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Full text of "Zeitschrift für Ohrenheilkunde 31.1897"

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ZEITSCHRIFT 


FÜR 


OÖOHRENHEILKUNDE 


IN DEUTSCHER UND ENGLISCHER SPRACHE 
HERAUSGEGEBEN VON 


PROF. DR. H. KNAPP Pror. De. 0. KÖRNER 


in New-York in Rostock 


De. ARTHUR HARTMANN Pror. Der. U. PRITCHARD 


in Berlin in London. 


EINUNDDREISSIGSTER BAND. 


MIT DREI TAFELN UND EINER ABBILDUNG IM TEXTE. 


WIESBADEN. 
VERLAG VON J. F. BERGMANN. 
1897. 






X UN 15 1909 


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ZIBRART 








Das Recht der Uebersetzung bleibt vorbehalten. 





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FAN 151999 
J F B. 












Druck von Carl Ritter in Wiesbaden. 


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II. 


TI. 


IV. 


VI. 


VII. 


VIII. 


XI. 


INHALT. 


Ueber knorpelhaltige Interglobularräume in der menschlichen 
Labyrinthkapsel. Von Dr. Paul Manasse, Privatdocenten und 
I. Assistenten der Universitätsklinik für Ohrenkrankheiten in 
Strassburg. Mit 1 Doppel-Tafel I, II. (Aus dem u 
Institut zu Strassburg i. È.) . T 


Studien über die Form des Ohres. Von Dr. Karutz in N 
IV. Die Ohrform als Degenerationszeichen 


Bericht über 1650, nach der Hartmann’'schen iinei: 
Serien-Methode untersuchte Fälle. Von Dr. Thomas J. Harris 
in New-York. (Uebersetzt von Dr. Th: Schröder in Rostock) 


Die Feststellung einseitiger Taubheit. Sechs weitere Fälle von 
Labyrinthnekrose. (Nachtrag zu „Labyrintiinekrose und Paralyse 
des Nervus facialis“.) Von Prof. Dr. Fr Bezold in München. 
Mit 1 Tafel III : 


Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. Von Dr. 
Schwabach in Berlin Ä 


Weitere Beiträge zur Pathologie der intracraniellen Compli- 
cationen von Öhrerkrankungen. Von Dr. W. Kümmel, 
Privatdozent an der Universität Breslau. (Fortsetzung aus 
Bd. XXVIII, S. 265, dieser na Mit einer Abbildung 
im Texte 

Ueber einen geheilten Fall von Abnpeltem Hirmabsces mit 
Ventrikelfistel. Optische Aphasje. Von Dr. Paul Manasse, 
Privatdocenten und I. Assistenten der Klinik. (Aus der Univ.- 
Klinik für Ohrenkrankheiten zu Strassburg i. E.) 


Ueber Störungen des Gleichgewichtes und Scheinbewegungen. 
(Nach einem am 2. österreichischen ÖOtologentage in Wien, 
Juni 1897, gehaltenen Vortrage) Von Professor Dr. Victor 
Urbantschitsch in Wien 


. Die Otitis media neonatorum. Ein Beitrag zur Entwickelungs- 


geschichte der Paukenhöhle. Von Dr. L. Aschoff, Privat- 
docenten und I. Assistenten am Institut. (Aus dem patholog.- 
anatomischen Institut des Herrn Geh. Rath Prof. Dr. Orth in 
Göttingen.) . He 

Fälle von eitriger Mittelohr-Entzündung mit Vebergreifen auf 
den Schädelinhalt bezw. den Nacken. Von Henry L. Swain, 
MD. New-Haven Conn. ae von Dr. Th. Schröder 
in Rostock.) i a 
Die Ohrenheilkunde des Ambröiie Paré. Von Dr. L. Stern 
in Metz 


Seite 


11 


él 


103 


209 


225 


234 


295 


347 


IV Inhalt. 


Bericht über die Leistungen und Fortschritte auf dem Gebiete der 
Ohrenheilkunde im ersten und zweiten Quartal des Jahres 1897. 


Zusammengestellt von Dr. Arthur Hartmann in Berlin 161. 


Bericht über die VI. Versammlung der Deutschen otologischen Gesellschaft 
zu Dresden am 4. und 5. Juni 1897. Erstattet von Dr. Jens 
in Hannover 


Sitzungsberichte der Öesterreichischen otologischen Gesellschaft . 


Besprechung von Prof. Dr. O. Körner in Rostock: 


Der otitische Kleinhirnabscess. Von Dr. Paul Koch i Oberstabsarzt 
der Kaiserlichen Marine . : 


Besprechung von Dr. Arthur Hartmann in Berlin: 


Ueber die funktionelle Prüfung des menschlichen Gehörorganes. 
Gesammelte Abhandlungen und Vorträge von Professor Dr. 
Friedrich Bezold in München 


XII. Internationaler medieinischer Congress zu Moskau 1897 . 
Einladung zur Jubelfeier von Professor Josef Gruber 
Fachangelegenheiten 

Fehlerberichtigung . 


Seite 


364 


186 
201 


204 


205 
206 
207 
409 
409 





Ueber knorpelhaltige Interglobularräume ın der 
menschlichen Labyrinthkapsel. ) 
Von Dr. Paul Manasse, | 
Privatdocenten und L Assistenten der Universitätsklinik für Ohrenkrankheiten in Strassburg. 
Mit 1 Doppel-Tafel I, I. x 
a dem pathologischen Institut zu Strassburg i. E) 


Bei der Untersuchung eines pathologischen Labini fand ich‘ 
in der Schneckenkapsel ganz eigenartige, weit verzweigte, grosse Räume, 
in grosser Anzahl in den Knochen fest eingebettet, immer in der 
Nähe der Schneckenwindungen. Was diese Räume noch merkwürdiger 
machte, war. ihr Inhalt: derselbe bestand nämlich durchgehends aus 
hyalinem Knorpel. Ich sah darauf noch zwei früher geschnittene Serien 
von Labyrinthen durch. und konnte diese knorpelhaltigen Hohlräume 
auch in diesen finden. 

Als ich dann die einschlägige Litteratur, und zwar "sowohl; die 
anatomische als die otiatrische durchsuchte, konnte ich über diese 
Hohlräume gar nichts finden ; nur dass Reste von Knorpel in der 
Schneckenkapsel anzutreffen sind, fand ich an einigen Stellen kurz er- 
wähnt. (Auf die von H. Müller?) und anderen Autoren beobachteten 
Knorpelreste in den Gehörknöchelchen Erwachsener will ich hier nicht 
näher eingehen). | 

Ich hielt es deshalb für nöthig, diese re Bean 
näher zu prüfen, und habe zu diesem Zweck eine grössere Reihe von 
menschlichen Labyrinthen mikroskopisch untersucht. | 

Zunächst ein kurzes Wort über die Technik. Fixirt wurden die 
Felsenbeine in Müller’scher Flüssigkeit und "nachfolgendem Alkohol, 


1) Einige Präparate, welche dieser Arbeit zu Grunde liegen, wurden auf 
der 6. Versammlung der deutschen otol. Gesellschaft, Dresden 191 demonstrirt. 
2) Zeitschrift f. wissensch. Zoologie IX, S. 147. 
Zeitschrift für Ohrenheilkunde. Bd. XXXI, 1 


2 Paul Manasse: Ueber knorpelhaltige Interglobularräume 


oder nur in Alkohol, darauf in 5—10°/,ger Salpetersäure entkalkt, in 
50—80°/,gen Alkohol, dem etwas Soda in Substanz zugesetzt war, 
entsäuert, in absolutem Alkohol nachgehärtet und in Celloidin ein- 
gebettet. Es ist rathsam vor der Celloidineinbettung die Labyrinthe 
mit dem Rasirmesser in zwei Theile zu zerlegen, damit die zahllosen 
Hohlräume des Vestibular- und des Schneckenapparates eröffnet und 
dadurch vollständiger mit Celloidin angefüllt werden. Zur Färbung 
wnrde fast ausschliesslich Hämatoxylin benutzt, es ist das für diese 
Zwecke, besonders wenn man den Knorpel gut erkennen will, dringend 
zu empfehlen. Man kann es ohne jede Gegenfärbung anwenden (sehr 
schön werden dabei Glycerinpräparate), oder mit Carmin (Strelzoff!), 
Eosin, sowie der van Gieson’schen Färbung (Säure-Fuchsin — 
Pikrinsäure) oder nur mit Säure-Fuchsin combiniren. Letzteres Ver- 
fahren giebt sehr deutliche Bilder. 


Auf diese Weise wurde eine grössere Anzahl (24) Felsenbeine 
jeglichen Alters (bis zu 72 Jahren) genau untersucht. 


Die Resultate dieser Untersuchungen möchte ich in Folgendem 
mittheilen. 


Man findet in allen Felsenbeinen in der knöchernen Hülle der 
Schnecke, des Vestibulums und der Bogengänge, also in der ganzen 
knöchernen Labyrinthkapsel, die oben kurz erwähnten Hohlräume, die 
folgendes Verhalten zeigen. Der Knochen hat hier nicht die compacte 
Beschaffenheit wie das sonstige Felsenbein, sondern ist durchgesetzt 
von mehr oder weniger zahlreichen Hohlgebilden, deren äussere Form 
je nach der Schnittrichtung verschieden ist. Man sieht theilweise ganz 
runde oder ovale Hohlräume, dann wieder, und zwar ist das das 
Häufigere, haben dieselben eine langgestreckte Form, zeigen seitliche 
Aeste, die mit benachbarten Hohlräumen communiciren, so dass es. 
zweifellos erscheint, dass man hier oft ein weitverzweigtes Kanalsystem 
vor sich hat, das die ganze Labyrinthkapsel durchsetzt. Das ist jedoch 
nicht in allen Felsenbeinen der Fall, wie überhaupt die Grösse und die 
Multiplicität dieser Räume sehr grossen individuellen Schwankungen 
unterworfen ist: In einigen Labyrinthen liegen die Räume scheinbar 
vollständig abgeschlossen, fest in compacten Knochen eingebettet, als 
runde oder längliche Gebilde, ohne irgend welche sichtbare Verbindungen 
unter einander. 


1) Untersuchungen aus d. pathol. Institut z. Zürich, 1. Heft 1873. 


in der menschlichen Labyrinthkapsel. 3 


Die Wandung dieser Hohlräume besteht aus fester Knochensubstanz 
ohne jedwede bindegewebige, also periostale Beimischung. Sie nat nur 
sehr selten eine glatte Beschaffenheit, sondern zeigt fast immer auf der 
Innenseite eine eigenthümliche, unebene höckerige Fläche. Die letztere 
wird dadurch hervorgerufen, dass in den Innenraum der Kanäle überall 
scharf abgegrenzte, rundliche Buckel vorspringen, die evident aus 
Knochensubstanz bestehen und mit der knöchernen Wand der Hohl- 
. räume meist ein continuirliches Ganzes bilden, seltener von ihr durch 
einen scharfen Saum geschieden sind. Im Innern der Buckel lassen 
sich dann auch meistens 1—3 Knochenkörperchen nachweisen. Die 
Grösse der Buckel ist ziemlich schwankend, je nachdem der Schnitt 
tangential oder äquartorial durch die kugelige Prominenz gefallen ist. 
Jedenfalls ist das Volumen der Kugeln in den seltensten Fällen so 
gross, dass die gegenüberliegenden knöcheren Buckel die Lichtung des 
Kanals vollständig verlegen, fast immer bleibt die Strasse offen und 
zeigt dann einen höchst charakteristischen Inhalt. In allen engen 
Kanälen besteht der letztere nämlich aus einer ganz homogenen, hya- 
linen Substanz, die sich mit Hämatoxylin blau färbt und so zwischen 
den dicht bei einander liegenden Knochenkugeln sehr zierliche zackige 
Figuren bildet. In den weiteren Kanälen jedoch, und dies sind die 
zahlzeicheren, ist das Lumen zwar mit derselben hyalinen Masse aus- 
gefüllt, jedoch ist die letztere durchsetzt von einer erheblichen Anzahl 
grosser runder oder länglicher Zellen, die, mit deutlichen Kapseln ver- 
sehen, sich als zweifellose Knorpelzellen erweisen. 


Der Inhalt dieser mit knöchernen Buckeln umwandeten Kanäle 
besteht also fast durchgehends aus typischem hyalinem Knorpelgewebe. 


Das Verhältniss dieser Knorpel führenden Kanäle zu den Gefässen 
ist folgendes: niemals tritt ein Gefäss in die Kanäle hinein, sehr selten 
lehnt es sich an dieselben auch nur an, sondern fast immer sind die 
Gefässe von den Kanälen durch eine mehr oder weniger dicke Knochen- 
schicht getrennt. Die letzteren verlaufen also vollständig unabhängig 
von den ersteren, so dass man zwei ganz getrennte, sich gegenseitig 
durchflechtende Kanalsysteme in der Labyrinthkapsel unterscheiden 
kann, 1) das der Blutgefässe mit ihrem knöchernen Mantel, 2) das der 
Knorpelräume mit ihrer Wandung. Beide von Knochen umhüllten Kanal- 
systeme sind wohl, besonders bei guter Hämatoxylin - Eosin- oder 
Säurefuchsin-Färbung ziemlich scharf von einander getrennt, legen 
sich aber fest an einander an, so dass kein Zwischenraum zwischen 

1* 


4 Paul Manasse : Ueber knorpelhaltige Interglobularräume 


ihnen bleibt. Gar nicht selten ist das zweite Kanalsystem stellenweise 
durch vollständig compacten Knochen ersetzt, jedoch auch er ist bei 
guter Färbung von dem die Gefässe umgebenden Knochenmantel scharf 
abzugrenzen. Auch zeigt er sehr häufig grössere, dreieckige, zipflige 
Lücken, die scheinbar als gewöhnliche Knochenkörperchen imponiren ; 
bei genauerem Zusehen kann man jedoch bemerken, dass die Lücken 
nichts anderes sind, als die Reste des durch Zusammenrücken der 
Knochenkugeln verkleinerten Räume, da man Reste von Kugeln noch 
deutlich innerhalb der fast vollständig soliden Knochensubstanz nach- 
weisen kann. 

Schliesslich kann man auch richtige, mit Knochenkugeln um- 
grenzte Hohlräume auf günstigen Schnitten direct in compacte Knochen- 
substanz übergehen sehen, indem zunächst die Knochenkugeln zahl- 
reicher und stärker werden, die Räume enger, die Kugeln sich näher 
und näher treten, mit einander verschmelzen, die Kugelstructur verlieren 
und compacten Knochen bilden, der nur hin und wieder noch jene 
oben erwähnten zipfligen Lücken in seinem Innern zeigt. Hier sind 
also aus den von Knochenkugeln umgebenen Knorpelkanälen solide 
Knochenstränge entstanden, die sich mit den die Gefässe umgebenden 
Knochencylindern netzartig verzweigen. 

Bezüglich der Lage der knorpelführenden Kanäle zu der Richtung 
der Schneckenwindungen ist zu bemerken, dass sich hier kein be- 
stimmtes Verhältniss feststellen lässt; sie verlaufen theils senkrecht zu 
den letzteren, theils in schräger Richtung auf dieselben, theils parallel 
und richten sich nur in so fern nach den Windungen, als sie nur in 
einem bestimmten Umkreis um die Schnecke, also in der eigentlichen 
Kapsel, ebenso wie in der knöchernen Kapsel des Vestibulums und der 
Bogengänge zu finden sind. 

Bei senkrechtem Verlauf der Knorpelkanäle auf die Schnecken- 
windung durchbrechen sie zuweilen die gauze knöcherne Kapsel, gehen 
bis auf das Periost der Windung und breiten sich dann in schmaler 
circulärer Zone auf demselben aus. In diesem Falle hat es sogar 
manchmal den Anschein, als ob auf der Seite der Schneckenwindung 
die knöcherne Kanalwandung vollständig fehlt, so dass also ein hyaliner 
Knorpelring direct dem Periost der Schnecke aufliegen würde. Gewöln- 
lich ist jedoch das letztere von dem ersteren durch eine ganz dünne 
Knochenschicht getrennt, die dann auf der dem Knorpel zugewandten 
Seite die mehrfach erwähnten Knochenkugeln mehr oder weniger deutlich 
erkennen lässt. 


-in der menschlichen Labyrinthkapsel. 5 


Diese von Knochenkugeln umsäumten knorpelhaltigen Räume fand 
ich also in allen untersuchten Felsenbeinen bei Individuen jeglichen 
Alters und zwar nicht nur in der knöchernen Kapsel der Schnecke, 
des Vestibulums und der Bogengänge, sondern auch in den knöchernen 
Zwischenwänden der Windungen, sowie in der knöchernen Wand des 
Porus acusticus internus, wenigstens in seinem peripheren, der Schnecke 
zugewandten Abschnitte. | 

Es musste nun untersucht werden, ob es sich hier um einfachen 
hyalinen Knorpel handele, oder ob derselbe verkalkt sei. Darüber 
konnte man natürlich nur durch die Untersuchung von Schliffen Auf- 
schluss erhalten. Dieselben wurden in bekannter Weise so hergestellt, 
dass dünne Sägeschnitte durch die Schnecke bezw. den Vestibular- 
apparat der macerirten Felsenbeine angelegt wurden. Dieselben wurden 
auf einer Seite glatt geschliffen, dann mit erhitztem Canadabalsam auf 
dem Objectträger fixirt und auf feinem Schleifstein bis zur vollständigen 
Durchsichtigkeit geschliffen. Auf diese Weise kann man sehr feine 
Schliffe durch die betreffenden Theile anfertigen, ohne sie der durch die 
vielfachen Hohlräume bedingten Gefahr des Zerbröckelns auszusetzen. 


Auch an diesen Schliffen waren die oben beschriebenen Hohlräume, 
besonders bei guter Luftinjection, sehr leicht zu erkennen. Es zeigte 
sich dann, dass die die Knorpelzellen umgebende Grundsubstanz nicht 
etwa wie die Zellen bei der Maceration verloren gegangen waren, 
sondern als stark lichtbrechende, helle, aus vielen theils kleineren, 
theils grösseren Kugeln bestehende Masse zwischen den Knochenkugeln 
zu constatiren waren. Durch die Fig. 3 wird dies Verhältniss klar 
werden. Es ist durch diese Bilder bewiesen, dass die in den Räumen 
befindliche Knorpelgrundsubstanz verkalkt ist und zwar ist der Kalk, 
wie vielfach bei verkalktem Knorpel in Gestalt von Krümeln in der 
Grundsubstanz gelegen. 


Wenn ich mich jetzt zu den über diesen Gegenstand vorhandenen 
Literaturangaben wende, so habe ich, wie schon oben angedeutet, über 
diese von Knochenkugeln umsäumten Hohlräume in der Labyrinthkapsel 
des Erwachsenen sowohl in den anatomischen als auch in den otriatischen 
Handbüchern und Spezialwerken gar nichts, über dort befindliche 
Knorpelreste nur kurze Bemerkungen finden können. 


So sagt Böttcher!), dass auch bei erwachsenen Hunden und 
Katzen verkalkte Knorpelzellen sich im Felsenbeine zerstreut vor- 


i) Verhandl. d. k. Leopold. Carol. deutsch. Acad. d. Naturf. Bd. 35 1870, p. 64. 


` 


6 Paul Manasse: Ueber knorpelhaltige Interglobularräume 


finden; Politzer!) fand Knorpelelemente in den die Spindel mit 
dem Schneckengehäuse verbindenden Stützbalken. Gottstein?) con- 
statirte an der Schnecke eines einjährigen Kindes die verknöchernden 
Reste des Knorpels in der Kapsel bis hart an den Rand des Ligamentum 
spirale. Habermann?) erwähnt in einer soeben erschienenen Arbeit 
einen unterhalb der Ampulle des hinteren Bogenganges gelegenen, klein- 
stecknadelkopfgrossen, mit freiem Auge deutlich sichtbaren Herd hyalinen 
Knorpels mitten im Knochen, der zahlreiche grosse spindelförmige 
Knorpelzellen mit vielen Tochterzellen enthielt. Ich habe einen der- 
artigen Knorpelherd beim Erwachsenen im Verlaufe der ganzen Unter- 
suchungen nur ein einziges Mal gefunden, er sah aber so verschieden 
von den oben beschriebenen Befunden aus, dass ich annehmen muss, 
es handelt sich hier um zwei ganz verschiedene Dinge. Eine einzige 
Abbildung, die an meine oben geschilderten Befunde erinnert, fand ich 
bei Moos und Steinbrügge?). Diese Autoren trafen in einem 
Falle von Labyrinthcaries in einer abnorm transparenten Grundsubstanz 
innerhalb der Schneckenkapsel die noch gut erhaltenen Knorpelkapseln 
in verschiedener Gruppierung und Anordnung; sie betrachten diesen 
Befund als ersten Anfang der späteren cariösen Höhlen und Buchten (!), 
und weisen in einer Anmerkung darauf hin, dass man an Schnitten 
von normalen Schneckenkapseln Erwachsener noch zahlreiche Knorpel- 
elemente finde. Auch an anderen Stellen des oben beschriebenen 
Labyrinthes, welche scheinbar die gewöhnliche Knochenstructur zeigten, 
trafen sie in den durch Caries erzeugten (!) Hohlräumen Reste knorpeligen 
Gewebes an. Dem gegenüber ist also zu bemerken, dass derartige 
Räume in allen normalen Labyrinthkapseln mehr oder minder. reichlich 
anzutreffen sind, und es ist mir mehr als unwahrscheinlich, dass die von 
Moos und Steinbrügge beschriebenen Hohlräume durch Caries 
hervorgerufen worden sind. Das ist Alles, was ich an Angaben über 
Knorpelreste in den Labyrinthen Erwachsener finden konnte. 


Was die allgemeine anatomische Literatur anbetrifft, die uns über 
die Natur der oben geschilderten Befunde Aufschluss geben könnte, so 
muss ich gleichfalls bemerken, dass ich beim Durchsuchen derselben 
nur recht geringe Erfolge zu verzeichnen habe. In neueren anatomischen 


1) Lehrbuch: 1887, p. 457. 

2) Archiv. f. miskroskop-Anatomie VII., p. 148. 
3) Archiv f. Ohrenheilkunde Bd. 42, Heft 2. 

4) Zeitschrift f. Ohrenheilkunde, X., p. 94. 


‘in der menschlichen Labyrinthkapsel. 7 
‚Handbüchern fand ich nirgends diese von Knochenkugeln umgrenzten 
Knorpelhaltigen Räume weder bei der Histologie noch der Histogenese 
‘der Knochen erwähnt. Erst durch eine Notiz in einer der ältesten 
Auflagen des Kölliker’schen Lehrbuches wurde ich auf eine Arbeit 
Gegenbauer’s!) aufmerksam gemacht. Der letztere beschreibt ganz 
- ähnliche Bilder, wie ich sie oben notirt bei der Entstehung fötaler 
Periostknochen. Dort war die Knochensubstanz in zahlreiche, dicht 
aneinander liegende rundliche Gebilde geschieden, zwischen denen feinere 
oder weitere Lücken zu bemerken waren. Die Knochenkugeln enthielten 
Knochenzellen. Gegenbauer nennt die zwischen den Kugeln (globuli) 
liegenden Hohlräume Interglobularräume, analog den im Zahnbein vor- 
kommenden so benannten Gebilden und sieht in ihnen ein Lückensystem, 
das mit einer plasmatischen Flüssigkeit gefüllt ist. Auch Lieberkühn?) 
hat diese Dinge gesehen, besonders in der Umgebung der Kopfknochen 
bei jungen Rehen. Er hält diese Kugeln für quer getroffene Binde- 
gewebsbündel, die sich von der Mitte des sogenannten Nahtknorpels 
in den Knochen hinein erstrecken. Dieser Lieberkühn’schen An- 
schauung schliesst sich Waldeyer?°) an, auch er hält die Kugeln für 
Querschnitte von grossen Balken fibrillären Gewebes, welche, aus der 
Grundsubstanz hervorgegangen, später verkalkten. , Gegenbauer‘) 
wendet sich dann in einer zweiten Abhandlung gegen diese Lieber- 
kühn-Waldeyer’sche Ansicht und betont, dass es sich bei jenen 
runden Gebilden keineswegs um Querschnitte von Fasern, sondern um 
richtige Kugeln handele. Er hat dieselben mit den dazwischen liegenden 
Interglobularräumen jetzt vieifach gesehen, besonders schön im perios- 
talen Theile der Knochen eines !/, jährigen Kindes. Die dort auf 
Taf. IV. Fig. 13 gegebene Abbildung gleicht so sehr den Bildern in 
meinen Schnitten, dass ich nicht anstehe, wie in der Ueberschrift schon 
angedeutet, die in den Labyrinthkapseln gefundenen Knochenkugeln als 
globuli, die dazwischen liegenden Räume als Interglobularräume zu 
bezeichnen, ohne damit sagen zu wollen, dass die Gegenbauer’schen 
Befunde vollständig den meinen entsprechen, zumal da Gegenbauer 
in seinen Räumen Östeoblasten fand, während in den meinigen Knorpel- 
zellen lagen. 


1) Jenaische Zeitschrift: Bd. I p. 353. 

2) Archiv f. Anat. u. Physiologie 1864, p. 610. 

3) Archiv f. miskroskop. Anatomie, Bd. I, p. 372, 1865. 
4) Jenaische Zeitschrift, Bd. I, p. 244, 1567. 


8 Paul Manasse: Ueber knorpelhaltige Interglobularräume 


Doch wird überhaupt der Ausdruck globuli ossei in der Literatur 
anscheinend nicht immer für gleichwerthige Dinge gebraucht, wenigstens 
wird die Entstehung der Kugeln von den verschiedenen Autoren auf 
verschiedene Weise gedeutet. Wir finden sie in einigen Spezialwerken, 
so von Brandt und Reichert?!), ferner von H. Müller), von 
Kassowitz°) und in einer soeben erschienenen Arbeit von Tschich- 
towitsch?) geschildert. Die Beschreibungen von Kassowitz und 
besonders seine Abbildung 17 gleicht ganz den Bildern in meinen 
Präparaten. Hier haben wir-ganz die gleichen globuli mit dazwischen 
liegender Knorpelsubstanz. Nur unterscheidet sich die Kassowitz’sche 
Abbildung von meinen Befunden dadurch, dass an Stelle seiner Mark- 
räume bei meinen Bildern Knochensubstanz mit darin liegenden Gefässen 
zu sehen ist. Und das ist auch ganz natürlich, denn während bei 
unseren Labyrinthen diese knorpelhaltigen Interglobularräume in jedem 
Lebensalter zu constatiren waren, werden von Kassowitz und den 
übrigen Autoren ähnliche Bilder nur bei der enchondralen Ossification 
beschrieben. 


Es scheint also die Labyrinthkapsel insofern eine 
Sonderstellung vor den übrigen Knochen einzunehmen, 
als sie auch. noch in spätem Lebensalter (bis zum 72. 
Jahre) diese knorpelhaltigen Interglobularräume dar- 
bietet, eine anatomische Eigenthümlichkeit, die sonst 
nur bei der fötalen oder vielleicht auch kindlichen 
Ossification zu finden ist. Wir können desshalb mit Wahr- 
scheinlichkeit annehmen, dass auch unsere globuli ossei sowohl als die 
knorpelhaltigen Räume irgend welche Beziehungen zur Ossification 
haben. Welcher Art diese Beziehungen sind, darüber müssen uns aus- 
gedehntere Untersuchungen an kindlichen und embryonalen Labyrinthen 
Aufschluss geben. Da ich mit diesen Untersuchungen noch beschäftigt. 
bin, wlll ich auf diesen Punkt heute nicht genauer eingehen, möchte 
nur eins noch hinzufügen. 


Die globuli ossei finden sich bei der normalen enchondralen Ossi- 
fication in einem Stadium, in welchem die Markräume in den verkalkten 


1) cit. bei H. Müller. 

2) ]. c. 

3) Die normale Ossification etc. I. Theil, p. 171 u. ff. 
4) Virch. Arch., Bd. 148, p. 140. 


in-der menschlichen Labyrinthkapsel. en Q 


Knorpel- eingedrungen sind und die Knorpelhöhlen eröffnet haben; 
jedoch nur einen Theil derselben, so dass noch ein anderer Theil des. 
verkalkten Knorpels mit uneröffneten Knorpelhöhlen unverändert ist. 
Man hat hier also im Innern eine mehr oder weniger grosse Partie 
Knorpel, an deren Aussenseite sich die vorspringenden Markräume mit 
ihrem Osteoblasten-Saum- anlegen. An der Grenze zwischen Osteoblasten: 
und Knorpel zeigt sich hier schon eine stärkere oder dünnere Knochen- 
schicht, die dann buckelförmig in den Knorpel vorspringt. Und diese 
'knöchernen Buckel sind eben als globuli ossei von den Autoren 
beschrieben worden. | 


Man nimmt gemeinhin an, mit H. Müller und Anderen, dass bei 
der normalen enchondralen Ossification diese globuli ossei durch das. 
Hineinwachsen der Markräume in den verkalkten Knorpel und durch 
Knochenbildung vom Marke her entstehen, dass sie also keine Producte 
des Knorpels sondern des Markes seien; auch Gegenbauer führt 
ihre Genese auf Osteoblastenlhätigkeit zurück. Nur Kassowitz (l. c.) 
und in neuester Zeit Tchichtowitsch (l. c.) lassen die globuli bei 
der normalen Ossification genau so aus den uneröffneten Knorpelhöhlen 
mit den Knorpelzellen. entstehen, wie es bei der Rachitis schon längst 
bekannt ist. 


Wie diese Vorgänge sich bei der embryonalen bezw. kindlichen 
Össification des Labyrinthes abspielen, kann ich heute noch nicht sagen, 
für die globuli ossei, die die Interglobularräume in den Labyrinthen 
Erwachsener begrenzen, kann ich es jedoch als sicher betrachten, 
dass sie aus den Knorpelzellen, bezw. ihrer nächsten Umgebung hervor- 
gehen, dass sie also von innen (vom Knorpel) nicht, wie man bei 
der normalen Ossification annimmt, von aussen (vom Mark) gebildet. 
werden. 


Zum Beweis für diese Behauptung kann ich folgende Thatsachen 
anführen: Die Knorpelzellen innerhalb der breiteren interglobulären 
Räume liegen oftmals nicht, wie beim normalen Knorpel mit ihrer 
Kapsel in die hyaline Grundsubstanz fest eingebettet, sondern zeigen 
in ihrer nächsten Umgebung einen schmalen Knochenring. Von diesem 
geht dann gar nicht selten an den nächsten globulus osseus der 
Wandung ein feiner oder auch dicker Stiel, welcher gleichfalls aus. 
Knochensubstanz besteht (s. Fig. 3). Offenbar sind diese mit Knochen- 
ring umgebenen Knorpelzellen eben im Begriff mit der Wandung zu 
verschmelzen und globuli ossei zu werden. Das kann man auch an 


10 Paul Manasse: Ueber knorpelhaltige Interglobularräume etc. 


Bildern sehen, die ein späteres Stadium dieses Vorganges zum Ausdruck 
bringen. Als solches ist meiner Ansicht nach ein Bild aufzufassen, bei 
dem wir in zweifellosen globulis osseis der Wandung zwar noch 
deutliche Knorpezellen erkennen, die jedoch stellenweise schon Ueber- 
gänge zu Knochenzellen zeigen, dadurch, dass sie eine unregelmässige 
verzogene Gestalt und feine Ausläufer haben. Kurz, es giebt globuli 
ossei, die zum Theil noch den Charakter. der Knorpelzelle tragen und 
wiederum zweifellose Knorpelzellen, die schon fast als globuli ossei 
imponiren müssen. Es scheint mir demnach keinem Zweifel zu unter- 
liegen, dass in unseren Interglobularräumen die globuli ossei mit den 
darin befindlichen Knochenzellen direct aus dem in diesen Räumen 
liegenden Knorpel, bezw. seinen Zellen, also auf metaplastischem Wege 
entstehen. 


Erklärung der Abbildungen. 


Fig. I. Aus der Schnecke eines 47jährigen Mannes. 


J. knorpelhaltige Interglobulärräume. G. s. Ganglion spirale. P. a.i. porus 
acusticus internus. Sw. Schneckenwindung. Vergrösserung Zeiss — 
A. A. Oc. 4. 


Fig. II. Aus der Schnecke eines Erwachsenen. 


Ein knorpelhaltiger Interglobularraum bei stärkerer Vergrösserung. 
(Zeiss D. D. Oc. 4.) 


a) Knöcherne Stiele. 


b) Knorpelzellen mit Knochenring, 


Fig. III. Schliff; Zeiss D. D. Oc. 4. 
Kz. Knorpelzellen. K. K. Kalkkrümel in der Kuöpelerundiahkisnn 


Karutz: Studien über die Form .des Ohres. 11 
II. 


Studien über die Form des Ohres. 
Von Dr. Karutz in Lübeck. 


IV. 
Die Ohrform als Degenerationszeichen. 


Der Versuch, die Formfülle der Ohrgestaltung durch das Studium 
der Physiognomik zu erklären, schlug fehl. War aus der Beschaffen- 
heit einer Ohrmuschel die des Charakters, der Begabung etc. des In- 
dividuums zu erkennen, so musste jene die Folge der letzteren sein 
oder doch einen gemeinsamen Ursprung mit ihr besitzen, der eben die 
Ursache der jeweiligen Form war. Die Psyche hätte sich das körper- 
liche Organ accommodirt, hätte es sich zum Bilde geschaffen, das 
jederzeit und für Jedermann die Züge des Originals erkennen liess und 
in ihrer stummen Sprache ein beredter Dolmetsch der Seele oder gar 
des Absoluten, des Unbewussten wurde. 


Damit war es also nichts. Unser naturwissenschaftliches Zeitalter 
scheint in seinem Beginn über eine tiefere symbolische Bedeutung 
somatischer Charaktere nicht nachgegrübelt zu haben. Ihm boten sie 
nur anatomisches Interesse. »Da die kleinen Verschiedenheiten seines 
(des Ohres) äusseren Umfanges durchaus bloss äusserlich sind... .« lautet 
ein Ausspruch Cuvier’s in seiner »vergleichenden Anatomie«. 


Eine neue Rolle begann das Ohr mit dem Erscheinen des Morel- 
schen »Trait& des degenerescences« zu spielen, seine Formen wurden 
nun zu Stigmata hereditatis, zu körperlichen Merkmalen geistiger 
Degeneration, zu Entartungszeichen; unter dem Namen des Morel- 
schen Ohres wurden sie vorwiegend von Psychiatern zusammengestellt. 
Man machte Statistiken und bestätigte nicht nur Morels Wort, dass 
die Ohrmuscheln Geisteskranker sehr häufig Difformitäten zeigen, sondern 
bewies auch — oder glaubte doch zu beweisen — durch vergleichende 
Zahlenaufstellungen bei Geisteskranken und Normalen, dass bei Jenen 
eine weit grössere Zahl von Anomalien gefunden werde, als bei diesen. 
Schon Lavater hatte gesagt: »Man gehe in ein Tollhaus und betrachte 
auch bloss die Ohren der Narren und Halbnarren und von da gehe 
man auf eine Akademie und betrachte auch nur die Ohren der Weisen 
und Halbweisen — vergleiche sie — und man wird einen unwider- 
sprechlichen Beweis von der Zuverlässigkeit der objektiven Physiog- 


12 Karutz: Studien über die Form des Ohres. 


nomik finden«. Die Modernen haben sich von derselben Thatsache 
überzeugt. Binder!) kommt zu dem Schluss: »Das Morel’sche Ohr 
ist die Signatur der degenerirten menschlichen Species«; Gradenigo?) 
zu der Ansicht, »dass die Ohrmuschelanomalien bei Geisteskranken und 
bei Delinquenten in einer viel grösseren Zahl als bei normalen In- 
dividuen vorkommen, dass ferner, während bei den letzteren Anomalien 
von untergeordneter Wichtigkeit vorherrschen (einfach angewachsene 
Läppchen, fortgesetzte Fossa scaphoidea), diejenigen, welchen man bei 
Geisteskranken begegnet, von viel grösserer Bedeutung sind (weit ab- 
stehende Ohren, verlängerte Läppchen etc.)«. Frigerio) meint, dass 
die Ohrmuschel die erste Stelle unter den Organen einnimmt, welche 
degenerativen Charakter zeigen. 


Der Beweis dafür, dass die Ohrformen wirklich Degenerations- 
zeichen sind, liegt bisher lediglich in den statistischen Zahlen. »Das 
häufige Zusammentreffen solcher »Degenerationen« mit geistigen Ab- 
normitäten lehrt uns einen inneren Zusammenhang zwischen beiden 
zunächst rein empirisch vermuthen — sagt Flechsig*), und weitere 
srwägungen führen schliesslich zu der Erkenntniss, dass irgend welche 
störenden Einflüsse das in der Entwicklung begriffene Individuum ge- 
troffen, die Entwicklung einzelner Organe in falsche Bahnen gelenkt 
haben«. Ist damit bewiesen, dass eine gestörte Entwicklung des Ohres 
mit einer gleichen des Üentralnervensystems, mit einer Anlage zur 
Geisteskrankheit Hand in Hand gehen muss? Andere scheinen mir bei 
ihren Erklärungsversuchen zwei gänzlich verschiedene Dinge mit einander 
‘zu vermengen. »Menschen mit minderwerthig veranlagtem Gehirn, sagt 
Kurella5) — Nerven- und Geisteskranke, Idioten und Epileptiker — 
weichen in ihrer Ohrform häufig von den specifisch menschlichen 
Charakteren ab, ihre Ohren werden Affenohren ähnliche. Den Atavis- 
mus also, das Zurückfallen der menschlichen Form in den Affentypus, 
führt man zur Erklärung pathologischer Processe an; er ist aber doch 
eine auf Grund der phylogenetischen Entwicklung mögliche besondere 
Art der Vererbung und eine in ihr begründete Anomalie des Körper- 
aufbaues, deren Ursachen wir nicht kennen, deren Thatsache aber 
bekannt ist und nicht nur beim Menschen, sondern im ganzen Thier- 


1) a. a. O., p. 563. 

2) „Ueber die Formanomalien der Ohrmuschel® a. a. O., p. 206. 
3) Citirt nach Gradenigo a. a. O. 

4) „Die Grenzen geistiger Gesundheit und Krankheit“, Rede 1896. 
5) „Naturgeschichte des Verbrechers“, p. 77. 


IV. Die Ohrform als Degenerationszeichen. 13 


reich zur Beobachtung kommt. »Rückschlag in dem gewöhnlichen 
Sinne des Wortes, sagt Darwin t), kommt so unablässig in Wirksam- 
keit, dass er offenbar einen wesentlichen Theil des allgemeinen Gesetzes 
der Vererbung ausmacht«. Somit mag man gern einzelne der Ohr- 
formen, wie das fehlende Läppchen, den ausgerollten Helix, das Macacus- 
ohr, durch Atavismus erklären, meinetwegen auch eine ungewöhnliche 
Ausbildung der Ohrmuskeln und die daraus folgende erhöhte Beweglich- 
keit der Muschel dazu rechnen. Féré 2) formulirt seine entsprechende 
Ansicht so: »Un certain nombre d’anomalies et en particulier l’absence 
de l’helix, l’effacement de l’anthelix, l’absence d’une des branches de la 
fourche, le dévéloppement exagéré de la racine de Y’helix, l’absence 
de lobule peuvent être rattachés à l’'atavisme car les variétés se ren- 
contrent fréquemment chez les anthropoides et les singes«, und weiter 
»Le tubercule de Darwin paraît constituer une de lorma ton atavique 
rappelant l'oreille à pointe des mammifères «. 


Zwaugloser liessen sich die meisten dieser Ohrformen aus einer 
embryonalen Entwicklungshemmung erklären, als aus echtem Rückschlag 
in die thierische Vergangenheit. Immerhin ist die Möglichkeit eines 
solchen nicht zu bestreiten. Lombroso und sein deutscher Ueber- 
setzer und Anhänger Kurella zählen zu den atavistischen Varietäten 
namentlich das Henkelohr. Man hat zu beachten, dass der italienische 
Begründer der Lehre vom »Delinquente nato« die körperlichen Merk- 
male seiner besonderen Menschenspecies nicht nur aus dem Rückschlag 
auf die thierische Stufe, sondern schon aus einem solchen auf die der 
heutigen Naturvölker erklärt. Kurella spricht es deutlich aus, »dass 
bei ihnen (den Verbrechern) zugleich anatomische Varietäten in grosser 
Zahl vorkommen, die sich sonst nur bei gewissen Naturvölkern und bei 
anderen Primaten, bis zu den Lemuren hinab, finden«. Wenn er den Ab- 
satz mit den Worten schliesst, »die anatomischen und anthropometrischen 
Thatsachen sprechen also für die Hypothese Lombrosos«, so möchte 
ich unter Hinweis auf das früber über die abstehenden Ohren Gesagte 
nochmals betonen, dass das Ohr hier ganz entschieden nicht mitspricht. 
Es giebt kein einziges tiefstehendes Naturvolk, bei dem Henkelohren 
zum Rassentypus gehören, sie sind nicht einmal die typische Form 
bei den Anthropoiden oder den niederen Affen. | 


Es berührt fast komisch, dass Henkelohren eine den geborenen 


1) „Das Variiren der Thiere und Pflanzen etc.“, 3. Aufl., p. 434. 
2) a. a. O., p. 226. 


14 Karutz: Studien über die Form des Öhres. 


Verbrecher mit den Wilden auf eine Stufe stellende, durch Rückschlag 
bei Jenen auftretende Verbildung sein sollen, wenn man andererseits 
an den Streit denkt, ob am Negerohr überhaupt Varietäten vorkommen. 
Diesen Atavismus darf man durchaus nicht gelten lassen. 


Es scheint mir bisher nicht genügend beachtet, dass man zwei 
Formen des abstehenden Ohres auseinanderzuhalten hat, die in ihrer 
ganzen Länge quergestellten und die nur im oberen Theil ab- 
stehenden, etwas überhängenden Ohren. Für die erstere weiss ich 
keine Eintstehungsweise anzugeben. Man könnte ein ungleiches 
Wachsthum der Vorder- und der Hinterfläche der Muschel annehmen, 
müsste für ein solches aber auch wieder den Grund aufsuchen, oder 
man könnte an die Abhängigkeit vom Schädelwachsthum, von einer 
ungewöhnlichen Bildung der Vorderfläche des Proc. mastoideus, 
denken. Die andere Form möchte ich mit Gradenigo!) für eine 
Entwicklungshemmung des fötalen Lebens halten, die in ihrer wechseln- 
den Ausbildung den verschiedenen Graden der Helixumlegung entspricht; 
sie würde aus dem dritten bis vierten Monat stammen, aus jener Zeit, 
wo der über die ÖOhröffnung gelagerte Helix wieder zurücktritt und 
den Anthelix wieder sichtbar macht. Wird dieses Zurückweichen auf- 
gehalten, so entsteht die Anomalie des abstehenden Ohres. Ich kann 
deshalb Schäffer’s Bemerkung nicht unterschreiben, »die gewiss 
theromorphen abstehenden Ohrmuscheln nehmen eine eigenartige Stellung 
in der Ontogenie ein. Sie kommen bei Neugeborenen in 1,7 °/, vor. Dagegen 
je weiter man zurückgeht, desto seltener, sodass es eigentlich kein Stadium 
giebt, wo sie in ihrer fötalen Bildung normal waren«.?) Erklären sie 
sich einerseits aus einer Entwicklungshemmung, so fehlt auf der anderen 
Seite der Beweis für die Prämisse, dass die Henkelohren in der That 
theromorph sind. Ich erinnere noch einmal an die weit nach hinten 
oben gerückte Stellung des Ohres am Kopf der Säugethiere und nament- 
lich auch der Affen, rufe die ethnologischen Gebräuche und die volks- 
abergläubischen Vorstellungen in das Gedächtniss zurück und plaidire 
dafür, mit der Affenähnlichkeit abstehender Ohren etwas weniger frei- 
gebig zu sein. Nur weil Schäffer an seiner als selbstverständlich 
angenommenen Voraussetzung festhält, scheitert in diesem Falle sein 
sonst so gelungener Versuch, das ontogenetische Werden des Ohres mit 
seinen phylogenetischen Formen in Parallele zu stellen. Für Binder 


/ 


1) Archiv für Ohrenheilkunde, Bd. XXXIII, p. 3. 
2) a. a. O 


IV. Die Ohrform als Degenerationszeichen. 15 


ist das abstehende Ohr »an sich bedeutungsvoll«; ob als Varietät oder 
als Rückschlagsform, ist nicht präcisirt. 


Sehe ich von der letzten Anomalie ab, so bleibt eine atavistische 
Entstehung mancher Ohrbildungen nicht ausserhalb des Bereiches der 
Möglichkeit. Aber damit scheint mir für die Lehren von den Degenerations- 
zeichen und vom geborenen Verbrecher noch nicht viel gewonnen. Ist 
es denn a priori selbstverständlich, dass der Rückschlag eines Organes. 
in eine thierische Dauerform auch einhergeht mit der atavistischen Ver- 
bildung des inneren Menschen, der Seele, der Gehirnconstitution? Be- 
darf es denn keines Beweises dafür, dass ein bei sonst normalem Körper 
auftretender Rückschlag das äussere Merkmal abgiebt für eine thierische 
Gehirnbildung? Wenn man die Autoren über ihre Lehren von den 
Degenerationszeichen hört, muss man wirklich glauben, dass dieser Zu- 
sammenhang zweifellos feststeht und jenes Beweises nicht bedarf. 
Binder!) bekennt zwar, dass »der Causalnexus der Ohrverbildung mit 
Störungen der psychischen Functionen jedenfalls ein sehr indirecter und 
dunkler« ist, die Bedeutung der ersteren in seinem Sinne ist ihm aber 
doch so sicher, dass er aus ihr sogar Perspektiven für die Kinder- 
erziehung eröffnet. 


Hartmann?) sagt: »Rückschläge auf die thierische Beschaffen- 
heit dürfen selbst beim Endzweig der organischen Entwicklung, beim 
Menschen, nicht befremden. Diesen Rückschlägen wird aber durch die 
culturelle Entwicklung des Menschen kein Hemmniss geboten. Thero- 
morphien, wie Spitzohr u. s. w. können bei den niederen wie bei den 
höheren Menschenstämmen gleichwerthig sich vertheilen, wie ja auch 
z. B. Rückschläge in die fossilen Formen (Afterzehen etc.) sowohl bei 
primitiven wie auch bei den höchsten Culturrassen des Pferdes vor- 
kommen können. Nicht die körperliche, sondern die geistige Ent- 
wicklung der Menschheit schreitet gleichmässiger und ohne Sprünge zu. 
machen vor«. Dieses von der Gehirnbildung unabhängige, in ihren 
Ursachen freilich völlig unaufgeklärte Eintreten des Rückschlags scheint 
mir der Wahrheit näher zu kommen. Man kann jedoch zugeben, dass 
eine Ansicht nicht zurückweisen soll, wer ihr Gegentheil nicht beweisen 
oder eine bessere nicht an ihre Stelle setzen kann. Vorläufig müssen 
wir uns an die Zahlen halten. 


1) a. a. O., p. 535. 
2) „Die menschenähnlichen Aften“, p. 285. 


16. Karutz: Studien über die Form des Ohres. 


Ich habe schon früher erwähnt, wie man in. der ersten Zeit nach 
der Entdeckung des entwicklungsgeschichtlichen Zusammenhanges der 
organischen Welt die Abnormitäten des menschlichen Körpers mit Vor- 
liebe für affenähnlich erklärte. Wenn ich versuchte, diese Thero- 
morphien um die abstehenden Ohren zu vermindern, so ist das nur ein 
‚Schritt weiter auf einer bereits angetretenen Rückzugslinie. Fere und 
Andere hatten die Dsrwin’sche Spitze für eine atavistisch bedeutungs- 
volle Form gehalten, bis Schwalbe nachwies, dass sie nur in einer 
relativ kleinen Zahl von Fällen vermisst wird. Das Fehlen des Läpp- 
chens, von Féré als Atavismus, von Legrand du Saulle und 
Anderen als Degenerationszeichen aufgefasst, wird sogar von Binder 
‚dieses Odiums entkleidet. Sobald man eben grössere Zahlenreihen zur 
Verfügung hat, schwindet die Möglichkeit, in den Formen des Ohres 
etwas Besonderes zu sehen, man giebt schnell seine Theorie von ihrer 
Bedeutung auf, vergisst aber, die Consequenz auch für die selteneren 
Varietäten zu ziehen. Es ist nicht einzusehen, weshalb die Entwicklungs- 
'hemmung des ausgerollten Helix, des Macacusohres eine andere Bedeutung 
haben soll, wie diejenige des fehlenden Ohrläppchens, weshalb die 
Varietät eines grossen oder kleinen l.obulus einen anderen Sinn haben 
soll, wie ein bandförmiger Helix mit seinen tausend Abstufungen oder 
ein abstehendes Ohr. 


Ausser dem Atavismus ist es am häufigsten die embryonale Ent- 
wicklungshemmung, der die Ohrformen ihre Entstehung verdanken. 
Worauf sie beruht, entzieht sich fast gänzlich unserer Kenntniss. Zwar 
haben Kundrat und Andere das Morel’sche Ohr auf die Druck- 
wirkung abnormer Amnionfaltung zurückgeführt, Schäffer die Spaltungen 
‚des Läppchens zu den durch dieselbe mechanische Ursache entstandenen 
Missbildungen gerechnet und für den Schiefstand des Ohres die Schläfen- 
enge angeschuldigt; für die meisten Anomalien sind jedoch die Hemmungen 
während des fötalen Lebens noch unaufgeklärt geblieben. So unbe- 
friedigend wie nur möglich schliesst Binder’s grosse Arbeit mit dem 
Morel’schen Wort: »Die Degenerescenz ist eine krankhafte Abweichung 
vom normalen Typus«. Wildermuth!) definirt. die Degenerations- 
zeichen als anatomische und functionelle Abweichungen von der Norm, 
welche an und für sich für die Existenz des Organismus unerheblich, 
aber für offene und latente neuropathische Anlage charakteristisch sind«. 
Hierzu fügt Binder: »Das Wesentliche, das Rätlselhafte und Unauf- 


1) Citirt nach Binder a. a. O. p. 534. 


‚IV. Die Ohrform als Degenerationszeichen. 17 


geklärte ist eben das, dass an und für sich belanglose Zeichen von so 
gewaltiger Bedeutung für den anthropologischen Werth eines Individuums 
sind«. Ist die Bedeutung so räthselhaft und unaufgeklärt, warum fragt 
man sich denn nicht erst noch einmal ernstlich, ob sie wirklich existirt? 
Einen Beweis für sie suchen wir überall vergebens, nur die Statistik 
wird uns als Antwort gereicht. 


Es erscheint den Autoren als selbstverständlich — angeblich auf 
Grund der Zahlen — dass gewisse Ohrformen die Neigung zu geistiger 
Degeneration anzeigen, die Variationsformen eines rudimentären Organs, 
dessen Variabilität eine geradezu unbeschränkte ist. Der alte Glaube 
an die schöne Seele in dem schönen Körper! Die Abweichung von der 
als Norm angesehenen äusseren Gestalt eines Körpertheils soll für eine 
Abweichung von der Norm in der psychischen Constitution sprechen. 
Dabei vergisst man, dass schon jener normale Typus des Ohres auf sehr 
relative Zahlen gegründet it. Und was geht Alles unter dem Namen 
dieser Degeneration! Allgemeine Belastung, Idiotie, Epilepsie, Geistes- 
störung, Mangel an ethischen und aitruistischen Gefühlen), Moral insanity, 
Verbrechen und — Genie. 


Ein noch anderes Moment führt Binder in die Discussion ein, 
indem er die geistig höherstehenden Schichten des Volkes von den 
übrigen absondert und »ihre wirklich schönen Ohren, die äusserste 
Seltenheit einer Missgestaltung an ihnen« constatirt. In ähnlichem Sinne 
hatte schon Hartmann?) sich geäussert: »Ich habe solche schlecht 
geformte, vom vollkommenen Typus abweichende Ohren, an denen man 
auch eine gewisse Affenähnlichkeit hätte constatiren können, namentlich 
häufig bei jenen verwitterten Landleuten in Deutschland, Skandinavien, 
in der Schweiz, in Frankreich, Italien und in Polen wahrgenommen, 
deren natürliches Erbtheil die Schönheit nicht genannt werden konnte«. 
Und Schaafhausen meint: »Leute, die wie der Landmann im Freien 
arbeiten, haben oft in Folge der Winterkälte eine verzogene und unge- 
stalte Ohrmuschel, die auch durch die Kopfbedeckung verdrückt werden 
kann. Man sagt deshalb nicht ohne Grund, ein hässliches Ohr verrathe 
eine niedere Abkunft«. 


Es ist klar, dass die Voraussetzungen Hartmann’s und Schaaf- 
hausen’s gänzlich andere sind wie diejenigen Binder’s. Jene gehen 
nur von dem rein Körperlichen, nur von der äusseren Gestalt aus und 





1) Binder a. a. O., P 558. 
2) a. a. O. 
Zeitschrift får Ohrenheilkunde Rd. XXXI. 2 


18 Karutz: Studien über die Form des Ohres. 


von den Schädlichkeiten. die sie von aussen treffen, während Binder 
in dem Intellekt der höheren und niederen Gesellschaftsklassen die Be- 
dingungen der Ohrform sucht. Soweit die Landleute, Arbeiter etc. dem 
Erfrieren der Muschel mehr ausgesetzt sind, ist es natürlich richtig, 
dass sie öfter namentlich an den Rändern zerhackte, gewulstete oder 
verdickte, unregelmässige und unschöne, durch blaurothe Färbung viel- 
fach noch hässlichere Ohren zeigen. Diese Residuen der Congelation 
sind aber leicht als solche zu erkennen, einen erblichen Typus von 
ihnen abzuleiten, geht nach meiner Ansicht nicht an. Die Abnormi- 
täten, um die es sich hier handelt, haben zit jenen Deformationen 
nichts zu thun. 

Ich habe übrigens auf diesen Punkt in meiner Sprechstunde be- 
sonders geachtet und muss gestehen, dass ich durchaus nicht den Ein- 
druck hatte, als beeinflusse Stand oder Beschäftigung die Gestalt des 
Ohres, als könne man wie von einer aristokratischen Hand so auch von 
einem aristokratischen Ohre reden. Es fehlt hier — wie bei der 
Physiognomik — das Bindeglied der Muskelarbeit. Ich habe beim 
ärmlichsten Gutstagelöhner aus Mecklenburg wie beim zerwehten 
finnischen Matrosen ein normales und zierliches Ohr sehen können. 
Binder gründet sein Urtheil theils auf gelegentliche Beobachtungen, 
die er bei Versammlungen und dergl. angestellt hat, theils — für die 
geistige Elite des Volkes — auf Abbildungen berühmter Männer und 
Frauen in illustrirten Zeitschriften. Selbst wenn die letzteren gut sind, 
glaube ich kaum, dass die Portraits ein abgesetztes Läppchen oder ein 
Darwin’sches Knötchen in allen Fällen deutlich unterscheiden lassen, 
so wenig wie ein flüchtiger Blick in Gesellschaften genügt, das Ohr 
sicher nach seiner Form zu klassificiren. Ich habe es wenigstens öfter 
erlebt, dass mir ein Ohr zuerst den Eindruck eines normalen machte 
und dann, beim näheren Hinsehen, wenn ich dicht an die betreffende 
Person herantreten konnte, genau definirbare Varietäten aufwies. 

Ich bestreite aber auch direct die Behauptung von der normaleren 
Form der Ohren bei den geistig höherstehenden Gliedern unseres Volkes. 
Wenn ich denselben Weg der Portraitbetrachtung gehen soll, wie 
Binder, so steht hier vor mir auf dem Schreibtisch unser Bismarck, 
mit dem grossen freien Auge, dem wollenden Kinn und der beredten 
Falte am Nasenwinkel, die sich die aus SO jähriger Lebenskenntniss ge- 
wonnene Menschenverachtung gegraben hat. Und das Ohr? Angewachsenes 
Läppchen, die Concha theilende Crista helicis, frühes Aufhören desselben, 
Ohr im Ganzen lang mit unregelmässigem Rand, im oberen Theil breit 


IV. Die Ohrform als Degenerationszeichen. 19 


und etwas nach: hinten ausgezogen, das würde ich aus Bismarcks Ohr 


— nach der Photographie — herauslesen. Ist Genie Wahnsinn, dann 
freilich ist auch unser grosser Bismarck — es ist zu schade, das Wort 
dicht neben seinen Namen zu setzen — degenerirt, und das Ohr ein 


äusseres Zeichen dafür. Auf den Boden dieser geradezu perversen Vor- 
aussetzung stelle ich mich allerdings nicht. 


Sollte ich von dieser unsicheren, stark anfechtbaren Untersuchungs- 
methode abgehen und der zuverlässigeren directen Beobachtung Lebender 
mich zuwenden, so kann ich aus meinen Aufzeichnungen eine Reihe 
von 78 Schriftstellern, Malern, Professoren, Aerzten, Officieren und 
Rechtsanwälten abtrennen, die vielleicht ein besseres Urtheil gestattet. 
Zwar sind diese Herren nicht alle berühmt und abkonterfeit, aber sie 
sind doch die geistig arbeitenden Stände, und was gehört dazu, um in 
eine Illustrirte Zeitung zu kommen? 


Diese 78 Personen zeigten: 


33 Mal Darwin’sche Knötchen, 

18 ,, angewachsenes oder fehlendes Läppchen, 

13 ,, vorragender Anthelix, 

„  &abstehende Ohren, 

„  bandförmiger Helix, 

„  Macacusbildung, 

rudimentärer oder früh aufhörender Helix, 

.„  übergrosses Ohr, 

„ ungleiche Helixfaltung, 

„ oben sehr breites ausgezogenes Ohr (bei gefaltetem - 
Helix), 

„  fortgesetztes Läppchen, 

„ übermässig muschliger Bau, 

aufliegendes Läppchen, 

„  Spitzohr (Satyrohr), 

„  übergrosses Läppchen, 

l1 ,, fehlendes crus superius Anthelicis. 


vbyvbyo »P ou [I 


pami pd pd pd pat 


22 von den 78 hatten normale Ohren. 


Wenn ich die Anomalien des Läppchens — mit Ausnahme des 
spitzwinklig fortgesetzten — die Binder nicht zu den Degenerations- 
zeichen rechnet, fortlasse, so finde ich unter den 78 Personen 27 mit 
normalem Ohr, und wenn ich noch die nur mit einem Darwin’schen 
Knötchen versehenen — wegen ihres fast nie vermissten Befundes — 

9* 


20 Karutz: Studien über die Form des Ohres. 


abziehe, so bleiben immer noch 39 mit entarteten Ohren, also die 
Hälfte! Ich wiederhole dabei, dass die Ausnahmestellung des Läppchens 
und des Darwin’schen Knötchens für mich ohne Verständniss und 
ohne Berechtigung ist. Tritt nach Schäffer die erste Bildung des 
Läppchens und des Helix gleichzeitig auf und sind ihre Anomalien 
Entwicklungshemmungen, so verdienen sie auch dieselbe Werthung. 
Ihr häufiger Befund ändert so lange nichts an der Bedeutung jener 
Varietäten, als er bei normalen und bei abnormen Individuen gesehen 
wird, wie das seltenere Vorkommen der übrigen diese noch nicht zu 
Degenerationszeichen macht. 


Soll man sich in den Gedankengang der Verfechter der Degenerations- 
lehre hineindenken, so muss man wohl annehmen, dass sie einen intimen 
bestimmenden Einfluss der Gehirnbildung auf die Ohrentwicklung, auf 
die feinere Gestaltung der Muschel für möglich halten. Eine minder- 
werthige Gehirnzusammensetzung, die nur ein unternormales geistiges 
oder moralisches Können zulässt, eine pathologische Constitution, die 
Geistesstörung zum Ausbruch oder atavistische Regungen einer er- 
loschenen thierartigen Menschheitsstufe als Neigung zum Verbrechen 
wieder zum Vorschein kommen lässt, bedingt Degenerationszeichen am 
Ohr. In wieweit diesen in Art und Stärke sehr verschiedenen Gehirn- 
anomalien stufenweise bestimmte Ohrformen entsprechen, darüber hat 
man sich bisher nicht ausgelassen. Man hat nicht versucht, nach den 
einzelnen Arten der Degeneration die Ohrverbildungen zu katalogisiren 
— es wäre daraus auch wohl eine neue Physiognomik geworden — 
sondern sich mit der Behauptung begnügt, dass das Morel’sche Ohr, 
als Inbegriff aller Formanomalien, bei Geisteskranken und Verbrechern 
viel häufiger vorkommt als bei normalen Menschen oder dass es ein 
Degenerationszeichen par excellence ist. Der Beweis war immer nur 
die Statistik. 

Es dürfte werthvoll für die Beurtheilung dieses Zusammenhanges 
zwischen Gehirn- und Ohrform sein, einmal diejenigen Zustände zu be- 
trachten, bei denen sicher eine angeborene mangelhafte cerebrale 
Bildung vorliegt, nicht als Atavismus, wie man früher von der Idiotie 
annahm, sondern als Product pathologischer Veränderungen. 


Fere!) fand unter 


308 Epileptischen und Idioten 22,7 °/,| absence 
473 geistig Gesunden . . . 21,3 °/,| d'anomalies. 


1) a. a. O. 


IV. Die Ohrform als Degenerationszeichen. 21 


Er schliesst daraus »Qu’ une seule anomalie n’est pas suffisante pour 
caracteriser la degenerescence«. Man könnte auch schliessen, dass das 
Ohr für eine solche Charakteristik durchaus ungeeignet ist. 


Gradenigo!) begegnete »sehr zahlreichen Ohrmuschelanomalien 
auch bei Cretins«. Unter 17 männlichen zeigten 6 weitabstehende 
Ohren und 4 vorragenden Anthelix, unter 22 weiblichen 11 vorragenden 
Anthelix. Viermal unter 17 sah er Macacusohr, häufig angewachsenes 
fortgesetztes Läppchen. Aus den Verhandlungen der Berliner anthro- 
pologischen Gesellschaft habe ich ferner die Berichte über 9 Mikro- 
cephalen ausgezogen. Von diesen war ein Ohr colossal entwickelt (80 auf 
1540 mm Körperlänge), eines etwas gross und abstehend, zwei hatten 
eine auffallende Breite der zwischen Helix und Anthelix gelegenen 
Fläche. Sonst war die Muschel »normal«, »im Einzelnen gut gebildet«, 
»zeigen keine Abweichung«. | 

Virchow sagt (ebenda 1877) im Kampf gegen die Atavismus- 
Theorie: »Das Ohr erreicht bei Mikrocephalen in keiner Weise eine 
Grösse, wie sie namentlich so charakteristisch für den Schimpanse ist. 
Die Ohrmuschel war nur um 1—2 mm höher als bei der gesunden 
Schwester. Ebenso ist ein Darwin’sches Knötchen sowohl bei der 
mikrocephalen wie bei der gesunden Schwester und weit entfernt von 
jener übergrossen Entwicklung beim Schimpanse«. 


Von bedeutenden Entwicklungshemmungen dieser Ohren ist also 
keine Spur zu sehen. Das Zurückbleiben der cerebralen Bildung hat 
nicht einen gleichen Vorgang am Ohr zur Folge gehabt. Besonders 
vernehmlich reden auch die Zahlen Féré’s, und wern Gradenigo 
so viele abstehende Ohren unter den männlichen, kein einziges aber 
unter den weiblichen Cretins fand, so ist eine nach dem Geschlecht 
wechselnde centrale Wirkung nicht zu verstehen. 

Ich wende mich zu den Statistiken, die beweisen sollen, dass die 
Varietäten eines rudimentären Organs, dass die individuell durchweg 
verschiedenen Formen der Ohrmuschel Zeichen cerebraler Degeneration 
sind, und versuche, ob die heute wie es scheint alleinseligmachenden 
Zahlen die Thatsache wenigstens des räthselhaften Zusammenhanges 
zwischen Ohr und Psyche feststellen, wenn sie auch eine Deutung für 
ihn nicht zu bringen vermögen. 


Für diese Statistiken war die Aufstellung von Nomenclaturen und 
fixirten Typen gewiss werthvoll und nothwendig, man hätte sonst ja keinen 


1) Archiv f. Ohrenheilk., Bd. XXX, p. 2393. 


292 Karutz: Studien über die Form des Ohres. 


Anhalt für Vergleiche gehabt, aber ich kann es mir nicht versagen. auch 
auf einen Nachtheil hinzuweisen, der ihnen nach meiner Ansicht zweifellos 
anhaftet. In dem Bemühen, die Gestaltung jedes einzelnen Ohres zu 
klassificiren, jede Varietät in seinem System unterzubringen, musste der 
Blick für die feinen Uebergänge innerhalb der Variationen jedes Ohr- 
theils verloren gehen, und diesen selbst, die nur als gesonderte Arten 
auf dem Papier standen, zu viel Wichtigkeit beigelegt werden. Man 
denke an die zahllosen Modificationen der Helixfaltung, an die je nach 
dem subjectiven Urtheil ausgebildeten, mangelhaften, verwischten oder 
fehlenden Anthelixschenkel, an die Grössenschätzung des Läppchens oder 
des ganzen Ohres. 


Für eine Statistik bedarf man grosser Zahlenreihen, und Grade- 
nigo hält die zu geringe Zahl der Individuen, denen viele Autoren die 
mittlere Procentzahl der Anomalien entnehmen, mit Recht für eine der 
wichtigsten Fehlerquellen der Untersuchung. Er nimmt wenigstens 200 
bis 250 Individuen als nothwendig an, um den Typus der Ohrmuschel 
festzulegen. Ich darf daher die bereits im Anthropologischen Theil 
aufgestellte Forderung nach einer Schulengnöte wiederholen, an die sich 
mit Leichtigkeit Soldatenuntersuchungen seitens der Militärärzte an- 
schliessen könnten. Mit Rücksicht auf bereits erwähnte Theorien würde 
es wünschenswerth sein, die verschiedenen Schulen — Höhere, Mittel-, 
Volksschulen — getrennt zusammenzustellen. 


Ich werde es natürlich aus eben diesen Gründen unterlassen, aus 
meinen Zahlen positive Ergebnisse herauszulesen: wir sind nach meiner 
Meinung noch lange nicht so weit, über die Degenerationszeichen am 
Ohr zustimmend oder ablehnend zu urtheilen. Aber eine Kritik der 
Statistiken, die uns bisher als Grundlage der Behauptungen geboten 
sind, scheint mir nicht nur gerechtfertigt, sondern sogar sehr an der 
Zeit zu sein und wird in meinen eigenen Zahlen einen Stützpunkt 
finden dürfen. 


Man höre beispielweise den Einfluss der erblichen Belastung auf 
die Ohrform durch Binder beweisen: unter 185 erblich belasteten 
Personen haben 59 % Morel’sche Ohren, unter 169 nicht belasteten 
56 %. Unter Hinzurechnung des Läppchens sind bei jenen 67 %, bei 
diesen 60 % degenerirt. Ich kann mich für die ausschlaggebende 


Wichtigkeit von 3 bezw. 7 0/ Differenz nicht begeistern. Warner?) 
fand mangelhafte Ohrentwicklung in »public schools« bei 1,2 105 in 





1) „Form of Ear as a sign of defective development“ Lancet 1890, S. 345. 


IV. Die Ohrform als Degenerationszeichen. 23 


»special schools — d. s. eine allgemeine Armenschule, zwei Taub- 
stummenschulen, zwei »certified industrial schools« — bei 2,2°/,. Die 
Formen, auf die geachtet wurde, sind nicht angegeben, aber die Pro- 
centziffer ist so niedrig, dass es nur wenige gewesen sein können. 
Trotzdem scheint mir der Unterschied zu gering, um mit Warner die 
grössere und geringere geistige Entwicklung für ihn verantwortlich zu 
machen. 

Binder fand unter 354 Geisteskranken 58°/, degenerirte Ohren, 
64°/, mit Einschluss"der angelötheten Läppchen; Wildermuth unter 
342 Idioten und Epileptikern 33 °/,; F&r& bei 473 Gesunden 21,3 °/,, 
bei 372 Geisteskranken 25,8°/,; Vali!) bei normalen Männern 26 °/,, 
bei normalen Frauen 15°/, ohne regelmässige Ohrmuschel, bei Geistes- 
kranken und Idioten dagegen gegen 50?/ Metzger?) notirte bei 
157 Geisteskranken 46°/,, bei 223 Schülern 39°/, Degenerations- 
zeichen; Näcke?) bei 100 Normalen 49°/,, 41 Geisteskranken 70,7 °/,, 
44 Sträflingen 66 °/,, 39 Vorbestraften 36°/,. Er sagt: »Bereits in 
mehr als der Hälfte der Fälle sind bei Normalen Unregelmässigkeiten 
des Ohres zu verzeichnen.« 


Ich habe unter 549 Untersuchten 69°/,, mit Einschluss der an- 
gewachsenen Läppchen ca. 80°/, »degenerirte« Ohren gesehen. Der 
grosse Unterschied zwischen obigen und meinen Zahlen scheint mir 
hauptsächlich durch das Darwin’sche Knötchen bedingt. Bei Binder 
z. B. finden sich auf 140 Personen nur 13 = 9,2°/,, bei mir dagegen 
40,5°/, derartige Ohren, und wenn ich diejenigen Fälle, die das Dar- 
win’sche Knötchen als einzige Varietät aufweisen, sonst aber normale 
Ohren haben, von den Degenerirten ausnehme, so bleiben 54,6, mit 
Einschluss der angewachsenen Läppchen 66,4 degenerirte Ohren, also 
ziemlich dasselbe Verhältniss, wie bei jenen. Woher der niedrige Pro- 
centsatz für das Darwin’sche Knötchen bei Binder kommt, ist mir umso 
räthselhafter, als er in der Beschreibung dieser Form auch die ein- 
fachen Verdickungen des Helix an der Darwin’schen Stelle zu ihr zu 
rechnen scheint. Ich will hierbei erwähnen, dass ich in einer Beob- 
achtungsreihe von 78 Geisteskranken zu einer Zeit, als ich Schwalbe’s 
Arbeiten noch nicht kannte, ebenfalls 9°/, mit dieser Anomalie notirte. 


1) „Die morphologischen Veränderungen der Ohrmuschel bei Gesunden, 
Geisteskranken und Idioten.“ Allg. Wiener medic. Zeitung 1891, Nr. 11. 

2) Zeitschrift f. Psychiatrie 1889. 

3) „Die anthropologisch-biologischen Beziehungen zum Verbrechen und 
Wahnsinn beim Weibe‘‘, Zeitschrift f. Psychiatrie 1873. 


24 Karutz: Studien über die Form des Ohres. 


Besser ist die geringe Ziffer derselben bei Gradenigo?) zu verstehen, 
da er von den fünf Hauptformen des Darwin’schen Ohres, wie sie 
Schwalbe?) unterscheidet. nur die beiden ersten (Macacus- und 
Cercopithecusohr) als Darwin’sche Spitze, die dritte, den Woolner- 
Darwin’schen Punkt mit Schwalbe als Darwin’schen Höcker unter den 
Anomalien aufführt, die beiden letzten Formen dagegen (sichtbare 
oder fühlbare Verdickung des Helix oder seine Verbreiterung an der 
Darwin’schen Stelle) wegen ihres häufigen Vorkommens nicht zu den 
Anomalien rechnet. Der Darwin’sche Höcker kommt nach Grade- 
nigo vor 


Männern Weibern 

ın ın 
bei normalen . . . ..2% 1,3 °/o 
bei geisteskranken . . . 2° 1,7%), 
bei Verbrechen . . . . 1,89%, 1,0 %/, 


Väli fand ihn bei 2,4°/, normaler Männer und 0,4 ebensolcher 
Frauen, bei 4,1 °/, geisteskranker Männer und 3,6 derartiger Frauen. 
Fere und Seglas sahen le nodule Darwin bei 

7 °/, der Gesunden, 
3°], der Geisteskranken, 
7,4 °/, der Epileptischen und Idioten; 


Penta in 41°/, seiner 400 Galeerensträflinge; Talbot) einer 
grösseren Procentsatz bei normalen als bei degenerirten Menschen; 
Schwalbe bei 
71 Männern aus dem Unterelsass in 78,8 %/,, 
38 < «  « übrigen Südwestdeutschland in 63 °/,, 
64 Weibern aus dem Unterelsass in 30,5 %/,. 
38 « « « übrigen Südwestdeutschland in 36,8 °/,. 
Schäffer bei Frauen aus Franken in 22 °/,, 
« « « « Baden « 30 °%/,, 
< « « « England « 55 Ts 
Bei mir ist der Unterschied zwischen Männern und Frauen 41,6°/, 
zu 34,6 °;,, also gleichfalls ein etwas seltneres Vorkommen des Darwin’- 
schen Knötchens beim weiblichen Geschlecht. 


1) Archiv f. Ohrenheilk. Bd. 33, S. 14. 


2) „Das Darwin’sche Spitzohr beim menschlichen Embryo“, Anatomischer 


Anzeiger 188. 
3) Americ. med. Assoc. 18. Jan. 1896 Ref. i. d. Zeitschr. f. Ohrenh. XXIX, 
1896, S. 248. 


-i — 


IV. Die Ohrform als Degenerationszeichen. 25 


In einer Schule für schwachbefähigte Kinder, welche alle Grade 
von geringer geistiger Fähigkeit bis zum ausgebildeten Schwachsinn 
aufweist, aus den somit tiefsten — zum allergrössten Teil wenigstens: 
— Schichten des Volkes sich rekrutirt, aus jenen Massen, die durch 
Hunger und Noth, durch Generationen vererbtes Elend, durch Trunk- 
sucht und zerrüttetes Familienleben, durch Rachitis, Syphilis und Tuber- 
kulose an Körper und Geist verkommen sind, in einer Schule, die mit 
den von Warner citirten »special schools« vielleicht vergleichbar sind, 
fanden sich unter 89 Schülern 39 = 43,8%, mit dem Darwin’schen 
Knötchen. Es ist genau dieselbe Zahl, wie bei der Durchschnitts- 
bevölkerung, ja auch wie bei den Angehörigen der höheren Stände 
(42,3 °/,). Ich kann mich hiernach nicht dazu entschliessen, das. 
Darwin’sche Ohr als ein Degenerationszeichen aufzufassen. Kein atavisti- 
sches Gebilde, aber eine Bildungshemmung aus dem fötalen Leben, wo 
sie im dritten Monat bis zum Ende des zweiten Drittels desselben stets. 
vorkommt, ist das Darwin’sche Knötchen »fast noch eine Normalität«, 
wie Schwalbe sagt, hat es von unserer Rasse bis jetzt noch nicht aus- 
geglichen werden können, ist darin aber, wie es scheint, bei dem weib- 
lichen Geschlecht weiter gekommen, als beim männlichen. 

Das angewachsene Ohrläppchen sieht Binder, wie bereits erwähnt, 
nicht als ein Degenerationszeichen an, findet aber bei den aus illustrirten 
Zeitschriften gesammelten geistig hochstehenden Persönlichkeiten nur 
15 °/,, nicht einmal halb soviel abnorme Läppchen, als bei Irren. »Das. 
angewachsene Ohrläppchen ist deshalb als Zeichen geistiger Inferiorität 
aufzufassen«< Ich fand bei der Durchschnittsbevölkerung und bei der 
abgetrennten Serie der Angehörigen höherer Stände gleich viele, näm- 
‘lich 23,3, in der Schule für Schwachbefähigte 33,7 und bei Geistes- 
kranken 34,6 °/, angewachsene oder fehlende Läppchen. Beide Formen 
zähle ich mit Gradenigo zusammen und stimme mit Israël!) über- 
ein wenn er sagt: »überhaupt sind die Ohren mit angewachsenen Läppchen 
eigentlich läppchenlose Ohren«. Gradenigo fand 


Männern Weibern 

1n ın 
bei normalen . .21,3°/, 9,907, 
bei geisteskranken . 16,6 °/, 25,0 °,, 
bei Verbrechern . 17,5%, 14,2 9], 
Váli bei normalen . . 9,2%, 7,49, 
bei geisteskranken.. 9,2 °/, 09, 


I) „Angeborene Spalten des Ohrläppchens“, Virchow’s Archiv, Bd. 119. 


26 Karutz: Studien über die Form des Ohres. 


Auch Gradenigo hält die einfach adhärenten Läppchen nicht 
für Entartungszeichen. 


Fere6 constatirte bei Gesunden . . . . 33,2%, 
bei Geisteskranken . . 38,7), 
bei Epilept. u. Idioten . 44,1 °/, 


Talbot!) 92°, bei normalen Personen und nur 47°/, bei 
Wahnsinnigen. 


Schäffer bei 20°/, aller erwachsenen Frauen in Franken, bei 
26 °/, in Schwaben und bei 18 °/, in Baden. 


Einen Unterschied der geistigen Arbeiter gegenüber der Durch- 
‚schnittsbevölkerung konnte ich nicht bemerken; bei den geistreichsten 
Männern und geistreichsten Frauen kann es fehlen, bei dem vege- 
tirenden, in puncto cerebri jungfräulich unberührten Dienstmädchen, 
Bauernknecht etc. sehr wohl ausgebildet, zierlich von der Wange 
abgesetzt sein. Wenn ferner die Zahlen Gradenrigo’s und 
Väli’s nicht den geringsten Gegensatz zwischen Degenerirten und Nor- 
malen feststellen, Talbot sogar die letzteren doppelt so häufig mit 
dem adhärenten. Läppchen sah; wenn Fe&r& für Gesunde fast so viel 
angiebt, wie ich für die Schwachsinnigen und Geisteskranken und auch 
Schäffer theilweise mehr gefunden hat, so kann ich das angewachsene 
Läppchen nicht für eine Marke geistiger Inferiorität halten. Meine 
Zahlen möchten sich daher bei grösseren Untersuchungsreihen aus- 
‚gleichen. Höchstens würde ich eine vorwiegend häufigere Entwicklungs- 
hemmung, wie sie in dem adhärenten Läppchen zu Tage tritt, bei den 
schwachsinnigen Kindern auf die durch Krankheiten und das Elend des 
socialen Milieus geschwächte und verkümmerte Constitution zurückführen. 
Man weiss ja, dass eine solche die geistige Entwicklung nicht zu be- 
einflussen braucht. Es bleibt dabei aber sonderbar, dass jene andere 
Entwicklungshemmung des Darwin’schen Knötchens bei ihnen nicht 
ebenfalls in grösserer Häufigkeit auftritt. Wir stossen eben bei jedem 
‚Schritt auf Widersprüche, so lange wir nicht in der Entwicklungs- 
hemmung nur die Variationsbildung eines rudiınentären Organs würdigen. 
Unerklärlich bleibt auch, weshalb die eine Hemmung bei dem männ- 
lichen Geschlecht, die andere bei dem weiblichen häufiger vorkommt. 
Das adhärente Läppchen fand ich bei jenen in 20, bei diesen in 30 o 
beim Darwin’schen Knötchen war es umgekehrt. Schäffer sieht 


1) a. a. O. 


~, a Ő r Moo oo 


‚IV. Die Ohrform als Degenerationszeichen. 27 


übrigens eine der Ursachen für jenes in einer lokalen übermässigen 
Basisverlängerung nach unten hin unter Heranziehung alles im Ohr- 
läppchen vorhandenen Materials an die Backenhaut. Grössere Wichtigkeit 
legt man allerseits dem spitzwinklig auf die Wange verlängerten Läpp- 
chen bei. Binder bildet. daraus einen besonderen Typus und will es 
in 35 °/, der Geisteskranken gefunden haben. Viel bescheidener tritt 
Gradenigo mit folgenden Zahlen auf: 


| - Männer Weiber 
normal . . . . 52 ` 2,6 


geisteskrank . . 9,7 14,3 

Verbrecher. . . 7,6 6,2 

Váli sah bei normalen . . . 56 88 
bei geisteskranken . 13,9 8,4 


Wenn Gradenigo den Schluss zieht, dass »die verlängerten Läppchen 
als Zeichen von Degeneration grosse Bedeutung haben, da man sie bei 
Geisteskranken und Verbrechern fast doppelt so oft, als bei normalen 
Individuen antrifit«, so klingt das recht einleuchtend. Der Commentar 
der Zahlen gestattet aber eine andere Auslegung. Was sind 7 ver- 
längerte Läppchen bei 100 Verbrechern, wenn 100 Normale schon 5 
besitzen! Sprechen diese zwei so zweifellos für angeborene Degenera- 
tion der Ersteren® Gewiss ist es auffallend, dass 14 geisteskranke 
und nur 2 normale Frauen unter 100 diese Anomalie aufweisen; Vali 
sah aber bei beiden 8 °/,, sodass ich nicht weiss, wie Gradenigo von 
diesen Zahlen sagen kann, sie bestätigten seine Befunde. 

Ich fand diese Art der Läppchenanheftung bei 

2,1 °/, der Durchschnittsbevölkerung 
1,3 °/, der höheren Stände 
1,1 °/, der Schwachsinnigen 
3,0 °/, der Geisteskranken. 

Binder’s hohe Zahlen erklären sich wohl daraus, dass er noch 
andere Abnormitäten in der betreffenden Rubrik unterbrachte. Aus 
meinen Zahlen kann ich beim besten Willen keinen Schluss auf eine 
Bedeutsamkeit des verlängerten Läppchens ziehen. Ich darf nicht ver- 
schweigen, dass ich einen typischen Fall desselben gesehen habe, der 
nach ausdrücklicher, oft und bestimmt wiederholter, Aussage seines 
Besitzers in der Jugend durch ein Ekzem entstanden war; vorher will 
er entschieden ein freies Läppchen gehabt haben, wie auch die ganze 
Familie es besitzt. Ist es wirklich an dem, so geschieht es jedenfalls 
eminent selten, bleibt aber trotzdem interessant und wichtig. 


r 


28 Karutz: Studien über die Form des Ohres. 


Da Binder die Läppchenanomalien nicht zu den Degenerations- 
zeichen rechnet, so finden sich bei ihm keine Zahlen über zu starke 
oder geringe Entwicklung desselben. Nach Näcke hatten zu grosses 
oder zu kleines Läppchen 

von 44 Sträflingen . . . ....20,4°%, 


von 39 Vorbestraften. . . . . , 102% 
von 41 Geisteskranken . . . . . 19,5 / 
von 100 Normalen . . . ...2....210%, 


Ich fand übergrosses Läppchen 
bei 2,3 °/ der Durchschnittsbevölkerung 
bei 1,3 °/, der höheren Stände 
bei 2,2 °/ der Schwachsinnigen 
bei 3,4 °/, der Geisteskranken. 


Die Befunde sind also selten und so wenig abweichend, dass man 
keinerlei Folgerung aus ihnen ziehen kann. Die Art des gesammten 
Körperbaues, die mehr gracile oder mehr compakte Constitution ist 
dabei wohl von maassgebendem Einfluss, 

Die übermässig grossen Ohrmuscheln können nach Gradenigo 
und Anderen als Zeichen von Entartung gelten, weil das menschliche 
Ohr aus der Involution des grossen thierischen entstanden, ein grosses 
Ohr also den niedrigeren Typus repräsentirt. Zahlen über ihre Häufig- 
keit giebt es nicht. Váli will sie doppelt so häufig bei Geisteskranken 
gefunden haben, wie bei Gesunden, Binder bei jenen in 19,2 °,- 
Ich konnte sie notiren in 

1,5 °/, der Normalen 

2,2 °/, der schwachbeanlagten Kinder 

3,0 °/, der Geisteskranken, 
überaus selten also, sodas ich angesichts der Relativität des Begriffs mich 
nicht für berechtigt halte, eine 2—3mal auf Hundert vorkommende 
Varietät für bedeutsam hinsichtlich des psychischen Verhaltens ihres 
Trägers anzusehen. 

Die abstehenden Ohren wurden von Gradenigo gefunden 


Männer Frauen 
ın in 
bei normalen . . . 11,1 °% 3,19%, 
bei geisteskranken . 20,0 °/, 4.2.07, 
bei Verbrechern . . 25,2, 5,3 0), 
Von Väli bei normalen . . . 16,8 °/ 10,4 °/, 


bei geisteskranken . 36,5 °/, 23,8 %/, 


L 


IV. Die Ohrform als Degenerationszeichen. 29 


Binder sah bei Geisteskranken 5,6 °/,, die Italiener schwanken 
in ihren Berichten zwischen 6 und 37,79°/,.. Albertotti fand es 
16mal unter 33 Taubstummen, Frl. Eyle in 0,7 °/, bei Normalen und 
in 92 resp. 95 °/, bei Verbrechern und Verbrecherinnen! Diese letztere 
Statistik weist selbst Gradenigo zurück; er betrachtet nur den- 
jenigen Grad des abstehenden Ohres als Entartungszeichen, wo dieses 
unter rechtem oder fast rechtem Winkel inserirt. Umso erstaunlicher 
sind seine hohen Zahlen. Frigerio lässt es schon bei einem Winkel 
von 70° beginnen und erhält dadurch folgende Tabelle: 


bei Normalen bei Irren bei Verbrechern bei Affen 


50—70° 31, 18°], 18 °/o ee 
71—90 ° 520 44h 45° ht O 309, 
mehr als 90 ° 17 9], 38 9], 55%, 70%), 


Ich habe abstehende Ohren notirt in 


8,2 °/, bei der Durchschnittsbevölkerung 
15,7 °/, bei den schwachbefähigten Kindern 
7,7 °], bei den Geisteskranken. 


Ueber das Unhaltbare der atavistischen Auslegung des abstehenden 
Ohres habe ich mich schon früher des Längeren ausgesprochen, muss 
aber angesichts dieser ungeheuerlichen Tabelle Frigerio’s noch ein- 
mal darauf verweisen. Was für Affen für sie Modell gesessen haben, 
ist mir räthselhaft, wenn es nicht eine neue, besonders für die Criminal- 
anthropologen geschaffene Species oder wenn nicht der Schimpanse als 
einziger Affentypus proclamirt worden ist. Sonst kann ein Gang in ein 
beliebiges naturhistorisches Museum Jeden davon überzeugen, dass nicht 
30 °/, aller Affen 71--90° und 70°), mehr als 90° auriculo- 
temporalen Winkel besitzen. 


Ich habe bei Geisteskranken keine höheren Zahlen für diese Ano- 
malie gefunden, als bei Normalen, wohl aber bei den schwachsinnigen 
Kindern, und man muss zugeben, dass der blöde Gesichtsausdruck der- 
selben durch die abstehenden Ohren noch erhöht wird, dass die ab- 
stossenden Züge eines mit offenem Munde und glanzlosen Augen uns 
verständnisslos anstarrenden ausgebungerten Kindes durch sie noch 
peinlicher berühren. Das darf uns aber nicht verleiten, nun plötzlich 
in ihnen den äusseren Beweis der geistigen Schwäche oder gar eine 
Affenähnlichkeit sehen zu wollen. Dieselben Gründe, wie vorhin bei 
dem angewachsenen Läppchen könnten als eine der Ursachen des ab- 
stehenden Ohres eine Entwicklungshemmung glaubhaft machen, die bei 


30 Karutz: Stndien über die Form des Ohres. 


den körperlich vernachlässigten Arbeiterkindern durch eine krankheiten- 
durchseuchte geschwächte Constitution begünstigt wird. Hierbei könnte 
noch ein besonderer Umstand Berücksichtigung verdienen. Ein Lehrer 
der in Rede stehenden Schule hatte seit Langem die auffallende Häufig- 
keit der. abstehenden Ohren in ihr bemerkt und bezog sie auf das 
das lange Liegen der rachitischen Kinder! Ich bin der Ansicht auch 
sonst begegnet. Es wäre immerhin möglich, dass diese Entstehung in 
einzelnen Fällen zutrifft, und zwar hauptsächlich wohl für die erste der 
beiden von mir unterschiedenen Formen des abstehenden Ohres, für die 
in ihrer ganzen Länge quer wegstehenden, während für die zweite 
Form der überhängenden, eigentlichen Henkelohren, die Entwicklungs- 
hemmung grössere Gültigkeit haben dürfte. Dass eine solche auch bei 
körperlich schwachen Kindern der besseren Stände oder als Variabilitäts- 
erscheinung eines rudimentären Organs oder als erbliche Varietät bei 
bei ihnen vorkommt, darf uns nicht Wunder nehmen. Und darum ist. 
es kein Widerspruch, wenn ich vorhin den Gegensatz zwischen höheren 
und niederen Ständen bezüglich der Ohrform leugnete. Die gewaltigen 
Differenzen in den Procentzahlen der verschiedenen Beobachter beweisen 
übrigens, wie flüssig die Uebergänge innerhalb dieser Anomalie sind. 
Das allein konnte mich abhalten, ein abstehendes Ohr für ein Kain- 
zeichen eines erblich Belasteten, zur Geisteskrankheit neigenden Degene- 
rirten oder eines geborenen Verbrechers zu halten. Es muss erwähnt 
werden, dass Daae in Christiania eine Zunahme dieser Ohrstellung im 
höheren Alter zu finden glaubte. 

Hier möchte ich kurz von einer anderen Stellungsanomalie sprechen. 
Normal soll bekanntlich das Ohr zwischen Augenwinkel- und Nasen- 
septumlinie sich erstrecken. Ich notirte einmal ein geringes Hinüber- 
reichen über die obere Grenze, einmal geringen Tiefstand.. Den 
letzteren, der ab und an beobachtet wird, erklärten sich die Phreno- 
logen!) aus der stärkeren Entwicklung des Organs des Zerstörungssinnes, 
der gerade über dem Ohre liegt. In Bezug auf Ersteres hat man, wie 
man weiss, behauptet, dass bei den ägyptischen Mumien, den modernen 
Aegyptern und den Juden ein höher inserirendes Ohr als Rassenmerkmal 
typisch sei und hierin ein Kriterium niederer Entwicklungsstufe finden 
wollen. Nachdem Langer diese Beobachtung für die Aegypter, 
Hyrtl für die Semiten widerlegt hatte, konnte Ranke?) feststellen, 





1) Scheve „Katechismus der Phrenologie“. 

2) „Ueber höhere und niedrigere Stellung der Ohren am Kopfe des 
Menschen“, Correspondenz-Blatt der deutschen Gesellschaft für Anthropologie 
1889, S. 172. 


.IV. Die Ohrform als Degenerationszeichen. 31 


dass die Stellung der Ohröffnung gegen den oberen Rand des Joch- 
bogens absolut identisch ist bei ägyptischen und bairischen, wie slavi- 
schen und ungarischen Schädeln; »dagegen ist bei niederen Rassen das- 
Ohr gegen die Jochbogenlinie wirklich scheinbar gehoben. Das Ver- 
hältniss ist nun keine Affenähnlichkeit, sondern erklärt sich aus der 
individuellen Entwicklungsgeschichte. Bei Neu- und Ungeborenen so- 
wohl wie bei niederen Rassen neigt sich der Jochbogen nach vorn: 
gegen die deutsche Horizontale zu mehr und häufiger als beim Europäer.« 
Schaafhausen!) glaubt an eine rohere Form der menschlichen Ge- 
stalt mit Hochstand des Ohres, die von den Aethiopiern her den alten 
Aegyptern bekannt war und die er bei lebenden Negern, an Photo- 
graphien derselben und bei einem Australier gesehen haben will. 


Das Spitzohr (Satyrohr), das Gradenigo auf die unvollkommene: 
Verschmelzung des Helix mandibularis mit dem Helix hyoideus zurück-- 
führt und das er deutlich nur bei zwei Frauen beobachtete, fand ich 
Amal unter 549 Fällen, 1 mal unter den 89 Schwachsinnigen, keinmal 
unter 78 Geisteskranken. Es dürfte also eben so selten, wie bedeu- 
tungslos sein für die Entartung des Individuums, 


Die schiefe Insertion sollte nach Gradenigo nicht als Anomalie: 
bezeichnet werden und ist nach Schäffer einestheils von Schläfenenge: 
(mangelhafter Drehung des Felsenbeins) und Schläfengrubenflachheit. 
abhängig, anderentheils unabhängig vom Knochenwachsthum die alleinige- 
Folge des Schiefwachsens des Ohrknorpels. 


Ich fand sie in 1,9 °/, bei: Normalen | 
1,1 °/, bai schwachbefähigten Kindern 
1,2 °/, bei Geisteskranken, 


also überall in dem gleichen Verhältnis. Ueber den Versuch Lom- 
broso’s, schiefe Ohren hauptsächlich für musikalisch angelegte Menschen 
in Anspruch zu nehmen, durfte ich mich bereits im physiognomischen 
Theil auslassen. 


Der übermässig muschlige Bau, eine der hässlichsten Ohranomalien,. 
ist meist wohl die combinirte Folge des Abstehens und der mangel- 
haften Entwicklung des Anthelixsystems, trotzdem es, wie Binder 
richtig bemerkt, auch bei ganz normal implantirtem Ohr sich finden. 
kann. Er fand es in 6,5 °/, seiner Geisteskranken; Gradenigo bringt. 
es unter der Rubrik »Krümmungsanomalien«, aber ohne Zablen. Ich 


1) XV. allgemeine Versammlung der deutschen anthropologischen Gesell- 
schaft, Breslau 1884. 


39 Karutz: Studien über die Form des Ohres. 


sah es in 1,4°/, der Normalen und in 4,4 °/, der schwachsinnigen 
Kinder, deren höherer Procentsatz dem Ueberwiegen der abstehenden 
Muschel entspricht. 


Die Anomalien des Helix als bandförmiger oder im absteigenden 
Theil fehlender mit früh aufhörender Fossa scaphoidea berechnet 
Binder unter dem Namen »Stahl’sches Ohr I« auf 22 unter 140 
— 15,7°/,. Gradenigo fand vollständigen oder fast vollständigen 
Mangel des Helix bei 


Männern Frauen 
in in 
normalen . . ....2.08% 73°, 
geisteskranken. . . . . 38%, 8,0 °/o 
Verbrechen . . ...40% 92.16 
Väli zählte partiellen Mangel des Helix bei 
Männern Weibern 
in in 
normalen . . . . . . 8,2906 6,2%, 
geisteskranken. . . . .97°% 6,5 °/o 
Idioten . . . 8,6 9,1 °/o 
Sehr selten sah Gradenigo den bandförmigen Helix, bei 
Männern Weibern 
in in 
normalen . . .....30°%, 2,6 9/0 
geisteskranken. . . . . 3,0%% 38,0 
Verbrechen . . ...40%, 3,6%, 
Váli denselben bei l 
normalen . . . . . 44h 3,6 °/, 
geisteskranken . . . . .69% To Yi 


Frl. Eyle schiesst auch hier den Vogel ab mit 0,8 °/, für normale 
Männer, 26,3 für Verbrecher und 33,3 für Verbrecherinnen. 


Rechne ich zunächst dieselben Anomalien zusammen wie Binder, 
so erhalte ich 
24,1 °/, bei der Durchschnittsbevölkerung 
14,3 °/, bei den oberen Ständen 
21,2°/, bei den schwachsinnigen Kindern, 


also mindestens die gleiche Zahlen wie er für seine Geisteskranken. 
Gradenigo’s Zahlen über den fehlenden Helix lassen sich schlecht 








IV. Die Ohrform als Degenerationszeichen. 33 


vergleichen, weil man nicht weiss, wie er den »fast ganz fehlenden« 
Helix meint. Fer& fand 
Normale Geisteskranke Epileptiker 
i u. Idioten 
Helix effacé (le plus souvent en bas) 5,5 °/, . 8,6 9), 1:5: 97, 
Helix absent . . . .2.....04 9, 0,49, 0,08 /9 


Ich sah im Ganzen schlecht entwickelten Helix bei 1,2 °/, der 
Normalen, bei 3,3 °/, der schwachbefähigten Kinder. Gerade in der 
Helixbildung bestehen aber wieder jene zahllosen Formen und feinen 
Uebergänge, die eine Einigung auf Grund von Beschreibungen so sehr 
erschweren. Wenn Kurella sagt: »Eine baldige Einigung über einen 
Ersatz der descriptiven Beschreibung des Ohres durch eine otometrische 
erscheint erwünscht«, so möchte ich an dieser Stelle hinzusetzen, dass 
ein viel wesentlicherer Fortschritt sich auf Grund von Typenbildern nach 
meiner Ansicht erwarten liesse. Nur international fixirte Typen garan- 
tiren einen Ausschluss der Fehlerquellen, um den sich Gradenigo so 
ernstlich bemüht, und ohne den ein unanfechtbares Endurtheil nicht zu 
erwarten ist. Man denke an Frl. Eyle! Wie die Typen hergestellt 
werden könnten, hat ja bereits Bertillon, wenngleich aus anderen Mo- 
tiven, erfolgreich gezeigt. 


Rechne ich frühaufhörenden und rudimentären Helix zusammen, 
so erhalte ich 
12,7 °/, bei dem Durchschnitt 
7,8 °/, bei den höheren Ständen 
8,9 °/, bei den Schwachsinnigen, 


mithin wesentlich höhere Zahlen, als Väli, die aber ebensowenig 
einen Schluss auf die degenerative Bedeutung der Anomalie zulassen. 
Wenn bei diesem Beobachter die geisteskranken Männer und Idioten 
in ca. dreimal so vielen Fällen die Abnormität zeigen, wie die Nor- 
malen, so ist nicht einzusehen, weshalb dasselbe nicht auch bei den 
Frauen der Fall ist, wenn die Gehirnentartung die Ursache jener ist. 
Dasselbe trifft bei Gradenigo zu; auch er fand bei Frauen, seien 
sie Geisteskranke oder Verbrecherinnen, dieselbe Zahl fehlender Leisten. 
Oder ist 7,3 °/, und 9,7°/, ein Gegensatz, der abstrakten Behauptungen 
zu Grunde gelegt werden kann? Noch deutlicher liegt die Sache bei 
dem bandförmigen. Helix. 


Gradenigo bringt für ihn nur kleine Zahlen und scheint ziem- 
lich strenge in der Beurtheilung des Grades gewesen zu sein, bei dem 
Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXXI. 3 


34 Karutz: Studien über die Form des Ohres. 


die Anomalie anfängt und die Norm aufhört. Umso besser! Die 
Zahlen sind aber auch so sich völlig gleich, sowohl bei Männern wie bei 
Frauen. Váli erhält etwas höhere Zahlen und etwas grössere Unter- 
schiede. Ich kann die letzteren nicht bestätigen, da ich 11,4 °/, beim 
Durchschnitt, 12,3 °/, bei den Schwachsinnigen fand. Wesentlich ge- 
ringer war der Satz bei den höheren Ständen, nur 6,5°/,! Es ist 
möglich, dass bei einer der Durchschnittsbevölkerung gleich grossen Zahl 
der Fälle sich der Unterschied ausgeglichen hätte. Ich halte den band- 
förmigen Helix nur für graduell verschieden vom normalen, begünstigt. 
vielleicht durch äussere Druckwirkung. Dass diese bei Degenerirten 
vorwiegend oder auch nur häufiger sich geltend macht, als bei Normalen, 
ist weder a priori wahrscheinlich noch durch die Zahlen gewiss geworden. 


Zu dem rudimentären, fehlenden oder fast fehlenden Helix gesellt 
sich das Macacusohr als durch dieselbe Ursache der Entwicklungs- 
hemmung bedingt. Binder fasst diese Form wohl in der Rubrik 
»Morel’sches Ohr«, Gradenigo unter dem Namen »Darwin’sche Spitze« 
zusammen. Jenes wurde in 7,1°/, bei Geisteskranken, diese bei 


Männern Frauen 

; m ın 
normalen . . . . 15% 1,7 olo 
geisteskranken . . 2,4 °/, 1,0%, 
Verbrechen . . . 1,5% 1,2 °/o 
Von Váli bei normalen . . . . 0,69, 0,4 °l 
geisteskranken . . 2,3%, 3,5%, 


Ich sah es in 4,5 °/, bei Normalen 
in 2,2 °/, bei Schwachsinnigen 
in 1,2 °/ bei Geisteskranken. 


Ich bin natürlich weit davon entfernt, nun zu behaupten, dass das 
Macacusohr häufiger bei Normalen als bei Geisteskranken vorkommt — 
und doch operiren die Freunde der Ohrdegeneration mit so winzigen 
Zahlengrössen —, glaube aber, dass diese Befunde eine Würdigung 
verdienen. Man sollte erwarten, dass wenigstens diejenigen Formen, in 
denen eine direkte Aehnlichkeit mit dem Thierohr sich kundgiebt, die 
also eine atavistische Varietät par excellence vorstellen könnten, dass 
das Macacusohr wenigstens in einem sichtlich höheren Procentverhältniss 
die Ohren Degenerirter auszeichnet als die Normalen. Soll der Rück- 
schlag des Ohres auf die tiefere Stufe einer überwundenen Zeit oder 
das Stehenbleiben auf einem frühen embryonalen Stadium der Ausdruck 


IV. Die Ohrform als Degenerationszeichen. 35 


allgemeiner psychischer Entartung‘ sein, so muss eine einigermaassen be- 
trächtliche Zahl der Degenerirten durch solche Formen ausgezeichnet 
sein. Und ich muss gestehen, dass das Macacusohr diejenige Ohrver- 
bildung ist, die durch ihren merkwürdigen und auffälligen Anklang an 
das Thierohr den grössten Eindruck auf mich gemacht hat. Und nun? 
Väli konnte bei idioten Frauen nicht ein einziges Macacusohr finden, 
bei Gradenigo zeigt es entweder gar keine oder so verschwindend kleine 
Unterschiede, dass von seinem häufigen oder gar vorwiegenden Vor- 
kommen bei Degenerirten keine Rede ist. 


Danach weiss ich in der That nicht, worauf man seine Beweise 
stützt. Es ist bemerkenswerth, dass gerade die das menschliche Ohr 
vor Allem auszeichnenden Bildungen, das Fehlen der Spitze, das Läpp- 
chen, die Umlegung des Helix, vor einer vergleichenden Kritik die 
Probe ihrer degenerativen Bedeutsamkeit am schlechtesten bestehen. 
Binder wird freilich sagen, das Räthselhafte besteht eben in dem 
Variiren der unwesentlichsten Theile. Ich sehe nicht ein, weshalb ich 
Etwas glauben soll, weil es räthselhaft ist. 


Von den Varietäten der Gegenleiste ist bei Gradenigo nur der 
vorragende Anthelix zahlenmässig bestimmt. Er sah ihn bei 


Männern Weibern 

ın mn 
normalen . . . . 7,2 11,9 9), 
geisteskranken . . . . 18,0%, 26,0%), 
Verbrechen . . . .180°/, 14,2 9), 


Wie man sieht, wirklich bedeutende Unterschiede. Väli fand viel 
weniger: 


Männern Frauen 
bei normalen . ....56°% 6,0 9), 
bei geisteskranken . . . . 8,12 °/, 8,2 °/o 


und viel geringere Unterschiede bei Gesunden und Geisteskranken. Ich 
halte es für unmöglich, dass Jemand eine Abnormität, die in 8 auf 100 
Fälle vorkommt, für bedeutsam halten darf, wenn sie bei Normalen in 
6 auf 100 gesehen wird. 
Fére fand fast 7,0 °/, bei Gesunden 
7,5 0/, bei Geisteskranken 
6,2 °/, bei Epileptikern und Idioten. 


Man sucht vergebens nach einem auch nur kleinsten Beweis der 
Zahlen! Binder sah das »Wildermuth’sche« Ohr 62 mal unter 140 
gr 


36 Karutz: Studien über die Form des Ohres. 


Geisteskranken, also in der überaus hohen Häufigkeit von 44,3 °/,. 
Man beachte, wie sehr diese Resultate von denen der früheren ab- 
weichen und gestehe, dass die Ohruntersuchungen noch lange nicht reif 
sind für eine »Lehre von den Degenerationszeichen am Ohr«. Ich habe 
die erwäbnte Form gefunden 


in 17,4 °/, bei dem Durchschnitt 
in 16,6 °/, bei den höheren Ständen 
in 13,5 °/, bei den Schwachsinnigen 


und muss sagen, dass ihre Häufigkeit bei normalen Menschen mir 
längst das Erstaunen über ihr Vorkommen abgewöhnt hat. 


Die Drittbeilung des Anthelix findet man nach Gradenigo 
häufiger als das Macacusohr, bei Verbreeherinnen in 6,5 °/, (für 
normale Frauen sind keine Zahlen genannt) Binder sah sie bei 
2,8 °/, der Geisteskranken, Väli in 1,4 °/, männlicher Idioten, ich in 
0,4°/, der Normalen und in 1,1°/, der Schwachsinnigen. Es ist 
offenbar eine sehr seltene Anomalie, für deren häufigeres Vorkommen 
bei Degenerirten ich keine Bestätigung in den Zahlen finde. 


Auch für den Mangel des Crus superius giebt Gradenigo keine 
Zahlen, Binder sah ihn zweimal unter 140 Geisteskranken, ich in 
3°/, bei 471 Durchschnittsmenschen und in 1,3 °/, bei den höheren 
Ständen. Der Anthelix fehlte ganz oder fast ganz in 1,4 °/, der Nor- 
malen und 1,1 °/, der Schwachsinnigen. Das’ durch Knorpel verunstaltete 
Ohr sah Binder 8mal auf 140, ich habe völlige Ausfülluny der 
Concha durch Knorpelmasse zweimal unter 270 Rekruten notirt. 


Mit Recht sagt Binder, der Beweis dafür, dass die Verbildung 
der Ohrmuschel als ein Stigma hereditatis zu betrachten sei, sei nur 
ein halber, solange nicht auch das Vorkommen degenerirter Ohrformen 
bei Nichtgeisteskranken einigermaassen erklärt sei. Er versucht einen 
solchen — von seinem einseitigen Standpunkte aus —, indem er 33 
Träger missgestalteter Ohren ausserhalb der Anstalt beobachtete und 
Näheres über geistige Abnormitäten etc. bei ihnen in Erfahrung zu 
bringen suchte. Von den 35 war bei 14 nichts Derartiges zu ermitteln, 
7 hatten geisteskranke Eltern, Geschwister oder Kinder, bei den übrigen 
waren entschieden Abnormitäten des psychischen Lebens vorhanden. 
Wenn man bedenkt, dass fast die Hälfte der Untersuchten normal war, 
dass mit dem Ausdruck »Abnormitäten des psychischen Lebens« Alles 
mögliche gemeint sein kann, dass die Art der Ohranomalien. bei den 
Geisteskranken nicht angegeben und namentlich bei den Normalen der- 


IV. Die Ohrform als Degenerationszeichen. 37 


selbe Mangel für einen Vergleich sich lebhaft fühlbar macht, wird man 
Binder Recht geben, wenn er es als selbstverständlich ansieht, dass 
zu weite und bindende Schlüsse aus den genannten Fällen nicht gezogen 
werden können, wird es aber umso weniger verstehen, wenn er trotzdem 
das Morel’sche Ohr für ein Stigma heriditatis im vollen Sinn des Wortes 
hält, das sich vorzugsweise bei erblich belasteten Individuen und Geistes- 
kranken findet. 


Eine Erklärung der Ohrverbildungen bei normalen Menschen, die, 
wie ich gestehen muss, unser Causalitätsbedürfniss mit Recht verlangt, 
um die sich das rein anatomische wie das allgemein menschliche Inter- 
esse mit berechtigter Spannung bemüht, durfte nicht von der vorge- 
fassten Meinung ausgehen, dass sie Degenerationszeichen sind, sondern 
hätte erst einmal vorurtheilsfrei in der Anatomie und Anthropologie 
nach den Ursachen forschen müssen. Ich kann mich von einer zwingen- 
den Sprache der Zahlen zu Gunsten Binder’s und seiner Gleich- 
gesinnten nicht überzeugen. Weder wenn ich meine Zahlen unter sich 
oder die Zahlen der Gegner unter sich, noch wenn ich beide mit ein- 
ander vergleiche, finde ich eine unanfechtbare Statistik, nach der die 
Ohranomalien vorwiegend bei erblich belasteten Individuen und Geistes- 
kranken gesehen werden. 


Für mich sind Variabilität und Erblichkeit die beiden grossen 
Lebenserscheinungen, aus denen unter Mitwirkung der Rassenmischung 
die Fülle der Ohrformen sich erklärt. Einmal müssen wir überhaupt 
der Natur, dem Lebensprincip, der Lebensenergetik oder wie immer man 
die Kraft nennen will, die Stoffwechsel, Wachsthum und Fortpflanzung 
treibt, einen gewissen Spielraum lassen für die Variationsbildung. Im 
Grossen und Ganzen erzeugt die Natur in sich gleichbleibender Regel- 
mässigkeit die Symmetrien in der organischen und anorganischen Er- 
scheinungswelt, kurze Seitensprünge aber muss man ihr auf diesem 
Wege durchgehen lassen; sie stören nicht die Symmetrie der Form, nicht 
den Typus der Art. Um wie viel weniger darf diese Variabilität bei 
einem Organ wunderbar erscheinen, dass man zu den rudimentären — 
auch im Lager der Degenerationsfreunde — rechnet! Und wie kann 
eine solche hier anatomisch und vergleichend anatomisch anders impo- 
niren wie als Entwicklungshemmung und als atavistischer Rückschlag 
in die thierische Form® Was würde man sagen, wenn Jemand den 
Processus vermiformis als Maassstab intellektueller Begabung und psy- 
chischen Intaktseins proclamiren wollte? Und doch steht er morpho- 


38 Karutz: Studien über die Form des Öhres. 


logisch der Ohrmuschel gleich. Oder wer hält einen mit sechs Fingern 
oder mit einer Hasenscharte auf die Welt Gekommenen für geistig 
defekt? Wer eine stärkere Behaarung des Handrückens oder der 
Brust für einen Atavismus, der auch eine Rückschlagsbildung des 
Gehirns, eine abnorme Cerebralconstitution gleichzeitig bedingt hat? 


Die Erblichkeit andererseits, für die man genaue Gesetze aufgestellt 
hat, ist darum nicht für die Degenerationslehre beweisend. Wenn man 
glaubte, bei ihr complicirte Vorgänge und einen typisch constanten 
Verlauf derselben constatiren zu können, so ist sie doch für das Ohr 
nicht auffallender als für andere Organe des Körpers oder für die An- 
lagen und Gewohnheiten des bewussten Individuums. Mehr aber als 
die erbliche Ohrform wechselt in ein und derselben Familie die Persön- 
lichkeit. Denn sie setzt sich zusammen aus Anlage und Erfahrung, 
aus Ererbtem und Erworbenem, welch Letzteres sich wieder zur Anlage 
im Descendenten verdichtet. Es ist nicht unnöthig, so billige Wahr- 
heiten zu wiederholen, da Hysterie, Epilepsie, Trunksucht u. A. als 
Belastung aufgefasst und für die Lehre von den Degenerationsformen 
des Ohres verwerthet werden. Es ist nicht mehr und nicht weniger, 
als der Schleier des Lebensmysteriums, der hinter diesen Fragen uns 
das Ewige verhüllt. Die Statistiken der Psychiater und Criminal-Anthro- 
pologen besitzen nicht die Zauberkraft, ihn zu lüften und unseren 
sehnenden Blicken die Wahrheit zu enthüllen. 


Als dritte jener Mächte, deren Zusammenwirken den Ohrgestalten 
jenen Reichthum giebt, den wir erkennen, von dem wir uns aber nicht 
blenden lassen sollen, werthe ich, wie schon gesagt, die Rassenmischung 
und stelle mich damit auf den rein anthropologischen Standpunkt, von 
dem aus Virchow!) in seiner Schrift über den Transformismus sagt: 
» Alle jene Uebergänge (in den Rassen) lassen sich theils durch indivi- 
duelle Variation, theils durch Mischung von Angehörigen verschiedener 
Rassen leicht und sicher erklären«. Wenn wir im ethnologischen Theil 
dieser Arbeit auch nicht imstande waren, an der Ohrform die Rassen 
der Jetzzeit von einander zu trennen, so ist doch klar, dass die Ver- 
erbungsprocesse innerhalb der Urfamilien, die zu Stämmen sich aus- 
wuchsen, bestimmte Körperformen bevorzugten und in relativ constanter 
Wiederkehr immer von Neuem erzeugten. Man hat heute noch geglaubt, 
den einzelnen Stämmen des deutschen Volkes, z.B. Westphalen, Schwaben, 
Baiern u. s. w. das überwiegende Vorkommen dieser oder jener Ohr- 


1) Archiv f. Anthropologie Bd. 18, S. 12. 


IV. Die Ohrform als Degenerationszeichen. 39 


anomalie zuerkennen zu können. Die Mischung der Stämme musste 
die Varietäten der rudimentären Ohrmuschel noch wechselnder machen, 
noch bunter durcheinander werfen. 


Für die somatische Anthropologie, für die Lehre vom Menschen, 
vom gesunden Menschen möchte ich die Gestaltung des äusseren Ohres 
reservirt wissen, nicht für die Psychiatrie! 


Die Statistiken, deren Zahlen den Ohranomalien die Bedeutung 
von Stigmata hereditatis sichern sollen, und an deren Beweiskraft ich 
eine, wie ich hoffe, gelungene Kritik üben durfte, stellen zum Theil 
neben den Geisteskranken auch die Verbrecher als Degenerirte den 
Gesunden gegenüber. Die hereditäre Belastung sollte mit körperlichen 
Entartungszeichen, wie die Ohrverbildung, zugleich eine psychische Alte- 
ration erzeugen, die auf der einen Seite zur Geisteskrankheit, auf der 
anderen zum Verbrechen führen kann. Oder richtiger, das letztere 
war die direkte Folge der ersteren, der Ausfluss geistiger Abnormität, 
Minderwerthigkeit oder der ausgebildeten Psychose. Die Degenerations- 
zeichen deuteten nicht so sehr auf verbrecherische Triebe, als vielmehr 
nur auf ein geschädigtes Gehirn. »Die sogenannten Degenerations- 
zeichen bilden den häufigsten Ausdruck der neuropathischen Disposition 
und die Träger derselben besitzen eine 3—4mal so grosse Neigung, an 
Psychosen und Neurosen zu erkranken, als normal gebildete Menschen« 
sagt Knecht!). Nach v. Hölder?), der übermässige Kleinheit, sehr 
grosse, lange, breite oder mangelhaft gebildete Muscheln und ange- 
wachsene sehr schmale Läppchen zu den Entartungszeichen rechnet, 
sagt von ihnen, dass sie nichts als das Vorhandensein einer Anlage 
auch zu geistiger Entartung beweisen. Man bemerke, dass hier wie 
auch bei Knecht und Metzger?) das angewachsene Ohrläppchen als 
Degenerationszeichen gilt, während Gradenigo und Binder es nicht 
dafür ansehen; wie man Kleinheit des Ohres neben seiner Grösse für 
abnorm erklärt, während nach der viel richtigeren Schlussfolgerung 
Gradenigo’s*) die Involution der Ohrmuschel durch Reduktion ihrer 
Dimensionen charakterisirt und daher eine abnorme Grösse das Zeichen 
der Degeneration, jene Reduktion dagegen ein Charakter von Vervoll- 


1) Zeitschrift für Psychiatrie 1884. 

2) „Ueber die körperlichen und geistigen Eigenthümlichkeiten der Ver- 
ibrecher“, Archiv für Anthropologie Bd. 18, S. 206 u. 207. 

3) Zeitschrift für Psychiatrie 1889. 

4) Archiv für Ohrenheilkunde Bd. 30. 


40 Karutz: Studien über die Form des Ohres. 


kommnung und höherer Entwicklung ist. Man wirft eben Varietät, 
Atavismus und Entwicklungshemmung kritiklos zusammen. 


Schon Carus!) hatte die Abhängigkeit des Verbrechens von der 
Geisteskrankheit zu erkennen geglaubt. »Wenn man zwar keineswegs. 
innerhalb eines Staates, durch die angeborene Bildung sogleich im voraus. 
zu Räubern, Dieben, Mördern u. s. w. bestimmte Subjekte vor sich 
hat, so ergiebt sich doch sehr entschieden, dass innerhalb desselben. 
sich immerfort eine grosse Menge von Individuen finden, welche ver- 
möge ihrer minderen Geistesanlagen und unharmonischen Bildung, ‚weit 
leichter Versuchungen zu Verbrechen unterliegen, als geisteskräftige: 
und harmonischer Ausgebildete.« Baer?) sagt: »Dort wo die Organisa- 
tion zum Verbrechen führt und als solche erkannt wird, haben wir es 
nicht mit einem Verbrecher, sondern mit einem Geisteskranken zu 
thun«. Koch?) theilt die Verbrecher in habituelle und Gelegenheits-- 
verbrecher, jene wieder in geistig gesunde und psychopathische Indivi-- 
duen. Zu diesen gehört der sogenannte geborene Verbrecher, und sie 
lassen sich noch in zwei Gruppen theilen, in Geisteskranke und in 
psychopathisch Minderwerthige. 


Die Verbrecher sind also nach diesen Ansichten Degenerirte mit. 
körperlichen Entartungszeichen, zu denen am Ohr alle jene Formen ge- 
hören, die als abweichend vom Durchschnittstypus erkannt und besonders. 
häufig bei Geisteskranken, Idioten, Epileptikern von Gradenigo und 
Anderen gefunden waren. Ich habe mir erlaubt, diese angebliche: 
Häufigkeit — den einzigen Beweis für die Bedeutung der Ohrform als 
Entartungszeichen — zu bestreiten. Die Zahlen der Vertheidiger jener 
Lehre selbst schienen mir in keiner Weise einen Zusammenhang in 
dieser Richtung wahrscheinlich zu machen. Knecht fand bei 20 °/, 
der untersuchten Verbrecher Bildungsfehler des Ohres — man kann 
bei Weitem mehr unter der normalen Bevölkerung finden. Gradenigo®). 
sah bei 113 von 225 Verbrecherinnen normale, bei 112 abnorme Ohr- 
muscheln : 50°/, gegen 50 °/,. Allerdings was sind Statistiken für 
Jemand, der sich auf Koch’s Standpunkt stellt: »Es ist für mich 


1) „Symbolik der menschlichen Gestalt“, S. 379. 

2) „Ueber Criminal-Anthropologie“, Berliner anthropologische Gesellschaft, 
Sitzung vom 17. Februar 1894. 

3) „Die Frage nach dem geborenen Verbrecher“. 

4) „Conformation der ÖOhrmuschel bei Verbrecherinnen“, Zeitschrift für 
Ohrenheilkunde XXII. 


IV. Die Obrform als Degenerationszeichen. 4f 


zweifellos, dass einfache Varietäten (wie die Formabänderung am Ohr) 
in gehäuftem und verstärktem Maasse nur bei solchen Personen sich 
finden, die in ihrem Nervensystem habituell geschädigt sind, ob diese 
Personen auch vielleicht nur an einer angeborenen psychopathischen 
Disposition oder an einer leichten psychopathischen Belastung leiden. 
Man muss bei diesem Stück nur immer das im Auge haben, 
dass mancher Mensch für ganz gesund gilt, der es keines- 
wegs ist. Und weiter »Gewiss ist, dass mehr Leute mit 
sogenannten Degenerationszeichen, mehr Leute, als 
man gewöhnlich vermuthet, geistig nicht gesund, son- 
dern psychopathisch minderwerthig sind.« Damit ist jeder 
Statistik die Beweiskraft genommen, überhaupt aller Werth genommen. 
Denn kann sich schon geistige Abnormität eine Zeit oder das ganze 
Leben lang dem Blick entziehen, aus Mangel an einem äusseren An- 
stoss latent bleiben, um wie viel mehr mag nicht die verbrecherische 
Anlage unter dem Schutz eines bestimmten Milieus oder gar die voll- 
endete That verborgen bleiben können! Hier kann man den Menschen 
nicht einmal bei seinem Tode glücklich preisen, seine Degeneration geht 
unerkannt mit ihm ins Grab. 


lst der Statistik der Werth entzogen, so bleibt für die Anhänger 
der Degeneration überhaupt kein Beweismittel mehr übrig. Denn fragte 
man nach einer Stütze ihrer Behauptungen, so wiesen sie immer nur 
auf die empirisch festgestellte Thatsache des häufigen gleichzeitigen 
Vorkommens von Entartungszeichen am Ohr und geistiger Anomalie. 


Die Lehre der Degeneration wird am meisten bekämpft von einer 
Schule, die zu demselben Schluss betreffs Zusammenhang der Ohrform 
mit dem Verbrechen gelangt, wie die Anhänger der ersteren. Lombroso- 
hat bekanntlich aus dem geborenen Verbrecher eine besondere Menschen- 
species, »eine Varietät der heutigen europäischen Bevölkerung« gemacht. 
Er findet in gewissen geistigen Eigenschaften desselben, in einer Reihe 
körperlicher Bildungen ferner, aus denen er einen besonderen Rassen- 
typus construirt, Aehnlichkeiten mit den Naturvölkern und sieht daher 
im delinquente nato einen Atavismus, eine Rückschlagsform des Menschen 
auf eine niedere Entwicklungsstufe. Ein solcher Mensch muss, voll- 
ständig unabhängig von Stand, Erziehung, Bildung etc., unabhängig vom 
Milieu, nothwendiger Weise zum Verbrecher werden; seine Constitution, 
seine geistige Disposition drängen ihn unbewusst und willenlos dazu, 
den in ihm von Geburt an schlummernden verbrecherischen Anlagen 


42 Karutz: Studien über die Form des Ohres. 


und Neigungen nachzugehen. Diese Disposition ergiebt nach Kurella!) 
in ihrer Gesammtheit ein charakteristisches, von den Erscheinungsformen 
erblicher psychopathischer Degeneration durchaus verschiedenes Bild«. 
Während ihm die Lehre von den Degenerationszeichen »eine unhalt- 
bare und dringend der Revision bedürftige Doktrin« ist, hält er die 
körperlichen Merkmale des Verbrechers einfach für anatomische Varie- 
täten, die zusammen die Menschen-Varietät des delinquente nato 
bilden, ihrer Entstehung nach aber vorläufig noch nicht aufgeklärt sind. 


Es ist hier natürlich nicht der Ort, die Lehre von dem geborenen 
Verbrecher zu erörtern, zumal sie in Deutschland wohl nur noch wenige 
Anhänger zählt. »Ein anthropologischer Verbrecher-Typus existirt ent- 
schieden nicht, sagt Kirn?), wohl aber befinden sich in den Straf- 
anstalten nicht Wenige zum Theil durch ausgesprochene körperliche 
‘Hemmungs- und Missbildungen kenntliche geistig un- oder fehlerhaft 
entwickelte oder durch Krankheit psychisch degenerirte Individuen«. 


Flechsig?°) sagt: »Die strenge Wissenschaft hat sich Lombroso 
nicht angeschlossen; er und seine Anhänger stehen ausserhalb derselben. 
Die Gewohnheitsverbrecher repräsentiren selbst nicht zu einem Viertel 
einen ganz besonderen Typus, weder geistig noch körperlich. Aber es 
giebt unter ihnen zweifellos eine procentisch vorläufig nicht genau be- 
stimmbare Anzahl, welche Abweichungen des Hirnbaues zeigen«. 
Näcke, Daae, Baer) erklären sich mit Entschiedenheit gegen 
einen Verbrechertypus. »Der Verbrecher, meint Letzterer, ist nicht 
das Product der individuellen Organisation, ebensowenig als vorhandene 
Schädelanomalien und andere Degenerationserscheinungen ein Zeugniss 
dafür sind, dass ihr Träger ein Verbrecher werden muss«. Sernoff?) 
fasst auf Grund einer kritischen Studie sein Urtheil dahin zusammen: 
»Der geborene Verbrecher im Sinne Lombroso’s hat in der Wirklich- 
keit kein Dasein; jenes Wesen, welches nach der Schilderung Lombroso’s 
schon im Keime durch den Stempel thierischer niederer Organisation 
gebrandmarkt ist und uns in Gestalt nahezu jedes zweiten Gefängniss- 
bewohners entgegentritt, jener Orang-Utang, wie ihn Taine nennt — 


1) „Naturgeschichte des Verbrechers“, S. 261. 

2) „Ueber die psychische und somatische Degeneration der Verbrecher“, 
Erlenmeyer’s Centralblatt 1889. 

3) a. a. O., S. 29. 

4) „Der Verbrecher in anthropologischer Beziehung‘, 

5) „Die Lehre Lombroso’s und ihre anatomischen Grundlagen im Lichte 
moderner Forschung“, Biologisches Centralblatt, 1896, Nr. 8, 


IV. Die Ohrform als Degenerationszeichen. 43 


existirt in der Menschheit nicht. Den Schöpfern der anthropologisch- 
positivistischen Schule ist es trotz langdauernder und sorgfältiger Arbeit 
nicht gelungen, ihre Hypothesen mit den Thatsachen der menschlichen 
Anatomie in Einklang zu bringen. « 


In der That, die Vermessenheit einer einzelnen Wissenschaft, der 
Anatomie, ein Problem lösen zu wollen, das aus tausend Fragen sich 
aufbaut, in dem das Leben als Inbegriff aller individuellen und socialen 
Kräfte wie in keinem anderen sich concentrirt, musste Fiasko machen. 
Dem Ikarus schmolzen die Flügel an der Sonne des gesunden Menschen- 
verstandes ab. Aus der ersten staunenden Betäubung erwacht sah man die 
ganze Hohlheit einer Lehre, die aus dem Menschen eine Gliederpuppe 
in der Hand unbekannter Vererbungs- und noch unbekannterer Rück- 
schlagsgesetze machen wollte. Man sah die souveräne Verachtung all 
jener grossen Conflikte der Menschenbrust, all jener grausamen Ver- 
kettungen menschlicher Schicksalswege, aus denen das Verbrechen sich 
entwickelt, und die Verkennung der Wandelbarkeit menschlicher Gesell- 
schaftsmoral. Wohl übertrug jene Lehre mit folgerichtiger Cunsequenz 
die Entwicklungsgrundsätze von der somatischen Körpersphäre auf die 
Psyche und vom Individuum auf die Menschheit als sociale Gemein- 
schaft; wohl sprach sie von dem täglich wechselnden Werden der 
Menschengattung, von dem täglichen Fortschritt der Kultur. Aber man 
übertrug auf beide, auf Körper und Seele, den Atavismus und sagte, 
dass der geborene Verbrecher wie in seinen Körperformen so auch im 
sittlichen Empfinden und im instinktiven Wollen auf die Stufe des 
Wilden zurückgefallen sei. Ein »Ausschliessen ganzer Bevölkerungs- 
schichten von der Kulturentwicklung oder eine Loslösung von den 
natürlichen Entwicklungsbedingungen, ein Nichtanpassen an den Gang 
der Entwicklung« habe durch Atavismus diese Varietät des Menschen 
hervorgebracht. 


Man schalte hier den Begriff Atavismus aus und man erhält den 
wahren Kern, der in diesen Behauptungen liegt. Denn dass Familien, 
»die seit vielen Generationen in Vagabondage und Verbrechen leben«, 
ihren meist reichen Kindersegen dazu verwerthen, mit verwahrlosten, 
arbeitsscheuen, des Pflichtbegriffes unkundigen, wenn nicht direkt auf 
Stehlen und Betteln abgerichteten Individuen die Gesellschaft zu über- 
schwemmen; dass die Eindrücke der ersten einsamen Jugend, der die 
Fabriken Vater und Mutter den Tag über fernhalten, der völlige Mangel 
an Erziehung, der Schmutz und das Elend in den dunklen Kellern, die 


44 Karutz: Studien über die Form des Öhres. 


tägliche Qual um das bischen Brod für die arbeitenden Eltern und die 
schreienden Kinder, dass all die Trostlosigkeit hoffnungsarmen Proletarier- 
thumes nicht dazu angethan ist, edle, hülfreiche und gute Menschen zu 
erzeugen, liegt auf der Hand. Hier entfaltet das Milieu seine furcht- 
barsten und folgenschwersten Wirkungen, hier ist das Milieu Erbsünde! 
Wer die Verbrechen beseitigen will, sagt Baer, muss die socialen 
Schäden, in denen das Verbrechen wurzelt und wuchert, beseitigen. « 
»Le crime est une matière non pas physiologique mais sociologique = 
urtheilt Manouvrier und Näcke fügt hinzu: »Es ist demnach 
eigentlich ein Nonsens, nach anthropologischen Merkmalen für einen 
sociologischen Begriff zu fahnden«. 

Andererseits muss auch der überzeugte Anhänger der Entwicklungs- 
lehre und ihrer Anwendung auf die gesammte Natur mit Einschluss 
auch des bewussten Menschen sich dem Verbrechen und seiner 
Genese anders gegenüberstellen wie die Schule Lombroso’s.. Auch der 
Moderne, der an den Wechsel und die Entwicklung aller Moral und 
Sitte, an die Entstehung dieses Gefühls aus den socialen Instinkten, wie 
Darwin es ausdrückt, glaubt, braucht das Verbrechen nicht für einen 
Atavismus zu halten. Das Leugnen eines kategorischen Imperatives, der 
von Ewigkeit her zu allen Zeiten und bei allen Menschen als unwandel- 
bares göttliches Sittengesetz unser Handeln bestimmt, der Glaube an 
die Moral als das »Endproduct aller Kulturarbeit« (Baer) fällt nicht 
nothwendig mit der Behauptung zusammen, dass Jeder, der gegen unser 
heute geltendes Gesetz verstösst, eine Rückschlagsform unserer Species 
ist. So wenig es eine Geistesstufe der Naturvölker giebt, auf der die 
sittlichen Ueberzeugungen so constant sind, dass sie als Vorbild der als 
Verbrechen bei uns in die Erscheinung zurücktretenden Unkultur an- 
gesehen werden könnten, so wenig erfreut sich unsere Jetztzeit einer 
Uebereinstimmung der sittlichen Vorstellungen. Welches Volk will 
man als Typus der »Wilden«, welches als Vertreter der Civilisation, 
ja welches als Norm der europäischen Civilisation annehmen? Wer 
etwas in der Welt herumgekommen ist, weiss, wie in unseren Tagen 
die Empfindungen der Nationen verschieden sind. Ich brauche an die 
Stierkämpfe der Spanier, die sexuellen Perversitäten der Portugiesen, an 
die Fuchshetze der Engländer nur zu erinnern. Und gar innerhalb der | 
verschiedenen Völker, welche verwegene Mannigfaltigkeit in der Lebens- 
symphonie der einzelnen Individuen. Soll Jemand deshalb eine Ata- 
vismusform sein, weil er den Durchschnittsglauben seines Volkes nicht 
theilt? Ist er deshalb von der Entwicklung des letzteren ausgestossen 


IV. Die Ohrform als Degenerationszeichen. 45 


gewesen? Das wäre doch die letzte Stunde jeder Individualität! Man. 
braucht nicht der Uebermensch sein zu wollen mit seiner mitleidfernen 
Philosophie der thatenseligen Egoismus-Heilverkündigung, aber man 
kann ein Ich, eine Persönlichkeit sein, man kann anders denken und 
fühlen wie die Masse und von der schützenden Kraft gesellschaftlicher 
Einrichtungen, ihrer Moral und ihrem Nutzen recht ketzerisch denken, 
ohne eine atavistische Anomalie zu sein Mir spricht Bardeleben 
aus der Seele, wenn er seine Stellung zur Frage vom geborenen Ver- 
brecher so forınulirt: »Der grösste Widerspruch liegt darin, dass ein. 
anatomisches Merkmal einen Zustand kennzeichnen soll, der an sich 
unsicher und schwankend der jeweiligen Auffassung von Zeit und Ort 
unterworfen ist. Der Begriff des Verbrechens hängt von den Anschau- 
ungen der Zeit ab. Kindsmord,: Diebstahl, Päderastie sind von den 
Völkern des Alterthums nicht immer als Verbrechen angesehen 
worden .. ... Verbrechen können aus niedrigen rohen Gesinnungen: 
entstehen, aber auch aus hochherzigen Motiven. Dummheit und Un- 
wissenheit, Unbildung, Mangel an Erziehung, aber auch höchste Intelli- 
genz, ja ethische Motive führen zum Verbrechen.x« v. Holtzendorff 
meint in seiner Psychologie des Mordes, »die grössten unter den Dichtern 
haben sich in ihren Tragödien bemüht, darzuthun, dass höchste edle 
Naturen durch eine ihre Willenskraft überragende Macht der Umstände 
dazu gebracht werden können, Mörder zu werden«. 

Endlich ist der Gegensatz von Intellekt und Moral ein Moment, 
das die Frage vom geborenen Verbrecher noch verwickelter macht. 
»Die Charakterentartung, sagt Flechsig, braucht nicht angeboren 
zu sein (Alkohol, Milieu), die Hirnform ist nicht das in erster Linie 
entscheidende. Und so finden wir denn die Stumpfheit der sittlichen 
Gefühle auch bei Individuen, welche durch eine hohe, ja eminente 
intellektuelle Begabung sich auszeichnen, deren Gehirn auf das reichste 
entfaltet ist. Und hierin liegt ein weiterer Grund, um das Suchen nach 
einem bestimmten körperlichen Typus des Gewohnheitsverbrechers von 
vornherein für ein völlig verfehltes Beginnen zu erklären«. _ 

Doch zurück vom diesem Streit der Theorien zu den Formen der 
menschlichen Ohrmuschel, die als atavistische Varietäten beim Verbrecher 
häufig vorkommen sollen. Lom broso stellte unter ihnen namentlich das 
Henkelohr in den Vordergrund. Ich habe mich darüber in den vorher- 
gehenden Abschnitten genügend ausgesprochen und brauche nur zu 
wiederholen, dass von einem Atavismus dieser Anomalie keine Rede sein 
kann. Dann hat Frigerio eine Tabelle über die Ohrlängen bei nor- 


46 Karutz: Studien über die Form des Ohres. 


malen Personen, Irren und Verbrechern aufgestellt, die ich im anthropo- 
logischen Theil schon erwähnt habe. Es entspricht durchaus nicht den 
Thatsachen, dass die Länge zwischen 50 und 55 mm schwankt, dass 
eine solche von über 60 mm bei normalen Personen überhaupt nicht, 
bei den Verbrechern in der Hälfte der Fälle gefunden wird. Die 
Zahlen des italienischen Forschers sind so lange unbrauchbar, solange 
keine relativen Maasse, kein Verhältniss des Ohres zum Kopfe oder zur 
Körperlänge angegeben, solange das Alter!) der untersuchten Personen 
verschwiegen wird. Ueber die Statistik der meisten Ohranomalien bei 
Normalen und Verbrechern habe ich früher schon geurtheilt, nur an 
Einem kann ich nicht vorübergehen, ohne es als schlagenden Beweis 
für die anfechtbare Methodik festzunageln, die den Vertretern der 
Lehre vom geborenen Verbrecher zur Beweisführung genügt. Kurella 
sagt: >Eine deutliche Ausprägung des Darwin’schen Knötchens ist in 
der Norm ungewöhnlich, bei Verbrechern häufige. Nach all meinen 
Erörterungen über das Vorkommen dieses Ueberrestes thierischer Ab- 
stammung bei Anthropomorphen, Naturvölkern und bei uns bedarf diese 
Behauptung, die jeder Erfahrung ins Gesicht schlägt, keines Commen- 
tars. Es ist unerklärlich, bei seinen angeblichen Studien der Natur- 
völker vollends unverständlich, wenn Lombroso die missgestalteten 
Ohren als Merkmale nennt, die dem europäischen Verbrecher fast den 
Stempel der mongolischen und australischen Rasse aufdrücken«. Soweit 
die Lehre vom delinquente nato sich auf Atavismuserscheinungen 
am Ohre stützt, sinkt ihr diese Stütze Pfeiler für Pfeiler unter den 
Händen weg. 


Man hat auch gesagt, dass die Verbrecher mit ihrem niederen 
Hirnbau auf einer kindlichen Stufe stehengeblieben seien. Wäre das 
Ohr mit zurückgeblieben, so hätte der Verbrecher auf ein kleines 
rundes Ohr Anspruch, wie wir gelernt haben; aber man ertheilt ihm 
ein grosses abstehendes Ohr, weil man an den Schimpanse denkt und 
sich der Reisebeschreibungen erinnert, die den Mongolentypus des ab- 
stehenden Öhres construirt haben. 


Lannois hat Recht, wenn er den Ohranomalien bei Verbrechern 
gar keinen Werth, weder den einer atavistischen Form noch den eines 
niederen Rassetypus beilegt; Baer, wenn er sagt »keine einzige dieser 
Anomalien giebt es, welche nicht auch bei vollkommen unbescholtenen 


1) Siehe Theil II: „Die Ohrform als Rassenmerkmal“, diese Zeitschrift 
Bd. XXX, S. 294— 9. 


IV. Die Ohrform als Degeuerationszeichen. 47 


ehrlichen Menschen angetroffen wird«; Daae, wenn er meint, dass- 
sich kein Typus für Verbrecherohren aufstellen lässt. Recht hat end- 
lich auch Sernoff, wenn er den Atavismuswahn Lombroso’s und 
Gradenigo’s durch den Hinweis bekämpft, dass die angeblich bei 
25°, aller Verbrecher anzutreffenden angewachsenen Ohrläppchen in 
der Thierreihe überhaupt nicht vorkommen. 


Wenn ich zum Schluss noch einmal meinen anthropologischen 
Standpunkt betone und daran erinnere, dass auch die somatische Anthro- 
pologie mir die Erklärung gab, wenn wirklich in den social tiefsten 
Schichten des Volkes einzelne Ohranomalien (angewachsene Läppchen,, 
abstehendes Ohr) häufiger sein sollten, als in den höheren Klassen, so 
sehe ich mich in erfreulicher Uebereinstimmung mit Baer und. 
Meynert. Dieser sagt: »Die Degenerationszeichen als Bildungs- 
hemmungen oder rachitische Störungen des Schädel-, Gesicht- und 
Körperskeletts haften dem Nothstande, der schlechten Hygiene der 
armen Volkskreise an, aus denen die Verbrecherwelt hervorgeht«. 
Baer meint: »Die allermeisten und wichtigsten Degenerationserschei- 
nungen bei Verbrechern, die am Schädelgewölbe, am Gesicht, am. 
Gaumen, sind die einfachsten Folgen von Ernährungsstörungen in der 
ersten Säuglingsperiode und zwar der rachitischen Dyskrasie«.. Und 
weiter: »Der Verbrecher trägt die Spuren der Entartung an sich, 
welche in den niederen Volksklassen, denen er meist entstammt, häufig 
vorkommen, welche durch die socialen Lebensbedingungen erworben. 
und ererbt, bei ihm bisweilen in potenzirter Gestalt auftreten.« 


Sollte sich also durch grössere Statistiken jenes häufigere Vor- 
kommen der beiden genannten ÖOhranomalien bei den ärmeren Volks- 
klassen bestätigen, so würde eine pathologische Körperconstitution zu- 
nächst anzuschuldigen sein. Daneben entfalten aber noch die vielen 
Lebenserscheinungen und Bedingungen, von denen im Laufe dieser 
Arbeit gesprochen wurde, ihre hemmenden oder fördernden Wirkungen, 
sodass jenes Moment immer nur ein Glied in der Kette sein wird, an 
der sich das Werden des Ohres aus der Räthseltiefe der Naturschöpfung: 
unseren erkennenden Augen entrollt. 


48 Thomas J. Harris: Bericht über 1650, nach der 
II. 


Bericht über 1650, nach der Hartmann’schen 
Stimmgabel-Serien-Methode untersuchte, Fälle. 


Von Dr. Thomas J. Harris in New-York. 
(Uebersetzt von Dr. Th. Schröder in Rostock.) 


Nichts giebt bei Krankheiten des Ohres mehr Veranlassung zur 
Discussion als die Frage nach zuverlässigeu Hörprüfungen. Die Uhr, 
der Politz’sche Hörmesser, das Telephon, die menschliche Stimme, 
einzelne Stimmgabeln sind benutzt worden und haben ihre Vorzüge und 
Mängel. Um diesem Uebelstand möglichst abzuhelfen, hat Hartmann die 
unter seinem Namen bekannte Stimmgabel-Serien vorgeschlagen. Herr Dr. 
J. E. H. Nichols hat mir möglich gemacht, die Resultate der Unter- 
suchungen von 1650 Fällen aufzuzeichnen, welche mit den abgestuften 
Stimmgabel-Serien in den Jahren 1894 und 1895 in seiner Klinik an den 
Manhattan Augen- und Ohrenkrankenhaus vorgenommen wurden. Ich 
will zunächst bemerken, wie Hartmann untersucht: In seinen 
„Krankheiten des Ohres“, p. 33, behauptet er, dass sich 
nach den von ihm mit Stimmgabel-Serien vorgenommenen Studien, 4 
verschiedene Krankheits-Typen des ÖOhres erkennen lassen. 


Typus I. Annähernd gleichmässige Abnahme der Hördauer für 
alle Gabeln bei Luftleitung ist vorhanden, sowohl bei Mittelohr-Affectionen 
als auch bei Erkrankungen des Labyrinths.. Im ersten Falle findet 
man das Gehör für Knochenleitung gut, im zweiten schlecht. 


Typus IH. Schlechtes Hören der tiefen, fortschreitend besseres Hören 
der hohen Töne. Bei Knochenleitung besseres Hören als bei Luftleitung, 
besonders der tiefen Töne. Dies findet sich bei Krankheiten des 
Mittelohres, Sklerosen, besonders solchen mit Anyklose des Steigbügels 
im ovalen Fenster, und bei Folgezuständen von eitrigen Mittelohr- 
entzündungen. 


Typus III. Gutes Gehör für tiefe Töne, zunehmende Schwierigkeit 
für die hohen. Knochenleitung vermindert besonders für die hohen 
Gabeln. Diese Form findet sich bei der Schwerhörigkeit der Kessel- 
schmiede, der Kanoniere und bei Affectionen des nervösen Apparates. 
Auch bei der acuten Mittelohrentzündung finden wir diesen Typus nicht 
‚selten, was dann auf eine Mitbetheiligung des Labyrinths an der Ent- 
zündung hindeutet. 


Hartmann’schen Stimmgabel-Serien-Methode untersuchte, Fälle. 49 


Typus IV. Unregelmässige Wahrnehmung der verschiedenen Töne 
sowohl bei Luft- als bei Knochenleitung. Unter diesem Typus findet 
man verschiedene Formen, schlechtes Gehör für die hohen und tiefen 
Töne bei gutem Hören der mittleren, oder umgekehrt. Die Knochen- 
leitung ist bisweilen für bestimmte Gabeln erhöht, bisweilen vermindert 
oder sie lässt ganz im Stich. Diese Form der Wahrnehmung kommt 
vor bei Krankheiten des nervösen Apparates, in wechselndem Verhältniss. 
Oft entsteht sie zusammen mit einer Erkrankung des leitenden Apparates. 
Besonders dann kann man eine bestimmte Diagnose auf Erkrankung 
des Labyrinths stellen, wenn bestimmte Töne gänzlich fehlen. 

Hartmann benutzt augenblicklich eine Serie von 5 Gabeln nämlich: 
C — 128, CI — 256, CU — 512, CH _- 1024, CV _— 2048 
Schwingungen. Bei jedem Satz von Gabeln muss die relative Zeitdauer 
für das gesunde Ohr bestimmt werden. Unter den vielen Einwendungen 
gegen den Gebrauch der Stimmgabeln ist auch die gewesen, dass der 
Unterschied der Schallstärke beim Anschlagen selbst in den Händen 
desselben Beobachters so beträchtlich sei, dass ein genaues Resultat 
nahezu zu den Unmöglichkeiten gehöre. Darauf kann man erwidern: 
jeder Untersuchende wird sich in kurzer Zeit solche Fertigkeit erwerben, 
dass sein Anschlag thatsächlich ein gleichmässiger wird. Bei unseren 
eigenen Versuchen wurde folgende Methode angewendet: Der Patient 
wurde immer in einem ruhigen Zimmer, von allen andern Fällen 
entfernt, untersucht. Die Stimmgabel wurde mit fester Hand gegen 
einen passenden, gepolsterten Klotz angeschlagsn, wobei das Entstehen 
von ÖObertönen sorgfältig vermieden ward. Die Gabel für Luftleitung 
wurde direct vor das Ohr gehalten, und die für Knochenleitung fest 
auf den Warzenfortsatz aufgesetzt, das freie Ohr wurde in keiner 
Weise ausgeschaltet. Eine Uhr mit Arretierung wurde benutzt, und 
nm die Untersuchung so schnell als möglich zu machen, wurde erst 
die Luftleitung untersucht und wenn der Patient das Aufhören des 
Tones angab, wurde die Gabel schnell auf den Warzenfortsatz gesetzt 
oder umgekehrt. Es leuchtet ein, dass Kinder nicht in befriedigender 
Weise untersucht werden können und dass auch der Verstand mancher 
Erwachsenen so gering ist, dass das Resultat zweifelhaft blelbt. Das 
ist indessen selten, und meine Erfahrung lehrt, dass man, wenn der 
Patient vorher von dem Erforderlichen unterrichtet ist, die Resultate 
in der Regel als sehr genau betrachten darf. In allen Fällen werden 
die Untersuchungen von absolut urtheilsfähigen Menschen gemacht und 
unter den denkbar besten Bedingungen. 

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXXI. 4 


50 Thomas J. Harris: Bericht über 1650, nach der 


Verschiedene Methoden der graphischen Darstellung sind vor- 
geschlagen worden, allein die von Alderton scheint die angemessenste 
zu sein und diese ist von uns angenommen worden. 





Rinne 
3 | | Luftleitung 5 
F: v 
: ——— 7} 
© 
S Knochenleitung 2 
Stimmgabel c cI cH | .cW 





Der erste für unsere Beohachtungen nothwendige Schritt war eine 
feststehende Zeitgrenze für einen Satz Gabeln zu bestimmen. Eine 
interessante in dieser Hinsicht sich herausstellende Thatsache war die 
Seltenheit eines normalen Gehörs unter solchen, die ihr Gehör als 
vollkommen gut betrachteten und niemals über etwas zu klagen gehabt 
hatten. Nach vielen vergeblichen— Versuchen gelang es mir endlich, 
unterstützt von Kapitaiy ESAN Mhra g U. S. A., 25 Soldaten zu 
finden, welche normalgf PL RL Tastarstimmen 20 Fuss. 








Laftleitung 


nn | Pam nn | sms | mt 


Schwabach 


Knochenleitung 


Stimmgabel 


Bei den Untersuchten haben wir uns rücksichtlich der Diagnoce 
der gewöhnlichen Reihenfolge bedient, nämlich; Fälle von Caeruminal- 
pfropf, Krankheiten des Gehörganges, acute Mittelohr-Entzündung, 
chronische Mittelohr-Entzündung (einfach, adhaesiv, sclerotisch) inneres 
Ohr, Mischfälle (mittleres und inneres Ohr). Untersuchungen von Fällen 
mit adenoiden Vegetationen und von Kartharrh der Tuba Eustachii 
wurden leider versäumt. 


Hartmann’schen Stimmgabel-Serien-Methode untersuchte, Fälle. 51 


Gruppe A. Ceruminal-Pfropf. 


Es wurde kein Versuch gemacht den Zustand des Mittelohrs fest- 
zustellen, allein es ist eine wohlbekannte klinische Beobachtung, dass 
viele Fälle von Ceruminal-Pfropff mehr oder weniger erhebliche Mit- 
betheiligung desselben zeigen. Obgleich bei den meisten dieser Fälle 
nach Entfernung des Cerumens eine entschiedene Besserung auftrat, so 
war in der Mehrzahl derselben keine genaue nachfolgende Untersuchung 
möglich. 


105 Fälle von Ceruminal-Pfropf. 








Rinne Procentsatz 


Luftleitung 13 | 10 | 2 32 | 52 | 33 | 40 | 40 


Knochenleitung |13%,| 8 | 15 90 |101 | 60 | 75 | 32 





Schwabach 











Stimmgabel ce | el |jcH c | cI | cH j|em]| Iy 


Diese stimmen mit..einer Serie von 96 Fällen überein die von 
Alderton untersucht sind (Arch. of. Otol., vol. XXII. 3. 1894.), 
soweit es sich um die tieferen Gabeln handelt; für die beiden höheren 
Gabeln zeigt indessen diese Serie eine Verminderung von nahezu 50°/, 
für Luft- und Knochenleitung gegenüber der von Alderton. 


Man wird bemerken, dass nach der Procentsatz- Tafel die Ver- 
minderung der Hördauer für die verschiedenen Gabeln nahezu gleich- 
mässig für Luftleitung ist, während sich bei der Knochenleitung ein 
entschiedener Abfall ergibt sobald die hohen Gabeln erreicht sind. In 
keinem der 105 Fälle war eine Betheiligung des Labyrinths anzunehmen 
oder nachzuweisen. Wir sind daher gezwungen, nach einer anderen 
Erklärung für jene Thatsachen zu suchen; denn angenonmen, dass bei 
einigen wenigen wirklich eine solche Complication vorgelegen hätte, so 
ist es doch nur billig dies für die ganze Serie auszuschliessen. Der 
Grund wird vielmehr, wie wir glauben in etwas Anderem zu suchen 
sein, worauf wir späterhin kommen werden, nämlich in der innigen 
Beziehung zwischen Mittelohr und innerem Ohr und darin, dass selbst 
in Fällen, welche ursprünglich nur den Gehörgang betreffen mit der 
Zeit Mittelohr und inneres Ohr zu leiden anfangen. 

4* 


52 Thomas J. Harris: Bericht über 1650, nach der 


Gruppe B. 20 Fälle von Otitis externa circumscripta. 






Rinne 


Luftleitung | 21 | 15 m 18 | 81/2 








Schwabach 


Knochenleitung | 17 | 111/2) 19 | 12 


Stimmgabel c | cI | cH |c 








Die Ergebnisse sind hier in der Hauptsache, wie man erwarten 
konnte, ähnliche wie in Gruppe A. Die Verminderung der Hördauer 
bei Luftleitung ist eine gleichmässige ausgenommen bei der mittleren 
Gabel, welche einen auffallend niedrigen Werth anzeigt. Die Hördauer 
bei der Knochenleitung ist über die Norm vermehrt für die tieferen 
Gabeln, nimmt aber, wie bei Gruppe A, ab, so wie die Tonleiter steigt, 
und ist bei CIV überraschend gering. 


Gruppe C. (a) Otitis media catarrhalis acuta. 35 Fälle. 


Rinne | + = + + + Procentsatz | 
ed Er Me Be ar : . un 






































ee e cl |. eu .m.Ww|e 


Eo Ei | 


Stimmgabel 


| Eor 

3 | | Luftleitung 15 10 20 92; 8 [37 | 52,32 | 30 | 
= a 
= | Knochenleitung 14 10 | 15 | 8 | 31% |87 | 125 ® 62 | 60 

| mm | ne Em | __ G aa E a 

‚ Stimmgabel ce ct !cHj cH/cW| c | cl cHI'cW 

| | 

(b) Otitis media suppurativa acuta. 37 Fälle. 

ee Teens 
3 ureiine | 7 |10| 24 |12 |6 |17 | 55 | 36 |39 |40 | 
ee ee tee 
> are 151/2 | 103/4! 1883/4) 9 | 4 | 97 1133 ! 78 i76 33 ' 

| 








Hartmann’schen Stimmgabel-Serien-Methode untersuchte, Fälle. 53 


(c) Frische Entzündung im Kuppelraum. 10 Fälle. 









Procentsatz 


Rinne ee 


—|_ [en 





Luftleitung 23 | 14 | 28 |141/e | 91/g 


Schwabach 






Das Studium dieser 3 Tafeln ist insofern von Werth als es zeigt, 
dass 1) die Hördauer bei Luftleitung fast gleichmässig für alle Gabeln 
bei jedem Krankheitszustande vermindert ist ausgenommen bei (c), wo 
die Stärke der Entzündung die tiefe C-Gabel besonders beeinflusst hat; 
dass 2) Bezold’s Behauptung sich bewahrheitet, dass bei acuter 
Mittelohrentzündung bei vermindertem Gehör doch eine positive wenn 
auch verkürzte Rinne besteht, da bis auf die einen oben angeführten 
Fall, in allen anderen Rinnen sich die positiv ergeben hat; dass 3) 
Alderton’s Behauptung, eine Affection des tonleitenden Apparates 
vermehre die Dauer hei Knochenleitung ausser für den höchsten Ton, 
nicht aufrecht zu erhalten ist; denn in jedem Falle mit Ausnahme der 
C-Gabel ist die Hördauer für Knochenleitung vermindert und besonders 
für die höheren Gabeln. Hiernach würde es scheinen als ob bei allen 
acuten Mittelohr-Entzündungen der tonvernehmende Apparat beträchtlich 
in Mitleidenschaft gezogen wäre. 


Gruppe D. Otitis media subacuta. 41 Fälle. 










| Rinne + 


+ | + +++ Procentsatz 





| | Taftteitang 16 | 13|2 16/8 |40 13 


Schwabach 


| Knochenleitung 


| Stimm gabel 





Diese Gruppe ist mit Gruppe C zu vergleichen, welcher sie an- 
geschlossen werden kann. Man sieht, dass die Hördauer sowohl für 


54 Thomas J. Harris: Bericht über 1650, nach der 


Luft- als Knochenleitung gegenüber (a) (Otitis media catharrhalis acuta) 
eine bessere ist, woraus sich ergiebt, dass die Heftigkeit der Ent- 
zündung nicht so gross ist und dass das Labyrinth zwar auch hier, 
allein in weniger hohem Grade mitbetroffen ist. Bezold’s Beobachtung 
über den positiven Ausfall von Rinne bei dieser Krankheitsklasse 
bestätigt sich aber wiederum. Schliesslich ersieht man aus der Procent- 
satz-Tabelle, dass die Hördauer bei hohen und tiefen Tönen fast gleich- 
mässig bei Luftleitung abnimmt, wenn auch für die hohen Töne wie 
bei Gruppe C bei Knochenleitung in höherem Grade. 


Gruppe E I. Otitis media chronica supperativa. 
222 Fälle. 









Rinne 






3 | | Luftleitung 10 | 8 |171/3|102/3| 7 

Bere 

2 || Knochenleitung | 17 | 10478 | 17275! 10975] 4 pr 32 i 
Stimmgabel c cI | cH | cH) cI cI | cI | cH i cI 








Die Fälle wurden für das Studium in 2 Theile getheilt, je nachdem 
das Gehör in Mitleidenschaft gezogen ist; hochgradig betrifft alle 
Fälle bei denen Flüsterstimme in 10 Fuss Entfernung nicht gehört 
wurde, mässig alle übrigte. 


(b) Hochgradig. (Flüsterstimme unter 10 Fuss.) 





Rinne Ë — | — | — 3 Procentsatz 


6 1 20 | 34 | 25 | 25 | 30 











Hartmann’'schen Stimmgabel-Serien-Methode untersuchte, Fälle. 55 


(a) Mässig. (Flüsterstimme über 10 Fuss.) 


Rinne — +! + | + + Procentsatz 


Luftleitung 122/s| 11 | 20 |171/2| 10 | 31 | 58 | 30 | 56 | 50 













Knochenleitung | 15t/s | 102/3 | 169/3] 15 | 83 | 95 [135 | 67 |117 |40 








Stimmgabel c | cl | cU/|cM|icWI c |\cI | cUH|cU| cc 





II. Otitis media supperativa mit Residuen. 55 Fälle. 
Unter diesen sind die Narbenprocese am Trommelfell in Folge 
eitriger Entzündung gemeint. 


