mich nur noch 2 Mal, besserte sich 
rasch und nahm seinen Beruf wieder auf. 


Mitte Februar schrieb mir seine Frau, ihr Mann habe einen Rück- 
fall und leide sehr; ob ich nicht zu ihm kommen könnte? Da mir 
dies bei der Entfernung des Kranken zur Zeit nicht möglich war, so blieb 
er in Behandlung seines Hausarztes, welchen ich in der Wohnung des 
Kranken consultarisch am 28. Februar traf. 


Der Hausarzt sagte mir, dass Patient vor 2 Wochen starke 
‘Schmerzen im Ohr und Kopf gehabt hätte, 4 Tage lang bewusstlos ge- 
wesen wäre, dann seinen rechten Fuss nachgeschleppt, Dinge, welche 
er in der rechten Hand hielt, fallen gelassen hätte, und nicht sprechen 
konnte. In der letzten Woche habe er sich gebessert. Ich fand den 
Patienten ausser Bett, herumgebend, vollständig vernünftig. Das linke 
Ohr lief aus, die hintere Gehörgangswand war geschwollen, die Mastoid- 
gegend sah normal aus, nirgends Druckempfindlichkeit, die Spitze zeigte 


bei acut. eitrig. Mittelohrentzündung, mit vier erläuternd. Fällen. 291 


weder bei Inspection, noch bei Palpation irgend welche Anomalie. Der 
Kopf war frei, die Sehnervenscheiben und Retinae normal, Hände und 
Beine kräftig, Sprache und Gedächtniss ungestört. Schon vor seiner 
Ohrenaffection hatte er ähnliche cerebrale Anfälle, mit Convulsionen, 
und sein Vater hatte auch daran gelitten. Sein jüngerer Bruder war 
ein Trunkenbold und starb vor einigen Jahren. Er selbst liebte geistige 
Getränke nicht wenig. 


Die Erscheinungen wiesen deutlich auf ein schweres und ausge- 
dehntes Ergriffensein der linken Hirnhälfte hin. In Anbetracht der 
vorliegenden eitrigen Entzündung lag es nahe, die Hirnerscheinungen 
auf ein Uebergreifen der Ohreiterung auf die Schädelhöhle anzunehmen. 
Extraduraler oder cerebraler Abscess war die Wahrscheinlichkeitsdia- 
gnose und nur die gegenwärtige Intermission und die Familiengeschichte 
hielten mich von der Empfehlung einer sofortigen Operation ab, doch 
unterliess ich nicht, dem behandelnden Arzte zu sagen, dass ich die 
"Operation für dringend nothwendig hielte, sobald sich die geringste Ver- 
schlimmerung einstellen sollte. 


In der zweiten nächsten Nacht trat ein plötzlichen sich rasch 
steigernder Rückfall der Gehirnaffecetion auf und Patient starb in 24 
Stunden, 2. März, 3 Uhr Morgens. 


Die Autopsie wurde am Nachmittag desselben Tages von mir 
selbst, unter Mithülfe des Hausarztes und zweier Assistenten, vorge- 
nommen. Sie zeigte ausgedehnte purulente Meningitis sowohl der Basis 
als der Convexität. In der mittleren und hinteren Schädelgrube war 
eine beträchtliche extradurale Eiteransammlung, welche durch eine grosse 
Oeffnung in der hinteren Wand des Felsenbeines mit der Warzenfort- 
satzhöhle und der digastrischen Grube communicirte. Eine Sinus- 
thrombose war nicht vorhanden, wiewohl die Wand des Sulcus sigmoi- 
deus schwärzlich aussah. 

Das ganze Schläfenbein wurde weggenommen, um im Laboratorium 
genauer untersucht zu werden. Während der Wegnahme bemerkten 
wir, dass ein beträchtlicher Theil der extraduralen Eiteransammlung 
durch eine über 1 Cmtr. breite Oeffnung in.der unteren medialen Fläche 
des Warzenfortsatzes sich in die digastrische Grube ergossen hatte. 
Eine zweite, ungefähr 3 Mm breite (Bezold’sche) Oefinung befand 
sich weiter unten an der medialen Fläche der Wearzenfortsatzspitze. 
Dieselbe führte in die Empyemhöhle des Fortsatzes und muss zum Zu- 
standekommen des in der digastrischen Grube befindlichen Eiterherdes 
beigetragen haben. 

Die äussere Tafel des Warzenfortsatzes war hart und gesund, 'un- 
gefähr 3 Mm dick. Die innere Tafel war angenagt und umfangreich 


292 H. Knapp: Ueber die Indicationen der Warzenfortsatzoperationen 


durchbrochen. Das Innere des Warzenfortsatzes war in einen grossen 
Hohlraum umgewandelt, welcher, wie erwähnt, mit der hinteren Schädel- 
grube und der Fossa digastrica communicirte. 


Der Eiterherd in der digastrischen Grube manifestirte sich während 
des Lebens durch kein Zeichen, und wurde an der Leiche erst bei der 
Eröffnung des Schädels beobachtet. Er lag zwischen dem durchbrochenen 
Knochen und den benachbarten Muskeln, senkte sich aber nicht den 
Hals hinab. 


Die lufthaltigen Räume über der Paukenhöhle und dem Warzen- 
fortsatz, an der Basis der Felsenbeinpyramide, waren ausgedehnt und 
auch mit Eiter gefüllt. 


Die Geschichte dieses Falles liefert Stoff zu einigen wichtigen Be- 
merkungen, 


1. Die Familiengeschichte, wiewohl im Allgemeinen 
wichtig, kann im concreten Falle unser Urtheil irre 
leiten. Der objective Befund ist doch wichtiger als die Anamnese. 
Im vorliegenden Falle braucht man zur Erklärung des Verlaufs und des 
Endes der Krankheit die Familiengeschichte von cerebralen Anfällen 
nicht, welche den Hausarzt bei Stellung der Diagnose so sehr beein- 
flussten. Die Obduction brachte die nöthige Klarheit in die Auf- 
fassung des ganzen Krankheitsbildes. Der erste cerebrale Anfall erklärt 
sich vollständig durch die Anwesenheit des extraduralen Abscesses und 
der davon abhängigen Meningitis. 


2. Die so vollkommene Intermission, während welcher ich den 
Patienten in Consultation sah, war höchst wahrscheinlich durch den Durch- 
bruch des Daches der digastrischen Grube hervorgebracht, wodurch ein 
theilweiser Abfluss des intracraniellen Eiters erfolgte. Da der Eiter 
aber in der digastrischen Grube cingeschlossen blieb und die Ent- 
leerung und Drainirung des extraduralen Abscesses ungenügend waren, 
so war die Besserung nur temporär; die Meningitis war unterbrochen, 
nicht beseitigt, und ihr Wiederaufflackern führte rasch zum Tode. 


3. Die vorübergehende Unterbrechung der Meningitis hätte zu 
einer dauernden Heilung werden können durch eine Operation, welche 
eine genügende Entleerung des Eiters und ausreichende Drainirung der 
Schädelhöhle bewirkt hätte. Unser Fall dient zur Bestätigung der 
Meinung und Erfahrung von Wm. Macewen, welcher auch die eitrige 
Septo- Meningitis für heilbar hält, so lange sie noch nicht allgemein 
geworden ist und seine Behauptung auf sechs geheilte Fälle stützt, 


bei acut. eitrig. Mittelohrentzündung, mit vier erläuternd. Fällen. 293 


bei welchen die Symptome ausgesprochen genug waren, um die Diagnose 
zu rechtfertigen !). 


Wenn ich mir erlauben darf, aus den vorhergehenden Be- 
obachtungen einige Schlüsse zu ziehen, so mögen es die folgen- 
den sein 


1. Bei acuter eitriger Mittelohrentzündung giebt es, 
wie H. Schwartze sagt, kein einziges Symptom, welches 
für sich allein eine Indication zur Mastoidoperation 
liefert. Die wichtigsten Symptome sind: localer Schmerz sowohl 
spontan als auf Druck, Kopfweh, Temperaturerhöhung oder -Erniedrigung, 
Schwindel, Uebelkeit, Erbrechen, Eingenommenheit des Kopfes (Stupor), 
Aphasie, Hemianopsie, Stauungspapille, Krämpfe, Paralyse, Coma. Ebenso 
giebt es, vielleicht mit Ausnahme tiefen Comas, kein 
einziges Symptom, w elches für sich allein die Operation 
contraindicirt. Wenn Schwartze (Handbuch, Bd. II, Seite 796, 
Zeile 17) sagt: »Bei ausgesprochener Stauungspapille scheint die Prognose 
immer letal zu sein«, so kann ich damit nicht übereinstimmen, denn 
ich weiss aus eigener Erfahrung, die mit Mittheilungen von Dr. J. C. 
Kipp, aus Newark, N. J., übereinstimmt, dass Stauungspapille bei 
otitischen Gehirnleiden, selbst wenn ausgesprochene Pyämie vorhanden 
ist, wieder verschwinden und der Patient vollkommen genesen kann, 
und zwar nicht nur durch operative Behandlung, sondern auch spontan ?). 


In Bezug auf Coma sind eine Anzahl Fälle bekannt, in welchen 
die Operation permanente Heilung erzielte. Broca und Lubet- 
Barbon?) berichten, dass ein 7jähriges Kind am 5. Tage einer suppu- 
rativen Otitis von einer Mastoiditis befallen wurde und am 6. Tage be- 
wusstlos, mit einer Temperatur von 40°C in’s Spital gebracht und so- 
fort operirt wurde. Im Proc. mast. wurde nur wenig Eiter gefunden, 
etwas mehr im Sulcus transversus. Rasche Heilung. Schwartze‘) 
veröffentlichte vor Kurzem einen brillanten Fall, wo ein Mann bewusst- 


1) Comp. Wm. Macewen: Pyogenic Infective Diseaes of the Brain and 
Spinal Cord. 1893, p. 100, Case XVIII und p. 329. 

2) H. Knapp: Ear Disease with Brain Symptoms. Transactions of the amer. 
otol. Society Vol. V, part 3. 1893, Case II, p. 405. 

3) Les Suppurations de l’Apophyse Mastoide. Steinheil. Paris, 1895, pp. 
29—81. 

4) Arch. f. Ohr. Otogener Hirnabscess, durch Operation geheilt. Bd. 38, 
p. 283. 


294 H. Knapp: Ueber die Indicationen der Warzenfortsatzoperationen 


los in’s Hospital gebracht wurde. Er litt an einem otitischen Hirn- 
absces. Nach gründlicher Warzenfortsatz-Operation wurde der Schläfen- 
lappenabscess entleert und Patient geheilt. Der Kranke wurde an- 
scheinend moribund in die Klinik getragen. Hochgradig soporös, durch 
Anrufen schwer und nur auf kurze Momente zu erwecken, unfähig zu 
sprechen und zu schlucken; Stöhnen wie bei Meningitis. 

Wo Coma vorhanden ist, handelt es sich natürlich um eine schwere 
intracranielle Complication und bei den geheilten Fällen, soweit sie 
meinem Gedächtnisse gegenwärtig sind, lag nicht vollständiges Coma vor, 
indem die Patienten noch aus dem tiefen Schlafe aufgerüttelt werden 
konnten. 


2. Die Indication für die Operation wird durch die 
Summe der Erscheinungen und den Verlauf der Krank- 
heit festgestellt. In unserem Falle I, Atticuserkrankung mit Warzen- 
fortsatzbetheiligung, wäre die Eröffnung des Fortsatzes gerechtfertigt 
gewesen und ich hielt mich jeden Tag zu derselben bereit; da ich aber 
die Patienten unter beständiger Aufsicht hatte, so versuchte ich die 
nichtoperative Behandlung, während welcher kein gefährliches Symptom 
auftrat, und der Kranke wurde vollständig geheilt. — In Fall II ge- 
stattete der Verlauf während der ersten 3 Wochen die Hoffnung auf 
eine spontane Heilung, dann aber traten plötzlich Temperaturerhöhung, 
Anschwellung des Warzenfortsaszes und Congestion der Sehnervenscheiben 
als Gefahrsignale auf, welche die sofortige Operation als dringlich er- 
scheinen liessen. 


3. Selbst wenn der Patient sich wohl befindet und 
geheilt erscheint, dürfen wir ihn Wochen und Monate 
nachher nicht aus den Augen verlieren, denn acute 
eitrige Mittelohrentzündung ist eine tückische Krankheit. Sie kann sich 
in der Trommelhöhle und im Antrum erschöpft haben und geheilt er- 
scheinen, während plötzlich neue Eiterherde in der Spitze oder der 
Basis des Warzenfortsatzes auftauchen, ebenso wie intracranielle Compli- 
cationen in den Vordergrund treten können, welche eine unmittelbare 
Operation erheischen. Diese Vorsichtsmaassregel wird durch Fall II 
und IV eingeschärft. 


Ausser diesen könnte ich noch einen selır beweiskräftigen Fall an- 
führen, welchen ich erst vor 8 Tagen operirte. Ein starker Mann kam 
vor 5 Wochen mit einer ausgesprochenen Tympano-mastoiditis in meine 
Klinik. Bettruhe und locale Behandlung, namentlich die. Kühlröhren, 
liessen Schmerzen, Anschwellung und Fieber rasch verschwinden. Er 


bei acut. eitrig. Mittelohrentzündung, mit vier erläuternd. Fällen. 295 


wurde convalescent entlassen, aber in zwei Wocher kam er mit einem 
Rückfall zurück. In den letzten 2 Tagen war der Warzenfortsatz wieder 
schmerzhaft, Temperatur 38,3, eine harte, geröthete, drüsenähnliche An- 
schwellung dicht unter dem Ohre, in der Parotisgegend, complete Facialis- 
paralyse, keine Anschwellung des Warzenfortsatzes und des Musc. sterno- 
cleido-mastoideus. Es fanden sich :zwei Eiterherde: ein kleinerer mit, 
Caries und umfangreichem Durchbruch der medialen Wand an der Spitze, 
und ein grösserer in den hinteren-oberen Warzenfortsatzzellen mit Caries 
der Wand des Sulcus sigmoideus. Die Operation beseitigte das Fieber 
und die Schmerzen sofort und es geht dem Patienten soweit gut. Facialis- 
paralyse im Abnehmen. 


4. Was auch die Symptome sein mögen, so müssen 
wir im Allgemeinen die Operation mit der Eröffnung 
des Antrums beginnen und uns dann von denin die 
Erscheinung tretenden Verhältnissen leiten lassen. 
Diese jetzt so ziemlich überall angenommene Regel wird durch unsere 
Fälle deutlich veranschaulicht. In Fall II, wo die Eiterung in Antrum 
und Spitze abgelaufen war. wurde sie in dem oberen Theile, in welchem 
sie gerade eingeleitet war, durch Entleerung des bereits gebildeten 
Eiters und gute Drainage verhütet. Hätte ich in FallIV den Patienten 
während der letalen Verschlimmerung gesehen, so würde die Eröffnung 
des Warzenfortsatzes von dem Antrum aus mich direct in die hintere 
Schädelgrube geführt und durch Entleerung des extraduralen Abscesses. 
und Drainirung dem Patienten wahrscheinlich das Leben gerettet haben. 


Wenn ich in dieser Abhandlung nur einen Fall von spontan ge- 
heilter acuter Mittelohreiterung angeführt habe und drei Fälle, welche 
Operationen erforderten, so folgt daraus natürlich nicht, dass die Mehrzahl 
der acuten Mittelohreiterungen mit begleitender Mastoiditis eine Mastoid- 
operation erheischen. Ueber die relative Häufigkeit der spontanen 
Heilung liegt eine sehr brauchbare Angabe von Bezold vor, welcher 
seit Jahren sein Krankenmaterial mit seltener Vollständigkeit und Ge- 
nauigkeit statistisch bearbeitet hat. Er sagt in seiner äusserst lehrreichen 
Monographie: »Ueberschau über den gegenwärtigen Stand 
der Ohrenheilkunde, nach den Ergebnissen meiner 
24jährigen statistischen Beobachtungen«, p. 104 Fol- 
gendes: »In den Jahren 1887—1892 sind unter 701 acuten Mittelohr- 
eiterungen 62 Operationen und zwar 5mal der Wilde’sche Schnitt, 
57 mal die Schwartze’sche Eröffnung des Warzentheils zur Ausführung 
gekommen. Danach findet eine Betheiligung der Warzenzellen in einem 
Grade, dass sie eine spontane Ausheilung mit Wahrscheinlichkeit nicht 


296 M. A. Goldstein: Ueber die Möglichkeit einer deutlichen 


erwarten lässt, in nahezu 9°/, aller Fälle von Otitis media acuta statt, 
wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass dem Öhrenarzt meist nur 
die schwereren Fälle von acuter Mittelohreiterung zu Gesicht kommen«. 

In Anbetracht der grossen Serien von Mastoidoperationen, welche in 
den letzten Jahren veröffentlicht worden sind, habe ich das Gefühl, als 
müsste ich mich entschuldigen, wenn ich mit einer so kleinen Anzahl 
hervortrete. Indessen halte ich auch eine geringe Anzahl von Fällen 
der Veröffentlichung werth, wenn sie Verhältnisse deutlich und ein- 
dringlich veranschaulichen, welche nützlich zu wissen und noch nicht 
allgemein gewürdigt sind. In der Mastoidoperation, die in der Ohren- 
heilkunde ungefähr die Stellung einnimmt, wie die Staaroperation in 
der Augenheilkunde, verdienen die kleinsten Einzelheiten von allen 
Seiten betrachtet und besprochen zu werden. 


XVIIL 


Ueber die Möglichkeit einer deutlichen Besserung 

bei der Behandlung der Taubheit und der ver- 

mutheten Taubstummheit durch akustische Uebungen 

— ein System von Tonbehandlung des Gehör- 

nerven, wie es Professor Urbantschitsch in Wien 
angegeben hat. 


Von M. A. Goldstein, Saint Louis, Missouri. 


(Uebersetzt von C. Truckenbrod.) 


Die folgende Mittheilung lege ich den Collegen vor mit Genehmigung 
des Herrn Prof. Urbantschitsch und enthält dieselbe einen Auszug 
aus verschiedenen Monographieen Urbantschitsch’s, die Notizen und 
persönlichen Erfahrungen des Verfassers, die er unter Urbantschitsch’s 
Anleitung gesammelt hat. 

Der Vorschlag, durch Ohr-Gymnastik (Trainirung der Gehör-Nerven) 
einen Versuch bei Behandlung der Taubstummheit zu machen, ist 
nicht neu. 

Bock (Ohrenheilkunde 1827, S. 73) führt die Empfehlung von 
Bewus aus dem Jahre 1743, Taubheit durch Schall-Zuleitung zu 
behandeln, an. Itard (Traitè des Mal. de l’Oreille, 1821, Paris, 
2. Bd., S. 446) und Toynbee (Diseases of the Ear 1860) berichten 


Besserung bei der Behandlung der Taubheit etc. 297 


über eine Anzahl von durch ähnliche Behandlungsmethoden gebesserten 
Fällen. Philippe (Journal de Med., Bordeaux, 1846, S. 254) empfiehlt 
dringend den Gebrauch einer Ohr-Trompete, eine Methode, die damals 
bei französischen Ohrenärzten sehr beliebt war. | 

Browne (British Medical Ass’n, Cork, 1879) und Keown 
(Arch. f. Ohrenheilk., Bd. 16, S. 229) haben ebenfalls über günstige 
Resultate bei Ohr-Gymnastik berichtet. Urbantschitsch (Archiv 
für Physiologie, 1883, S. 129) hat zahlreiche Besserung der Gehörs- 
Empfindungen gefunden bei der Untersuchung sowohl kranker wie 
gesunder Ohren. Eitelberg (Zeitschr. f. Ohrenheilk., 1883, Bd. 12, 
S. 258) hat eingehendere Untersuchungen ähnlicher Fälle vorgenommen. 

Trotz all dieser Beobachtungen und der instructiven Untersuchungen 
Itard’s und Toynbee’s, durch systematische Behandlung einen Ein- 
fluss auf das Gehör bei theilweiser oder gänzlicher Taubheit zu erzielen, 
ist die Sache vernachlässigt worden und ist wenig bekannt geworden, 
speciell bei den Ohrenärzten. Selbst der bekannte Me&niere (Gazette 
Med. de Paris, 1880, No. 50 u. 51), einer der bedeutendsten franzö- 
sischen Ohrenärzte, scheint eine ablehnende Meinung gehabt zu haben, 
die gewiss nicht zu weiteren Versuchen ermuthigen konnte, da er die im 
Taubstummen-Institut zu Paris mit Ohr-Gymnastik und anderen Methoden 
der Behandlung der Taubstummen erzielten Resultate als illusorisch und 
vorübergehend bezeichnet. 

„Vor einigen Jahren,“ so schreibt Urbantschitsch, ‚erzielte 
ich durch systematische Ohr-Gymnastik überraschende Resultate bei 
einem taubstummen Knaben, der mir zur Behandlung übergeben war; 
zuerst konnte Patient nur laut gesprochene Vocale und einzelne Silben 
hören; nach einjähriger Behandlung konnte er ganze Sätze, mässig laut 
gesprochen, hören, und endlich konnte man die gewöhnliche Methode 
der Ohrprüfung in Folge stetiger Besserung anwenden.“ 

Im letzten Jahre hat Urbantschitsch täglich eine grosse An- 
zahl von Taubstummen durch ‚Ohr-Gymnastik‘‘ behandeln lassen und 
hat sehr befriedigende Resultate erzielt. Diese Gruppe von Kindern, 
die bei früheren Untersuchungen als hoffnungslos taub und geeignet 
zum Eintritt in eine Taubstummen-Anstalt befunden wurde, hat sich 
seit Durchführung methodischer ‚„Ohr-Gymnastik‘‘ gebessert, nicht nur 
in Bezug auf die Hörfähigkeit von Vocalen, sondern im Verlauf einer 
einjährigen Behandlung konnten sie ganze Sätze hören und nachsprechen. 
Bei Manchen fand sich bei der ersten Untersuchung absolute Taubheit, 
durch Stimmgabeln von verschiedener Schwingung bei Luft- und Knochen- 

Zeitschrift für Ohrenheilkunde. Bd. XXVII. 29 


298 M. A. Goldstein: Ueber die Möglichkeit einer deutlichen 


leitung nachweisbar, und selbst bei sehr lauten Tönen, die auf das Ohr 
zur Einwirkung gelangten. Auch durch Hörrohre und ähnliche Instru- 
mente wurde keine Tonempfindung erzielt. 


Verfasser hat persönlich viele dieser Fälle gesehen und die von 
Monat zu Monat deutlich zunehmende Besserung notirt. 


Die überraschende Thatsache, dass ein Individuum, das anscheinend 
absolut taub ist, durch systematische Behandlung nicht nur Schall- 
Empfindung, sondern auch Schall-Unterscheidung erlangen kann, lässt 
sich nur durch die Annahme erklären, dass das betreffende Individuum 
nicht wirklich taub war, sondern dass es nur die Fähigkeit verloren 
hatte, Schallempfindungen richtig zu zerlegen. 


Dieses System der methodischen, genau durchgeführten ,‚Ohr- 
Gymnastik“, wie es hier nöthig ist, kann von entschiedenem Werthe 
sein, selbst bei sehr ernster Schwerhörigkeit, indem dadurch: 1. eine 
Differenzirung und eigene Perception der Schall-Eindrücke und 2. eine 
Steigerung der Schall-Intensität, mit schrittweise zunehmender Schärfe 
der Gehörs-Empfindung erreicht wird. 


Diese neue Methode wird auf folgende Weise angewandt: 


Es wird ein Fall completer Taubheit oder Taubstummheit vor? 
gestellt. Dicht am Ohre des Patienten wird ein Vocal laut ausgesprochen; 
Patient hat entweder gar keinen Eindruck oder er giebt eine ganz 
unbestimmte Schall-Perception an; die Schall-Empfindung, wenn sie vor- 
handen ist, kann für alle Vocale die gleiche sein, so dass je nach Lage 
des Falles a-e-i-o-u als a oder e gehört wird. Die Uebungen beginnen 
jetzt damit, dass dem Patienten die zur Anwendung gelangenden Vocale 
mitgetheilt werden, zum Beispiel a (in Vater), i (in Igel). Es ist nun 
sehr interessant zu beabachten, wie nach kurzem Vorsprechen dieser 
beiden Vocale, das in gleichmässiger, lauter Sprache geschieht, Patient 
schon den Schall zu unterscheiden anfängt; es ist zwar keine vollständige 
Unterscheidung, aber der Schall a erweckt einen anderen Eindruck als i. 
In manchen Fällen genügen wenige Minuten, um solch primären Unter- 
schied zu erzielen; in anderen Fällen sind viele Sitzungen nothwendig. 
Nach und nach, je nachdem der einzelne Fall es früher oder später 
verlangt, werden die übrigen Vocale angewendet. Zuerst sollen nur 
die einfachen Vocale zur Anwendung gelangen, z. B. a (Vater), 
ae (Fährte), i (Igel), o (Ofen), u (Uhr). 

Später sollen einsilbige Worte (Vocal mit einem Orikonänten ver- 
eint) zur Anwendung gelangen, z. B. lo, mä, do, ba, te etc. Conso- 


Besserung bei der Behandlung der Taubheit etc. 299 


nanten, die mit dem Ohr schwer zu unterscheiden sind und daher leicht 
verwechselt werden, z. B. b und p, d und t, g und k etc. muss besondere 
Aufmerksamkeit gewidmet werden und müssen diese fleissig geübt werden. 
Um das Interesse des Patienten an den Uebungen rege zu erhalten, 
empfiehlt es sich anstatt mehrere Vocale Worte mit einfachen Silben 
z. B. Ball, Katze, Jugend etc. zu benutzen. 


Sollte Patient einen Ton falsch verstehen und wiederholt falsch 
angeben, so empfiehlt es sich, ihm zuerst den richtigen und dann erst 
den falschen Ton anzugeben und zwar so lange, bis er einen deutlichen 
Unterschied empfindet. 


Es ist sebr interessant, den Unterschied zwischen Schall-Perception 
und Schall-Verständniss zu beobachten, wie er sich bei dieser Methode 
nach und nach ergiebt. 


Ein Taubstummer, der zuerst ein Wort hört und es auch richtig 
nachspricht, versteht kaum den Sinn dieses Wortes. Ich entsinne mich 
eines taubstummen Mädchens, dem im Verlauf der Uebungen das Wort 
„Anna‘‘, der Name einer ihrer Schwestern, vorgesprochen wurde. Dieses 
Wort wurde gut gehört und richtig nachgesprochen, aber wenn man 
Patientin nach dem Sinn des Wortes fragte, konnte sie nicht begreifen, 
dass der Name ihrer Schwester und das gehörte Wort ganz das gleiche 
seien. Wenn ihr dies erklärt wurde, war die Ueberraschung des jungen 
Mädchens gross, und von diesem Augenblick an konnte man eine rapide 
Besserung constatiren, da Patientin sich alle Mühe gab, das gesprochene 
Wort mit dem ihr angegebenen Sinne desselben zu behalten. 


Es empfiehlt sich bei diesen Uebungen auch, Wörter ohne bestimmte 
. Bedeutung zu benutzen, um zu sehen, ob Patient die benutzten Wörter 
auch richtig hört und sich nicht auf das Errathen ähnlich klingender 
Laute verlegt. 


Je nachdem der einzelne Fall es erlaubt, sollten nach den Vocalen 
ganze Sätze in Anwendung kommen, nachdem zuerst Vocale, Consonanten 
und einzelne Worte angewendet waren. Auch die Hörweite sollte all- 
mählich zunehmen. ' 


In dem Maasse, als Patient mehr Uebung erlangt, sollte darauf 
geachtet werden, dass er nicht länger die Lippen-Bewegungen des Vor- 
sprechenden beobachten kann, da ja die erzielten Resultate durch ‚Ohr- 
Gymnastik‘‘ ganz allein erreicht werden sollen, ohne Zuhülfenahme der 
Augen. 

20* 


300 M. A. Goldstein: Ueber die Möglichkeit einer deutlichen 


Mir ist der Fall eines Knaben in Erinnerung, der Anfangs einen 
einfachen, laut und dicht am Ohr gesprochenen Vocal nicht hören Konnte; 
nach Verlauf von 6 Monaten konnte er ganze Sätze hören und richtig 
nachsprechen, selbst in Entfernung von 5 Fuss und ohne Zuhülfenahme 
des Ablesens von den Lippen, wie dies in vielen Taubstummen-Anstalten 
Europas geübt wird. Es kamen viele derartige Fälle zur Beobachtung. 

Was die Dauer der einzelnen Sitzungen bei diesen Uebungen 
betrifft, so ist es von Wichtigkeit, zu wissen, dass oft einige Minuten 
genügen, um das Hörvermögen des Patienten zu erreichen, dass dagegen 
bei zu langem Ausdehnen der Sitzungen oft ein Zustand ähnlich der 
nervösen Asthenopie beobachtet wird. Es empfiehlt sich daher, diese 
Uebungen nicht über eine gewisse Grenze auszudehnen. Im Anfang 
genügen täglich 2 oder 3 Sitzungen, jede von 10—15 Minuten Dauer; 
allmählig kann man jede Sitzung auf eine halbe bis ganze Stunde aus- 
dehnen, wie es eben der einzelne Fall zulässt. Länger als eine Stunde 
sollte keine Sitzung dauern. 

Wenn das Hörvermögen eines Patienten sich als hoffnungslos er- 
weist, sollten die Uebungen nach 8—10 Tagen eingestellt werden. 

Die Höhe und Stärke der Stimme muss je nach dem Falle ein- 
gerichtet werden. Der Gebrauch von Hörrohren zur Verstärkung des 
Schalles sollte ein nur beschränkter sein, da ein empfindlicher Schall- 
Empfindungs-Apparat leicht durch rauhe oder starke Töne Schaden 
leiden kann. Bei manchen Fällen, bei denen der Zustand des Gehöres 
ein schlechter ist, kann der vorsichtige Gebrauch von Hörrohren von 
Vortheil sein. Im Allgemeinen genügt es, einen gedehnten Vocal oder 
ein Wort mit mässig lauter und deutlicher Aussprache dicht am Ohre 
des Patienten oder in der Axe seines Gehörganges anzugeben, wobei 
stets auf eine schr deutliche Aussprache geachtet werden muss. 

Ueber das Endresultat der Anwendung dieses Systems können wir 
keine genaue Schätzung geben, da der Grad der Besserung bei vielen 
Fällen sich nicht abgrenzen liess. Nur durch lange Uebung, andauernde 
und geduldige Arbeit, kann ein Aeusserstes erreicht werden. Gleich- 
wohl sind die Besserungen ganz augenscheinlich und verlangen nur einen 
kurzen Hinweis. Der Vortheil, den man durch das Hören der Vocale 
erreicht, in Bezug auf Modulirung und Regulirung der Sprache, ist 
sehr beträchtlich. Die fortschreitende Besserung vom Hören der Vocale 
bis zu dem der Consonanten, Worte und endlich das Verstehen ganzer 
Sätze lässt sich nur durch fleissige Anwendung der ‚Ohr-Gymnastik“ 
erzielen. 


Besserung bei der Behandlung der Taubheit etc. 301 


Günstige Resultate wurden sowohl bei congenitaler wie erworbener 
Taubheit erzielt. Prof. Urbantschitsch berichtet über ausgezeichnete 
Erfolge bei Fällen erworbener Taubheit in Folge von Meningitis cerebro- 
spinalis, Typhus, Scharlach, Masern und Trauma, und in einem Falle 
von Taubheit, in Folge von Schreck, bestand dieselbe bereits 22 Jahre. 


Das Alter scheint kein Hinderniss für den Erfolg zu sein. In 
den Taubstummen-Anstalter Oesterreichs sind die Vorschläge Urbant- 
schitsch’s einer eingehenden Untersuchung unterzogen worden und 
haben die practischen Versuche ein äusserst befriedigendes Resultat er- 
geben. Vor nicht ganz einem Jahre wurden Versuche in Verbindung mit , 
der gewöhnlichen Lehrmethode in der Wiener Taubstummen-Anstalt zu 
Oberdöbling begonnen und die Fortschritte der Schüler, wie die neuesten 
Berichte zeigen, sind bemerkenswerth. 


