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Full text of "Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung auf dem Gebiete der indogermanischen Sprachen 56.1929"

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ZEITSCHRIFT FÜR 
VERGLEICHENDE SPRACHFORSCHUN G 


AUF DEM GEBIETE DER 
_ INDOGERMANISCHEN SFRACHEN ` 


BEGRÜNDET VON A. KUHN 


NEUE FOLGE / VEREINIGT gës DEN 
BEITRÄGEN ZUR KUNDE 
DER INDOGERMANISCHEN SPRACHEN 


BEGRÜNDET VON A. BEZZENBERGER ` 


HERAUSGEGEBEN VON 
WILHELM SCHULZE UND HANNS (ERTEL 


56. BAND 


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Satz? 


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GÖTTINGEN /VANDENHOECK&RUPRECHT/ 1929 


SE 


Inhalt. 


H. Jacobsohn, Zum homerischen doreg0» medtegov 

Ed. Schwyzer, prognatus. Ein Beitrag zur lateinischen Verbalbildung 

Th. Grienberger, Italica. 5. Das Kupferblatt von Fossato di Vico. . 

— , Zur osk. Inschrift von Anzi 

J. F. Lohmann, Das Kollektivum im Siawischen. I. Gattungskollektivum 
und nomen unitatis . 

E. Koschmieder, Studien zum dàvisdien Verbalaspekt. N 

Edw. Schröder, Sünde und Schande 

G. Mahlow, Lateinisches od? 

F. Specht, Lituanica. — Griech. »jzıog, vnrürıos. — Altbulg. BS) Bä? 
— Gotisch naiw e AN ; T E ET 

F. O. Schrader, Sanskrit anala Feuer“ 

H. Jacobsohn, Zum Mitteliranischen EEN 

J. Pokorny, Zur Etymologie von lit. kumele „Stute“ 

H. Krahe, Messapisches bes 

P. Maas, Sappho fr. 75 Bergk. — Oyin: Se = SZ 

Ed. Hermann. Die Konstruktion der Städte- und Ländernamen im att 
schen . 

E. Lewy, Einzelheiten . ; 

W. Schulze, Etymologische Zweideutigkeit re 

E. Lewy: P. W. Schmidt, Die Sprachfamilien und Öprachenkreiie der Erde 


W. Schulze, Lesefrüchte. . . . . . . 9., 35. 105. 120. 


Eingegangene Bücher. — Druckfehlerberichtigung . 

J. Scheftelowitz, Die verbalen und nominalen sk- und sk-Stämme im 
Baltisch-Slavischen und Albanischen 

E. Lidén, Zur vergleichenden Wortgeschichte 

, Zufälliger Gleichklang 

R. Loewe, Die indogermanische Abtönung 

F. Specht, Zur Geschichte der a Flexion im Tüdogermanischen 
und Litauischen . j 

O.Behaghel, Zur Stellung des Verbsi im 1 Gsrmanlichen und pà Indogermanischen 


H. Lüd Vedisch $ 
W. Krause, ae S 9 H E R 0. 


E. Schwyzer, Entodviog . 
W. Schulze, Lesefrüchte . JE ei E . 210. 226. 275. 287. 308. 


E. Lewy, Nachtrag zu S. 159 Se 

H. Jacobsohn, Berichtigung Z H4 

E. Hofmann, Register 

Berichtigungen ei} 
Le 

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Printed in Germany 
Gedruckt bei Hubert & Co., G. m. b. H., Göttingen. 


v  Zeitfcheift für 
vergleichende 

‚ Spradforfdhung 
rr auf dem Gebiete der 


` mdogermanífihen Sprachen 


E BEGRÜNDET VON A.KUHN 

A NEUE FOLGE / VEREINIGT MIT DEN 
RK Beitragen zur Kunde’ 

a der fmdogermanifhen Sprachen 
$ BEGRÜNDET VON A.BEZZENBERGER 

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HERAUSGEGEBEN VON 
WILHELM SCHULZE UND HANNS ŒRTEL 


56. BAND 
1./2. HEFT 


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GC Gótingen/ Bandenboe et Rupredyt 


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Inhalt. 


Seite 
H. Jacobsohn, Zum homerischen doreoov zodregov.. . . CHE 1 
Ed. Schwyzer, prognatus. Ein Beitrag zur lateinischen Verbalbildung . vi. 28 
Th. Grienberger, Italica. 5. Das Kupferblatt von Fossato di Vico . . . . 233 
—, Zur osk. Inschrift von Anzi . . , ee ehe ren (BD 
d. F Lohmann, Das Kollektivum im Blsmlschen: I. a MDR, und 
nomen unitatis . . . . ar ie e ` 
E. Koschmieder, Studien zum Hayischen CEET t ër, CS, 8 A8. ai. e- 
Edw: Schröder, Sünde und Schande. w » 2 2: = 2 2 2 2 = 2 nn w 10 
G. Mahlow, Tateiuischen GES "3 A ev Es 
F. Specht, Lituanica. — Griech. »rjmıog, vnrörios. — TE Size, geh, — 
Gotisch naiw . . . NN Are e, Baer SEA 
F. O. Schrader, Sanskrit DCH „Feuer“ re are 3. gn 
H. Jacobsohn, Zum Mitelirnischen.. e. A ee A Eé EE 
J. Pokorny, Zur Etymologie von lit. kumele „Stute“ eod E Ae A ui "EE 
H. Krahe, Messapisches . . . KENE ve 
P. Maas, CS ir. 75 Bergk. — Oyat: SH ag = CZ Ke: 137 
.Ed. Hermann, Die Konstruktion der Städte- und Ländernamen im Lateiniertien 138 
E. Lewy, Einzelheiten . . . A éi Je ee EN e E A e ORN 
W. Schulze, Etymologische ET OTETA du Ai EM 
E. Lewy, P. W. Schmidt, Die Sprachfamilien und Börachenkreiee der Erde é ai e 
W. Schulze, Lesefrüchte . . . . ek e a S.S 2 at ed 
Dingaren Bücher — Benpetiesbegiittegeeg, Kee A8 Aë, 3 sn 


Preis des Doppelheites in der Reihe 8, einzeln 10 RM. 41.—55. Bd. je 12 RM. 


Die Herausgabe hat für den 56. Band W. Schulze übernommen. 


Beiträge, die allgemein sprachwissenschaftliche Fragen behandeln, oder die sich 
auf die asiatischen Indogermanen beziehen, wolle man an Prof. Dr. Hanns Oertel, 
München 27, Pienzenauerstr. 36, solche, die den indogermanischen Sprachen Europas 
gewidmet sind, an Prof. Dr. W. Schulze, Berlin W.10, Kaiserin Augustastr. 72 senden. 


Zu den Niederschriften wolle man im allgemeinen lose Quartblätter verwenden. 


Besprechungen können nur solchen Werken zugesichert werden, welche ein 
Herausgeber erbittet. 


Soeben sind erschienen: 


Vergleichende Slavische Grammatik 


von Dr. Wenzel Vondräk. 


II. Band: Formenlehre und Syntax. 2. Auflage Neubearbeit von Prof. Dr. 
O. Grünenthal in Breslau. XII, 584 Seiten. Brosch. RM. 25.—; geb. RM. 27.50. 


Früher erschien: 


I. Band: Lautlehre und Stammbildungslehre. 2. stark vermehrte und 
verbesserte Auflage. XVIII, 742 5. 1924. Brosch. RM. 25.—; geb. RM. 27.50. 


Die Kasussyntax derVerba bei denSeptuaginta 


Ein Beitrag zur Hebraismenfrage und zur Syntax der Kown 

von Dr. phil. Robert Helbing in Lahr (Baden). 

XXIV, 328 Seiten. Brosch. RM. 24.—; geb. RM. 26.50. 

In diesem Werk führt der Verfasser die Untersuchungen fort, die er 1907 


begonnen hatte unter dem Titel: Grammatik der Septuaginta. Laut- 
und Wortlehre von Dr. Robert Helbing. XVIII, 149 S. 1907. RM.8.— 


Zum homerischen Borepgov mpötepov. 


Die ungewöhnliche Wortstellung in der ndd. Redensart tagen 
baren hatte ich o. LIV 102 unter Hinweis auf Fälle wie nhd. 
Grund und Boden, Hangen und Bangen, magy. csiri-biri usw. so 
erklärt, daß der Labial als der schallkräftigere Laut dem Worte, 
das mit ihm beginnt, mehr Gewicht gebe und es dadurch an 
die zweite Stelle rücke. Spitzer a a 0.311 fragt dagegen, ob die 
Labiale wirklich unter den Konsonanten die schallkräftigsten sind. 
Dafür brauche ich nur auf Ernst A. Meyer, Englische Lautdauer 
Sff. zu verweisen, der experimentell beobachtet hat, daß von den 
Verschlußlauten die Labiale die größte Lautdauer besitzen. Ich 
sehe deshalb nicht ein, warum man die Endstellung der mit Labial 
beginnenden Wörter in zweigliedrigen Verbindungen anders be- 
urteilen sollte als die gleiche Tatsache in Gruppen wie pif-paf, 
bim-bam, Singen und Sagen. Hier gibt Spitzer S. 216 selbst als 
Grund an, daß der dunkle Vokal gewichtiger und wirkungsvoller 
ist und ans Ende gerückt wird, um eine crescendo-Wirkung in 
der Sprache zu erreichen. Schorle-Morle und bim-bum verdanken 
ihre Anordnung beide demselben Prinzip, das auch in der von 
Behaghel so reich belegten Nachstellung längerer Wörter oder 
Satzglieder herrscht: überall rückt das schallkräftigere Glied ans 
Ende. Für diese Erscheinung dort, wo das mit Labial anlautende 
Wort an zweite Stelle trıtt, einen anderen Grund zu bemühen, 
sehe ich keinen Anlaß. 

Spitzer macht ferner geltend, daß bei der Redensart tagen 
baren auch der Sinn die Reihenfolge mitbestimmt hat, daß sich 
das Wort an den Anfang gedrängt habe, das der Anschauung 
oder Vorstellung des Sprechers zunächst liegt. Es ist durchaus 
möglich, daß das mitgewirkt hat. Ich denke mir den Hergang 
freilich anders. Nach meiner Ansicht war die zweigliedrige Redens- 
art inhaltlich so zur Einheit verwachsen, daß nur noch der Sinn 
des Ganzen, nicht aber die Bedeutung der einzelnen Teile klar 
empfunden wurde. Darum konnten nun rein rhythmische Ten- 
denzen umgestaltend einwirken, ohne daß man dabei in dieser als 
Einheit gefühlten Formel an eine Änderung des Sinnes dachte. 

Zeitschrift tür vergl. Sprachf. LVI 1/2. 1 


2 Hermann Jacobsohn 


Spitzer erinnert auch an die homerische Formel zodyer 16” 
&y&vovro, zu der ich auf dem Gymnasium das tagen baren als 
Parallele kennen gelernt hatte. Die Auffassung der Homererklärer 
geht allgemein dahin, daß hier das der Erinnerung Näherliegende 
auch sprachlich zuerst genannt wird. Aber es ist doch zweifel- 
haft, ob das zutrifft. Die Formel (due) zodpev nö’ Ey&vovro steht 
A251, 6723, «417, €201, also auch in der Ilias. Während aber 
die Odyssee von der Figur des nowdVoregov» so oft und gern Ge- 
brauch macht, daß man zu der Annahme kommt, sie habe auch 
in der gleichzeitigen lebendigen Rede eine beträchtliche Rolle 
gespielt, ist unsere Redensart eigentlich der einzige Fall eines 
Öoregov rodtegov in der Ilias, der streng genommen so genannt 
werden kann, mit Ausnahme zweier Beispiele aus Q. Classen, 
Beobachtungen über den homerischen Sprachgebrauch 200ff. hat 
einiges dieser Art zusammengestellt. Des öfteren werden solche 
Redewendungen an mehreren Stellen wiederholt, gewinnen also 
einen formelhaften Charakter und können daher kaum auf eine 
momentane, besonders lebhafte, gegenständliche Erfassung der 
Vorgänge durch den Dichter zurückgeführt werden, sondern müssen 
in der Sprache tiefere Wurzeln geschlagen haben. So wird beim 
Ankleiden e 229, x 364, 451, 320, 089 usw. zuerst die x4aive, 
der Mantel, dann erst der ron, das Kleid, genannt wie e 229 

aŭti ô uèv yAaivdv te yır@vd Te Evvvr 'OÖvooevs, 
während etwa B 262, wo Odysseus dem Thersites droht, ihn aus- 
zuziehen, die Reihenfolge 

(ano utv piña cïuara dor) 

yAaivdv UNÖE Xırova té T aiðð duyınalunteı 
ganz regelrecht ist. Ferner etwa x 352. 

twv N utv EBaAle Yodvoıs Cut yea xa, 

rogpVoea xatúneod , bneveode dë ATF bneßailer. 
Der Sessel wird mit Teppichen bedeckt. Aber erwähnt werden 
zuerst die, die nach oben gelegt werden, erst dann ist von den 
unteren die Rede. Es heißt dä 659 

uvnoTnoas 6° duvöıs zddıcav soi navoav dediwr, 
auch gegen die zeitliche Reihenfolge. Dergleichen ist der Ilias 
bis auf unsere Redensart eigentlich fremd. Nur zwei Stellen aus 
Q gehören hierher: 

1. Q443 

ĠA: Gre ÖN múgyovs TE veðv xal tápoov Ixovıo. 

Hermes und Priamos kommen an die Befestigungen des Griechen- 


Zum homerischen dozeocv noótegov 3 


lagers heran, sehen aber zuerst die Türme, und dieser frühere 
Eindruck drängt sich im Satze an die erste Stelle. 
2. Q 588 (= y 467; y 155) 

dupi dë uv gëpoc xav Bdiov NÖE yırðva, 
hier also wieder in einer Formel vom Ankleiden, die der obigen 
fast genau entspricht. Denn gägos ist das Obergewand, ent- 
sprechend yaiva, der xırwv aber das Unterkleid, in Wirklichkeit 
zieht man sich also in umgekehrter Reihenfolge an. Aber es ist 
charakteristisch, daß ın der Ilias eigentlich nur der Dichter des 
Q sich ein solches öoregov modregov gestattet: er steht in seiner 
ganzen Art der Odyssee besonders nahe (Wilamowitz, Ilias 70). 

Apollonios Dyskolos, negi ovvrafewg 11 (ed. Uhlig) nennt 
als Beispiele solcher Überschichtung zweier Ausdrücke sowohl 
u 134 Yoewacu 1exodoa te als auch m41 aùt&e ö (y) elow Zen xal 
öneoßn Adıvov obödv. Dazu bemerken zwei Scholiasten des Dio- 
nysios Thrax, die Uhlig in den Anmerkungen zitiert, daß eine 
solche Reihenfolge bei dem Dichter ganz in Ordnung wäre: oöd} 
yàg rdsıw anaıei... ô ovuniextnög ovvöcouds. Ob z 41 (= 030, 
wy 88) überhaupt streng genommen unter die Figur des ngwIvoregov 
gerechnet werden darf, ist aber doch zweifelhaft. Denn iev, das 
für gewöhnlich im Sinne eines Aoristes steht, könnte hier in der 
Bedeutung eines ingressiven Aoristes „er schickte sich an, hinein- 
zugehen“ gebraucht sein. Möglich ist freilich auch, nach der üb- 
lichen Auffassung anzunehmen, daß das erste Glied ganz allge- 
mein erst einmal den Vorgang angibt, das zweite Glied etwas 
besonders Wichtiges dieses Vorgangs zum Ausdruck bringt. Denn 
es liegen hier nicht zwei selbständige Handlungen vor, deren 
Umstellung das Wesen des eigentlichen Öotegov nodregov aus- 
macht. Vielmehr würde im letzteren Fall nachträglich eine be- 
deutsame Einzelheit hervorgehoben. Dahin kann man, wenn 
man will, Stellen rechnen wie x 328 

OC xe miy nal no@rov duslweraı Egzos Gddnroa, 
obwohl auch hier rin ingressiver Aorist sein und bedeuten könnte: 
„wer einmal zum Trinken angesetzt hat“. Ferner ein Vers wie 
6444, der ebenfalls hierhergezogen wird: 
ĠAR? abt Eodwoe xal Epodoaro Dë" överwo 
„Aber sie selbst (Eidothea) verschaffte Rettung und 
ersann eine starke Abhilfe.“ 

Hier führt das zweite Glied das erste, allgemein gehaltene 
sozusagen in die Tatsächlichkeit über. Es handelt sich um Gleich- 
zeitigkeit, um eine identische Handlung, die der epische Dichter 

| 1* 


A Hermann Jacobsohn 


koordiniert entwickelt, während wir mit „indem“ den zweiten 
Satz unterordnen würden. Ebenso ø 196 
ei nodev EAdoı 
ode udë Eganivng xai re Teög adröv Evelxaı. 
Wenn man die Antwort des Eumaios auf diese Frage des Odys- 
seus vs. 201 
Òs EAYOL uèv xeivos vho, dydayoı dë È daluwv 
damit vergleicht, so möchte man vs. 196 übersetzen: „und dabei 
ein Gott ihn leibhaft brächte“. Die umgekehrte Reihenfolge wäre 
hier stilistisch unmöglich. Natürlich ist ım Einzelfall nicht immer 
leicht zu entscheiden, wie man die einzelnen Verse zu interpre- 
tieren hat. Ein wirkliches Öoregov zgóctegov enthalten sie nicht. 
Das gilt nun auch für zwei Stellen der Ilias, in denen man 
diese Figur finden will: Ø 537 
of Ò dveodv te núas xai dorop Öxijas 
und Q446 
dog Ò our núas xai ANWoEv dyas. : 
Zu der letzteren Stelle bemerken auch die Scholien: Aage in 
td&ıv. Nun sind drëec die Riegel, mit denen die Türflügel, die 
o@viöes, genauer die Bohlen, aus denen die zwei Flügel, die 
dınkides, bestehen, geschlossen bzw. geöffnet werden. Vgl. auch 
M 120f. 
obÖE nów 
cde E£Enınexiuutvas oavidas xai uanoov drto 
und auch I 274ff. 
doru ÖF 2010 
bypnåai te núair oaviöes T èni ths dgagviaı 
. ELQÚOOVIQL. 
Ein öoregov modregov läge nur vor, wenn es Ø 537 hieße oi ©’ 
dveoav oavidas xai dn@oav yas. Denn erst werden die Riegel 
zur Seite gestoßen und erst dann die oaviöeg geöffnet. Mit ndha 
aber wird das ganze Tor bezeichnet. Es kann also in den beiden 
Versen Ø 537 und Q 446 wieder der zweite Satzteil eine nähere 
Erläuterung, Ausführung des ersten enthalten, so daß das Ver- 
hältnis des Ganzen zum Teil gegeben wäre. Das Zurückstoßen der 
Riegel würde als der wichtigste Vorgang beim Öffnen des Tors 
ausdrücklich nachgetragen worden sein. Ähnlich heißt es N 124 
EoonSev dë nülag xal uaxoov drto Nun wissen wir aber, daß 
die öyfjes durch die «Anis, einen Bolzen oder Keil, festgehalten 
wurden: M 455 


Zum homerischen dorsg0» nodreoov. 5 


doot Ò Evroodev dfec 
Ston Enmuoıßol, pia dé nåns nagos. 

Damit daß die «Anis herausgezogen wurde, begann die Öffnung 
des Tors. Es ist also vielleicht denkbar, daß man unter dveivaiı 
und olfa: núas im speziellen Sinne das Herausziehen der xAnis 
oder überhaupt den Gebrauch der xAnig beim Öffnen des Tors 
verstehen konnte, daß diese Ausdrücke im Sprachgebrauch auch 
auf den Vollzug dieser Handlung gingen. Vgl. p 47ff. 

Ev òè xAnið Tine, Jvoéwv Ò dvenontev xas 

. tù Ò EBoaxe „ala JúgETEQ 

winyevia aAnidı: nerdadnoav dé of eo 

und zum Ganzen Diels, Parmenides’ Lehrgedicht 117 ff. 
In der Formel der Odyssee 

ineodaı / olxov èvxtiuevov xai oùv (ënn) ès narolda yaïav 
6476; t315; ı 5833; x474; 0129; p259 (ähnlich £42; 115; 477) 
wird zuerst der Heimkunft ins Vaterhaus und dann erst der Rück- 
kehr ins Heimatland gedacht. Man kann zweifeln, ob hierin ein 
echtes new$voregov steckt oder das zweite Glied sozusagen die 
Vorbedingung zum ersten nachträglich ausspricht. In dieser 
letzteren Weise faßt Ameis-Hentze P 161f. auf: 

ei © obros noori dorv uéya Iloıduoıo dvanros 

Ador tedvyòos xai uw Egvoaiueda Xdouns. 

Das ist ohne Zweifel richtig. Aber da 2gvoaluseda im Sinne 
eines Plusquamperfektums stehen kann, so ist die Vorzeitigkeit 
des zweiten vor dem ersten Glied gewahrt, und von einem 
Öotegov noöregov kann nicht die Rede sein. Ebenso soll E 118 

doc dé TE w dvöoa Edeiv soi Es doumv Eyyeos EAdeiv 

der zweite Wunsch die Vorbedingung des ersten sein, indem &leiv 
mit „töten“ übersetzt wird. Die Situation ist die, daß Diomedes, 
von Pandaros aus der Ferne durch einen Pfeilschuß verletzt, 
wünscht, diesen so zu fassen, daß er ihn mit seinem Speer er- 
reichen kann. ‘Eev könnte also bedeuten: „daß ich ihn fasse, 
zu fassen kriege“. Aber der Vers ist schwerlich so richtig über- 
liefert. Denn nicht nur enthält er einen unzulässigen Hiat in 
der Thesis des zweiten Fußes. Auch das Schwanken der Über- 
lieferung am Versanfang weist auf eine Verderbnis hin. Mit der 
Formel der Odyssee ix&odaı / olľxov Evnılusvov xai oùv ès naroida 
yaiav direkt vergleichbar wäre E 398 

aörüo ô (scil. "Auöns) Br oös due Aròs xai uaxoov "OAvunorv. 
Aber Koechly und Wilamowitz haben die Verse E 398—402 mit 
recht verworfen. Wirklich aber wird O 124 


6 Hermann Jacobsohn 


gro ıèx nE0FÜg0V, Aine dë doóvov, Evda Fadooev 
in der zweiten Vershälfte nachgeholt, daß Athene erst ihren Sitz 


verlassen hat, bevor sie aus der Vorhalle eilte. Natürlich aber 


ist hier Aline Aorist der Vorzeitigkeit: „verlassen aber hatte sie 
den Sitz, wo sie gesessen hatte“. 

Fälschlich wird Q 206 hierher gezogen: 

ei ydo © alonosı xai Eodweran dpdaluoioı. 

Denn es bedeutet, wie Cauer angibt: „wenn (Achilleus) dich in 
seine Gewalt bekommen und dich dann (dadurch) als Priamos 
erkennen wird.“ 

Ebensowenig aber darf man @ 283f. als Beispiel unsrer Figur 


aus der Ilias nennen 
d o Ergepe Tvrdov óvta 


xai oe, vóðov neo óvta, xoulooaro o Evi oixw. 

Denn einmal braucht man xowiooaro nicht unbedingt als ingres- 
siven Aorist zu fassen und zu übersetzen „nahm in Pflege“, wo- 
durch erst ein Üorego» modregov gegeben wäre. Vielmehr steht 
der Aorist xduıooe auch v 68 im Sinne von „pflegte, zog auf“ als 
konstatierender Aorist. Dann aber hat Zenodot ® 284 garnicht 
in seinem Text gehabt, Aristophanes und Aristarch haben den 
Vers athetiert. Er ist also ein späterer Zusatz: Wilamowitz 
a. a. O. 49 Anm. Irrtümlich rechnet Classen a a. O. 202 die in 
Ilias und Odyssee häufig gebrauchte Redensart nos € Epar’ Ex 
€ övduabev hierher. Ohne daß der Sinn dieser uralten Formel 
ganz klar. wäre, darf man doch die Verbindung dieser beiden bei 
Homer zum Ausdruck der Vergangenheit nur im Imperfekt ge- 
bräuchlichen Verben >`) den Fällen zurechnen, in denen der Vor- 
gang des Sprechens zur Einleitung einer Rede durch Koordinie- 
rung zweier synonymer Verba des Sprechens bezeichnet wird. 
Diese Figur ist in einer Reihe von Sprachen grade für Ausdrücke 
des Redens nicht selten anzutreffen, während sie in gewissen 
afrikanischen Sprachen in ihrer Anwendung außerordentlich ge- 
steigert ist, sodaß hier alle möglichen Verbalhandlungen in reicher 
Fülle durch zwei oder auch drei Zeitwörter umschrieben werden. 

Außerhalb von Q existiert, abgesehen von der Formel roden 
Nö‘ yévovto, kein Öoreçov roöteogov in der Ilias im eigentlichen 
Sinne, das direkt dieser Redensart oder der Erwähnung des xırwv 
vor der doing an die Seite gestellt werden könnte. Selbst wenn 
man von den aus der Ilias sonst für unsere Figur genannten 
Beispielen, die ich besprochen habe, ein oder das andere gelten 


!) Der Aorist erst w 339: oi © wvöuaoas nal Eeınes naota. 


Zum homerischen öoregov nedregov. ri 


lassen wollte, so müßte doch zugegeben werden, daß sich einmal 
die Odyssee eine solche Wortstellung sehr viel häufiger gestattet 
als die Ilias. Dann aber würde den Fällen der Ilias der formel- 
hafte Charakter fehlen — immer abgesehen von Q und dem zodgev 
Oé Ey&vovro —, der den nowdVdoreow der Odyssee so oft eignet, 
bis auf 8537 und Q446 dveodv (dıfEv) te múñas xal ånðocav 
(Grı@oev) ðyğæs. Die aber sind eben anders zu beurteilen. Auch 
von diesen beiden Versen entfällt einer auf Q. 

Wenn aber die Ilias die Figur des doregov sieöTegov kaum 
oder doch nur mit großer Zurückhaltung außer in Q zuläßt, die 
Odyssee dagegen eine Fülle vielfach formelhafter Beispiele bietet, 
so dürfen wir damit das umgekehrte Verhältnis der Verwendung 
der Gleichnisse in beiden Epen zusammenhalten. Es ist nicht 
leicht zu sagen, warum die Zahl der Gleichnisse in der Odyssee 
so viel geringer ist als in der Ilias. Auch was Fraenkel, Die 
homer. Gleichnisse 103 darüber zweifelnd und vorsichtig vor- 
trägt, ist nicht ganz befriedigend. Aber das eine scheint doch 
sicher zu sein, daß das Gleichnis in seiner epischen Form der 
gewöhnlichen Rede der Griechen nicht entspricht, daß es aus 
einer Seelenhaltung des Dichters heraus entsteht oder in die Er- 
zählung eingeflochten wird, die über das Alltägliche weit heraus- 
hebt. So stellt es sich viel leichter im heroischen Stil der Helden- 
gesänge der Ilias ein als in dem mehr gemütvollen und märchen- 
haften Ethos der Odyssee, das eine solche Steigerung der Aus- 
drucksform nicht überall verträgt, vielmehr der Sprache des Lebens 
näherbleibt. Bei unserer Figur aber handelt es sich um eine etwas 
lockere Fügung der Gedanken, bei der das dem Sprechenden 
Wichtigere vorausgenommen, das zeitlich Frühere nachgeholt 
wird. Es ist durchaus begreiflich, daß sie in der erhabenen 
Redeweise der Ilias verfehmt ist. Sicherlich spielen chronologische 
Unterschiede zwischen der Sprache der Ilias auf der einen und 
der Sprache der Odyssee und des 2 auf der andern Seite in 
dem verschiedenen Verhalten zum Gebrauch des doregov noöTEgov 
keine Rolle. Vielmehr liegt hier ein deutliches Beispiel vor, in 
dem die mildere Atmosphäre der Odyssee und des Q der gleich- 
zeitigen Umgangssprache in ihrer gelockerten Form mehr Einfluß 
einräumte als die hochgespannten Gesänge vom trojanischen 
Kriege, in denen man sprachlich das zu meiden suchte, was in 
ihrer Zeit noch als volkstümlich und lässig empfunden wurde. 