Rinne Procentsatz 


Schwabach 








III. Otitis media chronica sclerotica. 11 Fälle. 

Diese Klasse umfasst jene Fälle bei denen die Inspection des 
Trommelfells und andere Zeichen auf einen trockenen Katharrh der 
Paukenhöhle mit Steigbügel-Ankylon hinweisen. 


































Rinne — | = |+ | — + Procentsatz 
Luftleitung Is e feje f 20 | 19 | 18 
Knochenleitung 121/2 | 61a | 8 i ra er En "a 
Stimmgabel | c cH Em ee mr aT an a 





56 . Thomas J. Harris: Bericht über 1650, nach der 


Diese letzte Gruppe ist eine der lehrreichsten unter den beo- 
bachteten, denn hier dürfen wir vermuthen auf typische Affectionen 
des gehörleitenden Apparates zu stossen. 


Ein kurzer Blick wird zeigen, dass sich das 2. Hartmann’sche 
Gesetz wenigstens in der Hauptsache bestätigt. Beide (a).und (b) 
zeigen schwächeres Gehör bei Luftleitung für c als für c!V, und es ist 
wie Hartmann behauptet bei Knochenleitung besseres Gehör als bei 
Luftleitnng vorhanden, besonders für die tiefen Töne. 


Was sich aber nicht bestätigt, ist die behauptete fortschreitende 
Zunahme der Hördauer für Luftleitung wenn die Tonleiter steigt. Tafel 
(a) zeigt c und c! gleich, ebenso c und c! während Tafel (b) c und 
cHI gleich hat, und „c“ besitzt die längste Schwingungsdauer in den 
Serien. Hier scheint die Bemerkung angebracht, dass die C-Gabel sich 
bei der Registrirung am unzuverlässigsten bewiesen hat und sich nicht 
bewährte. Tafel II verhält sich in ihren Abweichungen ähnlich wie 
(a) und (b). Rinne ist für alle mit Ausnahme der höchsten Gabeln 
negativ, und bei den beiden tieferen Gabeln ist die Hördauer bei 
Knochenleitung thatsächlich über die Norm verlängert. Man wird indess 
bemerken, dass unter den 3 höheren Gabeln die Knochenleitung bei 
der höchsten mehr als die Luftleitung leidet. Kommen wir nun zu 
Tafel II, (Otitis media chronica sclerotica) so bemerken wir, dass das 
Hartmann'’sche Gesetz sich nicht aufrecht erhalten lässt. Knochen- 
leitung ist allerdings verhältnissmässig gegen Luftleitung im Ueber- 
gewicht obgleich sie thatsächlich, mit der Norm verglichen, für die 
ganzen Serien vermindert ist. Luftleitung zeigt indessen eine fast gleich- 
förmige Abnahme für alle Gabeln, wobei die höchsten thatsächlich 
etwas weniger leiden als die tiefsten. Diese Krankheitsformen des ton- 
leitenden Apparats hat in den letzten paar Jahren vom diagnostischen 
Gesichtspunkt aus wesentlich grössere Bedeutung gewonnen. Die geringe 
Anzahl der untersuchten Fälle schliesst eine bestimmte Schlussfolgerung 
aus, allein nach unserer Kenntniss von dem Sitz des Leidens, nämlich 
im Wesentlichen im Steigbügel und dessen Verbindung mit dem ovalen 
Fenster, möchte es scheinen, dass die Sclerose des Mittelohrs sich nicht 
auf diese Region allein beschränkt, sondern sich auf das innere Ohr 
ausbreitet und den Ton percipirenden Apparat ebenfalls in Mitleiden- 
schaft zieht. M 


Hartmann’schen Stimmingabel-Serien-Methode untersuchte, Fälle. 57 


Gruppe F. Otitis media catharralis chronica. 428 Fälle. 


Das Resultat der Untersuchungen dieser Fälle ist im Ganzen 
gegeben. Die Fälle sind dann zwecks genaueren Studiums nach dem 
Grade der Gehörsschädigung eingetheilt und das Ergebniss berichtet. 


Tafel A. 0. M. C. ©. 428 Fälle. 


Rinne - !'- | +|+!'+ Procentsatz 








een | en | nn —l—[ 2 Il 


ee c cI | cH ge c | cl | cH|cM|cW 





Tafel B. 0. M. C. ©. Mässig (Gehör über 10 Fuss weit) 
145 Fälle. 











Rinne 








Luftleitung 141/2) 13 


Knochenleitung | 131/2] 10 













| Stimmgabel c cI cH |o 





eny | 








Tafel C. 0. M. C. C. Beträchtlich (Gehör unter 10 und 
2 Fuss Entfernung.) 122 Fälle. 


| : 
Rinne — — — == — 


| | er — nn | mern | S O R nennen 


Luftleitung 111/2, 43/4| 21 |103u | 8 | 29 | 25 | 32 | 55 | 40 


Knochenleitung an 17 10 | 412| 98 |147 | 71 | 80 186 | 












Procentsatz 

















ml nn | mm | mm [mn nn nn | m mm a aaa E a 


c cI eU | ce | cIV | 


Stimmgabel c cI | cu | cm |ecIv 
| 








58 Thomas J. Harris: Bericht über 1650, nach der 


Tafel D. O0. M. C. C. Hochgradig (Gehör unter 2 Fuss.) 




















161 Fälle. 
| 
Rinne — | — | —- | —- |+ Procentsatz 
Luftleitung Alhi 4| 13] 4| 6411| 21|20 |13 |31 
Knochenleitung | 19 | 10 | 17 9 3 1119 |120 | 8l 71 | 24 
Stimmgabel c cI | ceujcMm|cWI[ c | cl | cH jem jec 


Unter dieser Ueberschrift befindet sich die grösste Anzahl der 
Fälle. Eine sorgfältige Prüfung der Tafel ist anzurathen. Man sieht 
zuerst dass die Luftleitung bei allen Tafeln entschieden für die tiefe 
C-Gabel niedriger als für die hohe C!Y Gabel ist. Rinne wechselt von 
positiv bei Gabel B zu negativ bei Tafel C, bei allen ausgenommen 
den höchsten Gabeln. Die Knochenleitung mit Ausnahme der CH-Gabel, 
welche wie bemerkt werden muss stets ungleiche Werthe der Registrirung 
ergiebt, ist verhältnissmässig aber nicht absolut erheblich verlängert. 
Tafel A zeigt, wenn wir das Ergebniss im Fall von CH weglassen, eine 
ausgeprägte Abnahme bei der höchsten Gabel, während die tiefe C-Gabel 
leicht unter normal ist. 

Wie der Grad der Taubheit zunimmt, sieht man auch die Knochen- 
leitung zunehmen bis in Tafel D sich für die tiefe Gabel eine that- 
sächliche Vermehrung der Tondauer ergiebt. Für die 3 höheren 
Gabeln trifft dies indessen nicht zu. In der That leidet die höchste 
Gabel in ausgesprochener Weise, indem sie um 76°/, abnimmt. 
Schwabach’s Beobachtung, dass bei diesem Zusande eine Zunahme 
in der Knochenleitung betsteht, bestätigt sich nicht. Höchstens kann 
man sagen, dass die Knochenleitung für die tiefen Gabeln unbeeinträchtigt 
bleibt. Bei den höheren Gabeln wird sie beeinflusst obgleich nicht in 
demselben Maasse wie die I,uftleitung, mit Ausnahme der hoheu CWV- 
Gabel wo zu ersehen ist, dass in jedem Falle die Luftleitung grösser 
bleibt als die Knochenleitung. Hartmann’s Behauptung, dass bei 
chronischem Mittelohrkatharrh die sämmtlichen Gabel-Serien bei Luft- 
leitung gleichmässig beeinträchtigt werden, erweist sich ebenfalls als 
fehlerhaft, denn in jedem Falle ist, wie so:ben bemerkt die tiefste 
Gabel die am meisten betroffene. Ein leichter Fortschritt macht sich in 


Hartmann’schen Stimmgabel-Serien-Methode untersuchte, Fälle, 59 


jedem Falle geltend, wenn die Tonleiter steigt, allein er ist so gering- 
fügig, dass man ihm irgendwelche Bedeutung nicht beilegen kann. Man 
mit Recht sagen, dass C, CI, CH, CHE gleichmässig vermindert sind, 
und dass die Hauptabweichung sich erst ergiebt wenn man C!Y erreicht. 
Durch die Anwendung der drei dazwischen liegenden Gabeln ist also 
ein Zuwachs an wichtigen Daten nicht gewonnen worden, und man 
kann dieselben um Zeit zu sparen füglich weglassen. 


Gruppe G. Otitis interna. 188 Fälle. 








Rinne 


Ten F 


| 9 |23 | 10 | 5% 


m PL mm ) mumu lm ln 


Knochenleitung | 9/3 | 5 9 | 4a | 2 







Luftleitung 





m — Ėė A aia | a I _I__I({IIIU/ I Tem 





Stimmgabel 


Man sieht bei Durchsicht dieser Tafel, dass das allgemeine 
Gesetz: Krankheiten des inneren Ohres beeinträchtigen die höheren 
Gabeln mehr, sich bestätigt. Hartmann’s Behauptung, dass die 
Zunahme fortschreitet wie die Tonleiter abwärts geht erweist sich in- 
dessen nur zum Theil als wadr. Bei allen Fällen leidet die mittlere 
CH-Gabel weniger als die hohe CI!Y und mehr als die tiefe C, ist aber 
thatsächlich in gleichem Maasse betroffen wie CH, Die CI- Gabel 
zeigt fortgesetzt die gleiche unregelmässige Angabe in jedem Falle. 


Man kann sagen, dass durchweg die Knochenleitung in gleichem 
Maasse bei den höheren Tönen leidet. Bei den tieferen Gabeln zeigt 
sie weniger Mitbetheiligung. Rinne ist fast gleichförmig positiv erhalten. 
In jedem Falle zeigt es sich, dass für die höchsten Gabeln die Knochen- 
leitung bei Weitem am meisten betroffen wird. Dies kommt haupt- 
sächlich bei Fällen von hochgradigem Gehörverlust vor. 


Gruppe H. 


Diese Gruppe umfasst die sogenannten Mischfälle von Krankheiten, 
Fälle welche hinsichtlich der Symptone und der Untersuchungs-Ergebnisse 
Mitbetheiligung des ton-vernehmenden und des ton-leitenden Apparates 
zeigen. 





‘60 ‚Thomas J. Harris: Bericht über 1650 untersuchte Fälle. 


Mischfälle. 276 Fälle. 


Rinne er a 


aa | e | sa | e e | aaeeea G aeaa a aa e a 


+- Procentsatz 








Luftleitung 81, | 7 |14| 7 | 6 | 21137 |2ı |23 30 





lu aWV 


Stimmgabel c (e cH |cHI|cW 


Die Durchsicht der Tafel zeigt nahezu gleiche Mitbetheiligung 
jeder Gabel durch die Luftleitung. Die Knochenleitung bleibt ziemlich 
dieselbe wie in Fällen von Erkrankungen des inneren Ohres; durchweg 
vermindert, allein besonders für die hohen Töne. 


Schlussfolgerungen: 


I. Normales Gehör ist, wie es sich durch Prüfung mit der Uhr, 
Stimme und Stimmgabeln zeigt, durchaus nicht so allgemein vorhanden 
wie man vermuthete. Dieser Mangel ist entweder scheinbar oder 
wirklich. Man kann behaupten, dass jede Person nur für sich selbst 
die Norm bildet und mit Niemand verglichen werden kann. Eine 
rationellere Erklärung liegt in der Thatsache, dass in -unserem Klima 
katarrhalische Störungen, die Hauptveranlassung für Gehörbeschwerden 
heimtückisch ihre Wirkung auf die Tuba Eustachii und das Mittelohr 
ausgeübt haben. 


II. Acute Affectionen des tonleitenden Apparates mit Einschluss 
der durch Caeruminal-Pfröpfe bedingten Gehörstörungen beeinträchtigen 
die Wahrnehmung der ganzen musikalischen Tonleiter für die Luft- 
leitung. Die Knochenleitung ist in ähnlicher Weise für die höheren 
Töne beeinträchtigt. Dies deutet darauf hin, dass das Labyrinth die 
Entzündung in geringerem Maasse theilt. 


III. Chronische eitrige Erkrankungen des Mittelohrs veranlassen 
eine Verminderung in der ganzen Tonleiter für Luftleitung, hauptsächlich 
für die tiefen Gabeln, am wenigsten für die hohen. Hartmann’s 
zweites Gesetz bestätigt sich daher bis zu diesem Punkt; dass der 
Gehörverlust bei abnehmender Scala zunehmen soll, ist nicht zutreffend. 


IV. Chronisch catarrhalische Zustände des Mittelohrs sind eitrigen 
Erkrankungen in ihrer Wirkung auf die Luftleitung ähnlich; die tiefe 


Fr. Bezold: Die Feststellung einseitiger Taubheit. 61 


Gabel leidet immer erheblich mehr als die hohe. Es zeigt sich also, 
dass Hartmann’s erstes Gesetz unrichtig ist. 


V. Erkrankungen des inneren Ohres zeigen, dass die hohe Gabel 
mehr als die tiefe durch die Luftleitung leidet. Hartmann’s drittes 
Gesetz erweist sich also bis zu diesem Punkte als richtig. 


VI. Das Ergebniss spricht nicht für die Brauchbarkeit der 
Hartmann’schen Scala für diagnostische Zwecke. Die hohen und 
tiefen Gabeln allein geben uns alle wünschenswerthe Auskunft. 


VI. Rinne ist mit Ausnahme von hochgradiger Schwerhörigkeit 
bei Krankheiten des Mittelohrs von zweifelhaftem Werth; die Ergebnisse 
widersprechen sich häufig. | 

VII. Es existirt eine grosse Classe von Fällen, welche mit keiner 
der regelmässigen Krankheits-Typen wie sie sich durch die Stimmgabeln 
ergeben, übereinstimmen, und die man nur unter der Ueberschrift 
„Mischfälle von Erkrankungen» einzeichnen kann, 


IV. 


Die Feststellung einseitiger Taubheit. 
Sechs weitere Fälle von Labyrinthnekrose. 


(Nachtrag zu „Labyrinthnekrose und Paralyse des Nervus facialis “.1) 
Von Professor Dr. Friedrich Bezold in München. 
Hierzu Tafel III. 


Seitdem ich in der Monographie über „Labyrinthnekrose und 
Paralyse des N. facialis“ °?) die bis zum Jahre 1886 in der Literatur 
vorliegende Casuistik (damals 41 Fälle?) zusammengestellt und 5 eigene 
Beobachtungen hinzugefügt habe, boten sich mir 5 neue Fälle zur 
Untersuchung. In einem 6. der unter der Beobachtung von Ober- 
stabsarzt Dr. Hummel gestanden war, konnte ich die Obduction 
machen. 


1) Ein Auszug dieser Abhandlung wurde mit Demonstration der aus- 
‚gestossenen Sequester vom Verf. auf der VI. Versammlung der Deutschen 
otologischen Gesellschaft in Dresden vorgetragen. 

2) Wiesbaden, Bergmann 1886. 

3) Ihre Zahl hat Theoph. Bec („de la nécrose du labyrinthe“, Lyon 1894) 
bis zum Jahre 1894 auf 65 ergänzt, worunter sich 3 Fälle aus dem Beobachtungs- 
material von Lannois finden, der diese Arbeit veranlasst hat. 


62 Fr. Bezold: Die Feststellung einseitiger Taubheit. 


Die Labyrinthnekrose stellt nicht nur in der Gesammtheit ihrer 
Erscheinungen und deren zeitlichem Ablauf ein scharf umschriebenes, 
nach verschiedenen Richtungen unser Interesse weckendes Symptomenbild 
dar, sondern wir sind hier auch bei den zur Heilung kommenden 
Fällen in der selten glücklichen Lage, schliesslich in den Besitz des 
Krankheitsobjektes selbst zu gelangen und damit, sozusagen, die Obduction 
am Leberiden zu machen. 

Sowohl mit Rücksicht auf den Knochenprozess selbst als auf die 
versteckte und gefährliche Lage der betroffenen Localität muss die 
Affection als eine der schwersten Erkrankungen bezeichnet werden, 
welche das Gehörorgan heimsuchen können. Meine damalige Zusammen- 
stellung ergab 16—20°/, Todesfälle. 

Fast ausnahmslos geht der nekrotischen Ausstossung von Labyrinth- 
theilen eine langjährige chronische Mittelohreiterung voraus, welche, 
wie wir auf Grund unserer Erfahrungen annehmen dürfen, die Grund- 
lage für ihr Zustandekommen bildet. 

Es muss als auffällig erscheinen, dass trotz der grossen Häufigkeit von 
schweren Formen chronischer Mittelohreiterungen überhaupt und trotz- 
dem eine daran anschliessende Labyrinthnekrose aus dem eben genannten 
Grunde sich einer sorgfältigen Beobachtung nicht leicht entziehen kann, 
doch die Casuistik sowohl der anderen Autoren als auch meine eigene 
eine verhältnissmässig so spärliche geblieben ist. 

Auf 20468 Ohrenkranke mit 3454 chronischen Mittelohreiterungen, 
welche in den Jahren 1872—92 von mir gesehen wurden t), trafen 
nur 7?) Fälle von Labyrinthnekrose, das ist also nur je 1 Fall auf 
nahezu 3000 Ohrenkranke überhaupt, resp. 1 Fall auf nahezu 500 Fälle 
von chronischer Mittelohreiterung. 

Auf Grund ihrer grossen Seltenheit müssen wir daher für das 
Zustandekommen der Labyrinthnekrose noch weitere Bedingungen voraus- 
setzen, welche nur ausnahmsweise zusammentreffen. 

Wo eine Ausstossung von kKnöchernen Theilen des Labyrinthes 
stattgefunden hat, dürfen wir wohl mit Sicherheit auch eine Zerstörung 
oder zum Mindesten Schädigung seiner Weichtheile bis zur Functions- 





1) „Ueberschau über den gegenw. Stand der Öhrenheilk.“ Wiesbaden, 
Bergmann 189%. 

2) Einen Fall habe ich bei der Nachcontrole streichen müssen, weil die 
genauere Untersuchung des kleinen Sequesters ergeben hat, dass derselbe wahr- 
scheinlich nicht einen Theil des Labyrinths sondern des Rostrum cochleare für 
die Sehne des M. tensor tympani darstellt. 


Sechs weitere Fälle von Labyrinthnekrose, 63 


unfähigkeit erwarten. Diese Fälle sind also geeignet, um uns über die 
für die Physiologie des Ohres wie für seine Functionsprüfung am 
Kranken gleichwichtige Frage Aufschluss zu geben, ob überhaupt und 
wie viel das Ohr ohne Labyrinth zu hören vermag. 


Die theoretische sowohl als die practische Bedeutung der Labyrinth- 
nekrose wird es nach Alledem gerechtfertigt erscheinen lassen, wenn 
ich in Folgendem zunächst über das weitere Verhalten der von mir 
bereits publicirten ersten 5 Fälle berichte und im Anschluss daran eine 
genaue Beschreibung auch der seither von mir beobachteten weiteren 5 
resp. 6 Fällen gebe, wie sie von meinen ersten 5 Fällen in der oben 
angeführten Arbeit bereits vorliegt. 


Ausser in Fall 1 (Kuhn)'), für dessen Labyrinthnekrose ich nicht 
mit voller Sicherheit eintreten kann, da ich den Sequester nicht selbst 
gesehen habe und mich auf die Beschreibung des vorher behandelnden 
Arztes verlassen musste, besitze ich von sämmtlichen übrigen Fällen 
die Sequester, welche die Diagnose sichern. 


Nachtrag zu Fall 2 (Rieger). Entfernung der Schnecke im 
Jahre 1883. (Zur functionellen Prüfung cf. Tafel.) 


Im Februar 1885 wurde P. zum ersten Male wieder gesehen. Seit 
1 Monat besteht stärkerer fötider Ausfluss ohne sonstige Erscheinungen. 
Die Spritze entfernt eine Menge grösserer, dicker, weisser Epidermis- 
lamellen, ebenso noch hinterher die Sonde, welche durch einen ausgedehnten 
Defect am hinteren oberen innersten Theil des knöchernen Gehörgangs 
weit in die Höhle dringt. Cubikinhalt des Gehörgangs der anderen 
Seite 1,2 ccm, der Höhle sammt dem Gehörgang auf der kranken 
Seite 2,0 ccm. 

Die Facialisparalyse persistirt. 

December 1888. Die Mittelohrräume sind trocken geblieben. 

Die Facialisparalyse hat sich theilweise zurückgebildet. P. kann 
das Auge, wenn auch nicht mit der gleichen Kraft wie auf der andern 
Seite, schliessen und die Stirne leicht runzeln. Der Mundwinkel da- 
gegen hebt sich nicht auf Commando sondern nur dann, wenn Pat. auf- 
gefordert wird, das Auge zu schliessen oder die Stirne zu runzeln, 
wobei gleichzeitig starke klonische Contractionen um den Mund und am 
Kinn auftreten, während die verlangten Bewegungen am Auge und der 
Stirne nur unvollkommen ausgeführt werden können. 


December 1889 werden wieder grosse, dicke, bräunliche Schalen 
von Epidermis aus der Höhle entfernt. 


1) Labyrinthnekrose u. Facialisparalyse, p. 2. 
2) ibid. p. 4. 


64 Fr. Bezold: Die Feststellung einseitiger Taubheit. 


Februar 1890. Der nochmals gemessene Cubikinbalt der trocken 
gebliebenen Höhle beträgt jetzt 2,5 ccm. 

October 1892. Entfernung weisser Epidermissmassen. 

Mai 1893. Seit 3 Wochen etwas fötider Ausfluss. 

Februar 1894. In der Höhle etwas Eiterung. Die Facialisparese 
zeigt noch ganz das gleiche Verhalten. 

Seit Januar 1895 ist die Höhle bis zur letzten Controle am 
28. Mai 1897 trocken geblieben. 


Hörprüfung am Schluss. 


Rechts Flüstersprache 6 met. („9“ und “100“* unsicher.) 


rechts 16 v. d. u. mehr, 
Untere Tongrenze | links dis’ (alte Tonreihe), fis‘ neue Edel- 
| mann'sche Tonreihe. 


Obere Tongrenze | rechts 0,2 auf 30 cm., 


im Edelmann- links 4,4. 


: Galton pfeifchen 
Hördauer per Luftleitung. 


(norm. Hördauer) rechtes Ohr linkes Ohr 
A, belastet ( 35 Sec.) — 5 = 0,86, nicht, 
N 3 (75 „) + 0 = 1,0, nicht, 
A unbelastet (102 „) + 0 = 1,0, nicht, 
a z (60 „) — 5 = 0,92, nicht, 
a’ Š (88 „) + 0 = 1,0, nicht, 
a” a (72 „) + 0 = 1,0, — 60 = 0,17 der norm. 
| Hördauer, 
g ( 33 „) — 3 = 0,91, — 23 = 0,3 e A 
e (70 ,) +0=1,0,  — 42 = 0,4 ne 
fis” (28 „) — 4 = 0,86, —14=05 


Nachtrag zu Fall 3 (Blaim 1885). Nachuntersuchung im 
Mai 1897. (Zur functionellen Prüfung cf. Tafel). 


Seit 1885 zeigte sich im linken, schneckenlosen Ohre kein Aus- 
fluss mehr. Nach Entfernung eines trockenen braunen Pfropfes aus dem 
knöchernen Gehörgang tupft die Sonde im Mittelohr eine Spur fötiden 
Secrets ab. Die untere ‚Hälfte der Paukenhöhlen-Innenwand erscheint 
weiss und trocken, die obere blassröthlich. Der innerste Theil der 
hinteren oberen knöchernen Meatuswand fehlt und die gekrümmte Sonde 
gelangt hier in die hinteren oberen Mittelohrräume. 


Die Lähmung des N. facialis besteht noch nahezu in seinem 
ganzen Gebiet, Lagophthalmus. Im unteren Gebiet des Facialis und 
im Unterlid haben sich fibrilläre Zuckungen eingestellt; die Wange 
hängt nicht mehr wie früher schlaff herunter; die Naso-Labialfalte zeigt 
auch eine Spur von willkürlicher Bewegung. 





Sechs weitere Fälle von Labyrinthnekrose. - 65 


Die Hörprüfung ergiebt.: 
Flüstersprache ie 80 cm („4“, „5“) 


links nicht. 


rechts 6 met. („4“ und „9“ am Schlechtesten) 
links einzelne Zahlen, bei verschlossenen beiden 
Conversationssprache “| Ohren ebenso gut als bei offenem linken, bei 
Annäherung nicht besser als in einer Entfernung 
von 20—40 cm vom Ohr. 
rechts 18 v. d. 
Untere Tongrenze | links dis’ (alte Tonreihe), a’ (neue Edel- 
mann’sche Tonreihe). 
Obere Tongrenze 
im Edelmann- 
Galtonpfeifchen 


| rechts 0,2 auf 8 cm, 
| links 7,3 auf 3 cm. 


Ai. rechte + 7 
Weber’scher Versuch | a i. rechte + O 
a’ i. rechte + 4. 


rechts + 20 Sec. 


Rinne'’scher Versuch links — 9. 





Hördauer per Luftleitung. 


(norm. Hördauer) rechtes Ohr linkes Ohr 

A, belastet ( 35 Sec.) — 10 = 0,71, nicht, 

1 5 (75 „) — 15 = 0,80, nicht, 

A unbelastet (102 „) — 15 = 0,85, nicht, 

a i (60 „) — 7=0,88, nicht, 

a’ j (88 „) — 6 = 0,94, nicht, 
a'' á (72 „) — 10 = 0,86, 63 = 0,11 der norm. 
Hördauer, 

p” j (33 „) — 19 = 0,42, nicht, 

cn 5 LEO ,) = 29 = 0,59, nicht, 
fis' „ (28 „) == 5 = 0.82; 18 = 0 36 der norm. 
Hördauer. 


Der vorliegende Fall unterscheidet sich von allen übrigen hier 
mitzutheilenden dadurch, dass auf dem schneckenlosen Ohr die Hördauer 
in der Tonscala von a’‘ bis fis‘‘ nicht continuirlich anwächst, sondern 
dass die zur Perception gelangende Tonstrecke durch eine grössere Lücke 
unterbrochen ist, welche sich über f’ und c‘ erstreckt. Die einfache 
Erklärung für diese Lücke ergiebt sich aus der mangelhaften Perception 
für die gleichen Töne auf dem andern hörenden Ohre. 


Nachtrag zu Fall 4 (Dallmaicer 1883). Nachuntersuchung 
im Mai 1897. Der Sequester. umfasste in diesem Falle nicht nur die 
Zeitschrift für Ohrenheilkunde. Bd. XXXI. 5 


66 Fr. Bezold: Die Feststellung einseitiger Taubheit. 


Schnecke, sondern auch ein beträchtliches Stück des Vorhofes. (Zur functio- 
nellen Prüfung cf. Tafel.) 


Erst seit einem halben Jahre ist das linke, labyrinthlose Ohr 
dauernd trocken geblieben; bis dahin waren circa jedes na 
Schmerzen und fötide Eiterung in diesem Ohre aufgetreten. 

Die Untersuchung am Heutigen ergiebt, dass der linke Gehör- 
gang in der Tiefe von 1!/, cm blindsackförmig abgeschlossen 
ist. In der Mitte der abschliessenden Fläche, welche die gleiche 
rosige Färbung wie die Gehörgangswand im Ganzen zeigt, befindet sich 
eine kleine sich etwas stärker vertiefende Grube, die einen kleinen 
Concavitätsreflex trägt. 

Die ganze Basis der Aussenfläche des Woarzentheils ist von einer 
tiefen Knochennarbe eingenommen. 

In diesem Falle besteht noch vollkommene linksseitige 
Facialisparalyse ohne eine Spur von fibrillären Zuckungen. Die 
Muskulatur der linken Gesichtshälfte erscheint vollständig erschlafft. 


Rechts Trommelfell diffus getrübt, kleine runde Narbe in der 
hinteren Hälfte, sonst normal. 


Hörprüfung. 


rechts 31/, met. („4“, „3“ am Schlechtesten), 
links nicht. 
links direkt am Ohr die meisten Zahlen 
Conversatiossprache | nicht. dagegen ziemlich sicher auf circa 
25 cm u. mehr. | 
rechts 23 v. d., 
links g‘ (alte Tonreihe, a (neue Edelmann’sche 
Tonreihe). 
Obere Tongrenze | rechts 0,2 auf 5 cm, 
im Edelmann- links 2,0 auf 15 cm (bei grösserer Annäherung 
Galtonpfeifchen \ nicht besser). 


Flüstersprache 


Untere Tongrenze 





Hördauer per Luftleitung. 


(norm. Hördauer) rechtes Ohr linkes Ohr 
A, belastet ( 75 Sec.) — 20 = 0,73, nicht, 
A unbelastet (102 „) == 29 0.72, nicht, 
a 5 (60 „) — 14,5 = 0,76, nur im Moment des 
| stärksten Anschlags, 
a’ (8 „) — 30 = 0,66, : 
a (72 „) — 9 = 0,88, — 56 = 0,22 der norm. 
Hördauer, 
r- ( 33 „) — 9 = 0,73, — 22 = 0,33 , 5 
ee (70°,) — 16 =0,)7, —353=050 „ , 
fis” ( 28 „) z 


— 6 =0,79, —13=0,54 , 


Sechs weitere Fälle von Labyrinthnekrose. 67 


Es hat sich in diesem Fall auf dem anderen Ohre eine mässige 
Verkürzung der Hördauer für alle geprüften Töne gefunden, welche 
einzelne Töne etwas stärker, andere etwas minder stark betrifft, im Ganzen 
aber über die-gesammte Tonscala ziemlich gleichmässig ausgebreitet ist 
und als der Ausdruck leichterer Veränderungen im inneren Ohre be- 
trachtet werden muss. 


Die Herabsetzung ist zu gering und zu gleichmässig verbreitet, 
als dass sie in der Hörstrecke des schneckenlosen Ohres wieder deut- 
lich erscheinen könnte. 


Nachtrag zu Fall 5 (Stirnweiss). Ueber die im Jahre 
1885 von mir gesehene Conducteursfrau St. habe ich vor Kurzem 
Bericht erhalten. 


Der interessante nahezu das ganze Felsenbein umfassende Sequester, 
den sich diese Kranke selbst mit der Haarnadel erst in ihrem 39, Jahre, 
6 Jahre bevor ich sie sah, aus dem rechten Gehörgang entfernt hatte, 
musste hier, da er seiner Grösse und Gestalt nach sicher aus dem 
Kindesalter stammt, schon seit Jahrzehnten in einer bei ihr vorgefundenen 
grossen Höhle des Warzentheils gelegen sein. Sie selbst führte ihre 
doppelseitige Ohrerkrankung auf einen Scharlach zurück, den sie in 
ihrem 8. Jahre durchgemacht hatte. 


Bei meiner damaligen Untersuchung fanden sich in der mit dem 
Gehörgang weit communicirenden und auch durch ein kleines Loch in 
einer vertieften Knochennarbe nach der Aussenfläche des Warzentheils 
offenstehenden Höhle reichliche Cholesteatommassen und Granulationen. 
Die Kranke war indess wegen ihres anderen Ohres zu mir gekommen, aus 
dessen Gehörgang ein grosser Polyp hervorragte. Nach der Abtragung des- 
selben fand sich auch hier das Trommelfell bis auf einen oberen Rest 
zerstört. Ich konnte damals die von auswärts gekommene Kranke 
nur zweimal sehen und hatte seitdem nichts mehr über sie gehört. 


Auf meinen Wunsch, für die vorliegende Arbeit nochmals ihr 
Gehör zu prüfen, hat mir nun der Gatte mitgetheilt, dass seine Frau 
im November 1891 nach längerer Krankheit gestorben ist. Seit Beginn 
dieser letzten Erkrankung hat dieselbe nichts mehr gehört und 
ist gänzlich taub gewesen, wie seine Worte lauten. 


Nach dieser letzteren Mittheilung ist es nicht unwahrscheinlich, 
dass trotz der glücklichen spontanen Ausschälung des grossen Sequesters 
doch noch schliesslich die Vernachlässigung ihres Chrenleidens zum 
Tode geführt hat und zwar von Seite des anderen Ohres; dafür spricht 
die mit dem Beginn der Terminalerkrankung eingetretene vollständige 
Taubheit. 

Dieser schliessliche vollkommene Verlust ihres Hörvermögens darf 
auf Rechnung des anderen Uhres gebracht werden, das bei meiner da- 
maligen Untersuchung laute Sprache noch auf 16 em Entfernung ver- 
standen hatte. 


ur 
* 


‘68 Fr. Bezold: Die Feststellung einseitiger Taubheit. 


Neue Beobachtungen. 
6. Fall. 
(Zur functionellen Prüfung cf. Tafel.) 

Aloisia Keller, 14 Jahre alt, von Pfronten bei Kempten trat 
am 1. VII. 1887 in Behandlung. 

Das rechte Ohr fliesst seit der Kindheit. 

Im vorigen Herbst bestanden 3 Monate lang Schmerzen in diesem 
Ohr, die in den letzten 3 Wochen von Neuem aufgetreten sind. Vor 
14 Tagen stellte sich Schwindelgefühl und rechtsseitige complete Facialis- 
paralyse ein. 

Im Gang zeigt sich keine Unsicherheit. Der rechte Gehörgang 
ist von fötidem Secret und in seinem knöchernen Theil von einem 
runden glatten Polypen gefüllt. Perforationsgeräusch, Warzentheil auf 
Druck nicht empfindlich. 

Hörprüfung: A, c‘, a’ und a‘ werden rechts auch bei starkem 
Anschlag per Luftleitung nicht gehört. 

Das linke Ohr wurde damals nicht genauer geprüft. Eine im 
Verkehr bemerkbare Beeinträchtigung des Gehörs war nicht vorhanden. 

Nach Abtragung des Polypen mit der Schlinge fühlt die Sonde in 
der Tiefe der Paukenhöhle einen anscheinend etwas beweglichen 
Sequester. 

2. VII. Zum ersten Male seit längerer Zeit wieder Schlaf durch 
die ganze Nacht. Die Spritze entfernt einen kleinen, scharfkantigen 
Sequester, dessen Provenienz nicht zu bestimmen ist. In der Tiefe der 
Granulationen ist noch weiterer Knochen zu fühlen. 

Am 6. VII. stellen sich leichte fibrilläre Zuckungen im Gebiet des 
Facialis ein. 

Am 9. VIE. entfernt die Spritze eine leicht concave Knochenschale, 
welche ihrer Form nach der Schneckenwandung entspricht. Wucherungen 
werden mit der Schlinge abgetragen. 

Am 9. VII. wird nochmals ein Sequester mit der Pincette entfernt, 
welcher die zwei oberen Windungen der Schnecke darstellt. 

Die Facialisparalyse ist wieder vollständig. Uvula steht gerade, 
auf der rechten Zungenhälfte werden Essigsäure, Zucker, Salz und 
Chinin nicht geschmeckt. 

Nach weiterer Abtragung der Wucherungen wurde die Eiterung 
bis zum 16. VII. sehr gering und geruchlos. Es besteht starkes 
resonirendes Perforationsgeräusch. 

Am 23. V. 1897, also 10 Jahre nach der Ausstossung der Schnecke, 
wurde es mir möglich, die Kranke noch einmal zu untersuchen. 

Das Ohr hat seitdem nicht mehr geflossen. 

Der Gehörgang ist eng und in der Tiefe durch eine festanhaftende 
während des kurzen Aufenthalts der Pat. nicht entfernbare Borke theil- 
weise verschlossen. 

Soweit die Paukenhöhle zu überschauen, ist sie trocken und 
»pidermoidal umgewandelt. 


Sechs weitere Fälle von Labyrinthnekrose. 69 


Auf der linken Seite ist das Trommelfell normal. 

Von der rechtsseitigen Facialisparalyse bestehen noch Reste. Die 
Muskeln der rechten Gesichtsseite bleiben in ihrer Bewegung noch gegen 
diejenigen der linken zurück; doch kann das Auge geschlossen, die Stirne 
gerunzelt und der Mundwinkel etwas gehoben werder. Am Kinn und 
anderen Stellen treten häufig fibrilläre Zuckungen ein. 

Die Hörweite für Flüstersprache beträgt links 6 met. und 
mehr („100“ sicher). 

Rechts werden einzelne Flüsterzahlen („77“, „24“) verstanden, 
aber ebenso gut bei verschlossenen beiden als bei offenem rechten Ohre. 

In Conversationssprache werden die Zahlen „23“, „II“ 
auf 20 cm Entfernung verstanden, dagegen direkt am Ohr 
nicht. Die übrigen Zahlen werden auf etwas grössere Distanz gehört. 

rechts g‘ (alte Tonreihe), h (neue Edel- 
Untere Tongrenze { mann'sche Tonreihe). 
links 1€ v. d. und tiefer. 


| rechts 1,9 auf 3 cm, 
links 0,1 auf 25 cm, 0,2 auf 6 met. und mehr. 


Obere Tongrenze 
im Edelmann- 
Galton pfeifchen 


(Auch bei fest mit dem nassen Wattetampon und daraufgedrücktem 
Finger verschlossenem Gehörgang wird auf der linken hörenden Seite 
noch 1,8 und höher in grösserer Distanz vom Ohre gehört.) 


Hördauer per Luftleitung. 


(norm. Hördauer) rechtes Ohr linkes Ohr 

A, belastet ( 35 Sec.) nicht, — 8 = 0,77 der norm. 

Hördauer, 
A, 5 (75 „) nicht, — 7 = 0,89 Te 
A unbelastet u a) nicht, — 8 = 0,92 ae 
a n (6 n ) nicht, +0=1,0 n , 
a' ” ( B8 ” ) — 76 = 0,14, + 0 = 1,0 n ’ 
a a (72 „) — 51 = 0,29, +0 = 1,0 Be 
fe, (3 ,„) -19-=04, +0)=->10 ,„ , 
cr » (70 ,„) — 34 = 0,51, +0 =>10 „ 9 
fise” , (28 ,) -3=054, +40 = 10, . 

7. Fall. 


Ignaz Seemüller, 62 Jahre alt, Maurer, trat am 26. IV. 1889 
in Behandlung. 

Links besteht seit der Kindheit Schwerhörigkeit, welche für ihn 
Befreiungsgrund vom Militärdienst wurde. 

Erst seit 2 Monaten bemerkte er auffällige Eiterung und Blutungen 
aus diesem Ohre; damals traten auch Schmerzen im Öhre auf, welche 
bis vor 14 Tagen andauerten; zu gleicher Zeit mit den Schmerzen 


1) Einige Secunden länger als ich. 


70 Fr. Bezold: Die Feststellung einseitiger Taubheit. 


wurde die linke Gesichtshälfte bewegungslos. Seit 3 Monaten hat sich 
S. wie betrunken gefühlt und war so schwindlig, dass er seine Arbeit 
als Maurer aufgeben musste. Der Schwindel verlor sich, als die 
Schmerzen auftraten. Bis dahin hatte auch Sausen bestanden, welches 
später verschwunden ist. 

Gegenwärtig ist vollkommene Facialisparalyse mit starkem Ektropion 
des Unterlides vorhanden. Die Injectionsflüssigkeit ist diffus von Eiter 
getrübt und fötid.e. Politzer’s Verfahren macht breites Perforations- 
geräusch. In der Tiefe des Gehörgangs befindet sich ein von hinten 
oben entspringender Polyp. Die zwischen ihm und der Gehörgangswand 
vorgeschobene Sonde fühlt blossliegenden Knochen. Der Polyp wird mit 
der Schlinge abgetragen. 


Rechts: Trommefell getrübt und glanzlos. 


Hörprüfung. 
rechts 5 cm, 
links nicht. 
Links wird per Luftleitung von den unteren Stimmgabeln keine 
bis a‘ incl. gehört. 
A vom Scheitel — 5, 
a’ vom Scheitel ins rechte. 
Rinne A rechts — x, Rinne a’ rechts + 18. 


rechts a“ (im Galton 13,5), 
links es““’, 


Flüstersprache 


Obere Tongrenze 


In den nächsten Tagen traten heftige Schmerzen auf; die Insufflation 
von Borpulver verursacht ihm mehrstündiges Brennen im Ohr. 


Den 17. V. Die Injectionsflüssigkeit erscheint fortgesetzt milchig 
trüb. Keine Tuberkelbacillen. Die umgebogene Sonde lässt sich in 
der Tiefe des Gehörgangs weit nach hinten oben vorschieben und fühlt 
rauhe Knochenriffe. 


24. V. Die Schmerzen haben sich in den letzten Tagen wieder 
sehr gesteigert und strahlen hauptsächlich gegen den Scheitel aus. Es 
besteht wieder fortwährendes starkes Schwindelgefühl, was auch objectiv 
beim Gehen sich ausspricht. 


Pars mastoidea frei von Druckempfindlichkeit. Hinter und ober 
der Wucherung, die immer wieder von Neuem sich bildet, liegt heute ein 
beweglicher Sequester, welcher mittelst Kornzange leicht zu entfernen ist. 
Derselbe stellt eine aussen rauhe, innen glatte, in kleinem Radius 
gebogene Knochenlamelle dar, deren grösster Durchmesser 6 mm beträgt, 
die eine Kante besitzt einen mehr als halbkreisförmigen glattrandigen 
Ausschnitt, welcher vielleicht von dem runden Fenster, wahrscheinlicher 
von einer Ampulle gebildet wird. Darnach gehört die glatte concave 
Innenwand entweder theilweise oder ganz dem Vorhof an. 


Von da ab blieb der Kranke aus. 


Sechs weitere Fälle von Labyrinthnekrose. | 71 


Laut neuerdings angestellter Erkundigungen ist derselbe 11 Tage 
später nach viertägiger theilweiser Bewusstlosigkeit, wahrscheinlich 
an Meningitis, gestorben. 
| 8. Fall. 
(Zur functionellen Prüfung cf. Tafel.) 


= Daniel Kimmerle, 53 Jahre alt, Wagner von Seeg bei Füssen. 
Eintritt in die Behandlung den 7. XII. 1894. 

Seit 4 Jahren erinnert sich P. an stärkeren übelriechenden Aus- 
fluss links, doch war dieses Ohr schon seit der Kindheit schwerhörig. 
Am 7. Juni traten heftige Schmerzen im linken Obre auf, welche sich 
über die ganze Kopfseite verbreiteten und seitdem zeitweise bestehen. 
Im Juli wurde linksseitige Gesichtslähmung bemerkt, welche noch im 
Laufe des Juli nach Angabe seines behandelnden Arztes complet wurde, 
bei der Vorstellung aber nicht mehr bestand. 

Schon im vorigen Jahre litt P. zeitweise an Schwindelerscheinungen, 
welche noch vorhanden waren. In den letzten 8 Tagen erstreckten sich 
- die Schmerzen wieder über den ganzen Kopf, strahlten bis in die 
Schulter aus und machten den P. schlaflos. Ein Polyp war bereits 
auswärts entfernt worden. 

Die hintere knöcherne Gehörgangswand ist stark geschwellt; auch 
hinter dem Ohr findet sich etwas Schwellung. Perforationsgeräusch 
besteht nicht. Paukenröhrchen entfernt, bis hinter die Schwellung ein- 
geführt, keine Epidermis. 

Hörprüfung: Links wird von sämmtlichen Stimmgabeln der 
alten Tonreihe bis a’ herauf keine per Luftleitung gehört. 

A und a’ vom Scheitel ins gesunde Ohr. 
Rechtes Trommelfell: kurzer Fortsatz stärker hervortretend und 
hintere Falte. Flsp. 6 met. und mehr („100“). 

Am 10. XII. wurde, hauptsächlich mit Rücksicht auf die starke 
Verengerung des knöchernen Gehörgangs die Radicaloperation gemacht. 
Der Musculus temporalis war in seinen tieferen Schichten derb infiltrirt 
und blasser, das Periost von der Gegend der Crista temporalis leicht 
ablösbar, die Knochenfläche ober- und unterhalb der letzteren etwas 
rauh, in der Fossa mastoidea oberflächlich zerfressen, stellenweise mit 
flachen Granulationen besetzt. Direkt unter der scharf vorspringenden 
Crista temp. finden sich im Knochen einige kleine Hohlräume mit schmutzig 
bräunlicher Wandung. Der Knochen erscheint hier in grösserer Aus- 
dehnung cariös. Weiter in der Tiefe und im übrigen Warzentheil ist 
er sclerosirt. Nach Entfernung der Aditus und Antrum deckenden 
Gehörgangswand und der ganzen Aussenfläche des Warzentheils fanden 
sich in der Paukenhöhle mehrere blasse rundliche Polypen, welche 


entfernt wurden. 
I,appenbildung nach Körner aus Gehörgang und Muschel, Höchste 


Temperatur (am 11. XI.) 38,4. 
Die Schmerzen waren am 2. Tag nach der Operation vollständig 


verschwunden. 


72 Fr. Bezold: Die Feststellung einseitiger Taubheit. 


Am 28. XII. bestand nur mehr sehr geringe geruchlose Secretion. 

Am 2. I. 1895 mussten noch einige Granulationen in der Tiefe 
entfernt werden. 

Am 12. I. war bis auf eine kleine blutende Stelle in der Tiefe 
Alles überhäutet. 

Vom 2. II. blieb die Höhle trocken. 

Am 23. II. entfernte die Spritze den grössten Theil der 
1. Schneckenwindung. 

Am 30. IX. 1895 wurde nochmals constatirt, dass das Ohr von 
Eiterung frei geblieben und die ganze Höhle epidermoidal ausgekleidet 
ist. Der Gehörgang ist um das Doppelte erweitert. 

Die von Neuem vorgenommene Hörprüfung ergab folgendes Resultat: 
Rechtes Ohr: Flüstersprache 6 met. und mehr („100“). 
Untere Tongrenze 16 v. d. und mehr. 
Obere Tongrenze Edelmann-Galtonpfeifclhen 0,9 (normale 
Grenze 0,8). 
Linkes Ohr: bei festem Verschluss des rechten Gehörgangs mittelst 
nasser mit dem Finger angedrückter Watte: Flüstersprache nicht. 

Untere Tongrenze heute dis‘, alte Tonreihe. Von den unteren 
Stimmgabeln bis d” incl. wird links auch bei stärkstem Anschlag mit 
dem Hammer keine Spur weder bei Luftleitung noch bei leisem Ein- 
setzen des Stiels in den Gehörgang oder an die Muschel gehört. Von dis” 
nach aufwärts werden die Stimmgabeln mit wachsender Deutlichkeit gehört. 


Hördauer per Luftleitung 


linkes Ohr. 
für a (norm. Hördauer 72 Sec.) — 58 = 0,19 der norm. Hördauer, 
P“ (y n 33 „ )— 25 = 0, 24 ” ” ” , 
e” n n 70 ” ) — 37 = 0, 47 n ” n , 
fis ( „ j 28. ge Je T 0 57 5 is 


Für die Stimmgabeln dis’ bis etwa f’ schien mir beim Vorbei- 
führen der klingenden Gabeln am schneckenlosen Ohre der durch die 
Operation um mehr als das Doppelte erweiterte Gehörgang mitsammt 
der anschliessenden Höhle wie ein Resonator zu wirken, indem der 
Klang der Stimmgabeln sich für mein Ohr im Moment, in welchem sie 
direkt das Eingangslumen passirten, jedes Mal zu verstärken schien. 

Auch durch ein mit seinem einen Ende in nächster Nähe des 
Meatuseingangs gehaltenes Auscultationsrohr schien mir der Klang der 
vorbeigeführten Stimmgabeln von der genannten Tonhöhe am erweiterten 
Gehörgang des schneckenlosen Ohres stärker zu klingen wie am Gehör- 
gang des anderen gesunden Ohres. 

Bei der nahen gegenseitigen Nachbarschaft der Felsenbeine beider 
Seiten muss es als wahrscheinlich bezeichnet werden, dass die Um- 
wandlung des Gehörgangs auf dem schneckenlosen Ohre in einen 
Resonator für eine bestimmte Tonhöhe nicht ohne Einfluss auf eine 
Ueberleitung der betreffenden Töne transversal durch die Schädelbasis 
zum anderen Ohre bleiben wird. 


Sechs weitere Fälle von Labyrinthnekrose. 13 


Um die Möglichkeit dieses Einflusses auszuschliessen, wurde in den 
linken erweiterten Gehörgang ein Kautschukrohr von der Weite des 
normalen Gehörgangs eingeführt und die übrige Höhle ringsherum fest 
mit nasser Watte ausgepolstert; ebenso wurde der Gehörgang des 
rechten Ohres wieder bis in die Tiefe mit nasser Watte fest verstopft 
und dieselbe mit dem Finger angedrückt. 

Die Hörweite betrug jetzt vor dem gesunden verschlossenen Ohre 
für Conversationssprache 30 cm („7* und „9“, die übrigen Zahlen 
nicht viel weiter). 

Links wird Conversationssprache in der Nähe des Ohres nur theil- 
weise verstanden, bei grösserer Annäherung eher schlechter als besser. 
Dagegen werden alle Zahlen sicher und besser als direkt an der Muschel 
percipirt, wenn an irgend einer anderen Stelle der linken Seite gegen 
die Schädelwand in 2cm Entfernung gesprochen wird. 

Auch jetzt werden die Stimmgabeln von dis’ an aufwärts noch 
percipirt, wenn sie vor das offene Kautschukröhrchen im linken Meatus 
gehalten werden. Vom linken Stirnhöcker klingen f‘', ce’, fis‘‘' gleich 
lang wie vor dem Röhrchen, a’ um 3 Sec. länger, wenn ihre schwin- 
genden Zinken 1—2 cm von demselben entfernt gehalten werden. Eine 
nochmalige Prüfung mit diesen Stimmgabeln nach Beseitigung des 
Kautschukrohrs und der Watte ergab für f’, c’, fis“ die gleichen 
Verhältnisse, dagegen wurde a’ jetzt vor der Muschel um 5 Sec. 
länger gehört als vor der Stirne. Die vermehrte Resonanz des vor- 
liegenden Hohlraums schien demnach hauptsächlich im nächsten Bereich 
von a‘ zu liegen. 

Die Pfeifen der Tonreihe werden bis zu ihrem untersten Ton (f’’) 
herab bei fest verschlossenem rechten Ohr auf 6 met. und mehr gehört, 
aber ehen so weit, wenn auch links der Gehörgang mit nasser Watte 
vollkommen abgeschlossen wurde. 

Eine letzte Prüfung war mir am 22. V. 1°97 möglich. 

Der Gehörgangseingang links hat eine unregelmässig vierseitige 
Form angenommen und ist mitsammt der Cymba mehr in die Tiefe 
gerückt; der Gehörgang selbst ist noch beträchtlich weiter geworden 
als das letzte Mal. 

Die ganze Höhlenauskleidung ist epidermoidal umgewandelt und 
trocken 

Flüstersprache rechts 6 met. und mehr („100“ sicher). 


| rechts > 16 v. d. 
Untere Tongrenze ! links dis” (alte Tonreihe), dis’ (neue Edel- 
mann’sche Tonreihe) 
Obere Tongrenze 
im Edelmann- 
Galtonpfeifchen 


1) Die früher (Zeitschrift für Ohrenheilk. Bd. XXIX, p. 27) für diesen 
Fall gefundene hohe Grenze hat sich bei wiederholter Prüfung ais Täuschung 
ergeben, die dadurch entstanden war, dass er mit dem schneckenlosen Ohr 
starkes Blasen percipirt. 


rechts 0,2 auf 20 cm (norm. Grenze 0,2), 
links 4,7!) auf 3 cm. 


74 Fr. Bezold: Die Feststellung einseitiger Taubheit. 


Weber’scher Versuch: A, a, a‘, a” sämmtlich ins rechte Ohr. 





Rinne’scher Versuch: links A, a, a‘ I, 
Hördauer per Luftleitung. 
(norm. Hördauer) rechtes Ohr linkes Ohr 
A, belastet ( 35 Sec.) — 4=0,9, nicht, 
1 2 75 p) — 4= 0,95, nicht, 
A unbelastet (102 „) — 10 = 0,9, nicht, 
a er (60 „) — 3= 0,95, nicht, 
a’ . (88 „) — 10 = 0,89, nicht, 
aY uj (72 „) — 9= 0,88, — 52 = 0,28 der norm. 
Hördauer, 
17 n (33 „) + 0=1,J0, — 17 = 0,48 „ , 
GOR i (70 „) — 66 = 0,91, — 32 = 0,54 A 
fis” (28 „) — 3= 0,89, — 13 = 0,54 


Die Hördauer für a’, c’”‘“ und insbesondere für f’' auf dem 
schneckenlosen Ohr hat sich seit der letzten Untersuchung verlängert, 
für f’ sogar verdoppelt. 

Diese Abweichuugen sind zu gross, als dass sie innerhalb der 
Fehlerbreite bei der Untersuchung liegen könnten. 

Eine Erklärung für dieselben giebt uns der in seiner Erweiterung 
seit der letzten Untersuchung beträchtlich fortgeschrittene * äussere Gehör- 
gang des schneckenlosen Ohres, dessen Abstimmung in Folge seiner zu- 
nehmenden Erweiterung aller Wahrscheinlichkeit nach höher hinauf- 
gerückt ist und welcher für das andere hörende Ohr als Resonator dient. 


9, Fall. 


(Zur functionellen Prüfung cf. Tafel.) 


Karoline Frühwald, 30 Jahre alt, Wechselwärterstochter, trat 
am 19. V. 1896 in Behandlung. 

Vom 6. Lebensjahre ab bestand ein oder mehrere Jahre Otorrhöe. 
Seit 1 Jahre ist links neuerdings Ausfluss aufgetreten, im letzten 
halben Jahre zugleich mit Schmerzen. Oefters waren in dieser Zeit 
auswärts Polypen entfernt worden. Vor ca. 3 Monaten trat ein zwei- 
tägiger Schwindelanfall mit Erbrechen ein; auch Sausen bestand damals, 
das später wieder verschwand. Im Laufe des Monats März zeigte sich 
eine Verziehung des Mundes, welcher den Speichel nicht mehr zurück- 
halten konnte und Unmöglichkeit, das linke Auge zu schliessen. 
14 Tage später waren diese einer damals bestehenden Facialisparalyse 
entsprechenden Erscheinungen wieder vollständig verschwunden. Die 
Schmerzen sind so heftig, dass die Kranke seit Weihnachten nur 
stundenweise und seit 3 Wochen gar nicht mehr geschlafen hat. 

Gegenwärtig besteht mässige Schwellung vor dem Tragus. Der 
Waırzenth:il ist frei von Schwellung oder Druckempfindlichkeit. Nur 
die Fossa retromaxillaris ist in Folge einer vom Gehörgang ausgehenden 
I,ymphadenitis auf Druck empfindlich, der Ausfluss aus dem Gehörgang 


mO M e i 


Sechs weitere Fälle von Labyrinthnekrose. 15 


ist fötid, sehr profus und macht die Injectionsflüssigkeit milchig trüb. 
Der Gehörgang ist bis in seinen knorpeligen Theil ausgefüllt von einem 
Polypen, der sich mit der Sonde rings umgehen lässt. Kein Perforations- 
geräusch. Der Polyp wird mit der Schlinge abgetragen. 

Im rechten Trommelfell findet sich vor und hinter dem Hammer- 
griff eine dunklere Stelle (Narbe). 


ut rechts 7 met., 
A prrene links unsicher („4“ und „8“ nicht). 


a’ wird per Luftleitung und ebenso bei leisem Aufsetzen des Stiels 
auf die Muschel und den Tragus nicht gehört, vom Scheitel ins rechte. 

Die Schmerzen verloren sich nach der Entfernung des Polypen. 
Die Wucherungen wuchsen so schnell nach, dass sie jede Woche 1—2 
Mal mit der Schlinge abgetragen werden mussten. 

Am 7. VI. konnte P. beim Auswischen mit dem Tuch aus dem 
Gehörgang ein schwärzlich graues sehr übelriechendes Knochenstückchen 
mit scharfen Ecken entfernen, das von ihr mit dem Finger zerdrückt 
wurde; beim nachträglichen Auswischen kamen noch etwas sandige 
Massen. 

Da der Gehörgang ziemlich eng war und mit dem Paukenröhrchen 
hinter den Wucherungen hervorkommende käsige Massen entfernt werden 
konnten, wurde am 

26. VI. die Radicaloperation in der gewöhnlichen Weise ausgeführt. 
Der ganze Warzentheil fand sich sclerosirt und sehr hart zu meisseln, 
nur seine Spitze enthielt etwas spongiöse Substanz. Nach Blosslegung 
des Antrum, Aditus und der Paukenhöhle zeigten sich die Räume aus- 
gefüllt mit schwärzlichen Granulationen, die sich beim Auskratzen als 
ziemlich derb erwiesen. Ein Sequester fand sich nicht, ebensowenig 
Cholesteatom. Die Höhlen sind von anscheinend normaler Weite. Bildung 
eines Körner’schen Gehörganglappens | 

Am 27. VII. ist die hintere Wunde bis auf eine kleine Granu- 
lation am unteren Ende des Schnitts verschlossen. 

Der Gehörgang hat sich bis auf das Doppelte erweitert. Es zeigt 
sich jetzt, dass eine fortwährende Neubildung von Granulationen nur 
am vorderen unteren Theil der inneren Paukenhöhlenwaud stattfindet, 
wo sie immer von Neuem abgetragen werden müssen. 

Seit 7 Wochen fühlt die Kranke beim Leerschlucken ein Kratzen 
und Stechen im Schlund. Per rhinosk. post. beide pharyngeale Tuben- 
ostien vollkommen normal. Katheterismus macht ein naheklingendes 
Anschlagegeräusch, kein Perforationsgeräusch. Die Tubensonde lässt 
sich 3 cm weit innerhalb der Tuba vorschieben und stösst dann auf 
ein unüberwindliches Hinderniss. 

9. VIII. Seit 5 Tagen Ohnmachtsanwandlungen ohne ausgesprochenen 
Schwindel oder Uebligkeit. Beim Blick nach rechts etwas Nystagmus. 

30. VIII. Aus der Mitte der Granulationen kann mit der Pincette 
ein kleiner Sequester entfernt werden. 


76 Fr. Bezold: Die Feststellung einseitiger Taubheit. 


Am 6. IX. wlrd ein zweiter Sequester mit der Pincette extrahirt, 
der einen Halbbogen darstellt und der 1. Windung der Schnecke an- 
gehört. Der gerade verlaufene Theil dieser Windung ist nicht am 
Sequester vorhanden. 


8. IX. Heute findet sich nur mehr getrocknetes Secret auf der kleinen 
runden Granulationsstelle im vorderen unteren Quadranten der Pauken- 
höhleninnenwand. Ausser dieser Stelle ist die Auskleidung der Mittel- 
oħrräume, so weit sie zu überschauen, epidermoidal umgewandelt. Die 
Sonde fühlt in der granulirenden Stelle keinen blossliegenden Knochen mehr. 


15. IX. Seit 2 Tagen wieder etwas Schmerzen und Schwindel. 
Auf der Innenfläche trockene Kruste. 


Bis zum 27. IX. ist die Innenwand vollständig trocken und mit 
Epidermis überzogen. Der vordere obere Theil des Trommelfells mit 
dem Hammergriff ist, wie sich jetzt zeigt, noch vorhanden und mit der 
Innenwand verwachsen. Von dem stehengebliebenen inneren Rest der 
hinteren unteren knöchernen Gehörgangswand hat sich eine mit dem Tegmen 
tympani sich vereinigende Falte gebildet, welche den ganzen Mittelohr- 
raum in 2 nach aussen offene Nischen trennt. Sie wurde einmal mit 
dem Sichelmesser durchschnitten, verwuchs aber später wieder. 


Am 30. IV. 1897 fand sich an der Verwachsungsstelle zwischen 
der innern Ecke des abgemeisselten Gehörgangs und der Paukenhöhlen- 
innenwand noch eine kleine Borke und, der unteren Fläche derselben 
pach ihrer Ablösung anhaftend, etwas Secret; die dieser Stelle ent- 
sprechende Schleimhaut war roth und succulent jedoch ohne Wucherung. 


Bei der letzten Controle am 25. V. 1897 zeigten sich die Mittel- 
ohrräume trocken uud allenthalben mit einem Epidermisüberzug aus- 
gekleidet. 


Hörprüfung am Schluss. 


Flüstersprache links: unsicher, ebenso gut bei geschlossenen 
beiden als bei offenem linken Ohre. 


Conversationssprache links: Die meisten Zahlen auf 30 cm, 
direkt am Ohr eher schlechter; bei geschlossenen beiden Ohren nicht 
schlechter. 


Weber’scher Versuch | A om Scheitel in’s rechte, gesunde + 0, 





a ” N N N 7 +0. 
; ‚| rechts + 28, 
Maanga, I ke 0. 


rechts 191/, v. d. (18 v, d. nicht mehr), 
Untere Tongrenze links fis‘ (alte Tonreihe), a (neue Edel- 
t mann'sche Tonreihe). 


Obere Tongrenze 
im Edelmann- 
Galton pfeifchen 


\ rechts 0,1 auf 12 cm, 0,2 auf 1!/, met., 
] links 0,4 (Blasen nicht gehört). 


Sechs weitere Fälle von Labyrinthnekrose. 77 


Hördauer per Luftleitung. 


(norm. Hördauer) rechtes Ohr linkes Ohr 

A, belastet ( 35 Sec.) — 13 = 0,63, nicht, 

A, 3 (75 „) — 12 = 0,34, nicht, 

A unbelastet (102 „) — 16 = 0,84, nicht, 

a ; (60 „) — 5= 0,92, nicht, 

a' ; (88 „) — 10 = 0,89,  — 80 = 0,09 der norm. 
Hördauer, 

a” 5 (72 „) — 9= 0,88. — 52 = 0,28 Fer 

rs 5 (33 ,) + 0= 1,0, — 39 = 0,37 Z ò 

OUr ag (70 „) —- 46 = 0,93,  — 37 = 0,46 ae 

fis (28 „) +0=1,0, — 14 = 0,53 = 


Die Hördauer für die Töne des oberen Theiles der Tonscala von 
a—fis’‘‘ ist hier auf der anderen Seite so wenig verkürzt, dass dieser 
Theil als annähernd normal bezeichnet werden darf. 

Eine etwas stärkere Verkürzung findet sich nur für den tiefsten 
noch auf Hördauer geprüften Ton A,; ebenso erreicht die untere Ton- 
grenze mit 19!/, v. d nicht ganz das untere Ende der Tonscala; 
Beides spricht für ganz leichte Veränderungen am Schallleitungsapparat 
des hörenden Ohres, wie sie sich ja auch am Trommelfell der betreffenden 
Seite kennzeichneten. Für das scheinbare Hören des schneckenlosen 
Ohres sind sie ohne Belang. 


10. Fall. 
(Zur functionellen Prüfung cf. Tafel.) 


Josephine Steinhauser, 41 Jahre alt, Bahnexpeditorswittwe. 
Aufnahme am 9. X. 1896. 


Vater an Lungenschwindsucht gestorben. Seit dem 10. Jahre be- 
steht beiderseits Ausflus. In der letzten Zeit viele Kopfschmerzen. 
Vor 16 Tagen ist links totale Facialisparalyse eingetreten. Schwindel- 
erscheinungen waren nach den Angaben der wenig intelligenten Pat. 
nicht vorhanden. In den letzten Tagen besteht Fieber. 

Die Aussenfläche des rechten Warzentheiles ist auf Druck em- 
pfindlich. Die linke Seite ist frei von Schmerz. Beiderseits fötide 
Otorrhöe. Die Gehörgänge weit. Beiderseits liegt totaler Defect de» 
Trommelfells und ausgedehnter Defect der hinteren oberen Gehörgangs- 
wand vor. Mit dem Paukenröhrchen lassen sich auf beiden Seiten aus 
den hinteren oberen Mittelohrräumen, welche in Folge des Defectes am 
inneren Ende der oberen Gehörgangswand weit zugänglich sind, grössere 
Epidermismassen entfernen. 


Rechts ist die Mittelohrauskleidung, soweit sie zu überschauen, 
grösstentheils epidermoisirt. Nur der Boden der Paukenhöhle erscheint 
roth und succulent. Ebenso ist die llöhlenauskleidung gegen das Antrum 
mast. zu, wohin der Gehörgangsdefeet noch zu schauen erlaubt, wieder 
roth und wulstig. Alles dazwischen Liegende erscheint weiss und glanzlos. 


18 Fr. Bezold: Die Feststellung einseitiger Taubheit. 


Links sitzen der unteren Hälfte der inneren Paukenhöhlenwand 
zwei eng übereinander liegende, theilweise von Epidermis überzogene 
polypöse Wucherungen mit breiter Basis auf. Soweit die Gesammthöhle 
im Uebrigen zu überschauen, ist ihre Wandung, ebenso wie rechts, 
epidermoidal ausgekleidet. 

Nach der Abtragung der beiden Wucherungen mit der Schlinge 
findet sich in der oberen derselben der Rest des Hammers, bestehend 
aus seinem Griff ohne Hals und Kopf. Augenhintergrund normal. 


5 = rechts 7 cm (,,4'', „8‘') 
Hörprüfung. Flüstersprache | links nicht. 
rechts Fis, 
links bis a’' incl. (alte Tonreihe) keine 
Untere Tongrenze Stimmgabel per Luftleitung. Eine grössere 
| unbelastete a‘‘-Stimmgabel wird per Luft- 


leitung gehört. 
A und a’ vom Scheitel in das rechte Ohr. 


rechts — 12, 
links — ©. 

Obere Tongrenze im Edelmann-Galtonpfeifchen links 4,8 
(0,5 normale Grenze). 

Bis zum 13. X. bestanden die Schmerzen im Kopf und im rechten 
Warzentheil sowie auch das Fieber fort. Die Temperatur stieg bis 39,0. 
Secretion gering und geruchlos. Beim Gehen und Stehen und schon 
beim Aufsitzen im Bett zeigt die Kranke seit ihrem Aufenthalt im 
Krankenhause starke Gleichgewichtsstörungen. Auf der rechten Seite 
hat der Ausfluss aufgehört und erscheint nun die ganze Höhle epider- 
moidal umgewandelt. 

‚Links hat sich die Wucherung am vorderen unteren Theil der 
Paukenhöhleninnenwand wieder gebildet. Auf ihrer Höhe erscheint 
eine Fistelöffnung, aus der immer von Neuem ein Eitertropfen hervor- 
quillt. Die Sonde lässt sich in transversaler Richtung in die Fistel 
einführen und stösst innerhalb derselben auf eine ausgedehnt bloss- 
liegende theilweise rauhe Knochenfläche. Mit Ausnahme der Wucherungs- 
stelle ist die Mittelohrauskleidung weiss und ohne Secretion. 

Am 20. X. treten wieder Spuren von Beweglichkeit im Facialis- 
gebiet ein. 

Bis zum 22. XII. muss ca. jede Woche zweimal die an gleicher 
Stelle sich immer neubildende Wucherung theils mit Schlinge, theils 
mit Curette abgetragen werden. Die Granulation erreicht regelmässig 
innerhalb weniger Tage etwa Erbsengrösse.. Die entfernte Wuche- 
rung ist jedesmal, wenn ihre Abtragung im Ganzen gelingt, 
central durchbohrt von einen Fistelkanal. 

An diesem Tage kommt nach der Abtragung ein gelber Sequester 
zum Vorschein, welcher mit der Pincette leicht zu entfernen ist. Der- 
selbe erweist sich als der grösste Theil der Schnecke 
mitsammt dem gerade verlaufenden Stück der I. Windung. 


Rinne | 











Sechs weitere Fälle von Labyrinthnekrose. 19 


Nach seiner Entfernung fühlt die Sonde in der zurückbleibenden Laby- 
rinthhöhle keine Rauhigkeiten mehr. 

29. XII. Die Secretion, welche bereits in den letzten Tagen ge- 
ringer geworden war, hat seit 4 Tagen ganz aufgehört. 

12. I. 1897. Die ganze Höhle ist auch links epidermoidal aus- 
zekleidet. 

23. III. 1897. Beiderseits keine Secretion. Von der linksseitigen 
Facialisparalyse sind nurmehr einzelne fibrilläre Zuckungen und leichte 
Contracturen einzelner Muskeln des Facialisgebietes zu sehen. Schwindel- 
erscheinungen bestehen nicht mehr. Bei rascher Bewegung tritt Sausen 
ein, das die wenig intelligente Pat. nicht bestimmt in ein Ohr ver- 
legen kann. 

Letzte Controle den 18. V. 1897. Die Mittelohrräume sind seit- 
her trocken geblieben. 


Die nochmalige Hörprüfung ergiebt: 


rechts A (alte Tonreihe), E (neue Edel- 
mann'’sche Tonreihe); 

links bis a“ incl. (alte Tonreihe) keine Stimm- 
gabel, a(neue Edelmann ’sche Tonreihe). 


Untere Tongrenze 


Obere Tongrenze 
im Edelmann-Galton 
mit normaler Grenze 0,2 


rechts .0,6 auf 3 cm (norm. Grenze 0,2); 
links 3,8 auf 3 cm (Blasen nicht). 


Hördauer per Luftleitung. 


(norm. Hördauer) rechtes Ohr linkes Ohr 

A (102Sec.) — 70 = 0,3 der norm. Hördauer, nicht, 

a (60, ) —32=0,47, ,„ ee nicht, 

a’ (88 „ ) — 58 = 0,34.„ ,„ Be, nicht, 

a (72,)—-36=050, „»  . — 67==0,07 dernorm. 
Hördauer, 

1 (33 ,)—1=051, „ „ , — 26 = 0,21 n ’ 

c (70 „ ) — 22 = 0,69 „ „ „ , — 43 = 0,39 » , 

fis" (28 „ ) — 10 = 0,64, , „ ,ı — 13 = 0,54 n 


Entsprechend den ausgedehnten Zerstörungen am Schallleitungs- 
apparat liegt hier eine verhältnissmässig starke Schwerhörigkeit auch 
auf dem anderen Ohre vor, welches Flüstersprache nur auf 7 cm versteht. 

Die Hördauer für die Tonscala verhält sich im Ganzen entsprechend 
derjenigen, wie sie bei Defecten am Schallleitungsapparat gefunden wird, 
indem sich die Hördauer für die einzelnen Töne vom oberen Ende der 
Scala gegen das untere Ende successive mehr und mehr verkürzt. 

Einige Ungleichmässigkeiten (bei fis’' und a‘) deuten auf eine 
leichte Betheiligung auch des Labyrinthes auf dieser Seite hin. 


80 Fr. Bezold: Die Feststellung einseitiger Taubheit. 


Unserer Voraussetzung, dass auf der schneckenlosen Seite kein 
selbständiges Hören, sondern nur eine Ueberleitung der Schallwellen in 
das andere Ohr stattfindet, entspricht es, dass in diesem Falle auf dem 
schneckenlosen Ohre der Abfall von fis‘‘' bis a’ ein steilerer ist als 
in den übrigen Fällen. Neben dem mit zunehmender Tiefe sich ver- 
mindernden Hinüberhören in das andere Ohr, welches wir durchgängig 
gefunden haben, kommt hier noch weiter der auch auf der hörenden 
Seite vorhandene Abfall der Tonscala in gleichem Sinne zum Ausdruck. 
Indem beide Factoren sich summiren, muss eine steiler 
abfallende Linie in der graphischen Darstellung zu Tage 
treten. 


11. Fall. 
Schneekennekrose, Meningitis, Sectionsbericht. 


Michael Scheurer, Soldat, 21 Jahre alt, wurde am 18. V. 1887 
in das Münchener Militärlazareth aufgenommen. Nach Angabe der Eltern 
hat derselbe im 7. Lebensjahre gleichzeitig mit einer Schwester Schar- 
lach durchgemacht und leidet seitdem, ebenso wie die Schwester, zeit- 
weise an eitrigem Ausfluss aus dem Ohr. Bei seiner Aufnahme gab 
Pat. an, dass seit 3 Tagen bei ihm auffällige Schwerhörigkeit, Sausen und 
Schmerzen im linken Öhre und der ganzen linken Kopfhälfte ein- 
getreten seien. 

Der Gehörgang fand sich verengt und mit Eiter gefüllt, Schmerzhaftig- 
keit in der Umgebung des Ohres. Valsalva’scher Versuch dringt 
nicht durch. 

In den nächsten 4 Wochen waren öfters heftige Kopfschmerzen, 
gegen Stirne und Hinterhaupt ausstrahlend, auch mehrmals grünes Er- 
brechen und Unterleibsschmerzen vorhanden. 

Am 16. V., an welchem Tage seine Behandlung von Oberstabs- 
arzt Dr. Hummel übernommen wurde, betrug die Temperatur 38,0, 
Puls 84, voll, gespannt, Pupillen reagirten träge. Gehörgang schlitz- 
förmig verengt, mit fötidem Eiter gefüllt, in seinem knöchernen Theile 
succulente Granulationen, keine Druckempfindlichkeit des Warzentheils 
oder der Gegend der Vena jugularis. Kein Perforationsgeräusch ; doch 
entleerte sich beim Valsalva’schen Versuch Eiter aus der Tiefe. 


Hörweite für Flüstersprache und Stimmgabel a’ per Luftleitung 
= 0; a' vom Scheitel meist in’s Bessere, hie und da auch in’s Kranke. 

In den nächsten 4 Wochen bestanden fast constant mehr oder 
weniger heftige Stirn- und Hinterliauptsschmerzen; zeitweilig trat gal- 
liges Erbrechen auf Temperatur zwischen 37.6 und 38,3. Puls 76 
bis 84. Pat. war den grössten Theil des Tages ausser Bett. Derselbe 
beklagte sich oft über Schwindel. 

Die oftmals mit der Schlinge abgetragenen Granulationen wuchsen 
immer wieder nach, die Eiterung dauerte fort. Im Laufe des Juni: und 


Sechs weitere Fälle von Labyrinthnekrose. 81 


Juli bestand nur oftmaliges Eingenommensein des Kopfes, der Pat. war 
bei gutem Appetit und erholte sich rasch. Die Eiterung war zeitweise 
geruchlos. 

Das Resultat der Hörprüfung blieb das nämliche., 


Am 19. VII. 87 wurden heftige stechende Schmerzen im Ohre 
selbst geklagt, die mit Unterbrechungen bis in die ersten Tage des 
August andauerten; dazu traten vom 3. VIII. an wieder Schwindel- 
anfälle beim Aufsitzen im Bett, fortwährende Eingenommenheit des 
ganzen Kopfes, sowie Schmerzen beim Einspritzen und bei Schluck- 
bewegungen. Die Eiterung wurde gegen Ende August sehr profus. 
Temp. nicht über 37,6. 


Vom 30. VII. wieder zeitweise grünes Erbrechen. Temperaturen 
bis 38,6. 

In der Nacht vom 14. auf 15. IX. erwachte Pat. mit furibunden 
Kopfschmerzen ; mehrmals Erbrechen, Pupillen eng, schlecht reagirend, 
Singultus, starker Schwindel, auch im Liegen, kahnförmig eingezogener 
Unterleib, bei Berührung sehr empfindlich. 


15. IX. Vormitt. heftiger Schüttelfrost, Nachmitt. Temp. 39,0, 
Puls 82. In der folgenden Nacht Temp. 39,8, Puls 128. 


16. IX. Morgens Bewusstlosigkeit. Zeitweise Zuckungen in der 
linken Gesichtshälfte und im rechten Arm. Ausgesprochene Nacken- 
starre. Temp. stieg Nachmitt. auf 41,1. Puls 152. Aussetzendes 
Athmen. Trachealrasseln.. Andauerndes Coma. Tod am 16. IX. Abends. 

Die Therapie hatte sich auf antiseptische Borsäurebehandlung und 
Abtragung der Wucherungen beschränkt, welche im Laufe der Behand- 
lung 16 mal hatte ausgeführt werden müssen. 


Allgemeine Section. 
Circumscripte Pachy- und diffuse Leptomeningitis. 


Dura hochgradig gespannt, starke durchscheinende Gefässinjection. 
Der grosse Längsblutleiter enthält viel flüssiges Blut. Arachnoidea 
durchweg stark gelblich, milchig getrübt, besonders entlang den Sulcis. 
Gefässe der Pia strotzend gefüllt. 

Nach Herausnahme des Gehirns findet sich viel blutig trüb seröse 
Flüssigkeit in der hinteren und mittleren Schädelgrube. 

Die Dura über dem Tegmen tympani trägt eine haselnussgrosse 
grauröthliche Granulation, in deren Umgebung sich freies eitriges Exsu- 
dat findet. 

Die weichen Häute über den beiden Fossae Sylvii, besonders an 
deren medialen: Ende, über deın ganzen Chiasma und dem Pons bis zum 
Anfangstheil der Medulla oblongata sowie auf dem ganzen Oberwurm 
sind eitrig infiltrirt. An der den eben genannten Theilen entsprechenden 
Innenfläche der Dura findet sich in dünner Schicht freier Eiter. 

Die beiden Seiten- und der 3. Ventrikel sind erweitert und ent- 
halten reichliche sero-sanguinolente Flüssigkeit. 

Zeitschrift für Ohrenheilkunde Rd. XXXI. 6 


82 Fr. Bezold: Die Feststellung einseitiger Taubheit. 


Die Hirnsubstanz zeigt vermehrten Glanz und zahlreiche Blutpunkte. 
Beide Corpora striata, sowie die Thalami optici sind an der Oberfläche 
grauröthlich verfärbt. Im linken Corpus striatum erstreckt sich diese 
Verfärbung bis zu 1cm in die Tiefe. Nirgends ein Gehirnabscess. 

Oberlappen der Lungen beiderseits mit der Pleura costalis ver- 
wachsen. In der Spitze des linken Oberlappens ein derber, beim 
Schneiden knirschender Knoten, auf seinem Durchschnitt von grau- 
schwärzlicher Farbe, etwas weiter nach abwärts zahlreiche cirrhotische 
Stellen bis zu Erbsengrösse, an der Basis dieses Lappens ein haselnuss- 
grosser, weissgelblicher, verkäster Knoten. 


Section des linken Schläfenbeins. 


Die Dura ist über der ganzen oberen Pyramidenwand verdickt 
und trägt an der Stelle des Tegmen tympani eine haselnussgrosse, grau- 
rothe Granulation; auch an der Rückwand, besonders um den Eingang 
in den Porus acusticus internus ist sie stark verdickt; der Sinus transversus 
dagegen ist vollständig normal und ebenso wie die Vena jugularis leer. 

Bei der Besichtigung des Gehörgangs mit dem Spiegel findet sich 
nach der Ausspülung des Secrets eine graue Fläche an Stelle des 
Trommelfells. Hinten oben liegt noch etwas Eiter und lässt sich die 
Sonde hier in die Mittelohrräume vorschieben. 

Nach Entfernung der vorderen unteren Gehörgangswand findet sich 
im innersten Theil des Meatus nach vorne unten eine dunkelgraurothe 
Wucherung, die ihren Ursprung von der vorderen unteren Paukenhöhlen- 
wand nimmt. 

Nach Ablósung der Dura kommt eine ausgedehnte, mit dunkelgrau- 
rothen Granulationen und mehrfachen, theilweise losgelösten Sequestern 
ausgefüllte Höhle zum Vorschein. deren Lage der Paukenhöhle und 
einem Theil des inneren Ohres entspricht. Von den Gehörknöchelchen 
ist nichts mehr vorhanden. 

Eine zweite mit Sequestern und Granulationen ausgefüllte grössere 
Lücke findet sich in der hinteren Wand der Pyramide und erstreckt 
sich bis in den Porus acusticus internus. Die Dura zeigt über den 
beiden Lücken in der oberen und in der hinteren Wand der Pyramide 
ihre stärkste Verdickung. 

Ein parallel dem Trommelfell-Sulcus durch die Paukenhöhle gelegter 
Sägeschnitt zeigt die sämmtlichen Haupträume des Mittelohres und das 
innere Ohr in eine gemeinsame mit tiefrothen, succulenten Granu- 
lationen und vielfachen Sequestern ausgefüllte Kloake umgewandelt. 

Nach vorne in dieser Höhle, noch in situ aber als voll- 
ständig beweglicher Sequester, findetsich die Schnecke. 
Ein grösserer Sequester liegt in dem ebenfalls mit succulenten Granu- 
lationen ausgefüllten Antrum mastoideum. 

Ausser dem Antrum selbst finden sich auf dem ganzen Durchschnitt 
in der Pars mastoidea durchaus keine Zellen, sondern dieselbe ist in 
ihrer ganzen Ausdehnung vollständig sclerosirt. Ihre Dicke vom Antrum 
bis zur Aussenfläche beträgt mindestens 15 mm. 


Sechs weitere Fälle von Labyrinthnekrose. 83 


Zusammenfassende Betrachtungen über Labyrinthnekrose. 


Die einzelnen Erscheinungen kehren bei der eitrigen Entzündung 
des Labyrinths, welche zur Ausstossung von Knochentheilen desselben 
führt, mit einer solchen Regelmässigkeit wieder, dass ich im Stande 
bin, auf Grund meiner eigenen nunmehr 11 Beobachtungen ein genügend 
scharfes Bild dieser Vorgänge zu entwerfen und demselben auch noch 
einige bis jetzt nicht bekannte neue Züge hinzuzufügen. 

So ist es mir möglich geworden, bei den letzten Fällen, welche 
im otiatrischen Ambulatorium des Münchener klinischen Instituts zur 
Beobachtung kamen, auf Grund des charakteristischen Befundes schon 
Monate vorher das künftige Erscheinen eines Labyrinthsequesters voraus- 
zusagen, den ich dann später in Wirklichkeit extrahiren konnte. 


Aetiologie. Nach allen unseren Erfahrungen muss die Labyrinth- 
nekrose als eine der Folgekrankheiten bezeichnet werden, welche sich 
an die chronischen Mittelohreiterungen anschliessen. 

Beweisend für diesen ursächlichen Zusammenhang ist einerseits die 
fast durchgängig anamnestisch festzustellende jahrelange Dauer einer 
Otorrhöe, andererseits die ausgedehnten Zerstörungen, welche sich im 
Mittelohre vorfinden, meist totale Zerstörungen des Trommelfells mit 
gleichzeitigem Defect am innersten Theil der oberen hinteren knöchernen 
Gehörgangswand und mehr oder weniger vollständiger Verlust der Ge- 
hörknöchelchenkette. 

Der Beginn der Eiterung wurde unter meinen 11 Fällen 2 mal 
auf Scharlach, 1mal auf ein Trauma, einen Hufschlag in der 
Kindheit, zurückgeführt. In den übrigen Fällen blieb die Ursache für 
den Ursprung der Mittelohreiterung unbekannt. 

Die Erkrankung betraf durchgängig sonst gesunde Individuen, und 
auch die purulente Mittelohrentzündung verschwand nach der Ausstossung 
des Sequesters regelmässig in kurzer Zeit. 

Bei einer Kranken (Fall 10) lag nicht nur auf dem afficirten, 
sondern auch auf dem anderen Ohr der charakteristische Befund von 
Cholesteatom vor, nämlich Auskleidung der durch die umfangreiche 
Zerstörung der Gehörgangswand weit geöffneten Mittelohrräume mit 
Epidermis und Ansammlung von Epidermislamellen nebst ihren Zerfalls- 
producten im hinteren oberen Theil derselben. 

Als besonders bemerkenswerth für die Pathogenese der Labyrinth- 
nekrose muss ich hervorheben, dass die von mir gesehenen Fälle 
insgesammt erst zu einer Zeit in Behandlung getreten sind, als die 


6* 


84 Fr. Bezold: Die Feststellung einseitiger Taubheit. 


Symptome für ein Uebergreifen des Suppurationsprocesses auf das La- 
hyrinth schon unzweifelhaft ausgesprochen waren, und dass die ursächliche 
chronische Mittelohreiterung vorher nur eine mangelhafte oder keine 
Behandlung erfahren hatte. 

Im Gegensatz zu diesen 11 Fällen, in denen die Sequestrirung von 
Theilen des knöchernen Labyrinths regelmässig schon mehr oder weniger 
weit vorgeschritten war, habe ich unter der grossen Zahl der ausserdem 
von mir gesehenen chronischen Mittelohreiterungen, welche, je nach den 
Indicationen, entweder einer einfach antiseptischen oder einer operativen 
Behandlung unterzogen werden konnten, und von denen doch die Mehr- 
zahl in vieljähriger zeitweiser Controle bei mir steht, nicht ein einziges 
Mal Gelegenheit gehabt, im Laufe dieser Zeit die Ausstossung eines 
Labyrinth-Sequesters zu beobachten. 

Die hier aufgezählten Erfahrungen und Erwägungen haben in mir 
die Ueberzeugung befestigt, dass es keineswegs eine besondere Form 
von suppurativen Processen, etwa mit eigenartigen Krankheitserregern, 
oder irgend eine besondere Krankheits-Diathese des Allgemeinorganismus 
ist, welche zu der in Rede stehenden schweren Complication die Ver- 
anlassung giebt, sondern dass für ihre Entstehung, ebenso wie für die- 
jenige wohl der grossen Mehrzahl von schweren und letalen im Mittel- 
ohr ihren Ausgang nehmenden Complicationen überhaupt, in erster 
Linie die Vernachlässigung des localen Processes verant- 
wortlich gemacht werden muss. Vielleicht wird die Labyrinthnekrose 
einmal eine unbekannte Krankheit werden in der allerdings vorläufig 
vergebens von uns erstrebten Zeit, in der die Ohrenheilkunde Gemeingut 
der Aerzte geworden sein wird. 

Unter den 1886 aus der Literatur von mir zusammengestellten 
Fällen befand sich auch der seither oft eitirte Fall von Christinneck, 
welcher nach seiner Anamnese und, seinem Verlauf eine besondere 
Stellung einnimmt und mich damals!) an eine primäre in Nekrose 
endende Eiterung des Labyrinths denken liess. Dazu sind später noch 
ein ähnlicher Fall von Kretschmann?) und ein dritter von Traut- 
mann?) gekommen. 

Seitdem ist jedoch ein spä*er oder ganz fehlender Eintritt des Trommel- 
fell-Durchbruchs gerade bei schweren und weitgreifenden Eiterungs- 
processen im Mittelohr von Anderen und mir so häufig beobachtet worden, 


| 1) cf. Labyrinthnekrose etc., 8. 51. 


2) Arch. f. Ohrenheilk., Bd. XXIII, 5. 230. 
3) Ibidem, Bd. XXIX, S. 88. 


Sechs weitere Fälle von Labyrinthnekrose. 85 


dass ich heute im Einverständniss mit wohl den meisten Autoren die 
Diagnose »primäre Labyrinthnekrose« auch für diese Ausnahmefälle 
nicht mehr gelten lassen möchte. 

Die blosse Anamnese, auf welcher man bei allen diesen drei Fällen 
basiren müsste (denn keiner derselben konnte von Anfang an beobachtet 
werden) ist eine zu schwache Stütze, um daraufhin ein ganz neues und 
noch dazu allen unseren sonstigen pathologischen Erfahrungen wider- 
sprechendes Krankheitsbild aufzustellen. 

Die drei Fälle lassen meines Erachtens nur den Schluss zu, dass 
ausnahmsweise einmal auch eine acute Mittelohreiterung zu Labyrinth- 
nekrose führen kann, während ihr sonst durchweg chronische Processe 
zu Grunde liegen, 


Um den Weg etwas genauer kennen zu lernen, welcher beim 
Uebergreifen der Eiterung auf das Labyrinth in der 
Regel begangen wird, können uns die Abgrenzung und der Um- 
fang der zur Ausstossung gekommenen Sequester einige brauchbare Auf- 
schlüsse geben. 

Unter den 9 ') Fällen, in welchen ich die Sequester selbst extrahirt 
habe, bestanden sie 6mal ausschliesslich, 1 mal zugleich mit einem 
Vorhofsanhang, aus dem mehr oder weniger vollständig erhaltenen 
inneren Knochengerüst der Schnecke. 

Unter den übrigen 2 Fällen umfasste der eine Sequester, der 
bereits in der ersten Kindheit ausgestossen worden war, den grössten 
Theil des Felsenbeins mitsammt dem knöchernen Labyrinth. 

In dem zweiten Fall gehört der Sequester nach seiner Form aller 
Wahrscheinlichkeit nach ausschliesslich der Wand des Vorhofes an. 

In dem 10. Fall, in welchem der Sequester bereits vom behan- 
delnden Arzte entfernt und nicht mehr vorhanden war, hatte er nach 
dessen Beschreibung »eine gekrümmte Röhre« dargestellt und konnte 
somit ebensowohl einen halbzirkelförmigen Kanal als dem Schnecken- 
kanal angehört haben. | 

Auch in dem Sectionsfall endlich lag ausser anderen ein Schnecken- 
sequester vor. 

Es ist somit weitaus am Häufigsten das innere 
Schneckengerüste, meist mit Betheiligung der ganzen 
oder eines grossen Stückes der ersten Windung, welches 
der Nekrose anheimfällt. 


1) 5 derselben sind in „Labyrinthnekrose etc.“ abgebildet. 


86 Fr. Bezold: Die Feststellung einseitiger Taubheit. 


Wenn wir die Mittelohreiterung als Ursprungserkrankung annehmen, 
wofür der Entwicklungsgang in fast allen bis jetzt beobachteten Fällen 
spricht, so sind hauptsächlich zwei Wege möglich, auf denen die so 
häufig betroffene Schnecke in Mitleidenschaft gezogen werden kann: 

Erstens in Folge von Miterkrankung der am Boden der Pauken- 
höhle und des Tubenanfanges liegenden kleineren Zellen, welche die 
Schnecke mehr oder weniger weit nach einwärts von unten her um- 
greifen. Dieses System von Zellen, das mit demjenigen des Warzentheils 
nicht communicirt, stellt bekanntlich ein Homologon der bei den Säuge- 
thieren vorhandenen Bulla ossea dar. 

Zweitens in Folge eines Durchbruches in die Schnecke selbst 
nach Zerstörung der zarten Membran des runden Fensters. 

Im ersten Falle müssten wir erwarten, dass meist auch wenigstens 
Theile der unteren Schneckenkapsel im Zusammenhang mit der so 
häufig betroffenen Schneckenspindel zur Ausstossung kommen würden. 
Es konnten aber nur in zwei Fällen gleichzeitig neben der Schnecken- 
spindel noch einzelne isolirte kleine der Kapsel angehörige Stücke 
entfernt werden. 

Meistens besteht der abgestossene Knochen nur aus einem grösseren 
oder kleineren Stück des inneren Schneckengerüstes. Auffällig häufig 
findet sich daran der Anfangstheil der ersten Windung, hie und da 
auch eine Fortsetzung in die benachbarte Vorhofswand. 

Die Herkunft und Abgrenzung der sequestrirten Knochenstücke 
spricht somit mehr für den zweiten der genannten Wege, nämlich 
für eine Invasion der Labyrinthhöhle durch das runde 
Fenster. 

Als bemerkenswert möchte ich hier weiter hervorheben, dass in 
den zwei einzigen meiner Fälle, bei welchen die Ausstossung im 
frühesten Kindesalter erfolgt war, beide Male auffällig umfangreiche 
Sequester, einmal die ganze Schneckenspindel in Zusammenhang mit 
einem grossen Stück des Vorhofes und dem Porus acust. int., das an- 
dere Mal der grösste Theil des Felsenbeins mit Einschluss der ganzen 
Labyrinthkapsel zu Tage gekommen sind, während die übrigen Sequester, 
welche ich beim Erwachsenen extrahiren konnte, sämmtlich nur einen 
kleinen Theil des Labyrinths dargestellt und bis auf einen Fall alle 
dem inneren Schneckengerüst angehört haben. 

Auch eine Zusammenstellung der in der Literatur 'niedergelegten 
Casuistik liess mir die Differenz in der räumlichen Ausdehnung der 
Labyrinthnekrose zwischen Kindern und Erwachsenen deutlich hervortreten. 


Sechs weitere Fälle von Labyrinthnekrose. 87 


Es fand sich nämlich unter 36 Exfoliationen beim Erwachsenen 
(meine Fälle nicht mit eingerechnet) 17 Mal, d.i. in 51,5 °/,, dagegen 
unter 27 Kindern nur 9 Mal, d. i. 33,3 °/, eine Beschränkung der 
Exfoliation auf das Schneckengerüst. Unter diesen 9 Kindern befindet 
sich nur ein ljähriges und je ein 7 und S8jähriges; alle übrigen 
waren zur Zeit der Ausstossung über 10 Jahre alt. 

Ein Ueberblick der Casuistik im Ganzen ergiebt also, dass die 
Sequesterbildung in den ersten Lebensjahren eine viel 
grössere Ausdehnung über das Felsenbein und dessen 
Nachbarschaft erreicht, als in den späteren Jahren. 


Nach Alledem ist die Annahme gerechtfertigt, dass die Ent- 
stehungsweise der Labyrinthnekrose in denersten Lebens- 
jahren häufig eine andere ist, als beim Erwachsenen. 
Es kann hier entweder ein suppurativer Entzündungprocess der sehr 
entwickelten und blutreichen spongiösen Substanz in der Um- 
gebung des Labyrinths (die Zellen am Boden sind hier noch un- 
entwickelt) oder es können extradurale Eiterungsprocesse sein, 
welche, nachdem sie vom Mittelohr ihren Ausgangspunkt genommen, zur 
Sequestrirung von grüsseren Stücken des Felsenbeins und in dessen 
Nachbarschaft führen. 


Vielleicht ist in diesem grösseren Umfange der Labyrinthsequester 
aus den ersten Lebensjahren auch der Grund zu suchen, warum über- 
haupt die Labyrinthnekrose von den Autoren bis jetzt so häufig im 
Kindesalter gesehen worden ist, indem die umfangreichen Sequester 
dieses Alters der Beobachtung weniger leicht entgehen konnten, als die 
kleinen und leicht zerbrechlichen Knochenfragmente, wie sie im späteren 
Alter zu erscheinen pflegen. 

Unter meinen eigenen Fällen wenigstens konnte ich ein derartiges 
Vorwiegen des kindlichen Alters keineswegs constatiren; sie vertheilen 
sich vielmehr mit ziemlicher Gleichmässigkeit auf die sämmtlichen 
Altersstufen. 

Nach meinen eigenen Beobachtungen besteht also keine besondere 
Prädisposition im kindlichen Lebensalter, wie ich eine solche nach 
meiner damaligen Zusammenstellung der in der Literatur vorhandenen 
Casuistik annehmen zu müssen glaubte. 

Nur die Grundkrankheit selbst, die suppurative Mittelohrentzündung 
datirt in der Mehrzahl der Fälle bis in die Jugendzeit zurück, wo sie 
durch die acuten Exantheme, durch Traumen oder die verschiedenen 


88 Fr. Bezold: Die Feststellung einseitiger Taubheit. 


anderen Ursachen entstanden sein kann, wie sie den chronischen Formen 
zu Grunde liegen. 


Einer kurzen Erörterung bedarf noch die Frage, ob und in wie 
weit die auf das Gehörorgan localisirtte Tuberculose eine Rolle bei 
der Entstehung der Labyrinthnekrose spielt. 


Dass im Endstadium der Otitis media purulenta phthisica cariöse und 
nekrotische Processe regelmässig vorhanden sind und so häufig, wie viel- 
leicht bei keiner anderen Erkrankung auch Zerstörungen an der Labyrinth- 
wand und den Labyrinthfenstern zu Stande kommen, das lehrt uns die 
tägliche klinische und pathologisch anatomische Erfahrung. Trotzdem führt 
diese Erkrankung jedenfalls nur ganz ausnahmsweise zu einer wirklichen 
Ausstossung von Labyrinththeilen. Unter den von mir gesehenen Labyrinth- 
nekrosen befand sich kein Fall mit Symptomen von florider Tuberculose. 
Ferner konnte ich weder im Leben, noch unter meinen 39 von Hegetsch- 
weiler veröffentlichten Sectionsberichten über die phthisische Erkrankung 
des Ohres!) und ebensowenig in den später von mir gesehenen Fällen ein 
einziges Mal die Ausstossung, resp. Demarkirung von Labyrinththeilen be- 
obachten. Bei den Phthisikern kommt es für gewöhnlich überhaupt nicht zu 
einer eigentlichen Wanderung und schliesslich Eliminirung von Sequestern 
durch den Gehörgang. Es erklärt sich dies aus der in der Regel un- 
gemein geringen, meist ganz fehlenden Granulationsbildung in der Um- 
gebung der Sequester, deren Vorhandensein in den Mittelohrräumen ja 
zu den nahezu constanten Befunden bei Otitis media purulenta phthisica 
in einem späteren Stadium gehört. Zur Demarkation von ausser Er- 
nährung gesetzten Labyrinththeilen ist aber eine starke entzündliche 
Reaction und Granulationsbildung in deren Umkreis nothwendige Vor- 
bedingung. So häufig hier die Promontorialwand, sowohl am Lebenden 
als an der Leiche, blossliegend und rauh und die Fenster theilweise oder 
ganz zerstört gefunden werden, so war ich doch noch niemals im Stande, 
eine Demarkationsliniie um diese nekrotischen Knochenstellen beim 
Phthisiker auffinden zu können. 


Mit Absicht babe ich gerade diesen Gegensatz zwischen den Laby- 
rinthnekrosen und den phthisischen Knochenprocessen im Ohre hier am 
Ende der Besprechung über die Pathogenese der ersteren hervorgehoben. 
Es berechtigt uns zu der Schlussfolgerung, dass die üppige Granulations- 
bildung, wie wir sie jedesmal der Ausstossung dieser Sequester voraus- 
gehen sahen, als der Ausdruck für die normale Reactionsfähigkeit 


1) Bergmann, Wiesbaden 1895. 


Sechs weitere Fälle von Labyrinthnekrose - 89 


eines im Uebrigen gesunden Organismus aufzufassen ist und ein un- 
entbehrliches Glied in der Reihe von Heilungsvorgängen darstellt, welche 
zu ihrer schliesslichen Eliminirung führen. 


Das Krankheitsbild selbst, unter welchem uns die Labyrinth- 
nekrose entgegentritt, ist a. a. O. von mir bereits eingehend geschildert 
worden, und ich möchte mich hier auf einige kürzere Bemerkungen 
und Zusätze beschränken. 


Um die Zeit zu bestimmen, welche vom Beginn der 
Labyrinthinvasion bis zur Ausstossung von Sequestern 
verläuft, müssten wir in der Lage sein, das Hörvermögen noch 
vor dem Eintritt der Complication zu prüfen und dann regelmässig 
weiter verfolgen zu können. 

Da die von mir gesehenen Kranken fast durchgängig erst wenige 
Wochen oder Monate vor der Ausstossung des Sequesters durch den 
Gehörgang, Einzelne auch erst nach derselben in meine Behandlung 
traten, so konnte ich nur bei Allen den bereits eingetretenen voll- 
kommenen Gehörsverlust constatiren, auf welchen wir später noch zurück- 
kommen werden. 

Die Anhaltspunkte, welche uns allenfalls die Anamnese über den 
Beginn der einseitigen Taubheit geben könnte, sind so unverlässig, dass 
sie als nahezu werthlos bezeichnet werden müssen. 


Die Gleichgewichtsstörungen, welche eine ziemlich regel- 
mässige Begleiterscheinung bilden (nur in zweien meiner Fälle sollen 
sie nach der Aussage der Kranken während des ganzen Verlaufes ge- 
fehlt haben), sind theilweise gleichzeitig mit Sausen, in einzelnen 
Fällen auch mit Erbrechen eingetreten und müssen dem Kranken 
mehr auffallen als der Eintritt der einseitigen Taubheit auf einem 
schon vorher schwerhörigen Ohre. 


Da die Schwindelerscheinungen sich nach Ausstossung der Sequester 
in der Regel vollkommen verlieren, so dürfen wir sie, ebenso wie das 
gleichzeitige Sausen und Erbrechen, als Reizungssymptom der Nerven- 
endigungen in Säckchen und Ampullen auffassen, wie dies ja auch den 
Ergebnissen der vielfachen in dieser Richtung angestellten physiolo- 
gischen Experimente und unseren eigenen sonstigen klinischen Erfahrungen 
entspricht. 

Es machen sich diese Erscheinungen nicht nur im Beginne der 
Labyrintherkrankungen geltend, sondern sie können bis wenige Wochen 


90 Fr. Bezold: Die Feststellung einseitiger Taubheit. 


vor der Ausstossung des Sequesters mit mehr oder weniger vollständigen 
Intervallen fortbestehen. 


Von zwei Kranken (Fall 8 und 9), deren Angaben auch sonst den 
Eindruck besonderer Zuverlässigkeit machen, wurde das erste Auftreten 
des Schwindels auf mehr als 1 Jahr, respective auf 8 Monate vor der 
Sequesterausstossung zurück datirt, was in letzterem Falle sich dem 
Gedächtniss der Kranken um so bestimmter einprägen konnte, als 
dieser erste Anfall 2 Tage andauerte und mit Erbrechen und Sausen 
verbunden war. In diese Zeit dürfen wir also wahrscheinlich das 
Uebergreifen der ursprünglich allein vorhandenen Mittelohreiterung auf 
die Labyrinthräume verlegen. 

Die Facialis-Parese oder Paralyse, welche zu den regel- 
mässigen Begleiterscheinungen der Labyrinthnekrose gehört, ist bei den 
Kranken, welche genauere Angaben über den Anfang der Erscheinungen 
machen konnten, dem ersten Schwindelanfall meist ein oder mehrere 
Monate später nachgefolgt. Dieselbe ist, ebenso wie das Aufschiessen 
üppigerer Granulationen in der Paukenhöhle um diese Zeit, aller 
Wahrscheinlichkeit nach bereits als ein Symptom für die fort- 
schreitende Demarkirung und beginnende Wanderung des 
Sequesters zu beobachten. 

Was die Häufigkeit der Facialislähmung betrifft. so 
habe ich dieselbe in meiner früheren Arbeit auf 80 °/, festgestellt. 
Wahrscheinlich ist diese Procentzahl noch zu niedrig. Denn unter den 
10 Fällen, welche ich selbst im Leben gesehen habe, konnte das vor- 
übergehende oder dauernde Vorhandensein meist totaler Facialisparalyse 
9 Mal festgestellt werden. Auch im 10. Falle, der erst 6 Jahre nach 
Entfernung des Sequesters zur Untersuchung kam, hat sicher längere 
Zeit vollständige Paralyse bestanden. Das ergibt unzweifelhaft der in 
meinem Besitz befindliche Sequester von diesem Falle. Derselbe hat 
nämlich unter allen von mir gesammelten Labyrinth-Sequestern weitaus 
den grössten Umfang und enthält auch so ziemlich den ganzen 
Canalis Faloppiae.') Trotzdem war bei der 6 Jahre später persön- 
lich erfolgten Controlle keine Spur mehr von Facialisparalyse vor- 
handen. 

5 Mal ist die Paralyse dauernd geblieben und war, wie mir die 
spätere Controlle in 4 dieser Fälle ergab (der 5. ist kurz nach der 
Ausstossung an Meningitis gestorben), noch nach 10, 12 resp. 14 Jahren 


1) cf. Labyrinthnekrose und Facialisparalyse, Taf. Fig. IV. 


Sechs weitere Fälle von Labyrinthnekrose. 91 


über sein ganzes Gebiet ausgebreitet, wenn auch bei 3 Kranken (Fall 
2, 3 und 6) einzelne Muskeln fibrilläre Zuckungen zeigten und theil- 
weise eine beschränkte willkürliche Bewegungsfähigkeit wieder erlangt 
hatten. Im 4. Falle war das ganze Gebiet nach 14jähriger Dauer 
vollkommen unbeweglich geblieben (Fall 4, Nachtrag). 

Bei meinen übrigen Kranken hatte die Paralyse nur kürzere Zeit 
bestanden und war schon vor der Entfernung der Sequester wieder 
verschwunden. 

Ein Symptom, das ebenfalls in keinem meiner Fälle gefehlt hat, 
sind lang audauernde Schmerzen so hohen Grades, dass sie die 
Kranken oft für Wochen und Monate vollkommen schlaflos machen. 
Sie sind es auch in erster Linie, auf welche das allgemeine schwere 
Darniederliegen und die hochgradige Abmagerung im Verlauf des 
Processes zurückzuführen sind. 

Ihr Beginn wurde von den Kranken meist mehrere, bis 9 Monate 
vor der Ausstossung zurückdatirt.. In den ersten Monaten nehmen sie 
die ganze Kopfhälfte ein und sind wahrscheinlich, wenigstens theilweise, 
durch gleichzeitige meningitische Reizung bedingt, da öfters zugleich 
Fieber, galliges Erbrechen etc. in dieser Zeit vorhanden sind. Später, 
wahrscheinlich zur Zeit, in welcher der Sequester seine Wanderung 
beginnt, werden sie mehr in das Ohr selbst localisirt und nehmen 
einen mehr stechenden Character an. Zwei Kranke haben in dieser 
späteren Zeit auch über ein bei jeder Schluckbewegung eintretendes 
Stechen im Ohr geklagt. 

Mit dem Beginn aller dieser Erscheinungen oder auch schon längere 
Zeit vorher wird die Otorrhöe profuser, und es wurde stets ein 
rahmiges, in der Spritzflüssigkeit diffus sich vertheilendes, höchst fötides 
Secret gefunden. 

Ebenso waren ausnahmslos in sämmtlichen von mir gesehenen Fällen 
polypöse Wucherungen bereits bei der ersten Untersuchung vor- 
handen und, wo Angaben der vorher behandelnden Aerzte vorlagen, 
schon wiederholt abgetragen worden. Dieselben entspringen aus den 
Mittelohrräumen und ragen mehr oder weniger weit in den Gehörgang 
hinein. Ihre Bildung ist eine so ausserordentlich üppige, dass sie nach 
Abtragung von der Basis gewöhnlich in 3—4 Tagen wieder etwa 
Erbsengrösse erreichen. 

Ueber ihren Ursprung und eine bis jetzt nicht beschriebene Eigen- 
thümlichkeit derselben hat mich besonders der Fall 10 aufgeklärt, in 
welchem sich die Labyrinthnekrose an ein vorher bestehendes Cholesteatom 


92 Fr. Bezold: Die Feststellung einseitiger Taubheit. 


anschloss, und die Mittelrohrräume in Folge der auf die hintere obere 
Gehörgangswand sich erstreckenden Zerstörung ungewöhnlich vollkommen 
zu überschauen waren. 

Es fanden sich hier zwei übereinanderliegende Mamma- artige 
Wucherungen an der Innenwand der Paukenhöhle. Die obere derselben 
enthielt, wie sich nach der Abtragung zeigte, den Rest des Hammers, 
seinen Griff ohne Hals und Kopf. Von jetzt ab bildete sich am unteren 
vorderen Theil der inneren Paukenhöhlenwand regelmässig alle 3 bis 
4 Tage eine circa erbsengrosse Wucherung, auf deren Höhe man immer 
von Neuem einen Eitertropfen hervorquellen sah. Bei der Sondirung 
dieser Stelle kam die Sonde auf blossliegende Knochen. Diese Wucherung 
nun, welche bis zum Erscheinen des Sequesters mindestens 15 Mal 
recidivirte und von Neuem entfernt werden musste, erwies sich jedes- 
mal, wenn ihre Abtragung vollständig gelang, central perforirt. 

Eine derartige centrale Durchbohrung habe ich früher nur in den 
zapfenföürmigen Wucherungen constatiren können, wie sie sich bei pro- 
trahirter Otitis media purulenta acuta bilden, und habe auf diese 
Eigenthümlichkeit seinerzeit zuerst auf der X. Versamml. süddeutsch. u. 
Schweiz. Ohrenärzte in Nürnberg!) die Aufmerksamkeit gelenkt. 

Seitdem habe ich ausser in dem obigen auch sonst noch in einigen 
chronischen Fällen ebenfalls ähnliche immer recidivirende Wuche- 
rungen mit centraler Perforation abtragen können, welche allerdings 
meist grösser sind, als die auf der Trommelfellöffnung bei acuter Mittel- 
ohreiterung entstehenden Zapfenbildungen. Wiederholt liess sich schliess- 
lich als Ursache derselben ein kleinerer unter ihnen gelegener Sequester 
constatiren, z. B. einmal ein aus dem kurzen Fortsatz bestehendes 
Rudiment des Ambos. 

Bis zu dem oben mitgetheilten Falle hatte ich früher auf diese 
Eigenthümlichkeit der bei Labyrinthnekrose sich bildenden Wucherungen 
nicht geachtet, und es ist wohl möglich, dass sie sich häufiger oder so- 
gar constant an denselben vorfindet. 


Ueber die Behandlung der Labyrinthnekrose kann ich 
mich kurz fassen. Sie bestand ausser der regelmässig durchge- 
führten antiseptischen Reinigung und nachträglichen Einstäubung von 
Borsäure, wo es anging mittelst des Paukenrölhrchens, meist ausschliess- 
lich in der möglichst häufig und sorgfältig durchgeführten Abtragung 
der Wucherungen, vorwiegend mit der Schlinge, hie und da mit Üuretten. 


1) S. Referat in der Zeitschr. f. Ohrenheilk. XIX, S. 120. 


Sechs weitere Fälle von Labyrinthnekrose. 93 


Dass diese Behandlung bei weitem Gehörgange und Fehlen von Aus- 
breitungserscheinungen genügt, geht daraus hervor, dass meist schon 
nach den ersten Abtragungen der Wucherungen die Schmerzen und 
etwaige Allgemeinerscheinungen verschwanden, ja auch die Facialis- 
paralyse mehrmals direct darauf zurückging, und selbst der bei An- 
wesenheit von Sequestern so hartnäckige Fötor in einzelnen Fällen noch 
vor Ausstossung sich vollständig verlor. 

Eine gewaltsame Entfernung des Sequesters, bevor er sichtbar oder 
wenigstens für die Sonde als’ leicht beweglich fühlbar ist, halte ich 
nicht für rathsam. 

Bezüglich der Insufflation von Borpulver möchte ich hier noch 
bemerken, dass sie in einem Falle dem Kranken jedesmal Schmerzen 
bereitete, eine Beobachtung, welche ich mehrmals bei schweren Nekroti- 
sirungsprocessen im Ohre gemacht habe. | 

Der Warzentheil zeigt, wenigstens symptomatisch, nur ausnahmsweise 
eine stärkere Betheiligung. In einem früheren Falle (4) bei einem 
1 t/ jährigen Kind mussten vor Ausstossung des grossen Labyrinth- 
Sequesters einige dem Warzentheil angehörige Sequester durch den 
Wilde’schen Schnitt entfernt werden (auf den ich mich übrigens heute 
bei der Eröffnung des Warzentheils nie mehr beschränke). Unter den 
späteren Fällen habe ich 2 Mal (Fall 8 und 9) wegen Enge des Gehör- 
gangslumens und drohenden Allgemeinerscheinungen die Radicaloperation 
mit Bildung des Körner’schen Lappens einige Zeit vor der Ausstossung 
des Labyrinth-Sequesters gemacht und damit demselben einen weiten 
Ausgangsweg für seine nachträgliche Eliminirung vorgebildet. 

Für Denjenigen, welcher sich gründliche Kenntnisse der Topographie, 
sowie aller hier vorkommenden anatomischen Variabilitäten erworben, 
und welcher die Operation bereits oftmals am Lebenden ausgeführt 
hat, bildet sie unzweifelhaft geringere Gefahren als der spontane Ver- 
lauf der Sequester-Elimination bei engem Gehörgang und bei irgend 
welcher Andeutung von Allgemeinsymptomen. Vielleicht wäre auch in 
dem einzigen von mir gesehenen Todesfall und ebenso in dem oben 
von mir referirten Fall, dessen Section ich machen konnte, der letale 
Ausgang durch eine frühzeitige Radicaloperation aufzuhalten gewesen. 

In den erwähnten beiden operirten Fällen und ebenso in dem ob- 
ducirten Falle fand sich der Warzentheil mit Ausnahme des Antrum 
mastoideum selbst solid und sclerosirt. 

Nach der Entfernung des Labyrinth-Sequesters hörte die Granu- 
_ lationsbildung sehr räsch auf und stand in allen Fällen, welche von 


94 Fr. Bezold: Die Feststellung einseitiger Taubheit. 


mir weiter verfolgt werden konnten, die Secretion bis auf die Bildung 
geringfügiger Borken und Epidermisschalen schliesslich definitiv still. 
Auf die Höhle einwirkende Schädlichkeiten können natürlich auch hier 
Recidive hervorrufen, die aber durch die Behandlung rasch zu be- 
seitigen sind. 

Der Endausgang der 10 von mir im Leben gesehenen Fälle 
war 6mal definitive Ausheiluug mit Epidermisirung der Höhle, deren 
Andauer mir eine persönliche Nachcontrolle dieser Fälle innerhalb der 
letzten Wochen ergeben hat. Auch bei dem 7. Fall (Krankengeschichte 1) 
hat nach der Mittheilung des behandelnden Arztes die Eiterung gänzlich 
aufgehört. Im 8. Fall (Krankengeschichte 4) hat sich nachträglich 
eine Atresie des knöchernen Gehörgangs gebildet. Der 9. Fall 
(Krankengeschichte 5) wurde nur 2mal von mir gesehen, und war 
bei meinen gegenwärtigen Recherchen bereits (nach den Mittheilungen 
des Gatten vielleicht an einer Complication von Seiten des anderen 
ebenfalls an schwerer Mittelohreiterung leidenden Ohres) gestorben. 
Letztere Schlussfolgerung erscheint dadurch berechtigt, dass P. mit 
Eintritt der Terminalerkrankung vollkommen taub geworden 
war. Die spontane Entfernung des Sequesters war 12 Jahre vor dem 
Tode erfolgt. Der 10. Fall (Krankengeschichte 7) hat, wie ich nach- 
'träglich erfuhr, 11 Tage nach der Entfernung des Sequesters, wahr- 
scheinlich in Folge von Meningitis, letal geendet. 


Functionelle Prüfung. 


Unser grösstes Interesse nimmt das Verhalten des Hör- 
vermögens bei Labyrinthnekrose in Anspruch, und ich möchte 
demselben daher hier noch eine gesonderte Besprechung widmen. 

Obgleich eine Reihe von Otologen geglaubt hat, nach der Aus- 
stossung von Labyrinththeilen noch Reste von Hörvermögen auf dem 
betroffenen Ohre constatiren zu können, habe ich doch schon auf Grund 
meiner früher mitgetheilten Fälle, sowie einer genauen Analyse der 
damals in der Literatur vorliegenden Beobachtungen von scheinbaren 
Hörresten nach Verlust des Labyrinths die Ueberzeugung ausgesprochen, 
dass derartige Hörreste nur durch die Unmöglichkeit vorgetäuscht wer- 
den, das andere intacte Ohr vollkommen vom Höract auszuschalten. 

Zu der gleichen Ueberzeugung ist Bec auf Grund seiner eine 
noch grössere Reihe von Beobachtungen zusammenfassenden Arbeit ge- 
kommen. Ebenso hebt von Stein in seinen »Lehren von den 











Sechs weitere Fälle von Labyrinthnekrose. 95 


Functionen der einzelnen Theile des Ohrlabyrinths«!) die vielfachen 
Fehlerquellen und Einwände hervor, welche die zahlreichen Fälle mit 
angeblich erhaltenen Hörresten zulassen. 

Unbedingt beweisend wäre das Verhalten einer grösseren Anzahl 
von doppelseitigen Labyrinthnekrosen. Die beiden einzigen in 
der Literatur vorliegenden von Gruber und Max mitgetheilten Fälle 
sind allerdings vollständig taub, das von Gruber beobachtete Kind 
auch taubstumm geworden. Aber man könnte immerhin noch einwenden, 
dass dieser Ausgang ja nicht durchgängig in allen Gehörorganen ein- 
zutreten braucht. 

Meine weiteren oben mitgetheilten Beobachtungen von Labyrinth- 
nekrose haben mich zwar die Schwierigkeiten der Prüfung auf einseitige 
Taubheit in vollem Maasse würdigen lehren. Einen verlässigen Anhalts- 
punkt für irgend einen zurückgebliebenen Rest von Gehör, der mit 
Sicherheit auf das labyrinthlose Ohr allein zu beziehen wäre, habe ich 
aber auch in diesen Fällen nicht gewinnen können. 


Die Sprache verhält sich in der bekannten Weise, dass bei 
verschlossenem gesunden Ohr eine Anzahl Worte auf einige Entfernung 
verstanden werden, aber nahezu oder ganz ebenso gut bei der Dennert- 
Lucae’schen Probe, d. h. wenn gleichzeitig auch das labyrinthlose 
Ohr verschlossen wird. 

Als auffällig und charakteristisch für die Sprachprüfung muss noch 
erwähnt werden, dass eine grössere Annäherung an das labyrinthlose 
Ohr das Verständniss nicht entfernt in dem Maasse bessert, wie bei 
jedem nur schwerhörigen Ohr, sondern dass im Gegentheil das Hörver- 
mögen desselben mit der Entfernung eher etwas zu wachsen scheint, . 
eine Erscheinung, die ihre genügende Erklärung durch den Guye’schen 
Hörschatten findet, welchen der Kopf für das hörende andere Ohr bildet. 

Allerdings scheint seine Wirkung wenigstens theilweise wieder auf- 
gehoben zu werden durch ein gewisses Maass von transversaler Leitung 
direct durch den Gehörgang und das offenstehende Mittelohr der 
labyrinthlosen Seite zum gegenüberliegenden Gehörorgan, welche insbe- 
sondere bei künstlich erweitertem äusseren Gehörgang, wie er nach der 
Radicaloperation vorzuliegen pflegt, für eine Reihe von Lauten vor- 
handen zu sein scheint (cfr. die Hörprüfung in Fall 8). 

Ein viel schärfer umschriebenes Bild als mit der Sprache erhalten 
wir mit der Verwendung von reinen Tönen zur Prüfung. 


1) Deutsch von Krzywicki, Jena, Fischer 1896, S. 158—166. 


96 Fr. Bezold: Die Feststellung einseitiger Taubheit. 


Erst seitdem mit Hülfe der continuirlichen Tonreihe zu dieser Prüfung 
das Gesammtgebiet des menschlichen Hörvermögens 
herangezogen werden konnte, war ein befriedigender Ueberblick über 
den Gesammtumfang der nach Labyrinthzerstörung vorliegenden Hör- 
defecte zu gewinnen. Ferner waren nur auf diesem Wege die Grenzen 
genauer festzustellen, für welche Theile der Scala und in welchem 
Umfang für bestimmte Tonhöhen ein Ausschluss des anderen hörenden 
Ohres überhaupt möglich ist. 


Ueber die Prüfungsergebnisse der osteo-tympanalen 
Leitung können wir hier kurz hinweggehen, weil dieselbe einen Aus- 
schluss des anderen Ohres noch viel weniger erlaubt als die Luftleitung. 


Die geringste Bedeutung ist dem Weber ’schen Versuch zuzumessen, 
da die Angaben über seinen Ausfall für uns niemals sicher zu controliren 
sind. Doch möchte ich erwähnen, dass unter meinen Fällen, soweit 
sie darauf zu prüfen waren, keiner sich fand, welcher von irgend einer 
Stelle des Schädels den Ton der Stimmgabel mit Sicherheit in das 
labyrinthlose Ohr verlegt hätte. 

Die Knochenleitungsdauer kann, jenachdem auf dem anderen 
Ohre ein Mittelohrprocess, normale Verhältnisse oder eine Erkrankung 
des inneren Ohres vorliegen, ebensowohl verlängert als verkürzt sein. 
gibt uns also wenigstens für das labyrinthlose Ohr auch keine ver- 
lässigen Anhaltspunkte. 

Der Rinne’sche Versuch mit a‘ oder tieferen Stimmgabeln fällt 
natürlich auf dem labyrinthlosen Ohre immer negativ aus, da diese 
Stimmgabeln per Luftleitung überhaupt nicht auf der betroffenen Seite 
gehört werden, vom Warzentheil derselben aus aber in das andere 
Ohr hinüberklingen. 

Als entscheidend für die Frage, ob ein labyrinthloses Ohr noch 
Hörreste besitzt, bleiben also nur die Untersuchungsergebnisse 
mit der aöro-tympanalen Leitung übrig. 

Sieben der obigen Kranken (Fall 2, 3, 4, 6, 8, 9 und 10) konnten 
von mir noch einer nachträglichen genauen Controle ihres Gehörs auch 
in dieser Beziehung unterworfen werden.!) 

Um die Ausdehnung und Grösse der Hördefecte eines Ohres für 
die Tonscala kennen zu lernen, haben wir 


1) Ueber zwei dieser sieben Fälle habe ich bereits auf der deutschen 
otolog. Vers. 1896 in meinem Referat „über den gegenwärtigen Stand der 
Hörprüfungen“ Mittheilung gemacht. 





Sechs weitere Fälle von Labyrinthnekrose. 97 


1. deuntere und obere Grenze der zur Perception kommenden 
Töne innerhalb der Scala und 

2. die Hördauer an einer Reihe von nicht zu weit auseinander 
liegenden Stellen innerhalb des im Einzelfall noch percipirten Stückes 
der Scala zu bestimmen. 


1. Bestimmung der unteren und oberen Hörgrenze. 

Die untere Hörgrenze wurde mit Hülfe der belasteten Stimm- 
gabeln meiner früheren Tonreihe und zugleich mit denjenigen der neuen 
Edelmann’schen Tonreihe festgestellt. Der Ton der letzteren ist ein 
gewaltig stärkerer, und es war daher von vorneherein zu erwarten, dass 
mit ihnen die Grenze beträchtlich tiefer herunterrücken würde. 

In der alten Tonreihe fand sich als unterer Grenzton 3 mal dis“, 
2mal g' und 1mal fis’. Die siebente Kranke (Fall 10), deren anderes 
Ohr starke Verkürzung für den unteren Theil der Scala von f‘ ab 
zeigte, hörte von den bis a’ reichenden belasteten Stimmgabeln der 
alten Reihe keine; erst das sehr stark klingende unbelastete a’ wurde 
von ihr percipirt. 

Abgesehen von diesem letzten Fall lag also bei den Uebrigen der 
untere Grenzton für die alte Tonreihe innerhalb der Quinte dis’ —fis‘, 
Diese untersten Töne werden nur bei allerstärkstem Anschlag mit dem 
elastischen Hammer ganz kurze Zeit direct am Ohr gehört. Desshalb 
ist mir ihre Perception bei früheren Untersuchungen öfters entgangen. 

In der neuen Edelmann’schen Reihe fand sich als unterer 
Grenzton je 1 mal a', fis’, dis, h und 3 mal a. 

Derselbe bewegt sich also hier zwischen der Octave a’—a. 

Bei der gewaltigen Tonstärke, welche für diese Prüfung verwendet 
werden muss, ist es schwierig. das andere Ohr genügend fest zu verschliessen. 

Dagegen war es leicht, den totalen Defect für die sämmtlichen 
weiter nach abwärts gelegenen Töne bei allen labyrinthlosen Gehör- 
organen nachzuweisen. Unterhalb des a der Edelmann ’'schen Ton- 
reihe, welches in Luftleitung für ein normales Ohr auf viele Meter 

Entfernung vernehmbar ist, wurde von keinem derselben eine Spur von 
irgend welchem Ton mehr gehört. 

Die obere Tongrenze wurde mittelst des modificirten Edelmann- 
Galtonpfeifchens bestimmt. Für das normale Ohr liegt dessen obere 
Grenze bei 0,2, für einzelne noch höher, bei 0,1, Sobald man von 
dieser oberen Grenze etwas tiefer heruntergeht, überzeugt man sich 
leicht, dass es unmöglich wird, durch noch so festen Verschluss des 

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXXI. 7 


98 Fr. Bezold: Die Feststellung einseitiger Taubheit. 


gesunden Ohres seinen scharf durchdringenden Ton ganz auszuschalten. 
Ein mehr oder weniger starker Verschluss lässt daher hier die Grenze 
noch viel stärker schwanken als am unteren Ende der Scala. 

Dem entsprechend sind hier meine Prüfungsergebnisse an den ver- 
schiedenen labyrinthlosen Ohren und auch bei den Prüfungen zu ver- 
schiedenen Zeiten sehr wechselnd ausgefallen. 

Nur einmal wurde die Grenze 0,4 erreicht; bei 5 Kranken 
schwankte sie zwischen 1,9 und 4,7; im 7. Fall endlich fand sich 
auch für die obere Grenze eine noch stärkere Verkürzung, nämlich bis 
auf 7,3. Dieser einzige Fall zeigte auch auf dem anderen Ohre von 
f“ aufwärts eine stärkere Beeinträchtigung für den oberen Theil der 
Scala. 

2. Bestimmung der Hördauer. 

Eine wirklich befriedigende Uebersicht über die etwa noch im 
labyrinthlosen Ohre selbst vorhandenen Hörreste erhalten wir erst, wenn 
wir ausser seiner unteren und oberen Hörgrenze auch die Continuität 
und die Hördauer innerhalb des vorhandenen Stückes für die einzelnen 
Töne in kürzeren Intervallen prüfen. 

Zu letzterem Zwecke kamen, ebenso wie bei meinen Taubstummen- 
untersuchungen, die unbelasteten Stimmgabeln A, a, a, a”, f", 
c” und fis‘‘‘ zur Verwendung. Da diese unbelasteten Stimmgabeln 
eine viel längere Schwingungsdauer besitzen, als die belasteten trotz der 
grösseren Intensität der letzteren direct nach dem Anschlag, so sind 
sie für die Messung der Hördauer besser geeignet. Denn die gleiche 
Differenz bedeutet bei den langsam ausklingenden Stimmgabeln einen 
viel kleineren wirklichen Fehler, als bei den rascher verklingenden. 
Wird die Hördauer beispielsweise um 5 Sec. zu kurz oder zu lang an- 
gegeben, so beträgt der Fehler für eine Stimmgabel mit 100 Sec. 
Hördauer nur !/,, ihrer ganzen Hördauer, dagegen für eine Stimmgabel 
mit 20 Sec. Hördauer schon !/, derselben. 

Kleine Beobachtungsfehler sowohl von Seiten des Kranken als des 
Untersuchers in Folge von mangelhaftem Verschluss des anderen Ohres, 
von Unruhe in der Umgebung etc. vergrössern sich also sehr bedeutend 
mit der Verkürzung der normalen Schwingungszeit, welche die zur 
Verwendung kommenden Stimmgabeln besitzen. 

Die Hördauern wurden, ebenso wie dies bereits von Hartmann, 
Gradenigo, Werhovsky und in meinen »Taubstummenunter- 
suchungen« geschehen ist, auf einen für alle Stimmgabeln einheitlichen 
Ausdruck gebracht, indem die normale Hördauer zu 100 resp. 1 an- 


Sechs weitere Fälle von Labyrinthnekrose. 99 


genommen wurde, da nur auf diesem Wege die Hördauern direct mit- 
einander vergleichbar werden und sich graphisch als Reihe darstellen 


lassen. 
Von Gradenigo existirt bereits eine derartige graphische Dar- 


stellung der Hörreste auch von einem labyrinthlosen Ohr. Ich gebe dieselbe 
unter den auf der Tafel folgenden graphischen Darstellungen wieder. 
Wie der Vergleich mit den meinigen zeigt, decken sich unsere beider- 
seitigen Resultate in befriedigender Weise. 

Die Hördauer wurde bei den oben aufgezählten sieben Fällen für 
die genannten unbelasteten Stimmgabeln genauer festgestellt. 

Eine nach Secunden messbare Hördauer boten fünf dieser Gehör- 
organe erst von a’ an aufwärts; zwei, welche auf dem anderen Ohre 
ein nahezu normales Hörvermögen besitzen, liessen auch noch die 
Messung einer kurzen Hördauer für a’ zu. Die wenigen Töne (bis zu 
einer Octave), welche von einem Theil dieser Gehörorgane noch weiter 
nach abwärts gehört wurden, klangen vor dem labyrinthlosen Ohr trotz 
stärksten Anschlages der Stimmgabel so rasch ab, dass von einer Messung 
der Hördauer nach Secunden für diesen untersten Theil ihrer Hörstrecke 
keine Rede sein konnte. 

Mit einer einzigen Ausnahme, auf welche wir noch zu sprechen 
kommen werden, zeigt sich nun bei sämmtlichen labyrinthlosen Gehör- 
organen in ihrer erhaltenen Hörstrecke, also von a‘, resp. a’ an nach 
aufwärts, ein auffällig gleichmässiges Verhalten. 

Es folgt hier eine Zusammenstellung der Hördauern für die inner- 
halb dieser Hörstrecke gemessenen Töne 

1. für die 4 auf dem anderen Ohre nahezu normal Hörenden; 

2. für die 2 auf dem anderen ÖOhre Schwerhörenden. (Der 3. 
Schwerhörige bedarf einer gesonderten Besprechung.) 


1. Auf dem anderen Ohre nahezu normal Hörende. 








` ! | Durch- 

Fall 2 Fall 6 Fall 8 | Fall 9 schnitt 

a’ 0 0,14 0 0,09 0,06 
a’ 0,17 0,29 0,28 0,28 0,26 
p“ 0,30 0,42 0,48 0,37 0,39 


a 040 | 0,51 0,54 | 0,46 | 0,48 
fis” 0,50 | 0,54 | 0,54 | 0,58 | 0,53 
7* 


100 Fr. Bezold: Die Feststellung einseitiger Taubheit. 


3. Auf dem anderen Ohre nicht normal Hörende. 








| Fall 4 | Fall 10 || Durch- 
a’ 0 
a" 0,22 
fi 0,33 
gu 0,50 





Nach dieser Zusammenstellung findet sich durchgängig ein 
continuirliches Ansteigen der Hördauer vom untersten 
bis zum obersten innerhalb der vorhandenen Hörstrecke 
zur Prüfung gekommenen Ton. Nur fis” wurde in einem 
Falle (8) gleichlang gehört wie c‘''‘. Da die Gabel fis“ aber gegen- 
über den anderen zur Untersuchung verwendeten eine sehr kurze 
Schwingungsdauer hat, so waren hier, wie oben ausgeführt, kleine 
Irrungen in der Messung von viel grösserem Ausschlag als bei den 
anderen langsamer ausklingenden Stimmgabeln. (Das Gleiche gilt auch 
für c’' in Gradenigo’s graphischer Darstellung.) 


Unter der Voraussetzung, dass es noch erhalten gebliebene nervöse 
Theile des labyrinthlosen Ohres sind, welche die Perception inner- 
halb der oben zusammengestellten Hörstrecken vermitteln, dürften wir 
nicht eine derartige Gleichmässigkeit der Befunde erwarten, sondern 
viel eher das gerade Gegentheil. Wenn irgendwo, so müssten bei 
den ebenso nach Lage wie nach Umfang verschiedenen partiellen Zer- 
störungen, die hier vorliegen, Gehörreste für die verschiedensten Stellen 
in der Tonscala sich vorfinden und ebenso müsste die Hördauer für 
die erhalten gebliebenen Töne eine ganz atypische sein. Die Continuität 
der gefundenen Hörstrecke, ihre constante Lage in der Scala und das 
gleichmässige Ansteigen der Hördauer mit der Höhe des Tones bliebe 
unverständlich. 


Dagegen erklärt sich alles Dies ganz ungezwungen, sobald wir an- 
nehmen, dass die gefundenen Hörreste lediglich der Ausdruck sind für 
die Unvollkommenheit, mit welcher wir das hörende Ohr auszuschalten 
vermögen. Von dieser Unvollkommenheit können wir uns in ein- 
facher Weise überzeugen, wenn wir beide Gehörgänge mit den Zeige- 
fingern verschliessen und die hier zur Prüfung gekommenen Töne nach- 


Sechs weitere Fälle von Labyrinthnekrose. 101 


inander erklingen lassen. Je höher wir in der Scala hinaufsteigen, 
lesto weiter können wir die klingende Stimmgabel von unserem Ohr 
:ntfernen lassen, ohne dass ihr Ton für uns verschwindet. 

Es kommt hier die interessante physiologische Thatsache zum Aus- 
Iruck, dass die Intensität, mit welcher das Ohr Töne verschiedener 
Höhe empfindet, in umgekehrtem Verhältnisse steht mit deren Amplitude, 
dagegen in geradem Verhältniss mit der Zahl ihrer Schwingungen in 
der Zeiteinheit. Erst gegen das oberste Ende unserer Hörstrecke im 
Galtonpfeifchen verliert dieses Gesetz allmählich seine Geltung. 

Bei den zwei auf der anderen Seite schwerhörigen Kranken fallen, 
entsprechend unserer Voraussetzung, die Hördauern auch auf dem 
labyrinthlosen Ohr im Ganzen kürzer aus. a’ wurde hier bereits zu 
kurz gehört, um überhaupt seine Hördauer zu bestimmen. Nur fis’'' 
wurde von beiden ungefähr gleich lang gehört, wie von den auf der 
anderen Seite normal Hörenden;; es erklärt sich dies damit, dass einer- 
seits gerade dieser Ton von beiden Kranken auch auf der anderen 
Seite verhältnissmässig lang percipirt wurde und andererseits von dieser 
Stimmgabel wegen ihres raschen Abklingens, wie gesagt, überhaupt die 
relativ wenigst verlässigen Resultate zu erwarten sind. 

Die Hördauer der beiden in Rede stehenden Gehörorgane zeigt 
ferner nach oben zu ein rascheres Anwachsen als bei den vier auf 
der anderen Seite normal Hörenden. Auch dieses Untersuchungs- 
resultat wird, wenigstens bei der einen Kranken, leicht verständlich, 
wenn wir die Hördauer für die gleichen Stimmgabeln auf dem anderen 
Ohre dieser Kranken in’s Auge fassen, welche gleichfalls ein Ansteigen 
von unten nach oben in der Scala, entsprechend der hier vorliegenden 
Mittelohraffection, darbietet. Beide aufsteigenden Linien summiren sich 
hier einfach und geben eine steiler aufsteigende. 

Auch hier kommt also auf der labyrinthlosen Seite einfach die 
Vertheilung der Hördauern auf der anderen hörenden Seite zum Ausdruck. 

Das grösste Interesse aber bietet endlich der oben bereits erwähnte 
Ausnahmsfall (cfr. Nachtrag zu Fall 3). 

Hier findet sich in der Hörstrecke des labyrinthlosen Ohres über- 
haupt keine Continuität, sondern dieselbe ist durch eine grössere, die 
Töne f” und c“ umfassende Lücke unterbrochen. 

Betrachten wir die Hördauern auf dem anderen Ohre dieses Kranken, 
so zeigen gerade die beiden genannten Töne auch hier eine sehr be- 
trächtliche Verkürzung, nämlich auf 0,42 und 0,59 der normalen Hör- 
dauer, während die beiden nach oben und unten nächst benachbarten 


102 Fr. Bezold: Die Feststellung einseitiger Taubheit. 


Töne a’ und fis‘‘ bedeutend längere, der Norm sich bereits annähernde 
Hördauern (0,86 und 0,82) aufweisen. Dementsprechend findet sich 
auch auf dem labyrinthlosen Ohre für diese beiden letzteren Töne 
eine ähnliche Hördauer wie bei den 4 auf der anderen Seite normal 
Hörenden. 


Ein glücklicher Zufall hat es gewollt, dass unter den zu meiner 
Beobachtung gekommenen Labyrinthnekrosen ein Kranker sich befand, 
welcher gerade in der Mitte der für das labyrinthlose Ohr in Betracht 
kommenden Hörstrecke auf dem anderen Ohre eine partielle Tonlücke 
aufweist. 


Ueberschauen wir die einzelnen Hörstrecken, welche in unseren 
Fällen auf dem labyrinthlosen Ohre gefunden wurden, so können wir 
sagen, dass sie einfach ein, wenn auch natürlich unvoll- 
kommenes, Spiegelbild der Hörverhältnisse darstellen, 
wie sie auf dem anderen hörenden Öhre sich ergeben 
haben. 


Damit ist der Nachweis geliefert, dass auf dem 
labyrinthlosen Ohre ein selbständiges Hören nicht mehr 
stattfindet. 


Ferner aber haben wir damit gleichzeitig ein Prototyp dafür gewonnen, 
wie sich nicht nur ein labyrinthloses, sondern wie sich überhaupt 
jedes gehörlose Ohr bei der Prüfung verhält, wenn auf der 
anderen Seite ein mehr oder weniger normales Hörvermögen besteht. 


Die genaue Kenntniss des functionellen Verhaltens bei einseitiger 
Taubheit ist in Zukunft zu den unentbehrlichen Grundlagen zu rechnen, 
von welchen wir auszugehen haben, wenn wir functionelle Prüfungen des 
Öhres machen und ihre Resultate vollkommen verstehen wollen. 


Was schliesslich die practische Seite der obigen Ergebnisse an- 
betrifft, so muss sowohl für unsere Prognose und unser therapeutisches 
Verhalten (ich erinnere hier nur an ein plötzliches Fortschreiten von 
Mittelohreiterungen in die Labyrinthräume) als auch für unsere Beur- 
theilung in kassenärztlicher und forensischer Beziehung die Möglichkeit 
einer sicheren Diagnose von einseitiger Taubheit nicht weniger wie für 
unsere theoretischen Betrachtungen als eine der nothwendigen Voraus- 
setzungen bezeichnet werden. 












. 





» 








be 


Zeitschrift für Ohrenheilkunde XXXI. 





Digitized by Google 


Taf. I. II. 


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Tafel II. 


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Durchschnitt der vier auf der anderen 
Seite normal hörenden Labyrinthlosen. 








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Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 103 
vV. 


Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei 


Leukämie. 
Von Dr. Schwabach in Berlin. 


Obgleich wir in den ersten Jahrzehnten nach Virchow’s Ent- 
deckung der Leukämie verschiedene Mittheilungen über die Betheiligung 
des Gehörorgans an dieser Krankheit in der Literatur finden (1) und 
einzelne Autoren, wie Vidal (2) und Isambert (3) sogar in 10% 
aller Fälle von Leukämie eine solche Betheiligung des Gehörorgans 
verzeichnen, so sind doch alle diese Beobachtungen, da eine objective 
Untersuchung dieses Organes nicht stattgefunden zu haben scheint, für 
die Frage, in wie weit die Affection des Ohres mit dem Allgemein- 
leiden in Zusammenhang steht, nicht zu verwerthen. Erst im Jahre 
1880 berichtete Gottstein (4) im Anschluss an seine Mittheilungen 
über den Meni&re’schen Symptomencomplex über 2 Fälle, bei denen 
ein diesem Complexe analoges Krankheitsbild bei leukämischen Kranken 
aufgetreten war. Objectiv waren keine Veränderungen am Ohr nach- 
weisbar. Mit Rücksicht auf die in beiden Fällen vorhandene Blutung 
aus Nase und Pharynx hält es G. zwar für nicht unwahrscheinlich, dass 
auch der Acusticus an irgend einer Stelle seines Verlaufes durch 
eine Blutung in seiner Functionirung beeinträchtigt worden ist, hebt 
jedoch ausdrücklich hervor, dass die klinische Beobachtung ohne patho- 
logisch-anatomische Controle die Frage der Localisation allein nicht 
entscheiden könne. Weiterhin liegen dann noch Beobachtungen von 
Gelle (5) nnd Blau (6) vor, bei denen ebenfalls im Verlaufe leu- 
kämischer Erkrankung Erscheinungen seitens des Ohres: Schwerhörigkeit, 
subjective Geräusche sich einstellen, und bei denen die objective Unter- 
suchung zwar eine Affection des Mittelohres ergab, die aber, nach der 
Meinung der Verfasser, mit einer durch die Leukämie bedingten Läsion 
im Labyrinthe complicirt war. Auch in diesen Fällen hat eine Controle 
der im Leben beobachteten Erscheinungen seitens des Gehörorgans durch 
die pathologisch-anatomische Untersuchung nicht stattfinden können und 
sie können deshalb zur Entscheidung der Frage von der Pathogenese 
der leukämischen Ohrenerkrankungen nicht in Betracbt kommen. Den 
ersten Fall, der nach dieser Richtung hin zu verwerthen ist, hat 
Politzer (7) auf dem internationalen Otologen-Congress in Basel im 
Jahre 1884 mitgetheilt. Eine weitere Mittheilung aus dem Jahre 1886 

verdanken wir Gradenigo (8); aus demselben Jahre stammt eine 


104 Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 


einschlägige Beobachtung von Steinbrügge (9). 1892 folgte dann 
die bereits oben (1) citirte Arbeit von Lannois, der die bis dahin 
veröffentlichten Fälle zusammenstellte und einen von ihm selbst unter- 
suchten und obducirten Fall anschloss. In demselben Jahre veröffentlichte 
Wagenhäuser (10) den Obductionsbefund eines während des Lebens 
nicht untersuchten Falles. Eine sehr interessante Beobachtung verdanken 
wir Kast (11) (1895) und weiterhin findet sich eine kurze Notiz von 
Alt (12) über den Sectionsbefund eines Falles von Morbus Menieri 
(Leukämie) in den Verhandlungen der österreichischen otologischen Ge- 
sellschaft am 25. Februar 1896, ferner eine einschlägige Mittheilung 
von Kümmel (13) in den Verh. der deutschen otol. Gesellschaft 1396 
und schliesslich ein kurzer Bericht von Steinbrügge (14) in den 
Verhandlungen der medic. Gesellsch. in Giessen vom 10. Nov. 1896. 
Auf die Einzelheiten der von den verschiedenen Autoren erhobenen 
Befunde will ich hier nicht eingehen, da ich später auf dieselben zu- 
rückkommen muss. Soviel geht aus dieser Zusammenstellung wohl her- 
vor, dass das zur Entscheidung der Frage von der Pathogenese der 
leukämischen Gehörstörungen das uns vorliegende Material noch ein recht, 
spärliches ist, und dass es gerechtfertigt erscheinen dürfte, mit der 
Mittheilung von Beobachtungen, die vielleicht nach der genannten 
Richtung hin verwerthet werden können, nicht zurückzuhalten. Durch 
meine consultative Thätigkeit im städtischen Krankenhause am Urbau 
zu Berlin habe ich die günstige Gelegenheit gehabt in den letzten 
5 Jahren 5 Fälle von Leukämie mit Betheiligung des Gehörorgans 
anatomisch zu untersuchen (davon 4 allein in den letzten 2 Jahren). 
Nur einen dieser Fälle hatte ich während des Lebens nicht gesehen. Die 
andern 4 waren bezüglich ihrer Gehörorgane von mir untersucht worden. 
Bemerkenswerth dürfte zunächst sein, dass bei der an und für sich 
schon nicht allzuhäufigen Allgemeinerkrankung und bei der geringen 
Anzahl der bisher bei derselben zur Beobachtung gekommenen Läsionen 
des Gehörorgans in einem so kurzen Zeitraum einem einzigen Beobachter 
eine so verhältnissmässig grosse Zahl einschlägiger Fälle vorkamen. 
Es liegt nahe, hieraus zu schliessen, dass die in Rede stehende 
Complication doch nicht so selten sei, als man bisher mit Rücksicht 
auf die geringe Zahl der Veröffentlichungen annahm, und dass diese 
vielleicht auch reichlicher ausgefallen wären, wenn in den Kranken- 
häusern und stationären Kliniken, in welchen die Mehrzahl aller Fälle 
von Leukämie zur Beobachtung kommen, der Untersuchung des Gehör- 
organs mehr Aufmerksamkeit geschenkt würde. Ich weiss wohl, dass 


Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 105 


in vielen Krankengeschichten subjective Geräusche, Schwerhörigkeit und 
Schwindelerscheinungen erwähnt werden, aber in den meisten fehlen 
Angaben darüber, ob eine objective Untersuehung des ÖOhres stattge- 
funden hat, so dass, da auch, wie aus dem oben Gesagten hervorgeht, 
die anatomische Untersuchung dieses Organes nur ausnahmsweise vor- 
genommen wurde, ein Urtheil über den ätiologischen Zusammenhang 
zwischen der Erkrankung desselben und der Allgemeinaffection gewöhn- 
lich nicht gewonnen werden konnte. Im städtischen Krankenhaus am 
Urban kamen in dem oben genannten Zeitraum im Ganzen 14 Fälle 
von Leukämie zur Beobachtung, davon 13 auf der Abth. des Herrn 
Prof. A. Fraenkel, einer auf der Abth. des Herrn Hofrath Stadel- 
mann. Bemerkenswerth ist, dass es sich in 11 Fällen um acute, nur 
in dreien um chronische Leukämie handelt. In allen von mir selbst 
untersuchten Fällen mit Complication des Gehörorganes, war die All- 
gemeinaffection acut aufgetreten, ein Umstand, der für die Beurtheilung 
des ätiologischen Zusammenhanges der Ohrenerkrankung mit dem All- 
gemeinleiden von nicht geringer Bedeutung sein dürfte, zumal bei 
den wenigen bisher anatomisch untersuchten Fällen es sich stets um 
einen chronischen Verlauf handelte und in einigen von ihnen sich Ver- 
änderungen im Gehörorgan fanden, welche es als zweifellos erscheinen 
liessen, dass sie bereits vor dem Auftreten der Leukämie bestanden 
hatten. Gradenigo stellte deshalb in seiner oben citirten Arbeit u. A. 
den Satz auf, dass als wesentlicher prädisponirender Factor der 
Ohrcomplicationen nach den zwei besser bekannt gewordenen Sections- 
befunden von Politzer und ihm (Gradenigo) die vorausgegangene 
oder gleichzeitige Existenz eines entzündlichen Processes angesehen 
werden müsse. In wie weit diese Ansicht berechtigt ist, soll später 
erörtert werden. In den Kranken-Journalen der 14 im Urban-Kranken- 
haus beobachteten Fälle von Leukämie finden sich Notizen über das 
Verhalten des Gehörorgans im Ganzen 9 mal und zwar beziehen sich 
dieselben auf Beobachtungen, während des Lebens 8mal, auf solche nur 
an der Leiche Imal. In einem dieser Fälle (einen 24jährigen Mann 
betreffend), soll vor einigen Jahren (während der Militärdienstzeit) eine 
linksseitige acute Mittelohrentzündung mit Perforation des Trommelfells 
bestanden haben, aber vollständig zur Heilung gekommen sein; nur 
geringe Schwerhörigkeit auf diesem Ohr sei zurückgeblieben. Bei der 
Untersuchung die erst 10 Tage nach der Aufnahme des Pat., da er 
über geringe Schwerhörigkeit auch auf dem bisher gesunden rechten 
Ohr klagte, von mir vorgenommen wurde, fand sich links leichte 


106 Sehwabach: Ueber Erkrankungen des @ehörorgans bei Leukämie. 


Trübung des Trommelfelles, rechts leichte Röthung desselben in der 
oberen Parthie. Beiderseits wurde die Uhr in 0,3 Meter Entfernung 
vom Ohr und deutlich durch K.-L., Flüstersprache in 1,5—2,0 Meter 
Entfernung gehört. Wenige Tage später erfolgte der Exitus letalis. 
Eine weitere resp. genauere Hörprüfung konnte wegen des desolaten 
Zustandes des Pat. nicht vorgenommen werden; auch die anatomische 
Untersuchung des Felsenbeines musste unterbleiben. In einem andern 
Falle (14 jähriges Mädchen), sollen mit Beginn der Allgemeiner- 
krankung Schwindel und subjective Geräusche aufgetreten sein. Von 
einer Herabsetzung der Hörfähigkeit ist nichts erwähnt, auch fehlen 
Angaben über die etwa stattgefundene objective Untersuchung. In 
einem dritten Falle (13 jähriger Knabe), ergab die Untersuchung rechts- 
seitige chronische Mittelohreiterung mit Perforation des Trommelfelles 
im vorderen unteren Quadranten, Trübung des Trommelfelles linkerseits 
und Herabsetzung der Hörfähigkeit auf beiden Ohren, derart, dass links 
die Uhr nur beim Anlegen an das Ohr, rechts durch L.-L. überhaupt 
nicht gehört wurde, wohl aber durch K.-L. beiderseits. Nähere An- 
gaben fehlen. Der folgende Fall ist klinisch interressant genug, um 
ihn hier etwas ausführlicher mitzutheilen. 


Bertha B., 17 Jahre alt, angeblich seit pp. 1 Jahr an Bleich- 
sucht leidend, wurde Mitte December 1890 plötzlich von grosser 
Mattigkeit und Ziehen in den Beinen befallen; Mitte Januar 1891 
traten ebenfalls plötzlich dunkle Flecken an den Beinen auf, bald da- 
nach heftiges Nasenbluten, das am 20. und 21. so stark wurde, dass 
in einer hiesigen Klinik die hintere Tamponade ausgeführt werden 
musste. Bei der Aufnahme ins Krankenhaus am 23. Januar 1391 zeigt 
sich die Haut des sehr blassen jungen Mädchens mit zahlreichen, über 
den ganzen Körper zerstreuten, einzelstehenden hell- bis braunrothen 
Flecken bedeckt, die sich unter Fingerdruck nicht verändern. Zu beiden 
Seiten des Halses, in beiden Achselhöhlen und in beiden Leistenbeugen 
eine grössere Anzahl erbsen- bis haselnussgrosser, harter, leicht verschieb- 
licher Drüsen. Sternum auf Druck sehr empfindlich. An den Lungen nichts 
abnorınes, am Herzen über allen Ostien lautes blasendes systol. Geräusch. 
P. 142, Leberdämpfung nicht vergrössert. Milzdämpfung reicht in der 
vorderen Axillarlinie von der VI. Rippe bis 2 Finger breit von der 
Crista ilei, nach vorn 1—2 Finger über den Rippenrand. Urin klar, 
frei von Eiweiss und Zucker. T. Abends 39,2, weiterhin schwankend 
zwischen 37,2 Morgens und 38,0 Abends, später nicht über 37,5°. 
In beiden Nasenhöhlen blutdurchtränkte Wattetampons, die, als sie 
Abends entfernt werden, äusserst übelriechend sind. Keine erneute 
Blutung. Die ophthalmoskopische Untersuchung zeigte das typische 
Bild der Retinitis leukaemica: zahlreiche meist streifenförmige Blutungen 


Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 107 


bis zur Grösse von ‘!/, P. D.; zahlreiche Extravasate verdecken stellen- 
weise die Gefässe. Die Untersuchung des Blutes ergiebt eine geringe 
Vermehrung der Leucocyten; ziemlich reichlich kernhaltige rothe 
Blutkörperchen. Hämoglobingehalt 15°/,. — In den nächsten Tagen 
klagt Pat. über Schwindel und Schwerhörigkeit, dabei Herzklopfen, 
Angstgefühl. Stuhl von dunkelbrauner Farbe. Neue Blutungen in der 
Haut nicht aufgetreten. Die von mir am 3. Februar vorgenommene Unter- 
suchung des Ohres ergab: Flüstersprache rechts in 0,3 Meter, links 
0,15 Meter Entfernung vom Ohr gehört. Uhr beiderseits 5.cm vom Ohr 
und deutlich durch K.-L., c vom Pr. mast. beiderseits 25 Sec., Rinne’scher 
Versuch negativ, Weber’scher Versuch = 0. Gehörgang beiderseits 
voll stinkenden Eiters, pulsirender Lichtreflex. Trommelfell beiderseits 
: geröthet, zeigt links kaum stecknadelkopf- rechts über linsengrosse 
Perforation. Trotz sorgfältiger Ausspülungen mit sterilem Wasser 
resp. 1°/, Carbollösung und Drainage des Ohres bleibt der Ausfluss 
auch in den nächsten Tagen übelriechend und die Perforation des 
Trommelfelles vergrössert sich beiderseits zusehends. Druck auf den 
Warzenfortsatz beiderseits empfindlich. Vom 6. Februar an bessert sich 
das Allgemeinbefinden, die Untersuchung des Blutes ergiebt keine auf- 
fallende Vermehrung der Leucocyten, auch finden sich keine kernhaltigen 
rothen Blutkörperchen. Drüsenschwellungen überall bedeutend abge- 
nommen; am Sternum keine Druckempfindlichkeit mehr. Anämie gering, 
Schleimhäute etwas röthlich gefärbt. Auch die Erscheinungen seitens des 
Ohres weniger lästig, Ausfluss geringer, weniger übelriechend, Hörfähig- 
keit etwas gebessert. Bis zum 24. Februar bessert sich der Zustand 
der Pat. von Tag zu Tag. An diesem Tage treten zunächst Schmerzen 
im rechten Ohr ein, der Gehörgang zeigt sich geschwollen, ebenso die 
Haut über den Proc. mast., der auf Druck sehr empfindlich ist. Die 
Secretion hat abgenommen, ist nicht mehr übelriechend. Weiterhin 
nahmen die Schmerzen am Proc. mast. zunächst noch etwas zu, ver- 
schwanden dann aber unter Application hydropathischer Umschläge und 
nach Entfernung einer die Perforationsstelle verschliessende Granulation 
ganz. Am 22. März bestand nur noch mässige Eiterung rechts, 
links war dieselbe schon seit mehreren Tagen verschwunden. Per- 
foration beiderseits noch vorhanden. Weiterhin besserte sich dann das 
Allgemeinbefinden der Pat. so wesentlich, dass sie das Bett verlassen 
konnte. Die Zahl der rothen Blutkörperchen vermehrte sich wesentlich, 
die rothen kernhaltigen verschwanden vollkommen aus dem Blute, auch 
die Drüsenanschwellungen und der Milztumor gingen zurück. Plötzlich 
nach pp. 1!/, Monaten traten die Erscheinungen mit erneuter Heftig- 
keit wieder auf, auch die Drüsenschwellungen traten wieder auf, die 
Milz vergrösserte sich erheblich, auch die Retinalblutungen, die bereits 
verschwunden waren, kehrten wieder und erst in diesem zweiten 
Stadium der Krankheit stellte sich nun eine mehr und mehr zunehmende 
Vermehrung der weissen Blutkörperchen ein, deren Verhältniss zu den 
rothen schliesslich 1:32 betrug. Von Seiten der Ohren trat eine 
Verschlechterung nicht ein. Der Exitus letalis erfolgte pp. 3 Monate 


108 Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 


nach dem ersten Auftreten der Erscheinungen. Die anatomische Unter- 
suchung des Felsenbeines konnte nicht gemacht werden. Betreffs des 
übrigen sehr interessanten anatomischen Befundes sei auf die diesen 
Fall betreffende ausführliche Mittheilung von Dr. Troje (Berliner 
klin. Wochenschrift 1892, No. 12) verwiesen. Bezüglich der am auf- 
fallendsten. hervortretenden Erscheinungen seitens des Ohres, nämlich 
der doppelseitigen eitrigen Mittelohrentzündung, liegt es nahe, anzunehmen, 
dass sie nur in einem indirecten Zusammenhang mit der Leukämie 
stand, d. h. durch die in Folge der profusen Epistaxis nöthig ge- 
wordene hintere Tamponade der Nase bedingt war. Zweifelhaft bleibt 
es aber jedenfalls, ob die in den ersten Tagen der Erkrankung zugleich 
mit Schwerhörigkeit aufgetretenen Schwindelerscheinungen ebenfalls auf 
diese Otitis media zurückzuführen, oder ob diese nicht als ein Zeichen 
der wirklich leukämischen Affection des Ohres anzusehen sind. 