Eine Anzahl dieser Schüler, die dieser speciellen Methode unter- 
worfen waren, wurde zu Wien am 27. April der Gesellschaft der Aerzte 
vorgestellt und das Factum, dass diese taub geborenen Schüler Sprache 
von wenigen Zoll bis zu 10 Fuss hören konnten, ohne das Ablesen 
von den Lippen oder Zeichengeben zu Hülfe zu nehmen, ist wohl an 
sich das schönste Zeugniss für die Erfolge dieser Methode. 


Solch befriedigende Resultate mit einer Methode, die noch in ihrer 
Kindheit steht, und noch dazu in verhältnissmässig so kurzer Zeit, 
sprechen eine beredte Sprache! Die Einführung dieses Systems, welches 
so grosse Hülfe bei der Erziehung und Bildung der Taubstummen bietet, 
sollte mit Wohlwolleu begrüsst und mit Geduld in jeder Taubstummen- 
Anstalt versucht werden und auch die Ohrenärzte Amerikas solłten sich 
der Sache annehmen. Das Volta-Bureau in Washington hat, so viel 
ich weiss, die Veröffentlichungen Urbantschitsch’s über seine 
Methode erhalten und hat Untersuchungen über die Wirksamkeit dieser 
Methode veranlasst. 


Jeder Arzt und ganz besonders die Ohrenärzte sollten die in unseren 
verschiedenen Anstalten für Taube und Stumme angewandten Systeme 
aufmerksam verfolgen, um sie aus eigener Anschauung den Eltern und 
Freunden solch unglücklicher Mitglieder unserer Gesellschaft empfehlen 
zu können, da eine ausgedehnte Empfehlung die meisten Erfolge 
verspricht. 


302 Robert E. Moss: Zwei Fälle von otitischer Hirnerkrankung. 
XIX. 


Zwei Fälle von otitischer Hirnerkrankung 
(Sinus thrombose und Abscess). 


Von Dr. Robert E. Moss in San Antonio, Texas. 
(Uebersetzt von Dr. C. Truckenbrod.) 


1. Eitrige Mastoiditis complicirt mit Sinusthrombose —- Operation 
—— Heilung. 


Frau L. E., 27 J. alt, hatte vor 6 Wochen Masern gehabt und 
gegen Ende der Krankheit als Complication Mittelohr-Eiterung. Später 
kam der Warzenfortsatz in Mitleidenschaft und der Eiter suchte sich 
an der unteren Seite der Spitze einen Ausweg und durchbrach die ober- 
flächliche und die tiefe Hals-Fascie und gab so Veranlassung zu einer 
ausgedehnten Entzündung des Unterhautzellgewebes vom Nacken bis 
zum Schlüsselbein. Dr. Frank Paschal brachte sie am 14. August 
1894 zu mir, an welchem Tage er sie selbst zum ersten Male gesehen 
hatte. Der Hals war auf der rechten Seite stark geschwollen, bei der 
Palpation zeigte sich Fluctuation, die Geschwulst war stets sehr schmerz- 
haft. Der Ausfluss aus dem Ohr war gering, die hintere obere Gehör- 
gangswand so stark geschwollen, dass das Trommelfell nicht zu sehen 
war. Die Uhr wurde nur beim Anlegen gehört. Ich schlug einen 
sofort auszuführenden operativen Eingriff vor, der auch am folgenden 
Tage vorgenommen wurde. Zur Zeit der Operation betrug die Körper- 
temperatur 101° F. Der Warzenfortsatz wurde mit dem Meisel eröffnet 
und vorsichtig ausgekratzt, wobei ziemliche Mengen von Granulations- 
geweben und cariösen Knochen entfernt wurden. Die Blutung war so 
stark, dass sie durch Tamponade mit Gaze gestillt werden musste. Die 
Nackengegend wurde breit gespalten, mit warmer Carbollösung aus- 
gespült und ein Gazestreifen zur Drainage von der Spitze des Warzen- 
fortsatzes bis zum tiefsten Punkte der Eiteransammlung eingelegt. 

16. Aug. Temp. 100° F., Puls 92, Patientin zufrieden. Abnahme 
des Verbandes, Ausspülen mit Carbollösung, Trocknen der Höhle, Ein- 
blasen von Jodoform, leichtes Ausstopfen mit Gaze und Verband. 

17. Aug. Temp. 99°, Puls 80. 

18. Aug. Temp. normal, Ausfluss gering, Appetit ganz gut. 

20. Aug. Kommt in meine Sprechstunde, kein Fieber, Zustand 
der Wunde gut. 


Robert E. Moss: Zwei Fälle von otitischer Hirnerkrankung. 303 


21. Aug. Temp. 101°, Puls 110. Klagt über Kopfweh und Frost- 
gefühl. Zustand der Wunde befriedigend. 


22. Aug. Temp. 103°, Puls 130. Klagt sehr über Kopf und 
Ohr. An der Vena jugularis interna zeigt sich deutliche Phlebitis. 
Dr. Paschal sah sie mit mir zusammen und theilte meine Ansicht, 
dass ein zweiter operativer Eingriff nöthig sei. Patientin wurde dem 
städtischen Spital überwiesen, und wir setzten die Operation für den 
nächsten Tag an, aber durch irgend ein Missverständniss erhielten wir 
die Erlaubniss dazu nicht. 


Ich sah Patientin am 25. Aug. wieder, Temp. 100, Puls 90, fühlt 
sich wohl und der Zustand blieb 10 Tage lang der gleiche, wo sie 
einen deutlichen Schüttelfrost hatte. Temp. 102,8°, Puls 130, heftiger 
Schmerz im rechten unteren Lungenlappen, kurzer Husten und bei der 
Auscultation deutliches Crepitiren. Es war das ganze Bild eines septischen 
Infarctes der rechten Lunge. 


5. Sept. Temp. 99,5°, Puls 100. 


6. Sept. Temp. 101°, Puls 120. Chloroform-Narcose. Unter 
Assistenz von Dr. Paschal, Kingsley und Fitzsimons legte ich 
in 1!/, Zoll Ausdehnung den Sinus sigmoideus bloss und fand ihn fest 
thrombosirt. Ich machte einen Einschnitt und legte nach beiden Rich- 
tungen einen Gazestreifen hinein und stopfte die Wunde lose mit Gaze 
aus. Die Höhle wurde mit Jodoform bestäubt und mit Gaze ausgestopft. 
Ich schnitt dann auf die Vena jugularis interna ein, legte 2 Ligaturen 
an und schnitt zwischen den Ligaturen die Vene auf. Es war sehr 
schwer wegen der Entzündung des Unterhautzellgewebes, die Vene 
freizulegen. Patientin überstand die Operation gut und hatte keine 
unangenehme Erscheinungen, ausgenommen einen zweiten Infarct des 
rechten Oberlappens, vorne, der für 3- 4 Tage eine. leichte Temperatur- 
steigerung veranlasste. Nach Verlauf von 14 Tagen verliess Patientin 
das Spital und kam zum Verbandwechseln in meine Sprechstunde: 


22. Oktbr. Wunde fast geschlossen, absolut keine Secretion; Per- 
. ; 36 AET 
foration des Trommelfelles geheilt, Hörweite Uhr 0° ' Sie ist sehr 
anämisch, die Milz vergrössert, leichtes Anasarca und etwas Ascites. 


13. Novbr.: Wunde vollständig geheilt, Patientin ist im Stande, 
ihrem Hauswesen vorzustehen, und auch ihr Allgemeinbefinden hat sich 
bedeutend gebessert. 


304 Robert E. Moss: Zwei Fälle von otitischer Hirnerkrankung. 


Bei der Durchsicht der Literatur, so weit sie mir zur Verfügung 
steht, finde ich nur über einen Fall von Burnett, operirt von Keen, 
berichtet und zwei weitere Fälle in Macewen’s Werk. 


II. Sclerose des Warzenfortsatzes, Cerebral- Abscess, Operation, 
Exitus letalis. 


Frau W., 51 J. alt, kam zu mir und berichtete über eine im 
October 1893 überstandene acute Mastoiditis, in deren Gefolge sich 
starker Ausfluss aus dem äusseren Gehörgang einstellte. Sie hatte 
wiederholt Attaken in Zwischenräumen von 1—3 Monaten mit constant 
tiefsitzendem Schmerz an dem Warzenfortsatz und am Hinterhaupt. Ich 
sah sie das erste Mal am 15. Aug. 1894. Sie klagte über heftigen 
Schmerz im Ohr und Hinterhaupt. Sie konnte im Bette nicht auf dem 
Rücken liegen und konnte dies in Folge der starken Schmerzen schon 
seit einigen Monaten nicht mehr. | 


Das Trommelfell war trüb, leicht vorgewölbt im oberen hinteren 
4 
Quadranten. Hörweite Uhr 40, Keine Schwellung am Warzenfortsatz, 


jedoch klagte sie über heftigen Schmerz dortselbst beim Percutiren mit 
dem Finger. Augen-Hintergrund normal, ausgenommen ein Verschwommen- 
sein beider Optici, Sehschärfe mit +.75 = e 
lichtscheu. Ich schlug einen operativen Eingriff am Warzenfortsatz vor, 
und um ihr vielleicht sofort etwas Erleichterung zu verschaffen, machte 
ich die Paracentese und Politzerte. Eine geringe Menge seröser Flüssig- 
keit entleerte sich. Ich gab Patientin ein Abführmittel, warme Brei- 
umschläge auf Ohr und Warzenfortsatz, und beschloss, am nächsten 
Tage die Operation vorzunenmen; aber plötzlich erhielt ich Nachricht, 
es gehe ihr sehr schlecht und sie wünsche keinen operativen Eingriff. 
Am 24. Aug. kam sie wieder zu mir und bat um Hülfe. Es bestand 
keine auffallende Aenderung weder am Ohr noch am Auge. 


; zeitweise ist Patientin 


25. Aug. Ich eröffnete den Warzenfortsatz, ging ins Antrum vor 
und fand nur wenige Tropfen Flüssigkeit, etwas käsige Massen und 
deutliche Selerosirung. Operation wurde mit allen antiseptischen Cauteln 
ausgeführt. 


26. Aug. Temp. 98,6°, Puls 90. Hatte eine schlechte Nacht, 
leichtes Uebelsein, klagt über Schmerzen im Ohr, klagte jedoch nicht 
mehr über Schmerzen im Hinterkopf und kann seit 5 oder 6 Monaten 
zum ersten Male wieder auf dem Rücken liegen. 


`~ 


Robert E. Moss: Zwei Fälle von otitischer Hirnerkrankung. 305 


27. Aug. Temp, 99,5°, Puls 100. Kopfschmerz und Se, 
leichter Ausfluss aus dem Gehörgang. 


28. Aug. Temp. 98°, Puls 96. Zunge belegt, Verstopfung. Urin 
wenig, stark sauer, spec. Gewicht 1026, kein Eiweiss; Ausfluss aus 
Ohr und Warzenfortsatz ziemlich reichlich, Schmerz sehr heftig, ver- 
weigert die Nahrungsaufnahme. 


29. Aug. Temp. 98°, Puls 90. Zustand so ziemlich der gleiche, 
nur sind beide Opticus-Papillen vollständig verschwommen. Der Zustand 
wechselte bis 12. Septbr. in geringem Maasse, die Temperatur blieb 
1/,—1 Grad unter der Norm, der Puls 90. Der Schmerz wurde jetzt 
so stark, dass ich gezwungen war, grosse Dosen Morphium zu geben. 
um sie einigermaassen zu beruhigen. Pupillen erweitert, Lichtscheu, 
Entzündung der Papille deutlich, Netzhautgefässe stark geschlängelt. 


13. Septbr. Temp. 97,6°, Puls 86. Schlechte Nacht. Gehörgang 
verschlossen, leichte Anschwellung des Gesichtes und der Augenlider, 
Pupillen stark erweitert, sehr bedeutende Lichtscheu, ausgedehnte Retinal- 
Blutungen auf beiden Augen, stärker noch links. Es wurde ein weiterer 
Eingriff vorgeschlagen, derselbe wurde jedoch verweigert. 


14. Sept. Temp. 97,8°, Puls 92. 7 Mal Erbrechen während der 
Nacht. Verweigert jede Nahrung, es wurde die Ernährung per rectum 
angewandt. 

15. Sept. Temp. 98°, Puls 90. Unruhe, Stöhnen und Hin- und 
Herwerfen, flehtt um Hülfe und ist mit der Operation einverstanden. 
Unter Assistenz von Dr. Paschal und Hugh Young legte ich den 
Sinus sigmoideus und lateralis frei und nahm nach oben den Knochen 
in 1!/, Zoll Ausdehnung weg. Es fand sich nichts Abnormes weder 
am Sinus noch an der Dura. Ich untersuchte Sinus und Gehirn mit 
einer Explorativ-Nadel, jedoch mit negativem Resultate, dann spaltete 
ich die Dura und untersuchte das Gehirn über der mittleren Schädel- 
gruppe mit einer Hohlsonde, kam jedoch nicht auf Eiter. Ich hatte 
das positive Gefühl, dass die Sonde in eine Höhle eingedrungen war, 
es entleerte sich jedoch kein Eiter. Ich legte einen Gazestreifen in 
das Gehirn, und zwar !/, Zoll tief in die Gehirnsubstanz selbst, liess 
die Wunde offen, stopfte sie lose mit Gaze aus und legte einen Ver- 
band an. 

16. Sept. Temp. 98,6 °, Puls 96. Schlief in der Nacht 6 Stunden 
ohne jede Arznei, leichtes Uebelsein, kann peptonisirte Milch und frischen. 
Beef-Thee zu sich nehmen. 


306 Robert E. Moss: Zwei Fälle von otitischer Hirnerkrankung. 


17. Sept. Temp. 98,6°, Puls 86. Erbrechen während der Nacht, 
wieder unruhig, klagt über das Ohr, Pupillen erweitert, reagiren auf 
Licht. Verbandwechsel, Wunde vollkommen trocken. 

18. Sept. Temp. 98,6, Puls 86. Pupillen normal, hatte eine 
gute Nacht, bittet um kräftige Kost. Verband mit Eiter durchtränkt, 
so dass man das Kleid und Kopfkissen durch Leinwand schützen musste. 
Verband entfernt, es zeigte sich, dass der Eiter sich entlang dem in 
das Gehirn eingelegten Gazestreifen entleert hatte. Ich führte eine 
biegsame Sonde mit kolbenförmiger Spitze ein und fand die Höhle in 
1!/, Zoll Tiefe. Die Oeffnung wurde erweitert und ein Gazestreifen 
eingelegt. 

19., 20., 21. Sept. Zustand fast der gleiche, Pupillen normal, 
Ausfluss sehr gering, verlangt gierig nach Nahrung, klagt über Schmerz 
nach vorne vom Ohre. 

22., 23., 24. Temp. normal, Puls 90. Schmerz noch immer nach 
vorne vom Ohre, zeitweise Schwindel, was sehr beängstigend ist. 

25. Sept. Temp. 98,4°, Puls 86. Kein Ausfluss, Gehörgang ver- 
schlossen, Pupillen erweitert. 

26. Sept. Temp. 97,8°, Puls 90. Pupillen stark erweitert, kein 
Ausfluss, heftiger Kopfschmerz. 3 Uhr Nachm. Temp. 98,6 °, Puls 92. 
Pupillen mässig erweitert, Ausfluss aus der Wunde unbehindert. Der 
Zustand blieb bis zum 1. Octbr. ungefähr der gleiche. Temp. 100,5, 
Puls 96, Pupillen leicht erweitert. 11/, Uhr Nachm. Temp. 101,8°, 
Puls 96, Patientin hat grosse Schwierigkeit, sich mit ihrer Umgebung 
zu verständigen, da sie die Worte, die sie braucht, nicht finden kann; 
wenn man ihr zu Hülfe kommt, will sie dann den Satz beenden. Es 
war nur geringe Veränderung bis zum 9. Octbr., ausgenommen eine 
zeitweise auftretende leichte Steigerung der Temperatur. 

9. Oct. 7!/, Uhr früh. Temp. 98,6% Puls 86. Kein Ausfluss, 
Pupillen normal, schlief in der Nacht 8 Stunden. 7!/, Uhr Nachm. 
Temp. 103°, Puls 112, unruhig, murmelt im Delirium. Dann stieg 
das Fieber von 103° auf 106° und sie starb am 13. Octbr. Section 
verweigert. 

Der Tod trat entweder als Folge des ursprünglichen Abscesses durch 
septische Meningitis oder in Folge eines zweiten Abscesses ein. 


V. Internationaler Otologischer Congress in Florenz 
vom 23. bis 26. September 1895.*) 
Bericht von T. Bobone in San Remo. 


Die Begrüssung fand am 22. September, 9 Uhr Abends im Hause 
des Herrn Professor Grazzi statt, wo eine gemüthliche Tanzgesellschaft, 
an welcher zahlreiche Damen sich betheiligten, die gesammten Theil- 
nehmer vereinigte. 


Die Sitzungen wurden im Istituto degli Studi Superiori 
abgehalten. 


1. Sitzung. 
Montag, den 23. September, 10 Uhr Morgens. 


Vorstand: Prof. Grazzi. 


Prof. Grazzi eröffnet den Congress mit einer warmen Anrede, 
begrüsst alle die Theilnehmer, insbesondere Delstanche und Politzer, 
durch welche heute Florenz die Ehre hat, so zahlreiche, aus allen 
Regionen der Welt kommende, Cultoren der Otologie gastfreundlich zu 
empfangen; bedauert den Verlust von hervorragenden Collegen wie 
Professor Moos, Sapolini, Longhi, von Tröltsch, Joly, 
Helmholtz, Tafani, die, von der unerbittlichen Parze, der Humanität 
und der Verehrung ihrer Schüler geraubt worden sind, und erklärt im 
Namen Seiner Majestät Humbert I, Königs von Italien den V. Inter- 
nationalen Otologischen Congress für eröffnet. | 


Prof. Politzer spricht sodann zur Gedächtnissfeier des jüngst 
verstorbenen und verehrten Prof. Moos. | 


Für die Dauer des Congresses wurden, zum Vorsitzenden Professor 
Grazzi, zu Schriftführern DDr. Benni, Bobone, Creswell-Baber 
und Chiucini ernannt. 

*) Die Vorträge der Herren Avoledo und Szenes konnten dem Berichte 
nicht eingefügt werden, da diese Herren trotz mehrfacher Aufforderung ihr 
Manuscript bis zur Drucklegung dieses Berichtes noch nicht an den Schrift- 
führer des Congresses eingeliefert hatten. 


308 Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz. 


O N D ut o N H 


30, 
36. 


Theilnehmerliste. 


. Arslan-Padua. 
. Avoledo-Mailand. 


W. W. Baldwin-Florenz. 
Bar- Nizza. 

Benni- Warschau. 
Bianco-Turin. _ 
Bobone-San Remo. 


. Boucheron -Paris. 

. Brieger- Breslau. 

. Bronner- Bradford. 

. Brunetti- Venedig. 

. Buscaroli-Imola. 

. Canapelo-Wien. 

. Capart- Brüssel. 

. Chiucini-Rom. 

. Coldstream - Florenz. 


Coosemans- Brüssel. 


. Corradi-Verona. 

Cresswell Baber - Brighton. 
. D’Aguanno-Palermo. 

. Daly-Pittsburg. 

. Damato- Neapel. 


Damieno-Neapel. 
Delie-Ypres. 


. Delstanche- Brüssel. 

. De Roaldes-New-Orleans. 
. Dundas Grant- London. 
. Ferreri-Rom. 


Ficano - Palermo. 
Galetti-Milan. 


. Garzia- Neapel. 
. Gellè- Paris. 
. Goris- Brüssel. 


Gouguenheim-Paris. 
Gradenigo-Turin. 
Grazzi- Florenz. 


2. Sitzung. 


37. 
38. 
39. 
40. 
41. 
42. 
. Lubet Barbon-Paris. 

. Macnaughton Joney-London. 
. Madeuf-Mont-Dore. 

. Martin-Paris. 

47. 
48. 
49. 
50. 
öl. 
52. 
53. 
54. 
55. 
56. 
57. 
58. 
59. 
60. 
61. 
62. 
63. 
64. 
69. 
66. 
67. 
68. 
69. 
70. 
11. 


43 
44 
45 
46 


Heiman- Warschau. 
Helme-Paris. 

Kirchner -Würzburg. 
Knapp, Arnold, New-York. 
Krzywicki- Königsberg. - 
Locatelli-Pesaro. 


Masini-Genua. 
Moltisanti-Siracusa. 
Mongardi-DBologna. 
Morpurgo- Triest. 
Moure- Bordeaux. 

Numa Cam pi- Livorno. 
Okuneff-Petersburg. 
Palazzolo-Agira. 
Pietkowski-Radoin. 
Politzer-Wien. 
Putelli-Venedig. 
Ricci-Savona., 
Rutten-Nemours. 
Secchi-Bologna. 
Secretan-Lausanne. 
Slimon- London. 

St.-Clair Thompson- London. 
Steele- Florenz. 
Ston e- Liverpool. 

Suñe y Molist- Barcelona. 
Szenes- Budapest. 

Urban Pritchard- London. 
V erdos - Barcelona. 
Walton Browne- Belfast. 
Zapparoli-Mantua. 


Montag, den 23. September, 3!/, Uhr Nachmittags. 
Vorstand: Prof. Grazzi. 


1. Herr Gelle-Paris: Die allgemeine Behandlung der Ohren- 
krankheiten (Thèse). 


Bei den Ohrenkrankheiten, die so oft in Verbindung mit constitutionellen, 
oder hereditair-syphilitischen, oder, noch öfter, infectiösen Zuständen stehen, ist 


Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz. 309 


eine allgemeine Behandlung unentbehrlich. G. bespricht zuerst die Prophylaxis, 
indem er erinnert an die multiplen Infectionswege beim Fötus, bei dem Neu- 
geborenen und beim Kind, die sich, sehr oft, mit einer Miterkrankung des 
Ohres combiniren. Darauf folgt die Heredität, die infectiösen Processe der 
Mutter während der Schwangerschaft, die hygienischen und diätetischen Fehler; 
alle Ursachen von Darmentzündungen bei Kindern, von Atrophie und Eiterungen. 
Wie oft das Ohr mit suppurativen Processen unter diesen Bedingungen reagirt, 
ist bekannt. 

Der Vortragende referirt nun über die allgemeine Behandlung der Otitis 
acuta. Diese Behandlung kann anfangs eine abortive sein, insbesondere in 
Fällen von Oto-Osteoperiostitis infectiva, solche z. B., die mit der 
Influenza in Verbindung sind, wo eine allgemeine Behandlung, obwohl nicht so 
erfolgreich, doch nicht unnützlich bleibt. Die verschiedenen Indicationen bei 
der Otitis grippalis, Otitis rheumatica, guttosa etc., werden aus- 
führlich besprochen. G. hofft, dass die Serumtherapie in kurzer Zeit im Stande 
sein wird, die Immunität zu versichern. 

Die allgemeine Behandlung bei der Otitis media chronica muss auf 
die ätiologischen Momente derselben begründet sein; Tuberkulose, Scrophulose, 
Syphilis, Diabetes, Cachexie, Schwangerschaft ete. Hier folgt eine lange Auf- 
zählung der Thermalwässer, Bäder, Curorte, die für die verschiedenen Fälle be- 
sonders indicirt sind. 

In dem folgenden Capitel bespricht der Vortragende die allgemeine Be- 
handlung der Fälle von Otitis chronica, die durch das Auftreten von 
Schwindelanfällen characterisirt ist. Es handelt sich hier darum, die nervöse 
Ueberreizbarkeit der Nervencentra und des Labyrinthes zu modificiren. Jene 
Formen, die mit subjeetiren Gehörsstörungen vorkommen, müssen auch unter 
einen besonderen klinischen Typus gruppirt werden, und können auch durch 
verschiedene allgemeine,. sowohl interne als externe Mittel. behandelt werden. 
Das letzte Capitel ist der Schwerhörigkeit im Allgemeinen gewidmet. Hier 
werden besprochen die Behandlung mit der Suggestion, dem Hypnotismus und 
der Electrieität. 

Aber es bleibt immer festgestellt, dass bei allen Formen von Ohren- 
erkrankungen insbesondere die Localbehandlung wirkt, während die allgemeine 
Behandlung, obwohl nicht zu unterschätzen, doch jedenfalls in der zweiten Linie 
bleiben muss. 


2. Herr Arslan Yerwant: Beiträge zur Lehre von den adenolden 
Wucherungen. 


Anknüpfend an dievon Gradenigo und Corradi ausgesprochene Meinung 
hält Arslan doch die adenoiden Wucherungen in Italien für häufiger als im 
Allgemeinen geglaubt wird. Unter 4080 mit Ohren-, Nasen- und Rachenkrank- 
heiten behafteten Individuen fand A. adenoide Granulationen 426 mal, also in 
10,70/o der Fälle. Folgt eine sehr ausführliche Statistik über Sitz und Behand- 
lung der Granulationen; Geschlecht, Alter der Kranken u. s. w. 

Was die Aetiologie betrifft, ist der Vortragende der Ansicht, dass man 
nicht dem nassen Klima eine so grosse Bedeutung beilegen soll. Hier treten die 
dyscrasischen Krankheiten und die Erblichkeit in den Vordergrund. 


310 Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz. 


Dann betrachtet der Vortragende die verschiedenen Complicationen, die er 
in zwei Gruppen eintheilt. Die erste Gruppe umfasst die Krankheiten des 
Ohres, die Entzündungen der oberen Luftwege, die Nasenblutungen; die zweite 
Gruppe die Reflexerscheinungen. Die Behandlung wird ausführlich besprochen: 
Kurzdauernde Anästhesie mit Bromäthyl; rasche und womöglich im Laufe einer 
einzigen Sitzung erfolgende Abtragung der Granulationen. Das fast immer vom 
Vortragenden benutzte Instrument ist das Moritz Schmidt’sche Messer. 


Discussion: Herr Corradi. Goris empfiehlt die Gottstein'sche 
Curette und die Anästhesie. 

Herr Helme sagt, dass man vor dem 14. Jahre nicht das Cocain anwen- 
den solle, welches nicht im Stande ist, die Furcht des Patienten zu unterdrücken. 
Die Wirkung des Bromäthyls ist zu kurz. H. meint, dass die Einführung des 
Fingers in den Nasenrachenrauın nach der Operation Ursache zur Entwickelüng 
von infectiösen Processen sein kann. 

Herr Gradenigo bemerkt, dass das Verhalten des Operateurs nicht 
immer dasselbe sein kann. Bei Kindern, die niemals operirt worden sind, ge- 
schieht manchmal die Operation auch ohne Anästhesirung. Er zieht dem 
Chloroform das Bromäthyl vor. Nach der Operation sind die Ausspülungen 
mindestens überflüssig, weil das Blut das beste Antiseptikum ist. 

Herr Pritchard operirt unter Anästhesie, die durch die Einathmung 
eines, mit einer kleinen Menge Aether gemischten speciellen Gases erzeugt mu. 
Er macht Ausspülungen mit einer antiseptischen Lösung. 

Herr Cresswell Baber empfiehlt die strengste Asepsis der Instrumente. 

Herr D’'Aguanno glaubt, dass die Anästhesirung nicht nöthig sei; operirt 
mit der Löwenberg’schen Zange in einer Sitzung. 

Herr Moure ist der Meinung, dass die Anästhesirung für viele Fälle un- 
entbehrlich ist. Die complete Entfernung der Granulationen ist nicht nöthig; 
man soll nur jene abtragen, die sowohl die Athmung als die Function der 
Tuben behindern. 

Herr Secretan macht auf die Häufigkeit der adenoiden Granulationen 
im Schweizerland aufmerksam. Er spricht sich im Allgemeinen gegen die 
Anästhesie aus. 

Herr Dundas Grant benutzt als Anästheticum das Stickstoffoxyd, be- 
ginnt die Operation mit dem Finger und beendet dieselbe mit Löffel oder 
Zange. Hände und Instrumente sind vollständig zu sterilisiren. 

Herr Bobone glaubt, dass auch in Italien die adenoiden Granulationen 
ziemlich oft vorkommen, aber nicht an der Meeresküste. An der Riviera hat 
er sehr wenige Fälle gesehen. 


3. Herr Okuneff: Die Auscultation des Warzenfortsatzes bei 
seiner Sclerose. 


Vortragender erklärt sich gezwungen, der Bedeutung der Sache wegen, 
eine schon publieirte Untersuchungsmethode zu wiederholen: Die Methode be- 
steht darin, dass eine kleine klingende Stimmgabel, die mit dem Ohre mit 
Hülfe eines Gummischlauches in Verbindung steht, über die Mastoid- resp. die 
Perimastoidgegend applicirt wird. Bewegt man nun die klingende Stimmgabel 
nach verschiedenen Richtungen, so werden vom Untersucher verschiedene Modi- 


Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz. 311 


ficationen, die mit der Dichtigkeit des darunterliegenden Knochens in Zusammen- 
hang stehen, pereipirt. | 


Discussion: Herr Morpurgo hat seinerseits die Versuche Okuneff’s 
wiederholt, und ist zu keinem positiven Resultate gekommen. 


4. Herr Avoledo: Welche Resultate hat bis jetzt die intra- 
tympanale Chirurgie bei der Behandlung der an eitrige Mittelohrent- 
zündungen sich anschliessenden Schwerhörigkeit gegeben ? 


Discussion: Herr Ficano fragt, ob die von Avoledo erzählten Ver- 
besserungen wirklich als Folge der Extraction des Trommelfells und des Hammers 
zu betrachten sind, oder mehr des bei diesen Operationen stattfindenden Ziehens 
am Steigbügel, welches die möglicherweise vorbandenen Adhäsionen zwischen 
der Steigbügel-Platte und der Fenestra ovalis zerreisst. 

Herr Politzer findet in dem Vortrage Avoledo’s kein Wort über die 
intratympanalen Operationen im Bereiche der inneren Wand der Paukenhöhle, 
die für den acustischen Effect noch wirksamer sind. Er meint nämlich die 
Durchschneidung der zwischen der Platte und der Fenestra ovalis liegenden 
narbigen Stränge, sowie jene, die manchmal den Hammer mit der inneren Wand 
der Paukenhöhle verbinden. Aehnliche Resultate sind auch von der Resection 
der hinteren Falte zu gewinnen. 

Herr Gradenigo wünschte über einen Punkt besser aufgeklärt zu sein. 
Es scheint, dass Avoledo von acuten, nach wenigen Tagen zu completer Taub- 
heit führenden Mittelohreiterungen gesprochen hat. Er meint, dass es in solchen 
Fällen sich um sehr nervöse oder syphilitische resp. tuberculöse Leute handle. 

Herr Morpurgo: Die intratympanalen Operationen zu acustischem Zwecke 
können die Suppuration zurückbringen; die Extraction des Ambosses zieht, nicht 
selten, Facialparalyse mit sich. Sehr oft giebt die conservative Behandlung 
unerwartete Erfolge. 

Herr Gelle erinnert an die Recidive, die manchmal den chirurgischen Ein- 
griffen in der Trommelhöhle folgen. Dieselben sind nicht selten ein Zeichen, dass 
die Krankheit in den Mastoidzellen liegt, was die Eröffnung der letzteren erfordert. 

Herr Dundas Grant hat manchmal eine zweifellose Verbesserung nach 
der vollständigen Auslösung des hinteren Ligamentes des Hammers, womit eine 
mehr complete Ausspülung des Raumes und Entfernung cholesteatomatöser 
Massen möglich wird, constatirt. 

Herr Ferreri hat glänzende Erfolge von der caustischen Behandlung 
gesehen. 

Herr Moure sagt. dass die Erkrankungen des vorderen-oberen Theiles der 
Paukenhöhle sehr oft auf Caries oder Necrose des Hammers beruhen, der 
exstirpirt werden soll; während jene des hinteren-oberen Theiles die Extraction 
des Hammers mit dem Amboss erfordern, sowie die Resection der oberen- 
inneren Wand des äusseren Gehörganges. — Arslan, Ferreri, 

Herr Delstanche bemerkt dazu, dass bei den Erkrankungen des Kuppel- 
raumes die Extraction des Hammers, combinirt mit Ausspülungen und Aetzungen 
mittelst flüssigem Chlorzink, die Beseitigung der Otorrhöe erzielt. Nur aus- 
nahmsweise musste er zur Extraction des Ambosses, oder zur Eröffnung des 
Warzenfortsatzes schreiten. — Urban Pritchard, Daly, Helme, Avoledo. 