Damit ist aber die Ausnahmestellung des wirklichen 7ọw- 
HVoregov Todperv Oé Eyevovro A251 gegeben. Diese Worte ent- 


8 Hermann Jacobsohn, Zum homerischen Öore00v odteoovV. 


halten eine Formel, die offenbar so allgemein üblich war, daß 
auch der hohe Stil an diesem öÖoregov nodregov keinen Anstoß 
mehr nahm. Aber hier kommt nun ein zweites hinzu. Keines- 
wegs wird ja bei der Verbindung dieser beiden Verba das zo&- 
peodaı die Erziehung, das Aufziehen, immer vor das enger, 
die Geburt, gestellt. Vielmehr heißt es H 199, 3436, y28 ganz 
regelrecht yevéoðaı te soap£uev te. Die umgekehrte Reihenfolge 
wird innegehalten einmal in zodpe» nö’ Ey&vovro A251, 6723, 
x417, E201 und dann in u 134 
Tas uèv do Jgépaoa texoŬo TE NÖTVIA UNTNO. 

Ähnlich ist ô 208 yaæuśovti te yeıvoutvp te. Es zeigt sich 
also, daß die Ilias nur in der Formel zodpe» Oé &y&vovro das 
ÖoTegov roödtegov zuläßt, und daß bei annähernd gleichem Ge- 
wicht der Glieder wie in yev&odaı te Toap£uev te garnicht daran 
gedacht wird, das dem Sprecher zeitlich Näherliegende voranzu- 
stellen. Vgl. auch X421 ög uw Ernte xai Eroepe ue yevkodaı. 
In rodpev od &y&vovro ist demnach gegen die gewöhnliche Reihen- 
folge eine Umkehrung der Glieder vollzogen, weil &y&vovro das 
längere, gewichtigere Wort ist. Wieder wie bei tagen baren kann 
ich das nicht anders auffassen, als daß die ganze Redensart so 
einheitlich geworden war, daß die spezielle Bedeutung beider 
Teile für gewöhnlich nicht mehr gefühlt wurde. Selbstverständ- 
lich ist auch in andern Beispielen eine gewisse Einheitlichkeit 
der ganzen Vorstellung gegeben, die es weniger fühlbar macht, 
wenn die Reihenfolge der Glieder umgekehrt wird. Das An- 
ziehen der Kleider, die Rückkehr ıns Vaterland und Vaterhaus 
werden als ein Ganzes angeschaut, ebenso Graben und Mauer der 
Achäer von den Wanderern, die sie von fern erblicken, und 
innerhalb dieses Ganzen kommt es nun nicht so sehr auf logische 
Anordnung der Teile an. Aber unsre Redensart war eben doch 
noch bedeutend fester zusammengewachsen, bis zu dem Grade, 
daß die einheitliche Vorstellung den Sinn der Teile überflüssig 
und dadurch undeutlich gemacht hatte. Infolgedessen konnten 
sich rhythmische Neigungen in dieser Formel auswirken, ohne 
daß damit für die Sprachgemeinschaft eine Änderung des Sinns 
gegeben war. Soweit war die Umstellung in dieser Formel nach 
Ausweis von A251 auch für den hohen Stil geläufig. Von den 
beiden übrigbleibenden Stellen der Odyssee können auch für d 208 
yau£ovii Te yerwvouévæ te rhythmische Gründe maßgebend sein, 
wenigstens für den Vers, da die metrische Dehnung der ersten 
Silbe von yevouévæ diesem das größere Gewicht gab. In u 134 


W. Schulze, Lesefrüchte. 9 


YoEıpaoa Texoöod te kann davon nicht die Rede sein. Man darf 
vielleicht annehmen, daß in der Odyssee, mithin in der lebendigen 
Rede, die vom öoTegov nodregov einen freieren Gebrauch machte, 
die Glieder unserer Formel von Fällen aus, in denen der Rhythmus 
entscheidend war, auch dann umgestellt werden, wenn ein solcher 
rhythmischer Anlaß nicht vorlag. Das homer. zo&pev Cé &y&vovro 
gibt also zu der Auffassung, daß in tagen baren dasjenige voran- 
gestellt ist, das dem Sprechenden zeitlich näher liegt, keine ge- 
sicherte Parallele. 

Auch ist es eigentlich zufällig, daß im Griechischen und 
Niederdeutschen die gleiche Umkehrung der Reihenfolge der 
gleichen Wörter vorliegt. Denn die rhythmischen Gründe, die 
dazu geführt haben, sind beide Male verschieden. Aber freilich 
die letzte Ursache, die die Umstellung ohne Schaden für den 
Sinn ermöglichte, ist dieselbe: daß nämlich diese Redensart als 
ganz einheitlich empfunden wurde. Selbstverständlich kann es 
solche feste Verbindung mit demselben Sinn schon in der idg. 
Urzeit gegeben haben, und auch damals kann sie schon ganz 
einheitlich geworden sein. Aber aus dem Zusammentreffen des 
Griechischen und Niederdeutschen braucht man das nicht zu 
folgern. Denn die zugrundeliegenden Vorstellungen gibt es weit 
über den idg. Kreis hinaus, sie sind mit den Verhältnissen ge- 
geben und können überall neu zu sprachlichem Ausdruck führen. 

Zu meiner Bemerkung über die asyndetische Verbindung, 
wie sie in tagen baren vorliegt, hatte mich Roethe auf das Buch 
seines Schülers Dickhoff, Zweigliedriges Wortasyndeton in der 
älteren deutschen Sprache (Palaestra 45) hingewiesen. Danach 
sind die zweigliedrigen adjektivischen Asyndeta im Deutschen 
nichts Singuläres. 

Marburg ı. Hessen. Hermann Jacobsohn. 


Lesefrüchte. 


1. Lit. käklas „Hals“ gehört zu derselben Wurzel, die den 
Indogermanen auch zur Benennung des sich drehenden Rades 
(gr. xUnAog usw.) gedient hat. Mikkola bei Trautmann, Balt.-slav. 
Wb. 125. Vgl. Otfrid II 21, 20 

ümbi kerit sih thaz múat, selb so mo ther háls duot 
mit Metra XIII 74 ed. Krämer (Bonn. Beitr. z. Anglistik VIII 66) — 
auf welche Stelle ich durch eine noch nicht gedruckte Arbeit 
W. Wissmanns aufmerksam geworden bin — 

nis nu ofer eordan ænegu gesceaft, 

þe ne hwearfige, swaswa hweol ded. W. S. 


10 Eduard Schwyzer 


prognatus. 
Ein Beitrag zur lateinischen Verbalbildung. 

Für die grammatische Beurteilung von prögnatus') scheinen 
unzweifelhaft Paare wie (g)natus ` (g)näsci, ugnätus ` agnasci den 
Maßstab hergeben zu müssen. Dabei kann, wie es den Anschein 
hat, nur Eines fraglich sein, ob die Bezeugung alt genug ist, um 
das geforderte Kompositum noch als prögnäascei zu bieten, oder 
ob in der Überlieferung schon der Anlaut der jüngeren Form 
nāsci in die Zusammensetzung mit pro verschleppt ist. 

Denn es ist ja so, daß gn nur im Anlaut auf lautlichem 
Wege zu n vereinfacht wurde (die Erhaltung von gn in Gnaeus 
erklärt sich durch den bekannten Konservativismus der Namen, 
vielleicht auch durch die ständige Abkürzung Cn); im Inlaut ist 
gn erhalten geblieben, wenn es nicht dem Einfluß daneben- 
stehender Formen mit anlautendem n statt gn erlag. 

Solche Fälle haben gerade bei (g)nasci zahlenmäßig das Über- 
gewicht. Neben den bereits genannten agnätus (seit legg. XII 
tab.)’) und agnäsci (Varr. Oic.; seit Plin. auch adgn.) zeigen gn 
nur cognätus (seit 204 v. Chr: Plaut.; Enn.), regnatus (est CIL. 
1V 4107) und praegnas (Plaut. Varr. Cic.). Letzteres steht isoliert 
(die Form praegnans beweist, daß man das Wort nicht mehr ver- 
stand) ”); regnatus kann noch für den oskischen Untergrund des 


1) prögnätus ist anzusetzen nach gesichertem prögignere. Doch ist auch 
hier einmal prö- für prö- eingetreten. 

2) Hier und im Folgenden ist jeweilen das erste Auftreten angedeutet, nach 
dem ThlIL. bezw. nach Georges. 

3) Infolge der Aussprache -äs für -äns wurde praegnäs schon ziemlich 
früh als ptc. praes. aufgefaßt (vielleicht unter Einfluß von ixciens; vgl. allen- 
falls auch pübdens. -ntis statt pübes, -eris, schon Verg. georg. 3, 126, Aen 4, 514: 
pübescere verlangt nicht den Ansatz eines pübere, so wenig neben adolescere 
in der Bedeutung entsprechendes «adolere steht). Zu praegnäns als vermeint- 
lichem ptc. praes. ist hinzugebildet praegnāre „schwängern“ (auch impr.) mit 
praegnätio Í., praegnätus m., „Schwängerung‘“; praegnätio erscheint schon 
bei Varro in den Bedeutungen „Befruchtung“ (von Pflanzen) r. r. 1,44,4 (neben 
neutr. pl. praegnätia des Adj.s) und „Schwangerschaft“ r. r. 2,1,18. Spätes 
praegnäx (divitiae praegnaces Fulg. myth. 2,3) steht für praegnä(n)s wie 
milex für miles. — Gegenüber den Möglichkeiten der semasiologischen Auf- 
fassung bei Walde, Lat. etym. Wb.? s. v. ist die Annahme einer Hypostase aus 
* prai gnäti(d) „vor der Geburt“ (bei M. Leumann in seiner Neubearbeitung 
von Stolz’ Lat. Laut- und Formenlehre in Müllers Handbuch 232 und bei Muller, 
Altital. Wb. s. v.) ein Fortschritt. Bedeutet aber praegnäs (als ursprüngliches 
* »rai-gnätis) nicht einfach „die die Geburt (in konkretem Sinne) vorn (== voran, 
zuvorderst) hat“? Das Wort geht nach dieser Auffassung anfänglich auf das letzte 


prognatus. 11 


pompejanischen Lateins zeugen’). Wie die allerdings fast durch- 
weg frühestens aus dem ersten Jahrh. v. Chr. belegten de- (Cass.- 
Hemina. Varr.), e (Lucr. Varr.), in- (Caes. Cic., innätus „ein- 
geboren“ schon Plaut.), inter- (Liv. Col.), ob- (nur obnätus Liv. 
23, 19,1), sub- (Ov.), super- (Cels. Plin.) nasci aufzufassen sind, 
zeigen adnäsci (Gell. 3,10,12, weiter atnatos CIL. II 4382, dövaros 
anatus Gloss., dövarınds dövarıwv Byzantini, adnatio Ps.-Apul.), 
connäsci (Hil. Cassiod.), renasci (Varr. Cic.) neben agnasci, cognätus 
(hier nur eine äußerliche Berührung, da cognatus mit dem späten 
connäsci nichts gemein hat), regnatus:n ist in den genannten 
Verben nath der jüngeren Form nasci (mit natio, natalis, natura, 
nātus-ī, natus-us)‘) an die Stelle von gn getreten; schon die klassi- 
sche Zeit kennt gn in der Sippe außer in dem isolierten praegnas 
nur noch in den der rechtlichen Sphäre angehörigen agnaseci, 


Stadium der Schwangerschaft, im Unterschied von den allgemeineren Bezeich- 
nungen inciens (vgl. &yxduwv), gravida (vielleicht nach dem Vorbilde des älteren, 
nur noch von Tieren gebrauchten forda gebildet), Im Sprachgebrauch besteht 
sonst kein Unterschied mehr (daß das allgemeine gravida auch durch expletis 
iam fere ad pariendum mensibus Sc. fragm.? Ribb. 42, propinquitate parti 
Pac. Atal. 19 eingeschränkt werden kann, ist selbstverständlich; aber auch Plaut. 
Amph. 719 gravida und 723 praegnati sind nicht unterschieden, wie an der 
Stelle meri bellatores gignuntur quas hic praegnatis fecit mil. 1077 prae- 
gnatis dem Sinne nach = gravidas ist; die Definitionen für gravida praegnans 
inciens bei Paul. ex F. 87, 1L. sind etymologische Spekulation). In eigentlicher 
Bedeutung begegnen nur die Feminina forda, gravida; daher wird auch inciens 
eine ursprüngliche Femininbildung sein (Laus aus -ntis, dies umgebildet aus -nti 
wie neptis aus *nepti; wieder deutlich Femininum frz. enceinte durch volks- 
etymologische Auffassung des neu mit femininer Endung versehenen *incientu 
als ¿ncin(c)ta (vgl. Meyer-Lübke, Rom. etym. Wb. s. v.; Spitzer, Z. f. rom 
Phil 46, 613f.). In dieser Beleuchtung stützt inciens die Ansicht Meillets, daß 
der Nom. Sg. iens (weshalb nicht auch ferens usw.?) eigentlich die Feminin- 
form sei, z. B. dens: ai. yati (MSL. 13,355, anders Sommer, Handb.?/® 598f.; 
Stolz-Leumann 309). Allerdings muß inciens nicht Fem. sein. Was Brockel- 
mann, Semit. Sprachwissenschaft? 106 vom Arabischen sagt („So entbehren auch 
im Arab. die Bezeichnungen für spezifisch weibliche, aus dem Sexualcharakter 
resultierende Zustände durchweg der Femininendung: ‘qir ‚unfruchtbar‘, kāmil 
‚schwanger‘, murdi‘ ‚säugend‘ u. a.“), gilt teilweise auch für idg. Sprachen; vgl. 
griech Eyxduwv, Avs. inciens kann also anscheinend maskulin, in Wirklich- 
keit nnr ohne Femininendung sein wie diese; es kann aber auch eine Feminin- 
endung enthalten wie Inlsıa 

1) Nicht erwähnt bei F. C. Wick, La fonetica delle iscrizioni parietarie 
pompeiane (Atti dell’ Accademia di archeologia, lettere e belle arti vol. 23 Napoli 
1905). 

?) naevus (mit den Namen Gnaivos Naevius). das ebenfalls hierhergezogen 
wird (Walde, Lat. etym. Wb.? s. v.; bei Muller, Altital. Wb. nicht erwähnt), 
war jedenfalls schon früh völlig isoliert. 


990680 


12 Eduard Schwyzer 


agnäatus, cognätus. Der Gegensatz zu nätus „geboren“ lautet innatıes 
(Ecel.); der lautliche Zusammenfall mit innatus „eingeboren* hat 
ein einst mögliches *ingnatus nicht festgehalten, weder in dieser 
Schreibung noch als *ignätus, wie man nach nötus ` ignötus (für 
ingn.) erwarten könnte. 

In ignötus ist die lautrichtige Form geblieben, obschon eine 
Form *innötus, die innätus entsprechen würde, eindeutig wäre, 
während ignötus sich mit ignötum (zu ignöscere) stoßen könnte. 
Man hat aber hier solche Rücksichten nicht gekannt, und keine 
durchgehende Regelung vorgenommen. Das zeigen auch die zu- 
sammengesetzten Verba und Nomina, die zu (g)nöscere gehören; 
gn ist hier in weiterem Umfange erhalten, als bei (g)nasci und 
Zubehör. Neben (g)nöscere (g)nötus nötio stehen a(d)gnöscere (mit 
adagn. Sen.), cognöscere (mit ad-, per-, prae-, recognöscere — seit 
Varro, Plin., Plancus, Cic.; darin kündigt sich das romanische 
einfache Verb nfrz. connaitre usw. mit Zusammensetzungen wie 
reconnaître an), ignöscere; zu agnöscere cognöscere gehören agnömen, 
cognomen, durch nachträgliche Umdeutung der ursprünglichen ad- 
nomen co(n)nömen (vgl. prae-, prönömen): der gleiche Vorgang hat 
sich bei ignominia abgespielt‘). Mit ignotus geht ignöbilis (: nöbilis). 
Nach ignarus ist auch im Simplex gn beibehalten worden °), doch 
neben ignävus stehen navus navare, die wohl auch zur Sippe ge- 
hören, aber jedenfalls früh isoliert sind. Dies gilt auch für igyno- 
räre und nöta närrare. Und doch braucht man (neben cognöscere 
usw.) mit n (nach nöscere) statt gn nicht nur inter- (Plaut.) und 
per-nöscere (Ter. Cic.) mit pernötus, in denen das Präverb auf 
Konsonant endet, sondern auch prae- (Cic.) und re- (Paul. Nol.) 
noscere, in denen gn zwischen Vokalen stehen würde; gegenüber 
dinöscere (seit Hor. Ov.) ist dignöscere Spätform (535 n. Chr: 
V111./IX. Jahrh. n. Chr.); adnöscere (in einer Handschrift ann-) 
steht Panegyr. 5,19 für agnöscere. Nötescere hat neben sich z- 
(Plin. Suet. Tac.), in- (Ov.), per- (Tac.) nötescere. 

Die Formen mit gn und n und der Unterschied in ihrer Ver- 
teilung bei den beiden Wortgruppen von altlat. gnäsci und gnös- 
cere setzen sich bis ins Romanische hinein fort (vgl. Meyer-Lübke, 
Rom. etym. Wb. s.v.v.) Neben nascere natus nativus natälis 
natālia (naevus gehört vom romanischen Standpunkt aus garnicht 


1) &övoduıov» Byz. ist kein Zeugnis der ursprünglichen Form adnömen; 
vgl. däuëroc für agnätus. Unsicher adcognomen Apul. flor. p. 21 Oud. 

2) Aber naritas Donat zu Ter. ad 3,3, 43 ist nur gesagt, um davon nāres 
ableiten zu können. 


proynatus. 13 


mehr zur Verwandtschaft) bietet das Romanische mit gn nur die 
isolierten cognatus (in der Bedeutung „Schwager“; nicht nur 
prognätus, sondern auch das Rechtswort agnatus ist verschwunden) 
und graegnas. Dagegen setzen die romanischen Reste der Sippe 
von gnöscere fast durchweg gn voraus. Denn nota (notare) ist 
längst isoliert und nöbilis gelehrt. Was bleibt, beruht durchweg 
auf lateinischen Formen mit gn; es sind freilich nur *agnotare, 
cognoscere mit cognitus, ignoräre, und bei den beiden mittleren ist 
gn vielfach durch n ersetzt (so in nfrz. connaître) '). 

Die Möglichkeit eines altlat. prognasci (dies wird in der Tat 
in einzelnen Wörterbüchern, nicht nur Forcellini’), sondern auch 
noch Georges und Heinichen, als Grundlage von prognätus an- 
gesetzt) ist kaum zu bestreiten; wenn die Überlieferung nur eine 
jüngere Form prönasci böte, wäre auch dagegen (so scheint es) 
nichts zu erinnern. Es fällt immerhin auf, daß prognäsci über- 
haupt nicht erscheint, und prönasci, soweit gesichert, erst spät 
und in einer Bedeutung auftritt, die für prognatus in keiner 
seiner Anwendungen ernsthaft in Betracht kommt’). Für die 
Stelle certos nihil recipiendum quod non conspiret germanae et ipso 
iam aevo pronatae propheticae paraturae Tert. anim 2 (ed. Reiffer- 
scheid-Wissowa CSEL. XX 1 p. 301,15) gibt die Glosse prognatus 
ante natus (Gloss. 142; aber prognonte genite V 137,44) die Er- 
klärung (prognatus statt pron. durch Einfluß des alten progn.). 
Danach wird auch pronasci an der folgenden Stelle „vorher geboren 
werden“ heißen: illum (Iovem) non aliquis prophetauit ante pronasci 
Comm. instr. 1,6,13 (ed. Dombarth CSEL. XV mit C’); eine Be- 
deutung „entstammen“ würde hier garnicht passen, und im Lat. 
auch eine Angabe des Ausgangspunktes vermissen lassen, die bei 
prognatus fast nie fehlt; man müßte dann schon ein pronasci 
„geboren werden“ mit bedeutungslosem pro- annehmen, womit 


1) Danach zu beurteilen conovi Itala Os. 5,3 (Wirc.); auch connatus für 
cogn. CIL. VI 13121 (verschieden von connätus „simul natus“ Hil.). Vgl. auch 
nirz. pronostic aus griech. mg0yvwozındv. 

2) „prognatus ab inus. prognascor sive a pro et gnatus“: das Letztere 
könnte nur „alicuius loco natus“ oder „nati (= filii) loco“ bedeuten, Beides un- 
diskutierbar. Das bei Forcellini angegebene Verbalsubstantiv prognätio f. (oppi- 
dum Calydon Diomedis Tydeique prognatione notissimum Mart Cap. 6 
p. 210) ist in den neueren Ausgaben durch progeneratione ersetzt. 

3) Die Unterlage für die folgenden Ausführungen über prögenere, -gignere, 
-gnätus, -näsci bildet das Rohmaterial des ThlL. Ich bitte Herrn Generaldirektor 
Dittmann auch an dieser Stelle meinen verbindlichen Dank für die liebenswürdige 
Übersendung der Fundstellen entgegennehmen zu wollen. 


14 Eduard Schwyzer 


man allerdings der Tautologie ante pro- entginge; aber die Hand- 
schriften, die ante praenasci bieten, waren nicht so feinfühlig; es 
sind übrigens dabei gerade auch AB, denen Dombarth an andern 
Stellen den Vorzug gibt: also wird man sich vielleicht überhaupt 
für die Lesart praenasci entscheiden und in pronasci eine Ände- 
rung erblicken dürfen; diese könnte durch das an zwei andern 
Stellen bei Commodian erscheinende pronatus = progn. (s. u.) ver- 
anlaßt sein. Es ist klar, daß prönasci „vorher geboren werden“ und 
prönatus „vorhergeboren* (die Bezeichnung der Quantität hat für 
die Spätzeit nur etymologischen Wert) grammatisch junge Bil- 
dungen christlichen Ideengehaltes sind (aus prö und nasci, nätus), 
ohne Zusammenhang mit dem altbezeugten prognätus, das nur 
zu einem pronäsci „geboren werden“ Beziehungen haben könnte. 

Immerhin sollte man eine Zusammensetzung pro(g)näsci nicht 
nur von prognatus aus erwarten. Gibt es doch auch prögenere `), 
-gignere, -genies, -genitor, -generäre, die mit ai. pra-jan- (praes. 
-janati, -te „erzeugt“, -jayate „wird erzeugt, geboren“), praja f., 
prajan- f., prajati- Í., avest. frazainti- f., alle vier = „Nachkommen- 
schaft“ in der indogermanischen Spracheinheit wurzeln’). Und 
neben e, in-, re-gignere steben e, in-, re-nasci. Da dürfte es doch 
nicht zu kühn sein, auf Grund von prögignere ein prognasci zu 
fordern, ohne Rücksicht auf die Zufälligkeit der Überlieferung? 

Die Schlußfolgerung scheint bündig. Ist aber damit die 
Überlieferung mundtot gemacht? Sie scheint mir gerade etwas 
Anderes auszusprechen. Es gibt kein prognäsci, wohl aber gibt 
es prögenere -gignere; prognätus ist also nicht Partizip zu einem 
verschollenen prognäsci, sondern zu den sicher bezeugten pröge- 
nere -gignere; prognätus kann unmittelbar dem ai. prajata- „er- 
zeugt, geboren“ gleichgesetzt werden. 

Formell steht prognatus neben prögenitus wie gnätus neben 
genitus, nur mit dem Unterschied, daß gnätus ein gnāsci neben 
sich hat, prognatus nach dem Vorigen neben sich kein prognasei 
gehabt haben soll. Läßt sich aber ein prognätus als Ditz zu 
prögenere -gignere aus dem Gebrauche des Wortes noch erweisen? 
9 Nur Paul. Dig. 38, 10, 10,17 ex quibus proximus quisque progenitur, 
was angesichts des sicher alten genere nicht als Rückbildung von progenitus 
aus zu betrachten sein wird. 

2) In abgeleiteter Bedeutung homer. zeoyiyvouaı „hervorkommen‘. Air. 
rogen(a)ir (Pedersen, Vgl. Gramm. II 533) ist an sich für ein idg. pro-gen- nicht 
beweisend, wenn auch gerade hier einer der Ausgangspunkte für die ausgedehnte 


Neuverwendung von ro aus idg. pro im Air. liegen könnte (vgl. Thurneysen, 
Handb. 324f.). 


prognatus. 15 


Es war mir selbst eine Überraschung, als sich im Stellenmaterial 
des ThlL. für prognatus zunächst zwei Stellen zeigten, von denen 
die eine partizipialen Gebrauch anzunehmen nicht nur gestattet, 
sondern verlangt. An der Stelle de ornamentis eorum quemadmodum 
sunt prognata et quibus principüs et originibus inventa, dicere Vitr. 
4, 2, 1 steht prognata parallel zu inventa; danach ergibt sich auch 
für quae ex ea (aqua) essent prognata. ebd. 8 praef. 1 die partizi- 
piale Auffassung als möglich. An beiden Stellen könnte man 
statt prognatus ohne weiteres progenitus einsetzen; an den Vitruv- 
stellen hat prognatus ganz die neben der ursprünglichen schon 
früh bezeugte allgemeine Bedeutung von prögenere, -gignere 
bezw. -gigni „entstehen lassen“'),, Und zu der üblichen Über- 
setzung des adj. prognatus mit „entstammt, abstammend‘“ °) stimmen 
die beiden Vitruvstellen überhaupt schlecht, besonders schlecht 
die erste, an der ein Ausgangspunkt nicht angegeben ist und 
die Übersetzung „entstanden“ paßt. Tritt aber dieser Gebrauch 
bei Vitruv, also in augusteischer Zeit, völlig unvermittelt auf, oder 
hat er eine ältere Grundlage? Ist man einmal auf die Möglich- 
keit aufmerksam geworden, findet man auch in der älteren Lite- 
ratur Stellen, an denen prognatus zwar im Gegensatz zu den 
Vitruvstellen auf Personen geht (wie sonst fast durchaus), aber 
partizipial fungiert und nicht durch „entstammt“, sondern durch 
„erzeugt“ bezw. „geboren“ zu übersetzen ist. In dem Tragiker- 
fragment (Naevi Iphig.?) Ribb.° inc. 54 (Diehl inc. 24) ist (patre) 
prognatus allerdings Konjektur, aber sichere (aus propagatus Quint. 
und propugnatus Diom.; Büchelers (patre) gnatus ist nicht wahr- 
scheinlich, nur muß man prögnatust lesen): Iove (patre) prognatus 
est, ut perhibent, Tantalus, | ex Tantalo ortus Pelops, ex Pelope autem 
satus | Atreus. Plaut. sagt Epid. 171f. eam (uxorem ducere), qua 
ex tibi commemores hanc quae domist filiam prognutam (die älteste 
Stelle, an der der Abl. bei progn. durch ex verdeutlicht ist). Die 
früheste Stelle, an der ab in gleicher Funktion steht, in der viel- 
leicht 130—140 Jahre jüngeren lex Antonia de Term. vom Jahre 


1) Plaut. Ps. 492 quia nolebam ex me morem progigni malum, Lucr. 
novos rerum progignere motus 2,81, unde ea (res) progigni possit con- 
cepta 2,545, et res progigni et genitas procrescere posse 2, 566, sensum 
progignere acerbum 4,670, Cat. 64,89 quales Eurotae progignunt flumina 
myrtos, Cic. div. 1, 128 ut in seminibus vis inest earum rerum, quae ex iis 
progignuntur, off. 3,66 hic qui illud lumen progenuit. 