Bevor ich nun zur Mittheilung derjenigen meiner Beobachtungen 
übergehe, bei denen ich die anatomische Untersuchung ausführen konnte, 
sei es mir gestattet, zunächst die wichtigsten Daten aus den bereits 
oben erwähnten in der Literatur vorliegenden Arbeiten, unter besonderer 
Berücksichtigung des anatomischen Befundes, mitzutheilen. 


1. Politzers Fall (l. c.) betrifft einen 32jährigen, mit hoch- 


gradiger, lienaler, glandulärer und myologener Leukämie behafteten ` 


Mann, der als Knabe längere Zeit an linksseitiger Otorrhoe gelitten 
hatte und ungefähr 1 Jahr vor seinem Tode über Nacht plötzlich auf 
beiden Ohren vollkommen taub geworden war. Die objective Unter- 
suchunng der Gehörorgane 2 Monate vor seinem Tode ergab: Trübung 
und Retraction des rechten, fast complete Destruction des linken 
Trommelfells, dabei complete bilaterale Acusticuslähmung. 
Bei der Section fand sich ausser den charakteristischen Erscheinungen 
der Leukämie am rechten Ohr starke Einziehung des Trommelfelles, 
mässige Verdickung der Mittelohrschleimhaut und der Gelenküberzüge 
der Gehörknöchelchen, verminderte Beweglichkeit des Steigbügels; links: 
totaler Defect der Membr. tymp., des Hammers und Ambosses, Schwellung 
und Verdickung der Trommelhöhlenschleimhaut, zumal in der Umgebung 
des ovalen Fensters. Die histologische Untersuchung zeigte an Durch- 
schnitten der Schnecke die Scala tympani von einem unregelmässig ver- 
zweigten, mit der Knochenwand des Schneckenkanals zusammenhängen- 
den Knochengerüste durchsetzt, dessen Räume neugebildetes Bindege- 
webe in den verschiedenen Stadien der Entwickelung enthielten. In 
der Scala vestibuli fanden sich, ausser einer mässigen Knochenwuche- 
rung an der medialen Schneckenwand auf der Spiralplatte aufliegende 
aus Lymphzellen bestehende leukämische Plaques; die häutigen Bogen- 
gänge von einem jungen zellen- und gefässreichen Bindegewebe einge- 
hüllt, welches den Raum zwischen häutigem und knöchernem Bogen- 
gange ganz ausfüllt. Das Innere der häutigen Bogengänge ist mit leu- 
kämischen Lymphzellen erfüllt. Aehnliche Lymphconglomerate fanden 


u en ee en ee a a a a an a a el 


Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 109 


sich allenthalben im Vorhofe des rechten Ohres und ebenso im linken 
Labyrinthe, wo nur Spuren von Bindegewebsneubildung wahrzunehmen 
waren. Das Felsenbein zeigte an allen Stellen bis unmittelbar an die 
Grenze der Labyrinthkapsel Veränderungen, wie sie auch im Sternum 
und den Rippen gefunden worden waren: das Mark von himbeergelee- 
artiger Farbe bloss aus weissen Blutkörperchen bestehend; die Knochen- 
substanz selbst hochgradig rareficirt. Ueber den mikroskopischen Befund 
der Paukenschleimhaut finden sich in der Arbeit keine Angaben. 

2. Bei Gradenigo’s Patienten (l. c.), einem 63 jährigen Manne 
mit hochgradiger und vorgeschrittener leukämischer Kachexie, mit aus- 
gesprochener hämorrhagischer Diathese und häufigem Nasenbluten stellte 
sich plötzlich beiderseitige, bedeutende, zum Theil vorübergehende Hör- 
störung ein. Ueber Schwindel klagte Pat. nicht, wohl aber über 
starkes Ohrensausen; er will früher schon einmal an ÖOhrenentzündung 
gelitten haben. Die Uhr wurde beiderseits nur im Contact mit der 
Ohrmuschel, nicht durch Knochenleitung gehört, Flüstersprache beider- 
seits gar nicht, Conversationssprache in 10—15cm, Rinne’scher Ver- 
such beiderseits negativ, Perceptionsfähigkeit durch die Knochen be- 
trächtlich verringert, sowohl für hohe als auch für tiefe Töne. Bei der 
objectiven Untersuchung fand sich besonders am Trommelfell leichte 
Trübung und Einziehung, später Blutextravasate im äussereu Gehörgang 
beiderseits und Röthung und Schwellung des Trommelfelles links. Bei 
der Obduction fand sich das Mark der Schläfenbeine von eitriger 
Beschaffenheit, bestehend aus Rundzellen von gleichmässiger Grösse mit 
grossen runden Kernen, beide Trommelhöhlen von einer gallertartigen 
gelblichrothen Substanz ausgefüllt, die sich nach hinten zu in die Zell- 
räume des Proc. mast. hineinerstreckt. Bei der mikroskopischen Unter- 
suchung zeigt sich diese Masse als aus neugebildetem Bindegewebe be- 
stehend, welches auch die Pelvis ovalis ausfüllt, den Steigbügel umgiebt, 
sich an das Promontorium anlegt und hinunter bis vor das runde Fenster 
zieht. Das Parenchym des neugebildeten Gewebes ist stark von rothen 
Blutkörperchen durchsetzt, welehe namentlich in der Nähe der Gefässe 
angesammelt sind. Gleichzeitig sieht man in den Buchten der Trommel- 
höhle, in den Fensternischen Residuen hämorrhagischer Extravasate, 
die vorwiegend aus veränderten rothen Körperchen bestehen und ge- 
wöhnlich eine periphere feinkörnige Zone von ausgeschiedenem Fibrin 
darstellen, an welchem morphologische Elemente selten vorkommen. Die 
Schleimhaut des Trommelfelles und des unteren Abschnittes der Pauken- 
'höhle mässig verdickt, reich an Zellenelementen und Gefässen. 

Die histologische Untersuchung des Labyrinthes ergab bezüglich 
einer leukämischen Exsudation ein absolut negatives Resultat, doch 
erwähnt G., dass er im Gewebe des Modiolus, des Ganglion spirale 
und in der unmittelbar unter dem Epithel befindlichen Gewebsschicht 
des Vorhofes und hier und da auch in der Gegend der Area vasculosa 
Anhäufungen von Pigmentkörnern von rothgelber Farbe gefunden habe, 
von der er nicht wisse, ob und wieweit sie mit senilen Involutionsvor- 
gängen im Zusammenhang zu bringen sei. 


110 Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie, 


3. Steinbrügge’s (l. c.) erster Fall betrifft einen 25 jährigen 
Mann, welcher an lienaler und myelogener Leukämie verstorben war. 
Die Vorgeschichte hatte primäre syphilitische Infection im 20. Lebens- 
jahre ergeben, ferner war Pat. auf dem linken Ohre in Folge eitriger 
Mittelohrentzündung bei der Aufnahme in die Klinik bereits schwer- 
hörig. Kurz vor dem Tode trat unter subjectiven Geräuschen, nachdem 
Pat. schon wiederholt an Schwindelanfällen gelitten hatte, plötzlich auch 
auf dem rechten Ohre vollständige Taubheit ein. Anatomisch untersucht 
wurde nur dieses letztere: In der Trommelhöhle fanden sich binde- 
gewebige Adhäsionen an verschiedenen Stellen. Die Membran des 
runden Fensters war verdickt und zeigte an einigen Durchschnitten 
beginnende Verknöcherung. Die Schneckentreppen waren zum grössten 
Theil mit Blutextravasaten angefüllt. Auch der Ductus cochlearis ent- 
hielt Extravasate weisser und rother Blutzellen, welche sich besonders 
in der Region der Stria vascularis geltend machten. In anderen Prä- 
paraten lasteten dieselben auf dem Corti’schen Organ oder verhüllten 
die Membrana tectoria. Die venösen Gefässe der Schnecke erschienen 
auffallend weit und enthielten zum grössten Theil nur weisse Blut- 
körperchen. Auch im Neurilemma der Nerven des inneren Gehörganges 
fanden sich Blutergüsse, ebenso wie im Anfangstheil des N. facialis. 
Im Sacculus reichliches Exsudat, weniger im Utriculus und den Am- 
pullen. Die häutigen Bogengänge waren grösstentheils von neugebildeter 
Knochensubstanz eingeschlossen. Letztere füllte die knöchernen Kanäle 
bald vollständig aus, bald blieben grössere oder kleinere Lücken übrig, 
welche von gefässreichem Bindegewebe eingenommen wurden. Die 
kleinen, aber gut erhaltenen häutigen Gänge enthielten epitheliale Be- 
kleidung, zeigten aber keine Papillen und waren frei von Extravasaten. 


4. In einem späteren von Steinbrügge untersuchten Falle 
handelte es sich um die Hörorgane eines 14jährigen an Leukämia 
lymphatica verstorbenen Mädchens, welches während der letzten Lebens- 
woche an beträchtlicher Schwerhörigkeit gelitten hatte. Auch die 
Knochenleitung soll mangelhaft gewesen sein. In beiden Trommelhöhlen 
und im Antrum mast. fand sich rothbraunes schleimiges Exsudat, 
welches rothe und weisse Blutkörperchen in grosser Menge neben 
Detritus und Schleimfäden enthielt. Der Schleimhautüberzug war 
mässig verdickt, scheinbar ohne Gefässinjection, zeigte sich jedoch, 
mikroskopisch untersucht, dicht mit Blutzellen infiltrirt. Der Ductus 
cochlearis, insbesondere derjenige der rechten Schnecke, enthielt strecken- 
weise kleine, freie Blutextravasate zwischen dem Corti’schen Organe 
und der Stria vascularis. Vereinzelte Blutkörperchen fanden sich über- 
all im Labyrinthe zerstreut. Ein grösseres Blutcoagulum enthielt da- 
gegen der linke obere häutige Bogengang, welcher gleich einem ver- 
stopften Gefässrohr, durch einen dunkelrothen Blutpfropf obturirt und 
hinter demselben, in der Richtung nach der Ampulle zu, collabirt war. 
Die Schneckenmündung beider Aquaeducte war mit Blutzellen angefüllt. 
Von Interesse ist ferner, dass sich rothe und weisse Blutkörperchen 


Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 111 


in grosser Zahl zwischen den Nervenfasern und in der Umgebung 
der Nerven, sowohl im inneren Gehörgange als auch in den feineren, 
den Knochen durchbohrenden Nervenzügen, sowie im Ganglion spirale 
fanden. Die perilymphatischen Räume enthiclten stellenweise graue, 
feinkörnige Gerinnsel. | 


5. Ein dritter Fall Steinbrügge’s, über welchen nur ein kurzer 
Bericht (s. Literaturangabe No. 14) vorliegt, betrifft einen 33 jährigen 
Mann, bei dem kurz vor dem Tode, unter Menie&re’schen Symptomen, 
plötzliche Taubheit auf beiden Ohren auftrat. Sämmtliche Schnecken- 
windungen, sowie der Vorhof und die Bogengänge zeigten sich mit 
leukämischen Blutextravasaten erfüllt. 


6. Lannois (l.c.) fand bei einem 31 jährigen ieukämischen Manne, 
bei dem 8 Monate vor dem Tode unter Schwindelerscheinungen, sub- 
jectiven Geräuschen und Erbrechen, vollständige Taubheit auf beiden 
Ohren eingetreten war, objective Zeichen einer sclerosirenden Ent- 
zündung der Paukenhöhlen. Die Obduction ergab, ausser leichter 
Verdickung der Paukenschleimhaut beiderseits und einigen neugebildeten 
Bindegewebssträngen rechterseits, im häutigen Vorhofe (Utriculus und 
Sacculus) auf beiden Seiten Blutextravasate und ein fibrinöses Exsudat, 
das zum grössten Theile in neugebildetes Bindegewebe sich verwandelt 
hatte. Der Hohlraum der knöchernen halbzirkelförmigen Kanäle war 
von neugebildeter Knochenmasse erfüllt; die häutigen Kanäle intact, in 
der Schnecke dieselben Veränderungen wie im Vorhof, aber in viel 
geringerem Grade. Im Nerv. acust. und Gangl. spir. war nichts abnormes. 


7. Wagenhäuser (l.c.) fand bei der mikroskopischen Unter- 
suchung einer an Leukämie gestorbenen 35 jährigen Arbeiterin, die im 
Laufe der Erkrankung taub geworden war (eine functionelle Prüfung 
hatte nicht stattgefunden), Blutextravasate im Gehörorgane und zwar 
nur im Labyrinthe, besonders in der Schnecke und im Vorhof und 
weniger in den Bogengängen, ausserdem Bindegewebs- und in den 
knöchernen Bogengängen Knochenneubildung. Zeichen einer voraus- 
gegangenen Entzündung waren im Wagenhäuser’s Falle nicht 
vorhanden, er glaubt deshalb annehmen zu sollen, dass durch die 
Blutung ein entzündlicher Vorgang in der Nachbarschaft der afficirten 
Partien hervorgerufen wurde, als dessen Endprocess die betreffenden 
Bindegewebs- und Knochenneubildungen anzusehen waren. 


8. Bei dem 50Ojährigen Kranken Kast’s (l.c.) trat bald mit den 
ersten Erscheinungen der Leukämie eine sich rasch steigernde Störung 
des Gehörs in um so lästigerer Weise hervor, als sie mit einem quälenden 
Tag und Nacht dauernden Zischen und Sausen in den Olıren und im 
Kopfe verbunden war. Schon bei der ersten Untersuchung fiel eine 
Parese des rechten Facialis und zwar in allen drei Aesten auf. Die 
Untersuchung des Gehörs ergibt hochgradige Herabsetzung der Hör- 
schärfe. Das Ticken einer Uhr wird, selbst beim Anlegen an das Ohr, 
nicht gehört. Knochenleitung vollständig aufgehoben. Die Untersuchung 


112 Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 


mit dem Ohrenspiegel ergiebt ein negatives Resultat. In den folgen- 
den Tagen zeigte sich eine erhebliche Zunahme der Schwerhörig- 
keit; es trat bald vollständige Taubheit ein, so dass man sich 
mit dem Patienten nur schriftlich verständigen konnte. Die Qualen 
durch die subjectiven Ohrgeräusche sind für den Patienten fast un- 
erträglich geworden. Die rechtsseitige Facialislähmung ging inner- 
halb 2 Wochen vollständig zurück, dagegen stellte sich eine linksseitige 
Facialisparese in sämmtlichen Aesten ein. Exitus letalis 4 Wochen 
nach der Aufnahme. Aus dem Obductionsbefund ist hervorzuheben, 
dass bei der mikroskopischen Untersuchung der Nervenstämme des 
Facialis und Acusticus ebenso wie des Glossopharyngeus und Vagus 
weder Zeichen der Degeneration, noch Finlagerungen von Rund- 
zellen, noch Blutungen, auch kein ungewönnlicher Kernreichthum der 
Nervenscheiden sich fand. An dem entkalkten rechten Felsenbein 
fand sich eine kleine Blutung in den Markräumen; in den übrigen 
Schnitten des Labyrinthes wurden jedenfalls grobe Veränderungen, also 
ausgedehnte Blutungen oder Verkalkungen nicht aufgefunden. (Ueber 
das Verhalten des Mittelohres findet sich keine Angabe.) Bei der 
Untersuchung des Rückenmarkes lässt sich bis etwa zum Niveau der 
Austrittstelle des Glossoph. keine Anomalie erkennen. In dieser Gegend, 
also etwa entsprechend der stärksten Entwickelung des Olivenkerns, be- 
'ginnt eine deutliche, gleichmässig verbreitete Verminderung der mark- 
haltigen Nervenfasern; die noch vorhandenen Fasern sind, der Mehrzahl 
nach, an einzelnen Stellen stark aufgetrieben, wie gequollen. Ausserdem 
finden sich unregelmässige Schollen untergehender Marksubstanz. Die 
Veränderungen sind dicht unter der Oberfläche des Ventrikels am stärk- 
sten und nehmen von da nach der Tiefe des Präparates zu ab. Sie 
betreffen ziemlich gleichmässig die Kernregion des Hypoglossus, des 
Glossopharyngeus und Vagus, sowie des Acusticus und Facialis. Eben- 
so wie die Nervenfasern zeigen auch die Ganglienzellen eine, wenn auch 
nicht beträchtliche Verminderung ihrer Zahl. In den Gefässen fällt 
keine sehr beträchtliche Zunahme der Leucocyten auf, etwas reichlicher 
finden sich dieselben hier und da in der Nachbarschaft der Gefässe. 
Als wesentliche und für den klinischen Verlauf maassgebende anatomische 
Veränderung ist, nach Kast die frische degenerative Atrophie der 
freien Verbindungsfasern der Oblongata anzusehen, welche Veränderung 
am obersten Halsmark beginnend, hirnwärts von Querschnitt zu Quer- 
schnitt successive hochgradiger wird und im Niveau der Striae medul- 
lares ihren höchsten Grad erreicht, um bald nach dem Auftauchen des 
Abducenskernes und .der Ganglienzellen des motorischen Quintuskernes 
zu verschwinden. Die Veränderungen erinnern, nach Kast, an die 
Processe, welche Lichtheim bei scherer Anämie beobachtete. Bei 
der nachgewiesenen Intactheit des central gelegenen Theiles der in ihrer 
Function geschädigten peripheren Hirnnerven, sowie der Abwesenheit 
grober anatomischer Veränderungen im inneren Ohr müssen die schweren 
Ausfallserscheinungen, besonders in den beiden Facialisgebieten und in 
den Acusticis, lediglich auf die Veränderungen in der Oblongata bezogen 


Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 113 


werden. Der Umstand, dass die anatomischen Veränderungen weit 
ausgedehnter sind als die Kernregion der Faciales und Acustici und 
dass für dieselben im Gebiete benachbarter Bulbärnerven, wie Hypoglossus, 
Glossopharyngeus und Vagus, die entsprechenden klinischen Störungen 
fehlen, liesse sich nur durch die Annahme einer grösseren Wieder- 
standsfähigkeit der übrigen Nerven erklären. 


9. Die Beobachtung Alt’s (l. c.) betrifft einen 65jährigen Taglöhner, 
der, nachdem er bereits längere Zeit über Schwäche, Kopfschmerzen, 
hochgradige Mattigkeit geklagt hatte, plötzlich unter heftigem Schwindel 
und Ohrensausen bewustlos wurde und als er wieder zu sich kam, das 
Gehör nahezu vollständig verloren hatte. 14 Tage später totale Taub- 
heit. Die klinische Untersuchung ergab das Vorhandensein hochgradiger 
Leukaemia myelolienalis chronica (Verhältniss der weissen zu den rothen 
Blutkörperchen 1:4), zahlreiche mononucleäre, grosse Leucocyten, 
Markzellen neben Lymphocyten, vereinzelte kernhaltige rothe Blut- 
körperchen, colossalen Milztumor, ausgebreitete Hämatome. Bei der 
Untersuchung der Ohren fand sich beiderseits Retraction und Trübung 
des Trommelfelles. Die Functionsprüfung stellte links vollständige 
Taubheit für die Sprache fest, rechts laute Sprache dicht am Ohr. 
Stimmgabeln C, C, und C wurden links weder durch Luft- noch 
durch Knochenleitung, rechts dieselben Stimmgabeln durch Luft- 
leitung hochgradig verkürzt. durch Knochenleitung gar nicht gehört. 
Stromstärken von 15—20 M. A. erzeugen keinen Schwindel. Die 
mikroskopische Untersuchung ergab Folgendes: Im intramedullaren Verlauf 
des N. acust., sowohl in der lateralen, als in der medialen Acustic.- 
Wurzel, an zahlreichen Stellen theils kleinere, theils äusserst mächtige 
leukämische, kleinzellige Infiltrate; an den Acusticusfasern stellenweise 
eine leichte Degeneration wahrnehmbar. Acusticuskern, hintere Vier- 
hügelgegend, Kleinhirn ohne pathol. Veränderungen. Blutungen oder 
Reste von Blutungen nirgends nachweisbar. Mittelohr völlig intact, 
auch Labyrintbefund negativ. 


10. Kümmel’s (l. c.) Beobachtung beansprucht ein besonderes 
Interesse insofern, als sich bei dem 48jährigen Kranken die Erschei- 
nungen der Leukämie im Anschluss an eine multiple Lymphosarcomatose 
(Pseudoleukämie) entwickelten. Die auf beiden Ohren bestehende 
Schwerhörigkeit soll im Verlaufe von pp. 24 Stunden aufgetreten sein. 
Die Hörprüfung ergab eine hochgradige Herabsetzung für Flüstersprache 
(25—35 cm) links, weniger beträchtlich rechts (2 Meter). Stimmgabel 
c‘ vom Scheitel nach links. Tiefere Töne, namentlich durch Knochen- 
leitung, entschieden besser als höhere wahrgenommen; dies besonders 
deutlich vom linken Proc. mast. aus. Rinne links (8) + 5, 
rechts (10) + 10°. Die objective Untersuchung ergab links: Trommel- 
fell von tiefblauer, etwas violetter Farbe, im vorderen und hinteren 
(oberen oder unteren ?) Quadranten Verkalkung, rechts ähnliche, aber 
nicht so ausgeprägte Blaufärbung, Verkalkung im vorderen oberen 
Quadranten; ausserdem im hinteren unteren Quadranten eine atropische 


Zeitschrift für Ohrenbeilkunde, RA. XXXI. 8 


114 Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 


Stelle mit deutlichen Ein- und Auswärtsbewegungen bei der Respiration. 
Es wurde Diagnose auf Haematotympanum gestellt. Bei der Obduction 
zeigen sich Rec. epitympanic., Antrum und zahlreiche Hohlräume des 
Knochens auf beiden Seiten angefüllt von graurothen Gerinnseln. Die 
Schleimhaut der Paukenhöhle und ihrer Nebenräume ist durch Infiltration 
mit einkernigen Zellen colossal verdickt. Dieselben Veränderungen fanden 
sich im Keilbein; das Lumen seiner Höhle war zu einem Spalte reducirt, in 
dem ein grauroth gefärbter Pfropf, ähnlich wie der in der Paukenhölle, 
liegt. Die Wände des Spaltes sind mit wohlerhaltenem Cylinderepithel 
ausgekleidet; die eigentliche Schleimhaut ist zu einem !/, cm dicken 
Polster umgewandelt, das fast nur aus einkernigen Rundzellen und da- 
zwischen verstreuten kleinen Anhäufungen rother Blutkörperchen besteht. 
In ganz ähnlicher Weise zeigt sich die Schleimhaut der Rachentonsille 
verändert. Im Labyrinth fanden sich keine erheblichen Veränderungen vor. 
Auffallend war an allen Präparaten, wie die Markräume aller getroffenen 
spongiösen Knochenpartien ebenfalls mit mononucleären Leucocyten und 
dazwischen eingesprengten Blutextravasaten prall gefüllt waren. 


Im Anschluss an diese in der Literatur vorliegenden Beobachtungen 
sollen nunmehr die 5 von mir selbst der anatomischen 
Untersuchung unterworfenen Fälle mitgetheilt werden, von 
denen, wie bereits erwähnt, 4 auch im Leben von mir beobachtet 
worden sind. 


11. M., 26 Jahre alter Steindrucker, wird am 10. April 1894 im 
Krankenhaus am Urban aufgenommen. Der bisher angeblich gesunde 
und sehr kräftige Mann erkrankte Ende Januar 1894 mit Herzklopfen bei 
stärkerer Arbeit. 7 Wochen vor Eintritt in die Anstalt verspürte er 
plötzlich bohrende Schmerzen in der Milzgegend und bald wurde er, 
unter Zunahme dieser Schmerzen, so schwach, dass er die Arbeit ganz 
einstellen musste. Die Anamnese ergibt weiter, dass der Vater an 
Schwindsucht, ein Bruder an Lungenblutung gestorben sei, die Mutter 
und 3 Geschwister leben und sind gesund. Von 2 Kindern des Patienten 
starb eines an Brechdurchfall, das andere ist gesund und sieht blühend 
aus. Syphilitische Infection wird mit aller Entschiedenheit in Abrede 
gestellt. Seit 4—6 Wochen bemerkt Patient rothe Flecken auf der 
Haut. Bei der Aufnahme des mittelgrossen, ziemlich gracil gebauten 
Mannes, besteht auffallend blasse Farbe der Haut; auf den Unter- 
extremitäten und zwar vorwiegend auf der Vorderseite der Oberschenkel 
sieht man eine ziemliche Anzahl punkt- bis stecknadelkopfgrosser Hä- 
morrhagien von hellrother Farbe und neben diesen eine grosse Anzahl 
bräunlich-pigmentirter Flecke, offenbar Residuen früherer Blutungen. 
Aehnliche Flecke resp. Hämorrhagien finden sich in den Beugeseiten der 
oberen Extremitäten, am Halse und am Rumpf; auf der Mund- und 
Rachenschleimhaut ebenfalls einige bis linsengrosse Blutungen; aus der 
Nase entleert sich beim Schrauben blutiger Schleim. Conjunctivae 
Bulbi blass und frei von Blutungen. Drüsen überall geschwollen: 
zu beiden Seiten des Halses, in den Axillar- und Cubitalgruben, 


Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 115 


in der Leistengegend; sie sind sämmtlich weich und leicht ver- 
schiebar. Das Sternum ist auf Druck sehr empfindlich, in geringem 
Grade auch die Tibia beiderseits. Respiration etwas beschleunigt, 
Athmungsgeräusch beiderseits rein vesiculär; Percussion ergiebt hinten 
beiderseits lauten vollen Schall, nur über den 3 unteren Rippen 
geringe Dämpfung. Herzdämpfung beginnt an der 3. Rippe und geht 
nach unten diffus in eine Dämpfung des H. R. über, nach rechts lässt 
sie sich nur bis zum linken Sternalrand verfolgen. Spitzenstoss im 
V. J. C. R. sichtbar, von geringer Resistenz und normaler Breite. An 
der Herzspitze Galopprhythmus und ein leichtes Geräusch auf dem 
oberen Theil des Sternums. 2. Pulmonalton nicht verstärkt. Hüpfender 
Puls 102, T. 37,0 (Abends 38,5), Milz enorm vergrössert (14:25 cm), 
ebenso die Leber. Zunge nicht belegt, feucht, Stuhlgang regelmässig, 
Urin strohgelb, frei von Eiweiss. Die Blutuntersuchung ergibt eine 
enorme Vermehrung der Leucocyten, es sind fast ebenso viel weisse 
als rothe Blutkörperchen zu zählen (1,0 rothe zu 1,03—1,3) weisse. 
Die Grösse der rothen variirt sehr bedeutend; auch die weissen Blut- 
körperchen sind von wechselnder Grösse: einige zeigen die Grösse von 
normalen mononucleären Jeucocyten, die Mehrzahl aber ist bedeutend 
grösser und lässt Kern- und Protoplasma nicht deutlich von einander 
unterscheiden. Auch nach Färbung mit Hämatoxilin und Eosin er- 
scheint das Protoplasma nur als schmaler Saum, nur an einigen ganz 
grossen Zellen sieht man einen breiten Protoplasmasaum und einen 
geschrumpften Kern. Polynucleäre Zellen finden sich nur wenig. In 
jedem Präparat finden sich einige kernhaltige rothe Blutkörperchen 
Auffallend sind die zahlreichen Kerntheilungsfiguren. 


Im weiteren Verlaufe klagt Patient öfters über starkes Schwindel- 
gefühl, Uebelkeit und Brechneigung, hat auch mehrmals erbrochen. 
Frische Blutungen traten in der Schleimhaut der Wangen und auf den 
Tonsillen auf, auch am Halse und dem rechten oberen und unteren 
Augenlide, während am übrigen Körper nur noch die Residuen der 
früheren Petechien in Form von braunen Pigmentflecken sichtbar sind. 
Nasenbluten tritt ziemlich häufig auf; Gesicht und Schleimhäute zeigen 
ausserordentliche Blässe; die Schwellungen der Drüsen in der Axillar- 
und Cervicalgegend nehmen an Zahl und Grösse zu. Die Schwäche 
des Patienten wird von Tag zu Tag hochgradiger. Die Untersuchung 
des Augenhintergrundes ergibt: Papillen beiderseits verwaschen, in 
ihrer Umgebung zahlreiche Blutungen, links mehr als rechts, von vor- 
wiegend keilförmiger Beschaffenheit. Erst wenige Tage vor dem Tode 
klagt Patient über Abnahme des Gehörs auf dem linken Ohre und gibt 
an, dass er rechterseits schon längere Zeit nicht gut gehört habe. 
Eine Untersuchung des Ohres konnte erst am Tage vor dem Tode von 
mir vorgenommen werden und ergab: beiderseits diffuse Trübung des 
Trommelfelles und Fehlen des Lichtkegels, ausserdem links eine kleine 
Ecchymose dicht vor dem Umbo. Von einer genauen Hörprüfung konnte 
bei dem desolaten Zustande des Patienten keine Rede sein, auch war 


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116 Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 


nicht zu eruiren ob subjective Geräusche bestanden hatten. Der Exitus 
letalis erfolgte am 5. Mai in comatösem Zustande. Die Temperatur 
überstieg, ausser in den ersten Tagen, nie 37,0 (am Tage vor dem 
Tode 39,0). Die Pulsfrequenz schwankte zwischen 102 und 130. Im 
Urin wurde auch im weiteren Verlaufe weder Eiweiss noch Zucker 
gefunden. 

Vom Obductionsbefund soll hier nur das Wesentlichste mitgetheilt 
werden: An Brust, Bauch und Armen einige stecknadelkopf- bis linsen- 
grosse blaurothe Flecken, deren Farbe auf Druck nicht verschwindet ; 
Inguinal-, Cubital- und Cervicaldrüsen sind deutlich unter der Haut 
durchzufühlen, zweifellos geschwollen, von weicher Consistenz. Leber 
enorm vergrössert, der Magen dadurch nach abwärts gedrängt. Die 
Vergrösserung betrifft fast ausschliesslich den linken Leberlappen. Im 
Herzbeutel ';, Liter geröthete Flüssigkeit. Das Pericard. visceral. ist 
von zahllosen streifen- und punktförmigen Blutungen durchsetzt. Herz 
etwas grösser als die Faust der Leiche, dementsprechend Herzhöhlen 
etwas grösser als normal. Herzfleisch schlaff, von blass-gelbbrauner 
Farbe. Im Herzen nur wenig Blut von fast normaler Beschaffenheit. 
An den Lungen nicht besonderes, Milz, durch frische Adhäsionen mit 
der Bauchwand verwachsen, ist auffallend weich, auf dem Durchschnitt 
von rothbrauner Farbe, im pulpösen Theil geschwollen. Bei Heraus- 
nahme der Leber zeigt sich, dass die Vergrösserung beide Lappen 
betrifft und zwar ist der linke vorwiegend im Tiefendurchmesser (25 cm), 
der rechte vorwiegend im Höhendurchmesser (16 cm) vergrössert. Breite 
23 cm, Gewicht 2,5 Kg. An der Oberfläche und auf dem Durchschnitt 
der Leber ist die ausserordentlich deutliche acinöse Zeichnung auffallend. 
Die interacinösen Septa sind enorm breit und von glänzendweisser Farbe. 
Die Acini selbst sind braun und von fast glasiger Beschaffenheit. Nieren 
etwas vergrössert, in der leicht abziehbaren Kapsel und an der Ober- 
fläche der Nieren selbst einige kleine Hämorrhagien, auf dem Durch- 
schnitt von ausserordentlicher Blässe, sodass der Unterschied zwischen 
Rinden- und Marksubstanz verwischt ist. Die Blässe ist nur zum Theil 
urch Blutarmuth bedingt, grösstentheils durch leukämische Neubildung. 
Mesenterialdrüsen etwas geschwollen, weich, auf dem Durchschnitt 
ausserordentlich stark injicirt, beide Tonsillen vergrössert, zeigen auf 
der Oberfläche eine grosse Anzahl kleiner Hämorrhagien. Parenchym 
von auffallend weisser Beschaffenheit. Follikel der Zunge meist bis zu 
Bohnengrösse geschwollen. 

Die an Serienschnitten (senkrecht zur Längsachse des Felsenbeines) 
von mir vorgenommene mikroskopische Untersuchung des rechten 
Felsenbeines, (Härtung in Müller’scher Flüssigkeit, Entkalkung in 
10 °/, Salpetersäure und Färbung der Schnitte in Hämatoxylin und 
Eosin) ergab Folgendes: Die Markräume des Felsenbeines von der 
Spitze desselben bis zum Warzenfortsatz sind von meist mononucleären 
Leucocyten in ausserordentlicher Menge durchsetzt; an einzelnen Stellen 
sind die Zellen zu deutlich umgrenzten rundlichen oder länglichen 
Gebilden gruppirt.. Die Schleimhaut der knöchernen Tuba Eustachii 


- ur 





Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 117 


ist in ihrer medialen Wand ebenfalls sehr stark mit Lymphocyten in- 
filtrit; auch in den Blutgefässen zeigt sich eine massenhafte Anhäufung 
derselben. Ueberall in der Schleimhaut zerstreut finden sich kleinere 
und grössere Blutextravasate und zwar namentlich in der Umgebung 
der Blutgefässe. Im Ganzen ist die Schleimhaut stark verdickt. In der 
lateralen Wand der knöchernen Tuba finden sich nur an ganz verein- 
zelten Stellen kleine Lymphocyteninfiltrate, ebenso in der Schleimhaut 
am Boden der knöchenen Tuba. Dagegen zeigen auch hier die Blut- 
gefässe eine recht beträchtliche Anhäufung von Lymphocyten. Das 
Fpithel ist überall vollständig gut erhalten. In dem die Carotis um- 
gebenden Sinus fällt ebenfalls eine recht beträchtliche Anhäufung von 
I,ymphocyten auf. In den der Paukenhöhle näher liegenden Partien 
der Tubenschleimhaut nimmt die Infiltration wit Lymphocyten beträcht- 
lich zu, insofern sie hier auch die laterale Wand der Tuba in aus-. 
gedehnter Weise einnimmt. Dieselbe massenhafte Infiltration mit Lym- 
phocyten findet sich in der Schleimhaut dar Paukenhöhle selbst und 
zwar auch hier wieder am stärksten ausgeprägt an der medialen Wand. 
Dasselbe gilt von der Verdickung der Schleimhaut im Ganzen. Die 
Blutextravasate sind in der Schleimhaut der vorderen Partie der 
Paukenhöhle weniger zahlreich wie in den weiter nach hinten gelegenen, 
wo sie wieder, ebenso wie am Boden der Paukenhöhle, in grosser Zahl 
sich zeigen. An einzelnen Stellen sieht man neugebildete Bindegewebs- 
stränge die Paukenhöhle durchziehen und in der Schleimhaut selbst, 
besonders am Boden der Paukenhöhle finden sich einzelne kleine und 
grössere, mit normalem Epithel ausgekleidete cystenartige Räume. In 
derselben Weise, wie bisher beschrieben, zeigt sich auch die, den 
Hammer und Ambos bekleidende Schleimhaut mit Lymphocyten reichlich 
infiltrirt, dasselbe gilt von den Markräumen dieser Gehörknöchelchen, 
besonders denen des Ambos. Auch in den Havers’schen Kanälen ist 
die Anhäufung dieser Elemente eine recht bedeutende. Das Hammer- 
Ambosgelenk erscheint vollständig frei von pathologischen Veränderungen, 
dagegen finden sich in der Schleimhaut der hinteren v. Tröltsch’schen 
Tasche reichliche Lymphocytenanhäufungen. Sehr wenig verändert er- 
scheint die Schleimhaut in der Nische des ovalen Fensters und über dem 
Steigbügel und auch in der Nische des runden Fensters finden sich nur 
an den mehr lateralwärts gelegenen Partien der Schleimhaut Blutungen 
und Lymphocytenanhäufungen, während die Bekleidung der Membrana 
tympani secundaria, sowie diese selbst vollständig frei von Infiltration 
erscheint. Das Trommeltell zeigt im Ganzen keine sehr auffallenden 
Veränderungen. Die Schleimhaut desselben ist nur in ihrer unteren 
Partie von Lymphocyten durchsetzt, die Membrana propria vollständig 
frei, dagegen die Cutisschicht, namentlich in der Umgebung des 
Hammergriffes ziemlich reichlich infiltrirt. Am Tensor tympani sind 
keine pathologischen Veränderungen nachweisbar. Das Epithel der 
Paukenhöhle ist überall gut erhalten. Im äusseren Gehörgang zeigt 
die Cutis einer recht beträchtliche Infiltration mit Lymphocyten. Im 
Stamme des N. acusticus, da wo er in den Meat. audit. internus eintritt, 


118 Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 


finden sich im Verlaufe der Arachnoidalscheide mehrere Blutextravasate, 
von denen jedoch im weiteren Verlaufe des Nerven, ausser in ganz 
geringer Menge in der Macula cribrosa superior und media nichts mehr 
zu sehen ist, während sich an verschiedenen Stellen zwischen den ein- 
zelnen Nervenfasern, sowohl des R. cochleae als auch des R. vestibularis, 
Anhäufungen von Lymphocyten in mässiger Zahl finden. Dasselbe gilt 
von der Intumescentia gangliofomis; das Ganglion spirale dagegen, sowie 
die Ausbreitung des Nerven in der Lamina spiralis ist frei von patho- 
logischen Veränderungen, ebenso das Corti’sche Organ, das im 
Ganzen ziemlich gut erhalten ist. Dasselbe gilt vom Sacculus und 
Utriculus und ebenso vom Aqaeductus vestibuli. Dagegen finden sich 
in sämmtlichen halbzirkelförmigen Kanälen und zwar in den perilym- 
phatischen Räumen derselben (knöchernen Kanälen) augedehnte Blut- 
‚ extravasate, Anhäufungen von Lymphocyten nur in mässiger Menge. 
Die endolymphatischen Räume sind frei von pathologischen Veränderungen, 
die Cristae acusticae der Ampullen überall unverändert mit wohl er- 
haltenem Epithel, über demselben eine deutliche Cupula terminalis. 
Der N. facialis ist in seinem ganzen Verlaufe frei von pathologischen 
Veränderungen. 


12. Frau Ch., 34 Jahre alt, am 13. Januar 1895 aufgenommen, 
früher stets gesund, erkrankte Anfang December unter Frost und Hitze 
an Husten, Stechen in der Brust, und schleimigem Auswurf. Während 
der Husten sich allmählich verlor, blieben die Stiche in der linken 
Seite bestehen; seit dem 2. Januar 1895 Anschwellung des Gesichts 
und der Beine, seit derselben Zeit Kopfschmerzen und Ohrensausen 
beiderseits, Nachtschweisse. Vor 8 Tagen wiederholt Durchfall. Pat. 
hat zwei Mal geboren, das letzte Mal im März 1844. 

Stat. praesens: Kräftig gebaute, gut genährte Frau, zeigt auf- 
fallen‘e Blässe des Gesichts und der sichtbaren Schleimhäute Am 
hinteren Rande des M. sternocleidomastoideus beiderseits, links auch 
am vorderen Rande ein Strang vergrösserter auf Druck empfindlicher 
Drüsen von Erbsen- bis Bohnengrösse. Ebensolche Drüsen im Nacken 
und in der Achselhöhle. Druck auf Proc. mastoid. beiderseits schmerz- 
haft, Röthung oder Schwellung desselben nicht vorhanden. Sternum 
auf Klopfen sehr empfindlich, ebenso die rechte Tibia. Leichte 
Röthung des Vel. pal. und der Uvula. Am Thorax überall lauter 
Percussionsschall, nur über den letzten 4 Rippen rechts und 3 Rippen 
links leichte Verkürzung. Athmungsgeräusch überall vesiculär, hinten 
unten etwas verschärft, Spitzenstoss im IV. Intercostalraum, Herz- 
dämpfung normal. Ueber der ganzen Regio cordis ein weiches blasendes 
systol. Geräusch. Leber nicht vergrössert, Milz überragt den Rippen- 
bogenrand in der Rückenlage um drei Querfinger. Percussion der 
Milz etwas empfindlich. Ihre Dimensionen betragen 12:20 cm. Gegend 
der rechten Niere auf Druck empfindlich. Urin hellgelb, leicht getrübt, 
enthält Albumen. Der Augenhintergrund beiderseits sehr blass; im 
oberen Quadranten des linken Auges sieht man zwischen ectasirten 


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Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 119 


Venen einige streifenförmige Blutungen ; eine erheblich grössere Hämor- 
rhagie von querovaler Gestalt, deren Längsdurchmesser noch etwas 
den Papillendurchmesser übertrifft, ist an nämlicher Stelle der rechten 
Netzhaut gelegen. Sehvermögen normal. Temp. Morgens 36.8, Abends 
38.5, Puls 83 regelmässig, etwas gespannt. 


Die Untersuchung des Gehörorgans ergab Folgendes: Nach Ent- 
fernung eines Cerumpfropfens aus dem rechten Ohr, hört Pat. hier 
die Uhr in 1,25 Meter Entfernung (normal) und beim Anlegen an den 
Proc. mast., Flüstersprache (drei, Friedrich) in 3—4 Meter Entfernung. 
Tiefe Stimmgabeln von 16 und 32 Schwingungen werden nicht mehr 
gehört, wohl aber die von 48 Schwingungen; c bis 7 Sec., c!Y bis zum 
Ausklingen. Links Uhr durch K.-L. deutlich, durch Luftleitung in 
0,75 Meter Entfernung, Flüstersprache (zwanzig, Pfefferkuchen) in 3—4 
Meter. Tiefe Stimmgabeln von 16, 32, 48 Schwingungen ebenso wie 
rechts, c—15‘, cIV bis zum Ausklingen. Vom Warzenfortsatz aus 
wird c beiderseits 10° lang gehört; der Rinne’sche Versuch fällt 
beiderseits positiv aus. Vom Scheitel aus wieder beiderseits gleich 
stark gehört. Das Trommelfell zeigt beiderseits leichte, diffuse Trübung, 
Lichtkegel verwaschen. 


Die Untersuchung der gefärbten Blutpräparate (Hämatoxilin und 
Eosin) ergiebt einen abnormen Reichthum an weissen Blutkörperchen. 
Ihr Verhältniss zu den rothen beträgt 1:8,7 und zwar nehmen auch 
hier wieder die mononucleären Zellen (Lymphocyten) den Hauptantheil 
an der Vermehrung. Kernhaltige rothe Blutkörperchen sind nur in 
geringer Zahl vorhanden. Der weitere Verlauf, über den ich hier nur 
kurz nach den von Herrn Prof. A. Fraenkel bereits in der Deutsch. 
med. Wochenschrift 1895, No. 41, p. 679 gegebenen ausführlichen 
Mittheilungen („Ueber acute Lenkaemie“) berichten will, gestaltete sich 
in folgender Weise: In den nächsten Tagen tritt mehrfach Nasenbluten 
und blutiges Erbrechen ein, die Drüsenschwellungen nehmen zu, während 
die Zahl der weissen Blutkörperchen sich etwas verringert. Die Temp. 
schwankt zwischen 39,2 und 40,2, Puls pp. 115. Vom 23. (dem 10. 
Tage des Krankenhausaufenthaltes) an, zeigt sich ein stetig zunehmender 
Kräfteverfall, dabei macht sich eine fortschreitende Verkleinerung der 
Hals- und Axillarlymphdrüsen bemerkbar. Die Haut der unteren Hals- 
gegend zeigt vereinzelte stecknadelkopfgrosse Petechien; reichlicher sind 
solche an der Vorderfläche der Oberschenkel. Die Milz ist bei tieferen 
Inspirationen eben noch unter dem Rippenbogenrand zu fühlen; Em- 
pfindlichkeit des Sternums und der Tibia unverändert. Wiederholtes 
Nasenbluten; auf der Schleimhaut der Wangen linsengrosse Hämor- 
rhagien. Die Netzhautblutungen nehmen an Zahl zu, die meisten der- 
selben stellen sich als theils kreisrunde, theils länglich streifige, radiär 
gegen die Papille gerichtete Hämorrhagien mit weisslichem Centrum 
dar. Pat. kann nicht mehr gut sehen, und erkennt selbst die vor ihr 
stehenden Personen nicht genau. Am 24. trat eine ausserordentlich 
heftige Epistaxis ein, welche die Tamponade der Nase nöthig machte; 


120 Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 


wegen des schlechten Pulses wurde eine intravenöse Kochsalzinfusion 
(1 L. 0,70°/, Lösung) vorgenommen. Von Drüsenanschwellungen konnte 
in den letzten Tagen vor dem Tode, der am 26. eintrat, nichts mehr 
nachgewiesen werden, die Milz war nur noch mit Mühe unter dem 
Rippenbogen zu fühlen. Das Verhältniss der weissen zu den rothen 
Blutkörperchen änderte sich in den letzten Tagen (seit dem 21.) so, 
dass es betrug: 
.1:213 
22. 1:312 
1 : 275 
1 : 596 
25. 1; 733 


Eine am 21. von Herrn Dr. Kiefer nach der Sittmann’schen 
Methode vorgenommene Blutuntersuchung ergab das Vorhandensein 
spärlicher Colonien ein und derselben üppig wachsenden Bacterienart, 
welche als Bacterium coli bestimmt wurde. 


Die Obduction (Dr. C. Benda) ergab Folgendes: Einige punkt- 
förmige Blutungen auf dem Epicard, zahlreichere unter dem Endocard 
des linken Ventrikel. Herz schlaf, von normaler Grösse, Muskulatur 
blas. Die nirgends adhärenten, fast pigmentfreien und sehr blassen 
Lungen sind von einer sehr grossen Anzahl theils punktförmiger, theils um- 
fangreicher Blutungen durchsetzt. Jede einzelne Blutung besteht aus 
einem ziemlich scharf begrenzten braunrothen Centrum und einem 
diffusen, rosa infiltrirten Hof. Submaxillare Lymphdrüsen mässig ver- 
grössert. Pharynx mit Schleim und Blut gefüllt, äusserst putride 
riechend; dabei stark vergrösserte Tonsillen, deren enge Lacunen von 
seröser Flüssigkeit erfüllt sind; Follikel derselben erheblich geschwollen, 
von weisslicher, markiger Beschaffenheit, nur stellenweise fleckig geröthet. 
Epiglottis geschwollen, von borkigen, nekrotischen Auflagerungen bedeckt. 
Milz mässig vergrössert (18:9:5). Kapsel der linken Niere von 
reichlichen Blutungen durchsetzt, das Organ von äusserst schlaffer, fast 
teigiger Consistenz. Die Substanz von zahlreichen, wenig über die 
Oberfläche hervorspringenden, zum Theil vereinzelt, zum Theil in Gruppen 
zusammenstehenden zahlreichen Herdchen durchsetzt, deren jeder von 
einem hämorrhagischen Hof umgeben ist. Schleimhaut des Nierenbeckens 
stark aufgewulstet, ebenfalls von zahlreichen Blutungen durchsetzt. 
Rechte Niere blass, mit leichter Trübung der Rindensubstanz; auf 
der Schleimhaut des Beckens nur wenig Blutungen. Auf der Ober- 
fläche der Uterusschleimhaut einige kleine Hämorrhagien, ebensolche 
an der Oberfläche der Ovarien und auf der Serosa des Douglas’schen 
Raumes. Mesenteriale Lymphdrüsen mässig geschwollen, retroperitoneale 
stärker, von grösseren Blutungen durchsetzt, im übrigen von theils 
fleckig rother, theils markiger Beschaffenheit. Darminhalt im unteren 
Theil des Deums blutig gefärbt, im oberen Abschnitt des Jejunum einige 
Schleimhautblutungen, im unteren sind die Peyer’schen Plaques etwas 
geschwollen, schiefrig pigmentirt; Schleimhaut hier, wie im ganzen Darm 


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DVD 
Q9 


Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 121 


sehr anämisch. Auf der Oberfläche des Gehirns, namentlich links über 
dem Stirn- und Schläfenlappen, rechts in der Nachbarschaft des Sule. 
Rolandi, ferner im Bereiche der beiden Bulbi olfactorii zahlreiche 
arachnoidale Blutungen. In der linken Stirn- und Keilbeinhöhle blutig- 
seröse Flüssigkeit. Beide ossa femoris zeigen eine starke Verkleinerung 
der Markhöhle. In der Nähe der oberen Epiphyse gelatinöses Mark, 
im Bereiche der Diaphyse peripher Fettmark, central gelatinöses. Die 
unteren Epiphysen weisen reichlich mit Blut durchsetztes Ilymphomatöses 
Mark auf. Während der eine Stunde nach dem Tode ausgeführten 
Section wurden Culturen aus dem Leichenblute, der Milz, der Niere 
und dem Knochenmark angelegt. Aus diesen sämmtlichen Organen mit 
Ausnahme der Niere, wuchs in Reincultur Bacterium coli (Dr. Cohn). 
Aus dem besonders bemerkenswerthen von Dr. Benda erhobenen miskro- 
skopischen Befunde in der linken Niere sei hier noch mitgetheilt, 
dass die fast ausschliesslich in der Rinde gelegenen Erkrankungsherde 
sehr umfangreiche, unregelmässig eingestreute Blutungen zeigen, die 
theils in das interstitielle Gewebe, theils in das Lumen der Harn- 
kanälchen hinein stattgefunden haben. An der Peripherie der Herde 
gewahrt man reichliche Rundzelleninfiltiation, während das Centrum 
Nekrose aufweist. Jene besteht aus Zellanhäufungen von dem Charakter 
der mononucleären Leucocyten, während nach der Mitte zu an ihrer 
Stelle polynucleäre Zellen treten, die sowohl im interstitiellen Gewebe, 
wie im Lumen der Harnkanälchen lagern. In den nekrotischen Ab- 
schnitten gewahrt man kleine Bacillen von etwas plumper Gestalt, die 
stellenweise in Form verzweigter Cylinder zusammenliegen, ohne dass 
mit Sicherheit ein umgebender Gefässrand nachweisbar ist. 

In diesem Falle habe ich das linke Felsenbein miskrokopisch 
untersucht und folgenden Befund erhoben: In den Markräumen des 
Knochens an der Spitze des Felsenbeines keine auffallenden Verände- 
rungen, im Sinus caroticus keine Anhäufung von Lymphocyten. In der 
knöchernen Tuba Eustachii ein umfangreiches der medialen Wand auf- 
liegendes fibrinös-eitriges Exsudat; in der Schleimhaut selbst keine An- 
häufung von Lymphocyten. Derselbe Befund ist in der vorderen Partie 
der Paukenhöhle zu constatiren, woselbst das Exsudat der Labyrinth- 
wand aufliegt. Gegen die weiter nach hinten gelegene Partie der 
Paukenhöhle nimmt das fibrinös-eitrige Exsudat bedeutend an Menge 
zu und der Kuppelraum ist von demselben fast tanz erfüllt. Inmitten 
dieses Exsudates finden sich zahlreiche durch Hämatoxylin tiefdunkel- 
blau gefärbte grössere und kleinere unregelmässig rundlich gestaltete 
Partien, die sich auf anderem, mit Löffler’schem Methylenblau 
gefärbten Schnitten bei der Untersuchung mit der Immersionslinse 
(t/i hom. Immers. Leitz) als Haufen von Bacterien erweisen. Die 
Schleimhaut selbst zeigt nur in den hinteren oberen Partien eine 
auffallende Infiltration mit Lymphocyten; in den untersten beschränkt 
sich dieselbe auf die tieferen Schichten der Schleimhaut, während die 
oberflächliche Schicht an verschiedenen Stellen beginnende Nekrose zeigt, 
die sich durh auffallend schlechte Färbung des Gewebes kennzeichnet. 


122 Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie, 


An diesen Partien ist auch das Epithel abgestossen. In beträchtlicher 
Menge findet sich das fibrinös-eitrige Exsudat in den Nischen des 
ovalen und runden Fensters. Der hintere Schenkel des Steigbügels ist 
durch einen breiten Bindegewebsstrang mit der oberen Wand der 
Fensternische verwachsen. An verschiedenen Stellen in der Pauken- 
höhlenschleimhaut sieht man Anhäufungen von fädigem Fibrin. — Das- 
selbe fibrinös-eitrige Exsudat mit Bacterienhaufen ist in den Zellräumen 
der Part. mastoidea zu finden, daselbst zum Theil die Räume ganz 
ausfüllend, zum Theil nur den Wandungen aufliegend. An den Gehör- 
knöchelchen findet sich nichts abnormes. Das Trommelfell zeigt in 
seinem hinteren oberen Quadranten einen spindelförmig gestalteten Hohl- 
raum in der Epidermisschicht und zwar zwischen Rete Malpigh. und 
Hornschicht gelegen, dessen Inhalt von einer feinkörnigen Masse gebildet 
wird, in welcher zahlreiche grössere und kleinere mononucleäre Leuco- 
cyten angehäuft sind. Im Stamm des N. acustic. finden sich, ausser 
einer mässigen Infiltration der Arachnoidalscheide mit Leucocyten, 
besonders an der unteren Peripherie des Nerven im Meat. auditor. 
intern., keine Veränderungen. In den Räumen des Modiolus eine 
ausserordentlich reichliche Anhäufung von Pigment, ebenso in den an- 
grenzenden Partien der Lamina spiral. ossea. Das Corti’sche Organ 
ist in seinem groben Umrissen noch zu erkennen und zeigt keine 
pathologischen Veränderungen. Im Ligament. spir. der Basalwindung 
und zwar in der der Scala vestibuli angehörenden Partie ein ziemlich 
grosses Blutextravasat, nahezu bis zur Stria vascularis heranreichend, 
in deren Zellen sich reichliches Pigment findet. Diese Pigmentanhäufung 
in den Zellen der Stria vascularis ist auch in der mittleren und oberen 
Schneckenwindung vorhanden. Im Vorhof und den halbzirkelförmigen 
Kanälen, abgesehen von ziemlich reichlichen Pigmentanhäufungen im 
Bindegewebe des perilymphatischen Raumes der Ampullen, keine phato- 
logischen Veränderungen, von denen auch der N. facialis vollkommen 
frei ist. 


13. Frau K. 32 Jahre alt, 25. IV. 1895 aufgenommen, . angeblich 
bisher immer gesund, erkrankte vor 3 Wochen unter Schüttelfrost mit 
Kopfschmerzen, allgemeiner Mattigkeit. Gliederschmerzen, Schmerzen im 
Halse und Sausen in den Ohren. An letzserem will sie früher niemals 
gelitten, wohl aber vor einem Jahre schon bemerkt haben, dass sie 
schlechter als sonst höre. Unter auffallender Abmagerung und zu- 
nchmender Blässe traten in den letzten 14 Tagen Schmerzen und An- 
schwellung im linken Ellenbogen- und rechten Kniegelenk ein. Bei 
der Aufnahme bestand hohes Fieber (39,8) Beschleunigung des Pulses 
(136) und der Respiration (32), leichter Icterus, starker Leber- und 
Milztumor, Schmerzhaftigkeit am Sternum, periossale Verdickung an 
der rechten Tibia, Hämorrhagien an verschiedenen Stellen der Haut. 
Cervical-, Axillar- und Inguinaldrüsen geschwollen. Schwellung und 
Schmerzhaftigkeit am linken Ellenbogen- und rechten Fussgelenk; auch 
der linke Warzenfortsatz ist auf Druck empfindlich. An der Grenze 


Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 123 


des weichen und harten Gaumens eine strahlenförmige Narbe, auf der 
Schleimhaut des Arcus palatoglossus zwei stecknadelkopfgrosse Hämor- 
rhagien. Im Augenhintergrund keine Blutung. Ueber dem ganzen 
Herzen ein lautes, systolisches Geräusch. Am Thorax hinten unten 
beiderseits leichte Dämpfung, spärliches pleuritisches Reiben neben 
vesiculärem Athmungsgeräusch; auch sonst überall vesiculäres Athmen. 
Die Untersuchung des Blutes ergab einen Hämoglobingehalt von 55°/,, 
das Verhältniss der rothen zu den weissen Blutkörpercken betrug 35:1. 
Die weissen Blutkörperchen gehören in ihrer überwiegenden Mehrheit 
der mononucleären Form an. Urin enthält reichlich Eiweiss, spärliche 
Rundzellen und gekörnte Cylinder. Die Untersuchung des Ohres ergab 
objectiv keine auffallenden Veränderungen, nur eine leichte Trübung des 
Trommelfelles im hinteren oberen Quadranten. Eine genaue Hörprüfung 
war bei dem elenden Zustand der Pat. nicht vorzunehmen, doch liess 
sich konstatiren, dass die Uhr weiderseits weder durch Luft- noch 
durch Knochenleitung zur Perception „kam. Flüstersprache wurde 
links nur dicht am Ohr, rechts gar nicht gehört: laute Sprache auch 
bei verschlossenem rechten Ohr, also offenbar durch das linke 
(Dennert’s Versuch). — Im Verlauf der näshsten Tage trat unter 
Vermehrung der Hauthämorrhagien und Zunahme der Drüsenschwel- 
lungen ein rapider Verfall der Kräfte ein; die Temperatur stieg 
wiederholt auf 40,2, Puls und Respiration blieben beschleunigt und 
unter starker Dyspnoe erfolgt am 1. Mai, also 7 Tage nach der Auf- 
nahme der Exitus letalis. — Die Obduction (Dr. Carl Benda) ergab, 
kurz zusammengefasst, Folgendes: Lymphomatosis medullae osseae, 
exostosis tibiae; Haemorrhagia articulationis ulnaris sin. Lymphomata 
durae matris, Hämorrhagia piae matris, peritonei, pleurae, mucosae 
laryng. et pulmon. Myocarditis parenchymatosa. Tumor lienis leukaemicus, 
Hyperplasiae glandul. lymphatic. leukaemicae. Lymphomata tonsillae 
lingualis, palatinae et pharyngae. Necrosis tonsill. palat. dextr. Lymphom. 
coli. Perihepatitis cicatricans. Hepatitis interstitial. Hepar lobatum. 
I,ymphomatosis renum. Alte Narben im Mastdarm. Bei der mikro- 
scopischen Untersuchung des linken Felsenbeins fand sich: massenhafte 
Anhäufung von Lymphocyten in den Markräumen des Knochens an der 
Spitze des Felsenbeines, ebenso im Sinus caroticus. In den Wandungen 
der Carotis selbst keine Veränderungen. Die knorpliche sowohl wie 
die knöcherne Tuba zeigen nichts abnormes. Die Schleimhaut der 
Paukenhöhle zeigt nur vereinzelte, ganz circumscripte Anhäufungen von 
I,ymphocyten und zwar besonders an der Labyrinthwand; Blutextravasate 
sind nirgends zu sehen. Von der Labyrinthwand der Paukenhöhle 
ragen mehrere, ziemlich lange, von der knöchernen Labyrinthkapsel aus- 
gehende, mit einer zarten Schleimhaut überzogene Knochenspangen frei 
in das Lumen des Hohlraums hinein. Hammer und Ambos erscheinen 
normal und das Steigbügelköpfchen ist durch einen bindegewebigen 
Strang mit der stark verdickten Schleimhaut an der unteren Partie der 
Nische des ovalen Fensters verwachsen. Der untere Umfang der Steig- 
bügelfussplatte ist ebenfalls mit der entsprechenden Partie der Nische 


124 Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 


des ovaleu Fensters verwachsen und zwar nicht blos durch Bindegewebe 
sondern im Wesentlichen durch neugebildete Knochensubstanz. Die 
Fussplatte des Steigbügels selbst erscheint beträchtlich verdickt, ebenso 
das Periost in der Nische des ovalen Fensters. Auch in der Nische 
des runden Fensters und zwar quer durch dieselbe von einer Wand 
zur andern hinüberziehend sieht man neugebildete Bindegewebsstränge, 
Die Membrana tympani secundaria ist frei von pathologischen Ver- 
änderungen. Dagegen finden sich solche in ganz auffallender Weise in 
der Labyrinthkapsel in der Gegend der beiden Fensternischen und über 
dem Anfangstheil der unteren Schneckenwindung. An Stelle des 
compacten Knochens sieht man hier überall neugebildete Knochen- 
substanz, deren ausserordentlich erweiterte Knochenräume mit einem 
zellenreichen Bindegewebe und Blutgefässen erfüllt sind. Die Zahl der 
Knochenkörperchen ist gegenüber der der normalen Knochensubstanz 
beträchtlich vermehrt. Diese Knochenneubildung reicht noch bis fast 
zur Macula cribrosa superior;. zwischen dieser und der Neubildung ist 
eine pp. 1 mm dicke Schicht normalen Knochengewebes erhalten. An 
der der unteren Schneckenwindung entsprechenden Partie der Labyrinth- 
kapsel erstreckt sich die Veränderung des Knochens im Wesentlichen 
auf die obere und untere Umgrenzung der Schneckenwindung, während 
die äussere dem eigentlichen Promontorium entsprechende Partie nahezu 
vollständig intact erscheint. Ueberhaupt erweisen sich die tieferen 
Schichten des Knochens hauptsächlich von der Knochenneubildung 
befallen, während die oberflächlichen, der Paukenhöhlenschleimhaut an- 
grenzenden Schichten nur wenig afficirt, an verschiedenen Stellen ganz 
normal erscheinen. An der Pars mastoidea finden sich keinerlei patho- 
logische Veränderungen, weder im Knochen selbst, noch in den zahl- 
reichen pneumatischen Räumen desselben; ebenso ist der äussere Gehör- 
gang frei von Abnormitäten. 

Am Stamm des N, acusticus erscheint die Arachnoidalscheide etwas 
verdickt und in geringem Grade mit Lymphocyten infiltrirt, eine 
etwas reichlichere Anhäufung derselben zwischen den Ganglienzellen im 

Rosenthal’schen Kanal und zwar namentlich in der, der Basal- 
_ windung entspsechenden Partie. Im Bindegewebe des Modiolus zeigen 
sich an verschiedenen Stellen Pigmentanhäufungen. Eine stärkere An- 
häufung von Lymphocyten findet sich zwischen den Ganglienzellen der 
Intumescentia ganglioformis Scarpae. Die heutigen Gebilde des Laby- 
rinthes zeigen im Uebrigen keinerlei pathologische Veränderungen; das 
Corti’sche Organ ist nur noch in seinen groben Umrissen zu erkennen 
(Leichenveränderung). A 


14. Frau Kn., 54 Jahre alt, leidet seit 6 Monaten, nach überstandener 
Influenza, an Kopfschmerzen, zunehmender Mattigkeit, wozu sich in den 
letzten 3 Wochen Appetittlosigkeit, Stuhlverstopfung, Athembeschwerden, 
zeitweiliges Erbrechen gesellte. Fieber soll erst in den letzten beiden 
Tagen vor der Aufnahme in das Krankenhaus (15. Juni 1896) auf- 
getreten sein. Objectiv sind, ausser einer 'Temperaturerhöhung bis 


Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 195 


39,80 bei der Aufnahme selbst keine Veränderungen nachzuweisen. Erst 
5 Tage später zeigten sich auf Brust- und Bauchhaut mässig zahlreiche - 
bis linsengrosse Petechien. Die Blutzählung ergibt erhebliche Ver- 
mehrung der weissen Blutkörperchen (1:23). Hämoglobingehalt 50—60°/,. 
Später traten Blutungen in der stark geschwollenen Schleimhaut des 
Mundes und im Augenhintergrund beiderseits auf, ferner zahlreiche 
Knötchenbildungen meist von livider Färbung an den verschiedensten 
Stellen in der Haut, Schwellung der Cervical-. Submaxillar- und Inguinal- 
drüsen; beträchtliche, schmerzhafte Anschwellung der Leber, geringe 
Schwellung der Milz. Unter zunehmender Entkräftung und beträchtlich 
gesteigerter Athemfrequenz erfolgte bereits am 26. Juni der Exitus 
letalis. (Der Fall wird von Herrn Collegen Stadelmanu, auf dessen 
Abtheilung er zur Beobachtung kam und dessen Freundlichkeit ich 
diese Notizen verdanke, ausführlich an anderer Stelle mitgetheilt werden). 
Bezüglich des Ohres ergaben meine eigenen Untersuchungen‘ Folgendes: 
Pat., die angibt, früher nie ohrenkrank gewesen zu sein, erst seit 
3 Monaten an Ohrensausen und geringer Schwerhörigkeit beiderseits zu 
leiden, (über Schwindelerscheinungen wurde nicht geklagt) hört bei der 
am 21. Juni vorgenommenen Prüfung rechts und links; Uhr 0,3 
Meter durch Luftleitung, und deutlich durch Knochenleitung; Flüster- 
sprache, (drei, zwanzig) in 2 m Entfernung vom Ohr; Stimmgabeln von 
16 und 32 vibr. dupl. werden gar nicht, wohl aber die von 48 vibr. 
dupl., ferner c und c!“ deutlich gehört. Ein zuverlässiges Resultat 
bezüglich der Hördauer für diese beiden Gabeln durch Luftleitung war 
bei dem grossen Schwächezustand der Pat., die eine genauere Prüfung nicht 
gestattete, nicht zu erzielen. Eine beträchtliche Verminderung schien nicht 
zu bestehen. Vom Proc. mast. aus wurde c beiderseits bei wiederholter Prüfung 
7 Sec. gehört. Der Rinne’sche Versuch fiel beiderseits positiv aus. Die Unter- 
suchung mit dem Ohrspiegel ergab keine irgendwie auffallende Veränderung. 
— Die Obduction (Dr. C. Benda) ergab: Petechien der Haut, Lymphome 
des subcutanen Gewebes, der Dura mater, Pachymeningitis interna 
hämorrhagica, subarachnoidale Blutungen, profuse Hämorrhagien der 
Pleuren, Pericarditis fibrinosa haemorrhagica, Endocarditis haemorrhagica, 
Lymphomatose des Knochenmarkes, leukämische Leber- und Milztumoren, 
leukämische Tumoren der submaxillaren, retroperitonealen, axillaren 
inguinalen Lymphdrüsen, dyphterische und gangränöse Ulcerationen des 
Zahnfleisches, harten Gaumens, der Tonsillen und des Zungengrundes; 
nekrotische Lymphome des Magens und Darms. Leukämischer Milztumor. 
Bronchitis purulenta, Lungenoedem Bei der mikroskopischen Unter- 
suchung des rechteu Felsenbeines fand sich mässige Anhäufung von 
Lymphocyten in den Markräumen desselben, sehr reichliche im Bulbus 
der Vena jugular. In der Tuba Eustach. keinerlei Veränderungen. 
Das Epithel überall gut erhalten. In der Paukenhöhle erscheint die 
Schleimhaut überall sehr dünn, zeigt nirgends irgend welche Infiltrationen 
mit Lymphocyten, zwischen der äusseren oberen Wand der Paukenhöhle 
und den ihr gegenüberliegenden Partien der Gehörknöchelchen (Hammer 
und Ambos) verlaufen an verschiedenen Stellen feine Bindegewebs- 


126 Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 


stränge, innerhalb welcher Gefässe mit mässig vermehrten Lymphocyten 
erkennbar sind. Das Trommelfell ist überall frei von pathologischen 
Veränderungen; dasselbe gilt vom Hammer-Ambos-Gelenk und vom 
Ambos-Steigbügel-Gelenk. — Der Meatus auditor. internus ist an 
verschiedenen Stellen von neugebildeten Bindegewebssträngen durchzogen, 
die Duraauskleidung beträchtlich verdickt. Am auffallendsten sind 
diese Veränderungen am Eingang des Meat. audit. intern., der N. 
acustic. erscheint an dieser Stelle wie eingeschnürt, doch sind an dem- 
selben sonst keine Veränderungen nachzuweisen. Im Modiolus, besonders 
aber in der Lamina spiral. und der Stria vascularis, speciell der oberen 
Schneckenwindungen, ziemlich reichliche Pigmentanhäufungen. Die 
Zellen des Ganglion spirale und die Nervenfasern in der Lamina 
spiralis zeigen keine Veränderungen; das Corti’sche Organ ist nur in 
seinen groben Umrissen zu erkennen. Eine verhältnissmässig reichliche 
Anhäufung von Lymphocyten findet sich zwischen den Nervenfasern des 
Ramus sacculi, hauptsächlich im Gebiete der Macula cribrosa media. 
Der Aquaeductus cochleae ist frei von pathologischen Veränderungen; 
dagegen erscheint die neben ihm verlaufene Vene fast ganz mit Lympho- 
cyten erfüllt. Im Vorhof und in den halbzirkelförmigen Kanälen nichts 
pathologisches nachweisbar. DBemerkenswerth ist nur eine ziemlich 
reichliche Anhäufung von Pigment im Nervenepithel der Ampulla superior 
resp. der Crista acustica derselben. Auch der N. facialis ist frei von 
pathologischen Veränderungen. 


15. B., 31jähr. Maurer, bisher stets gesund, erkrankte pp. sechs 
Wochen vor seiner Aufnahme ins Krankenhaus (30. V. 1896) mit 
Stichen auf der Brust, Athemnoth, Fieber, wozu sich später Schwindel 
und Kopfschmerz, häufiges Nasenbluten und Drüsenschwellungen gesellten. 
Seit dem 13. V. Facialislähmung rechterseits. Bei der Aufnahme besteht 
diese noch, ausserdem enorme Blässe, Dypnoe, schmerzhafte Drüsen- 
schwellungen, mässiger Leber- und Milztumor, Knochenschmerzen, 
Dämpfung über der rechten oberen Lunge und dem Sternum, Blutungen 
in die Schleimhäute (Mund, Nase, Conjunctiva), Petechien auf der 
Haut. Urin wird in grosser Menge entleert, enthält viel Harn- 
säure. Fieber besteht nicht. Augenhintergrund normal. Athmung und 
Puls sehr beschleunigt. Das Blut zeigte Vermehrung der Leucocyten 
(besonders der grossen Lymphocyten) im Verhältniss von 1:94 ver- 
einzelte polynucleäre und cosinophile Leucocyten, sowie kernhaltige rothe 
Blutkörperchen. Ueber Erscheinungen seitens des Ohres hat Pat. nicht 
geklagt; eine objective Untersuchung war nicht vorgenommen worden. 
Exitus letalis am 2. VI. 1896. 

Anatomische Diagnose (Dr. C. Benda): Petechien der 
Rumpfhaut. Blutungen der Musculatur, des Unterhautzellgewebes ; 
Lymphone des Mediastinums. Anämie des Gehirns. Oedema arachnoideae 
et ventriculorum. Pleuritis chronica adhaesiva dextr. Lymphome der 
Pleura und des Pericards, Hämorrhagie der Pleura, des Epicards und 
des Peritoneums. Compressionsatelectase der rechten Lunge. Lugenödem, 


h Amme et a -b 
pore a 


Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 127 


Lungenhämorrhagie. Atrophie der Thyreoidea.. Parenchymatöse Myo- 
carditis. Lymphosarcom der Cubital-Inguinal-Cervical-Mediastinaldrüsen, 
der Thymus. Geringe Hyperplasie der Mesenterial- und Bronchialdrüsen. 
Hyperplasie (Lymphomatose) der Milz. Lymphomatose des Knochenmarks. 
Tonsillitis Iymphomatosa, hämorrhagische Gastritis und Enteritis, colitis 
und Proctitis follicularis Nephritis parenchymatosa et haemorrhagica. 
Hämorrhagien des Nierenbeckens und der Tunica albuginea testis. 
Atrophie der Nebennieren. 


Die mikroskopische Untersuchung des rechten Felsenbeines ergab 
Folgendes: Mässige Anhäufung von Lymphocyten in den Markräumen des 
Felsenbeines. Tuba Eustach. und Sinus caroticus ohne nachweisbare Ver- 
änderungen, dassselbe gilt im Wesentlichen für die Paukenhöhle. Nur über 
dem Promontorium erscheint die Schleimhaut etwas verdickt und in ihren 
tieferen Schichten mit Lymphocyten mässig durchsetzt. In der Nische 
des runden Fensters sieht man einige dieselbe quer durchziehende 
neugebildete Bindegewebsstränge, ebensolche zwischen Hammerkopf und 
Tegmen tympani. Gehörknöchelchen, Trommelfell und äusserer Gehör- 
gang zeigen nichts pathologisches. Dagegen erscheint der N. facialis 
in seinem ganzen Verlaufe durch den Fallopischen Kanal ausser- 
ordenslich reichlich mit Lymphocyten durchsetzt, die Nervenfasern im 
Grossen und Ganzen gut erhalten, nur an einzelnen Stellen degenerirt 
(Weigert’sche Färbung). Im Stamm des Nervus acusticus eine ziemlich 
reichliche Infiltration mit Lymphocyten, namentlich im Endoneurium; an 
einzelnen Stellen liegen dieselben sowohl hier als auch im Perineurium 
in kleinen Haufen zusammen. An einer circumscripten Partie, deren 
Configuration einem Nervenbündel entspricht und in deren Peripherie 
eine auffallend reichliche Anhäufung, durch Hämatoxilin intensiv dunkel- 
blau gefärbter runder Körper (Corpora amylacea) sich findet, sieht man 
ein mit meist runden hie und da auch spindelförmigen Kernen durch- 
setztes Gewebe, dessen Grundsubstanz nicht deutlich erscheint, in dem 
aber von Nervenfasern, wie namentlieh nach Weigert gefärbte 
Präparate zeigen, fast nichts zu erkennen ist. Nur an der Peripherie 
dieses Gebildes und von hier aus in dasselbe hineinverlaufend, sieht 
man noch einzelne dunkelblau gefärbte Reste von Nervenfasern. An 
einigen anderen Stellen finden sich ähnliche degenerirte Partien von 
geringem Umfange, namentlich an den peripheren Partien der Nerven- 
bündel, während die centralen intact erscheinen. Ueberhaupt erweist sich 
die grosse Mehrzahl der Nervenfasern intact. 


Im intramedullären Verlauf des Acusticus findet sich weder in den 
Acusticuswurzeln noch in den Acusticuskernen irgend eine pathologische 
Veränderung. Von den beiden Hauptästen des N. acusticus zeigt der 
R. cochleae, namentlich an seiner Eintrittstelle in den Modiolus, eine 
mässige Lymphocyteninfiltration, von welcher jedoch in den im Modiolus 
selbst als auch in der Lamina spiralis verlaufenden Fasern, ebenso wie 
zwischen den Ganglienzellen im Rosentlhal’schen Kanal nichts zu 
sehen ist. An den Blutgefässen im Verlaufe des N. acusticus fällt eine 


128 Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 


‚beträchtliche Verdickung ihrer Wandungen, namentlich der Adventitia 
auf. Das Corti’sche Organ nur in seinem groben Umrissen zu er- 
kennen; in der Stria vascularis in allen Windungen auffallend starke 
Pigmentirung; die Reissner’sche Membran zeigt in allen Windungen 
eine deutliche Depression. Eine besonders reichliche Durchsetzung mit 
Lymphocyten findet sich in R. vestibuli und namentlich auch in dessen 
‚Intumescentia ganglioformis Scarpae. Die Ganglienzellen selbst zeigen 
keine Veränderungen. Sowohl die Nervenäste, welche zur Macul. 
acustic. utricul. und sacculi, als auch diejenigen, welche zu den Cristen 
der 3 Ampullen gehen, zeigen die wiederholt erwähnte Infiltration, da- 
gegen ist dieselbe in den bindegewebigen Anhaftungsstellen der Maculae 
und Cristae selbst, wie auch im Nervenepithel derselben nur spärlich. 
Hier findet sich aber wieder eine recht auffallende Pigmentirung. Im 
Aquaeductus vestibuli und cochleae nichts pathologisches. 


Wenn wir an der Hand dieser Beobachtungen etwas näher auf 
die einzelnen klinischen Erscheinungen Seitens des Gehörorgans und 
die Ergebnisse der anatomischeu Untersuchung desselben eingehen, so 
ergibt sich Folgendes. 


Unter 15 Fällen von Leukämie (8 chronische, 5 acute, 2 ohne 
Angabe), bei denen eine Erkrankung des Gehörorgans nachgewiesen 
werden konnte (bei dreien davon nur an der Leiche), betrafen 
10 männliche, 5 weibliche Individuen. Der jüngste Patient war 14, 
der älteste 65 Jahre alt, die übrigen zwischen 25 und 63 Jahren und 
zwar einer 25 und 26, drei 31, je einer 32, 33, 34, 35, 48, 50, 54, 
63 Jahre alt, so dass also verhältnissmässig am häufigsten das vierte 
Decennium befallen wurde. In den meisten Fällen, bei denen während 
des Lebens Veränderungen an den Gehörorganen zur Beobachtung 
kamen, oder von denen wenigstens anamnestische Angaben bezüglich 
der während des Lebens vorhandenen Gehörstörungen vorlagen, betrafen 
dieselben beide Ohren; dasselbe gilt auch von einem Fall (No. 7, 
Wagenhäuser), wo derartige Anhaltspunkte fehlten, wo aber die 
Obduction an beiden Felsenbeinen die gleichen Veränderungen ergab. 
In dem ersten Falle von Steinbrügge (No. 3) beziehen sich die 
Angaben über leukämische Affectionen nur auf das rechte Ohr; bezüglich 
des linken wird bemerkt, dass Patient früher an eitriger. Mittelohr- 
entzündung gelitten habe. In dem einen meiner Fälle (No. 15), findet 
sich in der Anamnese nur die Angabe, dass Patient bald nach Auf- 
treten der ersten Erscheinungen der Leukämie über Schwindel geklagt 
habe, von eigentlichen Gehörsstörungen wird nichts erwähnt und die 
Obduction musste sich auf ein Felsenbein (das rechte) beschränken, woselbst 


[ui 


Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 129 


allerdings zweifellos durch Leukämie ‚bedingte Veränderungen nachweis- 
bar waren. — Bezüglich der Art des Auftretens ergibt unsere Zu- 
sammenstellung, dass dieselbe in 5 Fällen (No. 1, 3, 5, 6, 9) unter 
dem Bilde des Meniere&’schen Symptomencomplexes erfolgte, unter 
welcher Bezeichnung nicht nur, wie es neuerdings nicht selten geschieht, 
das gelegentliche Auftreten von Schwindelerscheinungen gemeint ist, 
sondern das gleichzeitige und plötzliche Auftreten derselben in 
Verbindung mit subjectiven Geräuschen und hochgradiger Schwerhörig- 
keit resp. totaler Taubheit, wobei allerdings nicht ausgeschlossen ist, 
dass wie in dem Falle Politzer’s, vorher schon Schwerhörigkeit 
bestand, die durch eine Mittelohrentzündung bedingt war. Der plötzliche 
Eintritt totaler Taubheit in Verbindung mit den eben so plötzlich 
eingetretenen Schwindelerscheinungen und subjectiven Geräuschen lassen 
sich durch derartige Mittelohraffectionen nicht erklären. In einem 
dieser Fälle (Steinbrügge No. 3) wird allerdings hervorgehoben, 
dass vor dem ersten Auftreten der Gehörstörungen schon wiederholt . 
Schwindelanfälle bestanden haben. In meinem 1. und 5. Falle (No. 2 u. 15) 
ergab sich aus der Anamnese, dass bald nach Beginn der ersten Er- 
scheinungen der Leukämie über Schwindel geklagt worden war, während 
über Störungen im Gehör resp. über subjective Geräusche im 1. Falle 
erst wenige Tage vor dem Tode, im 5. Falle überhaupt nicht geklagt 
wurde. Subjective Geräusche sind, ausser in den 5 Fällen von aus- 
gesprochenem Menitre’schen Symptomencomplex noch 5 Mal vor- 
handen gewesen, Schwerhörigkeit und zwar auf beiden Ohren, in 9 
Fällen (ausser den 5 Meni&re’schen); nur in meinem 5. Fall (No. 15) 
fehlen, wie bereits erwähnt, auch hierüber die Angaben. In 7 von 
diesen Fällen (auch hier von den Meniere’schen abgesehen) trat die 
Herabsetzung der Hörfähigkeit sehr schnell und zwar entweder 
ganz plötzlich oder in schneller Steigerung innerhalb 
einiger Stunden oder einiger Tage auf, in den übrigen 
5 Fällen scheint die Schwerhörigkeit mehr allmählich aufgetreten zu 
sein. Ueber den Grad derselben liegen von 12 aller 15 Fälle Notizen 
vor; in 7 derselben bezog sich dle vorgenommene Prüfung auf die Hör- 
fähigkeit für Sprache, Uhr und Stimmgabeln, in den übrigen nur auf 
die für die Uhr. Die Ergebnisse dieser. Prüfungen sind folgende: Ganz 
taub auf beiden Ohren für alle Schallquellen waren 3 Kranke und 
zwar waren dies 3 von den 5 Menitre’schen Fällen, in dem 4. 
dieser Fälle (No. 9) hatte sich die totale Taubheit auf ein Ohr 
beschränkt, während auf dem anderen Ohr noch laute Sprache dicht 
Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXXI. 9 


130 Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 


am Ohr gehört wurde. In dem 5. Meniere’schen Falle (No. 3) wird 
nur angegeben, dass Pat. plötzlich taub auf dem rechten Ohre geworden 
sei. Unter den übrigen 7 Fällen waren zwei mit doppelseitiger totaler 
Taubheit für die Sprache (No. 7 und 8), in 5 Fällen war die Hörfähigkeit 
für die Sprache zwar auch beiderseits mehr weniger herabgesetzt, jedoch 
nur in einem Falle (No. 13) bestand vollständige Taubheit, auch für 
laute Sprache auf einem Ohr, während auf dem anderen noch 
Flüstersprache dicht am Ohr gehört wurde; in einem anderen Falle 
(No. 12) wurde Fl. beiderseits nicht, wohl aber laute Sprache noch in 
10—15 cm Entfernung vom Ohr gehört und in weiteren 3 Fällen kam 
Flüstersprache beiderseits (No. 10, 12, 14) in einer Entfernung von 25 cm 
bis zu 4m zur Perception. Angaben über die Hörfähigkeit für das Uhr- 
ticken finden sich, abgesehen von den Fällen, bei denen totale Taubheit 
für alle Schallquellen notirt ist, nur 4 Mal (No. 2, 12, 13, 14). In einem 
dieser Fälle war die Perception so herabgesetzt, dass das Ticken durch 
L. L. und K. L. gar nicht, in dem andern durch L. L. dicht am 
Ohr, durch K. L. nicht gehört wurde, während in den beiden anderen 
Fällen die Herabsetzung für diese Schallquelle nur eine mässige war. 
Entsprechend diesem Ergebnis war auch die Hörfähigkeit für die 
Sprache in den beiden letzten Fällen nur wenig, in den beiden 
ersten sehr bedeutend herabgesetzt. Angaben über die Prüfung 
mit Stimmgabeln finden sich bei 7 Fällen (No. 1, 2, 6, 9, 
10, 12, 14) In 2 Fällen, dem 1. und 3. Steinbrügge’s 
(No. 3 und 5) wird zwar angegeben, dass Pat. ganz taub auf dem 
einen resp. beiden Ohren gewesen sei, doch fehlt eine Notiz bezüglich 
der etwa vorgenommenen Stimmgabelprüfung. Es sind dies 2 von den 
5 Fällen mit Meniere’schem Symptomencomplex; in den übrigen 
Fällen dieser Art (No. 1, 6, 9) wurden Stimmgabeln durch K. L. 
beiderseits nicht pereipirt, in zweien derselben (No. 1, 6) auch durch 
L. L. beiderseits nicht, nur in einem (No. 9) kam auf dem einen Ohr 
C?, C! und C stark verkürzt durch L. L. zur Perception, während auf 
dem anderen Ohre vollständige Taubheit auch für diese Töne bestand. 
Unter den weiteren 4 Fällen (No. 2, 10, 12, 14) zeigen die beiden 
von mir beobachteten (12, 14) einen Ausfall am unteren Ende der 
Tonscala (16, 32 Vibr. dpl.), während die übrigen Töne von 48 
vibr. dpl. bis zum c!Y noch gut resp. wenig verkürzt gehört wurden. 
Die Perceptionsdauer durch K. L. war in dem einen Fall (No. 12) 
nahezu normal (10°), in dem andern No. 14 etwas verkürzt (7°). 
Der R. V. fiel in beiden Fällen positiv aus. Das letztere war auch 


Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 131 


in Kümmel’s Beobachtung (No. 10) der Fall, während die Hörfähig- 
keit für tiefe Töne besser war, als die für hohe (allerdings namentlich 
durch K.L.). In dem Falle Gradenigo’s (No. 2) ist angegeben, dass 
der Rinne’sche Versuch beiderseits negativ ausfiel, die Perceptions- 
fähigkeit für K. L. „beträchtlich verringert“ gewesen sei. — In wie 
weit diese Ergebnisse der Stimmgabelprüfung mit dem pathologisch- 
anatomische Befunde im Einklang stehen, soll weiter unten in Betracht 
gezogen werden. 

Ueber den Zeitpunkt, in welchem zuerst die Erscheinungen 
seitens des Gehörorgans auftraten, giebt die Tabelle in 14 Fällen 
Aufschluss, in einem Falle (No. 15) fehlen Angaben über das 
Gehör, doch wird erwähnt, dass die ersten Erscheinungen der Leu- 
kämie mit Schwindel eingesetzt haben. In zwei Fällen (No. 1 und 8) 
traten die Erscheinungen seitens des Gehörorgans gleichzeitig mit den 
ersten Erscheinungen der Leukämie auf, in 6 Fällen (No. 3, 4, 5, 10, 
11, 12) gesellten sie sich zu den letzteren erst kurze Zeit (einige Tage 
bis 3 Wochen) vor dem Tode, nachdem die Allgemeinerkrankung 
kürzere oder längere Zeit vorher bestanden hatte, in 5 weiteren Fällen 
(No. 2, 6, 7, 9, 14) lag zwischen dem Beginn der Öhraffection und 
dem Exitus letalis ein Zeitraum von 2 bis 8 Monaten und zwar handelt 
es sich hier meist um solche Fälle (No. 2, 6, 7, 9), bei denen die 
ganze Krankheit einen besonders chronischen Verlauf (mehrere Jahre) 
nahm. Schliesslich ist noch ein Fall zu verzeichnen (No. 13), bei dem 
Pat. über Gehörstörungen schon 1 Jahr vor Beginn der Leukämie zu 
klagen hatte. In wie weit hier ein Zusammenhang des Ohrenleidens 
mit dem Allgemeinleiden anzunehmen war, wird später erörtert werden. 
Im Anschluss hieran mag jedoch gleich hier die Frage nach einer etwa 
bereits früher vorhanden gewesenen Affection des Ohres bei diesen 
15 Fällen und zwar zunächst nur auf Grund der anamnestischen An- 
gaben und des klinischen Befundes erörtert werden, während die durch die 
anatomische Untersuchung erbrachten Nachweise früher bestandener Ohr- 
affectionen später berücksichtigt werden sollen. Ausser in dem zuletzt 
erwähnten Falle (No. 13) finden wir nur noch in 4 Fällen (No. 1, 2, 
3, 11) Notizen über vorausgegangene Ohrenleiden (3 Mal Otitis media 
1 Mal Schwerhörigkeit ohne weitere Angaben); in 7 Fällen fehlen 
Hinweise auf dieselben (No. 4, 5, 7, 8, 9, 10, 15) und in 3 Fällen 
(No. 6, 12, 14) wird bemerkt, dass solche früher nicht bestanden 
haben. Bezüglich des Öhrenspiegelbefundes ergibt sich, dass in 8 
Fällen (No. 1, 2, 6, 9, 10, 11, 12, 13) mehr oder weniger aus- 

9* 


132 Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 


gesprochene Trübung mit und ohne Einziehung des Trommelfelles, meist 
beiderseits, bestand; nur in einem dieser Fälle waren diese Erscheinungen 
lediglich auf dem einen Ohr vorhanden, während auf dem andern ein 
grosser Defect des Trommelfelles sich fand (No. 1). In einem weiteren 
Fall (No. 10) war an beiden Trommelfellen Verkalkung, an dem einen 
auch eine Narbe nachweisbar. Nur in 4 (No. 1, 2, 11, 13) dieser 
'8 Fälle ergab auch die Anamnese, dass die betreffenden Pat. früher 
über Beschwerden seitens des Gehörorgans geklagt hatten. (In dem 
5. Fall (No. 3), bei dem anamnestische Angaben über frühere Ohren- 
leiden vorlagen, hatte eine Untersuchung im leben nicht stattgefunden), 
in 2 Fällen (No. 6, 12) wurden solche in Abrede gestellt, in 2 weiteren 
(No. 9, 10) fehlen Angaben darüber. Besonders hervorzuheben ist, 
dass bei dreien dieser 8 Fälle (No. 2, 10, 11) sich Veränderungen 
am Trommelfell und zwar in 2 Fällen (No. 2, 10) beiderseits, in 
1 Falle (No. 11) nur auf einer Seite fanden, welche gegenüber den 
oben erwähnten älteren Läsionen, als solche frischeren Datums an- 
zusehen waren: nämlich Röthung und Blutungen am Trommelfell resp. 
im äusseren Gehörgang. Vollständig normaler Trommelfellbefund ist im 
Ganzen in 2 Fällen (No. 8, 14) verzeichnet; im Leben nicht untersucht 
waren 4 Fälle (No. 3, 4, 7, 15) und Angaben fehlten in einem Falle 
(No. 5). Schliesslich ist von den im Leben beobachteten Erscheinungen, 
die möglicherweise mit denjenigen des Ohres in Zusammenhang zu 
bringen sein dürften, noch zu erwähnen, dass in 2 Fällen (No. 8, 15) 
Facialisparalyse und zwar einmal doppelseitige (No. 8), einmal ein- 
seitige (No. 15) zur Beobachtung kam. 

Wir kommen nunmehr zur Betrachtung derjenigen Veränderungen, 
welche sich bei der anatomischen Untersuchung der 15 zur 
Erörterung stehenden Beobachtungen ergaben, wobei wir im Wesent- 
lichen unser Augenmerk auf den mikroskopischen Befund zu 
richten haben. Da ergiebt sich zunächst, dass im Schläfenbein, ebenso 
wie in verschiedenen anderen Knochen, mehr oder weniger bedeutende 
Anhäufungen von Leucocyten recht häufig, zuweilen auch Blutextra- 
vasate gefunden wurden. Angaben über hierauf gerichtete Unter- 
suchungen liegen von 11 Fällen vor, von denen in 10 derartige Befunde 
erhoben werden konnten; und zwar ist 1 Mal (No. 9) nur von 
Blutextravasaten die Rede, während in den übrigen 9 Fällen 
(No. 1, 2, 3, 6, 10, 11, 13, 14, 15) jedesmal Leucocytenanhäufungen 
und bei zwei derselben (6, 10) daneben auch Blutungen 
erwähnt sind. Unter diesen 9 Fällen sind schliesslich noch 2 (meine 


Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 133 


eigenen Beobachtungen No. 11, 13 betreffend) hervorzuheben, bei 
denen auch im Sinus caroticus reichliche Anhäufung von Leucocyten 
vorhanden war. Nicht unerwähnt darf bleiben, dass in 6 Fällen, dem 
einen von Kümmel (No. 10) und den 5 von mir selbst beobachteten 
(No. .11—15) auffallende Veränderungen der Tonsillen, 
sowohl der Gaumentonsillen allein oder auch der Rachentonsillen und 
derjenigen am Zungengrunde verzeichnet sind. Zumeist waren diese 
Gebilde hypertrophisch, znweilen mit Blutungen durchsetzt und in einem 
Falle gangränös ulcerirt. In dem Falle Kümmel’s (No. 10) fanden 
sich auch in der Keilbeinhöhle Blutextravate und Leucocyteninfiltration 
in der Schleimhaut derselben und in einem meiner Fälle (No. 12) 
wurde in der linken Stirn- und Keilbeinhöhle blutig-seröse Flüssigkeit 
gefunden. Was nun die einzelnen Theile des Gehörorganes selbst anlangt, 
so finden sich im äusseren Gehörgang und am Trommelfell im 
Ganzen nur wenig Veränderungen. Abegesehen von dem Falle Politzer'’s 
(No. 1), wo Einziehung und Verdickung einerseits, Defect desselben 
auf der anderen Seite als Residuen älterer Processe erwähnt werden, 
finden sich noch in dem Falle Gradenigo’s (Nr. 2) und in zweien 
meiner eigenen Beobachtungen (No. 11, 12) Notizen über Läsionen 
des äusseren Gehörganges und des Trommelfelles, und zwar werden er- 
wähnt: mehr oder weniger stärkere Vascularisation der verschiedenen 
Trommelfellschichten und Infiltration derselben mit Leucocyten und 
in einem der letzteren (Nr. 11) auch analoge Veränderungen in der 
Cutisschicht des äusseren Gehörganges; in meinen übrigen 3 Fällen 
(13. 14, 15) war der Befund ebenso wie in 4 anderen Fällen 
(3, 6, 7, 9) negativ, in 3 Fällen (No. 4, 5, 8) fehlen Angaben. Voll- 
ständiger als über diese Theile des Ohres sind die Angaben über die 
Befunde im Mittelohr. Nur in 2 Fällen (No. 5, 8) geschieht ihrer 
keine Erwähnung, darunter allerdings der überhaupt nur kurz referirte 
dritte Fall (No. 5) Steinbrügge’s. In einem Falle (No. 9) wird 
ausdrücklich hervorgehoben, dass Veränderungen im Mittelohr nicht 
nachweisbar waren, während in den übrigen 12 Fällen solche in 
höherem und geringerem Grade bestanden. In zweien dieser 12 Fälle 
(No. 1, 7) ist nur der makroskopische Befund angegeben, in dem einen 
Falle (No. 7) wurde nur eine Gefässerweiterung in der Schleimhaut 
der Labyrinthwand der Paukenhöhle gefunden, in dem anderen Falle 
(No. 1) mässige Verdickung der Mittelohrschleimhaut und der Gelenk- 
überzüge der Gehörknöchelchen und verminderte Beweglichkeit des 
Steigbügels auf dem einen, Defect des Hammers und Ambos, bei 


134 Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 


totalem Defect des Trommelfelles, Schwellung und Verdickung der 
Trommelfellschleimhaut, zumal in der Umgebung des ovalen Fensters 
auf dem andern Ohre. Verdickungen der Paukenhöhlenschleimhaut 
fanden sich ausserdem in8 (No. 2,3,4,6, 10, 11,13, 15) von den 10 Fällen, 
welche der mikroskopischen Untersuchung unterworfen worden waren 
und in 5 (No. 2, 3, 6, 13, 15) dieser 8 Fälle waren auch Binde- 
gewebsneubildungen, meist in Form von mehr oder weniger dicken 
Strängen vorhanden; die letzteren fanden sich auch in einem Falle 
meiner eigenen Beobachtungen (No. 14), bei welchem die Schleimhaut 
selbst nicht nur nicht verdickt war, sondern vielmehr eber als auf- 
fallend dünn bezeichnet werden musste. Neubildung von Knochensub- 
stanz im Mittelohr wurde 2 Mal beobachtet (No. 3, 13). Das eine Mal 
(No. 3) an der Membr. tymp. secundaria, das andere Mal (No. 13) im 
Ringband des Steigbügels bei gleichzeitig bestehender Ostitis der Laby- 
rinthwand der Paukenhöhle. In einem Falle (No. 12) meiner eigenen 
Beobachtungen fand sich sowohl in der Tuba, als auch in der Pauken- 
höhle und im Antrum ein ziemlich beträchtliches fibrinös-eitriges Exsudat 
und in demselben zahlreiche Bacterienhaufen. Derartiger Exsudate 
geschieht in keinem der übrigen Fälle Erwähnung, wohl aber wird in 
den Fällen 2, 4, 10 erwähnt, dass freie Extravasate von rothen und 
weissen Blutzellen resp. die Reste von denselben in der Trommelhöhle 
allein oder auch zugleich im Anirum mastoideum vorhanden waren. Eine 
Infiltration der Mittelohrschleimhaut selbst mit zelligen 
Elementen konnte in 8 Fällen (No. 2, 4, 10, 11, 12, 13, 14, 15) 
nachgewiesen werden und zwar handelte es sich in den meisten Fällen 
(2, 10, 12, 13, 14, 15) lediglich um eine Infiltration mit Leucocyten. 
in 2 Fällen (No. 4, 11) war ausserdem auch ein Austritt von rothen 
Blutkörperchen in die Gewebe der Schleimhaut zu verzeichnen. Eine 
ausgedehnte Infiltration war nur in 3 Fällen (No. 4, 10, 11) 
vorhanden, während in den übrigen (No. 2, 12, 13, 14, 15) dieselbe 
nur als eine mässige, resp. auf einzelne Theile der Mittelohrschleimhaut 
beschränkte, bezeichnet wird. Erwähnenswerth wäre schliesslich von den 
Befunden im Mittelohr noch, dass in einem Falle (No. 11) eine sehr 
reichliche, in einem anderen (No. 14) eine mässige Anhäufung von 
I:ymphocyten in den Gefässen der Mittelohrschleimhaut resp. der neu- 
gebildeten Bindegewebsstränge der Paukenhöhle constatirt wurde. 

Was die anatomischen Veränderungen im Nervenapparat des Ge- 
hörorganes anlangt, so liegen darüber in allen 15 Fällen unserer Zu- 
sammenstellung Notizen vor. Allerdings ist hierbei zu bemerken, dass in der 


s 


Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 135 


übergrossen Mehrzahl der Fälle die Untersuchung sich im Wesentlichen 
auf den Stamm des N. acusticus, den Vorhof mit den halbzirkelförmigen 
Kanälen und die Schnecke erstreckte und nur in 3 Fällen (No. 8, 9, 
15) auch auf den intramedullären Verlauf des N. acusticus ausgedehnt 
wurde. Um mit dem Befunde bei diesen letzten drei Fällen zu be- 
ginnen, so ergab sich, dass in einem Falle (No. 15) nichts abnormes 
in den Kernen und Wurzeln des N. acusticus nachweisbar: war, während 
im Stamm dieses Nerven und im Labyrinth Veränderungen sich fanden, 
auf die wir weiter unten zururückkommen. In den beiden anderen 
Fällen zeigten sich gerade die intramedullären Abschnitte des Hör- 
nerven, und zwar hauptsächlich, afficirt, Nervenstamm und Labyrinth 
dagegen ganz oder fast ganz intact. In dem einen dieser Fälle, dem 
von Kast mitgetheilten (No. 8), fand man hochgradige Verminderung 
der markaltigen Nervenfasern des N. acusticus und geringere der Gang- 
lienzellen in der Medulla oblongata, aber keine Lymphocyteninfiltration, 
im Falle Alt’s (No. 9) zahlreiche. leukämische kleinzellige Infiltrate 
im Verlauf beider Acusticuswurzeln in der Medulla oblongata und 
stellenweise leichte Degeneration der Acusticusfasern. In Kast’s Be- 
obachtung wird ausdrücklich betont, dass gröbere Veränderungen im 
Labyrinth nicht nachgewiesen werden konnten und auch Alt hebt 
hervor, dass in seinem Fall der Labyrinthbefuud negativ war, doch 
konnten feinere Veränderungen, „wegen etwas stärkerer Entkalkung des 
Felsenbeines“ nicht absolut ausgeschlossen werden. Wie bereits oben 
erwähnt, gehört der letztere Fall auch zu denen mit negativem Befund 
im Mittelohr, während in Kast’s Beobachtung Angaben über das 
Verhalten dieses Theiles des Gehörorganes zwar fehlen, aber aus der 
ganzen Beschreibung zu schliessen ist, dass sich etwas abnormes nicht 
gefunden hat. Abgesehen von diesen beiden Fällen, sind noch zwei 
andere zu verzeichnen (No. 2, 10), bei denen von den betreffenden 
Autoren (Gradenigo und Kümmel) ausdrücklich hervorgehoben 
wird, dass der Befund im Labyrinth absolut negativ (No. 2) 
gewesen sei resp. (No. 10) keine wesentlichen Veränderungen ergeben 
habe. Auf Grund meiner eigenen Beobachtungen möchte ich für den 
Fall Gradenigo’s (No, 2) insofern eine gewisse Einschränkung 
bezüglich des ‚absolut negativen‘ Befundes machen, als der von ihm 
registrirte Nachweis von Pigmentreichthum in einzelnen Partien des 
Labyrinthes vielleicht doch nicht so ganz ausser Zusammenhang mit 
den leukämischen Veränderungen im Schläfenbein stehen dürfte. In 
drei (No. 12, 14, 15) meiner 5 eigenen Beobachtungen konnte ich 


136 Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 


nämlich (abgesehen von den normal-mässig im Modiolus sich findenden 
Pigmentzellen) eine mehr oder weniger reichliche Anhäufung von gelbem 
und braunem Pigment und zwar nicht allein als Inhalt verschieden 
gestalteter Zellen, sondern auch in der Form von regellos zerstreuten 
Häufchen und Schollen, im Ligamentum spirale, der Stria vascularis, in 
den bindegewebigen Anheftungsstellen der Cristae acustic, hier und da 
auch im Bereiche des Nervenepithels des Vorhofes selbst nachweisen. 
Auch Lannois erwähnt Pigmentanhäufung, die er in seinem Falle 
(No. 6) ausser im Modiolus auch im Vorhof gefunden habe. 
Veränderungen im Stamme des N. acusticus, seinen Aesten und 
Ganglien finden sich in 9 Fällen (No. 1, 3, 4, 7, 11, 12, 13, 14, 15) 
verzeichnet und zwar in 6 (4, 11, 12, 13, 14, 15) mehr oder weniger 
auffallende Durchsetzung mit Leucocyten, die im Wesentlichen das Endo- 
neurium hier und da auch das Perineurium betroffen hatte. Die Nerven- 
fasern selbst zeigten sich dabei meist intact, nur in einem Falle (No. 15) 
fand sich stellenweise Degeneration derselben. Blutextravasate wurden in 
4 Fällen (No. 3, 4, 7, 11) gefunden. Andere Veränderungen im Hörnerven 
sind in 3 Fällen (1, 13 14) verzeichnet und zwar als bindegewebige Verdickung 
der Arachnoidalscheide (No. 13), Neubildung von Bindegewebssträngen 
in der Durascheide (Pachimeningitis haemorrhagica No. 14) und varicöse 
Schwellung und fettige Degeneration der Nervenfasern und Ganglien- 
zellen des Ganglion spirale (No. 1). In der Schnecke selbst wurden 
7 Mal ausgesprochene pathalogische Veränderungen nachgewiesen und 
zwar 6 Mal (No. 3, 4, 5, 6, 7, 12) Blutextravasate, ein Mal (No. 1) 
neben frischen aus zusammengeballten Lymphzellen bestehende Plaques in der 
Scala vestibuli, Bindegewebs- und Knochenneubildung sowohl in dieser als 
namentlich in der Scala tympani. Im Vorhof und den halbzirkel- 
förmigen Kanälen resp. in dem einen und anderen dieser Gebilde 
oder auch in beiden zugleich kamen ebenfalls 6 Mal (No. 3, 4, 5, 6, 
7, 11) Blutungen zur Beobachtung, und zwar handelt es sich hier 5 
Mal um dieselben Fälle, bei denen auch Blutungen in der Schnecke zu 
verzeichnen waren (3, 4, 5, 6, 7) während im Falle 11 diese frei 
davon war. In einem Falle (No. 1) sind „leukämische Plaques“, 
wie in der Schnecke, so auch in den häutigen Bogengängen gefunden 
worden und in 4 Fällen (No. 1, 3, 6, 7) war es zu Bindegewebs- resp. 
Knochenneubildung und zwar nur in den knöchernen halbzirkel- 
förmigen Kanälen gekommen. In 2 dieser Fälle (No. 3, 6), ebenso in 
den einen, wo nur Blutung bestand (No. 11) wird ausdrücklich erwähnt, 
dass die häutigen Kanäle frei waren, in einem (No. 7) waren nur 


Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 137 


stellenweise kleine Extravasate in ihnen vorhanden. Schliesslich ist 
noch zu erwähnen, dass in den beiden Fällen (No. 8, 15), bei 
denen Facialisparalyse beobachtet worden war, auch pathologisch ana- 
tomische Veränderungen im Verlaufe dieses Nerven nachzuweisen waren. 
In Fall 8 (doppelseitige Lähmung) fand sich, ebeuso wie in N. acusticus, 
hochgradige Verminderung der markhaltigen Nervenfasern im intra- 
medullären Verlaufe, im Fall 15 (einseitige Lähmung) ausserordentlich 
reichliche Durchsetzung des Nerven mit Leucocyten in seinem ganzen Ver- 
laufe durch den Canalis Fallopiae und stellenweise Degeneration der Nerven- 
fasern. Ausserdem erwähnt Steinbrügge in seiner 1. Mittheilung 
(No. 3), dass im Anfangstheile des N. facialis Blutextravasate im 
Neurilem desselben gefunden wurden, ohne dass im Leben etwas von 
Lähmung des Nerven beobachtet zu sein scheint. 

Es entsteht nun zunächst die Frage, wie viel von den hier 
aufgezählten pathalogisch -anatomischen Befunden auf 
Rechnung der Leukämie zu setzen ist, und wie weit sie mit 
denjenigen Veränderungen, welche zweifellos schon vor dem Auftreten 
dieser Krankheit bestanden hatten, in ätiologischem Zusammenhang stehen, 
speciell ob man, wie es von einigen Autoren geschieht, die letztere als 
begünstigendes Moment für die ersteren anzusehen berechtigt ist. 

Bei der Beantwortung dieser Frage müssen wir unser Augenmerk 
naturgemäss hauptsächlich auf diejenigen Veränderungen richten, welche 
als characteristische Merkmale der Leukämie anzusehen sind: Die An- 
häufung von Lymphocyten und die Blutextravasate. Da kann es zunächst 
keinem Zweifel unterliegen, dass die Befunde in den Markräumen des 
Schläfenbeins, Blutextravasate und Lymphocytenanhäufung, die in der 
Mehrzahl aller Fälle zur Beobachtung kamen, ebenso wie die in einigen 
Fällen vorhandenen l,eucocytenanhäufungen in dem Sinus caroticus 
und den Blutgefässen selbst durch die Grundkrankheit bedingt waren. 
Desgleichen dürften die in den verschiedenen Tonsillen nachgewiesenen 
Veränderungen im Wesentlichen (Hypertrophie., Blutextravasate) auf 
letztere zurückzuführen sein. Dasselbe gilt von den, allerdings nur in 
wenigen Fällen registrirten, analogen Befunden im äuseren Gehörgange 
und im Trommelfell. Im Mittelohr war zwar in pp. der Hälfte der 
Fälle (8) eine Infiltration der Schleimhaut mit Lymphocyten entweder 
allein, oder, wie in einigen Fällen, zugleich mit Blutergüssen in die 
Schleimhaut oder freiem Blutextravat vorhanden, aber nur in wenigen 
Fällen (3) waren diese Veränderungen besonders auffallend, in den 
meisten (5) nur unbedeutent. Anders liegen die Verhältnisse im Nerven- 


138 Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 


apparate des Ohres; derselbe zeigte in der übergrossen Mehrzahl aller 
Fälle (12), sei es in den verschiedenen Partien des Nerven selbst, sei 
es im Labyrinth mehr oder weniger ausgesprochene Infiltration resp. 
Anhäufung von Lymphocyten mit oder ohne gleichzeitigen Austritt von 
rothen Blutköperchen. Umgekehrt wie im Mittelohr waren diese Ver- 
änderungen in den meisten Fällen recht ausgedehnte, nur in einigen 
wenigen (2) in mässigem Grade vorhanden. 

An dieser Stelle möchte ich noch ein Mal auf die bereits oben 
erwähnten, in 5 Fällen gefundenen Pigmentirungen in verschiedenen 
Theilen des Labyrinthes zurückkommen. Wie schon gesagt, waren, ab- 
gesehen von den normalmässig im Modiolus vorkommenden Pigmentzellen, 
mehr oder weniger reichliche Anhäufungen von gelbem und braunem 
Pigment und zwar nicht allein als Inhalt verschieden gestalteter Zellen, 
sondern auch in der Form von regellos zerstreuten Häufchen und 
Schollen im Ligamentum spirale, der Stria vascularis etc. (s. oben) nach- 
zuweisen. Gradenigo, der ähnliche Befunde in seinem Falle (No. 2) 
verzeichnet, meint, er wisse nicht, ob und wie weit dieselben mit senilen 
Involutionsvorgängen in Zusammenhang zu bringen seien. Sein Patient 
war 63 Jahre alt. Auch in einem meiner hier in Betracht kommenden 
Fälle handelte es sich um ein älteres Individuum (54 Jahre), allein in 
dem Falle von Lannois und in meinen beiden anderen Fällen waren 
es Personen von 31, 32 und 34 Jahren, bei denen sich dieselben Pig- 
mentirungen fanden und man kann demnach nicht wohl behaupten, dass 
dieselben mit senilen Involutionsvorgängen in Verbindung zu bringen 
seien, vielmehr möchte ich mich der von Lannois bereits angedeutenten 
Erklärung anschliessen (l. c., S. 10), dass wir es hier mit Residuen 
vorausgegangener, allerdings nur geringer, Blutungen zu thun haben, 
welche, wie in den Fällen mit ausgesprochen hämorrhagischen Exsu- 
daten durch die leukämische Erkrankung bedingt waren. 

Als Gesammtresultat ergibt sich, dass von den 15 Fällen 14 Ver- 
änderungen zeigten, die auf Rechnung der leukämischen 
Affection zu setzen sind und nur in einem Falle (No. 8) muss die 
Frage nach dem Zusammenhange der gefundenen Veränderungen mit der 
Leukämie in suspenso bleiben, da weder Zeichen von Degeneration noch Ein- 
lagerung von Rundzellen, noch Blutungen im N. a. nachgewiesen werden 
konnten. Bezüglich der Localisirung der Gehöraffectionen bei 
Leukämie in den verschiedenen Abschnitten des Gehörorganes kann man wohl, 
auf Grund der vorliegenden Beobachtuugen, sich dahin aussprechen, dass 
am meisten an denselben betheiligt ist der Nervenapparat 


Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 139 


und zwar in ziemlich gleichem Maasse der Stamm des 
Nerven mit seinen Zweigen und das Labyrinth, weniger 
häufig der Schallleitungsapparat, von welchem letzteren 
das Mittelohr gegenüber dem äusseren Ohr an Häufig- 
keit des Befallenwerdens überwiegt. 

Es muss nunmehr die Frage erörtert werden, in welchem Zusam- 
menhang mit diesen, zweifellos durch die Grundkrankheit bedingten 
Läsionen, diejenigen pathologisch anatomischen Veränderungen stehen, 
die neben den ersteren gefunden worden sind. Da sind es namentlich 
die Angaben über Verdickungen der Schleimhaut und das Vorhanden- 
sein neugebildeter Bindegewebsstränge in der Paukenhöhle, welche uns 
in einer Reihe von Fällen (8) entgegentreten, und welche im Wesent- 
lichen ebenso wie die in je einem Falle registrirten Verkalkungen im 
Trommelfelle und Defect des letzteren als Residuen älterer Processe an- 
gesehen werden müssen. Gradenigo sieht (l. c., S. 258) auf Grund 
des von Politzer (No. 1) und ihm selbst (No. 2) mitgetheilten 
Falles als wesentlich prädisponirenden Factor der Ohrcomplicationen bei 
Leukämie die vorausgegangene oder gleichzeitge Existenz eines ent- 
zündlichen Processes an. Er geht hierbei von der Erwägung aus, dass 
im Ganzen die Betheiligung des Gehörorgans an dem leukämischen 
Krankheitsprocess eine geringe sei, 10 °/, sei schon viel zu hoch 
gegriffen. Noch mehr falle die Seltenheit der Complicationen im 
Gehörorgan auf, wenn man in Erwägung ziehe, dass die Blutungen in 
allen äusseren und inneren Körpertheilen auftreten können und dass 
die Blutung der Nasenschleimhaut, welche doch in so inniger Beziehung 
zu jener des Mittelohrs steht, bei weitem die häufigste sei. Er glaubt 
sogar, dass möglicherweise zwischen dem primären Entzündungsprocess 
des Mittelohrs und der hämorrhagischen Diathese in manchen Fällen 
ein Zusammenhang bestehe. Der chronische Schnupfen, an welchem 
nach übereinstimmender Angabe der Autoren die leukämischen Indivi- 
duen so häufig leiden, das häufige Nasenbluten, welches die hintere 
Tamponade erfordert, seien alle geeignet, Mittelohrentzündungen her- 
vorzurufen, indem die irritativen Vorgänge sich durch die Tuba fort- 
pflanzen. Bei der hämorrhagischen Diathese seien gewisse Bedingungen 
für das Zustandekommen der Blutungen nothwendig, vor allem der Ge- 
fässreichthum der Gewebe und die geringe Widerstandsfähigkeit der 
Gefässwandungen. Diese zwei Hauptbedingungen seien bei den neu- 
gebildeten aus entzündlichen Vorgängen resultirenden Geweben vor- 
handen. 


140 Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 


Prüfen wir nun an der Hand des vorliegenden Materials diese 
Argumentation Gradenigo’s, so muss zunächst festgestellt werden, 
ob in der That die Complicationen Seitens des Gehör- 
organs so selten sind, wie G. es annimmt. Ich will mich 
hierbei lediglich an meine eigenen Erfahrungen halten, weil diese sich 
auf das Gesammtmaterial von Leukämie beziehen, wie es in einem be- 
stimmten Zeitraum (5 Jahre) in einem und demselben Krankenhause 
zur Beobachtung kam und bei dem ich, wenigstens in der Hälfte der 
Fälle die Untersuchung der Gehörorgane selbst machen konnte. Unter 
14 Fällen befanden sich, wie schon oben erwähnt, 9, bei denen 
Störungen im Gehörorgan notirt wurden. Bei 5 derselben war ein 
ätiologischer Zusammenhang mit der Leukämie zweifellos, d. h. durch 
die mikroskopische Untersuchung nachgewiesen, in einem 6. Falle 
bestand insofern ein Zusammenhang, als in Folge der durch profuse 
Epistaxis nöthig gewordenen Tamponade der Nase eine doppelseitige 
eitrige Mittelohrentzändung mit Betheiligung des Warzenfortsatzes auf- 
trat, die bei dem an der Allgemeinaffection erfolgten Tode noch nicht 
vollständig geheilt war. Eine Untersuchung der Felsenbeine konnte in 
diesem Falle nicht gemacht werden. Im 7. Falle, einen 24 jährigen 
Mann betreffend, waren mit Beginn der Allgemeinaffection Erscheinungen 
einer acuten Otitis media auf einem Ohre aufgetreten, das bisher ganz 
gesund gewesen war, während auf dem anderen, das bereits vor mehreren 
Jahren eine acute eitrige Mittelohrentzündung durchgemacht hatte, keine 
frische Erkrankung nachweisbar war. Die Untersuchung des Gehör- 
organs post mortem konnte aus äusseren Gründen nicht gemacht werden. 

Im 8. Falle (14jähriges Mädchen) sollen erst nach Beginn der 


Leukämie Schwindel und subjective Geräusche aufgetreten sein; eine 


objective Untersuchung scheint nicht vorgenommen zu sein und auch 
eine mikroskopische Untersuchung des Felsenbeins hat nicht statt- 
gefunden. Im 9. Falle (13jähriger Knabe) wurde eine rechtsseitige 
eitrige Mittelohrentzündung und linksseitiger chronischer Mittelohr- 
katarrh constatirt, ohne dass sich in der Krankengeschichte eine An- 
deutung darüber findet, ob mit Beginn der leukämischen Affection eine 
Veränderung eingetreten sei. Die mikroskopische Untersuchung des 
Felsenbeins war auch in diesem Falle nicht gemacht worden. 

Wenn wir also von diesem letzten Falle absehen, so bleiben noch 
8 unter 14 Fällen (57,1 °/,) übrig, bei denen ein ätiologischer Zusammen- 
hang zwischen der Öhraffection und der leukämischen Allgemeinerkran- 
kung als möglich angenommen werden kann. Stellen wir uns, wie 


Schwabach: Ueber Erkrankuugen des Gehörorgans bei Leukämie. 141 


Eingangs dieser Arbeit geschehen, auf den Standpunkt, einen derartigen 
Zusammenhang nur für diejenigen Fälle gelten zu lassen, bei denen 
derselbe durch die mikroskopische Untersuchung erwiesen 
werden konnte, so kommen wir auf 5 von 14 zweifellos durch die 
Leukämie bedingte Erkrankungen des Ohres, d. h. 35,7 %/,. — Ver- 
gleichen wir hiermit den bei denselben 14 Fällen erhobenen Augen- 
befund, so ergiebt sich, dass 8mal Veränderungen des Augenhinter- 
grundes (Ratinalblutungen, resp. Retinitis leukaemica) nachgewiesen 
werden konnte, während in 3 Fällen ausdrücklich angegeben wird, dass 
derselbe keine Veränderungen zeigte und in 3 Fällen Angaben fehlten. 
Demnach würden sich also bei 57,1°/, aller Leukämischen wirklich 
durch Leukämie bedingte Veränderungen am Augenhintergrund finden, 
`d. h. 21,4 °/ mehr, als solche im Gehörorgane. Nun bin ich selbst- 
verständlich weit davon entfernt, zu glauben, dass die von mir bei- 
gebrachten Procentzahlen der wirkliche Ausdruck für das Verhältniss 
seier, in welchem sich die beiden höheren Sinnesorgane an dem leu- 
kämischen Krankheitsprocess betheiligen; dazu ist die Zahl der zur 
Verfügung stehenden Fälle viel zu klein; allein soviel dürfte doch aus 
dieser Zusammenstellung hervorgehen, dass die Betheiligung des 
Gehörorganes an dem leukämischen Krankheitsprocess 
keine so geringe ist, wie Gradenigo behauptet. Und wenn 
auch die Betheiligung des Auges häufiger notirt ist, als die des 
Gehörorganes, so glaube ich doch, dass die Differenz sich erheblich 
geringer erweisen würde, wenn das Gehörorgan ebenso oft und genau 
untersucht werden würde, als der Augenhintergrund.!) Gradenigo’s 
Standpunkt in dieser Frage ist übrigens auch insofern nicht ganz correct, 
als er bei der Beurtheilung derselben hauptsächlich die Hämorrhagien 
ins Auge fasst, deren Zustandekommen auf den, durch vorausgegangene 
entzündliche Processe bedingten Gefässreichthum der Gewebe und die 
geringe Widerstandsfähigkeit der Gefässwandungen, zurückzuführen sei. 
Nun sagt er aber selbst in seiner mehrfach erwähnten Arbeit (l. c. 


1) Nach Abschluss dieser Arbeit kamen im Urban- Krankenhaus drei 
weitere Fälle von Leukämie zur Beobachtung. Bei allen dreien wurde das Vor- 
handensein von Öhraffectionen (2 mal schon bei Lebzeiten, lImal erst an der 
Leiche) constatirt. In 2 Fällen waren dieselben sicher durch die Leukämie be- 
dingt, es handelte sich um Blutungen ins Mittelohr, in dem andern Falle musste 
dieser ätiologische Zusammenhang, obgleich vom klinischen Standpunkte aus, 
höchst wahrscheinlich, noch in suspenso bleiben, da die mikroskopische Unter- 
suchung noch aussteht. 


142 Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 


S. 255), es scheine ihm angezeigt, eine wesentliche Unterscheidung in 
der Natur der leukämischen Exsudationen zu statuirenn: einerseits Ex- 
sudationen, die durch Zellenemigration zu Stande kommen, fast aus- 
schliesslich aus Iymphoiden Zellen bestehen und entweder zu lymphoiden 
Gewebe (Lymphom) oder später möglicherweise auch zu Bindegewebe 
sich organisiren können; andererseits echte hämorrhagische Exsudationen, 
welche in Folge von Gefässruptur zu Stande kommen und nicht organi- 
sationsfähig sind. Die ersteren, die er als lymphoide Exsudationen 
bezeichnen möchte, treten bei allen Fällen, und in allen, selbst den 
allerersten Stadien der Krankheit auf — sie tragen an sich das Ge- 
präge des allgemeinen Processes — localisiren sich mit Vorliebe in dem 
interstitiellen Gewebe gewisser Organe (Leber, Niere, Lymphgefässe, 
adenoiden Geweben der Schleimhäute) oder in Räumen, welchen ana- ` 
loger morphologischer Character zukommt (lymphoide und seröse Räume); 
die anderen, die er hämorrhagische Exsudationen nennen möchte, kämen 
nur bei einer beschränkten Anzahl von Fällen und in einem relativ 
vorgeschrittenen Stadium der Krankheit vor. Sie seien eher die Folge 
von schweren anämischen und kachektischen Zuständen, als der Aus- 
druck leukämischer Vorgänge, sie können in allen Organen und in 
allen Räumen auftreten und hängen eher mit eigenartigen Veränderungen 
des Blutes und der Gefässwände (hämorrhagische Diathese) als mit der 
Beschaffenheit eines bestimmten Gewebes zusammen. Wenn wir unter 
Zugrundelegung dieser Zweitheilung der Exsudate, die wir mit gewisser 
Einschränkung namentlich bezüglich des zeitlichen Verlaufes und der 
Localisationen, acceptiren können, die oben mitgetheilten Fälle durch- 
sehen, so finden wir, dass grade die aus Lymphocyten bestehen- 
den kKxsudationen im Gehörorgan sehr viel häufiger 
vorkommen, als die hämorrhagischen. Schon in dem ersten 
der hier in Betracht kommenden Fälle (No. 1 Politzer), der auch 
Gradenigo bekannt war, ist von einer hämorrhagischen Exsudation 
im Gehörorgane nicht die Rede (l. c. S. 254) und Gr. meint in Bezug 
auf diesem Fall, dass zwar auch die leukämischen Exsudationen des 
Ohres unabhängig von einer besonderen »hämorrhagischen Diathese« 
vorkommen können, aber zweifellos würden sie von dem Bestehen der- 
selben begünstigt. 

Kurz vorher (S. 257) hatte er sich in Bezug auf denselben 
Fall dahin ausgesprochen, dass die seit der Kindheit bestandene 
beiderseitige Otitis media, die zu so bedeutenden Veränderungen und Zer- 
störungen in der Trommelhöhle geführt habe, sehr wohl das Vorhanden- 


Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 143 


sein einer Labyrinthhyperämie voraussetzen könne, welche das Auftreten 
der leukämischen Exsudation begünstigte.e. Bemerkenswerth bei dieser 
letztei Auffassung ist nun freilich, dass in G.’s eigener Beobachtung, 
trotz der hochgradigen Veränderungen im Mittelohr, die, wie die Binde- 
gewebsneubildungen, ebenfalls alten Datums waren, doch der Befund im 
Labyrinth ein durchaus negativer bezüglich der leukämischen Exsuda- 
tionen war. Auch in einem Falle meiner eigenen Beobachtungen 
(No. 13) waren im Gegensatz zu den hochgradigen Veränderungen im 
Mittelohr (Ankylose des Steigbügels) die leukämischen Veränderungen 
im Nervenapparat sehr unbedeutend. 


Umgekehrt finden wir unter unseren Beobachtungen Fälle (14., 
15.) bei denen trotz der nachweisbaren sogen. leukämischen Exsudation 
im Nervenapparat, wenn überhaupt, so doch nur sehr geringfügige 
auf vorausgegangene Entzündungsprocesse hindeutende Veränderungen 
bestanden. 


Aehnlich scheinen die Verhältnisse in Lannois Fall (No. 6) gelegen 
zu haben und Wagenhäuser fand in seinem Falle (No. 7) ausser 
Gefässerweiterung in der Labyrinth- und Paukenhöhle nichts Abnormes 
in derselben bei ausgedehntem Extravasaten im Labyrinth. 


In einem anderen Falle (No. 9) war der Befund im Mittelohr 
ebenfalls ein negativer, während im N. acusticus sich zahlreiche leukä- 
mische Infiltrate, speciell in seinem intramedullären Verlaufe fanden. 


Im Falle 12 war zwar neben der Lymphocyteninfiltration im 
N. acusticus und den Veränderungen im Labyrinth selbst, auch eine 
ausgesprochene Erkrankung der Paukenhöhle (fibrinös eitriges Exsudat) 
vorhanden, doch war dieselbe offenbar jüngeren Datums, als die erstere, 
und auf eine frische Infection zurückzuführen. 


Allerdings ist auch nicht ausser Acht zu lassen, dass in einem Falle 
(No. 3) neben beträchtlichen Veränderungen der Paukenhöhlenschleim- 
haut ausgedehnte Läsionen, besonders hämorrhagischer Natur, sich im 
Nervenapparate fanden. Wenn man aber berücksichtigt, dass in einem 
anderen Falle (No. 4) derartige Hämorrhagien im Labyrinth und im 
Mittelohr bestanden, ohne dass in letzterem von älteren Processen etwas 
nachweisbar war, dass ferner auch in einem Falle meiner eigenen 
Beobachtungen (No. 11) dieselben Veränderungen im Labyrinth und 
im Mittelohr constatirt wurden, neben nur ganz unbedeutenden, 
möglicherweise aus alten Processen hervorgegangenen Veränderungen 
(vereinzelte neugebildete Bindegewebsstränge) in der Paukenhöhle, so liegt 


144 Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 


es wohl näher, anzunehmen, dass die frischen Hämorrhagien in beiden 
Abschnitten des Gehörorganes gleichzeitig aufgetreten seien und zwar 
unter dem Einflusse der schweren anämischen und kachektischen Zustände, 
die, wie ja auch Gradenigo betont, »in einem relativ vorgeschrittenen 
Stadium der Grundkrankheit vorkommen und mit eigenartigen Ver- 
änderungen des Blutes und der Gefässwände zusammenhängen«. Dafür 
dürfte auch der Umstand sprechen, dass in allen den Fällen, wo die 
mikroskopische Untersuchungen reichlichere Blutungen, entweder im 
Mittelohr allein oder im Labyrinth oder in beiden zugleich nachweisen 
liess (No. 2, 3, 4, 5, 6, 7, 10, 11) aus der Anamnese festgestellt 
werden konnte, dass die Erscheinungen Seitens des Ohres erst kurze 
Zeit vor dem Tode (einige Tage bis einige Wochen), nachdem die 
Allgemeinerscheinungen meist schon längere Zeit (bis zu 1!/,, 2 und 
3!/, Jahren) bestanden hatten, aufgetreten waren. 


Aus allen diesen Gründen glaube ich mich dahin aussprechen zu 
sollen, dass das Vorkommen von Erkrankungen des Gehör- 
organes bei Leukämie nicht, wie Gradenigo meint, be- 
dingt ist durch die vorausgegangene oder gleichzeitige 
Existenz eines entzündlichen Processes im Ohr, dass 
vielmehr, namentlich die aus Lymphocyten bestehenden 
leukämischen Exsudationen ganz unabhängig von der- 
artigen Processen entstehen können, während die hä- 
morrhagischen Extravasate bezüglich ihrer Entstehung 
im Wesentlichen auf die durch die Allgemeinerkrankung 
ebenso wie inanderen Organen bedingten Veränderungen 
der Blutgefässe zurükzuführen sind. 


Wir haben weiterhin einer Kategorie von pathologischen Verände- 
rungen zu gedenken, nämlich der Knochenneubildungen, welche in 
einigen Fällen, namentlich im inneren Ohr gefunden worden sind und 
zu untersuchen, in welchem Verhältniss dieselben zur Allgemeinerkran- 
kung stehen. ob es sich um zufällige Befunde handelt, oder ob dieselben 
in einem ursächlichen Zusammenhange mit der Leukämie stehen. In 
5 Fällen (No. 1, 3, 6, 7, 13), finden sich derartige Veränderungen 
des Knochens verzeichnet und zwar waren dieselben localisirt in den 
knöchernen halbzirkelförmigen Kanälen in 3 Fällen (3, 6, 7), in einem 
derselben (No. 3) auch an der Membrana tympani secundaria; in der 
Scala tympani und in der Labyrinthkapsel in je einem Falle (No. 1 u. 
13), in dem letzteren zugleich an der Fussplatte des Steigbügels. Nun 


Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 145 


ergiebt sich in 2 Fällen (No. 1, 3) aus der Anamnese, dass die betr. 
Individuen an primären syphilitischen Ulcerationen am Penis gelitten 
hatten und in einem Falle (No. 13) wurde durch die Obduction alte 
Lues nachgewiesen (gelappte Leber, alte Narben im Mastdarm); in 2 
anderen Fällen (No. 6, 7) wird dagegen ausdrücklich hervorgehoben, 
dass Anhaltspunkte für vorausgegangene Lues nicht vorhanden gewesen 
sind. Es fragt sich demnach, ob die Veränderungen am Knochen ledig- 
lich als zufällige Befunde bei leukämischen Individuen anzusehen, oder 
ob dieselben in einem ätiologischen Zusammenhang mit der Allgemein- 
erkrankung stehen, sei es, dass sie durch letztere allein bedingt oder 
selbst als prädisponirendes Moment für die leukämische Erkrankung 
aufgefasst werden müssen. In Bezug auf die beiden Fälle von Politzer 
und Steinbrügge (No. 1 u. 3) betont der letztere, dass bei diesen 
keine secundären Symptome beobachtet worden seien, doch sei die That- 
sache bekannt, dass das luetische Gift zuweilen lange Zeit latent im 
Körper bleibe und erst später zu schweren tertiären Erscheinungen 
Veranlassung gäbe und der Einwurf, dass die ältere periostitische Ent- 
zündung der labyrinthären Hohlräume, welche zur Auflagerung von 
Knochensubstanz führte, unter dem Einfluss der Syphilis gestanden 
habe, sei nicht leicht zu wiederlegen. In meiner eigenen diesbezüg- 
lichen Beöbachtung (No. 13) waren zwar anamnestisch keine Anhalts- 
punkte für vorausgegangene Lues vorhanden, allein gewisse in der Leiche 
gefundene Veränderungen (alte Narben im Mastdarm, Hepar lobatum) 
gestatten wohl mit ziemlicher Sicherheit die Annahme, dass solche be- 
standen habe. Ob auch die im Mittelohr constatirten Veränderungen 
am Knochen: Periostitiis an den Wänden der Nische des ovalen 
Fensters und an der Fussplatte des Steigbügels und dadurch be- 
dingte knöcherne Ankylose desselben, ebenso wie die Knochenneu- 
bildung in der Labyrinthkapsel ‘als Residuen alter Lues aufzufassen 
seien, ist nicht mit Sicherheit zu sagen, da specifische Veränderungen 
nicht bestanden. Der Befund am Knochen, wie ich ihn in diesem 
Falle oben genauer beschrieben habe, entspricht im Wesentlichen dem- 
jenigen, den Politzer (15) in einer Reihe von Fällen, die ihrem 
klinischen Verlaufe nach als Sclerose der Mittelohrschleimhaut bezeichnet 
werden mussten, erhoben hat, und die er als »primäre Erkrankung der 
knöchernen Labyrinthkapsel« deutete, über deren Aetiologie keine 
befriedigenden Anhaltspunkte gewonnen werden konnten. P. hält 
es jedoch für zweifellos, dass pathologische Veränderungen in der 
Labyrinthkapsel, wie er sie in seinen Fällen beobachtet hat, sich auch 
Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXXI. 10 


146 Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 


in Folge von Syphilis entwickeln können. Bezüglich seines Falles von 
leukämischer Erkrankung des Ohres (No. 1), auf den sich, wie schon 
erwähnt die Bemerkungen Steinbrügge’s mit beziehen, hat P. selbst, 
wie es scheint, die gefundenen pathologischen Veränderungen des 
Knochens nicht auf alte Lues, sondern auf die leukämische Krankheit 
selbst bezogen.- Er ist der Meinung, dass es sich in seinem Falle um 
eine Labyrinthentzündung leukämischer Natur gehandelt 
habe. Es werde dies bewiesen durch das eigenthümliche charakteristische 
Exsudat in den Schnecken- und Bogengängen, welches sich in Nichts 
von dem im leukämischen Knochenmark vorhandenen Zell- und Exsudat- 
massen unterscheide. Das neugebildete vom Endostium der Labyrinth- 
wand proliferirende Bindegewebe, welches die Canäle und Räume des 
knöchernen Labyrinths theilweise ausfüllte, sowie das dasselbe durch- 
setzende neoplastische Knochengerüst seien lediglich als das Resultat 
des chronisch-entzündlichen Processes am Endostium der Labyrinth- 
wände aufzufassen. Es bestehe also neben diesen organisirten, offenbar 
älteren Endproducten des Entzündungsprozesses noch eine recente leu- 
kämische Exsudation der Lymphzellen im Labyrinthe. Auch Wagen- 
häuser spricht sich bezüglich seiner Beobachtung (No. 7) dahin aus, 
dass durch die voransgegangene Blutung ein entzündlicher Vorgang in 
der Nachbarschaft der afficirten Parthie hervorgerufen worden sei, als 
dessen Endprocess die betr. Bindegewebs- und Knochenneubildungen 
anzusehen seien. Die Annahme einer Entzündung des Labyrinthes in 
Folge der Blutung habe, nach den Beobachtungen Ziegler’s (16), 
dass die Anwesenheit geronnener Exsudate, sowohl als auch geronnenen 
Blutes in Geweben stets von Entzündungsprocessen gefolgt sei, nichts 
Unwahrscheinliches, ebensowenig auch die andere Annahme, dass durch 
wiederholte Blutungen der entzündliche Vorgang daselbst unterhalten 
und zu einer solchen Intensität gesteigert worden sei, dass er schliess- 
lich zum beschriebenen Endprocess geführt habe. Demgegenüber stellt 
sich Lannois, bezüglich seines Falles (No. 6) auf den (auch von 
Gradenigo vertheidigten) Standpunkt, dass die Bindegewebs- und 
Knochenneubildungen auf einen schon vor dem Auftreten der Allgemein- 
erkrankung vorhandenen entzündlichen Process zurückzuführen seien, 
der seinerseits das Auftreten der Neubildungen begünstigt habe. Ein 
sicheres Urtheil über den ätiologischen Zusammenhang dieser patholo- 
gischen Veränderungen am Knochen lässt sich, nach dem Gesagten, 
wohl kaum abgeben. Bezüglich der zuletzt erwähnten Ansicht, 
(Lannois) verweise ich auf (das schon oben bei Besprechung der 


Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 147 


Gradenigo’schen Anschauungen bervorgehobenen und will hier nur 
noch ein Mal betonen, dass gerade in dem hier in Frage kommenden 
Falle (No. 13) meiner eigenen Beobachtungen trotz der recht hoch- 
gradigen Veränderungen an der knöchernen Labyrinthkapsel und der 
Fussplatte des Steigbügels die leukämischen Veränderungen im Ganzen 
gering waren und sich hauptsächlich auf die Nervenscheiden des Acusticus 
erstreckten, während das Labyrinth, wenn überhaupt (Pigmentanhäufung) 
nur in sehr geringem Grade afficirt war. Ebensowenig kann, wie schon 
oben angedeutet, dieser Fall als Beweis dafür gelten, dass die Syphilis 
als prädisponirendes Moment für die leukämischen Veränderungen an- 
zusehen sei. Als die vielleicht plausibelste Erklärung der patho- 
logischen Knochenveränderungen, wenigstens für die Fälle 
1, 6, 7, wäre dann die von Politzer und Wagenhäuser gegebene 
zu erachten, wonach dieselben als Folgezustände der leukämi- 
schen Exsudationen selbst anzusehen seien, besonders wenn man 
berücksichtigt, dass in diesen Fällen die Ohrsymptome 8 Monate bis 1?/, 
Jahr vor dem Tode zuerst aufgetreten waren, ein Zeitraum, der für 
die Entstehung solcher Neubildungen wohl genügen dürfte. 


Weniger Wahrscheinlichkeit hätte diese Entstehungsweise der 
Knochenveränderungen in dem einen hier ebenfalls in Betracht kommenden 
Falle von Steinbrügge (No. 3), weil hier die Erscheinungen Seitens 
des Ohres erst 14 Tage vor dem Tode entstanden sein sollen und eine 
so schnelle Entwicklung von Knochenneubildung aus der leukämischen 
Exsudation wohl kaum anzunehmen ist. Freilich muss auch wieder in 
Betracht gezogen werden, dass der betr. Kranke schon Monate lang 
vor der Ertaubung wiederholt an Schwindelanfällen zu leiden hatte, so 
dass die Möglichkeit nicht ausgeschlossen ist, dass zu jener Zeit sich 
schon die ersten Veränderungen leukämischer Natur in dem Vorhofs- 
räumen etablirt hatten. 


Ganz kurz möchte ich ferner derjenigen Veränderungen im Verlaufe des 
N. acusticus gedenken, welehe, wie in dem Falle von Kast (No. 1) in dessen 
intramedullären Verlaufe, und in einem meiner eigenen Fälle (No. 15) 
in seinem Stamme sich fanden und bezüglich ihres Zusammenhangs mit 
der Leukämie von vornherein zu Zweifeln Veranlassung geben mussten. 
In dem Falle von Kast war, wie oben genauer angegeben, als wesentliche 
und für den klinischen Verlauf massgebende Veränderung. die frische 
degenerative Atrophie der feinen Nervenfasern der Oblongata anzusehen, 
Veränderungen, welche nach K., an die von Lichtheim bei schwerer 


10* 


148 Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 


Anämie beobachteten erinnern. Leukämische Infiltrate wurden nicht 
gefunden und K. spricht sich deshalb dahin aus, dass die genauen Be- 
ziehungen zwischen den Veränderungen der Oblongata und der Leukämie 
erst durch weitere Beobachtungen über die etwaige Constanz derselben 
aufgeklärt werden können. Ebenso zweifelhaft ist in dem von mir unter- 
suchten Falle (No. 15) die Deutung des Befundes im Stamme des N. 
acusticus. Abgesehen von den wirklich leukämischen Infiltraten der 
Nervenscheiden fand sich, wie oben beschrieben, ein vollkommen circum- 
scriptes, einem -Nervenbündel in seiner Configuration entsprechendes, 
Gebilde, bestehend aus einem in seiner Structur nicht mehr genau zu 
erkennenden, hie und da mit runden und spindelförmigen Kernen durch- 
setztes Gewebe, in dem von Nervenfasern nur noch spärliche Reste zu 
erkennen waren. Ob es sich hier um eine einfache Degeneration ge- 
handelt hatte, oder nicht vielmehr um eine Neubildung (Fibrogliom), 
liess sich mit Sicherheit nicht feststellen. Gegen die erstere Annahme 
spricht jedenfalls der Umstand, .dass in der Umgebung der betreffenden 
Partie eine auffallende Leucocyten-Infiltration nicht bestand. 

Ferner muss ich noch eines anatomischen Befundes gedenken, den 
ich in einem der von mir beobachteten Fälle (No. 12) erhoben habe und 
dessen Zusammenhang mit den eigentlich leukämischen Veränderungen 
einer besonderen Besprechung bedarf. Es handelt sich um ein ziemlich 
reichliches fibrinös-eitriges Exsudat (polynucleaere Zellen) in 
allen Räumen des Mittelohres, in welchem zahlreiche Haufen von 
Bacterien (allerdings nur mikroskopisch) nachgewiesen werden konnten, 
bei gleichzeitigem Bestehen partieller Necrose der Schleimhaut, die 
ihrerseits nur an einzelnen Stellen eine auffallende Infiltration mit 
meist mononucleären Leucocyten zeigte. Aehnliche Veränderungen 
wie im Mittelohr fanden sich auch nach der von Dr. Benda 
vorgenommenen Untersuchung in der linken Niere, wo sie sich 
makroskopisch und mikroskopisch als eine Combination von lymphoma- 
töser Infiltration mit Necrose und Abscessbildung darstellten, von denen 
letztere beide durch Bacterieninvasion in die leukämische Wucherung 
verursacht schienen. Unter dem Einfluss der in die Niere gelangten 
Bacterien wurden wie A. Fränkel sich in der bereits oben citirten 
Arbeit („Ueber acute Leukämie“) bezüglich dieses Befundes ausspricht, 
die leukämischen Ablagerungen, die ursprünglich lediglich aus denselben 
mononucleären Zellen bestanden, welche die Hauptmasse der meisten 
Blutkörperchen im Blute der Patientin bildeten, von zahlreichen polynuc- 
leären durchsetzt. Unter Berücksichtigung der einige Tage vor dem 


Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 149 


Tode aufgetretenen Temperaturerhöhung auf 40° müsse man annehmen, 
dass wir es in diesem Falle, mit den Folgen einer intercurrent auf- 
getretenen septischen Infection zu thun hatten. — Eine solche Infection 
möchte ich auf Grund des pathologisch-anotomischen Befundes auch für 
das Mittelohr annehmen, wo, wie gesagt, neben den zweifellos leukämi- 
schen Producten in der Schleimhaut, ein im Wesentlichen aus polynuc- 
leären Zellen bestehendes fibrinös-eitriges Exsudat mit Bacterienhaufen 
sich fand. Unterstützt wird diese Annahme noch dadurch, dass auch 
im Pharynx bei der Obduction sich putride Massen fanden, und von 
Herrn Collegen Benda mikroskopisch an verschiedenen Stellen der- 
selben, z. B. am Rande der Epiglottis und am Zungengrunde dieselben 
Bacterienhaufen, wie im Mittelohr, in necrotische Schleimhaut ein- 
gebettet, nachgewiesen werden konnten. Eine Fortpflanzung der infec- 
tiösen Keime in die Tuba Eustachii und von hier in die Paukenhöhle, 
dürfte also wohl als Ursache der genannten Veränderungen anzusehen sein. 


Es bleibt uns nunmehr die Aufgabe zu eruiren, in welcher Weise 
die hier besprochenen pathologisch-anatomischen Veränderungen mit den 
im Leben zur Beobachtung gekommenen Erscheinungen Seitens des 
Gehörorganes in Einklang zu bringen sind. Für die 5 Fälle 
(No. 1, 3, 5, 6, 9), bei denen die Erscheinungen sich unter dem 
Bilde des Menie&re’schen Symptomcomplexes kund gaben, sind als 
wesentliches anatomisches Substrat die Veränderuugen im Nerven- 
apparat des Ohres zu verzeichnen, die in einem Falle (No. 9) bei 
vollständig intactem Labyrinth sich lediglich auf den intramedullären 
Verlauf des N. acusticus erstreckten, während in den übrigen 4 Fällen 
(No. 1, 3, 5, 6) hochgradige Veränderungen im Labyrinth (Schnecke, 
Vorhof und halbzirkelförmige Kanäle) nachzuweisen waren; in 3 dieser 
Fälle sind die Blutextravasate in das Labyrinth die wesentlichsten 
Befunde; im 4. Falle (No. 1) war zwar ebenfalls der ganze Nerven- 
apparat (N. acustic. im innern Gehörgang, Schnecke, Vorhof und halb- 
zirkelförmige Kanäle) in Mitleidenschaft gezogen, aber es handelte sich 
nicht um Blutergüsse, sondern hauptsächlich um wirkliche leukämische 
(lymphatische) Exsudate. Es bedarf keines weiteren Beweises, dass 
diese letzteren auf den Endapparat im Labyrinth dieselbe Wirkung 
äussern müssen, wie die Blutextravasate. 


Es ist hinlänglich bekannt, dass Meni&re das von ihm bei einem 
jungen Mädchen beobachtete Krankheitsbild, da er bei der Obduction 
die Bogengänge von einem röthlichen plastischem Exsudate erfüllt fand, 


150 Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 


während im Vorhof nur Spuren davon nachzuweisen waren und die 
Schnecke sich als ganz frei erwies, gestützt auf die Experimente von 
Flourens an Tauben, bei denen nach Durchschneidung der Bogen- 
gänge colossale Bewegungsstörungen eintraten, auf diese bei der Obduc- 
tion gefundene Läsion der halbzirkelförmige Kanäle zurückführte. Es 
ist ferner bekannt, dass trotz der zahlreichen, diese Frage betreffenden, 
von den verschiedensten Seiten vorgenommenen Controllvorsuche (Goltz, 
Mach, Brown-Sequard, Cyon, Bechterew, Breuer, Bött- 
cher, Baginsky, Ewald u.A.) die Frage nach der physiologischen 
Bedeutung der halbzirkelförmigen Kanäle noch nicht endgiltig ent- 
schieden ist. Dass demgemäss auch die Verwerthung pathologischer 
Befunde nur mit Vorsicht gestattet ist, versteht sich von selbst und 
auch für die vorliegenden Beobachtungen ist dasselbe durchaus geboten, 
wie sich aus Folgendem ergiebt. 

Dass gegen den Erklärungsversuch Meniere's ein nicht zu 
unterschätzender Einwand erhoben werden kann, dass nämlich die in 
seinem Falle eingetretene absolute Taubheit, sich durch den Obductions- 
befund, der die Schnecke frei von dem betreffenden Blutextravasat erwies, 
nicht erklären lasse, hat bereits B. Baginsky!”) hervorgehoben. B. 
betont, dass das klinische Bild darauf hinweise, dass wenn die Er- 
krankung der Bogengänge hier ursächlich in Frage komme, letztere 
wesentliche Functionen des Hörens in sich tragen müssten, oder dass, 
falls das Zugeständniss nicht gemacht würde, Hand in Hand mit den 
Erkrankungen der Bogengänge jedesmal auch der schallpercipirende 
Apparat, die Schnecke, mit afficirt sein müsse. Es folge demnach 
schon aus der theoretischen Betrachtung, dass die Ursache des 
Meniere’schen Symptomencomplexes nicht in einer Erkrankung der 
Bogengänge allein gesucht werden könne. Nun ist bei den uns 
hier beschäftigenden Beobachtungen dieses Desiderat, die gleichzeitige 
Affection der Bogengänge und der Schnecke, in 4 Fällen 
(No. 1, 3, 5, 6) erfüllt: Die Exsudate resp. Blutextravasate wurden 
nicht allein in den Bogengängen, sondern auch in der Schnecke 
nachgewiesen. Dagegen muss nun aber hervorgehoben werden, dass in 
dem 5. Meniöre’schen Falle (No. 9) Bogengänge, Vorhof und Schnecke 
frei von pathologischen Veränderungen waren, während im intramedul- 
lären Verlauf des N. acusticus zahlreiche leukämische Infiltrate sich 
fanden, so dass, nach der Verff. Alt und Pineles Ansicht, hier die 
isolirte Erkrankung dieses Nerven die Grundlage einer typischen 
Menitre’schen Krankheit bildete. Den Zusammenhang zwischen dieser 


Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 151 


Krankbeit und der Acusticusaffection erklären sich Verff, in folgender 
Weise: Sie gehen von der Voraussetzung aus, dass die in den häutigen 
Bogengängen befindliche Endolymphe bei jeder Veränderung der Kopf- 
stellung, sei es durch Aenderung der Intensität ihres Druckes auf die 
Epithelhaare, sei es durch Wechseln ihrer Ortsbewegung die Endaus- 
breitung des Acusticus in den Ampullen in Erregung versetze. Es 
wären somit die nach Läsion der Bogengänge auftretenden Schwindel- 
erscheinungen durch einen veränderten Erregungszustand der Ampullen- 
nerven bedingt. Trift nun ein pathologischer Reiz (Blutextravasat) 
den Nervenendapparat im Labyrinth, so wird er auf dem Wege durch 
den Acusticus und die Medull. obl. durch Vermittelung von anderen 
Hirnorganen die der Menie&re’schen Trias entsprechenden Symptome 
auslösen. 


Nun ist es nach Alt und Pinleles, selbstverständlich, dass die 


Reflexerscheinungen nicht nur durch einen Reiz hervorgerufen werden, 
der das Einde des Reflexbogens trifft, sondern auch durch einen Reiz 
verursacht werden können, der die Mitte des Reflexbogens d. i. den 
Acusticus befällt. Für diese Ansicht sprechen, nach A. und P., auch 
die Ergebnisse der Acusticusdurchschneidungen (Bechterew, Kreidl 
u. A.) bei welchen Gleichgewichtsstörungen ähnlich denen bei Bogen- 
gangsexstirpation beobachtet wurden. 


Wenn nun einerseits durch diesen Fall der Beweis erbracht ist, 
dass der Meniere’sche Symptomencompliex bei vollständiger Intaktheit 
des Labyrinthes, speciell der halbzirkelförmigen Kanäle auftreten kann, 
so sind andererseits auch Fälle zur Beobachtung gekommen, bei denen 
trotz anatomisch nachgewiesener Veränderungen dieser Theile des Gehör- 
organes im Leben keinerlei an den Menitre’schen Symptomcomplex 
erinnernde Erscheinungen bestanden hatten. Am beweisendsten ist der 
von Lucae (18), einen 3!/,jährigen Knaben betreffend, welcher, nach- 
dem er ein starkes Klingeln in den Ohren verspürt hatte, plötzlich er- 
taubte, ohne jemals über Schwindelerscheinungen geklagt zu haben. 
Bei der Obduction fanden sich Blutungen in beiden Labyrinthen incl. 
Bogengängen. 


In einem meiner Fälle (No. 11) waren zwar sowohl Schwindel- 
erscheinungen, als auch Gehörstörungen vorhanden, aber von einem 
eigentlichen apoplectiformen Meni&@re’schen Anfall konnte keine Rede 
sein. Pat. hatte schon, bald nach dem ersten Auftreten der leukämi- 
schen Symptome öfter über Schwindel geklagt, ohne dass subjective 


152 Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 


Geräusche oder aufflalende Schwerhörigkeit von ihm erwähnt wurden. 
Erst in den letzten Tagen vor dem Tode klagte er darüber, dass er auf 
dem einen Ohr nicht mehr so gut höre, wie früher; auf dem andern 
hatte er, wie er nun erst angab, schon lange vor dem Auftreten seiner 
jetzigen Krankheit nicht ganz gut gehört. Bei der Obduction fanden 
sich nun aber ausser in der Schleimhaut des Mittelohrs auch in der Scheide 
des N. acusticus und namentlich in den halbzirkelförmigen Kanälen 
reichliche Blutextravasate, also Befunde, die genau denjenigen 
entsprechen, wie sie als materielle Grundlage für den Menière’schen 
Symptomencomplex postulirt werden. Ob in diesem Falle die in der 
ersten Zeit aufgetretenen Schwindelerscheinungen überhaupt mit der 
Ohraffection in Zusammenhang zu bringen und hicht vielmehr auf 
Rechnung der hochgradigen Anämie zu stellen sind, ist um so frag- 
licher, als damals weder über subjective Geräusche noch über auffallende 
Schwerhörigkeit geklagt wurde, während das Eintreten der letzteren 
beiden Symptome wenige Tage vor dem Tode auch in keiner Weise an 
einen Meni&re’schen Anfall erinnerte und sehr wohl auch mit den 
oben beschriebenen Veränderungen im Mittelohr (Blutung und Lympho- 
cyteninfiltration) in Zusammenhang gebracht werden könnte. Man 
müsste hiernach mit Politzer (Lehrbuch S. 533) annehmen, dass 


nicht die Blutung und Exsudation an sich, sondern ihre Einwirkung 


auf bestimmte Gebilde des häutigen Labyrinths für das Auftreten der 
Menit&re’schen Symptome massgebend seien. Es sei leicht denkbar, 
dass dort, wo durch das Extravasat ein Reiz auf die Ampullennerven 
ausgeübt wird, diese Symptome in hohem Grade ausgeprägt auftreten, 
während sie ganz fehlen können, wo der Bluterguss nicht unmittelbar 
auf die Vorhofs- und Ampullennerven einwirkt. Das letztere würde 
für den hier in Frage stehenden Fall zutreffen, da die Läsionen sich 
lediglich auf die knöchernen Kanäle erstreckten, die häutigen ganz 
frei waren und namentlich auch die Ampullen mit den Cristae acusticae 
keinerlei pathologische Veränderungen zeigten. Wie dem nun auch 
sein möge, soviel geht jedenfalls aus dem Gesagten hervor, dass eine 
einheitliche Erklärung für den vielfach erörterten 
Meniere’schen Symptomencomplex auch auf Grund der 
uns hier vorliegenden Obductionsbefunde nicht gegeben 
werden kann, wenn auch hervorgehoben werden muss, 
dass inder Mehrzahl der Fälle Exsudate resp. Blutextra- 
vasate im Labyrinth als hauptsächlichste Veränderungen zu 
verzeichnen sind. Bezüglich der Schwindelerscheinungen mag schliess- 


Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 153 


lich noch auf. den Fall No. 15 (eigene Beobachtung des Vfs.) hingewiesen 
werden, in welchem dieselben ebenfalls, wie in den zuletzt erwähnten Fällen, 
bald nach Beginn der Allgemeinerkrankung auftraten, ohne dass Pat. 
über subjective Geräusche oder Schwerhörigkeit geklagt hätte. Bei der 
Obduction fanden sich, abgesehen von den oben besprochenen Pigmentan- 
häufungen an verschiedenen Stellen des Labyrinthes. keinerlei Ver- 
änderungen, weder in den perilymphatischen, noch in den endolympha- 
tischen Räumen, und es bleibt demnach in diesem Falle zweifelhaft, ob 
der Schwindel durch die allgemeine Anämie bedingt war, oder ob die 
ziemlich auffallenden Veränderungen im Verlaufe des Acusticusstammes 
(Leucocyteninfiltration, besonders im N. vestibuli) dafür verantwortlich 
gemacht werden dürfen. Zu bemerken ist hierbei, dass die Gleich- 
gewichtsstörungen nicht, woran man ja zweifellos denken musste, durch 
eine Veränderung des intramedullären Verlaufes dieses Nerven, wie im 
Falle Alt’s bedingt sein konnten, da. die genauste Untersuchung an 
zahlreichen Serienschnitten keinerlei Abnormitäten, weder in den Kernen, 
noch in den Acusticuswurzeln nachweisen liess. 


Wenden wir uns nun zur Analyse der eigentlichen Gehörstörungen, 
so ergiebt sich, dass in 14 Fällen Notizen darüber vorligen. In 9 von 
denselben (darunter die 5 Fälle mit Meni&re’schem Symptomencomplexe 
1, 3, 5, 6, 9 und ausserdem noch 4 Fälle 2, 8, 10, 11) trat die 
Schwerhörigkeit sehr schnell und zwar entweder ganz plötz- 
lich, oder in schneller Steigerung innerhalb einiger 
Stunden, oder weniger Tage auf. In einem 10. Falle (No. 7 
Wagenhäuser) scheint die Taubheit ebenfalls sehr schnell eingetreten 
zu sein, doch ist die Angabe hierüber nicht genau. Ueber den anato- 
mischen Befund bei den Menitre’schen Fällen haben wir bereits 
gesprochen; die hochgradige Herabsetzung resp. vollständige Aufhebung 
des Hörvermögens erklärt sich bei ihnen aus den ausgedehnten Ver- 
änderungen im Nervenapparat. | 


Unter den anderen 4 Fällen waren die Hörstörungen am auffallend- 
sten in dem Falle (No, 8) von Kast, bei dem plötzlich vollständige 
Taubheit constatirt wurde. Die Obduction resp. mikroskopische Unter- 
suchung ergab hier hochgradige Veränderungen an den markhaltigen 
Nervenfasern des N. acusticus, die jedoch, wie bereits erwähnt, nicht 
mit Sicherheit auf den leukämischen Process zurückzuführen waren. 
In den Fällen No. 2, 10, 11 trat nicht vollständige Taubheit, aber 
doch hochgradige Schwerhörigkeit innerhalb weniger Stunden oder Tage 


154 Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 


auf und bei der mikroskopischen Untersuchung fanden sich neben Lympho- 
cyteninfiltration Blutergüsse entweder im Mittelohr allein, wie im Fall 
2 und 10, oder auch zugieich im Stamme des N. acusticus, wie im 
Falle 11 (bei diesem auch, wie schon erwähnt, in den knöchernen 
halbzirkelförmigen Kanälen). Eventuell würde hierher noch Wagen- 
häuser’s Fall (No. 7) zu rechnen sein. Wenn nun aus diesen 
mikroskopischen Befunden die Schnelligkeit des Auftretens 
der Gehörsstörungen sich erklärt, so fragt es sich, ob auch 
die Art derselben dem Ergebniss der anatomischen Untersuchung 
entspricht. 