312 Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz. 


5. Herr Coosemans: Ein Fall von Horn der Ohrmuschel. 


Patient war 71 Jahre alt. Die Warze datirte seit dem 1. Jahre und hat 
in Folge von Kratzen des Pat. imıner zugeuominen. Dann und wann sehr 
leichte Blutungen. - Das Neoplasma wurde an der Basis abgetragen. Vortragender 
zeigt Photographieen des Falles und mikroskopische Präparate. Er schliesst den 
Vortrag mit einer Uebersicht über die bis jetzt vorliegende Literatur. 


3. Sitzung. 
Dienstag, den 24. September, 9 Uhr Vormittags. 
Vorstand: Prof. Politzer. 


6. Herr Gradenigo: Die allgemeine Behandlung bei der Otitis 
interna (Thèse). 


Der Vortragende meint, dass die Specialisten bis jetzt zu viel vergessen 
haben Biologen, Aerzte und Chirurgen zu sein, und die Beziehungen zwischen 
dem Ohr und dem gesammten Organismus übersehen haben. In Folge dessen 
war die ganze Therapie lange Zeit hindurch auf die Nasenluftdouche gestützt. 
Es war nämlich die Entdeckung der Beziehungen zwischen den Ohrenkrank- 
heiten und jenen des Nasopharynx, welche der Therapie die Hülfe der Chirurgie 
zugebracht bat. Meyer hat mit seiner Entdeckung der adenoiden Wuche- 
rungen der Behandlung der Otupathien einen grossen Aufschwung gegeben; ver- 
vollständigt durch die Bekanntschaft mit der Pathologie des Schläfenbeines. 
Der Otiater aber ist noch nicht Arzt genug. Es sind nämlich die Krankheiten 
des inneren Ohres, die durch eine allgemeine Behandlung beeinflusst werden 
können. Sehr wichtig für die Therapie ist das ätiologische Moment, weil ver- 
schiedene Ursachen dieselbe klinische Form geben können, und andererseits 
verschiedene klinische Formen aus einer und derselben Ursache hervorgehen 
können. 

Die Otitis interna kann erworben oder erblich sein. Die erworbene 
ist öfter mit der Syphilis oder dem Rheumatismus verbunden. Bei den syphi- 
litischen Formen giebt eine früh eingeleitete specifische Behandlung sehr oft 
glänzende Resultate. Gradenigo hat nämlich die innerliche Darreichung von 
alkalischen Jodkuren und die intramusculären Quecksilberinjectionen benützt. 
Weniger oder gar nicht wirkt die allgemeine Behaudlung bei den rheumatischen 
Formen. Nur die Hydrotherapie, die das Hautsystem stärkt und die Häufigkeit 
der Recidive der Entzündungen in dem Nasopharynx vermindert, hat, nebst 
einer Localbehandlung, die besten Resultate gegeben. Die Proguosis der Otitis 
interna, die der Otitis media bei Tuberkulösen folgt, ist immer eine 
ungünstige; eine Besserung ist nur möglich, wenn der Allgemeinzustand sich 
bessert. Gute Resultate hat die innerliche Darreichung von Jod bei der 
Gewerblabyrinthitis gegeben. Die Kranken die an Otitis interna erblichen 
Ursprungs leiden, können, nach Gradenigo, in 3 Gruppen eingetheilt werden, 
und zwar: 1. Tuberkulöse, oder von tuberkulösen Familien stammende, 2. Syphi- 
litische, 3. jene, in deren Familie analoge Formen von Otitis existiren. Bei 
den ersten zwei Gruppen muss die Erblichkeit in dem Sinne aufgefasst werden, 
dass es sich hier nur um eine verminderte Resistenz des Organismus gegen die 


Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz. 313 


pathogenen Ursachen handelt. Die krankhaften Processe, die das Ohr in diesen 
Fällen afficiren, können paratuberkulöse oder parasyphilitische genannt werden. 
Hier hat die innere Behandlung den Hoffnungen nicht entsprochen. Bei den 
parasyphilitischen Formen bessert die specifische Behandlung, heilt aber nicht; 
bei den paratuberkulösen wurde die lang fortgesetzte Darreichung des Jods 
zwar von einigen, aber sehr geringen, Resultaten gekrönt. 


Discussion: Herr Morpurgo berichtet kurz über die Vortheile der 
Nasenluftdouche und fürchtet, mit von Tröltsch, nicht so sehr das Eindringen 
der Mikroorganismen in die Trommelhöhle. Was die allgemeine Behandlung 
betrifft, so sind alle Behandlungsweisen, — die specifische gegen die Syphilis 
ausgenommen — unsicher. 


Herr Cresswell Baber hat in vielen Fällen von Otitis labyrinthica die 
Pilocarpininjectionen benützt, die nur wenige Male erfolgreich gewesen sind. 
Er meint, dass, wenn nach 3—4 Injectionen das Resultat Null bleibt, es besser 
sei, nicht fortzusetzen. Einzelne Erfolge sah er bei den mit Myxoedem compli- 
cirten Otitiden von Darreichung der Thyreoiddrüse. 


Herr Moure spricht über die Nothwendigkeit der allgemeinen Behand- 
lung bei Otitis diabetica. 


Herr Dundas Grant ist der Ansicht, dass man zuerst jene Fälle unter- 
scheiden muss, wo die Schwerhörigkeit wirklich von einer Erkrankung des 
inneren Ohres oder der Centra stammt, und jene, wo die Schwerhörigkeit eine 
blos functionelle ist. In den letzten Fällen ist die Pilocarpinbehandlung ein 
Fehler. 

Herr Corradi hat nach Pilocarpininjectionen sehr wenige Erfolge beob- 
achtet, meint aber, dass man sie nicht nach 4 Injectionen sistiren soll. 


Delie und Gell& empfehlen, für die interne Behandlung Combination 
des Jods mit Tannin, wodurch das Jod durch lange Zeit ertragen wird. 


7. Herr Brieger: Ueber primäre Ostitis des Warzenfortsatzes. 


Unter den beschriebenen Fällen von primärer Ostitis des Warzenfortsatzes 
finden sich vielfach solche, in denen es sich um abgeschlossene Empyeme der 
Terminalzellen gehandelt hat. Ob diese Empyenie primär vorkommen, ist zum 
mindesten zweifelhaft. Als primäre Östitiden wären nur solche Fälle anzu- 
erkennen, die nicht von der Auskleidung der Warzenzellen, sondern von einer 
wirklichen Osteomyelitis ihren Ausgang genommen haben. 

Die Localisation acuter infectiöser Osteomyelitis am Warzenfortsatz ist 
bisher nur von Küster als möglich bezeichnet, sonst allgemein angezweifelt. 

Der Vortragende bespricht einen Fall von acuter Erkrankung des Warzen- 
fortsatzes. mit von Anfang an geringfügiger, rasch vorübergehender, anscheinend 
nur collateraler Betheiligung der Paukenhöhle, bei welchem sich allmählig das 
Bild der nach Bezold benannten Form des Durchbruches durch die Incisura 
mastoidea entwickelte. Bei der Operation, zwei Monate etwa nach dem Beginn 
der Erkrankung, fand sich unter dicker, intacter Corticalis, ein etwa wallnuss- 
grosser, mit Granulationsmassen und einer spärlichen Menge Eiter erfüllter 
Hohlraum, welcher einen gelösten, deutlich noch diploetische Beschaffenheit 
zeigenden Sequester enthielt. Gegen die Unterfläche bestand noch eine dünne, 

Zeitschrift für Ohrenbeilkunde, Bd. XXVII. 21 


314 Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz. 


breit durchbrochene Knochenschale. Es bestand ferner ein Senkungsabscess 
unter dem Kopfnicker bis zur Mitte des Halses. Die Paukenhöhle war, seit 
Rückgang der anfänglich vorhandenen Transsudation, andauernd frei geblieben. 

Der Vortragende meint, dass vielleicht der sogen. Bezold'schen Mastoi- 
ditis, bei welcher, im Allgemeinen allerdings das Vorhandensein grosser Hohl- 
räume die Regel darstellt, hier und da eine primäre Ostitis zu Grunde liegen 
könne. Die Bedingungen für die Localisation der Osteomyelitis am Warzen- 
fortsatz sind nicht sehr ungünstige, jedenfalls bessere als für ihr Vorkommen 
an den übrigen Schädel- und Gesichtsknochen. Wenn aber die Localisation der 
Osteomyelitis am Warzenfortsatz theoretisch möglich ist, so wird sie doch immer 
nur eine seltene Ausnahme darstellen, und es bleibt immer noch die Mahnung 
Schwartze’s in Geltung, welcher räth, an die Diagnose dieser Krankheits- 
formen immer nur mit Misstrauen heranzugehen. 

Im Anschluss an Infectionskrankheiten entwickelt sich eine wirkliche 
Ostitis des Warzenfortsatzes ausserordentlich selten. Vortragender be- 
zweifelt die Beweiskraft der als Ostitis beschriebenen Fälle bei Influenza und 
Masern, bei welcher letzteren Krankheit er fast regelmässig in Fällen acuter 
Paukeneiterung die Terminalzellen miterkrankt fand. Nur für den Ileotyphus 
giebt Brieger die Möglichkeit primärer Ostitis des Warzentheils auf Grund 
seiner Erfahrungen zu. Auch das Vorkommen primärer Ostitis bei Diabetes 
ist durchaus unwahrscheinlich. 

Vortragender bespricht sodann die Seltenheit des Vorkommens primärer 
Tuberkulose des Warzenfortsatzes und die Schwierigkeit ihrer Erkennung. 
Es ist oft ausserordentlich schwer, zuweilen unmöglich, durch die Untersuchung 
der Granulationen oder gar des Knocheneiters auf Tuberkelbacillen die tuber- 
kulöse Natur des Knochenprocesses zu beweisen. 


4. Sitzung. 
Dienstag, den 2. September, 31/, Uhr Nachmittags. 
Vorstand: Prof. Gelle. 


Discussion des Vortrages von Herrn Brieger. 


Herr Morpurgo fragt, wie der exacte Zustand der Trommelhöhle und 
des (ehörs war. 

Herr Brieger antwortet, dass nichts als durchscheinende Hyperämie der 
Paukenhöhlenschleimhaut otoskopisch nachweisbar war. Am 2.—3. Tage fand 
sich eine Transudatansammlung, die, durch Paracentese entleert, schnell wieder- 
kehrte, aber nach etwa einer Woche definitiv beseitigt war. 

Herr Gell& hat einen Fall von, nach einem kalten Bad sich entwickeln- 
der, primärer Ostitis beobachtet. 


8. Herr Corradi: Die traumatischen Perforationen des Trommel- 
felles aus indirecter Ursache, insbesondere unter gerichtsärztlichem Ge- 
sichtspunkt. 


Herr C. erörtert in Kürze die verschiedenen Ursachen der indirecten Perfo- 
ration des Trommelfells. Für die Fälle, wo eine Compression der Luft im 


Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz. 315 


äusseren Gehörgang stattgefunden hat, ist Vortragender zu Schlüssen ge- 
kommen, die mit jenen Politzer’'s übereinstimmend sind. Aber die Gestalt 
und der Sitz der durch einen Stoss oder Schlag auf den Kopf erzeugten Perfo- 
ration sind sehr verschiedene, wenn sie mit einer Knochenfractur complicirt ist. 
In Fällen, wo keine Knochenfractur vorhanden ist, liegt die Perforation an der 
Peripherie des Trommelfells. Die Bedingung, die in den letzteren Fällen die 
Perforation ermöglicht, ist ein Tensionszustand des Trommelfells, erzeugt beim 
Lebenden, durch die Contraction des Osteomuscular-Apparates, und begünstigt 
durch das Vorhandensein von Alterationen, wie trockene Catarrhe und hyper- 
plastische Formen, oder auch Atrophie oder Narbe des Trummelfells gegen die 
Peripherie. Vortragender berichtet über 3 Fälle, wo eine solche Perforation 
stattgefunden hat. Sie kommt jedoch sehr selten vor, und lässt immer die 
Wirkung einer bedeutenden Gewalt vermuthen. Es muss demnach möglich sein, 
nach dem Sitz der Perforation sagen zu können, welches ihr Entstehungs- 
Mechanismus war, was von gerichtsärztlichem Standpunkte seine Bedeutung hat. 


In der Discussion bemerkt Politzer, dass der Vortragende ein 
wichtiges Symptom vergessen hat, das für die Differentialdiagnose zwischen 
frischen und alten, von suppurativen Processen stammenden, Perforationen sehr 
wichtig ist. Bei ersteren sind die Wundränder mit Blut bedeckt und bei 
Valsalva geht die Luft sehr leicht im äusseren Gehörgange durch, während bei 
pathologischen Perforationen die Luft nur unter grösserem Drucke und pfeifend 
durchdringt. 


9. Herr Ferreri; Die Alterationen des Mittelohres im Greisen- 
alter. Be | 


Herr Ferreri hat an über 201 Greisen Versuche gemacht, um festzu- 
stellen, ob die Schwerhörigkeit, die das Greisenalter afficirt, von einer hyper- 
plastischen Otitis media oder von einem Involutionsprocesse stamme. Er hat 
auch zu diesem Zwecke zwei Schläfenbeine von Greisen von resp. 92 und 112 
Jahren stammend, anatomisch untersucht, und nachgewiesen, dass bei ihnen die 
Taubheit die Folge einer .Otitis media hyperplastica war, die zur Verunstaltung 
des Stapes, Volumzunahme seines Köpfchens und seiner Schenkel, und Biegungen 
der Platte geführt hatte. Der Steigbügel war atrophisch. 


Bei der Mehrzahl der Greise handelt es sich um eine langsame graduelle 
bis zu completer Taubheit führende Verminderung des Gehörs, ohne oder nur 
mit geringfügigen Veränderungen (Atrophie der Membran, Ceruminal-Pfröpfe, 
Sclerosis peritympanica, Trockenheit des Gehörganges). 


Was die Acusticusfunction betrifft, stellt Vortragender 7 Tabellen vor, die 
die Resultate zahlreicher Stimmgabelversuche enthalten; deren Schlussfolgerungen 
sind die folgenden: 

1. Bei Greisen findet die Knochenleitung vorzüglich durch das rechte Ohr 
statt, während 2. die Luftleitung durch das linke Ohr stattfindet; 3. Von 201 
Individuen waren nur 21 absolut frei von Labyrinthläsionen; 4. Es scheint, dass 
die Perception der Uhr bei Greisen besser ist als jene der Flüstersprache; 
5. Die Greise mit gesunden Ohren sind zahlreicher als die Greise, die mit Ohren- 
krankheiten behaftet sind. 


21" 


316 Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz. 


Aus den Untersuchungen des Vortragenden geht hervor, dass als Ursache der 
Schwerhörigkeit oder Taubheit im Greisenalter nach ihrer Frequenz die Ceru- 
minalansammlungen, die hyperplastischen Formen des Mittelohrs, die Folge von 
Mittelvhreiterungen, die chronischen Mittelohreiterungen und schliesslich die 
seltenen Acusticusläsionen zu betrachten sind. 


Bei der Discussion meint Gradenigo, dass bei Greisen, wo die Unter- 
suchung keine Läsion nachweist, es sich mit grosser Wahrscheinlichkeit um 
Involutionsprocesse, sowohl des Mittelohrs als der acustischen Epithelien handelt. 

Herr Politzer stimmt mit Ferreri nicht überein, indem nach seinen 
Beobachtungen in der Mehrzahl der Fälle eine Verknöcherung der Labyrinth- 
kapsel existirt. 

Herr Masini verneint die Existenz eines Involutionsprocesses als Ursache 
der leichten Schwerhörigkeit im Greisenalter. 


10. Herr Bar: Eiterung des Mittelohres und Mastoiditis nach einer 
Adenoid-Operation während einer Influenzaepidemie. 


Schon einige Tage vor der Operation, Nasendouche mit 4procentigem 
Borwasser. Vortragender hat, unter Bromäthylnarcose mit der Löwenberg- 
schen Zange und der Gottstein'schen Cürette operirt. Der Operation folgte 
eine Aristoleinblasung. Die Paukenentzündung begann 3 Tage nach dem Ein- 
griff, die Mastoiditis 1 Tag später. Vortragender ist der Ansicht, dass während 
der Epidemieen, die schon an sich zu infectiösen Processen in den oberen Luft- 
wegen führen, das ÖOperiren nicht anzurathen sei, und warnt vor den Nasen- 
irrigationen, die, wie vielleicht bei seinem Kranken der Fall war, in die Pauken- 
höhle per tubam eindringen könnten. 


Discussion: Herren Baber, Bar. 


11. Herr Delstanche: Das flüssige Vaselin in der Behandlung 
der Mittelohrerkrankungen. 


Die guten, von ihm publicirten, Resultate der intratympanalen Injectionen, 
von flüssigem Vaselin wurden von zahlreichen Autoren bestätigt. Vortragender 
wendet sich gegen Alt's Anklage, er verlange, dass die Injectionen die Para- 
centese des Trommelfelles ersetzen müssten. Er hat nur geschrieben, dass in 
Fällen, wo die Paracentese nur vorübergehende Resultate giebt, die Vaselin- 
injectionen vorzuziehen sind. Er rühmt im Gegensatz zu Alt die schönen Erfolge 
der Injectionen von einfachem oder jodoformirtem Vaselin bei der Otitis media 
purulenta acuta, die manchmal eine ausgeprägte Abortivwirkung gehabt haben. 
Er injicirt 3—4 gr. Das Vaselin muss rein, farblos, geruchlos und sterilisirt 
sein. Der Jodoformzusatz ist nur bei den infectiösen. Otitiden nothwendig. 


Discussion: Herr Secretan injicirt nur 0,50 ce Vaselin und sah gute 
Resultate bei der Otitis acuta, weniger bei der chronica und sclerotica. 

Herr Sune y Molist hält grössere Mengen für überflüssig. Er injicirt 
nur 6—8 Tropfen. a 

Herr Grant hat die intratympanale Sonde benutzt, die erlaubt, eine 
grössere Kraft auszuüben. Er konnte in der Weise Adhäsionen lösen und sehr 
bedeutende und rasche Verbesserungen erhalten. - 


Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz. 317 


Herr Brieger hat die Delstanche’sche Methode in mehreren Fällen 
von trockenem Mittelohrcatarrh sehr nützlich gefunden. 

Herr Politzer erinnert, dass bei der ächten Sclerose, wo die Proliferation 
von Knochengewebe in der Labyrinthkapsel besteht, Stapesankylose u. s. w. 
jede Behandlung unnütz ist. Bei chronischen Catarrhen des Cavums mit 
Adhäsionen zwischen den Gehörknöchelchen und der inneren Wand der Pauke 
erzielen die Injectionen nach Delstanche mehr oder weniger glänzende 
Besserungen. 


12. Herr Macnaughton Jones: Die Beziehungen der Muschel- 
hypertrophie zur Schwerhörigkeit, mit besonderer Rücksicht auf die 
Operation der Turbinotomie. 


Es wäre zu wünschen, sagt der Vortragende, dass dann und wann die 
Kritik den unnöthigen Drang zu Operationen, insbesondere von Seiten der jungen 
Enthusiasten, zu mässigen suche. Er hat eine Enquête gemacht bezüglich der 
Frage über den Einfluss der Muschelhypertrophie auf das Gehör, und die beste 
Behandlung derselben. Die Antworten lauteten in der Weise, dass die englischen 
ÖOtologen im Allgemeinen der Ansicht sind, dass diese Hypertrophie sehr oft 
Schwerhörigkeit und Sausen begleitet, und wenn auch die Gehöraffecetion nicht 
verursacht, doch dieselbe verlängern und verstärken kann. Beobachtungen, vom 
Vortragenden angestellt, haben als Resultat ergeben, dass unter 300 Fällen von 
Öhrenkrankheiten nur 69mal die Muscheln hypertrophisch waren, während bei 
den übrigen 231 keine Hypertrophie oder keine andere Ursache von Nasenver- 
engerung vorhanden war. Was die Behandlung betrifft, so glaubt die Mehrheit 
der befragten Autoren, dass die galvanocaustische Behandlung der hypertrophi- 
schen Muscheln sowie die Aetzung mit Chrom- resp. Trichloressigsäure der 
Turbinotomie vorzuziehen sind. 

Vortragender schliesst, dass die Turbinotomie nur da indicirt sei, wo die 
Natur und Grösse der Hypertrophie eine solche ist, dass die anderen Mittel 
keine Hoffnung lassen, das Ziel erreichen zu können. 


In der Discussion bemerkt Dundas Grant, dass er die Turbinotomie 
nicht macht, um die Schwerhörigkeit zu bessern, sondern um die Nasenver- 
engerung zu beseitigen, wenn auch keine Krankheit des Ohres besteht. 


5. Sitzung. 
Mittwoch den 25. September, 9 Uhr Vormittags. ; 
Vorstand: Dr. Delstanche. 


13. Herr Kirchner: Sarkom des Processus mastoideus. 


K. zeigt ein myelogenes Sarkom, entstammend einem 40jährigen Manne, 
der viele Jahre früher an eitriger Mittelohrentzündung gelitten hatte. In kurzer 
Zeit führte das Neoplasma zu einer so hochgradigen und ausgedehnten Er- 
“weichung des Knochens, dass bei der Autopsie das Schläfenbein in toto mit dem 
Messer entfernt werden konnte. Das Neoplasma entstand primär in den Zellen 
des Proc. mastoid. und breitete sich von hier aus gegen die Paukenhöhle und 
noch weiter nach innen aus. Einige Wochen vor dem Exitus letal. klagte der 


318 Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz. 


Pat. über Schmerzen im Hinterkopfe, und auch der Proc. mastoid. war auf Druck 
empfindlich. Nach-Eröffnung dieses Knochens fand sich unter der Knochenschale 
eine höckerige Geschwulst von der Grösse eines Taubeneies, die sich mit der 
Sonde 5cm in die Tiefe verfolgen liess. Da die ganze Schuppe beweglich war, 
wurde die Geschwulst nicht abgetragen. — Die mikroskopische Untersuchung 
zeigt die grossen Zellen des Knochenmarkes umlagernde Spindelzellen, so dass 
zahlreiche Nester entstehen. 


Discussion: Herr Ferreri erinnert daran, zwei Fälle von primärem 
Epitheliom des Proc. mastoid. beschrieben zu haben und rühmt die Nützlichkeit 
der capillaren Punktion zum diagnostischen Zwecke. 

Herr Gradenigo hat ein vom Perioste des Proc. mast. ausgehendes 
Sarkom beobachtet; das Ohr war ganz gesund. 

Brieger, Gelle, Moure sah zwei Fälle von primärem Sarkoın des 
Mittelohrs, wo sowohl die Drüsenanschwellung als die Facialisparalyse sehr spät 
eingetreten sind; frühestes und vorwiegendes Symptom war der Schmerz. 

Herr Politzer hat einen Fall von Sarkom des Proc. mast. beschrieben, 
das sich gegen die Paukenhöhle ausgebreitet, die Schneckenspitze durchbohrt 
hatte, und durch den inneren Gehörgang in die Schädelhöhle eingedrungen war. 

Herr Sune y Molist macht einige Bemerkungen über das häufige Auf- 
treten von Osteosarkom der Pars mastoid. in Spanien, die in die hintere 
Schädelgrube hineindringen, das Kleinhirn comprimiren und als Symptome der 
Compression Schmerzen im Hinterhaupte, Schwindel und Coma verursachen. 


14. Herr Thomas Barr: Die Behandlung der intracraniellen 
Abscesse nach eitrigen Ohrenentzündungen (These). 


Anknüpfend an den Vortrag, den er schon auf dem 4. internat. otolog. 
Congresse gehalten hat, betont der Referent, dass man einen guten Erfolg des 
operativen Eingriffes in den folgenden Fällen erwarten kann: 1. Cerebralabscess, 
insbesondere des Teimporo-sphenoidal-Lappens, 2. Cerebellarabscess, 3. Subdural- 
abscess, 4. Infeetiöse Thrombose des Sinus sigmoid. Er ist auch der Ansicht, 
dass es nöthig ist, bei der Operation zuerst die Mittelohrräume zu öffnen. Die 
Eröffnung des Schädels geschieht am besten mit der Trephine der Zahnärzte, 
dann Vervollständigung nit dem Öhrmeissel. 

Die Extraduralabscesse können die Vorläufer des Temporo-sphenoidalabscesses 
sein, und wenn sie in der Nähe des Sigmoidalsinus liegen, können sie zur sep- 
tischen Thrumbose desselben, allgemeiner Septikämie oder zum Cerebellarabscesse 
führen. Die gegen die Subduralabscesse eingeleiteten Eingriffe sind besonders 
erfolgreich; während der letzten 7 Jahre sind 39 solche Fälle mit 39 Heilungen 
publicirt worden. 

In Fällen von Sinusthrombose, von septischen Symptomen begleitet, ist 
der Verschluss des Sinus die erste Indication für den Operateur: es handelt sich 
zuerst darum, weitere Infectionen zu verhindern. Dieser Verschluss erfolgt in 
der Weise, dass man die Vena jugularis am Halse unterbindet oder der Sinus 
gespalten, ausgeleert und mit Jodoformgaze tamponirt wird (Macewen). Wenn 
die Symptome auf einen Cerebral- oder Cerebellarabscess deuten, hat man keine 
Zeit zu verlieren; die Höhle wird mit einer Canüle, einem Troicart, einer Hubl- 
nadel geöffnet, geleert und desinfieirt. Bei der Behandlung solcher Cerebral- 


Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz. 319 


resp. Cerebellarabscesse wird mit Hilfe der Trephine die Schuppe über dem Ohr 
eröffnet oder in Fällen von Cerebellarabscessen öffnet man hinter dem Sinus. 


Die Diagnose der Mischformen der Cerebralabscesse, die mit Pachy- resp. 
Leptomeningitis oder Sinusthrombose complieirt sind, ist manchmal höchst 
schwierig. Jedenfalls werden wir immer gut thun, wo schwere Cerebralsymptome 
neben einer chronischen Mittelohrentzündung existiren, nicht zu lange zu warten, 
sondern wir werden alle Wege erforschen, durch welche eine Extra- resp. Sub- 
duralansammlung oder ein Cerebral- resp. Cerebellarabscess zu Stande gekommen 
sein könnte. Zum Schluss legt der Vortragende dem Congresse die folgenden 
Fragen vor: 1. Soll in Fällen von intracraniellen Operationen der Otologe oder 
der Chirurge operiren? 2. Soll man den Schädel öffnen, wenn Symptome von 
diffuser Meningitis vorliegen? 3. Ist bei der septischen Sinusthrombose die 
Unterbindung der Vena der Spaltung und folgenden Desinfection des Sinus vor- 
zuziehen? 4. Welches ist die beste Methode der Durchbohrung des Knochens? 
d. Vorbeugender Werth der operativen Behandlung der chronischen, unheilbaren 
. Fälle von Otitis media purulenta? i 


Bei Abwesenheit des Vortragenden wird die Discussion abgelehnt, 
um das folgende Thema zu hören. 


15. Herr Gradenigo: Beitrag zur intracraniellen Chirurgie der 
Complicationen der Otitis. 


Obwohl noch sehr schwer, ist schon heute die Diagnose von intracraniellen 
Complicationen nach Otitis media in vielen Fällen ınit Sicherheit zu stellen. 
Diese Complicationen kommen sehr oft zur Beobachtung. Der Vortragende hat 
im letzten Jahre unter 68 Fällen von Mastoiditis 14 Male diese Complicationen 
gesehen (17,60/,), und zwar handelte es sich 5mal um Extradural-, 2mal um 
Cerebral- und 3mal um Cerebellarabscesse, 2 mal um Meningitis, 2mal um 
Sinusthrombose. Er operirte 11 Fälle mit 3 Todesfällen (2 Meningitis und 
1 Cerebellarabscess) und 9 Heilungen. 


Sehr schwierig ist die Diagnose zu stellen: die Natur und Lage des Processes 
am Öhre sind, für den Vortragenden, ein ausgezeichneter Ausgangspunkt. Die 
Diagnose von Meningitis ist die einfachste; dann folgt jene der Sinusthrombose. 
Die aphasischen und amnestischen Symptome erleichtern wesentlich die Diagnose 
in Fällen von, linksseitigem Cerebralabscess. 


Was die Operationstechnik betrifft, so unterscheidet Vortragender zwischen 
den dringenden und nicht dringenden Fällen. Bei letzteren ist es besser, zuerst 
die Ohrräume zu öffnen, bei den ersteren dagegen ist die Operation am Schädel 
vorzuziehen. 


In Fällen, wo schwere Symptome für die Nothwendigkeit der Operation 
sprechen und sichere Daten für die Diagnose eines Abscesses fehlen, schlägt 
G. vor, zuerst den Processus mastoideus weit zu öffnen, dann den Sinus und 
die cerebrale und cerebellare Dura mater bloss zu legen. Die Exploration des 
Gehirnes wird durch einen höchstens 3 mm dicken Troicar gemacht, der nicht 
weiter als 3cm eingeführt werden soll. Fällt diese Exploration negativ aus, 
so kann man die Dura spalten und in das Gehirn mit dem Messer eindringen. 


320 Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz. 


Discussion: Herr Urban Pritchard meint, dass in den kleinen 
Städten, wo gute Chirurgen fehlen, der Otolog selbst zur Operation schreiten 
kann, aber nicht in den grossen Städten; er hält es für besser, immer den 
Schädel zu öffnen. Bei Sinusthrombose ist die hintere Seite des Coagulums zu 
entfernen, bis ein Blutstrom zum Vorschein kommt; dann wird tamponirt. Bei 
Operationen benutzt er Hammer, Meissel und Hoblmeissel; nur in Fällen vun 
sclerosirtem Processus mastoideus sei die Trephine vorzuziehen. 


Herr Bobone schildert im Anschluss an den vorhergehenden Vortrag folgen- 
den Fall, der für die möglichen Schwierigkeiten der Diagnose spricht. Pat. bot 
chronische linksseitige Ohreiterung mit Fieber, Schwindel, Störungen des Gleich- 
gewichtes, Schmerz in der Mitte des Kopfes, linksseitige Facialparese, Obstipation. 
Erbrechen war nicht vorhanden. Er diagnosticirte Cerebralabscess. Die Operation 
wurde von einem Chirurgen ausgeführt. Die ganze, vollständig sclerosirte Pars 
mastoid. wurde entfernt und der Sinus blossgelegt. Da letzterer ganz gesund war 
und nirgends ein Tropfen von Eiter zam Vorschein kam, so ist der Operateur nicht 
weiter gegangen. Der Kranke starb 20—25 Tage darauf. Die Obduction zeigte: 
diffuse Meningitis, linksseitige Encephalitis und einen Extraduralabscess von der 
Grösse eines Taubeneies an der rechten Seite des Kopfes. 


Herr Politzer erinnert an die Fälle, wo trotz sehr ausgeprägter Symptome 
kein Abscess vorhanden ist, und andererseits, wo ein Abscess latent bleibt. Er 
berichtet über einen Fall, wo nach der Operation eine wesentliche Besserung 
eingetreten war: 6 Tage darauf Exitus let. Er fand bei der Autopsie einen 
zweiten Abscess, hinter dem erst operirten gelegen. 


Herr Brieger hat einen Fall von Sinusthrombose operirt, wo alle 
Symptome nach der Operation zurückgingen. Bei einem anderen Falle, von 
denselben Symptomen begleitet, gab die Operation ein nur vorübergehendes 
Resultat. Der Kranke starb. Bei der Autopsie fand B. die Thrombose des 
Sinus cavernosus auf der entgegengesetzten Seite. Vortragender hält die 
Prognose der Extraduralabscesse für absolut günstig. Die Behandlung der 
Sinusthrombose ist wahrscheinlich erfolgreicher als jene der Cerebralabscesse. 
Was die Behandlungsmethode betrifft, ist er der Ansicht, dass, obwohl möglich 
sei. dass die Aufmeisselung des Schädels die Ausleerung des Abscesses in den 
Lateralventrikel begünstigen könne, doch Hammer und Meissel der Trephine 
vorzuziehen sind. Bezüglich der Prognose bemerkt er, dass auch in Fällen, wo 
die Operation den besten Erfolg gegeben hat, es nicht möglich ist, das End- 
resultat sicher zu bestimmen. 