2) „Meines Wissens ist prognatus nie anders gebraucht als in der Be- 
deutung ‚aus, von etwas erzeugt, entsprossen‘, #xyovoç“ urteilte Bücheler 1861 
aus seinem Sprachgefühl heraus (jetzt Kl. Schr. I 324). 


16 Eduard Schwyzer 


683 d. St., braucht, was progn. betrifft, nicht anders gefaßt zu 
werden: quei ab eis (die an den Kal. Apr. 682 a.u.c. Bürger von 
Thermessus maior waren) prognati sunt erunt („von ihnen geboren“ 
besser als „entstammt“), iei omnes posterioresque enrum Thermeses 
maiores Peisidae — sunto GlL.1°58915 (~ quive] ex iis prognati erint, 
aequaliter in familiam nominis mei permaneafnt, spätere Inschr. des 
T. Flavius Syntrophus CIL. VI 10239, 17). Auch zu der Nicht- 
Bezeichnung des Ausgangspunktes an der ersten Vitruvstelle 
bietet die ältere Literatur ein Analogon: libera ego prognata fui 
mazume „durchaus eine Freie bin ich gewesen von Geburt“ Plaut. 
Rud. 217; dahin gehört auch substantiviertes prognati „Kinder“ 
(patria et prognati tutantur Plaut. Amph. 650), also = prögeniti 
(freilich auch = gnati?). 

Die eben besprochenen Stellen aus der älteren römischen 
Literatur gehen alle auf die direkte Abstammung. Dies ist 
auch die überwiegende Bedeutung des adj. prognatus, das den 
partizipialen Ursprung immerhin noch in dem hervorstechenden 
prädikativen Gebrauche verrät; man wird auch hier nicht „ent- 
stammt“ übersetzen, sondern „erzeugt“ bezw. „geboren“ („von 
einem Vater“ bezw. „einer Mutter“, was ständig angegeben ist). 
Rechtlich kommt der Vater allein in Betracht; so steht denn 
patre prognatus in Gedichten als getragener Ausdruck für f(ilius) 
der sachlichen Amtssprache: Gnaivod patre prognatus der zweit- 
ältesten Scipionengrabschrift, vor 218(2) v. Chr. ~ proynatum Publio 
der drittältesten, nach 180 v.Chr. CIL. I? 7.10 = VI 1285. 1288, 
Naev. sanctus Jore prognatus Pythius Apello carm. 32, Dryante 
regem prognatum patre trag. 21R.’, Plaut. Sosiam vocant Thebani 
Davo prognatum patre Amph. 365 ~ 614, Moscho prognatum patre 
Men. 407 ~ 1078, tun meo patre es prognatus? Men. 1079, so, wohl 
als feierlicher Archaismus, noch bei Hor. sat. magno prognatum 
consule cunnum 1,2,70 [~ magno patre nata puellast 72], artis quas 
doceat quivis eques atque senator semet prognatos 1, 6,78, Liv. 
Romulus, deo prognatus, deus ipse ... Servius, serva natus 1,40 und 
Apul. Haemus ... patre Therone aeque latrone inclito proynatus met. 
7,5. Überall steht hier der bloße Ablativ, wohl durch literarische 
Überlieferung (so auch in anderen Verwendungen bei Apul. und 
August.); der Syntax des Lebens entspricht Neptunum facitis deum 
ex Saturno pronatum Comm. instr. 1, 10, 1. — Selten ist — infolge 
der Rechtsordnung — der Ablativ der Mutter: Zurydica prognata 
Enn. ann. 37V., ille prognatus Theti Plaut. Epid. 35 (vgl. ebd. 
172 o. S. 15). Ungewöhnlich ist es, wenn einmal die Eltern 


| — e 


prognatus, . 17 


kollektiv erscheinen: utroque parente prognatae nennen sich die 
Schwestern der Psyche Apul. met. 5,9 (die Konjekturen lassen, 
worauf es hier ankommt, unangetastet); mindestens allgemein 
ausgedrückt (wie bei indirekter Abstammung) ist bonam bonis 
prognatam Ter. Phorm. 115, was doch auf die Eltern geht. Der 
Vater braucht nicht durchaus ein Mensch zu sein (cygno prognatum 
Plaut. Men. 854 bei Prisc. gramm. I 216), und statt der Mutter 
kann auch eine Bezeichnung des Mutterschoßes stehen (corpore 
Zartarino prognata Paluda virago Enn. ann. 521 V., ovo prognatus 
eodem Hor. sat. 2,1,26, haec dea Iovis capite prognata Macr. sat. 
1, 17,70); daran schließen sich Catulls Peliaco quondam prognatae 
vertice pinus 64,1, die Bücheler a.a. O. als „Ausgeburt des Berges“ 
erläutert hat; aber die Büchelers Feingefühl widerstrebende Orts- 
bestimmung auf die Frage wo? bei prognatus') gibt es doch: non 
enim ubi prognatus, sed ut moratus quisque sit spectandum verteidigt 
sich der Numidiae et Gaetuliae in ipso confinio geborene Apulejus 
apol. 24. Und der Afrikaner steht nicht allein, er kann sich für 
sein ubi auf einen älteren, guten Italiker berufen, der zugleich 
zeigt, daß die Catullstelle auch eine prosaischere Auffassung 
verträgt: Plin. nh. hat quippe et harundines quamvis in palude 
prognatae non tamen sine imbre adulescunt 9, 56 und (blattae) lucem 
fugiunt in balinearum maxime umido vapore prognatae 11,99. Aber 
die Bedeutung ist hier die ganz allgemeine „entstanden, ge- 
wachsen“, von animalischer und pflanzlicher Entwicklung; sema- 
siologisch reihen sich die Pliniusstellen denen aus Vitruv an, 
ebenso ein Passus aus einer dem Afrikaner aberkannten Schrift: 
deorum genus omnium confusione manifestum est de mundissima 
parte naturae esse prognatum Ps.-Apul. Ascl. 23, ein Beispiel, das 
grammatisch zu partizipialem prognatus gehört. 

Schärfer muß das Wort bestimmt sein, wenn natus als Gegen- 
satz dabei steht. Und zwar wird in der Rechtssprache mit 
prognatus die spätere Generation eingeführt, während für die 
frühere natus steht, so wiederholt bei Gaius inst., z. B. pronepos 
proneptisve ex nepote filio nato prognatus prognatave 3,2 (= lustin. 
inst. 3,1,2) „ein Urenkel oder eine Urenkelin, vom Enkel, der 
vom Sohne erzeugt ist, erzeugt“ (eigentlich wohl „weiter erzeugt, 
fortgepflanzt“, im Anschluß an die für pro-gen- als ursprünglich 
anzunehmende Bedeutung der Präposition’); so auch ebd. 3, 45. 


1) „Man sagt Deli natus, nicht D. prognatus“ ebd. 
2) Vgl. Wackernagel, Sprachliche Untersuchungen zu Homer 238. W. spricht 
allerdings über den besonderen Fall pro-gen- nicht, in dem Brugmann, Grundr.? 
Zeitschrift für vergl. Sprachf. LVI 1/2. 2 


18 Eduard Schwyzer 


46. 58; ähnlich Gell. 13, 20 (19), 15 (quia ille Salonianus in extrema 
patris [M. Catonis] aetate, sicut dixi, natus fuit, prognati quoque 
ab eo aliquanto posteriores fuerunt, quam qui a maiore fratre eius 
geniti erant); der gleiche Wechsel bei den Verben (neque gnatust 
neque progignetur neque potest reperirier, cui ... Plaut. Truc. 699). 

Andererseits steht prognatus im Gegensatz zu natus und allein 
zur Bezeichnung der indirekten Abstammung. Der Großvater 
ist mit prognatus im Gegensaiz zu natus für den Vater eingeführt 
an einer Stelle, die Vahlen dem Ennius (scaen. 357), Ribbeck 
einem trag. inc. zuweist (*57): Tantalo prognatus, Pelope natus 
(näml. Atreus) Um die Enkel handelt es sich auch bei den 
Herculeis prognatis Plaut. Cas. 399, wo aber der Gegensatz natus 
fehlt (das Patronymicum ist nach Ausweis des pälign. Ioviois puclois 
v. Planta II 544 nr. 245 gut italisch). In anderen Fällen steht 
zwar natus neben prognatus, aber ohne den Gegensatz zwischen 
Großvater und Vater: Caelius (Cic. epp. 8, 15, 2) stellt den Caesar 
als Venere prognatus einem psecade natus gegenüber; da geht 
prognatus auf die Herkunft von einem Stammvater; an der oben 
S. 16 zitierten Liviusstelle bezeichnet prognatus nicht weniger die 
direkte Abstammung als das daneben stehende natus, das immer- 
hin die inferiore Herkunft einführt (rein stilistisch der Wechsel 
der Verba an der S. 15 angeführten Tragikerstelle). Der Venere 
prognatus heißt auch Iulo prognatus (in der Übersetzung einer 
griechischen Orakelinschrift Suet. Iul. 81); er selbst hat geschrieben 
Galli se omnes ab Dite patre prognatos pruedicant Caes. bG. 6,18,1. 

Um indirekte Abstammung handelt. es sich auch, wenn der 
Ablativ des Geschlechts, der Familie statt des Ablativs eines 
„Elters“ steht (ich weiß keine bessere technische Bezeichnung 
als dieses scheußliche Medizinerwort): Plaut. quali me arbitrare 
genere prognatum? Aul. 202, prognatum genere summo Capt. 170, 
captivam genere prognatam bono Epid. 107, non eo genere sumus 


II 2, 874f. die Bedeutung „hervor“ sieht (so schon früher O. Keller, Zur lat. 
Sprachgeschichte II 67f., der immerhin den „Ausdruck ‚hervorgeboren‘ höchst 
gesucht“ findet und pro- aus dem Streben nach Alliteration begreiflich zu machen 
sucht). Die Bedeutung „weiter, fort“ auch in »rönepös (ai. ved. pranapāt), 
pröneptis (mit metrisch gesichertem ö Pers. 6.53): danach auch prógener an- 
zusetzen und zu verstehen (auch pröfilius CIL. VI 14929? oder aus pro filio — 
„nepos“ hypostasiert?). Dagegen pro-avus -avia -avunculus -patruus -socer 
-socrus mit pro „vor“, wenigstens nach dem Sprachgefühl der historischen Zeit 
(ursprünglich wohl auch „weiter“ in der Reihe nach oben; man sieht hier, wie 
„weiter“ zu „vor“ werden konnte). Aber proamita, -mätertera passen nicht 
zu pro „vor“, aber auch nicht recht zu pro „weiter“. 


prognatus. 19 


prognatae Rud. 1201; so wieder der archaisierende Apul. (familia 
Plutarchi ambae prognatae sumus met. 2,3) und Comm. germine 
zabolico facitis ut turbae pronatae instr. 2, 32, 13 Dombarth'). Die 
erweiterte Sippe ist der Stamm: si Graeci venerint vel Graecorum 
stirpe prognati Aug. civ. 18,16 (p. 276, 23D.); puer serve pronatus 
natione Tracie CIL. II 3354 (Spanien; nach Berlanga proditus zu 
lesen), und statt des Stammes kann auch der Völkername gesetzt 
werden: erant ex Cimbris Teutonisque prognati sagt Caes. bG. 2, 29, 4 
von den Aduatukern („sie stammten ab ...“); hier ex gegenüber 
ab an der vorher zitierten Stelle, wohl nicht ohne Absicht. — 
Die Unterscheidung zwischen direkter und indirekter Abkunft, 
die die Systematik verlangt, ist wohl für die natürlich-primitive 
Sprachauffassung zu scharf; das genus, der Samen bildet eine 
Einheit; es steht im Belieben des Denkenden, wie weit er zurück- 
greifen will. (Genere in genere gnātus mag ursprünglich lokal 
gewesen sein, „Geburtsstelle*; vgl. loco natus?)’). 

Daß prognātus nicht ganz selten vom Altlatein bis in die 
Kaiserzeit rein partizipial auftritt und zwar teilweise in Ver- 
wendungen, die nicht wohl von prognātus in der Bedeutung „ er- 
zeugt“ bezw. „geboren von“ ausgehen können, die aber bei 
prögignere wiederkehren, daß die Bedeutung ,abstammend von“ 
ein sachlich bedingter Ausläufer ist, dürfte nach dem Vorstehenden 
ausgemacht sein. Aber daß das partizipiale (und damit das adj.) 
prognätus zu prögignere gehören müsse, ist damit nicht erwiesen; 
man könnte vielmehr besonders in den chronologisch späteren 
Beispielen des partizipialen prognātus gerade Anzeichen für ein 
pro(g)nasci „geboren werden“ sehen wollen. 

Die Ansicht, daß prognatus zu prögignere gehöre, erhält aber 
von diesem Verb selbst aus Unterstützung. Während prögignere 
schon verhältnismäßig früh und nicht ganz selten belegt ist’), er- 


1) Hier germen wohl — „genus“, wenn auch die Bedeutung „Keim“ nicht 
ausgeschlossen ist; zab. = diab. wie zacon, zaconus, zaeta, Hippo zarytus 
(heute Bizerta) aus dia-; aber zaplütus ist schon griech. GdnAovros; zu pro- 
natae = progn. s.o S. 13 Fußn. 1. 

2) Daher cognāti cognātio? Aus diesen erst sekundär der Singular co- 
gnätus. Die Wörter sind nach Thurneysen (ThlL.) Zusammensetzungen aus co(n) 
+ gnät.; in der Tat ist ein *cogräsci nicht, conasci spät belegt, ebensowenig 
ein *congignere (nur congenitus Din) 

3) Außer den schon S. 15 Fußn. 1 genannten Stellen vor Statius noch Verg. 
Aen 4,180 (sororem) progenuit pedibus celerem, Ov. ep. 7,38 te saevae pro- 
genuere ferae, met. 8,125 qui te progenuit, taurus fuit, 9,670 progenuit 
tellus, Colum. 3,10,11 kac lege (opifex) pecudes ac virgulta progenuit, Val. 

2% 


20 Eduard Schwyzer 


scheint prögenitus zuerst bei Statius, von da an allerdings häufig, 
vielfach als isoliertes Partizip ‘`. Man hatte in älterer Zeit ein 
prögenitus nicht nötig, weil man dafür prognatus hatte, und man 
bildete zu diesem kein prognasci, weil prögiyni genügte. So er- 
klärt sich der Tatbestand restlos, den für zufällig zu halten ein- 
fach den Verzicht auf eine Erklärung bedeutet. 

Ein ernsthafterer Einwand wäre, daß genitus schon aus älterer 
Zeit bezeugt ist als prögenitus; wenn es genitus gab, wird es auch 
prögenitus gegeben haben. Durchschlagend ist diese Beweisführung 
nicht; behaupten doch oft Zusammensetzungen gegenüber dem 
Simplex ihre Selbständigkeit (vgl. z. B. agnitum, cognitum gegen- 
über nötum, di-, intelleri, dempsi prompsi gegenüber Jeo mī). So 
wird man neben gignere ` genitus das abweichende prögignere : pro- 
gnatus anerkennen dürfen. Um so mehr, als die vorgeschichtliche 
Sprachforschung noch einen Schritt weiter führt. Mich hat die 
Erklärung der Scipioneninschriften schon vor einigen Jahren 
auf meine Auffassung von prognatus geführt; andere Forscher 


Flacc. 5, 462 quos advena Phrixus progenuit, 6,50 quem Juppiter oris pro- 
genuit, Sil. 17.288 progenuisse caput 

1) Stat. Ach. 1,269 progenitum Stygos amne severo (neben Theb. 7,213 
fratres progenuisse); Fest. p. 130M. Munmiliorum familia progenita sit. 
226 M. privignus quod ... est progenitus; Gell. 3,9,2 tamquam de genere 
equorum progenitus sit. 13,20,25 partem familiae, quae ex minore Catonis 
filio progenita est, Apul. Plat. 1,7 hinc prima elementa esse progenita (neben 
apol. 38 de piscibus qui eorum coitu progignuntur), (nur) progenitus ferner 
Arnob. adv. nat. 2,47. 4,14. 7,35: Iuvenc. 3.486: Firm. err. 6,1, math. 6,23, 3. 
30.16; Chalcid. comm. 296 (neben progenuit 330. 339); Ps. Aurel. Vict. epit. 5.1: 
Claud. (3 Stellen im Index von Birt); Claud. Donat. Kommentar zur Aeneis 
(7 Stellen im Material des Th.); Aug. civ. 16,3. 17,20. 18.47 (5 Stellen mit 
progenitus, neben progenuit gen. ad litt. 8.3, progignere c. Faust. 22,70): 
Mart. Cap. 1,1. 40. 2.159. 210 6,656; Cod. Theod. (Index); Sidon. carm. 2, 187: 
Sedul. carm. pasch. 2.77: Boeth. arithm. 1,32; Iord. Get. 60. 174. 176; CIL III 6587. 
7440. VIII 12. 10489. 22671; Iust. inst. 3,1, 2a. 5.1; Mod. Dig. 38. 10, 4,1; in 
den Glossen steht progenitus als Erklärung für yevvndels rexdeis (II 262,35. 
454.45), aber auch progigno mit fälschlicher Auffassung von pro- für zooyevvo 
zoorızto (II 416,41. 424.5). Die Belege für progenitus überwiegen also gerade 
auch in Prosa stark; immerhin begegnen auch in den späteren Jahrhunderten 
in Poesie und Prosa noch finite Formen (außer den genannten Stellen Ps. Cens. 
frg. 1,5 progignit, Ser. Samm. 57 progenuit, Lact. epist. 37,1 progenuit, Veg. 
mil. 1,28 progenuere, Paul Nol. carm. 27,219 progenuere). Das Material er- 
scheint reichhaltig und mannigfaltig genug, um die Behauptung zu rechtfertigen, 
daß auch eine Anzahl von Stellen aus mir unzugänglichen Quellen und weitere 
Sammlungen kaum etwas an diesem Verhältnis zwischen progenitus und den 
finiten Formen ändern werden. Die Isolierung, die bei prognätus in vollem 
Umfang eingetreten ist, hat doch auch bei progenitus wenigstens begonnen 


"mg y emm, ` emgeet. _ eem. EEE 


prognatus 21 


haben vom Boden der indogermanischen Ablauttheorie aus genitus 
als „sekundär“ erklärt, erst nach genitum (Sup.) und genitor auf- 
gekommen (Meillet & Vendryes, Traité de grammaire comparée 
des langues classiques 336, 338; Stolz-Leumann 341). Was das 
Primäre war, ist klar: wie prognātus zu prögignere sich stellt, so 
stand einmal neben gignere nicht genitus, sondern ynatus. Dies 
gehörte allerdings gleichzeitig auch zu gnasci. Da dieses auch 
„erzeugt werden“, nicht nur „geboren werden‘ heißt wie gigni, 
war bei gnātus eine Scheidung gar nicht möglich; erst als genitus 
aufgekommen war (was man danach um so besser begreift), kam 
gnätus endgiltig zu gnāsci. Diese Entwicklung setzt die Einver- 
leibung des Partizips auf -to- ins italische Verbalsystem voraus 
(Brugmann, IF. V89ff.).. Die Reihen genere gignere gnasci ` ynatus, 
prögignere : prognätus sind noch eine Erinnerung an die Zeit, als 
die £o-Partizipien als selbständige Bildungen aus der gleichen 
Wurzel neben den übrigen Formen standen, ohne der Tempus- 
bildung zu dienen, als das Italische (und Keltische) darin noch 
auf dem Standpunkt des Griechischen standen. 

Man wird diese Betrachtungsweise auch für genere gignere 
gnäsci ` gnatus um so berechtigter halten dürfen als auch hier 
die Überlieferung Fingerzeige gibt, die in die gleiche Richtung 
weisen. Das Partizip genitus erscheint nicht bei Plaut. (Lodge; 
allerdings nur drei Belege für gignere), aber auch nicht bei 
Cic. (Merguet). Daß Cat. wohl progignere prognätus, kein genitus 
hat, besagt nichts; Caes. braucht gignere überhaupt nicht, nasci 
natus oft, sogar singuläres collis nascebatur bG. 2, 18. In der 
Literatur erscheint genitus zuerst bei Lucr. (2,566; s. S. 15, Fußn. 1), 
dann bei Verg. (Aen. 1,297), Hor., Ov., Seneca, Tacitus. Anderer- 
seits ist (summo o.ä. genere) gnatus bei Plaut. häufig, allerdings 
nicht so belegt, daß es auf genere gignere bezogen werden müßte. 
Dagegen hat noch Gic. parente P. Sestius natus est homine et sa- 
piente etc. Sest. 6, wo man an das aktive gignere denken kann. 
Aber gen- geht eben ursprünglich ebenso wohl auf die Zeugung 
durch den Mann wie auf die Geburt durch die Frau; noch Tacitus 
hat aktives gignere öfter von Frauen (entsprechend avest. duraitis 
zizanaitis „mulieres gignentes“, „gebärende Frauen“ Yt. 5,87; 
s. Bartholomae, Altiran. Wb. 1658). Möglich, daß die Heran- 
ziehung des vollen Materials des ThlL. auch für das Simplex 
noch schärfere Bestimmungen erlauben würde; das Prinzip scheint 
mir unanfechtbar. Jedenfalls wird es sich empfehlen, bei der 
Redaktion von genere gignere für den Thes. zugleich (g)näsci und 


29 Eduard Schwyzer, prognatus. 


die beidseitigen Komposita und Ableitungen ins Auge zu fassen. 
Daß genui schon plautinisch ist (Ps. 907), prögenui cicero- 
nianisch (off. 3, 66), beweist nicht für altes genitus und prögenitus. 
Wenn die Perf. auf -ui auch wirklich vom ptc. perf. ausgehen 
sollten (*domä-vai zu domä-tos nach ynö-vai neben gnö-tum Sommer, 
Handb. °* 559) und nicht vielmehr vom Supinum (*domä-vai : 
domä-tum), so kann die Sache im Einzelfalle anders und vielleicht 
gerade umgekehrt liegen (genitus statt gnatus nach genui und dies 
analogisch für eine Entsprechung von griech y&yova wie tenui 
für tetini). Die Genita (Mana, dea quae menstruis praeerat Plin. 
29,58) und die oskische Göttin gleichen Namens (zweimal im 
Dat. deivai Genetai auf der Inschrift von Agnone) sind keine 
„Geborenen‘“, sondern Personifikationen der „Geburt“ (griech. 
YEVETH). | 
In der Reihe genere gignere gnäsci ` gnatus sind die beiden 
ersten und die vierte Bildung sicher voritalisch; dagegen darf 
man es wenigstens als Möglichkeit aussprechen, daß gnāscī erst 
sekundär (neben und für älteres gign) zu gnatus gebildet oder 
aus einer nicht überlieferten Entsprechung des ai. jayate „wird 
erzeugt, geboren“ nach gnatus umgebildet ist'). 


Bonn. Eduard Schwyzer. 


1) Korrektur-Nachtrag: 1) zu S.10 Fußn. 3 auf S.11: Die Ersetzung 
von lat. inciens durch rom. incin(c)ta ist wohl auch sachlich mit bestimmt, 
indem die gravida auch bei den Römern einen Gürtel trägt; s. Hastings, Ency- 
clopzdia of Religion and Ethics VI229, wo Dilling den genannten Brauch sogar 
als unmittelbare Veranlassung der rom. Bezeichnung ansieht; aber das vor 
incin(c)ta liegende inciens darf nicht unberücksichtigt bleiben. — 2) Was 
S. 19 Fußn.2 über das Verhältnis von cognātus zu cognäti cognätio gesagt ist, 
mag auch für agnätus im Verhältnis zu agnäti agnätio gelten Bartholomae, 
Altiran. Wb. 343 bemerkt zu avest. üzäta- „adelig, edel, vornehm“ (neupers. 
äzäd, entlehnt arm. azat): „Eig. agnatus “angestammt’; s. nhd. edel“. Doch 
bildet ‘angestammt” keine genaue Parallele, weil es vom Subst. ‘Stamm’ aus- 
geht (“anstammen’ fehlt, wie neben “angeboren’ ein ‘angebären’ gemacht er- 
scheint; dagegen neben dem vermutlichen Muster "angeerbt auch das Verb 
‘anerben’, mhd. auch noch guot daz an mich erbet), und das lat. Wort heißt 
nur „(hin)zugeboren“ bezw. „-erzeugt“. Diese Bedeutung (oder die Bedeutung 
„geboren aus einem Ort“) bildet den Ausgangspunkt für die iran. Bedeutung 
„edel“; vgl. ai. ä-jan- tr. „erzeugen“, intr. „(aus einem Ort) geboren werden, 
entstehen‘ (seit RV), ājāni- f. „Geburt, Abkunft“ (RV III 17,3), „gute Abkunft“ 
(Schol. zu Sänkh. Br. 30, 5), äjäneya- 1) „von der und der Abkunft“ (buddh.), 
2a) „von edler Abkunft“. Käty. Šr.; MBh. — b) m. „Pferd von edler Race“ (auch 
aj-) Lex. (Nach P.-W.). Dagegen steht dem lat. a(d)gnätus wenigstens 
formell nahe air. aicned „Natur“ aus idg. *ad-g’ni-to-m (nach Pedersen, Vgl. 
Gramm. der kelt. Spr. II 544), eig. „das Anerzeugte bezw. Angeborene‘“. 


Theodor Grienberger, Italica. 23 


Italica. 
5. Das Kupferblatt von Fossato di Vico‘). 


Das Kupferblatt, 5,7 cm hoch, 14,5 cm breit’), ist 1869 auf der 
Höhe eines Hügels bei Fossato di Vico, unweit des alten Hel- 
villum, im umbrischen Appennin, Distrikt Foligno, gefunden. 
Nach dem Fundberichte von Marco Micheletti bei Fabretti in den 
Attı 1, 786 war das heute verschollene Blatt mit 2 Bleiklammern 
am oberen Rande eines Teracottagefäßes befestigt, das eine 
zylindrische, einem abgestutzten Kegel genäherte Form mit 
schätzungsweise 60 cm oberem Durchmesser und von etwa 50 cm 
Höhe hatte. Das Fragment mit dem Blatte und andere Scherben 
des zerschlagenen Gefäßes fanden sich am Grunde eines kreis- 
förmigen, in den gewachsenen Stein einer Klippe gehauenen 
Schachtes von je 2,4m Durchmesser und Tiefe. Die Wand des 
Schachtes trug Spuren von Zementbekleidung. Im Schachte fanden 
sich des weiteren verstreute Knochen eines Leichnams, viele 
Bruchstücke von Glas- und Terracottagefäßen und unterhalb dieser 
6 unbeschädigte Säulenschäfte aus weißem Travertin von 80 bis 
90 cm Höhe und 3 cm mittlerem Durchmesser, ferner 2 andere 
mit zerbrochenen Kapitälen, alle im griechischen Stile. 