Für die Mehrzahl der Meniere’schen Fälle (4) bestand, wie 
bereits erwähnt, vollständige Taubheit für alle Schallquellen, nur in 
einem Falle (No. 9, Alt) wurde bei ebenfalls vollständiger Taubheit 
für alle Schallquellen auf dem einen Ohr, auf dem anderen, bei hoch- 
gradiger Schwerhörigkeit für die Sprache (l. Spr. a. O.) noch C?, C! C 
durch Luftleitung, wenn auch stark verkürzt, gehört, während dieselben 
Töne durch Knochenleitung nicht mehr zur Perception kamen. Der 
anatomische Befund erwies hier Mitteloehr und Labyrinth vollkommen 
intact, dagegen fanden sich im intramedullären Verlaufe des N. 
acusticus Veränderungen (zahlreiche leukämische Infiltrate, stellenweise 
Degeneration der Acusticusfasern), welche als Erklärung sowohl für den 
Mangel der Knochenleitung (Schwabach) als auch für den vollstän- 
digen Ausfall des oberen Theiles der Tonscala (Bezold) herangezogen 
werden können. 


Was die Hörfähigkeit in den anderen 4 Fällen (2, 8, 10, 11) 
anbelangt, so konnte im Falle 11 während des Lebens eine genaue 
qualitative Untersuchung wegen des desolaten Zustandes des Pat. 
nicht vorgenommen werden; im Falle Kast’s (No. 8) scheint eine 
solche ebenfalls nicht stattgefunden zu haben, während für die Fälle 
2 und 10 wenigstens einige Daten vorliegen. Im Falle 2 (Grade- 
nigo) bestand bei hochgradiger Herabsetzung der Hörfähigkeit für die 
Sprache und die Uhr durch L.uftleitung eine ebensolche Herabsetzung 
für Uhr und Stimmgabel durch Knochenleitung. Mit Rücksicht auf das 
Alter des Patienten (63 Jahre) ist dieses letztere Moment nicht von 
diagnostischer Bedeutung und es kann deshalb der negative Befund im 
Perceptionsapparate nicht bei der diagnostischen Verwerthung in Betracht 
kommen. Von einer Prüfung der Luftleitung für Töne verschiedener 
Höhe, verlautet in der Arbeit nichts, da jedoch angegeben ist, dass 


Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 155 


der Rinne’sche Versuch negativ ausfiel (mit welchem Stimmgabel- 
ton?), so würde aus diesem Ueberwiegen der an und für sich ver- 
kürzten Knochenleitung über die Luftleitung wenigstens mit einiger 
Wahrscheinlichkeit auf eine Affection des schallleitenden Apparates ge- 
schlossen werden können, was denn auch dem anatomischen Befunde: 
starke Verdickung der Schleimhaut, hämorrhagische Extravasate in der- 
selben und Residuen freier hämorrhagischer Ergüsse, entsprechen würde. 
Im Falle 10 (Kümmel) war die Hörfähigkeit für Flüstersprache und 
Politzer’s Hörmesser links wesentlich stärker herabgesetzt als rechts 
(s. oben). Vom Scheitel aus wurden die Töne der C-Gabel nach links 
hingehört (Weber’scher Versuch). Aus diesem Hörprüfungsresultat 
würde man auf eine, hauptsächlich das linke Ohr betreffende Affection 
des Schallleitungsapparates haben schliessen können. Die anatomische 
Untersuchung ergab denn auch hochgradige Veränderungen (Blutergüsse 
etc.) im Mittelohr und im Trommelfell, doch geht aus der Mittheilung 
des Verfs. nicht hervor, ob dieselben auf der linken Seite erheblich aus- 
gedehnter waren als rechts. Weiter aber hatte Verf. constatirt, dass 
tiefe Töne, namentlich durch Knochenleitung, entschieden besser als 
höhere wahrgenommen wurden, ganz besonders deutlich bei Aufsetzen 
der Stimmgabel auf den linken Warzenfortsatz. Wenn nun auch 
diese Beobachtung, soweit sie sich auf die Perception vom Knochen aus 
bezieht, wenigstens nicht gegen eine Schallleitungsaffection sprechen 
würde, so ist das doch nicht der Fall bezüglich der Perception durch 
Luftleitung. Vielmehr hätte man gerade eine Verschlechterung der 
Hörfähigkeit für tiefe Töne, entsprechend den Untersuchungen von 
Lucae, Bezold u. A. erwarten sollen. Da nun aber auch der 
Rinne’sche Versuch nicht allein auf dem besser hörenden rechten, 
sondern auch auf dem wesentlich schlechter hörenden linken Ohre 
(Flüstersprache in 25 —35 cm) positiv ausfiel und die Perceptionsdauer vom 
Proc. mastoid. aus, wenn auch nicht verkürzt, doch auch nicht wesent- 
lich verlängert (8 resp. 10°) zu sein schien (die für die betr. Stimm- 
gabel eruirte Perceptionsdauer bei Normalhörenden ist leider nicht 
angegeben), hätte man an eine die Affection des schallleitenden 
Apparates complicirende Läsion des Schallperceptions-Apparates denken 
können. Verf. bemerkt jedoch, dass sich keine wesentlichen Verände- 
rungen im Labyrinth gefunden hätten. Mit Rücksicht auf den oben 
erwähnten Fall von Alt und auf meine eigenen, später zu besprechen- 
den Befunde, will ich hier nur darauf hinweisen, dass trotz dieses 
mangelnden Befundes im Labyrinth die Möglichkeit einer Läsion im 


156 Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 


Perceptionsapparat nicht ausgeschlossen ist, da in dem vorliegenden Fall 
Angaben über den Befund im Verlaufe des Acusticus sowohl in der 
Medulla obl., als auch in Meat. aud. internus fehlen. 


Herabsetzung der Hörfähigkeit verschiedenen Grades und zwar, wie 
es scheint, allmählich auftretend, wurde ferner noch in 4 Fällen 
(No. 4, 12, 13, 14) notirt, eine genauere Prüfung durch Stimmgabeln 
liegt jedoch ausser bei zwei, von mir selbst beobachteten Fällen, 
No. 12 und 14, nicht vor. In einem dieser letzteren (No. 12) war die 
Hörfähigkeit auf dem später zur anatomischen Untersuchung gekommenen 
(linken) Ohr für Uhr und Sprache mässig (Fl. wurde noch in 3—4 
Meter, die Uhr in 0,75 Meter Entfernung gehört) herabgesetzt. Von 
Stimmgabeltönen kamen die tiefsten (16 und 32 Schwingungen) garnicht 
zur Perception, während für die Töne von 48 Schwingungen aufwärts 
bis c* keine oder nur eine mässige Herabsetzung (c—15) constatirt 
werden konnte. Die Knochenleitung war für Uhr und Stimmgabel (ec) 
erhalten, für letztere weder eine Verlängerung noch eine Verkürzung 
nachzuweisen. Vom Scheitel aus wurde der Stimmgabelton (c) beider- 
seits gleich gehört. Der Rinne’sche Versuch fiel positiv aus. 


Es könnte auffallen, dass trotz der Veränderungen im, Mittelohr, 
namentlich der Anhäufung des fibrinös-eitrigen Exsudates in den Nischen 
der beiden Fenster weder eine beträchtliche Herabsetzung der Hör- 
fähigkeit für die Sprache und Uhr, noch eine wesentliche Beeinträchti- 
gung der Perceptionsfähigkeit für Stimmgabeltöne zu verzeichnen war. 


Nun muss freilich, wie schon oben auseinandergesetzt wurde, berück- 
sichtigt werden, dass die wesentlichste Veränderung im Mittelohr: das 
fibrinös-eitrige Exsudat höchst wahrscheinlich erst in den letzten Tagen 
vor dem Tode in Folge der septischen Infection aufgetreten ist, während 
die eigentlichen leukämischen Producte im Ohr nur in ganz geringem 
Grade ausgeprägt waren. Das oben erwähnte Ergebniss der Unter- 
suchung, das leider später nicht ergänzt werden konnte, bezog sich aber 
auf eine Zeit, als diese septische Infection noch nicht bestanden hatte. 


Im Falle No. 14 wurde die Uhr in 0,2 Meter Entfernung vom 
Ohr (normal 1,25) und durch Knochenleitung gut gehört. Von Stimm- 
gabeltönen kamen auch hier nur die tiefsten 16 und 32 vibr. dupl. 
nicht zur Perception, während die übrigen bis c* gut gehört wurden. 
Auf dem Proc. mast. wurde c pp. 7° lang gehört, der Rinne’sche 
Versuch fiel positiv aus. Flüstersprache beiderseits in 2 Meter Ent- 
fernung vom Ohr. Das Ergebniss der Prüfung war beiderseits gleich. 





Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgang bei Leukämie, 157 


Die mikroskopische Untersuchung ergab bei ganz unbedeutenden Ver- 
änderungen im Schallleitungsapparat nur am N. acusticus in seinem 
Verlaufe im Meat. auditor intern. Veränderungen: neugebildete Binde- 
gewebsstränge durch die der N. acusticus an einzelnen Stellen wie ein- 
geschnürt erscheint als Folge einer Pachymeningitis haemorrhagica, die 
sich auf die Durascheide fortgesetzt hatten. Bemerkenswerth ist frei- 
lich, dass auch hier grade die tiefsten Töne, trotz der Intact- 
heit des Schallleitungsapparates, nicht zur Perception kamen, 
während die höchsten noch gehört wurden. Die verkürzte Perceptions- 
dauer für c am Proc. mast. stimmt dagegen sehr wohl zu dem erwähnten 
Befunde am N. acusticus. In den Fällen (No. 4, 13) bei denen eine 
Stimmgabelprüfung nicht vorgenommen worden war, erklärt sich die im 
Leben constatirte quantitative Herabsetzung der Hörfähigkeit ohne 
Weiteres aus dem anatomischen Befund: reichliche Blutextravasate und 
Lymphocyteninfiltration im Schallleitungs- und Schallperceptionsapparat 
in dem einen Falle (No. 4), Ankylose des Steigbügels in dem andern 
(No. 13). 


Schliesslich sei noch erwähnt, dass in den beiden Fällen (No. 8 
und 15) bei denen im Leben Facialisparalyse beobachtet worden war, 
die mikroskopische Untersuchung auffallende Veränderungen des Nerven 
zeigte. Im Fall 8 hochgradige Verminderung der markhaltigen Nerven- 
fasern im intramedullären Verlauf, aber keine Lymphocyteninfiltration. 
Im Fall 15 war die letztere im Verlaufe des Nerven im Fallopi’- 
schen Kanal eine recht beträchtliche, eine Degeneration der Fasern 
fand sich nur stellenweise, während dagegen die mir von Herrn Prof. 
A. Fränkel vorgelegten Präparate, die verschiedenen Stellen des 
Nerven, nach seinem Austritt aus dem Foramen stylomast. entnommen 
waren, die Degeneration der Nervenfasern in weit grösserer Aus- 
dehnung zeigten. | 


Wenn wir nunmehr das Ergebniss unserer analytischen Betrach- 
tungen über die 10 in der Literatur vorliegenden und die 5 eigenen 
Beobachtungen kurz zusammenfassen, so würde dasselbe folgender- 
massen lauten: 


Die leukämischen Erkrankungen des Gehörorganes kommen häufiger 
beim männlichen Geschlecht vor, als beim weiblichen (Verhältniss von 
10:5). Dem Alter nach prävalirt das 4. Decennium. Die Erkrankung 
äussert sich fast in allen Fällen in mehr oder weniger hochgradiger, 
meist sehr schnell zunehmender Schwerhörigkeit, verbunden mit subjec- 


158 Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 


tiven Geräuschen und nicht selten mit Schwindelerscheinungen. In einer 
Anzahl von Fällen (pp. !/;) tritt diese Trias der Erscheinungen unter 
dem Bilde des Meni&re’schen Symptomencomplexes auf. 


Alle die genannten Erscheinungen zeigen sich in den acut ver- 
laufenden Fällen verhältnissmässig kurze Zeit nach dem Beginn der 
Allgemeinerkrankung, während in den chronischen Fällen in der Regel 
ein grösserer Zwischenraum zwischen beiden liegt. 


Als das Wesentlichste des. anatomischen Befundes sind Lympho- 
cytenanhäufungen und Blutungen zu verzeichnen, welche sowohl in den 
Markräumen des Felsenbeins, als auch in den verschiedenen Theilen 
des Gehörorgans selbst und zuweilen auch in den diesen benachbarten 
Parthien: Gaumen-, Rachen- und Zungentonsillen, Stirn- und Keilbein- 
höhlen vorkommen können. Das Gehörorgan selbst kann in allen 
seinen Theilen von der leukämischen Affection befallen werden; am 
seltensten und geringfügigsten localisiren sich die Veränderungen im 
äusseren Ohr: Gehörgang und Trommelfell; häufiger wird das Mittelohr, 
und zwar namentlich die Paukenhöhle (weniger häufig Tuba Eustachii 
und Pars mastoidea) befallen; am häufigsten finden sich die leukämi- 
schen Veränderungen im Nervenapparat, woselbst sie auch in ihrer 
Ausdehnung diejenigen im Schallleitungsapparat übertreffen. In einer 
Minderzahl von Fällen ist auch der N. facialis in seinem Verlauf inner- 
halb des Felsenbeins von der leukämischen Affection befallen. 


Bezüglich der Frequenz der leukämischen Erkrankungen des Ohres 
ergiebt sich, dass dieselbe mindestens in ?/, aller darauf hin unter- 
suchten Fälle von Leukämie vorkommen. | 


Für die Ansicht (Gradenigo), dass als wesentlicher prädispo- 
nirender Factor der Ohrcomplicationen bei Leukämie die vorausgegan- 
gene oder gleichzeitige Existenz eines entzündlichen Processes angesehen 
‘ werden müsse, ergiebt sich aus den vorliegenden Beobachtungen kein 
sicherer Anhaltspunkt, vielmehr zeigen dieselben, dass die speciell aus 
den lymphoiden Zellen bestehende leukämische Exsudation ganz unab- 
hängig von derartigen Processen auftreten kann, während die hämorrha- 
gischen Extravasate im Wesentlichen auf die durch die Allgemein- 
erkrankung bedingten Veränderungen in den Blutgefässen zurückzuführen 
sind. — Ob vorausgegangene Syphilis als prädisponirendes- Moment für 
das Auftreten der in einigen Fällen gefundenen Knochenneubildungen 
im Gehörorgan anzusehen, oder ob diese letzeren als Folgezustände 


Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 159 


leukämischer Exsudationen anzusehen sind, lässt sich aus dem vorliegen- 
den Material nicht mit Sicherheit entscheiden. 


Bezüglich der Frage, in welcher Weise die im Leben beobachteten 
Erscheinungen Seitens. des. Gehörorganes mit den pathologisch-anatomi- 
schen Veränderungen in Einklang zu bringen sind, ist zunächst hervor- 
zuheben, dass für die am auffallendsten hervortretenden, unter dem 
Bilde des Meni&re’schen Symptomencomplexes sich zeigenden Erschei- 
nungen zwar eine einheitliche Erklärung in dem Obductionsbefund 
nicht zu finden ist, dass aber in der Mehrzahl der Fälle Exsudate 
resp. Blutextravasate in das Labyrinth als wesentlichste Ver- 
änderungen sich nachweisen liessen. | 


Ebenso fanden sich in denjenigen Fällen, bei denen die Schwer- 
hörigkeit plötzlich eintrat oder in rapider Steigerung zunahm, neben 
Lymphocyteninfiltration zumeist Blutextravasate entweder im Mittelohr 
allein oder auch zugleich im Nervenapparate. In den wenigen Fällen, bei 
denen eine mehr allmähliche Herabsetzung der Hörfähigkeit eingetreten 
war, ergab die anatomische Untersuchung als wesentlichen Befund nur 
Lymphocyteninfiltration neben anderen zum Theil mit der Leukämie nicht 
in directem Zusammenhang stehenden Veränderungen, nur einmal wurden 
auch Blutextravasate, neben Lymphocyteninfiltration, gefunden. 


Literatur. 


1. Ausführliche Literaturangaben finden sich in Lannois’ Arbeit: Complica- 
tions auricul. au cours de la Leucocythemie. Annales des mal. de l'or 
1892. No. 1. 


Vidal, Gaz. hebdomadaire 1856, S. 167, 201, 235. 
Isambert, Art. Leucocythemie du Dictionaire Dechambre. 


> co p 


Gottstein, Ueber den Meni&re’'schen Symptomencomplex. Zeitschrift 
für Ohrenheilkunde, Bd. IX, S. 37. 

5. Gelle, Leucocythemie, debut par la surdite et de la paralysie de la face. 
Mem. de la Soc. franc. d’otol et de laryngol. Vol. I, p. 46. 

6. Blau, Zeitschrift für klin. Medicin. X, S. 15. 

7. Politzer, Comptes rendus du III Congr. internat. d'otol. Bâle 1885, 
S. 139. 

8. Gradenigo, Das Gehörorgan bei der Leukämie. Arch. für Ohrenheil- 
kunde. XXIII, S. 242, 

9, Steinbrügge, Labyrintherkrankung in einem Falle von Leukämie. Zeit- 

schrift für Ohrenheilkunde. Bd. XVI, S. 238 und Lehrbuch der patholog. 


160 Schwabach: Ueber Erkrankungen des Gehörorgans bei Leukämie. 


10. 
il. 


12. 


13. 
14. 
15. 


16. 
17. 


18. 


Anatomie von Orth VI. Lfrg.: Gehörorgan von Steinbrügge, S. 113. 
An letzterer Stelle erwähnt St. kurz noch einen zweiten von ihm obdu- 
eirten Fall. | | l l | 

Wagenhäuser, Labyrinthbefund eines Falles von Taubheit bei Leukämie. 
Arch. für Ohrenheilkunde. Bd. XXXIV, S. 219. j 

Kast, Ueber Bulbärnervenlähmung bei Leukämie. Zeitschrift für klin. 
Medicin 1895. Bd. XXVIII, S. 87. 

Alt, Sectionsbefund eines Falles von Morb. Menière (Leukämie). Monats- 
schrift für Ohrenheilkunde 1896, No. 3, S. 137. Ausführl. Mittheilung 
Wiener klin. Wochenschrift 1896, No. 38. 

Kümmel, Ohrenerkrankung bei Pseudoleukämie (multiple Lymphosareo- 
matose). Verhdlig. der Deutschen otol, Gesellschaft 1896, S. 98. 

Steinbrügge, Ueber Menie&re’sche Erkrankungsformen. Deutsche med. 
Wochenschr. 1897, No. 1, Vereinsbeilage No. 1. 

Politzer, Ueber primäre Erkrankung der knöchernen Dapgrintnkapsen 
Zeitschrift für Ohrenheilkunde. XXV, S. 309. 


Ziegler, Lehrbuch der patholog. Anatomie 1892. I, S. 266. 


B. Baginsky, Ueber den Menitre’'schen- Symptomencomplex. Berl. 
klin. Wochenschr. 1888, No. 45. 


A. Lucae. Ueber Hämorrhagie und hämorrhagische Entzündung’ des kind- 
lichen Ohrlabyrinths. Virch. Arch. Bd. CXXXVII, S. 556. 


Bericht 
über die 


Leistungen und Fortschritte auf dem Gebiete der Ohrenheilkunde 


im ersten Quartal des Jahres 1897. 


Zusammengestellt von Dr. Arthur Hartmann. 


———e 


Mittleres Ohr. 


a) Acute Mittelohrentzündung. 


22. Stillman, Frank L. Bericht über einen Fall von acuter eitriger Mittel- 
ohrentzündung, complicirt mit Retropharyngealabscess. New-York. Med. 
Journ. 6. Februar 1897. 

23. Eitelberg, A., Dr., Wien. Periostitis des Warzenfortsatzes bei einfachem 
acuten und subacuten Mittelohrcatarrh, nebst einigen Bemerkungen über 
transitorische Schwerhörigkeit bei Affectionen von dem Mittelohr angrenzen- 
den Bezirken des Hörorgans. Wien. medic. Presse 1897, No. 12 und 13. 

24. Habermann, F. Ueber Erkrankungen des Felsentheiles und des Ohr- 
labyrinths in Folge der acuten eitrigen Mittelohrentzündung. Arch. f. 
Ohrenheilk. Bd. 42, S. 128. 

25. Podack, Max, Dr. Ueber die Beziehungen des sogen. Maserncroups und 

| der im Gefolge von Diphtherie auftretenden Erkrankungen des Mittel- 
ohres zum Klebs-L.öffler'schen Diphtherie-Bacillus. Deutsches Archiv für 
klin. Medicin Bd. 56, S. 34. 

26. Löwenberg, B., Dr. Etude bacteriologique et clinique sur une affection 
nouvelle de l'oreille (pseudo-diphterie auriculaire & streptocoques). Le 
Bulletin medical No. 19, 1897. 


22) Der Fall betraf einen etwa 40jährigen, unverheiratheten Mann, 
welcher mehrere Jahre lang an chronischem Mittelohrkatarrh, durch 
Verbiegung der Nasenscheidewand erschwert, gelitten hatte. Bei der 
ersten Untersuchung bot er in Folge von Erkältung ein stark hyper- 
ämisches, hervorgewölbtes linkes Trommelfell dar. Er klagte auch 
über tiefsitzenden Schmerz im Ohr. Auf eine Paracentese entleerte 
sich viel Serum. Die Leiter’schen Röhren wurden angelegt. Nach 
sechs Tagen war die Temperatur normal und man erlaubte ihm, am 
folgenden Tage auszugehen. Vier Tage darauf wurden die Schmerzen 
. im Ohr wieder heftig und der Ausfluss wurde später stärker. Während 
der folgenden beiden Wochen litt er an heftigen Schmerzen mit Hemi- 
kranie der linken Seite. Temperatur 38°. Es waren keine Zeichen 

Zeitschrift für Obrenhellkunde, Bd. XXXI. 11 


162 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


von Warzenfortsatzerkrankung vorhanden. Das Trommelfell wurde hinten 
ausgiebig wegen etwa ungenügender Drainage eingeschnitten. Die Kopf- 
schmerzen wurden nur vorübergehend erleichtert. Der Patient konnte 
den Kopf nur schwer drehen, da die Nackenmuskeln steif waren. Es 
entwickelten sich Symptome von Cerebralabscess, starke Pulsverlang- 
samung. Sechs Wochen nach dem Beginn des Anfalles Aufnahme in 
ein Hospital. Zu jener Zeit war die Temperatur normal und der 
Puls 90. Es bestand eine Schwellung des Halses vor dem M. sterno- 
cleido-mastoid. und eine geringe Schwellung in der linken Hälfte des 
weichen Gaumens und später im Nasenrachenraum. Es wurde dann 
die Diagnose auf Retropharyngealabscess gestellt und der Eiter entleert. 
Der Patient erholte sich schliesslich und das Trommelfell heilte. Nach 
der Ansicht des Verfassers verschaffte sich der Eiter den Zugang zum 
Nasenrachenraum durch die Scheide des M. tens. tympani.. 
Gorham Bacon. 

23) Eitelberg berichtet über 3 Fälle von acutem Mittelohr- 
catarrh, bei welchen sich eine Periostitis am Warzenfortsatze hinzu- 
gesellte, und welche erst nach Eröffnung der Abscesse der Heilung zu- 
geführt wurden. | Pollak. 

24) 1. Fall: Tod an eitriger Meningitis nach mehrfachen Opera- 
tionen. Vereiterung des Labyrinths und Ausbreitung nach der Schädel- 
höhle wahrscheinlich durch das Gefässbündel der Fossa subarcuata. 
2. Fall: 69jähr. Mann mit Paralysis agitans, gestorben an Marasmus 
11 Wochen nach Beginn der Ohrerkrankung, nicht operirt. Im rechten 
Antrum und dem unteren hinteren Theil der Pyramide Eiter, Labyrinth 
frei. 3. Fall: 68jähriger Mann mit rechtsseitiger Otitis med. suppurat 
und Ostitis und Periostitis mastoidea. Tod nach 4 Monaten an Pneu- 
monie. Die Knochensubstanz beider Pyramiden stark entzündet, z. Th. 
rareficirt, z. Th. mit neugebildeter Knochenmasse durchsetzt. 4. Fall: 
58jähriger Taglöhner, seit 1 Monat an Otit. med. und Ostitis mastoid. 
rechts mit Durchbruch durch die hintere Gehörgangswand erkrankt. 
Aufmeisselung mit Wegnahme dieser Wand, später Eröffnung eines Ab- 
scesses im unteren Theil des Felsenbeines gegen die Fossa jugular., 
sowie der Fossa sigmoidea. Unter Fortdauer einer reichlichen Eiterung 
Tod unter zunehmendem Marasmus einen Monat nach der ersten Opera- 
tion. Abscesshöhle an der Unterfläche der Pyramide bis zum Proc. 
condyloideus hin und bis zur Spitze jener reichend, nach unten von den 
Weichtheilen medial der Ven. jugul. begrenzt, jedenfalls eine höchst 
seltene Form von Senkungsabscess vom Ohre aus. 5. Fall: 24jähr. 


Mittleres Ohr. 163 


Mann mit chron. Otorrhoe rechts und acutem Nachschub nach einer 
Erkältung. DBetheiligung des Warzenfortsatzes, Schwindel, Uebelkeit, 
Erbrechen, Nystagmus, Kopfschmerzen. Senkung der hinteren obern 
Meatuswand und Perforation des Trommelfells hinten oben. In einzelnen 
pneumatischen Zellen gelbe Herde, im Antrum und Atticus Cholesteatom. 
Radicaloperation. Nachher Zunahme der schon früher bestandenen 
Facialislähmung, Oculomotoriuslähmung links, welche beide sich besserten. 
Eine persistente Fistel inmitten hartnäckig wieder wuchernder Granula- 
tionen in der Tiefe der Operationshöhle wurde späterhin bis zur Sinus- 
wand freigelegt, aber ohne Erfolg, bis schliesslich eine Abscesshöhle 
tief in der Pars petrosa eröffnet und auch noch ein Theil der Schnecke 
necrotisch abgestossen wurde. Die Heilung ist bei noch fortdauernder 
Behandlung zu erwarten. 

Das überaus reiche anatomische und histologische Detail, sowie 
zwei weitere kurz skizzirte Fälle sind im Original nachzusehen. 

Bloch. 

25) Podack führt in seiner Arbeit aus der Lichtheim’schen 
Klinik den Nachweis, dass der Maserncroup in der Regel eine ächt 
diphtherische Erkrankung ist. In manchen Fällen werden in den 
Pseudomembranen keine Diphtheriebacillen gefunden, sondern andere 
Mikroorganismen, meistens Streptokokken. Man hat desshalb eine 
Laryngitis pseudomembranacea mit Diphtheriebacillen und eine solche 
mit Streptokokken nach Masern zu unterscheiden. Bei einem der von 
Podack mitgetheilten Fälle bestand beiderseitige Mittelohrentzündung 
mit Diphtheriebacillen ohne fibrinöse resp. diphtherische Pseudomembranen 
im Mittelohre. Es war in diesem Falle die Mittelohrentzündung zwei 
Wochen vor den andern Localisationen des diphtherischen Processes 
aufgetreten. P. glaubt, dass die Möglichkeit, dass die Diphtheriebacillen 
mit der Mittelohrentzündung selbst nichts zu thun hatten, dass sie viel- 
mehr nnr in dem eiterigen Secrete einer gewöhnlichen eiterigen Mittel- 
ohrentzündung die bedeutungslose Rolle von Saprophyten gespielt haben, | 
nicht ganz auszuschliessen sei. 

Bei einem weiteren Falle bestand neben der diphtherischen Rachen- 
erkrankung beiderseits perforative Mittelohrentzündung mit Diphtherie- 
bacillen. Bei der Section fand sich die Schleimhaut der Paukenhöhle 
in zellenreiches Gewebe von dem Charakter des Granulationsgewebes 
umgewandelt, von dickeren oder dünneren Membranen überzogen, 
welche auf den Schnitten Diphtheriebacillen und Streptokokken ent- 
hielten. | 

11* 


164 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


Im inneren Ohre breitete sich zwischen den Knochenbälkchen so- 
wohl der rechten wie der linken Schnecke ein auffallend zartes, lockeres 
Granulationsgewebe mit einer reichlichen schleimigen Grundsubstanz 
aus, das auch das Ganglion cochleare umgriff. 

Nach den Beobachtungen P.’s ist anzunehmen, dass das Mittelohr 
ebenso wie die Nasenhöhle einen sehr verhängnissvollen Schlupfwinkel 
für die Klebs-Löffler’schen Diphtheriebacillen darstellt, dass die 
letzteren häufiger als man glaubt, in das Mittelohr gelangen und sich 
daselbst noch wochenlang nach dem Ablaufe der Diphtherie im Rachen 
aufhalten. Hartmann. 

26) Löwenberg berichtet über einen Fall von Rachendiphtherie, 
in welchem nach Anwendung der Nasendusche Ohrentzündung auf- 
getreten war. Nach viertägigen heftigsten Schmerzen wird von L. die 
Untersuchung vorgenommen. Neben schweren Allgemeinerscheinungen 
bestand mässiger serös-eiteriger Ausfluss, der Gehörgang war mit fest- 
haftenden Membranen ausgefüllt. Die bacteriologische Untersuchung 
ergab im Rachensecret Staphylococcen, im Ohrsecret Streptococcen, keine 
Diphtheriebacillen. Schnitte durch eine dem (Gehörgang entnommene 
Membran zeigten dieselbe mit Eiterkörperchen und Streptococcen durch- 
setzt. In Vergleich gestellt wird eine aus dem Larynx entnommene 
Membran ächter Diphtherie und der Schluss gezogen, dass es sich in 
dem Ohre um eine besondere Krankheit handle, um eine Pseudo- 
diphtherie der Ohren mit Streptococcen oder um eine membranöse 
Streptococcenotitis. Hartmann. 


b) Chronische Mittelohreiterung. 


27. Grant, Dundas. Schwerhörigkeit durch die Residuen eitriger Mittelohr- 
entzündung. The Clinical Journal 28. Dec. 1897. 
28. Barth, A. Prof., Leipzig. Concrementbildung im Ohr bei chronischer 
Mittelohreiterung. Monatsschr. f. Ohrenheilk. No. 2, 1897. 


27) Dundas Grant behandelt die abnormen Zustände, wie 
Substanzverluste, Narbenbildungen und Desquamativprocesse, welche 
zurückbleiben, nachdem die Absonderung durch Behandlung oder spontan 
zum Stillstand gekommen ist. Seine Ausführungen sind sehr sorgfältig 
und überzeugend und zeigen klar die Fortschritte, wełche in der Be- 
handlung dieser Fälle gemacht worden sind. Cheatle. 

28) Bei einem an chronischer Mittelohreiterung leidenden Kinde 
fand Barth einen Wattepropf im Gehörgange, an dessen äusserer Fläche 
sich Kalkconcremente gebildet hatten. Killian. 


Mittleres Ohr. 165 


c) Cerebrale Complicationen der Mittelohreiterung. 


29. Willis, Morley. A case of Cerebral Abscess presenting some unusual 
features. British Medical Journal 6. Febr. 1897. 
80. Ridley, Brooke. Kleinhirnabscess nach Warzenfortsatzerkrankung. Tod. 


Section. Lancet Jan. 1897. 

81. Wolff, Ludwig, Dr., Frankfurt a. M. Fall von eitriger Sinus transversus- 
Thrombose mit Pyämie nach acuter Mittelohreiterung, durch Operation 
geheilt. Monatsschr. f. Ohrenheilk. No. 2, 1897. 

32. Lacharrière. Otite moyenne aigue double, thrombose du sinus latéral 
gauche, trépanation de l’apophyse mastoide. ouverture et nettoyage du 
sinus lateral. Guerison. Rev. hebdom. de laryng., d’otol. März 1897. 

33. Rivière et Etiévant. Quelque cas de phlébites du sinus et de septico- 
pyohémie d'origine otitique. Arch. internat. de laryng. d'ot. X, 1. 

34. Leutert, Ernst, Dr. (Aus der Kgl. Univ.-Ohrenklinik in Halle a. S.) Die 
Bedeutung der Lumbalpunktion für die Diagnose intracranieller Compli- 
cationen der Otitis. Münch. med. Wochenschr. No. 8 u. 9, 1897. 


29) Willis berichtet über einen von Chalmers Norton be- 
handelten Fall: Bei einem 8jährigen Kind entwickelten sich nach einer 
Otitis media supp. Symptome von Meningitis, an deren Stelle dann die- 
jenigen eines Hirnabscesses traten. Der Abscess wurde gefunden und 
drainirt.. Zweimal trat beim Versuch, die Canüle wieder in die Ab- 
scesshöhle einzuführen, starke arterielle Blutung auf. Heilung. 

Cheatle. 

30) In Ridley’s Fall handelt es sich um einen 14 jährigen Knaben, 
der seit einer vor 7 Jahren überstandenen Masernerkrankung an Aus- 
fluss aus dem rechten Ohr gelitten hatte. Es traten plötzlich Zeichen 
von Warzenfortsatzerkrankung auf und es bildete sich ein Abscess hinter 
dem Ohr; bei dessen Eröffnung fand man eine cariöse, nach dem An- 
trum führende Fistel. Es trat zunächst Besserung ein; jedoch später 
wurde das Kind von Schüttelfrösten, Diarrhoe und Erbrechen befallen. 
An die Stelle dieser Symptome, mit Ausnahme des Erbrechens, traten: 
subnormale Temperatur, Verlangsamung des Pulses und der Respiration, 
taumelnder Gang, Stuhlverstopfung und hochgradige Druckempfindlich- 
keit über der rechten Hinterhauptgegend. Es wurde ein Kleinhirnabscess 
diagnosticirt, aber die Eltern verweigerten die Operation. Während 
des ganzen Verlaufes wurde weder Neuritis optica noch eine Lähmung 
am Auge bemerkt. Der Tod trat plötzlich ein. Bei der Section fand 
man einen grossen Abscess im vorderen äusseren Theil des seitlichen 

Kleinhirnlappens. Keine Meningitis. Lateralsinus normal. Cheatle. 

31) Die Operation wurde vorgenommen, nachdem die pyämischen 

Erscheinungen gerade begonnen hatten. Der Sinus enthielt eine blutig- 


166 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


eitrige Flüssigkeit und thrombotische Gerinnsel. Zersetzungsgeruch 
fehlte, Bei der Ausräumung kam es zu einer Blutung aus dem peri- 
pheren Theile des Sinus, welche durch Tamponade gestillt werden konnte. 
Die Unterbindung der Vena jugularis interna unterblieb. Im weiteren 
Verlaufe stellten sich metastatische Abscesse im linken Oberarm, Halse 
und oberhalb des rechten Sternoclaviculargelenkes ein. Der Halsabscess 
lag in der Tiefe, hinter dem Musculus sterno-cleido-mastoideus, enthielt 
sehr fötiden, gashaltigen Eiter und ging wahrscheinlich von der Vena 
jugularis interna aus. Killian. 

32) Doppelseitige Otitis bei einem 22 monatlichen Kinde, die am 
5. Tage spontan durchbrach; am 10. Tage starker Schüttelfrost, am 
11. entzündliches Oedem des l. oberen Augenlides, am 15. Operation. 
Es fand sich Eiter im Antrum und ein nicht inficirter Thrombus im 
Sinus. Ausräumung. Heilung. Zimmermann. 

33) Die 3 selbstbeobachteten Fälle endeten letal; man hatte sich 
mit der Ausräumung des Warzenfortsatzes bis in den Sinus begnügt, 
ohne die Unterbindung des Jugularis zu machen; ein 4. Fall wird kurz 
erwähnt, wo eine monatelang bestehende Fistel erweitert wurde, welche 
in den durch »fibrocaseöse« Massen obliterirten Sinus führte. Verff. 
erörtern mit einigen Worten die diagnostischen Schwierigkeiten und 
machen auf ein neues pathognomonisches Zeichen, auf das Auftreten von 
starken Blutungen aus dem Gehörgang aufmerksam. Zimmermann. 

34) Die von Quincke eingeführte Lumbalpunktion wurde an der 
Hallenser Klinik im ganzen bei 12 Patienten gemacht. Bei sämmt- 
lichen 5 Fällen von diffuser eiteriger Meningitis (wovon 3 complicirte 
mit Sinusthrombose resp. Hirnabscess) war die entleerte Flüssigkeit ge- 
trüht. Bei einem Fall von Meningitis cerebrospinalis epidem. war der 
Befund der gleiche; nur mehr Mikroorganismen fanden sich, als in den 
anderen Fällen. In einem als Meningitis serosa bezeichneten Falle 
(klares Oedem der Pia) war die Flüssigkeit ebenfalls nicht ganz krystall- 
klar und enthielt Stäbchen, welche aber vielleicht als Verunreinigung 
aufzufassen sind. 

Nur in je einem Falle von abgekapselter Meningitis. (complicirt 
mit Sinusthrombose und Hirnabscess) und tuberkulöser Meningitis war 
die Punktionsflüssigkeit ganz klar. Bei der letzteren, bei welcher 
Koch’sche Bacillen nicht nachgewiesen werden konnten, war sie jedoch 
opalisirend. In den übrigen nicht mit Meningitis complicirten 3 Fällen 
von Sinusthrombose resp. perisinuösem Abscess (geheilter Fall) und 
Hirnabscess ergab die Punktion ebenfalls eine klare Flüssigkeit. 


Mittleres Ohr. | 167 


In einem Falle trat direkt im Anschluss an die Punktion und 
nachfolgende Aspiration der Tod ein, wie das auch von anderen Autoren 
schon öfters beobachtet worden ist. Leutert erkennt die Gefährlich- 
keit der Punktion bei vorgeschrittenen Fällen von Hirntumoren und 
Meningitis an, glaubt aber, dass derartigen Unglücksfällen eine prak- 
tische Bedeutung nicht zukommt, da die Patienten sowieso verloren 
seien. Für die Hirntumoren kann das aber nicht zugegeben werden 
(Ref... Und wie sich die Fälle von Hirnabscess und Sinusthrombose 
dabei verhalten werden, muss doch wohl noch durch weitere Beob- 
achtungen festgestellt werden. Uebrigens ist zu hoffen, dass die Ge- 
fährlichkeit der Punktion, was auch Leutert betont, sich mit Hilfe 
der Druckmessung beseitigen lässt. 

Während bisher die Autoren fast ausnahmslos nur den positiven 
Befund verwertheten, hebt Leutert hervor, dass in der Ohrenheil- 
kunde das Hauptgewicht auf den negativen Befund zu legen ist, welcher 
wenigstens bei grossen Flüssigkeitsmengen die diffuse eiterige Menin- 
gitis ausschliesse und so die Diagnose der übrigen intracraniellen Com- 
plicationen erleichtere. 

In dem uncomplicirten Falle von Sinusthrombose war die Flüssig- 
keit zwar klar, aber vermehrt. Der Verfasser betont auf Grund von 
Ausführungen, welche sich im 41. Band des Archivs für Ohrenheilkunde 
finden, dass, falls sich dieser Befund als gewöhnliche Begleiterscheinung 
der Thrombose erweise, aus der Druckvermehrung bei bestehendem 
hohem Fieber die Diagnose Sinusthrombose mit Sicherheit gestellt 
werden kann. Für die Diagnose des Hirnabscesses kommt der Lumbal- 
punction nur eine unterstützende Bedeutung zu. 

Bei der Untersuchung der entleerten Flüssigkeit ist das Haupt- 
gewicht auf die Formelemente zu legen. Der Verfasser glaubt, dass 
nicht nur der Befund poly-nucleärer Leucocythen, sondern auch ein 
stärker vermehrter Leucocythengehalt überhaupt die Diagnose Menin- 
gitis zum mindesten sehr wahrscheinlich mache. Bei der Untersuchung 
auf Mikroorganismen ist der einfach mikroskopischen Untersuchung eine 
grössere Bedeutung beizumessen, als der culturellen oder dem Thier- 
versuch. 

Was die Technik anbetrifft, so wurde die Punktion immer in Seiten- 
lage ausgeführt. Da eine Nadel von 7 cm Länge in einem Falle nicht 
ausreichte, wird empfohlen, Nadeln bis zu 13 cm Länge bereit zu halten. 

Ref. möchte noch anfügen, dass er einen Fall von eiteriger Menin- 
gitis mit beobachtet hat, bei welchem ebenfalls durch die Lumbal- 


168 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


punction die Diagnose gesichert wurde. Hier hatte die Punktion ent- 
gegen den Erfahrungen an der Hallenser Klinik auch einen auf- 
fallenden, allerdings vorübergehenden, therapeutischen Erfolg. 

| Scheibe. 


d) Sonstige Mittelohrerkrankungen. 
35. Brühl, E., Dr. Ueber Thyreoidinbehandlung bei adhäsiven Mittelohr- 
processen. Monatsschr. f. Ohrenheilk. No. 1, 1897. 


36. Körner, O., Prof., Rostock. Bemerkungen über Neuralgia tympanica im 
Anschluss an die Mittheilung eines Falles von Zungenabscess. Diese 
Zeitschr. Bd. XXX, S. 133. 


35) Von 16 Fällen blieben 8 nach 6—8 wöchentlicher Behandlung 
unverändert, bei 4 war die Hörverbesserung eine befriedigende; zwei 
hatten einen sehr guten Erfolg. Es stellte sich bei diesen letzteren 
eine Hörverbesserung von !/, auf 7m für laute Sprache und von 10 
auf 100 cm für Akumeter ein. Brühl vermuthet, dass der Jodgehalt 
des Thyreoidins der wirksame Factor bei dieser Behandlung sei. 

Killian. 


Nervöser Apparat. 


37. Kaufmann, Daniel, Dr. Ueber einen Fall von completer beiderseitiger 
Taubheit, aufgetreten drei Tage nach einem Fall auf das Hinterhaupt. 
— Beitrag zur Frage der Labyrintherschütterung. Wien. medic. Blätter 
No. 1—4, 1897. 


38. Kaufmann, Daniel, Dr. Ueber einen Fall von gleichseitiger, acut auf- 
getretener Erkrankung des Acusticus, Facialis und Trigeminus. Diese 
Zeitschr. Bd. XXX, S. 125. 


37) 13jähriger Knabe fällt beim Turnen auf den Hinterkopf; 
Schwindel bei erhaltenem Bewusstsein, in den nächsten Tagen Er- 
brechen, Kopfschmerz, am drittfolgenden Tage plötzlich beiderseitige 
Taubheit. Die Untersuchung ergab Infraction des rechten Scheitel- 
beines mit Hämatocele (Meningocele spuria) und complete beiderseitige 
Taubheit. — Kaufmann glaubt centrale Affection oder Affection der 
Medulla, sowie beiderseitige Schädelbasisfractur ausschliessen zu können, 
stellt die Diagnose auf eine in Folge von Gehirnerschütterung auf- 
getretene Labyrinthaffection und erklärt die spät aufgetretene Taubheit 
durch sogenannte traumatische Spätapoplexie (Bollinger, Michel). 
— Ausführliche Literatur über Befunde im Gehörorgan bei Schädel- 
traumen. Pollak. 


Nase. | 169 
Nase. 
a) Allgemeine Pathologie der Nase. 


39. Plaget. Les moyens de défense des fosses nasales contre l'invasion 
microbienne. Ann. des mal. de l'or. du lar. Febr. 1897. 

40. Vausant, Eugen L. Bacteriologische Untersuchung des Nasenschleims 
bei 100 Fällen von chronischem Nasencatarrh. Journ. Amer. Med. Assoc. 
27. Februar 1897. 

41. Meyer, Edmund, Berlin. Bacteriologische Befunde bei Rhinitis fibrinosa. 
Arch. f. Laryngol. IV, 2. 

42, Ribary. Klinisch-anatomische Beiträge zur Rhinitis sicca anterior. (Aus 
Siebenmann's Poliklinik in Basel.) Arch. f. Laryngol. 1V, 3. 

43. Lacoarret. Du cornet inferieur sa personalite anatomique et pathologique 
son hypertrophie et ses dégénérescences bénignes. Rev. hebdom. de 
laryng. d’otol. Febr. 1897. 

44. Bronner, A. Asthma & Hay fever of nasal origin. The Medical Press 
27. Jan. 1897. 

45. Luzatti. Forme legere d’excitation psychique à la suite d'une operation 
endo-nasale.. Ann. des mal. de l’oreille du larynx Febr. 1897. 

46. Lange, Victor, Dr. Ueber „adenoiden Habitus“. Berl. klin. Wochenschr. 
No. 1, 1897. 


39) Eine Bestätigung der besonders von Lermoyez behaupteten 
bactericiden Wirkung des Nasenschleims. Plaget fand einmal, dass 
aus den hinteren Partien der Nase angelegte Culturen stets steril blieben, 
und beobachtete dann experimentell, dass wenn man zu Bouillonculturen 
der verschiedenartigsten Mikroorganismen Nasenschleim zumischte, dieser 
eine mehr weniger deutliche Wachsthumshemmung bewirkte. Die ein- 
zelnen Experimente werden kurz registrirt. Zimmermann. 

40) Unter 100 bacteriologisch untersuchten Patienten mit chronischem 
Nasenkatarrh, fanden sich Diphtheriebacillen bei 30 Culturen von 26 
verschiedenen Patienten, von denen 11 an Atrophie, 3 an chronischer 
Eiterung, 5 an chronischer Rhinitis und 3 an chronischer Hypertrophie 
litten. Toeplitz. 

41) Nach einer scharfen Gegenüberstellung der Rhinitis fibrinosa 
und der Rh. diphtheriea in ihrem klinischen Verhalten theilt Meyer 
die bacteriologischen Untersuchungsresultate von 22 Fällen fibrinöser 
Rhinitis mit. Er fand in 9 Fällen neben den gewöhnlichen Nasen- 
bacterien Streptococcen von geringer Virulenz und Staphylococcen (albus 
und aureus), in 13 Fällen virulente Diphtheriebacillen. 

Klinisch zeigten die Fälle mit und ohne Diphtheriebacillen keine 
Unterschiede, und der Verf. gelangt zu dem Schluss, dass die Rhinitis 
fibrinosa ätiologisch keine einheitliche Krankheit ist, sondern dass sie 


170 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


als Symptom einer diphtherischen Infection auftreten, ausserdem aber 
auch durch andere Krankheitserreger, namentlich Streptococcen und 
Staphylococcen hervorgerufen werden kann. — Es sei hier gleich be- 
merkt, dass Gerber (Königsberg) im nächsten Heft desselben Archivs 
hervorhebt, dass er die Schlussfolgerungen des Verf. schon in einer 
‚früher gemeinsam mit Dr. Podack veröffentlichten Arbeit (Deutsches 
Archiv für klinische Medicin, Bd. LIV) gezogen habe. Zarniko. 
42) Ribary resumirt seine Untersuchungsresultate im Wesent- 
lichen folgendermaassen: 1. Die Rhinitis sicca anterior ist eine auf 
das knorpelige Septum beschränkte Rhinit. sicca (atrophica). Die Xan- 
those Zuckerkandls gehört zum Gesammtbild der Rh. s. 2. Die 
Rh. s. a. ist das wichtigste ätiologische Moment für habituelle Epistaxis 
und Ulcus perforans, sehr wahrscheinlich auch für den blutenden Septum- 
polypen. 3. Die Rh. s. a. ist ein wichtiges prädisponirendes Moment 
für Infection der Nase mit Tuberkulose, Syphilis, Erysipel und für die 
abscedirende Perichondritis septi. 4. Die histiologische Untersuchung 
‘lehrt: In der Schleimhaut finden sich zahlreiche, in hyaliner Degeneration 
begriffene Zellen, sowie Mastzellen und spärliche eosinophile Zellen. 
5. Ferner findet sich sehr viel Pigment in der Schleimhaut vertheilt 
in oder ausserhalb der Zellen. Es stammt aus dem Blute und zeigt 
eine characteristische rothbraune Färbung mit Carbolfuchsin. 6. Im 
Schleim der metaplasirten Mucosa (die Metaplasie besteht, was 
Verfasser in dem Resumé aufzuführen vergisst, in der Umwand- 
lung des Flimmerepithels in oberflächlich verhornendes Pflaster- 
epithel) findet sich eine oder mehrere Lagen einer eigenthümlichen 
Substanz, welche der oberflächlichen Zellschicht ein- und auf- 
gelagert ist. Diese zeigt in ihrem tinctoriellen Verhalten die grösste 
Aehnlichkeit mit Keratohyalin; höchst wahrscheinlich verbreiten ihre 
Fäulnissproducte den characteristischen Geruch der atrophischen Nasen- 
schleimhaut (den Ref. übrigens bei der Rh. s. a. und beim Ule. perfor. 
noch nie bemerkt hat). Sie veranlasst die firnisartige Beschaffenheit 
des Ueberzuges und wahrscheinlich auch, weil sie sich in die oberste 
Zellschicht hineinerstreckt, die leichte Vulnerabilität der Schleimhaut. 
7. Die makroskopisch sichtbaren Gruben sind in der Regel durch eigent- 
liche Faltenbildung der Schleimhaut entstanden. 8. Das normale Septum 
zeigt nur eine ganz schmale Zone von Plattenepithel, und zwar dort, 
wo die Schleimhaut in die Epidermis des häutigen Septums übergeht. 
Im Uebrigen trägt sie bewimpertes, geschichtetes Cylinderepithel. 
Zarniko. 


Nase. 171 


43) Lacoarret nimmt für die untere Muschel eine Sonderstellung 
gegenüber den anderen Muscheln in Anspruch; nicht nur weil sie von 
‚vornherein als selbstständiger Knochen angelegt sei, sondern auch dnrch 
ihr geschichtetes Epithel ihr dichtes Schwellgewebe und ihren grossen 
Reichthum an lymphoidem Gewebe sich auszeichne. Diese Sonder- 
stellung kam auch klinisch zum Ausdruck ; sowohl die glatte und die 
papilläre Hypertrophie als auch die myxomatöse und fibromyxomatöse 
Degeneration seien allein der unteren Muschel eigen. Lacoarret 
schildert ausführlich die bekannten Krankheitsbilder und belegt sie mit 
vier Beispielen. Zimmermann. 


44) In einer am 12. Januar 1897 abgehaltenen Versammlung der 
Bradford Medico Chirurgical Society führte Bronner aus, dass Asthma 
und Heufieber nasalen Ursprungs sein können 1. als directe Folge von 
Nasenobstruction, 2. als Folge von Reizung der Trigeminusendigungen 
durch Polypen, Atrophie oder Hpertrophie der Nasenschleimhaut, Fremd- 
körper oder durch Necrose der Nasenknochen, 3. als Aeusserung einer 
centralen Neurose, in welchem Fall die Kauterisation dadurch Er- 
leichterung schafft, dass sie als Gegenreiz wirkt. Er empfiehlt in allen 
Fällen die Nase zu untersuchen. Cheatle. 


45) Eine 35jährige Hysterica bekam nach Extraction einer bohnen- 
grossen Hypertrophie der unteren Muschel — ohne Cocain — psychische 
Erregungszustände, die am folgenden Tage wieder schwanden. 

| Zimmermann. 

46) Lange weist darauf hin, dass der von Meyer zuerst be- 
schriebene »adenoide Habitus« nicht absolut pathognomonisch ist für die 
adenoiden Vegetationen. So gebe es eine Reihe von Patienten, die auch 
nach Entfernung der Rachentonsille den Habitus nicht verlieren, trotz 
Besserung der Nasenathmung und der Sprache. Ferner gebe es eine 
Gruppe von Kranken mit adenoidem Habitus, die niemals adenoide Vege- 
tationen gehabt haben. Diese Kinder zeigen meist ausserdem neuro- 
pathische Symptome gehören auch den typischen Meyer’'schen Fällen 
zu; während sie aber hier aufzufassen seien als Ausdruck der Stauung, 
welche in den Lymphräumen des Gehirns eintritt, wenn ihre Communi- 
cation mit denen des Nasenrachenraums durch ein mechanisches Hinder- 
niss — die adenoiden Vegetationen — unterbrochen ist, so handle es 
sich in den Fällen von adenoidem Habitus ohne Vorhandensein von Vege- 
tationen, meistens um Individuen, die von Geburt an tlieilweise oder 

ganz degenerirt sind, zum kleineren Theil auch mit äusseren Symptomen 


172 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


(abnorm entwickeltes Cranium etc.) behaftet sind. Dementsprechend hat 
Lange durch fortgesetzte Darreichung von Arsenik und durch ge- 
eignete psychische Behandlung in diesen Fällen gute Resultate erzielt. 
Er empfiehlt besonders die Erziehung solcher Kinder in zweckmässig 
geleiteten Anstalten. Müller. 


0) Therapie der Nasenkrankheiten. 


47. Forselles, Arthur, Dr. Ueber die Tamponade der Nasenhöhle bei 
schwerem Nasenbluten. Monatsschr. f. Ohrenheilk. No. 2, 1897. 

48. Bruck, F., Dr. Zur Therapie der genuinen Ozäna. Berl. klin. Wochenshr. 
No. 3, 1897. 

49. Sänger, M., Dr. Zur Therapie der genuinen Ozäna. Eine Entgegnung. 
Berl. klin. Wochenschr. No. 10, 1897. 

50. Rethi, L., Dr., Wien. Die Heilung der Ozäna mittelst Electrolyse. Wien. 
klin. Rundschau No. 10, 1897. 


47) Forselles hält die hintere Tamponade in Fällen von starker 
Blutung aus dem mittleren oder hinteren Nasengebiet für nothwendig 
und verwendet dazu einen Tampon aus Jodoformgaze, der mittelst Fäden 
eingeführt und befestigt wird und zwar in einer etwas umständlichen 
Weise, welche besser in der Originalarbeit studirt wird. Der Tampon 
soll nicht aus den Choanen in den Nasenrachenraum hineinragen. 
Styptische Mittel und besonders Eisenchlorid soll man nicht anwenden. 

Ä Killian. 

48) Bruck spricht sich sehr günstig über die Erfolge der Gott- 
stein’schen Tamponade aus. Dagegen hält er das von Sänger und 
Kafemann neuerdings empfohlene Verfahren, entweder durch ab- 
wechselnden Verschluss der Nasenlöcher mittelst Wattepfropfs oder durch 
künstliche Verengerung des Naseneingangs durch Apparate die Intensität 
der respiratorischen Luftdruckschwankungen und dadurch die Circulation 
und Secretion im Innern der Nase zu steigern, für unzweckmässig, da 
bei der Tamponade nur die Drainagewirkung und der dnrch den Tampon 
ausgeübte mechanische Reiz das wirksame Princip darstelle und der 
letztere bei dem Sänger’schen Verfahren nur auf einen kleinen Be- 
zirk der atrophischen Schleimhaut sich erstrecke, während die Drainage- 
wirkung, bei der Apparatbehandlung wenigstens, gänzlich wegfalle. 
Auch bei anderen fötiden Naseneiterungen, z. B. bei einigen Neben- 
höhlenempyemen sie die Tamponade nach Gottstein ein ausgezeich- 
netes symptomatisches Mitte. Um den Hauptnachtheil der Gottstein- 
schen Methode, dass nämlich niemals beide Nasenhöhlen gleichzeitig 
tamponirt werden dürfen und auch auf einer Seite kein allzulanger 


: Nase. l : 173 


Luftabschluss stattfinden darf, zu vermeiden, empfiehlt B. eine Modi- 
fication des Verfahrens, durch welche die Athmung auch bei geschlossenem 
Mund ausreichend ermöglicht wird. Er nimmt zu diesem Zweck einen 
Streifen von hydrophylem Mull, der, soweit dies unter Erhaltung der 
Nasenathmung geschehen kann, möglichst direct mit der gesammten 
krustenbildenden Schleimhaut in Berührung kommt. Der Streifen wird 
vom Patienten selbst erneuert, sobald er sich mit Secret vollgesogen 
hat. Diese Streifen wirken nicht nur reizausübend und secretaufsaugend 
sondern sie befördern nach B. auch die Erwärmung und Reinigung der 
_ Inspirationsluft, sowie die Sättigung derselben mit Wasserdampf. B. 
wendet in leichteren Fällen seine Tamponade allein, in schwereren mit 
der Gottstein’schen combinirt an. Die Anwendung müsse eine conti- 
nuirliche sein, um Recidive zu verhüten. Müller. 
49) Sänger weist die von Bruck aufgestellte Behauptung 
zurück, dass die von ihm und Kafemann empfohlene Methode einer 
schlecht ausgeführten Gottstein’schen Tamponade gleichkomme, da 
die von Bruck zum Beweis dafür angeführte Beobachtung keineswegs 
den regelmässigen Verlauf darstelle. Die geringen Erfolge, welche 
Bruck mit dem Sänger’schen Nasenobturator erzielt hat, bezieht 
S. auf eine durch die Schwierigkeit der Technik bedingte fehlerhafte 
Anwendung. Dass die Wirkung der Sänger’schen Methode nur auf 
dem mechanischen Berührungsreiz beruhe, wie Bruck annimmt, hat 
S. durch genaue Controlversuche, über die er sich nicht näher ausspricht, 
ausgeschlossen. Endlich hält S. die Bruck’sche Behauptung, dass sein 
Mullstreifen eine bessere Erwärmung der Inspiratiensluft bewirke, für 
unrichtig, weil den physikalischen Gesetzen widersprechend. Müller. 
50) Rethi berichtet über ausserordentlich günstige Heilungs- 
Resultate bei Ozäna durch Electrolyse, die er als fast specifisches Mittel 
gegen dieselbe ansieht. Bezüglich der anzuwendenden Stromstärke und 
der Dauer der Sitzung empfiehlt er, sich lediglich nach der Empfind- 
lichkeit der Patienten zu richten. Er folgert schliesslich aus der 
Wirkungsweise der Electrolyse, dass es sich bei der Ozäna um eine 
Trophoneurose handelt. Pollak. 


co) Nasenscheidewand. 
5l. Lacroix. Du redressement spontane des deviations de la cloison par 
. simple desobstruction de la fosse nasale opposée. Arch. internat. de 


laryng. d’otol. X, 1. 
52. Mc. Cassy, J. H. Verbiegungen der Nasenscheidewand. Journ. Amer. 


Med. Assoc. 6. Febr. 1897. 


174 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenkeilkunde. 


53. Gouguenheim. Des abscès chauds de la cloison nasale. Ann. des mal. 
de lor. du lar. Jan. 1897. 
54. Danziger, Fritz, Dr., Beuthen. Die sogen. idiopathische Perichondritis der 
‘ Nasenscheidewand (spontanes Hämatom). Monatsschr. f. Ohrenheilk. No. 1, 
1897. 
95. Turner, Logan. Präparat von Papillom der Nasenscheidewand. Proceedings 
of Laryngological Society London December 1896. 


51) Bei einem Patienten — Alter nicht angegeben — waren beide 
Nasenhälften fast vollständig undurchgängig. Links fand sich eine 
kugelige Vorwölbung des Septum, rechts eine Spina und zahlreiche 
Schleimpolypen. Diese Seite wurde frei gemacht und darnach allein 
konnte Lacroix sehen, wie sich ganz von selbst das Septum wieder 
gerade richtete, so dass auch die linke Seite wieder völlig durchgängig 
wurde. L. hält solche Vorkommnisse für häufig. Zimmermann. 


52) Me. Cassy entfernt ein sternförmiges Stück des Septums und 
hält die Bruchstücke mit einer durch Schrauben zusammengepressten 
Klammer fest. Toeplitz. 


53) Der Aufsatz, schon als Beitrag zur Fränkel’schen Fest- 
schrift erschienen, enthält nichts Neues; hervorgehoben seien die An- 
sichten Gougenheim’s, dass bei doppelseitigem Auftreten nicht immer 
eine Septumfraktur vorliegt und dass die Abscesse häufig gar nicht 
mit einander communiciren; der Abscess braucht nicht aus einem 
Hämatom hervorzugehen; man soll .möglichst hoch incidiren und mit 
Jodoformgaze die Tasche ausstopfen; Kasuistik von 7 Fällen. 

Zimmermann. 
‚54) Danziger bestreitet das Vorkommen einer primären Peri- 
chondritis der Nasenscheidewand. Entweder ist sie Theilerscheinung 
einer Influenza oder Folge einer anderen Nasenaffection, welche eine 
Infection excoriirter Stellen am Septum herbeizuführen vermag. 
Killian. 

55) Turner demonstrirte makroskopische und mikroskopische 
Präparate von einem aus der rechten Nasenhöhle entfernten Tumor. 
Ein 52jäbriger Mann litt an vollständiger Verstopfung beider Nasen- 
seiten, einem Auswuchs aus dem rechten Nasenloch und Anschwellung 
der rechten Nasenseite und der angrenzenden Wange; Beschwerden seit 
3 Jahren. Der Tumor, der von Annandale durch eine änssere In- 
cision entfernt wurde, maass 6!/, Zoll im Umfang. Angefertigte 
Schnitte zeigten, dass es sich um ein Papillom handelte, welches aus 
einem verästelten bindegewebigen Gerüst bestand, Blutgefässe enthielt 


Nase. | 175 


und überall mit mehreren Lagen von Epithelzellen, die sich scharf von 

dem Stroma abhoben, bekleidet war; an einzelnen Stellen war zu er- 

kennen wie das Epithel in das darunter liegende fibröse Stroma eindrang. 
Cheatle. 


d) Fremdkörper in der Nase. 
56. Mc. Bride, P. Fall von Fremdkörper (Rhinolith) in der Nase. Proceedings 
of Laryngological Society London December 1896. 


57. Rothenaicher, Dr., Passau. Künstliche Entfernung eines einen Kirschkern 
enthaltenden Rhinolithen. Monatsschr. f. Ohrenheilk. No. 2, 1897. 


58. Herzfeld, J., Berlin. Ueber einen aus Schwefeleisen bestehenden Rhino- 
lithen nebst Bemerkungen über Schwefelwasserstoff-Bildung innerhalb der 
Nase. Monatsschr. f. Ohrenheilk. No. 2, 1897. 


56) Eine 32jährige Dame kam zu Mc. Bride mit Klagen 
über Beschwerden in der rechten Nase. Bei der Untersuchung konnte 
man eine weissbraune Masse mit scharfem Rand sehen, die sich mit der 
Sonde hart anfühltee Die Masse wurde mit einem stumpfen Haken 
nach vorn gezogen, musste aber wegen ihres bedeutenden Umfangs erst 
zertrümmert werden, bevor sie extrahirt werden konnte. Die Haupt- 
masse maass 1!/,:1:1 Zoll und stellte sich als ein Rhinolith heraus. 
Schon vor 10 Jahren hatte man etwas in der Nase gefühlt. Im Alter 
von 11 Jahren bestand, wie die Anamnese ergab, übelriechender Aus- 
fluss. Der Athem war von jeher übelriechend gewesen. Die Masse 
zeigte etwas üblen Geruch, aber es felılte jegliche eitrige Absonderung. 


| Cheatle. 
57) Die Entfernung geschah in bekannter Weise mit der haken- 
förmig gekrümmten Sonde. Killian. 


58) Pat. hatte vor 10 Jahren bei einer Schlägerei einen Messer- 
stich erhalten. Die Klinge drang am inneren Augenwinkel ein; ihre 
Spitze brach ab und blieb stecken, ohne dass Pat. eine Ahnung davon 
hatte, zumal die äussere Wunde zuheilte.. Bei der folgenden Eiter- 
bildung in der Nase wurde Schwefelwasserstoff gebildet, welcher einen 
Theil des Eisens in Schwefeleisen verwandelte. 


Herzfeld hat Versuche über die Bildung von Schwefelwasserstoff 
in der Nase angestellt, indem er einen mit Bleiacetat getränkten Watte- 
tampon einführte.e Bei Vorhandensein von Eiter, besonders aus Neben- 
höhlen (nicht aber bei der reinen genuinen Ozäna) schwärzt sich der 

& Tampon schon in einigen Stunden. Killian. 


176 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


e) Neubildungen der Nase. 
59. Silver, D. R. Fibröser Nasenpolyp. Journ. Amer. Med. Assoc. 20. Febr. 


1897. 
60. Long, F. A. Ein grosser fibröser Nasenpolyp. Journ. Amer. Med. Assoc. 
16. Jan. 1897. 


59) Ein 12jähriger Knabe hatte im Nasenrachenraum eine 
Geschwulst von der Grüsse eines ausgewachsenen Daumens, welche 
sich bis unterhalb des weichen Gaumens ausdehnte. Sie wurde ver- 
mittelst eines dicken doppelten Silberdrahtes entfernt, welcher mit einem 
durch einen kleinen Katheter gezogenen Faden durch Nase und Mund 
gezogen wurde. Die Geschwulst hatte drei Lappen, war hart und fibrös 
und maass 2°/,:11/,:°/,“. An der Ansatzstelle, welche nicht ange- 
geben ist, bildete sich nach wenigen Wochen ein grosser Schleimpolyp. 

Toeplitz. 


60) Ein junger, kräftiger Oekonom litt an totaler Nasenverstopfung 
mit »Froschgesicht«. Die linke Nasenhälfte enthielt eine feste Masse, 
welche das Septum nach rechts drückte und den weichen Gaumen nach 
unten hervorwölbte. Der vordere Theil des Nasenrachenraums war 
durch eine feste Masse mit unbestimmtem Ansatz ausgefüllt. Nach ihrer 
Entfernung mit der Polypenzange durch den Naseneingang erwies sie 
sich als weich, mit schlankem Stiel, doppellappig und maass 1!/,:2°],: 
5/,‘ im nasalen, 1!/,:?/,“ im Nasenrachenlappen; der Stiel war ?/,‘ 
lang, war wahrscheinlich (?) der Keilbeinhöhle entsprungen und hatte 
die rechte Nasenhälfte hinten verschlossen. Toeplitz. 


PD Nebenhöhlenerkrankungen. 


61. Avellis, Frankfurt a. M. Das acute Kieferhöhlenempyem und die Frage 
der Selbstheilung desselben. Arch. f. Laryngol. IV, 2. 


62. Bronner, Adolph. Kieferhöhlenempyem. British Medical Journal Febr. 
1897. 


63. Wilkin, G. C. Ein Fall von Stirnhöhlenerkrankung. British Medical 
Journal 13. Febr. 1897. 


64. Botey. Traitement des sinusites frontales chroniques et des lesions intra- 
craniennes consécutives. Revue hebdom. de laryng. d’ot. No. 3 und 4, 
1897. 


65. Tilley, H. Bemerkungen über die operative Behandlung eines Falles von 


doppeltem Frontalsinusempyem, complicirt mit doppeltem Antrumempyem. 
British Medical Journal 23. Jan. 1897. 


v 


Nase. 177 


66. Hajek, M. Ueber die pathologischen Veränderungen der Siebbeinknochen 
im Gefolge der entzündlichen Schleimhauthypertrophie und der Nasen- 
polypen. Arch. f. Laryngol. IV, 3. 

67. Mackenzie, John N. Die pathologische Anatomie der Siebbeinerkrankung. 
New-York. Med. Journ. 23. Januar 1897. 


61) Die Beobachtung von 10 acuten Kieferhöhlenempyemen führt 
Avellis zu folgenden Thesen: 

1. Das acute Kieferhöhlenempyem ist eine sehr häufige Er- 
krankung. 

2. Es giebt schwere und leichte Fälle davon. 

Die leichten haben als charakteristische Symptome: Schmerzhaften 
Druck und Spannungsgefühl innerhalb des Oberkiefers, eitrigen, manchmal 
blutigen, unregelmässigen Ausfluss, der nicht nach dem regulären Typus 
der chronischen Empyeme auftritt. Der Schmerz steigert sich beim 
Bücken, Husten, Pressen, beim Stuhlgang. Die Secretion hört Nachts 
nicht ganz auf. Oft entstehen weiche Ödematöse Schwellungen der 
Wangen und Augenlider. Zuweilen ist die Öödematöse Partie hochroth 
verfärbt. Supraorbitalschmerz ist selten. Uebler Geruch fehlt oft, 
aber nicht immer. . | 

Die schweren Fälle haben alle Symptome der leichten; dazu: 
ziemlich hohes Fieber, schweres Krankheitsgefühl mit lebhaften Klagen 
der völlig bettlägerigen Kranken, profuseste Secretion, Nausea, Er- 
brechen, Erschwerung des Denkens und starke Gemüthsalteration. 

3. Acute Empyeme kommen sehr leicht wieder. Ein gewöhnlicher 
Schnupfen genügt zur Auslösung erneuter Erkrankung. 

4. Doppelseitige Erkrankung ist ebenso häufig wie einseitige. 

5. Der Ausgang in chronisches Empyem trat nur einmal unter 
10 Fällen ein. 

6. Auch acute Empyeme können Polypenbildung verursachen. 

7. Die leichten Fälle heilen sämmtlich spontan. Nur bei sehr 
schweren Erscheinungen und ferner, wo innerhalb 3 Wochen keine 
Spontanheilung eintritt, hält Verf. die Eröffnung und Durchspülung der 
erkrankten Höhle für angezeigt. Zarniko, 


62) Bronner berichtet einen Fall, wo Parosmie das einzige 
Symptom eines Kieferhöhlenempyems bildete. Er weist auf die Häufig- 
keit dieser Affection nach Influenza hin. Cheatle. 

63) Wilkin’s Patient hatte seit 5 Jahren an Ausfluss aus der 
Nase gelitten. Nach Entfernung von Polypen konnte man deutlich sehen, 


wie der Eiter aus dem Infundibulum flos. Als man die Stirnhöhle 
Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXXI. 12 


178 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


trepanirte, fand man 3 kleine Schleimpolypen, eingebettet in Granu- 

lationsgewebe. Nach gründlicher Auskratzung wurde eine Drainageröhre 

eingelegt und als schnell Heilung eintrat, am 8. Tage entfernt. 
Cheatle. 


64) Drei sorgfältig beobachtete und geschilderte Fälle. Im ersten 
Falle seit 2 Jahren bestehende Eiterung aus der linken Nase, Empyem 
der Kieferhöhle, der vorderen Siebbeinzellen und der Stirnhöhle. Breite 
Eröffnung der letzteren, sorgfüältigste Ausschabung aller Buchten, Tam- 
ponade durch eine weite Bresche der vorderen Siebbeinzellen nach der 
Nase und primärer Schluss der äusseren Wunde. Am 8. Tage Heraus- 
nahme des Tampons und einfache Insufflation von Aristolborsäure. Sechs 
Wochen später war die Eiterung vollkommen versiegt und ist es ge- 
blieben. 


Der zweite Fall lag wesentlich ungünstiger, schon vor der Operation 
waren schwere meningeale Symptome vorhanden: es zeigten sich nicht 
nur beide Stirnhöhlen voller Eiter und Granulationen, sondern auch die 
Hinterwand der einen war nach der Schädelhöhle perforirt, Meningen 
und Gehirn ausserdem wohl in Folge vorausgegangener unreiner Son- 
dirung inficirt. Die Einzelheiten der langen (15 S.) und interessanten 
Krankengeschichte lassen sich nicht kurz wiedergeben. Der Kranke 
ging schliesslich 2!/, Monate später zu Grunde. Tuberkulose war aus- 
geschlossen und Botey meint, dass eine durch den Bac. pyog. aur. 
bedingte Osteomyelitis vorgelegen habe. Autopsie nicht gestattet. 


Im dritten, wie der zweite nicht eigentlich chronischen Falle war 
es auch schon zu einer Perforation der hinteren oberen Wand und zu 
einem subduralen Abscesse gekommen, die Dura mit Granulationen be- 
setzt, erweicht und mit dem Gehirn verwaschen. Nach Spaltung der 
Dura vorgenommene Gehirnpunctionen ergaben keinen weiteren Eiter- 
herd. Tamponade und Offenbehandlung. Zwei Monate später, als die 
Stirnhöhle in der Tiefe nach dem Gehirn zu gut vernarbt war, übrigens 
aber noch, wenn auch wenig Eiter secernirte, zweite Operation. Es 
wurde eine weite Bresche in den mittleren Nasengang angelegt und die 
äussere Wunde durch Koenig’sche Knochentransplantation gedeckt. 
Ende des zweiten Monats konnte man sich nicht nur von der prompten 
Heilung der äusseren Wunde, sondern auch von dem vollständigen Auf- 
hören der Höhleneiterung überzeugen. Zimmermann. 


65) In Tilley’s Fall handelte es sich um einen 38 jährigen Mann, 
der an beständigem eitrigem Ausfluss aus der Nase und Polypen litt. 


Nase, 179 


Im 8. Jahr hatte er einen Schlag auf die Stirne erhalten, worauf sich 
ein Ausfluss aus der Nase einstellte.. Im 18. Jahr litt er an heftigem 
Stirnkopfweh und Fieber und es bildete sich ein Abscess über dem 
unteren Theil der Stirne. Dieser Abscess schloss sich nach der Er- 
öffnung äusserlich, aber eitriger Ausfluss aus der Nase blieb bestehen. 
Auf beiden Seiten fanden sich Granulationen und Polypen im mittleren 
Nasengang. Diese wurden beseitigt, beide Kieferhöhlen eröffnet und 
ausgespült und die Stirnhöhlen in der Mittellinie durch einen Median- 
schnitt über der Nase eröffnet und ausgekratzt und durch die Nase 
drainirt. Heilung mit geringer Absonderung aus der Kieferhöhle. 
Cheatle. 
66) Nach einer historischen Einleitung worin die Entwickelung der 
Lehre von der Necrosing ethmoiditis Woakes kurz geschildert 
wird, theilt uns Hajek histologische Untersuchungen mit, die die Ver- 
änderungen der Siebbeinknochen bei Entzündungen der sie überkleidenden 
Mucosa zum Gegenstande haben. Verf. beginnt mit einigen Bemer- 
kungen zur normalen Anatomie der Siebbeinknochen. Er zeigt, dass 
ein inniger Zusammenhang zwischen der Schleimhaut und dem Mark- 
gewebe des Knochens vorhanden ist. Man bekommt den besten Begriff 
davon, wenn man sich vorstellt, dass »zwischen den beiden Schleim- 
hautlamellen ein weitmaschiges Knochennetz eingeschaltet ist, dessen 
Lücken, resp. das in den letzteren enthaltene Markgewebe mit der 
Schleimhautbekleidang ein Continuum darstellt.« Aus diesen Ermitte- 
lungen wird es leicht verständlich, dass der Knochen sich bei tiefer- 
greifenden Schleimhautentzündungen regelmässig verändert zeigt. Es 
drängt nämlich das entzündliche Infiltrat per continuitatem in die Mark- 
räume vor, so dass also sowohl der äussere als auch der innere Ueber- 
zug der Knochenlamelle erkrankt. Der Knochen reagirt hierauf in 
zweifacher Weise. Es wird entweder neue Knochensubstanz gebildet 
oder der Knochen schmilzt ein. Gewöhnlich gehen beide Processe neben 
einander her und das Resultat (Zunahme oder Abnahme der Knochen- 


masse) richtet sich danach, welcher überwiegt — Keineswegs ist man 
berechtigt, hierbei von einer Ethmoiditis necrotica (Woakes) zu 
sprechen. — Aus den Schlussbemerkungen des Verf.’s verdient hervor- 


gehoben zu werden, dass er im Gegensatz zu früher jetzt auch der 
Meinung ist, es könne Necrose der Nasenknochen vorkommen, ohne 
dass Lues oder Tuberkulose im Spiele sei. Zarniko. 
67) Die erkrankten Gewebe des Siebbeins, welche nach vorausge- 
schickter Abschnürung des vorderen Endes der mittleren Muschel mit 
12* 


180 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


der Schneidezange und scharfen Löffeln entfernt wurden, wurden von 
Simon Flexner mikroskopisch mit dem Ergebniss untersucht, dass 
1. die sogen. myxomatöse Degeneration auf einfacher Entzündung beruht, 
2. Siebbeineiterungen keine Knochennecrose erzeugen müsse, 3. die be- 
schriebenen Veränderungen dem Studium der Entwickelung der Nasen- 
polypen ein reiches Feld böten und 4. das junge Granulationsgewebe 
dem Rundzellensarcom gleiche. Die Eiterung sei nebensächlich und 
von untergeordneter Bedeutung. Toeplitz. 


g) Sonstige Erkrankungen der Nase. 


68. Thomas, Thelwall. Sattelnase, bei welcher ein Celluloidstück dauernd 
getragen wurde. British Medical Journal 6. Febr. 1897, 

69. Stewart, W. R. H. Fall von merkwürdiger Missbildung der Nase. 
British Medical Journal 6. Febr. 1887. 

70. Lautmann. L'ozene atrophiant pathogenie et serotherapie. Ann. des 
mal. de l’oreille, du larynx März 1897. 

71. Kayser, R., Dr., Breslau. Ueber das Verhältniss der Ozäna zu den 
adenoiden Vegetationen. Wien. klin. Rundschau No. 9, 1897. 

72. Mc. Bride, P. Ein Fall von rascher Zerstörung der Nase und des Gesichts. 
Proceedings of Laryngological Society 9. December 1896. 


68) Eine sinnreiche Leistung auf dem Gebiete der Nasen- 
chirurgie wurde von Thelwall Thomas in einer Versammlung der 
Liverpool Medical Institution am 28. Januar 1897 demonstrirt. Ein 
15jähriger Patient hatte in der Kindheit durch congenitale Syphilis die 
Nasenbeine verloren. Durch eine Incision an der linken Seite wurde 
ein den Nasenbeinen ähnlich modellirtes Stück Celluloid, dass an seiner 
concaven Fläche einen Kiel trug, subcutan eingelegt und in die richtige 
Lage gedrückt, wobei der Kiel zwischen die Processus nasales der 
Oberkiefer zu sitzen kam, während die seitlichen Theile auf diesen 
Processus ruhten. Das Celluloid hatte schon seit 7 Monaten gelegen 
und verursachte anscheinend keinerlei Reizung. Die äussere Erschei- 
nung des Patienten hatte sich bedeutend verbessert. Cheatle. 


69) In einer Versammlung der North London Medical & Chirurgical 
Society am 21. Januar 1897 stellte Stewart einen 23jährigen Mann 
vor, bei dem er eine plastische Operation ausgeführt hatte wegen einer 
breiten und tiefen, in der Mittellinie der Nase vom unteren Ende der 
Nasenbeine abwärts bis zwischen die seitlichen Nasenknorpel verlaufenden 
Rinne. Das Organ zeigte so zwei deutlich markirte Spitzen. Entlang 
dem Boden der Rinne verlief eine Narbe, die von der Entfernung einer 
Geschwulst (wahrscheinlich eines Dermoid’s) in der Kindheit herrührte. 


Nase. 181 


Bei der Operation fand sich der vordere Rand des Cartilago septi ab- 
norm breit. . Cheatle. 
70) Lautmann vertritt die Meinung, dass die Ozäna eine 
Trophoneurose ist, zu der erst secundär, wenn die Schleimhaut ent- 
zündlich alterirt ist, die Ansiedelung des Bacillus mucosus und des 
B. pseudodiphtericus hinzukommt. Die Einspritzungen mit Diphtherie- 
serum waren insofern von Erfolg, als constant der üble Geruch sich 
danach verlor. Zimmermann. 
71) Nach Kayser schliessen Ozäna und adenoide Vegetationen 
einander aus. Der Gegensatz beruht im Wesentlichen auf constitutionellen 
Ursachen. | Pollak. 
72) Mc. Bride berichtet folgenden merkwürdigen Fall: Ein 
28jähriger Mann kratzte sich im December 1895 mit dem Finger an 
der Innenseite des linken Nasenflügels.. Dieser wurde wund; nach einer 
Woche begann die Haut anzuschwellen, im Laufe des Januars 1896 
schwoll die linke Nasenseite und Wange an und es zeigte sich etwas 
Ausfluss aus dem Nasenloch. Auf der inneren Seite des linken Nasen- 
flügels konnte man ein Geschwür von der Grösse eines Fünfzigpfennig- 
stücks und bedeckt mit schmutzig weissem Schorf sehen. Es wurde 
Jodkali gegeben. Im März jedoch hatte sich die Sache so verschlimmert, 
dass der Pat. in’s Hospital aufgenommen werden musste. Der Fall 
zeigte jetzt folgendes Aussehen: Erysipelatöse Schwellung von linkem 
Nasenflügel, Wange und unterem Augenlid, eine im Entstehen begriffene 
Pustel auf der äusseren Fläche des linken Nasenflügels, reichlicher, 
theilweise verdickter Eiter innerhalb des Nasenlochs und blossliegender 
Knochen in der Gegend der mittleren Muschel. Die Pustel wurde nach 
und nach zur Fistel und von dieser ging eine schrittweise Zerstörung 
der umgebenden Theile aus. Quecksilbereinreibungen blieben ohne Er- 
folg; eine von Milligan ausgeführte Impfung auf Meerschweinchen 
ergab ein negatives Resultat; die Thiere zeigten, als sie 5 Wochen 
später getötet wurden, kein Zeichen von Krankheit. Destruktive Mittel 
der verschiedensten Art, die sodann angewendet wurden, blieben eben- 
falls erfolglos. Die Temperatur zeigte Anfangs bedeutende Erhebungen, 
verbunden mit ausgesprochenem Oedem des Gesichts und der Augen- 
lider, das einige Tage dauerte und dann verschwand. Gegen das Ende 
zu hielt sich die Temperatur mehr in constanter Höhe, jedoch mit 
einzelnen Schwankungen. 
Im Juli 1895 sah Dr. Unna den Fall; er hielt ihn für maligne 
tertiäre Syphilis oder Rotz; die von Fortune ausgeführte bacterio- 


182 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


logische Untersuchung ergab zahlreiche Coccen und Bacillen. Die 
Ulceration griff allem zum Trotz weiter um sich und der Patient starb 
im September 1896. Bei der Section zeigte sich, dass die Zerstörung 
des Gesichts eine sehr ausgedehnte war: Die ganze äussere Nase und 
der grösste Theil der Oberlippe war zerstört. Schnitte durch die Ränder 
des Geschwürs brachten keine Aufklärung; es bestand ausgesprochene 
Endarteritis, die auf tertiäre Syphilis hinwiese; Muir jedoch war der 
festen Ansicht, dass die Erkrankung zu keinem der bekannten Typen 
stimme. Der Patient war seines Zeichens Hausanstreicher. Die Anam- 
nese ergab keine Anhaltspunkte für Syphilis. Pat. hatte auch nie mit 
Pferden zu thun gehabt. Ch.eeatle. 


Nasenrachenraum. 


73. Schwendt, A. Dr. Ein Fall von angeborenem doppelseitigem knöchernem 
Verschluss der Choanen. Heilung durch Galvanocaustik. Monatsschr. f. 
Ohrenheilk. No. 3, 1897. 

74. Bönninghaus, Dr., Breslau. Choanenverlegung durch Schwellung der 
Tubenwülste. Monatsschr. f. Ohrenheilk. No. 3, 1897. 


75. Lichtwitz. Exostose de la voute pharyngée enlevée par hasard avec des 
vegetations adenoides. Arch. internat. de laryng. d’ot. X, 1. 


76. De Roaldes, A. W. Fibrochondrom des Kiemenbogens (Teratom des 
Rachens). New-York. Med. Journ. 6. Febr. 1897. 


77. Schmiegelow, E., Kopenhagen. Ein Fall von primärer tödtlicher Blutung 
nach der Entfernung von adenoiden Vegetationen. Monatsschr. f. Ohren- 
heilk. No. 3, 1897. | 

78. Pluder und Fischer. Ueber primäre latente Tuberkulose der Rachen- 
mandelhyperplasie. Arch. f. Laryngol. IV, 3. 


73) Beide Nasenhöhlen hatten die Gestalt eines Trichters mit der 
Spitze am Boden des unteren Nasenganges. Die Muscheln waren alle 
atrophisch. Die Sonde ergab hinten einen knöchernen Widerstand. 
Gaumen sehr hoch gewölbt; der knöcherne Theil desselben ungewöhn- 
lich kurz. Dic Verschlüsse befinden sich etwas vor dem Bereich der 
Choanen. Behandlung mit dem Galvanokauter in mehreren Sitzungen 
und späterer Einlage von silbernen Canülen, die Patientin sich selber 
einführte. Die Neigung zum Wiederverschluss war sehr gross. Ge- 
ruchswahrnehmungen besass Pat. weder vor noch in der ersten Zeit 
nach der Operation, dagegen stellten sich dieselben später in höchst 
befriedigender Weise ein. Killian. 

74) Boenninghaus konnte in diesem höchst merkwürdigen Falle 
‚direkt beobachten, dass die Schleimhaut der Tubenwülste zu zwei 


Nasenrachenraum. 07.183 


glatten rothen Tumoren anschwoll, welche den Nasenrachen fast voll- 
ständig ausfüllten, die Choanen verlegten und sich in der Mitte beinahe 
vollständig berührten Durch Aufpinselung von Cocain ging die Schwellung 
zurück und die Nasenathmung wurde frei: Cauterisationen brachten den 
Zustand für längere Zeit zum Schwinden. Offenbar hatte hier die 
Tubenschleimhaut einen cavernösen Bau, wie die unteren ‘Muscheln. 
Killian. 
75) Bei einem 1l1ljährigen Mädchen wurden mit dem Schütz- 
schen Pharyngotonsillotom adenoide Veget. entfernt, die beim Zuziehen 
einen starken knirschenden Widerstand boten und das Instrument ver- 
bogen. In der Mitte derselben fand sich ein dreieckiges, 1cm langes 
und !/,cm breites Knochenstückchen. Die histologische Untersuchung 
ergab richtigen spongiösen Knochen ohne Spur von Knorpel oder 
fibröser Grundlage und Lichtwitz meint, dass es sich um eine 
Exostose des Tuberc. pharyngeum. gehandelt habe. L. erörtert kurz 


die diesbezüglichen Beobachtungen von Zuckerkandl, Scheff, Helme 
und Roth. Zimmermann. 


76) An einem 6wöchentlichen Knaben bemerkte man, dass eine 
Geschwulst beim Schreien aus dem Nasenrachenraume hervortrat, all- 
mählich bis zum Kehlkopfeingang herunterfiel, dann nach dem Husten 
in die Nasenrachenhöhle zurückwich oder sich auf den Zungenrücken 
und schliesslieh durch Drehung um ihre Ansatzstelle auf die linke Seite 
der Mundrachenhöhle legte, um noch den Alveolarrand des Oberkiefers 
zu erreichen. Der Nasenrachenraum war verhältnissmässig frei. Nach 
Herausreissen der Geschwulst mit dem Stiel, welcher dem mittleren Theile 
des hinteren Gaumenbogens eingepflanzt war, bot sie das Aussehen einer 
Ohrmuschel von 1:11!/,' Grösse, dar, welche mit Epidermis, Körnung, 
Haarwuchs, Follikeln, Talgdrüsen, Knorpel etc. bedeckt war. Nach 
Achard, welcher sie in Lannelongue’s Laboratorium untersuchte, 
bestand sie aus Binde- und Fettgewebe. Der Knorpel ist Netz-, oder 
elastisch-fibröser Knorpel. Die Geschwulst ist den Fibrochondromen 
der Mundhöhle nahe verwandt, unterscheidet sich aber von denselben 
durch ihre Bedeckung mit Haut anstatt mit Schleimhaut, sie ist der 
einfache Ausdruck eines »epignathus Monstrums«. J. Bland Sutton 
hält sie für eine Dermoidgeschwulst oder Teratom des Rachens; die 
Form sei ganz zufällig. Toeplitz. 


77) Durch fehlerhafte und offenbar gewaltsame Anwendung des 
Gottstein’schen Ringmessers war eine Verletzung der Seitenwand 


184 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


des Nasenrachenraumes und auf unerklärliche Weise eine Zerreissung 
der Carotis interna vor ihrem Eintritt in den Canalis caroticus der 
Pars petrosa bewirkt worden, welche eine direct tödtliche Blutung zur 
Folge hatte. Pat. war ein Knabe von 12 Jahren, der sich nicht gegen 
die Operation sträubte.e. Der Operateur hatte, wie Schmiegelow 
mittheilt, schon mehrfach die Operation ausgeführt. Killian. 


78) Angeregt durch Mittheilungen von Lermoyez und von 
Dieulafoy untersuchten Pluder und Fischer 32 Rachenmandeln 
auf tuberkulöse Veränderungen. Sie fanden dabei zu ihrer Ueber- 
raschung bei fünfen mehr oder minder zahlreiche, typische, theilweise 
in Verkäsung begriffene, immer bacillenhaltige Tuberkel ausschliesslich 
in der Lymphdrüsenschicht. Keine Geschwürsbildung. Im Nasenschleim 
niemals Bacillen auffindbar. Die Diagnose war stets nur an mikro- 
skopischen Schnitten zu stellen, makroskopisch boten die erkrankten 
Parthien keine Besonderheiten dar. 


Die tuberkulösen Stücke gehörten Individuen aller hier in Betracht 
kommenden Altersstufen an (3—26 Jahre), von denen nur wenige 
tuberkulös belastet waren, keines das Bild ausgesprochener Scrophulose 
zeigte. Die Autoren halten es für sicher, dass die Infection durch In- 
- halation zu Stande gekommen sei, sie glauben, dass die Erkrankung 
gewiss in vielen Fällen localisirt bleibe, aber doch wegen der imminenten 
Gefahr der Weiterverbreitung (durch Aspiration, auf dem Lymphwege 
und durch die Blutbahnen) nicht als gleichgiltig angesehen werden dürfe. 


Sie fordern deshalb möglichst radicale Entfernung der Wucherungen 


von kunstgeübter Hand. — Die klinischen Ergebnisse der besprochenen 
Arbeit hat Pluder, die histiologischen Fischer geliefert. 
Zarniko. 


Gaumensegel, Rachen- und Mundhöhle. 


79. Hajek, M., Dr., Wien. Operation der Verwachsungen des weichen Gaumens 
mit der hinteren Rachenwand. Öffenhaltung der künstlich geschaffenen 
Communication. Allg. Wien. medic. Zeitung No. 1, 1897. 


80. Logucki, A. Warschau. Ein Beitrag zur Aetiologie des peritonsillären 
Abscesses. Arch. f. Laryngol. IV, 2. 


81. Semon, Felix. Fall von schwarzer Zunge. Proceedings of Laryngological 
Society London 13. Jan. 1897. 


79) Methodische Dilatation der verengten Stelle mittelst eines 
eigenen Instrumentes, welches mit dem B. Fränkel’schen Nasen- 


Gaumensegel, Rachen- und Mundhöhle. 185 


speculum Aehnlichkeit hat. Die Dilatation wird durch Auseinander- 
treiben der beiden Branchen bewerkstelligt, welche in den seitlichen 
Pharynxtheilen die Dehnung hervorrufen. Die Operation behufs Ab- 
lösung des angewachsenen weichen Gaumens wird bei linearer Ver- 
wachsung in einer Sitzung, bei flächenhafter Verwachsung dagegen in 
mehreren Sitzungen ausgeführt. Pollak. 


80) Auf Grund von 11 bacteriologisch untersuchten und einer 
ganzen Reihe klinisch beobachteter Fälle von peritonsillärem Abscess 
kommt Logucki zu folgenden Schlüssen: Der peritonsilläre Abscess 
ist ein secundäres Leiden; er kommt gern nach häufiger acuter Ton- 
sillitis vor, zuweilen auch in Folge von Diphtherie. Er wird begünstigt 
durch Adhäsionen zwischen der Tonsille und den Gaumenbögen. — Bei 
der Eröffnung der Abscesse in den ersten Tagen findet man überwiegend 
Streptococcen, später daneben Staphylococcen, endlich Staphylococcen 
allein. Wahrscheinlich überwuchern und verdrängen die Staphylococcen 
also die Streptococcen und tragen dadurch zu einem günstigen Ausgange 
der Erkrankung bei. Zarniko. 


81) Semon stellte einen 40jährigen Patienten vor, der einen 
grossen Fleck mit enorm verlängerten, haarähnlichen, tintenschwarzen 
Papillen in der Gegend der Papillae circumvallatae hatte. Es trat be- 
deutende Besserung ein unter dem localen Gebrauch einer Mischung von 
5°/ iger ätherischer Salicyllösung und 5?/ iger Collodiumlösung, und 
darauffolgender Anwendung von Wasserstoffsuperoxyd mittelst eines 
Wattebausches, der mehrmals täglich applicirt wurde; einer Behandlungs- 
methode, die von Unna empfohlen worden ist. Cheatle. 


Bericht über die VI. Versammlung der Deutschen 


otologischen Gesellschaft zu Dresden 
am 4, und 5. Juni 1897. 


Erstattet von Dr. Jens in Hannover. 


Vorsitzender Zaufal-Prag. 


Hofrath Grenser-Dresden begrüsst die Versammlung im Namen 
des Vereins für Natur- und Heilkunde. 


Zum Vorsitzenden für das nächste Jahr wird Siebenmann-Basel, 
zu dessen Stellvertreter Bezold-München, gewählt. 


Die nächste Versammlung wird in Würzburg stattfinden. 


Vorträge: 
1. Manasse berichtet über knorpelhaltige Interglobularräume in 
der menschlichen Labyrinthkapsel. 


An der Discussion betheiligen sich: Scheibe, Barth, Habermann, 
Katz, welche im Wesentlichen die Angaben des Vortragenden bestätigen. 


2. Kümmel-Breslau: Referat über die Neubildungen des Ohres. 


In dem nur sehr abgekürzt mitgetheilten Referate werden zunächst die 
Granulationsgeschwülste besprochen; zu diesen gehört der allergrösste Theil der 
sog. Ohrpolypen, wenn man von ganz vereinzelten wahren Fibromen absieht. 
Ursache der tumorartigen Wucherung sind besonders nekrotische Substanzen 
verschiedener Art: Fremdkörper, chemische (Eiter) oder mechanische (Stauung) 
Reize. Histologisch: Granulationsgewebe oft mit Riesenzellen, meist um Cysten, 
Fremdkörper, Lymphfollikeln ; überkleidet mit Epithel; später fibröses, oft sehr 
gefässreiches Gewebe. Wahre Angiome sind sehr selten, fast nur an der Ohr- 
muschel und im Meatus externus. Ebenso Chondrome und eigentliche Osteome. 
Häufiger sind die sog. Exostosen, zum Theil auf entzündlicher Basis, zum Theil 
angeboren, letzteres besonders bei Rassen der neuen Welt. Sie können klinisch 
bedenklich werden durch Eiterretention, sind dann zu operiren. Meissel, event. 
electromotorische Fraise. — Gutartige epitheliale Tumoren: Papillome stehen 
an der Grenze, sind sehr selten; Adenome der Talgdrüsen gleichfalls sehr 
selten; Atherome häufiger, auch Dermoideysten. Diesen beiden verwandt die 


Bericht üb. d. VI. Versamml. d. Deutsch. otol. Gesellschaft zu Dresden. 187 


Cholesteatome, von denen ein Theil sicher primäre Geschwülste darstellt, aus 
irgendwie ins Felsenbein gelangten Epidermistheilen entstanden; endotheilale 
Ch. sind sicher äusserst selten. Das secundäre, falsche Cholesteatom ist wenig- 
stens anatomisch, bis zu einem gewissen Grade aber auch klinisch, davon unter- 
scheidbar. Endotheliome nur vereinzelt beobachtet, an der Öhrmuschel und an 
der Paukenhöhlenschleimhaut; sie geben relativ gute Prognose, recidiviren aber 
an Ort und Stelle leicht. 

Sarcome gehen selten von den äusseren Theilen und dem Acusticus, viel 
häufiger vom Felsenbein aus, kommen in allen histologischen Varietäten vor. 
Prognostisch am ungünstigsten sind die melanotischen und die Rundzellensarcome. 
Die Carcinome sind wohl etwas seltener, bilden mehr Substanzverluste als 
eigentliche Tumoren. Die bösartigen Geschwülste sind bisher selten operativ 
behandelt, obgleich bei manchen, namentlich Cancroiden, wohl recht gut Erfolge 
zu erreichen sein dürften. 

Discussion: Treitel zeigt das Präparat eines Ohrcarcinoms vor; 
es wurden über den Fall viele Ohrenärzte und Chirurgen consultirt, welche alle 
darin übereinstimmten, dass die Operation eine lebensgefährliche sei, bei der 
wir von vornherein gar nicht übersehen können, wie weit das Carcinom reicht. 
Im vorliegenden Falle war der Sinus vollständig verdrängt und die hintere 
Partie des Felsentheils fast ganz zerstört. 

Barth hat vor 4 Wochen ein Carcinom operirt, welches sich weit in die 
Tiefe erstreckte. Bei der Operation wurden die Bogengänge eröffnet; der Patient 
hatte niemals über Schmerzen geklagt. Betreff des Cholesteatoms erwähnt er 
zwei Fälle, bei denen sich bei der Aufmeisselung vereinzelte weisse Pünktchen 
fanden. die man für Miliartuberkel hätte halten können; die jedoch als begin“ 
nendes Cholesteatom sich erwiesen. B. glaubt, dass es sich um Degeneration 
von Zellen des Mittelohrs handle. — Es entspinnt sich hierüber eine Special- 
discussion zwischen Barth und Leutert, der alle Cholesteatome für von 
aussen hinein gewachsen hält. 

Wallcisek hat ein Lıpom der hinteren Fläche der Ohrmuschel beobachtet; 
Chondrome hält er für nicht so selten. 

Jansen zeigt ein Präparat vor, welches er vor 1 Jahr durch Aufmeisse- 
lung gewann; die Operation war eine sehr ausgedehnte; der Fall ist ausgeheilt. 
Etwa 3/4 Jahr nach der Operation starh die Patientin an Bronchitis. 

Brieger berichtet über einen Fall von Angiom, der sch durch starke 
Blutung auszeichnete. Bei Careinom soll man trotz der geringen Aussichten 
doch den Versuch der Radicaloperation machen. Bei Cancroid der Ohrmuschel 
soll leicht regionäres Recidiv auftreten. Bei Exostosen soll man wegen der 
leicht eintretenden Labyrinthcommotion sich nur im äussersten Nothfalle zur 
Operation entschliessen, zumal da die Retentionserscheinungen häufig nur durch 
Schwellung der Weichtheile bedingt sind. 

Im’ Schlusswort bemerkt Kümmel, dass bei Sarcom auch peritonsillärer 
Abscess vorkommt. Betreffs der multiplen kleinen Cholesteatome ist ihm nicht 
klar, um welche Epithelreste es sich in den Barth'schen Fällen gehandelt haben 
könnte, und weist auf einen von Schwartze in jüngster Zeit mitgetheilten Fall 
hin, bei dem ein Hineinwachsen von aussen her entschiedeu nicht stattgefunden habe. 


188 Bericht üb. d. VI. Versamml. d. Deutsch. otol. Gesellschaft zu Dresden. 


3. Schmaltz-Dresden: Ueber die Aetiologie der Otitis externa, 
vom rein praktischen Standpunkt. 


Im Allgemeinen stellen die Lehrbücher 2 Formen der Otitis ext. auf: 
die eircumscripte und die diffuse; für letztere nahm man gewöhnlich eine 
kleine Verletzung als Ursache an. Nach Sch. giebt es nun eine Form, welche 
mit einem starken Juckgefühl beginnt; dann treten leichte Schmerzen auf; 
anfangs entleert sich etwas wässerige Flüssigkeit, die später eitrig wird; dann 
tritt häufig eine Pause auf, während der starke Abschuppung stattfindet, worauf 
wieder das entzündliche Stadium beginnt. Die Affection ist fast immer doppel- 
seitig; sie befällt besonders Leute, die an Seborrhoe der Kopfhaut und an Acne 
leiden, und sie heilt nur dann, wenn letztere Leiden auch behandelt werden. 
Sch. hält deshalb die Krankheit für eine Seborrhoe und nennt sie: Dermatitis 
externa diffusa seborrhoica Unna hält das Leiden für parasitär, bedingt durch 
den Mikrococcus. 


Schmaltz stellt dann einen Kranken vor, der vor 14 Jahren durch Zer- 
springen des Gewehrlaufes eine Schussverletzung am Ohr davon trug. Vor 
1 Jahr kam er mit Schwellung in der Mastoidgegend; bei der Operation fand 
sich ein Stück Gewehrlauf von 4cm Länge und 1—2 cm Breite, das zu 2/3 im 
Proc. mast. steckte. 


4. Katz-Berlin zeigt mikroskopische Präparate. 


Das eine stammt von einer Fledermaus und bezieht sich auf die Ver- 
bindung der Corti’schen und Deiters’schen Zellen, die hier nicht auseinander 
gerissen sind: die Deiters’sche Zelle ist quasi eine Zange, in welche die 
Corti'sche Zelle hineinragt; K. glaubt dass hier die letzten Endigungen der 
Nervenfasern liegen. 


Ein zweites Präparat zeigt die Ausbreitung des Nervus acusticus in der 
Macula: der Nerv tritt ohne Mark in das Epithel hinein und splittert sich in 
Fibrillen auf, und diese lagern sich den Zellen an, gehen nicht in die Zellen 
hinein. 

Ein drittes Präparat zeigt eine eigenthümlich verzweigte Knorpelzelle aus 
dem Tubenknorpel. Dann zeigt er mehrere macroscopische Präparate, die sich 
auf das runde Fenster beziehen: unter der fossula rotunda ist noch eine Aus- 
buchtung, die anscheinend noch nicht beschrieben ist. 


Ferner ein Präparat von Ancylose des Steigbügels bei Sclerose der 
knöchernen Labyrinthcapsel. 


5. Beckmann- Berlin: Rachenmandel und Ohr. 


Die Angaben über das Vorkommen der Rachenmandel schwanken zwischen 
1 und 120). B. operirt in 500/ọ aller zu ihm kommenden Kranken; bei 
Kindern die wegen Mittelohrentzündung zu ihm kommen operirt er in 95/0. 
Die Hypertrophie kommt zu Stande durch häufige acute Entzündungen, die sich 
auf das Ohr fortpflanzen. 


B. geht dann auf den Tubenmechanismus ein: der Tensor öffnet nur den 
lateralen Theil, die Mündung wird vom Constrictor in Verbindung mit dem 


Bericht üb. d. VI. Versamml. d. Deutsch. otol. Gesellschaft zu Dresden. 189 


Levator geöffnet. Früher glaubte man, dass die Rachenmandel die Tube direct 
verlegte. B. meint nun, dass es bei Oeffnung der Tube leicht zur Ansaugung 
von Secret komme. Alle acuten Infectionen der oberen Luftwege sollen sich 
im Wesentlichen an der Rachenmandel abspielen; deshalb muss die Mandel 
entfernt werden; das Politzer'sche Verfahren ist zu verwerfen. 

Der chronische Katarrh der Nase soll bei Kindern bis zum 12. Lebens- 
jahre nach der Operation von selbst zurückgehen; in späteren Jahren nimmt 
B. nur den unteren Rand der unteren Muschel weg, und zwar mit der 
Scheere; eine Behandlung des Rachens, der Granula nimmt er nicht vor. 


An den Vortrag schliesst sich eine lebhafte Debatte: 


Brieger hält die acute Entzündung der Rachenmandel auch für infectiös; 
er nimmt die Operation nicht im acut-entzündlichen Stadium vor; erstaunt ist 
er über den hohen Procentsatz Beckmann's. Ohne dringende Indication soll 
man die Rachenmandel nicht entfernen, da sie doch jedenfalls als ein Schutz- 
organ zu betrachten ist. 


Joël theilt einen Fall mit, bei dem es sich um ein Kind von 11 Monaten 
handelte, das fieberhaft erkrankt war; in der Familie herrschte Angina; er 
operirte die Rachenmandel, wobei sich ein Esslöffel voll Eiter entleerte; von 
dem Augenblick an trat Besserung ein. 


Jansen ist erstaunt über den hohen Procentsatz Beckmann’s und fragt 
ihn ob er sich überhaupt noch die Mühe mache, die Diagnose zu stellen. Wenn 
Eiter auf der Rachenmandel sitze, so könne der auch von Naseneiterungen 
(Empyemen) herstammen; er bestreitet, dass die Schwellungen an den Nasen- 
muscheln nach der Operation so häufig von selber zurückgehen. 


Kümmel operirt auch nicht im acut-entzündlichen Stadium. 
Noltenius stellt sich mehr auf B.'s Seite. 


Winkler empfiehlt nach der Operation den Lungenschoner gebrauchen 
zu lassen. 


Jens fragt, ob B. auch dann operirt, wenn Otitis media acuta vorhanden, 
bei der es noch nicht zur Perforation gekommen ist. 


Im Schlusswort bemerkt Beckmann, dass er sich durch die Operation 
in der Hälfte der Fälle die Paraceutese erspare; die Tube sei das natürliche 
Abflussrohr. | 


6. Friedrich-Leipzig: Klinische Beiträge zur Frage der tabi- 
schen Ohrerkrankung. | 


Die Angaben über Ohrleiden bei Tabes, speciell über tabische Schwer- 
hörigkeit, sind verschieden ; ebenso über die electrische Erregbarkeit des Acusti- 
cus; Menière’scher Schwindel kann vorhanden sein. Im Allgemeinen herrschen 
3 Ansichten vor: es kann sich handeln 1) um Erkrankung im Stamm des 
Nervus acusticus. 2) um eine Erkrankung des Mittelohrs in Folge von Trige- 
minuserkrankung. 3) um Lues. Vortragender glaubt, dass es sich um eine 
Erkrankung der Neurone handle, speciell in den Spinalganglien. 


In der Discussion bemerkt Habermann, dass die Krankheit nicht so 
selten sei; er habe ziemlich viele Fälle beobachtet. 


190 Bericht üb. d. VI, Versamml. d. Deutsch. otol. Gesellschaft zu Dresden. 


7. Alt-Wien: Pathologie der Luftdruckerkrankungen des Gehör- 
organs. 


Er zeigt Bilder vor von Präparaten, die er von Thieren gewonnen hat 
Es kommt zu Gasblasenbildung an der Basis, im Gehirn, im Mesenterium, 
Blutungen im inneren Ohr, zu nekrotischen Herden im Rückenmark; auch zu 
acuter Myringitis. — Beim Beginn der Luftverdichtung muss darauf Bedacht 
genommen werden, die Tuben zu Öffnen, weil es sonst zu negativem Druck im 
Mittelohr kommt, ebenso im Labyrinth; bei einem Hunde war in Folge dessen 
die ganze Paukenhöhle mit Blut angefüllt (Demonstration eines Präparats). 


Die schwersten Erscheinungen kommen bei der Decompression vor: Gas- 
embolieen. 


Discussion: Bezold erwähnt als von besonderem Interesse die 
Störungen, die erst später auftreten; er stellt sich das so vor, dass comprimirte 
Luft zunächst im Mittelohr bleibt, die dann später plötzlich entweicht; dadurch 
entstehen dann Blutungen. 


Alt meint, dass diese Nachblutungen nur durch die im Blut kreisenden 
Gasblassn verursacht werden. 


8. Scheibe-München: Zwei Fälle vou Fractur des Felsenbeins. 


Eine 27jährige Arbeiterin wird von einer Transmission bei Seite geschleu- 
dert; längere Bewusstlossigkeit; nach 7 Tagen Meningitis, nach 3 Wochen 
exitus lethalis. — Ohrensausen trat erst am 4. Tage nach dem Unfall auf, am 
5. oder 6. hörte sie die Sprache, aber sie verstand dieselbe nicht. Bei der 
Section fand sich leichte eitrige Basilarmeningitis; die Knochenfissur verläuft 
bis in die Squama Das andere Schläfenbein, an welchem von einer Fissur 
nichts zu entdecken war, wurde herausgenommen ; nach Entkalkung desselben 
liess sich microscopisch eine Fissur quer durch das ganze Felsenbein verfolgen; 
Facialkanal war getroffen (keine Lähmung!). Zwischen den Rändern der Fissur 
zeigen sich deutliche Heilungsvorgänge: junges spindelförmiges Bindegewebe 
(Demonstration). 


Zweiter Fall: l6jähriger Spenglergehülfe fällt aus dem dritten Stock. 
Einige Tage Bewusstlosigkeit; nach 16 Tagen Meningitis, nach 4 Wochen 
exitus let. Am 17. Tage — das Bewusstsein war zufällig klar — wurde das 
Gehör untersucht; am linken Ohr Sausen, kein Schwindelgefühl; Trommelfell 
reflexlos, oben leicht injieirt; laute Sprache wird nur auf 5cm gehört. Der 
Fall wurde operirt. 


Bei der Section fand sich die Operationswunde ganz reactionslos. Eitrige 
Meningitis und Hydrocephalus internus. Mehrere Fissuren; eine geht über den 
medianen Theil der Pyramide, eine zweite senkrecht zur ersten parallel dem 
vorderen Rand der Pyramide. Trommelfell normal; in der Pauke und im 
Aditus geruchloser Eiter. Fissur ging bis in das Foramen lacerum. — Das 
Mikroskop zeigt, dass der Bruch hier durch die Schnecke geht (im ersten Falle 
durch den Vorhof), jedoch nicht mitten hindurch, sondern lateralwärts am 
Modiolus vorbei; horizontaler und oberer Bogengang zerschnitten. Heilungs- 
vorgänge ziemlich weit vorgeschritten: osteoide, nicht verkalkte Substanz. 


Bericht üb. d. VI. Versamml. d. Deutsch. otol. Gesellschaft zu Dresden. 191 


Mittelohrschleimhaut entzündet. - Auf Nystagmus, der sonst bei Ohrschwindel 
auftritt, ist in beiden Fällen nicht untersucht. 


Zweite Sitzung am 5. Juni: 
Discussion über Scheibe's Vortrag. 


Habermann zeigt Photographieen und mikroskopische Präparate von 
Schädelfissuren. 


Barth hat einen Fall beobachtet, bei dem der Ausfluss stinkend wurde, 
ohne dass eine Infection zu Stande kam. 


Brieger hat einen Fall gesehen bei dem nichts unternommen wurde: 
Ausgang letal. 


Scheibe macht darauf aufmerksam dass die Fracturen bis in die Nase 
gehen können und von hier aus dann die Infection erfolgen könne. 


Kümmel wünscht, dass alle Fälle veröffentlicht werden, um zu erfahren 
wie viel Fälle inficirt werden. 


Zaufal erwähnt, dass er im Jahre 1864 versucht habe, ein Gesetz auf- 
zustellen, in welcher Richtung die Fissuren verlaufen; die jetzt mitgetheilten 
Fälle decken sich ziemlich genau mit seiner Ansicht. 


9. Bezold-München: Sechs weitere Fälle von Labyrinthnekrose 
und Facialisparalyse. 


Seit seiner im Jahre 1886 erschienenen Monographie hat B. 6 neue Fälle 
beobachtet. Die Mortalität von 15—200/o hat sich jetzt bestätigt. Fast aus- 
nahmslos geht langjährige Mittelohreiterung vorher; auf 3000 seiner Ohrkranken 
und auf 500 chronische Mittelohreiterungen kommt erst 1 Fall, also sehr selten. 
Sämmtliche Fälle waren vernachlässigt, vorher nicht behandelt. Am häufigsten 
war die Schnecke allein erkrankt, besonders die erste Windung. Der Weg des 
Fortschreitens der Mittelohrentzündung auf das innere Ohr ist ein zweifacher: 
1) entweder werden die Zellen unterhalb des Labyrinths nekrotisch, oder 2) die 
Entzündung geht durch das runde Fenster. Bei Kindern ist der Weg ein 
anderer, wahrscheinlich ein Extraduralabscess.. Das Krankheitsbild: alle Fälle 
sind taub; Schwindel bestand 1 mal 8 Monate, Imal 1 Jahr vorher; der Eintritt 
der Facialisparalyse erfolgt etwa 1 Monat später, 4 derselben sind zurück- 
gegangen; in einem dieser Fälle war sogar der Facialkanal im Sequester vor- 
handen. Die Granulationsbildung ist eine sehr üppige. 


Die Therapie besteht in Reinigung und Abtragung der Granulationen. 
lmal hat B. den Wilde’schen Schnitt gemacht, 2mal die Radicaloperation 
mit Körner’schem Lappen. Den Sequester selber soll man nicht angreifen. 


Endausgänge: Mehrere Fälle mit epidermoidaler Höhle, lmal Atresie des 
Gehörgangs. 

Die Hörprüfung ist sehr schwierig: B. hat schon früher seine Zweifel über 
die Hörfähigkeit ausgesprochen. B. demonstrirt Tafeln die er nach Hartmann 
und ($radenigo angefertigt hat und aus denen unzweifelhaft hervorgeht dass . 
das vermeintliche Hörvermögen auf das Conto des gesunden Ohres zu setzen | 
ist; speciell war eine Tafel sehr instructiv: es fehlten auf dem kranken Ohr 


192 Bericht üb. d. VI. Versamml. d. Deutsch. otol. Gesellschaft zu Dresden. 


etwa mitten in der (scheinbar!) gehörten Reihe 2 Töne; für diese beiden Töne 
zeigte nun aber auch das Ohr der andern Seite eine ganz bedeutende Herabsetzung. 


An der Discussion betheiligen sich Lucae. Panse, Habermann, 
Scheibe und Barth; letzterer erwähnt einen Todesfall in welchem die Ope- 
ration möglich und wahrscheinlich auch von gutem Resultat gewesen wäre. 


10. Hessler-Halle: Caries sicca acuta des Warzenfortsatzes. 


Mittheilung zweier Fälle: Eine Dame hatte sich durch Kratzen eine kleine 
Verletzung im Gehörgang zugezogen; nach 2 Wochen heftige Schmerzen; bei 
der Aufmeisselung fand sich eine bräunlich verfärbte Knochenpartie, keine 
Injection, kein Eiter. Mittelohr normal. 


Im zweiten Falle dieselbe Verletzung; nach 4 Tagen drängte die Patientin 
zur Operation, bei der sich dieselbe bräunliche Verfärbung des Knochens fand; 
keine entzündliche Injection; nach dem Antrum hin war der Knochen sehr 
brüchig, er schien auch leichter zu sein. Nach intercurrenter Trommelfellent- 
zündung und Tonsillitis stiessen sich in der 5. bis 8. Woche mehrere kleine 
Knochensequester ab; in der 6. Woche pyämische Erscheinungen, ohne dass sich 
. irgendwo Eiter bildete. In beiden Fällen keine Temperaturerhöhung. 


Der augenblickliche Erfolg spricht für die Berechtigung und Nothwendig- 
keit der Operation; am rationellsten scheint noch eine frühzeitige Spaltung 
des Gehörgangs zu sein. 


Discussion: Barth hält solche Fälle für möglich, will aber mit der 
Diagnose sehr vorsichtig sein; er verlangt genaue Angaben über das Mittelohr: 
Hörprüfung. 

Treitel fragt nach Zucker und Eiweiss; im Uebrigen glaubt er abwarten 
zu dürfen. 


Jo&l zeigt ein Präparat von Meningitis; der Fall kam unter dem Bilde 
einer Furunculosis in Behandlung; man soll bei der Aufmeisselung so tief wie 
irgend möglich gehen. 

Im Schlusswort bemerkt Hessler: im zweiten Falle war normales Hör- 
vermögen; Zucker und Eiweiss war nicht vorhanden; die Schwellung im Gehör- 
gang war sehr gering. 


11. Brieger-Breslau: Principielle Gesichtspunkte für die arznei- 
liche Lokalbehandlung der Mittelohreiterungen. 


Man soll sich nicht auf ein Mittel allein beschränken; acute Mittelohr- 
eiterungen soll man in Ruhe lassen so lange die Reaktionen als Heilungsvorgänge 
zu betrachten sind; secundäre Infection von der Tube und vom Gehörgang aus 
muss vermieden werden; zur Entfernung des Eiters giesst er Wasserstoffsuper- 
oxyd in den Gehörgang; die angebliche Abortivwirkung des Carbolglycerins 
dürfte auf spontane Heilung zurückzuführen sein. 

Chronische Entzündungen heilen spontan gewöhnlich nicht; Spülungen 
vom Gehörgang aus scheinen ihın gefährlicher als der Katheter; von arznei- 
lichen Mitteln werden gasförmige nicht angewandt, sondern nur Pulver und 
Flüssigkeiten; man kann entgegen der Ansicht Stacke’'s das Antrum mit 


Bericht üb. d. VI. Versamml. d. Dentsch. otol. Gesellschaft zu Dresden. 193 


Flüssigkeit erreichen, wie Br. an der Leiche nachgewiesen hat; richtige Kopf- 
haltung ist dabei sehr wichtig, in pathologischen Fällen können die Wege aller- 
dings verlegt sein. Die antiseptischen Mittel wirken in Eiweiss-haltigen 
Lösungen nur gering, sie reichen zur Heilung nicht aus. Am wirksamsten ist 
das Silbernitrat. Die Wirkung des Alkohol besteht in erster Linie in der 
Wasserentziehung. Das Wesentlichste an der Borsäurebehandlung soll der 
mechanische Effect sein: Abschluss der Paukenhöhle und Austrocknung; das 
erstere hat gewisse Gefahren. Das Argonin kann R. nach seinen Versuchen 
nicht empfehlen. Man kann mit diesen Mitteln den Kreis der operativen Be- 
handlung einschränken; man muss aber verschiedene Mittel combiniren. 


Discussion: Bezold vertheidigt die Borsäure, indem er auf seine 
Statistik seit 20 Jahren hinweist; für einen wesentlichen Fortschritt hält er die 
Paukenröhre: die Osteosclerose hält er für eine Schutzvorrichtung. 


Schmidt empfiehlt den feuchten Verband mit essigsaurer Thonerde (1:4) 


Stacke schliesst aus der grossen Anzahl der Mittel auf ihre geringe 
Wirksamkeit. Bei reinen Schleimhauteiterungen versucht er immer erst andere 
Mittel, ehe er operirt. Bei den Operationen hat er dann doch gefunden, dass im 
Aditus häufig solche Granülationsmassen vorhanden sind, die nur durch Operation 
zu heilen seien. Er wendet die Borsäure auch bei der Nachbehandlung der 
Radicaloperation an; bei engen Perforationen solle sie nicht angewandt werden, 
auch nicht von den Patienten zur Selbstbehandlung. 


Manasse wendet zur Nachbehandlung von Aufmeisselungen feuchte Ver- 
bände an. Ä 


Jens hat nach der Borsäureanwendung nie schwere Erscheinungen nf 
treten sehen; er wendet die Borsäure auch bei enger Perforation an, nur ge- 
braucht er die Vorsicht, die Perforation nie vollständig zu verschliessen; event. 
Lockerung des Pulvers mit der Sonde. 


Lucae empfiehlt Formalin: 20 Tropfen auf 1 Liter Wasser. Zu Aus- 
spülung verwendet er eine gerade Canüle, die vornen geschlossen ist und seit- 
liche Löcher hat. | 

Bezold wendet die Borsäure auch bei engen Perforationen an. 

Hartmann vertheidigt das Carbolglycerin: die schmerzstillende und in 
manchen Fällen coupirende Wirkung ist zu frappant. 

Beckmann: Man muss dem Eiter Abfluss verschaffen; der natürliche 
Weg ist die Tube, daher Entfernung der Rachenmandel; sonst wendet er Gaze 
mit Glycerin an. 

Stimmel vertheidigt das Carbolglycerin. 

Katz hat seit 1 Jahr das Formalin nicht mehr angewandt, weil es häufig 
heftige Schmerzen macht. 


12. Hoffmann-Dresden: Beitrag zur otitischen Sinusthrombose. 


Es handelte sich um einen Knaben von 4 Jahren; Otorrhoe seit 1. Lebens- 
jahre, bisweilen übelriechend, sonst keine Symptome. 8 Tage vor der Operation 
starke Schmerzen in und hinter dem Ohr mit starker Schwellung. Caries und 

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXXI. 13. | 


194 Bericht üb. d. VI. Versamml. d. Deutsch. otol. Gesellschaft zu Dresden, 


Cholesteatom in Paukenhöhle und Antrum; grosser Defect in der hinteren Wand 
des Warzenfortsatzes, grosser perisinuöser Abscess. Sinus nicht pulsirend, wird 
gespalten; es fand sich das Lumen nur lcm weit erhalten und mit Jauche 
gefüllt; central und peripher war der Sinus obliterirt. Heilung. 


Discussion: Jansen: von 8 Patienten, die am Sinus allein operirt 
wurden, sind 5 geheilt. 3 gestorben; von 7, die an der Jugularis operirt wur- 
den, genasen 6, 1 starb. 

Kümmel zeigt Präparate von einer resecirten Jugularis. 

Habermann schnitt in einem Falle den Sinus auf; die festen Gerinnsel 
liess er liegen; die Jugularis wurde nicht unterbunden; Heilung. 

Brieger hat sich früher gegen die Unterbindung der Jugularis ausge- 
sprochen; wenn ein fester Thrombus in der Jugularis vorhanden, soll man nicht 
unterbinden. 

Scheibe hat in der Hälfte der Fälle den Streptococcus gefunden. 

Panse bat das Eindringen eines Cholesteatoms in den Sinus beobachtet. 


13. Panse-Dresden zeigt eine Sammlung durch den Gehörgang 
entfernter Gehörknöchelchen. 


Für operative Eingriffe wichtig ist die Diagnose, ob isolirte Erkrankung 
der Knöchelchen besteht, besonders des Amboss, oder ob Aditus und Antrum 
mitbetheiligt sind. P. findet für isolirte Ambosscaries folgende Zeichen: 
1) Chronische spärliche Eiterung. 2) Perforation im hinteren oberen Quadranten. 
3) Oft Erhaltensein des Limbus daselbst. 4) Polypen oder Eiter direct von 
oben. 

Er empfiehlt durch schematische Zeichnungen die Diagnose der Amboss- 
caries auszubauen und zu sichern und damit die Anzeige der Gehörknöchelchen- 
entfernung. 


Discussion: Scheibe will Bedenken aussprechen dagegen, dass man 
gewöhnt ist, jeden Defect an den Gehörknöchelchen als Caries zu bezeichnen. 


Stacke wünscht auch, dass unsere Kenntnisse darüber, wie oft die Gehör- 
knöchelchen erkrankt sind, fortschreiten. In Rücksicht auf das Gehör scheint 
es ihm richtiger, erst die Radicaloperation zu machen und die Gehörknöchelchen 
stehen zu lassen. 


Jansen hat schon 1892 darauf aufmerksam gemacht, dass die Radical- 
operation uns gestattet die Gehörknöchelchen genau zu untersuchen. 


Im Schlusswort bemerkt Panse dass das Stehenlassen der Gehörknöchel- 
chen (Scheibe) nicht rathsam ist, weil dann die Eiterung nicht ausheilt. 


Panse macht an seinen Originalzeichnungen und Serienschnitten zu seiner 
Arbeit!) auf die günstige Lage des vorderen Drittels des ovalen Fensters auf- 


1) Die Schwerhörigkeit durch Starrheit der Paukenfenster: Jena, Gustav 
Fischer. | 


u. on a a a O O OO 


Bericht üb. d. VI. Versamm!. d. Deutsch. otol. Gesellschaft zu Dresden. 195 


merksam. Das Labyrinth ist 11, —2mm von der Fussplatte entfernt, doch 
kommen Bänder zwischen ihr und Utriculus vor, durch deren Dehnung nach 
Panse’s Meinung Schwindel entsteht. Der Facialis liegt etwa 1/3 mm lateral 
und unten darch eine dicke Knochenlage gedeckt. Zur Stillung der Blutung 
aus dem Knochen verwendet er einen „Drücker“ (wird gezeigt). Unter dem 
Mikroskop ist ein am Lebenden entfernter Stapes mit Periostwucherung der 
Vestibularseite eingestellt. An diesem wie an herumgegebenen Schnitten von 
Präparaten wurde stets die Knorpelplatte mit entfernt. Zum Schluss bittet P. 
Versuche an radical Operirten über die Wirksamkeit des künstlichen Operculum 


(nasse Watte) anzustellen, da er dasselbe für ebenso wichtig hält, wie die Brille 
für Staar- und Myopie-Operirte. 


Discussion: Habermann theilt einen Fall von Steigbügelextraction 


mit; wenn beide Fenster verlegt sind, so können keine Schwingungen im 
Labyrinth mehr auftreten. 


14. Passow-Heidelberg berichtet über einen Fall bei dem er 
vorher die Tenotomie gemacht und bei dem er dann später den Gehör- 
gang herauslöste und nach Wegnahme eines kleinen Theils der lateralen 
Atticuswand, mit einem geschützten Bohrer das Labyrinth eröffnete. 


Der Erfolg war unmittelbar nach der Operation sehr gut: kein Sausen, 
kein Schwindel, Flüstersprache durch den Verband hindurch auf 3/4m ver- 
standen. Dieses gute Befinden hat sich ziemlich erhalten. Ueber einen zweiten 
Fall kann er noch nicht definitiv berichten; bei diesem hat er sämmtliche 
Gehörknöchelchen drin gelassen und nur ein Loch in das Labyrinth gebohrt 
(am vorderen unteren Rand des ovalen Fensters). 


Discussion: über die letzten beiden Vorträge: Hoffmann nahm wegen 
heftigen Ohrensausens Hammer und Amboss heraus, ohne Erfolg; daher Ab- 
lösung der Ohrmuschel: die Steigbügelschenkel sehr atrophisch, brechen ab. 
Der Effect war der, dass das Sausen am anderen Ohr ganz aufhörte, während 
es am operirten Ohr wenigstens interinittirend wurde und besonders bei Schnupfen 
auftrat. Die Schwerhörigkeit war nicht gebessert, ja auf dem nicht operirten 
Ohre schlechter geworden. 


Passow hat das Aufhören des Sausens auf dem anderen Ohr auch beob- 
achtet, aber die Pat. ist wegen Hysterie verdächtig. 


Jansen fragt, ob es sich um Anchylose handle, wenn bei Belastung des 
Steigbügels mit einem feuchten Wattebäuschchen eine Hörverbesserung nicht 
stattgefunden hatte. 


Panse glaubt, dass die Wirkung des Wattebäuschchens dadurch entsteht, 
dass die eine elastische Membran ausgeschaltet wird. 


Jansen hat bei radical Operirten mit gutem Hörvermögen bei Heraus- 
nahme der Knöchelchen Herabsetzung der Hörschärfe für Flüstersprache beob- 
achtet; das Wattebäuschchen hatte keinen Erfolg. 


13* 


196 Bericht üb. d. VI. Versamml. d. Deutsch. otol. Gesellschaft zu Dresden. 


Zarniko weist auf eine anatomische Thatsache hin: man stellt sich ge- 
wöhnlich die Wand des Facialkanals :nach dem ovalen Fenster hin ziemlich 
dick vor, was nicht richtig ist. An seinen Serienschnitten hat er manchmal 
Knuchentheile mit der Lupe nicht auffinden können. 


Hoffmann bemerkt, dass in seinem Falle keine Hysterie vorlag. 


Kessel: Die Wirkung einseitiger Operation von Verbesserung des Gehörs 
beruht auf Muskelwirkung. 


Im Schlusswort bemerkt Panse: Für die Eröffnung des Labyrinths ist 
nur sehr wenig Platz; auf das Sausen hat er in seinem Falle keine Wirkung 
gesehen. Die Wirkung auf das andere Ohr kann er als Muskelwirkung nicht 
betrachten. Atrophie der Schenkel hat er nicht gefunden, eher Verdickung. 


Nachmittagssitzung. 


15. Noltenius-Bremen: Zur Frage der Radicaloperation der 
Mittelohrräume. | | 


N. hat 132 Aufmeisselungen gemacht; davon 107 mal radical operirt: 
64mal nach Zaufal, 43mal nach Stacke. Im Ganzen 2 Todesfälle. Sinus- 
erkrankung und Hirnabscess hat er nicht gesehen, wohl aus dem Grunde weil 
seine Fälle als „Privatpatienten* keine vernachlässigten waren. 


Bei der Frage der Radicaloperation bei chronischer Eiterung soll man 
individualisiren, auch auf sociale und Familienverhältnisse Rücksicht nehmen. 
Durch die Extraction der Gehörknöchelchen allein hat er nur scheinbare Erfolge 
gesehen; dasselbe bei der Paukenröhre. Die Stacke'sche Operation ist nicht 
schwieriger als die Zaufal’sche. N. hat in letzter Zeit wieder den ganzen 
Gehörgang herausgezogen, ohne Necrose zu bekommen. Den Barth'’schen 
Haken hat er in der Weise modificirt, dass er die mittlere Stange etwa um das 
Doppelte verlängert hat; dadurch wird ein Assistent erspart. Vorübergehende 
Lähmungen des Facialis sind bei beiden Methoden vorgekommen. Beim 
Körner’schen Lappen, auf den er zufällig selber verfallen ist, sollen die 
Schnitte bis in die Concha gehen, und die Basis soll wenigstens 1 cm breit sein. 
Dann legt er ein 13mm starkes Drain durch den Gehörgang; zur Tamponade 
nimmt er kleine Gazestücke, nicht lange. Die Wunde hinter der Ohrmuschel 
hat er mit gutem Erfolge primär vernäht. In besonders günstigen Fällen kann 
Heilung auftreten in 6 Wochen; die durchschnittliche Dauer betrug 3—4 Monate. 


Discussion: Jens hat auch primär vernäht und eine Combination des 
Körner’schen und Stacke’schen Lappens vorgenommen, indem er den unteren 
Längsschnitt etwa halb so lang machte, wie den oberen; den Querschnitt in 
der Concha behielt er bei; dieser Lappen legt sich dem Boden der Operations- 
höhle gut an und ragt ziemlich weit in dieselbe hinein. 


Grunert hat einen ähnlichen Haken angewandt; vertheidigt seinen 
Lappen und erwähnt den Fall von Gomperz, bei dem der Lappen sich 
vorwölbte. | 


Bericht üb. d. VI. Versamml. d. Deutsch. otol. Gesellschaft zu Dresden. 197 


Kümmel will den Gomperz’schen Fall nicht verallgemeinert wissen, 
Er legt nur eine Naht in der Mitte an; nach 8 Tagen soll dann von selber 
Verschluss eintreten. 

Körner individualisirt, nimmt nicht immer seinen Lappen, sondern auch 
den von Stacke und Panse; wenn nur der geringste Verdacht besteht, dass 
noch kranker Knochen zurückgeblieben, legt er seinen Lappen nicht an; einmal 
hat er Perichondritis der Ohrmuschel gesehen ; Transplantationen legt’ er ebenso 
wenig an wie Panse. 


Hartmann vernäht primär, aber nur mit Körner ‘schem Lappen bei ` 
weitem Gehörgang. 

Jansen hat transplantirt und schnellere Vernarbung dabei gesehen; hat 
guch häufig primär verschlossen; Perichondritis mit nachfolgender grosser Ver- 
stümmelung hat er häufig erlebt. 


Hessler hat einen Fall in 3 Wochen geheilt und zwar ohne Tairponadei 


Stimmel empfiehlt im Gegensatz zu Jansen bei Facialislähmung zu 
electrisiren. 

Zaufal polemisirt gegen die Stacke'sche Operation, da sie den all- 
gemeingültigen chirurgischen Principien, nämlich Freilegung und Uebersicht- 
lichkeit des Operationsfeldes, nicht entspricht; er lässt sie nur bei starker Vor- 
lagerung des Sinus gelten: nach seiner Methode operirt er bis zum Antrum 
mit dem Meissel, von da ab mit der Zange; dabei kann keine Facialisverletzung 
gemacht werden, was gerade bei der Stacke’schen Operation nicht leicht zu 
vermeiden ist. Perichondritis hat er bei 200 Fällen nie gesehen, trotzdem er 
weit in die Concha hineinspaltet; auch er vernäht primär. | 

Stacke kann es nicht für unchirurgisch halten wenn er einer Eiterung 
auf dem Wege nachgeht auf dem sie sich entwickelt hat; er will seine Methode 
auch nur für solche Fälle anzewandt wissen, bei denen wir eine Betheiligung 
des Antruns von vornherein nicht annehmen können; er hält seine Operation 
nicht für so schwierig wie Zaufal. 


Im Schlusswort will Noltenius die Stacke’sche Methode nicht ver- 
bannt wissen, 


16. Winckler-Bremen: Operative Eingriffe zur Freilegung der 
oberen Nebenhöhlen der Nase. 


Wir haben zwei Puncte zu beobachten: 1) Das Öperationsterrain soll 
möglichst freigelegt werden und 2) es soll keine Entstellung eintreten. 


Die Wegnahme der unteren Stirnhöhlenwand nach Jansen hält W. für 
einen riskauten Eingriff; die Uebersicht über die Stirnhöhle ist nicht sehr gross; 
auch für die Siebbeinzellen ist die Methode nicht praktisch. Die Kuhnt’sche 
Methode, die von vielen als die Operation der Zukunft bezeichnet wird, reicht 
für die Stirnhöhle allein aus; bei kleinen Stirnhöhlen ist die Entstellung gering, 
bei grösseren soll sie doch bedeutender sein. Die Killian’sche Methode mit 
temporärer Knochenresection genügt für die Uebersicht aller Höhlen nicht, man 
muss sie mit der Rose’schen Methode zur FSB der Nasenpolypen ver- 
einigen. | 


198 Bericht üb. d. VI, Versamml. d. Deutsch. otol. Gesellschaft zu Dresden. 


Sind beide Seiten erkrankt so muss man die Nasenbeine entweder nach 
Ollier herunterklappen oder nach Gussenbauer hinaufklappen; die erstere 
Methode giebt eine tiefe Narbe und ist für die Nebenhöhlen nicht sehr geeignet. 
Die Gussenbauer'sche gestattet eine gute Uebersicht und liefert ein gutes 
Endresultat. W zeigt an einem Schädel den Verlauf der Knochenwunde; die 
Durchtrennung des Knochens geschieht nicht mit dem Meissel, sondern mit der 
Kreissäge. W. zeigt Photographieen von Operirten. 


Discussion: Brieger meint, dass bei der Kuhnt'schen Operation 
die Entstellung zwar nicht sehr gross, die Heilung aber selten von Dauer sei; 
bei der Jansen’schen Methode kann die Verödung gut vor sich gehen; exspec- 
tative Behandlung will er nicht gelten lassen. 


Hartmann gelingt die Heilung der Stirnhöhlenempyeme in den meisten 
Fällen ohne Operation von aussen; in manchen Fällen gelingt die Heilung 
schon durch die Behandlung der miterkrankten Kieferhöhle. Entfernt man das 
vordere Ende der mittleren Muschel und etwaige Granulationen und Schwellungen 
am Ausgang des Stirnhöhlenkanales, dann heilt die Stirnhöhle häufig von selbst; 
er glaubt dass die grossen Operationen nur ausserordentlich selten erforderlich 
sein dürften. 


Jansen freut sich, dass W. diese Frage angeregt hat, um uns in diesen 
schwierigen und trostlosen Fragen weiter zu bringen; er bestreitet, dass seine 
Methode nicht übersichtlich sei; der leitende Gedanke dabei war, dass wir es 
meistens mit combinirten Empyemen zu thun haben; er wollte von einem 
Schnitt aus möglichst viele Höhlen eröffnen. Er hat in letzterer Zeit auch die 
vordere Wand total weggenommen und tamponirt. Er kann bei diesem Ver- 
fahren besonders die hinteren Siebbeinzellen und die Keilbeinhöhle besser 
erreichen. 


Im Schlusswort giebt Winckler zu, dass man mit dieser letzteren 
Jansen’schen Methode, die ihm aber noch nicht bekannt war, noch mehr er- 
reichen und übersehen kann als mit der von Gussenbauer. 


17. Jansen-Berlin: Ueber einige Momente welche der Aus- 
heilung chronischer Mittelohreiterung entgegen stehen. 


Es macht einige Schwierigkeit die kranken Knochentheile, welche die 
Wandung der Paukenhöhle bilden, zu beseitigen, besonders im Recessus hypo- 
tympanicus; häufig sah er wie sich im hinteren Theile der Paukenhöhle eine 
Fistel bildete; auch die Tube ist häufig erkrankt und deswegen die Ursache 
der wieder auftretenden Eiterung. Bei übermässiger Granulationsbildung bringt 
Ausschaben mit nachfolgender Transplantation häufig Heilung. Die feste 
Tamponade hat oft einen stark reizenden Einfluss. Manchmal bilden sich 
Narbenstränge, hinter denen Taschen auftreten; man kann dann ruhig den 
Meisse]l anwenden. Es kommt auch vor, dass die Knochenflächen sich geradezu 
verbiegen, besonders im hinteren Abschnitt der Paukenhöhle. 


Kretschmann wollte auch über den unteren Paukenhöhlenraum sprechen; 
er hat denselben, wenn er erkrankt ist, anfangs mit dem Meissel, später mit 


Bericht üb. d. VI. Versamml. d. Deutsch. otol. Gesellschaft zu Dresden. 199 


Fraisen bearbeitet, weil hierbei Facialisverletzung besser vermieden werden 
kann. Eine Verletzung nach unten hin ist wegen der Crista und des Processus 
styloideus nicht gut möglich; vorne operirt er nicht. 


18. Hoffmann-Dresden: Ueber einen Fall von Keilbeinhöhlen- 
empyem mit consecutiver Störung an dem gleichseitigen Auge. 

Die Störungen von Seiten des Auges waren objectiv: Neuritis optica und 
Parese- einzelner Muskeln. Subjectiv bestand das Gefühl von Verdrängung des 
Auges und Abnahme der Sehkraft. Operation nach Jansen; keine Ent- 
stellung. Heilung. 


19. Bürkner-Göttingen demonstrirt ein otiatrisches Taschen- 
besteck. 


20. Joël- Gotha zeigt einen Abdruck von :congenitaler Atresie 
der Choanen. 


21. Panse-Dresden zeigt einen Tretcontact für Motor, und a 
schiedene anatomische Präparate; ferner einen sehr einfach construirten 
Pulverbläser. 


22. Denker-Hagen zeigt eine Scheere für adenoide Vegetationen. 


23. Habermann-Graz demonstrirt eine Hörprüfungstabelle einer 
Patientin die in Folge heftiger Gemüthsbewegung in mehreren Inter- 
vallen taub war. 


24. Denker-Hagen: Demonstration von Corrosionspräparaten des 
Säugethierohres. 
Besonderes Interesse erregt das Ausgusspräparat des Gorilla. Ausserdem 


werden Ausgusspräparate vom Eisbären, grönländischen Seehund, Walross, 
Riesenkänguru, Ameisenbär, Leopard und vom Wasserschwein vorgeführt. 


25. Treitel: Ueber Pepsin-Einspritzung zur Besserung des Gehörs. 


= Tr. hat 10 Fälle nach der Cohen’schen Methode behandelt, A priori 
ist gegen diese Methode einzuwenden, dass es doch unwahrscheinlich ist, dass 
die Narbenstränge zerstört werden und das Trommelfell nicht. Eine Besserung 
hat er nicht erzielt; bei Narbenbildung anfangs etwas Besserung die aber wieder 
schlechter wurde; im grossen und ganzen ein negatives Resultat. 


900 Bericht üb. d. VL Versamml. d. Deutsch. otol. Gesellschaft zu Dresden. 


Präsenzliste, 


1. Herr Alt, Wien. 


3 3 3 3 s 3 3 3 u us u y 3 3 3 3 3 3 = 3 3 s = s v s 2 y s 4 3 s u 383 3 3 x x 3 


Anton, Prag. 
Becker, Dresden. 
Beckmann, Berlin. 
Bezold, München. 
Bönninghaus, Breslau. 
Brandt-Strassburg. 
Breitung, Coburg. 
Brieger, Breslau. 
Bürkner, Göttingen. 
Denker, Hagen. 
Donalis, Leipzig. 
Farwick, Leipzig. 
Friedrich, Dresden. 
Friedrich, Leipzig. 
Habermann, Graz. 
Hänel, Dresden. 
Hartmann, Berlin. 
Hecke, Breslau. 
Hessler, Halle. 
Hoffmann, Dresden. 
Hübner, Stettin. 
Jansen, Berlin. 
Jens, Hannover. 
Joël, Gotha. 
Jordan, Halle. 


Jürgensmeier, Bielefeld. 


Katz, Berlin. 
Kayser, Breslau. 
Kessel, Jena. 
Kickhefel, Danzig. 
Kleinknecht, Mainz. 
Körner, Rostock. 
Krebs, Hildesheim. 


Kretschmann, Magdeburg. 


Kümmel, Breslau. 
Leutert, Halle. 
Lindmann, Berlin. 
Lommatseh, Wiesbaden. 
Lucae, Berlin. 
Manasse, Strassburg. 


42. Herr Meyer, Magdeburg. 


3 3 s» 3S 3s SS S ë 3 3 3 3 S 3 Yy Y DB y 3 3 


Moldenhauer, Leipzig. 
Müller, München. 
Müller, Altenburg. 
Nobis, Chemnitz. 
Noebel, Zittau. 
Noltenius, Bremen. 
Panse, Dresden. 
Passow. Heidelberg. 
Pfeiffer, Leipzig. 
Pluder, Hamburg. 
Rhese, Inowrazlaw. 
Reichert, Breslau. 


v. Riedl, München. 


Robitsch, Leipzig. 
Roell, München. 
Roesch, Dresden. - 
Rohden, Halberstadt. 
Roller, Trier. | 
Rudloff, Wiesbaden. 
Salzburg, Dresden. 


‚Scheibe, München, 


Schlesinger, Dresden, 
Schmaltz, Dresden. 
Schmidt, Leipzig. 
Schwabach, Berlin. 
Seyfert, Dresden.’ 
Stacke, Erfurt. 
Stimmel, Leipzig. 
Thies, Leipzig. 
Treitel, Berlin. 
Ulrich, Halle. 
Wallcisek, Breslau. 
Wiebe, Dresden. 


v. Wild, Frankfurt a. M. 


Winkel, Bremen. 
Zarniko, Hamburg. 
Zaufal, Prag. 


Zimmermann, Dresden. 


Zintl, Prag. 


a — 


| Oesterreichische otologische Gesellschaft. 
Sitzung vom 27. October 1896. . 


Vorsitzender: Prof. Politzer. Schriftführer: Doc. Pollak. 


| 1) Dr. F. Alt stellt ein 12jähriges Mädchen vor, welches nach 
Mumps taub geworden war. 

Nur c? wird von beiden Warzenfortsätzen und vom Scheitel aus 
hochgradig verkürzt gehört. Complete Taubheit für laute Sprache, 
Hörrohr und Pfeife. Behandlung mit Jodkalium und 20 Pilocarpin- 
Injectionen und Hörübungen. Es wurde eine Hörweite für Conver- 
sationssprache links von 1m, rechts von 30 cm erreicht. 

Discussion. 

Urbantschitsch hat einen Fall von dennelkeiliger Taubheit 
nach Mumps nicht beobachtet, dagegen vier Fälle von einseitiger 
Affection. In einem dieser Fälle hat er mit Erfolg den constanten 
Strom angewendet, nach dessen 20 maliger Anwendung sich Hörfunc- 
tion wieder einstellte. Von Pilocarpin hat er keinen Erfolg beobachtet. 
Er sah auch einseitige Acusticusanästhesie bei Erkrankung der Sub- 
maxillardrüse eintreten;, in einem Falle trat nach vier Tagen vollstän- 
dige Taubheit auf, in einem anderen Falle dauerte die Taubheit 
1?/, Jahre und wich dann spontan. 

Gruber hat in Fällen doppelseitiger Affection noch nie einen 
Heilerfolg beobachtet, dagegen bei einseitiger Taubheit zu wiederholten 
Malen auch ohne jedes Hinzuthun. Gewöhnlich wendet er resorbirende 
Mittel an, unter diesen am meisten Jodkali. Von Pilocarpin habe er 
keinen Erfolg gesehen. 

2) Dr. Gomperz stellt einen 7jährigen Patienten vor, bei dem 
sich nach der Radicaloperation eine derb elastische Geschwulst halb- 
cylinderisch in dem Gehörgang von der oberen Gehörgangswand herab 
vorwölbte. Ueber die Deutung der Geschwulst wurde in der Discusion 
keine Einigung erzielt. 


3) Prof. Politzer: Operative Freilegung ‘der Mittelohrräume, 


Entfernung des abgestossenen Trommelfellrahmens und des sequestrirten 
Labyrinthes. 


202 Oesterreichische otologische Gesellschaft. 


4) Dr. D. Kaufmann: Demonstration eines Kranken mit com- 
pleter 'beiderseitiger Taubheit, aufgetreten drei Tage nach einem Fall 
auf das Hinterhaupt. 

Bei dem vorgestellten Patienten war eine Infraction des rechten 
Scheitelbeins mit Hämatocele (Meningocele spuria?) und complete beider- 
seitige Taubheit mit Schwindelerscheinungen aufgetreten. 

5) Doc. Dr. Pollak weist auf die Schwierigkeit hin, in grossen 
Ambulatorien die Catheter gut zu desinficiren und die Uebertragung 
von Infectionskrankheiten zu verhüten. Er hat zur Vermeidung dieser 
Uebelstände von Reiner in Wien einen geeigneten Behälter anfertigen 
lassen, in welchem die Catheter durch eine gelochte, mit fortlaufenden 
Nummern versehene Kautschuckplatte geschoben, für die einzelnen Kranken 
reservirt, in antiseptischen Flüssigkeiten aufbewahrt werden. 

6) Dr. Daniel Kaufmann: Demonstration von Präparaten. 
I. Otitis med. suppur. chron. Pyämische Erscheinungen. Radicalope- 
Tation, Eröffnung eines Extraduralabscesses — 15 Tage später Hirn- 
drucksymptome, Operation eines rechtsseitigen Temporallappenabscesses. 
Thrombophlebitis. Meningitis. 


Sitzung vom 26. Januar 1897. 
‘ Vorsitzender: Prof. Politzer. Schriftführer: Doc. Dr. Pollak. 


1—4) Von den Herren Gruber, Urbantschitsch, Panzer 
und Politzer werden Fälle von Radicaloperation vorgestellt. Urban- 
tschitsch stellt ausserdem eine Patientin vor, bei welcher ein sub- 
duraler Abscess im Wesentlichen durch Jodoformemulsion zur Heilung 
gebracht wurde. Sodann demonstrirt Urbantschitsch einen Fall, 
bei welchem er eine Revolverkugel durch Abmeisselung der hinteren Ge- 
hörgangswand aus der Paukenhöhle entfernt hatte. 

5) Gruber: Fraktur des Schläfebeins durch Sturz auf den Schädel. 
Es handelt sich um eine Längsfraktur des Schläfebeins mit Ausfluss von 
Lig. cerebrospinalis. Tod durch Meningitis purulenta. 

6) Prof. Politzer: Demonstration seltener anatomischer Varie- 
täten im Gehörorgane. 

7) Dr. Ferdinand Alt demonstrirt mehrere Präparate, die er 
gemeinsam mit den beim Caissonbaue in Nussdorf beschäftigten Aerzten 
der Klinik Hofrath von Schrötter’s durch Thierversucbe gewonnen 
hat. Es handelt sich um experimentell erzeugte Blutungen in das 
Mittelohr (Bulla), in die Schnecke und die Bogengänge bei Kaninchen, 
Meerschweinchen und Hunden, welche in einer zu diesem Zwecke ge- 


Oesterreichische otologische Gesellschaft. 203 


bauten pneumatischen Kammer einem Ueberdrucke von vier Atmo- 
sphären ausgesetzt wurden. Eine ausführliche Besprechung der hierbei 
in Betracht kommenden Verhältnisse bleibt einer demnächst erscheinen- 
den Monographie vorbehalten. 


8) Dr. Victor Hammerschlag Jennan einen von ihm an- 
gegebenen Apparat zur Anterigung und Aufbewahrung von sterilisirten 
Wattetampons. 


Sitzung vom 27. April 1897. 
Vorsitzender: Prof. Politzer. Schriftführer: Doc. Dr. Pollak. 


1) Dr. Ferdinand Alt stellt einen 14jährigen Knaben vor, 
der an Meningitis cerebrospinalis epidemica erkrankt war. Die Diagnose 
wurde durch Spinalpunction sichergestellt. Am 12. Krankheitstage 
begann sich bei dem Patienten eine Otitis media zu entwickeln. Im 
Secret konnte der Krankheitserreger der Meningitis cerebrospinalis epi- 
demica nachgewiesen werden. 


2) Prof. A. Politzer: Ueber hanfkorngrosse, symmetrische Exo- 
stosen am inneren Ende des Gehörganges.. Politzer hält dieselben 
für Wachsthumsanomalien. 


3) Dr. D. Kaufmann demonstrirt einen Fall von atypischer 
Radicaloperation des Proc. .mastoid. 


4) Dr. Kaufmann berichtet über einen Fall, in welchem er 
nach der: von Alt empfohlenen Methode bei Sclerose versucht hatte, 
eine Trommelfelllücke offen zu erhalten. Sowohl das Gehör als die 
subjectiven Erscheinungen verschlimmerten sich auffallend. 


In der Discussion. tritt Politzer für Elimination des Begriffs 
Sclerose und Unterscheidung im Adhäsivprocesse und primäre Erkrankung 
der Labyrinthkapsel ohne Erkrankung der Mittelohrschleimhaut ein. 
Letztere ist zu diagnosticiren bei progressiver Schwerhörigkeit, normalem 
Trommeltell und Eustachischer Röhre und überwiegender Knochenleitung. 


5) Prof. Gruber demonstrirt zwei Schläfebeine, an welchen symme- 
trische hochgradig entwickelte Hyperostosen in beiden äusseren Gehör- 
gängen bestehen, In einem dieser Gehörgänge befindet sich eine Stroh- 
spelze, welche im Trommelfell eingekeilt ist und welche seit vielen 
Jahren in dem Ohr gesteckt haben dürfte, 


6) Discussion über den therapeutischen Werth des Wasserstoff- 
hyperoxyds. Eingeleitet von Politzer. 


904 ee Besprechungen. 


Politzer empfiehlt dasselbe a) bei acuten Mittelohreiterungen. 
Nach Ausspülung des Gehörganges mit warmem, sterilisirtem "Wasser 
wird bei seitlich geneigtem Kopfe der nn mit Hydrogenium 
hyperoxydat. gefüllt. 


b) Bei. chronischen Mittelohreiterungen beobachtet man zuweilen 
nach mehrtägiger Anwendung des Wasserstoffhyperoxyds rasche Ver- 
minderung der Absonderung, in einzelnen Fällen gänzliches Versiegen 
der Eiterung. Häufig jedoch übt es keinen wesentlichen Einfluss auf 
den Eiterungsprocess aus. en 


ec) Sehr günstig erweist sich ie Wasserstoffhyperoxyd in jenen 
Formen der desquamativen Mittelohreiterungen, bei welchen Epidermis- 
klümpchen in den dem Spülwasser unzugänglichen Ausbuchtungen der 
Trommelhöhle lagern und die durch die gewonnenen AUSSPLIZUOBER 
nicht entfernt werden können. 


Besprechungen. 


— 


Der otitische Kleinhirnabscess. Von Dr. Paul Koch, 
Oberstabsarzt der Kaiserl. Marine. Berlin, O. Enslin, 
1897. | 


Besprochen von 


0O. Körner in Rostock. 


Im Anschluss an einen eigenen, erfolgreich operirten Fall handelt 
Koch den otitischen Kleinhirnabscess auf Grund von 105 aus der 
Literatur gesammelten Fällen ab. Den allgemein bekannten, in grosser 
Breite dargestellten Dingen werden werthvolle Ergänzungen und Be- 
richtigungen beigefügt. Sehr beachtenswerth erscheint die Auffassung 
des beim Kleinhirnabscesse oft beobachteten Ventrikelhydrops als gleich- 
zeitige Meningitis serosa. 

Der übertriebene Preis von 3 M. für das zwar anständig, aber 
keineswegs glänzend ausgestattete Heft von 92 Seiten in Klein-Octav 
wird wohl. keinen Interessenten vom Kaufe abhalten, muss aber doch 
tadelnd erwähnt werden. 


- Besprechungen. ur 208 


Ueber die funktionelle Prüfung des menschlichen 
 Geehörorganes. Gesammelte Abhandlungen und 
Vorträge von Prof. Dr. Friedrich Bezold in 
München. Wiesbaden 1897. Verlag v.J. F. Bergmann. 


Besprochen von 


Arthur Hartmann. 


Seit circa 16 Jahren hat sich Bezold mit der funktionellen 
Prüfung des gesunden und kranken Hörorganes beschäftigt, Er hat 
während dieser Zeit mit der ihm eigenen Ausdauer und Gründlichkeit 
rastlos gearbeitet bis er die Grundlage für die Hörprüfung, die Methodik 
und die diagnostische Verwerthung derselben festgestellt hat. In der 
vorliegenden Monographie sind die Arbeiten, welche Bezold über die 
Hörprüfung veröffentlicht hat, zusammengestellt. Die Bausteine, -die da 
und dort zerstreut waren, sind nunmehr gesammelt. Auf fester selbst- 
geschaffener Grundlage sind sie zu einem weit emporragendem Baue 
vereinigt und bilden ein lebendiges Denkmal der Schaffenskraft eines 
einzelnen Mannes. Ein Denkmal, das jeder, der sich mit Ohrenheil- 
kunde wissenschaftlich oder practisch beschäftigt, kennen muss. 


Da die einzelnen Arbeiten bereits veröffentlicht sind, verzichten 
wir auf den Inhalt des 240 Seiten umfassenden Buches einzugehen, wir 
beschränken uns darauf dem Verfasser unsern Dank auszusprechen für 
seine mühevollen Arbeiten, aus denen wir Alle Bereicherung unseres 
Wissens und Könnens schöpfen. 


206 XII. Internationaler Congress zu Moskau. 


Programm der Section XIla. Maladies de l’oreille 
des 


XII Congrès international de Médecine 
Moskau, 19.—26. Aoüt 1897. )) 


Prof. G. Gradenigo (Turin): 
„Sur la chirurgie du nez en général, particulièrement en rapport avec le 
traitement des maladies des oreilles.“ 
Dr. Arthur Hartmann (Berlin): 
„Die Mittelohrentzündung der Säuglinge.“ 
Dr. Ricardo Botey (Barcelone): 
„Traitement des suppurations attico-mastoidiennes et des affections intra- 
cräniennes subsequentes.“ 
Dr. E. J. Moure (Bordeaux): 
„Traitement chirurgical de lotite scléreuse et sa valeur thérapeutique.“ 
„Les adénoïdites aigues chez les adultes.“ 
Prof. F. Vasquez Gomez (Mexico): 
„Les adénoïdites aigues chez les adultes.“ 
Prof. G. Gradenigo (Turin); 
„Etude et traitement des complications intracrâniennes de l'inflammation 
purulente de l'oreille.“ 
Prof. V. Cozzolino (Naples): 
„La chirurgie du canal de Fallope de l'hiatus au trou stylo-mastoïdien.“ 
„La mastoidotomie antero-laterale; methode de Cozzolino.“ 
„Présentation d'un atlas de 10 planches sur l'anatomie normale de l'appareil 
auditif et des cavites naso-pharyngiennes.“ 
„Presentation d’un atlas de 20 planches sur l’anatomie pathologique de 
l'oreille moyenne.“ 
Prof. A. Politzer (Vienne): 
„Contribution à l'anatomie normale et pathologique de l'organe auditif 
avec démonstration de préparations.“ 
„De l'état actuel de nos connaissances touchant la rarefaction d'air dans 
le conduit auditif externe et le „massage“ des osselets.“ 
Dr. Ephraim Cutter (New-York): 
„On a new Eustachian right and left Catheter.“ 
Dr. Ricardo Botey (Barcelone): 
„La ponction de la fenêtre ronde dans les vertiges, les bourdonnements 
et quelques affections du labyrinthe.“ 
Dr. Ludewig (Hamburg): 
„Ueber isolirte Thrombose des Bulbus venae jugularis bei Otitis media.“ 


1) Um Mitglied des Congresses zu werden, sind 20 Mark unter Beifügung 
einer Visitenkarte an Herrn Prof. N. Filatow in Moskau einzusenden. Anfragen 
sind an Herrn Prof. Posener, Anhaltstrasse 7, zu richten. — Von der russischen 
Regierung wird den Mitgliedern freie Bahnfahrt I. Kl. von der Grenze nach 
Moskau und von da zurück nach einem Grenzort gewährt. 