Herr Goris, Morpurgo, Cresswel Baber, Gradenigo, Avoledo 
glauben, man müsse zuerst den Processus mastoideus abtragen, gründlich reinigen 
und dann den Schädel mit dem Bohrer öffnen. 


16. Herr Benni: Mittheilung über Baron Lenwal’s Prämie. 


Mit Rücksicht der Abwesenheit von Concurrenten wird mit der Einwilligung 
des Herrn Baron Lenwal Folgendes mitgetheilt: Die in der Zwischenzeit zweier 
Congresse angesammelten Zinsen der 3000 Franken werden dem Autor des her- 
vorragendsten Fortschrittes in der praktischen Behandlung der Ohrenkrankheiten 


Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz. 321 


oder dem Erfinder eines neuen, leicht portativen Apparates zur Verbesserung 
des Gehöres zugesprochen, 


17. Herr Heiman: Ein Fall von otitischem Cerebellarabscess. 


Es ist dies der siebente Fall, der nnter Heiman’s Beobachtung kam. 
Die Frühsymptome waren jene der Meningitis: hohes Fieber, acuter Schmerz 
im Hinterhaupt, Brechneigung, darn folgten Schwindel, Fall des Kopfes nach 
hinten, zahlreiche und unwillkürliche Entleerungen, Unregelmässigkeit der 
Pupillen, langsame Sprache; noch später Verminderung der Sehschärfe, Herz- 
störungen, zeitweises Erbrechen, Hauthyperästhesie, Verlust des Gedächtnisses, 
Ptosis des rechten oberen Augenlides, Hemiparese des Facialis (rechts). In 
späteren Stadien Hemiparese der linken Extremitäten und Stauungspapille. Der 
Kranke war seit langem an rechtsseitiger Otorrhöe leidend. — Auf diese Symp- 
tomenreihe gestützt, diagnosticirte Heiman einen Abscess des rechten Klein- 
hirnlappens. Trotz dieser Daten glaubten die Spitalchirurgen, es mit einem 
Abscesse des Temporalphenoidallappens zu thun zu haben, und operirten in 
dieser Richtung — natürlich ohne Erfolg. — Nach einiger Zeit wiederholte 
der Vortragende die Operation, den Indicationen seiner Diagnose folgend. Der 
Processus mastoideus wurde weit geöffnet und der grösste Theil der oberen 
hinteren Wand des äusseren Gehörganges abgetragen. Wegen der Schwäche 
des Kranken wurde ein weiteres Fortschreiten unmöglich; der Kranke besserte 
sich nichtsdestoweniger durch einige Zeit, dann starb er. Bei der Obduction 
fand man in der grauen Substanz des Temporallappens vier linsengrosse, mit 
durchscheinender Flüssigkeit erfüllte Cysten. Der rechte Kleinhirnlappen und 
die wurmförmige Apophyse waren voll von grünem, flüssigem, stinkendem Eiter 
und eine Imm dicke Kapsel schloss den Abscess ein. Vortragender meint, dass. 
in diesem Fall die Diagnose keine Schwierigkeit bot; er hat die Diagnose ins- 
besondere auf den Hinterhauptschmerz, das Erbrechen und die Coordinations- 
störungen der Bewegungen des Kopfes gestützt. 


18. Herr St. Clair Thompson: Die Antisepsis und die Intra- 
nasalbehandlung. 


Schlussfolgerungen: Da das Innere der Nasenhöhlen praktisch aseptisch ist, 
ist eine Antisepsis nicht möglich. Die Anwesenheit irgend eines Fremdkörpers 
in der Nasenhöhle stimulirt die Secretion der Schleimhäute, das Flimmerepithel 
vertreibt jedes sich anheftende feste Partikel rasch. Es ist demnach rathsam 
— mit wenigen Ausnahmen —, sich irgend welcher Antisepsis zu enthalten. 
Behufs der Entfernung von eitrigen Massen aus den Nasenhöhlen sind die Aus- 
spülungen mit einer leicht alkalischen Lösung noch das Beste, was wir thun 
können. Am wesentlichsten ist die gründliche Desinfection der Finger und 
Instrumente. Jedes Instrument, das nach einer Operation in 50/ọiger Carbol- 
säurelösung ausgewaschen und gebürstet. dann in einem mit Glasfenstern ver- 
sehenen Schranke gehalten und vor jeder Operation wieder in derselben Lösung 
ausgewaschen wird, sei als genügend aseptisch zu betrachten. Die Kunst der 
Antisepsis besteht darin, dass auf die kleinsten Umstände eine ze Auf- 
merksamkeit gerichtet wird. 


322 Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz. 


6. Sitzung. 
Mittwoch, den 25. September, 2, Uhr Nachmittags. 
Vorstand: Prof. Urban Pritchard. 


Discussion des Vortrages von Herrn Dr. St. Clair Thompson: 
Anknüpfend an die in Mitwirkung mit Herrn Dr. Lermoyez angestellten 
Experimente bemerkt Herr Helme, dass ihre Methode praktisch sehr wenig 
complicirt ist. Es handelt sich darum, das Eindringen von giftigen Keimen zu 
verhindern, was minutiöse Regeln verlangt. 


Herr Gradenigo bemerkt, dass, wenn man auf einer nicht gesunden 
Nasenschleimhaut operirt, die Wunde mit Exsudaten oder eitrigen Infiltrationen 
sich bedeckt zeigt. Hier ist die energischste antiseptische Behandlung nicht im 
Stande, die eitrige, manchmal allgemeine Reaction zu verhindern. 

Herr Bronner betont, dass die Sterilisation der Nase unmöglich ist; 
man muss daher die Instrumente sterilisiren. 

Herr Brieger und Cresswell Baber halten die aseptische Behand- 
lung der Nasenschleimhautwunde für nicht möglich; Baber macht Ausspülungen 
mit einer 7 pro Mille Kochsalzlösung. 

: Herr Dundas Grant sagt, dass, wo die Nasenschleimhaut normal ist, 
die Antisepsis überflüssig ist. In Fällen, wo die Schleimhaut secernirt, bläst 
er Aristol ein. 

Herr Daly zieht eine I pro 5 Mille Sublimat-Lösung, insbesondere nach 
Operationen, vor, er benutzt auch Aluminiumhohlstäbchen, die, mit Bruns’scher 
Watte umwickelt, dann in eine Eucalyptus - Benzoïn - Lösung getaucht, in die 
Nase, als Tampon, eingeführt werden. 

Herr St. Clair Thompson erwidert, dass es absolut nicht nöthig ist, 
die Instrumente kochen zu lassen, und erinnert an die englischen grossen Kliniken, 
wo bei Laparotomieen die Instrumente mit der von ihm erwähnten Methode 
behandelt werden. 


19. Herr Politzer: Heutiger Zustand der pathologischen Anatomie 
des Labyrinthes. | 


Nach einer historischen Uebersicht der pathologischen Anatomie, von 
welcher unsere Kenntnisse über die pathologische Anatomie des Labyrinthes 
ausgehen, sind dieselben die Frucht der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts. 
Politzer theilt die pathologisch-anatomischen Veränderungen in 3 Categorien: 
1. Hyperämie, 2. Blutergüsse, 3. primäre resp. secundäre Labyrinthentzündung. 

Anatomisch ist die Hyperämie leicht zu constatiren. Das Gefässnetz des 
Labyrinthes ist heute wohlbekannt. Als häufige Ursache dieser Hyperämie sind 
die Hindernisse, die die Rückkehr des venösen Blutes vom Labyrinth zum 
Schädel verhindern (z. B. Gehirntumoren). Folgen die Sympathicuswirkungen 
und die chronischen Entzündungen der Pauke. Die Blutergüsse im Labv- 
rinthe kommen am häufigsten bei Infectionskrankheiten und bei Herz- und 
Lungenkrankheiten vor. Circumscripte Blutungen und auch grössere Blutergüsse 
sind in den verschiedenen Theilen der Labyrinthhöhle beobachtet worden. Knapp 
und Vortragender haben solche Labyrinthergüsse bei chronischen, insbesondere 


Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz. 323 


mit Taries complicirten Eiterungen der Trommelhöhle gesehen. Sehr interessant 
sind die von Moos und Steinbrügge bei der Pachymeningitis hämorrhagica 
und bei Hämatoma durae matris constatirten Labyrinthblutungen. Die unter 
dem Namen Meniere’sche Krankheit bezeichneten Blutungen bleiben 
immer auf einen einzigen Fall reducirt, so dass wir nur von einem Meniere'- 
schen Symptomencomplex sprechen können. 

Etwas mehr bekannt als die vorstehenden Affectionen sind die Labyrinth- 
entzündungen. Vön den primären Entzündungen sind uns die Folgen kaum 
bekannt; von den initialen Läsionen wissen wir gar nichts. Vortragender hat _ 
auf dem ‘internationalen Congresse zu Mailand den ersten Fall von primärer 
Labyrinthentzündung demonstrirt. Die mit Infectionskrankheiten in Verbindung 
kommenden Labyrinthalterationen sind, im Allgemeinen, einer Invasion der 
spezifischen Mikroben resp. des Eiters zuzuschreiben. Es war Moos, welcher 
diese 'Thatsache, insbesondere bei Masern, constatirt hat. Ein besonderes In- 
teresse erwecken die bei der Cerebrospinal-Meningitis constatirten Labyrinth- 
alterationen. Heller war der Erste, welcher hier Eiter nachgewiesen hat, und 
jetzt ist das Eindringen des Eiters durch die Labyrinthaquäducte, nämlich 
durch den Aquäductus cochleae, der sich in unmittelbarer Verbindung mit dem 
Cerebrospinalraum befindet, vollständig demonstrirt. Die constatirten Alterationen 
sind verschieden nach den verschiedenen Stadien der Hauptkrankheit: in den 
früheren Stadien ist die eitrige Entzündung vorwiegend, während in den 
späteren Stadien alle Folgen der Entzündung auftreten (Atrophie, ZEITUNGEN 
von Membrantheilen, von Acusticuszweigen, Deformationen des Corti’schen 
Organs, Bindegewebsneubildungen, Ossificationen). 

Der Vortragende betont dann die Häufigkeit der im Verlaufe chronischer 
Mittelohrentzündungen secundär auftretenden Labyrinthentzündungen, die von 
dem Eindringen des Eiters durch die zerstörten Fenster oder von seiner Ueber- 
tragung durch Blut- resp. Lymphbahnen entstehen. 

Eine bis jetzt wenig bekannte Form von Exsudation im Labyrinth ist 
durch ein Hinderniss in dem inneren Gehörgange verursacht und findet durch 
die Compression der Blutgefässe statt. In einem von dem Vortragenden be- 
obachteten Falle (Carcinom) bestand die Exsudation im Labyrinth aus einer 
granulirten Masse und war theils auf dem Ueberzug der Schnecke, theils auf 
der Lamina spiralis liegend. Ferner betrachtet Vortragender die Alterationen 
bei der Leukäniie (Bindegewebsneubildungen oder Verknöcherungen in der Scala 
tympanica, in den Halbzirkelcanälen, Ansammlung von Lymphzellen im Innern 
der Halbzirkelcanäle, im Vorhofe etc.) und bei der Syphilis (Verkleinerung der 
Labyrinthhöhlen durch Hyperostose des Schläfenbeines, Atrophie oder Zerstörung 
der Ganglienzellen und der Acusticusfasern, Alterationen der Blutgefässe 
[Kirchner], Verdickung des Periostes des Vorhofes |Moos], Bindegewebs- und 
manchmal Kalkneubildungen). 

Die primäre Labyrinthtubereulose wurde bis jetzt noch nicht beobachtet; 
unter den secundären Läsionen sind die Necrosen des Gewebes und die Binde- 
gewebsneubildungen in der Labyrinthhöhle vorwiegend. 

Zum Schluss erwähnt Vortragender die Verknöcherungen der Labyrinth- 
kapsel und die Depression der Reisner’schen Membran, zuerst von Stein- 
brügge beobachtet. 


324 Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz. 


* 


20. Herr Moure: Cavernöses Angiom des Ohres. 


Moure hat die Geschwulst bei einer 47jährigen Dame, die sich über 
Kopfschmerzen, Blutungen aus dem rechten Ohre mit geringer Eiterung be- 
klagte, entfernt. Die von der Grösse einer Bohne, rosengefärbte, nicht 
pulsirende Geschwulst wurde mit der kalten Schlinge abgetragen. Unmittelbar 
nach der Abtragung folgte ein so starker Blutstrom, dass das Tamponiren des 
Gehörganges mit Jodoformgaze sich nothwendig zeigte: Implantationsstelle der 
Geschwulst war die obere hintere Abtheilung der Paukenhöhle. 

Die anatomische Untersuchung zeigte die Geschwulst aus einer einen 
geschlossenen Raum umschreibenden Wand gebildet. Unter dem Mikroskope 
bestand die Wand aus 3 Schichten von Zellen, die eine Schicht von bindege- 
webigen, mit kleinen Knötchen infiltrirten und zahlreiche kleine, mit Endothel 
bekleidete Höhlen, enthaltenden Gewebe bedeckten. Die Centralhöhle, wahr- 
scheinlich ein dilatirtes Gefäss, war mit keiner Bedeckung versehen. 


Discussion: Herr Brieger, Helme, De Roaldes. 


21. Herr Sune y Molist: Einige Besonderheiten der Schuss- 
wunden in der Regio mastoidea. 


In Spanien, wo Pistolen und Revolver noch mit zu grosser Leichtfertigkeit 
gehandhabt werden, gehören die Schusswunden der Regio mastoidea nicht zu 
den Seltenheiten. Das Resultat solcher Schusswunden ist das folgende: 1. die 
Kugel verursacht eine kleinsplittrige Fractur des Knochens; 2. dieselbe geht 
nicht weit nach innen und fällt zu Boden oder lässt sich mit der grössten 
Leichtigkeit extrahiren; 3. Auftreten von Cerebral- resp. Labyrinthcommotions- 
zeichen. 

Vortragender meint, dass die Architeetur des Schläfenbeines, d. h. die 
Resistenz des Felsenbeines combinirt mit der Elasticität der Mastoidzellen, die 
als Kissen dienen, die Kraft und Schnelligkeit der Kugel aufheben. 


Discussion: Herr Morpurgo, Avoledo. 


7. Sitzung. 
Donnerstag, den 26. September, 3 Uhr Vormittags. 
Vorstand: Prof. Kirchner. 


22. Herr Masini: Der Einfluss der am Gehörorgane erzeugten 
Läsionen auf die Athmung. 


Die Frage wurde vom Vortragenden in Gemeinschaft mit Polimanti, 
Assistenten am physiologischen Laboratorium der Universität zu Genua 
studirt. Die Versuche wurden an Tauben gemacht. Die Thiere wurden einige 
Tage lang bei gleichmässiger Diät (25 gr Bohnen) erhalten. nachher in den 
Fredericgq schen Respirationsapparat gebracht, wo der Normalzustand von 
exspirirtem CO2 bestimmt wurde. Dann wurden die Halbzirkelcanäle oder die 
Schnecke abgetragen. Die Resultate dieser Versuche lauteten: 1. dass partielle 
oder totale Läsionen des Gehörorganes zu functionellen Störungen in den Bulbär- 
centren führen; 2. dass die in Folge partieller Läsionen erzeugten Störungen 


Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz. 325 


schwerer sind als jene von Totalläsionen; 3. die Intensität der Störungen bleibt 
mit der Schwere der Alterationen, des Gleichgewichts und der Bewegungen im 
Verhältnisse. 

Bei den Thieren, wo die Halbzirkelcanäle abgetragen wurden, beobachteten 
die Autoren eine bedeutende Verminderung der exspirirten Kohlensäure, während 
bei den Thieren, wo Schneckenläsionen gemacht wurden, die exspirirte Menge der 
Kohlensäure fast unverändert blieb. 


23. Herr Szenes: Die traumatischen Läsionen des Gehörganges. 


Bei der Discussion fragt Herr Corradi, an welcher Partie des Gehör- 
ganges die Fissur war, und ob das Trommelfell zerrissen war oder nicht. 


Herr Szenes antwortet, dass die Fissur sich an der oberen hinteren 
Wand des Gehörganges, dicht an dem Membran-Rand fand und mit der 
Sonde erkennbar war. Die Hammerfractur wurde erst nach der Sistirung der 
Eiterung nachgewiesen. 


Herr Brieger bemerkt, dass die Commotion des Labyrinthes das Symptomen- 
bild der traumatischen Neurose zur Folge haben kann, und dass die Functions- 
störungen, die sich im Verlaufe der traumatischen Neurose einstellen können, von 
organischen Läsionen hauptsächlich durch ihre Inconstanz zu differenziren sind. 


24. Herr Heiman: Statistik der Ohrenkrankheiten. 


Die Basis der Heiman’schen Statistik waren die Ohrenkranken, die der 
Vortragende im Militärspital behandelte, und die jungen Leute, die er behufs 
ihrer Fähigkeit zum Militärdienst untersuchen musste. Er hat die drei folgenden 
Punkte studirt: 1. Frequenz der Ohrenkrankheiten zwischen 21—25 Jahren; 
2. Mortalität unter denselben; 3. Frequenz der Krankheiten in den verschiedenen 
Partien des Ohres; 4. therapeutische Resultate. 

Was die Frequenz der Ohrenkrankheiten betrifft, so hat Heiman eine 
Ziffer von 8,760/, gefunden. Er kann nicht die Ansichten von von Troeltsch 
und Bürkner theilen, weil er klinisch die mit leichten Alterationen (Atrophie, 
Narbe, Kalkconcretionen des Trommelfelles) behaftete Individuen nicht als 
Kranke betrachten kann. | 

Die durch Ohrenkrankheiten erzeugte Mortalität im Verhältnisse zu der 
allgemeinen Mortalität des Spitals ist nach Heiman 1,7800, welche Ziffer mit 
denjenigen von anderen Autoren beinahe übereinstimmend ist. 

_ Gestützt auf die von ihm gefundenen Daten glaubt der Vortragende — 
im Gegensatz zu anderen Autoren —, dass man heutzutage die Ziffer der 
Mortalität bei Öhrenkrankheiten feststellen kann. Dieselbe variirt zwischen 
0,3—0,50/, für die Ohrenkrankheiten im Allgemeinen und 2—41/90/, für die 
chronische Mittelohrentzündung. | 

Die betreffs der Frequenz der Krankheiten für die verschiedenen Partien 
des Ohres vom Vortragenden angesammelten Ziffern, die 8,310), für die 
Morbidität des äusseren Ohres, 85,310/, für mittleres und Tympanum, 3,3700 
für inneres Ohr geben, stimmen nicht mit jenen — allerdings übereinstimmenden 
— von Bezold, Hesse, Gradenigo, Bürkner, Böcke, Grunert, 
De Rossi, Kalin gefundenen Ziffern. Vortragender erklärt diesen Umstand 


326 Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz. 


aus der Betrachtung des Alters der Patienten und aus der Thatsache, dass er 
in die Kategorie der Mittelohrkrankheiten auch die Formen von secundärer 
Entzündung des mittleren und äusseren Ohres aufgenommen hat. 


Endlich sind die vom Vortragenden gewonnenen therapeutischen Resultate 
in folgenden Ziffern gegeben: Heilungen 67,980/4, Besserung 18,770/,, keine 
Verbesserung 11,870], Todesfälle 1,380/o. 


25. Herr Grazzi: Ein Fall von completer Taubheit nach durch 
Fraenkel’schen Diplococcus erzeugter acuter Meningitis. 


Grazzi stellt ein 4jähriges Kind vor, das nach einer schweren Menin- 

gitis vollständig taubstumm geblieben ist. Die in der pädiatrischen Klinik 
gemachten bacteriologischen Untersuchungen haben den Fraenkel’'schen 
Diplococcus als pathogenes Agens nachgewiesen. Das Kind ist sofort nach der 
Heilung seiner Meningitis taub geworden. Alle möglichen Behandlungsmittel 
mit Einschluss der Pilocarpininjectionen wurden vergeblich versucht. Jetzt ist 
das Kind auch stumm. Vortragender meint, dass die Krankheit nicht nur die 
Perceptionsfasern des acustischen Apparates, sondern auch die für die Sprache 
bestimmten Nervencentren getroffen hat. 


Discussion: Herr Corradi hat von Pilocarpininjectionen bei rheuma- 
tischen und syphilitischen Taubheiten zwar einige Resultate gesehen, niemals 
aber bei den meningitischen Formen. 


Herr Gradenigo meint, dass dieser Fall einen höchst interessanten 
Gesichtspunkt bietet, weil er die Frage der primären Labyrinthitis, wie sie 
von Voltolini verstanden war, berührt. Bei einer Epidemie von Cerebrospinal- 
Meningitis sah Gradenigo ziemlich oft diese Taubheitsformen von Fieber- 
symptomen begleitet. 


Herr Brieger bemerkt dazu, dass der ursächliche Zusammenhang der 
Meningitis mit dem Pneumococcen-Befunde in der Nase nicht erwiesen ist, da 
der Diplococcus-Fraenkel zu den die normalen Nasen bewohnenden Bacterien 
gehört. | 


26. Herr D’Aguanno: Ueber die Aetiologie der Paracusis Willisii. 


Nach einer Erinnerung an die insbesondere von von Troeltsch, 
Politzer, Roosa, Gellé, J. Müller über die Aetiologie der Paracusis 
Willisii gegebenen Erklärungen kommt Vortragender zur Mittheilung eines 
Falles, in dem die Ursache der Paracusis in der Trommelhöhle und ebenso 
in der Gehörknöchelchenkette zu suchen war. In der That demonstrirte die 
Functionuntersuchung eine vollständige Intaktheit des Acusticus, während 
ein chronischer Paukencatarrh und eine verminderte Bewegungsfähigkeit der 
Kette vorhanden waren. 


27. Herr Verdos: Die durch Dynamit hervorgerufenen Ohren- 
störungen. 


Das anarchistische Attentat in dem Theater zu Barcelona im Jabre 
1893 hat dem Vortragenden Gelegenheit gegeben, die Ohrenstörungen, durch 


Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz. 327 


Schlag von Dynamit hervorgerufen, zu studiren, die ganz anders als bei 
gewöhnlichen Explosionen sind. Die Kranken, die sich sehr nahe der Bombe 
befanden, waren von einer intensiven Hyperämie der Ohrinuschel, der Temporo- 
mastoidal-Region, des äusseren Gehörganges und der äusseren Fläche des 
Trommelfelles mit Fortpflanzung auf die Pauke behaftet. Nach 4—5 Tagen 
waren alle Kranken genesen. Die Läsion war unilateral und affieirte die 
nach dem Knall gewendete Seite. — Die etwas weiter entfernt gewesenen 
Personen zeigten keine Hyperämie, aber eine beträchtliche Einsenkung des 
Trommelfelles nebst Sausen und Schwindel. Hier war der Heilungsprocess 
ein etwas längerer, 2-3 Wochen. Meistentheils war die Läsion bilateral. 


Die in den oberen Rängen des Theaters sitzenden Leute boten, im Gegen- 
satz, Phänomene von Seiten des Labyrinthes, welche nicht der Hyperämie zu- 
geschrieben werden konnten, weil die Erleichterung des Sausens und Schwindels 
nur durch congestionirende Mittel erreicht wurde. Vortragender meint, dass es: 
sich hier um Reizung der acustischen Fasern handelte. 


In einer vierten Gruppe von Fällen fanden die Patienten eine grosse 
Schwierigkeit, sich zu orientiren. Es handelte sich mit grosser Wahrscheinlich- 
keit un Zerreissungen; tiefer liegende Veränderungen des Trommelfelles waren 
in keinem Fall zu beobachten.’ 


38. Herr Lubet Barbon: Die entzündlichen Localisationen am 
Schläfenbein und ihre Beziehungen zu der anatomischen Entwickelung 
dieses Knochens. | | 


Der Vortragende erinnert an die Entwickelungsweise des Schläfenbeines, 
an das Vorhandensein beim Erwachsenen der von Kirchner in ca. 50/9 der 
Fälle constatirten Fissura mastoideo-squamosa und an die Möglichkeit, mit 
welcher man so oft die Verschmelzungsgrenze des Os tympanale mit der Squama. 
und dem Processus mastoideus sieht, und bemerkt dazu, dass sehr oft bei den 
Östitiden des Schläfenbeines die Entzündung auf eine der beim Fötus von 
einander gelösten Partien des Schläfenbeines localisirt bleibt. Hiermit erklärt 
sich Vortragender einige Thatsachen, die von anderer Seite anders gedeutet 
sind. Bei den Entzündungen der Erwachsenen müssen alle Stücke, die 
das Schläfenbein zusammensetzen, betrachtet werden; es kommeu primäre 
und isolirte Ostitiden nicht bloss des Processus mastoideus, sondern auch der 
Schuppe und der Pars tympanica zur Beobachtung. Bei der Mastoiditis ent 
wickeln sich die Erscheinungen unter der Linea temporalis; bei der Ostitis der 
Schuppe hingegen ist der Processus mastoideus anfangs weder roth noch 
schmerzhaft, während Schwellung und Schmerz über dem oberen Ansatze der 
Ohrmuschel zu beobaehten sind. Manchmal nimmt die Entzündung den die 
obere Wand des äusseren Gehörganges bildenden Theil der Schuppe ein; 
und sind diese die Fälle, wo die Stacke’sche Operation indieirt ist. Seltener 
kommt eine isolirte Entzündung des Os tympanale vor; jedoch glaubt der: 
Vortragende, dass viele von den concentrischen Exostosen des Gehörganges- 
der Östitis dieses Knochens zuzuzählen sind. 


328 Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz. 


29. Herr Secchi: Zur Physiologie des mittleren Ohres. 


Vortragender betont, dass die von Helmholtz begründete Mechanik der 
&ehörknöchelchen vor der Kritik nicht mehr bestehe. Er hat im physiologischen 
Laboratorium zu Bologna Versuche an Katzen und Hunden in der Weise ge- 
macht, dass er nach ausgeführter Tracheotomie, bei welcher auch eine Canüle 
in den oberen Theil der Trachea eingelegt wurde, die Bulla auricularis frei- 
legte, sie anbohrte und in die zur Höhlung führende Oeffnung eine luftdicht 
abschliessende, mit einem Alkoholmanometer versehene Canüle einschraubte. 
Die Versuche haben folgende Resultate ergeben: 


1. Die Luft der Trommelhöhle besitzt einen Druck, der ca. 3mm Alkohol 
höher als derjenige der äusseren Luft ist; 2. dieser Druck, gewöhnlich durch 
das Schlucken veranlasst, kann auch die Folge der Thätigkeit der Muskeln der 
Trommelhöhle sein; 3. der endotympanische Druck erhöht sich bei jedem, auch 
leisestem,. die Aufmerksamkeit des Thieres auf sich ziehenden Ton, bleibt aber 
unverändert, bei dem Thiere wohlbekannten Tönen; 4. wenn eine Reihe von 
intensiveren, successive sich folgenden Tönen erzeugt wird, so reagirt das Mano- 
meter mit vielen entsprechenden Erhebungen; 5. diese unter Töneeinfluss con- 
statirte Drucksteigerung findet auch statt, wenn der Druck in’der Höhle negativ 
ist; 6. die Vocale a, e, i, o, u erhöhen den Druck; 7. in einem Fall, wo es 
gelungen war, die Sehne des Tensor tympani zu durchschneiden, nahm der 
endotympanische Druck unter der Einwirkung von acuten und intensiven Tönen ab. 


Vortragender erklärt sich hiermit geneigt, anzunehmen, dass die Schall- 
wellen nicht durch die Knöchelchen, sondern durch die in der Trommelhöhle 
stehende Luft und durch die Schnecke, von der Membrana tympani nach der 
Membran des runden Fensters, nach dem Pascal'schen Princip sich fortpflanzen. 


Die Demonstration des Experimentes, die vom Vortragenden gleichzeitig 
gemacht wurde, fiel glänzend aus. 


Discussion: Herr Mongardi erinnert an Müller's Versuche, die für 
die Fortleitung durch die Knöchelchen sprechen. 


Herr @elle kann nicht glauben, dass man durch die sonst sehr schönen 
Secchi’schen Versuche genöthigt sei, eine Fortpflanzung der Schallwellen 
durch das runde Fenster anzunehmen, da er schwer zu begreifen findet eine 
Leitung der Töne gegen die Scala tympanica, die leer von sensoriellen Organen 
ist, während. die Platte des Steigbügels mit den letzteren in unmittelbarer 
Berührung ist. Das runde Fenster kann nur eine secundäre Function besitzen. 
Grazzi. Gradenigo. Dundas Grant. Masini. 


30. Demonstrationen. 
Herr Chiueini demonstrirt eine neue Methode der anatomischen Section 
.des Schläfenbeines. 


Herr Politzer demonstrirt mikroskopische, und makroskopische Präparate, 
die die verschiedenen Methoden und Stadien der operativen Behandlung der 
chronischen Mittelohreiterung zeigen. 


Herr Cresswell Baber demonstrirt Instrumente. 


Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz. 329 


8. Sitzung. 
Donnerstag, den 26. September, 2 Uhr Nachmittags. 
Vorstand: Dr. Morpurgo. 
31. Demonstrationen von Instrumenten (Delstanche). 


32. Herr Bronner: Die Localmassage in der Behandlung des 
chronischen Eczems des äusseren Ohres. 


Discussion: Herr Daly hat über die Behandlung des chronischen Eczems 
des Ohres eine ziemlich grosse Erfahrung und eine ebenso einfache als erfolgreiche 
Behandlungsweise angewendet. Zuerst wird der Gehörgang mit Watte gereinigt 
und mit Wasser befeuchtet, dann werden die kranken Stellen mit einer aus Hydrarg. 
ammoniac, Hydrarg. chlor. mit. ää 1,0, Ung. ros. 3,0 bestehenden Salbe bedeckt. 


Herr Delstanche erinnert an die, schon von seinem Vater gebrauchte, 
und sehr erfolgreiche Behandlung, die darin besteht, dass eine concentrirte 
Lösung von Plumbum aceticum in den Gehörgang injieirt und auf der Muschel 
pulverisirt wird; dann werden die kranken Stellen mit dem, mit feinem Linnen 
umwickelten, Finger energisch eingerieben. 


Herr Brieger empfiehlt Wattetampons mit einer Resorcinsalbe bestrichen, 
die einen Druck auf die Gehörgangswände continuirlich üben. | 


33. Herr Garzia: Die Bedeutung der Syphilis bei gewissen 
Ohrenkrankheiten. 


Der Vortragende lenkt die Aufmerksamkeit des Congresses auf die Syphilis, 
die die wesentlichste Ursache für die unbegrenzte Dauer von einigen eitrigen 
Mittelohrentzündungen sein kann. Diese Ursache besteht darin, dass als Grund 
der Eiterung ein cariöser Knochenpunkt vorliegt, und dass dieser cariöse Process 
von Syphilis bedingt ist. In diesen Fällen hat die specifische Behandlung sehr 
schöne Resultate gegeben. Vortragender hat 7 solche Fälle, von denen 5 durch 
acquirirte und 2 durch hereditäre Syphilis bedingt waren, beobachtet. Bei 
den ersteren hatte die Krankheit vom Nasopharyngealcavum sich fortgepflanzt. 


34. Herr Garzia: Gestielte Exostose des Gehörganges. 


Die Geschwulst schloss den Gehörgang vollständig. Implantationsstelle 
war die vordere Seite des Meatus. Die Hälfte der Geschwulst entfernte Vor- 
‘tragender mit Burnett’'s Zange, die zweite Hälfte mit dem Meissel. Der 
Gehörgang und das Trommelfell werden ausgekratzt, da dieselben von einer 
dicken aus Plattenepithel bestehenden Schichte bedeckt waren. 


Damit war die Tagesordnung erschöpft. Die folgenden Vorträge 
konnten wegen Zeitmangels nicht gehalten werden. 
1. Madeuf. Enquöte Medico-Veterinäre über die Ohrenkrankheiten 
der Säugethiere. 
2. A. Levy-Kopenhagen. Ein neues Instrument für die Behandlung der 
acuten und chronischen Krankheiten des Mittelohres. 
Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXVII. 29 


330 Verhandlungen des V. Internat. Otologischen Congresses in Florenz. 


3. S. Ottolenghi-Siena. Die Zurechnungsfähigkeit der Taubstummen 
und die Gesetze. 


4.Cozzolino. Anatom.-pathologische und bakteriologische Untersuchungen 
in Nase, Nasenrachenraum und Mittelohrhöhlen der Leichen von Säuglingen und 
neugeborenen Kindern. — Neue Methode zur Eröffnung des Antrums und der 
Mastoidzellen. 