Corssen’) erzählt Sa, er habe früher das Wort cisterno 
des umbrischen Inschriftentextes auf die runde, unterirdische 
„Grabkammer“ bezogen, in welcher der „Aschentopf“ mit dem 
Kupferblatte gefunden wurde, habe aber seine Meinung dahin 
geändert, daß mit diesem Worte vielmehr nur das von ihm als 
Aschentopf angesprochene Terracottagefäß bezeichnet sei. Auf 
das Gefäß, nicht auf den Schacht, bezieht auch Pauli‘) S. 43 den 
dem lat. cisterna entsprechenden Ausdruck als solchen eines 
Sammelgefäßes für Wasser und stützt seine Ansicht durch den 
von ihm allerdings fälschlich abgelesenen geringen Herstellungs- 
preis von nur 59 Nummi = 59 Sesterzen = 9 M., für den man 
wohl ein Gefäß aber kein Bauwerk irgendwelcher Art habe her- 
stellen können. Diese Auffassung des Terracottagefäßes als 


1) Faksimile in '/ı bei A. Fabretti: Atti della reale Accademia delle scienze 
di Torino. Torino 1869, pag. 785—97 und gleichfalls in '/ı bei Heinr. Jordan, 
Quaestiones Umbricae, Index lectionum ... Regimonti 1883. 

2) A. Fabretti: Primo supplemento alla raccolta delle antichissime iscrizioni 
Italiche. Torino 1872, 4°, pag. 14. 

3) Zeitschrift für vgl. Sprachforschuug XX (1872). 

4) Altitalische Studien, Heft 5, Hannover 1887. 


24 Theodor Grienberger 


Sammelgefäß für Wasser teile auch ich, ohne damit die Beziehung 
der Bezeichnung cisterno auf die ganze Anlage: den Schacht, 
das Gefäß, den eingestürzten Oberbau, dessen Reste noch aus 
der Tiefe des Schachtes gehoben wurden, preiszugeben. 

Die in der oberflächlichen Schichte des Inhaltes gefundenen 
Knochen gehören natürlich nicht zur Anlage, sondern sind als 
in dieselbe verschleppt oder durch nachträgliche Bergung einer 
Leiche hineingeraten zu betrachten, bevor die Zisterne, von der 
man nach Micheletti vor ihrer zufälligen Aufgrabung überhaupt 
nichts mehr wahrnehmen konnte, völlig zugeschüttet worden war. 

Ich trete in die Erklärung der einzelnen Wörter ein. 

Zeile 1,ı. CVBRAR. Nach Fabretti Atti S. 790 umbrischer 
Genitiv sing. fem. mit br für etymologisches pr wie in abrof, 
kabru, subra (neben apruf, kapru, supru), identisch mit dem 
mehrfach bezeugten Göttinnennamen Cupra, vgl. Forcellini Ono- 
masticon II, 512, zu sabin. *cuprus „bonus“ bei Varro L.L. V. 
Cap. 32 nam cyprum Sabine bonum, adjektivisch zu verstehen wie 
in latein. Bona dea. 

x MATRER. Genit. sing. lat. mātris. „Bonae matris“ be- 
zieht sich auf die cisterno von Zeile 2 und versteht sich als 
patrocinische Bezeichnung, nicht wesentlich verschieden von 
modernen Quell- oder Brunnenbezeichnungen wie z. B. dem 
Agnesbrünnlein bei Wien oder von Geschäftsschildern z. B. Zum 
Schutzengel, bei Apotheken beliebt, ohne daß weitergehende mytho- 
logische Beziehungen damit notwendig verbunden wären. 

a, BIO. Nom. sing. fem. eines attributiven Adjektivs zu 
cisterno lat. viva, so zuerst bei Pauli 5, 43--44, auf Quellwasser 
bezogen und hinsichtlich des Gebrauches mit lat. vivum flumen, 
viva aqua, vivi fontes verglichen. Über den vorauszusetzenden 
»-Ausfall *guio- neben *guīųo- s. auch Planta 1, 203, wo lat. dius 
neben diuus zum Vergleiche herangezogen erscheint. 

ESO Demonstrativpronomen. „haec“ zu cisterno gehörig, 
umbrisch mehrfach belegt s. Buck-Prokosch 1,215, aber im ge- 
gebenen Genus, Numerus und Kasus nur dieses eine Mal be- 
zeugt, mit eigentlicher Geminata ss : *esso anzusetzen, wie der 
Abl. sing. m. essu bue Gubbio VI A 43 lehrt. Assimiliert aus cs, 
Buck-Prokosch § 168, und dem oskischen Demonstrativpronomen 
eksuk „hoc“, Abl. sing. fem. erac, Loc. sing. neutr. ereic, Dat. 
Abl. plur. fem. exaiscen, abzüglich der im Umbrischen fehlenden 
deiktischen Partikel -c, entsprechend. Schon bei Fabretti Atti 792 
als Demonstrativpronomen angesprochen. 


` Italica. 25 


2,ı. OSETO. Bei Pauli S. 44 erklärt nach Bugge als 
Assimilierung * össeto < * opseto eines heteroklitischen Part. perf. zum 
a-Thema osk. *úpsaum „operari“, umbr. Imperativ osatu „facito“, 
vgl. Buck-Prokosch § 182 und S. 222, aktivisch, nicht wie im 
Lat. deponentisch. Aber aktivisches operare, Part. perf. operatus, 
kommt auch in der späteren Latinität vor s. Georges 2°, 1, 1355. 
Dem gegenüber kann die Beurteilung des Wortes als Subst. 
*ossetum und als Entsprechung zu lat. ossuarium bei Fabretti, 
Atti 792 und Corssen S. 84, die auf die Gesamtauffassung des 
Textes von irreführendem Einfluß war, nicht aufrecht erhalten 
bleiben. 

e, CISTERNO. Lat. cisterna im eigentlichen Sinne des 
Wortes Georges 1°, 1, 1178 „ein Wasserbehälter unter der Erde“. 

s und Be N.C.yV...iill; die Kürzung N. ist schon bei 
Fabretti, Atti 790 und Corssen S. 88 mit dem Abl. plur. nummis 
aufgelöst, wozu numer (prever, tupler, tripler „singulis, binis, trinis“) 
Gubbio Va, 17, 19, 21 im identischen Numerus und‘ Casus die 
umbrische Entsprechung ist. Die folgende Kardinalzahl setzt sich 
aus 2 Teilen zusammen, von denen der erstere LC AN am Ende 
der dritten Zeile, der zweite |||] genau darunter, vom unteren 
Ende des C bis zur mittleren Knickung des V reichend in der 
dritten Zeile angebracht ist. Eine Distanz von 4 Buchstaben 
liegt zwischen dem O zu Ende von MARONATO und der 
ersten Hasta eben dieser Zahl. Das C, von den Früheren in 
c(ollatis) oder dgl. aufgelöst, erscheint bei Bücheler‘) S. 173—174 
als Zahlzeichen für 100 erklärt und hinsichtlich der inneren Inter- 
punktion mit der graphischen Darstellung der Zahl CCy-XIIX 
des CIL 1,535 verglichen. | 

3,1-. SV-MARONATO; Fabretti, Atti 793 führt den 
Verlust des auslautenden b in su für sub auf den Einfluß des 
folgenden Konsonanten zurück wie in umbr. sutentu, lat. subtendito 
gegen subahtu, subocau, lat. subigito, subvoco, er ist als assimi- 
latorischer Verlust anzusprechen, das 5 der proklitischen Prä- 
position liegt im m des folgenden Anlautes. — maronato, eine 
Abstraktbildung, lat. gedacht auf -us (u-Stamm!) wie consulatus, 
prineipatus, tribunatus, hatte Fabretti, der „magistratura municipale“ 
übersetzt, Atti 794 als Akk. sing. angesehen, wohl deshalb, weil 
der Ablativ, recte Lokativ, in einer anderen umbr. Inschrift von 
Assisi maronatei, ohne Präposition gebraucht, lautet, s. Conway 
2, 632. 

1) Umbrica, Bonnae 1883. 


26 Theodor Grienberger 


Beide Flexionen, in der umbr. u-Deklination sonst isoliert, 
vgl. Buck-Prokosch $ 156, können Entlehnungen aus der ö-Dekli- 
nation sein, wogegen Planta 2,41 überhaupt Amtsbezeichnungen 
auf -ato- neben solchen auf -atu- annimmt. 

Den maronatus erklärte Fabretti, Atti 795—6 als eine Art 
von Duumvirat, so daß sich die 6 marones der lat. Inschrift von 
Assisi CIL 1, 1412, die unter anderm auch von der Anlage einer 
Zisterne berichtet, auf 3 hintereinander folgende Amtsperioden 
verteilen. 

4,1-6. V.J.VARIE.T.EFVIONIE; das E am Ende des 
zweiten Gentilnamens ıst nach dem Faks. Jordans verletzt. Die 
umbr. Genitive Varie und Fulonie haben auslautendes r verloren 
gleich den Genitiven Fisouie, Fisie, Kastruciie Gubbio VIb 15, 
VIb 10, Va3 gegen Fisier VIa 30. Der Konsonant ist auf der 
Stufe des r, nicht auf der vorausliegenden Stufe s, geschwunden, 
vgl. Buck-Prokosch § 82,4. Die Folge der Namen bestimmt 
Fabretti, Atti 795 als Praenomen, Patronymikon, Gentilicium und 
versucht die Auflösung Vibiüi Lucii fil. Varii und Titi Caii fil. 
Fullonii, was Corssen S. 93 wiederholt, während Jordan 11 nur 
Vibi und Titi nachschreibt, die Patronymika aber offen läßt. 
Bücheler S. 173 gewährt überhaupt keine Auflösung der Siglen, 
sie ist auch bei Planta 2,556 und Conway 1,398 nicht getroffen. 
Das Ganze im Zusammenhange: Cubrar matrer bio eso oseto cisterno 
n. CLVIIII su maronato V. L. Varie, T. C. Fulonie. In latein. 
Übertragung „Cuprae (Bonae) matris viva haec operata (facta) 
cisterna nummis 159 sub maronatu V.L. Varii, T. C. Fullonii“. 


6. Der Stein von Pratola Peligna’). 


Vier rechtsläufige Zeilen in lat. Monumentalschrift: 


MEDIX-ATICVS 

BIAM -IOCATIN 

RSADRIES-T 

V-POPDIS.-T 
von denen Bücheler, Umbr. S. 173 sagt „nihil deest sententiae aut 
verbi, meddices Atici biam locarunt P. Satrius T. f. V. Popidius T. f.“ 

Für biam ist die Auffassung Paulis 5, 43—4 als Akk. sing. 

zu umbr. bio, lat. viva maßgebend, nur daß hier das substantivierte 
Adj. allein steht und mit einem Begriff wie „cisterna“ oder ähnlich 
ergänzt zu denken ist. Wenn lat. calda „warmes Wasser“ he- 


1) Faks. bei Cvětaev Inscriptiones Italiae mediae 1884, Taf 6. Nr. 2 in 1:4. 


Italica. 27 


deutet und frigida „kaltes Wasser“ Georges I° 1,927 und I?’ 2,2847, 
kann es keinem Bedenken unterliegen, pälign. *bio „viva“ ohne 
weiteren ausdrücklichen Beisatz als ‚„fließendes Wasser, bez. 
Brunnen“ zu erklären. Dazu stimmt auch das Verbum locare 
im Sinne von „aufrichten, errichten‘ Georges II? 1, 689—90, 
wogegen „(uelle‘‘ minder passend erschiene, da man locare mit 
„Fassen einer Quelle“ als ungenügend übersetzt betrachten müßte. 

Zwar locatin(s) gibt das Facs. nicht, sondern ausgemacht |, 
nicht L, im Anlaute. Aber die Distanz vom Fuße des | bis zum 
O ist so weit, daß sie die Kompletierung des ersteren mit einer 
unteren (Juerhasta zu L ohne weiteres zuläßt, ja sogar graphisch 
empfohlen erscheinen läßt. Daß der Buchstabe mit senkrecht 
angesetztem Querstriche zu L und nicht mit einem aufsteigenden 
zu L ergänzt werden müsse, ergibt sich aus dem viermal vor- 
kommenden A der Inschrift mit wagrechtem Mittelbalken. 
Diese Querhasta kann erloschen, oder nicht ausgeführt worden 
sein. Von einem lat. Minuskel-/ ist natürlich keine Rede. Was 
den Auslaut des Verbums, das eine Dritte plur. perfecti osk. auf 
-ens sein muß, angeht, vermißt man allerdings das s zu Ende, 
für das der Stein noch genügend Platz geboten hätte. Da ein 
Ausgang auf bloßes n ohne sonstiges Beispiel bliebe, nehme ich 
an, daß das S am Schlusse von ATICVS, das genau über der 
zweiten Öffnung des N von locatin steht und herabgenommen 
in diese hineinfallen müßte, in der Tat auch zum Verbum herab 
zu beziehen und somit in der Inschrift zweimal verwendet sei. 
Bücheler') S. 236 hatte an lautlichen Verlust des Schluß-s der 
Verbalform gedacht. Daß aticus Nom. plur. sei und im Sing. *atix 
lauten müßte wie osk. tuvtiks (auch pälign. Rustix), ist von Bücheler 
a.a. O. mit Recht behauptet, doch wird man seine Ableitung von 
einem Ortsnamen *At« bezweifeln müssen. Besser finde ich die 
Zurückführung des -icus-Adjektivs auf lat. actus durch M. Bréal, 
Revue archéologique 1877, 34 S.413, ohne damit seiner alternativen 
Deutung des Beinamens „zum Wege“ oder „zum Geschlechte 
gehörig“ beizutreten. Ich glaube am sichersten von den Be- 
deutungen des lat. Abstraktums bei Georges I° 1, 95 „die öffent- 
liche Verrichtung als Amt, die gerichtlichen Geschäfte, die Ver- 
waltung der Güter ...“ ausgehen und aticus, lat. *actici, als die 
„Amtsführenden, agentes“ erklären zu sollen. Breal wollte die 
pälign. Form mit nur einem £ durch osk. ht < ct ın Uhtavis 


u. 


1) Bulletino dell’instituto di corrispondenza archeologica. Roma, 1877. 


98 Theodor Grienberger 


„Octavius“ (vgl. auch umbr. uhtur „auctor“) vermittelt sein lassen, 
so daß die Synkope des h Länge des Vokals *ätus < *ahtus hinter- 
lassen habe. Es kann der Etymologie Breals nichts abbrechen, 
wenn man die Möglichkeit in’s Auge faßt, daß das paelign. Wort 
mit eigentlicher Geminata tt < et also *atticzs wie in italien. atto, 
atti anzusetzen sei. Die Pluralform medix mit bewahrter Laut- 
folge cs steht auch in der Inschrift von Messana ueddaz ovnoevg 
gegen meddis der Inschrift von Nola Planta 2, Nr. 1 und 124. 

Die Namen der beiden Meddices erklärte Dressel, Bulletino 
1877 S. 184 als Praenomen, Gentilicium, Patronymicon, lat.: 
* Publius(?) Satrius Titi filius und *Vibius Popidius Titi filius. Das 
Gentilictum Sadiriis begegnet auch in der pompejanischen In- 
schrift Planta 2 Nr. 40, das zweite als Püpidiis in den gleichfalls 
pompejan. Inschriften Planta 2 Nr. 34 und 35. Man wird dem- 
nach die Endsilbe von Sadries mit osk. -is, vgl. Aadirüs, sowie 
4adiriüs Planta 2 Nr. 48, 47 gleichsetzen und annehmen müssen, 
daß in Popdis das io-Suffix in 3 kontrahiert sei. Zugleich ist 
wegen der Synkope im Suffixe -idius, vgl. W. Schulze, Zur Gesch. 
lat. Eigennamen S. 427—28, Anfangsbetonung Popdis vorauszu- 
setzen. 

Den Text des nach Dressel a. a. O. S. 183 in 1876 gefundenen 
Steines pälignisch Medix aticus biam locatin/[s] P. Sadries T., V. 
Popdis T. übertrage ich demnach ‚„meddices agentes vivam loca- 
verunt P. Satrius T. f., V. Popidius T. f.“ und beziehe ihn auf 
eine Brunnensetzung. 


7. Die Bronzetafel von Velletri’. 


Gleichfalls auf eine Anhöhe wie die Inschriften von Rapino 
und Fossato di Vico führt das Bronzetäfelchen von Velletri, das 
nach Mommsen °) S. 320 im Jahre 1784 innerhalb dieser Stadt an 
ihrem höchsten Punkte beim Grundausheben für ein neues Ora- 
torium der Kirche S. Maria della neve gefunden wurde. 

Der Text des nach Conway 1,267, Nr. 252: 23,1 cm langen 
und 3,5 cm hohen Täfelchens entwickelt sich in 4 rechtsläufigen 
Zeilen in alat. Majuskel, an der die A, F, p und O sowie das 
mehrfach eckige < beachtenswert sind, vgl. Mommsen S. 320. 


!) Facsimile bei Cvetaev Inscriptiones Italiae mediae, Lips. 1884, Tafel 10, 
Nr.4 in1:1. In anderem Geleise als meine folgende Darstellung bewegt sich 
die von R. Thurneysen, Glotta XI 217—219 im Anschlusse an F. Skutsch ebenda 
II 87—99 vorgetragene Erklärung. 

2) Die unteritalischen Dialekte. Leipzig 1850. 


Italica 29 


Die worttrennende Interpunktion besteht aus zwei überein- 
ander gestellten Punkten :, zweimal aus drei ebensolchen :, unter- 
lassen ist sie regelmässig an den 4 Zeilenenden. Der Buchstabe 
G fehlt. Er ist in der Namenkürzung E<: der vierten Zeile mit 
der Letter < ausgedrückt. | 

1,1-3. DEVE:DE<IVNE:STATOM: nach Mommsen 
S. 324 für sich stehender Satz (Überschrift des Textes!), was 
auch durch die stärkere Interpunktion nach statom angedeutet 
sei. Dieselbe findet sich allerdings auch in Z. 3 zwischen toticu 
und covehriu, wo eine andere als bloß worttrennende Absicht 
nicht gegeben sein kann. 

‘ Lat. diva = „dea“ bei Liv., Catull., Verg. u. a. Georges I° 
2, 2255. Die Kontraktion ē < ei : osk. deivai, alat. deivos vgl. 
Bücheler') S. VI—VII findet sich auch in sepis (zweimal), se, 
covehriu unseres Textes, sie stimmt zu umbrisch e in deueia „di- 
vinam‘“ Buck-Prokosch 213 und lat. devas Corniscas Bücheler 
a. a. O. 

Die fem. Dativendung in deve Declune = lat. divae ... lonae 
Mommsen a a. O., so auch in der marsischen Inschrift von An- 
tinum : Uesune Planta 2,543, Nr. 242 und im umbrischen Dat. 
Uesune Gubbio mehrfach, wollte Corssen °) S. 2—3 als solche eines 
mask. o-Stammes, mit -e wie im Umbrischen erklären. Das Suffix 
des fem. Namens hat Mommsen 324 mit den lat. Göttinnennamen 
Populona, Pomona, Bellona, sab. Vacuna zusammengehalten. Man 
darf mit Wahrscheinlichkeit eine lat. Umschrift * Declöna, voll- 
ständiger * Deculona ansetzen. 

statom soll nach Mommsen „consecratum“ heißen, wogegen 
Bücheler S. XXVI die Verbindung mit Z. 4 der Inschrift herstellt 
„quod Declonae statum est meddices ... statuerunt’. Demnach 
geht das Part. perf., zu deutsch „festgesetzt, bestimmt“ auf den 
Inhalt der ganzen, sakralen Vorschrift. Der osk. Nom. plur. 
mask. statis von Agnone dagegen heißt „errichtet“ und bezieht 
sich auf Standbilder von Gottheiten, vgl. Glotta II 262. 

Der Dativ ist also ein solcher des Interesses ‚für die Göttin 
Declona festgesetzt“. 

La, SEPIS: ATAHVS:PIS: VEIESTROM nach 
Mommsen 324 „siquis attigerit quisquis Veliternorum‘“ mit der 
3. sing. fut. exacti nach osk. fefacust, dicust, cebnust, umbr. fakust, 
benust, habus zu einem Verbum tag, „tangere“, Inf. also *adtahum 


1) Lexicon Italicum. Bonnae 1881. 
2) De Volscorum lingua. Numburgi 1858. 


30 Theodor Grienberger 


mit Praep. ad- wie in adfust „aderit“, dessen inlautendes A auf 
ursprüngliches gh zurückgeht, vgl. Buck-Prokosch $ 125 und 
marrucin. ta(g)a in Rapino. „attigerit“ bezieht Mommsen, wie sich 
aus seiner Bemerkung S. 325 ergibt, auf eine körperliche Be- 
rührung des Götterbildes der Declona, die eine Sühne erheischt. 

In sepis identifiziert Bücheler, Lex. Ital. XXVII se- mit lat. sz, 
arch. sei, ebenso Planta 2,714. Es ist also darin die latein. Form 
der Bedingungspartikel gelegen, nicht etwa die oskische von 
svaipis, umbr. svepis, deren o synkopiert worden wäre, vgl. Planta 
2,714. Für die Übersetzung des zweiten pis eignet sich besser 
als Mommsens ‚„quisquis“ das einfache lat. quis im indefiniten 
Sinne „irgendeiner“. 

Velestrom ist Gen. plur. „Veliternorum“ wie volsk. Romanom 
Mommsen S. 324, osk. Núvlanúm, wozu der Nom. plur. nach osk. 
Núvlanús als * Velestros zu erschließen ist. Bréal ') S. 244 bemerkt 
mit Recht, daß der volsk. Gen. plur. des Volksnamens Velestrom 
der modernen Form Velletri näher steht, die nicht die lateinische 
Veliterni sei. Daß Veliterni eine adjektivische Ableitung mit Suffix 
no aus *Velester, so schon Mommsen 325, sei, entzieht sich nicht, 
vgl. hesternus : got. gistrudagis, ahd. yestaron. Das Suffix ist aber 
zugleich aus -esternus in -iternus umgebildet. 

*Velester ist offenbar eine lokale Ableitung auf lat. -ester mit 
Nebenformen auf -estris, i-Stämme, aber ursprünglich o-Stämme, 
wie z. B. bei Georges Il? 2, 267 zu silvester ein Dat. sing. sil- 
vestro und ein Gen. plur. silvestrum nachgewiesen erscheinen. 
Für das volskische Wort ist mit Sicherheit *velestro- anzusetzen. 
Dazu verhält sich der lat. Stadtname Felitrae Plural fem. als 
topischer Ausdruck und Umformung von *Velestrae, wozu viel- 
leicht sedes ergänzt zu denken ist. Das Grundwort hat schon 
G. Curtius S. 361 nach Corssen, ZfvglSpr. I 260 (vgl. auch 
Fick Il? 236) in griech. Zioc, *relos n. „Niederung“ gefunden, 
so daß die Velestros aus der örtlichen Beziehung des knapp am 
südöstlichen Fuße des Ringgebirges der Monti Albanı belegenen 
Ortes Velletri zum dahinter ansteigenden Berglande ihren Namen 
empfangen haben. | 

2,1ı-. FA)IIA:ESARISTROM : Nach Planta 2, 543, 
Nr. 240 „faciat sacrificium“, worauf sich ein mit si eingeleiteter, 
einer neuen syntaktischen Einheit angehöriger Bedingungssatz 
anschließt. Der obige Satz enthält Verbum und Objekt, das Sub- 


1) Revue archéologique 38. 
2) Grundzüge der griech. Etymologie. 5. Aufl. Leipzig 1879. 


Italica. 31 


jekt ist im vorhergehenden Satze ‚„siquis ... quis“ gelegen. Da- 
Segen hatte Mommsen S. 324, der hinter .faciat“ Komma setzt, 
esaristrom als Subjekt eines dritten Satzes mit dem angenommenen 
Verbum se = „sit“ verstanden und mit falscher Herübernahme 
der tatsächlichen Konditionalpartikel se aus 2,3 : „divinum (d. i. 
piaculum) sit“ übersetzt. 

Das umgekehrte ) in Auximum habe ich Glotta XIII 72 als 
bloße graphische Umdrehung erklärt. Es ist aber doch wahr- 
scheinlich, daß das linksläufige ) in der rechtsläufigen Zeile von 
Velletri eine besondere Lautqualität ausdrücke, wie denn schon 
Mommsen zuerst 320 an unvollkommenes s, dann aber 324 an 
graphische Herkunft des Zeichens aus umbrisch d gedacht hat 
und demgemäß fasia translitterierte. Ebenso translitteriert Gorssen 
1,2 mit S. Bréal, Bücheler, Ovötaev, Conway translitterieren ç, 
Planta schreibt mit dem Original 5». Da die übrigen C der In- 
schrift lauter Velare k betreffen, kann man vermuten, daß mit 
dem Zeichen ) in fasia palatale Affricata Ex bezw. eine Weiter- 
entwicklung derselben zum Ausdruck gebracht sei. 

esaristrom hat Mommsen 324 mit den angeblich etruskischen 
aesares zusammengebracht, ebenso Oorssen S. 21, der das Wort 
aus Suetonius Oct. 97 aesar ... Etrusca lingua deus zitiert. Aber 
eine adjektivische Ableitung wie luculentaster, formaster, die 
Mommsen vergleicht, kann das volsk. Wort aus Gründen der 
Wortbildung wie des möglichen Sinnes nicht sein, schwerlich 
auch ein suffixales Analogon mit zwei Komparativsuffixen zu si- 
nister, magister, minister, woran Lorssen 22—23 denkt, auch nicht 
eine Ableitung aus *aisar mut dem instrumentalen Suffixe -tro 
und mit unorganischem s-Einschub (vgl. Lindsay 330—1) wie 
Planta 2,20—21 meint. Ist das Wort Bezeichnung einer ritu- 
ellen Handlung, so wird man am besten an ein Kompositum 
mit esar in 1 denken und den zweiten Teil allerdings mit den 
latein. Bildungen flustrum, monstrum, got. hulistr Planta a a O. 
in Verbindung bringen. Man würde zunächst -istrom abschneiden, 
doch kann das r zu beiden Komponenten gehören und einen 
Ausdruck *ristrom ergeben, den ich als ursprüngliches Nomen 
actionis *rigstrom aus rigäre ableite, von dessen Bedeutungen 
Georges Il? 2, 2394: „bewässern, benetzen‘“ am geeignetsten sind 
einen passenden Sinn zu ergeben. Mit Recht formiert Walde, 
KW? 449 unter lustrum (zu lüere!) das Suffix als -strom, das 
auch in lustrum ` lavare, in flustra n. pl. tant.: fluere, in röstrum : 
‚rödere, rāstrum ` rädere, claustrum ` claudere, monstrum ` monere ge- 


32 Thevdur Grienberger 


legen. ist und den auslautenden Konsonanten des jeweiligen Verbal- 
stammes d oder in unserm Falle g in sich aufgenommen hat. Die 
Forderung, daß *ristrom dann ein Werkzeugsname im engeren 
Sinne sein müsse, läßt sich auf röstrum und rastrum allein nicht 
begründen. Im allgemeinen geht die Bedeutung ‚Mittel zu etwas" 
durch. 