Einladung zur Jubelfeier von Professor Josef Gruber. 207 


Dr. Haug (München): 
„Beiträge zur Casuistik und Histologie der Neubildungen des äusseren 
Ohres (mit Demonstration von Präparaten).“ 
Dr. E. M&niere (Paris): K 
„De l'emploi des bougies en gomme dans les affections de la trompe 
et de la caisse tympanique.“ ` 
Dr. L. Vacher (Orléans): 
„Sur l'auto-infection en otologie.“ 
Dr. Jansen (Berlin): 
Thema vorbehalten. 
Prof. Josef Gruber (Wien): 
Thema vorbehalten. 
Dr. C. M. Schmidt (Odessa): 
„Casuistische Beiträge zur otitischen Pyämie.* 
„Ueber Otitis externa primaria vom klinischen Standpunkte aus betrachtet.“ 
Dr. Jirmunsky (Petersburg): 
„Ueber Schwindelanfälle, welche im Verlauf von gleichzeitigen Erkrankungen 
des Mittelohres und des Labvrinths entstehen und ihre Behandlung.“ 


Ein aus hervorragenden Fachgenossen gebildetes Comit& versendet 
folgenden Aufruf: 

Geehrter Herr Collega! 

Am 3. August d. J. vollendet Herr Professor Josef Gruber sein 
70. Lebensjahr. Aus diesem Anlasse beabsichtigen seine Freunde, Schüler 
und Verehrer dem um die Entwicklung der Ohrenheilkunde hochver- 
dienten Manne ihre Sympathie und Verehrung kund zu geben. 

Das gefertigte Comité hat deshalb beschlossen, zum Andenken an 
die am 16. October 1897 zu veranstaltende Jubelfeier eine Bronce- 
plaquette mit dem Reliefbildnisse des Jubilars anfertigen zu lassen, 
welche an die Schüler und Verehrer des Gefeierten als bleibendes An- 
denken vertheilt werden soll. 

Das gefertigte Comité erlaubt sich daher, Sie geehrter Herr Collega 
zur Theilnahme an der geplanten Feier einzuladen. 

In der Erwartung einer baldigen Beantwortung zeichnen wir 

mit vorzüglicher Hochachtung 
Das internationale Comité. 
Wien, im Mai 1897. 

Zuschriften und Sendungen erbitten wir an Herrn Assistenten 
Dr. Ferdinand Alt, Wien, IX., Alserstrasse 4. Der Betrag für 
Theilnehmer an der Feier wurde mit 6 fl. = 12 fres. = 10 Mark 
== 10 Schilling festgesetzt. Nach der Feier wird die Portrait-Plaquette 
den Theilnehmern zugestellt. 


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Im Verlage von J. F. Bergmann in Wiesbaden ist soeben 
erschienen : À 


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Gehörorgan in der neuen anatomischen 
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Unter Mitwirkung von Fachgenossen und unter der Redaktion von Prof. 
Dr. E. Bumm in Basel und Prof. Dr. J. Veit in Leiden. Herausgegeben 

«< von Prof. Dr. Frommel in Erlangen. Jährlich ein Band. (Bis jetzt er- 
schienen 9 Bände.) 








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Dr. O. Hildebrand in Berlin. 1. Band. Ueber das Jahr 1895. 


Ergebnisse der allgemeinen Pathologie und pathologischen Anatomie. 
Unter Mitwirkung von Fachgenossen herausgegeb. von Prof. Dr. O. Lubarsch 
in Rostock u. Prof. Dr. R. Ostertag in Berlin. Jährlich erscheint eiu Band. 


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W. Kümmel: Weitere Beiträge zur Pathologie etc. 209 
VI. 


Weitere Beiträge zur Pathologie der intracraniellen 
Complicationen von Ohrerkrankungen. 
Von Dr. W. Kümmel, 


Privatdocent an der Universität Breslau. 
(Fortsetzung aus Band XXVIII, S. 265, dieser Zeitschrift.) 
Mit einer Abbildung im Texte. 


Länger als mir lieb war, habe ich, gezwungen durch vielfache 
litterarische Verpflichtungen und manche neue Aufgabe, die Veröffent- 
lichung der von mir beobachteten Fälle, die sich den früher bereits 
mitgetheilten anreihen, herausschieben müssen. Ich möchte das Ver- 
säumte jetzt nachholen und zunächst über zwei Fälle von Gehirnabscess 
berichten, die richtig, wenn auch nicht ganz sicher, diagnosticirt, ge- 
funden und entleert wurden, in denen aber die Operation zu spät kam, 
um das tödtliche Ende zu verhüten. Daran schliesst sich ein weiterer, 
in dem ich die schwere intracranielle Complication übersehen habe. 


III. Alte Mittelohreiterung, Nekroseund Durchbruch 
des Tegmen tympani, Abscess des Schläfenlappens. 
Entleerung durch Eröffnung von der Schädelbasis her. 

Tod an Meningitis. 


L., Reinhold, 30j. Landwirth, hat, solange er sich erinnern kann, 
aus dem rechten Ohre eitrigen Ausfluss gehabt und schlecht mit ihm 
gehört. Von Zeit zu Zeit der Ausfluss stärker, übelriechend, dann 
heftige Kopfschmerzen, keine Schwindelerscheinuugen In den Zwischen- 
pausen keinerlei ernste Beschwerden. Nach einer langen solchen Pause 
vor 8 Tagen Zunahme des Ausflusses, heftige Kopfschmerzen, aber an- 
geblich kein Fieber. Erst als die Kopfschmerzen sehr zunahmen, ent- 
schloss sich Patient, die Klinik aufzusuchen. Der behandelnde Arzt 
schrieb, dass er dem Patienten seit einem Monat zugeredet habe, sich 
in die Klinik aufnehmen zu lassen, dass Patient seit einigen Tagen un- 
regelmässiges Fieber (bis 39,8°) gehabt habe, und in der letzten Zeit 
mehrfach Erbrechen, später Verstopfung und schliesslich Durchfälle ein- 
getreten seien. 

Der Patient kam Abends am 1. Aug. mit einer Temp. von 38,6 ° 
und 74 Pulsschlägen in die Klinik; er ist auffallend erregt, klagt über 
rasende Kopfschmerzen, verlangt beständig chloroformirt zu werden. 
Gang äusserst mühsam, zögernd, mit schlotternden Knieen. Pat. tritt 
mit den ganzen Fusssohlen auf; beim Hinsetzen streckt er die Hände 
rückwärts nach dem Stuhl vor, setzt sich äusserst behutsam. Keine 
Neigung, nach einer bestimmten Richtung zu fallen, aber leichtes 

Zeitschrift für Ohrenbeilkunde, Bd. XXXI. 14 


210 W. Kümmel: Weitere Beiträge zur Pathologie 


Schwanken im Gehen, das bei Augenschluss nicht wesentlich stärker wird. 
Mässiger Tremor der Hände, sonst keine Innervationsstörung, speciell 
nicht am Facialis oder an den Augenmuskeln; auch keine Abnormität. 
am Augenhintergrunde. 


Im linken Ohr nichts Besonderes. Im rechten Gehörgang äusserst. 
stinkender Eiter, nach dessen Entfernung in der Tiefe eine von vorn 
oben, offenbar aus dem Recess. epitymp., herabhängende, den Gang 
völlig ausfüllende graulichrothe polypöse Granulationsgeschwulst sichtbar. 
Vom Trommelfell nichts zu sehen. Entfernung der Granulation ver- 
sucht, gelingt aber nicht wegen der hochgradigen Unruhe des Patienten, 
und wird bis zur Vornahme der Operation verschoben. 


Die Annahme eines intracranialen Entzündungsprocesses lag nach 
der Anamnese (Kopfschmerzen, Erbrechen, unregelmässiges Fieber) und 
dem Vorhandensein sehr heftiger Kopfschmerzen, auffallender psychischer 
Erregung und eigenthümlicher Gehstörungen sehr nahe. Eine Sinus- 
thrombose erschien wenig wahrscheinlich, schon deshalb, weil trotz des 
langen Bestandes der Krankheit keine Spur metastatischer Erkrankungen 
sich finden liess. Ausserdem war keins der äusserlich wahrnehmbaren 
Zeichen dieser Erkrankung da, und ebensowenig war nach dem Berichte 
des Arztes ein typisches pyämisches Fieber zu constatiren gewesen. 
Es standen dann zur Differentialdiagnose: eine Meningitis, ein extra- 
duraler Abscess und ein Abscess im Gross- oder Kleinhirn. Gegen die 
Meningitis sprach Fehlen jeglicher Nackensteifigkeit, einer Störung an 
den Augeninuskeln oder am Facialis: gegen Kleinhirnabscess das Fehlen 
ausgesprochener Gleichgewichtsstörungen. Ein extraduraler Abscess, 
mit zeitweise erfolgender Entleerung durch die Paukenhöhle hätte mit 
der Anamnese (unter heftigen Kopfschmerzen zunehmende Eiterentleerung) 
wohl am besten gestimmt, auch das wenig charakteristische Gesammtbild der 
cerebralen Störungen sprach dafür. Der Sitz eines solchen Abscesses 
war über dem Tegmen tympani zu erwarten: der Warzenfortsatz erwies. 
sich kaum schmerzhaft, dagegen Klopfen und Druck auf die Schläfen- 
schuppe äusserst empfindlich; das sprach gegen Erkrankung der Warzen- 
fortsatzzellen und für eine des Recess. epitympanic., im letzteren Sinne: 
auch noch der Ursprungsort des Granulationspolypen bei völligem Fehlen 
des Trommelfelles. 


Die Diagnose war danach höchst unsicher, um so mehr, als die 
Temp. am folgenden Morgen 38° nicht überstieg. Da aber der Puls 
dabei auf 70 stehen blieb, so musste doch jedenfalls ein raumbe- 
schränktes Moment im Schädelinnern angenommen werden, und auf 
Grund der obigen Ucberlegungen wurde beschlossen, zunächst vom 


der intracraniellen Complicationen von Ohrerkrankungen. 911 


Warzenfortsatz aus den Boden der mittleren Schädelgrube frei zu legen 
und, wenn kein extraduraler Abscess dort zu finden sein würde, nach 
einem Herde im Schläfenlappen zu fahnden; erst wenn auch das ver- 
geblich sein sollte, den Sin. sigmoideus und die Kleinhirngrube weiter 
freizulegen. 


Die Operation wurde nach diesem Plane am 2. Aug. im Anschluss 
an die klinische Stunde von Herrn Geheimrath Mikulicz ausgeführt. 
Bogenschnitt über und hinter der Ohrmuschel, Aufmeisselung der Zellen 
des Warzenfortsatzes, die frei von Eiter sind, bis hinten der deutlich 
pulsirende Sin. transversus etwa 1 cm breit frei liegt. Abtragung des 
unteren Schuppentheils und des lateralen Theils der Pyramide, so dass 
die Basis der mittleren Schädelgrube etwa 2 qcm weit frei liegt. Keine 
Pulsation an der Dura, keine extradurale Eiteransammlung. Probe- 
punction durch die intakte Dura senkrecht nach oben ergiebt in ge- 
ringer Tiefe reichlich stinkenden Eiter. Die Dura darauf in sagittaler 
Richtung gespalten, nach Zurückziehen ihrer Wundränder Einstich mit 
dem Scalpell in der Richtung der Probepunction. Reichlich stinkender 
Eiter entleert; eine Kornzange dringt durch die Oeffnung etwa 4 cm 
tief in’s Gehirn ein, mit ihr wird ein starkes Drainrohr eingeführt, aus 
dem immer noch Eiter nachquillt.e. — Verband. 

Abends 38,6°, 72 Pulse, leidliches Befinden. Verband _ eiter- 
durchtränkt. 

3. Aug. Mittags heftiger Fieberanfall (40°) unter linksseitiger 
Parese des Facialis und der Extremitäten, leichte Benommenheit. Abends 
nur 38°. Pat. ist viel munterer. 

Bis 5. Aug. das Befinden viel besser, Patient nimmt flüssige Nahrung, 
ist munter, zeigt keine cerebralen Störungen; aber am 5. Aug. Abends 
steigt die bis dahin niedrigere Temperatur auf 38,2"; Puls um 64 
herum. 

6. Aug. Pat. wieder benommen, Temp. steigt allmählich auf 38,7, 
bei Sinken der Pulsfrequenz auf 58. Ernährung per Schlundsonde. 
Abends wird noch versucht, ob eine Erkrankung des Sinus oder des 
Kleinhirns durch weitere Freilegung dieser Theile (mit Lüer’scher 
Zange) gefunden werden kann, doch erweist sich der Sinus frei, Probe- 
punctionen in die Kleinhirnsubstanz hinein erfolglos. Es musste dem- 
nach eine Meningitis angenommen werden. 

7. Aug. Abends Exitus; unter Steigerung der Temp. auf 40° 
und rascher Zunahme der Pulsfrequenz (166) hatte im Laufe des 
Tages die Benommenheit dauernd sich vermehrt; die Herzkraft sank 
sehr rasch. 


Klinische Autopsie am 8. Aug. (Herr Geheimrath Ponfick). 
Die Haut der kräftigen, aber stark abgemagerten Leiche 
graugelb gefärbt. — Lungen stark gebläht, beiderseits unten blutreich, 
verdichtet, schlecht lufthaltig. Milz leicht vergrössert, Pulpa dunkel- 
blauroth. — 4 cm im Durchmesser haltende rundliche Wunde hinter und 


14* 


212 W. Kümmel: Weitere Beiträge zur Pathologie 


über der rechten Ohrmuschel, in deren Grunde Hirnmasse vorgefallen 
ist. DBreites, sehr dünnes Schädeldach; Pacchionische Granulationen 
rechts viel reichlicher als links. Dura stark gespannt, Gyri der rechten 
Hemisphäre stark abgeplattet, Sulci verstrichen, Pia an der Convexität 
ganz trocken. Ausgedehnte hämorrhagische Infiltration in einem grossen 
Bezirk der Pia des Stirn- und Schläfenlappens, die Fossa Sylvii über- 
kleidend und auf den Boden der mittleren Schädelgrube reichend. Der 
äusseren Wunde entsprechend ein ca. 2 cm grosses rundliches Loch in 
der Dura, aussen auf ihr, entsprechend dem Verlauf des Sin. transv. 
eine hämorrhagische Auflagerung, auch über der medianen und vorderen 
Fläche der Pyramide, sowie deren hinterer Böschung. Sin. transv. von 
aussen durch eine freie Oeffnung zugänglich. Am unteren medialen 
Rand der Wunde die Dura graugrün gefärbt, trägt hier eine warzen- 
artige Auflagerung auf ihrer Aussenfläche, von schwarzrother Farbe, die 
genau in eine stecknadelkopfgrosse Oeffnung am Tegmen tymp. hinein 
passt. Diese liegt in einer fast 1!/, cm im Durchmesser haltenden 
grünlich verfärbten Knochenpartie, die eigenthümlich matt und trocken 
aussieht. — Sin. transv. in ganzer Länge wegsam, frei von Ge- 
rinnseln. 


Das Gehirn wird durch 3 Frontalschnitte zerlegt. Der Abscess 
im Schläfenlappen nicht mehr deutlich, an seiner Stelle ein annähernd 
retortenförmiger Spaltraum, der mit dem grössten Theil seines langen 
Halses in den prolabirten Hirntheil vorgerückt ist; rings umsäumt von 
einer 2—4 cm breiten Zone stark serös durchtränkten, halberweichten 
(rewebes. Das Marklager hier z. Th. blendend weiss, sehr feucht, hier 
und da fast gallertartig, z. Th. von Chamoisfarbe. Die benachbarten 
Theile der Insel in geringerem Maasse ähnlich geschwollen, Claustrum 
ganz verwischt, innere Kapsel serös durchtränkt, Linsenkern desgleichen, 
ist fast um das Doppelte verbreitert. — Beide Seitenventrikel stark 
dilatirt, mit frischem, fest geronnenem Blute prall gefüllt, ebenso II. 
und IV. Ventrikel... Vom lateralen Theil des rechten Hinterhorns geht 
nach oben und vorn ein bleistiftdicker Kanal, welcher in den im 
Schläfenlappen liegenden Hohlraum führt: seine Wand rissig, das Lumen 
mit frischen Gerinnseln erfüllt, das anstossende Gewebe halb erweicht. 


Pia an der Basis diffus getrübt, um das Chiasma und den Hypo- 
physisstiel herum mit gelbgrünen, theils eitrigen, theils gallertartigen 
Massen erfüllt. Die Infiltration setzt sich mit etwas mehr grauröth- 
licher Farbe auf die Brücke fort, weiterhin auch in der Mittellinie des 
Kleinhirns eine eitrig infiltrirte Partie. Zugleich entleert sich aus dem 
Meningealraum ziemlich viel dünne, wässerige Flüssigkeit. 


Das Felsenbein wurde mir von Herrn Geheimrath Ponfick 
freundlichst überlassen: auf einem Schnitt, dicht vor dem Hammerkopf 
durch die Achse des äussern Gehörgangs gelegt, sieht man die Pauken- 
höhle mit dicklichem, äusserst stinkendem Eiter erfüllt. Nach dessen 
Ausspülung kommt ein, wie ein Glockenschlägel von oben herabhängender 
grauschwarzer Polyp zum Vorschein. Dieser erfüllt vollständig die sehr 


der intracraniellen Complicationen von Öhrerkrankungen. 213 


grosse Lücke des zerstörten Trommelfells, die Paukenhöhle nach aussen 
dicht verschliessend; er geht aus vom unteren Ende des erhaltenen 
Hammerrestes, der dicht unter dem kurzen Fortsatz endet. Nahe 
seinem Stiel ein kleinerer knopfförmiger Polyp. Unmittelbar über 
diesem Stiel geht von der medialen Paukenwand die Sehne des Tensor 
tymp. an den Hammerrest. Während die eigentliche Paukenhöhle 
(nach Beseitigung des Eiters) ganz leer erscheint, erweist sich der Rec. 
epitymp. völlig ausgefüllt mit Granulationsmassen, die den Hammerkopf 
und Amboskörper fest einbetten und bis zum Tegmen hinaufreichen. 
Fast das ganze Tegmen ist nekrotisch, es bildet einen zu einem grossen 
Theil bereits demarkirten, annähernd trapezförmigen Sequester, der bis 
zur oberen Felsenbeinkante nach hinten reicht. Die Demarkationszone 
etwas zackig, stellenweise bereits eine deutliche Spalte darstellend: an 
der vorderen medialen Seite des Trapezes in dieser Demarkationslinie 
2 Lücken vollständig durchgebrochen. Die grössere, von etwa 1!/, mm 
Durchmesser, entspricht der oben erwähnten warzenartigen Auflagerung 
von Granulationsgewebe auf der Dura. In den Bogengängen und der 
Schnecke kein abnormer Inhalt zu sehen. 


Wir haben ein typisches Beispiel von Durchbruch der Öhreiterung 
durchs Tegmen tymp., nach Nekrose desselben, vor uns: ein ganz kleiner 
extraduraler Abscess war der Vermittler gewesen, wurde übrigens wegen 
seiner Lage weit medialwärts und seiner Kleinheit bei der Operation 
nicht bemerkt. Der weitere Weg des Entzündungsprocesses durch die 
Dura nach dem Hirnmark konnte nicht verfolgt werden, da der durch 
die Operation bewirkte Hirnprolaps die Verhältnisse zu sehr ver- 
wischt hatte. 


Die Operation kam, obwohl sie den Eiter fand und entleerte, zu 
spät: die Meningitis dürfte bereits früher dagewesen sein. Freilich 
lässt sich diese letztere Ansicht nicht ganz beweisen. 5 Tage 
wären eventuell Zeit genug gewesen, um eine so weit ausgebreitete 
Meningitis entstehen zu lassen, und man könnte dann sehr wohl daran 
denken, dass die heftigen Erschütterungen bei der ziemlich ausge- 
dehnten Meisseloperation von der gangränösen, bei der Operation er- 
halten gebliebenen, Dura aus Eitererreger im Meningealraum ausgestreut 
hätten. Es lässt sich deshalb immerhin nicht stricte ableugnen, dass 
das Belassen der gangränösen, wenn auch von aussen her ziemlich frei- 
gelegten Dura, bezw. der entsprechenden Arachnoideatheile Schaden für 
den Pat. gebracht hätte. In diesem Falle darf man, einer von Herrn 
Geheimrath Ponfick geäusserten Meinung folgend, wohl annehmen, 
dass die Infectionserreger von der erkrankten Arachnoidea aus, der 
Schwere folgend, nach hinten und medialwärts in die hintere Schädel- 


214 W. Kümmel: Weitere Beiträge zur Pathologie 


grube vordrangen, und dass sich auf diese Weise die vorwiegende Aus- 
breitung der Meningitis nach hinten zu erklärte. Eine andere Möglich- 
keit, wie die Meningitis entstanden sein könnte, wäre die, dass der 
Ahscess, wie bei der Autopsie sich zeigte, mit dem Seitenventrikel 
(Unterhorn) in Verbindung getreten wäre, die Entleerung des Eiters 
aber das Auftreten schwerer Symptome verhütet hätte, dass trotzdem 
aber schliesslich won dem infiecirten Ventrikelependym aus die Infection 
der Meningen erfolgt wäre. Und schliesslich muss man auch daran 
denken, ob nicht die entzündliche Erweichung in der Umgebung des 
Hirnprolapses secundär zur Infection der Meningen geführt hat: dafür 
spräche vielleicht der späte Beginn meningitischer Symptome nach an- 
fänglichem relativem Wohlbefinden. 


IV. Geheilte Mittelohreiterung, wahrscheinlichreci- 
divirender Natur. Infection einiger Warzenfortsatz- 
zellen, Fortleitung durch den Hiatus subarcuatus an die 
Schädelbasis. Grosser extraduraler und Schläfenlappen- 
abscess. Eröffnung und Entleerung beider. Tod an 

Pneumonie nach 5 Tagen. 


Der Reisende D., Oswald, 36 Jahre alt, wird in ziemlich be- 
nommenem und offenbar schwer erkranktem Zustande spät Abends am 
2. November in die chirurgische Klinik gebracht. Die Frau kann über 
die Anamnese wenig berichten; schon wiederholt hatte der Patient 
linksseitige Mittelohreiterung gehabt, ist aber nie recht ordentlich be- 
handelt worden, obwohl wiederholt eine »Operation am Trommelfell« 
gemacht wurde. Die Eiterung ist jedenfalls verschiedene Male geheilt 
gewesen und wieder ausgebrochen. Pat. hat dabei ganz gut gehört, 
ob speciell mit dem linken Ohr, lässt sich nicht feststellen. — Vor 
3 Wochen bekam er in Folge einer Erkältung auf der Reise lebhafte 
Kopfschmerzen, Fieber und es entstand hinter dem linken Ohre eine 
schmerzhafte Anschwellung, die allmählich zunahm. Ausfluss aus dem 
Ohr ist dabei nicht wieder aufgetreten. Trotz dringender Mahnung 
von Seiten des erst vor wenigen Tagen zu Rathe gezogenen Arztes 
entschloss Pat. sich erst heute, als die Schmerzen unerträglich wurden, 
und er kaum noch aufstehen und gehen konnte, sich aufnehmen zu 
lassen. Ueber besondere Störungen im Gange des Pat., oder über etwa 
vorhanden gewesene Schwindelanfälle, weiss die Frau nichts anzugeben; 
seit gestern ist ihm jedenfalls das Gehen nur mit Unterstützung mög- 
lich. — Pat. leidet übrigens seit 13 Jahren an einer Knochenerkrankung 
des linken Unterschenkels, die trotz mehrfacher Operation und sonstiger 
Behandlung nicht ganz ausheilte. 

Der offenbar schwerkranke und hoch fiebernde Pat. stützt sich beim 
Eintritt ins Zimmer schwer auf den Begleiter, geht äusserst mühsam, 


der intracraniellen Complicationen von Ohrerkrankungen. 915 


vornübergebeugt und mit schleppenden Füssen. Allein kann er über- 

haupt nicht stehen, sondern knickt in den Knieen ein. Neigung, nach 
einer bestimmten Seite zu fallen, besteht anscheinend nicht, auch kein 
deutliches Schwindelgefühl in bestimmtem Sinne. An den inneren Or- 
ganen nichts Abnormes. An der Innenseite der linken Tibia im oberen 
Theile eine mit dem Knochen verwachsene Narbe, in der Gegend des 
Malleolus int. eine nach dem Sprunggelenk hin führende Fistel; letzteres 
Gelenk stark verdickt, ankylotisch. 


Haut hinter dem linken Ohre geröthet, stark geschwollen, heiss, 
fühlt sich sehr derb an, Fluctuation nicht nachweisbar. Die Schwellung 
reicht nach oben noch beträchtlich über die Muschel hinaus, nach unten 
noch in die seitliche Halsgegend und hinten beträchtlich über die 
Grenzen des Warzenfortsatzes hinaus. Gehörgangswände erheblich ge- 
schwollen: in der Tiefe ein stark geröthetes, nicht deutlich vorge- 
buchtetes Trommelfell, keine Exsudatlinie o. dergl. zu erkennen. Eine 
Paracentese etwa in der Mitte des unteren Umfanges ergiebt keinerlei 
Flüssigkeit. Puls 96, ohne Besonderheiten, Temp. 39,5 °. 


Da offenbar Gefahr im Verzug war, und es obendrein die grösste 
Mühe kostete, vom Pat., bezw. von seiner Frau, die Zustimmung zu 
einer Operation zu erhalten, so wurde leider die Untersuchung des 
Augenhintergrundes und eine genaue Hörprüfung verabsäumt. Erstere, 
bald nach der Operation nachgeholt, ergab nichts Besonderes. — Am 
Facialis und an der Augenmuskulatur war eine Störung nicht nach- 
weisbar. Keine Spur von Nackenstarre. 


Bei der offenbaren Schwere der Erkrankung, speciell wegen der 
erheblichen Benommenheit des Pat., lag es nahe, neben der bestehenden 
Eiterung im Wearzenfortsatz, nebst Durchbruch nach aussen, noch eine 
intracranielle Complication anzunehmen, ohne dass aber für deren 
Natur auch nur der geringste Anhaltspunkt sich hätte finden lassen. 
Eine Meningitis war bei Fehlen jeder Nackensteifigkeit und Pulsver- 
langsamung wenig wahrscheinlich, auch für eine Sinusthrombose sprach 
nichts Rechtes. Sonst war alles möglich; die Operation schaffte darüber 
bald Klarheit. 

Sie wurde alsbald von meinem Freunde, Privatdocent Dr. Tietze, 
damals noch Assistent der Klinik, ausgeführt. 8 cm langer Bogen- 
schnitt hinter der Muschel, bei dem sich bereits Eiter entleert. Nach 
Zurückschaben des Periosts quillt aus 3 Oeffnungen durch den Knochen 
Eiter reichlich vor: eine entspricht dem Emissar. mastoid., die zweite 
liegt weiter vorn auf der Basis des Warzenfortsatzes, die dritte etwas 
höher, über der Linea temporalis. Beim Meisseln spritzt der Eiter aus 
diesen Ocffnungen und den Durchschlagsstellen hervor. Nach einem 
quer nach hinten gerichteten Secundärschnitt werden die Zellen des 
Wauzenfortsatzes, die bis zam Antrum hin mit Eiter gefüllt sind, ferner 
auch die hintere Schädelgrube bis hinter den Sin. transversus und von 
der mittleren Schädelgrube eine ca. 5—6 cm im Durchmesser haltende 
Partie vom Boden und der Seitenfläche mit Meissel und Knochenzange 


216 .W. Kümmel: Weitere Beiträge zur Pathologie 


eröffnet; bis zu dieser Ausdehnung reichte die extradurale Eiter- 
ansammlung. Eine Verbindung nach den Räumen des Warzenfortsatzes 
hin liess sich aber nicht auffinden. Die freiliegende Dura des Schläfen- 
lappens machte deutliche pulsatorische Bewegungen, die des Kleinhirns 
keine Spur davon, beide waren stark gespannt, besonders die des 
Kleinhirns. Mehrere Probepunktionen durch die sorgfältig gereinigte 
Dura ins Kleinhirn hinein ergaben keinen Eiter. Da aber die starke 
Spannung die Anwesenheit eines Raum beschränkenden Herdes inner- 
halb der Dura bestimmt annehmen liess, und dann offenbar, bei der 
geringen Wahrscheinlichkeit einer Meningitis, im Bereich der 3. oder 
4. Schläfenwindung der Raum beschränkende Abscess zu suchen war, 
so wurde hier eine Probepunction vorgenommen, welche in der Tiefe 
von etwa 4—5 cm Eiter ergab. Ausgiebige verticale Incision der Dura, 
und entlang der stecken gelassenen Nadel ins Gehirn. Dabei entleeren 
sich reichlich 2 Esslöffel dicken, etwas übelriechenden Eiters. Starke 
Blutung der Piavenen; Umstechung gelingt nicht, deshalb wird um das 
4 cm ins Gehirn hinein geschobene Drainrohr mit Jodoformgaze tam- 
ponirt und der Verband angelegt. 

3. Nov. Pat. hat auch die letzte Nacht wegen Kopfschmerzen 
nicht geschlafen, ist aber klarer; doch nimmt die Besinnlichkeit vom 
Mittag an continuirlich ab. Beim Verbandwechsel Abends erweist das 
Drainrohr sich als verstopft, Erneuerung desselben bewirkt aber weder 
eine weitere Eiterentleerung, noch Besserung des Zustandes. Temp. 
Morgens 39,5°; Abends 39,2°; Puls 96, 112. 


4. Nov. Pat. war in der Nacht äusserst unruhig, hat geschrieen 
und gesungen, starkes Aufstossen Morgens. Keinerlei Herdsymptome. 
Den ganzen Tag über vollständige Benommenheit, Abends zweimal Er- 
brechen. Beim Verbandwechsel Abends mehrere Probepunctionen in's 
Gross- und Kleinhirn ohne Resultat. Aus der Abscessöffnung entleeren 
sich nur Bröckel zertrümmerter Hirnmasse. 

5. Nov. Verband durchnässt. Pat. noch bewausstlos, urinirt und 
schluckt aber auf Zureden allein. Abends geschieht das nicht mehr, 
und Pat. wird mit der Sonde gefüttert und katheterisirt. Temp. 37,4 °; 
37,80. Puls 76, 92. In der Nacht tritt völliges Coma ein. 


6. Nov. Reichliche Schweisse, Zunahme der Temperatur, der Puls- 
und Athemfrequenz, beständiges Aufstossen. Coma nimnt mehr und 
mehr zu; Cornealreflexe verschwinden. Temp. 37,5%; 38,3%; 39,5 °; 
Puls 120; 126; 156; Resp. 26; 32; 54. Künstliche Ernährung fort- 
gesetzt. 

7. Nov. Morgens tritt die Agonie unter Temp. von 40,7 ° bei 
156 Pulsen und 64 Respirationen ein. Ueber den unteren hinteren 
Lungenpartieen ist heute, wie auch gestern bereits, ziemlich ausge- 
breitetes Knisterrasseln zu hören, keine deutliche Dämpfung. Mittags. 
Exitus let. 


Autopsie (Herr Prof. Kaufmann). Auffallende Verdickung 
am linken Unterschenkel, beim Durchsägen der Tibia zeigt sich eine 


der intracraniellen Complicationen von Ohrerkrankungen. 917 


alte Osteomyelitis mit Cloakenbildung, ohne Sequester. — Herz- 
muskulatur graubraun, deutliche fettige Degeneration in dem brüchigen 
Muskel. Mitralis hier und da am Schliessungsrand glasig, gelblich 
verdickt. — Im linken Ober- und Unterlappen und im rechten Unter- 
lappen . der Lunge sind zahlreiche graurothe, auf dem Schnitt deutlich 
prominente körnig aussehende Herde, dazwischen liegende Theile luftleer. — 
Sonst an den inneren Organen nichts Besonderes. — Hinter dem linken 
Ohr durch Zurückschlagen der Haut ein über handtellergrosser Defect 
freigelegt, in dessen Grunde der Schädel durch eine vorn eliptische 
(grösserer Durchmesser vertical gestellt), hinten mit zwei starken Aus- 
buchtungen versehene Oeffnung durchbrochen. Aus der Oeffnung drängt 
sich eine, z. Th. blutig, z. Th. eitrig aussehende Masse hervor. — 
Dura ziemlich stark gespannt, im Sin. long. ein Blutcoagulum. Die 
Unterfläche des Gehirns im Bereich des Pons, der Pedd. cer. und 
Med. oblong. mit Cruormassen, die in Pia und Arachnoidea liegen, be- 
deckt. Im hinteren unteren Theil des Schäfenlappens findet sich in der 





Emin. b 
arcuata 


Fig. 1. 


Tiefe des oberen Theils der Knochenwunde das Drainrohr. Ihm folgend 
gelangt man in eine schmutzig gelbrothe, weiche Masse, die nach hinten 
vom Hinterhorn gelegen ist, auf dem schrägen Sagittalschnitt annähernd 
keilförmig, mit der Spitze nach dem Hinterhorn gerichtet, erscheint. 
Das letztere ist erweitert, die subependymären Schichten vielfach von 
Blutpunkten mit erweichter Umgebung durchsetzt: übrigens ist das ge- 
röthete Ependym auf dem erwähnten Durchschnitt überall scharf ab- 
gesetzt von den weichen graurothen Massen des erwähnten Herdes. 
Das innere Ende des Drainrohrs scheint bereits in den Hohlraum des 
Ventrikels eingedrungen gewesen zu sein. 

Die Untersuchung des von Herrn Geheimrath Ponfick mir freundlichst 
überlassenen Felsenbeines (vergl. Fig. 1) ergab Folgendes: In der Gegend 
des Tegmen tymp. finden sich im Knochen mehrere stark durchscheinende 
Partieen (a), welche nach Abziehen der Dura sich als Knochenlücken, 
nur durch eine dünne Membran überbrückt, erweisen. Im Porus acust. 
int. keine besondere Eiteransammlung, dagegen zeigt sich an der oberen 


218 W. Kümmel: Weitere Beiträge zur Pathologie 


Pyramidenkahte dicht hinter und medialwärts von der Emin. arcuata 
eine ca. linsengrosse, gelblichweiss verfärbte Partie des Knochens (b) 
siebartig von ganz feinen Kanälchen durchbrochen. Diese sind von 
einer offenbar eiterartigen Masse erfüllt. Da ich das Felsenbein erst 
nach dem Abziehen der Dura, und nachdem ein Sägeschnitt durch die 
Längsachse der Pyramide gelegt war, überliefert bekam, so kann ıch 
leider über den Zustend der Dura an dieser Stelle nichts weiter mit- 
theilen: jedenfalls findet sich im Protokoll des patholog. Institutes keine 
Bemerkung über einen auffallenden Befund an dieser Stelle. — In 
einigen von den Cellulae mastoideae noch etwas eitriger Inhalt, das 
eigentliche Antrum ganz frei, das Trommelfell vollständig heil, in der 
Paukenhöhle keine Spur von abnormen Inhalt. Dagegen 
zeigen sich die Bogengänge, der Labyrinthvorhof und die Schnecke 
angefüllt von etwas transparenten, sulzigen, aber ziemlich derben 
Massen. | 

Die oben erwähnte, siebartig aussehende Knochenpartie grenzt 
ziemlich dicht an eine zwischen den oberen und lateralen Bogengang 
sich eindrängende Ausbuchtung des Antrum mastoideum; das hier an- 
stossende Knochengewebe ist, selbst nach Spiritushärtung noch, durch 
auffallende gelbliche Färbung ausgezeichnet. Auf mikroskopischen 
Schnitten findet sich dieser Knochentheil reichlich durchsetzt von Rund- 
zellen, bis in die siebartige Partie hinein; die Knochensubstanz selbst 
nimmt in diesem Bereich gar keine Carminfärbung an, sodass es fast 
scheint, als sei sie nekrotisch. Die angrenzende Ausbuchtung des An- 
trum lässt keine Schleimhaut, aber ein dickes Polster von Granulations- 
gewebe erkennen; der weiter lateral gelegene weit eröffnete Theil des 
Antrum zeigt nur ein ganz zartes Lager des gleichen Gewebes. 


Von dem mit Granulationen ausgekleidetem Hohlraume aus lässt 
sich auf der, leider nicht ganz vollständigen, Schnittserie, bereits ma- 
kroskopisch ein fast 1 mm starker gefässhaltiger Bindegewebsstreifen 
verfolgen: er verläuft zwischen oberem und lateralem Bogengang hin- 
durch bis an die erwähnte Stelle der hinteren oberen Pyramidenfläche 
hin. In der Umgebung dieses, mit kleinen Rundzellen reichlich durch- 
setzten Bindegewebsstranges liegt die erwähnte ebenfalls rundzellenreiche, 
sich sonst schlecht färbende Knochensubstanz; sie erstreckt sich aber 
noch weiter medial-, bezw. rückwärts, bis dicht an den Porus acust. 
int. heran. 


Die auf diesen Schnitten getroffenen Partieen des lateralen und 
oberen Bogenganges sind erfüllt von einer dichten, sehr zellarmen 
Bindegewebsmasse, in der viele Reste von Blutfarbstoff nachzuweisen 
sind. Von der normalen Structur des häutigen Bogenganges ist dagegen 
keine Spur mehr vorhanden. 


Versuche mit der Weigert’schen Bakterienfärbung gaben weder 
in dem erkrankten Knochengewebe, noch im Inhalte der Bogengänge 
irgend welche Resultate: da das Felsenbein vor der Fixirung bereits 
mehrere Tage gelegen hatte, so wären wenigstens Saprophyten zu er- 


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der intracraniellen Complicationen von Ohrerkrankungen. 219 


warten gewesen. Das negative Resultat dürfte also einer Vapon Romieu: 
heit der Technik zuzuschreiben sein. 


Bei dem Falle ist vor allem die Frage interessant, wie hier die 
Ueberleitung des Entzündungsprocesses auf das Gehirn 
erfolgte. Zunächst glaubte ich. bei dem abnormen Inhalt im Labyrinthe 
eine Fortleitung durch dieses annehmen zu müssen. Erst nach wieder- 
holter Untersuchung fiel mir die oben geschilderte, zerfressene Knochen- 
partie auf, und erst bei deren Durchschneidung drängte sich mit Noth- 
wendigkeit der Verdacht auf, dass hier der Rest des im embryonalen 
Leben unter den oberen Bogengang sich eindrängenden und zum Antrum 
hin verlaufenden Durafortsatzes eine Rolle spielen musste. Dieser Dura- 
fortsatz, seine Umwandlung im postfötalen Leben und seine klinischen 
Beziehungen sind vielfach studirt worden; hier beabsichtige ich nicht, 
auf die Litteratur einzugehen und verweise die daran Interessirten auf 
Wagenhäusers!) unter sorglicher Berücksichtigung der bis 1883 er- 
schienenen Arbeiten geschriebenen Aufsatz. Nach diesem und den dort 
citirten Arbeiten von v. Tröltsch, Lucae, Voltolini scheinen, 
soweit mir bekannt, keine eingehenden Mittheilungen über das ana- 
tomische und klinische Verhalten dieses Stranges erschienen zu sein. 
Der Durafortsatz, der sich im Fötalleben zwischen die Dogengänge 
hereinschiebt und nach Wagenhäuser gegabelt in der Spongiosa des 
Warzenfortsatzes endigt, steht nach Lucae durch austretende Gefässe 
zu den Bogengängen in engen Beziehungen, : sodass Entzündungsprocesse 
durch diesen Strang leicht zwischen den Warzenfortsatzzellen und den 
Bogengängen, wie andererseits dem Schädelinhalte vermittelt werden 
können. Eine kleine Reihe von Mittheilungen über solche Geschehnisse 
liegt auch bereits vor (v. Tröltsch, Odenius, Voltolini, Hart- 
mann), und die Möglichkeit einer solchen Uebertragung findet in den 
Monographieen von Macewen, Körner und anderwärts ihre Er- 
wähnung. 

Topographisch stimmt der Verlauf des oben geschilderten entzün- 
deten Bindegewebsstranges recht gut mit dem bei den genannten Au- 
toren geschilderten des Durafortsatzes im Hiatus subarcuatus überein. 
Es liegt danach nahe, anzunehmen, dass durch seine Gefässe eine früher 
bestandene Otitis media auf das Labyrinth und eventuell gleichzeitig 
oder später auf die Schädelhöhle übermittelt wurde. Während im La- 





1) Wagenhäuser, @.J. Beiträge zur Anatomie des kindlichen Schläfen- 
beins. Arch. f. Ohrenheilk. Bd. 19, 1883, p. 95. 


220 W. Kümmel: Weitere Beiträge zur Pathologie 


byrinth der Process unter Bindegewebsbildung ausheilte, flackerte er 
in dem entzündeten Strange öfter wieder auf und verschuldete dadurch 
die wiederholt recidivirende Otitis media. Es würden also hier ähnliche 
Verhältnisse vorliegen wie bei Fall I, wo auch die Mittelohrentzündung 
wohl nur beim ersten Beginn, nicht aber bei den späteren Nachschüben 
das Primäre war. | 

Nun besteht leider in der Anamnese gar keine Andeutung über 
die erste Entstehungsweise dieser Erkrankung. Ich habe grosse Neigung, 
sie in die frühe Jugend zu versetzen und mit der alten Osteomyelitis. 
der linken Tibia in Beziehung zu setzen. Vielleicht handelt es sich 
hier um eine osteomyelitische Erkrankung, die sich früher, 
ausser an der linken Tibia, in der Umgebung des subarcualen Dura- 
bezw. Bindegewebsstranges localisirt hat. Wir dürfen diese Knochen- 
partieen vielleicht in Parallele setzen zu den Epiphysenknorpelfugen, in 
deren Nachbarschaft sich ja auch die Osteomyelitis gern festsetzt. — 
Dann würde es sich gar nicht um eine primäre Otitis media, sondern 
um eine Osteomyelitis petrosa handeln, die Otitis von vornherein se- 
cundärer Natur sein. 


Nun wissen wir freilich wenig oder gar nichts über das Vorkommen 
solcher genuinen Osteomyelitis des Felsenbeins. Der einzige mir be- 
kannte Fall der Art, den Steinbrügge!) beschreibt, ist ziemlich 
ebenso unsicher wie der unserige; aber die Anamnese liess die Felsen- 
beinerkrankung mit grösserer Sicherheit als in unserem Fall auf die 
bestimmt dagewesene Osteomyelitis infectiosa zurückführen. — Wenn es. 
sich wirklich um einen alten osteomyelitisehen Herd im Felsenbein handelte, 
so wäre damit der klinische Verlauf sehr gut in Einklang zu bringen: 
es ist bekannt, wie überaus häufig solche scheinbar ausgeheilten Processe 
durch geringfügige äussere Schädlichkeiten, Traumen oder Erkältungen, 
zum Aufflackern gebracht werden. 


Vielleicht veranlassen diese Bemerkungen andere Collegen, solchen 
Vorkommnissen in Zukunft ihre Aufmerksamkeit mehr zuzuwenden. 


Auch in Bezug auf Diagnose und Indicationsstellung bei 
der intracraniellen Folgeerkrankung ist der vorliegende Fall von einigem 
Interesse. So colossale extradurale Abscesse wie bei ihm sind selten, 
und man hätte, da bei der Operation die Duraerkrankung nicht con- 
statirt worden war, leicht den Hirnabscess uneröffnet lassen können. 


I) in: Orth, J. — Lehrb. der spec. pathol. Anatomie. Ergänzungsband, 
l. Lfg. Gehörorgan. Berlin 1891. p. 116. 


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der intracraniellen Complicationen von Ohrerkrankungen. 221 


Das, was mich hauptsächlich zum weiteren Vorgehen drängen und die 
Probepunction ins Kleinhirn und darauf in den Schläfenlappen bestimmt 
verlangen liess, war die auffallend starke Spannung der Dura über dem 
Kleinhirn. Das Fehlen der Pulsation an ihr und deren Vorhandensein 
über dem Schläfenlappen war sehr geeignet, der Probepunctionsnadel 
zu Anfang den falschen Weg zu weisen, und nur die feste Ueberzeugung, 
dass eine Raumbeschränkung, also wohl ein Abscess im Schädelinnern 
vorliege, rechtfertigte die spätere erfolgreiche Probepunction in den 
Schläfenlappen. Uebrigens würde es wohl, selbst wenn von vornherein 
die Aufmerksamkeit mehr darauf gerichtet gewesen wäre, kaum mög- 
lich gewesen sein, die Durchbruchsstelle des Entzündungsprocesses bei 
ihrer Lage weit medialwärts aufzufinden. Man hätte höchstens nach 
Wegsprengen des oberen Bogenganges dorthin gelangen können. 


Der Tod wurde wohl durch die ausgebreitete Bronchopneumonie 
bei dem sehr heruntergekommenen Patienten veranlasst. Ob der starke 
Hirnprolaps bei längerer Lebensdauer nicht Gefahren mit sich gebracht 
haben würde, ist freilich nicht auszuschliessen. Jedenfalls war es nicht 
zu einer Meningitis gekommen. Die Bronchopneumonie dürfte der 
Ausdruck einer allgemeinen septischen Infection sein, die bei der offen- 
bar sehr progredienten Eiterung nicht wunderbar erscheint. Dass der 
Patient sie durch Aspiration beim Schlucken acquirirt haben könnte, 
ist freilich auch möglich, obgleich er vom dritten Tage nach der 
Operation an nur mit der Sonde ernährt wurde. 


V. Alte Mittelohreiterung mit Cholesteatombildung. 

Latenter Gehirnabscess mit Meningitis und Sinus- 

phlebitis, alles nicht diagnosticirt. Plötzlicher Tod 
ohne Operation. 


R., Wilhelm, 12jähriger Weichenstellerssohn aus Namslau. Kind 
gesunder Eltern, auch sonst hereditär nicht belastet, angeblich nie 
krank gewesen. Vor !/, Jahre begann, angeblich ohne irgendwelche 
schwereren Symptome, aus dem rechten Ohre ziemlich reichlich röthlich 
gefärbte Flüssigkeit herauszulaufen. Da die Menge dieser Flüssigkeit 
mit der Zeit stark zunahm, so suchte Patient den Arzt auf. Dieser 
constatirte neben der Polypenbildung öfter unter Kopfschmerzen auf- 
tretendes unregelmässiges Fieber, vermuthete deshalb eine intracranielle 
Erkrankung und schickte den Patienten in die chirurgische Klinik. 

Dort fand ich am 6. VIII. am linken Ohre nichts Besonderes, 
ausser mässiger Einziehung des Trommelfelles. Rechter Gehörgang 
erfüllt mit dickem, kaum übelriechendem Eiter. Nach Ausspülung des- 
selben vom Trommelfell nichts sichtbar, vorne oben aber reichliche 


222, W. Kümmel: Weitere Beiträge zur Pathologie 


Granulationsmassen, zwischen denen der Eiter vorquillt. Ausräumung 
derselben mit Schlinge und Curette gelingt zunächst nur unvollkommen. 
Von Gehörswahrnehmung auf diesem Ohre nur Spuren bei Knochen- 
leitung für die verschiedenen Stimmgabeln zu constatiren, Sprachgehör 
=—0. Facecialisstörung nicht sicher zu constatiren, vielleicht die rechte 
Gesichtshälfte etwas schlaffer. Augenhintergrund ohne deutliche Ab- 
normitäten. Keine Störung der Sprache oder des Ganges. Kein Fieber 
(37,0°, 72 Pulse), keine Kopfschmerzen. Geringe Druckempfindlichkeit 
des Warzenfortsatzes und der Parietalgegend rechts. Patient ist ganz 
munter, hat nur grosse Angst vor einer Operation, ist sonst aber den 
ganzen Nachmittag ungestört herumgegangen. 

Unter diesen Umständen konnten wir den Verdacht des behandeln- 
den Collegen nicht ohne Weiteres bestätigen, beschlossen abzuwarten 
und zu beobachten. 


7. VIII. Ausspülung des Recessus epitymp. mit dem Paukenröhr- 
chen, die aber nur geringe Eitermengen ohne Blut oder sonstige Bei- 
mengung zu Tage fördert. Touchirung der Granulationsreste mit 
Chromsäure, Borsäureeinblasung. Temp. 36,7, 37,3; Puls 64, 68. 


8. VIII. Bis jetzt unverändertes Befinden; das rechte Ohr eitert 
ziemlich stark. Kurz ehe die beabsichtigte Reinigung des Ohres vor- 
genommen wird, erbricht Pat., der kurz vorher auf der Station zu 
Abend gegessen hatte und dann alein in die Poliklinik herunter- 
gegangen war, ganz plötzlich, was er gegessen hatte. Dabei keine Spur 
von Magenbeschwerden, nach dem Erbrechen völliges Wohlbefinden. 
Vorsichtige Ausspülung des Ohres, hier nichts Neues constatirt; Augen- 
hintergrund bietet auch heute nichts Auffallendes, dagegen besteht viel- 
leicht links eine ganz leichte Facialisparese. Pat. wird alsbald ins 
Bett gesteckt, soll morgen nochmals untersucht und eventuell operirt 
werden. Temp. 36,6, 37,3; Puls 64, 72. 

In der Nacht erbrach Patient nochmals, klagte über starke Kopf- 
schmerzen, doch war der Stationsarzt nicht gerufen worden. Morgens. 
5 Uhr beim Messen der Temperatur 38,2 constatirt, Patient erbricht 
um diese Zeit und verliert etwas später plötzlich das Bewusstsein. Als 
der Stationsarzt hinzukommt, ıst Patient völlig bewusstlos, Tracheal- 
rasseln, Puls kaum fühlbar; wenige Minuten später, um 6°, Uhr 
Morgens Exitus letalis. 

Autopsie am Mittag des 9. VIII. (Dr. Storch). — Organe des 
Thorax und Abdomen ganz normal, bis auf eine mässige Anschwellung 
der Milz (12:8:4 cm), bei blaurother Färbung und sehr grossen weissen 
Follikeln. -— Siu. longitud. blutleer. Rechte Grosshirnhälfte in trans- 
versaler Richtung bedeutend verbreitert, etwa 1!/, Mal so gross als die 
linke. Beim Aufschneiden der Dura entleeren sich über dem Ohre einige 
Tropfen Eiter in den Arachnoidealsack. Hirnwindungen überall ab- 
geplattet, Pia durchweg zart und glänzend. Nur über der rechten Felsen- 
beinpyramide ist Hirmsubstanz und Pia braunschwärzlich verfärbt von 
fettig-schmieriger Consistenz. Nach llerausnahme des Gehirns auch an 


der intracraniellen Complicationen von Ohrerkrankungen. 223 


der Basis, bis einige Centimeter vor der Pyramidenspitze diese Ver- 
änderung der Farbe und Consistenz. Am Tegmen tymp. durch circum- 
scripte eitrig-fibrinöse Auflagerungen Pia und Dura mit einander locker 
verklebt. — 5 cm hinter der Spitze des Schläfelappens wird ein Frontal- 
schnitt durch die Grosshirnhemisphären gelegt: es entleert sich eine 
grosse Menge intensiv grünen dicken Eiters. Die Höhle, welche ihn 
enthielt, ist wohl faustgross, ihre Wand mit zahlreichen, bräunlich- 
schwärzlichen, punktförmigen Flecken übersät, von völlig morscher, 
nekrotischer Gehirnmasse gebildet. In der Umgebung dieser überall 
wohl begrenzten Abscessmembran ist die Hirnsubstanz sehr weich, flottirt 
bei Wasserspülung; dieser erweichte Bezirk ist, besonders nach dem 
Hinterhauptslappen zu, sehr ausgedehnt. Unter- und Hinterhorn des 
Ventrikels vollständig nach links verdrängt, jedoch deren Wand nirgends 
durchbrochen. 

Das Felsenbein wurde mir von Herrn Geheimrath Ponfick freund- 
lichst überlassen: es war bereits ein Sägeschnitt durch die Längsachse 
der Pyramide angelegt worden. Am Tegmen tymp. graulich-grüne Ver- 
färbung des Knochens, bis in die Nachbarschaft des Hiatus canalis 
facialis und bis dicht an die Eminentia arcuata heran. Durch einen 
Sägeschnitt durch den vorderen Theil des Gehörgangs wird die Pauken- 
höhle eröffnet: sie erweist sich ausgefüllt von Granulationsmassen, die 
das Trommelfell in seinem hinteren oberen Theile durchbrochen haben ; 
nur vorne unten ist ein schmaler Trommelfellrest erhalten. In die 
Granulationsmassen sind die Reste der Gehörknöchelchen völlig ein- 
gebettet, es fehlt der Hammergriff und wohl auch der lange Ambos- 
schenkel. Oberhalb der Gehörknöchelchen, den Recessus epitymp. und 
zum Theil auch die hinteren Abschnitte des Mesotympanum ausfüllend, 
eine vielfach geschichtete, perlmutterglänzende Cholesteatommasse, der 
nach der Trommelfelllücke zu die erwähnten, übrigens im Bereich der 
Lücke mit einem graugrünen Aetzschorfe bedeckten Granulationsmassen 
vorgelagert sind. Die Cholesteatommassen erstrecken sich weiterhin in 
das Antrum mast.; ein Theil, speciell die oberen, von den Cellulae 
mastoideae und petrosae, ist mit bräunlichgelben bis ockergelben krünı- 
lichen Eitermassen erfüllt. Nach hinten reicht das Antrum bis medial- 
wärts vom stark nach vorn verlagerten Sin. sigmoideus, vom letzteren 
ist es nur durch eine papierdünne Knochenlamelle getrennt. Auch die 
hinteren Cell. mastoideae reichen bis an das Knie des Sin. sigmoid. 
Die hintere oben den Sinus begrenzende Knochenlamelle zeigt stark 
poröse Beschaffenheit und ist lebhaft geröthet. — Im Hohlraum der 
Schnecke, die etwas über ihrer basalen Windung annähernd parallel zu 
dieser durch den früher gemachten Sägeschnitt eröffnet ist, und in dem 
gleichfalls eröffneten Vorhof finden sich krümliche eiterartige Inhalts- 
massen. 

Der Sinus sigmoideus und transversus, bis zum Confluens sinuum 
heran, sind mit flüssigem, diekem, grünem Eiter erfüllt, der nach vorne 
und nach hinten nur durch eine ganz dünne zarte Thrombusschicht 
abgegrenzt ist. 


294 W. Kümmel: Weitere Beiträge zur Pathologie etc. 


Wir haben nach diesem Befunde eine ganz typische Ueberleitung 
des Entzündungsprocesses aus der Paukenhöhle, bezw. dem Rec. epitymp. 
und dem Antrum mast. durchs Tegmen tymp. und die hintere Wand 
des Warzenfortsatzes, nach der mittleren und hinteren Schädelgrube 
gleichzeitig, vor uns. Die ursprüngliche Erkrankung dürfte das Chole- 
steatom sein, das wir wohl nach dem klinischen Verlaufe mit Recht als 
primäre, echte Perlgeschwulst auffassen dürfen. Die wohl ausgebildete 
Cholesteatommembran war völlig erhalten, nur in ihrer Umgebung nach 
der Paukenhöhle und den Cellulae mast. zu fand sich eigentliche Eiterung. 
Freilich lässt sich auch hier nicht mit Bestimmtheit ausschliessen, dass 
die Epidermismassen durch die Perforation in den Recessus u. s. w. 
eingewachsen wären, aber diese Annahme erscheint hier doch wohl 
gezwungen. 

Sehr bedauerlich ist die nicht gestellte Diagnose. Bei dem Fehlen 
jeder anderweitigen Organerkrankung, wie es die Autopsie feststellte, 
wäre wohl trotz der colossalen Ausdehnung des Abscesses und der 
Sinusphlebitis die Prognose einer Operation nicht ganz ungünstig ge- 
wesen. Wäre auch nur die Eröffnung des Warzenfortsatzes vorgenommen 
worden, so hätte der dort zu erhebende Befund von Knochenverände- 
rung gewiss weiterhin die Operation auf den richtigen Weg geleitet. 
Allerdings war ja eine starke Erweichung in der Umgebung des Abscesses 
vorhanden, die die Prognose wohl getrübt hätte, und eine völlige Ent- 
leerung des schlecht abgegrenzten eitrigen Inhalts im Sin. transv. dürfte 
auch nicht leicht gelungen sein: aber einige Chancen für einen guten 
Erfolg wären doch da gewesen. 

Ich muss aber bekennen, dass mich die Erfahrung, dass ein so 
mächtiger Hirnapscess, eine so ausgedehnte Sinusphlebitis die letzten 
3 Tage vor dem, nur durch sie herbeigeführten, Tode so absolut latent 
sein können, im höchsten Maasse verblüfft hat. Auch in der Litteratur 
giebt es, soviel ich weiss, derartige Beispiele nicht. Der einzige An- 
haltspunkt, der eine Diagnose erlaubt hätte, waren die Mittheilungen 
des vorher behandelnden Collegen über öftere unregelmässige, kurz- 
dauernde Temperatursteigerungen. Sie hätten vielleicht zu dem Verdacht 
auf Sinusphlebitis berechtigen und die Eröffnung des Warzenfortsatzes 
verlangen können. Aber ich glaube, dass aus der Hinausschiebung 
dieser Operation zwecks Beobachtung des Verlaufs unter den obwaltenden 
Umständen kein Vorwurf gemacht werden kann. Bei nachträglicher 
Ueberlegung muss ich aber zugeben, dass das Erbrechen ohne greifbare 
Ursache und die Andeutung einer gekreuzten Facialisparese am Vor- 


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Paul Manasse: Ueber einen geheilten Fall etc. 225 


abend des Todes die Vornahme einer Operation hätten beschleunigen 
sollen. Und auch den Vorwurf nehme ich hin, dass ich bei der Unter- 
suchung des Augenhintergrundes einen Ophthalmologen hätte zu Ratlıe 
ziehen sollen. Wenn ich selbst nichts fand, so kann das an meiner 
nicht ausreichenden Uebung in der Beurtheilung gelegen haben: bei so 
colossaler Raumbeengung im Schädelcavum wäre das Fehlen von Ver- 
änderungen an der Papille doch etwas Auffallendes. 


Jedenfalls wird die Beobachtung einer so vollkommenen Latenz 
schwerer intracranieller Entzündungen bis dicht vor dem Tode ein ge- 
wisses Interesse haben. 

(Schluss folgt!) 


VII. 


Ueber einen geheilten Fall von doppeltem Hirn- 
abscess mit Ventrikelfistel. Optische Aphasie. 


Von Dr. Paul Manasse, 
Privatdocenten und I. Assıstenten der Klinik. 


(Aus der Universitätsklinik für Ohrenkrankheiten zu Strassburg i. E.) 


Geheilte Fälle von Hirnabscess zu publiciren, bedarf noch nicht 
der Entschuldigung. zumal wenn dieselben so complicirten Verlauf zeigen, 
wie der, über den ich in Folgendem berichten möchte. Auf allgemei- 
nere Fragen gedenke ich hier nicht näher einzugehen, sondern will 
mich lediglich auf die Mittheilung dieses einen Falles beschränken, da 
in nächster Zeit eine grössere Arbeit über derartige Fälle aus unserer 
Klinik von anderer Seite erscheinen soll. 


Zunächst ein Auszug aus der Krankengeschichte : 


30. 12. 96. Anamnese: Frau M. 42 Jahre; als Kind Typhus, darauf 
Ohrenfluss links. Seitdem fast immer stinkender Ausfluss und Taubheit 
links; niemals Kopfweh, nur manchmal leichter Schwindel. Seit gestern 
starker Kopfschmerz, Erbrechen, Fieber ; heute Verlust des Bewusstseins; 
niemals Lähmungen. 


Stat. präs.: Mässig kräftige Frau, vollständig somnolent, leise 
stöhnend. Rechtes Ohr normal. Links: im Gehörkanal stinkender 
Eiter, ziemlich eingedickt; nach Entfernung desselben: vollständiger 
Defect des Trommelfelles, 2 Granulome von Erbsengrösse hängen vom 
Tegmem tympani herunter; hier deutlich rauher Knochen zu fühlen. 
Hörprüfung unmöglich. 

Zeitschritt für Ohrenheilkunde, Ld. XXXI. 15 


226 Paul Manasse: Ueber einen geheilten Fall 


Augenhintergrund (Dr. Modrze): rechts fast normal, links 
Grenzen der Papille etwas verwaschen, keine Hyperämie, keine Gefäss- 
erweiterung. — Puls 54, ziemlich hart, regelmässig. T. 38,7. Urin 
kein Eiweiss, kein Zucker. 


Diagnose: Extraduraler oder Hirn-Abscess, wahrscheinlich in der 
mittleren Schädelgrube bezw. Schläfenlappen. Ich schlug sofort die 
Operation vor, die ich auch am anderen Tage unter Assistenz der 
Herren Dr. Dr. Lobstein und Scheele ausführte. 


31.12. Operation in Chloroformnarkose : "1 Schnitt über und hinter 
der linken Ohrmuschel, Abhebelung des Periosts in weitem Umkreise, 
Knochen überall intact, von weisser Farbe. Bei der Aufmeisselung 
zeigt er sich glashart. Bevor das Antrum eröffnet wird, kommt man 
nach oben hin, also im Bereiche der mittleren Schädelgrube auf die 
Dura, oder vielmehr auf eine eitrige, sulzige, infiltrirte, dieke Membran, 
die sich als Dura erweist und stark pulsirt. Zwischen ihr und dem 
Knochen schiesst rhytmisch, synchron mit den Hirnpulsationen, wenig 
dünner Eiter aus der Schädelhöhlle. Darauf wird zunächst typische 
Radicaloperation gemacht (ohne Plastik): Antrum, Aditus und Pauken- 
höhle mit Eiter, Granulationen und Knochentrümmern erfüllt. Tegmen 
ziemlich brüchig. Im Recessus epitympanicus noch ein kleines Stückchen 
Ambos, sonst nichts von Gehörknöchelchen. Tegmen tympani und antri 
wird mit wenigen Meisselschlägen entfernt. Auch hier zeigt die Dura 
die oben erwähnte eitrig-sulzige Beschaffenheit. Der Knochen wird dann 
noch soweit entfernt, bis man überall auf gesunde Dura kommt. Darauf 
Probepunction in den stark pulsirenden Schläfenlappen: die Spritze ist 
fast ganz mit dickem Eiter gefüllt. Jetzt wird die Knochenwunde nach 
der Schuppe zu noch erweitert, so dass hier der Defect circa zweimark- 
stückgross erscheint und man einen grossen Theil der seitlichen Partieen 
des Schläfenlappens und der Basis desselben (über dem Tegmen antri 
et tympani) übersehen kann. Darauf grosser Einschnitt in den Schläfen- 
lappen von innen (Tegmen tymp.) nach aussen, also in frontaler Richtung, 
der sofort den Abscess eröffnet. Es zeigt sich, dass sämmtliche Hirn- 
häute mit der Rinde über dem Abscess verwachsen sind und so mit 
dieser die Abscesswand bilden. Dieselbe beträgt an der dünnsten Stelle, 
welche der Schuppe anliegt, circa 7—8 mm. Aus dem Abscess ent- 
leeren sich circa 100 cm? dicken stinkenden Eiters. Die grosse Abscess- 
wunde wird mit Haken auseinandergehalten, der ganze Inhalt, der zum 
Theil etwas hämorrhagisch ist, mit dem scharfen Löffel entfernt. Darauf 
wird die Höhle mit 2 Fingern, die sich bequem einführen lassen, ab- 
getastet; sie ist überall durch eine ziemlich feste Wand abgeschlossen, 
die beim Hineinleuchten eine gelbe Farbe zeigt. Der Abscess liegt 
zum grössten Theil im Schläfenlappen, erstreckt sich aber ziemlich 
weit nach hinten, zweifellos in den Occipitallappen hinein. Austupfung 
der Abscesshöhle mit sterilisirter Gaze, Ausstopfung mit Jodoformgaze. 
Wunde hinter dem Ohre bleibt ganz offen. Während der Entleerung 
des Abscesses bleibt Puls und Athmung unverändert. Kein Prolaps des 


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von doppeltem Hirnabscess mit Ventrikelfistel. Optische Aphasie.. 227 


Gehirns trotz starker Pulsation. Nach der Operation leichte Facialis- 
Parese im unteren Ast. u? 

1. I. 97. Guter Schlaf; Patientin ist bei vollem Bewusstsein, unter- 
hält sich, nimmt etwas Nahrung zu sich, ist aber ziemlich apathisch. 
P. 88 regelmässig. T. 37,0—37,1. 

3. I. Kopfschmerzen; Puls etwas verlangsamt: 62. T. 36,7 
bis 37,1. 

4. I. Verb. W. Mässige Secretion geruchlosen Eiters aus der 
Abscesshöhle; immer noch ziemliche Apathie. T. 36,9—37,0. 


5. I. P. 70, T. 37,0— 37,1. Guter Schlaf. Patientin fordert 
nichts zu essen, isst aber, wenn man ihr giebt, mit gutem Appetit. 
Zeigt heute deutliche Zeichen von Aphasie: kann sich auf das Wort 
Zähne nicht besinnen, sagt bei der Aufforderung zu pfeifen, sie > 
nie pfeifen können, da sie keine — wie heisst es doch gleich? — 
im Munde habe. Bei vorgehaltenen Schlüsseln sagt sie es sind Messer, 
wohingegen sie ein Messer sehr gut erkennt; bei hingehaltener Cigarre 
sagt sie, „das ist zum Rauchen “, bei Bürste: „das ist um sich die 
Haare zu machen *. Auf die Worte selbst kann sie sich aber nicht 
besinnen, trotzdem sie die Gegenstände mit den Händen genau 
abtastet. Erst wenn man bei Cigarre ihr die erste Silbe (Ci-) vor- 
spricht, kann sie das Wort vollenden. Nachsprechen kann sie jedes 
Wort. — Urin K. E. K. Z. Augenhintergrund (Dr. Modrze): Bei- 
derseits hat die Trübung der Papillengrenzen zugenommen, auch sind die 
Gefässe wie verschleiert, jedoch keine Erweiterung derselben. 


6. I. Verb. W. Knochen- nnd Hautwunde reactionslos; dagegen 
schiesst beim Herausnehmen des Tampons aus der Gehirnabscesshöhle 
dicker stinkender Eiter in grosser Masse hervor. Der eingeführte 
Finger kommt durch den alten Abscess nach vorn zu in eine zweite 
Höhle mit rauhen Wandungen. Dieselbe wird ausgekratzt, die Zu- 
gangsöffnung zum alten Abscess durch Abtragung eines Theiles der 
Wandung (Hirnrinde und Häute) erweitert, beide Abscesse von hier aus 
mit Jodoformgaze ausgestopft. Von der alten Eingangswunde lässt sich 
der kleine Finger sowohl nach hinten, also nach dem Occipitallappeņ. 
als auch nach vorn zu in seiner ganzen Länge (6 cm) einführen. Bei 
den ganzen Manipulationen sitzt die Patientin ohne Schmerzen aufrecht 
im Bett; kein Erbrechen, nur erhebliche Zunahme der Pulsfrequenz. 
Ab. T. 38,1, P. 86. 

7. I. Verb. W. Es kommen noch grosse Mengen Eiter mit ne- 
crotischer Hirnsubstanz aus der vorderen Abscesshöhle. T. 37,2—37,4. 


9. I. T. 36,7, P. 84. Allgemeinbefinden gut, kein Kopfschmerz. 
Wunde zeigt wenig, hauptsächlich seröses Secret. Aphasie dauert an. 
Patientin kann eine grössere Anzahl vorgehaltener Gegenstände nicht 
erkennen, z. B. Zündholzschachtel, Bohrer, Federhalter etc.; weiss aber 
stets ihren Gebrauch und kann auch die Worte nachsprechen; die 
meisten Gegenstände tastet sie mit den Fingern ab, kann aber selbst dann 
nicht immer auf den Namen kommen; an einer Zündholzschachtel riecht sie. 


15* 


228 Paul Manasse: Ueber einen geheilten Fall 


In der Unterhaltung fehlen ihr nur einzelne Hauptworte, die sie durch 
Sätze zu umschreiben versucht. 

13. I. Augenhintergrund (Dr. Modrze): Noch leichte Ver- 
schleierung der Gefässe und Papillengrenzen, links mehr als rechts. 

Verb. W. Beide Abscesshöhlen haben sich jetzt vollständig gereinigt 
und zeigen rein seröses Secret. Man sieht beim Hineinleuchten nach 
vorn zu deutlich die trennende weisse Hirnschicht zwischen den bei- 
den Abscessen; in dieser kulissenartigen circa einmarkstückgrossen 
dünnen Zwischenwand ein deutliches Loch, die Communication beider 
Abscesse darstellend. Die Schicht wird mit Pincette und Scheere ent- 
fernt, sodass man jetzt in beide Abscesse ganz hineinsieht; der eine 
(zuletzt eröffnete) erstreckt sich nach innen und vorn, der andere nach 
innen und hinten. Beide zeigen gut granulirende Wände. 

"Heute genauere Prüfung der Aphasie: Patientin kennt alle Gegen- 
stände nach ihrem Gebrauche, weiss aber vielfach den Namen nicht 
anzugeben, trotzdem sie ihn, wenn man ihn ihr nennt, sicher nachzu- 
sprechen vermag. Eine vorgehaltene Glocke vermag sie nicht zu er- 
kennen; erst, wenn man sie ertönen lässt, sagt sie ganz erfreut: 
„Schelle“, ebenso geht es mit einer Kindertrompete und einem leeren 
Glase. Viele Gegenstände tastet sie genau ab, kann sich jedoch auch 
hierdurch nicht immer auf dem Namen besinnen. — Auch geringe 
Paraphasie: Spiegel wird als Brille bezeichnet. — Wenn man der 
Patientin 7—8 Gegenstände auf einem Brette vorhält und sie dieselben 
einzeln aufnehmen heisst, indem man sie ohne hinzudeuten, mit Namen 
nennt, so geschieht dies prompt. — Lesen und Schreiben normal, des- 
gleichen Gesichtsfeld. i 

20. I. Abscesshöhle etwas verkleinert. T. 36,6—37,1. P. 70. 

24. I. Guter Schlaf, guter Appetit. Aphasie besteht noch fort. 
Verb. W. Schon seit längerer Zeit wurde bemerkt, dass kein eigent- 
licher Eiter in der aus dem Abscess entfernten Gaze war, sondern dass 
die letztere mehr serös durchtränkt war; heute fliesst beim Herausneh- 
men der Gaze eine grosse Menge heller klarer Flüssigkeit aus der Ab- 
scesshöhle über Hals und Schulter der Patientin. Man sieht in dem 
hinteren Abscesswinkel beim Hineinleuchten eine gelbe, nekrotische 
Stelle nach dem Hinterhorn zu, neben der aus einem kleinen, circa 
2 mm grossen, dreieckigen Spalt bei den Hirnpulsationen Liquor cere- 
brospinalis herausfliesst. Vorsichtige, lockere Tamponade. 

26. I. Heute b. Verb. W. kein starker Ausfluss von Liquor cero- 
brospinalis. T. 37,1—36.9. 
` 831. I. Jeden 3. Tag Verb. W.; mässige Secretion. Kein Ausfluss 
von heller Flüssigkeit mehr aus dem hinteren .Abscesswinkel. An der 
Stelle der Fistel ein gelber Belag; hier auffallend starke Pulsation. 
Ganze Wundhöhle sehr stark verkleinert. T. 36,9—37,1. 

6. II. Verb. W. Secretion hauptsächlich aus dem hinteren Abscess- 
winkel, hier starke Pulsation. Leichtes Schwindelgefühl. T. 36,1— 37,1. 

15. II. Abscesshöhle noch wallnussgross, überall, auch in der 
hinteren Ecke mit rothen Granulationen ausgekleidet. 


u 


=$- 


Fa 


von doppeltem Hirmabscess mit Ventrikelfistel. Optische Aphasie. 2929 


21. II. Patientin steht seit 3 Tagen auf, fühlt sich vollständig 
wohl: Wunde wird immer kleiner, Paukenhöhle zum grössten Theile 
epidermoisirt.. Aphasie nicht mehr nachzuweisen. 

11. III. Entlassung und weitere ambulante Behandlung. Wunde 
hinter dem Ohre noch fast einmarkstückgros, man sieht in ihr die 
rothe pulsirende Hirnwunde, die jedoch ganz flach ist und keine Höhle 
bildet. Von ihrer unteren Peripherie geht ein granulirender Wund- 
trichter in die Paukenhöhle. 

31. V. 97. Entlassung: Wundfläche schon seit circa 3 Wochen 
überhäutet; aus der Pauckenhöhle kommt noch etwas eitriges Secret, 
wogegen Sublimat-Alcohol verordnet wird. Patientin geht zur Nachkur 
auf’s Land, fühlt sich vollkommen wohl, ist ohne Beschwerden, hat an 
Gewicht stark zugenommen. Flüstersprache: 1 Meter. Facialisparese 
geheilt. !) 

Aus der Krankengeschichte geht hervor, dass es sich hier um einen 
recht complicirten Fall von Hirnabscess handelt. 


Zunächst war es schon schwierig oder sogar unmöglich, eine präcise 
Diagnose zu stellen, da die Patientin vollständig somnolent war und 
niemals Herdsymptome gezeigt hatte. Man konnte aus den Symptomen 
des Hirndrucks (geringe Neuritis optica, Pulsverlangsamung, Benommen- 
heit) einerseits, sowie aus dem Vorhandensein der alten eitrigen Mittel- 
ohrentzündýng mit Caries des Tegmen tympani andererseits auf eine 
Eiteransammlung innerhalb der mittleren Schädelgrube schliessen; dabei 
musste man aber offen lassen, ob dieser Abscess extradural oder inner- 
halb des Gehirns gelegen war. Darüber konnte erst die Eröffnung der 
Schädelhöhle Aufschluss geben. Ueber die Operationsmethode brauche ich 
wohl kaumiein Wort zu verlieren; es ist selbstverständlich, dass man 
in derartigen zweifelhaften Fällen zunächst die Radicaloperation (nach 
Zaufal) mit Eröffnung beider Schädelgruben macht und sich in seinem 
weiteren Vorgehen von dem Localbefunde leiten lässt. Die Operation 
zeigte in unserem Falle, dass es sich erstens um einen extradularen 
Abscess oder vielmehr um eine eitrige Pachymeningitis externa handelte, 
zweitens um einen Hirnabscess. 

Die Pachymengitis externa, eine nicht seltene Complication des 
otitischen Hirnabscesses, documentirte sich in einer pathologischen Ver- 
änderung, die weniger in einer grösseren Eiteransammlung zwischen 
Dura und Schädel, als in einer eitrig-sulzigen Baschaffenheit der harten 
Hirnhaut zum Ausdruck kam. Ausserdem zeigte die letztere auch eine 


1) Anmerkung bei der Correctur. Auch die Ohreiterung ist jetzt 
vollständig geheilt. 


230 Paul Manasse: Ueber einen geheilten Fall 


entzündliche Verwachsung mit den "beiden weichen. Häuten, sowie mit 
der Hirnrinde. Es ist eine derartige feste fibröse. Verbindung zwischen 
Hirnhäuten und Rinde als eine entschieden günstige Complication des 
Hirnabscesses aufzufassen, da sie einen relativ guten Schutz gegen die 
nach Eröffnung des Abscesses drohende eitrige Ikeptomeningitis gewähr- 
leistet. 


Eine weitere Complication, die bei unserem Falle zu notiren war, 
bestand in dem Vorhandensein eines zweiten Gehirnabscesses. Die Auf- 
findung des letzteren verdanke ich lediglich einem glücklichen Zufall. 
Denn wir konnten bei der sofort nach der Operation aufgetretenen er- 
heblichen Besserung des Zustandes der Patientin nicht anf eine weitere 
intracranielle Complication, speciell auf einen zweiten Hirnabscess 
schliessen; auch die Zunahme der krankhaften Veränderungen des 
Augenhintergrundes konnte nicht zu dieser Annahme führen, da eine 
solche in den ersten Tagen nach der Entleerung eines Hirnabscesses 
gar nichts ungewöhnliches ist. [Zaufal!) u. a.] Ich musste es des- 
halb als einen besonderen Glücksfall betrachten, als sich beim Verband- 
wechsel am 6. Tage nach der Operation ein zweiter Abscess spontan in 
den ersten entleerte. 


Der Inhalt desselben, der aus dem gleichen stinkenden Eiter wie der 
des ersten Abscesses bestand, wies gleichfalls auf ein längeres Bestehen 
des Abscesses hin. Die beiden Abscesse nahmen nun einen recht be- 
trächtlichen Theil der linkseitigen Hirnhemisphäre ein. Denn ich konnte 
an der Eingangsöffnung, die genau über dem Tegmen tympani et antri 
gelegen war, nach vorn sowohl als nach hinten den kleinen Finger 
(6 cm) ganz und gar einführen. Die Länge der beiden Abscesse in 
sagittaler Richtung betrug also ungefähr 12 cm. Betroffen war von 
den beiden Abscessen lediglich die weisse Markmasse, die Rinde war 
vollständig frei. 


Da die beiden länglich gestalteten Abscesse nicht einfach in sagittaler 
Richtung verliefen, sondern sich nach vorn sowohl als nach hinten etwas 
medianwärts erstreckten, war es zumal bei der erheblichen Breite der 
Höhle von vornherein sehr auffallend, dass keine Communication derselben 
mit dem Seitenventrikel, speciell mit dem Hinterhorn zu bemerken war. 
Ich habe bei der Operation nach der Entleerung des Eiters die 
Höhle mit der elektrischen Lampe genau abgeleuchtet, auch mit dem 
Finger abgetastet, konnte aber überall nur eine gelbe Membran ent- 


1) Prager med. Wochenschr. XXI. 1896. 


= -7 . 


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von doppeltem Hirnabscess mit Ventrikelfistel. Optische Aphasie. 231 


decken, die den Abscess auskleidete. Erst als nach einiger Zeit sich 
diese Abscessmembran abgestossen hatte, konnte eine Commuication 
zwischen Abscesshöhle und Ventrikel constatirt werden. Dieselbe hatte 
offenbar schon eine Zeit lang bestanden, als ich sie bemerkte. Denn 
es war mir mehrere Tage beim Verbandwechsel aufgefallen, dass die 
aus der Abscesshöhle genommene Gaze nicht eigentlich von Eiter sondern 
mehr von einer hellen. klaren, dünnen Flüssigkeit durchtränkt war; 
ich glaubte annehmen zu müssen, dass jetzt, wo alle kranken Theile 
sich nekrotisch abgestossen hatten, die granulirende Fläche lediglich 
seröses Secret producirte. Erst als eines Tages helle klare Flüssigkeit 
in ziemlich starkem Strome aus der Abscesshöhle auf Hals und Schulter 
der Patientin herabströmte, kam ich auf den Gedanken, es könnte sich 
doch noch nachträglich eine Ventrikelfistel gebildet haben und leuchtete 
die Höhle ab. Dabei konnte ich denn in der That in der hinteren 
und medialen Ecke der länglichen Höhle einen dreieckigen feinen Spalt 
entdecken, aus dem sich unter Pulsation die helle, klare Flüssigkeit, also 
Liquor cerobrospinalis, entleerte. Wir haben also bei unserem Gehirn- 
abscess die seltene Complication einer Ventrikelfistel vor uns, und zwar 
einer Fistel des Hinterhorns. Wie aus der Krankengeschichte ersicht- 
lich, kann eine derartige Ventrikelfistel, wenn der sonstige Heilungs- 
process nur im Gange ist, sich recht gut durch Granulationen ver- 
schliessen und völlig ausheilen. 


Höchst auffallend war für mich wiederum, wenn mir ähnliches 
auch schon von zwei anderen Fällen her bekannt war, die absolute 
Schmerzlosigkeit, mit der die. sonst sehr empfindliche Patientin schwe- 
rere Manipulationen an der Hirnsubstanz, wie Auskratzen, Schneiden 
etc. ertrug. 


Auf ein Symptom, welches ein besonderes Interesse verdient, möchte 
ich noch in aller Kürze eingehen. Es ist das der Aphasie. Dieselbe 
war bei unserer Patientin durch folgende Erscheinungen charakterisirt: 


1. Konnte Patientin einzelne Gegenstände absolut nicht bezeichnen, 
trotzdem sie sich der Bedeutung derselben vollständig bewusst war; so 
sagte sie bei vorgehaltener Cigarre: „das ist zum Rauchen‘, bei 
Bürste: „das ist zum Haarmachen‘ etc.; dabei konnte sie die Worte, 
wenn man sie ihr vosprach, jederzeit, ohne anzustossen, nachsprechen. 

2. Es gelang ihr (allerdings nicht immer) auf die Bezeichnung 
der nicht benannten Gegenstände zu kommen, wenn sie sich eines anderen 
Sinnes als des Gesichtssinnes bediente, z. B. des Tastsinnes, besonders 


232 Paul Manasse: Ueber einen geheilten Fall 


aber des Gehörs. So konnte sie bei einer vorgehaltenen Glocke sich 
nicht auf dies Wort besinnen ; sofort aber nannte sie es, wenn man die 
Glocke ertönen liess, ebenso ging es mit einer kleinen Trompete und 
einem leeren Wasserglas. 


3. Kam es zuweilen vor, dass sie die Namen von Gegenständen 
verwechselte, so sagte sie für Spiegel Brille, für Schlüssel Messer. 


Das letzte der drei genannten Symptome, also die Pharaphasie, 
war nicht sehr ausgeprägt und trat nur beim Bezeichnen sehr weniger 
Objecte in die Erscheinung; sie kann einerseits durch die schwere 
Läsion des Schläfenlappens bedingt sein, andererseits lässt es sich auch 
nicht ablehnen, dass der vordere Abscess zum Theil schon im Bereiche 
der Insel lag, deren Alteration ja gleichfalls für die Paraphasie ver- 
antwortlich gemacht wird. 

Etwas mehr Interesse haben die beiden anderen Arten der Sprach- 
störung, da sie auf eine Form der Aphasie hinweisen, die erst in den 
letzten Jahren die Aufmerksamkeit der Neurologen in hohem Grade 
auf sich gelenkt hat. 

Das Unvermögen, die Gegenstände, über deren Bedeutung der 
Patient sich vollständig bewusst ist, zu benennen, ohne dass zugleich 
die Unmöglichkeit besteht, das vorgesprochene Wort nachzusprechen, 
hat man früher als amnestische Aphasie bezeichnet; wenn aber der 
Kranke Gegenstände, die er vermittelst des Gesichtssinnes allein nicht 
zu benennen vermag, durch Vermittelung eines anderen Sinnesorganes, 
z. B. des Gefühls, Gehörs etc. richtig bezeichnen kann, so haben wir eine 
Form der Spraclstörung vor uns, die man heutzutage wohl allgemein 
als optische Aphasie bezeichnet. 


Und gerade diese Art der Aphasie lag, wie aus dem oben Bericlh- 
teten hervorgeht, in unserem Falle vor, während Worttaubheit, sowie 
andererseits eigentliche motorische Aphasie vollständig fehlten. 


Es ist diese Form zuerst genauer von Freund!) beschrieben 
worden, nachdem schon vorher durch Naunyn?) von der sensorischen 
Aphasie 2 Hauptformen unterschieden waren, die akustische Form oder 
die Aphasie mit Worttaubheit, und die optische Form oder die 
Aphasie mit Wortblindheit. Freund verlegt die Läsion bei derartigen 
Affectionen in die Verbindungsbahnen zwischen Occipital- und Temporal- 
lappen, in diejenige Gegend, welche Naunyn als drittes Rindenfeld für 


1) Arch. f. Psych. u. Nervenkrankheiten Bd. XX, S. 276. 
2) Verhandlungen d. VI. Congr. f. innere Med. Wiesbaden 1837. 


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—— 


von doppeltem Hirnabscess mit Ventrikelfistel. Optische Aphasie. 233: 


Aphasie den bekannten beiden Feldern von Broca (3. linke Stirn- 
windung: motor. A) und Wernicke (oberste Temporalwindung : sensor. A} 
hinzugefügt hat. Oppenheim!) bemerkt bezüglich dieses Punktes: der- 
Abscess sei nicht selten so gelegen, dass er die Bahnen durchbricht.. 
welche das Klangbildcentrum mit den optischen Centren verknüpfen. 
Wahrscheinlich sei es die Localisation in den basalen und hinteren 
Abschnitten des Lobus temporalis, welche diese Bedingungen erfülle. 
Gerade in diesen Fällen trete dann die optische Aphase mehr oder: 
weniger hervor, ‚d. h. der Patient ist nicht im Stande die visuellen 
Erinnerungen auf das Sprachcentrum zu übertragen, die Dinge, die er 
sieht zu benennen, während er die Bezeichnungen für denselben Gegen- 
stand auf anderen Wegen — z. B. beim Betasten, Beriechen, Schmecken 
oder auf dem Wege der Ideen-Association — findet“. Oppenheim 
recurrirt auch auf einen von Jansen?) publicirten Fall von optischer: 
Aphasie, bei dem es hauptsächlich der Tastsinn war, der dem Gesichts- 
sinn bei dem Benennen einzelner Gegenstände zu Hilfe kam. Eine 
höchst charakteristische. Beobachtung, die in den Hauptpunkten ein 
getreues Abbild meines Falles darbietet, haben Zaufal und Pick 
(l. c.) veröffentlicht: auch dort lag der Abscess in der Markmasse des. 
linken Schläfenlappens, auch dort handelte es sich um eine optische: 
Aphasie mit geringer Paraphasie, von denen die erstere ebenso wie bei 
unserer Patientin durch den Umstand charakterisirt wurde, dass bei der 
Benennung der Gegenstände sowohl Tastsinn als Gehör den nicht aus- 
reichenden Gesichtssinn unterstützten, wenn auch nicbt immer mit Erfolg, 
eine Erscheinung, auf die auch schon Oppenheim aufmerksam 
gemacht hat. Unser Fall ist allerdings für die Localdiagnose weniger 
als der Zaufal’sche zu verwerthen, da nicht nur ein Abscess in den 
hinteren Partieen des Schläfenlappens, also an der Stelle, deren Läsion 
für die optische Aphasie verantwortlich gemacht wird, vorhanden war, 
sondern auch noch andere weiter nach vorn liegende Hirn-Partieen durch 
einen zweiten Abscess ergriffen waren. 


Die ganze Sprachstörung war bei unserer Patientin, wie gewöhnlich 


bei gutem Verlauf derartiger Abscesse, nach einiger Zeit vollständig 
verschwunden. 


1) Fortschr. d. Med. 1895, S. 738 u. Lehrb. d. Nervenkrankheiten 1894. 
2) Berlin. klin. Wochenschr. 1895, No. 35. 


234 Vietor Urbantschitsch: Ueber Störungen 
IE VIII. 


Ueber Störungen des Gleichgewichtes und 
Scheinbewegungen. 


(Nach einem am 2. österreichischen Otologentage in Wien, Juni 1897, 
gehaltenen Vortrage.) 


Von Professor Dr. Victor Urbantschitsch in Wien. 


Bei Versuchen über die Auslösung von Gleichgewichtsstörungen durch 
Ausspritzung der Paukenhöhle fiel mir in einem Falle auf, dass sich 
ein hiedurch hervorgerufener Schwindel sehr verschieden verhielt, je 
nachdem das Auge der betreffenden Seite offen oder geschlossen war. 
Ich bemerkte nämlich, dass der durch Ausspritzung des rechten Ohres 
sonst regelmässig auftretende Schwindel ausblieb, wenn das rechte Auge 
verdeckt war, und dass der bereits erregte Schwindel bei nachträglichem 
Verschlusse des rechten Auges rasch zurückging, während das Oeffnen 
oder Schliessen des linken Auges auf den Schwindel ohne Einfluss blieb. 
Die betreffende Person gab bei diesen Versuchen stets an, dass durch 
Ausspritzung des rechten Ohres eine Drehung der Gegenstände nach 
links und dadurch ein Schwindelgefühl erfolge, Erscheinungen, welche 
bei Verschluss des rechten Auges gleich schwanden, und wie die weiteren 
Versuche lehrten, nur vom rechten Auge aus erregt wurden. 

Durch diese Beobachtung aufmerksam gemacht, stellte ich an vielen 
Personen verschiedene solche Versuche an und fand die gleichen Angaben 
wie in dem soeben angeführten Falle sehr häufig vor. Es ergab sich 
dabei ferner, dass auch der durch Luftdruckschwankungen im Öhre oder 
durch Reizung der sensitiven Nerven des Öhres erregte, sowie auch der 
bei Ohrenkrankheiten oft spontan auftretende Schwindel häufig durch 
Scheinbewegungen zustande kommt, die nur für das eine Auge bestehen 
und durch Verschluss dieses verschwinden, gleichgiltig, ob dabei das 
andere Auge offen oder zu ist. Ich fand ferner die mich überraschende 
Erscheinung, dass bei binoculärem Sehen Scheinbewegungen unterdrückt 
werden können, die für das monoculäre Sehen mit. dem rechten oder linken 
Auge bestehen, und ferner, das die Richtung dieser Scheinbewegungen 
verschieden sein kann, je nachdem das rechte oder linke Auge ver- 
schlossen wird. 

Derartige Beobachtungen forderten zu eingehenderen Untersuchungen 
auf, deren Ergebnisse ich hiermit mittheile. Ich habe vorher nur einige 
allgemein gehaltene Bemerkungen anzuführen. 





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des Gleichgewichtes und Scheinbewegungen. 235 


Störungen des Gleichgewichtes treten bekanntermaassen sehr häufig 
bei den verschiedenen ÖOhrenerkrankungen spontan auf und entstehen 
ferner durch Druckeinwirkungen auf das Ohr, wie durch Ausspritzung 
desselben, Luftdruck-Veränderung in der Paukenhöhle, Druckeinwirkungen 
auf die Labyrinthfenster, sowie durch das Eindringen von kaltem, zu- 
weilen auch von sehr warmem Wasser ins Ohr; es sind ferner auch 
einige Beobachtungen über das Auftreten von Schwindel infolge akustischer 
Einwirkungen angestellt werden. Derartige Gleichgewichts-Störungen 
zeigen betrefis ihrer Art und Stärke mannigfache Verschiedenheiten: 
bald werden sie als schwächere oder stärkere Schwankungen nach un- 
bestimmten Richtungen empfunden, bald als Sturzbewegung, wobei einmal 
die Empfindung einer Zugkraft, ein andermal eines Fallens nach einer 
bestimmten Richtung, einer plötzlich eintretenden einseitigen Lähmung 
besteht. Zuweilen tritt die Gleichgewichts-Störung als eine Art Abwehr- 
bewegung auf, um sich vor einem vermeintlichen Sturze zu bewahren; 
so theilte mir ein Patient mit, dass er während seines Mittelohrkatarrhes 
zu wiederholtenmalen die Empfindung hatte, als ob sich zu seiner rechten 
Seite ein Abgrund öffne, in den er zu fallen meinte; um sich vor diesem 
Sturz zu bewahren, nahm Patient instinctiv eine rasche, schnellende Be- 
wegung gegen die linke Seite vor uud stürzte dabei regelmässig mit 
Wucht zu Boden. 

Störungen des Gleichgewichts, entgegengesetzt der Richtung der 
Scheinbewegungen, habe ich übrigens in vielen anderen Fällen beobachtet, 
in denen keine derartige, wenigstens nicht bewusste Abwehrbewegung 
bestand, sondern wo während der zunehmenden Scheinbewegung der 
Gegenstände nach der einen Seite, z. B. nach links, eine Körper- 
schwankung in entgegengesetzter Richtung nach rechts erfolgte; auch bei 
geschlossenen Augen kann sich nach einer Ausspritzung des Ohres eine 
Körperschwankung nach bestimmter Richtung zu erkennen geben. Ein 
andermal wieder findet die Schwankung im Sinne der Richtung einer 
Scheinbewegung statt. 

Mit Bezug auf das Ohr, von dem die Gleichgewichtsstörung aus- 
geht, zeigt sich die Richtung derselben im allgemeinen ebenfalls sehr 
verschieden, bald gegen die Seite des afficirten Ohres, bald ihr ent- 
gegengesetzt, ein andermal wieder mehr nach hinten oder vorne, selten nach 
oben oder unten. Zuweilen herrscht keine bestimmte Richtung vor, sondern 
es zeigt sich nur eine Unsicherheit im Stehen oder Gehen oder ein Hin- 
und Herschwanken des Körpers, besonders bei geschlossenen Augen. 
Ausnahmsweise kann, wie ich beobachtete, die nach einer bestimmten 


236 Vietor Urbantschitsch: Ueber Störungen 


Richtung hin stattfindende Körperschwankung plötzlich nach der ent- 
gegengesetzten Richtung umschlagen. 

Die Störungen des Gleichgewichtes gehen entweder mit oder ohne 
Scheinbewegungen des Gesichtsfeldes einher. Die Schwindelgefühle ohne 
Scheinbewegung sind rein subjective Gleichgewichts-Störungen, während 
die mit einer Scheinbewegung des Gesichtsfeldes einhergehenden Störungen 
des Gleichgewichtes durch diese bedingt sein können. Eine solche con- 
secutive Gleichgewichts-Störung gibt sich am deutlichsten als die Folge 
plötzlich eintretender* Nystagmus-Bewegungen zu erkennen.!) Es ist 
jedoch keineswegs damit gemeint. dass eine scheinbare Bewegung des 
Gesichtsfeldes nicht auch ohne nystagmusartige Augenbewegungen erfolgen 
könne, wie dies auch meine nunmehr zu schildernden Fälle ersehen lassen, 
bei denen die Scheinbewegung des Gesichtsfeldes ohne nachweisbare 
Augenbewegungen stattfand, mit Ausnahme des Falles 31. 

Wie sich gleich bei meinen ersten Versuchen über Scheinbewegungen 
ergab, ist deren Intensität häufig so gering, dass dieselben nur bei einer 
darauf gerichteten Aufmerksamkeit und bei einer besonderen Versuchs- 
anordnung auffällig werden. Zum Erkennen und näheren Beurtheilen von 
Scheinbewegungen erwies sich mir eine Tafel mit einer Reihe senkrecht- 
stehender Kreuze zweckmässig, ferner eine Kreistafel, der neben dem 
verticalen und horizontalen Durchmesser in einem Abstand von 5° zu 5° 
dieRadien eingezeichnet waren; ausserdem benutzte ich zu dem grössten Theile 
meiner Versuche eine Kreisfläche, auf der der senkrechte und horizontale 
Durchmesser in schwarzer Farbe kräftig aufgetragen war, und ferner 
rechts und links von den Hauptdurchmessern 10 Nebenradien, wovon 
jeder 2° von dem andern abstand, so dass sich also der letztgezeichnete 
Radius 20° von dem Hauptradius entfernt befand. Es blieb also in 
jedem der 4 Kreisquadranten ein mittlerer Raum von 50° leer, so dass 
die Hauptradien mit den von ihnen rechts und links stehenden 10 Neben- 
radien den 4 Flügeln eines Windmotors glichen, wodurch auftretende 
Scheinbewegungen einer grösseren Gruppe von Radien leichter auffällig 
wurden. Für die Nebenradien hatte ich bestimmte Farben gewählt, so 
war der erste Nebenradius zu beiden Seiten eines Hauptradius, 2° von 
diesem entfernt, in rother Farbe gezeichnet, der nächste 4° von dem 
Hauptradius gelegene Radius in blauer Farbe, dann folgte ein 6° ent- 
ternter grüner, 8" entfernter gelber Radius u. s. w. Diese Markirung 


1) S. darüber meinen Aufsatz: „Ueber die vom Gehörorgane auf den moto- 
rischen Apparat des Auges stattfindenden Reflexeinwirkungen.“ Wiener klinische 
Wochenschrift 1896 No. 1. 


er 


des Gleichgewichtes und Scheinbewegungen. 231 


der einzelnen Radien erwies sich zur leichteren Bestimmung sowie auch zur 
Controle des von der Versuchsperson angegebenen Ablenkungsgrades sehr 
dienlich; wurde beispielsweise der roth gezeichnete Radius als vertical 
oder horizontal angegeben, so entsprach dies einem Ablenkungswinkel 
von 2°, bei dem blauen, grünen, gelben Radius einem solchen von 4°, 
6°, 8° nach rechts oder links u. s. w. Zur Controle für den angegebenen 
Ablenkungsgrad bei einem der Hauptradien dienten diese verschieden 
gefärbten Nebenradien insofern, als z. B. bei der angegebenen Ablenkung 
des Verticalradius um 2° nach rechts, der um 2° nach links stehende 
roth gezeichnete Radius nunmehr als vertical erscheinen musste. 

Bei Vornahme meiner Versuche wurde die Kreisfläche, deren Durch- 
messer 40 Centimeter betrug, so aufgestellt, dass sich die Augen der 
Versuchsperson in der Höhe des Horizontaldurchmessers befanden, und 
der Mittelpunkt des Kreises in der Mitte zwischen beiden Augen gelegen 
war. Die Entfernung der Scheibe vom Beobachter betrug 50 — 60 Centimeter. 

Ich theile im Anhange eine Anzahl von Beobachtungen über Schein- 
bewegungen und Störungen des Gleichgewichtes mit, deren Ergebnisse 
im Nachfolgenden übersichtlich besprochen sind. 

Wie aus den angeführten Beobachtungen hervorgeht, sind die vom 
Ohre, besonders von der Paukenhöhle ausgelösten Schwindelerscheinungen 
und Scheinbewegungen nicht nur von der Art der Einwirkung abhängig, 
sondern sie verhalten sich oftmals auch bei gleicher Einwirkung ver- 
schieden. Ausser den eingangs erwähnten, auffällig her,ortretenden 
Scheinbewegungen, die Gleichgewichts-Störungen hervorzurufen vermögen, 
entstehen bei weitem häufiger geringe Scheinbewegungen, die 
keinen Schwindel veranlassen, und die sich erst bei einer genaueren Unter- 
suchung zu erkennen geben. Beispielsweise erscheint ein vertical ge- 
zeichnetes und von der Versuchsperson sonst richtig gesehenes Kreuz 
nach der Ausspritzung des Ohres beim monoculären Sehen mit dem Auge 
der betreffenden Seite häufig schief, nach rechts oder links geneigt, 
wobei das andere Auge bisweilen keine (Fall la, 35a, 44a), häufig aber 
ebenfalls eine Ablenkung beobachtet. 

Die Grösse der Ablenkung ist in solchen Fällen gewöhnlich 
ganz gering und auf wenige (1—4) Grade beschränkt, wechselt jedoch 
nach der Stärke der Erregungsursache und nach der jedesmaligen Dis- 
position der Versuchsperson. Wiederholt zeigten sich die bei der ersten 
Einwirkung auf das Ohr aufgetretenen Scheinbewegungen und Ab- 
lenkungen bei einer zweiten Einwirkung schwächer oder gar nicht, da- 
gegen wieder, wenn zwischen zwei Versuchen eine grössere Pause bestand. 


238 Vietor Urbantschitsch: Ueber Störungen 


Die Richtung der Ablenkung ist für das Auge der gereizten 
Seite nicht nur in verschiedenen Fällen verschieden, sondern auch in 
demselben Falle nicht immer dieselbe. , 

Es giebt Fälle, wo beispielsweise bei Ausspritzung des rechten Ohres 
das rechte Auge ein vertical gezeichnetes Kreuz nach links gelagert sieht, 
eine andere Versuchsperson nach rechts, und wo diese verschiedenen Rich- 
tungen bei wiederholt angestellten Versuchen unverändert erscheinen. Ein 
andermal wieder erfolgt die Ablenkung einmal in der einen, das anderemal 
in der anderen Richtung (s. Fall 7a); in dem erwähnten Falle beobachtete 
das rechte Auge nach der ersten Ausspritzung des linken Ohres eine Schein- 
ablenkung um 2° nach links, nach der zweiten Ausspritzung um 2° nach 
rechts, nach der dritten wieder wie nach der ersten um 2° nach links. 
Auf eine einmalige Einwirkung hin kann eine verticale oder horizontale 
Linie eine Scheinablenkung zeigen, allmählich wieder in die richtige Lage 
zurückkehren, hierauf abermals abgelenkt erscheinen u. s. w. An einer 


Versuchsperson (38e) mit linksseitiger Durchlöcherung des Trommelfelles' 


entstand nach einer im linken Ohr vorgenommenen Luftverdichtung eine 

Abweichung der Verticallinie um 2° nach links; nach einigen Secunden 
begann die Ablenkung langsam abzunehmen und war binnen zwei 
Minuten zurückgegangen, die Verticallinie erschien also wieder in ihrer 
wirklichen Stellung; 3 Minuten später stellte sich abermals eine Ab- 
lenkung nach links um 2° ein, die jedoch nach einer halben Minute 
wieder schwand. In demselben Falle fand an einem anderen Versuchs- 
tage ein stetes Hin- und Herschwanken der Verticalen um 1° nach 
rechts und wieder zurück statt. Schwankungen fanden sich auch im 
Falle 49 auf die Einwirkung von c, vor; eine pendelnde Bewegung 
der um 2° nach rechts und nach links von der oberen Verticallinie be- 
findlichen Radien bestand im Falle 14g. 

Beim Anblicke vieler Radien eines Kreises geben sich an diesen 
bei den verschiedenen Einwirkungen auf das Ohr mannigfache Arten 
von Scheinbewegungen zu erkennen; so werden nicht selten fächerartige 
Bewegungen angegeben (s. Fall Ic, 12, 14b, c, g, h, i), wobei also 
die Radien sich einander nähern und wieder von einander entfernen. 
In mehreren solchen Fällen (z. B. im Falle 12) blieb dabei der obere 
verticale Radius ruhig. während die rechts und links von ihm befind- 
lichen Radien gegen ihn zu und von ihm weg die Fächerbewegungen 
zeigten. In einem Falle (lc) traten solche Scheinbewegungen auch 
spontan auf, was ich später als überhaupt nicht selten vorkommend vor. 
fand; in einem anderen Falle (14g) erschien infolge der Einwirkung von 


= 


Ye 


des Gleichgewichtes und Scheinbewegungen. 239 


c, eine Fächerbewegung auf die peripher gelegene Hälfte einer Anzahl 
von Radien beschränkt, während deren centraler Antheil keine Ver- 
änderung ergab. Bei einer Versuchsperson (11) entstand durch ver- 
schiedene Töne eine vibrirende Bewegung sämmtlicher Radien nach rechts; 
in einem anderen Falle (44d) erfolgte nach einer Luftverdichtung im 
Ohr eine oscillatorische Bewegung sämmtlicher Radien um 1° nach links 
und wieder zurück. 

Dieselbe Erregungsursache kann verschiedenartige Scheinbewegungen 
gleichzeitig veranlassen. In einem Falle (31) von Ohrpolyp, der von 
der Paukenhöhle ausgehend bis zum Ohreingange reichte, trat bei Druck 
auf den Polypen ein horizontaler Nystagmus auf, wobei die links vom 
oberen verticalen Radius gelegenen Radien eine Scheinablenkung um 5° 
nach links zeigten, während gleichzeitig die Radien zu beiden Seiten 
des horizontalen Kreisdurchmessers eine Fächerbewegung aufwiesen. 

Verschiedenartige Bewegungen können auch an derselben Stelle des 
Gesichtsfeldes hintereinander auftreten. In dem Falle 14f bemerkte 
das eine Auge anfangs eine Fächerbewegung der Radien des Kreises, 
die später in eine Pendelbewegung überging. Im Falle 53 sah das linke 
Auge die Radien zuerst unverändert, dann abwechselnd dicker und dünner, 
hierauf als getrennte Striche und schliesslich in schlangenförmiger Be- 
wegung; diese Aufeinanderfolge blieb bei wiederholt angestellten Ver- 
suchen dieselbe. Zuweilen hängt eine Veränderung in den Scheinbe- 
wegungen von der Art der Einwirkung ab; beispielsweise erregte im 
Falle 14g C und c, eine Pendelbewegung, c, eine Fächerbewegung 
derselben Radien. 

Die Scheinbewegungen an den Radien der verschiedenen 
Kreisabschnitte, vor allem an dem oberen und unteren verticalen sowie 
auch an dem rechten und linken horizontalen Radius erfolgen gewöhn- 
lich nicht in gleicher Weise und Richtung, sondern ergeben 
hierin die mannigfachsten Verschiedenheiten. Bald zeigt der obere ver- 
ticale Radius eine Ablenkung gegen den horizontalen Radius, der dabei 
entweder in richtiger Lage verharrt oder nach oben oder unten ab- 
gelenkt erscheint, bald wieder ist der verticale Radius unverändert und 
die Scheinablenkung betrifft nur den horizontalen Radius; die beiden 
verticalen Radien sind ferner einmal zu einander abgelenkt, ein ander- 
mal ist die Ablenkung im gleichen Sinne, so dass also z. B. durch 
eine Ablenkung des oberen verticalen Radius um 2° nach rechts und 
des unteren um 2° nach links der verticale Durchmesser als ganzer 
eine Drehung um 2° im Sinne der Bewegung des Uhrzeigers erfahren 


240 Vietor Urbantschitsch: Ueber Störungen 


hat, während bei einer Ablenkung des oberen und unteren verticalen 
Radius um 2° nach rechts die beiden Radien nunmehr anstatt eines 
Winkels von 180° einen Winkel von 176° einschliessen. Es zeigt sich 
ferner die Grösse der Ablenkung an den verschiedenen Radien nicht 
selten ungleich, so zwar, dass die Ablenkung des eines Radius 2°, die 
des anderen 4° betragen kann; in vielen anderen Fällen erweist sich 
«lie Scheinablenkung bei den betreffenden Radien als gleich gross. Als 
Beispiele der Verschiedenartigkeit der Scheinablenkungen führe ich fol- 
gende an: Im Falle 1 ist der obere und untere verticale Radius 
um 2° nach links, also gegeneinander abgelenkt, beide horizontalen Ra- 
dien um 2° nach unten, im Falle 47 dem linken Auge der obere ver- 
ticale Radius um 10° nach rechts, der untere um 5° nach links, die 
horizontalen Radien erscheinen in richtiger Lage. 

Im Falle 32r (Versuch mit Roth) wurde die obere und untere 
Verticale um 2° nach rechts abgelenkt gesehen, die rechte und linke 
Horizontale um 10° nach oben, und ein andermal (Versuch mit Grün) 
die obere Verticale um 6° nach rechts, die untere um 11°, die rechte 
Horizontale um 11°, die linke um 16" nach unten. Bei Durchsicht der 
übrigen mitgetheilten Fälle wird man derartigen Verschiedenartigkeiten 
in der Ablenkung häufig begegnen. 

Mitunter erstreckt sich die Ablenkung nur auf den peri- 
pheren Theil des Radius, wodurch eine plötzliche Ausbauchung oder 
Abknickung derselben an dem normal verlaufenden zentralen Theile 
entsteht. Eine solche partielle Abbiegung kann auf einzelne Radien 
beschränkt bleiben, wie in dem Falle 12, wo der obere verticale Ra- 
«lius und die beiden 10° rechts und links von ihm befindlichen Radien 
in ihrer peripheren Hälfte eine plötzliche Abbiegung um 5° nach rechts 
aufwiesen. 

Im Falle 36a erschien von einem vertical gezeichneten Kreuze der 
obere Schenkel nach links abgeknickt, im Falle 37 entstanden nach der 
Ausspritzung des Ohres bogenförmige Ausbauchungen an den verticalen 
und horizontalen Durchmessern (a), ein andermal (d) eine Ausbauchung 
des oberen verticalen Radius und der beiden 2° nach rechts und links 
von ihm entfernten Radien. 

In den zuletzt angeführten Fällen betraf die Scheinablenkung nicht 
die peripheren Ansatzstellen, wie in den früher erwähnten Fällen, son- 
dern nur eine Formveränderung der betreffenden Radien. Dabei 
können die Ausbauchungen entweder zwischen der peripheren Ansatz- 
stelle des Radius und dem Kreismittelpunkte erfolgen oder zwischen 


-Á — 


a mr 


des Gleichgewichtes und Scheinbewegungen. 241 


den beiden einander entsprechenden peripheren Ansatzstellen des be- 
treffenden Durchmessers, in welchem seltenen Falle diese Radien nicht 
im Kreismittelpunkte znsammentreffen, sondern seitlich von diesem als 
ausgebauchte Linie die einander correspondirenden Punkte der Kreis- 
peripherie verbinden. Im Falle 43 erschien so anstatt des verticalen 
Durchmessers nach der Ausspritzung des Ohres eine gebogene Linie, die 
vom oberen peripheren Ansatzpunkte rechts vom Kreismittelpunkte zum 
unteren Ansatzpunkte des Verticaldurchmessers verlief. In den übrigen 
Fällen von scheinbaren Ausbauchungen fanden diese zwischen dem 
peripheren Ansatzpunkte und dem Kreismittelpunkte statt. Hierher ge- 
hört auch das nicht seltene Auftreten von schlangenförmigen Radien, 
wobei die betreffenden Radien entweder in dieser Form ruhig verharren 
oder lebhafte schlangenartige Bewegungen aufweisen. Derartige Er- 
scheinungen können auf einem Antheil der Radien beschränkt bleiben; 
in dem Falle 14a fand für das rechte Auge eine schlangenartige Be- 
wegung nur im mittleren Antheile der 2° und 4° von der oberen Ver- 
ticallinie nach rechts gelegenen Radien statt, wenn c, auf das rechte 
Ohr einwirkte (s. auch 14b); an einem anderen Versuchstage (l4e) er- 
regte C nur für das linke Auge ein auf die obere Verticallinie be- 
schränkte schlangenförmige Bewegung. Im Falle 53 erstreckt sich die 
Schlangenbewegung an allen Radien bald nur über einen Theil, bald 
über den ganzen Verlauf derselben. Bei Einwirkung von Roth giebt 
sich auffälliger Weise eine Schlangenform jedesmal nur für den be- 
sonders scharf fixirten Radius zu erkennen, wobei es ganz gleichgiltig ist, 
welcher Radius zur Einstellung kommt; sobald die Versuchsperson einen 
ihr anfangs ruhig erscheinenden Radius fixirt, beginnt dieser augen- 
blicklich die Schlangenkrüämmungen anzunehmen, wobei der früher ge- 
krümmte Radius geradelinig wird. 

Die Intensität und Richtung sowie auch die Art der Schein- 
bewegungen verhalten sich oft verschieden, je nachdem die Reiz- 
einwirkung das rechte oder linke Ohr betrifft. Im Falle 7a sah 
das rechte Auge nach einer Ausspritzung des rechten Ohres den oberen 
verticalen Radius um 4° nach rechts abgelenkt, dagegen nach einer 
‚Ausspritzung des linken Ohres um 2° nach links. Im Falle 46a be- 
‚obachtete das rechte Auge nach der Ausspritzung des Ohres eine Ab- 
lenkung der oberen Verticalen um 2° nach rechts, während eine Aus- 
spritzung des linken Ohres (c) eine Raddrehung sämmtlicher Radien nach 
rechts erregte. Zuweilen erfolgt nur von einem Ohre aus für das eine 
Auge eine Scheinbewegung, wogegen dieselbe Einwirkung auf das andere 

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXXI. 16 


242 Victor Urbantschitsch: Ueber Störungen 


Ohr keine Erscheinung hervorruft. Gewöhnlich wird in diesem Falle 
die Scheinbewegung für das eine Auge von dem Ohre derselben Seite 
ausgelöst, wie dies auch bei den eingangs erwähnten einseitigen Schwindel- 
erscheinungen der Fall ist; ausnahmsweise entstehen die Scheinbewegungen 
vom entgegengesetzten Ohr aus, wie im Falle 52, wo nach einer Luft- 
einblasung ins linke Ohr nur dem rechten Auge die obere Verticallinie um 
2° nach rechts abgelenkt erschien und nach einer Einblasung ins rechte 
Ohr nur dem linken Auge um 2° nach links. 

Die von dem einen Ohre ausgelösten Scheinbewegungen werden ge- 
wöhnlich nicht nur mit dem Auge der gereizten Seite (Fall 38e, 44a), 
sondern auch mit dem anderen Auge beobachtet, wobei aber in der 
Regel bei einer monoculären Untersuchung das rechte und linke 
Auge verschieden gelagerte Scheinbilder sieht. Sehr 
häufig zeigen sich diese an den beiden Augen in entgegengesetzter 
Richtung, so also, dass eine Ablenkung oder Verschiebung der Gesichts- 
objecte dem rechten Auge nach der einen Seite, dem linken Auge nach 
der anderen Seite erscheint. Bei Scheinablenkungen ist der Ablenkungs- 
grad in vielen Fällen für beide Augen der gleiche, so dass beispiels- 
weise das rechte Auge die Verticallinie 2° nach links, das linke Auge. 
ebensoviel Grade nach rechts abgelenkt sieht, doch können auch be- 
deutende Unterschiede im Grade der Ablenkung für beide Augen be- 
stehen. In gleicher Weise zeigt sich der Ablenkungsgrad bei einer 
Ablenkung für beide Augen in derselben Richtung bald gleich, bald ver- 
schieden; im Falle 47 erfolgte z. B. für das rechte Auge eine Ab- 
lenkung der Verticallinie um 4°, für das linke Auge um 10° nach rechts. 

Scheinbewegungen können ferner an beiden Augen ver- : 
schiedenartig auftreten, so dass das eine Auge eine Ablenkung, das. 
andere Fächerbewegungen der Radien eines Kreises sieht; oder die Art 
der Bewegungen erscheint beiden Augen verschieden. Im Falle 14i 
beobachtete das rechte Auge ein fächerartiges Auseinandergehen und 
wieder stattfindendes Annähern der Radien in der oberen Kreishälfte, 
indess das linke Auge zuerst ein Annähern und dann ein Auseinander- 
weichen wahrnahm. 

Der Eintritt der Ablenkung, die sich auf eine bestimmte 
Reizeinwirkung hin einstellt, zeigt sich zuweilen plötzlich, nicht selten 
erst nach einigen Secunden, wobei die betreffende Linie mehr oder weniger 
rasch ihre Maximalablenkung erreicht. So macht sich nach einer Reiz- 
einwirkung auf das Ohr, z. B. nach einer Ausspritzung, auch ein Schwindel- 
gefühl häufig erst nach mehreren Secunden bemerkbar. Im Falle 51 


des Gleichgewichtes und Scheinbewegungen. 243 


bewirkte eine Einblasung ins Ohr ein Schwindelgefühl erst nach 10—30 
Secunden. Die Scheinbewegungen treten ferner an beiden Augen nicht 
immer gleichzeitig auf, sondern mitunter an dem einen Auge rascher 
als an dem anderen. 

Die Dauer der durch eine Reizwirkung auf das Ohr erregten Schein- 
bewegung oder Ablenkung ist für beide Augen häufig übereinstimmend; 
so geht die Ablenkung einer Linie im Gesichtsfelde um 2° nach rechts 
für das eine Auge und um 2° nach links für das andere Auge gewöhn- 
lich gleichzeitig zurück. In einzelnen Fällen ist jedoch die Ablenkung 
für das eine Auge bereits geschwunden, für das andere Auge dagegen 
noch fortdauernd (s. Fall 7a). 

Erwähnenswerth sind noch die in einigen Fällen beobachteten 
Transfert-Erscheinungen in dem Wechsel der Ablenkung der Radien 
und zwar erfolgte hierbei für das eine Auge eine Aenderung der Ab- 
lenkungsrichtung von rechts nach links, gleichzeitig für das andere Auge 
in verkehrter Richtung von links nach rechts, mit öfterer Wiederholung 
dieses Wechselspieles (s. Fall 7a und 38e). 

Eine andere Art von wechselnder Ablenkung hetrifft Fälle, wo 
wiederholt vorgenommene Einwirkungen auf das Ohr eine an beiden Augen 
verschiedene und abwechselnde Scheinstellung der Gegenstände 
des Gesichtsfeldes ergeben, so dass z. B. die erste Ausspritzung des 
Ohres für das rechte Auge eine Neigung der Gegenstände um 2° nach 
links veranlasst, für das linke Auge um 2° nach rechts, während nach 
der zweiten Ausspritzung umgekehrt das rechte Auge eine Neigung nach 
rechts, das linke Auge nach links wahrnimmt, und wieder eine dritte 
Ausspritzung die früheren Verhältnisse der ersten Ausspritzung ergiebt 
(s. Fall 7a). 

Besonders interessant erweisen sich vergleichsweise Prüfungen 
mit dem monoculären und binoculären Sehen. Wie ich 
schon früher erwähnt habe, werden nach einer Reizeinwirkung auf das 
Ohr, sagen wir nach dessen Ausspritzung, beim binoculären Sehen 
häufig keine Störungen des Gleichgewichtes noch Scheinbewegungen be- 
obachtet, wogegen diese beim monoculären Sehen deutlich hervortreten 
können. Ausnahmsweise giebt sich beim binoculären Sehen eine Schein- 
bewegung zu erkennen, die für das monoculäre Sehen nicht besteht 
(Fall 14i). 

Bei Scheinbewegungen, die in beiden Augen beim monoculären 
Sehen in entgegengesetzter Richtung erscheinen, ist eine Aufhebung von 
Scheinbewegungen beim binoculären Sehen wohl erklärlich, besonders 

16* 


244 Vietor Urbantschitsch: Ueber Störungen 


wenn beim monoculären Sehen die Scheinbewegung nach rechts und 
links als gleichgradig besteht. Es kann aber auch in solchen Fällen 
eine Correctur der scheinbaren Neigung nach rechts für das eine Auge 
und nach links für das andere Auge eintreten, wenn die Neigung für 
beide Augen eine verschiedengradige ist, z. B. für das eine Auge 2° 
nach rechts, für das andere 4° nach links beträgt; eine Correctur er- 
folgt ferner nicht selten auch bei verschiedenartigen Scheinbewegungen 
an beiden Augen, wie in dem Falle 11, wo beim monoculären Sehen 
das rechte Auge eine Kreisdrehung der Radien nach rechts sah, das 
linke Auge deren Ablenkung nach links, während binoculär die Radien 
in ihrer richtigen Lage erschienen. 

Eine Correctur der Ablenkuug tritt beim binoculären Sehen 
ferner häufig auch dann ein, wenn die Ablenkung beim monoculären 
Sehen nur für das eine Auge besteht, also beispielsweise das rechte 
Auge eine Ablenkung der Yerticallinie nach links sieht, das linke Auge 
aber nicht. Wenn in diesem Falle während des monoculären Sehens 
mit dem rechten Auge nunmehr auch das linke Auge an dem Sehacte 
theilnimmt, rückt die bisher nach links abgelenkt erschienene Linie 
entweder plötzlich oder allmählich in ihre richtige Stellung ein. Be- 
sonders hervorzuheben wäre hierbei der Fall 54a, in welchem das 
schwachsichtige rechte Auge die vorgelegte Zeichnung überhaupt nicht 
sah und wo trotzdem die beim monoculären Sehen mit dem linken Auge 
vorhandene Scheinablenkung der Verticallinie in dem Momente des 
binoculären Sehens verschwand. Allerdings kommen auch Fälle vor, 
wo bei einer nur dem einen Auge sichtbaren Ablenkung beim binoculären 
Sehen keine vollständige Correctur erfolgt. In dem Falle 38a beobachtete 
das rechte Auge eine Ablenkung der Verticalen um 2° nach links, das 
linke Auge sah richtig; beim binoculären Sehen richtete sich die Verticale 
nicht vollständig auf, sondern blieb in einer Ablenkung von 1° nach 
links stehen und ging bei Verschluss des linken Auges wieder auf 2° 
nach links. 

Mitunter findet beim binoculären Sehen überhaupt keine Correctur 
statt. In dem Falle 35b wurde ein senkrecht stehendes Kreuz mit 
dem rechten Auge richtig gesehen, dagegen mit dem linken Auge nach 
rechts geneigt. Diese Neigung nach rechts bestand aber auch beim 
binoculären Sehen und ging erst bei Verschluss des linken Auges zu- 
rück. Einen solchen überwiegenden Einfluss des einen Auges auf das 
andere Auge ergab auch der Fall 14i, wo das rechte Auge eine 
Fächerbewegung an den Radien sah, die sich zuerst entfalteten und 


des Gleichgewichtes und Scheinbewegungen. 245 


dann wieder enger aneinander traten, während das linke Auge umge- 
kehrt zuerst eine Annäherung und dann eine Entfaltung der Radien 
wahrnahm. Beim binoculären Sehen wurde zunächst ein Auseinander- 
gehen und dann ein Aneinanderrücken der Radien beobachtet, also wie 
mit dem rechten Auge allein. 

Besonders auffällig aber erscheint eine Correctur beim binoculären 
Sehen in Fällen, wo monoculär das rechte und das linke Auge eine 
Ablenkung in derselben Richtung bemerkt. Im Falle 38g bestand 
für das rechte sowie linke Auge beim monoculären Sehen eine Ablenkung 
der Horizontallinie um 2° nach unten, wogegen diese beim binoculären 
Sehen horizontal verlief. Wenn während des binoculären Sehens ein 
Auge, gleichgiltig das rechte oder linke, verdeckt wurde, neigte sich 
die Horizontallinie rasch um 2° nach abwärts. Ganz dieselbe Beob- 
achtung betraf in anderen Fällen die Verticallinie, die monoculär ge- 
sehen nach derselben Seite abgelenkt erschien, beim binoculären Sehen 
dagegen in ihrer richtigen Stellung; s. auch Fall 38e. 

Im Falle 42 zeigten sich alle Radien beim monoculären Sehen 
mit dem rechten oder linken Auge convex, beim binoculären Sehen 
dagegen geradlinig. Auch eine monoculär sichtbare Scheinbewegung 
wird binoculär häufig nicht beobachtet. Im Falle 14d bestand für das 
monoculäre, aber nicht für das binoculäre Sehen eine Fächerbewegung 
der Radien; wurden diese binoculär betrachtet, so liess sich an ihnen 
nicht die geringste Bewegung erkennen, sobald jedoch ein Auge, das 
rechte oder linke, verdeckt wurde, entstand augenblicklich das fächerartige 
Aneinander- und Auseinanderrücken sämmtlicher Radien des Kreises. 

Umgekehrt kann eine Scheinbewegung, die nur für das eine Auge 
besteht und mit dem andern Auge nicht wahrgenommen wird, trotzdem 
beim binoculären Sehen verstärkt auftreten, in welchem Falle also 
binoculär nicht nur keine Correctur, sondern sogar eine Steigerung der 
monoculären Scheinbewegung erfolgt. Im Falle 14k bemerkte das linke 
Auge eine oscillirende Bewegung an einigen Radien, das rechte Auge 
sah an denselben Radien keinerlei Bewegung; binoculär wurde eine 
Oscillationsbewegung an allen Radien beobachtet. 

Zuweilen zeigt sich monoculär und binoculär derselbe Grad von 
Scheinablenkung ; so erschien im Falle 4 beim monoculären Sehen mit 
dem rechten oder linken Auge sowie binoculär die gleiche Ablenkung 
der Verticallinie um 2° nach rechts. 

Eine Erscheinung von besonderem Interesse betrifft das Auftreten 
von Doppelbildern beim monoculären und häufiger beim binoculären 


246 Victor Urbantschitsch: Ueber Störungen 


Sehen, die beim binoculären Sehen in einzelnen Fällen vielleicht auf 
einer nicht zu Stande gekommenen oder nur theilweise erfolgten Correctur 
von monoculär verschiedenen Scheinablenkungen beruht. 

Als nicht eingetretene Correctur wären etwa folgende Fälle zu 
deuten: Im Falle 34 sah nach der Ausspritzung des linken Ohres das 
rechte Auge ein senkrecht gezeichnetes Kreuz nach rechts geneigt, das 
linke Auge dasselbe Kreuz nach links geneigt, binoculär erschienen 
2 Kreuze und zwar je ein nach rechts und ein nach links geneigtes Kreuz. 
Im Falle 32n erschien die Verticallinie dem linken Auge in richtiger 
Stellung, dem rechten Auge um 2° nach links abgelenkt; binoculär 
zcigten sich 2 der Verticalen zukommende Linien, von denen die eine 
vertical stand, die andere um 2° nach links geneigt war. Dieser Fall 
(32n) bietet noch eine interessante Eigenthümlichkeit insoferne dar, als 
bei ihm die durch die verschiedenen Farbeneinwirkungen beim mono- 
culären Sehen hervorgerufene Scheinablenkung der Verticallinie um 4° 
nach links, während der fortdauernden Farbeneinwirkung langsam wieder 
für beide Augen gleichmässig zurückgeht, bis zu einer Ablenkung von 
2°; von da an macht sich eine weitere Abnahme der Ablenkung durch 
eine Zeit lang nur dem rechten Auge, nicht aber auch dem linken be- 
merkbar, so dass 10 Minuten nach Beginn des einzelnen Versuches das 
rechte Auge die Verticale in der richtigen Stellung sieht, dagegen das 
linke Auge noch in einer Ablenkung von 2°. In diesem Stadium des 
Versuches tritt die oben erwähnte Diplopie beim binoculären Sehen auf. 
Erst nach weiteren 5 Minuten rückt die Verticale auch dem linken 
Auge in die richtige Stellung ein, womit die Diplopie verschwindet. 

Als theilweise Correctur einer monoculär verschiedenen Schein- 
ablenkung liessen sich folgende Fälle auffassen: Im Falle 48e er- 
schienen nach einer Lufteinblasung ins linke Ohr dem rechten Auge 
anstatt des vorhandenen verticalen Kreuzes zwei nach rechts geneigte 
Kreuze, dem linken Auge zwei nach links geneigte Kreuze: binoculär 
wurden statt des einen Kreuzes 3 Kreuze gesehen und zwar je ein nach 
rechts geneigtes, ein nach links geneigtes und zwischen beiden ein senk- 
recht stehendes Kreuz; es blieben also beim binoculären Sehen an den 
monoculär erschienenen schiefen Doppelkreuzen je ein Kreuz sichtbar, 
während das eine nach rechts geneigte und das andere nach links 
geneigte Kreuz in ein gemeinschaftliches, nunmehr aber in der 
Stellung „orrigirtes senkrecht stehendes Kreuz verschmolzen ist.) Ein 


1) Diese Angabe erinnerte mich an folgende Beobachtung von Goethe: 
„ich stellte eine Kerze vor mich hin und, die Augen ins Schielen gewendet, 


A a SE Eee 


ma a, o, _([J EEE 


des Gleichgewichtes und Scheinbewegungen. 247 


ähnliches Verhalten ergab der Fall 32a bei einem Versuche, wo 
9 Kreuze, die zu je 3 übereinanderstehend in 3 Colonnen in senkrechter 
Stellung gezeichnet waren, nach einer Ausspritzung des linken Ohres 
dem linken Auge sämmtlich nach links ‘geneigt erschienen, dem rechten 
Auge nach rechts, während sich binoculär rechts eine Colonne von 3 
nach rechts geneigten Kreuzen, links eine Colonne von 3 nach links 
geneigten Kreuzen zeigten und zwischen diesen beiden Colonnen 
2 Colonnen mit je drei senkrecht stehenden Kreuzen, so dass also statt 
des monoculär gesehenen einen schiefen Kreuzes, das dem rechten Auge 
nach rechts, dem linken Auge nach links gelagert erschien, binoculär 
2 gerade stehende Kreuze beobachtet wurden. 

Als ganz eigenthümliche Doppelbilder beim binoculären Sehen sind 
folgende Fälle anzuführen: Im Falle 32d zeigte sich die Verticallinie 
dem rechten Auge um 10° nach rechts, dem linken um 10° nach 
links abgelenkt, binoculär traten 4, und zwar 2 aneinander gelagerte, 
10° nach rechts und 2 um 10° nach links geneigte Linien auf, die 
der Verticallinie entsprachen. Ganz dieselbe Erscheinung betraf den 
Horizontaldurchmesser, der monoculär jedem Auge um 10° nach unten 
abgelenkt erschien, binoculär in der gleichen Ablenkung aber verdoppelt. 
— Im Falle 14i fanden sich beim binoculären Sehen für die Radien 
10° 15° und 20° links von der Verticallinie Doppelbilder vor, wobei 
die Doppellinie der Radien von 10° und 15° diesen links angelagert 
waren, dem Radius von 20° dagegen rechts. Diese Doppellinie zeigte 
allmählich eine lebhafte oscillatorische Bewegung über dem ruhig bleiben- 
den eigentlichen Radius, welche Bewegung langsam zur Ruhe kam. 

Der Fall 48f (Versuch mit einem blauen Glase) bietet dagegen 
ein Beispiel von Reducirung der beim monoculären Sehen beobachteten 
Doppelbilder dar, indem in diesem Falle statt eines senkrecht ge- 
zeichneten Kreuzes das rechte Auge 2 nach rechts geneigte, das linke 
Auge 2 nach links geneigte Kreuze sah, wogegen beim binoculären 
Sehen nur 2 Kreuze (also noch immer ein Doppelkreuz) erschienen, 
von denen das eine nach rechts, das andere nach links gelagert war; 
von den monoculär sichtbaren 2 Kreuzen zeigte sich demnach bionoculär 
je ein Kreuz ausgelöscht. 
sah ich zwei, welche ich, so lange mir beliebte, auseinander halten konnte, 
Nun aber nahm ich zwei Kerzen und sah daher, sie anschielend, vier. Diese 
konnte ich jedoch nicht auseinanderhalten: denn die zwei mittleren bewegten 
sich gegen einander und deckten sich gar bald, so dass ich nunmehr drei sah, 


deren Beschauung ich nach Belieben verlängern konnte.“ (Goethe, Zur Natur- 
wissenschaft im allgemeinen. Sämmtliche Werke, Bd. 36, S. 246.) 


248 Victor Urbantschitsch: Ueber Störungen 


Unter den früher mitgetheilten Fällen befinden sich mehrere, bei 
denen eine Luftverdichtung in der Paukenhöhle Schwindelerscheinungen 
und Scheinbewegungen auslösten. Ich versuchte in mehreren Fällen 
den unterschiedlichen Einfluss einer Luftverdichtung und Luft- 
verdünnung in der Paukenhöhle auf Gleichgewichtsstörungen kennen 
zu lernen. Es ergab sich hierbei, dass diese je nach der Vornahme 
einer Verdichtung oder Verdünnung der Luft im Ohre in sehr ver- 
schiedener Weise auftreten können und dass besonders bezüglich der 
Richtung, in welcher die Störungen des Gleichgewichtes erfolgen, mannig- 
fache Unterschiede bestehen. Auch hierbei kann das rechte Ohr andere 
Erscheinungen ergeben als das linke, 

Im Falle 17b bewirkte eine Luftverdichtung in der linken Pauken- 
höhle eine Sturzbewegung nach vorne, eine Luftverdünnung dagegen 
nach links. — Im Falle 18 erfolgte bei Luftverdichtung im rechten 
Ohre eine Körperschwankung nach hinten, bei Luftverdünnung nach 
vorne, wogegen vom linken Ohre aus gerade umgekehrt bei Luftver- 
dichtung ein Schwanken nach vorne, bei Luftverdünnung nach hinten 
stattfand. Bei einer mittelst eines dreiarmigen Schlauches auf beide 
Ohren gleichzeitig einwirkenden Verdichtung oder Verdünnung der Luft 
stellten sich Körperschwankungen bald nach vorn, bald nach hinten ein. 
— Im Falle 20 wurde die durch eine Luftverdichtung im Gehörgange 
des gesunden rechten Ohres herbeigeführte Kreisbewegung des Körpers 
von links nach rechts (bei geschlossenen Augen der Versuchsperson) 
durch eine Luftverdünnung plötzlich unterbrochen; dagegen rief eine 
Luftverdünnung ohne vorausgeschickte Luftverdichtung dieselbe Kreis- 
bewegung des Körpers hervor wie eine Luftverdichtung. Bei einem 
anderen Versuche in diesem Falle erfolgten sowohl bei einer Ver- 
dichtung als auch bei einer Verdünnung der Luft im Gehörgange. 
Körperschwankungen gegen die Seite der Einwirkung, ohne dass sich 
die Versuchsperson dieser Schwankungen bewusst geworden wäre. — 
Im Falle 22b entstand durch eine Luftverdichtung im Ohre eine Sturz- 
bewegung nach vorne; bei einer Luftverdünnung trat diese anfänglich 
in gleicher Weise auf, ging jedoch plötzlich in die entgegengesetzte 
Richtung über. Diese Art des Schwindels tritt nach der Angabe der 
Versuchsperson häufig auch spontan ein. — Im Falle 23a zeigte sich 
bei einer Luftverdichtung in der Paukenhöhle kein Schwindel, bei einer 
Luftverdünnung dagegen das erstemal ein Körperschwanken nach links 
und hinten, und bei wiederholtem Versuche nach hinten und rechts. 
Ein andermal erregte bei derselben Versuchsperson weder eine Ver- 


des Gleichgewichtes und Scheinbewegungen. 249 


dichtung noch Verdünnung der Luft im Ohre irgendwelche Körper- 
schwankungen. 


Ich gehe nunmehr zur Besprechung anderer Versuche über betreffs 
des Einflusses verschiedener Töne auf Störungen des 
Gleichgewichtes. Die Versuchsperson hatte bei diesen Prüfungen 
mit geschlossenen Füssen frei zu stehen und vor dem Beginn des Ver- 
suches in dieser Stellung durch !/,—1 Minute zu verharren, bis sich 
die so häufig anfänglich vorhandenen spontanen Körperschwankungen 
beruhigt hatten. Manche Personen eignen sich überhaupt nicht zu 
solchen Versuchen, wegen steter Körperschwankungen, die bei ihnen 
besonders bei Verschluss der Augen stark hervortreten und andere Ein- 
flüsse auf Körperschwankungen nicht mit Sicherheit bestimmen lassen. 
Ich benutzte zu diesen Versuchen die Stimmgabeltöne C—c,, wobei der 
betreffende Ton entweder mittelst eines in den Gehörgang gesteckten 
Hörschlauches dem Ohre zugeleitet wurde, oder durch Annäherung 
der Stimmgabel dem Ohreingange. Ausnahmsweise wurde die Stimm- 
gabel dem Kopfknochen aufgesetzt. Die Stärke des Prüfungstones war 
eine wechselnde, gewöhnlich nur gering, die Dauer der Einwirkung be- 
trug meistens nur einige Secunden. 

Derartig vorgenommene Versuche ergaben, dass Toneinwirkungen 
auf das Ohr sehr häufig Gleichgewichtsstörungen setzen, die abgesehen 
von individuellen Verschiedenheiten bei derselben Person von der Höhe 
des Tones abhängig sein können und in sehr mannigfacher Stärke, 
bald als schwache Schwankung, bald als plötzliche Sturzbewegung auf- 
treten. Zuweilen werden Störungen des Gleichgewichtes nur durch 
einzelne Töne, mitunter durch einen bestimmten Ton allein oder durch 
diesen in besonderer Stärke erregt. Im Falle 29 bestanden bei ge- 
schlossenen Augen kleine Körperschwankungen nach unbestimmten 
Richtungen; im Momente der Tonzuleitung von c—c, trat ein Schwanken 
nach hinten ein, bei C regelmässig eine Sturzbewegung nach hinten. 
Im Falle 25 erregten C und c, vom linken Ohr aus keine Körper- 
schwankung, c, und ve, dagegen eine solche nach vorne. Im Falle 26 
zeigten sich die hohen Töne von besonderem Einflusse auf die Sturz- 
bewegung nach links. 

Im Falle sich mehrere bestimmte Töne als besonders wirksam auf 
Erregungen von Gleichgewichtsstörungen erweisen, geschieht es nicht 
selten, dass diese Töne in der chromatischen Tonreihe weiter aus- 
einander liegen, wie der soeben mitgetheilte Fall 25 ergiebt. 


250 Vietor Urbantschitsch: Ueber Störungen 


dm 


Zuweilen kann der plötzliche Entfall eines Tones eine stärkere 
Körperschwankung herbeiführen, wie in dem Falle 30f, wo c,, dem 
rechten Ohre zugeleitet, eine kleine Schwankung nach rechts erregte; 
die bei plötzlicher Wegnahme der stark tönenden Stimmgabel vom Ohr 
in eine Sturzbewegung nach rechts überging. 

Auffällig ist die Beobachtung, wie häufig sich die Richtung 
der Gleichgewichtsstörung von dem Zuleitungstone ab- 
hängig zeigt, so dass die Körperschwankungen je nach dem Tone in 
verschiedener Richtung erfolgen kann. Auch in dieser Beziehung giebt 
sich nicht immer das gleiche Verhalten zu erkennen und bei derselben 
Versuchsperson vermag ein bestimmter Ton bei verschiedenen Ver- 
suchen an demselben Tage oder bei Versuchen an verschiedenen Tagen 
eine Körperschwankung bald in der einen, bald in der änderen Fall- 
richtung auszulösen. In vielen anderen Fällen ist die Sturzrichtung 
bei Einwirkung eines bestimmten Tones in wiederholt angestellten Ver- 
suchen stets die gleiche. 

Die Richtung der Gleichgewichtsstörung erweist sich ferner oft 
verschieden, je nachdem ein bestimmter Ton auf das rechte oder 
linke Ohr einwirkt, sowie auch die Zuleitung eines Tones bald 
zu einem Ohr, bald zu beiden Ohren ganz verschiedene Ergebnisse 
liefern kann. Im Falle 15b erregten c, und c} nur vom rechten Ohr 
aus eine Sturzbewegung nach hinten; im Falle 25 entstanden Gleich- 
gewichtsstörungen durch Toneinwirkungen auf das rechte Ohr, indess 
vom guthörenden linken Ohr keine Körperschwankungen hervorgerufen 
wurden. c, und c, bewirkten im Falle 15 b vom linken Ohr aus eine 
Sturzbewegung nach vorne, vom rechten Ohr aus nach hinten. Im Falle 
16b entstand durch c, vom rechten Ohr aus eine Sturzbewegung nach 
hinten, vom linken Ohr aus nach vorne. Eine besonders auffällige Er- 
scheinung bot der Fall 27 dar, bei dem durch die Zuleitung von 
Stimmgabeltönen zu beiden Ohren eine Sturzbewegung nach vorne er- 
folgte, dagegen bei Verschluss des einen Ohrschlauches der 3theiligen 
wöhre stets gegen den offen bleibenden Schlauch, also gegen das 
hörende Ohr; s. ferner Fall 30e. Schwankungen gegen die Tonquelle 
habe ich noch in mehreren anderen Fällen angetroffen. — Im Falle 26 
blieb die Richtung der Körperschwankung stets dieselbe, gleichgiltig ob 
der Ton dem einen oder andern Ohr oder beiden Ohren gleichzeitig 
zugeleitet wurde. 

Vom Einflusse auf die Richtung der Körperschwankungen erweist 
sich weiter der Umstand, ob die Versuche bei offenen oder ge- 


des Gleichgewichtes und Scheinbewegungen. 251 


schlossenen Augen vorgenommen werden, und wełches Auge zum 
monoculären Sehen verwendet wird. Im Falle 15a bewirkte der Stimm- 
gabelton C beim monoculären Sehen mit dem rechten oder linken Auge 
eine Sturzbewegung nach rechts, beim binoculären Sehen dagegen nach 
hinten; c, verursacht beim monoculären Sehen eine Körperschwankung 
nach rechts, beim binoculären Sehen nach vorne. Wiederholte Versuche 
ergaben übereinstimmende Resultate. Die Erscheinung, dass eine beim 
Sehen mit dem rechten oder linken Auge eintretende Fallrichtung beim 
binoculären Sehen eine Aenderung erfährt, babe ich noch in anderen 
Fällen beobachtet. 

Manchmal erfolgt eine Körperschwankung nach einer bestimmten 
Richtung in Folge einer Tonzuleitung nur bei Verschluss des einen 
Auges, nicht aber beim monoculären Sehen mit diesem Auge. Im 
Falle 16b trat bei Einwirkung von C und bei Verschluss des rechten 
Auges eine Sturzbewegung nach vorne ein, nicht aber bei Verschluss 
des linken Auges; c, bewirkt vom rechten Ohr aus nur beim mono- 
culären Sehen mit dem rechten Auge und vom linken Ohr aus nur beim 
Sehen mit dem linken Auge eine Sturzbewegung nach hinten. Bei Be- 
obachtungen wie im Falle 15, wo C beim monoculären Sehen mit dem 
rechten oder linken Auge eine Sturzbewegung nach rechts und hinten 
hervorrief, beim binoculären Sehen dagegen nicht, ist der Umstand in 
Betracht zu ziehen, dass viele Personen ihr Körpergleichgewicht beim 
binoculären Sehen leichter erhalten als beim monoculären Sehen. 

Bei beiderseits geschlossenen Augen trat auf eine Tonzuleitung in 
einer grösseren Anzahl von Fällen eine Körperschwankung nach einer 
bestimmten Richtung ein, während diese beim monoculären Seben eine 
andere war. Im Falle 30a zeigte sich bei der Einwirkung von © 
während des binoculären Sehens ein Schwanken gegen die Hörquelle, 
also bei einer Tonzuleitung zum rechten Ohre nach rechts, zum linken 
Ohre nach links, während bei geschlossenen Augen sowohl vom rechten 
als linken Ohr aus eine Körperschwankung nach hinten erfolgte. 

Tonempfindungen vermögen ausser Störungen des 
Gleichgewichtes auch Scheinbewegungen und Schein- 
ablenkungen auszulösen oder solche, wenn sie bereits bestehen, 
zu verändern oder aufzuheben. Dabei zeigt sich sehr häufig 
eine Abhängigkeit von der Höhe, mitunter auch von der Stärke des 
Tones; doch auch derselbe Ton bewirkt nicht immer die gleiche Art 
von Scheinbewegung, sondern kann bei wiederholten Versuchen mannig- 
fache Verschiedenheiten ergeben; beispielsweise zeigt sich mitunter die- 


252 Victor Urbantschitsch: Ueber Störungen 


selbe gerade Linie bei Einwirkung eines bestimmten Tones einmal un- 
verändert, ein andermal gewellt, abgeknickt, abgelenkt oder wieder in 
oscillirender Bewegung. 

Im Falle 38i bewirkte c, vom linken Ohr aus eine Ablenkung 
der Verticallinie um 2° nach links, bei schwacher oder kurzer Ton- 
zuleitung eine geringere Ablenkung; C und Cg riefen vom linken Ohr 
aus überhaupt keine Ablenkung hervor, dagegen eine geringe Ablenkung 
vom rechten Ohr aus. Bei einem anderen Versuche wurde cine vor- 
handene Scheinablenkung der Verticallinie um 2° durch C, c,—c, auf 
dem Wege der Luftleitung corrigirt, wogegen diese Ablenkung durch 
Aufsetzen der Stimmgabeln auf die Kopfknochen nur eine theilweise 
Correctur bis auf 1° Ablenkung erfuhr. — Eine durch Luftverdichtung 
im Ohr hervorgerufene Oscillation sämmtlicher Radien des Kreises um 
1° nach links und wieder zurück wurde im Falle 44e durch C und Ci 
nur im peripheren Antheile der Radien sistirt, während im centralen 
Theile die Oscillationsbewegung unverändert anhielt: Cə, C3 und c} ver- 
hielten sich indifferent. an 

Im Falle 32h erschien durch c die obere Verticallinie dem rechten Auge 
um 4° nach rechts, dem linken um 4° nach links abgelenkt, die Horizontale 
dem rechten Auge um 4° nach unten, dem linken um 4° nach oben; c, ergab 
dagegen für das rechte Auge eine Scheinablenkung der Verticallinie um 
4° nach links und bei verstärkter Toneinwirkung bis 6° nach links, 
die Horizontallinie wies eine Ablenkung um 4° nach oben auf. Die 
in diesem Falle verschieden starke Scheinablenkung, je nach der Stärke 
des zugeleiteten Tones, fand ich auch an anderen Versuchspersonen vor, 
bei denen eine tönende Stimmgabel während ihrer allmählichen An- 
näherung dem Ohre eine zunehmende Scheinablenkung der verticalen und 
horizontalen Linie erregte. Der Fall 8 ist dadurch bemerkenswerth, 
dass die durch c, ausgelöste Scheinablenkung bei den wiederholt ange- 
stellten Versuchen jedesmal nur bei der erstmaligen Einwirkung von c, 
hervortrat, dagegen nicht bei den unmittelbar darauf folgenden Versuchen. 

Die von dem einen Ohr aus hervorgerufenen Scheinbewegungen, 
bei Zuleitung eines bestimmten Tones, können eine bedeutende Aenderung 
erfahren, wenn dieser Ton gleichzeitig auch dem anderen Ohre zuge- 
führt wird. Im Falle 32] entstand durch die Einwirkung von c, auf 
das rechte Ohr eine Ablenkung der Verticallinie um 4° nach links: 
durch eine gleichzeitige Zuleitung dieses Tones zu dem linken Ohre 
wurde die Scheinablenkung von 4° nach links auf 2° nach rechts ver- 
ändert; mit Entfall der Einwirkung von c, auf das linke Ohr trat wieder 


des Gleichgewichtes und Scheinbewegungen. 253 


die frühere Ablenkung um 4° nach links ein. c, corrigirte in diesem 
Falle die Ablenkung, wogegen c, und c, die Ablenkung von 4° nach 
links in eine auf 4° nach rechts verwandelten. 

Ein besonders auffälliges Beispiel des verschiedenen Einflusses, den 
die Töne je nach ihrer Höhe auf eine bestehende Scheinablenkung zu 
nehmen vermögen, bietet der Fall 32p dar, wo eine Scheinablenkung 
der Verticalliniie um 4° nach links durch C bis auf 6° gesteigert 
wurde, durch c, auf 10°, c, auf 15°, c, auf 25°, dagegen durch c, 
auf 2° vermindert erschien. 

Eine eigenthümliche Beobachtung betrifft den Fall 2, in welchem 
die Radien des Kreises beim binoculären Sehen, sowie dem rechten 
Auge richtig erschienen, indess das linke Auge die Verticallinie um 2° 
nach rechts abgelenkt sah. C—c, änderten nichts in dieser Ablenkung, 
wogegen beim monoculären Sehen mit dem rechten Auge die Vertical- 
linie nicht wie sonst in richtiger Lage beobachtet wurde, sondern 
während der Einwirkung von C—c, auch eine Neigung um 2° nach 
rechts aufwies. Mit Entfall der Toneinwirkung ging die Verticallinie 
wieder in ihre richtige Stellung zurück. — Im Falle 7b wurde die um 
2° abgelenkt erschienene Verticallinie durch die verschiedenen Stimm- 
gabeltöne corrigirt, kehrte aber noch während der Einwirkung des 
einzelnen Tones in ihre frühere Scheinablenkung zurück. — Im Falle 14d 
fand beim binoculären Sehen während der Einwirkung eines Stimmgabel- 
tones keine Scheinbewegung statt, wohl aber beim monoculären Sehen. Wie 
ferner der Versuch e in demselben Falle lehrt, kann bei der Auslösung 
von Scheinbewegungen das eine Auge erregend auf das andere einwirken. 

Toneinwirkungen können ferner Diplopie hervorrufen. In dem 
Falle 37e, in welchem eine monoculäre Diplopie auftrat, war bemerkens- 
werther Weise die lage der neu auftretenden Doppellinie von dem jedes- 
maligen Tone abhängig und zwar befand sich diese bei C über der 
eigentlichen Linie, bei c, und c, unter dieser; durch c, entstand an- 
fänglich ebenfalls eine Doppellinie unter der Horizontallinie, 5 Secunden 
eine zweite, die sich oberhalb der Horizontallinie befand, so dass also 
diese zwischen zwei Scheinlinien gelagert war; c, und c, lösten keine 
Doppellinien aus. In demselben Falle zeigte sich eine Diplopie auch 
bei Erregung sensitiver Nerven, wobei die Doppellinie links von der 
eigentlichen Linie auftrat, wenn die sensitiven Nerven des Ohres gereizt 
wurden, dagegen rechts bei Erregung der sensitiven Nerven der Nase. 

Ein Umstand, den ich noch besonders hervorheben möchte, betrifft 
die Eigenthümlichkeit, dass 2 in der Tonscala weiter von einander 


954 Victor Urbantschitsch: Ueber Störungen 


liegende Töne, die verschiedenartige Scheinbewegungen veranlassen, einen 
derartigen verschiedenen Einfluss nicht ergeben, wenn man sich von 
dem einen Ton ausgehend in der chromatischen Tonscala allmählich 
dem anderen Tone nähert und diesen erreicht. Wenn z. B. der Ton c} 
die Radien eines Kreises in eine scheinbare Fächerbewegung versetzt, 
dagegen c, eine wellenförmige Scheinbewegung auslöst und man von c, 
ausgehend zuerst d, einwirken lässt, dann e, u. Ss. w., endlich c,, so 
bleibt häufig, allerdings nicht immer, die durch c, erregte Fächer- 
bewegung auch für die übrigen Töne bis c, erhalten, während wieder 
die wellenförmige Bewegung der Radien, die sich sonst bei c, zeigt, 
auch für die Töne h,! a,! u. s. w. bis c, beibehalten bleiben kann, 
wenn man von c, auf diese Weise Ton für Ton zu c, übergeht. Es 
zeigt sich bei vielen derartigen Versuchen das Bestreben, die ein- 
mal aufgetretene subjective Veränderung des Gesichts- 
objectes beizubehalten, wobei auch bei derselben Versuchs- 
person eine verschieden grosse Zähigkeit in dem Verharren der 
ursprünglichen Scheinbewegung nachweisbar ist. Bei weiter auseinander 
liegenden Tönen tritt auch bei stufenweise fortschreitender Tonannäherung 
eine Aenderung der Erscheinung im subjectiven Gesichtsfelde ein, ja 
diese kann auch für näher gelegene Töne erfolgen; so kann die schein- 
bare Fächerbewegung der Radien bei c, bereits bei f, und g, in eine 
ruhig verharrende Scheinablenkung der Radien übergehen; immerhin 
habe ich das geschilderte Beharrungsbestreben in mehreren Fällen 
deutlich ausgeprägt gefunden. 

Eine ähnliche Beobachtung hatte ich in Fällen von 
Falschhören einer bestimmten Tongruppe angestellt. Wenn man sich 
vom Bereiche der richtig gehörten Töne stufenweise dem früher er- 
mittelten Grenzton des falschen Hörens nähert und auf diesen übergeht, 
so giebt sich dabei zuweilen kein Falschhören zu erkennen, sogar die 
nächstfolgenden Töne können noch richtig gehört werden, während beim 
umgekehrten Vorgange, wenn man nämlich vom Bereiche des Falsch- 
hörens in das des richtigen Hörens übergeht, dieselben früher rein ge- 
hörten Grenztöne nunmehr unrein oder falsch erklingen. In gleicher 
Weise kann sich ein Tonausfall aus der Perception verschieden 
erweisen, je nachdem man vom Hörbereiche aus gegen die Hörgrenze 
oder jenseits dieser ins Hörbereich vorrückt; im ersteren Falle können 
noch einzelne Grenztöne wahrnehmbar sein, welche die betreffende Person 
gewöhnlich nicht hört.!) 


1) 8. Urbantschitsch: Ueber Hörübungen, Wien 1895, S. 35 und 36. 





des Gleichgewichtes und Scheinbewegungen. 255 


Erwähnenswerth ist bezüglich der Toneinwirkungen noch der 
Einfluss, den einzelne Töne auf eine Verdunklung des Gesichts- 
feldes und auf gewisse subjective Erscheinungen in diesem 
zu nchmen vermögen. Die Verdunklung des Gesichtsfeldes hängt dabei 
oft von bestimmten Tönen ab und tritt mitunter nur für ein Auge auf. 
Im Falle 4 entstanden durch C und c, schwarze Flecken im Gesichts- 
felde und ein Verdankelung desselben. — Bei einer anderen Versuchs- 
person (Fall 5) verschwanden bei c, und c, von den Radien eines Kreises. 
die centralen Antheile, während die Linien in ihrem Verlaufe gegen 
“die Peripherie sichtbar blieben; s. auch Fall 11. — Im Falle 6 er- 
zeugten c, und c, nur für das rechte Auge eine Verdunkelung des Gesichts- 
feldes. — c, erregte in einem Falle eine Regenbogenfärbung des ganzen 
Gesichtsfeldes, C in einem anderen Falle eine intensivere rothe Farben- 
empfindung (s. Fall 12, 32t und 37e).!) | 


Verschiedene subjective Erscheinungen im Gesichtsfelde 
können durch rasche Bewegungen des Kopfes, wie durch 
Schütteln und Neigen des Kopfes zu Stande kommen und dann ent- 
weder nur einige Secunden, zuweilen aber mehrere Minuten andauern. 
Die dabei angestellten Beobachtungen entsprechen im allgemeinen den 
durch akustische Reize, sowie den durch Ausspritzung, verschiedene 
mechanische und thermische Reizeinwirkungen, Luftdruckschwankungen 
vom Ohr aus erregten optischen Scheinvorgängen. Im Falle 35 (eiterige 
Entzündung der Paukenhöhle rechts) erschien ein sonst richtig ge- 
sehenes verticales Kreuz nach dem Schütteln des Kopfes dem rechten 
Auge nach links, dem linken Auge nach rechts geneigt; binoculär 
wurde das Kreuz vertical gesehen. Bei einer Neigung des Kopfes wich 
die Horizontallinie für das rechte Auge um 5° nach unten, für das 
linke Auge um 5° nach oben; binoculär wurde der horizontale Verlauf 
erkannt. — Eine Reihe anderer Erscheinungen enthalten die Be- 
obachtungen im Falle 3€. Bemerkenswerth ist in dem soeben * mitge- 
theilten Falle 35 der Umstand, dass mit der Abnahme der eiterigen 
Entzündung der Paukenhöhle die durch das Schütteln des Kopfes auf- 
getretenen Scheinablenkungen nicht mehr hervorgerufen werden konnten, 
und auch die früher spontan eingetretenen Schwindelanfälle aufgehört 
hatten. Uebrigens können Schwindel und Scheinbewegungen bei stärkeren 


1) In meiner Abhandlung über die Wechselwirkungen zwischen den ver- 
schiedenen Sinnesempfindungen finden sich derartige Beobachtungen eingehend 
beschrieben (s. Pflüger’s Archiv für Physiologie, 1888, Bd. 42). 


256 Vietor Urbantschitsch: Ueber Störungen 


Kopfbewegungen auch an ohrengesunden Personen auftreten (s. beispiels- 
weise die Fälle 41 und 42). — In dem Falle 32e ging die durch 
Schütteln des Kopfes für beide Augen in entgegengesetztem Sinne erfolgende 
Scheinablenkung der Verticallinie langsam zurück, so zwar, dass sich 
die Ablenkung nach 5 Minuten für das rechte Auge von 8° links auf 
5° für das linke Auge von 5° rechts auf 2° vermindert hatte; 
10 Minuten nach Beginn des Versuches sah das linke Auge die Vertical- 
linie richtig, das rechte Auge noch um 1° nach links abgelenkt. 