5. Soffiantini. Die intramusculären Injectionen von Calomel in der 
Oto-rhino-laryngologie. 

6. Stoker. Operation eines Intracranialabscesses. 

7. Carmalt Jones. Die Turbinotomie gegen Tinnitus aurium. 


Der Congress hat mit einstimmigem Beifall London als Sitzungs- 
ort des nächsten VI. Internationalen Otologischen Congresses gewählt, 
der im Jahre 1899 stattfinden wird. 


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Bericht über die Verhandlungen der otologischen 
Abtheilung der 67. Versammlung deutscher Natur- 
forscher und Aerzte ın Lübeck 
vom 16.—21. September 1895. 

Von Dr. Karutz in Lübeck. 

Einführender: Dr. Karutz. — Schriftführer: Dr. Framm. 


1. Sitzung 
Vorsitzender: Herr Prof. Walb-Bonn. 


Der Einführende, Herr Dr. Karutz, begrüsst die Anwesenden mit 
einer kurzen Ansprache, dankt ihnen für ihr Erscheinen und eröffnet 
die Sektion; er gedenkt mit wenigen Worten der verstorbenen Herren 
Dr. Wilhelm Meyer in Kopenhagen und Hofrath Prof. Moos in 
Heidelberg, theilt die zurückgezogenen und die nachträglich angemeldeten 
Vorträge mit. 


1. Herr Siebenmann-Basel: Beiträge zur Aetiologie des Mittel- 
ohr-Cholesteatoms. 


Siebenmann berichtet über einen Fäll von Cholesteatom des Aditus, 
bei dem er nach der Radicaloperation auf der grossen granulirenden Wundfläche 
insuläre, später confluirende Flecken von typischer Cholesteatommatrix auftreten 
sah. Diese Flecken entsprachen den Stellen, wo grössere normale Zellen bei 
der Operation aufgebrochen worden waren. Es handelt sich hier um eine 
direkte Metaplasie des Epithels im Tröltsch-Wendt’schen Sinne. Es muss 
also neben der Bezold-Habermann'schen Theorie der Epitheleinwanderung 
auch die Möglichkeit der direkten Metaplasirung berücksichtigt werden. Die 
Ursache des Schwundes der knöchernen Höhlenwand sieht Siebenmann in 
einer Endothelhypertrophie der Gefässe der Cholesteatommatrix und in einer 
secundären Verödung der Gefässe des Periosts. Dieselbe findet sich aber nur 
in dem schon längere Zeit trocken gebliebenen reizlosen Gewebe, und auf ihr 
beruht wohl auch die Thatsache, dass eröffnete Cholesteatomhöhlen sich oft 
relativ rasch vergrössern. Redner zeigt entsprechende mikroskopische Präparate. 

In der Discussion bemerkt Herr Siebenmann, dass der Knochen- 
schwund bei Cholesteatom grosse Aehnlichkeit mit demjenigen hat, welcher 
sich unter der metaplasirten Nasenschleimhaut — bei der Ozaena — einstellt. | 

22* 


332 Bericht über die Verhandlungen der otologischen Abtheilung 


Herr Hartmann konnte einen Schwund der Muscheln bei Ozaena nicht 
beobachten. Bei einem Knaben, der ohne Borkenbildung mit abnormer Weite 
beider Nasenböhlen in Behandlung kam, wurde spätere Borkenbildung prognosticirt 
und trat wirklich nach einigen Jahren auf. Die von Zuckerkandl gemachte 
Angabe, dass bei der Ozaena der Uebergang einer Hypertrophie der Muscheln 
in Atrophie zu beobachten sei, kann nicht als berechtigt erscheinen, da eine 
solche Schlussfolgerung aus anatomischen Präparaten nicht gemacht werden kann. 


Herr Siebenmann stellt sich ebenfalls nicht auf den Standpunkt von 
Zuckerkandl., Dagegen sah er normale Muscheln atrophiren. 


2. Herr Karutz-Lübeck: Ein Fall von Stapesextraktion. 


Vortragender berichtet über eine Patientin, bei der er wegen Scleruse den 
Steigbügel extrahirt hat. Von unangenehmen Zufällen nach der Operation war 
nur kurzdauernde Pulsverlangsamung und drei Tage langer ziemlich starker 
Schwindel zu bemerken. Nach fünf Tagen Trommelfell geschlossen. Wohl- 
befinden. Erfolg der Operation: Flüsterzablen 1 m, während vor der Operation 
nur Conversationssprache verstanden wurde; Pat. konnte mit dem operirten 
Ohre ohne Anstrengung telephoniren. Vortrag. schreibt die Hörverbesserung 
der Hyperästhesie des Acusticus zu. Nach sechs Wochen langsame aber stete 
Abnahme des Gehörs, das augenblicklich — acht Monate nach der Operation — 
ziemlich wieder den Stand wie vor der Operation erreicht hat. Dauernde 
Besserung der subjectiven Gehörsempfindungen. Vortrag. hält es trotz des 
wenig ermuthigenden Erfolges nicht für richtig, die Operation im Princip ab- 
zulehnen, und empfiehlt, in hoffnungslosen Fällen mit ihr einen Versuch zu 
machen. 


Discussion: Herr Ludewig-Haınburg fragst, ob der Stapes sichtbar 
war und wie Vortrag. die Extraction ausgeführt. 


‚Herr Karutz: Der Stapes war sichtbar, die Operation war die von Blake 
beschriebene. 


Herr Ludewig hält die Stapesextraction nicht für so ausserordentlich 
gefährlich auf Grund der Erfahrungen, die er mit unbeabsichtigten Extractionen 
bei Gelegenheit von Hammer-Ambossexcisionen gemacht hat. 


Herr Walb-Bonn bemerkt, dass die bei Eiterungen unabsichtlich vorge- 
nommenen Stapesextractionen mit den bei Sclerose gemachten nicht ohne Weiteres 
gleichgestellt werden können, da bei jenen der Stapes schon gelockert ist, das 
Organ sich schon accommodirt hat und deshalb die tumultuarischen Erschei- 
nungen ausbleiben. Bei der plötzlichen Eröffnung des Labyrinths treten stets 
stürmische Erscheinungen auf, die sich zu der Höhe steigern können, wie sie 
Bezold in einem Falle gesehen. Oft ist die Stapesextraction unmöglich, weil 
der Stapes rom Margo tympanicus gedeckt liegt; hier erst den Knochenrand 
abzumeisseln, erscheint nicht empfehlenswerth. Die Erfolge unserer Operationen 
gehen stets nach einiger Zeit zurück, auch bei den Hammer-Ämbossextractionen ; 
die Hörverbesserung ist unmittelbar nach der. Operation immer am grössten, 
um dann allmählig wieder zu sinken, wie Redner noch vor Kurzem bei einer 
Hammerextraction sah, die er wegen Narben- und Synechienbildung ausführte. 


der 67. Versammlung deutscher Naturforscher u. Aerzte in Lübeck. 333 


Herr Hartmann-Berlin macht darauf aufmerksam, dass durch Extraction 
von Hammer und Amboss zuweilen auch Verschlechterung des Gehörs eintritt 
und man deshalb nur mit Vorsicht zur operativen Behandlung sclerotischer 
Fälle schreiten sollte. 


2. Sitzung. 
Vorsitzender: Dr. Hartmann- Berlin. 


3. Herr Steinbrügge-Giessen: Demonstrationen. 


Im Auftrage des am Erscheinen verhinderten Herrn Prof. Steinbrügge 
demonstrirt Herr Karutz einige mikroskopische Präparate von Labyrinth- 
eiterungen. Die eine Serie, von einem an Streptococcenmeningitis zu Grunde 
gegangenen einjährigen Kinde stammend, zeigt in schönen Schnitten die eiter- 
erfüllten Schneckenwindungen. Die zweite Serie stammt von einer an Cere- 
brospinalmeningitis verstorbenen Frau, bei der während der letzten Lebenstage 
eine eitrige Mittelohrentzündung constatirt war, und lässt besonders gut den 
Eiterdurchbruch durch das Lig. annulare erkennen. Sämmtliche Schnitte sind 
vertical gegen die Achse des Felsenbeins gerichtet. 


4. Herr Körner-Rostock: Die Ohrenheilkunde des Hippokrates. 
Der Vortrag wird in Separat-Ausgabe erscheinen. 


Die Sitzung wird in Gemeinschaft mit der laryngologischen Ab- 
theilung fortgesetzt. 


5. Herr Moldenhauer-Leipzig: Zur operativen Behandlung der 
Hypertrophien der unteren Nasenmuscheln. 


Vortragender bespricht zunächst die verschiedenen Methoden, die bei der 
Behandlung der hypertrophischen Nasenschleimhaut zur Anwendung kommen, 
betont die Unzulänglichkeit der chemischen Mittel und der Massage. die Ge- 
fahren einer intensiven Anwendung des Galvanocauters und die Nachtheile der 
kalten Schlinge; er empfiehlt dann als souveränes Mittel zur Entfernung der 
Muschelhypertrophien die Glühschlinge, deren Vorzüge geringe Schmerzhaftig- 
keit, geringe Blutung, geringe Reaction sind. Findet die Schlinge keinen Halt, 
so zieht M. mit einem messerförmigen Brenner eine tiefe Furche längs dem 
unteren Rande der unteren Muschel, umgeht ihr vorderes Ende und trennt die 
Hypertrophie los. Jetzt lässt sich die Geschwulstmasse leicht mit der Glüh- 
schlinge fassen und ohne grössere Blutung entfernen. Unter Umständen zieht 
er eine zweite Furche längs dem oberen Rande der Muschel bis zur Vereinigung 
mit der ersten Furche und trennt das in diesem Winkel hervortretende Polster 
ebenfalls mit der Glühschlinge los. Vortr. glaubt, dass diese Operationsmethode 
die Resection der unteren Nasenmuschel überflüssig macht. Auch zur Ent- 
fernung der Hypertrophien der hinteren Muschelenden bleibt meist nur die 
Glühschlinge übrig; die Nachbehandlung besteht gewöhnlich nur in der Appli- 
cation eines deckenden Pulvers, bei Blutungen soll man mit der vorderen 
Tamponade nicht zu eilig sein. weil bei der Entfernung des Tampons am 
nächsten Tage erneute Blutungen auftreten. 


334 Bericht über die Verhandlungen der otologischen Abtheilung 


Discussion: Herr Winkler-Bremen erachtet die Resection der unteren 
Muscheln im Wesentlichen nur für die breiten, flächenhaften Verwachsungen 
zwischen unterer Muschel und Septum und für galvanocaustisch zerstörte untere 
Muscheln für indicirt. 

Herr Zarniko-Hamburg weist auf die grossen Vorzüge der kalten vor 
der glühenden Schlinge hin; sie sei weniger complicirt und leiste genau das- 
selbe, wenn man eine in die Röhre ganz einziehbare Schlinge, wie die Hart- 
mann'sche oder Krause’sche anwende. Man könne mit einer solchen die 
Hypertrophie glatt abschneiden, ohne zu reissen. Die Blutung sei nicht stärker 
als nach galvanocaustischer Operation. Redner lässt die Patienten sofort nach 
der Abschnürung ‘ein paar Stunden ruhig liegen: sie verlieren dann nur wenige 
Kaffeelöffel Blut. Tamponire man, so blute es nachträglich viel erheblicher. 

Herr Walb-Bonn operirt nur mit der kalten Schlinge; stärkere Blutungen 
könne man dadurch leicht vermeiden, dass man nach dem Zuschnüren der 
Schlinge dieselbe erst einige Minuten liegen lässt und dann mit einem plötz- 
lichen Ruck den Tumor abreisst. Knochenblasen der mittleren Muschel lassen 
sich mit der kalten Schlinge sehr leicht abtrennen. Dass die kalte Schlinge 
ausser dem gefassten Stück noch ein mehr weniger grosses Stück der Umgebung 
mitentfernt, sei geradezu ein Vortheil, da auch letztere meist hypertrophisch 
erkrankt sei. 

Herr Heymann-Berlin ist der Ansicht, dass die kalte Schlinge in allen 
Fällen genügt. 

Herr Moldenhauer betont nochmals als Vorzug der Glühschlinge, dass 
sie nicht reisst, sondern schneidet. 

Herr Winkler fragt, welche Erfahrungen die Anwesenden bezüglich der 
Recidive d. h. des Auftretens von Wucherungen an anderen Stellen als den 
operirten gemacht haben, und wie sie solchen Nasenstenosen gegenüber handeln, 
die trotz wiederholten Brennens der unteren Muscheln nicht beseitigt sind. 

Herr Heymann sieht als Vorzüge der kalten Schlinge an ihre grössere 
Leichtigkeit und Handlichkeit, sowie die geringere Reaction nach der Operation. 
Echte Recidive der papillären Erkrankung gäbe es nicht. Die sog. Recidive 
seien Erkrankungen von Nachbarstellen, also nicht zu vermeiden, wolle man 
nicht die ganze Muschel exstirpiren. Bei der Trennung der Synechien komme 
es auf die Operationsmethode nicht an, die Wiederverwachsung müsse man 
verhüten durch Einlegung irgend welcher Fremdkörper (Watte, Staniol, Karten- 
blatt etc.). 

Herr Winkler meint, dass die kalte Schlinge bei omida Entartung 
jedenfalls dann vorzuziehen sei, wenn die Nasenobstruction zu Stauungen in den 
Nachbarorganen, besonders im Auge, geführt habe. 


6. Herr Moldenhauer: Zur operativen Behandlung der kuppel- 
förmigen Verbiegungen der Nasenscheidewand. 


Vortragender hat sich zur Entfernung der kuppelfórmigen Verbiegungen 
des vorderen Abschnittes der Nasenscheidewand spitze, über die Fläche stark 
gebogene Messer construiren lassen, die ihm vortreffliche Dienste geleistet haben. 
Er durchstösst mit dem Messer den oberen Rand der Verkrämmung mehr in 
ihrem vorderen Abschnitte, geht nun schneidend soweit als möglich nach hinten, 


der 67. Versammlung deutscher Naturforscher u. Aerzte in Lübeck. 335 


dann nach unten und wieder nach vorn. zur Einstichstelle zurück, und um- 
schneidet somit ein annähernd kreisförmiges Stück, das schr leicht mit einer 
Zange entfernt werden kann. Die Operation ist auch bei Cocainisirung nicht 
schmerzlos. Bei grösserer Ausdehnung der Verbiegung muss man sich oft durch 
Abtrennung des Nasenflügels in der Nasenfurche Platz schaffen, was bei sub- 
cutaner Application von Cocain fast schmerzlos gemacht werden kann. Die 
Blutung ist ziemlich stark, wird durch Tamponade gestillt, die AUein 2—3 
Tage dauern muss. Weitere Nachbehandlung ist unnöthig. 


7. Derselbe: Ueber eine bisher unbekannte Form der Nasen- 
verengung. 

M. sah bei zwei Patientinnen Verlegung des Nasenlumens durch Verdickung 
der Oberkiefer. Im ersten Falle waren der Körper, der Stirn-, Joch- und 
Gaumenfortsatz gleichmässig diffus verdickt, der Alveolarfortsatz normal; im 
zweiten Falle der Körper und Proc. frontal. erkrankt. Vortrag. lässt die Frage 
nach der Ursache der Knochenveränderung unentschieden, möglich, dass hereditäre 
Lues im Spiele ist. Bei der zweiten Patientin verschwanden nach 30 gr Kal. 
jodat. und 15 Fl. Adelheidsquelle die Kopfschmerzen, die Verdickung des 
rechten Proc. front. verringerte sich. 


8. Herr Karutz-Lübeck: Krankenvorstellung. 


Es handelt sich um einen durch Aufmeisselung geheilten Fall von chroni- 
schem Stirnhöhlenempyem, das sich im Anschluss an eine Influenza entwickelte. 
Die Nasenuntersuchung ergab nur Eiter am Nasendach, die Schleimhaut war 
normal, ohne jede Wucherung der Muscheln oder Septumschleimhaut. Druck- 
empfindlichkeit namentlich der unteren Wand. Durchleuchtung war nur inso- 
fern von Werth, als sie eine Eiteransammlung in den Kieferhöhlen ausschloss. 
Der Schnitt verlief horizontal von der Nasenwurzel, teımporalwärts im Augen- 
brauenbogen, Wegmeisseln des grösseren Theils der vorderen Sinuswand, Aus- 
kratzen des Stirnsinus und der angrenzenden Siebbeinzellen, Jodoformgaze- 
tamponade nach aussen. Naht bis auf eine kleine Oeffnung für den Drain. 
Nach zwölf Tagen Nase und Stirnhöhle eiterfrei. Vortr. spricht sich auf Grund 
von Leichenuntersuchungen gegen die Schäffer’sche Trepanation der unteren 
Sinuswand aus, betont die Schwere des Eingriffs bei der Jansen'schen Operation 
und empfiehlt die Wegmeisselung der vorderen Wand nach Kuhnt. Speciell 
wendet er sich gegen die Behauptung Jansen's, als müsse die letztere stets 
eine „sehr widerwärtige“ Entstellung bedingen und illustrirt das Gegentheil 
durch Vorstellung seines Patienten. 


9. Herr Hartmann-Berlin: Demonstrationen. 


Vortr. erwähnt zunächst einen Fall seiner Beobachtung, in dem einfacher 
Verschluss des Ausführungsganges der Stirnhöhle Stirnkopfschmerzen verbunden 
mit Druckgefühl verursachte, ohne dass die auskleidende Membran entzündet 
gewesen wäre. Der Sinus erwies sich bei der Aufmeisselung frei, doch ragte 
in seinem Boden eine mit eitriger Flüssigkeit gefüllte Siebbeinzelle hinein. 
Die Wände der Zelle wurden entfernt, nach der Nase drainirt, völlige Heilung. 
Später wiederholte Schmerzanfälle durch jeweiligen Verschluss des Ausführungs- 


. x 


336 Bericht über die Verhandlungen der otologischen Abtheilung 


ganges, durch Sondirung beseitigt. Vortr. zeigt Präparate der Stirnhöhle, 
welche darthun, dass eine Eröffnung der Stirnhöhle von der Nase aus zwischen 
Septum und mittlerer Muschel unstatthaft ist, und ferner dass mit der neuen 
Lichtwitz’schen Canüle, die genau die Form der vom Vortragenden für die 
Highmorshöhle empfohlenen hat, die Stirnhöhle nicht ausgespült werden kann. 
Die Abkrüämmung muss mindestens um 1 cm länger sein. 


Discussion über beide Vorträge. 


Herr Walb-Bonn wendet zur probatorischen Eröffnung der Stirnhöhle 
die amerikanische Bohrmaschine an und fragt die Anwesenden, ob sie ebenfalls 
Erfahrungen darüber gesammelt haben. 

Herr Hartmann-Berlin und Herr Zarniko-Hamburg sprechen sich 
gegen die Bohrmaschine aus, da in manchen Fällen die Stirnhöhlen überhaupt 
fehlen und dann die Schädelhöhle angebohrt würde. 

Herr Winkler-Bremen schliesst sich der Ansicht Hartmann's bezüg- 
lich der probatorischen Eröffnung der vorderen Sinuswand ebenfalls an. Die 
Trepanation der unteren Wand, die er früher empfohlen hat, wendet er nur 
noch unter Umständen zur Feststellung der Diagnose an. Sehr guten Ueber- 
blick über die in Betracht kommenden Verhältnisse fand Redner bei der 
Operation nach Kuhnt. 

Herr Moldenhauer-Leipzig glaubt, dass genuine Empyeme der Stirn- 
höhle sehr selten vorkommen und dass es sich häufig um Verwechselung mit 
Siebbeinempyem handelt. Auch bei der Sondirung ist es schwer zu entscheiden, 
ob die Spitze der Sonde sich in der Stirnhöhle oder in einer stärker nach vorn 
und oben vorspringenden Siebbeinzelle befindet. 

Herr Hartmann hält es für nothwendig, eine dauernde freie Communi- 
cation zwischen Stirn- und Nasenhöhle zu schaffen. Wird bei einer operativen 
Eröffnung der Stirnhöhle kein Secret gefunden, so kann durch lineare Vereini- 
gung der Wandränder jede Entstellung vermieden werden. Zu den Ausspülungen 
empfiehlt er Wasserstoffhyperoxyd 1:100—1000. 

IIerr Karutz fragt Herrn Hartmann, ob er nicht die Reinfection von 
der Nase her fürchtet. 

Herr Hartmann betont, dass durch die Schaffung der Communication 
das natürliche Verhältniss wiederhergestellt wird. 

Herr Leutert-Halle emptiehlt zur Catbeterisation der Stirnhöhlen eine 
vom Instrumentenmacher Hellwig in Halle angefertigte Canüle. welche einer 
geringen lateralen Biegung des Stirnhöhlencanals beim Eintritt in die Stirn- 
höhle gerecht wird. 


10. Herr Siebenmann-Basel: Der trockene Catarrh und die 
Epithelmetaplasie der knorpeligen Nase (Rhinitis sicca anterior). 


Siebenmann stellt das Krankheitsbild einer Rhinitis sicca anterior auf, 
die zu Borkenbildung, Epistaxis, Eczem und Perforation der knorpeligen Nasen- 
scheidewand führen kann und deren Häufigkeit ca. 100/ọ aller Fälle von Er- 
krankung der Nase überhaupt beträgt. Die Symptome sind lästiges Gefühl 
von Trockenheit und Spannung, eczemähnliche Reizzustände, die Schleimhaut 
oft klebrig, zuweilen trocken und wie bestäubt oder gefirnisst, später hellgrau 


der 67. Versammlung deutscher Naturforscher u. Aerzte in Lübeck. 337 


von epidermisartigem oder sehnigem Aussehen. Durch Bohren mit dem Finger 
entstehen Blutungen, mit den Borken zugleich wird lebendes Gewebe abgerissen, 
was schliesslich zur Perforation führt, mit der der Process abgeschlossen ist. 
In anderen Fällen wuchert die erkrankte Schleimhaut und führt zum sogen. 
blutenden Septumpolyp. Furunkel, Erysipel, Lupus, idiopathische acute Septum- 
phlegmone können von diesen Stellen aus entstehen. Mikroskopisch zeigt sich 
die Schleimhaut feingefältet, mit Uebergangs- oder Plattenepithel. Der Firniss, 
der die erkrankten Stellen bedeckt, zeigt bei der Färbung stellenweise die 
deutliche Reaction der Hornsubstanz. Die Diagnose ist leicht, wird aber oft 
bei Kindern nicht gestellt, da sich hier das Augenmerk vorwiegend auf die 
Wucherungen im Nasenrachenraum richtet. Die Therapie beschränkt sich auf _ 
die bei der Blepharitis ciliaris gebräuchlichen Salben, Verbot des Bohrens und 
foreirten Schneuzens, kurzes Zuiückschneiden der Vibrissae und auf Constitution 
verbessernde Mittel. Bei habitueller Epistaxis empfiehlt er Kalihypermanganicum 
in Substanz. 


11. Herr Zarniko-Hamburg: Demonstrationen. 


Vortragender demonstrirt mikroskopische Präparate eines Falles von 
Papilloma durum nasi; bisher nur sechs Fälle bekannt. Der Tumor sass 
mit dünnem Stiel dicht vor ‚dem vorderen Ende der rechten unteren Muschel 
eines ca. 60 jährigen Mannes und füllte die Nasenseite ganz aus. Makroskopisch 
zottig und durch Luftstaub oberflächlich geschwärzt, ähnlich einer schmutzigen 
Bürste zeigt er mikroskopisch spärliches Bindegewebsgerüst, in der Hauptmasse 
ein vielfach geschichtetes verhornendes Pflasterepithel mit mächtiger Abstossung 
von Hornlamellen. Bis jetzt kein Recidiv (über 1 Jahr). Zweitens zeigt Vortr. 
an mehreren Exemplaren, dass die alten Kehlkopfspiegel ein etwa 25 maliges 
Kochen (jedesmal 2 Minuten in 10/9 Sodalösung) ertragen, ohne den geringsten 
Makel zu zeigen und empfiehlt sie als die immer noch zweckmässigsten. 


12. Herr Karutz-Lübeck: Die adenoiden Vegetationen und die 
Schule. 

Vortragender hat die Kinder der Schule für Schwachbefähigte untersucht 
und in fast 700/9 Wucherungen gefunden; er empfiehlt gleiche Untersuchungen 
in anderen Städten, um weiteres Material für die Frage der Schulärzte zu 
gewinnen. 

Discussion. Herr Hartmann-Berlin hält eine Gleichartigkeit in der 
Beurtheilung der Grösse der Racheninandel für schwierig. 

“ Herr Pluder - Hamburg hat den Procentsatz der Rachenmandel bei 
schwachbefähigten Kindern nicht so hoch gefunden und glaubt, dass sie bei 
ihnen eine geringere Rolle spielt, als bei stotternden Kindern. 


3. Sitzung. 
Vorsitzender: Prof. Körner. 


13. Herr Walb-Bonn: Die Vibrationsmassage des Trommelfells. 
und der Gehörknöchelchen mittelst der Lucae’schen Drucksonde. 


Vortragender hat schon auf der Naturforscherversammlung in Halle mit- 
getheilt, dass er in der Anwendung der Lucae’schen Drucksonde weitergehe, 


338 Bericht über die Verhandlungen der otologischen Abtheilung 


als Lucae selbst, indem er sehr viel mehr Stösse hintereinander macht und 
meist zwei Sitzungen täglich abhält, Inzwischen hat derselbe an einer grossen 
Anzahl von Fällen das Verfahren weiter erprobt. Sucht man sich die Fälle 
aus, so kann man sehr gute Resultate erzielen, die besten bei reinen Beweglich- 
keitsbeschränkungen ohne Erkrankung des Labyrinths.. In einer Reihe von 
Fällen geht der Effect wieder verloren. Der Vortragende theilt einige aus dem 
Journal herausgezogene Resultate mit, aus denen hervorgeht, dass mitunter die 
Besserung sehr rasch eintritt. W. ist gegenwärtig damit beschäftigt, einen 
selbstthätigen Apparat zu construiren, der die Stösse besser ausführen kann als 
die Hand und gleichzeitig sehr viel rascher und häufiger. 

Discussion: Herr Karutz- Lübeck empfiehlt die Anwendung der Druck- 
sonde; es giebt sicher Fälle, in denen sie ganz bedeutend mehr leistet, wie die 
Luftdouche; er erwähnt einen solchen Fall, in dem mehrere Wochen lang ohne 
jeden Erfolg catheterisirt war und dann nach einmaliger Application der Druck- 
sonde die Hörweite von 20 cm auf 3 m stieg, nach einigen Tagen auf 4 m und 
dieser Erfolg noch nach 3/4 Jahren controllirt werden konnte. Der Fall war 
umso interessanter, als er strenggenommen eine Contraindication gegen die 
Drucksonde abgab wegen entzündlicher Reizung des Trommelfells. 

Herr Ludewig-Hamburg hält ebenfalls jede Entzündungserscheinung am 
Trommelfell für eine Contraindication der Drucksondenanwendung. Er fragt 
Herrn Walb nach dem Verhalten der hohen Töne und der subjectiven Ge- 
räusche in den mitgetheilten Fällen, und ferner, ob den Patienten selbst eine 
Hörverbesserung von 5 auf 17 oder 30 cm bemerkbar und ob sie mit einer 
solchen zufrieden gewesen wären. 

Herr Walb erwiedert, dass die hohen Töne durchweg erhalten waren, und 
dass meist subjective Geräusche vorlagen, die fast ausnahmslos auf die An- 
wendung der Drucksonde schwanden, ja meist früher schwanden, als die Hör- 
verbesserung eintrat. In einigen Fällen beschränkte sich der Erfolg überhaupt 
nur auf das Nachlassen der subjectiven Geräusche. Die Besserung des Hör- 
vermögens ist in vielen Fällen sehr bedeutend und den Patienten sehr wohl 
bemerkbar. Welchen objectiven Effect die Vibrationsmassage hat, ob es sich 
nur um Verbesserung der Schwingungsfähigkeit oder um weitergehende Ver- 
änderungen handelt, kann noch nicht beantwortet werden. Möglicherweise hat 
die Anwendung des Verfahrens zugleich einen trophischen Effect. 

Herr Zarniko-Hamburg fragt, ob Vortr. die Lucae’sche Methode der 
Abkühlung der Sonde anwendet, um die Empfindlichkeit herabzusetzen. 

Herr Walb hält dieselbe nicht für nöthig und wendet sie nicht an. 

Herr Pluder- Hamburg bemerkt, dass im praktischen Sinne die Hör- 
erfolge Walb’s ihm so imponirend nicht erscheinen, dass aber schon die Ab- 
nahme der subjectiven Geräusche die Behandlung empfehlenswerth mache. Er 
selbst benutzt die modificirte Lucae’'sche Drucksonde. Die Erfolge sind immer- 
hin besser als die der Delstanche’schen Trommelfellmassage. 

Herr Zarniko-Hamburg hält die Hörverbesserungen, die Walb erzielt 
hat, doch für recht beträchtlich. Nach den Ausführungen Bezold's muss man 
die Verhältnisszahl in Betracht ziehen, nicht die Differenz der Hörweiten. Es 
ist z. B. eine Hörverbesserung von 5 cm auf 20 cm gleichzusetzen einer solchen 
von 5m auf 20 m. 


der 67. Versammlung deutscher Naturforscher u. Aerzte m Lübeck. 339 


Herr Naegeli-Akerblom-St. Gallen empfiehlt. die Patienten anzu- 
weisen selbst Hörprüfungen mit eigener Taschenuhr vorzunehmen, da sie in 
diesem Falle auch mit Hörverbesserungen von 5cm auf 25 oder 30 cm zu- 
frieden sind. M 

Herr Hartmann-Berlin bittet, darauf zu achten, ob auch bei Parakusis 
Willisii Besserung zu erzielen ist. Bei ihr liegt stets einfache Sclerose vor ohne 
Betheiligung des nervösen Apparates und wird durch andere Behandlungs- 
methoden nie eine Besserung des Gehörs erreicht. 


14. Herr Zarniko-Hamburg: Ueber isolirte Ozaena der Trachea 
nebst Bemerkungen über das Wesen der Ozaena. 


Vortragender sah einen Patienten, dessen Luftröhre mit dunklen fest- 
haftenden Borken austapeziert war, die den specifischen Gestank der Ozaena 
verbreiteten, während die höher gelegenen Luftwege von der Glottis aufwärts 
völlig gesund waren. Von der einfachen trockenen Laryngotracheitis unter- 
scheidet sich die Erkrankung durch den chronischen Verlauf und den Foetor 
der Borken. In der Literatur findet sich nur noch ein ähnlicher Fall von 
Baginsky in der Berl. klin. Wochenschr. 1876 Nr. 37 beschrieben. Beide Fälle 
zeigen, dass die Ozaena eine selbstständige Erkrankung ist, die in jedem Ab- 
schnitt des Respirationsapparates isolirt auftreten kann; sie widerlegen die 
Fränkel’sche Vermuthung, dass der Foetor eine Folge des Schwundes der 
Bowmann’schen Drüsen und des Fehlens ihres Secretes sei, ferner die Theorie 
Zaufal’s, wonach abnorme Erweiterung des Luftweges und davon abhängige 
Zersetzung des Nasensecretes den Foetor ozaenae hervorrufe. Vortr. wendet 
sich auch gegen die bekannte Anschauung Grünwald’s und glaubt, dass die 
Ozaena eine von Anfang bis zu Ende eigenthümliche Krankheit ist. Er hält 
auch den Ozaenacoccus nicht für die Ursache derselben, wenn er auch vielleicht 
den Foetor bedingt, und wiederholt seine schon vor zwei Jahren bekannt ge- 
gebene, Ansicht von der Ozaena als einer Trophoneurose der Nasenschleimhaut 
wobei die Ernährungsstörung das Primäre sei. Die Erfahrungen der Hautärzte 
(Glossy skin) und die Ansichten Hopmann’s stützen diese Theorie. 