Ich setze *ristrom ganz in Parallele mit lat. lustrum als Reini- 
gungs- oder Sühnopfer, nur daß ich hier ganz eigentlich an 
körperliche Reinigung des durch Berührung verunehrten Bildes 
der Göttin Declona denke. 

Man wird „lustrum divinum“ übersetzen müssen. Der fol- 
gende Bedingungssatz SE : BIM : ASIF: entbehrt des Verbums 
„est“, sē ist & wie in Z.1, asif das Part. präs. zu lat. areo, 
ärere: Greng, so auch Planta 2, 651, 713, aber nicht „assans“‘, 
sondern im Sinne von aridus „trocken“ mit der Umformung der 
Endung -ns in -f von umbr. zeřef „sedens“ oder wie osk. úíttiuf 
< *oitiöns, statif < statins oder stutins bei Planta 2,64. Den 
etymologischen Zusammenhang von volsk. bim mit umbr. bio, pälign. 
biam hat Bücheler, L. L. VI und Umbr. 173 erkannt, ohne doch 
eine befriedigende Deutung gefunden zu haben. Für sie ent- 
scheidet die Zusammenstellung Pauls 5, 43—4 von bio und biam 
mit lat. vivus und die sachliche Beziehung auf fließendes Wasser. 
Man hat demgemäß zweisilbig Zon zu lesen und das Wort als 
neutrale io-Ableitung aus vivus, osk. Nom. plur. bivus, lat. *viriunm 
‘zu betrachten, deren Endung im Volsk. so wie in den osk. Neutris 
memnim, medicin, vaamunim (Planta 2,142) als -im erscheint. Ich 
beziehe diese volsk. neutrale Ableitung auf ein mit fließendem 
Wasser gespeistes Becken. Der Satz „wenn das Wasserbecken 
trocken ist“ schließt sich inhaltlich an den vorhergehenden von 
der Benetzung des Bildes der Göttin an und setzt die Bedingung 
für die im folgenden umschriebene Ersatzhandlung. 

2, 6-s. VESCIS: VINV: ARPATITV — Das Subjekt 
zur dritten Sing. imp. des Verbums ist das gleiche wie das zum 
Konjunktiv fasia gehörige, nämlich der „siquis ... quis Veliter- 
norum‘ : „so soll er“, nicht „so soll man“. Daß vesclis lat. vas- 
culis sei, leidet keinen Zweifel, doch wırd man an Lautübergang 
von @ des lat. Wortes vas in e nicht denken können. Am ehesten 
hat man es mit primärem Ablaut erg zu tun, der dann auch 
für das umbr. Wort veskla „vascula“ zu gelten hat. Für vinu 
ist mit Recht Abl. sing. geltend gernacht, da der Akk. sing. nach 
dem Stande des Denkmales (vgl. die neutralen Nom. Akk. sing. 


P ` mme mëllen T — mm, o o a o ZE 


Italica. 33 


statom, esaristrom, ferom, pihom) vielmehr *vinom lauten müßte 
und außerdem ein Ablativ als Parallele zu vösclis erwartet wird. 
Beide ohne Konjunktion neben einander stehend bilden offenbar 
eine Art &» dı@ Övoiv, zu verstehen: „mit in Gefäßen aufgefülltem 
Wein“. Für einen neutralen Akk. plur., der ja allerdings vinu 
lauten müßte, findet sich kein entscheidender Grund. 

arpatitu erklärt Planta 2,612 aus lat. quatio, quätere „schütteln“, 
mit p für qu wie in griech. ndoow „streue“, das jetzt allgemein 
identifiziert werde (vgl. Walde, EW.* S. 630) und auch „sprengen“ 
bedeute. Die Präposition des Verbums ‚er soll besprengen“ ar- 
entspricht der alat. und umbr. Form ar- vor Labialen, wogegen 
in atahus die etymologisch ursprüngliche Form ad- eingegangen 
ist. Es ist beachtenswert, daß nach Planta a a O. auch Deecke 
und Liguana die Bedeutung ‚affundito‘“ von einer anderen ety- 
mologischen Basis aus erschlossen haben. 

3,1-4 SEPIS:TOTI<V:COVEHRIV:SEPV: — Als 
Verbum ergänzt sich. zu diesem Bedingungssatz das Futurum 
exactum atahus von Z. 1, zu sepis wie eben dort die nähere Be- 
stimmung pis Velestrom; es ist also der Fall der Berührung des 
Göttinnenbildes in einem zweiten Beispiele erörtert. Zwischen 
toticu : covehriu steht eine dreielementige Interpunktion, der man 
eine besondere, etwa syntaktische Absicht nicht beimessen kann. 
Sie ist rein graphisch gewählt an Stelle der sonstigen zwei- 
elementigen Worttrennung. In der Frage, ob sepu Nom. sing. 
fem. lat. siqua oder Ablat. sing. „sciente“ sei, s. Planta 2, 652, ` 
714, möchte ich mich für die zweite Eventualität entscheiden, 
da eine Phrasierung „siquis publica curia siqua“ doch wohl sehr 
auffällig wäre. Das mask. Pron. mehr Bedingungspartikel sepis 
„Siquis“ müßte dabei rein mechanisch aus dem Eingange des 
ersten Bedingungssatzes wiederholt und durch das folgende sepu 
„siqua“ richtig gestellt sein. Es ist nicht zu verkennen, daß 
diese Auffassung eine glatte Identifizierung von (toticu) covehriu, 
das dann Nom. sing. fem. wäre, mit lat. (publica) curia zuließe, 
während man bei ablativischer Beurteilung der beiden volsk. 
Wörter veranlaßt ıst, covehriu als neutrale Parallelform zu lat. 
cūria <_*co-viria zu erklären, die sich dann als ;o-Ableitung * co- 
veiriom ` vir wie lat. collögium : collega darstellt. 

Das Adj. töticu, lat. in meddix tuticus und equus tüticus, osk. 
Nom. sing. mask. tuvtiks „publicus‘“ gehört zu osk. touto, umbr. 
Gen. sing. totar „Civitas, populus“. 

Beide: Bedingungssatz und Nachsatz 3, FEROM: 

Zeitschrift für vergl. Sprachf. LVI 1/2. 3 


34 Theodor Grienberger 


PIHOM:ESTV überträgt Mommsen S. 325 mit „si quis pub- 
lico conventu sciente (attigerit), iustum pium esto“, wobei man 
ihm nur bezüglich des Nachsatzes nicht folgen kann, sondern 
die Erklärung Corssens S. 9 Infinitiv „ferre“ als Substantiv mehr 
„pium esto“ vorziehen wird. Der von Mommsen a. a. O. unter- 
gelegte Sinn ‚bei Reparaturen etc. soll das Götterbild mit Er- 
laubnis des Senates berührt werden dürfen, ohne daß man sich 
dadurch ein piaculum auflud“ wird demnach genauer dahin prä- 
zisiert, daß in diesem Falle eine fromme Gabe, offenbar Geld- 
spende, an Stelle des esaristrom tritt, vgl. Wissowa S. 330. Sepu 
hat gleichfalls bereits Mommsen als Ablat. sing. zu lat. sibus, 
osk. sipus bestimmt, wozu nur zu bemerken ist, daß der osk. 
Nom. sing. mask. sipus „sciens“ Bantia 5,14 nach Planta 1, 89 
und 2,101 auf ein ursprüngliches Verbaladjektiv *sepuos zurück- 
geht, dessen zum d von säpere ablautendes e im Osk. zu offenem 
Lang-i geworden ist. 

Die Namen der beiden Stadtverordneten 4,:ı-s EC: SE, 
COSVTIES:MA:CA:TAFANIES: ordnet Mommsen 325 
als Pränomen, Patronymikon, Gentilnamen, vermutet für die 
Kürzung Ec. etwa Egnatius, für Ma. am ehesten Manius und stellt 
für die patronymischen Bildungen Sextus, Servius, Sertor oder 
Seppius in dem einen, Caius (Gaius) in dem anderen Falle zur 
Wahl. Das ist die gleiche Anreihung der Namen wie in Fossato 
di Vico, auf die schon Mommsen S. 323 als von der oskischen 
Anordnung verschieden aufmerksam macht. Der Gentilname 
Cossütius ist bei W. Schulze *) S. 67, 110, 159, 428 nachgewiesen, 
volsk. Tafanies ebenda 277, 372 mit dem osk. Cognomen Tafi- 
dins, lat. Tafius u. a. zusammengestellt. 

4,:-s. MEDIX:SISTIATIENS — Der Nom. plur. medix 
findet sich auch in der Inschrift des Steines von Pratola Peligna 
und in der Inschrift aus Messana: uedda& ovnoevc. 

Daß das Verbum für „stiterunt, statuerunt" eine Bildung 
wie die osk. Perfecta, 3 plur. prufattens, teremnattens sei, findet 
sich schon bei Bréal 242 ausgesprochen, der *sistatens herstellt 
und die. beiden in der tatsächlichen Schreibung sistiatiens nach 
dem £ folgenden i auf eine besondere Aussprache der Dentalis 
bezieht. Aber seine Vergleichsformen osk. tiurri, eitiuvam, eitiuvad 
(gegen eituam), diumpais, Niumsis denen nicht dem vermeinten 
Zwecke, da die is in diesen Fällen, vielmehr die Lautqualität des 
Vokales iu = ü betreffen, s. Glotta II 261. 


1) Zur Geschichte lateinischer Eigennamen. Berlin 1904. 


Zur osk. Inschrift von Anzi. 35 


Mommsen hatte 325, 213 das „eingeschaltete‘‘ i allerdings 
zum Vokal geschlagen und modern neapol. lamiento, tiene, puve- 
riello verglichen, ohne sich den Vorhalt zu machen, daß diese 
romanische Diphthongierung nicht einmal leicht auf die Endsilbe, 
sicherlich aber nicht auf die Mittelsilbe von sistiatiens Anwendung 
finden könne. 

Es ist richtig, die beiden TI im inschriftlichen Texte sind 
völlig klar und einwandfrei, dessenungeachtet wage ich den Vor- 
schlag an Stelle von TI beidemale TT also *sisttattens zu lesen, 
ın der Annahme, daß am zweiten T der obere Querstrich weg- 
geblieben und nicht nachgetragen worden sei, soferne der des 
ersten | nicht von vornherein auch für das zweite geltend ge- 
dacht wurde. 

Der Text ergibt zusammengeschlossen volsk. Deve Declune 
statom — Sepis atahus, pis Velestrom, fasia esaristrom. Se bim asif, 
vesclis vinu arpatitu. Sepis toticu covehriu sepu, ferom pihom estu. 
— Ec. Se. Cosuties, Ma. Ca. Tafanies medix *sisttattens. 

In latein. Übertragung „Divae Declonae statutum — Siquis 
attigerit, quis Veliternorum, faciat lustrum divinum. Si labrum 
arens, vasculis, vino adquatito. Siquis publica curia sciente, ferre 


pium esto. — Ec. Se. Cosutius, Ma. Ca. Tafanius meddices sta- 
tuerunt.“ 


Wien. Theodor Grienberger. 


Zur osk. Inschrift von Anzi. 
(Planta Nr. 16.) 


Nach Joh. Bapt. Hofmann im IJ. X (1924—25), 1926, S. 246 
ist die von mir in Glotta VIII 65—71 benutzte Abbildung der 
Inschrift aus Mommsen, Die unteritalischen Dialekte 1850, Taf. 12 
ungenügend und durch die photographische Wiedergabe des von 
Ribezzo wiedergefundenen Steines in Neapolis I (1914), 386 
überholt. 

Diese Ausdrucksweise erweckt Erwartungen, die das Facs. 
Ribezzo’s nicht bewährt, es zeigt sich vielmehr volle Überein- 
stimmung des beiderseitigen Buchstabenbildes mit Ausnahme des 
defekten Beginnes der Zeilen 5, 6 und des Zeilenendes von 6. 
Zu Beginn von 5 findet sich bei Mommsen, der nur die Lücke 
anzeigt, vor dem A kein Buchstabe und auch nicht der beleg- 
bare Raum für einen solchen, während bei Ribezzo der schwache 

3% 


36 W. Schulze, Lesefrüchte. 


und zweifelhafte Schatten einer aufrechten Hasta erscheint, den 
er S. 387 auf den Abstrich eines M bezieht. Am Anfange der 
Zeile 6 bildete Mommsen einen nach unten offenen, von ihm 
als A (A!) gelesenen Winkelhaken ab, während bei Ribezzo ein 
sehr schmales, S. 387 als T oder F gedeutetes T zu stehen scheint, 
das aber nach Größe und Distanz den übrigen Buchstaben nicht 
recht entsprechen will. Zu Ende von 6 gewähren Mommsen 
und Ribezzo einen schrägen Anstrich, der bei dem Ersteren als 
A (N) aufgefaßt sich an die folgende Verluststelle anlehnt, bei 
dem Letzteren, S. 387 auf ein A oder A bezogen, sich in dieselbe 
hinein verliert. Das Facs. zeigt an ihm keinerlei feststellbares 
Binnen-detail. 

Die Lesungen dieser drei defekten Partien erweisen sich bei 
Ribezzo wie bei Mommsen als Vermutungen und berechtigen 
nicht dazu, die Tafel Mommsens der Ribezzo’s gegenüber als 
überhaupt ungenügend zu bezeichnen. 


Wien. Theodor Grienberger. 


Lesefrüchte. 


2. Den etymologischen Zusammenhang von skrt. gala „Hals“ 
und gilati „schlingt“ veranschaulicht eine Stelle des 450. Jataka 
(IV 67, 26. 28 Fausb.): gale laggapetva „nachdem sie (die Speise) 
im Schlunde hatten stecken lassen“ verglichen mit dem gleich 
folgenden gilitum asakkonta „unfähig (die Speise) herunter zu 
schlingen.“ 

3. An Stelle der got. Denominativa vom Typus mikiljan 
managjan sind im Westgerm. Bildungen auf -ôn üblich geworden: 
ags. miclian (= ahd. mihhilön), hälgian = ahd. heilagön, das so in 
Gegensatz tritt zu h&lan = heilen (got. hailjan). Weyhe, Altengl. 
Verbalabstrakta auf -nes und -ing 21. Als Musterbeispiel für diesen 
Gegensatz können die Verse Heliand 4633f. dienen: 

uualdand uuin endi bröd uuihide bêđiu, 

hölagode hebencuning. 
Dieselben Verba in umgekehrter Gimme 5973f. Dazu halte man 
die Gleichung audagjand Ulfilas Luc. I 48 = saligont Otfrid I7, 8. 


4. Den Bedeutungswandel, der von idg. *wertetai (= ai. vártate, 
lat. vertitur) zu unserem werden geführt hat, erläutern ein paar 
rom. Parallelen. Matth. XXVII A heißt es portug. e tornaram-se 
como mortos, span. y fueron vueltos como muertos, aber ahd. inti 
uurdun uuortan samasa tote Tat. 217,4 oder sie uuúrtun selb 
so döte Otfr. V 4, 35. Vgl. lit. żemè pawiřsti „zu Erde werden“, 
apr. wirst „wird“, auch Wackernagel, Vorles. üb. Syntax II 219. 

W. Sch. 


J. F. Lohmann, Das Kollektivum im Slawischen. 37 


Das Kollektivum im Slawischen'). 
I. Gattungskollektivum und nomen unitatis. 


Die neubritannischen Sprachen (Cymrisch, Cornisch, Bre- 
tonisch) haben im Gegensatz zum Neuirischen die ererbte Flexion 
der Nomina so gut wie ganz aufgegeben (vgl. Pedersen, Vgl. Gr. 
d. kelt. Spr. II 68ff.; Rowland, Gramm. of the Welsh 1.° 22ff.°)). 
Außer einer im wesentlichen auf das Oymrische beschränkten 
teilweisen Motion der Adjektiva (gwyn albus, gwen alba usw.) ist 
von ihr nur die Pluralbildung übrig geblieben’). Sie geschieht, 
vom Standpunkt der heutigen Sprache aus gesehen, teils durch 
Ablaut der Wurzelsilbe (cy. march equus, meirch equi; bret. dant 
dens, dent dentes usw.), teils durch Anfügung von Suffixen 
(cy. dyn-ion homines, colomen-od columbae; bret. brezel-iou bella; 
kleze-ier gladii, bugal-e liberi), teilweise auch durch eine Ver- 
bindung dieser beiden Bildungsarten: cy. gair verbum, geiriau 
verba usw., Rowland, a a 0O., S. 22ff.; Ernault, Pet. gramm. bret. 
S.17ff. Die alte indogermanische Verteilung der verschiedenen 
Endungen nach den Stammauslautklassen (o-St., a-St. usw.) ist 
z. T. ersetzt durch eine neue nach Bedeutungsgruppen (vgl. 
Pedersen, o. XXXIX 467 und den Abschnitt über die Plural- 
bildung bei Rowland S. 22ff. und bei Ernault S. 17ff.) und die 
Bildung überhaupt sehr mannigfaltig, weil von demselben Worte 
oft mehrere pluralische Ableitungen nebeneinander im Gebrauch 
sind (Rowland S. 24: many nouns .... have two, and some even 
three different plural forms). Die Pluralbildung unterscheidet sich 
also, rein äußerlich betrachtet, nicht von der Art, wie sonst die 
in der Wortbildungslehre behandelten Kategorien (Kollektive, 
Abstrakta, nomina agentis u. dgl.) zum Ausdruck gebracht werden, 
und man könnte sie deshalb ganz gut in der Grammatik als einen 


1) Der Aufsatzreihe liegt eine Berliner Inauguraldissertation über das sub- 
stantivum collectivum im Slawischen vom Jahre 1921 zugrunde (Auszug im 
Jahrb. d. Diss. 1920/1, S. 326—331), die wegen der damaligen Verhältnisse zu- 
nächst nicht gedruckt werden konnte. Das Wesentliche lag also bereits vor, 
als O. Grünenthals Ausführungen über „Deminutiv und Singulativ“ in den Mit- 
teilungen des Arch. f. sl. Ph. XXXVIII 137f. und XXXIX 143 erschienen. 

2) Es ist hier absichtlich diese ältere, rein deskriptive, von sprachhistori- 
schen wie sprachpsychologischen Gesichtspunkten noch ganz unberührte Dar- 
stellung zugrunde gelegt worden. 

3) Die spezifisch keltischen, für unser Thema bedeutungslosen Sandhi- 
erscheinungen sind im folgenden unberücksichtigt geblieben. 


38 J. F. Lohmann 


Teil dieser abhandeln. Das wäre auch vom historischen Stand- 
punkte aus nicht ganz ungerechtfertigt, denn einmal sind die 
Plurale zum großen Teile ursprüngliche Kollektiva, also tatsäch- 
lich auch historisch gesehen eigentlich selbständige Worte (z. T. 
sogar von einem ganz anderen Stamme: bret. den Mensch, pl. 
tud, eig. Volk; mareh Pferd, pl. kezek; ki Hund, pl. chas aus frz. 
chasse) und „die Reste der altindogermanischen Pluralbildung nur 
noch durch etymologisches Studium davon zu scheiden“ (Pedersen, 
o. XXXIX 467), und dann wird nicht bloß der Plural vom Singular, 
sondern gar nicht selten umgekehrt der Ausdruck für das Ein- 
zelne durch Antritt eines Suffixes von dem für eine Mehrheit 
bzw. für die Gattung gebrauchten nackten Stamme abgeleitet 
(Pedersen, VG. II 58; Rowland. S. 27: cy. adar Vögel, eder-yn 
(aderyn) Vogel; gwydd Bäume, gwydd-en Baum; yd Korn, yd-yn 
a grain of corn, Ernault S. 16: bret. gwez Bäume, gwez-en Baum; 
ed blé, ed-en grain de blé usw.). Unter Umständen werden auch 
beide Arten des Numerusausdrucks miteinander verbunden: 
gelaou-en Blutegel, pl. gelaou, gelaou-ed, gelaou-enn-ed; dluz-en 
Forelle, pl. dluz, dluz-ed; karp-en Karpfen (sg.), pl. karp-ed; 
ster-en, ster-ed-en Stern, pl. ster-ed, ster-ed-enn-ou; ed blé, edou 
plusieurs espèces de blé, edenn grain de blé, edennou des grains 
de blé; cy. difer-yn drop, pl. difer-ion; gel-yn enemy, pl. gel-yn-ion, 
älter (und poetisch) gal-on; dagrau ôdxọva, sg. deigryn und deigr; 
arfau arma, sg. arf und erfyn. Nach den Zahlworten endlich 
verzichtet man, wenn kein Partitivverhältnis vorliegt, im allge- 
meinen überhaupt darauf, die Mehrzahl zum Ausdruck zu bringen 
(Pedersen, VG. II 132, über einige Ausnahmen im 'Cymrischen 
Rowland S. 123, die Verhältnisse in der älteren Sprache bei J. 
Strachan, An intr. to early Welsh 31f.), indem hier in einer fast 
finnisch-ugrisch (bzw. ural-altaisch) anmutenden Weise das Zahl- 
wort die Funktion der Numerusbezeichnung ganz auf sich nimmt’) 
(besonders interessant Fälle wie cy. deu (2) vackuy (sing.) wineuon 
ieueinc (pl.) two auburn young lads; pedeir meillion-en gwynn-yon 
(vier-[einzelnes]Kleeblatt-weiße) vier weiße Kleeblätter (bzw. 
-blüten), Strachan, a. a. O. 26: das Substantiv neben der Zahl 
singulativ®,, also bloß den Typus bezeichnend, das Adjektiv da- 


1) Natürlich wird die Sache historisch anders zu erklären sein (vgl. 
Pedersen a. a. O.), dieser geschichtliche Aspekt kommt aber selbstverständlich 
für den heutigen Sprecher nicht mehr in Frage. 

2) Abgesehen von dem Reflex der Dualendung in den Sandhierscheinungen 
(Pedersen a. a. O.). 


Das Kollektivum im Siawischen. 39 


gegen in pluralischer Form, also auf die Synthese Zahlbezeich- 
nung 4 Typusbezeichnung bezogen). 

Damit hat sich die Sprache von der ursprünglich im Indo- 
germanischen üblichen Art der Numerusbezeichnung ziemlich weit 
entfernt, und man hat deshalb schon früh die Notwendigkeit 
empfunden, dieses auch in der Terminologie zum Ausdruck zu 
bringen. Für die „vom Plural abgeleiteten Singulare“ (so bei 
Rowland § 113, ganz ähnlich übrigens noch J. Morris Jones, An 
el. Welsh gr., Oxford 1922, S. 39ff.) hat Zeuß (Grammatica cel- 
tica* 299) den Ausdruck „Singulativa“ geprägt: „peculiaria sunt 
eo, quod pluralis significationem, non formam prae se ferunt, 
britannica substantiva collectiva, quibus opposita sunt singula- 
tiva, ut velim appellare ...“ Es bestand aber schon längst eine 
Terminologie für die kollektiven Stammwörler und die von ihnen 
abgeleiteten Singulativa wie überhaupt für die mit den Kollektiven 
zusammenhängenden Bildungen in der einheimischen arabischen 
Grammatik. 

Das Arabische ist außerordentlich reich an Kollektiven jeder 
Art. Kollektive Bildungen haben hier so stark die eigentlichen 
Plurale überwuchert, daß diese (die übrigens von der heutigen 
vergleichenden Grammatik auch auf Kollektiva zurückgeführt 
werden, vgl. Brockelmann, Grundr. I 450ff.) der einheimischen 
Grammatik nur als eine mögliche Art des Mehrzahlausdruckes 
erscheinen (die plurales sani), der gegenüber man die übrigen 
(in ihrer Bedeutung wie an ihrem syntaktischen Verhalten noclı 
deutlich als Kollektiva zu erkennenden) Plurale unter dem Namen 
plurales fracti zusammenfaßt. Die Grammatiker haben aber viel- 
fach das Empfinden gehabt, daß es neben diesen als regelrechte 
Plurale (gam’un) anzusehenden Formen noch eine Reihe von 
kollektiven Bezeichnungen (’asma’u dom) gibt, die den Aus- 
drücken für die Einheit selbständiger gegenüberstehen, und so 
wird für verschiedene Kategorien die Zurechnung zu einer gram- 
matischen Streitfrage.e Während die Kufer Philologen alle Mehr- 
heitsausdrücke für Plurale halten, bemühen sich die Basrer und 
die späteren um eine genauere Abgrenzung der kollektiven Aus- 
drücke vom Plural. Die Auseinandersetzungen bei den ar. Gram- 
matikern über diese Frage findet man bei M. Sloper Howell, A 
grammar of the class. ar. langu., transl. and compiled of the most ap- 
proved native or naturalized authorities §§ 234 (S.862), 254, 257. 

Für das vom Plural zu scheidende Kollektivum kommt neben 
dem erwähnten ismu ’l gam‘i (Mehrheitsnomen) auch der Aus- 


40 J. E. Lohmann 


druck sibhu’l gami, Quasiplural vor, der sehr gut die Funktion 
eines solchen, meist ebenso wie der gebrochene Plural einer 
bestimmten Individualbezeichnung zugeordneten’) kollektiven 
Singulars ausdrückt (Socin-Brockelmann, Ar. Gr.’877d; Caspari- 
Müller, Ar. Gr.” 8290, 1A; Caspari-Wright usw., Gr. of the ar. 1.” 
I 8 292b): rakbun Karawane neben räakibun Reiter, hadamur 
Dienerschaft neben hadimun Diener usw., vielfach eigentlich 
Verbalabstrakta in konkret-kollektiver Verwendung (besonders 
deutlich in nasrun Hilfe— Helfer, sg. und pl., neben dem singu- 
laren näsirun helfend; falabun Wunsch — gewünschtes Ding— 
Leute, die wünschen, und als solches (Quasi-)Plural zu talibun 
wünschend, ein Wünschender), etwa wie wenn im Deutschen das 
kollektiv gebrauchte Abstraktum (nomen actionis) Wache dem 
Singular Wächter als Mehrheitsausdruck zugeordnet wäre. 

Als Bezeichnung für solche und ähnliche auf der Grenze 
zwischen Kollektivum und Plural stehende, den Plural ganz oder 
teilweise ersetzende Kollektiva oder Abstrakta (vgl. etwa slaw. 
bratröja Bruderschaft — Brüder, gospoda Herrschaft — Herren) er- 
scheint der Ausdruck Quasiplural auch für andere Sprachen ganz 
brauchbar. Im Neubritannischen kann allerdings nicht mehr von 
Quasipluralen in diesem Sinne gesprochen werden, weil hier aus 
der Verschmelzung von alten Pluralen und alten Kollektiven eine 
neue einheitliche Kategorie entstanden ist. 

Neben den kollektiven Ableitungen kennt das Arabische auch 
die kollektive. Verwendung der unveränderten Grundform des 
Substantivs. Es sind vielfach die gleichen Begriffe wie im Neu- 
britannischen, die auf diese Weise behandelt werden, und die so 
gebrauchten Wörter werden in der arabischen Grammatik als 
Gattungskollektiva (so Socin-Brockelmann) oder genauer 
eigentlich Gattungsnomina (ar. ’asma’u yinsin) bezeichnet. Zum 
Teil werden sie allerdings unter den ’asbahu °l gami (Quasiplu- 
ralen) mit einbegriffen (so auch bei Gaspari-Müller® 8 290, 1, 
besser dagegen Wright’ I § 292a und b), daß sie aber als eine 
besondere Kategorie gefühlt werden, geht aus der Beschreibung 
hervor, die von ihnen gegeben wird (bei Howell unter § 254 zu- 


1) In der Regel gehören Individualbezeichnung und Kollektiv der gleichen 
Wurzel an; die Fälle, wo beide selbständige Bildungen sind (¿dilun Kamele, 
ba’irun ein Kamel u. dgl, wie oben bret. tud, kezek, chas, pl. zu den Mensch, 
marc’h Pferd, ki Hund), vergleicht Brockelmann (Grundr. I 426) mit analogen 
Erscheinungen bei der Motion (Hengst—Stute—Pferd, Stier—Kuh—Rind u. dgl. 
gegenüber Esel—Eselin usw.). 