Schwindelerscheinungen treten bekanntermaassen bei den ver- 
schiedenen Erkrankungen des Gehörorganes auch spontan sehr häufig auf. 
An einer Anzahl solcher Personen, die an Schwindel litt, beobachtete ich 
das Auftreten von Gleichgewichtsstörungen bei längerem 
Fixiren eines Gesichtsobjectes, wobei die Gleichgewichts- 
störungen im einzelnen Falle so bedeutend ansteigen können, dass sich 
die betreffenden Personen ohne Unterstützung nicht aufrecht zu 
halten vermögen. Es war mir von besonderem Interesse, in mehreren 
Fällen den Beginn und das allmähliche Ansteigen dieser Gleichgewichts- 
störungen näher verfolgen zu können. Am deutlichsten zeigte sich dies 
bei Verwendung eines Kreises, dem zahlreiche Radien eingezeichnet 
waren. Beim Fixiren eines Radius bemerkt die Versuchsperson an 
diesem anfänglich eine scheinbar oscillatorische Bewegung, die allmählich 
auf die übrigen Radien übergeht; bei fortgesetztem Fixiren dieses einen 
Radius beginnt sich dieser langsam zu drehen (im Falle 54d nach 
links), womit auch eine Drehung sämmtlicher Radien in derselben 
Richtung erfolgt. Diese radartige Drehbewegung wird bei fortge- 
setztem Fixiren immer rascher, wobei eine zunehmende Unsicherheit 
des Körpergleichgewichtes eintritt, bis schliesslich eine Sturzbewegung, 
entgegengesetzt der Drehbewegung (in dem Falle 54 nach rechts) oder 
auch im Sinne dieser stattfindet. Bei anderen Personen beginnen die 
Radien anfangs langsam, dann immer rascher hin- und herzuschwanken, 
wodurch eine zunehmende Unsicherheit des Körpergleichgewichtes und 
schliesslich Sturzbewegungen veranlasst werden. In gleicher Weise zeigt 
sich bei solchen Personen ein zunehmender Schwindel während des 
Fixirens eines beliebigen Sehobjectes: Dieses geräth in ein allmählich 
stärker werdendes Schwanken oder neigt sich scheinbar gegen eine 
Seite, wobei die übrigen Gegenstände an dieser Scheinbewegung theil- 
nehmen; dieselbe wird bei fortgesetztem Fixiren immer stärker und be- 
wirkt ein zunehmendes Schwanken des Körpers bis zum Eintritt der Sturz- 
bewegung. Betreffs ähnlicher Erscheinungen bei Toneinwirkungen s. Fall ll. 





des Gleichgewichtes und Scheinbewegungen. 257 


Bei manchen Personen erregt Lesen oder Schreiben die Erscheinung 
von Schwanken, dann von Hin- und Herspringen der einzelnen Buch- 
staben, die dabei immer undeutlicher erscheinen. Es treten später 
häufig schwarze Flecken im Gesichtsfelde auf, bis dieses endlich zum 
grossen Theil schwarz erscheint. Mit einem solchen asthenopischen 
Anfall ist häufig ein Schwindelgefühl verbunden. 


Ausser den bisher angeführten Ursachen von Störungen des Gleich- 
gewichtes und den verschiedenen subjectiven Veränderungen im Gesichts- 
felde lernte ich bei meinen Versuchen den zuweilen grossen Einfluss 
kennen, den die Einwirkung verschiedener Farben auf die ge- 
nannten Erscheinungen zu nehmen vermögen. _ Die betreffenden Ver- 
suche wurden durch Vorhalten verschieden gefärbter Gläser vor das 
eine Auge, bei verschlossenem anderem Auge, oder vor beiden Augen 
angestellt. Es ergab sich dabei folgendes: 


Auf Störungen des Gleichgewichtes wirken die ver- 
schiedenen Farben in einer individuell sehr verschiede- 
nen Weise ein, und zwar theils direct hemmend, theils durch Ver- 
änderung der Richtung einer bestehenden Gleichgewichtsstörung ; mit- 
unter kann diese durch Farbeneinwirkungen ausgelöst werden. — Im 
Falle 15b vermochte Violett eine durch den Stimmgabelton C bewirkte 
Sturzbewegung nach rechts augenblicklich zu hemmen; bei bleibender 
Einwirkung von C trat diese mit der Entfernung des violetten Glases 
von dem einen Auge gleich wieder hervor. — Im Falle 16b erregte C 
eine Sturzbewegung nach hinten, beim Vorhalten eines grünen Glases 
vor dem Auge dagegen nach vorne; in gleicher Weise verhielten sich 
Blau und Violett, während Gelb dagegen indifferent blieb. — Bei 
offenem rechten Auge entstand durch die Einwirkung von c, auf das 
rechte Auge eine Sturzbewegung nach hinten; diese veränderte sich 
durch Roth, Grün, Blau und Violett in eine Sturzbewegung nach vorne, 
indess bei Gelb die Sturzbewegung nach hinten beibehalten blieb. Im 
Momente der Entfernung von Roth, Grün, Blau oder Violett trat eine 
Schwankung des Körpers in die entgegengesetzte Richtung, also nach 
hinten ein, bei Wegnahme von Gelb nach vorne. — Im Falle 29b 
verursachte C eine Sturzbewegung nach hinten. Während der fort- 
dauernden Einwirkung von C auf das linke Ohr werden beiden Augen 
verschiedenfarbige Gläser vorgehalten; dabei verhalten sich Roth und 
Gelb indifferent, Grün beruhigt etwas die Körperschwankung, Blau und 
Violett verändern die Richtung nach rechts, wobei nach Entfernung 

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Rd. XXXI. 17 


258 Vietor Urbantschitsch: Ueber Störungen 


von Blau oder Violett wieder die Schwankung nach hinten eintritt. — 
Ein anderes Verhalten ergaben die Farben dagegen für die Körper- 
schwankungen bei Einwirkung von c,, und zwar verminderte sich die 
Schwankungen nach hinten durch Gelb und Blau, -wogegen sie durch 
Roth, Grün und Violett keine Beeinflussung erfuhren. — Im Falle 30 b 
fand bei Zuleitung von C zu dem linken Ohr ein Schwanken des 
Körpers nach links statt, das durch Roth, Grün, Blau und besonders 
durch Violett mehr nach hinten abgelenkt wurde. Gelb erregte Kreis- 
bewegungen des Stammes von rechts nach links. Vom rechten Ohr 
aus erfolgte durch C ein Schwanken nach rechts, so auch bei Roth, 
Grün, Blau und Violett, wogegen Gelb eine Kreisbewegung von links 
nach rechts erregte, also in verkehrter Richtung wie bei Zuleitung von 
C zu dem linken Ohr. Bei Einwirkung von c, auf das rechte Ohr 
und bei monoculärem Sehen mit dem rechten Auge fand durch Grün 
ein Schwanken nach links und hinten statt, vom linken Ohr aus und 
beim Sehen mit dem linken Auge nach rechts und hinten. beim 
bionoculären Sehen direct nach hinten (30 d). 

- Eine Einwirkung verschiedener Farben ist auch im 
Stande, ScheinbewegungenundScheinablenkungen her- 
vorzurufen oder zu beeinflussen. Auch hierbei verhalten sich 
die verschiedenen Farben sehr ungleich und selbst eine bestimmte Farbe 
bei derselben Versuchsperson zu verschiedenen Zeiten nicht immer in 
einer übereinstimmenden Weise. Ferner ergiebt sich nicht selten von 
dem einen Auge aus eine von dem andern Auge abweichende Reaction 
der Farbeneinwirkung zu erkennen. — Im Falle 38f wurde dem rechten 
Auge im Stadium der Ablenkung der Verticallinie um 2° nach links 
ein rothes Glas vorgehalten; unmittelbar danach stellte sich die Verticale 
gerade und ging mit der Wegnahme von Roth wieder um 2° nach 
links. In gleicher Weise verhielten sich Braun, Grün und Blau, indess 
durch Violett nur eine theilweise Correction der Ablenkung zu Stande 
kam. Für das linke Auge, das ebenfalls eine Ablenkung der Vertical- 
linie um 2° nach links beobachtete, verhielten sich dagegen Roth, 
Braun und Grün indifferent, bei Blau und Violett erfolgte eine kleine 
Verrückung der Verticallinie nach rechts. An einem andern Versuchs- 
tage wurde die in richtiger Lage gesehene Verticallinie durch Blau 
und Violett um 2° nach links abgelenkt, dagegen nicht durch die 
übrigen Farben. — Mitunter treten Scheinbewegungen und Schein- 
ablenkungen nicht während einer Farbeneinwirkung auf, sondern nach 
dem plötzlichen Entfall einer solchen, wie z. B. in dem Falle. 14h. 


des Gleichgewichtes und Scheinbewegungen. 259 


Eine durch Farbeneinwirkung hervorgerufene Scheinablenkung kann 
während einer längeren Einwirkung der betreffenden .Farbe wieder zu- 
rückgehen, wie dies der Fall 32n lehrt. 


Die Stellung der Horizontal- und der Verticallinie werden durch 
Farbeneinwirkungen oft in ganz ungleicher Weise beeinflusst ; mitunter 
tritt eine Scheinablenkung nur an einer der beiden Linien auf. Im Falle 
39f entstand durch das Schütteln des Kopfes für das rechte Auge eine 
Ablenkung der Verticallinie um 2° nach links, der Horizontallinie um 
2° nach unten. Roth, dem rechten Auge vorgehalten, veranlasste eine 
allmähliche Aufstellung der Horizontalen, die binnen 4—5 Secunden ihre 
horizontale Lage erreicht ; nach Entfernung von Roth ging die Horizontal- 
linie binnen 3 Secunden wieder in ihre frühere Scheinablenkung auf 2° 
nach unten zurück; dieselbe Erscheinung bestand für Grün und Blau. 
Die Scheinablenkung der Verticallinie blieb dagegen bei diesen Ver- 
suchen unverändert. An einem anderen Versuchstage, wo nach Schütteln 
des Kopfes eine Ablenkung der Verticalliniie um 1° nach links, der 
Horizontallinie um 1° nach abwärts entstand, corrigirten Roth, Gelb, 
Grün, Blau und Violett nur die Ablenkung der Horizontallinie, indes die 
Verticallinie durch die Farbeneinwirkungen unbeeinflusst blieb. Im Falle 
46 entstand durch die Auspritzung des Ohres eine Ablenkung des oberen 
Verticalradius um 2° nach rechts, des rechten horizontalen Radius um 
2° nach unten. Roth, Grün und Violett hoben beide Ablenkungen voll- 
ständig auf, Gelb und Blau nur die der Horizontallinie, indes die Vertical- 
linie nur eine theilweise Correctur bis auf 1° Ablenkung nach rechts 
erfuhr. — Im Falle 44c zeigte sich eigenthümlicher Weise, dass die in 
den verschiedenen Stadien der Ablenkung angestellten Versuche mit den 
einzelnen Farben die jedesmalige Ablenkung bis zur Normalstellung 
corrigirten, nie darüber hinaus, wogegen bei spontan eingetretener 
Normalstellung durch jedes, dem rechten Auge vorgesetztes farbiges 
Glas eine Ablenkung der Vertical- und Horizontallinie über die Normal- 
stellung hinaus erfolgte. 


Im Falle 48f zeigten sich beim Sehen durch farbige Gläser die 
sonst vorhandenen Scheinbilder, je nach der Farbe verschwunden oder 
sonst wie verändert, beispielsweise fand bei Scheinablenkungen einmal 
eine Correctur statt, ein andermal eine Steigerung der Ablenkung. 


Es wurden ferner durch einzelne Farben scheinbare Lagever- 
änderungen im Gesichtsfelde hervorgerufen, die ohne Farbeneinwirkung 
nicht zur Beobachtung kamen. Der Fall ist folgender: Ein senk- 

17* 


260 Victor Urbantschitsch: Ueber Störungen 


recht gezeichnetes und richtig gesehenes Kreuz erschien nach einer 
Lufteinblasung ins linke Ohr dem rechten Auge verdoppelt und dabei 
nach rechts geneigt, dem linken Auge ebenfalls verdoppelt und nach 
links geneigt; binoculär wurden 3 Kreuze gesehen u.z. ein nach rechts 
geneigtes, ein nach links geneigtes uud ein mittleres vertical stehendes 
Kreuz. Grün ergab beim Sehen mit dem rechten Auge nur ein nach 
rechts geneigtes, mit den linken Auge ein nach links geneigtes Kreuz; 
beim binoculären Sehen wurde dagegen nur ein einziges nach rechts 
geneigtes Kreuz beobachtet, 'das mittlere und das linke Kreuz waren 
verschwunden. — Blau zeigte beim monoculären Sehen 2 schief stehende 
Kreuze, binoculär ein nach rechts und ein nach links geneigtes Kreuz. 
— Roth verhielt sich beim binoculären Sehen wie Blau, so auch beim 
Sehen mit dem rechten Auge, dagegen sah das linke Auge das Kreuz 
nur undeutlich. — Bei Braun erschienen dem rechten Auge ein nach 
links geneigtes Kreuz, dem linken Auge 3 nach rechts geneigte Kreuze ; 
binoculär fanden sich wie bei Blau 2 Kreuze vor. — Violett erregte 
die Erscheinung von 4 Kreuzen beim Sehen mit dem rechten Auge und 
von 5 Kreuzen mit dem linken Auge, die nach Wegnahme von Violett 
in der S. 292 geschilderten Weise verschwanden. 


Die im Falle 32 durch die verschiedenen Farben beeinflusste Schein- 
ablenkung der horizontalen und verticalen Linie gebe ich der Ueber- 
sichtlichkeit halber in nachfolgender Zusammenstellung: Während der 
Einwirkung zuerst von C auf das rechte Ohr, dann von c,, Cg und c, 
wurden die verschiedenen Farben einmal dem rechten, ein andermal dem 
linken Auge vorgehalten und dadurch die bestehende Scheinablenkung 
der Horizontal- und Verticallinie in verschiedenster Weise verändert. 


Vertieallinie. 


rechtes Auge linkes Auge 
C bewirkt eine Ablenkung um 4° nach rechts 4° nach links 


Grünverändert diese Ablenkung auf6° « « 6° « « 
Violett 2 2 2 2 2020. 50 « « DO « « 
Braun . . 2 2020202..7100 « « 7? « <’ 
c, bewirkt eine Ablenkung auf 4° « « 40 « « 

Blau stellt die Linien . . . vertical vertical 
Grün . . 2 2002000... Vertical vertical 
Roth zeigt sich indifferent, also 4° « < 4? « < 


Blau stellt die Linien . . . vertical vertical 


des Gleiebgewichtes und Scheinbewegungen. 261 


Horizentallinie 


rechtes Auge 
C bewirkt eine Ablenkung um 4° nach unten 


linkes Auge 
4° nach oben 


Grün verändert diese Ablenkungauf6° « « 69 « « 
Violett . 2 2 2 2.2.2.6 « < 6 « « 
Braun . 2. 2 2.2.2..2..100 « « 7° « « 
cı bewirkt eine Ablenkung auf 4° « « 4 « « 
Blau stellt die Linien . horizontal horizontal 
Grün . . 2 . . . . horizontal horizontal 
Roth zeigt sich indifferent, also 4° nach unten 4° nach oben 
Blau stellt die Linien . horizontal horizontal 


c, bewirkt beim Sehen mit dem linken Auge eine Ablenkung der 
Verticallinie um 4° nach rechts, der Horizontallinie um 4° nach unten; 
diese Ablenkung zeigt sich betreffs der 


Verticallinie Horizontallinie 


bei Blau 2° nach rechts 
Grün corrigirt 
Braun < 
Violett 2° nach links 
Roth 2° nach rechts 


4° nach unten 


20 « < 
« « « 

corrigirt 

corrigirt. 


Bei cą sehen das rechte und linke Auge die Verticallinie um 4° 
nach links abgelenkt, die Horizontallinie um 4° nach unten. Die Ver- 
änderung dieser Ablenkung durch die verschiedenen Farben sind fol- 


gende: 
Verticallinie 
rechtes Auge linkes Auge 

C3 4° l. 4°]. 
Roth 6°. 6? l. 
Grün 10° 1. 10 1. 
Blau 2%], 2%], 
Violett 6° r. 6° r. 
Braun 15° 1. 15° 1. 


Horizontallinie 
rechtes Auge linkes Auge 


4° u. 4° u. 
corrigirt corrigirt 
6° u. 6° u. 
4° u. 4° u. 
10° ob 10° ob. 
15° ob. 15" ob. 


In demselben Falle trat auch durch Farbeneinwirkungen allein eine 
Scheinablenkung der Horizontal- und Verticallinie ein; die ohne Farbe 
in richtiger Lage gesehenen Linien zeigten sich also abgelenkt bei: 


262 Vietor Urbantschitsch: Ueber Störungen 


Verticallinie Horizontallinie 


rechtes Auge linkes Auge rechtes Auge linkes Auge 
Gelb um 2Pr. ER: 6° u. 6° u. 
Blau vertical IT, horizontal 4°’ u. 
Roth a 4° r, 10° ob. 4° u. 
Grün 6° r. 26° r. 11° u. 30° ob. 
Violett 19° r. 26° r. . 29° ob. 36° u. 


Eine derartige bedeutende Scheinablenkung, wie in diesem Falle 
Grün und Violett ergaben, traf ich in den anderen Fällen nicht an; zu- 
meist betrug die Ablenkung bis 2° oder 4°, selten 6°. 


Durch das Vorhalten verschiedenfarbiger Gläser gleichzeitig vor 
beiden Augen, wobei also jedes Auge ein anderes Glas vorgesetzt erhält, 
können mannigfach verschiedene Combinationen von Scheinbewegungen 
und Scheinablenkungen entstehen, die bald als Mischform der jedem 
Auge zukommenden Erscheinung auftreten, bald wieder als Summirung 
der beiderseitigen Eindrücke und Verstärkung der nur dem einen Auge 
eigenthümlichen Scheinvorgänge. 


In dem Falle 32 ergab ein derartiger Versuch eine Summirung 
der monoculären Scheinbilder in folgender Weise: Beim binoculären 
Sehen, wobei nur das rechte Auge durch ein rothes Glas sah, erschienen 
anstatt der oberen verticalen Kreislinie 2 Linien, von denen die 
eine um 2° nach rechts, die andere um 4° nach links geneigt waren; 
beim Vorhalten eines grünen Glases vor dem linken Auge und frei 
bleibenden rechten Auge erschienen ebenfalls anstatt der Verticallinie 
2 Linien, die aber beide eine Neigung nach rechts von 6° und 25° auf- 
wiesen. Wenn nunmehr dem rechten Auge das rothe Glas, dem 
linken Auge das linke Glas vorgehalten wurde, so traten anstatt der 
Verticallinie 4 Linien auf, von denen eine 4° nach links geneigt er- 
schien, die übrigen 3 dagegen nach rechts um 2°, 6° und 25°. Bei 
Verschluss des rechten Auges verschwanden die 4° nach links und 2° 
nach rechts befindlichen Linien und es verblieben also nur 2 um 6° 
und 25° nach rechts geneigte Linien; bei Verschluss des linken Auges 
verschwanden dagegen die letztgenannten 2 Linien und es waren nur 
die 4° nach links und 2° nach rechts gelegenen Linien sichtbar. Be- 
züglich der Entstehung von Doppelbildern infolge von Farbenein- 
wirkungen s. auch Fall 14i. Der Fall 48 e und f bietet ein Beispiel 
des verschiedenen Einflusses dar, den die einzelnen Farbeneinwirkungen 
auf die Entstehung von Doppelbildern und auf die Veränderung und 


des Gleichgewichtes und Scheinbewegungen. 263 


Unterdrückung einer bestehenden Diplopie und Polyopie nehmen können. 
Von Interesse ist bei dieser..Versuchsperson auch das nach Entfall der 
Farbeneinwirkung allmähliche Abklingen der Diplopie und Polyopie. 


Betreffs des Einflusses von Farbeneinwirkungen auf das Entstehen 
von dunklen Flecken im subjectiven Gesichtsfelde s. Fall 10. 


Indem ich hiermit meine Mittheilungen schliesse, bemerke ich noch 
ausdrücklich, dass unter den zahlreich angestellten Versuchen hier nur 
solche Beobachtungen angeführt sind, die von verlässlich erschienenen 
Versuchspersonen angegeben wurden.. Ich habe durch wiederholte, bald 
an demselben Tage, bald an verschiedenen Tagen angestellte Versuche 
die einzelnen Angaben controlliert und bei besonders auffälligen Angaben 
solche Controllversuche zu verschiedenenmalen ausgeführt. Bei den an 
vielen Versuchspersonen oft zahlreich vorgenommenen Untersuchungen 
und genaueren Aufzeichnungen der angegebenen Beobachtungen vermochten 
auch Stichproben die Verlässlichkeit der Angaben sicherzustellen, umso- 
mehr als eine constatirte Uebereinstimmung der jedesmaligen Angabe 
bei der grossen Menge der Einzelheiten gegen jede etwaige absichtliche 
Täuschung sprechen musste, besonders da die Angaben gewöhnlich rasch, 
ohne weitere Ueberlegung gemacht wurden, wie z. B. betreffs des Grades 
der Ablenkung, u. a. auch in den Fällen von Diplopie und Polyopie. 

Ich habe die Versuche anfänglich an ohrenkranken Personen ange- 
stellt, besonders an solchen, bei denen eine Trommelfell-Lücke bestand 
und demnach die Paukenhöhle den verschiedenen Einwirkungen frei zu- 
gänglich war. Es ergab sich hierbei, dass an solchen Personen, be- 
sonders subjective Erscheinungen im Gesichtsfelde durch Druck- und 
Reizeinwirkungen auf die Paukenhöhle ausgelöst werden konnten, und 
gewisse Scheinbewegungen und Scheinablenkungen häufig auch spontan, 
ohne bestimmte Reizeinwirkung auf das Ohr, hervortraten. In einigen 
Fällen erschien die Leichtigkeit der Auslösung von verschiedenen op- 
tischen Scheinvorgängen thatsächlich von einem vorhandenen entzünd- 
lichen Zustand des Ohres abhängig indem nach Ablauf desselben eine 
bedeutende Abschwächung oder vollständige Aufhebung der früher 
deutlich bemerkbaren Scheinbewegungen und anderer optischer Schein- 
vorgänge bestand. Weitere Versuche belehrten mich, dass die meisten 
der früher beschriebenen Erscheinungen von Störungen des Gleichgewichtes 
und optischen Scheinvorgängen auch an ohrengesunden Personen und über- 
haupt als physiologische Erscheinungen vorkommen können. Allerdings 
muss die Versuchsperson eine gewisse Eignung diesen Versuchen entgegen- 


964 Vietor Urbantschitsch: Ueber Störungen 


bringen, sie muss sich in einer Art von labiler Empfindungs-Erregbarkeit 
befinden, wo Schwankungen und Veränderungen der Sinnesempfindung 
leichter eintreten, wie ja in ähnlicher Weise eine Aenderung im Gleich- 
gewichtszustande beim freien Stehen mit geschlossenen Füssen und zuge- 
machten Augen eher stattfindet, da in diesem Falle ein labilerer und nicht 
so leicht zu corrigirender Gleichgewichtszustand besteht wie sonst. So er- 
folgen auch subjective Veränderungen eines Sehobjectes z. B. der Radien 
eines Kreises bei manchen Personen bei weitem deutlicher, wenn sich 
das betreffende Sehobject an der Sehgrenze befindet, wo sich ja subjective 
Sehschwankungen und sonst unauffällige optische Erscheinungen gewöhn- 
lich eher zu erkennen geben. Bei vielen Personen jedoch sind die von 
mir geschilderten optischen Scheinvorgänge auch beim deutlichen Sehen 
beobachtet worden, besonders wenn dieselben der betreffenden Person 
einmal aufgefallen waren. Wie ich bei meinen Versuchen weiteres er- 
fahren habe, steigert sich bei vielen Personen durch Wiederholung der 
anfangs mit negativem Erfolge angestellten Versuche die Neigung zu 
merklichen Veränderungen der Sinnesempfindungen ; zum grossen Theil 
wurden durch eine geübtere Beobachtung und Aufmerksamkeit eintretende 
Erscheinungen eher wahrgenommen. Etwaige Suggestions-Einflüsse war 
ich stets bestrebt hintanzuhalten und verfuhr auch deshalb bei der Frage- 
stellung in einer Weise, welche jede Beeinflussung bei der Beantwortung 
ausschloss. Um selber nicht bei Vornahme der Versuche in eine so 
leicht eintretende unbeabsichtigte Subjectivität oder Voreingenommenheit. 
zu verfallen, habe ich die bereits vor 2 Jahren abgeschlossene Unter- 
suchung erst in jüngster Zeit wieder aufgenommen, dabei aber ganz 
übereinstimmende Resultate erzielt und die Richtigkeit der früheren 
Beobachtungen in den wesentlichsten Punkten aufs neue erprobt. | 

Ich bin mir wohl bewusst, dass viele hier angeführte Beobachtungen 
erst durch weitere eingehenden Untersuchungen klar gestellt werden 
müssen, wozu vielleicht diese Mittheilungen einige Anregung geben 


werden. 
Anhang. 


1. Marie E., 23 Jahre alt, bilateral chronischer Mittelohr- 


katarrh. 

a) Der verticale und der horizontale Durchmesser erscheinen beim 
binoculären Sehen in der richtigen Lage; dagegen sieht das rechte 
Auge allein eine Ablenkung der Verticallinie um 2° nach links, der 
Horizontallinie um 2° nach abwärts. Diese Ablenkung wird sowohl 
an der oberen als auch an der unteren Kreishälfte wahrgenommen, 


des Gleichgewichtes und Scheinbewegungen. 265 


so dass demnach der verticale Durchmesser nicht vertical erscheint, 
sondern als zwei Radien, die einen gegen links offenen Winkel von 
176° bilden. Das linke Auge sieht die Linien richtig, wie dies 
auch beim binoculären Sehen der Fall ist, wo also eine Correctur 
der Ablenkung stattfindet. 


b) Ich verdecke das linke Auge, wodurch dem rechten Auge die er- 
wähnte Ablenkung der Horizontal- und Verticallinie merklich wird, 
und lasse, während die Versuchsperson auf die beiden Kreis- 
durchmesser genau achtet, den Stimmgabelton C auf das rechte Ohr 
continuirlich einwirken. Kurz nach Beginn dieser Toneinwirkung 
stellen sich die abgelenkt erscheinenden Linien allmählich in ihre 
wirkliche Lage ein, die sie bei den verschiedenen Versuchen binnen 
3—5 Secunden erreichen. Mit dem Entfall der Toneinwirkung tritt 
binnen 1—2 Secunden wieder die gewöhnliche Ablenkung der 
Linien ein. 

c) Bei Besichtigung der anderen Kreisfläche, an der eine grosse An- 
zahl Radien gezogen ist, bemerkt die Versuchsperson beim binoculären 
Sehen eine stete fächerförmige Bewegung der schief laufenden Radien 
nach oben und wieder zurück; auch monoculär zeigt sich eine solche 
Bewegung, besonders stark dem linken Auge. Durch die Ton- 
einwirkung von C, c—c, wird diese Scheinbewegung sowohl vom 
rechten als auch vom linken Ohre aus vollständig sistirt. 


Wiederholte Versuche ergeben für die einzelnen Töne nicht immer 
übereinstimmende Resultate; so vermochte c, und c} zeitweise weder 
vom rechten, noch vom linken Ohre aus einen Stillstand in der Fächer- 
bewegung herbeizuführen, wogegen dieser bei C, c) und c}, regel- 
mässig erfolgte. 


d 


N 


2. Anna J., 20 Jahre alt. Die Radien zeigen sich bei binoculärer 
Besichtigung in richtiger Lage, so auch dem rechten Auge, während 
das linke Auge die obere Verticallinie um 2° nach rechts abgelenkt 
sieht. Die Einwirkung der Töne C— c, ändert nichts in dieser Ab- 
lenkung, wogegen das rechte Auge, das die Radien sonst in richtiger 
Lage erkennt, durch die Einwirkung der Töne c, — c}, auf das rechte 
oder linke Ohr, eine Neigung der oberen Verticallinie um 2° nach 
rechts bemerkt, die nach Entfall der Toneinwirkung wieder zurück- 
geht. Der Ton C ruft keine Aenderung hervor. 


3. Karoline W. sieht die Radien bei binoculärem und monocu- 
lärem Sehen in normaler Lage. Bei Einwirkung der Töne c, und c, 
ergiebt sich für das rechte Auge am linken oberen Kreissegment eine 
Bewegung des mittleren Radius (45°) um 1—2° nach aufwärts; die 
anderen nach oben oder unten gelegenen übrigen Radien verhalten sich 
dabei ruhig. Dem linken Auge erscheinen bei Einwirkung der ein- 
zelnen Töne auf das linke Ohr die Radien in normaler Lage; bei 
Zuleitung des Tones c, auf das entgegengesetzte rechte Ohr bewegt 
sich der obere verticale Radius um 1—2° nach rechts. 


266 Vietor Urbantschitsch: Ueber Störungen 


4. Fräulein B. Die Radien erscheinen binoculär oder monoculär 
gesehen. in richtiger Lage, so auch bei Einwirkung der Töne C—c.. 
Dagegen erfolgt bei Einwirkung von c, und noch deutlicher von C auf 
das rechte Ohr am rechten Auge eine Verdunklung des Gesichtsfeldes, 
das ausserdem von herumtanzenden schwarzen Flecken erfüllt erscheint; 
Cı; Co und c, bedingen keine derartige Erscheinung. 

Das linke Auge bemerkt spontan auftretende schwarze Flecke im 
Gesichtsfelde, die bei der Toneinwirkung von Ü—c, rasch verschwinden 
und bei Entfall der Töne wieder hervorkommen. 


5. Frau K. Der. Ton.c, bewirkt ein Verschwinden der centralen 
Antheile aller Radien der oberen Kreishälfte, so dass nur deren 
peripherer Verlaufstheil sichtbar bleibt; die übrigen Töne bleiben 
wirkungslos. 


6. In einem een Falle riefen nur die Töne c, und c, ganz 
die gleiche Erscheinung hervor. 


7. Johann J., 12 Jahre alt, beiderseits an eiteriger Entzündung 
der Paukenhöhle mit Perforation des Trommelfelles erkrankt. 

a) Beim Ausspritzen des rechten ÖOhres rückt der obere verticale 
Radius allmählich bis auf 4° nach rechts, sowohl beim mono- 
culären Sehen mit dem rechten als auch mit dem linken Auge; 
nach !/,—1 Minute richtet sich die Linie langsam wieder auf, 
erscheint aber dem linken Auge früher vertical, als dem rechten 
Auge. — Nach der Ausspritzung des linken Ohres sieht das rechte 
Auge die obere Verticallinie 2° nach links geneigt, das linke Auge 
2° nach rechts; nach 30 Secunden erfolgt für beide Augen (beim 
monoculären Sehen) gleichzeitig die Aufrichtung der Linie. Eine 
wiederholte Ausspritzung des linken Ohres bewirkt eine abermalige 
Neigung der Verticallinie um 2°, doch erfolgt diese diesmal in einer 
mit der früheren entgegengesetzten Richtung, und zwar für das rechte 
Auge um 2° nach rechts, für das linke Auge nach links. Bei einer 
dritten Ausspritzung zeigt sich die Neigung wie beim erstenmal, 
nämlich für das rechte Auge nach links, für das linke nach rechts. 

b) Beim binoculären Sehen ergiebt eine Ausspritzung des linken Ohres 
eine Abweichung der oberen Verticallinie um 2° nach links, des 
rechten Ohres um 2° nach rechts. In dem Momente einer Zu- 
leitung des Stimmgabeltones C oder c—c, richtet sich die geneigt 
erscheinende Verticallinie plötzlich auf, kehrt aber, auch bei fort- 
wirkendem Tone, allmählich wieder in die frühere Neigung zurück. 


8. Luise A. 43 Jahre. Bei monoculärer Untersuchung mit 
dem linken Auge ergiebt die Einwirkung des Tones c, auf das rechte 
Ohr eine Ablenkung der oberen Verticallinie um 2° nach rechts; nach 
Aussetzung des Tones schwindet diese Ablenkung binnen 20—30 
Secunden; die übrigen Töne bewirken keine Scheinbewegung, in gleicher 
Weise auch nicht c, bei Wiederholung des Versuches. 

Das rechte Auge sieht die obere Verticallinie, auch bei Einwirkung 
der verschiedenen Stimmgabeltöne auf das linke Ohr, stets in richtiger 


des Gleichgewichtes und Scheinbewegungen. 267 


Stellung, wogegen der Ton c,, dem rechten Ohre zugeleitet, eine plötz- 
liche Ablenkung der Linie um 2° nach rechts veranlasst, die nach: Ent- 
fall der Toneinwirkung allmählich znrückgeht. Die übrigen Töne 
führen keine Ablenkung herbei, so auch nicht c, bei wiederholten Ver- 
suchen. 9 | 

Nach einer Pause von 5 Minuten werden dieselben Versuche wieder- 
holt und ergeben dasselbe Resultat an beiden Augen; wieder ruft nur 
C€ und nur bei seiner erstmaligen Einwirkung eine Ablenkung nach 
rechts herbei, die bei Wiederholung des Versuchs nicht erfolgt. 


9. Betti F., 27 Jahre. Das rechte Auge sieht alle Radien in 
richtiger Lage, auch bei Einwirkung der verschiedenen Stimmgabeltöne; 
doch ruft c, eine geringe und c, eine bedeutende Verdunklung des Ge- 
sichtsfeldes hervor; die Versuchsperson sieht bei Einwirkung von c, 
dunkle Wolken über das Gesichtsfeld ziehen. C, c und c, ergeben 
keine derartige Erscheinung, auch nicht die Töne c, und c, am linken 
Auge. Wiederholt angestellte Versuche zeigen das gleiche Resultat. 


10. In einem anderen Falle, in dem ich die Untersuchungen mit 
farbigen Gläsern vornahm, bemerkte die Versuchsperson nach Weg- 
nahme des grünen Glases an beiden Augen regelmässig dunkle Flecke 
im Gesichtsfelde, die nach kurzer Zeit verschwinden. Die Einwirkung 
der übrigen Farben, sowie der verschiedenen Töne vermochte niemals 
die Erscheinung von dunklen Flecken auszulösen. 


11. Herr Sch. Untersuchung bei binoculärem Sehen. c, löscht 
subjectiv alle Radien in der Mitte des oberen Halbkreises aus; nach 
Entfall des Tones tauchen die einzelnen Radien wieder auf; die rechts 
und links von diesem mittleren Felde gelegenen Radien bleiben un- 
verändert. c, bewirkt eine stetige windmühlartige Drehung sämmt- 
licher Radien nach rechts, wobei die zwischen den Radien befindlichen 
weissen Felder vollständig verschwunden sind. 

Dieselbe Wirkung zeigt sich bei c}; bei leiser Einwirkung von c, 
oder c, steht die Drehung stille. Eine Wiederholung der Toneinwirkung 
von c, ergiebt auch bei diesem Ton die geschilderte Bewegung, ferner 
bei C, welcher Ton selbst bei leiser Einwirkung die windmühlartige 
Bewegung auslöst. 

Eine Wiederholung dieser Versuche, zwei Tage später, ergiebt 
Folgendes: 

c, erregt vom rechten Ohr aus am rechten Auge die geschilderte 
Kreisdrehung nach rechts; vom linken Ohre aus am linken Auge keine 
Kreisdrehung, sondern eine Schiefstellung sämmtlicher Radien nach 
links; beim binoculären Sehen giebt sich dagegen keine Veränderung in 
der Stellung der Radien zu erkennen. 


12. Josef K., 11 Jahre alt. Bei Einwirkung von c, auf das 
rechte Ohr erscheinen dem rechten Auge die obere Verticallinie und 
alle 10° rechts und links davon gelegenen Radien in ihrer peripheren 
Hälfte um 5° nach rechts abgebogen. Bei den wiederholt vorgenommenen 
Versuchen bleibt zuweilen der verticale Radius gerade, so auch die 


268 Vietor Urbantschitsch: Ueber Störungen 


anderen Radien, die jedoch eine stete, fächerförmige Bewegung gegen 
den ruhig verbleibenden verticalen Radius zeigen, als ob der Fächer 
gegen die Verticallinie zusammengeschlagen und wieder geöffnet würde ; 
dabei giebt der Knabe eine Regenbogenfärbung des ganzen Gesichts- 
feldes an, deren Auftreten durch Toneinwirkung mir bereits aus früheren 
Versuchen bekannt ist. Dieselbe Erscheinung rufen die Töne c, und 
c, hervor. | | 


13. Herr D. Bei Zuleitung von c, zum rechten Ohre entsteht bei 
geschlossenen Augen die Empfindung als ob der Kopf eine Bewegung 
nach aufwärts mache; bei c, erscheint diese Bewegung sehr gering, 
etwas intensiver bei c,, doch immer am stärksten bei c,. C ruft diese 
Empfindung nicht hervor. 


14. Emerich L., 21 Jahre alt, leidet rechterseits an eiteriger 
Entzündung der Trommelhöhle mit Perforation des Trommelfelles. 


a) 26. Januar 1893. Bei Einwirkung von c, auf das rechte Ohr er- 
scheinen dem rechten Auge die beiden 2° und 4° von der oberen 
Verticallinie nach rechts gelegenen Radien in ihrem mittleren An- 
theile in schlangenförmiger Bewegung, wobei sich das obere und untere 
Ende dieser Radien ruhig verhält. 

b) Das gleiche Resultat ergiebt ein zweiter, eine Minute später vor- 
genommener Versuch. Bei c, findet an dem mittleren Theile des 
4° von der Verticalen nach rechts und des 4° nach links befind- 
lichem Radius die schlangenförmige Bewegung statt; bei wiederholtem 
Versuche betheiligen sich an dieser Bewegurg auch die beiden 2° 
nach rechts und links gelegenen Radien. —: c, ruft diese Bewegung 
nur an den beiden 4° nach rechts und links von der Verticallinie 
gelagerten Radien hervor. — c, verursacht eine scheinbare, fächer- 
förmige Bewegung der peripheren Hälfte sämmtlicher Radien der 
oberen Kreishälfte an der Verticallinie nach abwärts; die centrale 
Hälfte des Radius nimmt an dieser Scheinbewegung nicht Theil. 

c) Das linke Auge beobachtet bei Einwirkung von c, auf das linke 

Ohr ganz die gleiche tächerförmige Bewegung, wobei ein Schwindel- 

gefühl eintritt. 

Beim binoculären Sehen findet keinerlei Bewegung der Radien statt, 

wogegen diese bei fortwirkendem Stimmgabelton in dem Momente 

erfolgt, als ein Auge geschlossen wird, und zwar beobachtet jedes 

Auge für sich allein diese Bewegung. 

e) 29. Januar. Bei Einwirkung von C auf das rechte Ohr bemerkt 
das rechte Auge keine Bewegung der Radien, wogegen das linke 
Auge (beim monoculären Sehen) eine schlangenförmige Bewegung 
an dem oberen verticalen Radius und nur an diesem allein be- 
obachtet; nunmehr erscheint auch dem rechten Auge diese Bewegung, 
jedoch in viel schwächerem Grade; wiederholte Versuche zeigen 
übereinstimmende Beobachtungen. C auf das linke Ohr einwirkend 
lässt beim monoculären Sehen sowohl mit dem rechten als auch 
dem linken Auge die obere Verticallinie ruhig erscheinen, wogegen 


d 


Net 


f) 


Ne” 


8 


h) 


des Gleichgewichtes und Scheinbewegungen. 269 


die beiderseits befindlichen übrigen Radien eine schlangenförmige 
Bewegung aufweisen, wie bei den Versuchen am 26. Janunr. 

Nach einer Pause von einigen Minuten werden die Versuche mit C 
wiederholt u. z. zunächst vom linken Ohre aus. Das linke Auge 
sieht nunmehr alle Radien der oberen Kreishälfte, auch den verti- 
calen Radius in schlangenförmiger Bewegung, das rechte Auge da- 
gegen eine fächerförmige Bewegung der Radien und zwar rechts von 
der Verticallinie nach rechts, links von dieser nach links. 

Bei einem wiederholten Versuche erscheinen beim monoculären Sehen 
dem rechten sowie dem linken Auge der periphere Theil der Verti- 
callinie und der dieser um 2° nach rechts und links gelegenen 
Radien in pendelnder Bewegung. C und c, ergeben vom rechten 
Ohre aus ein starkes Pendeln aller Radien der oberen Kreishälfte 
(beim Sehen mit dem rechten Auge), c, eine fächerförmige Be- 
wegung; C zeigt bei der Luftleitung keine Bewegung, wogegen beim 
Ansetzen der Stimmgabel auf den Warzenfortsatz ein Pendeln der 
beiden 2° rechts und links vom Yerticalradius gelegenen Radien 
erfolgt. 

31. Januar. Der Versuchsperson wurden während der Besichtigung 
der Radien verschieden farbige Gläser dem einen oder beiden Augen 
vorgesetzt und nach einer Zeit rasch wieder entfernt. Roth und 
Gelb ergeben dabei keine Veränderung weder beim monoculären, 
noch beim binoculären Sehen, im Gegentheil wird die durch c, er- 
regte schlangenförmige Bewegung der nahe dem Verticalradius be- 
findlichen Radien durch Gelb beruhigt. Grün wird vor das rechte 
Auge gegeben und nach einigen Secunden rasch entfernt; im 
Momente der Entfernung gehen alle Radien der unteren Kreisbälfte 
fächerförmig auseinander, die Radien der oberen Hälfte zeigen da- 
gegen ein rasches Pendeln. Beim einfachen Schliessen und Oeffnen 
des rechten Auges tritt diese Erscheinung nicht ein. 

Grün wird dem linken Auge vorgesetzt und rasch entfernt: 
Die Radien im mittleren Antheile der oberen und unteren Kreis- 
hälfte gehen fächerförmig hin und her, die Radien zu beiden Seiten 
des Horizontaldurchmessers schnellen um 2° von diesem weg und 
kehren in ihre normale Lage rasch wieder zurück. 

Blau dem rechten Auge vorgesetzt und entfernt bedingt eine 
plötzlich eintretende Ausbauchung nach rechts an den von der 
Verticallinie bis 10° nach links gelegenen Radien; das linke Auge 
sieht bei dem gleichen Versuche diese Radien in derselben Weise 
nach rechts und etwas schwächer gebogen; binoculär giebt sich 
diese Erscheinung nicht zu erkennen. Dagegen erscheint beim 
längeren binoculären Sehen durch das blaue Glas der mittlere Theil 
des linken oberen Kreissegmentes prominent; allmählich weicht diese 
Prominenz zurück bis in die Ebene der übrigen Theile, dabei ent- 
stehen von den einzelnen verschieden gefärbten Radien (s. Einleitung) 
Doppelbilder, wobei ein schmaler, weisser Saum die einzelnen 
Doppellinien trennt. 


270 


i) 


a 


St 


Victor Urbantschitsch: Ueber Störungen 


1. Februar. Roth dem rechten Auge vorgehalten zeigt ein plötz- 
liches, fächerförmiges Auseinandergehen und gleich darauf erfolgendes 
Zusammenrücken der zu beiden Seiten des oberen Verticaldurch- 
messers gelegenen Radien, indess das linke Auge beim Durchsehen 
durch das rothe Glas in umgekehrter Weise diese Radien zuerst in 
Annäherung an die Verticale sieht und gleich darauf deren fächer- 
förmiges Auseinanderweichen, wobei der einzelne Radius über die 
normale Lage hinausgeht. Binoculär erfolgt zuerst die Annäherung, 
dann das Auseinanderweichen. 

Gelb ergiebt dem rechten Auge keine Erscheinung; das linke 
Auge bemerkt ein leichtes Oscilliren der nahe dem Verticalradius 
befindlichen Radien; binoculär gesehen bleiben die Radien ruhig. 

Grün erregt an denselben Radien anstatt der Oscillation eine 
Zickzack-Bewegung beim binoculären Sehen, während monoculär 
keine Bewegung ersichtlich ist. 

Blau erzeugt beim binoculären Sehen für die Radien 10°, 15° 
und 20° links von der oberen Verticallinie Doppelbilder, wobei die 
Doppellinie bei 10° und 15° nach links, bei 20° nach rechts 
von der eigentlichen Linie, dieser sehr nahe erscheint. Dabei zeigt 
sich die merkwürdige Erscheinung, dass sich die neu auftretende 
Doppellinien über die ruhig bleibende eigentliche Linie oscillatorisch 
hin- und herbewegen, welche Bewegung bei längerem Durchsehen 
durch das blaue Glas allmählich zur Ruhe kommt. Monoculär 
findet diese Erscheinung nicht statt. Vier Tage später, am 
5. Februar entstehen durch Blau beim Sehen mit dem rechten 
Auge keine Doppellinien; das linke Auge sieht auf der linken 
Kreishälfte die der Verticallinie nahen Radien und die unterhalb 
der Horizontallinie gelegenen Radien in oscillirender Bewegung. 
Beim binoculären Sehen erzittern auch die übrigen, früher ruhig 
gebliebenen Radien der linken Kreishälfte, trotzdem das rechte Auge 


allein keinerlei Bewegung beobachten kann. 


15. E. L., 21 Jahre alt. 


5. Februar 1894. Der Stimmgabelton G wirkt auf dem Wege der 
Luftleitung auf das rechte Ohr ein; die Versuchsperson hält dabei 
in aufrechter Stellung das linke Auge zu. Im Momente der Ton- 
einwirkung erfolgt eine Sturzbewegung nach rechts, so auch bei 
Verschluss des rechten Auges und beim Sehen mit dem linken 
Auge. Im Augenblicke der Zuleitung von C zum linken Ohr er- 
folgt beim monoculären Sehen mit dem rechten oder linken Auge 
stets die gleiche Sturzbewegung nach rechts; beim binoculären Sehen 
dagegen regelmässig nach hinten. 

c, und c, verhalten sich wie C; die Sturzbewegung erscheint 
bei geschlossenen Augen stärker als bei offenen. 

C, ergiebt bei Einwirkung auf das rechte oder linke Ohr 
monoculär eine Sturzbewegung nach rechts, beim binoculären Sehen 
nach vorne, so auch bei geschlossenen Augen. 


des Gleichgewichtes und Scheinbewegungen. 271 


c, monoculär Sturz nach rechts, binoculär nach rechts und 
hinten, so auch bei geschlossenen Augen. 


b) 14. Februar. C monoculär, Sturz nach rechts und etwas nach 


a) 


b) 


hinten; binoculär erfolgt keine Gleichgewichtsstörung, jedoch augen- 
blicklich bei Verschluss eines Auges; hält man während der Ein- 
wirkung von C und beim monoculären Sehen vor das Auge ein 
violettes Glas, so zeigt sich keine Sturzbewegung nach rechts 
hinten, dagegen erscheint diese augenblicklich nach Wegnahme des 
violetten Glases; bei binoculärem Sehen durch das violette Glas tritt 
keine Sturzbewegung auf, wie beim Sehen ohne Glas. c, wirkt auf 
das rechte Ohr ein, das linke Auge wird verdeckt: alle Gegenstände 
drehen sich nach rechts. c, wirkt auf das linke Ohr ein, das rechte 
Auge ist verdeckt: es erfolgt keine Drehbewegung, dagegen ein 
Sturzbewegung nach hinten, wenn bei sonst gleicher Versuchsanord- 
nung der Ton auf das rechte Ohr wirkt. Bei geschlossenen Augen 
bewirkt c, vom rechten oder linken Ohre aus eine Sturzbewegung 
nach vorne. 

c, erregt vom rechten sowie vom linken Ohre aus, bei ge- 
schlossenen Augen eine Sturzbewegung nach vorne, beim monoculären 
Sehen dagegen nicht; c, nur bei'geschlossenen Augen und nur vom 
rechten Ohre aus eine Schwankung nach rechts und hinten. 


16. Herr W. 


13. Februar 1894. c, und c, erregen beim monoculären Sehen 
vom linken Ohre aus eine Sturzbewegung nach vorne, vom rechten 
Ohre aus nach hinten; beim binoculären Sehen erfolgt eine Sturz- 
bewegung nach vorne, bei geschlossenen Augen nach hinten. 
15. Februar. C bewirkt vom rechten Ohre aus beim monoculären 
Sehen keine Gleichgewichtsstörung, so auch nicht beim binoculären 
Sehen, wogegen bei geschlossenen Augen im Momente der Tonein- 
wirkung eine Sturzbewegung nach vorne erfolgt. Vom linken Ohre 
aus zeigt sich beim Sehen mit dem rechten Auge eine Sturzbewegung 
nach vorne, mit dem linken Auge eine solche nach hinten, bei ge- 
schlossenen Augen nach vorne. 

Das rechte Auge wird geschlossen und C dem linken Ohre zu- 


geführt; dabei findet eine Sturzbewegung nach hinten statt; so auch 


wenn dem linken Auge ein rothes Glas vorgesetzt wird; bei Grün 
erfolgt die Sturzbewegung nach vorne, bei Wegnahme von Grün 
nach hinten, desgleichen bei Blau und Violett. Gelb erweist sich 
als indifferent. 

C wird dem rechten Auge zugeleitet und das linke Auge ge- 
schlossen; es erfolgt dabei eine Sturzbewegung nach vorne, bei 
violettem Glase nach hinten. 

Bei binotischer Einwirkung von C zeigt sich keine Gleichgewichts- 
störung beim binoculären Sehen; sobald aber das rechte Auge 
geschlossen wird, findet eine Sturzbewegung nach vorne statt. — 
Co, rechtes Ohr, rechtes Auge: Sturz nach hinten; linkes Auge und 


omi un A u a a u a TE a a a A a a a a a 


272 Vietor Urbantschitsch: Ueber Störungen 


binoculär: keine Gleichgewichtsstörung. c, linkes Ohr, rechtes Auge: 
Sturz nach vorne; c, linkes Ohr, linkes Auge: Sturz nach hinten. 
C, binotisch, rechtes Auge und binoculär, Sturz nach hinten; beim 
Sehen mit dem linken Auge erfolgt keine Gleichgewichtsstörung. 

c, rechtes Ohr, rechtes Auge dem verschiedenfarbige Gläser vor- 
gehalten werden; dabei ergiebt Roth: Sturz nach vorne, Gelb: nach 
hinten, Grün, Blau und Violett: nach vorne; im Momente der Ent- 
fernung der farbigen Gläser von dem Auge erfolgt eine Sturzbewegung 
in entgegengesetzter Richtung, also bei Wegnahme von Roth, Grün, 
Blau und Violett nach hinten, bei Gelb nach vorne. 


Ne 


c 


17. Fräulein N.; am linken Ohre wurde der Hammer entfernt: 


a) C, rechtes Ohr, geschlossene Augen: es erfolgt keine Gleichgewichts- 
störung, dagegen vom linken Ohre aus eine Schwankung nach hinten. 
c, rechtes Ohr, Augen geschlossen: Sturz nach links hinten, vom 
linken ÖOhre aus stärker, bei c, direct nach hinten. c, Augen 
geschlossen; rechtes Ohr: Sturz nach links hinten; linkes Ohr: nach 
rechts hinten. 

Die folgenden Versuche werden beim binoculären Sehen vor- 
genommen: 

C, c,—ec, rechtes Ohr: Schwankung nach hinten, desgleichen 

vom linken Ohre aus; je stärker der Ton einwirkt, desto heftiger 
erscheint die Schwankung nach hinten. 
Bei geschlossenen Augen wird im linken Gehörgange eine Luftver- 
dünnung vorgenommen, wobei eine deutliche Schwankung nach links 
erfolgt; eine Luftverdichtung ergiebt eine solche nach vorne. Wieder- 
holte Versuche ergeben das gleiche Resultat. 


18. A. P., 11 Jahre alt. Bei geschlossenen Augen erfolgt eine 
Luftverdichtung im rechten Gehörgange; dabei tritt ein Schwanken nach 
hinten ein. Bei Luftverdünnung zeigt sich ein Schwanken nach vorne. 
Vom linken Gehörgange aus tritt bei Luftverdichtung gerade umgekehrt 
ein starkes Schwanken nach vorne, bei Luftverdünnung nach hinten ein. 
Bei einer an beiden Ohren gleichzeitig stattfindenden Luftverdichtung 
oder Verdünnung entstehen jedesmal starke Körperschwankungen, bald 
nach vorne, bald nach hinten. 


19. Herr H., 22 Jahre alt, zeigt beiderseits Perforation des 
Trommelfells. Bei geschlossenen Augen wird eine Luftverdichtung vor- 
genommen; vom rechten Ohre aus erfolgt dabei eine Schwankung nach 
links, vom linken Ohre aus nach rechts. 


20. Dr. M., normalhörig. Bei geschlossenen Augen bewirkt eine 
Luftverdünnung im rechten Gehörgange anfänglich eine starke Körper- 
schwankung nach hinten, worauf eine kreisförmige Körperbewegung von 
links nach rechts deutlich sichtbar wird; nach einer Minute erfolgen 
starke Körperschwankungen nach rechts. Wiederholte Versuche ergeben 
stets dasselbe Resultat. 

Bei Luftverdichtung im rechten Gehörgange erfolgen ebenfalls starke 
Kreisbewegungen nach links; während dieser wird plötzlich eine Luft- 


b 


St 


des Gleichgewichtes und Scheinbewegungen. 273 


verdünnung im Gehörgange vorgenommen, worauf die Kreisbewegungen 
des Körpers plötzlich aufhören. Bei ruhigem Körperzustande bewirkt 
eine Luftverdünnung im rechten Gehörgange ein starkes Schwanken 
nach hinten. 


21. Herr C., 55 Jahre alt. Bei Luft-Verdünnung oder -Verdichtung 
im Gehörgange findet bei geschlossenen Augen ein Schwanken gegen 
die Seite des betreffenden Ohres statt; dabei hat die Versuchsperson 
keine Empfindung dieser Körperschwankung. 


22, Herr S. Anaesthesia acustica dextra; Patient wird oft von 
Schwindel befallen. 


a) Bei geschlossenen Augen bewirkt C vom linken Ohre aus ein Schwanken 
nach links, ec. —c, nach vorne und links. Das rechte Ohr hört den 
Stimmgabelton C gar nicht, die Töne e,—c, sehr schwach, bei 
diesen letzteren Tönen zeigt sich eine Körperschwankung nach vorne; 
bei C entsteht keine Schwankung. 

b) Bei Luftverdichtung im Gehörgange des rechten Ohres erfolgt eine 
Sturzbewegung in der Diagonale nach links und vorne, bei Luft- 
verdünnung tritt dieselbe Fallbewegung auf, nur geht diese in eine 
plötzliche Sturzbewegung nach der entgegengesetzten Richtung (nach 
rechts und hinten) über. Wie Patient angiebt, erfolgen seine spontan 
auftretenden Schwindelanfälle stets anfänglich in der Richtung nach 
vorne und hierauf nach hinten. 

Am linken Ohre findet nur bei sehr starker Luftverdichtung 
oder Verdünnung eine zuckende, rissartige Bewegung nach vorne und 
dann nach hinten statt. Bei binotischer Luftdruckschwankung tritt 
ein Schwanken des Körpers ein, und zwar bogenförmig von rechts 
nach hinten gegen links. 


23. Betti H., Perforation des Trommelfelles links. 


Bei geschlossenen Augen wird eine Luftverdichtung im rechten 
Gehörgange vorgenommen; es erfolgt keine Körperschwankung. Luft- 
verdünnung ruft das erstemal ein Schwanken nach links und hinten 
hervor; das zweitemal direct nach hinten und das drittemal nach 
hinten und rechts. 

Linkerseits erfolgen bei Verdichtung und Verdünnung der Luft 
ein Schwanken nach vorne. 

Durch Einwirkung der verschiedenen Stimmgabeltöne auf das rechte 
oder linke Ohr werden Körperschwankungen nach vorne und rechts 
ausgelöst. 

~- 24. Frau N.; bilateraler chronischer Katarrh der Paukenbhöhle. 
Luft-Verdichtung und -Verdünnung im rechten oder linken Gehörgang 
sowie die Einwirkung der verschiedenen Stimmgabeltöne erregen auch 
bei geschlossenen Augen keine Störung des Gleichgewichtes. 

25. Mathilde K.; C und c, erregen vom gut hörenden linken Ohre 
aus keine Körperschwankung, c, und c, eine solche nach vorne; vom 
rechten Ohre aus ist keine Körperschwankung auszulösen. 

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXXI. 18 


8 
= 


b 


N 


274- Victoa Urbantschitsch: Ueber Störungen 


26. Frau D.; linkerseits ist die Perceptionsfähigkeit des Acusticus - 
herabgesetzt. 

Alle Töne, besonders die hphen, bewirken vom rechten oder linken 
Ohre aus eine Sturzbewegung nach links, sowohl beim monoculären oder 
binoculären Sehen als auch bei geschlossenen Augen. 


27. Anton D. Bei offenen oder geschlossenen Augen bewirken alle 
Stimmgabeltöne, besonders die hohen, eine Sturzbewegung in der Rich- 
tung des Ohres, wo die Töne einwirken, also bei linksseitiger Einwir- 
kung nach links, bei rechtsseitiger Einwirkung nach rechts. Bei bino- 
tischer Tonzuführung erfolgt die Sturzbewegung stets nach vorne. Wenn 
während der binotischen Toneinwirkung das eine Ohr plötzlich ausge- 
schaltet wird, so ändert in demselben Moment die Sturzbewegung ihre 
Richtung gegen das hörende Ohr. 


38. Herr J. 


a) Beim Stehen mit geschlossenen Füssen treten kleine Körperschwan- 
kungen nach links auf, die durch Einwirkung von C—c, auf das 
rechte oder linke Ohr verstärkt werden. 

Bei Verschluss des linken Auges und Einwirkung der Töne 
auf das rechte Ohr erfolgt bei C—c, eine Schwankung nach rechts, 
bei c}, ce, nach links; beim monoculären Sehen mit dem linken Auge 
tritt die Schwankung bei C—c, nur nach links ein. 

Während des monoculären Sehens mit dem rechten Auge durch ein 

violettes Glas und Zuleitung der Töne zu dem rechten Ohre, erfolgt. 

bei C eine Schwankung nach links, bei Entfernung des Glases nach 
rechts, so auch bei c, und c,, wogegen bei c, die Schwankung stets 
nach rechts bleibt. 

c) Am nächsten Tage ergaben die Versuche Folgendes: Bei geschlossenen: 
Augen entsteht bei C vom linken Ohre aus eine Schwankung nach 
links, vom rechten Ohre nach rechts, so auch bei c}; bei c, vom 
linken Ohre nach links, vom rechten Auge nach vorne und links; 
bei c, vom rechten und linken Ohre nach links. 

Eine binotische Einwirkung der Töne ergiebt bei geschlossenen 
Augen, bei © keine Schwankung, bei c,—c, eine Schwankung nach 
links. Bei binoculärem Sehen und binotischer Toneinwirkung von 
C—c, erfolgt keine Schwankung, beim Oeffnen der Augen dagegen 
eine solche nach rechts, also entgegengesetzt der früheren Richtung. 

C bewirkt beim monoculären Sehen, vom rechten sowie vom 
linken Ohre aus ein Schwanken nach rechts; c, vom rechten Ohre 
aus bei offenem rechten Auge ein Schwanken nach links, bei offenem 
linken Auge nach rechts; vom linken Ohre aus zeigt sich beim 
monoculären Sehen stets ein Schwanken nach links; c,, linkes Ohr: 
bei offenem rechten Auge Schwanken nach rechts, bei linkem Auge 
nach links; besonders die Schwankung nach rechts, bei offenem rechten 
Auge ist bei allen Versuchen sehr deutlich ausgeprägt. c, linkes 
Ohr, rechtes Auge offen: Schwanken nach links, rechtes Auge zu: 
Schwanken nach rechts; vom rechten Ohre aus findet dasselbe statt. 


b 


St 


des Gleichgewichtes und Scheinbewegusgen.- 275 


29. Frau K.- s 


a) Beim Stehen mit gesehlossenen Füssen zeigen sich kleine Körper- 
schwankungen nach unbestimmten Fäichtungen : im Momente der 
Tonzuleitung von C—c, tritt eiw Schwanken, bei C sogar eine 
Sturzbewegung nach hinten auf. 

b) Während der Einwirkung von C auf das linke Ohr werden beiden 
Augen verschiedenfarbige Gläser vorgehalten. Es ergiebt sich dabei : 
Roth verhält sich indifferent, so auch Gelb; Grün mindert das 
Schwanken nach hinten. Blau bewirkt ein Schwanken nach rechts; 
nach Entfernung des blauen Glases zeigt sich wieder die gewöhnliche 
Schwankung nach hinten. Violett mindert das Schwanken nach hinten 
wie Grün. ' 

Bei c, mindert Gelb und Blau das Schwanken, indess sich Roth, 
Grün und Violett indifferent verhalten. 


30. Dr. M., normalhörig. 


a) C bewirkt vom linken Ohre aus beim wonoculären:. Sehen ein 
Schwanken nach links, vom rechten Ohre aus nach rechts. Bei 
geschlossenen Augen zeigt sich ohne Toneinwirkung ein Schwanken 
nach hinten, das bei Zuleitung des Tones C zum rechten Ohre nach 
rechts und hinten, vom linken Ohre aus nach links und hinten, statt- 
findet. 


b) Während der Einwirkung von C auf das linke Ohr werden beiden 
Augen verschiedenfarbige Gläser vorgesetzt; es erfolgt bei Roth, 
Grün und Blau ein Schwanken nach links und hinten, bei Violett 
in besonderer Stärke. Gelb erregt Kreisbewegungen von rechts nach 
links. Vom rechten Ohre aus bewirkt C bei Roth, Grün, Blau und 
Violett ein Schwanken nach rechts, bei Gelb eine Kreisbewegung 
von links näch rechts, also ein Schwanken in verkehrter Richtung 
wie bei Zuleitung von C zum linken Ohre. 


c) c, vom linken Ohre aus bei offenem linken Auge; Schwankung nach 
hinten, bei offenem rechten Auge: nach rechts und hinten; bei offenen 
Augen nach hinten, bei geschlossenen Augen nach rechts und hinten. 
Vom rechten Ohre aus ergiebt c, bei offenen Augen ein Schwanken 
nach rechts und hinten, bei geschlossenen Augen rach hinten, bei 
monoculärem Sehen nach rechts und hinten. 


d) c, vom rechten Ohre aus bewirkt beim Sehen durch farbige 
Gläser bei Roth, beiden Augen oder nur dem rechten oder linken 
Auge vorgehalten, ein Schwanken nach hinten; Gelb nach rechts und 
hinten; Grün binoculär ein Schwanken nach hinten, beim monocu- 
lären Sehen mit dem rechten Auge nach links und hinten; Blau stets . 
nach hinten; bei Violett findet eine Art Sturzbewegung nach links 
und hinten statt, beim binoculären und monoculären Sehen. 

c, auf das linke Ohr einwirkend ergiebt bei Roth: binoculär ein 
Schwanken nach hinten, monoculär nach links; Gelb stets nach 
hinten, so auch Grün, Blau und Violett. Ä 


18* 


276 Victör Urbantschitsch: Ueber Störungen 


e) Bei binotischer Einwirkung von c, zeigt sich beim binoculären 
Durchsehen durch ein grünes Glas ein unbestimmtes Schwanken, 
beim Zuhalten eines der beiden Ohrschläuche, also im Momente des 
monotischen Hörens erfolgt eia Schwanken gegen die hörende Seite. 

f) Eine Woche später ergaben die Versuche Folgendes: Bei beiderseits 
geschlossenen Augen zeigt sich ein unbestimmtes Körperschwanken, 
das sich nach einer Minute allmählich beruhigt. C bei binotischer 
Einwirkung erregt anfänglich eine Sturzbewegung nach hinten, dann 
durch !/, Minute ein Schwanken nach rechts und links, so auch c,; 
c, und c, verhalten sich indifferent. - c, erregt von rechten Öhre 
aus ein langsames Schwanken nach rechts, das bei Entfernung der 
Stimmgabel vom Ohre plötzlich stärker wird. 


31. Fall von horizontalem Nystagmus bei Druck auf einen bis zum 
Öhreingange reichenden Polypen, der von der Labyrinthwand der Pauken- 
höhle ausgeht. Der dabei auftretende Nystagmus findet an beiden Augen 
in einer horizontalen Richtung nach rechts statt. 

Die Radien zur linken Seite des oberen Verticalradius erscheinen 
bei Druck auf den Polypen um 5° nach links gerückt, wobei der Ab- 
stand der einzelnen Radien von einander unverändert bleibt. Die zu 
beiden Seiten des Horizontaldurchmessers befindlichen Radien zeigen 
dagegen eine stetige gegenseitige Annäherung und Entfernung, also eine 
fächerförmige Bewegung. Bei anhaltendem Druck auf den Polypen geht 
diese Verschiebung des Gesichtsfeldes allmählich zurück, zeigt sich jedoch 
auf eine Secunde im Momente der Aufhebung des Druckes auf den 
Polypen. Die verschiedenen Farben bleiben auf diese Erscheinung in- 
different. 

Rasches Drehen des Körpers nach rechts erregt eine Fallbewegung 
nach rechts; nach links entsteht dabei keine Gleichgewichtsstörung. 


32. Fräulein F. Linkerseits besteht Perforation des Trommelfelles. 


a) Patientin wird angewiesen, unmittelbar nach der Ausspritzung des 
Ohres auf etwaige Veränderung in der Stellung von Kreuzen (t) zu 
achten, die in 3 Reihen zu je 3 neben einander auf einer Tafel 
gezeichnet sind und sich den Augen der Patientin gerade gegenüber 
befinden. Die vor der Ausspritzung binoculär in richtiger Lage er- 
scheinenden Kreuze zeigen nach der Ausspritzung eine Lageverände- 
rung in der Weise, dass Patientin, die der rechtsseitigen Colonne 
nach rechts, die der linksseitigen nach links geneigt sieht, die Kreuze 
der mittleren Colonne in richtiger Stellung, aber verdoppelt. Beim 
Sehen mit dem rechten Auge allein erscheinen alle Kreuze nach rechts 
geneigt, mit dem linken Auge nach links, wobei die mittleren Kreuze 
nicht verdoppelt sind. 

b) Es wird dem rechten Auge ein rothes Glas, dem linken ein blaues 
Glas vorgehalten; dabei erscheinen die Kreuze der rechten Colonne 
alle roth, der linken blau, die Kreuze der mittleren verdoppelt, 
dabei die rechts stehenden Kreuze roth, die links stehenden blau. 

c) Einige Minuten nach der Ausspritzung stellen sich die Kreuze der 


des Gleichgewichtes und Scheinbewegungen. 277 


linken Colonne allmählich gerade, .es verschwinden die Doppelkreuze, 

wobei die Kreuze der rechten Colonne noch nach rechts gelagert 

erscheinen und sich schliesslich gerade zeigen. 
d) An den Radien der oberen Kreishälfte bewirkt die Ausspritzung 
beim monoculären Sehen mit dem rechten Auge eine Verschiebung 
um 10° nach links, mit dem linken Auge um 10° nach rechts; bino- 
culär erscheint jeder Radius verdoppelte Der horizontale Durch- 
messer zeigt sich beim monoculären Sehen in beiden Kreishälften 
um 10° nach unten geneigt; binoculär ebenso geneigt, dabei ver- 
doppelt. Die Ablenkung der Verticallinie geht für das rechte Auge 
allmählich zurück und beträgt 5 Minuten nach der Ausspritzung 2°; 
dagegen steigert sich für das linke Auge die Ablenkung nach rechts 
bis auf 18° und auch der horizontale Radius ist um 18° nach ab- 
wärts gerückt. Erst langsam erreichen alle Radien ihre richtige 
Stellung. 
An einem anderen Tage wird ein Versuch gemacht, ob nach Schüt- 
teln des Kopfes ebenfalls eine scheinbare Ablenkung der Radien und 
der Kreuze erfolgt. Betreffs letzterer zeigt sich thatsächlich dieselbe 
Erscheinung, wie nach der Ausspritzung des Ohres: das rechte Auge 
sieht die Kreuze rechts geneigt, das linke Auge nach links, bino- 
culär tritt ein Doppeltsehen der mittleren Kreuze auf. Die Radien 
des Kreises ergeben bei monoculärem Sehen mit dem rechten Auge 
eine Ablenkung des oberen Verticalradiuss um 8° nach rechts, mit 
dem linken Auge um 5° nach links; die Horizontallinie zeigt sich 
dem rechten Auge um 10° nach unten, dem linken Auge um 5° 
nach oben abgelenkt. Im Verlaufe einiger Minuten steigert sich 
auch für den Verticalradius die Ablenkung von 8° auf 10°, wogegen 
die Ablenkung von 5° unverändert bleibt. Nach 5 Minuten beträgt 
die Ablenkung für das rechte Auge 5°, für das linke Auge 2°, 
nach weiteren 5 Minuten, also 10 Minuten seit Beginn des Versuches 
sieht das linke Auge die Radien in richtiger Lage, das linke Auge 
noch um 2° abgelenkt. 
f) 5 Tage später wird der Versuch mit dem Schütteln des Kopfes 
wiederholt. Es zeigt sich danach die verticale Linie beim mono- 
culären Sehen mit dem rechten Auge um 4° nach rechts, mit dem 
linken Auge um 4° nach links abgelenkt: die Horizontallinie er- 
scheint dem rechten Auge um 4° nach abwärts, dem linken um 4° 
nach aufwärts gerückt. 
Nach weiteren 10 Tagen wird ein Versuch mit C und c, und mit 
verschieden farbigen Gläsern vorgenommen.!) Bei Zuleitung des 
Stimmgabeltones C zu dem rechten Ohre sieht das rechte Auge den 
oberen verticalen Radius um 4° nach rechts verschoben, den hori- 
zontalen Radius um 4° nach unten; das linke Auge bemerkt eine 
Verschiebung des verticalen Radius um 4° nach links, des horizon- 


e 


N” 


Næ 


8g 


1) Die hier mitgetheilten Angaben sind S. 261 übersichtlich zusammen- 
gestellt. 


278 


h) 


k) 


Victor Urbantschitsch: Ueber Störungen 


talen um 4° nach oben; binoculär erscheinen von den einzelnen 
Radien Doppelbilder. 

Roth, dem rechten Auge vorseihalten (bei verschlossenem linken 
Auge), sowie Blau verhalten sich indifferent; bei Grün geht die 
Verticallinie binnen 1 Secunde um weitere 90 nach rechts, also von 
4° auf 6°, die horizontale ebenfalls um 2° nach unten, von 4° auf 
6°. Bei Entfernung von Grün vermindert sich wieder die Ab- 
lenkung um 2° (auf 4°) binnen 1 Secunde. Grün, dem linken Auge 
vorgehalten, vermehrt in gleicher Weise die Ablenkung um 2° nach 
links, die nach Wegnahme des grünen Glases wieder binnen 
1 Secunde zurückgeht. 

Violett vermehrt die bestehende Ablenkung des verticalen 
Radius um 1°, des horizontalen um 2°, 

Es wird ein Versuch mit einem dunkelbraunen Glase gemacht; 

beim monoculären Sehen mit dem rechten Auge rückt die Verticale 
um 6° nach rechts, die Horizontale um 6° nach unten; die Ab- 
lenkung geht nach der Entfernung des braunen Glases wieder rasch 
zurück. Das linke Auge sieht bei Braun nur eine Ablenkung um 
3° in einer der früheren entgegengesetzten Richtung. 
Versuche mit c, ergeben Folgendes: Das rechte Auge sieht die 
obere Verticale um 4° nach rechts abgelenkt, das linke Auge um 
4° nach links; die Horizontale erscheint dem rechten Auge um 4° 
nach unten abgelenkt, dem linken Auge um 4° nach oben. 

Bei der Einwirkung von c, und dem Vorhalten farbiger Gläser 
vor dem rechten Auge ergiebt Roth keine Aenderung der Ablenkung: 
bei Braun stellen sich die abgelenkte Verticale und Horizontale in 
die richtige Lage und kehren nach Wegnahme von Braun wieder 
in die frühere Ablenkung von 4° zurück; ganz dieselbe Erscheinung 
ergeben Grün und Blau. 

Einen Tag später werden die Versuche fortgesetzt und zwar zunächst 
mit c. 

c, wirkt auf das rechte Ohr ein, bei moncculärem Sehen mit 
dem rechten Auge: die obere Verticale rückt um 4° nach links und 
bei verstärkter Einwirkung von c, noch um weitere 2°, also bis 
auf 6° Ablenkung. Nach dem Aussetzen der Tonzuleitung rückt 
die um 6° abgelenkte Verticale nur um 2° zurück, also bis auf 4° 
Ablenkung und verbleibt in dieser Stellung. Die Horizontale geht 
bei c, (rechtes Ohr, rechtes Auge) um 4° nach aufwärts (in der 
rechten und linken Kreishälfte), die untere Verticale um 4° nach 
links. 

Beim monoculären Sehen mit dem linken Auge und Einwirkung 
von c, auf das rechte Ohr, wie vorher, geht der obere und untere 
verticale Radius um 4° einander entgegen, die Horizontale an der 
rechten und linken Kreishälfte um 4° nach unten. 

Bei Einwirkung von c, auf das rechte Ohr werden dem linken Auge 
farbige Gläser vorgehalten. Bei Roth geht die obere Verticale um 
2° nach links, also bis auf 2° Ablenkung, die untere Verticale um 


1) 


m) 


des Gleichgewichtes und Scheinbewegungen. 279 


4° nach links, demnach bis in die Normalstellung; die rechte Hori- 
zontale um 4° nach oben, also in die richtige Stellung, die linke 
horizontale Linie noch um weitere 4° nach abwärts, also bis auf 
8° Ablenkung. 

Bei Braun stellt sich die obere und untere Verticale um 4 
zurück, in die Normalstellung; die rechte Horizontale rückt um 2° 
hinauf (bis auf 2°), die linke bleibt um 4° abgelenkt. 

Bei Grün stellt sich die obere und untere Verticale gerade, er- 
fährt also eine Rückbewegung um 4°, die Horizontale dagegen nur 
um 2° (mit bleibender Ablenkung von 2°). 

Bei Violett geht die obere Verticale um 2° nach links, es bleiben 
also 2° Ablenkung; die untere rückt um 4° zurück in ihre Normal- 
stellung; die rechte Horizontale geht um 4° nach oben in ihre 
normale Lage, wogegen die linke Horizontallinie eine weitere Ab- 
lenkung um 4° erfährt, also bis 8° Ablenkung aufweist. Blau 
verhält sich indifferent. 


Wenn bei Einwirkung von c, auf das rechte Ohr die Verticallinie 
dem rechten Auge um 4° nach links gerückt erscheint, und es wird 
gleichzeitig C dem linken Ohre zugeleitet, so neigt sich die Verticale 
über die richtige Stellung hinüber bis auf 2° nach rechts, ver- 
schiebt sich demnach auf 6°; nach Entfernung von C nimmt sie 
wieder die frühere Lage 4° nach links ein; bei c, stellt sich die 
Verticale in richtige Lage und rückt bei Wegnahme von c, wieder 
auf 4° nach links; bei c, und c, neigt die Verticale um 4° nach 
rechts (bewegt sich also bis auf 8%). — c,, rechtes Ohr, rechtes Auge; 
die Verticale verschiebt sich an den beiden Enden um 4° nach 
links, die Horizontale um 4° nach unten. 


Beim Vorhalten farbiger Gläser vor das rechte Auge ergiebt 
Roth eine Neigung des oberen Verticalradius auf 6°, wogegen die 
untere Verticale in die richtige Lage tritt; die rechte Horizontale 
geht um 4° nach aufwärts in die Horizontallage, die linke Hori- 
zontallinie um 4° noch weiter nach links, also bis auf 8%. — Bei 
Braun neigt sich die obere Verticale um weitere 11° nach links, 
erreicht also die Neigung von 15°, die untere Verticale geht dagegen 
um 19° nach rechts, also von 4° Ablenkung nach links auf 15° 
nach rechts; die Horizontale hebt sich rechts um 19° (bis auf 15° 
nach oben) links um 24° (bis auf 20° nach oben). — Grün: Die 
obere Verticale neigt sich um 6° weiter nach links, erreicht somit 
10° Ablenkung, die untere Verticale um 4° nach links (auf 8°). 
Die rechte Horizontale senkt sich um weitere 20 (auf 6°) die linke 
erhebt sich um 2° bis auf eine Ablenkung von 2° nach unten. — 
Blau: Die obere Verticale geht um 2° nach rechts (von 4° auf 29, 
so auch die untere Verticale. Die Horizontale bleibt unverändert. — 
Vioiett: Die obere Verticale rückt um 10° nach rechts (von 4° links 
auf 2° rechts), so auch die untere Verticale. Die rechte Horizontale 
verschiebt sich um 14° nach aufwärts (von 4° unter dem Horizonte 


280 


0) 


p) 


q) 


r) 


Victor Urbantschitsch: Ueber Störungen 


auf 10° darüber), die linke Horizentale um 24°, nämlich bis auf 
20° nach aufwärts. ! 

Ganz die gleichen Erscheinungen ergeben die Versuche mit dem 
linken Auge. Während des längeren Durchsehens durch die ein- 
zelnen farbigen Gläser gehen die anfänglich beobachteten Stellungs- 
veränderungen des horizontalen und verticalen Durchmessers langsam 
zurück; dem linken Auge hält die Ablenkung länger an als dem 
rechten. Beim binoculären Sehen giebt sich dieser Unterschied 
auffällig zu erkennen, indem z. B. die obere Verticale anfänglich 
beim binoculären Sehen um 4° nach links geneigt erscheint und 
sich allmählich gerade stellt, wobei sie stets als einfache Linie ge- 
sehen wird bis zu der Neigung um 2° nach links; von da an ver- 
mindert sich die Neigung durch eine Zeit lang nur dem rechten 
Auge aber nicht dem linken, wodurch Doppelbilder entstehen. 
10 Minuten nach Beginn des Versuches sieht das rechte Auge 
die Verticale in der richtigen Stellung, das linke Auge dieselbe noch 
um 2° nach links geneigt, wodurch beim binoculären Sehen die 
Doppelbilder erscheinen. Im Verlaufe von weiteren 5 Minuten rückt 
die Verticale auch für das linke Auge in die richtige Stellung ein. 
Durch Luftverdichtung im Gehörgange, sowie durch Anblasen des 
Gehörganges oder der Nasenschleimhaut erfolgen Ablenkungen der 
Vertical- und Horizontallinie. 

Es werden Versuche angestellt, wie die verschiedenen Stimmgabel- 
töne diese Ablenkung beeinflussen. 

Eine Ablenkung der oberen Verticalen um 4° nach links erfährt. 
durch C eine weitere Ablenkung um 2° (auf 6°), durch c, eine 
Verminderung auf 2°, durch c, eine Steigerung der Ablenkung um 6° 
(auf 10°), durch c, um 11° (auf 15°), durch c, um 21° (auf 25°). 
Bei schwachen Tönen rückt die Linie nicht so weit nach links, so 
wird z. B. die Neigung dadurch verstärkt, dass die tönende Stimm- 
gabel anfangs aus einer Entfernung auf das Ohr wirkt und all- 
mählich diesem genähert wird. 

An einem anderen Versuchstage ergiebt c, vom rechten Ohre aus 
für das rechte Auge eine Ablenkung der oberen Verticalen um 4° 
nach links, für das linke Auge um 6° nach rechts; die untere 
Verticale erscheint dem rechten Auge um 4° nach links geneigt, 
dem linken um 6° nach rechts. Die rechte Horizontale ist dem 
rechten Auge um 4° hinaufgerückt, dem linken um 4° hinab; die 
linke Horizontale erscheint dem rechten Auge um 6° höher, dem 
linken um 4° tiefer. Controlversuche, die 3 Tage später angestellt 
wurden, ergaben das gleiche Resultat. 

Es werden monoculäre Versuche mit farbigen Gläsern, ohne Ein- 
wirkung von Tönen vorgenommen. 

Gelb wird dem rechten Auge vorgesetzt: die obere Verticale 
neigt sich um 2° nach rechts, so auch die untere; die rechte 
Horizontale geht um 6° hinab, die linke um 4° hinauf. Versuche 
mit dem linken Auge ergeben dasselbe Resultat. — Blau: das rechte 


s) 


des Gleichgewichtes und Scheinbewegungen. 281 


Auge sieht keine Stellungsveränderungen der Linie; dem linken 
Auge erscheint die obere Verticale um 2° nach rechts, die untere 
um 2° nach links, die rechte Horizontale um 4° nach abwärts, die 
linke um 2° nach aufwärts. — Roth: das rechte Auge sieht die 
obere und untere Verticale um 2° nach rechts gerückt, die rechte 
und linke Horizontale um 10° hinauf; dem linken Auge erscheint 
die obere Verticale 4° nach rechts, die untere 2° nach rechts, die rechte 
Horizontale 4° nach unten, die linke 2° nach oben gerückt. 

Grün, rechtes Auge: die obere Verticale neigt sich 6° nach 
rechts, die untere 11°, die rechte Horizontale 11° nach unten, die 
linke 16° nach unten. Linkes Auge: die obere Verticale geht um 
26° nach rechts, die untere desgleichen, die rechte Horizontale um 
30° nach aufwärts, die linke um 34° nach abwärts. | 

Violett, rechtes Auge: Die obere Verticale neigt sich um 19° 
nach rechts, desgleichen die untere. Die rechte Horizontale rückt 
29° hinauf, die linke 24° hinab. Linkes Auge: Die obere 
Verticale steht 26° nach rechts geneigt, desgleichen die untere. 
Die rechte Horizontale geht um 36° hinab, so auch die linke. 

Die hier angeführten Versuche mit den verschiedenen Farben 
wurden 3 Tage später wiederholt und ergaben übereinstimmende 
Resuitate. Ich überzeugte mich auch durch verschiedene Stich- 
proben von der Richtigkeit der Aussagen des mir auch sonst glaub- 
würdig erscheinenden Mädchens, das alle ihre Angaben rasch und 
präcise machte. 


An einem anderen Versuchstage wird dem rechten Auge ein rothes 
Glas vorgehalten und bei freiem linken Auge die Versuchstafel 
binoculär besichtigt: Es erscheinen anstatt der oberen Verticallinie 
2 Linien, von denen die eine 4° nach links und die andere 2° 
nach rechts liegen. — Das linke Auge erhält Grün vorgesetzt, das 
rechte Auge bleibt frei: Die obere Verticale erscheint doppelt, die 
eine Linie um 6° nach rechts, die andere um 25° ebenfalls nach 
rechts. — Nunmehr erhält das rechte Auge das rothe Glas, das 
linke Auge das grüne Glas; die obere Verticale erscheint 4fach und 
zwar eine Linie 2° nach rechts, eine andere 6°, eine dritte 25° 
nach rechts, eine Linie 4° nach links. Bei Verschluss des linken 
Auges verschwinden die Linien 6° und 25° nach rechts, es ver- 
bleiben also die Linie 2° nach rechts und 4° nach links. Das 
umgekehrte findet bei Verschluss des rechten Auges statt. Es sieht 
demnach das rechte Auge die Linie 2° nach rechts und 4° nach 
links, das linke Auge die Linie 6° und 25° nach rechts. 


An einem anderen Versuchstage wird dem Mädchen eine Tafel vor- 
gelegt, auf der ein senkrecht stehendes Kreuz gezeichnet ist, das 
von dem Mädchen auch richtig gesehen wird. Werden beiden 
Augen ein braunes oder blaues Glas vorgesetzt, so bemerkt die Ver- 
suchsperson an der früheren Stelle kein Kreuz, dagegen rechts und 
links davon ein Kreuz, und zwar rechts ein nach rechts geneigtes, 


' 282 Victor Urbantschitsch: Ueber Störungen 


links ein nach links geneigtes Kreuz, die von dem Mädchen auf 
die Tafel gezeichnet werden. 

Bei Blau sieht das Mädchen das Centrum des Gesichtsfeldes 
nicht blau, sondern roth, jedoch nur mit dem rechten Auge. Die 
Grenze zwischen blau und roth erscheint verschwommen. Bei Ein- 
wirkung von C wird das Roth intensiver, wobei sich das rothe Feld 
vergrössert. Die übrigen Töne c—c, haben auf diese Erscheinung 
keinen Einfluss. 


33. Fräulein P. Rechtseitige Perforation des Trommelfelles. Nach 
der Ausspritzung des rechten Ohres erscheint ein senkrecht gezeichnetes 
Kreuz dem rechten Auge schief nach links geneigt, dem linken Auge 
schief nach rechts; binoculär zeigt sich das Kreuz senkrecht. 


34. Herr F. Linksseitige Perforation des Trommelfelles. Nach 
der Ausspritzung des linken Ohres zeigt sich ein senkrecht gezeichnetes 
Kreuz dem linken Auge nach links, dem rechten nach rechts geneigt, 
wobei die Neigung nach links stärker ausgeprägt ist, als nach rechts. 
Binotisch erscheinen 2 Kreuze, von denen das eine nach links, das 
andere nach rechts geneigt ist. 


35. Fräulein W. 
a) Nach der Ausspritzung des an eiteriger Entzündung erkrankten 
rechten Ohres stellt sich das vertical gezeichnete Kreuz bei Be- 
sichtigung mit dem rechten Auge schief. das linke Auge sieht das 
Kreuz senkrecht. Allmählich stellt sich dasselbe auch für das rechte 
Auge senkrecht. Die Erscheinung dauert 1—2 Minuten. — Von 
den der Kreistafel eingezeichneten Radien erscheint der obere 
verticale um 10° nach links abgelenkt; dabei zeigt sich keinerlei 
Empfindung von Schwindel. 
Nach dem Schütteln des Kopfes erscheint das Kreuz beim Sehen 
mit dem linken Auge, sowie beim binoculären Sehen nach rechts 
geneigt; wird während des binoculären Sehens das linke Auge ver- 
deckt, so stellt sich das Kreuz momentan gerade. Nach dem 
Schütteln des Kopfes sieht das linke Auge die obere und untere 
Verticale um 2° nach links gerückt, die rechte und linke Hori- 
zontale um 2° nach aufwärts. Dieselbe Ablenkung erscheint auch 
dem rechten Auge, doch schwindet diesem die Ablenkung früher 
als dem linken Auge. 
€) Die gleiche Erscheinung bietet auch eine Ausspritzung des Ohres dar. 
d) Zwei Tage später erscheint nach einem starken Neigen des Kopfes 
die Horizontale dem rechten Auge um 5° nach unten abgelenkt, 
dem linken Auge um 5° nach oben; binoculär erscheint dagegen 
keine Ablenkung. So zeigt sich auch das Kreuz dem einen Auge 
nach rechts, dem anderen nach links geneigt, binoculär gerade. 
Dem linken Auge geht die Neigung früher zurück, als dem rechten. 
e) Eine Woche später hat die eiterige Mittelohrentzändung bedeutend 
abgenommen, womit auch die sonst spontan aufgetretenen Schwindel- 
Erscheinungen geschwunden sind. So ist auch bei wiederholten 


b 


Na” 


‘des Gleichgewichtes und Scheinbewegungen. 283 


Versuchen mit Ausspritzen des Ohres und mit Schütteln des Kopfes - 
keine Scheinbewegung mehr auszulösen. Bo 


i 36. Leopoldine K., 40 Jahre alt. Rechtseitiger, chronischer 
Mittelohrkatarrh. 


a) Beim Schütteln des Kopfes erscheint vom verticalen Kreuze nur der 
obere Schenkel nach links abgelenkt. Der mit den eingezeichneten 
Radien versehene Kreis zeigt sich in der Mitte vertieft, und zwar 
dem rechten Auge concaver, als dem linken. Der obere verticale 
Radius erscheint ganz nahe dem peripheren Ende nach links abge- 
knickt. Dabei geht der Kopf der Versuchsperson in Folge des 
nach dem Kopfschütteln eingetretenen Schwindels pendelnd hin und 
her, wobei die sonstigen Sehobjecte keine Scheinbewegung oder 
Lageveränderung aufweisen. 

b) 5 Tage später ergeben die Versuche folgendes Resultat: Naeh dem 
Schütteln des Kopfes rückt die Verticale, beim monoculären Sehen 
mit dem rechten Auge nach rechts, so auch die der Verticalen zu- 
nächst befindlichen Radien rechts und links von dieser; dem linken 
Auge erscheinen dieselben Radien nach links gerückt, dabei nicht 
als gerade, sondern als schlangenförmig verlaufende Linien. 

c) Bei einem 2. Versuche erscheinen alle Radien der oberen Kreishälfte 
vom Mittelpunkte bis zur Mitte des Verlaufes gegen die Peripherie 
in richtiger Lage, dann aber plötzlich abgebogen u. z. dem linken 
Auge nach links, dem rechten nach rechts. 

d) Schütteln des Kopfes, Sehen mit dem rechten Auge: ein Theil der 
oberen Radien rückt nach rechts, wie schon früher erwähnt wurde. 

e) Es werden dem rechten Auge die verschiedenfarbigen Gläser vor- 
gesetzt : 

Roth verstärkt die Neigung nach rechts, Braun hebt die Ablenkung 
nach rechts auf, zeigt also die Radien in richtiger Lage; Grün ver- 
ändert die Ablenkung nach rechts ohne sie ganz zu corrigiren; 
Blau stellt sie richtig (gleich Braun), doch tritt dabei an der unteren 
Hälfte aller Radien des oberen Kreissegmentes eine wellenförmige 
Zeichnung auf; Violett corrigirt die Ablenkung nach rechts. 


37) Herr R.; links eiterige Endzündung der Trommelhöhle mit 
Perforation des Trommelfelles. 


a) Nach der Ausspritzung des linkes Ohres zeigen sich beim monocu- 
lären Sehen mit dem rechten oder linken Auge die obere und untere 
Verticale nicht gerade, sondern bogenförmig nach links ausgebaucht ; 
in gleicher Weise bildet die Horizontale keine gerade Linie, sondern 
zwei Wellenberge, den einen zwischen dem linken peripheren Ende 
und dem Mittelpunkt, den anderen zwischen diesem und dem rechten 
peripheren Ende. 

b) Nach Schütteln des Kopfes tritt keine Veränderung an den normal 
erscheinenden Radien ein. 

c) Es wird eine abermalige Ausspritzung des linken Ohres vorgenommen. 
Danach sieht das rechte Auge die obere und untere Verticale, sowie 


284 Vietor Urbantschitsch: Ueber Störungen 


d) 


e) 


die ihr zunächst gelegenen Radien nach rechts ausgebaucht, die 
rechte Horizontale nach oben. Dem linken Auge erscheint die Aus- 
bauchung der Verticalen nach links, der Horizontalen nach unten. 
Während die Ablenkung dem rechten Auge mehrere Minuten anhält, 
geht sie dem linken Auge rasch zurück. Beim binoculären Sehen 
erscheinen in diesem Stadium die Linien gerade, beim Verschluss des 
linken Auges gebogen. 


2 Tage später ergiebt die Ausspritzung des rechten Ohres folgende 
Erscheinung: Linkes Auge. Die Verticale und die ihr rechts und 
links zunächst gelegenen Radien sind nach links gebogen. Diese 
Erscheinung verschwindet rasch, zuerst für die links gelagerten 
Linien, dann auch für die rechts von der oberen Verticalen liegen- 
den Radien. — Rechtes Auge: Die Verticale bleibt gerade, die 
Radien 2° und 4° links von der Verticalen rücken nach rechts; die 
rechts von der Verticalen befindlichen Radien bleiben in ihrer 
Stellung. Bei forcirter Ausspritzung bleibt die obere Verticale ge- 
rade, die Radien 2’ und 4” rechts von dem verticalen Radius sind 
gegen diesen gekrümmt, so auch die beiden 2° und 4° links ge- 
legenen Radien. — Die rechte Horizontallinie ist gleich der linken 
nach oben gebaucht. — An der unteren Kreisfläche erscheinen die 
links von der Verticalen gelegenen Radien beim monoculären Sehen 
mit dem rechten oder linken Auge gegen die Verticale concav, also 
umgekehrt den oberen Radien, die zur Verticalen convex gekrümmt 
sind. Die untere Verticale und die rechts von ihr gelegenen Radien 
zeigen keine Abweichung. 


Eine Woche später werden weitere Versuche vorgenommen. C wirkt 
durch 5 Secunden auf das rechte Ohr ein, es findet monoculäres 
Sehen mit dem rechten Auge statt; 10 Secunden nach erfolgter Ein- 
wirkung von C erscheint allmählich über der Horizontallinie eine ihr 
parallele zweite Linie, die der Horizontallinie knapp anliegt — Ein 
zweiter Versuch mit 10 Secunden dauernder Einwirkung von C er- 
gibt das gleiche Resultat. — Das rechte Auge sieht diese Erschei- 
nung nicht, weder bei der Einwirkung von C auf das rechte noch 
auf das linke Ohr. 

c, wirkt auf das rechte Ohr ein, bei geschlossenem linken Auge: 
Eine Doppellinie liegt unter der Horizontalen; bei c, entsteht einige 
Secunden nach der Einwirkung eine unter der Horizontalen parallel 
verlaufende feine Linie, 5 Secunden später noch eine 3. Linie, die 
ober der Horizontalen liegt. Ein wiederholter Versuch zeigt dasselbe. 
— c, ruft diese Erscheinung nicht hervor, so auch nicht c}, nur 
veranlasst dieser Ton das Auftreten dunkler Punkte, die in spiral- 
förmigen Bahnen ?/ Durchmesser des Kreises durchziehen und all- 
mählich immer kleiner werdende Bahnen beschreiben bis zu ihrem 
Verschwinden. 

14 Tage später tritt beim starken Einblasen ins linke Ohr eine rasch 
vorübergehende Verdopplung des rechten horizontalen Radius auf, 


g) 


des Gleichgewichtes und Scheinbewegungen. 285 


sowie der unter ihm gelegenen Radien. Die neu aufgetretenen Linien 
liegen unterhalb der Radien. An der oberen Kreishälfte erscheint 
der verticale Radius und mehrere links von ihm gelegenen Radien 
verdoppelt, wobei die Doppellinie linkerseits liegt. 

Beim Einblasen in die Nase entsteht für eine Secunde eine Ver- 
dopplung der oberen Verticalen und der nach links befindlichen 
Radien ; die Doppellinie ist rechts von dem einzelnen Radius gelegen. 


38) Marie J., links eiterige Entzündung der Paukenhöhle mit Per- 


foration des Trommelfelles. 
a) Nach dem Schütteln des Kopfes erscheint die obere Verticale dem 


b) 


e) 


d) 


e) 


rechten Auge um 2° nach links abgelenkt, die Horizontale um 2° 
nach unten; das linke Auge sieht alle Radien in richtiger Lage. 
Beim binoculären Sehen ist die Verticale cum 1° nach links ab- 
gelenkt (2° beim Sehen mit dem rechten Auge.) 
Bei einem zweiten Versuche erscheint die obere Verticale dem rechten 
Auge nach rechts, dem linken Auge nach links abgelenkt, binoculär 
gerade. Die Horizontale ist für das rechte Auge um 2° hinauf ge- 
rükt, für das linke Auge um 2° hinab und zeigt sich beim binocu- 
lären Sehen gerade. 
An einem anderen Versuchstage zeigt sich nach dem Schütteln des 
Kopfes die obere Verticale des rechten Auge 2° nach links abge- 
lenkt, die untere 2° nach rechts, die rechte und linke Horizontale 
2° nach abwärts. Das linke Auge sieht keine Ablenkung. 
Nach einem einfachen Nicken des Kopfes zeigt sich folgende Er- 
scheinung: Das rechte Auge sieht dieobere Verticale gerade, das linke 
Auge um 2° nach links abgelenkt; die untere Verticale erscheint 
dem rechten Auge um 2° nach rechts abgelenkt, dem linken Auge 
gerade. Der rechte horizontale Radius wird mit dem rechten Auge 
in seiner richtigen Lage gesehen, mit dem linken Auge um 2° nach 
unten abgelenkt; der linke horizontale Radius mit dem rechten Auge 
um 2° nach unten, mit dem linken Auge in richtiger Lage. 
Wiederholte Versuche ergaben das gleiche Resultat. 
An einem anderen Versuchstage wird am linken Ohre vom Gehör- 
gange aus eine Luftverdichtung in der Paukenhöhle vorgenommen. 
Es erscheint danach die obere verticale Linie dem rechten Auge 
gerade, dem linken um 2° nach links geneigt, beiden Augen gerade. 
Nach zwei Minuten giebt sich eine transfertartige Erscheinung zu er- 
kennen, indem nunmehr dem rechten Auge die obere Verticale um 
2° nach links abgelenkt erscheint, dem linken Auge aber gerade. 
Nach 3 Minuten sieht das rechte Auge die Verticallinie langsam in 
die richtige Stellung eintreten, umgekehrt beginnt für das linke Auge 
die entsprechende Schiefstellung der Verticalen nach links. 3 Minuten 
später wiederholt sich dieser Transfert und geht nach einer !/, 
Minute wieder zurück. Wenn die Versuchsperson monoculär die 
Ablenkung der Verticallinie nach links beobachtet und plötzlich bino- 
culär sieht, so richtet sich die Verticale binnen 2 Secunden in ihre 


286 Victor Urbantschitsch: Ueber Störungen 


8) 


h 


Nat 


þm. 
N 


richtige Stellung auf. Wenn während des Transferts, der stets lang- 
sam eintritt, das eine Auge die zunehmende Neigung nach links sieht, 
das andere Auge die abnehmende Neigung von links gegen die Ver- 
ticalstellung, wenn also die Verticale beim binoculären Sehen beiden 
Augen nach links geneigt erscheint, sieht die Versuchsperson binoculär 
die Verticale stets gerade. Oft wiederholte Versuche ergeben stets 
dasselbe Resultat. 


Versuche mit farbigen Gläsern zeigen Folgendes : Während des Stadiums 
der Ablenkung der Verticalen um 2° nach links für das rechte Auge 
wird diesem ein rothes Glas vorgehalten; unmittelbar danach stellt 
sich die Verticale gerade und sinkt bei der Entfernung von Roth 
wieder um 2° nach links. Dasselbe ergeben Braun, Grün und Blau, 
wogegen Violett nur eine geringe Bewegung der Verticalen gegen 
rechts herbeiführt, aber nicht die verticale Stellung erreichen lässt. 

2° Ablenkung der Verticalen nach links für das linke Auge: Roth, 
Blau, Grün, verhalten sich indifferent, bei Blau und Violett rückt 
die Verticale etwas nach rechts, doch nicht in die Normalstellung. 


An einem anderen Versuchstage wird ohne irgend welche Einwirkung 
auf das Ohr oder auf den Kopf das linke Auge der Versuchsperson 
geschlossen. Das rechte Auge sieht dabei die obere Verticale richtig. 
Gleich nach Verschluss des rechten Auges gibt die Versuchsperson 
an, dass die Verticale eine Neigung nach links zeige, die allmählich 
2V erreicht. 

Die Horizontale erscheint beim monoculären Sehen jedem Auge 
um 2° nach unten abgelenkt, beim binoculären Sehen aber gerade. 

Bei wiederholten Versuchen zeigt sich die horizontale Linie bald 
dem einen bald dem andern Auge um 2° nach unten abgelenkt, in 
transfertartiger Weise. 


Das rechte Auge sieht die obere Verticale in richtiger Stellung. 
Bei Vorhalten eines rothen Glases vor das rechte Auge tritt darin 
keine Aenderung ein, so auch nicht durch Gelb und Grün. Blau 
und Violett bewirken dagegen eine Neigung um 2° nach links. 

Das linke Auge sieht die obere Verticale um 1° nach rechts, 
dann wieder in der richtigen Stellung. Derartige Schwankungen 
finden contiuirlich statt. Roth, Gelb, Grün bewirken keine Aende- 
rung ; bei Blau und Violett verharrt die Verticale in der Ablenkung 
um 1° nach rechts. 

Eine Einwirkung der verschiedenen Stimmgabeltöne ergiebt Folgendes : 
Das linke Auge sieht die obere Verticale gerade. 

Bei c, dem rechten Ohre zugeleitet zeigt sich die Verticale nach 
3 Secunden allmählich nach links geneigt und erreicht nach 10 
Secunden anhaltender Tonzuleitung eine Ablenkung von 2°; nach 
Entfall des Tones wandert die Verticale langsam zurück. 

Bei kurz andauerndem starken Ton oder bei länger anhaltendem 
schwachen Ton: wird die Neigung von 2° nicht erreicht. Vom linken 
Ohr aus wirkt c, beim monoculären Sehen mit dem linken Auge 


k 


St 


l 


N 


des Gleichgewichtes und Scheinbewegungen. 287 


nur wenig auf die Stellungsveränderung der Verticalen nach links 
ein; nur bei sehr kräftigem Tone ist eine kleine Neigung bemerkbar. 

C, rechtes Ohr, Sehen mit dem linken Auge: die Verticale neigt 
sich etwas nach links; vom linken Ohre aus zeigt sich keine Ver- 
änderung. | 

Ca, rechtes Ohr, linkes Auge = C; linkes Ohr, linkes Auge: es 
zeigt sich keine Ablenkung. 

c, ergibt dasselbe Resultat wie c,. 

Ein wiederholter Versuch mit c, bestätigt die früher mitgetheilten 
Erscheinungen bei der Einwirkung dieses Tones. 
Versuche beim monoculären Sehen mit dem rechten Auge ergaben 
Folgendes: Die obere Verticale ist um 2° nach links abgelenkt. C 
auf das rechte Ohr einwirkend stellt die Verticale gerade; nach 
Entfall des Tones neigt sich diese wieder 2° nach links (binnen 10 
bis 15 Secunden). Vom linken Ohre aus bleibt C indifferent. — c€, 
rechtes Ohr: binnen 10 Secunden neigt sich die Verticale um 2° 
nach rechts, geht also in die richtige Stellung zurück; 3 Secunden 
nach Entfernung des Tons C erscheint sie wieder 2° nach links. 
Vom linken Ohre aus bleibt c, wie C indifferent. — c, verhält sich 
wie C. — €, rechtes Ohr: Binnen 6 Secunden stellt sich die Ver- 
ticale richtig und erscheint 3 Secunden nach Entfall von c, wieder 
um 2° nach links abgelenkt; vom linken Ohre aus zeigt sich bei c, 
eine Aufrichtung der Verticalen nur um 1°, so dass also noch 1° 
Neigung nach links bestehen bleibt. Während demnach durch C, c,, c, 
vom erkrankten linken Ohre aus gar keine Beeinflussung der Ab- 
weichung der oberen Verticalen (2° nach links) ersichtlich ist, er- 
scheint dieser Einfluss von c, noch immer geringer als bei Einwir- 
kuug der Töne auf das gesunde rechte Ohr. 
Von den Kopfknochen aus wirkt c, auf die nach links um 2° ge- 
neigte Verticale insofern ein, als diese bis gegen 1° Ablenkung nach 
rechts wandert ; erst bei Zuführung des Tones č zu dem rechten 
Öhre auf dem Wege der Luftleitung stellt sich die Verticale in die 
Normallage. | 


39) Johanna Z., bilateral chronischer Mittelohrkatarrh, besonders 


rechterseits vorgeschritten. 


a) 


b) 


Nach dem Schütteln des Kopfes bemerkt das linke Auge keine Ab- 
lenkung der oberen Verticalen, dagegen das rechte Auge eine Ab- 
lenkung um 2° nach links; die Horizontale erscheint um 2° nach 
unten geneigt; allmählich tritt wieder die Normalstellung ein. Beim 
binoculären Sehen zeigt sich die Stellung des verticalen und hori- 
zontalen Radius normal. 

Eine Woche später wird ebenfalls ein Versuch mit Schütteln des 
Kopfes vorgenommen. Es. zeigt sich danach für das rechte Auge 
die gleiche Ablenkung um 2° wie bei den früheren Versuchen; dies- 
mal besteht auch für das linke Auge eine, allerdings nur unbe- 
deutende Ablenkung nach links. 


288 Victor Urbantschitsch: Ueber Störungen 


c) Beim Vorhalten des rothen Glases vor das rechte Auge rückt die 
Horizontallinie in die richtige Tage binnen 4—5 Secunden, nach 
Entfernung des rothen Glases binnen 3 Secunden wieder um 2° zurück. 

Auf die Abweichung der Verticallinie übt Roth keinen Einfluss aus. 
Das gleiche Verhalten ergeben Grün und Blau. 

d) Beim binoculären Sehen, wobei dem rechten oder linken Auge Roth, 
Grün oder Blau vorgehalten werden, ergiebt sich keine Veränderung 
in der Stellung der Radien. 

e) Eine Woche später ergeben die Versuche: Nach dem Schütteln des 
Kopfes sieht das rechte Auge die Horizontale um 1° nach unten ab- 
gelenkt, die Verticale um 1° nach links. 

f) Durch Vorhalten der Farben Roth, Gelb, Grün, Blau und Violett 
wird die Stellung der abgelenkten Horizontalen corrigirt, dagegen 
nicht die der Verticallinie. Das linke Auge sieht die horizontale 
und die verticale Linie richtig. 

g) Verschiedene Töne, die auf das rechte Ohr einwirken, führen keine 

Aenderung der dem rechten Auge erscheinenden Ablenkung herbei. 

Dasselbe ergiebt ein an anderen Tagen angestellter gleicher Versuch. 

Versuch 3 Tage später. Nach dem Schütteln des Kopfes sieht das 

rechte Auge die obere Verticale um 2° nach links gelagert; mit 

dem linken Auge und binoculär wird sie in der richtigen Stellung 
gesehen. 

i) c>, rechtes Ohr, rechtes Auge: die Verticale bleibt 2° nach links 
abgelenkt. c, rechtes Auge, linkes Ohr: die Verticale geht langsam 
in die richtige Stellung und nach Entfall der Einwirkung von c, 
wieder um 2° nach links. 

C, linkes Auge, rechtes oder linkes Ohr: Die Verticale bleibt stets 
in der richtigen Stellung. — In gleicher Weise bewirken auch C, 

- c, und c, nur vom linken Ohre aus und nur für das rechte Auge 

eine Rückbewegung der 2° nach links abgelenkten oberen Vertical- 

linie in ihre richtige Stellung. 

Von den Kopfknochen aus, auch beim Ansetzen der tönenden Stimm- 

gabeln auf die linke Seite, erfolgt keine Ablenkung der Verticalen, 

dagegen aber stets auf dem Wege der Luftleitung zu dem linken 

Ohre. 


40) Ludwig N., 12 Jahre alt, bilateral trockene Perforation des 
Trommelfelles. Nach Schütteln des Kopfes zeigt sich die obere Verti- 
callinie nach links ausgebaucht, sowohl beim monoculären als auch bino- 
culären Sehen. Die Erscheinung dauert stets nur einige Secunden an. — 
Lufteinblasungen ins äussere Ohr, Luftverdichtung in der Paukenhöhle 
sind nicht im Stande diese Ausbauchung hervorzurufen. 


h 


Ne 


k 


Nat 


41) Johann K., normale Gehörorgane. Nach dem Schütteln des 
Kopfes erscheint die obere Verticalliniie um 2° nach rechts abgelenkt, 
die untere Verticale desgleichen. Diese Ablenkung findet beim mono- 
culären Sehen mit dem rechten oder linken Auge, sowie beim binocu- 
lären Sehen statt. 


un on an En 





des Gleichgewichtes und Scheinbewegungen. - 289 


42) Dr. M., normale Gehörorgane. Nach dem Schütteln des Kopfes 


erscheint dem rechten Auge besonders auffällig, weniger dem linken 
Auge das Centrum des Kreises vertieft und die vom Centrum zur Peri- 
pherie verlaufenden Radien sämmtlich convex, aus der Kreisfläche heraus- 
gebogen. Beim binoculären Sehen besteht diese Erscheinung nicht. 


43) Fall von beiderseitiger eiteriger Mittelohrentzündung mit Per- 


foration des Trommelfelles. 


a) 


b) 


Die Ausspritzung des rechten Ohres ergiebt eine Ablenkung des Ver- 
ticaldurchmessers nach links, wobei die Ablenkung von der oberen 
Peripherie gegen die untere zunimmt und die abgelenkte Linie mit 
dem ursprünglichen Durchmesser einen nach oben gelegenen Winkel. 
bildet. Der Horizontaldurchmesser ist nach unten abgelenkt; die 
scheinbar abgelenkte Linie bildet mit dem Durchmesser der linken 
Peripherie ein nach vorne unten sich erstreckendes Dreieck; später 
ändert sich diese Erscheinung dahin, dass der ganze verticale Durch- 
messer nach rechts ausgebaucht erscheint, der Horizontaldurchmesser 
dagegen in seiner rechten Hälfte nach oben convex, in seiner linken 
Hälfte nach unten convex. 

Die Ausspritzung des linken Ohres ergiebt dagegen anfänglich eine 
Ablenkung der rechten Horizontalen nach unten und der unteren 
Verticalen nach links, später verschwindet diese Ablenkung und es 
zeigt sich der verticale Durchmesser: in toto nach rechts convex, 
der horizontale Durchmesser in seiner linken Hälfte nach unten 
convex, in seiner rechten Hälfte geht vom Mittelpunkte eine nach 
unten convexe Linie ab, die unter dem peripheren Ende des rechten 
horizontalen Radius an die Peripherie tritt. 


44) Anna H., 16 Jabre alt, rechts seit 5 Jahren eiterige Mittel- 


ohrentzündung mit Perforation des Trommelfelles. 


a) 


b) 


e) 


Eine Ausspritzung des rechten Ohres ruft keine Schwindelempfindung 
hervor. Unmittelbar danach sieht das rechte Auge die obere und 
untere Verticale um 2° nach rechts abgelenkt, die rechte und linke 
Horizontale um 2° nach unten. Das linke Auge beobachtet keine 
Ablenkung, die auch nicht beim binoculären Sehen auftritt 

Dem rechten Auge werden verschiedenfarbige Gläser vorgehalten; 
dabei wird die Ablenkung der verticalen und horizontalen Linie 
durch alle Farben augenblicklich corrigirt; nach Wegnahme des 
farbigen Glases gibt sich wieder die Ablenkung zu erkennen. Das 
linke Auge sieht auch durch farbige Gläser die richtige Lage, wie 
sonst; dasselbe ist binoculär der Fall. Fünf Minuten nach der Aus- 
spritzung verschwindet dem rechten Auge die Ablenkung. 

Die in den verschiedenen Stadien der Ablenkung angestellten Ver- 
suche mit den Farben zeigen übereinstimmend, dass diese die jedes- 
malige Ablenkung bis zur Normalstellung corrigiren, nie darüber 
hinaus. Ist jedoch einmal die Normalstellung spontan erfolgt, so 
wird durch jedes dem rechten Auge vorgesetzte farbige Glas die 
Verticale um 2° nach links, die Horizontale um 2° nach aufwärts 


Zeitschrift fùr Ohrenheilkunde, Bd. XXXI. 19 


290 


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N 


Victor Urbantschitsch: Ueber Störungen 


abgelenkt, welche Ablenkung nach Wegnahme des betreffenden far- 
bigen Glases wieder verschwindet und in die Normalstellung über- 
geht. Es besteht hierbei also ein der früheren Scheinbewegung gerade 
umgekeartes Verhalten. 

2 Minuten nach spontan eingetretener Normalstellung rufen die 
verschiedenen Farben keine Ablenkung mehr hervor. 
5 Tage später wird im rechten Ohre vom Gehörgange aus ein Luft- 
verdichtung vorgenommen; danach tritt für das rechte Auge eine 
Drehung sämmtlicher Radien des Kreises um 1° zurück und wieder 
nach vorwärts ein, wodurch der Eindruck einer stetigen oscilla- 
torischen Bewegung sämmtlicher Radien entsteht, bei einer Rotations- 
weite von 1°. Für das linke Auge besteht diese Erscheinung nicht, 
auch nicht für das binoculäre Sehen. Die Rotationsbewegung hält 
mehrere Minuten an. 
Durch C—c, wird die Rotation im peripheren Theile der Radien 
sistirt, im centralen Theile nicht beeinflusst. c,—c, verhalten sich 
indifferent. 


45) Bertha L., 32 Jahre alt; am rechten Ohre wurden der cariöse 


Hammer und Ambos entfernt. 
-a) Bei Lufteinblasung ins rechte Ohr sieht das rechte Auge die obere 


Verticale um 2° nach rechts abgelenkt, die Horizontale um 2° nach 
unten. Das linke Auge bemerkt keine Ablenkung. — Am nächsten 
Tage beträgt die Ablenkung nach der Einblasung in den rechten 
Gehörgang nur 1°. 


b) Bei Einwirkung von Roth auf das rechte Auge stellt sich die Ver- 


ticale gerade, die Horizontale bleibt unverändert abgelenkt, Gelb ver- 
hält sich indifferent, Grün ebenfalls; bei Blau bleibt die Verticale 
abgelenkt, die Horizontale rückt noch um 1° nach abwärts; Violett 
bewirkt keine Stellungsveränderung. 


c) Eine Toneinwirkung nimmt auf die Stellung der Linien keinen Einfluss. 
d) Ein 4 Tage später angestellter Versuch zeigt dasselbe Ergebnis. 
e) Eine Woche nach dem letzten Versuche wird abermals eine Ein- 


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N 


blasung in das rechte Ohr gemacht. Danach weicht die obere Ver- 
ticale, nicht wie bei den früheren Versuchen nach rechts, sondern 
um 2° nach links ab. Wie wiederholte Versuche zeigen ist die Be- 
wegung nicht auf die Verticale beschränkt, sondern sämmtliche Radien 
des ganzen Kreises rotiren 1 —2° nach links und wieder zurück. 
Gleichzeitig mit dieser Rotation entsteht eine Verdunklung des Ge- 
sichtsfeldes und eine Körperschwankung nach links. Farben bleiben 
ohne Einwirkung. Vom linken Ohre aus ist weder Schwindel, noch 
eine Scheinbewegung auszulösen. 

Eine Lufteinblasung in die rechte Nasenseite ruft geringe Schwindel- 
erscheinungen hervor; von der linken Nasenseite wird kein Schwindel 
erregt. 


46) Anton R., 15 Jahre alt; der cariöse Hammer wurde aus dem 


rechten Ohre entfernt. 


des Gleichgewichtes und Scheinbewegungen. 291 


a) Nach der Ausspritzung des rechten Ohres erscheint die obere Ver- 

ticale um 2° nach rechts abgelenkt, die untere Verticale behält 

ihre richtige Stellung; die Horizontale steht rechts um 2° zu tief, 
links richtig. Die beschriebenen Ablenkungen zeigen sich sowohl 
beim monoculären als auch binoculären Sehen. ` 

Durch Roth wird die Ablenkung corrigirt, so auch durch Grün, 

Gelb verändert die Ablenkung der oberen Verticalen auf 1° und 

stellt die 2° abgelenkte Horizontale in die richtige Lage; Blau ver- 

hält sich wie Gelb. Bei Violett bessert sich die Stellung der Ver- 
ticalen um 1°, diese bleibt also noch 1° nach rechts abgelenkt; die 

Horizontale steht normal. Violett verhält sich demnach wie Gelb 

und Blau. 

c) Nach der Ausspritzung des linken Ohres, das ebenfalls eine Trommel- 
fell-Lücke hat, erfolgt eine Raddrehung sämmtlicher Radien nach 
rechts und zurück. Diese Oscillationsbewegung wird ebenfalls mono- 
culär und binoculär beobachtet. 

d) Die Töne C—c, verhalten sich indifferent. 


47) Antonie S., 16 Jahre alt; rechts besteht eiterige Mittelohrent- 
zündung bei Perforation des Trommelfelles. Nach der Ausspritzung 
des rechten Ohres erscheint dem rechten Auge die obere Verticale um 
4° nach links abgelenkt, die untere Verticale um 4° nach rechts, die 
Horizontale nach oben um 4°. Unmittelbar nach der Ausspritzung tritt 
wieder für alle Linien die Normalstellung ein. Das linke Auge sieht 
die obere Verticale um 10° nach rechts, die untere Verticale um 5° 
nach links abgelenkt, die Horizontale unverändert. 


48) Herr R. leidet beiderseits an chronischem Ohrenkatarrh und 
an zeitweise auftretendem Schwindel. 


a) Ohne weitere Einwirkung zeigt sich beim monoculären Sehen mit 
dem rechten oder linken Auge die obere Verticale um 1° nach rechts, 
die linke um 2° nach links geneigt, die rechte Horizontale um 2° 
nach unten, die linke um 1° nach oben. Degegen ergiebt sich bino- 
culär keine Ablenkung, also trotzdem jedes Auge allein die Ab- 
lenkung in gleichem Sinne sieht. 

b) Bei einer Einblasung ins rechte Ohr vergrössert sich die Ablenkung 
um 1°, also bis auf 2°. 

c) Die verschiedenen Farben nehmen darauf keinen Einfluss. 

d) Von den Tönen erhöht nur c, die Ablenkung um ein geringes, die 
übrigen Töne verhalten sich indifferent. 

e) Ein mit dem rechten oder linken Auge besichtigtes, verticalstehendes 
Kreuz wird in seiner richtigen Stellung gesehen. Bei Lufteinblasung 
ins linke Ohr sieht das rechte Auge zwei nach rechts geneigte Kreuze 
und das linke Auge zwei nach links geneigte Kreuze. Binoculär 
werden 3 Kreuze gesehen u. z. ein rechts liegendes, ein links liegen- 
des und ein zwischen beiden aufrecht stehendes Kreuz. 

f) Versuche mit farbigen Gläsern ergeben: Grün, beiden Augen vorge- 
halten, lässt nur das rechts geneigte Kreuz sehen, das senkrecht 


19* 


b 


N 


292 Vietor Urbantschitsch: Ueber Störungen 


stehende mittlere und das links geneigte Kreuz sind verschwunden. 
Einige Minuten später sieht jedes Auge (beim binoculären Sehen) 
nur ein Kreuz u:’z. das rechte Auge ein rechts liegendes, das linke 
Auge ein links liegendes Kreuz. Dasselbe ergiebt auch ein mono- 
culäres Sehen ohne Grün. Bei binoculärem Sehen ohne Grün treten 
dagegen wieder die früher beschriebenen 3 Kreuze auf, von denen 
beim Vorhalten des grünen Glases wieder das linke und mittlere 
Kreuz verschwinden. — Blau: Das rechte Auge sieht 2 nach rechts 
geneigte, das linke Auge 2 nach links geneigte Kreuze; binoculär 
wird nur ein rechts gelegenes und ein links gelegenes Kreuz be- 
obachtet. — Roth: Das rechte Auge sieht 2 rechts geneigte Kreuze, 
das linke Auge mur ein verschwommenes Kreuz ; binoculär zeigen 
sich 2 Kreuze wie bei Blau. — Braun: Das rechte Auge sieht ein 
nach links liegendes Kreuz, das linke Auge 3 nach rechts geneigte 
Kreuze, binocülär erscheinen nur 2 Kreuze, von denen das eine 
rechts geneigt, das andere links geneigt ist. — Violett: Das rechte 
Auge sieht 4 Kreuze und zwar 2 schief stehende Kreuze nach rechts, 
danach folgt nach links ein gerade stehendes Kreuz und weiter nach 
links wieder ein 4. schiefes Kreuz; nach Entfernung von Violett 
verschwindet zuerst das in der Richtung von rechts nach links als 
2. gelegene Kreuz, dann das aufrechte 3. und schliesslich das schiefe 4. 
Kreuz, so dass nur das ganz nach rechts in der Reihe befindliche 
1. Kreuz sichtbar bleibt. — Das linke Auge sieht 5 Kreuze, wovon 
2 nach rechts, 2 nach links schief stehen und zwischen ihnen ein 
mittleres senkrechtes Kreuz sich befindet. Nach Wegnahme von 
Violett verschwindet zuerst das am linken Ende der Reihe befind- 
liche schiefe Kreuz, dann das senkrechte Kreuz, hierauf die beiden 
schiefen Kreuze rechts von diesen, so dass nur das 4. Kreuz (in der 
Richtung von rechts nach links gerechnet) übrig bleibt. 

49) Clementine M., 45 Jahre alt. Rechtes Auge: bei Einwirkung 
von c, auf das rechte Ohr zeigt sich nach 10 Secunden ein Hin- und 
Herschwanken der verticalen Linie, wobei diese undeutlich wird. c, be- 
wirkt nach 15 Secunden anhaltender Einwirkung eine Neigung der Ver- 
ticalen nach rechts, die 15 Secunden nach Aussetzen des Tones wieder 
zurückgeht. Die übrigen Töne bleiben ohne Einfluss. 

50) Frau Sch., 55 Jahre alt, leidet an so heftigem Schwindel, dass 
sie auf der Gasse geführt werden muss; es besteht bei geringer Körper- 
bewegung stets die Neigung, nach vorne zu stürzen. 

a) Nach einer Lufteinblasung ins rechte Ohr erscheint die untere Ver- 
ticale beim monoculären Sehen nach links abgebogen, die rechte 
Horizontale nach abwärts. Die obere Verticale erscheint um 1° nach 
rechts geneigt, nur beim Sehen mit dem rechten Auge. 

b) Nach Schütteln des Kopfes neigt sie sich dagegen nach links, geht 
nach einigen Secunden wieder nach rechts und bleibt nach 10 Se- 
cunden gerade. 

51) Fräulein R., 22 Jahre alt; links besteht eine Perforation des 
Trommelfelles. Nach dem Einblasen des Ohres erscheinen alle Radien 





des Gleieagewichtes und Scheinbewegungen. 293 


in richtiger Stellung, trotzdem ein. starkes subjectives Schwanken des 

Kopfes nach rechts und links empfunden wird. Nach einem zweiten krät- 

tigen Einblasen ins linke Ohr tritt dieses subjective Schwanken erst 10 

Secunden später auf, nach einem abermaligen starken Einblasen erst nach 

30 Secunden. z 

52) Anna Sch., 22 Jahre alt; bilateral Perforation des Trommel- 

felles. Nach dem Einblasen ins rechte Ohr bemerkt das rechte Auge 

eine kleine Ablenkung der oberen Verticalen nach rechts. Eine Luft- 
einblasung ins linke Ohr bewirkt keine Veränderung für das rechte Auge, 
wogegen das linke Auge danach eine kleine Ablenkung nach links be- 
obachtet, die gleich wieder zurückgeht. Wiederholte Prüfungen ergeben 
in der Folge keine Beeinflussung der Stellung des verticalen und hori- 
zontalen Durchmessers, wenn bei der Lufteinblasung in das eine Ohr das 
entsprechende Auge zum Sehen verwendet wird, wogegen beim Sehen 

mit dem entgegengesetzten Auge stets eine Ablenkung erscheint u. z. 

sieht beim Einblasen ins linke Ohr das rechte Auge die obere Verticale 

um 2° nach rechts geneigt und beim Einblasen ins rechte Ohr das linke 

Auge eine Neigung um 2° nach links. Die Ablenkung schwindet nach 

1—2 Minuten. 

53) Marianne H., 13 Jahre alt; am linken Ohre wurden operativ 

Hammer und Ambos entfernt. 

a) Sämmtliche Radien des Kreises werden monoculär und binoculär in 
richtiger Lage gesehen. Nach einer Lufteinblasung ins linke Ohr 
tritt an den Radien eine schlangenförmige Bewegung auf, die all- 
mählich ruhiger wird, zeitweise Unterbrechungen zeigt und erst nach 
!,, Stunde verschwindet. Diese Scheinbewegung zeigt sich monoculär 
und binoculär. 

b) Nach Beruhigung derselben wird Roth dem linken Auge bei ver- 
schlossenem rechten Auge vorgehalien; dabei entsteht abermals die 
Oscillationsbewegung, die aber nur auf den jedesmal fixirten Radius 
beschränkt ist, so dass je nach der Einstellung eines Radius ein be- 
liebiger Radius zu schlangenförmigen Scheinbewegungen gebracht 
werden kann. Zeitweise werden diese durch ein abwechselndes An- 
und Abschwellen der Dicke der Linie unterbrochen oder durch eine 
Knickung der Linie, ferner bleibt die Oscillation zeitweise auf den 
peripheren Antheil der Radien beschränkt, während die Linien gegen 
den Kreismittelpunkt gerade verlaufen, worauf wieder auch diese 
Theile an der schlangenförmigen Bewegung theilnehmen. Ganz gleiche 
Erscheinungen ergeben die übrigen Farben. Beim binoculären Sehen, 
wobei nur dem einen Auge ein farbiges Glas vorgesetzt wird, tritt 
die schlangenförmige Bewegung nur in der entsprechenden Hälfte 
des Gesichtsfeldes ein. 

Weitere Versuche zeigen, dass die schlangenförmige Bewegung 
einzelner oder aller Radien im Momente des Vorhaltens eines 
farbigen Glases vor das linke Auge durch mehrere Secunden be- 
sonders lebhaft auftritt, in gleicher Weise unmittelbar nach der 
Entfernung des Glases; wenn dagegen bei bleibend verdecktem rechten 


294 Victor Urbantschitsch: Ueber Störungen etc. 


Auge, das linke Auge mit der Hohlhand durch einige Secunden 
beschattet wird und dann wieder auf die Kreistafel sieht, so erscheinen 
die Radien regelmässig anfänglich im richtigen geradelinigen Verlaufe, 
dann erfolgt binnen wenigen Secunden eine scheinbare Zu- und Ab- 
nahme der Dicke der Linien, wobei diese nicht als Linien, sondern 
als einzelne von einander getrennte Striche erscheinen, und gleich 
darauf als schlangenförmig sich bewegende Linien. 


54) Louise W., 17 Jahre alt; linksseitige Perforation des Trommel- 
felles. Das Sehvermögen ist am rechten Auge bedeutend herabgesetzt, 
so dass die Radien der vorgesetzten Kreisfläche nur mit dem linken Auge 
gesehen werden. 


a) Bei Lufteinblasung ins linke Ohr erfolgt eine Verschiebung des Ge- 
sichtsfeldes nach links. Versuche mit den Radien ergeben nach der 
Lufteinblasung für das linke Auge beim monoculären Sehen eine Ab- 
lenkung der Verticallinie um 2° nach links; beim binoculären Sehen 
steht die Linie stets vertical, trotzdem das rechte Auge infolge seiner 
Schwachsichtigkeit die Verticallinie überhaupt nicht sieht. 

b) Die durch die I,ufteinblasung ins linke Ohr eintretende Ablenkung 

' wird durch Roth corrigirt, bei Blau bleibt die Verticale um 2° 

nach links abgelenkt, zeigt aber schlangenförmige Bewegungen; Grün 

bewirkt: fächerförmige Bewegungen der links gelegenen Radien zu 
der in richtiger Lage gesehenen Verticallinie, und wieder von dieser 
weg. Bei Violett entsteht eine Raddrehung sämmtlicher Radien nach 

links. Ä 

Bei geschlossenen Augen bewirkt eine Lufteinblasung ins linke Ohr 

eine Körperschwankung nach links. 

d) An einem anderen Versuchstage, an dem zeitweise Schwindelanfälle 
auftraten und eine gewisse Unsicherheit im Gehen bestand, erscheinen 
die obere und untere Verticallinie, des Kreises ohne weitere Ein- 
wirkungen um 2° nach rechts abgelenkt, die rechte und linke Horizon- 
tale um 4° nach unten. Ein vertical gezeichnetes Kreuz zeigt dagegen 
die verticale Linie in richtiger Stellung, die Horizontallinie jedoch 
von rechts oben nach links unten abgelenkt ; beim Fixiren des verti- 
calen Schenkels beginnt dieser in seinem unteren Antheile nach links 
abzuweichen;; in gleicher Weise findet bei allen Radien in der unteren 
Kreishälfte eine Ablenkung nach links statt. Bei längerem Fixiren 
der Radien beginnen diese zu oscilliren mit Ausnahme des verticalen 
Durchmessers, bei Einstellung desselben zeigt sich dagegen anfänglich 
nur an diesem die Oscillation, die sich allmählich auf alle Radien 
erstreckt. So zeigt sich auch beim Fixiren irgend eines Gegenstandes 
an diesem ein allmählich stärker werdendes Schwanken, worauf auch 
die benachbarten Gegenstände in Schwankungen gerathen und nun- 
mehr ein Schwindelgefühl eintritt. Damit erklärt sich auch die Er- 
scheinung, dass die Versuchsperson beim Lesen oder Schreiben ein 
zunehmendes Verschwimmen der Buchstaben und Zahlen bemerkt uud 
schliesslich ausser Stande ist, weiter zu lesen oder zu schreiben. 


c 


Sr 


L. Aschoff: Die Otitis media neonatorum. 295 
IX. 


, a y 
Die Otitis media neonatorum. 
Ein Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Paukenhöhle. 
Von Dr. L. Aschoff, 
Privatdocenten und I. Assistenten am Institut. 
(Aus dem patholog.-anatom. Institut des Herrn Geh. Rath Prof. Dr. Orth 
in Göttingen.) 

Durch die bakteriologischen und klinischen Untersuchungen von 
Netter, Gradenigo und Penzo, Haug, Rasch, Kossel, Hart- 
mann, Walb über die eitrige Mittelohrentzündung bei Kindern ist die 
alte Frage nach der Otitis media neonatorum, . :über welche früher 
nur pathologisch anatomische Untersuchungen vorlagen, von neuem ange- 
regt und ihre Lösung auf Grund der modernen bakteriologischen Unter- 
suchungsmethoden versucht worden. 

Es handelt sich dabei um die schon lange bekannte Thatsache, dass 
jn den Mittelohren neugeborener Kinder häufig ein eitriger Inhalt ge- 
funden wird. Ist dieser Inhalt ein physiologischer, oder ist er das An- 
zeichen einer eitrigen Entzündung ? Das soll entschieden werden. 

Leider haben die neueren bakteriologischen Untersuchungen noch 
keine Entscheidung gebracht. Während Gradenigo und Penzo auf 
Grund ihrer Saprophyten-Befunde in den Mittelohren Neugeborener die 
daselbst vorkommenden Veränderungen in der Mehrzahl der Fälle 
von der raschen Fäulniss und nicht von wirklich entzündlichen Vor- 
gängen abhängig machen, findet sich bei Rasch folgender Passus : 

„Wie absurd es auch scheint, sonst verständige Männer haben be- 
hauptet, es sei die Thatsache, dass kleine Kinder in ihrem Mittelohre 
Eiter hätten, eine physiologische.“ 

Dann folgt die Aufzählung derjenigen Autoren, welche eine solche 
Anschauung getheilt haben, und dieselbe endigt mit einer Kritik der 
Arbeit von Gradenigo und Penzo, deren Untersuchungeu nach des 
Autors Meinung „nicht den Erfolg haben können, der alten Tröltsch- 
Wreden’schen Auftassung über die Häufigkeit und Bedeutung der 
Ohrenentzündung bei kleinen Kindern den Garaus zu machen.“ 

Die Deutung der Eiterbefunde im Ohre von Neugeborenen als Zei- 
chen einer eitrigen Entzündung wird auch sonst von neueren Autoren 
(Hessler, Schmaltz) gebilligt. | 

Die bekannten klinischen Untersuchungen Hartmanns haben die 
Häufigkeit eitriger Mittelohrcatarrhe bei Kindern so sicher gestellt, dass 


296 L. Aschoff: Die Otitis media neopatorum. 


dadurch auch der entzündliche Charakter der besagten Mittelohrbefunde 
bei Neugeborenen erwiesen zu sein schien. Nar Körner!) hat sich in 
jüngster Zeit bei diesem, in früheren Jahrzehnten so heftig geführten 
Kampfe zu der Theorie von der physiologischen Eiterbildung im Ohre 
bekannt. 

Das lebhafte Interesse, welches die genannten Arbeiten, besonders 
die Hartmann’schen Untersuchungen hervorriefen, bekundet sich 
auch in einem Ministerialerlass vom Jahre 1895, in welchem eine sorg- 
fältige Untersuchung der Ohren bei Kindern in den Kliniken, Entbin- 
dungsanstalten etc. angeordnet wurde. 

Auf Grund dieses Erlasses wurde das hiesige pathologische Institut 
von der Direction der Entbindungsanstalt in Hannover gebeten, bei der 
Section der uns von ihrer Seite übersandten Leichen Neugeborener auf 
den Ohrenbefund soweit angängig zu achten. Leider konnten, besonders 
während der Semesterthätigkeit, nicht alle Ohren untersucht, auch bei 
den untersuchten nicht immer erschöpfend genug vorgegangen werden, 
sodass die folgenden Mittheilungen nur als das Nebenergebniss unserer 
Kindersectionen innerhalb der letzten 2 Jahre aufzufassen sind. 

Meiner Meinung nach muss der eitrige Mittelohrcatarrh der Säug- 
linge und Kinder von der Otitis media neonatorum scharf getrennt werden. 
Die Existenz der ersteren ist, vor allem durch Hartmann, bewiesen. 
Giebt es aber auch eine Otitis media neonatorum ? 

Zur Lösung dieser Frage, auf die sich allein in Anbetracht des 
Materials die folgenden Untersuchungen beziehen, musste man vor Allem 
dreierlei kennen. 


1. Den bakteriologischen Befund des Mittelohrinhalts, 

2. Den mikroskopischen Befund des Mittelohrinhalts, 

3. Den mikroskopischen Befund der Mittelohrschleimhaut in jedem 
einzelnen Falle. 


Von den bakteriologischen Untersuchungen und Züchtungen musste 
ich in unseren Fällen bald Abstand nehmen, da ich zu demselben Re- 
sultat wie Gradenigo und Penzo gelangte. Während des Trans- 
portes der Leichen aus Hannover nach Göttingen und der Zeit bis zur 
Section waren die Mittelohren bereits regelmässig von Fäulnissbakterien 


I) Herr Professor Körner war so freundlich, mich durch persönliche Mit- 
theilung darauf aufmerksam zu machen, dass er in der II. Aufl. seines Buches: 
„Die otitischen Erkrankungen des Gehirns“, die mir leider nicht zur Verfügung 
stand, sein nur referirendes Urtheil in dieser Frage modificirt hat. Anm. während 
der Correctur. 


Ein Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Paukenhöhle. 297 


occupirt. Es konnten die Befunde also nicht verwerthet werden. Jedoch 
glaube ich, dass auch durch anatomisch-mikroskopische Untersuchungen 
allein ein bestimmter Aufschluss über die Verhältnisse im Mittelohr Neu- 
geborener gewonnen werden hann. Ich habe das Ergebniss derselben in 
den folgenden Tabellen zusammengestellt. 

Ganz kurz darf ich wohl der Untersuchungsmethode gedenken. In 
der Mehrzahl der Fälle wurden beide Felsenbeine zusammen aus der 
Schädelbasis durch Meissel und Knochenscheeren herausgelöst und von 
allen anhaftenden Schleim- und Blutmassen durch starken Woasserstrahl 
gesäubert. Von dem gewöhnlichen Verfahren, die Decke der Pauken- 
höhle mit einem Messer zu eröffnen, nahm ich bald Abstand, da hierbei. 
ein Ueberblick über die ganze Paukenhöhle und ihre Nebenräume nur 
schwer gewonnen wird. Die Eröffnung mit dem Meissel bringt allzu- 
leicht Verunreinigung in das Mittelohr und diese müssen auf das sorg- 
fältigste vermieden werden, falls eine sichere Diagnose gestellt werden. 
soll. Ich ging vielmehr mit einer feinen starken Scheere in die Tuba. 
Eustachii ein, schnitt dieselbe an ihrer oberen Wand auf und verlängerte: 
gradlinig den Schnitt durch das Tegmentum tympani hindurch bis zum 
Uebergang auf die Pars squamosa. Die Scheere findet gewöhnlich erst hier 
einen starken Widerstand. Ich schnitt deswegen in gerade umgekehrter 
Richtung von aussen her mit einer stärkeren Scheere den Rest der 
. Pars squamosa und die äussere Wand der Paukenhöhle in der Richtung 
auf den alten Schnitt durch, bis sich beide Schnitte vereinigten und. 
Tuba und Paukenhöhle in gerader Linie von oben her eröffnet waren. 
Ist bei dem zweiten Scheerenschnitte die äussere Paukenhöhlenwand tiefgenug 
durchschnitten, so kann man jetzt, wie das bereits Blumenstock in 
ähnlicher Weise gethan, die vordere und äussere Wand sammt Trommel- 
fell wie eine Austerschale von der inneren und hinteren abklappen und 
übersieht dann die ganze Paukenhöhle, Tuba und Antrum. Zuweilen 
muss man durch einen Einschnitt in die untere Tubenwand etwas 
nachhelfen. 

Gewöhnlich wurde nur das eine Felsenbein eröffnet und frisch unter- 
sucht; der flüssige Inhalt wurde dabei mit einer feinen Pipette heraus- 
gezogen und auf den Objectträger entleert. Dann wurde das eröffnete 
Ohr sammt dem andern behufs Härtung und Untersuchung des letzteren 
im geschlossenen Zustande eingesetzt und zwar in 10°/, Formol-Müller- 
lösung. Hierin blieben die Felsenbeine einige Tage bei Brütofen-Tempe- 
ratur und wurden dann in 10°/, Salpetersäure-Formollösung (10 Theile 
Salpetersäure auf 100 Theile einer 10 °/, Formollösung) in 2—3 Tagen 


298 L. Aschoff: Die Otitis media neonatorum. 


entkalkt. Diese neue Salpetersäuremischung leistet recht gute Dienste. 
Man kann sogar, wie bei der Phloroglucin-Entkalkung, auf 20°/, des 
Salpetersäurezusatzes gehen und erhält doch noch gute Resultate, wie mit 
Phloroglucin. Das gleiche Verfahren wird, wie ich durch persönliche 
Mittheilungen weiss, auch von Beneke in Braunschweig seit längerer 
Zeit angewandt. 

Will man Knochentumoren etc. recht bald untersuchen, so kommen 
die Stücke, ohne entwässert zu werden, direkt in 10°/,ige Formol- 
lösung auf 12—24 Stunden und können dann sehr leicht mit dem Ge- 
friermikrotom geschnitten werden. Will man einbetten, so legt man die 
entkalkten Präparate in 60 °/,igen Alkohol etc. (S. Tabelle I S. 300 ff.) 

Die Tabelle I bringt für den Kenner der Litteratur absolut nichts 
Neues. Sie bestätigt nur, was sorgsame Beobachter schon vor vielen 
Jahrzehnten gesehen und mitgetheilt haben. 

Von einem näheren Eingehen auf die Litteratur, die ich am Schluss 
der Arbeit zusammengestellt, kann ich wohl Abstand nehmen. Uebersieht 
man die Ergebnisse sämmtlicher früherer Untersuchungen, so findet man 
als gleiches Resultat: Das Mittelohr der Neugeborenen bietet bezüglich 
der Beschaffenheit seiner Wandung, der Grösse seiner Höhle, der Form 
seines Inhaltes die allergrössten Verschiedenheiten dar, sogar bei ein und 
demselben Individuum auf der rechten und auf der linken Seite. Be- 
trachten wir nun solche Fälle, wo von einer infektiösen Erkrankung des 
Kindes keine Rede sein kann, also von frisch Totgeborenen oder solchen, 
die nur wenige Stunden gelebt haben, so finden wir dennoch als Inhalt 
abgesehen von Luft alle Schattirungen von seröser, schleimiger Flüssig- 
keit bis zum dicken, zähen Eiter. 

Die ersten genaueren mikroskopischen Untersuchungen über den 
Inhalt des Mittelohres rühren von Koppen her. 

Er schreibt: S. 23: 

Ich glaube nun aus Allem schliessen zu dürfen, dass während des 
embryonalen Lebens und in den ersten Zeiten des selbstständigen stets 
die Trommelhöhle mit einer mehr oder weniger dicklichen Flüssigkeit 
angefüllt ist. 

Was nun die Natur der Flüssigkeit anlangt, so besteht sie in den 
oberen Schichten meist aus einer bald graulichen, bald gelblichen, blutig- 
serösen Flüssigkeit, während in der Tiefe sich meist eine zähe, mehr 
dickliche Masse befindet, die in mehreren Fällen käseartige Klümpchen 
enthielt. Die obere ist wohl sicher aus dem Blut ausgetretenes Serum. 
Die tiefere, dickliche Masse, welche im Wasser aufquillt und bei Essig- 


Ein Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Paukenhöhle. 299 


säure als Fäden sich niederschlägt, ist wohl als Schleim zw deuten. Da- 
neben finden sich stets reichliche Mengen von Fett, Schleimhautfetzen anddie 
verschiedensten Formen des Epithels. Die Klümpchen werden wohl meist 
erst durch die sie umgebende Flüssigkeit aufgelöst, um dann leichter 
durch die Tuba hinausgespült zu werden. 

Der nächste Autor v. Tröltsch, welcher in der Würzburger 
med. Gesellschaft über den Befund von Eiter im Ohr von Neugeborenen 
und Säuglingen berichtete, begründete die Theorie des entzündlichen 
Processes. 

Seitdem entbrannte der Streit. Schwartze, Wreden, Wendt, 
Hofmann, Kutscharianz bekannten sich zu der Entzündungstheorie; 
Brunner, Zaufal, Rinecker, Moldenhauer, Schmaltz, 
Politzer, v. Kölliker traten mit den verschiedensten Erklärungs- 
versuchen für den physiologischen Vorgang ein. Diese Erklärungsver- 
suche fussen z. T. auf Untersuchungen über die Entwicklung der Pauken- 
höhle. 

Seit v. Tröltsch’s Untersuchungen wusste man, dass beim Fötus 
die knöcherne Paukenhöhle durch ein Gallertgewebe ausgefüllt ist und 
erst später die eigentliche Paukenhöhle durch Schwund des Gallertge- 
webes entsteht. 

Wie und wann findet dieser Schwund statt? Auch darüber wurde 
viel hin und her gestritten. v. Tröltsch spricht von Einschrumpfung, 
vermehrte Desquamation und von der Oberfläche ausgehendem Zerfall. 
Wreden von Resorption ohne Zerfall, ohne Eiterbildung. Zaufal 
von einem Zerfall mit Bildung eiterähnlicher Massen und einer synovia- 
artigen Flüssigkeit. Wendt von einer einfachen Rückbildung, zunächst 
durch rasche und beträchtliche Verminderung der intercellularen Flüssig- 
keit. Dieselbe wird bewirkt durch mechanischen Druck bei der Inspiration. 
Dabei tritt Luft in die Paukenhöhle oder bei intrauteriner Aspiration 
Fruchtwasser. Die eigentliche Umwandlung des Gallert- in Fasergewebe 
findet in den ersten Lebenstagen statt. Wreden’s und Wendt’s Be- 
hauptung, dass die Paukenhöhle erst durch die Inspiration, durch das 
hierbei bewirkte Eindringen von Luft oder Fruchtwasser quasi gebildet 
würde, führte zu der Aufstellung der, freilich nur eines kurzen Lebens 
sich erfreuenden Ohrenprobe für gerichtliche Zwecke. Der Befund einer 
wirklichen Paukenhöhle, d.h. die stattgehabte Rückbildung des Gallert- 
polsters sollte eine intrauterine oder postpartum stattgehabte energische 
Athmung beweisen, eine Anschauung, der auch Eulenburg und Hof- 
mann mit mehr oder weniger Reserve beitraten. 


————— 


300 


~ 








o 
2 
No.| Datum. g 
= 
2 
1. | 31. I. 95 | 480 
2. | 31. I, 95 | 526 
| 
| 
| 
8. |5. II. 95 | 526 
| 
Celle 
4 | 8. II. 95 | 216 
| 
ð. an II əs | 
| 
6. |18. DI. 95 | 661 


| 


~ 





21. ITI. 95| 671 


lin 


———[.. 


L. Aschoff: Die Otitis media neonatorum. 


Sektions-No. 


204 


205 


209 


214 


215 


239 


Klinischer Bericht. 


Kind am 14. Jan. mit 3,3 kg 


Gewicht geboren. Mutter hatte 
zur Zeit der Niederkunft starke 
Albuminurie (über 10/0) hat das 
Kind nicht gestillt. Dasselbe 
bekam vor etwa 8 Tagen hart- 
näckiges Erbrechen, wie mässig 
starke Erscheinungen von Darm- 
katarrh. Rapide Abmagerung. 
Exitus 28. Jan. Nm. 


Zwillingsgeburt. 2 Knaben. 13.1. 


2,65 kg. Gedieh anfangs gut, 
seit einigen Tagen Verdauungs- 
störungen mit Blutabgang aus 
Nase und Mund. + 28. Jan. 
Nm. 


13. I. Gewicht p. partum 2,5. 
Gedieh anfangs gut. Mutter 
sehr anaemisch, konnte nicht 
stillen; seit 20. I. Enteritis. 
Zunehnien der Marasnus. } 31.1. 


In Stirnlage geborenes nach 4 


Stunden gestorbenes Kind. 


| Perforation wegen Beckenenge. 


Kind frisch tot. 


Kind intra partnm abgestorben. 


Vorfall der Nabelschnur 
kleineren Theile. 


und 


Bei der Auf- 
abgestorben. 
missfarbig und 


nahme bereits 
Fruchtwasser 
übelriechend. 


Blutung in die Ventrikel. 


Erstickungsblutungen 


Tabelle 


Sektionsbericht, 


Erstickungstod durch Aspiration 


von Mageninhalt. In dem Kehl- 
kopf und den gröberen Luft- 
wegen, sowie im Nasenrachen- 
raum gallig gefärbte Massen. 





Aspirationspneumonie mit hae- 


morrhagischem Charakter. Eute- 
ritis acuta. Dystopie der lin- 
ken Niere. 


Zwillingsbruder von No. 2 geb. | Pharyngitis, Gastritis, Enteritis, 


Laryngitis. Bronchitis. 


Ate- 
lektase der Lungen. Meconinm- 
Aspiration. Blutungen in der 
Blasen- und Mastdarmschleim- 
haut. 


an den 
Pleuren und Pericard. Kein 
Fruchtwasser in den Lungen 
nachweisbar, 


In beiden Nasenhöhlen eitriger 


Inhalt. Mundhöhlen frei. in 
den Luftwegen ein trüber, zäher 
Schleim. Lungenatelektuse. 
Blutungen an Pleuren und Peri- 
card. 


n~ a Řada 


eitrigschleimige Massen von 
gelblicher Farbe Die 


Schleimhaut lebhaft geröthet, 


auch in der Tube. 





In beiden Paukenhöhlen eit- 
riger Inhalt. 


Im linken Mittelohre dicke 
eitrige Massen, im rechten 
Röthung der Schleimhaut 
und etwas Schleim, aber 
kein Eiter. 


Bei Eröffnung der Pauken- 
höhle findet sich beiderseits 
gallig gefärbte, schleimige, 
fadenziehende Inhaltsmasse, 
wie 1/2erbsengrosser Pfropf. 
Schleimhaut der Pauken- 
höhle ist deutlich geröthet. 


Im linken Mittelohr ein 
grauer Schleimpfropf. 


Die Mittelohren zeigten eine 

stark gerötliete Schleim- 
haut, sonst keinen beson- 
deren Inhalt. 


Bei Eröffnung der Mittel- 
ohren findet sich rechts 
cin eitriger Propf, die 
Schleimhaut ist stark ge- 
röthet. 











| 


Meconium-Körperchen. Plat- 
tenepithelien. Zahlreich ver- 
fettete Rundzellen. Im 
Deckglas Trockenpräparat, 
nur vereinzelte Stäbchen 
mit Methylenblau gefärbt. 


Verfettete Kundzellen. Piatten- 
ep.thelien. Keine Gallenbe- 
standtheile. 


Verfettete Eiterkörperchen. 
Rothe Blutkörperchen, 
Plattenepitbelien, keine 
Meconiumbestandtheile. 


er ee en Eraser are er en 


mtr bl S S — m tm — nm ppm 


Ein Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Paukenhöhle. 301 
I. 
T 
Mikroskop. Befund bei Befund am 

Makroskop. Befund Zusammenfassende 

f Untersuchung des gehärteten Beserkiszen 

in der Paukenhöhle,. frischen Präparts. Oigan. BE 
In beiden Paukenhöhlen dicke, | Zahlreiche Eiterkörperchen. Reif- Lungen-Aspi- 


ration von Magen- 
inhalt. 

Eiter im Ohr. Hat 
14 Tago gelebt. 


Reif. Hat 15 Tage 
gelebt. Aspirations- 
Pneumonie. Eiter 
in beiden Ohren. 


Reif? Hat 18 Tage 
gelebt. Bronchitis 
Enteritis. Links 
Eiter, rechts Schleim. 


Reif. Meconium-Aspi- 
ration. Eitr. Schleim 
in beiden Ohren mit 
Meconium. Hat 4 
Stunden gelebt. 


Totgeboren. Schlei- 

‚miger Inhalt im lin- 
ken Ohr. 

Tot intra partum, 
Keine Lungenaspi- 
ration. Kein beson- 
derer Inhalt in den 
beiden Ohren. 


Totgeboren. Keine 
Lungenaspiration, 
im rechten Ohr Eiter. 


302 L. Aschoff: Die Otitis media neonatorum. 





© 

| pe e 
No.| Datum. | a 
= 

© 

Lar) 


| 
| | 


Sektions-No. 


Klinischer Bericht. Sektionsbericht. 
i 











8. 19. I. 95, 530 | 241 | Mutter intra partum von Eclamp- | Aspiration von Fruchtwasser | 
| | sie befallen. Kind mit der und Meconium in die Bron- 

Zange extrahirt, war leicht chien. Klappenhämatome. Par- 

| asphyktisch, wurde zu völliger tielle Luugenatelektase. 

| Lebensfrische gebracht. Nach 
einiger Zeit wurde die Stimme 

des Kindes schwächer und 6 





Stunden p. partum trat angeb- 
lich plötzliche Blaufärbung, 
dann sofort Blässe und Auf- 
hören des Herzschlages ein, 








9. | 16. IV. 95 Frauen- 6 
Klinik. | 


Alte Erstgebärende, mit allge- | Lungenatelektase. 
mein verengtem Becken. Nach 
3 tägigem Kreissen Abgaug von 
Meconium. In der Nacht vom 

| 14.—15. April schnelle, spon- 

tane Geburt. 3fache Nabel- 

| | schnurumschliessung um den 
| 





Hals, Kind tot. 


10.| 8. V. 95 | T4 20 Mutter mit schwerer Eclampsie | Ausgedehnte Lungenatelektase. 
| wird im Coma in die Anstalt Meconiumhaltiger Schleim in 
| | gebracht. Nach 4 Anfällen den grossen Bronchien. Pleura- 
| kehrte das Bewusstsein auf 2 blutungen. Klappenhämatom. 

| | Tage wieder. Am 6. V. mor- 

| | gens ertolgte im 5. Anfalle 

| 

| 


sehr rasch die Geburt des 


frischtoten Kindes. 





i 
— 
LE e e e a e e a e M g e a a 


Li 8. 7.95 693 | 21 | Frühgeburt. Ohne besonderen Icterus neonatorum. Harnsäure- 


Krankheitssymptome 3 Tage infarcte. Linksseitige Bron- 
p. partum t. chiopneumonie. 


12. 28: V. 95 Frauen- | 42 Während der Geburt (Plac. prae- 








Länge 42cm. Blutungen am 








Anstalt 


| 
| Klinik via).  Abgestorbenes Kind, Pericard. Jungenatelektase., | 
| B. 73 Weibliches Geschlecht. | 
is eh an ns ne a ut 
13. | 8, II, 95 | Ent- | 42 Todtgeboren. Ausgetragen, Klappenhämatome, Spuren von 
| | bind.- Zange. Enges Becken. Luft in den Oberlappen. Der 
Anstalt, Aditus laryngis durch einen 
| | zähen Schleimpfropf völlig ver- 
legt. 
; $ 
PER ar S E A EN EEE E E E E E 
14. | 20. VI. 95| Ent- 62 Frühgeburt. Zwillinge. Blutungen an Pericard und Pleu- 
bind.- ren-Lungenatelektase, 


Ein Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Paukenhöhle. 303 





Mikroskop. Befund bei| Befund am 
Untersuchung des gehärteten ` 
frischen Präparats, Organ. 


Makroskp. Befund 
in der Paukenhöhle, 


Zusammenfassende 
Bemerkungen, 


In beiden Mittelohren finden 
sich eitrige Pfröpfe. Schleim- 
haut stark geröthet, 


Eiterzellen. Plattenepithe- 
lien. Meconium-Körperchen, 


Reif. Hat 6 Stunden 
gelebt. Lungenaspi- 
ration von Frucht- 
wasser und Meco- 
nium. In beiden 
Ohren Eiterpfröpfe 
mit Meconium. 


In dem rechten Antrum be- 
findet sich ein grosser, leicht 
beweglicher, weissgelber, wie 
Eiter aussehender Pfropf. 
- Die Schleimhaut ist stark 
geröthet und mit Blut- 
punkten durchsetzt. 

Das linke Ohr ist a | en lin nenn frei. 


Reif. _ Totgeboren. 
Keine Lungenaspi- 
ration, Eiterähnliche 
Flocken im rechten 
Ohr. Linkes Ohr frei, 


aus Fetttröpfchen und plat- 
ten Epithelien. Beim Ab- 
kratzen kann man von der 
Schleimhaut zarte, platte 
Zelllager gewinnen. 
Richtige Eiterkörperchen 
werden nicht gefunden. 


Enke One . Venus Mena — — Mn rohen ae Ohr leer. 

Im rechten Ohr ein doppelt 
stecknadelkopfgrusser gelber 
Pfropf. 


Deutliche Meconiumkörper- 
chen, in den schleimigen 
Massen zahlreiche kernlose 
Plattenepithelien, stark 
verfettete diffus gelb ge- 
färbte Rundzellen. 


Reif. Frisch abge- 
storben, 
Lungenaspiration, 
Eitriger Schleim im 
rechten Ohr mit 
Meconium. 


= 


en Dee ee weisse Masse bestelıt 





Beide Ohren leer. 
gelebt. Ohren ohne 
besonderen Inhalt. 


Im rechten Mittetohr bedeckt | Mikr. sieht man stark ver- 
ein stark blutiges, schlei- fettete Zellen in der fädigen 
miges Gewebe die Knöchel- Grundsubstanz. (Essigsäure- 
chen, zusatz.) 


ee aa Frühgeburt. 3 Tage 


Frühgeburt, Totge- 
boren, Erhaltenes 
Schleimpolster,. Kein 
besonderer Inhalt. 


Frühgeburt. Totge- 
boren. Erhaltenes 
Schleimpolster, In 
beiden Ohren Eiter- 
pfröpfe und Frucht- 
wasser, 


In beiden Ohren ist die | Zahlreiche Körnchenkugeln, 
Schleimhaut der Paukenhöhle| Plattenepithelien, meist kern- 
sehr dick und geröthet, In los und geschichtet. Grosse 
den beiden Antra mast. Fettkörnchenzellen. Zahl- 
finden sich zähe, dickeitrig reiche Leucocyten, meist mit 
aussehende Pfröpfe. Die Fetttröpfchen gefüllt. Freie 
Paukenhöblen selbst sind leer.| Fetttröpfchen u. fädige Massen, 





Beide Ohren leer mit einer 
stark gerötheten Schleim- 
haut ausgekleidet, 


Frühgeburt. Totge- 
boren. Keine Lungen- 
aspiration. In den 

Ohren kein bes, Inhalt, 


i 


304 





No.) Datum. 