15. Derselbe: Ueber Kakosmia subjectiva. 


Vortragender macht auf einen cardinalen Unterschied zwischen subjectiven 
Gerüchen auf der einen Seite und subjectiven Geräuschen und Lichtempfindungen 
auf der anderen Seite aufmerksam. Jene sind fast immer unangenehmer Natur 
(Koth, Cadaver etc.), diese mehr angenehmen Charakters (Vogelzwitschern;; rosige 
Wolken, bunte Sterne etc... Vortr. glaubt, diese Erscheinung finde ihre Er- 
klärung in der Thatsache, dass die sog. subjectiven Kakosmien in der über- 
grossen Mehrzahl re vera objective sind und grossentheils von verkappten Neben- 
höhlenempyemen herrühren. Zu dieser Ueberzeugung haben ihn vier Fälle 
geführt, in denen nichts auf Nebenhöhlenerkrankung hinwies und wie von 
anderen Aerzten, so auch von ihm zunächst auf Hysterie und Hypochondrie die 
Diagnose gestellt war. Spätere Punction der Kieferhöhlen ergab aber in allen 
vier Fällen Ansammlung von stinkendem Eiter. Vortrag. empfiehlt deshalb in 
allen Fällen von Kakosmie, für die sonst keine handgreifliche Ursache vorliegt, 


340 Bericht über die Verhandlungen der otologischen Abtheilung ete. 


die Kieferhöhlen vom unteren Nasengang (nach M. Schmidt) auszuspülen. 
Dann dürften sich viele subjective Kakosmien als objective entpuppen. 


16. Herr Jankau-München: Demonstration. 


Jankau zeigt einige Ohrmodelle, die aus einer neuen von J. Enzler 
Söhne München, Obersendling, fabrieirten Marmormasse hergestellt sind. Sie 
haben den Vorzug, unzerbrechlich, ja fast unzerstörbar und waschbar zu sein, 
sodass man zu Demonstrationszwecken auf ihnen mit Farbe und Blei zeichnen kann. 


17. Herr Hartmann-Berlin: Demonstration. 

Redner zeigt einen Tricotschlauch. der mit Sublimatlösung befeuchtet bei 
_ Operationen am Ohr über den Kopf gestülpt wird, um die Umgebung des Ohres 
aseptisch zu halten. Er hat zwei Einschnitte, einen für das Gesicht und einen 
für die Operationsstelle. Da die Schnittränder klaffen, so liegt das Operations- 
gebiet vollständig frei. 


Herr Prof. Urbantschitsch- Wien hat der Abtheilung ein 


Widmungsexemplar seines neuen Buches »Ueber Hörübungen bei Taub- 
stummheit und bei Ertaubung im späteren Lebensalter« übersandt. 


Herr Prof. Körner-Rostock schliesst die Verhandlungen mit 
einigen Worten des Dankes an den Einführenden der Abtheilung. 


Präsenzliste. 


}. Siebenmann-Basel; 2. Hartmann-Berlin; 3. Bockemöhle- Münster; 
4. Grube- Flensburg; 5. Koch- Braunschweig; 6. Wegener - Hannover; 
7. Ludewig-Hamburg; 8. von Wild-Frankfurt a. M.; 9. Walb-Bonn; 
10. Düsterwald-Bremen; 11. Jankau-München; 12. Davidsohn-Berlin; 
13. Koerner-Rostock; 14. Naegeli-Akerblom-St. Gallen; 15. Leutert- 
Halle; 16. Pluder-Hamburg; 17. Zarniko-Hamburg; 18 Dormann- 
Kassel; 19. Karutz-Lübeck; 20. Framm-Lübeck. l 


Bericht 


über die 


Leistungen und Fortschritte 


der 


Pathologie und Therapie im Gebiete der Krankheiten des 
Gehörorganes und der Nase 


im zweiten Quartal des Jahres 1895. 


Zusammengestellt von Dr. Arthur Hartmann in Berlin. 
m 
Allgemeines. 


1. 74. Jahresbericht des Newyork Eye and Ear Infirmary für das am 30. Sep- 
tember endende Berichtsjahr. Ohren- und Hals-Abtheilungen. 

2. 25. Jahresbericht des Newyork Ophthalm. and Aural Institute für das am 
80. September 1894 endende Berichtsjahr. Dr. Knapp, Toeplitz und 
Vulpius. Ohren- und Halsabtheilungen. 

3. 25. Jahresbericht des Manhattan Eye and Ear Hospital während des am 
30. September 1894 endenden Berichtsjahres. Ohren- und Halsabthei- 
lungen. 

4. Jahresbericht aus dem Ambulatorium für Ohren-, Nasen-, Hals- und Mund- 
krankheiten. Von Dr. Stetter, Monatsschr. f. Ohrenheilkunde 1895, 
Nr, 24. 

5. Bacon Gorham. Ursache und Verhütung von Taubheit. Americ. med. 
surg. Bulletin 1. Mai 1895. 

6. Dench, E. B. Ohrenerkrankungen in Folge von Influenza N.-Y. med. Record 
6. April 1895. 

7. Bernstein, E. J. Ohrencomplicationen bei innen Maryland Medical 
Journal 4. Mai 1895. 

8. Cheatle Arthur H. Bathing and aural Diseases. Lancet 15. Juni 1895. 

9. Lermoyez et Helme. De l'asepsie en otologie, rhinologie et laryngologie 
Ann. des mal. de l’oreille etc. Nr. 6, 1895. 

10. Alt, Ferd. Dr. Ueber den Ausfall der Gehörperception auf einem Ohre. 
Monatsschr. f. Ohrenheilkunde Nr. 25, 1895. 


342 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


11. Gellé. Le torticollis ab aure laesa. Ann. des maladies de l'oreille etc. 


Nr. 4, 1895. 
12. Gellé. Des ödemes phlegmoneux souscoutanés périotiques. Ibid. Nr. 5, 
1895. 


13. Gillispie, L. Two Cases of Deaf Mutism and Goitre. A Deaf Mutism with 
persistent anterior Fontanella. Provincial Medical Journal 1. Mai 1895. 


1) In der Ohren-Abtheilung der Newyork Eye and Ear Infirmary 
wurden 4688 neue Patienten behandelt und 495 Operationen ausgeführt, 
worunter 133 Paracentesen, 6 Ossikulektomien wegen Otitis media catarrhalis, 
19 Ossikulektomien wegen Otitis media purulenta, 48 Warzenfortsatz- 
operationen mit 41 Aufmeisselungen, 74 Entfernung von adenoiden 
Vegetationen und 28 Tonsillotomien sich befanden. — In der Hals- 
abtheilung wurden unter 1884 neuen Fällen 401 Operationen ausgeführt, 
einschliesslich 103 Entfernungen von Adenoiden, 69 Tonsillotomien, 4 
Asch-Operationen zur Geradestellung der Nasenscheidewand, 3 Kürettir- 
ungen der Siebbein- und Oberkieferhöhlen. Toeplitz. 

2) In der Ohren- und Halsabtheilung der Newyork Ophthalmic 
und Aural-Institute wurden 2028 neue Patienten behandelt und 234 
Operationen ausgeführt. Unter den wichtigeren Operationen befanden 
sich 14 Eröffnungen des Warzenfortsatzes mit dem Meissel (darunter 
waren 2 Stacke, 1 modificirter Stacke, 1 mit Gehirnabscess und 1 mit 
Cholesteatom), 19 Paracentesen (1 mit Tenotomie des Tensor tympani), 
50 Entfernungen von adenoiden Vegetationen, 1 Entfernung von Epi- 
theliom des weichen Gaumens, 24 Tonsillotomien, 1 Ossikulektomie, 1 
Trennung des Amboss Steigbügel-Gelenks und 1 Trepanation wegen Ge- 
hirnabscesses. Toeplitz.- 

3) Die Ohren- und Halspatienten des Manhattan Eye und Ear 
Hospital werden in getrennten Abtheilungen behandelt. Die Zahl der 
neuen Patienten der . Öhrenabtheilung betrug 2749, die der Halsab- 
theilung 3809. — 236 Operationen wurden in der ersteren ausgeführt, 
worunter sich 39 Warzenfortsatzoperationen, 21 Paracentesen und 59 
Entfernungen adenoider Vegetationen befanden. Die Gesammtzahl der 
in der Nasen- und Halsabtheilung ausgeführten Operationen betrug 688, 
einschliesslich 180 Entfernungen von adenoiden Vegetationen und 16 
Operationen wegen Verbiegungen der Nasenscheidewand und Entstellungen 
der Nase. = Toeplitz. ` 

4) Stetter empfiehlt die Wilde’sche Incision bei allen Periosti- 
tiden des Warzenfortsatzes nach acuter und chronischer Mittelohreiterung 
als ersten operativen Eingriff, welcher selbst in Fällen mit meningealer 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 343 


Reizung zur Heilung genügen kann. Nur wenn sich der Knochen ver- 
ändert zeigt, ist das Antrum sofort zu eröffnen, sonst werde mit dieser 
Operation gewartet, da sie sich manchmal als unnöthig erweist. 

| Killian (Freiburg). 

5) Bacon gab eine Statistik von 203 Kindern, 115 männlichen 
und 88 weiblichen. Unter den Ursachen ihrer Taubheit waren 10 Fälle 
von Ohrenschmalz, 4 von Fremdkörpern, 30 von Otitis media catarrhalis 
acuta, 3 von Otitis media catarrhalis subacuta, 25 von Otitis media 
catarrhalis chronica, 37 von Otitis media purulenta acuta, 85 von Otitis 
media purulenta chronica, 2 von Otitis media purulenta chronica mit 
Warzenfortsatzerkrankung und 5 von Labyrintherkrankung. — Von 
den 203 Fällen waren 177 Fälle von acutem und chronischem Catarrh 
und acuter und chronischer Eiterung des Mittelohres. Viele Patienten 
waren schlecht genährt, tuberkulös, scrophulös oder syphilitisch, so dass 
Leberthran, Jodeisensyrup und Syrup. hypophosph. indicirt waren. Die 
Untersuchung des Ohres bei Scharlach. Masern, Diphtherie und Influenza. 
ist von grosser Wichtigkeit. Frühzeitige Paracentese ist hier oft von 
Bedeutung, da sonst ausgiebige Zerstörung des Trommelfells mit nach- 
folgender Caries der Gehörknöchelchen und des Schläfenbeins stattfinden 
kann. Unter den 203 Fällen sind, ausser Ohrenschmalz, Erkältungen, 
Influenza, adenoide Wucherungen, Schwimmen, Masern, Diphtherie, 
Zahnen, Tuberkulose, Traumen und Cerebrospinalmeningitis als Ursachen 
aufgezeichnet. Bacon. 

6) Dench legt sehr viel Gewicht auf den Werth einer frühzeitigen 
Eröffnung des Trommelfells; da der Ausfluss dann eher von kürzerer 
Dauer sein kann. Das Ohr muss durch Ausspülungen rein gehalten 
und Kälte muss im frühen Stadium von Entzündung des Warzenfort- 
satzes angewandt, aber nicht länger als 48 Stunden fortgesetzt werden. 
Die Warzenfortsatzzellen müssen eröffnet werden, wenn sich Eiter ge- 
bildet hat. | Bacon. 

7) Die gegenwärtige Influenza-Epidemie war ungewöhnlich fruchtbar 
in Bezug auf ernste secundäre Erkrankungen des Ohres. Die Haupt- 
eigenthümlichkeiten waren starke Hyperämie und' Schmerzen, die in 
keinem Verhältniss zu den gewöhnlich beobachteten Zuständen waren. 
Während des Anfalls der Influenza oder in der Reconvalescenz kommen 
typische Symptome von acutem Magencatarrh, nämlich Kopfschmerzen, 
Uebelkeit, übelriechender Athem, gefurchte Zunge und grosses Unbe- 
hagen hinzu. Nach mehreren solchen Tagen erscheint Ausfluss aus dem 
Ohr mit starker Empfindlichkeit über dem Warzenfortsatz und Tragus. 


344 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


Der Fall kann dann bezüglich der Schmerzen günstig verlaufen, oder 
die letzteren können nach kurzer Remission, wieder sehr heftig werden, 
worauf eine reguläre Mastoiditis eintritt. Bacon. 

8) Cheatle lenkt die Aufmerksamkeit auf die Thatsache, dass 
Baden, besonders Baden in der See, oft die directe Ursache von Ohr- 
erkrankungen abgibt, von denen er folgende anführt: Otitis media 
acuta, Otitis externa diffusa, acute Exacerbationen bei chronischer 
Mittelohreiterung, gelegentliche Ausdehnung eines Eiterungsprocesses auf 
Antrum, Processus mast. etc. Exostosen, Trommelfellrupturen, Labyrinth- 
erschütterung endlich Aufquellen von Ceruminalpfröpfen. Er ist der 
Ansicht, dass acute Otitis manchmal dadurch verursacht wird, dass vom 
Nasenrachenraum Wasser ins Mittelohr geblasen wird; er betont ferner, 
dass ein Patient mit Ausfluss aus dem Mittelohr überhaupt nie, und 
derjenige, der irgendwie zu Ohrerkrankungen geneigt ist nur dann baden 
sollte, wenn der Gehörgang entsprechend zugestopft ist. 

| Erhard Müller (Stuttgart). 

9) Nach einigen einleitenden Worten über die bakterientödtende 
Wirkung des Nasenschleims und über die Infectionsmöglichkeit von 
Operationsstellen aus, wird von Lermoyez und Helme dringend das 
aseptische Verfahren empfohlen, da das antiseptische wegen der grossen 
Resorptionsfähigkeit der Schleimhaut Gefahren bietet. Dass der Arzt 
wie zu einer Laparotomie desinficirt sei, ist ein Ding der Unmöglichkeit 
und unnöthig, er soll es nur machen wie die Bakteriologen, die, ohne 
selbst keimfrei zu sein, doch absolut keimfrei arbeiten; nur zuweilen, 
wo man direct manuell zu thun hat, muss. man die Hände exact des- 
inficiren. Bezüglich der Desinfection des Patienten so gelingt es den 
Gehörgang nach dem Zaufal’schen Verfahren aseptisch zu machen, 
nicht aber die Nase oder den Larynx. Spülungen sind eher schädlich, 
weil sie den Nasenschleim und damit auch dessen keimtödtende Wirkung 
entfernen. Unbedingt nöthig und möglich ist es aber die Instrumente 
zu sterilisiren und da empfehlen Verff. mehr als Heissluft und Wasser- 
dampf für die metallischen Instrumente das kochende Wasser; für sehr 
empfindliche Instrumente kann man sich mit längerem Eintauchen in 
Chloroform begnügen. Die Schwierigkeit einer exacten Sterilisirung 
liegt bekanntermaassen bei den nicht metallischen Instrumenten: da 
muss man zu kalten Lösungen greifen am besten zu der 1°/, Christ- 
mas’schen Pheno-Salyc.-Lösung (9 Carbolsäure, 2 Milchsäure, 1 Salicyl 
säure, 0,1 Menthol.) die in doppelter Concentration selbst tuberkulösen 
Auswurf innerhalb weniger Minuten desinficirt, ohne selbst 43 Stunden 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 345 


darin liegenden Spiegeln zu schaden. Verff. beschreiben weiterhin 
ihre kochbare Asbestspritze und einige andere sehr praktische Apparate. 
Für die Sterilisation des Wassers haben sie sich einen 40 Liter 
fassenden Apparat construirt, der ihnen zu jeder Zeit ein beliebiges 
Quantum keimfreien Wassers beliebig zu erwärmen gestattet. Zur Steri- 
lisation der Watte lassen sich kleine birnförmige Tampons im strömenden 
Wasserdampf oder Sandband sterilisiren, die sie in gut verschlossenen 
Gefässen aufbewahren und dann mit sterilen Pincetten daraus entnehmen. 
Muss man die Tampons nachher noch mit mehr weniger keimhaltigen 
Fingern formen, befeuchtet man sie mit Borsäure-Alcohollösung und 
flammt sie ab, bis sie eben anfangen zu verkohlen. Im Schlusskapitel 
belegen die Verff. die Nothwendigkeit und Zweckmässigkeit ihrer minu- 
tiösen Asepsis mit 257 während der ersten 15 Monate ambulant vor- 
genommenen Operationen. Die Erfolge sind glänzend. 
G. Zimmermann (Dresden). 
10) Alt glaubt, dass bei rein einseitiger oder vorwiegend ein- 
seitiger Schwerhörigkeit die psychische Perceptionsfähigkeit für Schall- 
eindrücke in Folge des Nichtgebrauches vollständig verloren gehen kann 
und empfiehlt solchen Patienten regelmässige Hörübungen mit dem 
schlechter hörenden Ohre anzustellen, während welcher das andere zu- 
zustopfen ist. Killian. 
11) Jede Contractur des Sternokleidomastoideus oder der Nacken- 
muskulatur soll einen veranlassen, das Ohr zu untersuchen. Acute 
Mittelohrentzündungen, die auf die Warzenfortsatzzellen übergreifen 
besonders auf die unteren und inneren die Drüsenschwellung machen, 
die cerebrale Complicationen im Gefolge haben, können die Ursache 
des Schiefhalses sein, selbst bei der Sclerose (!) und subacuten Formen, 
bei Meniere’schen Schwindel will Verf. Torticollis beobachtet haben. 
Zimmermann. 
12) Gell& hat schon 1890 (Berliner Congr.) auf die oft den 
Facialislähmungen vorausgehenden acuten schmerzhaften Gesichtsödeme 
aufmerksam gemacht; nun beschreibt er analoge Fälle, wo ein peri- 
auriculäres Oedem das hervorstechende Krankheitssymptom ausmacht. 
Es ist immer einseitig, diffus über die ganze Seite oft bis herab zum 
Zungenbein ausgedehnt, heiss und schmerzhaft, und verlegt am meisten 
das Gehörgangslumen. Gleicherweise greift es auch in die Tiefe, wie 
das Auftreten von Schwindel und Geräuschen beweist. Schwellungen 
der Pharynxschleimhaut sind häufig dabei. Die Oedeme können spurlos 
in 8—12 Tagen verschwinden, hinterlassen manchmal Schwerhörigkeit 
Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXVII. 23 


346 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


manchmal Facialislähmung. Aetiologisch kann es sich einmal um 
nervösen Ursprung handeln, dann um constitutionelle — gichtische — 
und schliesslich um infectiöse Ursachen. Es ist nicht leicht, sich 
differentialdiagnostisch über die Natur des Leidens schlüssig zu werden. 
Es kommen Entzündungen im Canalis Fallopii, Entzündungen des 
äusseren und mittleren Ohres, Erysipel, Ekzem und Warzenfortsatz- 
erkranknngen in Frage. Für die primären Oedeme entscheidend aber 
ist immer die schliessliche Resolution etwa am 12. Tage. Verf. hat 
11 Beobachtungen gesammelt, die er der Beschreibung dieses neuen 
Krankheitsbildes zu Grunde legt. Zimmermann. 

13) In der Edinburgh Med. Chi. Society stellte Gillispie 2 
Schwestern vor, die beide taubstumm waren und an Kropfbildung und 
Pulsbeschleunigung litten; 2 andere Schwestern, die nicht vorgestellt 
wurden, boten genau denselben Zustand dar, das einzige weitere Kind 
in der Familie war ein Knabe, der vollkommen gesund war. Unter 
Darreichung von „Jodide und Bromide of Strontium“ trat Besserung 
im Allgemeinbefinden ein. Ausserdem stellte er ein 9jähriges taub- 
stummes Mädchen mit persistirender vorderer Fontanelle und theilweise 
in 2 Hälften getheiltem Stirnbein vor. 


Instrumente und Untersuchungsmethoden. 


14. Chasman N. S. Pipette für Mittelohrspritze. New-York, Med. Journ. 
1l. Mai 1895. 

15. Jackson, Chevalier. Ein ÖOhrmasseur. Journ. americ. med. Assoc. 
1l. Mai 1895. | 

16. Lestee John C. Eine elektrische Drucksonde für die direkte Vibration 
des Trommelfells. New-York med. Journ. 8. Juni 189. 


14) Das Instrument ist der Buck’schen Glaspipette sehr ähnlich ; 
nur hat der Verfasser an Stelle des Glases Hartgummi gesetzt und es mit 
einem gewöhnlichen Pipettenballon, einem feinen, am Ende leicht ge- 
krümmten Gummiansatz zur leichten Einführung in Perforationen ver- 
sehen. Bacon. 

15) Bei diesem Instrument wird die Bewegung auf den Masseur 
durch einen kleinen elektrischen Motor, der von einer Batterie oder 
Akkumulatorenzelle bewegt wird, übertragen. Eine Gummiröhre führt 
vom Boden des Cylinders zum Ohrrenendstück, welches in den äusseren 
Gehörgang eingeführt wird. Der Verfasser behauptet mit diesem In- 
strument bessere Resultate erhalten zu haben, als mit Delstanche’s 
Rarefactor und Siegle’s Otoskop. | Bacon. 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 347 


16) Lestee gibt eine Beschreibung dieses Instrumentes (eines 
Motors mit daran befestigter Drucksonde) mit Abbildungen. Der kurze 
Fortsatz des Hammers ist als Berührungspunkt ausgewählt, und die 
Sonde wird durch ein Spekulum eingeführt und in sicherer Lage er- 
halten, Die Schwingungen betragen von 500 bis 1500 und darüber 
in der Minute. In den bisher behandelten Fällen wurden die besten 
Resultate mit einer minimalen Länge oder Ausdehnung und einer maxi- 
malen Anzahl der Schwingungen erreicht. Die Dauer der Behandlung 
schwankt, im Durchschnitt zwischen 3 und 10 Sekunden in jeder Sitzung 
und muss 2 bis 3mal in der Woche wiederholt werden. Der Verfasser 
behauptet, dass dieses Instrument kraft seiner Wirkung zur Erhöhung 
der Vaskularität und deshalb auch der Ernährung der Theile, für Fälle 
von Sklerose und atrophischen Zuständen von besonderem Werthe sei. 


Bacon. 
Aeusseres Ohr. 


17. Holinger J. Ein ungewöhnlicher Fall von Deformität des Ohres. Annal. 
of ophth. and otol. April 1895. 

18. Lederman M. D. Otitis externa diffusa. New-York med. Journ. 18. 
Mai 1895. 

19. Corradi. Des sténoses rebelles de la portion cartilagineuse du conduit 
aud. externe et leur traitement. Annal. des mal. de l'oreille ete. No. 
4, 1895. 

20. Lannois. Rupture du tympan chez un pendu. ibid. No. 6, 1895. 

21. Weissenstein, Dr. in Stuttgart. Fremdkörper im Ohre. Württ. med. 
Corresp.-Blatt No. 14. 1895 


17) In diesem Falle war der ganze Kopf unsymmetrisch: Die linke 
Gesichtshälfte war in allen Dimensionen niedriger als die rechte und 
zeigte eine deutliche Depression, welche sich vom ramus des Unterkiefers 
bis zur linea temporalis und vom Jochbein bis zur Hinterhauptsgegend 
erstreckte. Das Ohrläppchen war kleiner als gewöhnlich. Die Insertions- 
linie der Ohrmuschel bildete °/, eines Kreises und der freie Rand der 
Ohrmuschel war über sich selbst und im spitzen Winkel nach vorn 
gebogen. Der Tragus fehlte. Die Ohrmuschel wurde in ihrer Stellung 
verbessert, indem man sie halb von ihrem breiten Ansatz abpräparirte 
und an einen Einschnitt in die vertikale Verlängerung des noch ad- 
härenten Theiles annähte. Das Resultat war eine kleine senkrechte 
Narbe vor dem Ohre und ein etwas zugespitztes Ohr. Bacon. 

18) Die 23jährige Patientin spritzte sich wegen starken Juckens 
in beiden Ohren, dieselben mit einer starken Karbolsäurelösung aus, 
welche eine Otitis externa diffusa erzeugte. Zwei Tage später fand 

23* 


348 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


Lederman beim ersten Besuche, das Gesicht, in Folge seröser In- 
filtration, welche sich über die Wangen- und äussere Infraorbitalgegend 
verbreitet hatte, sehr aufgedunsen. Die Bindehäute beider Augen waren 
stark injicirt. Es bestand eine diffuse Schwellung beider Ohrmuscheln, 
welche sich auf der linken Seite über den Kieferwinkel ausdehnte. 
Serum erfüllt die Vertiefungen der Ohrmuscheln und quoll an der Basis 
einer Pseudomembran hervor. Die Uhr wurde auf keiner Seite gehört. 
Die Patientin wurde vollständig wieder hergestellt. Bacon. 
19) Im ersten Falle fand sich bei einem Mann, der sich vor einem 
Monat eine Kugel in die hintere Gehörgangswand geschossen hatte, 
eine mässige Stenose im knorpeligen Theil, daneben Ausfluss und bisweilen 
Schwindel. Unblutige Dilatationsversuche verschlimmerten die Sache 
so, dass man kaum einen Stecknadelknopf einführen konnte und schwere 
Retentionserscheinungen auftraten. Deshalb circuläre Excision und 
Drainage bis in’s Antrum. Hinterher doch noch Caminariabehandlung, 
aber schliessliche Heilung. — Im zweiten Falle hatte sich bei einer 
Frau nach einem Erysipel eine Otorrhoe entwickelt, das Erysipel reci- 
divirte in Jahresfrist 15 mal, hinterliess eine bleibende Verdickung der 
Weichtheile der rechten Gesichtshälfte und eine Yerengerung des linken 
Gehörgangs. Diese bestand weniger in einer Zunahme des Dicken- als 
des Längendurchmessers so, dass, wenn man das eingeführte Speculum 
zurückzog, die Gehörgangsumkleidung sich fernrohrartig in einander 
schob. Resektion eines ca. 0,5 cm breiten Stückes und Jodoformgaze- 
tamponade, die später durch ein Drain ersetzt wurde. Heilung bis auf 
Fortbestehen der Mittelohreiterung. Zimmermann. 
20) Den seltenen Fällen von Trommelfellruptur bei Erhängten fügt 
Lannois einen neuen hinzu. Ausser starker Cyanose des Gesichtes, 
Ekchymosirung der linken Conjunctiva, Zungenbeinbruch und Bluterguss 
in die pia fand sich im Trommelfell links eine ovale Ruptur im 
hinteren unteren Quadranten, mit gerötheten Rändern und punktförmigen 
Hämorrhagieen und Röthung der Paukenhöhlenschleimhart. Eine Er- 
klärung des Mechanismus wird nicht gegeben, und die Zaufal’sche 
Annahme eines durch den hinaufgedrängten Zungengrund bedingten 
Tubenverschlusses und die Trautmann’sche, dass es sich um post- 
mortale Erscheinung handele, verworfen. Zimmermann. 
21) In dem im Stuttgarter Aerztl. Verein gehaltenen Vortrag‘ be- 
spricht Weissenstein das Capitel der Fremdkörper nach anatomischen 
wie klinischen Gesichtspunkten, wobei insbesondere die Therapie in 
eingehender Weise erörtert wird, daran schliesst er die Beschreibung 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 349 


eines Falles, den er gemeinschaftlich mit einem Chirurgen beobachtet 
hat. Es betrifft ein 8jähriges Mädchen, das mit durch entzündliche 
Schwellung stark verengtem Gehörgang in Behandlung kam. Beim Aus- 
spritzen — es bestand Eiterung — floss Wasser in den Nasenrachen- 
raum ab. Es wurde zunächst von Extractionsversuchen abgesehen und 
Boralcoholeinträufelungen verordnet. Als aber die Otorrhoe täglich 
zunahm und Schmerz hinter dem Ohr und auf dem Scheitel auftrat, 
wurde in tiefer Narkose Muschel und Gehörgang abgelöst und nach 
vorn geklappt und es gelang jetzt, den grösstentheils in der Pauken- 
höhle liegenden Fremdkörper — einen 4eckigen Körper aus Glas 
(Abb.) — herauszuhebeln, ohne dass die knöcherne Trommelfellwand 
verletzt wurde. Glatter Wundverlauf, Aufhören der Sekretion nach 5 
Wochen, Gehör normal. Eine anfängliche Stenose am Uebergang des 
knorpeligen in den knöchernen Gehörgang bildete sich grösstentheils 
zurück. Müller. 


Mittiores'Ohr. 


22. Dench E. B. Was soll der practische Arzt bei acuter Otitis thun? Americ. 
med. surg. Bullet. 1. Mai 1895. 

23. Nichols J. E. H. Otitis bei kleinen Kindern. Ibid. 

24. Bishop S. S. Acuter Catarrh des Mittelohres von epidemischem Character. 
Med. and surg. Reporter. 27. April 1895. 

25. Pes und Gradenigo. Les staphylocoques pyogènes dans les otites 
moyennes aigues et chroniques et en particulier de leur mode de traitement. 
Annal. des mal. de l'oreille etc. 1895. 

26. Chipault et Demoulin. Les méfaits de l’ineision de Wilde. Ibid. No. 4, 
1895. T 

27. Hamon du Fougeray. Traitement antiseptique des suppurations chroniques 
simples de la caisse. Ibid. No. 6, 1895. à 

28. Smith S. W. Cuen. Empyem des Warzenfortsatzes und seine Beziehungen 
zu acuten Ohrerkrankungen. Med. and surg. Reporter. 1. Juni 1995. 

29. Lake R. Facial Paralysis in recent otitis media. Provinc. med. Journ. 
1. Juni 1895. 

830. Buck Alb. H. The prognosis of operations upon the mastoid process of 
diabetic persvns. New-York med. Journ. 29. Juni 1895. | 

31. Roberts N. S. Ein Fall von Necrose des Warzenfortsatzes, welche die 
Wände des Sinus lateralis mit ergriff. N. Y. Eye and Ear Inf. Rep. 
Januar 1895. 

82. Goldstein M. A. Exfoliation der Schnecke, des Vorhofs und der halb- 
cirkelförmigen Kanäle. Annal. of Ophth. and Otol. April 1895. 

33. Bacon Gorham. Ein Fall von Otitis media purul. chronica, complicirt 
mit Erkrankung der Zellen des Warzenfortsatzes und einem extraduralen 
Abcess, Operation, Heilung. New-York Eye and Ear Inf. Report. Januar 
1895. 


350 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


34. Barrow Bryce. A case of disease of the ear in which a resulting Tem- 
porosphenoidal Abscess discharged throngh the nose. Lancet 29. Juni 
1895. 

35. Carson N. B. Gehirnabscess.. New-York med. Journ. 27. April 1895. 

36. Grünwald Dr. München. Casuistische Mittheilungen I. Otitischer Hirn- 
abscess. Münch. med. Wochenschr. No. 20, 1895. 

37. Thomas J. L. und Purris W. T. Cerebellar abscess following middle 
ear suppuration with polypus in external. meatus. Lancet 18. Mai 1895. 

38. Moore W. A case of abscess in temporosphenoidal lobe secondary to 
middle ear suppuration — recovery. Ibid. 20. April 1895. 

39. Leith R. T. C. Cerebral abscess with symptoms resembling tubercular 
meningitis. Brit. med. Journ. 11. Mai 1895. 

40. Deanesly E. A case of aural pyämia without sinusthrombosis treated 
by ligature of the internal Iugular vein and plugging of the lateral sinus. 
Ibid. 13. April 1895. , i 

41. Bacon Gorham. Spontane Ruptur der Warzenfortsatzzellen. New-York 
med. Journ. 18. Mai 1895. 

42. Lautenbach Louis. Nicht eiterige Fälle von Ohrenerkrankungen. Mas- 
sage versus Entfernung des schallleitenden Apparates. Atlantic med. 
Weekly. 18. Mai 1895. | 

43. Story J. B. A case of malignant disease of the middle ear. Lancet 27. 
April 1895. 


22) Diese Arbeit nebst der folgenden von J. E. H. Nichols 
wurde in der pädiatrischen Sektion der N.-Y. Academy of Medicine 
vorgetragen. — Dench wies auf die Symptome acuter Otitis bei 
Kindern hin und betrachtete davon den Schmerz als das Hervorragendste. 
Locale Blutentziehung mit dem Heurteloup ist von grossem Werth, 
wenn die Schmerzen von Entzündung des mittleren und äusseren Ohres 
herrühren. Der Patient muss dann an’s Bett gefesselt und auch purgiert 
werden. Opiate sind zuweilen nothwendig und trockne statt feuchte 
Hitze wird empfohlen. Nach dem Eintritt des Ausflusses sind anti- 
septische Ausspülungen erforderlich. Die Menge des Ausflusses braucht 
nicht abzunehmen, bis die Temperatur normal geworden ist und alle 
Schmerzen verschwunden sind. Wenn Empfindlichkeit hinter dem Ohre 
vorhanden ist, dann gebraucht er einen Eisbeutel, aber niemals länger 
als 48 Stunden zu einer Zeit. Schwellung des äusseren Gehörgangs 
oder Vorlagerung des Trommelfells, mit vorausgehenden Schmerzen, bieten 
hinreichenden Grund zu freier Incision. Bacon. 