Das Kollektivum im Slawischen. 41 


sammengestellt). Es sind Worte, bei denen der Singular die 
Gattung als solche, nicht, wie sonst üblich, den einzelnen Ver- 
treter derselben bezeichnet (tamrun Datteln, sa’ırun Gerste, han- 
zalun Kürbisse, bittihun Melonen, hamāmun Tauben, dahabun Gold 
und viele andere Wörter, bes. Tiere, Pflanzen und Konkreta für 
Unbelebtes), ein Gebrauch, der bei Massenerscheinungen und 
Stoffbezeichnungen ja mehr oder weniger in allen Sprachen vor- 
kommt (vgl. etwa deutsch Sand—gr. doo neben duor —, 
Haar — neben Haare —, Wolle, Gras, Kohl, die Getreidearten), 
hier aber ebenso wie im Neubritannischen erheblich weiter greift, 
als das sonst üblich ist. 

Wenn man einen einzelnen Vertreter der Gattung bezeichnen 
will, so wendet man, den britannischen Bildungen auf -en, -yn 
entsprechend, eine Ableitung mit dem femininischen Suffixe -at 
an, die die Grammatiker ismu °l wahdati (nomen unitatis) 
nennen: tamratun eine Dattel, sa’iratun ein Gerstenkorn, kan- 
zalatun ein Kürbis, bittihatun eine Melone, khamamatun eine Taube, 
dahabatun ein Goldstück usw. Da das Grundwort die Gattung 
schlechthin, zunächst ohne Rücksicht auf die Zahl, bezeichnet, 
kann es unter Umständen, wenn man auf Genauigkeit keinen 
besonderen Wert legt, auch für ein einzelnes Individuum gebraucht 
werden, worin die Grammatiker mit Recht einen Beweis dafür 
erblicken, daß diese Worte keine (gebrochenen) Plurale zu den 
nomina unitatis (auf of) sein können (Howell a. a O. S. 1054f.). 

Unter Benutzung dieser arabischen Terminologie könnte man 
also die neubritannischen Singulative und ähnliche Erscheinungen 
in anderen Sprachen als nomina unitatis (die abgeleiteten Plurale 
dementsprechend nötigenfalls als nomina pluralitatis) und außer- 
dem in allen Sprachen die ‚Worte, bei denen der nackte Stamm 
bzw. die unveränderte Grundform für die Gattung oder eine 
Mehrheit von Individuen derselben gebraucht wird, als Gattungs- 
nomina oder Gattungskollektiva bezeichnen °), wie das auch im 
folgenden geschehen soll. 

Eine besondere Gruppe unter den Gattungsnomina bilden im 

1) Die termini nomen unitatis und singulativ(um), in ihrer Bildung den 
allgemein gebräuchlichen nomen actionis, agentis bzw. collectiv(um) entsprechend, 
ließen sich ganz gut nebeneinander verwenden. Man hätte auf diese Weise die 
Möglichkeit einer gewissen Variierung und Nuancierung des Ausdrucks und 
könnte das erste je nach Bedarf mehr substantivisch oder auch ganz allgemein 
auf die Bedeutungskategorie gehend (und also auch solche umschreibende 


Wendungen wie deutsch Sirohhalm, irz. brin de paille mit umfassend), das 
zweite mehr adjektivisch (bzw. adverbiell) und spezieller gebrauchen. 


49 J. F. Lohmann 


Arabischen die Völkernamen, die oft mit den Ländernamen zu- 
sammenfallen, aber umgekehrt wie im Germanischen und ın 
anderen indogermanischen Sprachen, indem nämlich der Name 
des Landes zugleich das Volk bezeichnet: alhindu Indien — die 
Inder, arramu Ostrom — die Griechen (Byzantiner): inhazamat-i- 
’rramu „die Byzantiner ließen sich in die Flucht schlagen“; der 
einzelne Angehörige des Volkes wird dann durch ein adjektivi- 
sches (in seiner Funktion übrigens dem idg. -iios verwandtes) 
-iu-Suffix von diesem abgeleitet: alhindiiu der Inder, arrzmiiu 
der Grieche. Diese Art der Völkerbezeichnung findet sich im 
Slawischen ebenfalls. Ganz allgemein verbreitet sind (wenigstens 
in der älteren Sprache) Litva f. sg. Litauen — die Litauer’), 
Litvins der einzelne Litauer, Rusv”) f. sg. Rußland—die Russen 
(Ruthenen), Rusins der einzelne Russe (Ruthene) gegenüber dem 
gewöhnlichen: Slovne die Slawen (Slovenen), das Slawen- 
(Slovenen-)Land, Slovenins der einzelne Slawe (Slovene). Außer- 
dem gibt es noch eine Reihe primärer kollektiver Völkerbezeich- 
nungen in den einzelnen Sprachen, vor allem im Altrussischen. 
Man vergleiche die Völkerliste in der Einleitung der Povöst» 
vr&m. lets (S. 4 der neuen Leningrader Ausg. der Laur.-Chr.): 
v Afetove Ze Časti sét ot Rust, Čudo i vsi jazyci: Mer o, Muroma, 
Vesoọ, Morčdva, Zavoločoskaja Čudo, Permo, Pečera, Jamo, Ugra, 
Litva, Zimegola, Korso, Sétogola (Létogola), L'ube, ... (S. 11) jazyci, 
ize danb dajutv Rusi... Čeremisb ... Norova, Libv... Außer 
diesen kommen noch vor: IZera, Korela, Očela, Samojadv, Torma, 
Vodo, Severa (Severs), Žmudb, Donv (Dänen), Lopv (Lappen), 
Ser(e)bv (Serben), Sveja (Schweden), Latina (Lateiner), Cernyj 
Klobuk (neben Cernii Klobuci) die „Schwarzmützen“, Karakal- 
paken (Belege bei Potebna, Iz zap. p. russk. gr. III 28f.). Bildung 
des nom. unit. wie bei Rusins, Litvins: C’udins (1. Psk. Chr. 6971), 
Mor(z)dvinz, Serbins, Latinine. Das Polnische hat in der älteren 
Sprache: Sas Sachsen (n. un. Sasin bei Linde aus Szczerbicz, 
Speculum Saxonum belegt), Samojedz2 Androphagen, Wotosza 
Walachen’?) (n. un. Woloszyn, vor allem auch kleinrussisch ge- 
bräuchlich): (Pauli, Pam. o wypr. Choć. 71) wszystka Wotosza od 


1) Der Bedeutungsübergang Land — Volk liegt auch vor in bg. chóra 
Menschen, Leute, skr. alt dagegen noch kora Land, Gegend aus gr. yopa. 

2) Rusb war allerdings ursprünglich Stammname, aber nach der Gleich- 
stellung von Land und Volk ist das Ergebnis dasselbe wie im Arabischen. 

3) Ganz ähnlich das stets kollektive szlachta die Adeligen mit dem n. un. 
szlachcic. 


Das Kollektivum im Slawischen. | 43 


Dniestru i od Prutu pouchodzita za Soczawe aż w Siedmiogrodzkie 
góry „die ganzen Walachen waren vom Dnjestr und Pruth über 
die Soczawa bis in die Siebenbürger Berge geflüchtet“. Da bei 
den Ländernamen im Polnischen die pluralische Form vorherrscht 
(Niemcy Deutschland, Prusy Preußen, Włochy Italien, Wegry 
Ungarn usw.), kommt es hier zu dem Paradoxon, daß der Name 
des Volkes (Wolosza) singularisches Kollektiv, der Name des 
Landes dagegen (Wolochy, die Walachei) plurale tantum ist: 
(a. a. O. 36) chcial cesarz turecki, aby koniecznie nasze wojsko z Wo- 
toch wyszto, jako prowincyej jego „der türkische Kaiser wünschte, 
daß unser Heer endlich die Walachei, seine Provinz, räume.“ 

Im Altrussischen findet sich die kollektive Völkerbezeichnung 
bei den nichtslawischen Stämmen fast häufiger als die pluralische 
(auch Ruso ist ja ursprünglich ein nichtslawischer Stamm), aus 
der modernen Schriftsprache ist sie aber bis auf einige geringe 
Reste (Mordvá — Mordvin; Čudo, Cuchnd bes. für die Finnen in 
der Umgegend von Leningrad) ganz geschwunden. Daraus darf 
man wohl schließen, daß diese Redeweise als allzu volkstümlich 
und dem literarischen Stile nicht gemäß empfunden und deshalb 
möglichst ausgemerzt wurde. Daß die ältere slawische Sprache 
überhaupt viel stärker zu kollektiver Ausdrucksweise neigte, als 
das in den heutigen literarisch ausgebildeten Einzelsprachen noch 
hervortritt, zeigt ein Blick in die Chroniken und die traditionelle 
Volkspoesie der einzelnen Stämme, in denen die beiden Haupt- 
arten des kollektiven Ausdrucks, das Kollektivum im engeren 
Sinne wie auch der sog. repräsentierende Gebrauch des Singulars 
(Delbrück, Vgl. Synt. I 149) ungleich häufiger sind als heute. 
Beiden gemeinsam und überhaupt das eigentliche Kennzeichen 
des kollektiven Ausdrucks ist bekanntlich die Diskrepanz zwischen 
der singularischen Form und der pluralischen Bedeutung, aus der 
sich stets ein gewisser Widerspruch ergibt, der überall da, wo 
er sich stärker geltend macht, von dem schulmeisternden Sprach- 
verstande als unbequem empfunden werden mußte und so wohl 
vielfach instinktiv oder auch bewußt gemieden wurde. 

Diese Diskrepanz zwischen Form und Bedeutung beruht ın 
jedem Falle auf einer Art Bedeutungsübertragung. Beim abge- 
leiteten Kollektivum gebraucht man für eine Masse von Einzelnen 
die diesen gemeinsame, für sie charakteristische Eigenschaft oder 
Tätigkeit (die Jugend für die jungen Leute, die Regierung für 
die Regierenden) bzw. den Ort, an dem sie sich befindet (Litva 
für die Litauer, Moskva für die Moskoviter, der Hof für die Höf- 


44 J. F. Lohmann 


linge, Frauenzimmer im älteren Neuhochdeutsch als Kollektivum 
für das weibliche Geschlecht, Kluge, E. W. avl oder die Zeit, 
in der sie lebte (etwa: das Altertum für die damals lebenden 
Menschen). Auf derartige Bedeutungsübertragungen lassen sich 
so gut wie alle Typen der Kollektivbildung zurückführen. Die 
meisten kollektiven Suffixe sind eigentlich abstrahierend: bratrdja, 
poaroia gebildet wie xaxie, Zevia (Gastlichkeit), pěchota Infanterie 
wie dobrota Güte, russ. znatv (= yvöoıs) Ansehen, angesehene 
Leute, Bekannte (SRJ II 2767), kamenpje Steine, eigentlich Neu- 
trum eines adj. auf -iios, Steinernes, also auch eine Art Eigen- 
schaftsabstraktum (vgl. abg. sčdravbje Gesundheit, milosrsdpje Barm- 
herzigkeit), aber von vorne herein konkreter als Jugend, juventus, 
jeunesse. Zu den vielfach sich damit berührenden lokalen Kollek- 
tiven vgl. etwa ahd. steinahi Gestein zu got. stainahs steinig wie 
got. bairgahei f. Bergland zu einem vorauszusetzenden *bairgahs 
gebirgig und überhaupt die Bildungen auf ahd. -ahi (Kluge, Nomin. 
Stammbildungsl. § 67), lit. akmenjne steiniges Land, akmenynus 
Steinhaufen, Zjezdrjnas Grandhaufen, nendrijnas Röhricht, Aer Su. 
nas = slaw. *berzina Birkenhain, das neuarmenische Kollektiv- 
suffix -stan, abstrahiert aus altarmenischen Bildungen wie haya- 
stan Armenierland, cara-stan Baumpflanzung mit dem aus dem 
Iranischen entlehnten stan Land als zweitem Gliede (Pedersen, 
o. XXXIX 466). 

Die zweite Form des kollektiven Ausdrucks entsteht durch 
eine Verschiebung innerhalb der numeralen Gebrauchssphäre des 
Wortes selbst. Da der Singular im allgemeinen als die Normal- 
form des Wortes angesehen wird (oder vielleicht richtiger: die 
Normalform zunächst für das Einzelne, also als Singular gebraucht 
zu werden pflegt), steht diese Einzahlform auch da, wo von der 
Gattung im allgemeinen die Rede ist). Bekanntlich gebrauchen 
in diesem Falle die Sprachen, die einen Artikel besitzen, in der 
Regel den sog. generellen Artikel: „der Mensch ist sterblich“, 
„aer Fisch atmet durch Kiemen“. Da nun der Singular in solchen 
Sätzen stets durch den Plural ersetzt werden kann, entsteht auf 
diese Weise ein Schwanken im Numerusgebrauch, das auch zu 
einer gewissen stilistischen Nuancierung des Ausdrucks benutzt 


1) In einer logisch konstruierten Sprache müßten die Formen für Einzahl 
und Mehrzahl, da beide Akzidenzien des Begriffes sind, von der ausschließlich 
für die Gattung gebrauchten Grundform des Wortes abgeleitet werden, wie das 
in bret. ed Korn als Gattung, — edou Getreide-(„Körner-*)Arten —, eden 
einzelnes Korn, edennow Körner tatsächlich der Fall ist. 


Das Kollektivum im Slawischen. 45 


werden kann. So klingt Schillers: „so treibst du’s mit dem 
Schweden nur zum Schein?“ (Wallenstein) anders, als wenn der 
Plural gebraucht wäre. Hier wird durch den Singular bei politi- 
schen und militärischen Verbänden eine stärkere Zusammenfassung 
der Masse zu einer Einheit ausgedrückt. In anderen Fällen dient 
der Singular dazu, den Typus des einzelnen Angehörigen der 
Gattung, aus dem sich die Masse zusammensetzt, schärfer hervor- 
treten zu lassen. Vgl. etwa: .... najprzöd harcownik z wielkim 
okrzykiem na koniach nacierał ku bramie (Pauli, Pam. o wypr. 
Choć. 129) „am weitesten drang der Plänkler auf seinen Pferden 
mit lautem Geschrei zum Tore vor“, Turcy ... poczęli sie ku 
bramie jmei p. hetmana polnego ukazywać, zaczem nastąpił harcownik, 
któremu postuchy nasze ustąpiły (ebd.) „die Türken begannen sich 
am Tore des gn. Herrn Feldhetmann zu zeigen, worauf der 
Plänkler vorstieß, vor dem sich unsere Horchposten zurückzogen“. 
Delbrick nennt diesen Gebrauch des Singulars für die Gattung 
bzw. eine Masse von Individuen repräsentierend (Vgl. Synt. 1149). 

Der Unterschied gegen das oben beschriebene Gattungs- 
kollektivum liegt vor allem darin, daß es sich nicht um einen 
grammatisch fest geregelten Sprachgebrauch handelt. Eine scharfe 
Grenze zwischen beiden läßt sich aber natürlich nicht ziehen. 
Es kann sich der Gebrauch des Singulars pro genere in stilisti- 
scher Absicht, wenn er durch irgend welche sachlichen oder 
sprachlichen Momente begünstigt wird, mehr und mehr einbürgern 
und schließlich den Plural ganz oder fast ganz verdrängen. So 
kommt das im Polnischen des 17. Jahrhunderts ziemlich häufige 


komunnik (komönnik) Reiter (Berneker, E. W. I 555; Brückner, . 


S.E. 254) fast nur singularisch-kollektiv vor, selbst nach Zahlen: 
(Pauli a.a. O. 124) wypuseit ... dwa tysigce komunnika ... na harc 
„er schickte 2000 Reiter zum Geplänkel vor“, (ebd. 127) potem 
ich posilkowat jmé pan hetman komunnikiem ochotnym ..... niektöremi 
chorggwiami kozackiemi i rajtarskiemi ... Jmc pan wielki ... sam 
sie między harcownikiem i chorggwiami w utarczce mieszat ... znać 
było, ze komunnik nie ladajaki spadat „danach verstärkte sie der 
gn. Herr Hetman durch freiwillige Reiter ... und einige Fähn- 
lein Kosaken und (deutsche) Kavallerie... Der gn. Herr Groß- 
hetman mischte sich selbst unter den Plänklern und den Fähnlein 
in das Gefecht ... es war zu erkennen, daß eine nicht geringe 
Zahl von (türkischen) Reitern gefallen war“, ferner bei Linde 
Belege aus Twardowski, Wojna domowa, Jablonowski, Pamietne 
uprow. z Buk., Chroseinski, Pharsalia Lukana.. 


46 J. F. Lohmann 


Überhaupt besteht die Neigung, militärische Einheiten bzw. 
Truppengattungen singularisch auszudrücken (vgl. lat. [Liv.] eques, 
pedes, Poenus u.dgl.): (a. a. O. 94) Ussarz z szańców wypadł w bok 
poganowi i tak ustąpili „der Husar fiel von den Schanzen her 
dem Heiden in die Flanke und so zogen sie sich zurück“, (46) 
ochotnik nasz, otrzymad się w obozie nie mogąc, wypadt „unser Frei- 
williger, der sich nicht (länger mehr) im Lager zurückhalten 
konnte, machte einen Ausfall“, (131) napadł harcownik ku obydıwom 
bramom naszym, wypadł do nich ochotnik „der Plänkler griff unsere 
beiden Tore an, da machte der Freiwillige einen Ausfall gegen 
sie“; ähnlich człowiek im militärischen Sinne: (59) nim sie postrzegli, 
7 człowieka Lissowczyköow zabito „ehe man sich dessen versehen 
hatte, waren 7 Mann von den Leuten Lissowski’s getötet“. Der 
militärischen Sprache gehört offenbar auch das kollektive trup 
Leichen an: (22) trup turecki gesty padt „dicht fielen die türki- 
schen Leichen“, (26) wielkiemi kupami trup turecki lezat „in großen 
Haufen lagen die türkischen Leichen da“, (51) trupa nieprzyja- 
cielskiego legło do 2000, (116) najmniej pięć trupa naszego widziat, 
(127) padat często trup turecki usw. Den gleichen Sprachgebrauch, 
oft bei denselben Worten (komonnik, celovek, trup')), findet man 
in der demselben Jahrhundert angehörenden kleinrussischen 
Chronik des Augenzeugen (Lötopiss Samovidca), vgl. Potebna, 
Iz zapisok po russkoj grammatikě III 30f. 

In der altrussischen Annalistik wird das kollektive trup (dafür 
sonst die kollektive Ableitung trupije) auf das von den Leichen 
der Gefallenen bedeckte Schlachtfeld übertragen‘): na toms trupu 
jesce uchvatisa Novgorodca vs dospese i na koni (1. Psk. Chr. 6979) 
„auf dem Schlachtfelde fingen sie noch einen Novgoroder in 
Rüstung und zu Pferde“, Pskovidi trups naechasa na tretii dent, 
a ne vědaša togo boju (ebd. 7010) „die Pskover erreichten das 
Schlachtfeld am 3. Tage, sie wußten aber nichts von der Schlacht“. 
Häufig kollektiv gebraucht wird ferner gostv der fremde Kauf- 
mann (Gren, I 570). Aus der großen Zahl von Belegen seien 
angeführt: posliny ... ss Tverskogo gost'a i s Novgorodskago (Ur- 

1) Ebenso io corpus, cadaver, Mikl. VG. IV 44 aus Pauli’s ruthenischer 
Volksliedersammlung. 

2) Die Bedeutungsentwicklung des slawischen Wortes: Klotz — Block — 
Rumpf—Körper—Leiche (vgl. slov. ¿rp Baumklotz, Felsblock, Säulenschaft, 
Schiffsrumpf, Rumpf des Körpers, Körper, Leiche) — Leichen — Schlachtield er- 
innert an ahd. wal Schlachtfeld (wuol clades), an. valr Leichen des Schlacht- 


feldes, ags. wael ds. + die einzelne Leiche, nur ist die Richtung der Bedeutungs- 
entfaltung der germanischen entgegengesetzt. 


Das Kollektivum im Slawischen. 47 


kunde d. Fürst. Vsevolod v. Novgorod, vor 1136) „Abgaben von 
den Kaufleuten von Tver und von Novgorod“, a čto gosti ino- 
zemda vos akago jazyka, zatvorisas’a v corkvachs (1. Novg. Chr. 6711) 
„aber was an ausländischen Kaufleuten jeder Sprache da war, 
hatte sich in den Kirchen eingeschlossen“, togda b’ase gosto senz 
Nemeckij, a prijasa Pskovici Nemeckij gosto i vypustisa na drugoje 
leto (1. Psk. Chr. 6870) „damals waren dort viele deutsche Kauf- 
leute und die Pskover nahmen die deutschen Kaufleute auf und 
entließen sie den anderen Sommer wieder“, Nemei Jurjevidäi ... 
gosta Pskovskogo vsadiša vs pogrebs (ebd. 6971) „die Dorpater 
Deutschen warfen die Pskover Kaufleute ins Gefängnis“, Pskovidi 
prijasa gosto Nemeckij, tovars ichd, a samychě Nemecv vs pogrebs 
vsadisa (ebd. 6944) „die Pskover nahmen die deutschen Kauf- 
leute mit ihren Waren auf, die Deutschen selbst aber warfen sie 
ins Gefängnis“. Ebenso wie gosto sind kollektiv grecunike und 
zalozoniks, die Kaufleute, die zwischen Rußland und Byzanz (auf 
dem Grečskij Puto‘)) bzw. nach Südosten (auf dem Zaloz(b)nyj 
Putv’)) Handel treiben (Srzn. I 927, III Nachtr. 80). 

Vielfach ist in den angeführten Beispielen die Grenze des 
repräsentierenden Singulargebrauches im eigentlichen Sinne schon 
überschritten, vor allem in den Fällen, wo das betr. Wort im 
partitiven Genetiv steht (häufig nach Zahlen, aber auch sonst) 
oder mit einem Adjektivum verbunden wird, das sich seiner Be- 
deutung nach nur auf die Gesamtheit der Individuen, nicht auf 
den Einzelnen beziehen kann. Diese starke, in anderen Sprachen 
unbekannte Erweiterung der Gebrauchssphäre des repräsentativen 
Singulars findet sich ebenso in der serbischen Volkspoesie. Wie 
oben gosto silens Nemeckij in der ersten Pskover Chronik heißt 
es bei Vuk, N. pj. II 45, 80: u Laze je silni Srbalj bio, sedamdeset 
i sedam hiljada „bei Lasar befand sich ein starkes Serbenheer 
(eig. ein starker Serbe), 77000 Mann“. Partitiv (bzw. qualitativ, 
gewissermaßen den Stoff bezeichnend, aus dem das Heer besteht) 
ist der Genetiv VIII 72, 90 ff.: tu sedam harambaša nađe, a oko njih 
vojske Sest stotina, sve birana momka od udarca, na koga se može 
pouzdati „er fand dort 7 Räuberhauptleute und bei ihnen an 
Truppen 600 Mann, alle bestehend aus auserlesenen kampferprobten 
Burschen, auf die (serb. Sing.!) man sich verlassen kann“. Auch 
nach Zahlen steht der Gen. Sing.: (II 44, 202ff.) on (Vuk Bran- 
 kovie) izdade cara na Kosovu i odvede dvanaest hiljada ... ljutog 


1) Die Haupthandelswege des Kiever Rußlands nach Süden und Südosten; 
zum Sachlichen A. Spicyn in der Platonov-Festschrift, 1911, S. 243—250. 


48 J. F. Lohmann 


oklopnika „er verriet den Zaren auf dem Amselfelde und entführte 
ihm 12000 grimme Panzerreiter“, (VII 73, 934ff.) tader druge 
puške zapucase sedam stotin Mirkova vojnika, sve puške iz jednoga 
glasa „da krachten zu zweit die Flinten von 700 von Mirkos 
Kriegern, alle Flinten zugleich“, (ebd. 72, 31) tri hiljade Arnauta 
ljuta (dagegen v.71 tri stotine Arnauta ljutih), (73,89) sto hiljada 
placena soldata. Ähnlich Kuliš, Zapiski o južnoj Rusi, II 254: 
nazustrič jomu vyšlo s pokojiu čolovika tež iz des'ato „ihm entgegen 
kamen aus den Zimmern ebenfalls ungefähr zehn Mann heraus“, 
Wacław Potocki, Wiersze (Bibl. Nar. I 19), 6, 4: (Kamieniec 
Podolski) cztery tysiące trzyma żołnierza dla warty „es hält 4000 
Soldaten zum Schutz“. 

Da der Singular sich auch im Polnischen und Kleinrussischen 
findet, kann er. nichts mit dem bes. aus dem Großrussischen be- 
kannten (aber auch im Serbokroatischen und Bulgarischen vor- 
kommenden) Gen. Sing. zu tun haben, der in gewissen Fällen 
nach den Zahlen gebraucht wird. Dagegen ist es möglich, daß 
umgekehrt das Aufkommen dieser Konstruktion durch die in den 
angeführten Beispielen zu Tage tretende Indifferenz gegen den 
Numerus begünstigt wurde. Diese Numerusindifferenz hat im 
Gegensatz zu der Konstruktion der Zahlworte zunächst durchaus 
stilistischen Charakter. Sie ist also psychologisch begründet und 
aus diesen ihren psychologischen Motiven heraus zu verstehen, 
während es sich bei der Konstruktion der Zahlworte um eine 
traditionell gewordene, also bloß noch historisch und nicht mehr 
von der gleichzeitigen Sprache aus zu verstehende grammatische 
Konvention handelt. 