Journ.-No. 
| 0- 


[er] 
o 


15. | 20. VI. 95 


16. |25. VI. TEE 64 


m 


17.29. V1.95| 165 12 





i 
Frauen- 


Klinik 


82 


19, 29. VII. 95| 228 


20. |31. VII, 95 |Frauen- | Sektion 
Klinik 96 


DE 


245 102 


| 
21. |9. VIII, 95 


Klinischer Bericht. 


Frühgeborenes Zwillingskind hat 
2 Tage gelebt. 


Ausgetragenes Kind, in der Ge- 
burt abgestorben in Folge 
mehrfacher Verschlingung der 
Nabelschnur mit der rechten 
Hand um den Kopf. 


Frühgetorenes Kind. Anfang 
des 7. Monats Kind in Steiss- 
lage mit Nabelschnurvorfall 
lebend geboren. Lebte 23 Stun- 
den, hat etwas Milch zu sich 
genommen, die es jedoch bald 
wieder ausschüttete, 


45 cm Jab [Frauen 89. diraa —— |Ian | 
Todtgeboren, 


Ausgetragenes Kind. Todtge- 


boren, 


Klinischer Bericht fehlt. 


Frühgeburt. Todtgeboren. Mutter 


mit hochgradiger Eclampsie. 


ii = m i EEE a = a mn reg 


L. Aschoff: Die Otitis media neonatorum. 





Sektionsbericht. 


Geringer Luftgehalt der Lungen. 
Blutungen am Pericard. Harn- 
säureninfarct in den Nieren. 


Sehr ausgedehnte extrapiale 
Blutungen. Allgemeine venöse 
Stauung. 





Atelektase der Lungen. Kein 
fremder Inhalt in den Luft- 
wegen. Geringe Harnsäurenin- 
farite. 


Lungenatelektase, 


Lungenatelektase. Blutungen an 
den serösen Häuten der Brust- 
organe, 


Grünlich gefärbte Massen in den 
Bronchien. Partielle Lungen- 
atelektase. Multiple Blutungen. 
Länge 49 cm. 


Blatungen in den serösen Häu- 
ten der Brustorgane. Lungen- 
atelektase. 








stark geröthet. 


Zeitschrift für Ohrenbeilkunde, Bd. XXXI. 


rhagien. Zahl- 
reiche Leuco- 
cyten in der 
Schleimhaut, 
regellos zer- 
streut. An dem 
Epithel nichts 
Besonderes. 


























Ein Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Paukenhöhle. 305 
T i ci Mikroskop. Befund bei | Befund am E j 1 

: i a °P. i Untersuchung des gehärteten at ri 
in der Paukenhöhle. frischen Präparats. Organ. emerkungen. 

Beide Paukenhöhlen leer, | Mikrosk. fanden sich in letz- Frühgeburt. Hat 2 
mit einer stark ge- terem stark verfettete, zum Tage gelebt. In den 
rötheten Schleimhaut aus- Theil spindelförmige Zellen. Ohren kein beson- 
gekleidet. Das Antrum Hier und da Hämatoidin- derer Inhalt. 
mast. war von einem Krystalle. 
röthlichen Schleimgewebe 
erfüllt. 

Beide Paukenhöhlen leer. Reif.  Totgeboren. 
Dünne Schleimhautbeklei- Kein besonderer In- 
dung. halt in den Ohren. 

Linkes Ohr eröffnet, mit zar- | Beim Abschaben der Schleim- Frühgeburt. Hat 23 
terSchleftfhaut ausgekleidet.| haut nach der Tube zu Stunden gelebt. Im 
Ohne besonderen Inhalt. wird flimmerndes Epithel linken Ohr kein be- 

gefunden. (2 Tage nach dem sonderer lnhalt. 
Tode.) 

Beide Ohren leer. Die Wan- | Beim Abschaben wird flim- Frühgeburt. Totge- 
dungen und Gehörknöchel- merndes Epithel gefunden, boren, In den Ohren 
chen mit einer stark ge- ca. 80 Stunden nach dem kein besonderer In- 
rötheten Membran über- Tode. halt. , . 
zogen. 

| Dünne Schleimhaut. Sehr Reif. Totgeboren. 
stark geröthet. Kein be- Kein besonderer In- 
sonderer Inhalt, halt. 

In beiden Ohren befindet Reif. Lungenaspi- 
sich ein stark Ödematöses ration. Ohren ohne 
röthliches, sehr leicht zer- | besonderen Inhalt. 
reissliches Schleimhaut- Erhaltenes Schleim- 
polster, welches die ganze polster, 
Paukenhöhle auszufüllen 
scheint, 

Kein besonderer Inhalt. Die In er Schleim- | Frühgeburt. Totge- 
dünne Schleimhaut sehr a boren. Kein beson- 


derer Inhalt. 


20 


L. Aschoff: Die Otitis media neonatorum. :' 


306; 





No.| Datum. Klinischer Bericht. Sektionsbericht. 


Journ.-No 
Sektions-No. 


Mazerirtes Kind. Osteochondritis syphilitica. 


j 
© 
> 


22. 15. VIIl.95] 254 














23. 127. VIII. 95| 280 111 | Ausgetragenes Kind, + 23 Stun- | Pleuritis fibrinosa acuta dextra 
den p. partum. Geburt lang- 

dauernd. Kind mit der Zunge 

entwickelt, nicht asphyktisch. 


Frühgeborenes Kiud intrauterin | Lungenatelektase, 


24,19. X. 95 | 312 116 
abgestorben. Fruchtblase war 
ca, 12 Stunden vor Beginn 
der Venen gesprungen. Es er- 
folgte sodann sehr rasch die 
Geburt des abgestorbenen Kin- 
des und sofort folgt die. wohl 
vorzeitig gelöste Placenta. 


117 | Weibliches Kind in Folgeschwerer | Reif. Blutungen in der Thynus- 
Eclampsie der Mutter intra- drüse und an den serösen Häu- 
uterin etwa 7 Stunden ante ten der Brustorgane. 

partun: abgestorben. Lungenatelektase. 


25.112.X1.95| 318 


| | 








Frühgeburt im 7. Monat ca. 24 | ILungenatelektase. 


26. | 28. X. 95 |Frauen-| III 
Klinik | 338 Stunden p. partum gestorben. 
B. 247 


Milch in den Luftröhren. Par- 


Frühgeborenes männliches Kind. 
tielle Lungenatelektase. 


27.19. X. gg 408 | 145 
Geb. am 30. Okt. Gest. am 
4. Nov. 


Ein Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Paukenhöhle. 


Makroskop. Befund 
in der Paukenhöhle. 


Kein besonderer Inhalt. 


Kein besonderer Inhalt, 


Feine rothe Schleimhaut- 
brücken verbinden die Ge- 
hörknöchelchen mit den 
Wänden. 


Feinerothe Schleimhautfäden 
zwischen Gehörknöchelchen 
und den Wänden. 


Kein Inhalt in den Mittel- 
ohren, 


In der Paukenhöhle ein dick- 
eitriger gelblich gefärbter 
Inhalt. In dem Cavum 
pharyngo-nasale dickeitrige 
gallig gefärbte Massen. 


m nn | nn | nn nn | mm en. | ern 


Mikroskop. Befund bei 


Untersuchung des 
frischen Präparats, 


Verfettete Eiterkörperchen 
und fädiger Schleim. Rothe 
Blutkörperchen, Hämatoidin- 
krystalle, Plattenepithelien. 
Keine sicheren Fruchtwasser- 
bestandtheile. 


Befund am 
gehärteten Organ. 


Sehr schönes Schleim- 
gewebe mit sternför- 
mig verästelten Zel- 
len. In den Maschen 
grobkörnige grosse 
Rundzellen aber keine 
gelapptkernigen Leu- 
cocyten. 


In der Schleimhaut 
prall gefüllte Gefässe, 
zahlreiche Hämorrha- 
gien, über welchen die 
Schleimhaut zerstört 
erscheint. Neben den 


Bindegewebszellen mit 


grossen ovalen Kernen 
sieht man viele grosse 
und kleine, rundker- 


nigeWanderzellen, so- 


wie mässig viel ge- 
lapptkernige Leuco- 
cyten. 


20* 


nn | [Ui res. : gelte |) nn nn 


307 





Zusammen- 
fassende 


Bemerkungen. 


_Mazerirt. Kein 


besond, Inhalt, 


Reif. Hat 22 
Stunden ge- 
lebt. Kein 
besonderer 
Inhalt. 


Frühgeburt. 
Totgeboren, 
Kein beson- 
derer Inhalt, 


Reif. Totge- 
boren. Kein: 
besonderer 
Inhalt, 


Frühgeburt, 
Hat 5 Tage 
gelebt. Mich- 
aspiration. 
Eiter in bei- 
den Ohren, 


Frühgeburt. 
Hat 5 Tage 
gelebt. Milch- 
aspiration. 
Eiter in bei- 
den Ohren. 


308 L. Aschoff: Die Otitis media neonatorum. 





No.| Datum, Klinischer Bericht. Sektionsbericht, 


Journ.-No 
Sektions-No. 


28, |9. XI, 97| 429 146 | Frühgeburt, männlich, totgeboren. | Erstickungsblutungen an den 

Mutter hatte Placenta prāvia serösen Häuten. 

totalis. Bei ihrer Ankunft 

5. Nov. 4 Uhr Morgens war 

das kindliche Leben bereits er- 

loschen. 2 Stunden später 

künstlicher Blasensprung. Reich- 

liches, völlig klares Frucht- 

wasser, Sofort nach dem Blasen- 

sprung Geburt. 


29.118. X1.95 | 450 150 | Kind, nach Perforation des Schä- | In den gröberen Luftwegen Me- 
dels entwickelt. Es bestand be- conium nachweisbar. Lungen- 
reits Physometra, Gehirn, Frucht-| atelektase 
wasser etc. sehr übelriechend. 





30. | 3. XII. 95 | 479 155. | Frübgeborenes frisches Kind. Hat | Syphilis Cong. der Lungen, Milz, 
1/4 Stunde schwache Lebens- | Knochen. 
äusserungen gezeigt. Lungenatelektase, 


31.119. X11.95| 498 | 163 | Totgeborenes unreifes Kind,. | Lungenatelektase, 
(Placenta prävia) durch kom- 
binirte Wendung entwickelt. 





Ein Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Paukenhöhle. 


Makroskop. Befund 
in der Paukenhöhle, 


Kein besonderer Inhalt, 


Deutlich Saiegefkebter Ins | Die wöigsen Doskeneind'karns | Versihselteleneoerten | Weberei Tot gefärbter In- 
halt in der linken Pauken- 
höhle, darin mehrere weiss- 
liche Becken. 

Das rechte Ohr enthielt nur 


gelblichen Schleim um den ! 


Ambos herum. 


Im linken Mittelohr nach der 
Tobe zu ein eitrigschleimi- 


ger gutstecknadelkopfgrosser 


Pfropf. Röthliches Schleim- 
gewebe umgiebt die Gehör- 
knöchelchen. 


Das rechte Ohr wird eröff- 


net; kein besonderer Inhalt. 


Mikroskop. Befund bei 


Untersuchung des 
frischen Präparats, 


Die weissen Becken sind kern- 
lose verhornte Plattenepi- 
thelien, wie in der Vernix 
caseosa; Meconiumkörper- 
chen, Pigment. Sehr viel 
fettkörnchenhaltige Eiter- 
zellen. 


Der Pfropf enthält viele 
verfettete Rundzellen, Plat- 
tenepithelien, Cylindenepi- 
thelien, rothe Blutkörper- 
chen, Schleim. 


Befund am 
gehärteten Organ. 


Vereinzelte Leucocyten 
in der Schleimhaut, 
stark gefüllte Gefässe, 
Hämorrhagien. In den 
Bröckelchen kernlose 
Plattenepithelien, 
rundkernige und ge- 
lapptkernige Rund- 


zellen. Be nm me en tn BEER PIBERORDER DEN]. 9 en. 


Grundgewebe ziemlich 
engmaschig. In den 
Maschen Rundzellen 
der allerverschieden- 
sten Grösse, mit den 
verschiedensten Kern- 
formen, z. T. wie 
echte Leucocyten aus- 
sehend, ganz diffus 
zerstreut, nicht blos 
um die Gefässe, auch 
zwischen den Epithe- 
lien, Leucocyten be- 
sonders unter den 
Epithelien. Verein- 
zelte starke Hämor- 
rhagien. Epithel nicht 
zerstört, 


Das linke Ohr enthält 

kiter mit Vernix. In 
der Schleimhaut starke 
Hyperämie mit Blu- 
tungen, starke Leuco- 
cyteninfiltration. Im 
Lumen eine starke 
Leucocytenanhäufung 
mit zahlreichen kern- 
losen Plattenepitlelien 
(Vernix). 


u 


309 





Zusammen- 
fassende 
Bemerkungen 


Frühgeburt., 
Totgeboren, 
Kein beson- 
derer Inhalt, 


Ueberreif. Tot- 
geboren. Lun- 
genaspiration. 
Eitriger 

Schleim in 
den Ohren 
mit Vernix 
u. Meconium, 


Frühgeburt. 
Hat 1j4 Stun- 
de gelebt. 
Keine Aspi- 
ration. Im 
linken Ohr 
eitrig. Schleim. 


Frühgeburt. 
Totgeboren. 
Kein Inhalt 
im rechten 
Ohr. Im lin- 
ken Ohr Ei- 
ter mit Vernix. 


310 L. Aschoff: Die Otitis media neonatorum. 





No.! Datum. Klinischer Bericht. Sektionsbericht. 


Journ.-No. 
Sektions-No. 


32. 20. X11.95| 510 165 | Verwachsene Frau mit engem | Blutungen am Pericard. Meconium- | 
Becken. Frucht, angeblich 4 artige Massen in der Luftröhre. 
Wochen übertragen, wurde bei 
Querlage durch Wendung, Ex- 
traktion, Perforation des nach- 
folgenden Kopfes entwickelt. 


} 
I 


i 
i | 


526 115 Frühgeburt aus dem 8. Monat. | Erstickungsblutungen. Mangel- 








33. 129. XII. 95 











Hat 7 Stunden gelebt. hafter Luftgehalt der Lungen. 
| 
| 
34.| 8. 1. 96 389 —- Zwillingskind, hat 10 Tage ge- | Bronchopneumonie (Schluckpneu- 
lebt, wog 1,55 kg monie?). Icterus neonat. Im 


Pharynx gelbbrauner Schleim. 
Mikr. Eiterkörperchen, und Pig- 
ment. 





Ein Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Paukenhöhle, 


Makroskop. Befund 
in der Paukenhöhle. 


Mikroskop. Befund bei 


Untersuchung des 
frischen Präparats, 


Im einen Mittelohr nur eine | Letztere bestehen aus fett- 


Spur von schmieriger Flüssig- 


keit mit kleinsten weissen 
Bröckelchen. - 

In dem anderen ebenfalls von 
der Tube aus mit der Schere 
eröffneten Mittelohr finden 
sich nur Spuren röthlichen 


Schleims mit weissen Bröckel- 


chen. Keine Meconium- 
körperchen. Einzelne Theile 
der Paukenhöhle sind noch 
von einem dicken Schleim- 
hautpolster bedeckt. Mikr. 
‘wie Vernix aussehend. 


glänzenden, wie in der 
Verpix sich zeigenden ge- 
schichteten Massen. Da- 
zwischen liegen vereinzelte 
Fettkörnchenzellen, auch 
solche, deren Inhalt mehr 
gallig gefärbt ist. Auch 
richtige Mecopiumkörper- 
chen finden sich zahlreich. 
Daneben Flimmerepithelien 
und gut erhaltene kern- 
haltige Plattenepithelien. 


Befund am 
gehärteten Organ. 


311 





Zusammen- 
fassende - - 


Bemerknngen. 


Ueberreife 

Frucht. Per- 
forirt. Lun- 
genaspiration. 
Vernix und 
Meconium in 
dem Mittel- 
ohr. Schlei- 
miger Inhalt. 





Die linke Paukenhöhle wird 
von oben geöffnet. Das 
Antrum ist mit Gallertge- 
webe völlig ausgefüllt. Das 
rechte Ohr von der Tube 
aus eröffnet. Die hinteren 
Wände der Tube, sowie die 

- hintere und obere Decke 

der Paukenhöhle sind mit 


‚ einem stattlichen (1-2 mm . 


dicken) röthlichen Gallert- 
polster ausgekleidet. 

In der Tiefe der Pauken- 
höhle liegt ein kleiner gelber 
Pfropf von zähschnieriger 
Consistenz. Er kann leicht 
herausgenommen werden. 


Das rechte Ohr wird von 
der Tube aus eröffnet. Das 


Carum ist weit, mit dunkel-- 


roter Schleimhaut bedekt. 
Nach unten hinten und 


oben aussen liegt der Schleim- 


haut eine zähschmierige. 
gut erbsengrosse Masse auf. 


Wimperepithelien, 


Dasselbe trägt in der Tube 
ein mehrschichtiges Cylin- 
derepithel mit Flimmer- 
härchen. 


Mikr. sieht man bei Zusatz 


von Essigsäure gelapptker- 
nige Eiterzellen, vereinzelte 
freie Fettkörchen, Flimmer- 
epithelien und kernhaltige 
Plattenepithelien und Hau- 
fen von kernlosen Platten, 
rothe Blutkörperchen, keine 
Meconiumkörperchen, keine 
Haare 


Platten- 
epithelien, grosse Mengen 
von Eiterkörperchen, die 
eine mehr oder weniger 
starke Verfettung zeigen, 


keine Meconiumkörperchen, 


keine Haare. An einer 
Stelle liegt ein Haufen 
dunkler kernloser Epithe- 
lien (Vernix?). 


. sonders 


Zahlreiche Eiterkör- 
perchen und Schleim 
mit einzelnen Hau- 
fen von kernlosen 
Plattenepithelien. In 
der Schleimhaut nicht 


sehr viel Leucocyten. 


Schleimhaut hyper- 
ämisch, Epithel über- 
all gut erhalten, 
auch da wo der Eiter 
aufliegt. In demselben 
Vernixzellen? In der 
Schleimhaut recht 
viel Leucocyten, be- 
unter den 
Epithelien. 





Frühgeburt. 
Hat 7 Stun- 
den gelebt. 
Eiter mit 
Vernix im 
Ohr. Keine 
Aspiration. 





Zwilling. Hat 
10 Tago ge- 
lebt. Aspi- 
ration? Ver- 
nix im Ohr? 


Siz L. Aschoff: Die Otitis media neonatorum. 








Klinischer Bericht. Sektionsbericht. 


Journ.-No. 
Sektions-No. 


35. | 8. I. 96 389 | 178 | Kind, an welchem wegen hoch- | Blutungen am Pericard. 
| | gradiger Beckenenge der Mutter | Etwas Luft in der linken Lun- 
| die Craniotomie vorgenommen ge. Harnsäureinfarkte. 
| ist. Mehrtägige Geburtsdauer. Körper ist mit gallig gefärbter 
Kind hat noch bis kurz vor Vernix bedeckt. 


| 

| 

| der Perforation gelebt. 
| 


eomma maoa 
ee Be ee 











| 
36.| 11. I. 96 | 538 | — Zwillinge, am 5. unmittelbar | Erstickungsblutungen. Lungen- 
87. | | nach einander sammt gemein- atelektase. 
| | sanıer Placenta (Amnion ge- 
| trennt) geboren. Haben 13/4 
resp. 2 Stunden gelebt. 
88.1 16. I. 96 | 577 184 Frühgeborenes Kind, bei Pla- | Erstickungsblutungen. Spuren 
centa prävia totalis durch von Luft in den Lungen. 
Wendung entwickelt, kam tot | (Schultze'sche Schwingungen ?) 
zur Welt. Kind mit Vernix caserosa, aber 
nicht mit Meconium bedeckt. 
| 
39. | 1. I. 96 | 520 — Männliches Kind in beginnender | Erstickungsblutungen. Lungen- 
Maceration. ist 5 Tage a part. atelektase. 
abgestorben. 





— Perforirtes Kind. Sehr lange | Starke Maceration, Blutimbibition 
| Geburtsdauer bei plattem Becken | und Fäulniss. 

| Kind am 25. abgestorben, am 

| 27. durch Extraction bei be- 


40.| 1. II. 96 | 594 





| ginnender Tympania uteri ent- 
wickel . 


Digitized by NI OU! 


Ein Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Paukenhöhle. 


Makroskop. Befund 
in der Paukenhöhle. 


Im Rachen finden sich gallig 
gefärbte Massen. Im Ma- 
gen gallig gefärbter Inhalt. 
Beide Mittelohren, deren 
Schleimhaut ganz dünn ist, 
enthalten im Antrum einen 
kleinen gelblich gefärbten 
Schleimpfropf (stecknadel- 
kopfgross). 


In den Mittelohren beider 
Kinder finden sich kleine 
Schleimpfröpfehen von hell- 
gelber, fast weisser Farbe; 
die Schleimhaut besteht an 
der hinteren Fläche der 
Paukenhöhle und im Antrum 
aus einem dicken Gallert- 
gowebe. 


In dem linken Ohr findet 
sich noch mässig dickes 
Schleimhautpolsteram Boden 
der Paukenhöhle und in dem 
Antrum. Einzelne Schleim- 
hautstränge zwischen der 
Wand und den Gehör- 
knöchelchen. Spuren von 
flüssigem Iuhalt. 


Ein Theil der linken Pauken- 
höhle ist noch mit einem 
dicken Schleimhautpolster 
ausgekleidet. In der Schleim- 
haut zahlreiche Blutungen. 
Kein besonderer Inhalt. 


Schleimhaut liegt der Panken- 
höhlenwand fest an. Höhle 
ist leer. 


Mikroskop. Befund bei 


Untersuchung des 
frischen Präparats. 


Mikr. bestehen die Pfröpfe 
aus Plattenepithelien, Cy- 
linderepithelien und spär- 
lichen Eiterzellen, die z. T. 
gellig gefärbt sind, auch 
grosse gelbe Ballen ent- 
halten. Meconiumkörper- 
chen liegen auch frei 
zwischen den Zellen. Ver- 
einzelt finden sich Klumpen 
von fettglänzenden kern- 
losen Plattenepithelien 
(Vornix). 


Eiterzelleono mit spärlichen 
Fettkörnchen, kernhaltige 
Plattenepithelien, Cylinder- 
epithelien. 


Die mikroskop. Untersuchung 
ergiebt an der Oberfläche 
neben Flimmerepithel sehr 
viele glatte spindelige und 
wirkliche Plattenepithelien 
mit wohlerhaltenen Kernen; 
keine Eiterkörperchen, keine 
verfetteten Zellen, keine 
Meconiumkörperchen. 


Die mikroskop. Untersuchung 


der Schieimhaut zeigte Stern- 


zellen ohne Verfettung. 


Befund am 
gehärteten Organ. 


Die Schleimhaut er- 
scheint ganz norınal. 
Stark gefüllte Ge- 
fässe. Keine Blutun- 
gen. Kein Inhalt. 
Wenige Leucocyten 
in der Schleimhaut. 


Spärliche Leucocyten 
in der Schleimhaut. 


rn ne | nn nn | nr 
S 


313 


eoe ETSE OSSEE EEEE SEE EERE E EE a- EEEa EEEE EE E 


Zusammen- 
fassende 
Bemerkungen. 


Reif, Perfo- 
ration. Meco- 
nium ver- 
schluckt. Eit- 
riger Schleim 
mit Meconium 
und Vernix in 
den Mittel- 
ohren. 


Frühgeburten. 
Keine Aspi- 
ration. Etwas 
eiterähnlicher 
Inhalt. Haben 
13/4 resp. 2 
Stunden ge- 
lebt. 


Frühgeburt. 
Keine Aspi- 
ration. Kein 
besonderer 
Inhalt. 


Macerirtes 
Kind. Keine 
Aspiration, 
Kein beson- 
derer Inhalt. 


Macerirtes 
Kind. Kein 
besonderer In- 
halt. 





314 
I5 o S 
PB, z = 
No. | : Datum. g s 
. i 3 
Ss | 8 
Fe 5. II. 96 | 609 | 192 
42.| 8. II. 96 | 998 "TEE 194 
SER TUe 21.1. ii, 1049 202 
44.| 28. 11. 96 | 561 | 206 
45.| 4. 111. 96 | 565 | 208 


= | 


Klinischer Bericht. 


Frühgeborenes Kind. Hat 6 Tage 
gelebt. Künstlich genährt. 


Totgeborenes Kind, bei Placenta 
prävia intrauterin abgestorben. 
Die Fruchtblase blieb bis zur 
Geburt erhalten. 


Totgeborenes 'weibliches Kind 
in beginnender Erweichung. 
Mutter hat seit ca. 8 Tagen 
kein Jeben mehr gespürt. 


Männliches Kind, intra partum 
spontan abgestorben, 25 jähr. 
Frau.. Kind in II. Schädel- 
lage, beweglich. Viel Frucht- 
wasser. Nach etwa 12 stün- 
diger Wehenthätigkeit war bei 
kaum geöffnetem Muttermunde 
und stehender Blase der Herz- 
schlag erloschen. Nach weiteren 
161/2 Stunden erfolgte die Ge- 
. burt. Man bemerkte nach dem 
Durchschneiden des Kopfes eine 
einfache aber äusserst feste 
Nabelschnurumschlingung um 
den Hals, die eine deutliche 
Strangulationsmarke hervorge- 
rufen hatte. 


Männliches Kind, hat 8 Tage 


gelebt. In erster Zeit an der 
Brust, in letzter Zeit künstlich 
genährt, erkrankte vor etwa 4 
Tagen mit den Erscheinungen 
eines Magendarmkatarrhs, leicht 
konvulsivischen Zuckungen. Haut 
wurde zuerst trocken, schilferte 
leicht ab, wurde glanzlos hart, 
stellenweise schr starr. 
Die Geburt verlief spontan und 
verhältnissmässig rasch. Wog 
8,1 kg. 


L. Aschoff: Die Otitis media neonatorum. 


Sektion sbericht. 


Icterus.,. $ 

Bilirubin und Harnsäureinfarkte. 
Atelektatische Heerde in den 
Lungen. 


Vernix gallig gefärbt. 

.In der Luftröhre bis in die 
feineren Bronchien hinab findet 
sich ein meconiumfarbiger 
Schleim. 

Erstickungsblutungen. Im Magon 
Meconium. 


Vorgeschrittene Maceration. 


Erstickungsblutungen. Länge 
45 cm. 
Peritonitis. +5.| 4. 111.96 | 565 | 208 | Männliches Kind, hat 8 Tage | Peritonitis. Streptokokkenrein- 


kultur in der Bauchhöhle. Nabel- 
infektion. ? 


Ein Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Paukenhöhle. 


Makroskop. Befund 
in der Paukenhöhle. 


In der linken Paukenhöhle 
nichts, in der rechten am 
Steigbügel ein kleiner gelb- 
licher Fleck. 

Schleimhantpolster noch mäs- 
sig dick. 


Im linken Mittelohr an der Ba- 
sis des Ambos eine weissliche 


Masse, die übrige Paukenhöhle, 


‚besonders nach der Tube zu, 
von einer serösschleimigen, 
röthlich gelben und schwach 
trüben Flüssigkeit erfüllt. 

Im rechten Ohr ein ganz ähn- 
liches Verhältniss. 


In der linken 'Paukenhöble 
findet sich ein dickes blutig 
imbibirtes Gallertpolster. 
1 | č č ćž  žãć Ož 0 Do besonderer Inhalt. 


Das linke Ohr wird eröffnet. 
Es finden sich in der Tiefe 
am Hammergriff gelbe 
mässig dicke Flecken. 

Die Schleimhaut ist noch 
ein stark gallertiges Polster. 

Meconinm am Körper, in 
Mund und Rachen nicht 
nachweisbar. 


Beide Paukenhöhlen sehr 
weit. Schleimhaut dünn. 
Links ein dünner eitriger 
Belag der Schleimhaut. 


Mikroskop. Befund bei 


Untersuchung des 
frischen Präparats. 


Aus verfetteten Zellen und 
Schleim bestehend. Keine 
Meconiumkörperchen. 


Aus Plattenepithel, Leucocyten 
und viel Fetttröpfchen be- 
stehend. Dieselbe enthält rothe 
Blutkörperchen, Flimmer- u 
Plattenepithelien und spär- 
liche Meconiumkörperchen. 
Mikr. finden sich auch Vernix- 

massen. 


Dieselben bestehen aus Plat- 
tenepithelien und Fettkörn- 
chenhaufen. Ein Meconium- 
körperchen (?) 


Besteht mikr. aus Platten- 
epithelien, Körnchenzellen, 
Stäbchen, Diplokokken, 
Streptokokken. Nichts von 
Meconium. 


Befund am 
gehärteten Organ. 


"Das linke Ohr wird eröffnet. | Dieselben bestehen aus Plat- | Rechts in der Pauken- | Frühgeburt. in der Pauken- 
höhle kein besonderer 
Inhalt. Ziemlich star- 
ke Hyperämie, aber 
keine Hämorrhagien. 
Ziemlich viel Rund- ` 
zellen in der Schleim- ; 
haut. Mässig viel ge- ; 
lapptkernige Leuco- 
cyten. 


=Z p 


315 





Zusammen- 
fassende 
Bemerkungen. 


Früähgeburt. 
Hat 6 Tage 
gelebt. Keine 
Aspiration. 
£twas Eiter 
im Ohr. 


Ueberreif.- 

' Totgeboren. 
Aspiration. 
Eiter im Mit- 
telohr. spär- 
lich. Daneben 
wenig Vernix 
und Meconiun. 


Macerirt. 
Kein beson- 
derer Inhalt. 


Frühgeburt. 
Totgeboren. 
Keine Aspi- 
ration. Serös- 
eitriger Inhalt 
liaks. Kein 
besonderer In- 
halt rechts. 


"Beide Paukenhöhlen sehr | Besteht mikr. aus Platten- | | Reif. Hat 8 
Tage gelebt. 
Links etwas 
Eiter mlt Strep- 
tokokken. 
Keine Aspi- 
ration. ` 





316 L. Aschoff: Die Otitis media neonatorum. 








No.| Datum. Klinischer Bericht. Sektionsbericht. 


Journ.-No 
Sektions-No. 


12 | Frühgeborenes Kind kanı lebens- | Erstickungsblutungen. 
frisch zur Welt, hat ca. 6 } Lungenatelektase. 
Stunden gelebt, doch unvoll- 
kommen geathmet. 


46.|9. 1II, 96 | 697 2 





220 | Frübgeborenes männliches Kind, | Erstickungsblutungen. 
hat 41/9 Stunden gelebt, nur | Lungenatelektase. 


oberflächlich geathmet. 


47.|21.11.96 | 725 


48. | 26. III. 96 | Frauen-| 221 | Totgeborenes weibliches Kind. 
klinik Färbung der Vernix caserosa. 
B. 516 Meconium im Magen. Lungen- 
atelektase. 


Männliche Frühgeburt, hat 4 | 32cm lang. Partieller Luftge- 
Stunden gelebt, zuerst kräftige halt der Lungen. 
Lebenszeichen gegeben. 


49. | 8. IV. 96 6 6 





50.18. IV. 96 | 752 5 Frühgeburt, weibliches Kind, hat | Icterus. 


10 Tage gelebt. 
Harnsäureinfarkte. 


Beginnende Maceration. Gallige 


Gallige Massen in den Luftwegen. 


gg —— ne 


m= 


Ein Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Paukenhöhle. 


317 





Makroskop. Befund 
in der Paukenhöhle. 


In beiden Paukenhöhlen be- 


deckt eine dünne lebhaft 
geröthete Schleimhaut die 
Wand. Blutungen in der 
Schleimhaut. Etwas schlei- 
miger, aber kein eitriger 
Inhalt. 


In beiden Paukenhöhlen 


seröse Flüssigkeit mit weissen 
kleinen Flocken. 


In der linken Paukenhöhle 


gelblich röthliche Flocken, 
besonders am Hammerstiel. 


Ein dickes Schleimgewebs- 


polster bedeckt die Wände 
der linken Paukenhöhle. 
Dieselbe ist mit seröser 
Flüssigkeit erfüllt. In 
letzteren schwimmen ganz 
kleine trübe Flocken. 


Im linken Mittelohr ein dicker 


Eiterpfropf. 


Die Schleimhaut des Antrum 


sieht fnhl, gelblich aus. 


Mikroskop. Befund bei 


Untersuchung des 
frischen Präparats. 


Dieselben bestehen aus Schleim, 


Plattenepithelien, verfet- 
teten Eiterkörperchen, freien 
Fettkörnchen, rothen Blut- 
körperchen ; kein Meconium. 


Dieselben bestehen aus Fett- 
körnchenzellen, kernführen- 
den Plattenepithelien, verhorn- 


ten kernlosen Zellen in ge- 
schichteten Haufen (Vernix’?) 
und Meconiumkörperchen, 
körnigem Pigment u. Haaren. 


Dieselben bestehen aus Fett- 


körnchenzellen und Platten- 
epithelien. 


Besteht nur aus Eiterkör- 


perchen, dazwischen Gallen- 
pigment (Icterus?). Mikr. 
besteht eine sehr, starke 


Verfettung der Schleimhaut- | 
zellen. 


E o 
= 
zu E 


Befund am 
gehärtuten Organ. 


Die Paukenhöhle ist zum 


grossen Theil ausge- 
füllt mit einer aus 

kernlosen Plattenepi- 
thelien bestehenden 
Masse, welcher zahl- 

reiche Pigmentkörn- 

chen beigemischt sind 
und die auch einzelne 
kleinere kernhaltige 

Plattenepithelien ent- 
hält, daneben mehr- 

fache ovale, längliche 
Körnchen, die an Me- 
coniumkörperchen er- 
innern. Schleimhaut 
stark hyperämisch, 

vereinzelte Blutungen. 
Das Epithel darüber 
erhalten. Keine auf- 
fällige Leucocytenan- 
sammlung im Lumen. 


Das Lumen der rechten 


Paukenhöhle ist von 
einem Eiterpfropf 

ganz ausgefüllt. Epi- 
thel: überail-erhalten. 
Starke Hyperämie der 


Schleimhaut. Zahlreiche 
Leucocyten in derselben. 


nun 


Zusammen- 
fassende 
Bemerkungen. 


Frühgeburt. 
Hat 6 Stun- 
den gelebt. 
Keine Aspi- 
ration. Schlei- 
miger Inhalt. 





Frühgeburt. 
Hat 41/2 Stun- 
den gelebt. 
Eiterähnlicher 
Inhalt. 


Totgeboren. 

Reif. Seröseit- 
riger Inhalt 
mit Vernix u. 
Meconium im 
Ohr. Meconium 
im Magen. 


Frühgeburt. 
Hat 4 Stun- 
den gelebt. 
Trübe Flocken 
im linken Ohr. 
Im rechten 
Ohr Vernix. 


Fiühgeburt. 
Hat 10 Tage 
gelebt. 
Dicker Eiter 
im Ohr. Aspi- 
ration. 





318 L. Aschoff: Die Otitis media neonatorum. 
aS 
2 h 
No.! Datum. = S Klinischer Bericht. Sektionsbericht. 
5 2 
| 
51.'12.1V.96 , 746 9 Männliches, etwas frühreborenes | Aus den ödematösen Stellen der 
Kind, geb. den 24. März, (wog : Hand. sowie aus dem Herz- 
2.5 kg bei 48 cm Länge), ge- blut werden Streptokokken ge 
dieh anfangs gut, wird dann | züchtet. | 
sehr marantisch und zeigt am , Keine Nabelinfektion. 
7. d. M. starkes Oedem der | Hämorrhagische Bronchopneu- 
| linken Hand, am 8. wird der monieen. 
kleine Finger und einzelne | 
| | Stellen der anderen Hand | 
| schwarzblau. Bei oberflächlichen 
| Incissionen entleert sich blutig 
|! seröse bacterienhbaltige Flüssig- 
keit. + 11. April. 
52 52 :12.1V.96 | 762 | 10 IV.96 | 762 | | Weibliches unreifes Kiud, geb. | Icterus neonat. Hämorrhagische 
i Te | 29. März (wog 2,1 kg bei 43 cm | Bronchopneumonieen. Harnsäur- 
Länge), gedich anscheinend gut, und Bilirubininfarkte. 
am 3. April beginnt Icterus, 
Kräfteverfall. Einige Zeit vor 
den am 9. 1V. erfolgten Tode 
Entleerung dunklen Blutes nus 
Mund und Nase. 
53. ! 21.IV. 96 18 — | Frühgeborenes Kind. in Becken- | Snbpialer Binterguss. 
B. 19 endlage asphyktisch extrahirt, | Erstickungsblutungen. 
; wurde belebt. + nach 33/4 
| Stunden. 
54. 3. VI. 96 ! 106 | 36 Weibliches Kind, kam unmittel- | Pneumonia alb. Osteochondritis 


B. 108 B.178 


55. 26. VI. 96 16 


F 


A 
56 27.VI.96. 152 | 44 


| | 








bar nach dem Blasensprung in 
Kopflage tief asphyktisch zur 
Welt; nach einigen Athem- 
zügen ging es trotz aller Be- 
mühungen zu Grunde. Das 
Fruchtwasser zeigte sich stark 
meconiumhaltig, eine Ursache 
der Asphyxie war bei der ge- 
nauen Beobachtung der Geburt 
nicht zu ergründen, 


Männliches Kind. 
lage intra partum abgestorben. 


Weibliches Kind bei Placenta 


prävia intra partum abgestorben. 


in Beskenend: 





syphilitica (?). 








Alle Zeichen der Reife. 
Lungenatelektase. 





i 


| Alle Zeichen der Reife. 
| Lungenatelektase. 


l 


ze 


Ein Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Paukenhöhle. 319 





Mikroskop. Befund bei Zusammen- 


Makroskop. Befund Untersuchung des. Befund am aesanda 
in der Paukenhöhle. 


frischen Präparats. gehärteten Organ. Bemerkungen. 


Das Lumen der rech- | Frühgeburt. 
ten Paukenhöhle ist | Hat 18 Tage 
völlig von einem | gelebt. 
Eiterpfropf erfüllt. | Eiter im Ohr. 
In demselben liegen ! Meconium im 
grosse Haufen nach | Ohr. Kokken- 
Gram färbbarer Dip- | infektion, 
lokokken. Schleimhaut 
stark hyperämisch, 
von vielen Leucocyten 
durchsetzt. Schleim- 
hautepitbel erhalten. 


In beiden Paukenhönhlen dicke 
Eitermassen, in denen sich 
deutlich Meconiumkörper- 
chen nachweisen lassen. 





Das linke Ohr enthielt blutig 


Frühgeburt. 
gefärbte seröse Flüssigkeit, Hat 11 Tage 
sonst nichts besonderes. gelebt. 


Kein beson- 
derer Inhalt. 


rn | ee nn 


In der linken Paukenhöhle | Dieselben bestehen aus Fett- Frühgeburt. 
weisse Flöckchen. körnchenbaufen und Eiter- Hat 83/4 Stun- 
Schleimhautpolster mässig zellen, Kein Meconium. Keine den gelebt. 
dick. . Verfettung in der Schleim- Serös eitriger 
Zu haut. ‚Inhalt. 


aaa | aaea en 


Die linke Paukenhöble ist | Mikroskop. finden sich ge- | Im rechten Mittelohr | Reif. Hat nur 
ganz mit dickem, gelblichem, schichtete Haufen kernloser kleine Haufen v. Eiter- | Minuten ge- 


'rahmigem Eiter gefüllt. Plattenepithelien (Vernix), körperchen, welche | lebt. 
Schleimhaut ist dünn und verfettete Leucocyten mit kernlose Plattenepi- | Eiter und Me- 
liegt dem Knochen fest auf. gelappten Kernen, grosse theken und mehrfache | conium im 


Fettkörnchenzellen. Sehr Haare umschliessen. | Ohr. 
viel Zellen sind mit gelb- | Schleimhaut hyper- 

lichen runden Körnchen und ämisch, aber frei von 
Schollen beladen. (Meconium- | stärkeren Hämorrha- 
körperchen). Keine Haare. gien. Mässig viel Leu- 


cocyten in der Schleim- 
haut. 
Schleimhaut dünn, mit Blu- | Keine Verfettung in der Reif. Totge- 
tungen durchsetzt. Kein be- Schleimhaut. boren. Kein 
sonderer Inhalt. besonderer 


Ichalt, 


idem. idem. i n idem 








320 L. Aschoff: Die Otitis media neonatorum. 
No.| Datum. 5 g Klinischer Bericht. Sektionsbericht. 
| & | 
> A 
57.| 23. VI.96 | 89 48 Männliches Kınd, geb. 8 Juni, | Erysipel. 
erkrankte am 20. mit erysipel- | (Streptokokken in den Haut- 
ähnlicher Röthung und Schwel- schnitten.) 


` 6. II. 96 | Frauen- 





5 .96 |Frauen-] 55 | Leichte Geburt. Hat 36 Stunden | Länge 37 cm. Peritonitis. Nabel- 
klinik 
B. 164 

59. | 5. 59.|5.vı1.96 | 181 | 60 | Durch Trauma vorzeitige voll- | Erstickungsbiutungen.. 96 | 181 60 

50. 59 
klinik 

61. 11. VII. 96 61 


194 


62. 62.8. VII. 96| 230 | — | Männliches Kind, totgeboren. | Alle Zeichen der Reife, VIII 96| 230 


10. VII. 96 TP ee 


u } 


lung unterhalb des Nabels, die 
sich bald nach dem Rücken 
beiderseits ausdehnte, später 
auch auf Thorax und Beine. 
Verdauung dabei gestört. Am 
22.d. M. sahen die veränderten 
Partien mehr wie Oedem 
nel ea en | o o a U U O aus. T 23. VI 


Leichte Geburt. Hat 36 Stunden 
gelebt. 


Durch Trauma vorzeitige voll- 
ständige Ablösung der Placenta. 
Kind intrauterin abgestorben. 
Geburt spontan verlaufen. 


Sklerema neonatorum. Kombi- 
nirte Wendung. Asphyxie: hat 
32 Stunden gelebt. 


Männliche Frühgeburt aus dem 
6. Monat. Kind lag in Fuss- 
lage, Vorfall der Nabelschnur. 


Männliches Kind, totgeboren. 
Steisslage, I para, sehr prota- 
hirter Verlauf. Bei Extraktion 
am Steiss Fraktur des linken 
Femur. 


Länge 37 cm. Peritonitis. Nabel- 


infektion (?). Staphylokokken 
in der Bauchhöhle. 
Icterus. 


Erstickungsblutungen. 
Beginnende Maceration. 


Blutungen in der Pia cerebralis. 

Blutung in die Schädel- und 
Rückenmarkshöhle. Parenchy- | 
matöse Trübung des Herzmuskels, 
der Nieren und der Leber. | 
Bronchopneumonieen. 


Lungenatelektase. 





Alle Zeichen der Reife. 
Atelektase der Lungen.. 





Ein Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Paukenhöhle. 


Makroskop. Befund 
in der Paukenhöhle. 


Sehr weites Sehr weites Cavam tympani. | | Reif. Hat 15 tympani. 
Schleimhaut ganz dünn. 
Kein besonderer Inhalt. 


In beiden Mittelohren gelb- 
! liche Flocken, Schleimhaut 
icterisch gefärbt. 


| In der linken Paukenhöhle | Mikr. dichtgedrāngte Zellen | | Reif. Totge- In der linken Paukenhöhle 
ein dickes rothes Polster. 


In der linken Paukenhöhle 
ein durchsichtiges Schleim- 
polster. 

Kein besonderer Inhalt. 


| In der linken Paukenhöhle 
findet sich ein blutreiches 
Schleimgewebe. In der 
Tiefe der Höhle liegen gelb- 
liche Schleimflocken. 





| Kein besonderer Inhalt- 


= a 
=e E 


Mikroskop. Befund bei 


Untersuchung des 
frischen Präparats. 


"In beiden Mittelohren gelb- | Dieselben bestehen aus Fiter- | Feinmaschiges@ewebe, | Frühgeburt. _ bestehen aus Eiter- 
körperchen, z. T. verfettet, 
aus freien Fetttr öpfchen, 
Epithelien verschiedener 
Form. Sehr reichliche 
Kokkenhaufen. 


Mikr. dichtgedrängte Zellen 
mit starker Verfettung in 
der Schleimhaut. 


Mikr. besteht die Schleim- 
haut aus dichtgedrängten 
Zellen, alle feinkörniges 
Fett enthaltend, 


Dieselben bestehen aus ver- 

fetteten Leucocyten. Die 
Schleimhaut zeigt feinste 
Verfettung an ihren Zell- 
leibern. 


Die frisch untersuchte Schleim- 


haut zeigt feine Verfettuug 
der Zelleiber des Bindege- 
webes. 


Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXXI. 


= 
| Be 








Befund am 
gehärteten Organ. 


einmaschiges Gewebe. 
Ziemlich viel grössere 
Rundzellen in den Ma- 
schen, oft deutlich 
gelb gefärbt. Spärlich 
Leucocyten. Einige 
subepitheliale Blutun- 
gen mit einzelnen 
Leucocyten. 


An Flemmingpr äpara- 
ten sieht man in dem 
lockeren Maschenwerk 
ziemlieh viel Leuco- 
cyten, welche ebenso, 
wie die in den Gefäs- 
sen, verfettet sind. 
Aber auch in den gros- 
sen Rundzellen in den 
Maschen hier und da 
feinste Fettkörnchen., 


321 





Zusammen- 
fassende 
Bemerkungen. 


Reif. Hat 15 
Tage gelebt. 
Kein beson- 
derer Inhalt 


Frühgeburt. 
Hat 36 Stun- 
den gelebt. 
Seröseitriger 
Inhalt in bei- 
den Ohren. 


Reif. Totge- 
boren. Kein 
besonderer 
Inhalt. Ver- 
fettete Schleim- 
haut. 


Frühgeburt. 
Hat 32 Stun- 
den gelebt. 
Kein beson- 
derer Inhalt. 


Frübgeburt. 
6 Monat. Tot- 
geboren. Eit- 
riger Schleim 
im Ohr. Ver- 
fettete Schleim- 
haut. 


Reif. Totge- 
boren. Kein 
besonderer In- 
halt. Verfettete 
Schleimhaut. 


21 


322 


L. Aschoff: Die Otitis media neonatorum. 





No. 


63. 


4. 


65. 


66. 


67. 


Klinischer Bericht. 


Asphyktisch mit schwachem Herz- 
schlage geborenes, nicht wieder- 
belebtes Kind. Athmung war nicht 
in Gang zu bringen. 


Frübgeburt, männliches Kind, bat 
8 Tage gelebt. Zeigte keine Krank- 
heitssymptome., 


Totgeboienes männliches Kind, vor 
Aufnahme der Mutter durch Nabel- 
vorfall bei Querlage abgestorben. 


Weibliches Kind, intrauterin durch 
Nabelschnurvorfall (I Para mit 
plattem Becken) abgestorben, spon- 
tan geboren. 


Frühgeborenes Kind, mit Zeichen 
congen. Lues (Pemphigus, Oedemen 
etc.) zur Welt gekommen. Das 
Kind hat trotz künstlicher Nahrung 
10 Tage gelebt. 


Frühgeborenes Kind. Hat 1/4 Stunde 
lang schwache Lebenszeichen ge- 


Mutter VIII para. 
lage gemacht. Extrakt. des Kin- 


versuche erfolglos. 





| 


Frühgeborenes Kind, sehr atrophisch, 


unter Darmerscheinungen zu Grun- 
de gegangen. 
Geb. 21. X, gest. 16. XI. 


S $ 
Zi a 
Datum. g 8 
3 3 
5 
18. VIIL96 | 252 79 
eath e | 
13. VIII. 96 | 225 | B. 341 
l 
| 
13. VIII. 96| 256 85 
| 
18. VIII. 96 | 240 89 
11. IX. 96 | 287 95 
| 
12. XI. 96 | 428 125 
a zeigt. 
a 
E | 
11.X11.96 | 489 an 
18. XI. 96 | 300 129 


aufgenommen. Wendung bei Schief- | 


des. Tiefe Asphyxie. een 


| 


| 
== 
pee 


Sektionsbericht. 


Osteochondritis syphilitica. Haut- 
syphilis. Induration des Pancreas. 
Lebergummi. 


Icterus neonat. Bronchitis. Ente- 
ritis. Harnsäure- und Bilirubin- 
infarcte der Nieren, 


Lungenatelektase. 


Lungenatelektase, 


Pemphigus syphilit. Syphilis der 
Leber, Knochen, Thymus; Hämor- 
rhag. Enteritis (sypbilit. ?). 
Atelektasen der Lungen. In Luft- 
röhre und Brunchien eine braune 
Schmiere. 


Pemphigus syphilit. Osteochondritis 
syphilit. Lungenatelektase. 


Mit Blutungen | Lungenatelektase. Im Kehlkopf röth- 


licher Schleim 


In den Bronchien gallig gefärbte 
Massen. 


' Gallig gefärbter Mageninhalt. 


| 
} 


Atrophirender Darmkata'rh. 


| —— 


. 


= a nn 


Ein Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Paukenhöhle. 


323 





Mikroskop. Befund bei 
Untersnchung des 
frischen Präparats. 


Makroskop. Befund 
in der Paukenhöhle. 


Refund am gehärteten 
Organ. 


Sehr dickes Schleimpolster. 
Etwas eiteränhlicher Inhalt. 


Feinkörnige Fetteinlagerung in 

der Schleimhaut. An welche 
Zelle dieselbe gebunden ist, 
lässt sich nicht entscheiden. 





Schleimhaut sehr dünn, stark | Be-teht aus verfetteten Leuco- 
gallig gefärbt. cyten, Pigmentkörnchen und 
In jeder Paukenhöhle ein gros- | Krystallen. 


ser Eiterpfropf. Keine Meconiumkörperchen. 


In der linken Paukenhöhle dicke 
eitrige Flocken Die Schleim- 
haut sehr dünn. 


Die Flocken bestehen aus Eiter- 
zellen und geschichteten, wie 
Vernix aussehenden Epithelien. 
Kein Meconium. 





Die linke Paukenhöhle entbält 
eine dünne blutig getärbte 
Flüssigkeit (Imbibition). 
Schleimhaut dünn. 


Mikr. wird keine wesentliche 
Verfettung in der Scbleimhaut 
nachgewiesen. 





Im linken Ohr ein ganz dicker, 
das Lumen völlig ausfüllender 
derber gelber Pfropf mit Ab- 
drücken der Buchten und Vor- 


| 
Mikr. verfettete Eiterkörperchen. 
sprünge der Paukenhöble. 








In der linken Paukenhöhle ein 
gelber, halberbsengrosser Eiter- 
pfropf. Die Schleimhaut wuls- 
tig, gallertig, röthlich. 


Der Eiter besteht aus Leucocyten, 

die z. T. Verfettung zeigen. 
In der Schleimhaut keine 
stärkere Verfettung sichtbar 





Zusammen- 
fassende 
Bemerkungen. 


Totgeboren. 
Eiterähnlicher 
Inhalt. 


Fettkörnchen 


in der Schleim- 
haut. 


Frühgeburt. Hat 
8 Tage gelebt. 
Eiter im Ohr. 


Reif. Totge- 
boren. Eiter 
und Vernix im 
linken Ohr. 


Reif. Toigebo- 
ren. Kein be- 
sonderer Inhalt. 


Frühgeburt. 
Hat 10 Tage 
gelebt. Eiter 
im Ohr. 


Frühgeburt. 
Hat 1/4 Stunde 
gelebt. Eiter 
im Ohr. 





Am Grunde der linken Pauken- 
höhle in stecknadelkop‘grosses 
weissgelbes Flöckchen. 


In der rechten Pauken- 
böhle kleine Eiter- 
flocken mit Vernix- 


Eiterzellen, z. T. verfettet. 











Ohren. - beiden Ohren, durch- 


setzt von zahlreichen 
Bakterien. Schleimhaut 


zellen. Schleimhaut 
hyperämisch ohne blu- 
tungen. 
is = galt or n A 
Dicke Eitermassen in beiden Dicke Eitermassen in 


| hyperämisch. Epithel 
erhalten. Mässig viel 
Leucocyten in cer 
| Schleimhaut. 


1 
gig a. 


21* 


Totgeboren. 
Seröseitriger 
Inhalt mit Ver- 


~ nix im Ohr. 


Fragliche Lun- 
genasp'ration. 


Frühgeburt. 

Hat 26 Tage 
gelebt. Eiter 
in beiden Ohren. 


324 L. Aschoff: Die Otitis media neonatorum. 


No. Datum. Klinischer Bericht. Sektionsbericht. 


Jouru.-No. 
Sektions-No. 


71.| 4. IL 9 590 186 Geburt am 25. Jan. Gest. am 2?. Jan. | Bronchitis. Ausgedehnte Atelektase 
Viel Fruchtwasser, schneller Ge- | der Lungen. Pleurablutungen. 
burtsverlauf. „Das Kind scheint | Mikr. wird kein auf Aspiration hin- 
| bei der schnellen Geburt und dem | deutender Inhalt in den Lungen 
mittolgenden Fruchtwasser von | gefunden. 
letzterem aspirirt zu haben; denn 
es hustet viel“. (Bemerkung der 
dienstthuenden Hebamme im Ge- 
burtsprotokoll., Verdacht auf Pneu- 
monie. 














Die Grösse entspricht dem 8. Monat. 


199 Frühgeburt. Tod nach 4 Stunden. 
Erstickungsblutangen. Lungenate- 


ı2.| 23. II. 97. | 636 
lektase. 
13. 283. II. 9. 
geburt in Fusslage. Tod nach 20 | gens. Milch in den Luftwegen. 
Stunden. Erstickungsblutungen. 


208 Geburt 8. März, gest. nach 5 Stun- | Pemphigus syphilit. Pneumonia alba. 


647 200 Hochgradig verengtes Becken. Früh- | Hämorrliagische Erosionen des Ma- 
74. | 10. III. 97 693 





den. | Dubois’schen Abscesse. 
72. | 23 V. 97 107 40 Männliche Kindeslei’he. Frühgeburt | Erstickungsblutungen. 
| 8. Monat. Selbstentwickelung bei | Lungeratelektase. Kein fremder In- 
Querlage mit Arm- und Nabel- | halt in den Bronchien. 
schnurvorfall. 








} 
| 41 Männliche Kindesleiche etwa 4 Stun- | Erstickungsblutungen. 
| den vor der Geburt abgestorben. | Lungenatelektase. 


Nabelschnurvortall. 


Ein Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Paukenhöhle. 


825 








Makroskop. Befund 
in der Paukenhöhle,. 


In der seräseu Flüssigkeit, wel- 
che sich in der Paukenhöhle 
vorfindet, werden mikrosk. ver- 
einzelte sehr grosse Fettkörn- 
chenzellen gefunden. 


Schleimbant der linken Pauken- 
höhle ist schwach geröthet. 
Keine Biutungen Die Höhle 
ist gefüllt mit einer fast klaren, 
schwach gelb gefärbten Flüs- 
sigkeit. 


In der linken Paukenhöhle eine 
deutlich gelblich gefärbte Flüs- 
sigkeit, in der am Boden der 
Paukenhöhle gelbe Flocken 
schwimmen 


In der linken Paukenhöhle ein 
dickes Schleimgewebspolster. 
In der Höhle liegen gelbe Flöck- 

chen. 


In der linken Paukenhöhle be- 

findet sich ein Blutgerinnsel. 
In der Tiefe feiuflockiger 
Schleim. 


Blutungen in der Schleimhiut 
der linken Paukenhöhle Gelb- 
licher, gallig getärbter Schleim 
füllt die Paukenhöhle aus. 


Mikroskop. Befund bei 
Untersuchung des 
frischen ?räparats. 





Dieselbe enthält mikrosk. ver- 
fettete Wanderzellen. 


Die Flocken be:tehen aus ver- 
fetteten Leucocyten, spärlichen 
kernlosen Platten (Vernix?). 
Keine Meconiumkörperchen. 


Mikr. finden sich in der Schleim- 
haut nur wenige verfettete 
Wunderzellen; ‚an den Binde- 
gewebszellen keine Verfettung. 
Lie Flöckchen bestehen aus 
verfetteten Eiterzellen und 
Epithelien. 


Die Fiocken bestehen aus sehr 
grossen Körnchenzellen, kern- 
haltigen und kernlosen Platten- 


epithelien, verfettet. Leucocyten, 


Starke Anhäufung von Platten- 
epithelien (wie Vernix aus- 
sehend), riesige Fettkörnchen- 
zellen. keine Haare, kein Me- 
conium. 


| | 


Befund am gehärteten 
Organ. 


Kein besonderer Inbalt. 
Keine besondere Ver- 
änderung an der 
Schleimhaut. 


In der Schleimhaut des 
rechten Ohres sehr 
starke Hyperämie und 
Hämorrhagieen. Kleine 
Eiterflocken mit Ver- 
nixzellen und Haaren. 


Zusammen- 
fassende 
Bemerkungen. 


Reif. Hat 3 
Tage gelebt. 
Kein bcson- 
derer Inhalt. 


Frühgeburt. Hat 

4 Stunden ge- 
lebt. Kein be- 
sonderer In- 
halt. 


Frühgeburt. 
Hat 20 Stun- 
den gelebt. 
Eiterflocken 
mit Vernix 
rechts. 


Fast reifes 
Kind. Hat 5 
Stunden gelebt. 
Eiterflocken 
im Ohr. 


Frübgeburt. 
Totgeboren. 
Eiter und Ver- 
nix im Ohr. 


Reit. Totge- 
boren Eiter 
und Vernix im 
Ohr. 


326 L. Aschoff: Die Otitis media neonatorum. 


Sektions-No. 


| 

| 

| 

Klinischer Bericbt. Sektionsbericht. 


e 


51 Weibliche Kindesleiche. Kind etwas : Eitrige Pleuritis links. 
| zu früh geboren in Steisslage. Ge- | Bronchitis. Milch in den Luftwegen. 
burt bis auf leichte Kopflösung | 
spontan. Hat 5 Tage gelebt. 





3. VI. 97 115 


a 
. 


© 

= 

No, Datum. g 
= 

o 

= 


18. | 12. VI. 97 132 54 Männliche Zwilling. Beginnende | Osteochondritis syphilitica. Lungen- 
Maceration. Der intrauterine Frucht-| atelektase. Maceration. 
tod machte sich vor 8 Tagen durch 
Ohnmachten etc. bemerklich. | 
| 


u 


"9. | 17. VI 97 152 55 Frühgeburt, 8. Monat, Fusslage. | Erstickungsblutungen. 
Nach einigen Atbemzügenp partum | Lungenatelektase. Kein fremder 
gestorben. Inhalt. 





80. | 26. VI. 97 174 59 Weibliche Kindesleiche. Totgeboren. | In den Luftwegen lassen sich so- 
Zange. Mutter 3 eclamptische An- | wohl makroskopisch, wie mikro- 
fälle wihrend der Geburt. skopisch Meconiumbestandtheile 


nachweisen. Erstickung. 





ee ee nn 


Männliche Kindesleiche. Spontan, | Erstickungsblutungen. Lungenate- 
tief asphyktisch geboren. Wieder- | lektase. | 
lebungsversuche erfulglos. 





Ein Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Paukenhöble. 


u. 


327 











Makroskop. Befund MEET ROT Melange yel Befund am gehärteten zussumen: 
in der Paukenhöhle Untersuchung des Organ fassende 
i frischen Präparats. : Bemerkungen. 
Im linken Ohr gar kein beson- Frühgeburt. 
derer Inhalt. Spuren von Flüs- Hat 5 Tage 
sigkeit. gelebt. Kein 


besond. Inhalt. 





ı In der Paukenhöhle nur Sparen 
von Flüssigkeit. 


Die rechte Pankenhöhle 
nebst Antrum fast völ- 
lig ausgefüllt von 
einem Eiterpfropf, 
bezw. festhaftenden 


Zwilling. Tot- 
geboren. lin- 
kes Ohr frei, 
rechtes Ohr 
Eiter mit Ver- 





eitrig gelben Beleg. nix. 
Starke Blutungen in 
der Schleimhaut. Ziem- 
lich viel Leucocyten. 
In dem Eiterpfropf 
Vernixzellen. 
| 
In der linken Paukenhöhle nur Auch in der rechten | Frühgeburt. 
Spuren von Flüssigkeit. Paukenhöhle kein be- Hat einige Mal 
sonderer Inhalt. In der geathmet. 
Schleimhaut zahlreiche | Kein besond. 
Blaturgen. Ziemlich Inhalt 


In beiden Obren eine trübe 
Flüssigkeit. 
Blutungen in der Schleimhaut. 


Die Flüssigkeit enthält Meco- 
niumkörperchen in grosser 

Zahl, viele kernlose Platten- 
epithelien (Vernix) Cholestearin 


zellen, freie Fetttropfen. 





und zahlreiche verfettete Leu- - 


viel Kundzellen, aber 
wenig Leucocyten in 
der Schleimhaut. 


Reif. Totge- 
boren. Aspi- 
ration. 
nium, Vernix 
und Fiter im 





cocyten, Fettkörnchenzellen. Ohr. 
| In der linken Paukenhöhle ein | Die weissen Flocken bestehen | In der rechten Pauken- | Reif. Totge- 
grosser durchsichtiger Schleim- | ans vernixartigen Massen; da- höhle ein dieselbe fast boren. Vernix 
pfropf mit eingestreuten weissen neben finden sich verfettete | ganz ausfüllender und Meconium 
Flocken. Eiterkörperchen, Fettkörnchen- | schleimiger Pfropf. im Ohr. 


Er enthält wenig Eiter- 
körperchen, nur kern- 
haltige und kernlose 
Plattenepithelien, so- 
wie in der Schleimhaut 
einige Leucocyten. 


Meco- - 


398 L. Aschoff: Die Otitis media neonatorum. 





No. Datum. Klinischer Bericht, Sektionsbericht. 


Journ.-No 
Sektions-No 


82. | 16. VII. 97 216 79 Männliche Kindesleiche Zange bei 
Evlampsie nach 9 Anfällen. Kind 
tief asphyktisch geboren. Wieder- 
lebungsversuche erfolglos. 


83. | 20. VII. 97 | Braun- — 42 cm lange Frübgeburt. Aus der Leiche der Mutter entfernt. 
schweig Tod derselben durch Pyämie. In 
den Lungen des Kindes kein frem- 

der Inhalt. 





84. | 22. VIL 97 234 83 Minnliche Kindesleiche. Schwere | In den Luftwegen werden Vernix- u 
Eclampsie. Kind tot durch Zange [| Meconiummassen nachgewiesen. 
extrahirt. Lnngenatelektase, 


— (ae ng Tree 





85. | 24 XIL 97 238 35 Männliche Kindesleiche. Eclampsie, | Sebr grosse Thymusdrüse (19 g). 
159 Zange, Kind tief asphyktisch ge- | Lungen gut lufthaltig. Im Rachen 
boren, hat einige Male während | und den grösseren Luftwegen bis 
der erfolglosen Wiederlebungsver- | in die Bronchien hinein finden sich 
suche geathmet. grünliche schleimige, z. T. mehr 
gelbliche bröckeliche Massen. Mikr. 
erweisen sich dieselben als aus 
Meconium und Vernix caseosa be- 
stehend. 


Ein Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Paukeuhöhle. 


329 


Makroskop. Befund 
in der Paukenhöhle, 


| 


Mikroskop. Befand bei 


Befund am gehärteten 


Untersuchung des Organ. 


frischen Präpurats. 


' Zusammen- 
fassende 
Bemeıkungen. 


In der linken Paukenhöhle ein | Mikr. sieht man sehr viel Me- | Im rechten Ohr ein | Reif. Totge- 


halberbsengrosser grünlicher 
Schleimpfropf. 


Die Schleimhaut der linken 
Paukenhöhle ist nur mässig 
geröthet. Die Höhle ist mit 
einer fast klaren gelblichen 
Flüssigkeit gefüllt. 


coniumkörperchen und Vernix- kleiner Eiterpfropf mit 

massen, 
haut hyperämisch, 
ohne Blutungen. Mäs- 


sig viel Leucocyten. 


Die rechte Paukenhöhle 
enthält grosse Massen 
von Vernixzellen init 
spärlichen Leucocyten. 

Schleimhaut hyper- 
ämisch, Mässig viel 
Leucovyteu, 


Mikr. enthält die Flüssigkeit 
kernhaltige Plattenepithelien, 
Cylinderepithelien mit Flimmer- 
haaren, grosse Fettkörnchen- 
zellen mit gelb gefärbten Fett- 
körnchen, kein Meconium, 


Vemix-Zellen. Schleim- 


boren. Vernix 
und Meconium 
im Ohr. 


Frühgeburt. 
Vernix im Our. 





In beiden Paukenhöhlen ist die 


In der Schleimbaut findet man | Die Schleimhaut ist 


Reif. Totge- 





Schleimhaut dünn, lebhaft ge- | mikroskop. verfettete Leuco- sehr hyperämisch, an boren. Vernix 
röthet, frei von Blutungen. | cyten. Die eigentlichen Bin- einzelnen Stellen durch | und Meconium 
Die sehr weiten Paukenhöhlen | degewebszellen sind frei von Blutungen weithin zer- in beiden 
sind mit einer schwach trüben | Fett. Die weissen Flocken trümmert. Keine be- Ohren. Aspi- 
und schwach gelb gefärbten | und Bröckelchen besteben sondere leucocyläre ration. 
Flössigkeit gefüllt, in welcher | hauptsächlich aus Vernix mit Infiltration. 
zahlreiche feine weisse Bröckel- | Wollhaaren und Spuren von Me- 
chen schwimmen. conium. Ziemlich viel Fett- 

körnchenzellen, z. T. von rie- 

sigen Dimensionen. Andere 

Rundzellen enthalten neben 

Fettkörnchen auch deutlich 

Meccniumkörperchen. 
In der linken Paukenhöhle eine | Die Flocken bestehen aus gros- | Die Schleimhaut der | Uebirreif. Hat 


schwach getrübte Flüssigkeit, 
in welcher am Boden der Höhle 
grünliche Flocken schwimmen. 
Schleimhaut dünn, lebhaft ge- 
röthet. 


rechten Paukenböhle 
sehr stark hyper- 


sen Körnclı: nzellen, Meconium- 
körperchen und Vernixzellen. 


Mikr. in der Schleimhaut ein- äm'sch. An einzelnen 
zeine verfattete Leucocyten Stellen grosse Blutun- 
sichtbar. gen. An einer der- 


selben liegt ein Hauten 
von Vernixzellen mit 
Haar, von einzelnen 
Leucucyten umgeben, 


e nige Mal ge- 
athmet. Vernix 
und Meconium 
im Ohr. 


330 £ L. Aschoff: -Die Otitis media neonatorum. 


Moldenhauer berichtigte die Wendt’sche Angabe dahin, dass 
die Umwandlung des Gallertgewebes in faseriges Bindegewebe schon in 
der zweiten Hälfte der Schwangerschaft beginnt, dass aber die hyperä- 
mische Schleimhaut so dicht aufeinanderliegt, dass keine freie Pauken- 
höhle existirt. Erst mit dem Moment der extrauterinen Athmung, selten 
schon intra partum bei eintretender Anämie schwillt das Polster plötzlich 
ab und nun tritt Luft bezw. Fruchtwasser in die Paukenhöhle ein. Er 
selbst hat nie Fruchtwasser nachweisen können. | 


Den ersten gefährlichen Stoss erhielt die W en dt’sche Ohrenprobe 
durch die Untersuchungen von Blumenstock. Er fand offene Pauken- 
höhlen bei Früchten, die macerirt waren ohne intrauterine Aspiration 
ausgeübt zu haben, denn es fehlte auch Fruchtwasser, ferner Frucht- 
wasser und keine Luft bei solchen Früchten, die post partum energisch 
geathmet hatten, Befunde, die mit den Wreden-W endt’schen Angaben 
nicht in Einklang zu bringen waren. 


Noch weiter ging Kutscharianz. Derselbe behauptete, dass die 
polsterartigen Erhebungen des Paukenhöhlenüberzuges schon während der 
letzten Monate des Fruchtlebens vollkommen schwinden und dass die 
Paukenhöhle der reifen Frucht von einer fast gleichmässig dünnen, schon 
ganz entwickelten Schleimhaut bedeckt wird. Die Höhle wird von einer 


klaren Flüssigkeit ausgefüllt. Eiter deutet auf pathologische Verhält-- 


nisse hin. 


Ebenso fand Schmaltz die Incongruenz der Dicke des Schleim- 


polsters und der stattgehabten Athmung, betont auch schon, im Gegen- 
satz zu Kutscharianz, die grosse Mannigfaltigkeit in der Ausbildung 
des Schleimpolsters am Ende der Schwangerschaft, ganz gleichgültig, ob 
Athmung stattgehabt hat oder nicht. Das Vorhandensein von Frncht- 
wasserbestandtheilen im Ohr bedeutet für ihn nicht unbedingt stattgehabte 
Aspiration. Diese Dinge können auch durch einfaches Schlucken in die 
Paukenhöhle gelangen. 

In einer theilweisen Bestätigung der Schmaltz’schen Angaben 
kommt Lesser bei seinen Untersuchungen zu folgendem Resultat. 

I. Der apnoische Foetus — in einem Alter von 7 Monaten — be- 
sitzt ein mit Flüssigkeit gefülltes Mittelohr. 

II. Erst nach mehrstündigem Athmen ist Luft neben der Flüssig- 
keit in dem Mittelohr nachweisbar. Die Schnelligkeit, mit der letztere 
jener Platz macht, steht nicht in einem constanten Verhältnisse zur Länge 
des extrauterinen Lebens. 








Ein Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Paukenhöhle. 331. 


III. Die intrauterine Athmung bewirkt keine Veränderung in der 
Zusammensetzung des Paukenhöhlen-Inhalts: sowohl bei den apnaischen, 
wie bei den asphyktischen Neugeborenen finden sich Fruchtwasserbestand- 
theile in den Mittelohren. 

Hnevkovsky gab endlich der Ohrenprobe den Todesstoss. Nach 
seinen Untersuchungen schwindet das Schleimhautpolster bereits frühzeitig 
(im 5. bis 7. Monat) und die Paukenhöhle erhält ein Lumen, welches sich 
mit Flüssigkeit, die von der Schleimhaut stammt, oder mit Fruchtwasser füllt. 
Letzteres kann durch Aspiration oder Schluckbewegung, aber auch noch 
nach dem Tode durch Diffusion und capilläre Thätigkeit in die Pauken- 
höhle gelangen, so dass der Nachweis von Fruchtwasserbestandtheilen 
garnichts beweist. | 

Damit schliesst, soweit ich sehen kann, die Reihe der pathologisch 
anatomischen Untersuchungen ab. Die Frage der eitrigen Entzündung wird 
in den letzten Arbeiten kaum noch gestreift.. 

Da die neueren bakteriologischen und klinischen Untersuchungen 
wieder mehr für die Entzündungstheorie auch bei den Eiterbefunden 
der Neugeborenen eintreten, so will ich versuchen, aus den eigenen Ta- 
bellen folgende, zum Theilschon früher entschiedene Fragen zu beantworten. 

1. Was für ein Inhalt findet sich in den Mittelohren Neugeborener, 
d. h. solcher Kinder, welche entweder todtgeboren sind oder nur kurze 
Zeit gelebt ‘haben ? 

2. Ist der Befund von Eiter, d. h. einer Leucocytenanhäufung ein 
physiologisches Vorkommniss oder hängt er von besonderen Bedingungen ab? 

3. Finden sich, entsprechend dem wechselnden Inhalt, auch Ver- 
änderungen in der Paukenhöhlenschleimhaut, insbesondere solche, welche 
auf eine infectiöse eitrige Entzündung schliessen lassen ? 

4. Ist das Vorkommen von gröberen Fruchtwasserbestandtheilen, Ver- 
nix caseosa und Meconium, zu Aspirationsvorgängen in Beziehung zu 
bringen oder nicht? 

5. Ist die Rückbildung des Schleimhautpolsters auf grob mechanische 
Druckverhältnisse zurückzuführen und lässt das Stadium der Rückbildung 
einen Rückschluss auf stattgehabte intra- oder extrauterine Athmung zu? 

6. Hat der Befund des Pankenhöhleninhalts bei Neugeborenen eine 
gerichtsärztliche Bedeutung? 

L 

Was für ein Inhalt findet sich in den Mittelohren Neugeborener, 
d. h. solcher Kinder, welche entweder todtgeboren sind oder nur kurze 
Zeit gelebt haben? 


332 L. Aschoff: Die Otitis media neonatorum. 


Die Durchsicht der Tabelle ergiebt, dass der Inhalt ein sehr wech- 
selnder ist. In Uebereinstimmung mit den früheren Autoren konnte ich 
bei der mikroskopischen Untersuchung folgende feste Bestandtheile nach- 
weisen. 


1. Gelapptkernige Leucocyten, Eiterzellen, meist mehr oder weniger 
stark verfettet. 

2. Kleinere und grössere Rundzellen mit einem einfachen runden Kern, 
in der Regel mit Fetttropfen überladen, sog. Körnchenzellen, zum 
Theil von riesenhaften Dimensionen. 

3. Abgestossene kerntragende Plattenepithelien, von der Paukenhöhlen-, 
Mund- oder Vaginalschleimhaut stammend, sowie Cylinder- und 
Flimmerepithelien von der Paukenhöhlenschleimhaut. 

4. Vernix caseosa, charakterisirt durch Haufen geschichteter kernloser 
Epidermiszellen und Wollhaare. 

5. Meconium, charakterisirt durch die Meconiumkörperchen. 


6. Cholestearinkrystalle, Pigmente. 


Der sogenannte Eiter und die Eiterflöckchen bestanden zum grössten 
Theil aus Leucocyten und Fettkörnchenzellen. Es handelt sich dabei, 
wie weiterhin noch gezeigt werden soll, richt um eine infectiöse Eiter-, 
sondern um einfache Leucocytenansammlung, wie wir sie auch sonst, z. B. 
in den Buchten der Tonsillen anzutreffen pflegen. 


Die weissen Flocken waren meist reine Vernix caseosa. Die Bei- 
mischung von Meconium bedingte eine mehr oder weniger starke Gelb- 
grünfärbung der festen und flüssigen Bestandtheile. 


Ich habe, um etwas Systematik hineinzutragen, vier verschiedene 
Formen des Inhalts unterschieden. 


1. Der Inhalt kann aus Luft oder einer klaren serös-schleimigen 
Flüssigkeit oder aus einer Mischung von Luft und Flüssigkeit be- 
stehen. Ein solcher fand sich in 39 Fällen: 5, 6, 11, 12, 14, 
15—26, 28, 32, 38, 39, 40, 43, 46, 52, 55—57, 59, 60, 62, 66, 
71, 72, 77, 79, 83, 84. 

2. Der Inhalt ist eine mehr oder weniger trübe dünne Flüssigkeit, 
in welcher kleine gelbe Flocken schwimmen, die sich mikroskopisch 
als Leucocytenhaufen erweisen. Einen solchen serös-eitrigen In- 
halt weisen 12 Fälle auf: 42, 44, 47, 48, 49, 53, 63, 65, 69, 
74, 80, 85. 

3. Der Inhalt ist mehr zähschleimig, leicht trüb oder mit dichteren 
gelben Flocken, aus Lencocyten und Körnchenzellen bestehend, durch- 


Ein Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Paukenhöhle. 333 


setzt. Ein solcher eitriger schleimiger Inhalt ist verzeichnet in 
13 Fällen: 9, 10, 29, 30, 33, 35, 36, 37, 61, 75, 76, 81, 82. 

4. Mehr oder weniger zähe grössere Eiterpfröpfe waren vorhanden in 
20 Fällen; 1, 2, 3, 4, 7, 8, 13, 27, 31, 34, 45, 50, 51, 54, 
58, 64, 67, 68, 70, 78. 

5. Fruchtwasserbestandtheile (Vernix, Meconium) fanden sich in 27 
Fällen: 4, 8, 10, 13, 29, 31, 32, 33, 34, 35, 42, 48, 49, 51, 
54, 65, 69, 73, 75, 76, 78, 80, 81, 82, 83, 84, 85. 

Scheide ich aus der vierten Categorie die Fälle 1, 2, 3, 27, 34, 
45, 50, 51, 58, 64, 67, 70 aus, weil hier die Kinder länger als 24 
Stunden gelebt haben, so bleiben doch noch 9 Fälle mit dickem Eiter 
im Ohr übrig. 

Da ferner eine scharfe Trennung zwischen den Categorien 1 — 4 
nicht besteht, so muss die Antwort auf Frage 1 lauten: 

In den Paukenhöhlen neugeborener Kinder findet sich, soweit nicht 
eine völlige Verdrängung durch Luft bei extrauteriner Athmung statt- 
gehabt hat, eine Flüssigkeit als Inhalt, welche in allen Schattirungen 
von dem Aussehen klaren Wassers bis zum zähschleimigen Eiterpfropf 
schwankt. In einer grossen Zahl von Fällen sind dem Inhalte Frucht- 
wasserbestandtheile in grösserer Quantität beigemengt. 


2. 


Ist der Befund von Eiter, d. h. einer Leucocytenanhäufung ein phy- 
siologisches Vorkommniss oder hängt er von besonderen Bedingungen ab’? 
(S. Tabelle II S. 334.) 

Die Tabelle II zeigt uns, dass der Umstand, ob das Kind todt- 
geboren oder erst post partum abgestorben ist, keinen Einfluss auf den 
Charakter des Ohrinhalts ausübt. Insbesondere findet sich auch in der 
ersten Rubrik der Eiterfälle eine grosse Mannigfaltigkeit bezüglich der 
Lebensdauer. 

Eine andere Thatsache verdient indessen Beachtung. Unter den 33 
Fällen, welche Eiter aufwiesen, konnte 19mal deutlich Fruchtwasser im 
Ohr nachgewiesen werden. In den 39 Fällen mit intakter Pauken- 
höhle gelang das nur 2 mal. 

Das liesse darauf schliessen, dass die Fruchtwasseriufection, wenn 
ich es so nennen darf, die Leucocytenansammlung hervorriefe, da in den- 
jenigen Fällen von Eiterbefunden, wo keine Fruchtwasserbefunde ange- 
merkt sind, ein Uebersehen spärlicher Fruchtwasserbestandtheile nicht ganz 
auszuschliessen ist. Behauptet doch Schmaltz, dass schon durch ein- 


334 


L. Aschoff: Die Otitis media neonatorum. 


Tabelle II. 
































Ent- Fruchtwasser- | Fruchtwasser- 

bestandtheile | bestandtheile 

No. | Lebensdauer. | wickelungs- a Ba FE de Th 
zustand. höhlen ? wegen ? 

4. | 4 Stunden. Reif. | Ja. Ja. 

7. \ todtgeboren. Reif. unbewiesen. | unbewiesen. 

8. | 6 Stunden. Reif. Ja. Ja. 

3. | vodtgoboren:] Reif. | Ja. wahrscheinlich. Eitriger 
31.  todtgeboren. | Frühgeburt. Ja. unbewiesen. Inhalt. 
54. einige Reif. Ja. unbewiesen. 

| Athemzüge. 
68. | E” Stunde. | Frühgeburt. | unbewiesen. unbewiesen. 
78. todtgeboren. | AREHNE: Ja. unbewiesen. vn 
9. ER Reif. | unbewiesen. | unbewiesen. 
10. | todtgeboren. Reif. | Ja. Ja. 
29. | todtgeboren. | Ueberreif. Ja. Ja. 
30. | 1/4 Stunde. | Frühgeburt. | unbewiesen. | unbewiesen. 
33. | 7 Stunden. | Frühgeburt. | Ja. | unbewiesen, 
35. | todtgeboren. Reif. Ja. Ja. Eitrig- 
36. |13/4 Stunden.| Zwilling | unbewiesen. | unbewiesen. schleimiger 
37. | 2 Stunden. Zwilling. | unbewiesen. | unbewiesen, Inhalt. 
61. | todtgeboren. | Frühgebur‘. unbewiesen. | unbewiesen. 
75. | todtgeboren. | Frühgeburt. Ja. | unbewiesen. 
76. | todtgeboren. | Frühgeburt. Ja. | unbewiesen. 
81. | todtgeboren. | Reif. | Ja. unbewiesen. 
82. FR ENTER A ne I > u | Reif. | Ja. unbewiesen. 
42. | todtgeboren. | Ueberreif Ja Ja. 
44. | todtgeboren. | Frühgeburt. | unbewiesen. unbewiesen. 
47. '41/ Stunden. Frühgeburt. | unbewiesen. | unbewiesen. 
48. | todtgeboren. | Reif. Ja. ‚wahrscheinlich. 
49. | 4 Stunden. | Frühgeburt. | unbewiesen. _unbewiesen. 
53. 33/4 Stunden. | Frühgeburt. | unbewiesen. unbewiesen. Seröseitriger 
63. |, todtgeboren. ? unbewiesen. , unbewiesen. ie, 
65. | todtgeboren Reif. Ja. , unbewiesen. 
69. | todtgeboren. ? unbewiesen. ; fraglich. 
74. 5 Stunden. Fast reif.  unbewiesen. unbewiesen. 
80.  todtgeboren. Reif. Ja. | Ja. 
85. | einige Mal | Ueberreif. Ja. | Ja. 

geathmet. | 





Unter den 39 Fällen ohne besonderen Befund im Ohr fanden sich nur 2 mal 
Fruchtwasserbestandtheile im Ohr. Beide Kinder waren todtgeboren. (32. u. 84). 





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Ein Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Paukenhöhle. 335 


fache Schluckbewegungen Fruchtwasserbestandtheile in das Mittelohr ge- 
langen können, mithin also eigentlich bei jedem Fötus gefunden werden 
müssten. 

Um sicher zu gehen, habe ich Früchte aus früheren Monaten der 
Schwangerschaft bezüglich des Paukenhöhleninhalts untersucht und fol- 
gende Resultate erhalten: 

Foetus I, 15!/, cm lang, im Lumen der Paukenhöhle findet sich 
ein kleiner, auf einer grösseren Zahl von untersuchten Schnitten sicht- 
barer Eiterpfropf. Derselbe besteht aus grossen Rundzellen mit einem 
grossen runden Kern und zahlreichen gelapptkernigen Leucocyten. Ganz 
vereinzelt finden sich einige kernlose, gefaltet aussehende, plattenepithel- 
artige Schüppchen. Die Schleimhaut ist an der ganzen hinteren (Labyrinth) 
Wand ein dickes Gallertgewebe. Ueber dem Trommelfell und nach der 
Tube zu eine dünnere Schicht fibrillenreicheren Gewebes. 

An der Labyrinthwand und über dem Trommelfell findet sich ein- 
schichtiges Plattenepithel, ebenso an der hinteren Tubenwand, während 
die vordere ein zweischichtiges Flimmerepithel trägt. In der Schleim- 
haut vereinzelte zerstreute Leucocythen. 

Foetusll, 11!/, cm lang. In der Paukenhöhle ebenfalls ein kleiner 
Haufen von Leucocyten. Vereinzelt finden sich sehr grosse, platte, spindel- 
förmig gestaltete Zellen, die mit einem sehr grossen, mässig chromatin- 
reichen ovalen Kern ausgestaltet sind. Dieselben liegen nahe der Wand 
und gleichen völlig den Zellen, welche die einschichtige Plattenepithel- 
lage zusammensetzen, welche die Paukenhöhlenschleimhaut bekleidet. Erst 
in der Tube und zwar an der vorderen Wand, beginnt die Umwandlung 
in zweischichtiges Flimmerepithel. Ueber der Labyrinthwand ein dickes 
Gallerigewebspolster. Die eigentliche Paukenhöhle ist noch sehr klein, 
aber zeigt doch gegenüber der spaltförmigen Tube eine sehr deutliche 
Erweiterung. In der Schleimhaut, besonders derjenigen der Tube ziem- 
lich viel Leucocyten. 

Foetus II, 12 cm lang. Schleimhaut und Epithelbefund, wie bei 
I und II. In der Paukenhöhle keine Leucocytenansammlung. In der 
Paukenhöhlenschleimhaut fehlen Leucocyten fast ganz. 

Foetus IV, 17 cm lang. Die Paukenhöhle hat ein deutliches 
Lumen. Darin ganz spärliche Leucocyten, sonst kein besonderer Inhalt. 
Ueber dem Schleimhautpolster an der Labyrinthwand eine einfache, dünne 
Plattenepithelschicht, welche über dem Trommellfell mehrschichtig wird, 
um an der vorderen Tubenwand in mehrschichtiges Flimmerepithel über- 
zugehn. Ganz vereinzelte Leucocyten in der Schleimhaut. Epithelien 


336 L. Aschoff: Die Otitis media neonatorum. 


in der Paukenhöhle zeigen nirgends degenerative Veränderungen, wie 
etwa Kernverkleinerung oder Kernschwund. Auch lassen sich keine Be- 
weise für eine Abstossung der Epithelien finden. 

Foetus V, 18 cm lang. Ziemlich weite Paukenhöhle. Garkein 
besonderer Inhalt. Schleimhaut wie bei den übrigen. Anch die Epithel- 
verhältnisse gleichen den Befunden bei den übrigen Fällen, jedoch ist 
an der äusseren Wand (vielleicht Uebergang zum Antrum) eine mehr- 
schichtige Plattenepithellage, welche plötzlich in mehrschichtiges Flimmer- 
epithel übergeht. In der Schleimhaut fast gar keine Leucocyten, aber 
ziemlich viel grosse Rundzellen mit runden Kernen. 

Foetus VI, 15 cm lang. Weite Paukenhöhle. Im Lumen der- 
selben eine kleine Ansammlung von Eiterkörperchen, zwischen denen sich 
ein feinkörniger Detritus und eine grössere Zahl von Plattenepithelien 
befindet; letztere zeigen z. T. gutgefärbte, grosse, ovale Kerne, stimmen 
also mit den Pflasterepithelien der Paukenhöhle überein. Andere dagegen 
zeigen einen kleineren, wie geschrumpft aussehenden, und mattgefärbten 
Kern, oder sind ganz kernlos. Letztere Elemente nehmen bei der Car- 
minfärbung einen leicht bräunlichgelben Farbenton an. Die Epithelien 
der Schleimhaut sind noch gut nachweisbar. In der Schleimhaut viele 
Rundzellen, aber sehr spärlich Eiterkörperchen. 

Foetus VO, 13!/, cm lang. An der Epithelschicht kein Zeichen 
der Degeneration oder Desquamation. Das Lumen noch ziemlich eng. 
In der körnig geronnenen Flüssigkeit, welche ihren Inhalt bildet, liegen 
einige wenige Leucocyten, und zwar um eine kernlose platte Zelle 
gruppirt. Daneben finden sich einige rote Blutkörperchen. In der 
Schleimhaut finden sich nur sehr spärlich einzelne Rundzellen. Keine 
Leucocyten. 

Foetus VII, 11 cm lang. Paukenhöhle zeigt die beginnende 
Höhlenbildung. Es findet sich gar kein Inhalt. Sehr schönes Schleim- 
hautgewebe besonders reichlich über der Labyrinthwand. Epithelverhält- 
nisse wie unter I und II. Ganz vereinzelt findet sich grössere Rund- 
zellen in den Maschen des Schleimgewebes und sehr spärlich Leucocyten. 

Foetus IX, 27 cm lang. Die Paukenhöhle konnte nun frisch 
untersucht werden. Es fand sich darin ein deutlich eitriger Inhalt, der 
mikr. aus Eiterzellen und einer grossen Zahl kernhaltiger, sowie kern- 
loser oder mit geschrumpften Kernen versehene Plattenepithelien bestand. 

Diese Unsersuchungen zeigen uns, dass schon sehr frühzeitig, näm- 
lich im 4. Monat der Schwangerschaft, wo sich die Paukenhöhle grade 
zu bilden beginnt, gelapptkernige Eiterzellen im Lumen der Pauken- 


Ein Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Paukenhöhle. 337 


höhle auftreten können. Dieselben entstammen, wie man aus den Be- 
funden an der Schleimhaut schliessen darf, der letzteren. Eine solche 
Leucocyteneinwanderung in die Paukenböhle findet sich aber nicht in 
allen Fällen. 

Welche Ursache kann dieser Leucocyteneinwanderung zu Grunde 
liegen? Bekanntlich verkleinert sich das die Paukenhöhle auskleidende 
Schleimhautpolster von der Mitte der Schwangerschaft an. Ueber die 
feineren Vorgänge bei dieser Verkleinerung sind wir noch nicht unter- 
richtet. Es wäre denkbar, dass die Leucocyten dabei eine Rolle spielten, 
obwohl sie dann in allen Fällen gefunden werden müssten. Ich habe 
mehrfach beobachtet, dass an dem Gewebe des Schleimhautpolsters eine 
feinkörnige Verfettung der Gewebselemente vorkommt. In Flemming- 
präparaten sieht man, dass die grossen in die Maschen des Binde- 
gewebsnetzes eingelagerten Rundzellen von Fetttröpfchen erfüllt sind. 
Frei bleiben die eigentlichen Stützzellen. Die Leucocyten,: welche in dem 
Gewebe auftauchen, sind sämmtlich mit Fetttropfen beladen. Eine Be- 
ziehung zu den verfetteten grossen Rundzellen konnte ich nicht fest- 
stellen; die Leucocyten innerhalb der Blutgefässe tragen gleichfalls Fett- 
tröpfchen. 

Während ich auf diesem Wege nicht zum Ziele gelangte, glaube ich 
in einer anderen wichtigen Thatsache die Quelle für die Leucocytenein- 
wanderung erkennen zu können. Schon bei den Früchten aus dem 4, 
Monate fanden sich mehr oder weniger zahlreiche Plattenepithelien in 
den Eitermassen. Dieselben besitzen zum Theil grosse ovale schön ge- 
färbte Kerne und gleichen ganz den Plattenepithelien der Paukenhöhle, 
bezw. der Mundhöhle. Handelt es sich um eine Desquamation des Pauken- 
höhlenepithels? Ich habe dafür keine Anhaltspunkte gefunden; auch wäre 
die Thatsache, dass diese Desquamation nur in einzelnen Paukenhöhlen 
auftritt, sehr merkwürdig. Wohl aber kann Mundhöhlenepithel vorliegen. 
Daneben finden sich aber noch viele Zellen, die nur geschrumpfte Kerne 
oder gar keine Kerne mehr besitzen. Die letzteren sind freilich selten. 
An den Mundhöhlenepithelien habe ich keine Kernschrumpfungen oder 
gar Kernverluste finden können. Da bleibt nur die Möglichkeit, dass 
sie aus dem Fruchtwasser stammen. Enthält aber das Frnchtwasser 
um diese Zeit auch noch Epithelien mit Kernresten oder nur kernlose 
Schuppen ? 

Zufällig hatte ich Gelegenheit einen uneröffneten Fruchtsack aus 
der Grenze zwischen 4. und 5. Monat bezüglich seines Inhaltes untersuchen 
zu können. Da fanden sich dann genau dieselben Verhältnisse, wie im 

Zeitschrift für Ohrenheilkunde Rd. XXXI. 22 


338 L. Aschoff: Die Otitis media neonatorum. 


Mittelohr: sehr schöne kernhaltige Plattenepithelien, solche mit ge- 
schrumpften Kernen, kernlose stark gefaltete Zellen. Grössere geschichtete 
Massen feinster Epithelplättchen, wie man sie an der Vernix caseosa findet, 
fehlen hier. Erwähnen will ich noch den Befund von Pigment. 


Ich komme also zu dem Resultat, dass schon in so früher 
Zeit, im 4. Monat der Schwangerschaft, Fruchtwasserbestandtheile in 
das Mittelohr gelangen können. Freilich nicht in allen Fällen. Dreimal 
fand ich die Paukenhöhle ganz leer. Zweimal fand ich äusserst spärliche 
Leucocytenansammlung, aber keine Plattenepithelien. Da die Ohren 
leider nicht in Serienschnitte zerlegt worden waren, so bleibt hier der 
Beweis aus. In den 4 übrigen Fällen mit stärkerer Leucocytenanhäu- 
fung liessen sich auch solche Fruchtwasserbestandtheile nachweisen. 


Wie aber gelangen die Fruchtwasserbestandtheile in die Pauken- 
höhle bei so jungen Früchten? Für intrauterine Athembewegungen in 
dieser Zeit habe ich bis jetzt keinen Beweis bringen köunen und muss 
daher die Möglichkeit, dass Schluckbewegungen den Transport vermitteln, 
zugeben (Schmaltz). Wie gesagt, nicht bei allen Föten führen die- 
selben zu einer solchen Verunreinigung der Mittelohren. Eine Erklärung 
dafür lässt sich schwer geben. | 


Damit wäre denn das Vorkommen von Eiter auch beim Neugeborenen 
genügend erklärt. Ich glaube, dass man bei sehr sorgfältiger Unter- 
suchung in allen Fällen, wo sich Eiter beim Neugeborenen in den 
Paukenhöhlen findet, auch Fruchtwasserbestandtheile finden wird. Leider 
kamen meine Untersuchungen an den Föten zu spät, um noch an allen 
Ohren eine solche genaue Absuchung der ganzen Paukenhöhle nachträglich 
zu ermöglichen. 


Nun bleibt aber noch auffällig, dass gerade bei den Fällen mit sehr 
reichlichem Eiter der Nachweis der Fruchtwasserbestandtheile besonders 
häufig gelang. Sie waren also gewiss in grosser Menge vorhanden. Dar- 
auf deuten auch die Befunde zusammenhängender Fetzen von Vernix 
caseosa. Dieselben können nicht schon in früherer Zeit durch einfache 
Schluckbewegungen in die Paukenhöhle eingebracht worden sein, sondern 
dazu bedarf es einer stärkeren Gewalt. Ich komme gleich darauf zurück. 
Der gleichzeitige Gehalt der Massen an Meconium ist noch bedeutsam 
für die Frage nach den Ursachen der Leucocytenauswanderung. An- 
scheinend üben die groben Partikel von Vernix mit Haaren und das 
Meconium einen besonders intensiven Reiz auf die Schleimhaut aus 
und die Menge der Leucocyten steigt in hohem Maasse. 


Ein Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Paukenhöhle. 339 


Fasse ich das Ergebniss dieser Betrachtungen zusammen, so muss 
ich die 2. Frage dahin beantworten: 


Die Eiterbildung im Ohr der Neugeborenen ist kein physiologischer, 
etwa für die Bildung der Paukenhöhle nothwendiger Vorgang, denn er 
findet sich nicht bei allen Früchten, vielmehr die Folge einer oft schon 
frühzeitig (vom 4. Monat des Fruchtlebens an) stattfindenden Verun- 
reinigung der Paukenhöhle mit Fruchtwasserbestandtheilen. Dieselbe 
erreicht ihren höchsten Grad in der Einführung gröberer Massen von 
Vernix und Meconium, welche dann auch die stärkste Eiterbildung, eine 
vollständige Ausfüllung der Paukenhöhle mit Eiter, zur Folge haben kann. 


Eine Erklärung für diejenigen Fälle, wo trotz des Befundes von 
Vernix und Meconium im Mittelohr keine Eiterung besteht, ist leicht 
gegeben. Es bedarf eine gewisse Zeit, bis die Leucoyteneinwanderung 
zur Bildung von Eiter geführt hat. Die Leucocyteneinwanderung bleibt 
aber ganz aus oder wird frühzeitig unterbrochen, wenn der Tod das In- 
dividuums sehr bald nach der Verunreinigung der Paukenhöhle erfolgt. 
Bei reifen frisch todtgeborenen Früchten kann also in solchen Fällen 
die Verunreinigung erst kurz vor der Geburt erfolgt sein. 


3. 


Finden sich, entsprechend dem wechselnden Inhalt, auch Verände- 
rungen in der Paukenhöhlenschleimhant, insbesondere solche, welche auf 
eine infectiöse eitrige Entzündung schliessen lassen ? 


Die Durchsicht der Haupttabelle ergiebt, dass sich in allen eisen 
Fällen, wo kein besonderer Inhalt in der Paukenhöhle gefunden wurde, 
auch keine besonderen Veränderungen in der Schleimhaut fanden, 
die auf Entzündung schliessen liessen. Hier und da enthält jede Pauken- 
höhlenschleimhaut einige Leucocyten. Die oft vorhandene starke Gefäss- 
füllung, und die Hömorrhagien sind die Folgen der Erstickung. Die 
geröthete Schleimhaut ist also noch lange keine entzündete Schleimhaut. 


Dagegen wird die Leucocyteninfiltration stärker in den Fällen mit 
Eiterbefunden und erreicht hier zuweilen ziemlich hohe Grade. Aber 
stets ist das Epithel erhalten, höchstens durch Erstickungsblutungen lädirt. 


Die Leucocyteninfiltrationen sind indess nicht zu vergleichen mit 
den Befunden bei echter infectiöser Otitis media beim Säuglinge, wenn es 
sich um wirklich schwere Fälle handelt, wie in Nr. 51 und Nr. 70. 
Freilich ist auch hier das Epithel erhalten, aber die Schleimhaut von 
Leucocyten dicht durchsetzt, in dem Eiter grosse Mengen von Bacterien. 

22* 


340 L. Aschoff: Die Otitis media neonatorum. 


Die Antwort muss also lauten: 

Die Schleimhaut der Paukenhöhle zeigt beim Neugeborenen eine 
verschieden starke zellige Infiltration, welche entsprechend der Stärke 
des Reizes, welchen die geringen oder grösseren Mengen von Frucht- 
wasserbestandtheilen, Vernix oder Meconium ausüben, wächst, aber nie 
solche Grade erreicht, wie bei den schweren Fällen der infectiösen Otitis 
media. Wohl aber kann sie ganz das Bild einer leichten Entzündung 
darbieten, wenn dasselbe noch durch die auf Erstickung zurückzuführenden 
Hyperämien und Hämorrhagien vervollständigt wird. 


4. 


Ist das Vorkommen von gröberen Fruchtwasserbestandtheilen, 
Vernix caseosa oder Meconium, zu Aspirationsvorgängen in Beziehung 
zu bringen oder nicht? 

Dass vereinzelte Zellen aus dem Fruchtwasser in das Mittelohr 
schon in früheren Monaten des Fruchtlebens gelangen können, glaube 
ich oben bewiesen zu haben. Durch welche mechanische Momente 
dieser Transport bedingt wird (Schluckbewegungen ?), muss noch dahin 
gestellt bleiben. Anders steht es aber mit dem Vorkommen gröberer 
Partikel von Vernix caseosa oder Meconium. Die am Schluss des 
Absatzes 2 erwähnten Thatsachen, Befunde von Vernix etc. ohne Eiter- 
bildung bei frisch Todtgeborenen, sprechen dafür, dass die in der Geburt 
so häufig stattfindenden frühzeitigen Athembewegungen die Ursache der 
Aspiration in das Mittelohr sind. Die Erstickungsblutungen in der 
Paukenhöhlenschleimhaut beweisen, wie stark die Paukenhöhle an den 
Druckschwankungen der Luftwege theilnimmt. Ein weiterer Beweis 
kann in der gleichzeitigen Aspiration der Fruchtwasserbestandtheile durch 
die Lungen für die genannten Fälle erblickt werden. Freilich müssen 
die Lungen schon ganz besonders genau untersucht werden, um in jedem 
Falle den positiven Nachweis der Aspiration zu erbringen. Die Ver- 
wendung unserer Leichen in Sektionskurs bedingt es, dass meine Statistik 
hier grosse Lücken aufweist. 

Das sehr häufige Zusammentreffen der Paukenhöhlen- und Lungen- 
aspiration geht aber ausserdem aus der genauen Lesser’schen Zusammen- 
stellung hervor. Alle negativen Fälle, in denen die Kinder längere Zeit 
geathmet haben, scheiden natürlich aus, da hier eine nachträgliche 
Reinigung der Lungen durch Hustenstösse stattgehabt haben kann. 
Dann bleiben noch 12 Fälle (bei einem fehlen die Befunde an den 
Athmungsorganen) übrig; 9 Mal wurden Fruchtwasserbestandtheile im 


Ein Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Paukenhöhle. 341 


Mittelohr gefunden; bei 8 Fällen wurden gleichzeitig Fruchtwasser- 
bestandtheile in den Athmungsorganen nachgewiesen. 

Der häufige Befund der Lungenaspiration spricht gegen die An- 
nahme, dass einfache Schluckbewegungen, wie sie bei jedem Kinde vor- 
kommen, den Uebertritt gröberer Fruchtwasserbestandtheile in das 
Mittelohr veranlassen. 

Da auch ein postmortales Eindringen so reichlicher Fruchtwasser- 
bestandtheile in das Mittelohr, wie sie in einzelnen Fällen gefunden 
wurden, nicht anzunehmen ist, so wird die Beantwortung der vierten 
Frage dahin lauten: 

Das Vorkommen gröberer Mengen von Fruchtwasserbestandtheilen 
(Vernix und Meconium) in den Paukenhöhlen Neugeborener ist auf 
intrauterine Athembewegungen zurückzuführen. | 


5. 


Ist die Rückbildung der Schleimhautpolster auf grobmechanische 
Druckverhältnisse zurückzuführen und lässt das Stadium der Rückbildung 
einen Rückschluss auf stattgehabte intra- oder extrauterine Athmung zu? 

Die oben erwähnten Untersuchungen an Föten und die Befunde an 
Neugeborenen haben in Uebereinstimmung mit den Resultaten früherer 
Autoren ergeben, dass unabhängig von dem Eindringen von Frucht- 
wasser oder Luft bereits in früheren Monaten der Schwangerschaft die 
Bildung einer wirklichen Höhle durch Auseinanderweichen des epithel- 
bekleideten Spaltes, des Canalis tubo-tympanicus beginnt. Die Um- 
wandlung des Gallertgewebes in faseriges Bindegewebe geschieht allmählich 
im Verlauf der letzten Monate, in einzelnen Fällen erst nach der 
Geburt. Das frühzeitig entstehende Cavum tympani füllt sich mit einer 
in ihrem Schleimgehalt wechselnden Flüssigkeit und mit einer mehr 
oder weniger grossen Zahl verfetteter Leucocythen und Körnchenzellen. 
. Die Bedeutung der letzteren, sowie ihre Herkunft, ausgewanderte Rund- 
zellen oder abgestossene Epithelien, bleibt zweifelhaft. Der Befund 
gleichartiger Zellen in den Maschen des Schleimhautgewebes spricht für 
die erste Annahme. Eine stärkere Desquamation der Schleimhaut- 
epithelien mit Erhaltung ihrer Form findet nicht statt. Die Aus- 
kleidung der Höhle ist schon in den frühesten Stadien eine ebenso ver- 
schiedene, wie später. 

Die Untersuchung auf die Ausbreitung und das Vorhandensein 
eines dicken Schleimhautpolsters erstreckte sich in der Mehrzahl der 
Fälle nur auf eine einfache Betrachtung der Paukenhöhle und des 


342 L. Aschoff: Die Otitis media neonatorum. 


d 


Antrum im frischen Zustande. Die Dicke schwankt natürlich etwas 
nach dem Füllungszustand der Gefässe. . Die Angaben beziehen sich 
daher nur auf grob in die Augen springende Unterschiede in der 
eigentlichen Paukenhöhle. Ein Blick auf die Tabelle I zeigt, dass gar 
keine Gesetzmässigkeit existirt; bei manchen Frühgeburten ist das 
Gallertgewebe schon ganz zurückgebildet, bei manchem reifen Kinde 
noch in stattlicher Ausdehnung vorhanden. Dementsprechend ist 
natürlich auch die Grösse der Höhle sehr verschieden. Eine Täuschung, 
wie sie nach Lesser bei der Sectionsmethode mit Abhebung des 
Tegmentum tympani möglich ist, bleibt hier ausgeschlossen. 

Die fünfte Frage muss also dahin beantwortet werden, dass die 
Rückbildung des fötalen Gallertgewebes bereits intrauterin nach uns 
unbekannten Wachsthunisgesetzen, aber nicht in Folge grobmechanischer 
Einflüsse, wie sie Wreden, Wendt u. A. angenommen, geschieht und 
dass die Weite der Höhle absolut keinen Rückschluss auf eine vor 
oder nach der Geburt stattgehabte Athmung erlaubt. 


6. 


Hat der Befund des Paukenhöhleninhalts bei Neugeborenen eine 
gerichtärztliche Bedeutung ? 

Die Beantwortuug dieser Frage hängt zum Theil ab von der Ant- 
wort auf Frage 4. Danach könnte man glauben, dass der Befund 
gröberer, d. h. mit blossem Auge sichtbarer Bestandtheile des Frucht- 
wassers (Vernix, Meconium) auf intrauterine Athmung schliessen liesse. 
Das gilt natürlich nur für solche Fälle, in welchen eine nach der 
Geburt stattgehabte Ertränkung in Fruchtwasser auszuschliessen ist. 

Der Befund von Luft im Mittelohr einer frischen Leiche würde 
eine innerhalb oder ausserhalb der Geburtswege stattgehabte Luftein- 
athmung beweisen. 

Ueber die Länge der Lebensdauer und stattgehabter Lungen- 
athmung giebt uns aber, wie alle Autoren jetzt einig sind, die Luft- 
menge der Paukenhöhle keine Anhaltspunkte, da die Luft bald sehr 
schnell, bald sehr langsam in die Paukenhöhle eindringen kann, viel- 
leicht auch wieder resorbirt wird. 

Beachtung verdienen noch die häufig zu findenden Erstiekungs- 
blutungen. 

Es müssen stets beide Mittelohren secirt werden. 


Ein Beitrag zur’ Entwickelungsgeschichte der Paukenhöhle. 343 


Ich füge noch kurz die Tabelle derjenigen Kinder an, welche 
länger als 48 Stunden gelebt haben. 


Tabelle III. 








No; | ebensdaner Ohrbefund. Todesursache. 
in Tagen. 

1 14 Eiter Aspiration von Mageninhalt 

2 15 Eiter Bronchopneumonie 

3 18 Eiter Bronchitis. Enteritis 

11 3 kein Eiter Bronchopneumonie 

27 5 Eiter Milchaspiration 

34 10 Eiter Schluckpneumonie 

41 6 eitriger Schleim Lebensschwäche 

45 8 Eiter m. Streptococcen Streptococcenperitonitis 

50 10 Eiter Aspiration erbrochener Massen 
ol 18 Eiter mit Meconium Erysipel 

52 11 kein Eiter Bronchopneumonie 

57 15 kein Eiter Erysipel 

64 8 Eiter Enteritis. Bronchitis 

67 10 Eiter Enteritis 

70 26 Eiter Enteritis. Aspiration erbrochener 

Massen 

71 3 kein Eiter Bronchitis 

"77 5 kein Eiter Milchaspiration 


Unter 17 Fällen 12 Mal Eiterung. Wie weit letztere wirklich 
infectiöser Natnr gewesen sind, muss ich für die Mehrzahl mangels 
bacteriologischer Untersuchungen unentschieden lassen. 


Kehren wir nun zu der Hauptfrage zurück, ob es sich bei den 
Eiterbefunden im Ohre von Neugeborenen um einen infectiösen Process 
handelt, so muss die Antwort vom entwicklungsgeschichtlichen und 
pathologisch-anatomischen Standpunkt aus, in Uebereinstimmung mit den 
bacteriologischen Untersuchungen (Gradenigo und Penzo), negativ 
ausfallen. Es giebt keine „Otitis media neonatorum“. Die älteren An- 
gaben von Zaufal, Schwartze, Wendt über intrauterine entzünd- 
liche Erkrankung des Mittelohrs (mit Facialislähmung, Trommelfell- 
perforationen etc.) sind nach unseren jetzigen Kenntnissen nicht mehr 
stichhaltig. Aus neuerer Zeit sind mir Mittheilungen über die gewiss 
äusserst seltene fötale Erkrankung des Mittelohrs nicht bekannt. 


344 L. Aschoff: Die Otitis media neonatorum. 


Wenn also dem „Eiter“ im Mittelohr Neugeborener nicht die 
Bedeutung einer infectiösen Otitis zukommt, so bleibt doch der erneute 
Beweis für die alte Behauptung, dass in der Paukenhöhle Neugeborener 
sehr häufig im Zusammenhang mit intrauterinen Athembewegungen, 
Fruchtwasserbestandtheile, insbesondere auch Meconium, gefunden werden, 
von Wichtigkeit. Ich glaube den weiteren Beweis erbracht zu haben, 
dass schon in frühen Monaten der Entwicklung, vom 4. Monat an, der 
Transport von Fruchtwasserbestandtheilen in die Paukenhöhle statt hat, 
dass aber die gröberen Befunde von Vernix und Meconium nur mit den 
am Ende der Schwangerschaft oder in der Geburt eintretenden Aspirations- 
bewegungen in Beziehung zu setzen sind. 


Die Verunreinigung der Paukenhöhle mit Fruchtwasserbestand- 
theilen, mag sie früh oder spät erfolgen, ist die Ursache der Leuco- 
cythenansammlung in der Paukenhöhle. Die Otitis media neonatorum 
ist eine förmliche Fremdkörpereiterung. 


Die Veränderung, welche die Schleimhaut bei diesem Process 
erleidet, die Ausfüllung des Mittelohres mit einer schwer beweg- 
lichen Masse ist gewiss, wie auch Hartmann mit Citirung der alten 
Wendt’schen Angaben betont, nicht gleichgültig für die Schaffung 
einer Disposition zu bacteriellen Erkrankungen. Der Beweis hierfür 
müsste durch die Untersuchung klinisch, pathologisch-anatomisch und 
bakteriologisch anerkannter Fälle von Mittelohrentzündung bei ganz 
jungen Kindern mit dem häufigeren Nachweis von Fruchtwasserbestand- 
theilen im Eiter noch erbracht werden. 


Hinzufügen möchte ich, dass auch die schweren hämorrhagischen 
Veränderungen, welche die Paukenhöhlenschleimhaut bei sehweren 
Geburten mit frühzeitigen Athembewegungen erleidet (s. Tabelle), von 
Bedeutung für das leichtere Haften einer Infection sein dürften. 


In Hinsicht auf manche neueren Versuche, einen Eiterbefund auf 
nicht infectiöser Grundlage beim Neugeborenen ganz zu leugnen (Ss. 
Rasch) sei zum Schluss uoch einmal betont, dass der Befund von Eiter, 
von einer starken Schwellung und Röthung der Schleimhaut mit Blutungen 
bei Neugeborenen und wahrscheinlich auch noch bei mehrere Tage 
alten Kindern gar kein Beweis für eine bestehende infectiöse Otitis ist. 


Q9 


ot 


Ein Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Paukenhöhle. 345 


Litteratnr. 


W. Koppen. Beobachtungen über Ansammlung von Flüssigkeit in der 
Trommelhöhle Neugeborener. Ing. Diss. Marburg 1857. (Daselbst die ältere 
Litteratur. Ausserdem du Verney. Tractatus de organe auditus. Novemb. 
1684, p. 36. 

v. Troeltsch. Verhandlungen der Würzburger medicinisch. Gesellschaft 
Bd. IX. Sitzungsbericht 77—78. 1858. s. a. v. Troeltsch. Lehrbuch 
der Ohrenheilkunde. III. Auflage 1867, p. 295. 


. Schwartze. Beiträge zur Pathologie und patholog. Anatomie des Ohres. 


Archiv für Ohrenbeilkunde Bd. I. 1864, p. 202. 

Wreden. Die Otitis media neonatorum etc. Berlin. C. Nehring 1868. 
cit. nach Wendt (10) und Wreden (14). 

Zaufal. Durchlöcherung des rechten und linken Trommelfells bei einem 
Neugeborenen. Wiener med. Wochenschr. 1868, p. 445. 

Brunner. Beiträge zur Anatomie und Histologie des mittleren Ohres. 
Habilit. Schrift Zürich 1870. 

H. Wendt. Beiträge zur patholog. Anatomie des Ohres. Archiv der Heil- 
kunde. Bd. 11. 1870. p. 567. 


8. Aaufal. Sectionen des Gehörorgans von Neugeborenen und Säuglingen. 


10. 
11. 
12. 
13. 
14. 
15. 
16. 


17. 
18. 


19. 


Oestr. Jahrb. für Pädiatrik 1870. I Bd. p, 118. (Nicht zugänglich, cit, 
nach Wendt (10). 


. Rinecker. Tageblatt der 44. Vers. deutscher Naturforscher und Aerzte. 


Rostock 1871, p. 157. 

H. Wendt. Ueber das Verhalten der Paukenhöhle beim Fötus und beim 
Neugeborenen. Archiv für Heilkunde, Bd. 14. 1873., p. 97. 

Urbantschitsch. Beitrag zur Entwickelungsgeschichte der Paukenhöhle. 
Berichte der Akad. der Wissensch. Wien. Bd. 67, Abth. III, S. 19, 1873. 

Eulenburg. Referat. Vierteljahrsschr. für gerichtl. Medicin. N. F. Bd. 
19. 1873, p. 192. 

E. Hofmann. Ueber vorzeitige Athembewegungen in forensischer Beziehung. 
Vierteljahrsschr. für gerichtl. Medicin. Bd. 19. 1873, p. 236. 

Wreden. Die Ohrenprobe. Vierteljahrsschr. für gerichtl. Medicin. N. F. 
Bd. 21. 1874, p. 208. | ; 

Blumenstock. Die Wreden-Wendt’sche Ohrenprobe und ihre Be- 
deutung in foro. Wiener med. Wochenschr. 1875, Nr. 40—44. 

Kutscharianz. Entzündung des Mittelohres bei Neugeborenen und Säug- 
lingen. Archiv für Ohrenheilkunde. Bd. X., (N.F. Bd. IV), 1875, p. 119 

Moldenhauer. Das Verhalten der Paukenhöhle beim Fötus und Neuge- 
borenen uud die Verwendbarkeit der Ohrenprobe für die gerichtl. Medicin. 
Archiv für Heilkunde., Bd. 13. 1875, p. 498. 

H. Schmaltz. Das sog. Schleimpolster in der Paukenhöhle der Neuge- 
borenen und seine forensische Bedeutung. Archiv für Heilkunde 1877, 
S. 251, Bd. 18. 

Moldenhauer. Die Entwickelung des mittleren und äusseren Ohres. Morph. 
Jahrbücher., Bd. III. 1877, p. 106. 


346 L. Aschoff: Die Otitis media neonatorum. 


20. Kölliker. Entwickelungsgeschichte 1879, II. Auflage. S. 754 

21. Lesser. Zur Würdigung der ÖOhrenprobe. Vierteljahrschr. für gerichtl. 
Medicin., Bd. XXX. 1879, p. 26. 

22. Hnevkovsky. Das Schleimhautpolster der Paukenhöhle beim Fötus und 
Neugeborenen und die Wreden-Wendt’schen Ohrenprobe. Wiener med. 
Blätter 1883, Nr. 26—34. (Nicht zugänglich, cit. nach v. Hofmann, 
Lehrbuch der gerichtl. Mediein. Wien 1891, V. Auflage, p. 753.) 

22a. Politzer. Lehrbuch der Ohrenheilkunde 1887, p. 274. 

23. Netter. Soc. de. Biologie 20. April 1889, cit. nach Gradenigo u. Penzo. 

24. Gradenigo und Penzo. Bakteriologische Untersuchungen über den Inhalt 
der Trommelhöhle in Cadavern von Neugeborenen uud Säuglingen. Zeitschr. 
für Ohrenheilkunde., Bd. 21. 1891, p. 298. 

25. Haug. Die Krankheiten des Ohres etc. Wien 1893, p. 14. 

26. Hessler. Die letalen Felgeerkrankungen bei Ohraffectionen.. Schwartzes 
Handbuch der Ohrenheilkunde, Bd. II, 1893, p. 619. 

27. Kossel. Ueber Mittelohreiterungen bei Säuglingen. Charite-Annalen., Bd. 
XVIII, 1893, p. 498. 

28. Hartmann. Die Mittelohrentzündung der Säuglinge. Deutsche med. 
Wochenschr. 1894, p. 544. 

29. Körner. Die otitischen Erkrankungen des Hirns, der Hirnhäute und der 
Blutleiter. Frankfurt, Joh. Alt, 1894. 

30. Rasch. Ueber die Häufigkeit und Bedeutung von Mittelohrentzündung bei 
kleinen kranken Kindern. Jahrbuch der Kinderheilkunde. N. F. Bd. 37. 
1894, p. 319. | 

31. H. Schmaltz. Die Beziehungen der acuten Mittelohrentzündung zum Ge- 
sammtorganismus,. Bresgen’s Sammlung zwangloser Abhandl. 1895, 
Bd. 1. 

32. Cozzolino. Ricerche anatomo - patologiche e batteriologiche sulle fosse 
nasali, caso naso-faringo e cavita medio-auricolari di cadaverini di lattanti 
e di neonati. Firenze. Tipogr. coop. 1896. Kurzes Ref. im Archiv für 
Ohrenheilkunde. Bd. 44, 1896, p. 141. 

33. Walb. Ueber die Prophylaxe und Behandlung der Säuglingsm ittelohr- 
eiterung. Vers. der deutschen otolog. Gesellschaft. Jena 1895, p. 143. 

Nicht aufzufinden war die Angabe von Strassmann. Lehrbuch der ge- 


richtlichen Medicin, p. 524, Anm.: Leutard l'oreille moyenne du nouveau-né 
Thèse de Paris 1887. 


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Henry L. Swain: Fälle von eitriger Mittelohr-Entzündung etc. 347 
X. | to 


Fälle von eıtriger Mittelohr- Entzündung “mit 
Uebergreifen auf den Schädelinhalt bezw. den 
| Nacken. 


Von Henry L. Swain, MD. New-Haven, Conn. 
(Uebersetzt von Dr. Th. Schröder in Rostock.) 


Fall I. Epidural-Abscess in der mittleren Schädelgrube. 


Am 20. Juni 1896 wurde ich von einem 20jährigen Manne con- 
sultirt. Im April 1896 hatte er, nach einer starken Erkältung, einen 
Schmerz in seinem linken Ohr gefühlt, nach 2 Tagen war das 
Trommelfell geplatzt und das Ohr hatte dann 10—15 Tage lang ge- 
eitert. Während des letzten Theiles dieser Zeit wurde das rechte 
Ohr in ähnlicher Weise betroffen und perforirte nach 4 oder 5 Tagen. 
Einige Wochen lang bestanden noch Schmerzen und die Eiterung hält 
bis zur Zeit an. Seit 3 Wochen hat eı wieder Schmerzen und etwas 
Anschwellung und Empfindlichkeit hinter und über dem rechten Ohr 
gehabt und in den letzten Tagen waren Schläfrigkeit, Unbehagen, 
Fieber, belegte Zunge, kleiner und rascher Puls .und Apathie hinzu- 
gekommen, ferner in den letzten 2 Tagen Frösteln und erhebliche Zu- 
nahme des Kopfschmerzes am rechten Scheitel. Der Patient gab an, 
dass er vor 3 Jahren an Bronchialkatarrh gelitten habe, welcher mehr 
oder weniger ausgesprochen bis zur gegenwärtigen Zeit angedauert 
habe; augenblicklich hustet er, hat Morgens und Nachmittags erheb- 
lichen Auswurf und hat an Gewicht von 152 bis auf 137 Pfd. ab- 
genommen. Er hat niemals Blut gespieen und bis auf die letzten paar 
Tage guten Appetit gehabt. Die Untersuchung zeigte einen schwachen, 
anämischen und durchaus entkräfteten Patienten. Das rechte Ohr zeigte 
einen engen Gehörgang, dessen obere und hintere Wand sich vorwölbte. 
Das Trommelfell undeutlich mit einer wahrscheinlich im hinteren oberen 
Quadranten vorhandenen Oeffnung; diese letztere war mit einem sich 
vordrängenden Polypen ausgefüllt. Das äussere Ohr schien mehr vom 
Kopfe abzustehen als das andere, in Folge einer sehr druckempfind- 
lichen Anschwellung über und hinter demselben. Die Anschwellung 
verminderte sich abwärts bis zur Spitze des Warzenfortsatzes, welche 
nur wenig geschwollen. und auf Druck kaum empfindlich war. Die 
Temperatur war 100° F., Puls, wie früher constatirt, klein und von 
einer Frequenz zwischen 100 und 120. Am Herzen ein lautes systolisches 
Geräusch. Die Lungen zeigten über der rechten Spitze eine leichte 
Dämpfung, verlängertes und höheres Expirium. Die Untersuchung des 
Augenhintergrundes hatte nichts Besonderes ergeben. Durch Entfernung 
des Polypen mit einer Schlinge sorgte ich für freien Abfluss aus dem 
Mittelobr. Blutegel wurden sofort verordnet, die Blutung 4 bis 5 Stunden 


348 Henry L. Swain: Fälle von eitriger Mittelohr-Entzündung 


lang unterhalten und Eis auf die geschwollene Gegend und den Warzen- 
fortsatz gelegt, 4 und 2 Stunden lang den Tag. Der Patient war am 
nächsten Tag etwas klarer, die Anschwellung etwas vermindert, besonders 
über der eigentlichen Warzenfortsatz - Gegend. Kopfschmerz gering. 
Temperatur dieselbe. Am folgenden Tage Aufnahme im Krankenhaus. 
Bettruhe, Eis, 48 Stunden anhaltende Besserung. In der Nacht des 
24. erschien der Kopfschmerz wieder. Die Anschwellung über dem 
Ohre und höher hinauf hatte so zugenommen, dass sie sich weit nach 
vorn bis in die Schläfengegend erstreckte; er hatte kein Frösteln mehr, 
kein schnelles Steigen der Temperatur, aber ziemlich andauernden Kopf- 
schmerz. — Am Nachmittage dieses Tages erschien es Dr.W.W. Hawkes 
und mir rathsam, den Warzenfortsatz zu öffnen, und es wurde 
demnach in der gewöhnlichen Weise gethan. Die äussere Knochen- 
lamelle des Warzenfortsatzes war gesund und das Antrum leer. Wir 
erweiterten die Oeffnung etwas nach oben hin gegen die Region der 
äusseren Anschwellung hinter dem Ohr und sahen dann einen dünnen 
Eiterstreifen aus dem Knochen in die Wunde von deren 
oberen Theil her fliessen. Die Sondirung ergab, dass der Eiter 
aus einer kleinen Fistelöffnung im Knochen kam; dieser folgend durch- 
meisselten wir den weichen Knochen °/, Zoll nach oben und hinten, 
bis wir eine ziemlich beträchtliche, mit Eiter gefüllte Höhle eröffneten 
und in ihrer ganzen Ausdehnung freilegten. Durch Sondirung in der 
Höhle nach oben und nach dem Gehirn zu erkannten wir undeutlich 
die Hirnhaut, welche gesund zu sein schien, und indem wir sie sorg- 
fältig vom Rande der kleinen Oeffnung hinweg drückten, fanden wir 
keine Anzeichen von weiteren Eiteransammlungen. Tamponade mit 
Jodoformgaze-Verband. Die Temperatur vor der Operation betrug 
102°, am folgenden Morgen war sie auf 99° heruntergegangen, stieg 
dann während des Tages auf 100. Während der nun folgenden Genesung 
des Patienten stieg sie nicht wieder über diesen Punkt. Von da an 
schritt die Genesung des Patienten ohne Unterbrechung fort, nur 
dass er die ersten 5 oder 6 Tage über recht viel Kopfschmerz 
klagte. Am 11. Juli war die Wunde soweit geheilt, dass nur eine 
kleine Oeffnung existirte, welche durch die Haut zu einer kleinen Höhle 
im Knochen führte. Am 21. Juli war die Oeffnung vollständig geheilt, 
Patient genesen und im Stande, die Uhr in einer Entfernung von 10 Zoll 
vom Ohre ab zu hören. Die Eiterung aus dem Ohr hatte aufgehört und 
das Loch im Trommelfell schloss sich innerhalb 10 Tagen nach der 
Operation. Der Patient hatte an Gewicht zugenommen, seinen Husten 
verloren und war in jeder Hinsicht in vorzüglichem Zustande. 


Fall II. Eiter-Ansammlung im Seiten-Ventrikel. 


Ein 40jäbriger Mann wurde am 24. April ins Krankenhaus ge- 
bracht, in comatösem Zustand und mit der Diagnose: Meningitis. Die 
Vorgeschichte ergab, dass der Patient ungefähr vor 1 Woche auf dem 
Heimweg von der Arbeit ohnmächtig wurde und gegen einen Zaun an 


mit Uebergreifen auf den Schädelinhalt bezw. den Nacken. 349 


die Erde fiel. Er wurde damals nicht bewusstlos, sondern gelangte mit 
einigem Beistande ins Haus; er war indessen unbesinnlich, fühlte sich 
unwohl und blieb deshalb am nächsten Tage zu Hause; während des- 
selben nahm seine Schlafsucht mehr und mehr zu, wobei er unruhig 
war und stöhnte; wenn man ihn weckte, schien er verwirrt, gab aber 
im Allgemeinen zusammenhängende Antworten. 2 oder 3 Monate vorher 
hatte er einen ähnlichen Schwindelanfall gehabt und vor 6 Wochen 
heftigen Kopfschmerz, hauptsächlich auf dem rechten Scheitel. Während 
der ganzen beiden letzten Wochen hatte er sich elend gefühlt und war 
bis zum Tage des Falles halb krank. Sein Zustand wurde, wie bemerkt, 
vom Zeitpunkt des Falles an immer schlechter, bis er ins Krankenhaus 
gebracht wurde. Er hatte, wie man wusste, seit mehreren Jahren eine 
Ohreiterung gehabt, welcher er indessen keine Beachtung geschenkt 
hatte. Als er ins Krankenhaus gebracht wurde, lag er stundenlang in 
einem unbesinnlichen, balb-comatösen Zustand da, die Augen halb ge- 
schlossen, die Pupillen klein, aber beweglich, den Mund geöffnet, wobei 
er an der Bettdecke pflückte und gelegentlich den Kopf von einer Seite 
auf die andere warf, wie wenn er Schmerz empfände; wenn man die 
rechte Kopfseite berührte. fuhr er sogleich zusammen, drückte man auf 
dieselbe, so schrie er vor Schmerz und versuchte, die Hand zu ent- 
fernen. Es schien bei ihm indessen keine besondere Stelle von erhöhter 
Empfindlichkeit vorhanden zu sein; selbst wenn man am Ohr zog oder 
auf den Warzenfortsatz drückte, rief man kein stärkeres Schreien hervor, 
als wenn man eine beliebige Stelle an der rechten Kopfseite berührte. 
Häufig schien er zu deliriren, wobei er unzusammenhängende Dinge 
murmelte; sein Nacken war steif; Temperatur 103°, Puls 64, Re- 
spiration 24 (Nachmittags). Die gründliche Untersuchung der andern 
Organe des Körpers ergab nichts Krankhaftes; einige leise Ronchi am 
hinteren unteren Theile der Brust, welche späterhin an Zahl zunahmen, 
waren alles, was man, vom Kopf abgesehen, ungewöhnliches wahrnehmen 
konnte; und auch was dessen Zustand betraf, so konnten wir uns, ausser 
der Ueberzeugung von dem Vorhandensein einer Meningitis, weder auf 
Veränderungen der Reflexe oder andere Symptome von Parese oder 
Paralyse der Muskeln oder des Facialis stützen, noch ergab die Unter- 
suchung der Netzhaut ein greifbares Resultat. Das rechte Ohr zeigte 
die gewöhnlichen Erscheinungen einer chronischen Mittelohreiterung. 
Etwaigen Versuchen, das Ohr zu reinigen, setzte der Patient ernstlichen 
Widerstand entgegen, erwachte dann auch soweit, um die Frage, wo 
es ihm wehe thue, durch Zeigen auf das rechte Ohr zu beantworten. 
Nach der Geschicklichkeit zu urtheilen, mit welcher er den Ohrtrichter 
aus dem Ohr riss, war keine Coordinationsstörung der Armmuskulatur 
vorhanden, denn er konnte den Trichter mit beiden, Händen ergreifen 
und herausnehmen. Wir liessen nun den Kopf rasiren, das Ohr wurde 
ausgespritzt und Eis auf den Kopf gelegt; am zweiten Tag wurde mit 
der Verabreichung von Ergotin, Brom- und Jodpräparaten begonnen 
und alle 6 Stunden die Blase katheterisirt. Unter dieser Behandlung 
schien er sich in den folgenden 2 Tagen etwas zu bessern; auch wurde 


350 Henry L. Swain: Fälle von eitriger Mittelohr-Entzündung 


er wieder etwas lebhafter; die Temperatur stieg und fiel mit morgend- 
lichen Remissionen und abendlichen Exacerbationen. Am dritten Tage 
erkannte er seine Frau und streckte seine Hand nach ihr aus. Trotz 
dieser Besserung gab uns jedoch sein Zustand keinen Aufschluss über 
den Sitz des Gehirndrucks und liess keine andere Erklärung zu, als 
dass er eine allgemeine Basilar-Meningitis habe; als daher am 29. eine 
plötzliche Aenderung zum Schlimmeren erfolgte, mit Cheyne-Stokes- 
scher Athmung, Wiederanstieg der Temperatur bis auf 103°, unfrei- 
williger Koth- und Urin-Entleerung, waren wir von der Sicherheit 
unserer Diagnose, sowie von dem nahe bevorstehenden Ende des 
Patienten überzeugt. In dieser Schlussfolgerung irrten wir uns jedoch, 
denn am folgenden Tage zeigte sich wiederum eine Besserung; die 
Temperatur fiel Morgens auf 99,5° und während der nächsten 5 Tage 
war das Befinden unverändert. Auch jetzt wies nicht das geringste 
Zeichen auf irgend eine Localisirung des Leidens bin. Die Thatsache, 
dass der Patient ein eiterndes Ohr hatte und dass die Symptome auf 
dasselbe als Ursache der Erkrankung hinwiesen. führte zu häufigen 
Nachprüfungen derselben unter Berücksichtigung der Frage, ob eine 
Operation anzurathen sei; doch waren alle bei der Consultation be- 
theiligten Aerzte der übereinstimmenden Meinung, dass man in diesem 
Falle nicht operiren solle. 


Da wir nun den Wunsch fühlten, den Patienten wenigstens in 
etwas zu erleichtern, löffelten wir das Mittelohr aus und entfernten 
eine Menge Detritus und Granulationsgewebe. 


Am 4. Mai fing der Patient an häufig zu husten; zuweilen war 
er im Stande, das, was er aufhustete, zu expectoriren, andere Male 
wieder schluckte er es herunter. Die Athemfrequenz stieg jedoch rasch 
auf 40 bis 56 Züge in der Minute und schien nach Art eines atypischen 
. Cheyne-Stokes’schen Phänomens vor sich zu gehen. Dieser Zustand 
dauerte bis zum 8. und stieg die Temperatur während dieser Zeit nicht 
über 101°; die Lungen zeigten etwas Hypostase. Am 8. fing er an 
schlechter zu werden, war unfähig, Nahrung zu sich zu nehmen, völlig 
unbesinnlich und starb unter allmählichem Steigen der Temperatur, 
welche am 9. 107° .erreichte. | 


Die Autopsie ergab keinerlei Erkrankung der Brust- und Bauch- 
organe als Lungenhypostase und geringe Transsudation in der Pleurahöhle. 
Bei Eröffnung der Schädelhöhle zeigte das Gehirn am Scheitel keine 
Abnormitäten. Als man dasselbe vom Schädel entfernt hatte, gewahrte 
man ein bis zwei kleine wolkig getrübte Flecken in der Pia mater, 
gerade an der Stelle, wo sie auf der rechten Seite mit der Felsbein- 
portion des Schläfenbeins in Berührung steht; sonst absolut kein Zeichen 
der von uns diagnosticirten Basilar-Meningitis. 


Bei der Eröffnung des Gehirns fanden wir die Seiten-Ventrikel, 
besonders den rechten, mit Serum angefüllt, welches in der rechten 
Hälfte ganz wenig milchig getrübt erschien. Als wir den Plexus 


es Tl... m — 





mit Uebergreifen auf dem Schädelinhalt bezw. den Nacken. 351 


choroides bis ins herabsteigende Horn des Ventrikels verfolgten, waren 
wir überrascht, ihn auf !/, bis °/, Zoll hin vom tieferen Ende ab in 
ein pyogenes Blutgerinnsel verwandelt zu sehen, wie man es gelegentlich 
bei einem Falle von Phlebitis entfernt, wenn die geronnene Blutmasse 
eitrig degenerirt ist. Der höher gelegene Theil des Plexus schien noch 
seine gewöhnliche Farbe zu besitzen. Wenn man jenen Klumpen leicht 
emporhob, so zeigte es sich, dass er der unteren Ventrikel-Wand 
keineswegs inniger anhaftete, als es der Plexus selbst für gewöhnlich 
thut, und die damit unmittelbar in Berührung stehende Hirnsubstanz 
zeigte keine anderen Abnormitäten, als dass sie wie von extravasirtem 
Blut verfärbt erschien. Die milchigen Flecken an der Basis 
des Gehirns, welche indess mit vollständig flüssigem Eiter nicht in 
Zusammenhang standen, entsprachen jenem Bezirk, welcher 
dem herabsteigenden Horne des Seiten-Ventrikels gegen- 
über liegt; sonst wurde von uns im Gehirn absolut keine Abnormität 
gefunden. Beim Abziehen der Dura von der Felsbeinportion des Schläfen- 
beins fand sich an der Stelle, welche dem Dach der Paukenhöhle ent- 
spricht, eine leichte Adhäsion, und der Knochen war über einen un- 
regelmässig geformten, dem Umfange einer halben Erbse gleichen Bezirk 
missfarbig. Beim Drücken darauf mit der Spitze der Zange bröckelte 
er sehr leicht und fast ohne Anstrengung glitt die Zange hindurch in 
das Mittelohr hinein, das voll von Eiter und Granulations-Gewebe ge- 
funden wurde. Das innere Ohr schien gesund zu sein. — Offenbar 
hatten wir es hier mit Caries des Paukenhöhlendaches zu thun, von 
wo der Eiterprozess in den Seiten-Ventrikel übergesprungen war. Man 
dürfte kaum erwartet haben, dass bei einer so vollständigen, auf Basilar- 
Meningitis hindeutenden Symptomenreihe diese von einer so geringen Be- 
weiskraft für deren Vorhandensein sein könnte, wie die in diesem Falle 
vorliegende. Was man nun gerade bei einer solchen Degeneration des 
Plexus choroideus für besondere Symptome zu .erwarten haben würde, 
ist auch nur zu vermuthen, da kein Fall dieser Art je zu meiner 
Kenntniss gekommen ist. Wie ferner diese nekrotische Masse, ohne 
stärkeren Druck zu verursachen, ein so tiefes Coma erzeugen konnte, 
vermag ich mir nicht zu erklären, es sei denn, dass man annehmen 
will, das die Seiten-Ventrikel vollständig ausfüllende Serum habe eine 
genügend starke Spannung erzeugt, um Drucksyınptome hervorzurufen. 
Dass ein tiefes Coma, bedingt durch Blutvergiftung in Folge unmittel- 
barer Absorption von Produkten der eitrigen Masse ins Gehirn, 16 bis 
17 Tage sollte angedauert haben, möchte doch unwahrscheinlich sein. — 


Und zu guterletzt erscheint es als ganz aussergewöhnlich, dass eine 
so deutliche Caries des Paukenhöhlendaches Platz greifen konnte, ohne 
Basilar-Meningitis zu erzeugen. Dass der Prozess durch die dünne Lage 
von Gehirngewebe in den Plexus choroideus überspringen kann, ist ebenso 
leicht verständlich, wie dass der Eiterprozess gelegentlich einmal in die 
Meningen übergreift, ohne sichtbare Spuren im Knochendach des 
Mittelohres zu hinterlassen. 


352 Henry L. Swain: Fälle von eitriger Mittelohr-Entzündung 


Fall III. Ein Abscess im Musculus trapezius. 


Die Geschichte dieses Falles verdanke ich Dr. E. W. Pierce von 
Meriden, Conn. 


W. H., 33 Jahre alt, consultirte Dr. P. am 10. Dezember 1895- 
Er hatte seit mehreren Jahren eine rechtsseitige Ohreiterung gehabt 
Die Untersuchung ergab keine Empfindlichkeit auf dem Woarzenfortsatz, 
aber erhebliche Anschwellung über und hinter diesem mit Fluctuation 
1 Zoll nach rechts und unterhalb der Protuberantia occipitalis. Eine 
hier vorgenommene Incision entleerte eine Menge guten Eiter, worauf 
sich die Sonde 3 Zoll tief nach unten einführen liess. Die Höhle heilte 
allmählich aus und die Schwellung nahm ab. Die Otitis hielt indessen 
trotz der besten Behandlung an. Am 28. März 1896 kam der Patient 
wieder mit einer grossen Geschwulst an derselben Stelle wie früher: es 
wurde wieder ausgiebig incidirt, worauf sich wiederum eine reichliche 
Menge Eiter entleerte. Die Sonde gelangte jetzt bis aufs Periost hinab, 
aber nicht nach dem Warzenfortsatze zu, über welchem auch keine 
Empfindlichkeit vorhanden war. Die Geschwulst nahm allmählich ab 
und es erfolgte Heilung. Später wiederholte sich die Anschwellung 
nochmals und es fing nun an, aus der früheren Oeffnung zu eitern. 
Am 5. Mai wurde die Geschwulst wiederum 4 Zoll unterhalb der oberen 
Oeffnung incidirt, worauf man 2 Zoll tief eine Höhle fand. Man konnte 
von unten durch sie hindurch spritzen und das Spritzwasser floss aus 
der oberen Oeffinung heraus. Dr. P. weigerte sich, den Fall noch 
weiterhin zu behandeln, wenn der Patient sich nicht ins Hospital auf- 
nehmen lassen wollte, um eine ausgedehnte Eröffnung der ganzen Abscess- 
höhle vorzunehmen und die Quelle der Eiterung aufzusuchen, welche 
in den Warzenfortsatz-Zellen vermuthet wurde. Der Patient willigte 
ein und so sah ich den Fall zuerst am 28. Mai zusammen mit Dr. P. 
Ueber dem Warzenfortsatz war keine Empfindlichkeit auf Druck vor- 
handen, doch bestand daselbst eine geringe Anschwellung; die ursprüng- 
liche obere Abscess-Oeffnung war noch zu sehen, zur Zeit allerdings 
durch eine kleine schorfartige Narbe geschlossen. Während der letzten 
3 bis 4 Tage hatte sich die Abscesshöhle bedeutend ausgedehnt, da 
der Eiter keinen neuen Abfluss gehabt hatte. Sie hatte die Grösse 
einer Orange und war an der Basis sehr dickwandig, da Dr. P., wie 
man sich erinnern wird, bei Anlegen der tieferen Oeffnung bis zu einer 
Tiefe von fast 2 Zoll hinabzugehen hatte, ehe er den tieferen Theil 
der Höhle erreichte. Es war klar, dass die Abscesshöhle unter der 
oberflächlichen Nackenmuskulatur liegen musste, und so fand ich denn 
auch ihre Oeffnung oben rings hinter dem Musculus trapezius, welch’ 
letzterer geradezu eine äussere Wandung des Abscesses bildete. 

Nach sorgfältiger Prüfung des Falles kam ich zu derselben Schluss- 
folgerung wie Dr. P., nämlich dass für die fortdauernde Abscessbildung 
nur die Warzenfortsatz-Zellen verantwortlich zu machen seien, und um 
diese Diagnose zu sichern, eröffneten wir die Abscesshöhle zunächst an 
ihrer oberen früheren Oeffnung. Die erste Incision ging durch altes 


L. Stern: Die Ohrenheilkunde des Ambroise Pare. 353 


Narbengewebe und veranlasste eine starke Blutung. Nachdem wir diese 
glücklich gestillt hatten, konnten wir mit Leichtigkeit eine dicke Sonde 
nach unten bis unter die Muskellager durchführen und nach mannig- 
faltigem Hin- und Hersondiren fanden wir eine Spur, welche zweifellos 
zum Woarzenfortsatze führte. Wir eröffneten nun die Warzen- 
fortsatz-Zellen in der gewöhnlichen Weise, fanden zu- 
nächst eine gesunde Knochendecke, legten aber durch 
sie hindurchgehend ein Antrum frei, welches voll von 
Eiter, Granulationsgewebe und käseartigen Knochen 
war. Bei der Auskratzung des erkrankten Gewebes befolgten wir die 
kürzlich aufgestellte Regel, nach der Spitze des Wearzenfortsatzes zu 
wenn möglich Alles vollständig zu entfernen, und so nahmen wir fast 
das ganze untere Ende des Processus mastoideus weg mitsammt der 
äusseren Wand des Antrums.. Die hintere und innere Wand 
der Spitze des Warzenfortsatzes liess einen Fistelgang 
sehen; ihm vorsichtig nachgehend konnten wir ihn nach unten bis 
hinter die anliegenden Muskeln verfolgen und leicht den Weg erkennen, 
den er genommen hatte, um zwischen den Schichten der tiefen Nacken- 
fascie bis nach der Abscesshöhle unter dem Musculus trapezius hindurch 
zu gelangen. Wir entfernten nun alles kranke Gewebe in der Um- 
gebung dieser Fistel, legten eine Gegenöffnung an der tiefsten Stelle 
des Nackenabscesses an und drainirten die ganze Höhle. 

Die Genesung des Patienten war eine langsame, doch wurde er 
schliesslich am 5. August als geheilt entlassen. Die Otitis, die Oeffnung 
im Warzenfortsatz und die Abscesshöhle waren geheilt. 


XI. 


Die Ohrenheilkunde des Ambroise Paré. 


Von Dr. L. Stern in Metz. 


Ambroise Paré, Leibarzt der französischen Könige Heinrich II., 
Franz ĮI., Karl IX. und Heinrich HI., wurde geboren 1510 in Laval, 
Provinz Maine, und starb, 80 Jahre alt, in Paris, wo er in der Kirche 
Saint-Andr&-des Arcs beigesetzt wurde. 


Die zum Zwecke vorliegender Arbeit benutzte, in der Metzer Stadt- 
bibliothek befindliche Ausgabe führt den Titel: „Les Oeuvres d’Ambroise 
Paré, Conseiller et Premier Chirurgien du Roy, Huitiöme Edition, Reveües 
et corrigées en plusieurs endroits, et augmentées d’un fort ample Traicté 
des Fiebures, tant en général qu’en particulier, et de la curation d'icelles, 
Nouvellement trouvé dans les manuscrits de l’auteur. 

Avec les Portraits et figures ant de l’Anatomie que des Instruments 
de Chirurgie, et de plusieurs monstres. A Paris chez Nicolas Buon, 

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXXI. 23 


354 L. Stern: Die Ohrenheilkunde des Ambroise Pare. 


ruë S. Jaques à l’enseigne de S. Claude et de Phomme Sauvage 
MDCXXVIII. Avec Privilége du Roy.“ 


Es dürfte vielleicht Interesse für den modernen Ohrenarzt haben, 
zu erfahren, was der Meister der Chirurgie von Ohrenheilkunde wusste. 


1. Anatomie und Physiologie. 


„Das erste und hauptsächlichste Instrument des Hörorgans ist eine 
in der sogenannten Mastoid- oder Trommelhöhle seit unserer Ge- 
burt (!) befindliche sehr feine Luft. Sie wird von einer sehr zarten 
Haut umschlossen, die aus der Tunica des Hörnerven besteht. 

Wahrscheinlich ist diese hohle Einbuchtung dazu gemacht, damit 
Luft und Töne nicht zu ungestüm in die Ohren eindringen. Das könnte 
das Gehörorgan verletzen oder ganz verderben. 

Wenn es sich um ein grades Loch handelte, so würden sich die 
Töne nicht so gut fangen, wie sie es an umgebogenen Stellen thun, auf 
welche sie stossen. Hierdurch werden die Töne besser festgehalten und 
resoniren stärker. 

Wenn aber ferner die Töne zu mächtig nnd zu plötzlich in das 
Ohr drängen, so könnte dasselbe sie nicht unterscheiden und aufnehmen, 
da sie zu verworren wären. 

Indessen sieht man, dass zuweilen die genannte Einbuchtung zer- 
stört wird, wie es durch zu grosse Gewalt der Artillerie, des Donners, 
mächtiger Glocken und anderer ähnlicher Geräusche eintritt. 

Ausserdem soll die Einbuchtung verhüten, dass die Kälte zu plötz- 
lich zum Gehirn vordringe, oder dass ein Fremdkörper das Gehörorgan 
verletze. 

Ferner befindet sich in der Höhlung von Natur aus eine cholerische, 
dicke, klebrige Flüssigkeit zur Purgation des Gehirns, hauptsächlich 
aber, damit etwa eingedrungene kleine Thierchen festgehalten würden. 

Um nun gut zu verstehen, wie das Hören zu Stande kommt, muss 
man zunächst die Struktur jener Einbuchtung in’s Auge fassen. Durch 
letztere hören wir vermittelst der Membran, die aus der Tunica des Nervus 
auditivus besteht, und die von innen her über das Loch des Ohres wie 
das Fell einer Trommel ausgespannt ist. Von der durch sie einge- 
schlossenen Luft ist sie aufgeblasen. Diese Luft ist der Hörgeist (esprit 
auditif), der in der Höhlung der Apophysis mastoidea eingeschlossen ist. 

Dadurch, dass die Membran von der äusseren Luft getroffen wird, 
empfängt sie den Gegenstand des Hörens, das ist der Ton und die 
Stimme. Diese wieder sind nichts anderes als eine permanente Eigen- 


L. Stern: Die Ohrenheilkunde des Ambroise Pare. 355 


schaft der Luftbrechung, welche entsteht durch das Zusammentreffen 
zweier harter Körper, von denen einer den Stoss austheilt und der 
andere ihn empfängt. Die Wirkung dieses Zusammenstosses nun und 
dieser Reibung verbreitet sich in der Luft so, wie von einem ins Wasser 
geworfenen Stein durch die Erschütierung sich ringsum Kreise und 
Bogen im Wasser ausbreiten, nicht überall hin, aber in einem gewissen 
Raum. i 
Und wie man sieht, dass bei Quellen und Bächen, die durch einen 
engen und buchtigen Kanal über sehr unebene, holperige und steinige 
Stellen fliessen, das Wasser, wenn es auf seinem Wege auf Hindernisse 
stösst, Touren, Krümmungen und Biegungen macht, die sich ausbreiten, 
Welle hinter Welle, nach und nach verkleinern und schliesslich ver- 
schwinden: Ebenso bringt die Luftbrechung in gedeckten und hohlen 
Plätzen, wie Cisternen, Kirchen und dichten Wäldern, mehrere Töne 
hervor, einen nach dem andern, deren Verdoppelung Echo genannt wird. 


Auch kommt auf diese Weise das Hören durch die Luft zu Stande. 


Das Hören aber ist ein doppeltes: ein Aeusseres und ein Inneres. 
Durch das Aeussere werden die Wellen, die auch das Echo erzeugen, 
herangebracht. Das Innere ist das, welches in der Trommelhöhle ein- 
geschlossen ist. Hier giebt es Biegungen, Erhöhungen und Vertiefungen, 
in welchen die verschiedenen Töne und Klänge verarbeitet werden, 
indem sie auf die ersteren stossen. Und wie man sieht, dass hohle 
Körper den Ton besser aufnehmen, als massive, (Trommel, Trompete und 
andere Musikinstrumente), so ist es auch der Fall bei dem Foramen 
caecum, welches durch den Hörgeist wirkt, der in ihm ist. 


Und das ist sicher: Die Verrichtungen aller Sinne gehen 
nur vor sich durch den Geist, der in ihnen ist! 

Wie auch der Hörgeist dazu da ist, um besagte 
Wellen aufzunehmen. Er berührt die genannte Membran, welcher 
ebenso wie eine Trommel die Töne der von ihr eingeschlossenen Luft 
enthält. 


Und wenn sich in der Trommelhöhle widernatürliche Dünste (va- 
peurs) finden, die die normale Luft (air tempere) und den Hörgeist 
verändern (trouble), so kommt in ihr das Klingen oder Sausen der 
Ohren zu Stande. 

Alles das macht aber noch nicht das vollkommene Hören aus, denn 
um die Töne und Stimmen besser zu unterscheiden, hat die Natur drei 
Knöchelchen geschaffen: Hammer, Ambos und Steigbügel (auch Deltoides 

23* 


356 L. Stern: Die Ohrenheilkunde des Ambroise Paré. 


genannt, weil es dem Delta der Griechen gleicht), die hinter der . ge- 
nannten Membran liegen. 


Und wenn Hammer und Ambos von den äusseren Luftwellen, die 
die genannte Membran treffen, bewegt werden, so bringen sie die Ver- 
schiedenheit der Töne und Stimmen zu wege, wie eine Saite, die quer 
über die hintere Haut eines Tamburins gespannt ist. 


„Werden z. B. diese Knöchelchen leicht bewegt, so hören wir einen 
dunkeln und tiefen Ton, bei starker Bewegung dagegen hören wir einen 
hohen, starken. (Donner der Artillerie, Glocken, Trompeten.) 


Je nachdem die Bewegung zwischen beiden Extremen schwankt. 
sind die Töne verschieden. 


Die Zweckdienlichkeit des Steigbügels ist nicht klar (von keinem 
Anatomen beschrieben). Soll durch ihn die Membran des Foramen 
caecum, die nach oben gebreitet ist, in Spannung gehalten werden, 
damit die Hörfähigkeit vollkommen ist? 


„Et te suffise de la déclaration de la vertu auditive! (S. 191 
und f. f.) 

Was den Nervus auditivus selbst angeht, so heisst es auf S. 172: 
„Das 5. Hirnnervenpaar hat seinen Ursprung im Schädel und sendet 
seine grössere Portion zum Ohrloch, der Hörfähigkeit wegen, die auf 
dem Zurückwerfen der Luft, wodurch die Töne entstehen, beruht. 


Der kleinere Theil geht zu den Schläfemuskeln durch das nächste 
Loch, aus welchem der zweite Hirnnerv austritt. Der Hörnerv ver- 
breitert sich an seinem Ende und bildet die Membran des Foramen 
caecum.“ | | 

Das Ohr ist Organ und Instrument des Hörsinns, welcher Stim- 
men, Töne und Klänge unterscheidet. (des voix, des sons et des 
tons). Paré braucht das Wort „oreilles* in doppeltem Sinn, wie 
auch wir einerseits z. B. von „langen Ohren, Eselsohren etc.“ sprechen, 
andererseits z. B. sagen: „Wozu hast Du denn deine Ohren?“ Denn 
nachdem er, ‚les oreilles‘‘ als „Organes et instruments du sens auditif“ 
bezeichnet hat, fährt er fort: „Sie bestehen aus Haut und etwas Fleisch 
(Muskeln), Knorpel, Vene, Arterie und Vene, und sind gefaltet und 
gewunden, damit sie, da sie weich und knorpelig sind, sich dem an- 
passen, was man auf sie setzt, wie einen Hut u. s. w., und den Be- 
wegungen des Kopfes folgen. 

Wenn die Natur sie knöchern gemacht hätte, so ginge das nür 
höchst beschwerlich, und sie brächen gar manchesmal entzwei. 


L. Stern: Die Ohrenheilkunde des Ambroise Paré. 357 


Der weiche Theil, an dem man gern die Ringe aufhängt, wurde 
von den Alten Fivra, der obere Theil Pinna genannt. 

Die Vorsehung machte sie wie ein Schneckenhaus, mit Krümmungen 
und Biegungen, die immer kleiner werden bis zum äussersten Loch, 
dem Foramen caecum, um so besser die Luft aufzunehmen und zurück- 
zuhalten und die verschiedenen Töne und Stimmen aufzusammeln. Und 
gemeinhin wird alles, was wir vermittelst des Gehörs vornehmen, durch 
das Foramen caecum zerstreut, um nachher. zu jener Membran geführt 
zu werden, die mässig hart ist und von dem 5. Hirnnerv, dem Hörnerv, 
gebildet wird. 

Die Ohren dienen zur Schönheit des Kopfes. Das sehen wir an 
Denen, denen sie abgeschnitten sind. Misstaltet sind sie und unangenehm 
anzuschauen. Deshalb schneidet man sie Denen ab, welche man ob 
grosser Bosheit infamiren will. 

Sie dienen auch dazu, um das Vergnügen an verschiedenen Tönen 
und vor allem an Harmonie und Melodie des Gesanges von Menschen 
und Vögeln, sowie der verschiedenen Musikinstrumente zu geniessen.“ 
(S. 191). | 


2. Pathologie und Therapie. 


a) Verwendungen des äusseren Ohres. 


In einem kriegerischen Zeitalter, in welchem ausserdem die Strafe 
des Ohrabschneidens so beliebt war, musste sich der Chirurg gründlich 
mit der Behandlung eines solcherweise verunstalteten Körpertheils be- 
fassen. Zweimal spricht Par& ausführlich, wie sie zu geschehen hat. 

„Des plaies des oreilles‘‘, „von den Wunden der Ohren‘ nennt er 
S. 388 ein Kapitel: . 

„Wir müssen jetzt von den Ohren sprechen, die ganz oder theil- 
weise abgeschnitten sind. Im letztern Falle musst Du darauf Rücksicht 
nehmen, ob noch genugsam Nahrung vorhanden ist, und dann die Naht 
machen. Den Knorpel aber darfst Du mit deiner Nadel nicht berühren, - 
auf dass er nicht brandig werde (was manchesmal der Fall), sondern 
Du wirst die Haut und das Fleisch fassen, das am besagten Knorpel 
ist. Und mit Compressen und Bandagen und eigenen Heilmitteln wirst 
Du die Entzündung und andere Zufälle hintenhalten. 

Auch wirst Du dafür sorgen, dass kein überflüssiges Fleisch am 
Gehörgang entsteht, auf dass sich kein Hinderniss bilde, so den Weg 
zum Hören versperrt. Und Du wirst zu diesem Zweck stets ein wenig 
Schwamm in den Gehörgang legen, um die Oeffnung des Ohres offen zu 


358 L. Stern: Die Ohrenheilkunde des Ambroise Paré. 


halten. Auch wirst Du trockene Medicamente brauchen, indem Du 
bedenkst, dass die Partie knorpelig und daher sehr trocken ist. Und 
wo der Fall einträfe; dass das Ohr ganz abgeschnitten ist, wird der 
Kranke nach der Heilung und Vernarbung eine Mütze tragen können, 
die man Calotte nennt, um seine Verunstaltung zu verbergen. Und 
wird sie an der Stelle besagten Ohres mit Watte oder Tach polstern, 
um das Fehlen des abgeschnittenen Ohres zu decken.“ 


Auf Seite 897 ist ein Kapitel „de l’oreille perdue‘, „Von dem 
Verluste des Ohres‘“‘ betitelt. 