23) Eine chronische, katarrhalische Rhinitis ist bei Kindern sehr 
gewöhnlich. Vor der Reinigung der Nase muss .das Kind auf das Ge- 
sicht gelegt und etwas 2°/,ige Kokainlösung in beide Nasenhälften 
zerstäubt werden. Ein olivenförmiger Nasenansatz von einem Irrigator 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes, hl 


wird in ein Nasenloch eingeführt und eine 2°/,ige Borsäurelösung ge- 
braucht. Diese Behandlung soll bei den exanthematischen Fiebern 
ausgeführt werden. Die digitale Untersuchung wird das Vorhandensein 
von adenoiden Vegetationen feststellen. Bacon. 


24) Während der Influenzaepidemie hat der Verfasser beobachtet, 
dass die Ohrenkomplikationen gewöhnlich ungefähr am fünften Tage 
nach dem Anfall auftreten. Die Schmerzen sind sehr heftig. In 12 
bis 24 Stunden erscheint seröser Ausflus. Das Verhältniss von Fällen 
mit gleichzeitiger Affection des Warzenfortsatzes ist bedeutend grösser 
als bei einfacher Otitis media acuta. Die Neigung zur Eiterung ist 
ebenfalls bedeutend grösser. Die konstitutionellen Störungen sind viel 
tiefer und die Erkrankung wird weniger leicht in Schranken gehalten. 

Bacon. 


25) Eine sehr exact gehaltene Widerlegung der von Lermoyez 
und Helme publicirten Theorie, dass 1. die Staphylococcen nur secundär 
und 2. nur durch den Gehörgang einwanderten und 3. die Chronicität 
bedingten. ad 1. wird mit bisherigen Publicationen belegt, dass das 
primäre Vorkommen von Staphylococcen bei noch uneröffnetem Trommel- 
fell gar nicht so selten, ebenso häufig z. B. ist, wie das der Fränkel- 
schen Diplococcen und Streptococcen, wenn auch die Möglichkeit secun- 
därer Substitution durch die spärlichen, exact beobachteten Fälle er- 
wiesen ist. ad 2 ist theoretisch zunächst gar nicht zu erwarten, dass 
die Staphylococcen eine Sonderstellung einnehmen und nur vom Gehör- 
gang aus einwandern können; und ein genau beobachteter Fall, wo der 
Gehörgang keimfrei gehalten wurde und doch Staphylococcen auftraten, 
beweist, dass diese hier nur durch die Tube gekommen sein können. 
ad 3 sieht man in ausgesprochen chronischen Fällen, wie Zaufal u. a. 
zeigten, die verschiedenartigsten Mikroorganismen. Die Chronieität 
hängt eben weniger von den betreffenden Mikroorganismen ab als von 
constitutionellen und localen Ursachen. Diese letzteren bestehen einmal 
in Hindernissen, die eine Eiterretention bedingen, im Fortbestehen von 
Entzündungen im Nasenrachenraum und Gehörgang, und in Compli- 
cationen von Seiten des Warzenfortsatzes, wenn diese auch nicht so 
einseitig, wie Bezold will, die Hauptschuld tragen. — Was nun die 
von Lermoyez und Helme als Infectionsmodus angeschuldigte Watte 
anbelangt, so kommt dieser Infectionsmodus bei keinem exact geschulten 
und gewissenhaften Otologen in Frage, ganz abgesehen davon, dass das 
Wattetampon selten bis an’s Trommelfell gebracht wird und dass selbst 


352 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


die von den Patienten gebrauchte Watte, wenn sie nicht von inficirten 
Aerzten erst infieirt ist, nur Saprophyten enthält. 

Zum Schluss geben Verff. eine Uebersicht über die Erfolge ihrer 
ausschliesslich mit Jodoformgazetamponade behandelten acuten Fälle. 
Leider fehlen ihnen Vergleiche mit andern Statistiken, weil fast keine 
von diesen gleichmässig exact, die Dauer vom Auftreten der ersten 
Schmerzen bis zum Verschwinden der Sekretion angeben. Unter ihren 
167 Fällen kam es bei 96 zur Perforation. Von diesen konnten 49 
bis zur Heilung verfolgt werden und diese Heilung trat im Mittel in 
14 Tagen ein. In 6,2°;, waren Warzenfortsatz- und endocranielle 
Complicationen dabei; eine ungemeine rapide Form der meningitis die 
in 24 Stunden total endete, wurde darunter beobachtet. 

Ein kurzes Resume beschliesst die anregende, lesenswerthe Studie. 

Zimmermann. 

26) Chipault et Demoulin illustriren an mehreren Fällen, an 
zweien ausführlich, nicht nur die Nutzlosigkeit des einfachen Wilde- 
schen Schnittes, sondern auch dessen Gefahren bezüglich der secundären 
Infection. In einem Falle hatten sich schwere phlegmonöse subcutane 
. Fistelgänge und periphere Facialislähmung entwickelt, im anderen Falle 
ausser Fisteln, die auf den entblössten Warzenfortsatz und auf die 
Hinterhauptsschuppe führten, auch eine Fistel, die bis in’s seitliche 
Atlasgelenk reichte und die Resection des Wirbelbogens nöthig machte. 
Beide Fälle wurden schliesslich geheilt. Zimmermann. 

27) Im Anschluss an die Arbeit von Lermoyez und Helme 
und von der gleichen Theorie der secundären Staphylococceninvasion 
ausgehend, publicirtt Hamon du Fongeray sein Verfahren, das in 
subtilen Jodoformgazetamponaden des zuvor mit steriler Watte gereinigten 
Gehörgangs besteht. Zimmermann. 

28) Smith hat während der letzten paar Monate elf Fälle von 
Empyem des Warzenfortsatzes in Folge von Otitis media acuta gesehen. 
Die Lebensalter der Patienten hielten sich zwischen neun Monaten und 
44 Jahren. In vier Fällen war der Abscess oberflächlich; von den 
übrigen Fällen war bei fünf die Krankheit auf das Antrum beschränkt, 
während bei zwei die Zellen ebenfalls ergriffen waren. Der Verfasser 
legt auf die frühzeitige Erkennung und prompte Behandlung aller acuten 
Öhrenerkrankungen sehr viel Gewicht, wodurch Complicationen: von 
Seiten des Warzenfortsatzes verhütet werden. | Bacon. 

29) In einer Versammlung der British Laryngological Rhino- 
skopieal und Otological Society macht Lake auf das Vorkommen von 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 353° 


Facialislähmung bei acuter Mittelohrentzändung aufmerksam, indem er 
über 4 Fälle berichtet, die er unter 658 Fällen von acuter Mittelohr- 
entzündung in St. Thomas Hospital gesehen hat. 

30) Von den bisher veröffentlichten 10 Fällen von Warzenfortsatz- 
erkrankung bei Diabetes (9 von Kuhn zusammengestellt mit 2 eigenen, 
1 von Körner), deren Krankengeschichten kurz wiedergegeben sind, 
wurden 7 operirt; von den Öperirten starben 5. Buck ist in der 
Lage, 4 eigene Beobachtungen hinzuzufügen, die sämmtlich operirt 
wurden und von denen 2 starben, einer am Coma diabet, der andere 
an Sinusphlebitis. B. ist überzeugt, dass eine spätere Statistik eine 
bessere Prognose geben wird, sofern nämlich, wie zu erwarten, künftig 
in einem verhältnissmässig frühen Stadium der Erkrankung operirt 
würde, jedenfalls bevor Sinus oder Dura mater in Mitleidenschaft ge- 
zogen sind. Fast in allen der bisher bekannten Fälle sei relativ spät 
operirt worden. Müller. 

31) Roberts berichtet über einen Fall von Otitis media purulenta 
von achtwöchentlicher Dauer mit nachfolgender Erkrankung des Warzen- 
fortsatzes, in welchem die Warzenfortsatzzellen und ein gutes Stück er- 
weichten Knochens entfernt werden mussten. Auf die Freilegung des 
Sinus lateralis erfolgte eine bedeutende Blutung, welche durch Verpacken 
mit Sublimatgaze gestillt wurde. Die Wunde heilte in sechs Wochen 
vollständig. Der Fall dient nach der Meinung des Verfassers dazu, 
„zu zeigen, wie die Kraft der Natur bei einer ziemlich kräftigen Con- 
stitution im Stande ist, den Verwüstungen der Krankheitswirkung in 
der Nähe vitaler Organe zu widerstehen, und wie hoffnungsvoll die 
Aussichten in Folge radicaler Operationen seien, die nach Maassgabe 
wohl festgestellter chirurgischer Grundsätze und unter scrgfältigen anti- 
septischen Vorsichtsmassregeln ausgeführt werden.“ Bacon. 

32) Goldstein berichtet über einen Fall eines 6!/,jährigen 
Knaben, welcher drei Jahre vorher von einem Masernanfall olıne Ohren- 
complicationen geheilt wurde. Ein Jahr später bekam er heftige, mehrere 
Wochen anhaltende Ohrenschmerzen, auf welche reichlicher Ausfluss 
erfolgte und noch vorhanden war, als der Patient sich zuerst unter 
Beobachtung stellte. Der Gehörgang schloss sich und es stellte sich 
eine Schwellung hinter der Ohrmuschel ein. Der Abscess wurde eröffnet 
und 1!/, Unzen grünen, übelriechenden Eiters entleerten sich. Es fand 
sich ein Canal, der zu ausgedehnter Knochencaries führte. Facialis- 
paralyse erfolgte. Eine Operation wurde ausgeführt, welche in freier 
Incision hinter der Ohrmuschel bestand, und beträchtliche Knochencaries- 


354 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


aufdeckte. Granulationen etc. wurden entfernt und ein antiseptischer 
Verband angelegt. Während der folgenden drei Monate wurde die Wunde 
reingehalten und der Verband gewechselt. Ein Sequester von 36mm 
Länge und 18mm Breite wurde schliesslich entfernt, welcher die Schnecke 
und tieferen Gebilde enthielt. Später stiessen sich zu verschiedenen 
Zeiten andere Sequester ab. Das Sputum enthielt Tuberkelbacillen und 
die Diagnose auf Miliartuberculose wurde gestellt. Der Patient starb. 
Die Untersuchung des Schläfenbeins zeigte ein ausgedehntes Gebiet von 
Necrose. Bacon. 

33) Ein zehnjähriger Knabe kam am 4. November 1894 mit kummer- 
vollem, ängstlichem Gesichtsausdruck, kalten Händen, und vollem, springen- 
dem, eher zu schnellem als normalem Puls in das Infirmary. Er klagte 
über grosse Schmerzen im linken Warzenfortsatz und hörte die Uhr 
auf dieser Seite nur im Contact. Die Ohrmuschel stand weit vom Kopf 
ab und es bestand entschiedene Fluktuation über dem Wearzenfortsatz. 
Das linke 'Trommelfell war roth getrübt und mazerirt. — Er hatte eine 
Temperatur von 103°F. Der Knabe wurde sofort ätherisirt und der 
postaurale Abscess eröffnet, worauf sich etwa vier Gramm Eiter ent- 
leerten. Der Warzenfortsatz wurde dann eröffnet und der erweichte 
Knochen bis zur Spitze hinunter entfernt. — Der Sinus lateralis wurde 
zwar normal befunden, aber man beobachtete, wie Eiter aus der mitt- 
leren Schädelgrube hervorquoll, so dass ein bedeutendes Knochengebiet 
um das Antrum und über demselben entfernt werden musste, um die 
Dura mater zu untersuchen. Die letztere fand sich zwar verdickt, aber 
es wurde im Gehirn selbst mit der Probenadel kein Eiter entdeckt. 
Der Eiter hatte sich offenbar durch eine kleine Perforation in der oberen 
Wand des Mittelohres seinen Weg in die mittlere Schädelgrube erzwungen, 
obwohl dieselbe nicht entdeckt werden konnte. Die Wunde heilte sehr 
schnell und der Knabe wurde vollständig wiederhergestellt.e. Bacon. 

34) Während der Aufmeisselung eines Warzenfortsatzes, die Barrow 
behufs Operation eines Temporo-Sphenoidalabscess machte, sah man Eiter 
aus Nase und Mund lauien. Bei der Section fand sich eine Ansamm- 
lung von Eiter unter dem rechten Stirnlappen, der Abfluss hatte durch 
eine Perforation in der Lamina cribrosa des Siebbeins seitlich der Crista 
galli stattgefunden, von wo aus ein Gang nach dem Temporo-Sphenoidal- 
lappen, der die Abscesshöhle enthielt, führte. 

35) Carson hatte in seiner chirurgischen Praxis während eines 
Zeitraumes von etwas über drei Jahren neun Fälle von Gehirnabscess 
beobachtet, worunter acht von Mittelohrerkrankungen ausgingen. Von 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 359 


einem dieser Fälle gibt er genaue Notizen. In demselben eröffnete er 
bei einem 15jährigen Burschen wegen Otitis media purulenta chronica 
von mehrjähriger Dauer die Warzenfortsatzhöhle. Während der voraus- 
gegangenen zwei Wochen hatte derselbe über heftige Schmerzen im Ohr, 
mit freiem Ausfluss und Druckempfindlichkeit über dem Warzenfortsatz 
geklagt. Die Warzenfortsatzhöhle und das Mittelohr wurden kürettirt. 
Auf die durch die Operation herbeigeführte Besserung folgten bald Symp- 
tome von Gehirnabscess, nämlich langsamer Puls, subnormale Temperatur, 
Erbrechen, Nackenschmerzen, Unruhe, verworrene Sprache, Erhöhung 
der Sehnenreflexe und heftige Kopfschmerzen. Es wurde eine Schädel- 
öffnung 1!/,“ hinter der Mitte des äusseren Gehörgangs und 3], 
über der Reed’schen Basallinie angelegt. In dieser. Oeffinung wölbte 
sich das Gehirn ohne irgend welche Pulsation vor. Die Schläfenlappen 
wurden mit negativem Ergebniss durchsucht. Die Oeffnung wurde dann 
nach unten erweitert und das Kleinhirn durchsucht, aus welchem sich 
ein Eiterstrom entleerte. Der Patient überlebte die Operation nur 1!/, 
Stunden. =- Bacon. 
36) 43jähriger Patient. Beginn der Erkrankung mit Schwellung 
und diffuser Entzündung des rechten Gehörgangs, die bald zurückgingen. 
Nach 5 wöchentlichem Wohlbetinden Kopfschmerzen, Druckempfindlichkeit 
und Schwellung hinter dem rechten Ohr; es wird incidirt und Eiter 
aus einer den ganzen Fortsatz einnehmenden Höhle entleert. Breite 
Freilegung. Nach 3 Wochen neuerdings Kopfschmerzen, Schüttelfröste, 
Druckempfindlichkeit der rechten vena jug. int. Abermalige Operation, 
Entfernung der ganzen knöchernen Decke des Warzenfortsatzes. Nach 
14 Tagen tritt, im linken Facialis beginnend, Parese der ganzen linken 
Körperhälfte auf, Patient matt, apathisch. Es wird trepanirt und das 
Gehirn mehrfach ohne Erfolg punktirt. Eine zweite Trepanation 3 Tage 
später bleibt ebenfalls resultatlos und nach wenigen Tagen tritt Exitus 
ein. — Die Section ergibt einen hühnereigrossen mit fester Membran 
ausgekleideten Abscess im rechten Schläfenlappen. Dura über dem 
Tegmen tympani grauroth verfärbt, Knochen daselbst porös, gelblich ver- 
färbt. — Auffallend ist in diesem Fall der gänzliche Mangel einer 
Mittelohreiterung. Die Weiterverbreitung in das Gehirn geschah offen- 
bar auf lymphatischem Weg durch das Tegmen tympani. Müller. 
37) In dem Fall von Thomas — der Patient hatte seit mehreren 
Jahren an eitrigem Ausfluss aus dem rechten Ohr gelitten — wurde 
das Antrum eröffnet und ausgeräumt, ohne dass eine Besserung im Zu- 
stand des Patienten eingetreten wäre; keine (Stauungspapille) Neuritis 


356 ` Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


optica, mässiges Erbrechen zu Beginn der Erkrankung, Temperatur 
durchweg erhöht; man vermuthete einen Abscess, jedoch der Patient 
war zu elend für eine weitere Operation. Bei der Section fand sich 
ein Abscess im rechten Kleinhirnlappen ; die Hinterfiäche des Felsenbeins 
erwies sich als cariös. | 

38) Auf einer Versammlung der Medical Society of Australia stellte 
Moore .ein 9jähriges Mädchen vor, das, nachdem es seit mehreren 
Jahren Ausfluss aus dem linken Ohr gehabt hatte, plötzlich von Krämpfen 
befallen wurde und das Bewusstsein verlor ; dabei rechtsseitige Hemiplegie. 
Bei der ersten Operation fand man keinen Eiter, dagegen wurden bei 
der zweiten 5 Tage später 2 Unzen Eiter aus dem Temporo-Sphenoidal- 
lappen entleert; Sprache und Gebrauchsfähigkeit des Beins stellten sich 
wieder ein, jedoch blieb Schwäche des Arms mit Contracturen an den 
Fingern zurück. 

39) In der Versammlung der Med. Chi. Society zu Edinburgh 
. zeigte Leith das Schläfenbein eines 14jährigen Mädchens, das Er- 
scheinungen ähnlich denen bei tuberkulöser Meningitis gezeigt hatte. Bei 
der Section zeigte sich däs Mittelohr cariös und faulig, ein Abscess an 
der Vereinigung des Occipital- und Parietallappens mit einem Durch- 
messer von 2 Zoll. | 

40) In Deanesly’s Fall, doppelseitige Otorrhoe nach Scharlach bei 
bei einem 4jährigen Kind, bildete sich ein Abscess über dem linken 
Warzenfortsatz und es traten dabei alle Symptome von Pyaemie auf; 
es wurde die linke V. jugul. interna unterbunden und der Sinus unter- 
sucht; derselbe wurde jedoch normal befunden, denn beim Einschneiden 
blutete es frei. Trotzdem weder Schüttelfröste noch Erbrechen nach 
der Operation auftraten, starb Patient (an Erschöpfung). 

41) Das zweijährige Mädchen wurde der Gesellschaft der „Alumni 
of Bellevue Hospital“ vorgestellt. Sie wurde zuerst am 9. November 
1894 gesehen. Das rechte Ohr zeigte seit 19 Monaten einen Aus- 
fluss, und seit 4 Monaten stellte sich plötzlich eine Schwellung hinter 
dem Ohr ein, welche sich später spontan eröffnete. Ein Einschnitt bis 
auf den Knochen gerade hinter dem Ansatz der Ohrmuschel brachte 
einen etwa 1:?/,“ grossen Sequester zu Tage. Die ganze Höhle wurde 
ausgekratzt und viele ungesunde Granulationen wurden mit der Kürette 
entfernt. Die Wunde heilte sehr schnell. Bacon. 

42) In Folge von Massage wurde das Gehör gebessert und Tinnitus 
gemildert in über 90°, der Fälle von nicht-eitriger Erkrankung. Etwa 
in der Hälfte der Fälle hat diese Behandlungsmethode die vertiginösen 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 357 


Symptome beseitigt. Der Verfasser glaubt nicht, dass die Gehörknöchelchen 
eher entfernt werden müssen, als bis der Patient nicht wenigstens drei 
Monate lang behandelt und während dieser Zeit Massage und andere 
nothwendige Behandlung versucht worden ist. Nach Misserfolgen ist 
die Operation angezeigt. Bacon. 

43) In einer Versammlung des Royal Academy of Medecine in 
Ireland berichtete Story über einen Fall von Sarkom des Mittelohres, 
den ersten, den er im Lauf von 18 Jahren unter 12000 Fällen von 
Ohrerkrankung gesehen hatte. Ein Polyp recidivirte immer von neuem, 
der Patient starb 6 Monate nach der ersten Entfernung des Polypen 
an einer (secundären Neubildung) Metastase am Hals. 


Nervöser Apparat. 


44. Gruber, Jos. Prof. Ueber Morbus M£nieri. Monatsschr. für Ohrenheilk. 
No. 6, 1895. 

45. Van Dyck, Hysterical Deafness. — A Case. British Medical. Journal. 
4. Mai 1895. 


44) Nach Gruber sollten mit Morbus M£nieri nur primäre La- 
byrintherkrankungen bezeichnet werden, welche mit Schwindel, subjectiven 
Hörempfindungen und Schwerhörigkeit einhergehen. Zu trennen wäre 
davon nur die Labyrinthidis. Er weist namentlich auch auf die Mög- 
lichkeit hin, dass Veränderungen am Aquaeductus vestibuli und Recessus 
Cotugni M£niersche Erscheinung&n hervorbringen können. Killian. 

45) Van Dycks Fall von hysterischer Taubheit betraf einen 19- 
jährigen Jüngling, der Gehör und Sprache innerhalb 3 Tagen verlor, 
und bei dem plötzlich Genesung eintrat. Die Anamnese ergab Mastur- 
bation und die Thatsache, dass ein ebensolcher Anfall schon 14 Monate 
früher stattgefunden hatte. i 


Nase und Nasenrachenraum. 


46. Wright, Jonathan. Der Gefässmechanismus der Nasenschleimhaut und 
seine Beziehung zu gewissen pathologischen Processen. Amer. Journ. 
Medic. Science. Mai 1895. 

47. Chappell Walter. Halbflüssige Präparate für gewöhnlichen Gebrauch. 
Annal. of ophthalm. and otol. Soc., April 1895. 

48. Bishop S. S. Kamphor-Menthol. Ein ergänzender Bericht. Journ. americ. 
‘Med. Assoc. 4. Mai 189. 

49. Delavan, D. Bryson. Die Prognose bei Nasenoperationen, welche während 
Influenza-Epidemien und ähnlichen Zuständen ausgeführt werden. New- 
York, Med. Journ. 8. Juni 1895. 


358 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


50. 
51. 
92. 
58. 
54. 
50. 
56. 


57. 


58. 


59. 


60. 


61. 


62. 


63. 


64. 


65. 


66. 


67. 


68. 


Berens, J., Passmore. Ichthyol bei rhinitis atrophica foetida und bei laryn 
gitis tuberculosa. Manhattan, Eye and Ear Hospital Report. Januar 1895. 

Vohsen. Die Behandlung der Rhinitis bei Säuglingen. Zeitschrift für 
ärztl. Landpraxis. Mai 1895. 

Hartzell, M. B. Ekzem der Schleimhäute. Medical News 27. April 1895. 

Wingrave W. Turbinal Varix Lancet. 15. Juni 1895. 

Cresswell, Baber, E. Papilloma in Nose. Medical Press. 8. Mai 1895. 

Zur Pathologie der blutenden Septumpolypen. Von Dr. Carl Biehl, 
Monatsschr. für Ohrenheilk. Nr. 6, 1895. 

Bloxam, A. An Artificial Nose fashioned from a finger. Lancet 18. April 
1895. 

Knight Chus H. Ein Fall von Fibrom der Nasenhöhle. Annals Oph- 
thalm. and Otol. April 1895. Manhattan Eye and Ear Hosp. Report 
Januar 1895. 

Noltenius H. Bremen. 37 Fälle von seröser Erkrankung der Oberkiefer- 
höhle. Monatsschr. für Ohrenheilk. Nr. 4, 1895. 

Myles Robert, C. Diagnose der Erkrankungen der Nebenhöhlen und ihre 
Behandlung. The New-York Polyclinic. Februar und März 189. 

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Wharton, H. R.. Ein Fall von Glossitis, in welchem die die Zunge be- 
deckende Membran die Klebs-Löffler’schen Bacillen enthielt. Medical 
News 15. April 1895. 


46) Nach einer kurzen Besprechung der Gefässanatomie der Schwell- 


körper, wie sie von Zuckerkandl festgestellt worden ist, ist Wright 
doch der Ueberzeugung, dass die primären Arteriolen sich doch nicht 
gelegentlich direct in die venösen Sinus entleeren. Seine an mikro- 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 399 


skopischen Schnitten gemachten Beobachtungen, besonders des Schafes, 
zeigen, dass der venöse Rückfluss gehemmt wird: 1. durch die Er- 
weiterung der Arterie, welche die Vene gegen die Wand des Knochen- 
kanals drückt, durch welchen sie zusammengehen; 2. durch die voll- 
ständige Anastomose zwischen den oberflächlichen Venen untereinander, 
und mit denen der Haut der Nasenöffnungen, der Dura mater und der 
Augenhöhle, welche das tiefe Netzwerk erweitert, wobei sie als die 
Zu- und Ausgangsklappe der cavernösen Gewebe an Stelle contra- 
hirender Muskeln dient; 3. durch die Contraction circulärer Muskel- 
fasern um die Arteriolen und Venen, welche eine Ueberfüllung der 
Vene verhütet, während die Erweiterung der Arterie die Venen com- 
primirt; 4. durch Compression der Venen zwischen den parallelen Fasern 
der Periostalschicht und den nach aussen davon liegenden elastischen 
Fasern und Drüsen. — Verdickung der Wände des venösen Sinus be- 
einträchtigt die Contraction der Muskelfasern. Bei der Atrophie würden 
das muskuläre Element und demnach die Vascularräume in gewisser 
Ausdehnung ausgeschaltet. Die Capillaren der Oberfläche und die 
Drüsen sind in so unmittelbarer Nähe, dass man sich Exsudationen von 
Serum auf die Oberfläche direct aus den Gefässen leicht erklären kann. 
— Drei Abbildungen zeigen deutlich die Anordnung der Gefässe in 
den Knochenkanälen, der Muskelfasern und der Venen zwischen den 
parallelen Periostalschichten. Toeplitz. 
47) Um Heilmittel lange Zeit mit Schleimhäuten in directer Be- 
rührung zu halten, muss man fadenziehende Lösungen anwenden. 
Chapell gebraucht eine Combination von Zinksalbe und sterilisirtem 
Ricinusöl mit Hydrocarbonöl im Verhältniss von 2—8 gr Zink und Ol. 
ricin. : 30 gr. Hydrocarbonöl. Das letztere ist die Basis von Zerstäubungs- 
flüssigkeiten oder Lösungen, zu welchen man je nach Bedarf des Falles 
andere Mittel, wie Borsäure, Kamphor-Menthol, Cocain etc. hinzu- 
fügen kann. Toeplitz. 
48) Die Verbindung von zwei Kampherarten, Menthol und Kampher, 
ergibt eine Flüssigkeit mit der Formel CioH;§0, welche sich als sehr 
wirksam bewährt hat bei: Coryza, Heufieber, Rhinitis intumescens, 
Rhinitis hypertrophica, einfacher Halsentzündung, acuter Laryngitis, 
Tracheitis, Bronchitis und Cauterisationen zur Verhütung von Blutung 
und Entzündung. Es wird für den Hausgebrauch in 3°/,igen Lösungen mit 
Lanolin gebraucht, bei empfindlichen Personen mit Heufieber in schwächeren 
Lösungen und nach Galvano-Kauterisationen durch leichte Verpackung 
der Nasenhöhle durch einen mit einer 20 °/ igen Lösung imprägnirten 


360 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


Wattepfropf, welcher auch gebraucht wird, um zu Secretion bei atro- 
phischer Rhinitis zu reizen. Ä Toeplitz. 
49) Nach seinen während den Grippe-Epidemien in den letzten 
Jahren gemachten Erfahrungen kommt Delavan zu dem Schlusse, 
dass die. Nase keinen chirurgischen Eingriffen während solchen Epi- 
demien ausgesetzt werden darf, weil dieselben leicht von einem acuten 
Grippeanfall und üblen Resultaten gefolgt sind. Dasselbe gilt auch vom 
Heufieber, und Operationen müssen lange genug vor dem erwarteten 
Ausbruch dieser Erkrankung ausgeführt werden, um vorher völlig geheilt 
zu sein. Toeplitz. 
50) Berens hat 78 Fälle von Rhinitis atrophicans mit reinem 
Ichthyol für klinischen und mit einer 10°/,igen Salbe für Hausgebrauch 
behandelt. 15 Fälle wurden nicht gebessert. Er hält Ichthyol für 
heilend, hei Rhinitis atrophica chronica (Ozäna) und bei Laryngitis 
tuberculosa. Es reizt zur Secretion, es desodorirt, absorbirt und an- 
ästhesirt local. Toeplitz. 
51) Man soll öfters am Tage, besonders vor der Nahrungsaufnahme 
in den einen Nasengang bei offenem anderen zarte Lufteinblasungen 
machen lassen, event. nach durch Cocain herbeigeführter Abschwellung. 
Dadurch werden die Secrete aus der offenen Seite herausgeschleudert 
und eine Infection des Mittelohrs ist nicht zu fürchten, da das bei 
kleinen Kindern sehr tief liegende Tubenostium durch den Gaumen- 
schluss meist mit geschlossen wird. Die Schleimhaut selbst wird hinterher 
mit 3°/, Borsäure-Glycerinlösung behandelt. Zimmermann. 
52) Ein 32jähriger Arzt bekam eine leichte Angina follicularis. 
Drei Tage nach dem Anfall trat ein acutes Ekzem auf dem Kinn, den 
Wangen, der Stirn, den Handflächen, Oberschenkeln und Armen auf. 
Gleichzeitig waren die Innenflächen der Lippen, die Schleimhäute der 
Zunge und Wangen mit winzigen, trüben Blasen bedeckt, welche Brennen 
verursachten und nach dem Platzen Geschwüre mit nachträglichen 
heftigen Schmerzen hinterliessen. Nach einer Woche erschienen auf der 
Conjunctiva des Augapfels Gruppen von kleinen Blasen. Die Nasen- 
schleimhaut bot jetzt ebenfalls einen Ausbruch von Blasen dar, welche 
eine Coryza erzeugten. Es traten dann Schmerzen in beiden Knieen 
ein. Dies war der dritte Ekzemanfall des Patienten, wobei die Mund- 
'schleimhaut allein beim zweiten Anfall afficirt war. Während manche 
Beobachter das Auftreten von Ekzem der Schleimhäute leugnen, das 
ganz gewiss sehr selten ist, glaubt Hartzell, dass auch die bron- 
chialen, gastrischen oder Darmschleimhäute der Sitz ekzematöser Ent- 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 361, 


zündung sein können. — Die Behandlung besteht in der Anwendung 
von Cocain von 1°/,igen Resoreinlösungen, von Borsäurelösungen und 
1°/,iger Carbolsalbe. Bei ekzematöser Conjunctivitis sind nach von 
Sehlen schwache Ichthyolsalben ausserordentlich nützlich. 
Toeplitz. 

53) Wingrave versteht unter Turbinal Varix eine besondere 
Form von Hypertrophie, welche die hintere Hälfte der unteren Muschel 
betrifft und sich charakterisirt durch permanente Erweiterung der 
venösen Hohlräume. Die Affection wird in seiner Abhandlung er- 
schöpfend beschrieben; er empfiehlt die Entfernung mittelst Jones’ 
verbessertem Ringmessers. i 


54) In der Londoner Laryngologischen Gesellschaft stellte Baber 
einen Patienten vor mit einem ausgesprochen papillomatösen Tumor, 
breitbasig von Nasenboden und Septum ausgehend. 


55) Beschreibung zweier Fälle, bei welchen die entfernten Ge- 
schwülste sich als cavernöse Angiome erwiesen. Auffallend war bei 
beiden eine starke Wucherung des Endothels, wie sie gewöhnlich bei 
Leberangiomen vorkommt. Bei den sog. blutenden Septumpolypen handelt 
es sich um in pathologisch-anatomischer Hinsicht sehr verschiedene 
Bildungen. Killian. 