Die psychologischen Motive des Singulargebrauchs, die mehr 
oder weniger in allen Sprachen wirksam sind, durchkreuzen sich 
vielfach und sind daher nicht immer reinlich zu scheiden. Am 
nächsten steht dem eigentlichen Singular der distributive Ge- 
brauch der Einzahlform (Wackernagel, Vorl. ü. Synt. I 92: der 
Singular ist sehr oft distributiv, der Plural zählend, d. h. bei der 
Bezeichnung einer Vielheit wird der Singular gesetzt, wenn man 
den einzelnen ins Auge faßt, der Plural, wenn man sich ver- 
gegenwärtigt, daß es mehrere sind. So quisque: omnes ... Oder 
... die Vielheit ist auf verschiedene Personen verteilt ... Eur. 
Med. 1069 ... dér, © téxva, ... Auto Ödefıav yéga). So ist distri- 
butiv zu verstehen: (Ogn. i miecz. II 15) strudzony żołnierz krzepit 
sie jadłem, gorzatką — lub ducha sobie do jutrzejszej bitwy dodawat, 
opowiadając czyny dzisiejszej „der ermüdete Soldat stärkte sich 


Das Kollektivum im Slawischen. 49 


durch Essen, Branntwein — oder suchte sich für die morgige 
Schlacht Mut zu machen, indem er die Taten der heutigen er- 
zählte“. Distributiv ist letzten Endes auch der oben erwähnte 
generelle Singular bei Aussagen über die Gattung: der Mensch 
ist sterblich, der Fisch atmet durch Kiemen, d. h. jeder einzelne 
Mensch ist sterblich, jeder einzelne Fisch atmet durch Kiemen. 
Beim repräsentierenden Singular verschiebt sich demgegen- 
über der Akzent vom einzelnen auf die Masse, indem die Aus- 
sage sich eigentlich mehr auf die Gesamtheit als auf das Indivi- 
duum bezieht, und zwar in der Regel nicht absolut und allge- 
meingültig, sondern auf eine ganz bestimmte örtlich und zeitlich 
begrenzte Situation gehend: „und der Fisch hat damals weithin 
einen guten Tag gehabt“ (Scheffel, Ekkehard). Neben der kol- 
lektiven Zusammenfassung dient der Singular zur Heraushebung 
des Typus: (a.a. O. II 14) kascies ... przejść waszym putkom przez 
majdan ..., abym poznat, jakiego to przywiedliscie mi żołnierza 
„laßt eure Regimenter vorbeimarschieren ..., damit ich sehe, 
was ihr mir für (einen) Soldaten gebracht habt“, (ebd. IV 2) 
wszystko rycerstwo, co tw jest, to je najprzedniejszy żołnierz, jakiego 
kiedykolwiek miata Rzeczpospolita „die ganze Ritterschaft, die sich 
hier befindet, das ist der vorzüglichste Soldat, den die Republik 
je gehabt hat“, (ebd. IT 6) choć wszyscy ... Rusini, przecie w kluby 
dyscypliny ujeci i w Zotnierza regularnego zmienieni, wiernością prawie 
wszystkie inne chorągwie przewyszali „obwohl alle Ruthenen, über- 
trafen sie (die Dragoner des Fürsten W.), in scharfe Disziplin 
genommen und in einen regelrechten Soldaten verwandelt, doch 
an Treue so gut wie alle anderen Truppenteile“. Der Stand wird 
singularisch bezeichnet in: zbiegli od rekruta chłopi (Pan Tadeusz 
VI 317) „die von den Rekruten entlaufenen Bauern“. Sonst 
gebraucht das Slawische in dieser Funktion das Suffix -dstvo: 
Zröcostvo sacerdotium, devpstvo virginitas, vladycostvo principatus, 
oben rycerstwo. 

Ebenso stehen die Gattungskollektiva und die Massen- 
und Stoffbegriffe (Wasser, Sand, Gold) semasiologisch den ab- 
geleiteten suffixalen Kollektiven gleich. Sie unterscheiden sich 
von den anderen für eine Mehrzahl gebrauchten Singularen da- 
durch, daß das Individuum mittelst sekundärer Bildungen (nomina 
unitatis) ausgedrückt wird, wobei die einzelnen Sprachen z. T. 
verschiedene Wege gehen (suffixale Ableitung, Bildung zusammen- 
gesetzter Substantiva, Umschreibung). Zwischen dem Gattungs- 
kollektivum (bzw. Massenbegriff) und seinem nomen unitatis be- 

Zeitschrift für vergl. Sprachf. LVI 1/2. 4 


50 J. F. Lohmann 


steht semasiologisch dasselbe Verhältnis wie zwischen dem sekun- 
dären (abgeleiteten) Kollektivum und seinem Grundwort, während 
sie sich morphologisch umgekehrt verhalten: im ersten Falle be- 
zeichnet die primäre Formation das y&vos, die sekundäre das 
Individuum, im zweiten die primäre das Individuum, die sekun- 
däre das y&vos bzw. das Kollektiv (Stroh : Strohhalm, Gras: Gras- 
halm (Gräschen), Kies : Kiesel, aber Berg : Gebirge, Mensch : 
Menschheit). Es ist bezeichnend für die aller logischen Schemati- 
sierung widerstrebende Art der naturgewachsenen Sprache, daß 
gar nicht selten dasselbe Suffix die beiden entgegengesetzten 
Funktionen erfüllt, so wie auch das gleiche Suffix sowohl demi- 
nutiv wie augmentativ gebraucht werden kann (W. Schulze, Jagic- 
Festschrift 347; Brugmann, Grdr. II? 1, 679f.). So werden mit 
der arabischen Femininendung -at einerseits nomina unitatis, 
andererseits aber auch Kollektiva gebildet (Brockelmann, Grundr. 
18227Abc), das dem bret. en, cy. -yn, -en entsprechende irische 
-ne dient zur Ableitung von Deminutiven und Singulativen wie 
von Kollektiven (C. Marstrander, Z. f. c. Ph. VU 377), und das in 
russ. solömina Strohhalm individualisierende Suffix -ina ist in 
druzina Genossenschaft kollektiv. Daraus kann man natürlich 
nicht mit Potebna (Iz zapisok po russkoj grammatik& III 33) 
schließen, daß ursprünglich alle Kollektiva individuelle Bedeutung 
gehabt hätten und ebenso durch Synekdoche (pars pro toto) zur 
kollektiven Bedeutung gekommen wären wie der repräsentierende 
Singular (ne sinekdochidna li vsakaja sobiratelunosto, t. e. ne idet 
li ona ot jediničnosti? ne voschodit li sobiratelunoje značenije suf. -ina 
(izna) k znaceniju jedinicnosti s osobym ottenkom zavisaseim ot 2. 
r.?).. Hieran ist nur soviel richtig, daß die vielfach in den femi- 
ninen wie neutralen Suffixen liegende, der syntaktischen Funktion 
des Neutrums der Adjektive verwandte konkretisierende Wirkung 
sowohl zu kollektiver wie zu individualisierender Bedeutung führen 
kann (dubina, etwas aus Eiche(n) bestehendes, einerseits Eichen- 
hain, andererseits Eichenknüttel). Es handelt sich also bei den 
abgeleiteten Kollektiven, wenn sie mit einem Suffixe gebildet 
werden, das gleichzeitig auch singulative Funktion hat, nicht um 
Synekdoche, sondern um eine Verzweigung nach verschiedenen 
Richtungen von der gleichen Grundbedeutung aus. 

Wohl aber wird für die primären Bildungen mit kollektiver 
Bedeutung die Annahme einer solchen Synekdoche schon dadurch 
nahe gelegt, daß diese beim repräsentierenden Singulargebrauch 
ja noch beständig von jedem einzelnen Sprechenden vollzogen 


Das Kollektivum im Slawischen. 51 


werden kann. Wackernagel (Vorl. ü. Synt. I 94) möchte aller- 
dings die Entstehung des repräsentierenden Gebrauches, wenigstens 
bei den Völkernamen, auf eine mehr spezielle Bedeutungsüber- 
tragung zurückführen. Er meint, wenn ô I/&oong für das persi- 
sche Volk gebraucht würde, so wäre darunter ursprünglich der 
Perserkönig zu verstehen gewesen, und deshalb werde diese Aus- 
drucksweise auch nur selten auf griechische Volksstämme und 
Staaten angewandt. Richtig ist daran zweifellos, daß die Neigung 
zum Singulargebrauch sich in den einzelnen Sprachen nicht gleich- 
mäßig bei allen Völkernamen zeigt. So sprechen (oder sprachen) 
die europäischen Völker in dieser Weise gern vom Türken, der 
Ukrainer und Pole vom Moskoviter (Moskal), während der Pole 
(L’ach) im Ukrainischen viel häufiger im Plural vorkommt. Hier 
wäre es allerdings möglich, daß die Staatsform eine gewisse Rolle 
spielte, und ebenso könnte man etwa bei Kuliš, Zap. 1154: kazaky 
pid Mazepoju zminyly ta i pisly pid Turka. Turok don im zeml'u 
i use „die Kosaken wurden unter Masepa treubrüchig und gingen 
zum Türken (begaben sich unter türkische Herrschaft); der Türke 
gab ihnen Land und alles...“ an den Sultan denken. Es handelt 
sich aber in jedem Falle wohl nur um ein sekundäres Hinein- 
spielen dieses Gesichtspunktes. Im ganzen wird man doch die 
repräsentativ gebrauchten Völkernamen nicht von den übrigen 
repräsentierenden Singularen trennen wollen. 

Die ursprünglich für das Individuum geprägten Völkernamen 
(wie überhaupt die Personenbezeichnungen) unterscheiden sich 
aber von anderen neben ihrer individuellen Bedeutung auch 
generell gebrauchten Wörtern (etwa Stein als einzelner Stein 
und Stein als Masse oder Stoff) dadurch, daß bei ıhnen natur- 
gemäß die individuelle Bedeutung stets viel lebendiger bleibt und 
deshalb nicht leicht so völlig sich verlieren kann, wie das bei 
einem wirklichen Gattungskollektivum der Fall ist. Man gebraucht 
für diesen Zweck dann vielmehr ein Wort mit ursprünglich kol- 
lektiver Bedeutung, und so sind denn auch die altrussischen 
kollektiven Völkernamen mit abstrahierenden Suffixen gebildet 
oder als örtliche oder Stammesbezeichnungen entstanden‘) und 
schon durch das feminine Geschlecht von den zunächst den Ein- 
zelnen bezeichnenden Völkernamen geschieden. Obwohl auch 
bei den letzteren im Einzelfalle das Wort ganz wie ein Gattungs- 
kollektivum gebraucht werden kann (vgl. etwa Kuliš, Zap. I 146: 
ide Moskala tak jak trovy „es kommen Moskoviter wie Gras“, 


!) Das zweite besonders auch im Arabischen. 
4* 


59 J. F. Lohmann 


eig. „es kommt des Moskoviters') so wie Gras“), bleibt es von 
diesen doch immer durch die fortbestehende individuelle Bedeu- 
tung und das Fehlen eines besonderen nomen unitatis geschieden. 
Auf dieser Übergangsstufe von der repräsentierenden Ver- 
wendung zum Gattungskollektivum finden wir z. T. auch die 
Tiernamen. Im Arabischen ist das der Fall bei attairu Vogel: 
huua ka’anna “alā ra’sihi tairan „il se tient comme si un oiseau 
s'était posé sur sa tête“, iuslabu fa ta’kulu ’Hairu min ra’sihi 
(Quran 12, 41) „er wird gekreuzigt werden und dann werden 
die Vögel von seinem Kopfe fressen“. Auch das slawische Wort 
für den Vogel gehört hierher, wenigstens im Ostslawischen: ukr. 
(Kuliš, Zap. II 31) stala zbyratosa us'aka ptyča i us’aki zviri. Jak 
staly bytosa ..., to ptyča i poduZala zvirių. Da choč i podužala, 
a taky i sama pobyla s'a „es sammelten sich alle Vögel und alle 
wilden Tiere. Als sie sich zu schlagen begannen, da überwäl- 
tigten die Vögel die wilden Tiere. Aber wenn sie sie auch über- 
wältigten, so wurden sie doch auch selbst hart mitgenommen“, 
grr. (Hilferding, On. Byl. 15, S. 112): ptica uletela vsa pod oboloku, 
ryba usla da v gluboki stana, zveri ušli da vo temny lesa (Variante 
in 195, 8.943: zveri ty ušli vo temnyi lesa, ryba ta ušla vo glubokü 
stany, a ptica uletela pod oboloku) „die Vögel flogen alle unter die 
Wolken, die Fische gingen in die Tiefe, die wilden Tiere in die 
dunklen Wälder“. Besonders gebräuchlich ist der Singular für 
das Hausgeflügel: grr. (domasiiaja, dvorovaja) ptica, ukr. (V. An- 
drijevskyj, Z mynuloho I 86): v noči kraly ptyću, porosat, ovoči 
„in der Nacht stahlen sie Hühner, Ferkel, Obst“, (ebd. 93) chutir 
vyhladau jak kvitočka .. . Velykųj sad i pounm ryby stau... 
Pounyj dvir ptyci ta svinej „ihr Hof sah wie eine Blume aus ... 
Ein großer Garten und ein Teich voll von Fischen ... Der Vieh- 
hof voll von Geflügel und Schweinen“, (ebd. 94) zmalku zvykly 
chodyty kolo ptyci ta skotyny „von Jugend auf waren sie gewohnt 
Geflügel und Vieh zu warten“. Bei ryba ist die kollektive Ver- 
wendung außer in den russischen Dialekten auch süd- und west- 
slawisch üblich: bulg. otivam za riba „ich gehe fischen“, skr. 
loviti ribu (neben ribe), (Vuk, N. pi. I 14, 115ff.) digose se po 
moru alasi i po moru ribu povatase, uvatiše ribu zlatopernu „es 
fuhren Fischer aufs Meer und fingen auf dem Meere Fische, da 
bekamen sie einen Fisch mit goldenen Flossen“, (ebd. 24, 39) po 
njoj pliva riba svakojaka „auf ihm (dem Fluß Bojan) schwimmen 
. 1) Zu der aus dem Polnischen übernommenen unpersönlichen Konstruktion 
bei quantitativen Angaben vgl. Soerensen, Poln. Gr. § 146f. 


Das Kollektivum im Slawischen. 53 


allerlei Fische“, poln. (Ogn. i m. I3) rzeki roity sie rybą i ptactwem 
wodnym „die Flüsse wimmelten von Fischen und Wasservögeln“, 
(ebd. 2) niżowcy wiozący do obozu na sprzedarz rybę suszong, zwierzynę 
i tłuszcz barani ... „die Kosaken (am Unterlauf des Dnjepr) 
brachten zum Verkauf ins Lager getrocknete Fische, Wildbret 
und Hammelfett“. Auch die einzelnen Fischarten werden z. T. 
kollektiv gebraucht, so russ. plotvá Plötze, treská Stockfisch, sëmga 
Salm, kámbala Scholle und (morskája) Butte (Tschechov, Ostrov 
Sachalin: ja i mechanik udili s paluby rybu ... nam popadaliso byčki 
— cottus gobio — ... popadalaso i kambala „ich und der 
Mechaniker angelten vom Verdeck Fische ... wir bekamen 
„byčki“ ... wir bekamen auch Butten“), skombrijá, skumbrijá 
scomber scombrus, barabúńa, barabúloka Fischart im Schwarzen 
Meere. Im Ostslawischen finden sich Ansätze zum nomen unitatis, 
ukr. (Hrinčenko s. v.) ne piimaly ani odnisinvkoji rybyny „sie fingen 
auch nicht einen einzigen Fisch“, grr. rybina (Dalo), weißr. dass. 
(Nosovid), Das Wort ist allerdings in erster Linie augmentativ: 
(Nosovič) rybina, ryba bolvsogo sorta: rybinu s pud poimau. 

Im Westslawischen ist vro fera fast zum Gattungskollektivum 
geworden (die repräsentierende Verwendung ist natürlich schon 
älter, Pov. vrem. lets, S. 9: bachu lov'asca zverd, vgl. auch Mikl., 
V.G. IV 44). Es wird im Polnischen für große Tiere noch indivi- 
duell gebraucht (etwa für den Bären im Pan Tadeusz, vgl. auch 
die Stelle I 801: dzik, niedzwiedz, (og, wilk zwany był zwierzem 
szlacheckim, a zwierzę nie mające kłów, rogöw, pazurów zostawiano 
dla płatnych stug i dworskich ciurów „Keiler, Bär, Elch nannte 
man Edelwild, aber Wild ohne Hauer, Hörner, Klauen überließ 
man den Bediensteten und Troßknechten), sonst ist es allgemein 
Wild (polować na zwierza jagen P. T. VI 539, VII 23, zastawiac 
sidła na zwierza Schlingen stellen, Potkanski, Pisma 1244). Als 
n. un. dient dann das neutrale zwierzę. Tschechisch zvěř (fem.!) 
ist ganz kollektiv geworden (n. un. ebenfalls zvéře). Im Alttech. 
(Geb., Hist. ml. III 1, 365) kommt es auch noch individuell vor, 
es überwiegt aber doch schon die kollektive Bedeutung. Auch 
das Geschlecht schwankt in der alten Sprache noch (dosti zvierzie 
rozličného, čech. Marco-Polo-Übers. d. 15. Jhdts.). Mit der Be- 
schränkung auf das Femininum ist es völlig zum Gattungskol- 
lektivum geworden. Den übrigen Slawen ist diese kollektive 
Verwendung unbekannt (repr. Gebrauch kommt auch sonst vor, 
zum Slov. vgl. Pleteršnik s. v. und Mikl. IV 44). Das Ostslawi- 
sche hat dafür unserem „Wild“ entsprechende Ausdrücke: grr. 


54 J. F. Lohmann 


dičo, ukr. dyčyná, weißr. dzieynd (so auch bulg. die o, divec), und 
das Skr. kennt zwar ein n. un. (zvjěrka ein Stück Wild), daneben 
behält aber zvljer seine individuelle Bedeutung und für den Sam- 
melbegriff bildet man sekundäre Kollektiva: zujerad f., zujerinje 
n. (ebenso slov. zverjad f., zverje n.) Im Westslawischen fehlt 
andererseits die kollektive Verwendung des Wortes für Vogel 
und man gebraucht statt dessen das abgeleitete Kollektivum ptactvo 
(ptactwo, ptastwo). Im Polnischen ergibt sich so eine zusammen- 
hängende Reihe von kollektiven Ausdrücken für die großen Klassen 
lebender Wesen: lud Leute (czelad2 Gesinde, chtopstwo Bauern, 
szlachta Adel), bydło Vieh, zwierz Wild, ptactwo Vögel, ryba Fische, 
owad Insekten‘) (man beachte den Kontrast zum Litauischen, wo 
man bei Kurschat alles pluralisch angegeben findet, Zmönes selbst 
für Volk, galvijai, gyvoliai Vieh, für die fehlenden Wild und 
Geflügel allerhand pluralischer Ersatz, gniüsai Ungeziefer ’’)). 
Zwischen diesen Worten besteht offenbar eine gewisse Assozia- 
tion, die die Angleichung im Numerus gefördert hat: (P. T. XI 44) 
za ptastwem i lud ruszyt do naszego kraju ... konie, Ludzie, armaty, 
orły dniem i nocą ptynq ... „nach den Vögeln brachen auch die 
Leute in unser Land auf .... Pferde, Leute, Kanonen, Adler 
strömen Tag und Nacht vorbei“, (Ogn. i m. I2) na Siczy teraz 
ludzi nie wiele; za rybą i za zwierzem sie porozchodzili „in der Sicz 
sind jetzt nicht viele Leute; sie haben sich zum Fischen und 
Jagen zerstreut“, (I 3) rzeki roily sie rybą i ptactwem wodnym. 
Umgekehrt steht im Altrussischen skots Vieh neben zvěrb 
häufig im Plural (Srezn. IJI 387): ne tokmo Celovecy, no i skoti i 
vs’a zveri (Slovo Dan. zatot., Hdschr. d. 16. Jhdts.), beslovesnyi 
zverije i skoti (Zlat. Gepo, 14. Jhdt.), da izvedeto zemľa ... zveri 
zemoskija i skoty (Genes. 124 nach einer Hdschr. d 14. Jhdts.). 
Das abgeleitete skotina wird meist individuell gebraucht, und es 
hat den Anschein, als ob das n. un. cel’adins zu Zei odp f. Gesinde 
einen gewissen Einfluß auf die Bedeutung dieses Wortes ausge- 
übt hätte (ne ostavichoms u nego [Mönpska] ni čeľadina ni skotiny, 
pouč. Vlad. Monom. 81), wie überhaupt die Ausbildung der Ab- 


1) P. T. II 418: gasienice i owad Raupen und Insekten; wenn von ver- 
schiedenen Arten die Rede ist, steht natürlich der Plural: nauka o owadach 
Insektenkunde. 

2) Slaw. Lehnwort (Brückner, Sl. Frdw. 84), vgl. grr. gnus Ungeziefer 
(weißr. Anus Schurke); eine synonyme Wurzel in abg. gads coll. ekelhaftes, 
schädliches Getier (Mikl., V. G. IV 44), in den einzelnen Sprachen dann eben- 
falls auf alle möglichen Tiere und als Schimpfwort auf den Menschen übertragen 
(Bern. I 289, 314; Brückner, S. E. 131, d47). 


Das Kollektivum im Slawischen. 55 


leitungen auf -ina zu nomina unitatis auch sonst nicht ohne Ein- 
wirkung der älteren maskulinen Singulative auf Aus erfolgt sein 
dürfte. Skotina selber ist allerdings bis heute noch nicht zu 
einem wirklichen n. un. geworden‘). Es hat in allen ostslawi- 
schen Dialekten neben der individuellen auch generelle Bedeutung: 
Jegorij ty naš chrabryj, ty spasi našu skotinu (grr. Volkslied) 
„tapferer St. Georg, rette du unser Vieh“, ukr. (Andr., Z myn. D 
zvykly chodyty kolo ptyci ta skotyny „sie waren es gewohnt, Ge- 
flügel und Vieh zu warten“, weißr.: na pasievy ... puscili svaju 
skacinu (Bielar. Kryn. 1927, Nr. 29) „auf die Saaten ließen (die 
Bauern) ihr Vieh“. 

Überhaupt fehlt es an ausgesprochenen Singulativbildungen 
für Tiere, während das Arabische und auch das Britannische eine 
ganze Reihe von Tiernamen ausschließlich generell verwenden 
und das Individuum durch ein n. un. ausdrücken. Dagegen ist 
kollektiver Gebrauch, vor allem bei den kleineren Tierarten, auch 
im Slawischen ziemlich häufig (Mikl., V. G. IV 44; Jagić, Beitr. z. 
sl.S. 27). Das erwähnte polnische owad Insekten gehört zu dem 
schon in der alten Sprache als Kollektivum vorkommenden ksl. 
ovods (ovade, obads) Fliege, Bremse: onodu suscu mnogu i ko- 
maroms vs nośči izlezs nad pesceru i obnazivs tčlo svoje do pojasa 
s’ad’ase (Nestor, Leben d hl. Theod.) „als nachts viele Fliegen 
und Mücken da waren, stieg er auf die Höhle, entblößte seinen 
Körper bis zum Gürtel und setzte sich“. Sowohl russisch wie 
polnisch ist ferner das Wort für die Heuschrecke kollektiv: (Ogn. 
i m. I 15) jakby jakas olbrzymia piers chciata oddmuchngd te sza- 
rancze cisnącą sie nieublaganie ze wszystkich stron „(eine Wolke 
weißen Pulverdampfes brach aus der Festung hervor,) als ob eine 
ungeheure Brust die Heuschreckenschwärme (der Kosaken) fort- 
blasen wollte, die unerbittlich von allen Seiten herandrängten“, 
saranda letěla, letěla i sela, sidela, sidela, vsë sěčla i vnov» uletela 
(scherzhaftes Impromptu Puskins), ebenso ukr. sarand (vgl. die 
Bel. bei Um.-Sp. und Hrinč.). Ukr. b(d)žolá Biene wird wie ptyca, 
ryba behandelt: staryj kolo bdžoly, stara z dockoju u hospodi (Dong, 
aus der Osnova) wie oben chodyty kolo ptyci (poln. dagegen robić 
koło pszczot usw., Potkanski, Pisma I 233—277 passim, vgl. auch 
Bibl. star. IV 221 ff.), koly rij velykyj, to tam bude ne mense 50000 


1) Dagegen scheinen einzeldialektische Ausdrücke für Vieh von beschränkter 
Verbreitung z. T. die ina-Ableitungen in dieser Funktion zu verwenden. So 
ukr. (vgl. Umaneć-Spilka und Hrinčenko) chudobyna zu chudóba, tovarýna 
zu tovdr, bydlýna zu býdlo, ebenso weißr. býdlina zu býdlo bei Nosovič. 


56 J. F. Lohmann 


bdžoly, alež vona ne vs’a odnakova ... matka ... ńiby ta matir 
ostannim bd2olam (Um.-Sp. aus der Kievskaja Starina) „wenn der 
Schwarm groß ist, werden es nicht weniger als 50000 Bienen 
sein, aber sie sind nicht alle gleich ... die Königin ... ist gleich- 
sam die Mutter der übrigen Bienen“. Ähnlich weißruss.: pdaly 
u etyha muZika byla mnoha (Dobrovolsskij, Smol. obl. slovar2). 
Nach Nosovid soll auch weißr. mötylo f. kollektiv semi (= mno- 
3estvo babocek: motylo napala na kapustu „Schmetterlinge haben 
den Kohl befallen“, dagegen matýlb, matylek m., grr. motyleL in- 
dividuell); ich vermag darüber nichts Näheres festzustellen. Das 
nomen actionis Z(b)l!’a YYooad, Boða kommt schon im Ev. als 
Insektenbezeichnung vor (Luk. 12, 33: idee ... ni tol’a tolitse oëdë 
ons dıapdeloeı); heute wird es in den russischen Dialekten als 
Kollektivum für kleine schädliche Insekten u. dgl. gebraucht, 
weißr. kleines Ungeziefer, bes. Motten, auch Schimmel, großr. 
und ukr. bes. Blattläuse. Es ist natürlich nicht mit den aus dem 
repräsentierenden Singular entwickelten Kollektiven auf eine Stufe 
zu stellen, sondern wie die kollektiven Völkernamen, als Abs- 
traktum, von vorneherein kollektiv verwendet worden. 

Da bei leblosen Massenerscheinungen das Individuum sich 
viel weniger dem Bewußtsein aufdrängt als bei den Tieren, kann 
hier leicht der repr. gebrauchte Singular des Stammwortes für 
eine etwa daneben bestehende kollektive Ableitung eingesetzt und 
so durch die ganz gleiche Verwendung die Kollektivität des 
Stammwortes auch äußerlich dokumentiert werden, vor allem 
wenn es sich um den Begriff als Substanz oder Materie handelt. 
So steht neben dem in der alten Sprache den Plural ersetzenden 
Kollektivum kamenpje (Hypatıuschr. 6767: dveri ukraseny kamenvjemp 
Galickymd belyms i zelenyms Cholmsskyms tesanyms „die Türen sind 
verziert mit behauenen weißen Halicer und grünen Cholmer 
Steinen“) in derselben Bedeutung oft der repr. Singular kameno: 
povele založiti (cerkovv) okolo kirpiceme, a iznutri belyms kamenems 
(1. Soph. Chr. 6958) „er befahl (die Kirche) außen mit Ziegel(n) 
und innen mit weißem Stein auszulegen“, ebenso für Edelsteine, 
kamenvje drago: ispravichd vose zlato i srebro i dragyi kamenp 
(Eintr. im Mstislav-Ev. v. 1117) confeci omne aurum, argentum, 
gemmas. Ähnlich tritt für das kollektive list(v)əje Laub der 
generell gebrauchte Singular liste Blatt ein: (1. Novg. Chr. 6636, 
Schilderung einer Hungersnot) jad’achu ludi liste lipovs, koru 
2) So schon 1. Novg. Chr. 6635: pade metylb gustč po zemli i po. vodě 
i po choromomd. | 


Das Kollektivum im Slawischen. 57 


Derezovu „die Leute aßen Lindenblätter, Birkenrinde“, (6723) ... 
sosnovu koru i liste lipovs „Kiefernrinde und Lindenblätter“, (6738) 
-... sosnu, koru lipovu i lists iloms „ Kiefer’ (gewissermaßen als 
Stoff, wie sonst Brot), Lindenrinde und Ulmenblätter“. So auch 
Psalm 13: lists jego ne otpadnets (alt&. list geho ne splyne), aus d. 
Živ. sv. ote. bei Gebauer, Sl. st&.: (sukně) biese spletena z palmoweho 
Zystu „der Rock war aus Palmblättern geflochten“. Ebenso wird 
zbərno granum (wie deutsch Korn) generell gebraucht, grr.: mnogo 
nataskal on v mysinuju noru jacmenu, konopl'anogo i vs’akogo zerna 
(Afanasjev, Nar. r. skazki 125c) „er schleifte viel Gerste, Hanf- 
samen und allerlei Korn in das Mauseloch“, ukr.: nakaz pro 
torhoul'u chlibom i pro te jak moloty zerno na mlynach (Andr., Z 
myn. 1162) „ein Befehl über den Getreidehandel und wie man 
das Korn in den Mühlen mahlen soll“, poln. (Ogn. i m. II 11) 
konie ... od miesiąca ziarna nie zaznaly „die Pferde hatten seit 
einem Monat kein Korn gekannt“. Die Hauptbedeutung des 
Wortes bleibt aber in allen Sprachen einzelnes Korn, obwohl 
die daneben vorkommenden ziemlich häufigen Deminutiva (grr. 
zernySko, ukr. zernatko, poln. ziarnko usw.) die Möglichkeit zu 
einer Differenzierung der Gattungsbezeichnung vom Einzelkorn 
geboten hätten, wie sie das Gotische durchgeführt hat: kaurn 
coll. oiros, kaurnö xóxxos (W. Schulze o XLVI 191). 