„Wenn Jemand das Ohr fehlt, sei es durch einen Naturfehler oder 
durch einen äusseren Zufall, wie eine Wunde oder einen Anthrax (char- 
bon pestiferé) oder durch einen Thierbiss oder sonstwie, so muss man, 
wenn es nicht ganz zerstört ist, sondern noch ein guter Theil bleibt, 
in den Knorpel mit einem kleinen Ausschneideeisen Löcher machen, so 
viele ihrer nöthig sind. Nach der Vernarbung besagter Löcher wird 
man ein künstliches Ohr an ihnen befestigen. Wo aber das Ohr ganz 
abgeschnitten ist, da wird man ein künstliches Ohr, dem man eine 
anmuthige Form giebt, aus geleimtem Papier oder gummirtem Leder 
(cuir bouilli) machen, (wie die Abbildung zeigt). Und wird es mit 
Binden rings um den Kopf befestigen, oder der Kranke lässt das Haar 
lang wachsen oder trägt eine Calotte. Auch wenn der Schädel zum 
grossen Theil verloren ist, muss der Kranke eine Mütze aus gummirtem 
Leder tragen, um den äusseren Unbilden besser zu widerstehen, wie es 
beschrieben steht bei den Wunden des Kopfes.“ 


b) Die Fremdkörper. 


Die Fremdkörper werden zweimal von unserem alten Meister be- 
handelt. 

Wir lesen auf Seite 2: 

„Der Dinge, die in das Ohr eindringen können, giebt es verschie- 
dene; zunächst kleine Steine und andere kleine Körper, die nicht durch 
die Feuchtigkeit der Absonderungen im Ohr anschwellen. Um sie un- 
schädlich zu machen, muss man Oel hineingiessen, Nase und 
Mund schliessen und den Kranken durch ein Niessmittel 
niessen lassen. Und wenn man hierdurch nicht zum Ziele kommt, 
muss man versuchen, sie durch den Ohrlöffel, kleine Pincetten oder Haken 
herauszubekommen. Ist es aber eine kleine Bleikugel, so wird sie mit 
einer Kugelzange herausgezogen, wie sie bei den Wunden abgebildet 
ist, die durch Arkebusen hervorgerufen werden. So habe ich’ es gethan. 


L. Stern: Die Ohrenheilkunde des Ambroise Paré. 359 


Die Alten gaben an, man:isolle den Kopf des Kranken, wann 
letzterer schon ziemlich gpvoss. ist, auf einem Brett hängen lassen, dann 
den Kopf fest an dasselbe anschnüren, und die Stelle des Brettes, wo 
er angeschnürt ist, aufheben und senkrecht fallen lassen. 


Was mich angeht, so bin ich nicht dieser Meinung, weil durch die 
grosse Erschütterung des Gehirns die Venen, Arterien und Nerven, die 
in das Gehirn ein- und aus demselben austreten, zerreissen könnten, 
und das ausserhalb seines Gefässes befindliche Blut eitrig würde, und 
in Folge dessen der Tod eintreten könnte. 


Wenn es Kirschkerne, Erbsen oder ähnliche Dinge sind, so muss 
man sie sobald wie möglich hinausschaffen, bevor sie durch die 
Feuchtigkeit im Ohre anschwellen. Denn sobald: sie geschwollen und 
gekeimt sind, machen sie durch ihre Ausdehnung grosse Schmerzen und 
können nicht mehr als Ganzes herausgezogen werden; man muss sie 
dann beim Herausziehen in kleine Stücke brechen. Und wenn man sie 
herausgezogen hat, so muss man oleum rosat., Eigelb und andere Dinge 
in die Ohren bringen, die man als nothwendig erkannt. Wenn kleine 
Thiere in die Ohren eingedrungen sind, wie Ohrwürmer, Flöhe oder 
andere ähnliche, so wird man Essig oder Oel hineingiessen, welches sie 
bald nachher tötet.« 


Auf Seite 608 widmet Verfasser »dem auf natürliche Weise 
oder durch einen Zufall verstopften Gehörgang und den Fremdkörpern. 
die hineinfallen«, ein Kapitel: 


»Zuweilen findet man bei Neugeborenen den Eingang durch Fleisch 
oder durch eine Membran in der Tiefe oder auf der Oberfläche ver- 
stopft und zwar durch eine entzündliche Schwellung (Aposteme) !), 
Wunden oder Geschwür. Ist das Ohr in der Tiefe verstopft, so ist die 
Kur schwieriger. Man muss incidiren oder wegschneiden oder mit 
scharfen Medikamenten ätzen. Das Uebel muss sehr sorgfältig be- 
handelt werden, damit man den Kranken nicht in Krämpfe bringe und 
ihn nicht töte, da dieser Theil sehr empfindlich ist, und er dem Gehirn 
sehr nahe liegt.« 


1) Der Begriff Apostème wird folgendermassen von Paré definirt: Apo- 
stème est une disposition contre nature composée de trois genres de maladies 
assemblées en une magnitude et grandeur: C'est a scavoir intempérature, mau- 
vaise composition et solution de continuité, en laquelle il y a humeur ou autre 
natière duisible (?) à humeur, diminuant ou ebolissant manifestement l'action du 
corps, ou de la parti Affectée. 


360 L. Stern: Die Ohrenheilkunde des Ambroise Paré. 


»Die Steine und andere harten Körper werden mit eigenen Instru- 
menten herausbefördert, und wenn dies nicht glückt, so wird 
man ein wenig Süssmandelöl in die Ohren träufeln. 
Dann lässt man den Kranken husten, indem man ihn 
durch Niessmittel zum Niessen bringt; man lässt ihr 
den Mund schliessen und drückt ihm, wenn er niesst, 
die Nasenlöcher mit den Fingern zusammen. Damit durch 
die gewaltige Lufterschütterung das aus dem Ohr herausgehen kann, 
was gegen die Natur ist, indem es sich durch die Bewegung des ganzen 
Körpers einen Ausweg sucht. 


Und wenn solche Mittel nichts nützen, muss man kleine 
Incisionen in der Tiefe des Ohres machen, um den Instru- 
menten Raum zu geben, die die Fremdkörper herausziehen sollen.« 


»Und was den kleinen Ohrwurm angeht, so kann man ihn an- 
locken, wenn man die Hälfte eines süssen Apfels dicht ans Ohr hält, 
Wenn dann das kleine Thier daran nagen will, wird es plötzlich heran- 
gezogen. « 


C. Eiterung. 


»Der äussere Gehörgang wird geschwürig aus äusserem Anlass wie 
Schlag oder Fall oder durch eine entzündliche Schwellung. 


Solche Geschwüre sondern häufig grosse Mengen Eiter ab, der 
nicht von dem eigentlichen, nur kleinen und zum Theil samigen 
(spermatique) Geschwür kommt, sondern eine Entleerung des ganzen 
Gehirns ist. Bezüglich der Heilung muss man auf das Rücksicht 
nehmen, was vorausgeht und das Geschwür unterhalten kann. Man 
kann es ableiten durch Purgationen, Masticatorien und Eretina (Nasen- 
Schnupfmittel). (Paré giebt hier einige alte Recepte an, die wir nicht 
mehr verstehen). 


Was die topischen Heilmittel angeht, so muss man alle salbigen 
und öligen Dinge vermeiden; wie Galen im 5. Buch von der Methode 
bemerkt, da er gegen einen Thessalier streitet. Der brauchte Thetra- 
pharmakum bei einem Ohrgeschwür und machte es noch eitriger und 
fötider und schliesslich heilte Galen es mit den Trochisci des Andro- 
nicus, die in Essig aufgelöst waren. 

Galen sagt an gleicher Stelle, er habe solche zwei Jahre alte 


Geschwüre mit Scoria ferri geheilt, das er fein pulverte und nachher 
mit sehr starkem Essig kochte, bis es dick wie Honig wurde. 


L. Stern: Die Ohrenheilkunde des Ambroise Pare. 364 


Um den Schmutz zu beseitigen, der aus dem Ohr läuft, nehme 
man starken Essig und Ochsengalle, bringe sie zusammen und. träufie 
darin, wenn es ein wenig warm, la merde de fer, das fein in sehr 
starkem Essig gut pulverisirt ist, trockne alles und bringe es auf genannte 
Geschwüre. Das trocknet sie wunderbar, wie man durch die Erfahrung 
sieht. Sollte aber der Schmutz und der wässrige Eiter nicht heraus- 
befördert werden können, so müsste man ihn durch eine Spritze, die 
»Pyulcos« heisst, herausbefördern.« (Sie entspricht unserer Injections- 
spritze.) (S. 199). 

Merkwürdiger Weise wird das Schlusskapitel des grösseren: Ab- 
schnittes über Syphilis 

»De la surdité des oreilles«, »von der Taubheit« benannt. (S. 724). 

»Erste problematische Frage. 

Was ist die Ursache der Taubheit? 

Ist es der Umstand, dass die Membran des foramen Caecum, die 
durch den 5. Hirnnerven gebildet wird, zerrissen oder (in ihrer Thätig- 
keit) durch Flüssigkeit, die auf ihr liegt, gehindert ist? Oder beruht 
sie auf einer Dislocirung der 3 Knöchelchen? Wir müssen wohl äussere 
und innere Anlässe annehmen. Innere z. B. wären Entzündung der 
Ohren, die eine Schwellung mit Geschwür- und übermässiger und 
überflüssiger Fleischbildung hervorruft. Oder Absonderung und Schmutz, 
der sich ständig in unseren Ohren bildet, wenn sie nicht gereinigt. 
werden, der sich ansammelt und gewissermassen zu kleinen Steinen um- 
setzt, die den Gehörgang verlegen. Oder Blatternarben sowie man 
auch Syphilitische mit grossem Schmerz (pour une grande douleur) 
zuweilen das Gehör verlieren sieht. Die Taubheit kann auch ein 
Bildungsfehler oder erblich sein, wie es Ferrel im 6. Kapitel des 
5. Buches bemerkt. Dort erwähnt er eines Senators, der mit einer 
sehr gesunden Frau lauter taubstumme Kinder bekam, wofür kein Grund 
angegeben werden kann. 

Ein äusserer Anlass wäre zu starkes Geräusch des Donners, mächtiger 
Glocken oder der Artillerie, so wie man häufig Kanoniere das Gehör 
verlieren sieht, durch die gewaltige Lufterschütterung, wenn sie grosse 
Stücke abfeuern. Hierdurch zerreisst die (öfters) genannte Membran, 
und die Knöchelchen werden aus ihrem natürlichen Verhältniss gebracht. 
Dann verursacht die in den Verstecken und Vertiefungen der Trommel- 
höhle befindliche Luft dem Kranken ein Geräusch und Klingen in den 
Ohren. Dieses Geräusch hat verschiedene Abarten: Sibilus oder Zischen, 
das durch einen feinen Dunst hervorgerufen wird; Tinnitus oder 


362 L. Stern: Die Ohrenheilkunde des Ambroise Paré. 


Klingen, das :durch zu viel schleimige: Flüssigkeit entsteht. Sonitus. 
bombus oder Brausen, dessen Ursache mehr dicke und zähe Flüssigkeit 
ist. Aehnelt aber das Geräusch dem des Wassers einer Wassermühle, 
so zeigt das die Bewegung einer Flüssigkeit an, die unter den Dampf 
gemischt ist. Strepitus oder Rauschen entsteht durch eine gewaltige 
Hirnerschütterung. 


Auch durch Fall, durch Schlag auf den Kopf, durch kalten Luft- 
zug, der in die Ohren eingedrungen ist und das Gehirn erkältet hat, 
entsteht Taubheit. Sie verursacht dem Kranken grossen Verdruss wegen 
der Geräusche, die ihn beständig quälen, und die durch die Veränderung 
der Luft, welche von Natur in den Buchten der Trommelhöhle befind- 
lich ist, hervorgerufen wird. | 


Zweite problematische Frage: 


Warum sprechen die Tauben anders, als sie es vor der Erkrankung 
thaten ? | 

Thun sie es, weil das 5. Hirnnervenpaar mit dem 6.. den n. n. 
recurrentes, auch Stimmnerven genannt, communiciren (diese steigen 
herab und senden kleine Zweige zu der Lunge — dem Luftbehälter und 
der Ursache der Stimme) — und auf diese Weise die Sprache verdorben 
wird, so dass die Kranken sprechen, als ob sie den Kopf in einem 
Topf stecken hätten? | 


Alle diese Zufälle werden so gut wie möglich durch ihr Gegen- 
theil geheilt. Indessen sind die erblichen unheilbar, wie die, welche 
durch das Auseinanderzerren der 3 Knöchelchen, oder durch Zerreissen 
der am Eingang der Trommelhöle ausgespannten Haut entstehen. Auch 
kann die Taubheit, die durch eine Fleischwucherung entsteht, an- 
scheinend nicht geheilt werden.« 


Es erübrigen noch wenige Bemerkungen. 


Das Mittel, durch Niessen Fremdkörper aus dem Ohre zu eüt- 
fernen, wandte Paré auch an, wenn es sich darum handelte, Schmutz 
von der Oberfläche der Dura zu entfernen. (S. 362 u. S. 363). Das 
Kapitel der Kopfwunden und der Trepanationen wird im übrigen 
äusserst gründlich von Paré behandelt, gehört aber, da es sich aus- 
schliesslich um Traumen handelt, nicht hierher. Allenfalls sei hier der 
Rath hervorgehoben, wegen der Nähe des Gehirns keine kühlen Aus- 
spritzungen zu machen (S. 364): Die Temperatur eines Medikamentes 
muss der des betr. Körpertheiles entsprechen (der Autor exemplificirt 
dabei auf den Gehörgang S. 355). Dem Schwindel widmet Paré auf 


L. Stern: Die Ohrenheilkunde des Ambroise Pare. 363 


S. 588 ein kurzes Kapitel, ohne aber des Ohrschwindels zu gedenken. 
Dahingegen erwähnt er das dabei vorkommende Sausen. Auch erihnert 
er daran, dass Paulus von Aegina im Falle von Schwindel Einschnitte 
in die Arterien hinter dem Ohr empfohlen hat. 


Dass bei Fractura basis cranii aus dem Ohr Blut fliessen kann, 
konnte einem so scharfen Beobachter nicht entgehen. 


Merkwürdig ist, was Par& über einem Zusammenhang zwischen 
der Sterilität des Mannes und den Blutgefässen hinter dem Ohr an- 
nimmt. »Wenn durch eine Wunde hinter den Ohren gewisse Zweige 
von Jugularvenen und -Arterien zerschnitten sind, die dann nach der 
Vernarbung solide werden, kann die Samenflüssigkeit nicht hinabsteigen 
und die Hoden werden der Verbindung mit dem Gehirn beraubt, sodass 
sie von ihm weder den belebenden Geist (esprit animal) noch die 
Flüssigkeit erhalten. So wird der übrige Samen schwächlich und zu 
gering und dadurch unfruchtbar.« (S. 965). 


Es kam darauf an, dem Leser genau das mitzutheilen, was der 
Vater der französischen Chirurgie von der Ohrenheilkunde wusste. Einer 
kritischen Besprechung bedarf es nicht. Der Otologe ersah aus dem 
Vorhergegangenen selbst, was wahr und was falsch, was alt und doch 
wieder so ganz neu und darum höchst interressant an den Lehren des 
unsterblichen Paré ist. 


Bericht 


über die 
Leistungen und Fortschritte auf dem Gebiete der Ohrenheilkunde 


im zweeiten Quartal des Jahres 1897. 


Zusammengestellt von Dr. Arthur Hartmann. 


—&. 


Physiologie des Ohres. 


82. Cyon, E. von. Bogengänge und Raumsinn. Experimentelle und kritische 
Untersuchung. Arch. f. Anat. u. Physiol., Physiol. Abth. Hft. 1 u. 2, 
1897, S. 29—111. 


82) Diese wichtige Studie von Cyon, der bekanntlich nicht allein 
eine sehr sinnreiche Theorie über die Function der Bogengänge auf- 
gestellt hat, sondern auch die meisten der Thatsachen, welche den 
mannigfaltigen modernen Theorien über die Bogengänge zu Grunde 
liegen, schon vor 20 Jahren gesehen und beschrieben hat, muss jedem 
Ohrenarzt zum eigenen Studium empfohlen werden. 

C. geht davon aus, dass alle Hypothesen, welche die Bogengänge 
als ein Sinnesorgan für die Kopfhaltung, das Gleichgewicht, den Dreh- 
schwindel, die Beschleunigungs-, die statischen Empfindungen u. s. w. 
erklärten, durch die von ihm früher gezeigte Thatsache, dass alle die 
Erscheinungen, welche als Vorwand zu der erwähnten hypothetischen 
Annahme der Sinnesfunctionen in den Bogengängen führten, auch nach 
Durchschneidung der beiden Acustici fortbestehen bleiben, hinfällig 
würden. Mach, der Begründer jener Hypothese, zog sie auf Grund 
dieses Experimentes zurück, während Breuer, Ewald, Kreidl u. A. 
ihr trotzdem treu blieben. 

In der Kritik der Drehversuche von Mach, Delaye u. A. wird 
ausgeführt, dass alle jene Täuschungen, in unseren Bewegungsempfin- 
dungen, welche nach Mach den Empfindungen der Bogengänge zu- 
geschrieben wurden, sich als optische Urtheilstäuschungen erweisen. Die 
Voraussetzungen zur Verlegung der Drehempfindungen in die Bogengänge 
waren 1. dass die Erregung der Bogengänge durch Strömungen bezw. 
Druckänderungen der Endolymphe erfolge; 2. dass Veränderungen in 


Physiologie des Ohres. 365 


der Kopfstellung solche Strömungen oder Druckveränderungen herbei- 
führen müsse. Die Ergebnisse directer Versuche über die Endolymphe, 
wie Einspritzung erstarrender Flüssigkeiten in die Canäle, Compression 
der häutigen Gänge durch eingeführte Laminariastifte, Aussaugen der 
Flüssigkeit u. s. w. machen jene Voraussetzungen gegenstandslos. 

Bei der Analyse der Drehversuche an Thieren warnt C. irgend- 
welche Empfindungen vorauszusetzen, da sie gar nicht bewiesen werden 
können. Bei Drehversuchen an Fröschen, Tauben und Kaninchen stellte 
sich in Bezug auf die Kopfwendungen folgendes Gesetz heraus: Im 
Beginn der Drehung des Thieres auf einer horizontalen Drehscheibe 
um eine verticale Achse bleibt der Kopf zurück, und zwar in der 
Richtung nach links, wenn die Rotation nach rechts geschieht, und 
umgekehrt, und dies ganz unabhängig von der Stellung des Thieres auf 
der Drehscheibe. Neben der Kopfwendung tritt noch ein ruckartiger 
Kopfnystagmus und nach plötzlichem Anhalten der Rotation ein pendeln- 
der Nachnystagmus auf. Die sämmtlichen Kopfwendungen, sowie der 
Kopf- und Augennystagmus, die Breuer u. A. als reflectorisch durch die 
Bogengänge ausgelöste Symptome des Drehschwindels ansehen, bleiben 
mehr oder weniger nach Durchschneidung der Acustici, verschwinden 
aber bei Blendung des Thieres: dieselben entstehen demnach durch die 
Verschiebung des Netzhautbildes. Im übrigen weist Cyon nach, dass 
aus Breuer’s Versuchen selbst, wie auch aus Ewald’s hervorgeht, 
dass bei labyrinthlosen Thieren die compensirenden Kopfbewegungen 
fortbestehen bleiben, wenn die Gesichtswahrnehmungen nicht aus- 
geschlossen sind. Die Möglichkeit, dass der bei Rotation auftretende 
Kopf- und Augennystagmus von einer Erregung der Bogengänge abhängt, 
ist durch Cyon’s ältere Entdeckung, dass Reizung jedes halbzirkel- 
förmigen Canals pendelnde Augenbewegungen hervorruft, deren Richtung 
durch die Wahl des gereizten Canals bestimmt wird, gegeben. Aber 
folgende einfache Ueberlegung macht die Bogengangstheorie des Schwindels 
zu nichte. Wenn die Kopfbewegungen die Bogengänge erregen und die 
Erregung der letzteren den Drehschwindel erzeugt, so müssten Thiere 
und Menschen ununterbrochen diesem Schwindel ausgesetzt werden. 
Denn Erregung der Bogengänge ruft nachgewiesenermaassen pendelnde 
Bewegungen des Kopfes hervor; sollten nun letztere ihrerseits die Bogen- 
gänge erregen, so würden wir ein Perpetuum mobile erhalten. Wir 
könnten also den Schwindel und Beschleunigungsempfindungen nur durch 
zwangsartiges Fixiren des Kopfes los werden. Die elektrischen Reizungen 
des Ohrlabyrinthes eignen sich wegen der Vieldeutigkeit ihrer Erfolge 


366 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


wenig; daher auch diametrale Widersprüche bei Ewald und Breuer. 
Strehl fand, dass labyrinthlose Tauben und Fische in Bezug auf die 
Kopfneigungen bei elektrischer Reizung sich wie normale verhielten. 
Jensen beobachtete allerdings schwächere Wirkung, wenn er daraufhin 
sich mehr Ewald’s Anschauungen anschliesst, vergisst er, dass ab- 
wesende Organe weder auf sehr starke Reize reagiren, noch schwach 
reagiren können. In der Beobachtung, dass eine gewisse Anzahl Taub- 
stummer schwindelfrei zu sein scheint, wurde eine neue Stütze für die 
»statische« Function des Labyrinthes gesucht. Es ist aber logisch falsch, 
für pathologische Erscheinungen (Schwindel) ein eigenes Organ zu 
suchen. Wenn Kreidl findet, dass von 62 Taubstummen 13 einen 
Zeiger während der Rotation annähernd vertical stellen, so lässt dieses 
Ergebniss nur folgendes Dilemma zu: entweder besitzen die 13 Taub- 
stumme keine functionsfähigen Bogengänge (wie es Kreidl voraussetzt) 
und dann haben Bogengänge mit der Bestimmung der Verticalen nichts 
zu schaffen oder die Bogengänge sind die wichtigsten Organe für diese 
Bestimmung, und dann müssen die 13 Taubstummen vorzüglich func- 
tionirende Bogengänge besitzen. Die Zwecklosigkeit eines Sinnesorganes 
für Drehempfindungen wird durch den Nachweis, dass eine Reihe von 
blitzschnellen Reflexbewegungen (beim Seiltanzen, Reiten, Fechten etc.) 
nur durch Gesichts- und Tastempfindungen ausgelöst werden, neuerdings 
begründet. Der Ausschluss der Gesichtswahrnehmungen genügt 
beim normalen Frosche, um die bekannten Kopfwendungen bei der 
Drehung nicht zum Vorschein kommen zu lassen. Bei Tauben ist es 
gewöhnlich ebenso, nur bei fortgesetzter Drehung beobachtet man ganz 
schwache Kopfwendung, sowie man beim Anhalten die blendende Haube 
rasch vom Kopfe nimmt, treten sehr deutliche Nystagmusschläge des 
Kopfes wie auch der Augen auf. Bei geblendeten Kaninchen stellte 
Cyon fest, dass die sogenannten »compensatorischen Kopfbewegungen « 
entweder gar nicht oder nur durch eine schwache Kopfwendung un- 
bestimmter Richtung sich offenbaren und dass die Zwangsbewegungen 
nach schnellem Drehen beim Anhalten ganz deutlich, wenn auch nur 
in geschwächter Form auftreten, der Augennystagmus aber nur beim 
plötzlichen Einfallen von Licht erscheint. Ein Kaninchen, dem beide 
Acustici durchschnitten waren, bekam bei leiser Drehung deutlichen 
Augennystagmus, beim Aufhören der schnellen Drehung einige schwache, 
aber vollständige Rollbewegungen und sehr heftigen Augennystagmus. 
Bei 6 Wiederholungen derselben Versuche im Dunkelzimmer fehlten 
die Rollbewegungen viermal, traten aber sofort auf, sobald Licht in die 


+ , Allgemeines. 367 


Augen geworfen wurde. Es’ handelt sich demnach sowohl bei den Kopf- 
wendungen, wie auch beim Kopf- und Augennystagmus um reine Gesichts- 
phänomene. ‘ Tritt Drehung ohne Verschiebung der Netzhaut auf, so 
fallen die Kopfwendungen weg. Der Gesichtsschwindel ist als eine ge- 
sonderte Folge der Rotation zu betrachten und weder nothwendig von 
Gehirnschwindel begleitet und noch weniger mit diesem identisch. 

In früheren Abhandlungen hatte Cyon gezeigt, dass die Nerven- 
centra, denen die von diesen Canälen ausgehenden Empfindungen zu- 
geführt werden, in der Vertheilung der Innervationsstärke in entschei- 
dender Weise eingreifen. In einer polemischen Kritik von Ewald’s 
»Tonuslabyrinth« zeigt Cyon, dass von ihm und anderen die Mehrzahl 
der von Ewald mitgetheilten Bewegungsstörungen schon beschrieben 
wurden. Das Wort »Tonus« beim Labyrinth zu gebrauchen ist unerlaubt. 
Um den Bogengängen die Rolle als Tonuserreger zuschreiben zu können, 
müsste zuerst der Beweis geliefert werden, dass Zerstörung der Bogen- 
gänge, analog der Durchschneidung der Hinterstränge, eine Verlängerung 
der Muskeln und eine geringere Leistungsfähigkeit derselben erzeugt. 
Das Gegentheil tritt aber ein. Wochenlang dauert bei labyrinthlosen 
Thieren eine Exacerbation jeder willkürlichen Bewegung an. Cyon’s 
interessanten Schlussausführungen über den Raumsinn eignen sich wenig 
zum kurzen Referate. Deshalb nur folgende Hauptpunkte: Die Nerven- 
centren, in welche die in den Canälen sich vertheilenden Nervenfasern 
eintreten, stehen in innigem Zusammenhange mit dem oculomotorischen 
Centrum; folglich kann ihre Erregung in die Bildung unserer Raum- 
begriffe in entscheidender Weise eingreifen. Mit Hülfe der die Bogen- 
gänge treffenden Erregungen empfangen wir Raumperceptionen, welche 
ganz unabhängig sind von den uns durch die anderen Sinnesorgane ge- 
lieferten Empfindungen über die Lage verschiedener Gegenstände im 
Raume; im Gegentheil, erst dank unserer Vorstellungen von der Existenz 
eines uns umgebenden Raumes vermögen wir die von den anderen Sinnes- 
organen erhaltenen Empfindungen nach aussen zu projiciren. 

L. Ascher (Bern). 


Allgemeines. 


a) Berichte und allgemeine Mittheilungen. 


83. Garbini, G. Statistisch-klinischer Bericht des Bienniums 1894—96 der 
oto-rhino-laryngologischen Klinik in Rom. Archivio ital. d'Otologia etc. 

Bd. V, S. 34. 
84. Grunert und Leutert. Jahresbericht der Königl. Universitätsohrenklinik 
-~ zu Halle a. S. vom 1. April 1894/95. Arch. f. Ohrenheilk. 1897, Bd. 42, S. 233. 


368 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


85. Kretschmann. Bericht über die Thätigkeit meiner Klinik im Jahre 
1896. Arch. f. Ohrenheilk. 1897, Bd. 42, 8. 277. 

86. Stetter, Prof. Dr. Erfahrungen im Gebiete der Ohren-, Nasen- und 
Halskrankheiten (Schluss. Monatsschr. f. Ohrenheilk. No. 4, 1897. 

87. Morpurgo, E. Statistische Studie über die Krankheiten des Ohres bei 
Skrophulösen und über die Einwirkung der Seebäder. Archivio ital. di 
Otologia Bd. V, S. 113. 

88. Blake, Clarence J. Die Verwandtschaft der Ohrenheilkunde mit der all- 
gemeinen Medicin. Amer. Journ. Med. Scienc. Juni 1897. 

89. Semon, F., London. De re publica laryngologica. Arch. f. Laryngol. 
Bd. V. 


83) Die Zahl der behandelten Ohrenkranken betrug 1643, der 
Nasen- und Halskranken 1143, Besonders zu erwähnen sind die trau- 
matischen Verletzungen des Trommelfells, die malignen Tumoren im 
Nasenrachenraume und in der Nase. Der bacteriologischen Unter- 
suchung wurde eine grössere Anzahl von eitrigen Mittelohrentzändungen 


unterzogen. Gradenigo. 
84) Die beigefügten genauen Berichte über die letal verlaufenen 
Fälle verdienen im Original nachgelesen zu werden. . Bloch. 


85) Ausser einigen interessanten Öperationsgeschichten theilt 
Kretschmann seine Erfahrungen über den Werth Glutol-Schleich als 


Wundverbandmittel mit und kann dasselbe loben. In der — nicht 
operirten — Paukenhöhle darf dasselbe aber wegen seiner Quellbarkeit 
nicht angewandt werden. Bloch. 


86) Aus der Fortsetzung dieses Berichtes verdienen hier nur zwei 

Fälle von Carcinom der Gehörgangswand genannt zu werden. 
G. Killian. 

87) Morpurgo erwähnt die Anschauungen der einzelnen Autoren, 
welche den kalten Seebädern eine gefährliche Einwirkung auf das Ohr 
zuschreiben, indem sie entweder eine Reflexwirkung oder eine lokale 
annehmen. In den Seebädern sollte sieh mit. der Einwirkung der 
niedrigen Temperatur der irritirende und inficirende Einfluss der im 
Wasser enthaltenen Substanzen und Mikroorganismen verbinden. Mor- 
purgo glaubt, dass alles, was bisher über diesen Gegenstand veröffent- 
licht wurde, auf fehlerhafter Grundlage beruhe, indem grösstentheils nur 
aus der ambulatorischen Casuistik Schlüsse gezogen wurden, ohne dass 
das Leiden der Kranken vorher festgestellt worden wäre und ohne 
Garantie, dass nicht andere Ursachen vorhanden gewesen waren. M. 
stellte seine Untersuchungen im Marinehospiz in Triest an. Von 195 
Induviduen hatten 81 (41,5 %) Veränderungen am Ohr und von 390 





Allgemeines. 369 


Ohren erwiesen sich 105 (26 %) nicht normal. Als nicht normales 
Gehör wurde eine Hörweite von weniger als 6 m für Flüstersprache 
angenommen. Nach der Seebadecur boten von 188 Untersuchten 77 
(40,9 %) eine Besserung des Hörvermögens, Auch einige ÖOhreiterungen 
zeigten Besserung. Morpurgo ist deshalb der Ansicht, dass die See- 
bäder eine sehr günstige Einwirkung auf die Ohraffectionen Skrophulöser 
ausüben, insbesondere bei catarrhalischen Erkrankungen. Gradenigo. 


88) Blake bespricht die Fortschritte der Ohrenheilkunde in 
den Vereinigten Staaten. Er betont unter Ausführung statistischer 
Daten die grosse Wichtigkeit der Untersuchung des Ohres während des 
Verlaufes der exanthematischen Erkrankungen. Der Verfasser hält es 
1. für eine der Pflichten der American Otological Society darauf zu 
dringen, dass systematische Untersuchungen der Ohren der Kinder in 
unseren Taubstummen-Instituten eingeführt werden. Competente Ohren- 
ärzte müssen als Theil des Stabes jedes bedeutenden Taubstummen- 
Institutes angestellt werden. Blake emfiehlt die weitere Einführung 
von obligatorischem Unterricht in Ohrenheilkunde in den medicinischen 
Schulen. Gorham Bacon. 


89) Den fünften Band des Archivs für Laryngologie und Rhino- 
logie, der zugleich eine Jubiläumsschrift für Bernhard Fränkel ist, 
leitet Felix Semon mit einem geistvollen Essai über die laryngologische 
Literatur ein. Die Bemerkungen des Autors über die literarischen 
Figenthümlichkeiten verschiedener Nationen, über die Verwerthung der 
Literatur bei der schriftstellerischen Production, über den Prioritäts- 
streit und über Recensionen, über das Verhältniss der Specialdisciplinen 
zur allgemeinen medicinischen Wissenschaft — alle diese Bemerkungen 
haben nicht allein für die Laryngologen, sondern ebenso für die Nasen- 
und Öhrenärzte, ja zum grossen Theil allgemeine Geltung und deshalb 
empfehlen wir sie zur Aneignung und Nachachtung allen, die in der 
Medicin literarisch thätig sind. Zarniko (Hamburg). 


b) Allgemeine Symptomatologie und Pathologie des Ohres. 


90. Cowen, William. Ein Fall von objectivem Tinnitus des Ohres. New- 
York. Eye and Ear Inf. Rep. Januar 1897. 

91. Massini, G. Die auriculären Muskelkrämpfe. Archivio ital. di Otologia 
Bd. V, S. 367. 

92. Ebstein, Wilhelm, Göttingen. Einige Bemerkungen zur Lehre vom 
Ohrenschwindel. Deutsches Archiv für klin. Medicin Bd. 58 I. 

93. Barr, Thomas. Schwindel und Gleichgewichtsstörungen bei Ohrenkrank- 
heiten. British Medical Journal 1. May 1897. 

Zeitschrift für Ohrenheilkunda. Bd, XXXI. 24 


370 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


94. Capeder, C. J. Zur Casuistik der Diplacusis binauralis. Inaug.-Diss. 
Basel 1895. 

95. Alderton, H. A. Toxische Paralyse der Chorda tympani bei Mittelohr- 
operationen in Folge der Anwendung von starken Cocainlösungen. Annals 
Otology, Rhinology & Laryng. Februar 1897. 

96. Trifiletti, A. Ein Fall von Taubheit in Verbindung mit Aterom des 
Aortensystems. Archivio ital. di Otologia etc. Bd. V, S. 145. 

97. Mingazzini, G. Beitrag zur Lehre von der hysterischen Taubstumm- 
beit. Archivio ital. di Otologia etc. Bd. V, S. 177. 

98. Alt, Heller, Mayer, von Schrötter. Pathologie der Luftdruck- 
erkrankungen des Gehörorgans. Monatsschr. f. Ohrenheilk. No. 6, 1897. 

99. Simmonds, M., Hamburg. Ueber Nierenveränderungen bei atrophischen. 
Säuglingen. Deutsches Archiv £. klin. Medicin Bd. 56, XIX. 

100. Matte und Schultes. Beitrag zur Bestimmung der normalen Hörschärfe. 
Arch. f. Ohrenheilk. 1897 Bd. 42, S. 275. 


90) Bei normalem Gehör bestand ein singendes Geräusch im Ohre, 
Es konnte ein deutlicher musikalischer Ton gehört werden, wenn man 
ein Stethoskop auf die Ohrmuschel setzte, oder noch besser, wenn man 
einen Gummischlauch in den äusseren Gehörgang einführte. Der Ton 
war mit dem Herzschlag synchronisch und konnte jedes Mal unterbrochen 
werden, wenn man auf die Karotiden einen geringen Druck ausübte. 
Der Ton konnte nur durch den äusseren Gehörgang gehört werden und wurde 
zweifellos durch eine Circulationsstörung herbeigeführt. Der Patient 
war 42 Jahre alt und ganz gesund. Sorgfältige Untersuchungen auf 
Anomalien der Herzklappen und Aneurysmen der grossen Gefässe führte 
zu keinem Resultate. Gorham Bacon. 

91) Bei allen drei von Massini beobachteten Fällen bestanden ausser 
den Zuckungen der Ohrmuskeln noch fibrilläre Zuckungen in andern 
Muskelgruppen am Zäpfchen, am Orbicularis palpebrae und in der unteren 
Extremität. Ausserdem bestanden mehr oder weniger bemerkenswerthe 
gastrische Störungen, deren Auftreten mit dem der Muskelzuckungen zu- 
sammenfiel. Gradenigo. 

92) Aus Anlass der Thatsache, dass der Ohrenschwindel sehr häufig 
verkannt und mit allen möglichen Krankheitszuständen zum Schaden der 
betreffenden Patienten in Zusammenhang gebracht wird, theilt Ebstein 
einige eigene Beobachtungen vom Ohrenschwindel (9 Fälle) mit. Die 
Gehörorgane waren vom Bürkner untersucht worden: den einzelnen 
Fällen lagen theilweise Affectionen der Hörnerven bez. des Ohrlabyrintlis, 
theilweise pathologische Mittelohrprocesse zu Grunde; für letztere Fälle 
nahm Bürkner eine consecutive Drucksteigerung im Labyrinth an. 
Die Schwindelerscheinungen traten anfallsweise auf beziehentlich waren 


Allgemeines. 371 


anfallsweise verstärkt, sie waren mit gastrichen Störungen — meist mit 
Erbrechen — verbunden und characterisirten sich als Ohrenschwindel 
durch ihre Verbindung mit Schwerhörigkeit und mit oft in den Anfällen 
verstärkten, subjectiven Ohrgeräuschen. In jedem Fall von nicht mit 
Sicherheit durch andere Krankheitszustände hervorgerufenen Schwindel 
müsse man eine genane Untersuchung der Gehörorgane vornehmen. In 
seltenen Fällen könne vielleicht Schwindel mit Ohrensausen und Erbrechen 
als Vorläufer der apoplectischen Form des Ohrenschwindels schon zu einer 
Zeit bestehen, wo der Gehörbefund noch negativ sei; ausserdem sei mit 
der Möglichkeit functioneller centraler Störungen des Gehörapparates auf 
neurasthenischer und hysterischer Basis zu rechnen. Einer der ange- 
führten Krankheitsfälle interessirt besonders wegen der bestehenden 
Schwierigkeit der Differenzialdiagnose zwischen Epilepsie und Ohren- 
schwindel; ein anderer scheint für die Möglichkeit des Fortbestehens der 
Schwindelerscheinungen auch nach völliger Ertaubung zu sprechen; ein 
dritter wird als Beispiel sehr langer Dauer des Schwindels (10 Jahre) 
angeführt. Neben der Therapie des Ohrenleidens empfiehlt E. eine sorg- 
same Behandlung aller das Allgemeinbefinden irgend störenden Zustände 
und macht besonders auf die in seinen Fällen ausnahmslos beobachtete 
Complication mit spastischer chronischer Obstäpation aufmerksam, zu deren 
Beseitigung er grosse Oelklysmen empfiehlt, nicht aber die inneren 
Purgirmittel, insbesondere nicht die Mittelsalze. Chinin kommt weniger 
als T als vielmehr als Tonicum und Nervinum in Betracht. 
Walter Haenel, (Dresden). 
93) Barr bespricht den vom Mittelohr ausgehenden. Schwindel im 
Gegensatz zum Labyrinthschwindel. Schwindel in Folge von übermässigem 
Luftdruck, Ausspritzen, Druck von Seiten entzündlicher Produkte, und 
von Ausdehnung eitriger Entzüudung auf das Schädelinnere. Bei der 
Besprechung des durch Spritzen verursachten Schwindels weist er auf 
die Gefahr hin, welche Patienten mit einer Perforation beim Baden droht; 
er glaubt, dass der durch das Eindringen des Wassers ins Mittelohr 
(durch die Perforation) hervorgerufene Schwindel, wahrscheinlich die 
Schuld trägt, an dem Tod selbst erfahrener Schwimmer. 
Arthur Cheatle. 
94) Capeder analysirt einen Theil der 19 von ihm in der Litte- 
ratur anfgefundenen Fälle von Diplacusis und fügt 5 neue genaue Be- 
obachtungen aus der Siebenmann’chen Praxis hinzu. Nach Dar- 
stellung der verschiedenen Auffassungen dieser Hörstörung schliesst er 
sich derjenigen an, welche auch Mittelohraffectionen als deren Ursache 
24* 


372 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


annimmt. Von 20 Fällen mit genaueren Angaben über die Art der 
ursächlichen Erkrankung waren nur 5 frei von Mittelohraffection; nur 
in 4 Fällen bestand die Diplacusis auch bei Zuleitung des Tones durch 
den Knochen. Eine Reihe von Patienten, darunter 3 der Sieben- 
mann’chen zeigt promptes Verschwinden der Diplacusis mit Beseitigung 
der Mittelohraffection ; gelegentlich (Fall II) tritt bei beiderseitiger ner- 
vöser Schwerhörigkeit das Falschhören nur auf der einen Seite, wo das 
Mittelohr gleichzeitig erkrankte, auf (in solchem Falle vom Diplacusis 
nur auf dem einen Ohr zu sprechen, wie C. thut, ist unlogisch und 
wohl ein Versehen. Ref.). Das Auftreten von Falschhören durch Spannungs- 


anomalien ist ferner erwiesen. — Damit will C. aber die Möglichkeit 
einer labyrinthären Entstehung nicht bestreiten, nur soll sie nicht noth- 
wendig sein. Kümmel (Breslau.) 


95) Alderton berichtet über einen Fall von Paralyse der Chorda 
tympani, welche, wie er glaubt, von der Wirkung einer starken frischen 
Lösung von Cocaïn muriatic. herrührte. Die Lösung war so weit geflossen, 
dass sie den Nerv mit angriff. Die Lähmung hielt weniger als vierund- 
zwanzig Stunden an und verschwand ohne Folgen. Gorham Bacon. 

96) Ein Mann von 59 Jahren ohne frühere Syphilis bemerkt seit 
2 Jahren linksseitige, zunehmende Schwerhörigkeit, ohne Schwindel und 
Geräusche. Langsamer Puls mässiges Aterom der Arterien. Normaler 
Ohrbefund. Hörweite 2 m. Flüstersprache für die Uhr stark vermindert. 

Gradenigo. 

97) Mingazzini berichtet ausführlich über einen 20jährigen Soldaten 
bei dem schon früher verschiedene nervöse Erscheinungen aufgetreten 
waren. Derselbe wurde plötzlich taubstumm, er konnte nicht sprechen 
und keinen Brief lesen. Die Bewegungen der Zunge waren sehr be- 
schränkt. Zunehmende Heilung mit dem faradischen Strom. 

Gradenigo. 

98) Veranlassung zu dieser interessanten Arbeit gaben die Caisson- 
bauten in Nussdorf bei Wien. Es wurden aber auch die Verhältnisse 
bei Tauchern und Luftschiffern berücksichtigt. Bei steigendem Luftdruck 
treten auch bei normalen Ohren leicht Beschwerden auf, namentlich wenn 
man nicht durch Schlucken und Valsalva für raschen Ausgleich des 
Luftdruckes in und ausser dem Mittelohre Sorge trägt und wenn die 
Drurkzunahme zu rasch erfolgt. Sie bestehen in dem Gefühle der Ein- 
wärtsdrängung des Trommelfelles und schlürfenden, knisternden oder 
rauschenden Geräuschen im Ohre. Man sieht öfters eine deutliche In- 
jection der Hammergefässe oder sogar eine leichte Röthung des Trommel- 


Allgemeines. ii 373 


felles. Das hört alles meist wieder-Auf, wenn der Druck stationär bleibt. 
Die Hörschärfe ist in den Momenten des gestörten Druckgleichgewichtes 
vermindert. Die Stimme erhält bei erhöhtem Druck einen näselnden, 
metallischen Beiklang. Bei der Wiederabnahme des Luftdruckes wird 
es im Ohre leichter, man hört. eine Art «Blasenspringen» und ähnliche 
Geräusche, das Gehörorgan ist unterempfindlich, der objective Befund 
am Trommelfell weniger auffallend. Patienten mit durchlochter oder zer- 
störter Membran sind entsprechend unempfindlich gegen solche Luft- 
drnckschwankungen. Ea 

Pathologische Veränderungen traten bei verändertem Luftdruck aus 
zwei Gründen auf, erstens in Folge nicht ausgleichbarer Druckdifferenz 
zwischen Mittelohr und dem Aussenraum und zweitens in Folge von Gas- 
embolien nach zu rascher Druckabnahme. Herrscht im Mittelohre Unter- 
druck, so wird das Paukenfell eingedrückt und die Blutgefässe erweitern 
sich, es kommt zu Stauungshyperämie, an der sich noch Tube und Laby- 
rinth betheiligen. Die Folge können Transsudate und Blutaustritte sein. 
Tubenverschluss und zu rasche Druckzunahme bedingen solche Zustände. 
Auch die Ungeschicklichkeit mancher Leute oder die Unmöglichkeit 
rechtzeitig den Valsalva auszuführen kommt in Betracht. Unter be- 
sonders ungünstigen Umständen traten Zerreissungen des Trommelfelles 
und Entzündungen desselben ein. Bei stationärem Ueberdruck treten 
wohl primär keine Läsionen auf, aber solche, die begonnen haben, nehmen 
zu. Bei zu rascher Druckabnahme können ebenfalls Injectionen, Hämor- 
rhagien und Rupturen am Trommelfell vorkommen. Was die Gasem- 
bolien angeht, so treten sie nach zu rascher Decompression auf und 
machen die schwersten Störungen. Das Gas wird bei Ueberdruck in der 
Lunge in grösserer Menge ins Blut aufgenommen und bei Druckabnahme 
innerhalb der Gefässe ausgeschieden, wo es dann Circulationsstörungen 
hervorruft, indem sich die kleineren Gefässe und Capillaren mit Gas- 
blasen verstopfen. Schwere Störungen der Funktionen des Centralnerven- 
systems, Herzens, der Lungen und anderer innerer Organe erklären sich 
so. Was das Gehör angeht, so können schon die centrale Hörbahn, 
der Hörnerv und seinEndingungen nothleiden. Besonders in Betracht kommt 
bei dem Ohre noch eine Blutdrucksteigerung, welche nach der Decom- 
pression in Folge der zahlreichen Circulationshindernisse allmählich zu- 
nehmend sich einstellt. Transsudationen und Blutungen werden dadurch 
wesentlich begünstigt. Die Erscheinungen in Folge Gasembolien treten 
nach Minuten bis Stunden nach der Entschleussung auf in Gestalt von 
Schwindel, Ohrensausen, Erbrechen, Collaps,: Bewusstseinsstörungen , 


374 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


M£niere'schem Symptomcomplex, Unsicherheit im Gehen und Stehen, 
Öhrensausen. Gehen die Erscheinungen in Stnnden und Tagen zurück, so 
muss man annehmen, dass sie auf vorübergehender Ischämie beruhten. 
Eine dauernde Taubheit beruht wohl auf Blutungen oder Necrose des 
nervösen Gehörapparates. Die Verfasser haben zahlreiche Thierversuche 
vorgenommen und auch histologische Untersuchungen angestellt, wobei sie 
in entsprechenden Fällen ausgedehnte Veränderungen der geschilderten 
Art im Labyrinth fanden. Killian. 
99) Simmonds hat bei der anatomischen Untersuchung der im 
Hamburger alten allgemeinen Krankenhause an Paedatrophia gestorbenen 
Säuglinge in allen Fällen mehr oder minder schwere Degenerationen des 
Nierenpareuchyms nachweisen können. Seine Untersuchungen ersteckten 
sich auf 60 Fälle, bei denen allen dashervorstechendste Symptom die chronische 
Ernährungsstörung bildete und die Complicationen gegenüber der allgemeinen 
Störung in den Hintergrund traten. Ausgeschlossen von der Untersuchung 
hat er alle Fälle von Lues, ferner alle Fälle von an acuten Infectionskrank- 
heiten oder an starken Eiterungen, an Tuberculose, ausgedehnten Catarrhal- 
pneumonien, acuten Intestinalcatarrhen gestorbenen Säuglingen, weil in 
diesen Fällen die Schädigung der Niere durch die acute Erkrankung 
erklärt werden konnte. Auf Grund seiner Darlegungen kommt Verfasser 
zu der Ueberzeugung, dass die bei atrophischen Säuglingen ausserordent- 
lich häufig vorhandene Nierenläsion in der überwiegenden Mehrzahl der 
Fälle auf eine Mittelohrentzündung zurückzuführen sei. Nach ihm ist 
die Mittelohrentzündung mit consecutiver Nierendegeneration als eine der 
häufigsten Todesursachen atrophischer Säuglinge anzusehen. Er hat diese 
Ansicht gewonnen, nachdem er bei kritischer Betrachtung alle anderen 
etwa als Ursache für die Nierenerkrankung in Betracht kommenden 
Noxen hat ausschliessen müssen. So konnte er die schwere Ernährungs- 
störung selbst deshalb nicht als Ursache der Nierendegeneration ansehen, 
weil die pathologischen Veränderungen der Niere in keinem Verhältniss 
standen zu der Schwere und Dauer der Atrophie. Auch die Möglich- 
keit medicamentöser Einwirkung weist Verfasser zurück, da sich dieselben 
Krankheitsbilder bei den auf den verschiedenen Krankenabtheilungen ver- 
schiedenartigst behandelten Fällen fanden. Unter den Complicationen 
musste die Rachitis als Ursache ausser Betracht bleiben, weil dieselbe 
die grosse Anzahl der jüngeren, theilweise gerade mit den stärksten 
Nierenveränderungen behafteten Säuglinge nicht betraf. Die 23mal con- 
statirte leichte Catarrlipneumonie stand so wenig in einem bestimmten 
Verhältniss zur Schwere der Nierendegeneration, dass auch sie schwerlich 


Allgemeines. | 375 


als Ursache derselben gelten konnte. Die 9 an vorübergehenden leichten 
Durchfällen erkrankt gewesenen Säuglinge hatten in der Mehrzahl nur 
ganz leichte Nierenveränderungen aufzuweisen, sodass auch die intestinale 
Complication nicht in Frage kam. — Als positives Moment, welches für 
die besondere Bedeutung der Mittelohrentzündung spricht, führt Verfasser 
die Häufigkeit an, mit welcher die Mittelohrentzündung mit Exsudatbil- 
dung bei Säuglingssectionen gefunden wird (er selbst fand unter 133 
Säuglingssectionen nur 5mal die Paukenhöhlen frei von Exsndat); er 
glaubt ein fast ausnahmsloses Vorkommen der Mittelohrentzündung bei 
atrophischen Säuglingen annehmen zu dürfen. Thatsächlich hat er auch 
unter 29 auf ihr Gehörorgan untersuchten Fällen aus der Reihe der 
60 Fälle nur bei einem einzigen, an der Niere nur ganz leicht erkrankten 
Säugling die Complication mit Mittesohrexsudat vermisst. 


Eine hauptsächliche Stütze seiner Ansicht findet aber S. in dem 
Resultat der an 8 seiner Fälle angestellten exacten  bacteriologischen 
Prüfung. Fünfmal fanden sich in den aus den Nieren gewonnenen Cul- 
turen dieselben pathogenen Mikroorganismen wie im Mittelohrexsudat und 
zwar zweimal der Fränkel’sche Diplococcus pneumoniae vereint mit 
dem Bacillus pyocyaneus, einmal der Pneumococcus allein, einmal der 
Bacillus pyocyaneus und der Staphylococcus albus, einmal der Pyocyaneus 
allein. Verfasser neigt sich auf Grund. dieses Befundes der Ansicht 
Kossel’s zu, »dass der Bac. pyocyaneus, der sich beim Erwachsenen 
meist als unschuldig erweist, für den jugendlichen Körper, speciell im 
Säuglingsalter, im höchsten Grade gefährlich werden kann.« — Für die 
Fälle, in denen der Mikrobennachweis in den Nieren nicht gelingt, nimmt 
Verfasser eine Schädigung der Nieren durch die in die Circulation ge-. 
langten Producte der Mikroorganismen an. Er schliesst seine interessante 
Arbeit mit dem Hinweis, dass vielleicht auch in vielen der publicirten 
Fälle von Nierenschädigung bei Magen-Darmcatarrh nicht dieser, sondern 
die unberücksichtigt gebliebene Paukenhöhleneiterung Schuld an der 
Nierenveränderung gewesen ist. Haenel. 


100) Prüfung von 200 Soldaten in einem 50m langen, 12m breiten, 
4,5 bis 6,5mhohen Exercierschuppen mittelst Flüstersprache und zwar 
mit den Zahlwörtern 1 bis 99. Auf 45m wurden alle gut unterschieden. 
Eine Trennung zwischen hohen und tiefen, schwachen und weittragenden 
Lauten fand bei dieser Prüfung anscheinend nicht statt, auch keine Con- 
trolle im Freien. Bloch. 


376 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


co) Untersuchungs- und Behandlungsmethoden des Ohres. 
101. Iljisch, A. Ueber Doppelmassage und ihre Wirkung bei Erkrankungen 
des Mittelohres. Arch. f. Ohrenheilk. 1897 Bd. 42, S. 207. 


102. Lucae, A. Teber eine einfache Schutzvorrichtung bei der Massage des 
Trommelfells. Arch. f. Ohrenheilk. 1897 Bd. 42, S. 220. 


103. Lucae, A. Ueber eine einfache Methode, um beim Katheterismus In- 
fectionen der Mittelohrschleimhaut durch Einblasen von Nasensecret zu 
vermeiden. Arch. f. Ohrenheilk. 1897 Bd. 42, S. 223. 


104. Duel, Arthur B. Schnelle Erweiterung von Stricturen der Eustachi’schen 
Röhre durch Elektrolyse. New-York. Eye and Ear Inf. Rep. Jan. 1897. 


105. Scheppegrell, W. Durchleuchtung bei Erkrankungen der Nase, des 
Halses und Ohres. Annals of Otology, Rhinology and Laryngology. Mai 1897. 


101) Iljisch empfiehlt die früher von Krakauer und neuer- 
dings von Jankau vorgeschlagene Verbindung der Luftverdichtung im 
Mittelohr mit Luftverdünnung im Gehörgang in Gestalt rascher, leichter, 
schnellwiederholter Stösse mittelst des bereits von Jankau beschriebenen 
Ballons. Eine Besserung der Hörfunction und Abnahme der subjectiven 
Geräusche konnte er bei subacuten und chronischen Tubencatarrhen, bei 
chronischen Mittelohrcatarrhen, bei solchen mit Labyrinthaffection, bei 
Sclerosen, bei Residuen, sogar eine geringe bei Labyrintherkrankungen 
constatiren. Wenn auch aus den mitgetheilten Functionsprüfungen die 
Diagnosen nicht controllirbar sind, so erscheinen doch die nachgewiesenen 
therapeutischen Erfolge recht ermuthigend. Bloch. 


102) Man schneidet in den Schlauch des Massirapparates ein 
kleines Loch, um die Wirkung abzuschwächen. Bloch. 


103) Man bläst, während der Katheter die Nase passirt, Luft 
durch denselben, am besten mit dem Wasserstrahlgebläse oder auch 
mit dem Doppelballon, um das Eindringen von Secret in den Katheter- 
schnabel zu verhindern. Bloch. 


104) Duel berichtet über die Erfolge bei zehn Fällen von 
Strictur der Eustachi’schen Röhre. Er beschreibt den angewandten 
Apparat ausführlich, welcher aus Kupferbougies besteht, die durch 
Silberkatheter hindurchgeführt werden. Die Eustachi’sche Röhre wird 
wie gewöhnlich bougirt, wobei das Ende vorwärts geschoben wird, bis 
man den Widerstand durch die Verengerung fühlt. Der Strom wird 
dann eingeleitet, bis zwei bis fünf Milliampere gebraucht worden sind. 
Nach einem zwei bis fünf Minuten langem Contact fühlt man das 
Bougie durch die erweichte Strictur mit leichtem Druck hindurch- 
passiren. Gorham Bacon. 


Aeusseres Ohr. 377 


105) Zur Durchleuchtung der Warzenfortsatzzellen wird.eine durch 
eine Gummiröhre geschützte Lampe an den Warzenfortsatz angelegt, 
während der Gehörgang mit einem Speculum untersucht wird, von 
welchem alles Licht so viel als möglich ausgeschlossen worden ist. Der 
Verfasser behauptet, dass »die Ergebnisse der Durchleuchtung in diesen 
Fällen von anatomischen Eigenthümlichkeiten der Gegend und der 
Dichtigkeit der zu untersuchenden Zellen abhänge, welche den Werth 
dieser Methode beeinfluse. Für diagnostische Zwecke müssen die 
Warzenfortsatzzellen auf beiden Seiten in jedem Falle verglichen 
werden.« Gorham Bacon. 


Aeusseres Ohr. 


106. Mc. Carthy, G. Justin. Hämatom des Ohres. Bericht über einen Fall, 
in welchem der Staphylococcus pyogenes aureus gefunden wurde. Maryland 
Med. Journ. 1. Mai 1897. 

107. Roncali, D. V. Ueber Sarkom der Ohrmuschel. Archivio ital. di Oto- 
logia etc. Bd. V, S. 513. 

108. Friedenwald, Harry. Osteom des Gehörgangs mit Bericht über erfolg- 
reiche Entfernung einer grossen Exostose mittelst Schwartze’s Methode der 
Ablösung der Ohrmuschel. Annals of Otology, Rhinology and Laryngol. 
Februar 1897. i 

109. Lange. Victor, Dr., Kopenhagen. Ein kleiner Beitrag zur Feststellung 
einer Trommelfell-Perforation. Therap. Monatshefte Hft. 4, 1897, S. 211. 

110. Köbel. Ueber Trommelfellverletzungen, mit besonderer Berücksichtigung 
ihrer forensischen Bedeutung. Medicin. Abhandlungen. Festschr. des 
Stuttgarter ärztl. Vereins. Stuttgart 1897, S. 410. 

111. Hummel, Oberstabsarzt, München. Das Verhalten des Gehörganges Fremd- 
körpern gegenüber und die Art von deren Entfernung aus demselben 
durch den practischen Arzt. Münch. med. Wochenschr. No. 17, 1897. 

112. Barnick, O. Ueber den dauernden Verschluss überhäuteter Trommelfell- 
öffnungen. Arch. f. Obrenheilk. 1897 Bd. 42, S. 265. 


106) Das Hämatom bestand seit zwei Wochen und betraf einen 
Patienten mit organischer Dementia. Die mikroskopische Untersuchung 
und angelegte Culturen ergaben die Anwesenheit des Staphylococens 
pyogenes aureus in dem durch Incision entleerten Inhalt. 

Gorham Bacon. 

107) Roncali berichtet eingehend über die diesbezügliche Literatur 
und beschreibt einen von ihm beobachteten Fall, der von Durante 
operirt wurde. Es handelte sich um eine melanotische Neubildung bei 
einem 64jäbrigen Mann, welche an der Wurzel des Arcus zygoma- 
ticus ihren Ursprung hatte. Sehr genaue Schilderung der histologischen 
Verhältnisse. Gradenigo. 


378 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


108) Das Osteom zeigte sich bei einer 66jährigen Frau. Das 
Gehör war fast vollständig zerstört. Eine harte, weissliche Geschwaulst 
verschloss den Gehörgang gänzlich. Es bestanden beträchtliche Schmerzen. 
Die Geschwulst wurde mit dem Meissel nach Ablösung der Ohrmuschel 
entfernt. Die Patientin wurde vollständig geheilt. 

Gorham Bacon. 

109) Lange erhitzte den Kafemann’schen Apparat zum Inhaliren 
dampfförmiger Medicamente, verband ein Röhrchen des Glaskolbens mit 
dem afficirten Ohre durch ein Otoscop, lies den Valsalva’schen Versuch 
machen und sah bei bestehender Trommelfellperforation aus dem freien 
Röhrchen des Apparates die in dem Kolben gesammelten Dämpfe heraus- 
strömen. Manasse (Strasburg i. E.). 


110) Auf Grund reicher eigener Erfahrungen giebt Köbel eine 
Uebersicht der verschiedenen Entstehungsweisen von Verletzungen des 
Trommelfelles. Die vielen seltenen Vorkommnisse, die Verf. erwähnt, 
lassen sich nicht alle berichten. Besonders hingewiesen sej auf das vom 
Verf. beobachteten Durchkriechen eines unter Husten und Niesen von 
einem 1'/ jährigen Mädchen erbrochenen fingerlangen Spulwurm durch 
die Tube und das kurz vorher (eitrige Otitis med.) perforirte Trommel- 
fell. Zwei Trommelfellrupturen bei der Caissonarbeit verliefen an- 
scheinend ohne Labyrinthbetheiligung. Dass auch das plötzliche Heraus- 
schnellen des fest ins Ohr gepressten feuchten Fingers eine Trommelfell- 
ruptur veranlasste, wie Verf. sah, verdient Beachtung. — In diagnosti- 
scher Hinsicht giebt K. nichts Neues; er erwähnt wieder die von Politzer 
u. A. bereits empfohlene diagnostische Verwertbung des breiten Blase- 
veräusches bei der Luftdouche. — Referent möchte wegen der immer- 
hin möglichen Infection warnen. — Von 50 frischen Rupturen durch 
Ohrfeigen sah K. 13 am rechten, 37 am linken Trf.; 32 davon in der 
unteren Hälfte. — Um eine schwere Verletzung festzustellen, hat der 
Sachverständige eine mindestens dreimonatliche Beobachtungszeit zu ver- 
langen. — Beklagt wird, dass das Gesetz nur bei Verlust des (Gehörs 
auf beiden Ohren schwere Körperverletzung annimmt, während Seh- 
verlust auf einem Auge bereits die gleiche Auffassung nach sich zieht. 

Kümmel (Breslau). 


111) Hummel theilt eine Reihe eigener Fälle mit, bei welchen 
Fremdkörper im Gehörgange jahrelang ohne Reaction desselben liegen 
geblieben waren und warnt ungeübte Aerzte vor der Entfernung mit 
Instrumenten. Scheibe (München). 





Mittleres Ohr. 379 


112) Der Verschluss wurde nach Okuneff mit Trichloressigsäure 
hergestellt und hatte meist auch eine erhebliche Hörverbesserung: zur 
Folge, wie sich aus den Hörprüfungsbefunden ersehen lässt. Die Zahl 
der in einwöchigen Intervallen ausgeführten Aetzungen betrug in einzelnen 
Fällen 2 und 14. Bloch. 


Mittleres Ohr. 


a) Acute Mittelohrentzündung. 


113. Chincini, G. Ueber die Wilde’sche Incision. Archivio ital. di Otol. ete. 
Bd. V, S. 225. ' S 


113) Chincini wendet sich gegen diejenigen, welche die Wilde- 
sche Incision vollständig verwerfen, wenn es sich nicht um die Er- 
öffnung eines Eiterherdes handle. Er hält die Operation für nützlich, 
wenn man in Zweifel ist, ob eine Eiterung im Innern des Warzen- 
fortsatzes besteht. Gradenigo. 


6) Chronische Mittelohreiterung. 


114. Braquehaye. Cholesteatome de l’apophyse mastoide gauche, trepanation 

de l’antre et de l’oreille; Guerison. Arch. internat. de lar. d’ot. No. 2, 1897. 

115. Zeroni. Ueber Cholesteatome in einem Ohrpolypen. Arch. f. Ohrenheilk. 
Bd. 42, S. 188. 

116. Donalies. Histologisches und Pathologisches vom Hammer und Ambos. 

- Arch. f. Ohrenheilk. 1897 Bd. 42, S. 226. 

117. Moure. De l'ouverture large de la caisse et de ses annexes. Revue 
hebdom. de laryng. d’otol. ete. 18, 19, 20. 1897. 

118. Gelle. Accidents cérébraux (pseudo-meningitis) au cours d'une otorrhée 
chronique, trepanation de la mastoide. Guerison. Arch. internat. de 
laryng. d’ot. No. 2, 1897. | 


114) Das einzige Auffallende an diesem mit retroauriculärer Oefinung 
geheilten Falle von Cholesteatom ist vielleicht aus der Vorgeschichte 
der Umstand, dass Patient sich schon 20 Mal hinter dem Ohr hatte 
ineidiren lassen, weil über und in Folge einer Fistel im Knochen sich 
stets der Abscess neu bildete. G. Zimmermann (Dresden). 


115) Zeroni beschreibt einen mit Plattenepithel bedeckten, in 
Folge chronischer Mittelohreiterung bei einem 16jährigen Mädchen 
entstandenen Mittelohr-Polypen. Vom Epithel gingen in das Binde- 
gewebe tiefe, häufig verzweigte Zapfen, die in ihrem Innern meist ver- 
hornte Epidermisproducte zeigten. Diese letzteren nennt Z. Colesteatom- 
massen. Ref. hält es nicht für richtig, alle abgestorbenen Epidermis- 
zellen als Cholesteatome zu bezeichnen; der Begriff des Cholesteatoms 


380 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


würde dadurch nur noch verwirrter werden. — Wichtig ist der Nach- 
weis von zahlreichen Mitosen in den Zellen der Epithelzapfen ; es ist 
dadurch bewiesen, dass die Epithelien sich activ an der entzündlichen 
Neubildung betheiligen. In der nächsten Nähe der Epidermisschuppen 
fanden sich Riesenzellen, die als Fremdkörperriesenzellen die Aufgabe 
haben. die verhornten Massen zu zerstören. In der Gegend des Polypen- 
stieles lagen Epidermisschuppen wirr durch einander ohne besondere 
umhüllende Epidermisschicht. Dieselben denkt sich Verfasser so ent- 
standen dass compacte Epithelzapfen in toto verhornt sind, oder dass 
die umhüllende Epidermisschicht nachträglich geschwunden ist, oder dass 
drittens die Epithelzapfen nur an einem bestimmten, u. z. dem Centrum 
des Polypen zugewandten Ende verhornt sind, dass die geschlossenen 
Epithelröhren dadurch eröffnet, und die Hornschuppen von hier aus ins 
Gewebe geschoben werden. Viel einfacher wäre doch anzunehmen, dass 
diese regellos im Bindegewebe liegenden Hornschuppchen gar keine um- 
gebende Epidermisschicht gehabt haben, dass sie vielmehr von aussen 
(vom Gehörkanal) als Fremdkörper auf die Oberfläche des Polypen herauf- 
gefallen und vom Granulationsgewebe umwachsen sind; derartige Vor- 
gänge kann man ja sehr häufig an diesen Polypen beobachten. Ueber- 
haupt sind ähnliche Polypen mit Epidermisschuppen und Fremdkörper- 
riesenzellen sowohl beim Cholesteatom, als bei der gemeinen chronischen 
eitrigen Mittelohrentzündung nicht so selten, wie Verfasser annimmt. — 
Am Schlusse der Arbeit folgen noch einige kritische Bemerkungen über 
die Entstehung des Cholesteatoms,. Manasse. 
116) Beschreibung der normalen Anordnung der compacten Knochen- 
substanz, der Markräume, der Gefässanordnung, welch letztere in Ueber- 
einstimmung mit Anderen als eine reichliche bezeichnet wird. Bei der 
cariösen Einschmelzung spielt nicht der umhüllende Eiter, sondern die 
Entzündung in den Knöchelchen selbst die Hauptrolle. Spontanheilung 
erkrankter Ossicula ist relativ selten. Bloch. 
117) In anzichender Form und ausführlicher Weise bespricht 
Moure alles, was betreffs der Anatomie, der Indicationen und der 
Technik der Operationen des Mittelohrs seit langem Gemeingut aller 
Otologen geworden ist. Durch 7 Abbildungen und 19 eingestreute, 
theilweise schon publieirte Krankengeschichten ist der Aufsatz illustrirt. 
Auffallend ist wieder die grosse Anzahl, ein Drittel aller Fälle, wo 
Moure in Folge der Eiterungen entweder das Antrum nicht an seinem 
Platze oder nicht von normaler Grösse fand. Eine persistente retroauri- 
culäre Oeffnung hält er meist für unnöthig, er trägt den häutigen 


Mittleres Ohr. | 381 


Gehörgang ab, ohne ilın zur Deckung zu benutzen und näht die Muschel 
direct an den hintern Wundrand. Zimmermann. 


118) Bei einer 40jährigen Dame mit alter Otorrhoe hatten sich 


intensive Kopfschmerzen, Fieber — 40 ° und Somnolenz . eingestellt. 
Man dachte an eine intracranielle Complication. Gell& meisselte den 
Warzenfortsatz bis in Antrum auf, eröffnete aber weiter gar nicht die 
Schädelhöhle und erzielte damit völlige und dauernde Heilung. 


c) 


119. 


120. 


121. 


123. 


124. 


125. 


126. 


127. 


128. 


129. 


130. 


131. 


G. Zimmermann. 


Cerebrale Complicationen der chronischen Mittelohreiterung. 


Nichols, James E. H. Otitis media suppurativa acuta. Ostitis mastoidea. 
Epiduraler Abscess. Operation. Heilung. Manhattan Eye & Ear Hosp. 
Reports Januar 1897. 


Starr, M. Allen. Die Diagnose des Gehirnabscesses. New-York. Eye 
and Ear Inf. Reports Januar 1897. 


Poli, C. Eitrige Mittelohrentzündung. Cerebrale Erscheinungen. Explora- 
tive Craniotomie. Tuberkel im linken Hirnschenkel, Archivio ital. di 
Otologia etc. Bd. V, S. 377. 

Dench, Edward B. Intracranielle Complicationen der Eiterung des 
Mittelohres und des Warzenfortsatzes. New-York. Eye and Ear Infirmary 
Reports Januar 1897. 


‘Nichols, James E. H. Otitis media suppurativa chronica. Otitischer 


Gehirnabscess; Operation; Heilang. Manhattan Eye and Ear Hospital 
Reports Januar 1897. 

Mc. Kernon, J. F. Intracranielle Complicationen von Mittelohrerkrankung, 
mit Bericht über mehrere Fälle. New-York. Eye and Ear Inf. Rep. Jan. 1897. 


Adams, John L. Ein Fall von extraduralem Abscess nach Mastoiditis- 
Operation: Heilung. New-York. Eye and Ear Inf. Rep. Januar 1897. 


Barr, Thomas. Fall von chronischer beiderseitiger Mittelohreiterung, zum 
Tode führend durch Ausbreitung durch das Labyrinth und den Facialis 
und Acusticus auf die Schädelhöhle. Glasgow Medical Journ. April 1897. 

Ballance, Hamilton A. Ein Fall von Abscess im rechten Schläfelappen, 
verbunden mit linksseitiger Hemiplegie und Hemianästhesie durch Druck 
auf die innere Kapsel und Lähmung des rechten dritten Nerven. British 
Medical Journal 22. May 1897. 

Avoledo, P. Beobachtungen über die Craniotomie bei eiterigen Ohr- 
processen. Archivio ital. di Otol. ete. Bd. V, S. 127. 


Gradenigo, G. Ueber die Operationstechnik beim otitischen Hirnabscess. 
Archivio ital. di Otologia ete. Bd. V, S. 559. 

Gradenigo. Deux cas d'abcès cérébral otique. Ann. des mal. de l'or. 
du laryng. No. 4, 1897. 


Weissgerber. Ueber einen Fall von geheilter Sinusthrombose nach 
Mittelohreiterung. Deutsche med. Wochenschr. No. 23, 1897. 


382 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


132. Stirling, J. W. Thrombose des Sinus petrosus cavernosus und circularis 
bei Scharlach und in Folge von Otitis media purulenta acuta. Annals 
Otology, Rhinology & Laryng. Februar 1897. 


133. Rohrbach, R. (Aus der Tübinger chirurg. Klinik.) Ueber Gehirn- 
erweichung nach isolirter Unterbindung der Vena jugularis interna. 
Beiträge zur klin. Chirurgie Bd. 17, XXXII. 


119) Nichols berichtet über eine 20jährige Patientin, bei 
welcher wegen acuter Eiterung die Warzenfortsatzaufmeisselung gemacht 
wurde. Ungefähr zwei Monate später wurde die Patientin als geheilt 
entlassen. Nach drei Wochen kehrte sie jedoch mit der Klage von 
grossen Schmerzen in der Warzenfortsatzgegend zurück. Es fand sich 
eine Fistel in der früheren Warzenfortsatzwunde, welche sich nach 
innen ausdehnte und Eiter entleerte. — Die Warzenfortsatzwunde wurde 
wieder eröffnet, erweitert und Eiter und Granulationen entfernt. Eine 
Woche später zeigte sich eine Schwellung an der Schädelhaut über und 
hinter dem oberen Ende der Incision. — Es fand sich ein Stück des 
Scheitelbeins, 1° lang und °/,‘ breit, nekrotisch und losgelöst. Bei der 
Entfernung desselben ergoss sich ein Strom übelriechenden Eiters von 
der Menge ungefähr einer Unze aus der Oefinune. Die Dura war ver- 
dickt aber frei von Granulationen. Heilung. Gorham Bacon. 


120) In diesem Artikel behandelt Starr zuerst Fälle von Gehirn- 
abscess in Folge von Verletzung, die von ihm beobachtet wurden, und 
dann Fälle von Gehirnabscess im Anschluss an Ohrenerkrankung. 

Starr behauptet, dass die Diagnose von Gehirnabscess mehr von 
der Combination als der Anwesenheit von Symptomen unterstützt wird. 
Im einleitenden Zeitraum bilden paroxysmale Schmerzen, gelegentliches 
Erbrechen und ein Mangel an Concentrationskraft verbunden mit leicht 
und ungewöhnlich eintretender geistiger Ermüdung die Hauptsymptome. 
Während dieser Periode können fröstelnde Empfindungen oder deutlicher 
Frost mit Temperatursteigerung vorhanden sein. Der Ohrenfluss kann 
reichlich oder sehr spärlich sein. Manchmal hört der Fluss plötzlich 
auf. Dieses plötzliche Aufhören und das Sinken der Temperatur unter 
den Normalpunkt zwei oder drei Tage nach dem Aufhören des Aus- 
flusses, sind ganz charakteristische Symptome für die Bildung eines 
Abscesses, besonders wenn der Patient immer dabei unbestimmte 
Gehirnempfindungen hat. Im zweiten Stadium bestehen die gewöhnlich 
beobachteten Symptome in zunehmender geistiger Betäubung, Reizbarkeit, 
Unruhe, allgemeinem septischem Aussehen des Patienten mit unregel- 
mässiger oder niedriger Temperatur, beständig niedrigem Puls, ernster 


Mittleres Ohr. 383 


Störung der Verdauung, Unterschied in der Grösse der Pupillen, Neu- 
ritis optica, Facialparalyse und Zunahme der Reflexe in den Beinen 
der der Läsion entgegengesetzten Seite. — Beim Abscess im Temporo- 
Sphenoidallappen der linken Seite ist eine gewisse Form von Aphasie, 
die s. g. optische Aphasie von Freund, wenn sie vorhanden ist, von 
grosser Wichtigkeit als Symptom. Sie besteht in der Unfähigkeit, 
Gegenstände, welche gesehen und erkannt werden, zu benennen, obwohl 
ihr Gebrauch beschrieben werden kann. Professor Arnold Pick hat 
dieses Symptom der optischen Aphasie ausführlich beschrieben und hat 
es zur Grundlage der Diagnose der Localisation eines Gehirnabscesses 
gemacht, welche durch die Operation bestätigt wurde. Bei linkshändigen 
Personen wird dieses Symptom beim Abscess der rechten Seite auftreten. 
Starr schliesst damit, dass die Operation eines Gehirnabscesses, 
wenn er nach der Krankengeschichte und der Entwicklung der Symp- 
tome wahrscheinlich ist, anzurathen ist, selbst wenn die Symptome nicht 
absolut typisch seien und manche Abweichungen von der gewöhnlichen 
Form darbieten mögen, vorausgesetzt dass der allgemeine Fortschritt 
des Falles das Vorhandensein einer zunehmenden und ernsten Herd- 
erkrankung des Gehirns beweise. Der schnell zunehmende Procentsatz 
von Heilungen nach den Operationen berechtigt zu einem gewissen 
“rade von Tollkühnheit, vorausgesetzt der Chirurg beobachtet alle 
Regeln der Asepsis sehr sorgfältig, ohne die solch eine gewagte Opera- 
tion ein Verbrechen sein würde. Gorham Bacon. 
121) Kind von 18 Monaten war mit 10 Monaten an beiderseitiger 
eitriger Mittelohrentzündung erkrankt, welche auf der rechten Seite zu 
einer Fistelbildung im Warzenfortsatze führte. Später trat die Devia- 
tion des linken Auges nach aussen und oben auf, darauf Midriasis und 
vollständige Ptosis. Weiterhin Extremitätenlähmung rechts. Beider- 
seitige Papillitis und rechtsseitige Hemianästhesien. Facialislähmung. 
Bei Eröffnung des linken Warzenfortsatzes fand sich derselbe mit 
körnigem Eiter gefüllt. Die Untersuchung des Schläfelappens und des 
Kleinhirns vom Warzenfortsatze aus, hatte einen negativen Erfolg. 12 
Tage später trat der Tod ein. Bei der Autopsie fand man einen 
Tuberkel im linken Hirnschenkel und eine Meningitis, welche auf den 
linken Stirnscheitellappen beschränkt war. Gradenigo. 
122) Dench berichtet über fünf Fälle, von denen zwei bereits in 
den Verhandlungen der American Otologieal Society für das Jahr 1896 
veröffentlicht sind. Von diesen fünf Fällen betraf einer einen etwa 
22jährigen Mann mit der Geschichte einer langandauernden chronischen 


384 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


Mittelohreiterung. — Der Woarzenfortsatz war cariös und man musste 
den Lateralsinus eröffnen und einen Thrombus entfernen. Der Sinus 
wurde mit Gaze ausgefüllt. Der Patient wurde geheilt. 

Der zweite Fall betraf einen etwa 30jährigen Mann, welcher 
über heftige Schmerzen um das linke Ohr herum klagte. Die Besichti- 
gung des Trommelfells ergab ein negatives Resultat. Empfindlichkeit 
über dem Warzenfortsatz. Temperatur 37,2° F. Das Antrum wurde 
eröffnet und der Knochen erweicht befunden. Der Lateralsinus wurde 
freigelegt und leer befunden. Der Knochen wurde am Sinus entlang 
bis zur Fossa jugularis hinunter entfernt. »Der Patient hatte offenbar 
an einer localisirten eitrigen Meningitis gelitten, wobei das inficirte 
Gebiet gegen die allgemeine Schädelhöhle durch adhäsive Entzündung 
abgeschlossen war.« Heilung. 

Ein dritter Fall Aufmeisselung des Warzenfortsatzes bei einem 
zweimonatlichen Kinde mit Freilegung der Dura Am fünften Tage 
nach der Operation schien das Kind benommen zu sein und am folgen- 
den Morgen zeigten sich Zeichen von linksseitiger Facialisparalyse.. Es 
fand sich eine Oeffnung in der Dura und etwas dicker Eiter wurde aus 
dem Gehirn selbst entleert. Tod; keine Autopsie. 

Die beiden früher berichteten Fälle waren beide erfolgreich operirt 
worden. Der eine betraf einem 18jährigen jungen Mann mit chroni- 
scher Mittelohreiterung. Bei der Eröffnung des cariösen Warzenfortsatzes 
fand sich Thrombose des Lateralsinus. Der Thrombus wurde entfernt. 
-— Der andere Fall war eine infectiöse Leptomeningitis nach chronischer 
Mittelohreiterung bei einem 60jährigen Mann. Gorham Bacon. 

123) Bei einem 13jährigen Mädchen mit beiderseitiger chronischer 
ÖOhreiterung trat Schläfrigkeit, geringe Temperatursteigerung, leichtes 
Erbrechen, langsamer Puls und leichte Facialislähmung der linken Seite 
auf. — Nach acht Tagen trat sie in das Hospital ein, es wurde über der 
rechten Schläfengegend über der Temporallinie trepanirt und die Dura 
als gesund befunden. Bei der Erweiterung dieser Oeffnung nach vorn 
und unten floss eine Menge dünnen, sehr übelriechenden Eiters aus. 
Die Dura wurde incidirt und ungefähr zwei Unzen Eiters aus dem 
Temporo-Sphenoidallappen entleert. Drainage. Zur Zeit ihrer Entlassung 
vom Hospital bestand eine Gehirnhernie auf der Seite der Operation, 
welche allmählich unter dem Drucke einer beständig getragenen elasti- 
schen Binde abnalım. Sie verliess das Hospital im Februar und im 
August erhielt Nichols Nachricht ihres Todes, in Folge einer acuten 
Unterleibserkrankung. Gorham Bacon. 


Mittleres Ohr. 385 


124) Thrombose des Lateralsinus als Complication acuter 
Mastoiditis in Folge von Mittelohreiterung; Operation; Heilung. Ein 
17jähriger junger Mann hatte eine Mittelohrentzündung von fünf- 
wöchentlicher Dauer, an welche sich eine Entzündung des rechten 
Warzenfortsatzes anschloss. Später bekam er einen Schüttelfrost, hohes 
Fieber und Erbrechen. Bei der Eröffnung des Warzenfortsatzes wurde 
Eiter im Antrum gefunden. Die pneumatischen Räume waren selbst 
bis zur Spitze vollständig zerstört. Der Sinus wurde freigelegt und er- 
öffne, und man fand einen Thrombus darin. Ein freier Blutausfluss 
wurde an beiden Enden des incidirten Sinus hergestellt. Der Patient 
wurde vollständig wiederhergestellt. — Bei zwei weiteren Fällen, deren 
Krankengeschichte ausführlich mitgetheilt wird, handelte es sich um 
extradurale Abscesse, die bei der Warzenfortsatzoperation gefunden 
wurden. ‚In beiden Fällen trat Heilung ein. „n Gorham Bacon. 

125) Bei einem 55jährigen Mann wurde wegen chronischer Mittel- 
ohreiterung mit Schmerzen und Schwellung der Warzenfortsatz eröffnet. 
Das Antrum fand sich mit Eiter und Granulationsgewebe angefüllt. Es 
wurde eine Verbindung mit dem Mittelohr hergestellt. Die Temperatur 
blieb mehrere Tage nach der Operation höher als normal. Die Wunde 
war am 1. Januar 1896 geheilt. Am 14. Januar kehrte der Patient 
wieder zurück, da der Wundkanal über dem Warzenfortsatz sich wieder 
eröffnet hatte, und er begann über heftige Schmerzen der Kopfseite zu 
klagen, welche sich bis zur Stirngegend erstreckten. Da die Schmerzen 
anhielten und der Eiter aus dem Wundkanal frei ausfloss, wurde am 
30. Januar eine zweite Operation vorgenommen. Ein freier Einschnitt 
wurde so angelegt, dass der ganze Warzenfortsatz freigelegt wnrde. Der 
Wundkanal fand sich bis zur Dura ausgedehnt. Die letztere war ver- 
dickt und über einen Raum von zwei bis drei Zoll im Durchmesser 
mit einem dicken fibrinösen Exsudat bedeckt. Das Granulationsgewebe 
wurde entfernt. Eine Operationsnadel wurde in das Gehirn hinein- 
gestossen, aber kein Eiter wurde gefunden. Heilung. 

Gorham Bacon. 

126) Der 17jährige Patient kam mit intensiven Schmerzen in 
linkem Ohr und Kopfhälfte und profuser übelriechender Eiterung auf 
beiden Seiten in Behandlung. Es bestand ein summendes Geräusch im 
linken Ohr, wo sich auclı ein Polyp fand; überdies klagte Patient über 
zeitweisen Schwindel. Die Hördistanz betrug für die Uhr rechts 10 
Zoll, links 0. Der Polyp wurde in Chloroformnarkose entfernt und 
dabei Caries der hinteren Gehörgangswand constatirt. Sodann wurde 

Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXXI. 25 


386 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


Antrum und Kuppelraum eröffnet und von cariös nekrotischen Theilen, 
Granulationsgewebe und Cholesteatommassen gesäubert. Daraufhin trat 
eine mehrwöchentliche Besserung ein; dann aber stellte sich mässiger 
Stirn- und Hinterhauptskopfschmerz ein und die Temperatur stieg auf 
37,8°; plötzlich traten schwere Erscheinungen, Delirien, Erregungs- 
zustände und Temperatur von 38,9% hinzu. Es wurde nun von 
Nichols die Schädelhöhle eröffnet, wobei der Sinus sigmoidens und 
die Dura mater der mittleren Schädelgrube freigelegt, aber kein 
Eiter gefunden wurde. Daraufhin besserte sich der Zustand etwas, die 
Temperatur wurde normal und das Aussehen besser; aber bald machte 
sich Lähmung des linken Facialis bemerklich. Eine Untersuchung der 
Augen durch Thomson ergab: rechte Papille leicht hyperämisch, 
linke stark hyperämisch, physiologische Excavation verschwunden, oberer 
und unterer Rand verwaschen, die ganze Papille prominent, die um- 
gebende Retina leicht ödematös. Der linke Bulbus erschien, nach oben 
und etwas nach rechts rotirt. Es bestand Diplopie. Eine Woche später 
trat eine wesentliche Verschlimmerung ein: Delirien, Bewusstlosigkeit, 
Pulsbeschleunigung, Temperatur 40—41,8°; der Tod. erfolgte innerhalb 
8 Stunden. Die Section ergab: am linken Schläfenbein nekrotische 
Zerstörung des ganzen Labyrinths, von dem als einzige Spur ein kleiner 
loser aus einem Theil der Schnecke bestehender Sequester sich befand. 
In der Decke dieser Höhle, entsprechend der Lage der Schnecke, war 
eine cariöse Oefinung nach der mittleren Schädelgrube, jedoch bedeckt 
von gesunder Dura mater. Lamina cribriformis zerstört; der N. 
acusticus in einem zerfetzten Stumpf endigend, sein Stamm stark ver- 
dickt; Facialis im inneren Gehörgang unlösbar mit dem Acusticus ver- 
klebt und verdickt und geschwollen wie dieser; am Gangl. geniculi 
cariöser Defect in der knöchernen Bedeckung, und am hinteren Theil 
der inneren Paukenhöhlenwand völlige Zerstörung des Nerven. Im 
Innern des Schädels war die Dura mater normal, ausgebreitete Menin- 
gitis des Gross- und Kleinhirns. Arthur Cheatle. 
127) Ballance glaubt, dass der von ihm beschriebene Fall der 
erste bisher veröffentlichte ist, in welchem die Paralyse durch Betheili- 
gung der inneren Kapsel verursacht wurde. Cheatle. 
128) 1. Fall. 17 jähriges Mädchen, chronische rechtsseitige Otorrhoe, 
Fieber, Stirnkopfschmerz, Appetitlosigkeit und andere dem Ileotyphus 
ähnliche Erscheinungen. Am 8. Tage linksseitige Parese und links- 
seitige Facialisparese. Schmerzen im rechten Ohr und im Warzenfortsatz. 
Bei der Operation fand sich über dem Schläfebein ein extraduraler 


Mittleres. Ohr. 387 


Abscess: Da das Fieber andauerte wurde zwei Tage darauf der Schädel 
über dem äusseren Gehörgang geöffnet und ein Hirnabscess gefunden. 
Heilung. — 2. Fall. 21jähriger Bauer, linksseitige acute Otitis nach 
Influenza mit nachfolgender Warzenfortsatzentzündung. Ein subperiostaler 
Abscess wurde incidirt. Später treten Kopfschmerz, Fieber, Delirien, 
bisweilen Diplopie und Brechen auf. Decubitus auf der rechten Seite, 
Nackensteifigkeit, Hyperästhesie der rechten Gelenke, Sehnenreflexe auf- 
gehoben. Oedem des linken oberen Lides, Lähmung des Nerv. III und 
VIII rechts, keine Papillitis, später Blasenlähmung und Opistotonus. 
Tod am 4. Tage nachdem eine Untersuchung des linken Schläfelappens 
versucht worden war. Bei der Autopsie eitrige Meningitis mit reich- 
lichem Exsudat in der mittleren und hinteren Schädelgrube. — 3. Fall. 
1ljähriger Knabe, linksseitige chronische Otorrhoe,: Fieber, Schmerzen 
im Nacken, Zittern in den rechten Gliedern ; später linksseitige Facialis- 
lähmung und Paresis der linken unteren Extremität, Nackensteifigkeit. 
Bei der Operation Eiter im Mittelohr und im Warzenfortsatz. Kleiner 
perisinuöser Abscess, Abscess im linken Schläfelappen. Heilung. — 
4. Fail. 14jähriges Mädchen, linksseitige chronische Mittelohreiterung, 
Auftreten von Fieber, Schwindel, heftigen Ohrgeräuschen, linksseitiger _ 
Kopfschmerz, Nackensteifigkeit. Contractur des rechten Armes. Bei 
der Operation des linken Schläfenbeins wurde ein extraduraler perisi- 
nuöser Abscess eröffnet. Heilung complicirt mit einer Infection der 
Wunde. Gradenigo. 
129) Gradenigo beantwortet folgende Fragen: 1. kann die 
locale Behandlung der chronischen Mittelohreiterung die Entwicklung 
oder die Entstehung der endocraniellen Complication herbeiführen? Es 
kann durch die Behandlung Schaden herbeigeführt werden, wenn dieselbe 
nicht auf den Grundsätzen der allgemeinen Chirurgie beruht. 2. Welche 
Gefahren sind in Fällen von zweifelhafter Diagnose mit einem explora- 
tiven Eingriff verbunden? Diese Gefahren werden einzeln angeführt. 
3. Welcher Weg soll genommen werden beim Aufsuchen und bei der 
Eröffnung eines Schläfelappenabsceses? Gradenigo beschreibt die 
combinirte Eröffnung durch das Tegmen tympani und durch die Schuppe 
und berichtet über einen Fall, in welchem er die Eröffnung etwas über 
und vor dem knöchernen Gehörgang gemacht hat. 4. Ob man beim 
Aufsuchen des Abscesses den Troicart oder das Messer benutzen soll 
und ob man zuerst die Dura mater spalten soll, richtet sich danach, 
ob man eine Eiteransammlung nur vermuthet oder dieselbe als fest- 
stehend betrachtet. 5. Bezüglich der Nachbehandlung soll eine gründ- 


25* 


388 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


liche Säuberung und eine entsprechend zu erneuernde Drainage mit Jodo- 
formgaze vorgenommen werden. Gradenigo. 
130) In beiden Fällen bestanden doppelseitige Neuritis optica und 
schwere Hirnsymptome; beidesmal war die Ohreiterung durch das 
Tegmen durchgebrochen und wurde die Schädelhöhle ausser vom Mittel- 
ohr auch von aussen durch die Schuppe hindurch eröffnet. Aber nur 
in einem Falle wurde entsprechend der 3. Schläfenwindung Eiter 
gefunden, das andere Mal beschränkte er sich auf eine etwa 1 cm 
tiefe Höhle direct über der fistulös durchbrochenen Dura. In beiden 
Fällen Heilung, im zweiten nach Abstossung des grösseren Theiles der 
nekrotischen Schnecke. Zimmermann. 
131) 20jährige Patientin erkrankte nach Angina an Otitis media 
acuta. Die Entzündung scheint nach wenigen Tagen abgelaufen zu sein. 
Nach 10 Tagen erneute Schmerzen und Fieber, nach weiteren 4 Wochen 
der erste Schüttelfrost. Bei der Eröffnung des Warzenfortsatzes zeigt 
sich wenig Eiter und Granulationen. Die Schüttelfröste hören nicht 
auf. Deshalb wird nach einigen Tagen die Vena jugularis unterbunden, 
der Sinus freigelegt, geöffnet und der eitrige Inhalt entleert. Die 
Schüttelfröste hören jetzt auf, die anfänglich bestandene Facialisparese 
geht spontan zurück und der Fall geht in Heilung aus. Noltenius. 
132) Stirling’s Patient, ein 17 monatlicher Knabe, bekam eine 
acute Mittelohreiterung während eines Anfalles von Scharlach. Das 
linke Ohr war ergriffen und die Gewebe über dem Warzenfortsatz waren 
ödematös. Die Weichtheile wurden incidirt und ein Theil der hinteren 
Wand des äusseren Gehörganges weggeschnitten. Drei Tage später 
entwickelte sich Oedem des linken oberen Augenlides und einen Tag 
später begann das rechte obere Augenlid zu schwellen. Das Kind wurde 
comatös. Die Temperatur fluctuirte sehr stark, wobei sie auf 40,5° 
stieg. Bei der Section fand sich Thrombose des linken Sinus petrosus 
superior, der Sinus cavernosus und circularis. Gorham Bacon. 
133) Bei der Operation eines metastatischen Drüsencarcinoms an 
der linken Halsseite einer 57 jährigen Frau wurde die Vena jugularis 
interna unterbunden. Die Patientin erwachte aus der Narkose nicht 
mehr zu vollem Bewusstsein und starb nach 6 Tagen. Die Section 
wies als Ursache der Circulationsstörung im Gehirn eine ganz unvoll- 
kommene Entwickelung des rechten Sinus transverus und der rechten 
Vena jugularis interna nach (Sinus transversus: ein nur stricknadelweites 
Rohr; der Sulcus für den Sinus vollständig fehlend; Vena jugularis 
interna unter der Schädelbasis nur etwa für einen Rabenfederkiel durch- 


Nase und Nasenrachenraum. 389 


gängig). Unter 91 von R. zusammengestellten Fällen von Unterbindung 
der Vena jugularis interna ist der angeführte Fall der einzige, in 
welchem die Ligatur zu tödtlicher Gehirnerweichung führte. 

Haenel. 


d) Sonstige Mittelohrerkrankungen. 


134. Mounier. Du traitement chirurgical dans l’otite moyenne söche. Arch. 
internat. de laryng. d’ot. No. 3, 1897. 

135. De Rossi, Carlo. Beitrag zur Chirurgie des Mittelohres. Archivio ital. 
di Otologia etc. Bd. V, S. 441. 


134) In allen Fällen, wo der negative Rinne nach der Paracen- 
tese positiv wird, kann man den Patienten von der Operation eine Ge- 
hörsverbesserung versprechen; in allen anderen hartnäckigen Fällen 
kann man die Operation wenigstens versuchen. Die Operation besteht 
nach Abtragung von Trommelfell und Hammer in der Abmeisselung 
des äusseren Attikus und eines Theils der hinteren Gehörgangswand 
vom äusseren Gehörgang aus mittelst des von Mounier angegebenen 
Protecteur gouge (cf. d. Zeitschr. XXX, IV, S. 389). Strenge Anti- 
sepsis ist nöthig, um jede Eiterung und ihre Folgen zu vermeiden. 
Mounier behauptet, es habe sich nach der Operation das Gehör für 
die Sprache im Verhältniss von 1:4 gehoben; Angaben über die Zahl 
der bisher Operirten und Krankengeschichte fehlen, werden aber für 
später versprochen. Zimmermann. 

135) Vier Beobachtungen von Stapedectomie aus der Klinik in 
Rom. De Rossi ist der Ansicht, dass die Herausnahme des Steig- 
bügels, sowie alle Operationen an den Gehörknöchelchen vom Gehörgang 
aus gemacht werden können und dass die Stapedectomie ohne Gefahr 
für die Kranken ausgeführt werden kann. Nach dem bei seinen ope- 
rirten Fällen erreichten Resultaten kann sich de Rossi weder für noch 
gegen die Operation aussprechen. | Gradenigo. 


Nase und Nasenrachenraum. 


a) Allgemeine Symptomatologie und Pathologie. 


136. Namara, Mc. J. Enuresis nocturna. Entfernung von Nasenpolypen. 
Heilung. British Medical Journal März 1897. 

137. Jankelevitch. Hémorrhagies et épistaxis ayant pour cause les végé- 
tations adenoides. Revue hebdom. de laryng. d’ot. etc. April 1897. 

138. Bobone, T. Das nasale Asthma. Archivio ital. di Otol. ete. Bd. V, 
S. 241. 

139. Bayer. Pathogénie des affections nasales et d'origine nasale. Revue 
hebdom. de lar. d’ot. No. 25, 1897. 


390 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


140. Fraser. Eiterige Meningitis mit Kleinhirnabscess. Glasgow Pathological 
& Clinical Soc. 8. Febr. 1897. 

141. Fränkel, E. Der abnorme Hochstand des Gaumens i in seinen Beziehungen 
zur Septumdeviation und zur Hypertrophie der Rachendachtonsille. Inaug.- 
Diss. Basel 1896. 

142. Lenhardt. Occlusion complete des narines par cicatrices de syphilides 
tertiaires. Ann. des mal. de l’oreille du larynx No. 4, 1897. 


136) Ein Mann, der seit 20 Jahren an nächtlicher Incontinentia 
gelitten hatte, war in der 1. oder 2. Nacht geheilt, nachdem von Mac 
Namara ein Nasenpolyp entfernt worden war. Cheatle. 

137) Zwei Patienten hatten zuweilen Blut im Auswurf und eine 
dritte davon litt an häufigem Nasenbluten; bei allen dreien diagnosti- 
cirte Jankelevitch durch Digitaluntersuchung adenoide Vegetationen 
und hält sie für die Ursache. Für diese Ansieht fehlt leider der Be- 
weis, der durch eine erfolgreiche Operation zu erbringen gewesen wäre; 
die ist aber in keinem Falle gemacht. Zimmermann. 

138) Man kann nach Bobone in den nasalen Veränderungen 
nicht die bestimmte Ursache eines nasalen Asthma finden. Man braucht 
einen zweiten, ausserhalb der Nase liegenden Factor, d. i. der nervöse 
Zustand des Patienten. B. berichtet über diesbezügliche Beobachtungen 
und betont die Wichtigkeit einer enteprecnonden allgemeine Behändlung 
neben der localen. Gradenigo. 

139) Bayer erinnert wieder daran, dass das Asthma nasalen Ur- 
sprungs sein kann; er bespricht zu diesem Zwecke ganz genau die 
Anatomie der Nase, ihre Blutvertheilung und Nervenversorgung von Seiten 
des Trigeminus und Sympathicus, hebt die Wechselwirkungen im Ver- 
hältniss zur Neurasthenie hervor und erörtert ausser den neuralgischen 
Folgeerscheinungen vor Allem die Fernwirkungen in mehreren Organen, 
die so ziemlich alle betroffen werden können; so behauptet er Fälle von 
Amenorrhoe, Glycosurie u. a. durch Beseitigung der verschiedenartigsten 
zu Grunde liegende Nasenstörungen geheilt zu haben. Zimmermann. 


140) Es handelte sich um einen 12 jährigen Knaben, der an Menin- 
gitis und Kleinhirnabscess starb. Das Mittelohr war beiderseits normal, 
dagegen fand sich die Nasenschleimhaut ulcerirt. In der letzten Zeit 
hatte man jauchigen Ausfluss aus der Nase bemerkt. Cheatle. 


141) Fränkel referirt sorgfältig die bisher geäusserten Auffas- 
sungen über die Beziehungen der Kieferdeformationen zur Hypertrophie 
der Rachenmandel und schliesst daran Tabellen, in denen von 29 Pat. 
mit Septumdeviation, 60 mit Hypertrophie der R-T, 44 ohne diese 





Nase und Nasenrachenraum. 391 


beiden Erkrankungen genaue Angaben über Zahnstellung, Breite und 
Höhe des Gaumengewölbes, Beschaffenheit des Septum, Vorhandensein 
rachitischer Symptome gegeben werden. Messungen wurden unter Anleitung 
von Siebenmann mit einem von diesem angegebenen Palatometer 
angestellt; das Instrument besteht aus zwei gekreuzten Branchen, deren 
eine eine auf die ersten Praemolares aufzusetzende und deren Ent- 


fernung messende Querstange trägt, während die andere die Höhe des 
Höhe >< 100 


| , Breite 
beträgt normal bei Erwachsenen 46, bei Kindern bis 15 Jahren 44 im 


Mittel (Max. 72, Min. 35, also, im Gegensatz zur Angabe des Verf.’s, 
starke Schwankungen). Bei Septumdeviation beträgt er im Durch- 
schnitt 56 (Max. 90, Min. 37, in 19 von 23 Fällen über dem nor- 
malen), doch entsprecht der grösste Index nicht immer der stärksten 
Verbiegung. Abnormitäten der Bezahnung in 20°/, der Deviationen, 
aber nie die von Trendelenburg und Schaus beobachtete wink- 
lige Knickung des Alveolarbogens. Die Deviation hält F. für eine 
Folge der Erhöhung des Gaumens. Für adenoide Vegetationen der 
Durchschnittsindex = 46, also — der Norm; von 53 Pat. 26 Mal über, 
25 Mal unter ihr, 2 Mal gerade = der Norm; seine Grösse unabhängig 
von der der hypertrophischen R-T. Zahnstellungsanomalien in 30, 
Septumdeviationen in 22°/, der Fälle; Knickung des Alveolarbogens 
nur hei 3 von 60 Pat., Spitzbogenform kein einziges Mal gefunden. 
Die verschiedenen Abweichungen oft, aber in keinem Falle alle gleich- 
zeitig combinirt. — Die vom Verf. gegen den Einfluss der Wangen- 
spannung und des Luftanpralls beim Mundathmen geltend gemachten 
Gründe (p. 53, 54) scheinen dem Ref. nicht beweiskräftig. — Verf. 
hält die Abnormitäten des Kieferskelets mit Siebenman.n für ererbt, 
sie und der enge Bau der Nase disponiren zur Vergrösserung der Rachen- 
mandel. Das besonders häufige Zusammentreffen beider Abnormitäten 
bestätigt sich nach F.’s Untersuchungen nicht, wenigsteus nicht für die 
Baseler Bevölkerung, vielleicht sind Rasseverschiedenheiten Schuld an 
dem anderorts beobachteten auffallend häufigen Zusammenvorkommen 
von Hypertrophie der R-T. und den erwähnten Abnormitäten. — Ref. 
kann sich nach den Eindrücken, die er an den Breslauer Patienten 
gewonnen hat, nur der Auffassung von Körner und seinen Schülern 
dass die Hypertrophie der R-T. die erwähnten Deformationen verur- 
sache, anschliessen, doch verfügt er bisher nicht über ein beweiskräftiges 
Zahlenmaterial. Kümmel, 


Gaumendaches an der höchsten Stelle misst. Der Index 


392 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


142) Die Narben hatten sich aus grossen Ulcerationen der Nasen- | 
flügel entwickelt und hatten zu einem vollständigen Aneinanderlegen 
und theilweiser Verwachsung der Nasenöffnungen geführt. Daneben war 
es in Folge einer Perforation des Septum zu einer Abkrümmung der 
Nasenspitze nach unten zu gekommen. Auf der schwerer ergriffenen 
linken Seite war es Lenhardt nicht möglich, weder durch Galvano- 
kaustik, noch durch Tampons, noch durch Tuben ein dauerndes Offen- 
halten zu erreichen und der Kranke schied ungeheilt aus der Behandlung. 

Zimmermann. 


b) Untersuchungsmethoden und allgemeine Therapie. 


143. Katzenstein, Berlin. Die Autoskopie des Nasenrachenraumes. Arch. 
f. Laryngol. Bd. V. 

144. Jankau, Ludwig, Dr. Eine neue Methode der Vibrationsmassage der 
Nase. Monatsschr. f. Ohrenheilk. No. 5, 1897. 

145. Tausch, München. Zur Behandlung des Heuschnupfens. Münch. med. 
Wochenschr. No. 25, 1897. 

146. Fränkel, B. Tamponträger für den Nasenrachen. Arch. f. Laryngol. 
Ba. IV. 

147. Rethi, L., Wien. Ueber Zufälle nach Nasenoperationen. Arch. für 
Laryngol. Bd. IV. 

148. Sänger, M., Magdeburg. Eine einfache Vorrichtung zur Beseitigung der 
durch abnorme Communication zwischen Mund und Mundtheil des Rachens 
einerseits und Nase und Nasentheil des Rachens andererseits bedingten 
Sprachstörung. Deutsche Zeitschr. f. Chirurgie Bd. 44, XVI. 


143) Zur Besichtigung des Nasenrachens lässt Katzenstein den 
Patienten sich niederlegen und len Kopf über die Kante hängen während 
die Zunge, wie beim Laryngoskopiren, herausgezogen wird. Dann geht 
er mit einem dem Desmarreschen Augenlidhalter ähnlichen Haken hinter 
das Zäpfchen und zieht den weichen Gaumen mit „nicht beträchtlichem 
langsamem, stetig zunehmendem Zug“ soweit wie möglich nach vorn und 
unten. Dadurch werden der Reihe nach die Abschnitte der Hinter- und 
der Seitenwand der directen Besichtigung erschlossen. Neben den Vor- 
theilen für die Diagnostik ermöglicht diese Methode es unter Besich- 
tigung Tumoren der Hinterwand zu operiren und den Katheter 
vom Munde aus in die Tube zu führen. Zarniko. 

144) Die Vibrationsmassage von Jankau besteht in der Anwen- 
dung kleiner Gummiballons, welche in entsprechender Grösse in die Nase 
eingeführt werden und mit einem von Jankau angegebenen (Dentsch med. 
Wochenschr. 1896 Nr. 49) Doppelmassageballon in Verbindung stehen. 
Der letztere kann anstatt mit der Hand vermittelst eines Electromotors 


Nase und Nasenrachenraum. 393 


bewegt werden, J. massirte jeden zweiten Tag 2 Minuten äang und hebt. 
besonders den schonenden Charakter des Verfahrens hervor Killian. 

145) Einathmung zerstäubter Soole, anfangs 2 Mal täglich eine halbe 
Stunde lang brachte bei einem Familienmitgliede des Verfassers nach 
vergeblicher Anwendung anderer Medikationen schnelle Besserung. 

| Scheibe (München). 

146) Fränkel hat dem bekannten Baginsky’schen Tampon- 
träger die Krümmung des Gottstein’schen Messers gegeben und giebt an. 
wie man mit diesem Instrument leicht und ohne den Kranken zu be- 
lästigen den Nasopharynx auspinseln könne. Zarniko. 

147) Rethi entfernte bei einem 62jährigen Manne innerhalb 6 
Tagen in 5 Sitzungen reichliche Mengen von ödematösen Fibromen. 
3Mal (am 1., 3. und 6. Tage) musste er die Nase tamponiren, weil sie 
stark blutete.e Am 6. Tage Kopfschmerz. Bald darauf Somnolenz, linke 
Pupille gar nicht, die rechte träg reagirend; Subparese des rechten Arms 
Schmerzen im Ellbogengelenk; am rechten Bein und am rechten Arm 
mehrere geröthete und infiltrirte Hautstellen. Blutcylinder und Blut- 
zellen, Eiweiss und Methämoglobin im Urin. Mässige Temperaturer- 
höhung, Pulszahl nicht vermehrt. Am 11. Tage nach der 1. Operation 
Exitus. Section: Eitrige Convexitätsmeningitis links, Thrombophlebitis 
einer pialen Vene, Pyämie mit Metastasen im rechten Ellenbogen und 
Kniegelenk und in der Haut der rechtsseitigen Extremitäten. In der 
Nasenhöhle und in den Keilbeinhöhlen dünnflüssiger Eiter. 

Verfasser glaubt, dass der nnglückliche Ausgang einer verhängniss- 
vollen Verkettung von Zufällen zuzuschreiben sei und misst der wieder- 
holt angewandten Tamponade keine Schuld bei. Zarniko,. 

148) Saenger empfiehlt für die Fälle, bei denen sich keiner der 
gebräuchlichen Obturatoren anbringen lässt, die Anwendung seiner „Nasen- 
ventile“. Das sind zwei Röhrchen von ovalem Querschnitt entsprechen- 
der Grösse, an deren einem Ende eine sich nur nach innen öÖffnende 
Thür nicht luftdicht eingefügt ist. Die Röhrchen werden mit ihrem 
freien Ende voran direct in die beiden Nasenseiten eingeführt, dass die 
Thüre völlig freie Inspiration durch die Nase gestattet, während sie bei 
der Exspiration durch ihren Schluss den Luftweg durch die Nase verengt. 
Das Maass der Verengung lässt sich im einzelnen Fall durch Offenlassen 
beziehungsweise Verkleben einiger in der Thüre befindlicher Luftlöcher 
beliebig anpassen. 

Bei einem 7 jährigen Kinde mit Spaltung des weichen Gaumens 
wurde die vorher zum grossen Theil unverständliche Sprache durch die 


394 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenkeilkunde. 


Anwendung der Nasenventile vollkommen deutlich. Insbesondere konnten 
die: Verschlussleute, welche vorher dem Kinde ganz fehlten, gut hervor- 
gebracht werden. Die Instrumente sind in 3 Grössen bei Karl Bort- 
feld, Magdeburg, Dreienbretzelstr. 16 zu haben. Haenel. 


c) Nasenscheidewand). 


149. Gouguenheim, Paris. Ueber die entzündlichen Abscesse der Nasen- 
scheidewand. Arch. f. Laryngol. Bd. V. 

150. Schmidt, M., Frankfurt a. M. Weitere Erfahrungen über die Behandlung 
der Unregelmässigkeiten der Nasenscheidewand mittelst der electrisch 
getriebenen Sägen. Arcb. f. Laryngol. Bd. V. 

151. Griffin, E. Harrison. Verbiegungen der Nasenscheidewand. New-York. 
Med. Journ. 12. Juni 1897. 

152. Butts, Hoyle H. Eine Operation zur Geraderichtung äusserer und innerer 
Verbiegungen der Nase. New-York. Med. Journ. 22. Mai 1897. 

153. Wallcisek, Kurt, Dr. Ueber den „blutenden Polypen der Nasenscheide- 
wand“. Monatsschr. f. Ohrenheilk. No. 4, 1897. 

154. Egger. Contribution à l'étude dea tumeurs vasculaires de la cloison 
nasale. Ann. des mal. de lor. du lar. No. 6, 1897. 


149) 6 neuerlich von ihm beobachtete Fälle geben Gouguenheim 
Anlass, sich des Näheren über die Abscesse der Nasenscheidewand zu 
verbreiten. Den deutschen Rhinologen ist diese Erkrankung seit längerer 
Zeit gut bekannt, besonders seitdem sie im 2. Bande des Archivs f. 
Laryngol. von Fischenich und von Kuttner ausführlich erörtert ist. 

Zarniko. 

150) Seine neueren Erfahrungen über die Anwendung der elek- 
trisch getriebenen Trephinen und Sägen bei der Behandlung der Ver- 
biegungen und Verdickungen der Scheidewand und der Synechienbildung 
lassen Schmidt diese Instrumente nochmals warm empfehlen. Bei 
richtiger Wahl der Säge ist die Operation schnell und wenn gehörig 
cocainisirt ist, schmerzlos auszuführen. Perforationen lassen sich nicht 
immer vermeiden. Ebenso treten zuweilen starke Blutungen ein, denen 
Verf. aber durch sorgfältige Tamponade mit Erfolg entgegentritt. Die 
Details sind im Original nachzulesen. Zarniko. 

151) Griffin theilt die Verbiegungen in diejenigen des oberen 
mittleren und unteren Nasengangs und in knorpelige. Unter 250 auf- 
einander folgenden Nasen- und Halsfällen fand er 192 Verbiegungen 
133 bei Männern und 59 bei Frauen, 86 nach rechts und 78 nach 
links, 28 S-förmige und 49 von Verletzung herrührende. Bei zwei 
Fällen wurden die Verbiegungen bei Kindern von 5 resp. 6 Jahren ge- 
funden. Nur 13 Patienten klagten über Verengerung und 27 über 


Nase und Nasenrachenraum. 395 


Symptome. Die untere horizontale Abtheilung war in 124 Fällen, die 
obere in 16 ergriffen. — Die mittlere Muschel war mit' 26, die, unterc 
und mittlere zusammen in 29 Fällen berührt, der obere Nasengang 
war in 2 Fällen verengt. Für die Operation gebraucht er Säge und 
Messer mit Vorliebe. | Toeplitz. 


152) Butts giebt eine klare Beschreibung der von Ash ange- 
gebenen Operation und gute Abbildungen der dabei gebrauchten In- 
strumente. Bei Fällen von Verbiegung mit hässlicher äusserer Ent- 
stellung und mit Drehung der Nasenspitze ergänzt er die Operation von 
Ash durch einen Bistourischnitt den oberen beiden Bruchstücken ent- 
lang an ihrer Vereinigung mit dem Nasenrücken. Nur in diesen Fällen 
legt er eine kleine Röhre in die der Verbiegung gegenüberliegende 
Seite ein. Toeplitz. 


153) Der blutende Septumpolyp ist nach Wallcisek ein gut- 
artiger gefässreicher Bindegewebstumor, der beim weiblichen Geschlecht 
häufiger vorkommt und wahrscheinlich andauernde mechanische Reize 
zur Ursache hat. | | Killian. 

154) Egger beschreibt einen Fall von Tumor bei einer 71 jähr. 
Frau, der sich innerhalb 6 Wochen unter häufigem Nasenbluten ent- 
wickelt und zu einer völligen Ausfüllung des rechten Nasenloches ge- 
führt hatte. Er war etwa kirschgross, liess sich leicht mit der Sonde 
umkreisen, sass vorn oben am Septum und präsentirte sich äusserlich 
als Angiom. Mikroskopisch zeigte sich unter einem dicken theilweise 
verhornenden Plattenepithel eine Masse neugebildeter Gefässe, deren 
Bildung aus interstitiellen Blutergüssen durch Organisation derselben 
deutlich nachweisbar war. Egger nennt den Tumor deshalb hämor- 
rhagischen Polyp. Eine erschöpfende kritische Litteraturangabe der 
bisher beschriebenen gefässreichen Neubildungen .der Nasenscheidewand 
beschliesst den Aufsatz. Zimmermann. 


d) Sonstige Erkrankungen der Nase. 


155. Shastid, Thomas H. Eucain bei atrophischer Rhinitis. Medical Record 
10. April 1897. 

156. Vedova, D. della. Ueber die Differenzialdiagnose der chronischen Rhinitis 
und Ozäna und über die antiozänatöse Behandlung. Archivio ital. di 
Otologia Bd. V, S. 169. 

157. Molinié. Trois cas d’ozene gueris par les injections hypodermiques de 
sérum de Roux. Ann. des mal. de l'oreille du larynx No. 4, 1897. 

158. Gradenigo. Sur le traitement de l'ozène. Ann. des mal. de Toreille 
du larynx No. 6, 1897. 


396 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


155) Stastid behauptet, dass durch die freie tägliche Anwendung 
einer 5 procentigen Eucainlösung die Schleimhäute bei der atrophischen 
Rhinitis voller und gefässreicher werden. Toeplitz. 

156) Die Differentialdiagnose wird nach der bacteriologischen 
Untersuchung des Secretes gestellt. Der Name der Rhinitis fötida 
chronica atrophicans sollte nur der durch den Pseudodiphteriebacillus 
verursachten Erkrankung gegeben werden. Derselbe fehlt bei andern 
Nasenerkrankungen. Vedova bestätigt auf Grund von neuen Unter- 
suchungen die Wirksamkeit der Behandlung mit Antidiphtherieserum. 

` Gradenigo. 

157) Drei schon lange vorher vergeblich behandelte Fälle von 
ausgesprochener Ozäna bildeten sich unter ausschliesslicher Behandlung 
mit Roux’schem Serum vollständig zur Norm zurück; selbst von der 
früheren Atrophie war nichts mehr zu entdecken. Die Zahl der Ein- 
spritzungen betrug höchstens 19, jedesmal 10 bis 15 Cubikcentimeter. 

Zimmermann. 

158) Gradenigo hält die Serumeinspritzungen bei der Ozäna 
für unwirksam, jedenfalls für unzuverlässig; er hat deshalb nach dem 
Vorgehen Durantes und in der Annahme, dass wie bei der Sclerose 
des Mittelohrs so auch bei der Ozäna häufig eine Diathese zu Grunde 
läge, intramuskuläre Jodeinspritzungen versucht und rühmt die Erfolge. 

Zimmermann. 


e) Fremdkörper in der Nase. 

159. Hill, Wm. Fall von Rhinolith und Rhinitis caseosa. Proceedings 

Laryngological Society London 10. März 1897. 
160. Folkes, H. M. Würmer in der Nase. Medical Record 8. Mai 1897. 

159) Hill’s Patientin, eine 42 jährige Person litt an rechtsseitiger 
Nasenverstopfung, Fötor, Kopfweh und Schwerhörigkeit des rechten 
Ohres. Die Nasenhöhle war angefüllt mit einer glaserkittähnlichen 
Masse; nach ihrer Entfernung fand sich, dass das Septum perforirt 
war, dass die nasale Wand der Oberkieferhöhle und die untere Muschel 
fehlten und dass die käsigen Massen sich bis ins Antrum erstreckten 
Der Boden des unteren Nasengangs war von einem harten Körper ein- 
genommen, der sich als Rhinolith herausstellte. Cheatle. 

160) Folkes entfernte aus der rechten Nasenhälfte eines 24jähr. 
Negers, welcher über Nasenbluten und Kopfschmerzen klagte, 78 lebende 
Schraubenwürmer mit der Zange und nach Ausspritzen mit einer 
alkoholischen Lösung von Chloroform 53 todte, im Ganzen 131, keiner 
war unter 10 mm lang. Toeplitz. 


Nase und Nasenrachenraum. M 397 


PD Neubildungen der Nase. 


161. Lack, H. Lambert. Nasensarkom. Heilung zwei Jahre nach der Operation 
constatirt. Proceedings Laryngological Society London 10. März 1897. 

162. Kuh, Edwin J. Primärer Krebs des Nasenrachenraums mit Alkohol- 
einspritzungen geheilt. Medical Record 17. April 1897. 

163. Manasse, Paul, Strassburg. Ueber syphilitische Granulationsgeschwülste 
der Nasenschleimhaut sowie über Entstehung der Riesenzellen in den- 
selben. Virchow’s Archiv Bd. 147. 

164. Rothenaicher, L., Dr. Mittheilungen aus der Praxis. Monatsschr. f. 
Ohrenheilk. No. 4, 1897. 

165. Doyen. Extirpation extemporanée par les voies naturelles des gros 
polypes naso-pharyngiens. Arch. internat. de laryng. d'ot. No. 3, 1897. 


161) Als Lack den Patienten, einen 53 jährigen Mann, im April 
1895 erstmals sah, war das rechte Nasenloch fast völlig verschlossen 
durch eine weiche leichtblutende, oberflächlich necrotisirende Masse, die 
von der Gegend der mittleren Muschel ihren Ausgang nahm. Im Mai 
1895 wurde die Geschwulst vollständig entfernt, wobei der rechte 
Nasenflügel, um freieren Zugang zu erhalten, abgelöst wurde. Jetzt 
nach beinahe 2 Jahren findet sich kein Zeichen von Recidiv. Die 
mikroskopische Uutersuchung ergab unzweifelhaft Sarcom. 

Cheatle. 

162) Kuh’s 37jähr. Patient litt ausser an einer alten atrophischen 
Rhinitis, an einer allmählich zunehmenden Verstopfung der linken Nasen 
hälfte und an Nasenbluten. Der Nasenrachenraum war durch eine Ge- 
schwulst verschlossen, welche vom Dache ausging. rechts weicher und 
links globulär und hart war. Auf Grund der Diagnose der ver- 
grösserten Rachentonsille wurde die Geschwulst entfernt, kehrte aber 
innerhalb eines Monats wieder. Mikroskopisch fand sich ein epithelialer 
Krebs und die Diagnose wurde von Nicolaus Senn bestätigt. Ein- 
spritzungen mit Erysipel-prodigiosus-Toxinen (Coley) verkleinerten an- 
fangs die Geschwulst, aber nach 14 Einspritzungen vergrösserte sich dieselbe. 
Einspritzungen mit absolutem Alkohol jedoch nach C. Schwalbe und 
O. Hasse, wobei man mit 3 Minim. begann und bis zu 30 stieg, 
reducirten die Geschwulst nach der 7. Einspritzung und nach der 19. 
fand sich der Nasenrachenraum in vier Monaten ganz frei. 

Toeplitz. 

163) Manasse beschreibt 5, in der Strassburger Ohrenklinik be- 
obachtete Fälle von eigenthümlichen Geschwulstbildungen der Nasen- 
schleimhaut, graue oder mehr rothe, bis haselnussgrosse, zum Theil 
breit, zum Theil gestielt der Schleimhaut aufsitzende, weiche Geschwälste, 


398 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


welehe theils solitär, theils multipel vornehmlich am Septum narium 
— gewöhnlich am Rande einer Perforation — aber auch an den 
Muscheln und am Nasenboden sich fanden. Mikroskopisch charakterisirten 
sich diese Tumoren als reine Bindegewebsgeschwülste, hervorgegangen 
aus dem submucösen Bindegewebe. Sie bestanden aus älterem Granu- 
lationsgewebe mit Riesenzellen — in 2 Fällen bildeten die Riesenzellen 
circumscripte, rundliche an reticulirte Tuberkel erinnernde Gebilde — 
und zeigten Neigung zu schwieliger Neubildung und nur an wenigen 
anderen Stellen zu regressiver Metamorphose. Wenn schon das Resultat 
der histologichen Untersuchung (Fehlen miliarer Tuberkel mit centraler 
Verkäsung, Misslingen des Nachweises von Tuberkelbacillen, Vorhandensein 
von Arteriitis) mehr für einen syphilitischen als tuberkulösen Ursprung 
sprach, so wurde die Diagnose doch erst sicher durch die klinischen 
Erscheinungen (deutliche Zeichen von hereditärer Lues bei 2 Fällen, 
Intaktsein der Lungen und Erfolg der antisyphilitischen Behandlung in 
allen Fällen). Von den gewöhnlichen Gummata unterscheiden sich die 
beschriebenen Geschwülste durch ihre scharfe Abgrenzung gegen die 
Umgebung, sowie durch ihre nur sehr geringe Neigung zu regressiver 
Metamorphose. Bezüglich des Ursprungs der Riesenzellen bei diesen 
Tumoren glaubt M. auf Grund seiner histologischen Untersuchungen 
annehmen zu müssen, dass dieselben durch Wucherung des Endothels 
kleiner Venen entstehen; dann könnten ausserdem auch die farblosen 
Blutkörper an dem Aufbau der Riesenzellen betheiligt sein. Den Mantel 
der Riesenzellen hält M. für ein Product der Adventitia der Venenwand. 
| Haenel. 


164) Rottenaicher berichtet über die Entfernung eines unge- 
wöhnlich grossen Nasenrachenschleimpolypen und eines grossen Nasen- 
steines, der sich um einen Kirschkern gebildet hatte. Killian. 


165) Bei diesem grossen Nasenrachenpolypen mit Fortsätzen in 
die Nasen- und Kieferhöhle verwirft Doyen alle Methoden, die durch 
eine Voroperation sich erst künstlich Platz schaffen; er operirt von der 
Mundhöhle aus mittelst entsprechend gebogener Schaber und operirt so 
enorm rasch, dass er die oft erschrecklichen Blutungen vermeidet; in 
höchstens einer halben Minute hat er den Tumor sammt Fortsätzen 
heraus und tamponirt dann; schon nach 2 Minuten steht die Blutung, 
man kann den Tampon entfernen. 3 Krankengeschichten, die D. kurz 
referirt, sprechen sehr zu Gunsten dieses Verfahrens. 

Zimmermann. 


Nase und Nasenrachenraum. 399 


£) Nebenhöhlen der Nase. 


166. Schmiegelow, Kopenhagen. Ueber acute Osteomyelitis des Oberkiefers. 
` Arch. f. Laryngol. Bd. V. 

167. Kronenberg, E., Solingen. Schleimpolypen der Nase und Nasen- 
eiterung. Therap. Monatshefte 1897, Heft 5, S. 259 und Heft 6, S. 316. 

168, Krebs, Hildesheim. Bemerkungen zur Probepunktion der Kieterhöhle und 
zu deren „seröser Erkrankung“. Arch. f. Laryngol. Bd IV. 

169. Spiess, Frankfurt a. M. Eine neue Methode zur Behandlung der Neben- 
höhleneiterungen der Nase. Arch. f. Laryngol. Bd. V. 

170. Luc. Une nouvelle methode guératoire pour la cure radicale et rapide 
de lempyème chronique du sinus maxillaire. Arch. internat. du laryng. 
d'ot. No. 3, 1897. 

171. Silcock, A. Quarry. Erweiterung der Stirnhöhle durch Schleim und 
Eiter mit Fällen. Practitioner März 1897. 

172. Bond, J. W. Mucocele der linken Stirnhöhle. Proceedings Laryngological 
Society London 10. März 1897. 

173. Bennett, F. W. Fall von Stirnhöhleneiterung. Proceedings of the 
Laryngological Society of London 10. Febr. 1897. 

174. Milligan, Wm. Durch Operation geheiltes Stirnhöhlenempyem. The 
Medical Press 2. Juni 1897. 

175. Gradenigo, G., Prof. Ueber das klinische Bild der acuten Entzündung 
des Sinus frontalis. Monatsschr. f. Ohrenheilk. No. 4, 1897. 

176. Gradenigo. A propos des signes cliniques de la sinusite frontale aigue. 
Ann. des mal. de l'or. du lar. No. 5, 1897. 

177. Arslan, Y. Ueber die sogenannte Rhinitis caseosa. Archivio ital. di 
Otologia Bd. V, S. 159. 

178. Miller, Victor. Ozäna, Nekrosis der Nasenscheidewand, Ethmoiditis, 
Gehirncomplication, Tod. British Medical Journal 18. April 1897. 

179. Bennett, H. W. Fall von Leontiasis. Proceedings Laryngological 
Society London 14. April 1897. 


166) Ein 10 Wochen altes Kind gesunder Eltern erkrankt ohne 
erkennbare Ursache an Fieber, Krämpfen und bekommt bald eine starke 
Geschwulst der rechten Oberkiefergegend.. Durchbruch von Eiter über 
dem Eckzahn und nach dessen Extraction in die Alveole. Entleerung 
zahlreicher kleiner Sequester, Rhinorrhoea foetida. Besserung des All- 
gemeinbefindens und Appetits. — Ausspülungen durch die Fistel und Ent- 
fernung einiger fernerer Sequester führen einen Zustand herbei, der eine 
völlige Ausheilung sicher erscheinen lässt. An die Mittheilung dieses 
überaus seltenen Krankheitsfalles knüpft Schmiegelow Erörterungen 
über die Pathogenese und den Verlauf der Osteomyeliten des Oberkiefers 
und literarische Erhebungen. Zarniko. 


167) Nach einigen einleitenden Bemerkungen berichtet Kronenberg 
über das Verhältniss von Schleimpolypen zu Nebenhöhlenerkrankungen und 


400 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


stützt sich dabei auf ein Material von 45 genauer beobachteten Fällen von 
Nasenpolypen. Er fand keine abnorme Secretion nur in 13°/, der Fälle, 
während dieselbe in 87 °/, vorhanden war. In 60 °/, bestand eine Höhlen- 
eiterung. Bezüglich der Diagnose des Empyems bemerkt er, dass die- 
selbe bei der Kieferhöhle einfach sei: man macht einfach die Probe- 
punktion, ebenso bei den Keilbeinhöhlen ; bei der Diagnose der entzündlichen 
Processe am Siebbein spielt die Sonde die Hauptrolle ; jedoch mahnt K. 
hierbei ganz mit Recht zur Vorsicht, da man natürlich an den zarten 
Knochenbälkchen ganz leicht mit der Sonde eine „Caries“ erzeugen kann. 
Was das ätiologische Verhältniss der Polypen zu den Naseneiterungen 
anbetrifft, so meint Verfasser, dass sehr häufig die ersteren durch die 
letzteren hervorgerufen werden. Ferner können bei chronischen Ka- 
tarrhen, besonders wenn sie sich wiederholen, Verdickungen, Wulstungen 
und Recessusbildungen auftreten, welche letztere zu Secretstauung, zu 
einer Wucherung der entzündeten Schleimhant, zu Polypenbildung und 
zur Ueberleitung des entzündlichen Processes auf die Nebenhöhlen Ver- 
anlassung gebe. Manasse. 
168) Die Probepunktion mit nachfolgender Durchspülung der Kiefer- 
höhle ist nicht immer ein harmloser Eingriff, weil sie u. U. eine In- 
fection der Höhle mit nachfolgender Eiterung hervorrufen kann, so möchte 
Krebs einige Mittheilungen von Noltenius (Monatsschr. f. Ohlk. 
Nr. 4 1895) und von Grünwald (Naseneiterungen 2. Aufl. s. 149) 
deuten. 2) Als Einstichstelle ist der mittlere Nasengang dem untern 
vorzuziehen. 3) Die „seröse Erkrankung der Kieferhöhle* (Noltenius) 
kommt vor, sie rechtfertigt aber keine operative Behandlung. Darauf 
erwidert Noltenius dass die Fälle von nachfolgender eitriger Um- 
wandlung serösen Exsudats überaus selten wären und bestreitet Krebs 
die Berechtigung, aus seinen beiden noch dazu durch Stirnhöhleneiterung 
complicirten Fällen Schlüsse auf die Beschwerden der an reiner seröser 
Sinusitis maxillaris Erkrankten zu machen. Zarniko. 
169) Zur Ausheilung hartnäckiger Nebenhöhlenempyeme hatSpiess 
folgende Methode ersonnen, die er die electrisch-chemische nennt. 
Durch eine natürliche oder künstliche Oeffnung führt er ein Hartgummi- 
röhrchen in die Höhle. Dieses ist mit einem innen verlaufenden Kupfer- 
drath armirt, welcher aussen, die Wand durchsetzend, zum Vorschein 
kommt. An die Aussenwand der Höhle wird irgendwo eine platten- 
förmige Electrode angelegt. Nun wird die Höhle vermittelst einer 
Clysopompe mit NaCl-Lösung gefüllt und ein constanter, bis 15 M. A. 
starker Strom hindurch geschickt; zunächst 5 Minuten in der Richtung 


Nase und Nasenrachenraum. 401 


von aussen nach iunen, dabei soll die bactericide Wirkung des + Poles 
(d’Arsonval) zur Wirkung kommen; dann 5 Minuten in umgekehrter 
Richtung; dabei soll sich von dem nunmehr positiven Kupferpol Kupfer 
lösen und mit dem Chlor der Lösung zusammen als Chlorkupfer auf die 
Wände niederschlagen. — Mehrere vom Verfasser so behandelte Fälle 
liessen „ohne Ausnahme eine unzweifelhafte günstige Beeinflussung“ er- 
kennen. (Ref. könnte sich eine solche günstige Beeinflussung höchstens 
für die Fälle denken, in denen die der Heilung hinderliche Stelle direct 
unter der Plattenelectrode liegt; also bei der Stirnhöble sowohl wie bei 
der Kieferhöhle — andere kommen wohl nicht in Betracht — an der 
facialen Wand.) Zarniko. 
170) Luc operirt von der Fossa canina aus und näht primär die 
Schleimhaut wieder, nachdem er die Kieferhöhle gehörig ausgekratzt, 
mit starker Chlorzinklösung geätzt und durch eine Oeffnung in den 
unteren Nasengang drainirt hat. Das Drainrohr bleibt 14 Tage liegen, 
vom 4. Tage an, wo die Scheimhautwunde zugeheilt ist, werden unter 
leichtem Druck Ausspülungen gemacht. Nach 6 Wochen volle Heilung. 
Luc berichtet über 2 auf diese Weise geheilte Fälle und im Anhang 
über zwei weitere, die aber noch in Behandlung stehen. Zimmermann. 
171) Silcock eröffnet den Boden der Stirnhöhle mittelst einer 
1 Zoll langen Incision dicht unter der Augenbraue. Besondere Sorgfalt 
verwendet er auf die Herstellung eines guten Abflusses durch das In- 
fundibulum. Cheatle. 
172) Seit einigen Jahren bestehendes Hirnhöhlenempyem mit äusser- 
licher Schwellung, Herstellung einer Passage nach der Nase. Das durch 
die Trepankrone entfernte Knochenstück wurde wieder eingesetzt und 
die Wunde genäht. Völlige Heilung ohne Entstellung. Cheatle. 
173) Die 39jährige Patientin Bennett’s kam in Behandlung mit 
einem wallnussgrossen Abscess über der rechten Frontalgegend und einem 
kleineren unter der rechten Augenbraue. In dem rechten Nasenloch 
fand sich ein Polyp und das vordere Ende der mittleren Muschel war 
beträchtlich vergrössert. Polyp und vorderes Muschelende wurden ent- 
fernt und der Knochen in der Nachbarschaft des Infundibulums abge- 
tragen. Nach wenigen Wochen hatte sich die Eitermenge so vermindert, 
dass die äussere Operation verschoben wurde. Die Patientin befand sich 
unter dem Gebrauch eines reinigenden Spray’s und unter gelegentlicher 
Entfernung von Granulationsgewebe ganz wohl. Die Oeffnungen am 
Knochen an der Aussenwand hatten sich unterdessen knöchern geschlossen. 
| Cheatle. 
Zeitschrift für Ohrenheilkunde, Bd. XXXI. 26 


402 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


174) Heilung eines Falles von Empyem der Stirnhöhle durch Er- 
öffnung der Höhle und Herstellung freien Abflusses mittelst Dilatation. 
des Infundibulums uud Einlegens eines dicken Drainagerohrs vom Sinus- 
aus nach der linken Nasenhöhle. Cheatle. 


175) Gradenigo beschreibt das genügsam bekannte Bild der acuten 
catarrhalischen Hirnhöhlenentzündung. G. Killian. 


177) Auf Grund von 3 neuen Beobachtungen bespricht Arslan: 
die Rhinitis caseosa; er glaubt, dass die Erkrankuug beruht auf Stag- 
nation des eiterigen Secretes durch Sequester, Fremdkörper, Nebenhöhlen- 
empyeme etc. Auch die bakteriologische Untersuchung zeigt, dass der 
von Guarnaccia neuerdings beschriebene Mikroorganismus — Streptothrix 
alba — sich nicht constant vorfindet und die ihm zugeschriebene ätio-- 
logische Bedeutung nicht hat. Gradenigo. 


178) Es handelte sich um einen 18jährigen, an Ozäna leidenden: 
Patienten, der plötzlich das Bewustsein verlor und Convulsionen bekam,. 
die eine Stunde anhielten. Nach einem 2, Anfall trat Erblindung ein. 
Es wurde die Keilbeinhöhle eröffnet nach der Methode von Grünwald 
und Schäffer. Der Patient starb jedoch nach einem 3. Anfall, in dessen 
Verlauf sich Bewusstlosigkeit, Facialislähmung und Strabismus divergens. 
eingestellt hatten. Cheatle. 


179) Ein Mann in mittleren Jahren kam zu Bennett wegen Ver- 
stopfung des linken Thränenkanals. Die Nasenbeine waren stark ver- 
dickt. Boden der Nase und seitliche Wand stark hypertrophirt in Form 
von knöchernen Verdickungen. Der Zustand hatte seit 15 Jahren be- 
standen. Cheatle. 


A) Nasenrachenraum. 


180. D’Aguanno, A. Angeborener Choanalverschluss der rechten Seite.. 
Archivio ital. di Otologia ete. Bd. V, S. 231. 


181. Grant, Dundas. Zwei Fälle, in welchen das Vorspringen der Halswirbel. 
Nasenverstopfung verursachte. The Medical Press 2. Juni 1897. 


182. Gourc. L’amygdale de W. Meyer. Ann. des mal. de l'or. du lar. No. 5, 
1897. i 

183. Weil, E. Die Hypertrophie der Rachenmandel. Medic. Abhandlungen.. 
Festschr. des Stuttgarter ärztl. Vereins. Stuttgart 1897, S, 396. 

184. Kahn. Des accidents désagréables qui accompagnent l'opération des végé-- 
tations adénoides. Rev. hebdom. No. 14, 1897. 

185. Lange, Victor, Dr., Kopenhagen. Ueber die Anwendung des Chloroforms: 


bei der Operation von adenoiden Vegetationen im Nasenrachenraume. 
Therap. Monatshefte 1897, Heft 6. 


Nase und Nasenrachenraum. : 403 


180) Der Verschluss war ein membranöser. Die Oefinung wurde 
auf galvanokaustischem Wege hergestellt. | Gradenigo. 
181) Grant stellte in der Versammlung der British Lar. Rhinol. 
u. Otol. Society am 30. April 1897 zwei Fälle von Nasenobstruction 
verursacht durch Lordose der Halswirbel vor. Cheatle. 
182) Die bacteriologische Prüfung des aus den Crypten und mitten 
aus den adenoiden Wucherungen entnommenen Gewebssaftes ergab kein- 
mal unter 201 Untersuchungen die Anwesenheit von Tuberkelbacillen ; 
auch die histologische Untersuchung ergab keinerlei Anhalt dafür, obwohl 
sehr häufig andere tuberkulöse Affectionen vorhanden waren. Eine 
incystirte lacunäre Adenoiditis wurde nur einmal gefunden. Die acute 
Adenoiditis war nur durch vermehrte Schleimabsonderung, nicht durch 
Volumenzunahme ausgezeichnet. Eine bactericide Wirkung des Schleims 
war nicht zu erkennen. Eine tabellarische Uebersicht der einzelnen 
Befunde ist dem Aufsatz beigefügt. = Zimmermann. 
183) Weil findet auch in Württemberg die Hypertrophie der 
Rachenmandel sehr häufig; ätiologisch hält er die Erkrankung nicht 
für einheitlich und führt bei Besprechung der Tuberkulose als möglicher 
Ursache einen Fall an. 12 jähriges, anscheinend gesundes Mädchen, 
starb 14 Tage nach Entfernung einer sehr grossen und derben Rachen- 
mandel an Meningitis tub. und allgemeiner Miliartuberkulose (die ex- 
stirpirte Mandel anscheinend histologisch nicht untersucht !). Kurzes Resumé 
des bekannten Symptomencomplexes; bei der Diagnose verwendet W. 
in erster Linie, auch bei Kindern, die vordere und hintere Rhinoscopie 
Von nicht operativen Methoden hilft nach W. höchstens die forcirte 
Nasenathmung etwas; zur Operation benutzt er gern die harte Schlinge 
(durch die Nase), sonst das Beckman n’sche Messer oder die Schütz- 
sche Zange; dabei Cocain- oder allgemeine Bromäther-Anästhesie. 
Heftigere Blutung hat W. nur einmal erlebt. Nachbehandlung: Bett- 
ruhe, keine Spülungen. Öfter wird Wiederholung der Operation nöthig. 
Kümmel. 
184) Kahn hat es 4 Mal erlebt, dass er bei der Operation mit 
Gottstein’schem Messer auf einen starken knöchernen Vorsprung kam, 
der die glatte Entfernung erschwerte; er glaubt, dass es sich nicht um 
eine Prominenz beider ersten Halswirbel (Zuckerkandl), sondern nur 
um eine Exostose des Tuberc. ant. atlantis gehandelt habe. 
Zimmermann. 
185) Lange operirt theils in Narkose, theils ohne eine solche. 
Er bedient sich als Narkoticum ausschliesslich des Chloroforms. Er 
26* 


404 : Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


bespricht die bekannten Vortheile und Nachtheile der Chloroformnarkose 
bei dem kleinen Eingriff, von denen ihm erstere zu überwiegen scheinen ; 
er verneint die Frage, ob durch die Narkose irgend eine Gefahr für 
den Pat. entstände, überlässt es aber im Uebrigen jedem Operateur 
nach seiner eigenen Methode zu arbeiten. Manasse. 


Gaumensegel, Rachen- und Mundhöhle. 


186. Kattwinkel, München. Die Aufhebung des Würgreflexes und ihre 
Beziehung zur Hysterie. Deutsches Archiv f. klin. Medic. Bd. 57, XXIII. 

187. Lexer, E. (Aus der Berliner chirurg. Klinik von Bergmann.) Die Schleim- 
haut des Rachens als Eingangspforte pyogener Infectionen. Archiv für 
klinische Chirurgie Bd. 54, XXVII. 

188. Freudenthal, W., New-York. Kleinere Beiträge zur Aetiologie der 
Lungentuberkulose. Arch. f. Laryng. Bd. V. 

189. Sendziak, Warschau. Ein ungewöhnlicher Fall von Soor der Mundhöhle, 
des Nasenrachenraumes und des Larynx. Arch. f. Laryngol. Bd. IV, 3. 

190. Paket, W. C. C. Der Friedländer’sche Bacillus bei Pharyngitis und 
Tonsillitis. British Medical Journal 20. März 1897. 

191. Weissenstein. Die Tuberkulose des Rachens. Medic. Abhandlungen. 
Festschr. d. Stuttgarter ärztl. Vereins. Stuttgart 1897, S. 388. 

192. Bennett, H. W. Ein Fall von Geschwulst der Uvula. Proceedings of 
the Laryngological Society of London 10, Febr. 1897. 

193. Spencer, W. G. Hypertrophische Pharyngitis und Tonsillitis mit 
chronischer Vergrösserung der Parotis und der Submaxillardrüsen. 
Proceedings of the Laryngological Society of London 10. Februar 1897. 

194. Cartaz. Une varieté d'abscès chroniques du voile du palais. Revue 
hebdom. de larynx. d’ot. No. 24, 1897. 

195. Jousset. Étude sur l’angine rhumatismale. Rev. hebdom. de laryıx. 
d'ot. etc. No. 21 u. 22, 1897. 

196. Höfer, Wilh., München. Ueber die Behandlung acuter Tonsillitiden mit 
parenchyinatösen Carbolinjectionen. Deutsches Archiv f. klin. Medicin 
Bd. 57, XXIV. 

197. Baizini, C. Phlegmonöse Oesophagitis. Kryptogenetische Septikämie. 
Archivio ital. di Otologia Bd. V, 8. 73. 


186) Bisher ist von den meisten Autoren die Anästhesie der 
Rachen- und Kehlkopfschleimhaut als ein häufiges Symptom der Hysterie 
bezeichnet und das Fehlen des Würgreflexes der Anästhesie zugeschrieben 
worden. Kattwinkel hat an 100 Hysterischen mit aufgehobenem 
Würgreflex genaue Sensibilitäts- und Motilitätsprüfungen der Rachen- etc. 
Organe vorgenommen und beobachtet, dass Motilität und Sensi- 
bilität in fast allen Fällen vollständig erhalten waren. 
Nur das Gefühl für feine Berührung und die Schmerzempfindung waren 
in 8°/, der Fälle herabgesetzt. In einem Theil der mit Hemianästhesie 


Gaumensegel, Rachen- und Mundhöhle. 405 


der Haut verbundenen Fälle war auch die Sensibilität der betr. Schleim- 
häute aufgehoben. K. konnte nur bei 4 von 100 Hysterischen das 
Vorhandensein des Würgreflexes constatiren. Er kommt deshalb zu dem 
Resultat, dass man die Aufhebung des Würgreflexes als hyste- 
risches Stigma betrachten müsse, das in Concurrenz mit anderen 
Symptomen die Diagnose zu sichern im Stande wäre und dass die Auf- 
hebung des Würgreflexes nicht auf einer Anästhesie der Rachen- 
schleimhaut, sondern auf einer Störung im Reflexbogen beruhe. 
Haenel. 

187) Lexer hat die Beziehungen der Racheninfection zur Allge- 
meininfection im Thierexperiment an Kaninchen studirt. Die Rachen- 
infection bewerkstelligte er durch Bepinselung der Rachentheile mit 
der betreffenden Bacteriencultur bezw. durch Einträufeln weniger Tropfen 
derselben in die Mundhöhle. Die ersten Versuche mit Culturen von 
Staphylo- und Streptococcen aus Abscessen, ebenso Versuche mit Pneumo- 
coccen führten nicht zu einer Erkrankung der Thiere. Auch bei zwei 
Versuchsreihen mit besonders virulenten Staphylococcen erlag keines 
der Kaninchen der Infection, doch fanden sich bei zweien der nach zwei 
Wochen getödteten Thiere kleine Lymphdrüsenabscesse der Submaxillar- 
gegend, bei einem andern eine Eiterung der subcutan fracturirten Tibia. 
Diese Versuche zeigten, dass eine Weiterentwickelung der in die Mund- 
höhle der Kaninchen gebrachten Staphylococcen auf der Schleimhaut 
ebenso wie ein massenhaftes Eindringen derselben in das Epithel auch 
bei grosser Virulenz der Staphylococcen nicht stattfindet (mikroskopische 
Untersuchung) und ferner, dass eine Ablagerung im Körpergewebe in 
der Regel wenigstens nach kurzer Zeit nicht nachweisbar ist 
(aseptische Verimpfung der inneren Organe 6 und 12 Stunden nach 
der Infection). Das ausnahmsweise Eindringen von offenbar schon ab- 
geschwächten Coccen (cf. Drüsenabscesse, Knocheneiterung obiger drei 
Fälle) führt L. auf die mechanische Reizung des Epithels beim Ein- 
pinseln zurück. — Versuche mit dem von Schimmelbusch aus spon- 
tanen Eiterungen bei Kaninchen gezüchteten Bacillus führten den Tod 
der meisten Thiere in 2 Tagen herbei, eigneten sich aber mangels 
einer differenten Färbung der Bacillen im Gewebe schlecht zum ge- 
nauen Studium der Verhältnisse. Am werthvollsten waren die Infections- 
resultate mit hochvirulent für Kaninchen angezüchteten Streptococcen 
welche L. folgendermaassen zusammenfasst: Es hommt nach der In- 
fection der Rachenhöhle ohne Verletzung oder Reizung der Schleimhäute 
(Einträufeln der Culturen in die Mundhöhle) eine Allgemeininfection 


406 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


zu Stande nnd zwar sind die Coccen schon kurze Zeit nach dem Ein- 
bringen in die Mundhöhle — in einem Fall gelang der Nachweis schon 
nach !/, Stunde — in die inneren Organe (aseptische Verimpfung der- 
selben), später auch massenhaft im Blute (Blutimpfungen in mehrstün- 
digen Zwischenräumen) zu finden. Als Eingangspforten ergaben sich 
mit Bestimmtheit die lIymphatischen Apparate des Rachens, vor Allem 
die Tonsillen. Bei der kurzen Zeit, in welcher die Coccen schon in 
die Circulation gerathen, ist nicht anzunehmen, dass die Blutinfection 
erst vor der Entstehung der localen Entzündung in der Rachenschleim- 
haut bezw. der Lymphdrüsen abhängig ist. Beim Menschen bestehen 
dieselben günstigen Bedingungen für die Infection vom Rachen aus an 
viel zahlreicheren Stellen als beim Kaninchen, deshalb werden bei ihnen 
auch dieselben Vorgänge statthaben. Doch spielen beim Menschen 
Staphylo- und Pneumococcen keine geringere Rolle als die Streptococcen. 
Haenel. 

188) Freudenthal untersuchte im New-Yorker Montefiore Home 
for Chronic Invalids 133 Kranke ohne Auswahl auf Tuberkulose und 
Catarrh des Nasenrachens. Er fand bei 32 Phthisikern einen stärkeren 
oder schwächeren Retronasalcatarrh; in 24 Fällen waren Tuberkel- 
bacillen vorhanden, in 7 Ulcerationen. Bei 81 Nichttuberkulösen fand 
er 9 Mal Tuberkelbacillen, einzelne davon erkrankten später an 
Tuberkulose. — Auf Grund dieser Ergebnisse und der dazu 
stimmenden Erfahrungen anderer Autoren (Strauss, Dieulafoy, 
Habermann, Dmochowski, E. Fränkel u. a.) glaubt Verf. 
behaupten zu dürfen, dass „der Retronasalcatarrh die eigentliche Grund- 
lage der Lungentuberkulose sei.“ Er nimmt an, dass die mit der Athem- 
luft inspirirten Tuberkelbacillen sich zum Theil im Nasenrachen fest- 
setzten, durch epithelfreie ‘Stellen (wie sie in Folge von Retronasal- 


catarrhen ganz gewöhnlich zu Stande kämen) in das lymphoide Gewebe 


drängen und weiter auf dem Lymphwege zu den Lymphdrüsen des 
Halses gelangten. So kämen die adenoiden Wucherungen und 
die Lymphdrüsenskrophulose zu Stande. Drängen sie durch 
die Lymphdrüsen weiter centralwärts durch den Ductus thoracicus in 
die Blutbahn, so käme es zur generalisirten Tuberkulose. 
Zarniko. 
189) Bei einer 15jährigen, durch eine schwere Diphtheria faucium 
hochgradig geschwächten Patientin sah Verf. den weichen Gaumen, die 
Zungenwurzel, den ganzen Pharynx, den Larynx bis zu den Stimm- 
bändern hinab und den Nasopharynx bis zu den Choanen hinauf mit 


u 


Gaumensegel, Rachen- und Mundhöhle. 407 


weissen Flecken von Stecknadelkopf- bis Erbsengrösse besät, die sich 
bei mikroskopischer :Untersuchung 'als Soorbeläge auswiesen. Unter 
Gurgelungen mit Menthol und innerlicher Darreichung von Arsenik und 
Tinct. chinae camp. ging die Erkrankung im Verlauf zweier Monate 
: ganz zurück. — Auch dieser Fall zeigt wie der von Thorner auch 
in dieser Zeitschrift referirte (New-York med. Journ. 1892), dass der 
Soor unter Umständen die Grenzen des Pflasterepithels überschreitet. 
Zarniko. 


190) Seit November 1894 hat Paket über 500 Serumculturen 
aus den Hälsen seiner Patienten dargelegt. Dabei fand er in 5 Fällen 
den Bacillus Friedländer. Zwei davon lieferten eine Reincultur. 
1. 30 jähriger Mann mit seit einigen Tagen bestehendem Halsweh; 
Rachenwand geröthet mit spärlicher farbloser Exsudation, Mandeln ge- 
röthet und geschwollen. Keine Störung des Allgemeinbefindens. 2. Pat. 
mit gerötheten und geschwollenen Mandeln, die einige wenige weissliche 
Pfröpfe aufwiesen; Temp. 37,8°. Zweimal fand sich der Bacillus in 
Gemeinschaft mit dem Klebs-Löffler’schen Bacillus. Beide Male 
handelte essich um Kinder, die gelbe Pfröpfe in beiden Tonsillen hatten. 
Einmal in Gemeinschaft mit Staphylococcus aureus, der Patient, ein 
20 jähriger Mann, hatte seit einer Woche Halsweh gehabt; der Rachen 
war geröthet; in den Krypten der Mandeln 2 oder 3 weissliche Pfröpfe, 


aber keine Membran. — Paket giebt sodann eine ausführliehe Schil- 
derung des morphologischen Verhaltens des Friedländer’schen Bacillus. 
| Cheatle. 


191) Tuberkulöse Veränderungen im Rachen nach Weissenstein’s 
Notizen 1 Mal auf 300 Phthisiker; am häufigsten an den Mandeln, 
demnächst den Gaumenbögen und dem Velum. Differentialdiagnostisch 
vor Allem ist an die Möglichkeit der Lues neben Phthise zu denken. 
Nicht immer besteht Neigung zu raschem Fortschreiten; aber fast stets 
neben der Rachenaffection ausgebreitete Lungenphthise. Krankenge- 
schichten dieser Affection: nur in einem Falle davon (VI) vielleicht 
primäre Erkrankung des Rachens. Therapie: einfache skrophulöse 
Hypertrophieen der Mandeln sind abzutragen ; bei geschwürigen Processen 
Galvanokaustik, Curettement, Ac. lactic., Chromsäure. Gleichzeitig pein- 
liche Mundpflege (in cariösen Zähnen Tuberkelbacillen), Behandlung der 
Nase und des Nasopharynx (Rachenmandel !), zweckmässige Ernährung; 
symptomatisch schmerzstillende Mittel. — Ziemlich ausführliche Literatur- 
übersicht. Kümmel. 


408 Bericht über die Leistungen und Fortschritte der Ohrenheilkunde. 


192) Bennett demonstrirte einen wallnussgrossen Tumor, den er 
bei einem 6 jährigen Kind entfernt hatte. Er schien sich auf die Uvula 
zu beschränken, die Digitaluntersuchung erwies jedoch, dass er sich 
nach oben gegen den harten Gaumen erstreckte. Die Geschwulst be- 
hinderte deutliches Sprechen. Ihre Entfernung geschah mittelst Spaltung 
der Schleimhaut und Ausschälens. Der genaue Ausgangspunkt konnte 
nicht bestimmt werden. . Cheatle. 

193) Spencer stellte einen 25 jährigen Mann vor, der früher an 
oberflächlichen tuberkulösen Affectionen und an Acne und Blepharitis 
gelitten hatte. Später hatte er einmal febrile Temperaturen, ohne dass. 
ein Grund hierfür su finden gewesen wäre. In den letzten 2 Monaten 
hatte er an Entzündung des Rachens, der Mandeln u. s. w. gelitten 
und es waren dabei die Parotiden und die Submaxillardrüsen viel grösser 
und härter (aber schmerzlos) geworden. Cheatle. 

194) Die Besonderheit, die Cartaz in 2 Fällen beobachten konnte, 
war der Sitz des Abscesses an der Stelle des Gaumens, wo die breiten 
Gaumenpfeiler sich vereinigen. Es fand sich da eine feine Fistel, die 
in etwa 1cm Tiefe in einer kleine Höhle drang, aus der sich ein 
Tropfen Eiter entleerte. Cartaz lässt es unentschieden, ob es sich 
um eine congenitale Fistel handelte, die sich secundär entzündete oder 
ob die Fistel der letzte Rest einer vorausgegangen Peritonsillitis war. 
Zur Heilung wurde die breite Spaltung empfohlen, die aber in beiden 
Fällen bei der Geringfügigkeit der Beschwerden abgelehnt wurde. 

Zimmermann. 

195) In allen 8 Fällen, die Jousset seinem Aufsatz zu Grunde 
legt, fand sich eine typische, auf Fingerdruck abblassende Röthung des 
weichen Gaumens, dabei meist Oedem des Zäpfchens und immer stark 
ausgesprochener Schluckschmerz. Diese Erscheinungen bildeten sich, 
ohne sich weiter zu verbreiten, meist rasch und ganz plötzlich zurück, 
um dann Schmerzen und Ergüssen in den Gelenken, einmal auch einer 
Endo- und Pericarditis Platz zu machen, als deren Vorläufer sie anzu- 
sehen sind. Aus diesem charakteristischen Verlauf ist es meist leicht, 
die rheumatischen Anginen von anderen zu unterscheiden. Therapeutisch 
kommt ausser einer milden Localbehandlung Chinin oder Salicyl zur 
Anwendung. | Zimmermann. 

196) Die ursprünglich von Taube in Leipzig gegen genuine und 
Scharlachdiphtherie empfohlene, später auch von Heubner und Heu- 
singer mit ausgezeichnetem Erfolg angewendete Methode hat Ziemssen 
auch bei der gewöhnlichen Angina mit gutem Erfolg erprobt (!/,—1cm 


Fachangelegenheiten. — Fehlerberichtigung. 409 


einer 2—3 procentigen Carbollösung.. Höfer empfiehlt deshalb die 
Injectionen angelegentlichst für alle durch Eiterpilze hervorgerufenen 
Anginen, insbesondere für die lacunären Anginen, bei denen meist rasch 
eine auffallende Besserung der subjectiven und objectiven Erscheinungen 
eintrat. Bei tonsillären und peritonsillären Abscessen aber war die 
Methode fast wirkungslos. Haenel. 
197) Es handelt sich in dem Falle von Baizini um einen 
56 jährigen Mann, der plötzlich von einem Schüttelfroste mit nach- 
folgendem Fieber befallen wurde. Aufnahme ins Krankenhaus am vierten 
Krankheitstag mit schwerer Prostration, 40° Temperatur, Schmerzen im 
Hals und hinter dem Sternum. Bei der Untersuchung catarrhalische 
Angina, broncho-pneumonische Herde, Milzschwellung, Eiweiss im Urin. 
Nach 2 Tagen Tod in Coma. Bei der Section fand sich Pharyngitis 
mit croupösem Exsudat, ödematöse Schwellung des submucösen Zellge- 
webes und der Pharynxmuskeln. Im Oesophagus eitrige Infiltration des 
submucösen Gewebes über die ganze Ausdehnung. Im Eiter und im 


Blut Streptococcen. Keine Embolien. — Am Schluss der Arbeit werden 

aus der Litteratur zahlreiche analoge Fälle zusammengestellt. 
a Gradenigo. 
Fachangelegenheiten. 


Unser Mitarbeiter, Stabsarzt-Docent Dr. Zwaardemaker erhielt 
die ordentliche Professur der Physiologie in Utrecht als Nachfolger 
des an du Bois-Reymonds Stelle nach Berlin berufenen Professor 
Engelmann. 

Der 2. Assistent der Ohrenklinik in Halle, Herr Dr. Leutert, 
hat sich in Königsberg habilitirt. 


Fehlerberichtigung. 


In dem Bericht über die Leistungen und Fortschritte etc. Bd. XXX 
S. 383 und 384 Physiologie des Ohres ist statt des Namens Stein 
»Stern« zu setzen. 


Druck von Carl Ritter in Wiesba!en. 











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