56) Bloxam stellte in der Medical Society of London einen Mann 
vor, dessen Nase durch Syphilis zerstört worden war, und dem man 
eine neue aus dem steifen und unbrauchbaren Mittelfinger der linken 
Hand gemacht hatte. Der entsprechend zurechtgemachte Finger wurde 
dem Gesicht angepasst, wobei der Arm durch Heftpflaster gestützt wurde; 
als der Finger angewachsen war, wurde er von der Hand abgeschnitten. 
Die Flügel wurden später von den Wangen aus gebildet. 


57) Knight berichtet über den Fall eines 21jährigen Mannes, 
dessen linke Nasenhälfte durch einen platten beweglichen Tumor ver- 
legt war, welcher bis ganz nach hinten gesehen werden konnte, sich an 
das hintere Ende des mittleren Schwellkörpers ansetzte und die linke 
Choane fast ganz ausfüllte..e Die mikroskopische Untersuchung ergab 
ein reines Fibrom, welches sich durch Dichtigkeit und Mangel an Vascu- 
larität auszeichnete. Toeplitz. 


58) Die Kieferhöhle enthielt in 37 Fällen eine klare, gelbe Flüssigkeit, 
deren Anwesenheit vermittelst der Probepunktion vom unteren Nasengange 
aus nachgewiesen wurde. Die subjectiven und objectiven Erscheinungen 

Zeitschrift für Ohrenheilkunde. Bd. XXVII. 24 


362 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


waren geringe; zur Heilung genügte meist das einmalige Aussaugen der 
Flüssigkeit vermittelst der Spritze. Killian. 


59) Nach einigen Bemerkungen über die Anatomie und Physiologie 
der Nebenhöhlen, theilt Myles die Eiterungen so ein, dass er diejenigen 
der Oberkieferhöhle von denen der andern drei Nebenhöhlen trennt. 
Die entzündlichen Erkrankungen des Antrum Highmori werden wiederum 
kausal eingetheilt, in solche dentalen und nasalen Ursprungs, wobei ihre 
relative Häufigkeit durch neunzehn Fälle dargelegt wird, unter welchen 
zwei direct, zwei indirect und vier wahrscheinlich durch die Zähne verur- 
sacht, während zehn Polypen zeigten, einschliesslich zweier dentaler Fälle; 
ein Fall wurde durch einen acuten Schnupfen hervorgerufen; in acht 
Fällen waren die Siebbeinhöhlen und in vier die Stirnhöhlen miterkrankt. 
Bei Siebbein-, Stirnbein- und Keilbeinhöhlenerkrankungen waren Polypen 
die Ursache bei sieben von acht Fällen. — Für die Diagnose benutzt 
Myles die Durchleuchtung ‚mit grossem Erfolge, wofür er eine Reihe 
von parallelen, mit einem schwarzen Tuch bedeckten Lampen von zu- 
sanımen 66 Kerzen und eine Lampe von 4 Kerzen im Munde benutzt; 
durch Veränderung der Kerzenstärke in der Reihe, kann man irgend 
eine Stärke im Munde benutzen. Einseitige Schatten zeigten, nur mit 
einer einzigen Ausnahme, ein erkranktes Antrum an. Er wäscht auch 
die Höhle durch die natürlichen Oeffnungen oder durch. einen Troikart 
aus oder gebraucht die Veränderung der Kopflage für diagnostische 
Zwecke. — Myles befürwortet den frühzeitigen Gebrauch von chirur- 
gischen Maassregeln für die Entfernung von pathologischen Zuständen. 
Er zieht die Eröffnung des Antrums von der Alveole oder der Fossa 
canina aus mittelst elektrischen Drillbohrers und nachfolgender Aus- 
kratzung mit stumpfen und scharfen Küretten andern Maassregeln vor. 
Auswaschungen durch die natürliche Oeffnung hat die Erkrankung eben- 
falls gehessert, obwohl nicht radical geheilt, aber die Eröffnung durch 
die Mikulicz’sche Operation vom unteren Nasengang aus ergab un- 
befriedigende Resultate. Die letztere Methode hatte besseren "Erfolg, 
wenn das vordere Ende der unteren Nasenmuschel abgesägt, ein Theil 
ihres Ansatzes an dem Oberkiefer mit der Scheere abgeschnitten und 
schliesslich der elektrische Drillbohrer in das Antrum eingeführt wurde; 
Kürettiren von dieser Oeffnung aus ist schwierig. Borsäure-, Karbol- 
säure- und Wasserstoffsuperoxydlösungen passen am besten für die Nach- 
behandlung. In Fällen von Siebbein- oder Keilbeinhöhlenerkrankung 
wird der Boden mit einem kleinen Drillbohrer nach Entfernung der 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 363 


mittleren Muschel perforirt, worauf Küretten mit Nutzen angewandt 
werden. Wenn bei Stirnhöhlenerkrankung eine Operation von aussen 
verweigert wird, dann legt man durch die vorderen Siebbeinzellen dem 
Infundibulum entlang, mit der Scheere, dem Drillbohrer oder der Kürette 
eine Oeffnung an, wobei man einen Theil des Nasenfortsatzes des Ober- 
kiefers entfernt; die heftigen Kopfschmerzen werden hierdurch ausser- 
ordentlich gemildert. 

Der Artikel schliesst mit einem ausführlichen Bericht über vier- 
undzwanzig Fälle. Toeplitz. 


60) In dem Fall, den Symonds in der Laringological Society 
of London vorstellte, hatte der Patient an stinkendem Ausfluss aus der 
linken Nase seit 7, aus der rechten seit 3 Jahren gelitten. Es wurde 
beiderseits die Kieferhöhle eröffnet und dicker stinkender Eiter entleert; 
später trat mitten auf der Stirne eine Schwellung auf, gerade über der 
Nase, als man sie incidirte, floss stinkender Eiter aus'ıund man fand 
etwas links von der Medianlinie eine Oefinung im Knochen, welche in 
die Stirnhöhle führte, mit einer gekrümmten Sonde gelangte man in 
die Nase; es wurde ein Stück eines elastischen Gummibugies eingelegt 
und dieses später durch eine kleine silberne Canüle ersetzt. 


61) 24jähriger Mann leidet seit 2—3 Jahren an stinkender Nasen- 
eiterung mit Borkenbildung. Durch Eröffnung der Kieferhöhlen und 
des Siebbeinlabyrinths Besserung. Es trat jedoch wieder fötide Secretion 
ein, deren Ursprung aus den Stirnhöhlen nachgewiesen wurde. Diese 
wurden eröffnet und ihre Hinterwand cariös zerstört gefunden, Dura 
lag, etwas verdickt und granulirt, rechts ganz frei. Tamponade. Nach 
10 Tagen Kopfschmerz im Hinterkopf. Die Dura wurde gespalten, die 
Hirnoberfläche fand sich leicht rothgrau verfärbt. Bald nach der Ope- 
ration bekam Patient Anfälle von Bewustlosigkeit und Convulsionen. 
Sofort wurde die Schädeldecke um die cariöse Oeffnung herum aufge- 
meisselt und dabei ein ca. erbsengrosser oberflächlicher encephalischer 
Herd gefunden. Punction blieb resultatlos. 8 Tage nach der Operation 
zeigte sich Fluktuation an dieser Stelle; durch Incision wurde ein Ess- 
löffel gelben, nicht fötiden Eiters entleert. Die Schmerzen verschwanden 
sofort und nach 7 Wochen wurde der Patient entlassen. Müller. 

62) Ziem demonstrirt an zwei Zuckerkandl’schen Figuren, 
dass bei der Durchleuchtung vom Munde aus Licht aus der Nasenhöhle 
im Bereiche des mittleren Nasenganges direkt in die Orbita gelangen 
kann, ohne das Gebiet, der Kieferhöhle passirt zu haben. Bezüglich 


24* 


364 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


der subjectiven Lichtempfindung bei der Durchleuchtung erklärt Ziem, 
dass das Fehlen derselben in vielen Fällen durch eine grössere Dicke 
der knöchernen Sinuswände, vielleicht auch durch starken Pigmentgehalt 
der Chorioidea bedingt sei, und dass selbst bei beträchtlicher Eiter- 
ansammlung im Antrum maxillare subjective Lichtempfindung vorhanden 
sein kann. Killian. 


63) Bei dem neuen Instrument ist das Messer sammt den Zugfedern 
aus einem Stück Federstahl hergestellt und mit der Zugschiene durch 
einfaches Einhängen verbunden; der Preis ist von 45 auf 25 Mark 
herabgesetzt. — Die Blutung ist nach Hessler meist gering, Nach- 
blutungen kommen selten vor; Narkose ist gewöhnlich unnöthig, ebenso 
locale Nachbehandlung (Irrigation etc.) Ca. 5°/, der Fälle waren auf 
Tuberkulose verdächtig. Bei ihnen gingen der definitiven Heilung mehr- 
fach Symptome der Allgemeininfection (Schwellung des Halzlymphdrüsen, 
Fieber etc.) vorauf. Müller. 


64) Eustache Smith ist der erste allgemeine Arzt von Ruf, 
der über die Wichtigkeit der Diagnose und der Beseitigung von adenoiden 
Wucherungen bei Kindern geschrieben hat; in seiner sehr interessanten 
Abhandlung beschreibt er sowohl die allgemeinen als die (localen) speciellen 
Erscheinungen, die sie hervorrufen, wobei er insbesondere hinweist auf 
den Symptomcomplex, den man „Infantile Respiratory Spasm“ (Spasmus 
glottidis infantum?) genannt hat, ferner auf das Krächzen (croaking) 
der Neugeborenen, sowie auf die Retraction der Brustwände unterhalb 
der Brustwarzen und die Depression des Schwertfortsatzes bei kleinen 
Kindern. 

Er befürwortet die sofortige Entfernung, sobald sich irgend welche 
Störungen bemerkbar machen, und sorgfältige Ueberwachung, wenn 
Wucherungen zwar vorhanden sind, aber keine Störungen verursachen. 


65) Behufs Entfernung von adenoiden Wucherungen empfiehlt 
Hewetson, den Patienten flach zu legen, den Kopf dem zu seiner 
Rechten stehenden Operateur zugewendet; als Instrument gebraucht er 
eine Modification :der Hartmann’schen Kürette; dieselbe stellt ein 
halbkreisförmiges zweischneidiges Messer dar, mit dem man unter ent- 
sprechender Aenderung des Drucks in der Richtung nach oben, nach 
hinten und sogar nach unten schaben kann. Gegen den weichen Gaumen 
zu ist es stumpf, am Griff ist es unter einem stumpfen Winkel befestigt. 


66) Der Unterschied der Lieven’schen Behandlungsweise der 
schweren und seltenen Fälle totaler Verwachsung der Gaumenbögen und 


Pathologie und Therapie des Gehörorganes. 365 


des Gaumensegels mit der Rachenwand von den sonst üblichen Methoden 
beruht hauptsächlich in der Art der Nachbehandlung. Lieven tampo- 
nirt die erste Zeit nach der Operation, die er in Narcose bei hängen- 
dem Kopf macht, mit steriler, mit Europhen bestäubten Gazeballen, 
welche innerhalb 10 Tagen 2—3 mal gewechselt werden. Alsdann be- 
nutzt er eine von Dionisio angegebene Gummikugel, die in einen 
Schlauch aus demselben Material ausläuft und mittelst eines durch die 
Nase in den Rachen geführten Gummikatheters so in den Nasenrachen- 
raum gebracht wird, dass sie von dem vor der Nase liegenden Schlauch- 
ende aus mittelst eines Gebläses mit Luft gefüllt werden kann. Dieser 
Apparat wird während der ersten 2—3 Wochen täglich 4—5, dann nur 
nach 2—3 Stunden und nach 2—3 Monaten je nach der Schrumpfungs- 
tendenz der Operationsnarbe und noch einige Male wöchentlich eingelegt. 
Die Vorzüge des Ballons gegenüber starren Prothesen oder compacten 
Tampons liegen in seiner energischeren dehnenden Wirkung und seiner 
schmerzloseren Application, sowie der Erleichterung der ambulanten 
Nachbehandlung. — Aussicht auf günstigen Erfolg bieten nur relativ 
frische Fälle. Müller. 
67) Einen Tag nach einer doppelten Tonsillotomie bei einem 4jährigen 
Knaben mit adenoiden Wucherungen, hypertrophischen Mandeln und 
Gingivitis durch cariöse Zähne, fanden sich die Stümpfe beider Mandeln 
mit einer dicken Pseudomembran bedeckt, welche sich auch über die 
vorderen Gaumenbögen erstreckte und mit Schwellung der Submaxillar- 
drüsen, hohem Fieber, Erbrechen etc. verbunden war. Die von der 
Membran angefertigten Culturen enthielten Diphtheriebacillen und Strepto- 
coccen (Gemischte Infection). Am folgenden Tage wurde durch croupösen 
Husten mit laryngealer Stenose eine Intubation nöthig. Der Patient 
wurde geheilt. — Caill&e wiederholt die von ihm bereits im Jahre 
1888 gegen Diphtherie empfohlenen prophylaktischen Maassregeln aus 
dem Grunde, dass die im Nasenrachenraum und in cariösen Zähnen 
latenten Bacterien ohne Gefahr sind, bis sie wieder aufgerüttelt werden, 
wie es kürzlich durch die Untersuchungen von Chautemesse, Kurth, 
Dörnberger u. A., besonders aber durch Biggs und Park bewiesen 
worden ist, welche Diphteriebacillen selbst noch fünf Wochen nach der 
Heilung im Munde mancher Patienten fanden. Caille rieth daher, 
bei Leuten, die einer Infection mit Keuchhusten, Masern, Scharlach 
ausgesetzt sind, ebenso ‚vor der Entfernung von adenoiden Wucherungen 
und Mandeln, zu Auswaschungen mit Salz oder Borsäurelösungen, als 
einer sicheren prophylaktischen Maassregel. Cariöse Zähne müssen vor 


366 Bericht über die Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


Operationen von adenoiden Wucherungen und hypertrophischen Mandeln 
entfernt werden. Toeplitz. 
68) Ein 6jähriges Kind konnte wegen Schwellung der Zunge, die 
auf der rechten Seite mehr ausgesprochen war, weder schlucken, noch 
den Mund schliessen. Die Zunge hing theilweise heraus und war mit 
einer dicken Membran belegt, welche auch den Zungenrücken, die rechte 
Lippe und die Innenfläche der Wange bedeckte. Die Drüsen waren 
geschwollen, die Salivation war profus, Patient sass immer und hatte 
eine Temperatur von 101° F. Die Membran wurde leicht abgestreift, 
enthielt Klebs-Loeffler’sche Bacillen und die Krankheit wurde durch 
wiederholte Incisionen geheilt, welche nur Blut und Serum entfernten. 
Toeplitz. 


Besprechungen. 


Labyrinthtaubheit und Sprachtaubheit. Klinische 


Beiträge zur Kenntniss der sogenannten subcorticalen 
sensorischen Aplasie, sowie des Sprachverständ- 
nisses der mit Hörresten begabten Taubstummen 
von Dr. C. S. Freund, Nervenarzt in Breslau. 
Wiesbaden, Verlag von Bergmann 1895. 


Besprochen von 
Fr. Bezold in München. 


Dem Verfasser erschien in zwei Fällen von hochgradiger Schwer- 
hörigkeit das Missverhältniss zwischen dem noch vorhandenen Hörver- 
mögen im Allgemeinen und dem Mangel an Sprachverständniss auffällig 
und einer Erklärung bedürftig. Der erste Fall betraf eine im Verlauf 
von Meningitis cerebrospin. epidem. aufgetretene partielle Taubheit, im 
zweiten war eine analoge Hörstörung direct nach einem schweren Fall 
auf den Hinterkopf gleichzeitig mit starken Coordinationsstörungen ein- 
getreten. Der letztere Fall war bereits einige Jahre früher auf der psychia- 
trischen Klinik von Wernicke beobachtet und als subcorticale sensorische 
Aphasie gedeutet worden. 


Diese Beobachtungen veranlassten den Verf. zu weiteren Unter- 
suchungen von erwachsenen Taubstummen, weil die bei letzteren häufig 
noch vorhandenen Reste von Hörvermögen ihn ähnliche Verhältnisse 
erwarten liessen, und auch hier am häufigsten wie in den beiden. obigen 
Fällen der Sitz der Grundkrankheit in das Labyrinth zu verlegen ist. 

Verfasser unterwarf sechs erwachsene Taubstumme einer genauen 
klinischen Untersuchung und insbesondere auch einer eingehenden Prüfung 
ihres Sprachverständnisses, welche er noch durch einen Taubstummen- 


368 Besprechungen. 


lehrer vervollständigen liess. Die specielle Untersuchung des Ohres und 
dessen functionelle Prüfung ist von Brieger vorgenommen worden. 
Bei dreien der geprüften Fälle ist bereits die vom Ref. eingeführte 
continuirliche Tonreihe zur Verwendung gekommen, liegt also eine voll- 
kommene Analyse des Hörvermögens für Töne vor. 


Auf Grund dieser Beobachtungen kommt Freund zu dem Schlusse, 
dass das Symptomenbild der sogenannten subcorticalen sensorischen Aphasie 
auch durch doppelseitige Erkrankung des Labyrinths hervorgerufen wer- 
den kann, ohne dass eine cerebrale Erkrankung vorzuliegen braucht. 
Darin, dass die von ihm untersuchten Kranken Geräusche und Töne 
noch hörten, dagegen nur einzelne ihnen bekannte Worte nachzusprechen 
im Stande waren, findet er die Veranlassung, diesen Fällen eine Sonder- 
stellung gegenüber der „gemeinen Schwerhörigkeit“ zu geben. 


Wenn wir unsere Erfahrungen zu Rathe ziehen, wie sie der Ohren- 
arzt täglich an hochgradig Schwerhörigen zu machen Gelegenheit hat, 
und in den einzelnen Fällen Freund’s die Reste von Sprachverständ- 
niss gegenüber den vorhanden gebliebenen sonstigen Hörresten abwägen, . 
so finden wir keine so grosse Abweichung von den bei derartigen Hör- 
defecten im Allgemeinen vorkommenden Sprachstörungen, dass dadurch 
eine genügende Berechtigung gegeben wäre, denselben eine Ausnahme- 
stellung als labyrinthär bedingte Worttaubheit anzuweisen. Ein Theil 
derselben, welcher mit der ganzen Reihe von Tönen geprüft ist, lässt 
eine sehr einfache Erklärung für die Beeinträchtigung des Sprachver- 
ständnisses zu, indem bei ihnen gerade diejenige Strecke der Tonscala für 
das Gehör theilweise verloren gegangen war, welche die Sprache und ins- 
besondere die Vocallaute in sich einschliesst. Diese Fälle werden also 
zutreffender als partielle Tontaubheit oder als Labyrintherkrankungen 
mit Tonlücken an bestimmten Stellen der Scala bezeichnet. Der Ausfall 
der letzteren bedingt eo ipso zugleich, je nach ihrer Lage und Aus- 
dehnung, relative oder absoulte Sprachtaubheit. 


Dem Ref. waren diese Untersuchungen Freund’s von um so 
grösserem Interesse, als er bei seinen vor zwei Jahren angestellten Taub- 
stummen-Prüfungen !) das Hörvermögen für Töne und Sprache ebenfalls 


1) cf. Vorläufige Mittheilungen über die Untersuchung der Schüler des 
Münchener Kgl. Taubstummeninstituts. Vortrag, geh. in der otol. Sect. der 
65. Naturf.- u. Aerzte-Vers. zu Nürnberg. Münchener med. Wochenschr. 1893, 
Nr. 48. 


Besprechungen. 36% 


einer Vergleichung unterzogen hat und zu dem Resultate gekommen ist, 
dass es eine bestimmt abgegrenzte, in der 1 und 2 gestrichenen Octave 
liegende Strecke der Tonscala ist, deren vollständiger Ausfall regel- 
mässig vollkommene Sprachtaubheit zur Folge hat. Ref. muss diesbe- 
züglich auf sein unter der Presse befindliches und demnächst bei 
Bergmann erscheinendes Buch „Hörvermögen bei Taubstummen“ ver- 
weisen. 


Diese Form von Labyrinthtaubheit für Sprache als labyrinthäre. 
Worttaubheit oder sensorische Aphasie zu bezeichnen, damit kann sich 
der Ref. nicht einverstanden erklären. Gerade seine Taubstummen- 
Untersuchungen haben den Ref. darüber belehrt, dass es eine und zwar 
ziemlich bedeutende Anzahl von Taubstummen giebt, denen das Sprach- 
verständniss theilweise oder vollkommen fehlt, trotzdem ein oftmals nur 
wenig vermindertes Hörvermögen für die ganze Tonscala, auch für 
den zum Sprachverständniss als unentbehrlich umgrenzten Theil derselben 
vorhanden ist. Diese Taubstummen bieten also vollkommen das Bild 
der cerebral bedingten sensorischen Aphasie, und wenn keine Verwirrung 
in der Nomenclatur eintreten soll, so müssen wir auch ausschliesslich 
für derartige Fälle von partieller oder totaler Wort- und Sprach- 
taubheit die Bezeichnung „sensorische Aphasie* oder „Worttaubheit“ 
Teserviren. 


Die Ausführungen Freund’s über die günstigen Erfolge, welche 
sich für die partiell Tauben unter den Taubstummen auf Grund der 
von ihm angestellten Hörübungen erwarten lassen, wenn die Zöglinge 
ausser dem reinen Articulationsunterricht noch einem speciellen Sprach- 
unterricht durch directes Hineinsprechen in das Ohr unterworfen werden, 
ebenso die erreichbaren Grenzen, welche er, gegenüber Urbantschitsch, 
den zł erwartenden Resultaten von einem derartigen Unterricht steckt, 
stimmen vollkommen mit den Anschauungen überein, welche auch Ref. 
in seiner oben angeführten, unter der Presse befindlichen Arbeit ent- 
wickelt hat. 


370 Besprechungen. 


Die Nasenhöhle und ihre Nebenräume in Gyps- 
modellen natürlicher Grösse nach Schnitten eines 
Spiritusschädels hergestellt, zur Einführung in 
die rhinologische Praxis sowie zur Demonstra- 


tion und Einübung specialistischer Technicismen 
für Studenten, praktische Aerzte, Specialisten und 
Lehrer. Von Dr. Odo Betz in Heilbronn a. N. 
Determann’s Verlag, Heilbronn. Preis 15,50 M., 
auch einzeln zu beziehen. 


Besprochen von 


A. Scheibe in München. 


Die 4 Modelle sind recht übersichtlich; die Beschreibung, welche 
mit Hülfe von Erläuterungsbildern gegeben wird, ist sehr genau. Die 
Uebersichtlichkeit der Modelle würde noch gewonnen haben, wenn die 
Schnittflächen, welche durch Abtragung einzelner Theile entstanden sind, 
besonders markirt wären. Der benutzte Schädel stammt von einem 
Greise und zeigt einige nicht störende Abnormitäten. Dass er einige 
anatomische Varietäten zwischen der rechten und linken Seite aufweist, 
kann nur als Vortheil bezeichnet werden. Die Modelle werden sich bei 
Aerzten und Lehrern in Folge ihrer Handlichkeit gewiss viele Freunde 
erwerben, wenn sie auch nicht dazu benutzt werden sollen, „einen Patienten 
über den Ort und die Umgebung seiner Erkrankung aufzuklären.“ 


Besprechungen. 371 


Sammlung zwangloser Abhandlungen aus dem 
Gebiete der Nasen-, Ohren-, Mund- und Hals- 


krankheiten. Herausgegeben von Dr. Maximilian 
Bresgen. 


Besprochen von 


E. Bloch in Freiburg i. B. 


(Der Redaction zugegangen im August.) 


Heft I: H. Suchannek, Die Beziehungen zwischen 
Angina und acutem Gelenkrheumatismus. Halle 
1895. Preis 1 Mk. 


Nach einer ausführlichen Durchmusterung der höchst reichhaltigen 

Literatur über sein Thema und andere verwandte Gegenstände kommt 
Verfasser zu dem Ergebnisse, dass man »den acuten, multiplen Gelenk- 
rheumatismus zwar als infectiöses, aber ätiologisch nicht conformes 
„und auch klinisch nicht in jedem Falle mit absoluter Sicherheit leicht 
zu erkennendes Leiden auffassen« soll. Die Infection setzt in vielen 
Fällen am lymphatischen Rachenring, speziell den Gaumentonsillen ein. 
Der praktische Arzt soll also seiner Clientel eine Hygiene des Mund- 
rachens empfehlen, fleissige Gurgelungen mit unschädlichen Antisepticis, 
fehlerhafte Mundathmung beseitigen, die Mandeln schlitzen oder köpfen, 
bei Entzündungen sie mit 1°/,igem Carbolwasser bestäuben und iuner- 
lich Chinin reichen, das »immer kupirend« wirkt, wenn innerhalb der 
ersten 24 Stunden gegeben. 


Heft Il: Eman. Fink, Die Bedeutung des Schnupfens 
der Kinder. Halle 1895. Preis 1 Mk. 50 Pfg. 


Populäre Besprechung verschiedener Punkte der Physiologie und 
der Pathologie der oberen Luftwege, die durchaus keinen Anspruch auf 
Vollständigkeit machen kann und bezüglich der Beherrschung der 
Literatur hinter dem soeben referirten Ilefte weit zurücksteht. Nur zu 
einzelnen Punkten seien einige Bemerkungen gemacht. 


372 Besprechungen. 


Dass es unter »den vielen an Ohrenkrankheiten leidenden kleinen 
Patienten nur sehr wenige giebt, die nicht auch mit einem chronischen 
Schnupfen behaftet wären«, das kann der ÖOhrenarzt doch nicht be- 
stätigen, wenn auch die Kenntniss des Zusammenhanges zwischen Ohren- 
und Nasen-, aber noch mehr Rachenerkrankungen nachgerade Gemein- 
gut des Publikums ist. — Die Schilderung des Kindes mit dem »halb- 
offenen Munde«, den »cyanotischen und öÖdematösen Lippen«, den 
»starren, harten Nasenflügeln«, den »Augen mit starrem, blödem Aus- 
druck«, der »mehr oder weniger deutlich ausgeprägten Conjunctivitis« 
und einer »mehr oder weniger starken Ausprägung einer Otitis media«, 
dem unangenehmen Fötor ex ore — alles Erscheinungen eines lange 
bestehenden Schnupfens, der »gar nicht oder nicht in angemessener 
Weise behandelt worden ist« — diese Schilderung muthet doch etwas 
phantastisch an! — Den dunklen Punkt der ‚Entstehung der Rhinit. 
atrophic. hat der Verfasser durch die Erklärung beseitigt, dass die 
hypertrophische Rhinitis nach längerer Dauer »bei vorhandener con- 
stitutioneller Grundlage« in die atrophische übergeht. — Dass die Zähne 
bei schmalem Gaumen eine »dachziegelartige Anordnung« haben, liest 
man zuweilen, ist aber unmöglich, da sie in jedem Kiefer nur eine 
einzige, wenn auch unregelmässige Reihe bilden. — S. 17 sagt der 
Verfasser, dass hochgewölbte Gaumen vorkommen, ohne dass eine 
Stenose der Nase bestanden hätte. Solche Formen hat man sich, meinen 
wir, als angeboren zu denken. Der Verfasser spricht dagegen die Ueber- 
zeugung aus, dass sie durch eine weiche Nahrung entstehen, die nicht 
viel Kauarbeit erfordert; darum »bleibt die Entwicklung der knöchernen 
Anhaftungsstellen der Kaumuskeln, also der Kiefer zurück«. Natürlich 
der Oberkiefer, um den allein es sich handelt. Aber welche Kau- 
muskeln inseriren eigentlich am Oberkiefer? Der Temporalis nicht, 
der Masseter nicht, der Pteryg. intern. nicht, und nur ein Bruchtheil 
von Pterygoid. extern. — Bei adenoiden Vegetationen, sagt der Ver- 
fasser, fliesst das Secret des Rachens »namentlich wenn das Kind sich 
in liegender Position befindet (was täglich 10 bis 12 Stunden lang der 
Fall ist) zum Theil in die Nasenhöhlen«. Sehr richtig; er vergisst 
indess hinzuzufügen: aber nur wenn das Kind auf dem Bauche liegt, 
da auch der Rachenschleim nicht aufwärts fliessen kann. S. 19 lehrt 
der Verfasser, dass das Kind in 24 Stunden 7000 Athemzüge macht. 
Durch 24 X 60 dividirt, ergiebt dies für die Minute 4 bis 5 Ein- und 
Ausathmungen. 


Besprechungen. 373 


Die Erklärung des Pavor nocturnus durch »schreckhafte Träume« 
kann den Verfasser zunächst wissenschaftlich nicht befriedigen. Erst 
einige Zeilen weiter genügt sie ihm, die Folge der Kohlensäureüber- 
ladung sind nun allerdings »Träume schreckhafter Natur, welche schliess- 
lich zum Aufwachen führen«e. — S. 22 erklärt uns der Verfasser, dass 
beim Sprechen »ein guter Theil der verbrauchten Luft naturgemäss 
durch die Nase entweicht«. Das ist neu. Die älteren Autoren liessen 
nur bei den drei Nasallauten die Luft durch die Nase entweichen, Ver- 
fasser behauptet dagegen, dass »die Aussprache vieler Buchstaben« 
eine freie Nasenpassage erfordert. — Nicht recht verständlich ist, was 
Verfasser S. 24 von den Funktionen der Tubenmuskeln sagt: Bei 
»Hypertrophie der Gaumen- und Tubendrüsen bei Auflockerung der 
Rachen- und Tubenschleimhaut werden die von den Tubenmuskeln zu be- 
wältigenden Lasten vermehrt, sie und auch die Gaumenmuskeln. 
werden relativ 'insufficient«. — Die Beziehungen zwischen Nase und Ge- 
hirn bereiten dem Verfasser keine Schwierigkeiten. Mit Hilfe der von 
Axel Key und Retzius — diesen beiden Schutzpatronen der Rhino- 
logie — festgestellten Wechselverhältnisse der Lymphbahnen zwischen 
beiden Theilen »begreift man leicht, dass eine Stauung in der Nase 
sich oft auf das Gehirn fortpflanzt«. — Auch im Literaturverzeichnisse 
wäre eine grössere Genauigkeit zu wünschen. Th. Aschenbrandt’s 
verdienstvolle Abhandlung über die Nasenathmung ist keine »Habilita- 
tionsschrift«. Eine Arbeit von G. W. Major (No. 24 des Verzeich- 
nisses) »Ueber die Abhängigkeit der Enuresis nocturn. von Nasenobstruc- 
tion« existirt überhaupt nicht, ebensowenig der wiederholt genannte 
Pole Lubinsky. Ein ähnlich klingender Autornamen ist allerdings 
seit Jahren der deutschen Rhinologie wohl bekannt. — 


Populärwissenschaftliche Abhandlungen zu schreiben, ist oft schwierig. 


374 Personalien. 


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Personalien. 


In Christiania ist im Januar 1895 eine Professur für Otologie, 
Rhinologie und Laryngologie errichtet und dieselbe dem Professor 
extraord. Uchermann übertragen worden. Derselbe hat Sitz und 
Stimme in der medicinischen Facultät ohne Examinationsrecht. 


| Nachdem die Herren Prof. Körner-Rostock, Prof. Walb-Bonn 
und Prof. Siebenmann-Basel es abgelehnt haben einem Rufe nach 
Breslau zur Uebernahme der ausserordentlichen Professur für Otologie und 
Laryngologie Folge zu leisten, wurde die Stellung Herrn Prof. Barth- 
Marburg übertragen. — An Stelle des letzteren wurde Herr Stabsarzt 
Dr. Ostmann, Privatdocent in Königsberg nach Marburg berufen. 
Es wird uns mitgetheilt, dass derselbe die Stellung übernahm, ohne 
dass ihm der seinem Vorgänger von der Regierung gewährte Gehalt 
bewilligt wurde. 


Unser Mitarbeiter Dr. Stanislaus von Stein in Moskau wurde 
von der Moskauer Medic. Fakultät zum geschäftsführenden Mitgliede 
des Organisations-Comit6s der Abtheilungen für Otiatrie, Laryngologie 
und Rhinologie des im nächsten Jahre in Moskau stattfindenden inter- 
nationalen Congresses gewählt. 


Dem Privatdocenten der Ohrenheilkunde an der Universität Königs- 
berg, Dr. Georg Stetter, ist das Prädikat „Professor“ verliehen worden. 








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