Die Worte für die Getreidearten werden bekanntlich in den 
meisten Sprachen generell gebraucht. Im Slawischen schließen 
sich ihnen auch die Hülsenfrüchte an. Die in den Wörterbüchern. 
dazu angegebenen nomina unitatis werden allerdings in den 
modernen Schriftspracben nur zum Teil wirklich gebraucht. 
Polnisch groszek und čech. hrášek sind, wie ich durch wiederholte 
Umfrage feststellen konnte, als n. un. kaum bekannt, und auch 
skr. gräska (Leskien, Skr. Gr. § 435) ist den Gebildeten ganz 
ungeläufig. Es scheint hier wie bei der kollektiven Ausdrucks- 
weise überhaupt die literarische Sprache der Entfaltung eines in 
den Dialekten an sich gegebenen Bildungstriebes wenig günstig 
gewesen zu sein. Darauf weist auch, daß die singulativen Bil- 
dungen in Vuks Veröffentlichungen (aus denen sie dann in die 
sprachwissenschaftlichen Werke übergingen) noch am zahlreichsten 
vertreten sind’), wie man aus den Quellennachweisen des Rječnik 


1) Vuk hat auch als Erster auf die singulative Funktion des Deminutiv- 
suffixes aufmerksam gemacht (Pisma o srpskom pravopisu, Beč 1845, S. 43): 
samo du ovdje spomenuti, da trska (i trstika) ne znači „kad je mala“, 
nego samo jedna iz cijeloga svoga društva, kao n. p. i travka, 
slamka, bujatka, voćka i t. d. 


58 J. F. Lohmann 


zu den einzelnen hierher gehörigen Worten ersehen kann. Unter 
den west- und südslawischen Sprachen ist aber das Serbokroati- 
sche die einzige, in der es zu wirklichen Gruppenbildungen von 
n. un. gekommen ist. Man kann hier zwei Gruppen unterscheiden. 
Einmal die Bildungen auf -ka (Leskien, Skr. Gr. S. 270; Iveković- 
Broz, Rj. hrv. jez. s. v. biljka), von denen biljka Halm (b?lje 
Kräuter), mäslinka Olive (māslīîna Ölbaum, aber auch Olive), 
sjemenka Samenkorn (sjöeme Same), slamka Strohhalm (släma 
Stroh), travka Grashalm (tráva Gras), zujerka Stück Wild (zuljer 
wildes Tier), Zöirka Eichel (rr Eichelmast, Eicheln), voćka eine 
einzelne Frucht: zrela vocka sama pada „ein reifer Apfel fällt von 
selbst“, Vuk, Posl. 1763 (vöce Obst) wohl die gebräuchlichsten sind. 
Daneben gibt es eine Gruppe auf -ika, hauptsächlich Ableitungen 
von Pflanzennamen umfassend (Leskien § 464; Ivekovid-Broz s. v. 
àptika): àptika Attichstengel (ápta Attich), konòpljika Hanfstaude 
(könoplje f. pl. Hanf), paprätljika (auch pàpratka) Farnstengel 
(päprat Farnkraut). Eine Reihe von -ika-Ableitungen hat die 
gleiche Bedeutung wie das Grundwort: börika = bor Fichte, jelika 
= jela Tanne, stabljika = stablo Stengel usw. In einigen Fällen 
ist das Suffix -ika auch auf andere Stämme über den Bereich der 
Pflanzennamen hinaus übertragen worden: alätljika ein Stück 
Werkzeug (alat), grädljika Stück Baumaterial (grada), hvätljika 
Scheit Holz (hvat Klafter). Alt dürften von den skr. ika-Bil- 
dungen nur perünika Schwertlilie (slov. perunika, Trautmann, 
Balt.-sl. Wtb. 215), jàsika Espe (Bern. I 31) sein. Die übrigen 
sind durchweg junge Weiterwucherungen dieses Suffixes von 
meist ziemlich beschränkter Verbreitung. Die -ka-Ableitungen 
geben sich z. T. schon dadurch als junge Bildungen zu erkennen, 
daß das ursprünglich nur bei femininem Grundwort berechtigte 
-ka auf die ganze Gruppe ausgedehnt worden ist. Von päprat 
sollte das Deminutivum papratak heißen‘), von gräh lautet es 
gräsac (grasak wird als Name für verschiedene Hülsenfruchtarten 
verwendet, vgl. Rječnik s. v.), von prah präsak (von einem ge- 
bildeten Serben wurde mir übrigens versichert, daß er für das 
einzelne Stäubchen [poln. pyłek] viel eher prášak als präska sagen 
würde). Den Ausgangspunkt für die Ausbreitung des -ka-Suffixes 
bildeten natürlich s/amka Strohhalm und travka Grashalm, die 
einzigen deminutiven nomina unitatis, die wirklich allgemein 
slawisch sind. Das Bulgarische hat neben diesen (siämka und 


1) Der akademische Rječnik vermag päpratka übrigens bloß aus Vuks 
Wörterbuch zu belegen. 


Das Kollektivum im Slawischen. 59 


trevkä, auch trevicka zu dem Dem. trevica) ferner noch neutrale 
Deminutiva in singulativer Funktion: bobe, bóbče zu bob Bohnen, 
grächce zu grach Erbsen. Im allgemeinen sagt man aber auch 
hier umschreibend: zround bob bzw. böbovo zronö. 

Das Ostslawische unterscheidet sich von den übrigen slawi- 
schen Sprachen dadurch, daß es als n. un. statt der gewöhnlichen 
Deminutive eine besondere, an die maskulinen Singulative auf 
-ins erinnernde Bildung verwendet: solömin(k)a (ukr. solomýn(k)a) 
Strohhalm, travin(k)a (travjn(k)a) Grashalm. Außerdem ist die 
Zahl der wirklich gebräuchlichen Ableitungen größer als im 
Westen und Süden. Sie fehlen allerdings bei den Tieren auch 
im Ostslawischen und es muß infolgedessen das generell ge- 
brauchte Grundwort wie in ar. fairu zugleich als Bezeichnung 
des einzelnen Tieres dienen (dag. ar. kamamun — hamämatun 
Taube, samakun — samakatun Fisch, bret. logod — logoden Maus, 
gwenan — gwenanen Biene, daneben gebraucht man zur Bezeich- 
nung des einzelnen Stückes das vor das Wort gesetzte pen Kopf: 
moc h — pen moch [> pemoc’h] Schwein, gwazi — pen gwazi [neben 
gwazien) Gans). Bei den leblosen Massenerscheinungen stimmen 
die russischen Dialekte dagegen vielfach mit dem Arabischen 
überein (als Beispiel für die diametral entgegengesetzte Tendenz 
der baltischen Sprachen sind die litauischen Wörter hinzugefügt). 

Stroh und (Stroh-)Halm: ar. tibnun — tibnatun, russ. 
soloma — solömin(k)a, poln. stoma — stomka, südsl. (und čech.) 
slama (sláma) — slamka, lit. Siauda? (pl) — 3idudas, lett. saľmi 
(pl. m.) — salms. Getreidearten: ar. sarun Gerste, šairatun 
Gerstenkorn, burrun Weizen, burratun Weizenkorn, duhnun Hirse, 
duhnatun Hirsekorn, russ. ovës Hafer, n. un. ovsinka (bei Hrinčenko 
ferner pšenyčýna Weizenkorn, Weizenhalm zu pšenýća, ovsýna, 
vivsyna Haferkorn zu oves, prosijna Hirsekorn zu pröso, hrečýna 
Buchweizenkorn zu hreöka, die Wörter scheinen aber, soweit ich 
das durch Umfrage bei Ukrainern aus verschiedenen Teilen des 
Sprachgebietes feststellen konnte, wenig gebräuchlich zu sein), 
lit. (und lett.) miötiai Gerste, kvieciar Weizen, äviZos Hafer, rugia? 
Roggen (lett. mieži, kvieši, auzas, rudzi), dagegen der Singular 
für das einzelne Korn: mie2Js, kvietys, avičà, rugğs (lett. miezis, 
kviesis, auza, rudzis). Hülsenfrüchte: ar. bägilan (bagila’un), 
fulun Bohnenarten, n. un. bagilatun bzw. fülatun, russ. goróch 
Erbsen (n. un. gorösina), fasölo Í. Stangenbohnen, poln. bób Bohnen, 
groch Erbsen (das Dem. groszek auch als n. un.), lit. wie deutsch. 
Perlen: ar. durrun, eine Perle durratun, russ. žémčug coll., n. un. 


60 J. F. Lohmann 


Y A A 


ZemdiZina. Sand: ar. ramlun, n. un. ramlatun, russ. pesök Sand, 
pesöin(k)a Sandkorn, lit. meist pl.: stùbą smiltimis isbarstyti „die 
Stube mit Sand ausstreuen“, vejas dümia smiltis „der Wind treibt 
den Sand“, Kurschat s. v. Staub: ar. huba’un (bes. feiner Staub 
i. d. Luft), n. un. haba’atun, russ. pylo Staub, pylinka Staubkorn 
(zu skr. präska vgl. o. 8.58), lit. dülkes pl. (dulke ein Staubteilchen, 
Stäubchen). Wolle: ar. sufun (säfatun Wollflocke), russ. Sersto 
(serstin(k)a Wollhaar), lit. vilnos f. pl. (vilna Wollfaser). Ziegel: 
ar. labinum (libnun), éin Ziegel: labinatun (libnatun), russ. kirpie, 
n. un. kirpicin(k)a, ukr. céhla, n. un. cehlima, lit. dagegen plytas 
degti, darýti (Kurschat) Ziegel brennen, machen (gegenüber russ. 
šečo kirpic, Slovard russk. jaz. s. v.). 

Wie die Wolle werden im Russischen behandelt Aalt Seide 
(selkovin(k)a Seidenfaden, ukr. soukövyna, Soucyna), ščetina Borsten’) 
(mit kollektivem -ina gebildet zu scetv Borste, Trautmann 310): 
scetinka die einzelne Borste (hier wie in smorödina Johannisbeeren 
wird das n. un. mittelst des Deminutivsuffixes gebildet, weil das 
Kollektivum schon auf -ina ausgeht), wie der Ziegel die meisten 
anderen Baumaterialien. Alles, was als Stoff oder Material be- 
nutzt wird, neigt eben besonders zu kollektivem Gebrauch (vgl. 
0. S. 56 kamenvd). Wie neben dem kollektiv verwendeten kamen» 
das abgeleitete Kollektivum kamenje steht, kommt alt und dia- 
lektisch auch zu kirpid eine Ableitung auf Ate vor: na dom 
archierejskij s palkami i s kirpicjem napadali (in einer Bittschr. 
v. J. 1731 n. d. Vjatkaer Gouv.-Ztg. v. 1864, vgl. Sl. r. jaz. s. v.) 
„das Haus des Bischofs wurde mit Stöcken und Ziegeln ange- 
griffen“. Das Grundwort wird ebenso wie kamen sowohl kollektiv 
(oni Zgli dľa nejo kirpič, Cechov, PredloZenije, „sie brannten für 
sie Ziegel“), wie singulativ gebraucht (odin chozain delajet kirpidi, 
drugoj mažet pecku (ders., Ostrov Sachalin) „ein Wirt stellt Ziegel 
her, ein anderer macht einen Ofen fertig“). Daneben kommt 
dann das n. un. kirpicin(k)a vor: kinu, kinu kirpidinu čerez bystruju 
rucjinu (Volksl.) „ich werfe, ich werfe einen Ziegelstein über den 
schnellen Bach“, k dlinnomu koncu (lesy) privažite kamesek ili 
kirpičinku v dva funta ili bolose (J. Radkevič, Uženije ryby) „an 
das lange Ende (der Angelschnur) befestige man ein Steinchen 
oder einen Ziegel von 2 Pfund oder mehr“. Ukrainisch hat man 


1) Zu ukr. volos-ýna, grr. volós-inka (Lěskov, Sobofane) einzelnes Haar 
vgl. ir. foilt-ne (cy. gwallt-yn), ruaim-ne (ruainne, roine), brothair-ne ver- 
einzeltes Haar zu folt, ruuim, brothar Haar(e) (C. Marstrander, Z. f. c. Ph. 
VII 377). 


Das Kollektivum im Slawischen. 61 


für Ziegel das entlehnte céhla (poln. cegła a. d. Deutschen); das 
Stammwort ist, der allgemeinen Tendenz entsprechend, im Ukr. 
kollektiv geworden, als n. un. dient cehlyna (kyrpýč, n. un. kyr- 
pyčýna, wird nur für den bekanntlich in der baumlosen ukraini- 
schen Steppe als Heizmaterial dienenden getrockneten Kuhmist 
gebraucht, Bern. 1501 nachzutr.!). 

Für Dachziegel hat man großr. das einheimische čerepíca 
(ein Ziegel cerepina): dom kryt Cerepicej] „das Haus ist mit Ziegeln 
gedeckt“, tam čerepica navalena „dort sind Dachziegel aufgehäuft“, 
ukr. daneben das entlehnte dachivka (poln. dachöwka zum deutschen 
Lehnwort dach). Fremdwörter sind in dieser Gruppe überhaupt 
ziemlich zahlreich (kirpi€ stammt aus dem Türkischen, Bern. I 501). 
Da diese auch sonst gern kollektiv gebraucht werden (vgl. etwa 
russ. Z£mcug Perlen [Kors, Izv. VII 4, 41], báser Glasperlen [Me- 
lioranskij, Izv. X 4, 117], mebelvo Möbeln, lapšá Nudeln [Bern. 
I 690, n. un. lapsinka Sl. r. į. V 217], ičúm Rosinen [Bern. 441, 
n. un. izumina], minddlo Mandeln [n. un. mindälina], kartöfelo Kar- 
toffeln [n. un. kartöfelina, kartöska], luk Lauch, Zwiebeln [n. un. 
ltkovica], fasölo Fisolen, vermiselo [it. vermicello] Nudeln), findet 
man die entlehnten Wörter auch in den weniger zur Kollektivie- 
rung neigenden Sprachen so verwandt; so schon abg. usw. skqdols 
x£eoauog: (Luc. V 19) skvozč skadold (so Zogr., Mar. skadelv) 
nizevesise dré coin xeoduwv eisen, ferner skr. sindra Dach- 
schindeln (n. un. bei Vuk sSindriko). Russisch drano Schindeln 
(dom pokryt dranju „das Haus ist mit Schindeln gedeckt“), i-Ab- 
leitung zum Partiz. dorans von derg, dorati (Grundbedeutung also 
„Abgespaltenes“, „Zersägtes“, „Behauenes“) war natürlich von 
vorneherein kollektiver Verwendung fähig; n. un. meist dranica: 
naš gosudard ... ne dast vam ni dranicy s krovli (Karamzin, Ist. 
gos. ross. X 1) „unser Herrscher wird euch nicht einmal eine 
Schindel vom Dache abtreten“, als Koll. neben dranv auch das 
weitergebildete drandje (dranjd): kafetsa, sami chozajeva snesli s 
nich dranjo i tes (Gogol, Mertv. dusy I 6) „anscheinend hatten 
die Wirte selbst (von den zn die Schindeln und Bretter 
heruntergenommen“. 

Die Verbalsubstantiva sind überhaupt ziemlich indifferent 
gegen den Numerus (vgl. etwa deutsch Bruch, slaw. lom für alle 
möglichen zerbrochenen, abgebrochenen oder brüchigen Gegen- 
stände: [Pan Tad. XI 163] Auchciki sypią w ogien suche peki tomu 
„die Küchenjungen schütten trockene Bündel Bruchholz ins Feuer“, 
das oben erwähnte arabische naşrun auxilium — adjutor, — adju- 


62 J. F. Lohmann 


tores). So bedeutet ess, zunächst n. act. zu tesati behauen, im 
Altrussischen Holzscheit, Kerbe an Bäumen zur Bezeichnung der 
Grenze und gesägte (urspr. behauene) Bretter (Srezn. III 953): 
(Novgoroder Urk. v. 1571) ... (es werden auf den Markt gebracht) 
doski i tes% i drova „Bretter (Bohlen), (dünne) behauene Bretter 
und Brennholz“, n. un. Zesonica (in ders. Urk.) und tesina (zuerst 
in einem Grundbuchauszuge von 1585). Mit tess bezeichnet man 
insbesondere dünne Bretter, die für Dächer und zur Verkleidung 
von Buden, Schuppen, Bauern- und Sommerhäusern verwendet 
werden: jego priveli k postrojennym ... iz obgorelych dosok, breven 
i tesu balaganam (L. Tolstoj, Vojna i m.) „man führte ihn zu 
Buden, die aus angebrannten Bohlen, Balken und Brettern er- 
richtet waren“. Ähnlich gebraucht man Zara Glut in den meisten 
Sprachen für glühende Kohlen (grr. ukr. Zar, skr. Zar, bulg. Zar, 
Zardva, poln. Zar): on velel prinesti šaru (L. Tolstoj, Vojna i m.) 
„er befahl glühende Kohlen zu bringen“. Bei Hrinčenko findet 
sich auch ein n. un. zu diesem Worte: Godun, kadyu (pip), a se 
jakoso šaryna z kadylonyći upala popovi u chaľavu (Rudčenko, 
Südr. Volksm. I 197) „der Pope räucherte, räucherte, da fiel ihm 
auf einmal ein Stückchen glühende Kohle aus dem Räucherfaß 
in den Stiefelschaft“. Ebenso gibt Hr. zu vıhilv Kohle das n. un. 
vcuhlýn(k)a. 

Die südslawischen Sprachen haben zu oi Kohle ein eigen- 
artiges Singulativum geschaffen, dessen Bildungsweise sonst kein 
Analogon hat (bg. röglen, skr. ügljen, slov. Gilogien einzelne Kohle, 
Stück Kohle, z. T. wird es dann allerdings auch wieder repr.- 
generell gebraucht). Die Endung erinnert an kamen- Stein, mit 
dem oglv wegen seiner Bedeutung ganz gut in Zusammenhang 
gebracht werden konnte. Beide Wörter hatten urslawisch einen 
Plural auf Ae nach der maskulinen i-Deklination (kamene, Lesk., 
Abg. Gr. § 94A ist nirgends belegt), der vielfach als neutrales 
Kollektivum aufgefaßt wurde, das dann den Singular leicht als 
eine Art n. un. erscheinen lassen konnte: abg. kamenvje n. (bg. 
kamone, skr. kamenje, slov. kamenje), goglvje: skr. mit der üblichen 
Weiterwucherung des ov/ev-Ausganges der u-Stämme: ügljevlje, 
slov., offenbar unter dem Einfluß von kämenje, umgestaltet zu 
oglenje. Am vollständigsten ist die Ausgleichung der beiden Worte 
im Slovenischen durchgeführt: coll. kamenje — oglenje, sing. kämen 
— oglen, adj. ebenfalls kámen — oglen. Im Serbokroatischen hat 
man aus dem adjektivischen kämen ein substantivisches käm abs- 
trahiert, nach dessen Analogie dann noch weitere Kurzformen 


Das Kollektivum im Slawischen. 63 


zu krömen, prämen, grmen geschaffen wurden (J. Schmidt, Krit. 
d. Sonantenth. 98). Es konnte hier also um so leichter dieses 
anscheinend ablösbare -en auf ùgalj (gen. üglj-a) übertragen werden, 
wodurch sich ägljen, flektiert wie kämen, ergab. Im Bulgarischen, 
wo das Verhältnis etwas anders ist (für Kohle sagt man generell 
veglista, für kámen gebraucht man meist das deminutive kámzk, 
das Adjektivum lautet wohl urspr. kamen [Gerof kaman], vgl. 
Vondrák, SG. I? 529f.), könnte dem Singulativum auch einfach 
das alte Adjektivum zugrunde liegen (veglen Kohlen-, etwas von 
der Kohle, gewissermaßen vsglen Ess, Kohlenstück, Stück Kohle), 
wie ja überhaupt zur Ableitung der n. un. vielfach adjektivische 
Suffixe verwendet werden (vgl. C. Marstrander, Z. f. c. Ph. VII 380 
und das unten zu slaw. -ina Bemerkte). Immerhin dürfte aber 
auch hier eine gewisse analogische Beeinflussung durch kamen 
anzunehmen sein (vgl. die adjektivischen Neubildungen kamenen, 
. tsglenen). 

Wenn die südslawische Bildung auch auf das eine Wort 
beschränkt blieb, so ist sie doch deswegen von besonderem Inter- 
esse, weil bei ihr jeder Zusammenhang mit dem Deminutivum 
ausgeschlossen ist. Es können also die ostslawischen ina-Bildungen 
ebensogut ohne jede Beziehung zum Deminutivum von vorne- 
herein als Singulativbezeichnungen entstanden sein. Eine solche 
Art des Ausdrucks entspricht durchaus dem slawischen Sprach- 
geiste. Für das Slawische charakteristisch sind solche Bildungen 
wie russ. könka Pferdebahn, ispänka spanische Krankheit (Grippe), 
sorb. Luöyca Lausitz (Sumpfland, zu (oos, Bern. 1739), ukr. Zut. 
ndnka Roggenstroh, horochovijna, bulg. grachovina Erbsenstroh, 
slov. slövovac usw. Pflaumenbranntwein (Vondrák I? 525 Anm.), 
poln. dachówka Dachziegel, ukr. Petrivka = grr. Petröv post (dan. 
Petrövki), die im Stamme nur das determinierende Glied der Ge- 
samtvorstellung begrifflich genau bezeichnen, sei es nun in sub- 
stantivischer (kon-ka), sei es in adjektivischer Form (Zytnan-ka, 
grachor-ina, slivov-ac), das zu Determinierende aber durch ein 
Suffix von meist recht allgemeiner Bedeutung zum Ausdruck 
bringen "1. Was das Suffix im einzelnen Falle gerade bezeichnet, 

1) Diese Bildungsweise tritt in den modernen Literatursprachen stark in 
den Hintergrund. Manchmal kommt aber durch die mehr auf die wirkliche 
Volkssprache zurückgreifenden erst zuletzt literarisch kodifizierten Sprachen die 
ältere slawische Ausdrucksweise wieder zu Ehren. So sagt man in der neuen 
weißrussischen Schriftsprache für die Eisenbahn cykuinka gegenüber dem grr. 


zeleenaja doroga (grr. in der Volkssprache ebenfalls čugúnka von čugún 
(Guß-)Eisen). 


64 J. F. Lohmann 


wird innerhalb der durch das determinierende Wort gegebenen 
Bedeutungssphäre mehr oder weniger durch Konvention und 
Zufall bzw. durch die Analogie bedeutungsverwandter Wörter 
bestimmt. Man nehme etwa die Wurzel pol- Brett (Trautmann, 
Wtb. 204) im Russischen. Das Grundwort wird in maskuliner 
Form (pols) für den Fußboden verwandt. Mit dem „deminutiven“ 
ka verbunden bedeutet es Wandbrett, Regal, Fach eines Schrankes 
u. dgl. Als n. un. zu pols gebraucht man polovica (lit. natürlich 
umgekehrt: griädys Diele, pl. zu grindis Dielenbrett). Das Suffix 
-ica ist zwar häufig deminutiv, aber nur bei femininischem Grund- 
wort. Außerdem wird es dann an den Stamm unmittelbar an- 
gefügt (rybica Fischchen zu ryba, destica kl. Brett zu dsska). Hier 
hat es die gleiche Funktion wie sonst -ina (vgl. das synonyme 
mostovina Dielenbrett zu most [Brücke] Diele im Bauernhause). 
Es ist offenbar nur gewählt worden, weil polovina (Hälfte) in 
seiner Bedeutung schon feststand und der Ableitung liegt nicht 
das Substantivum pol, sondern das davon abgeleitete, die Zuge- 
hörigkeit bezeichnende *polovs zugrunde. Das Slawische verpönt 
ursprünglich den substantivierten Gebrauch der Adjektiva (vgl. 
Leskien, Abg. Gr. 8 62, 2). Es verwendet statt dessen suffixale 
Ableitungen sowohl für Personen (siarvco der Alte, sleptcv der 
Blinde, mrstvuch ô vengös), wie für Sachen: levica ù doiorsod 
(zeig), polszczyzna, niemczyzna „das Polnische“, „das Deutsche“ 
(p, d. Sprache, p., d. Wesen, Polentum, Deutschtum), ähnlich 
starina in verschiedenen Sprachen altes Zeug, alte Sachen, russ. 
alte Zeit, alter Mann, eben tò nalaıdv, tà nalcıd im weitesten 
Sinne. So ist auch konon-ica Kavallerie (sing. konvn-iks Reiter) 
als konbna družina, bukov-ina als bukovs less zu verstehen. In 
dieser Weise kann natürlich ebensogut die Vorstellung des Teils 
einer Sache ausgedrückt werden, wie irgend eine andere: selkov-ina 
Seiden-faden, polov-ica Dielen-brett, mostov-ina dass., alt teson-ica 
einzelnes Brett (von tes, s. 0.8.62). Neben dieser Art der Singu- 
lativableitung stehen dann ukr. soucijna, mostijna, dilýna, stelýna, 
tynıma, vorýna, drovjna (Hrind., zu souk Seide, mist, dil Boden, 
sief o Zimmerdecke, tyn, vir Zaun, drovd neutr. pl. Brennholz), 
russ. alt tesina wie kon-ka neben Zytränka = Zytnana soloma. Da 
die Funktion des -ina-Suffixes eine ganz allgemeine, konkreti- 
sierende ist, kann es ebensogut zum Ausdruck einer Masse von 
Einheiten des Grundwortes (bukov-ina = bukovs less) wie eines 
Teils des durch das Stammwort Ausgedrückten benutzt werden, 
manchmal sogar in demselben Worte. So bildet man ostslawisch 


Das Kollektivum im Slawischen. 65 


zu chvorost Reisig das n. un. chvorostina (chvorostjna) Rute, Gerte, 
westsl. ist dagegen chrastina (poln. chröscina) Gebüsch, Gesträuch. 
— An bedeutungsverwandten ostslawischen n. un. seien noch 
genannt: weißr. chludzina (ukr. chludýna) Rute zu chlud Reisig, 
grr. dial. lučínina (éin Span) zu lučína Kienspan. Für (Weiden-) 
Rute findet sich auch verbina (verbýna) = Gerbd, lozina (lozýna) 
— lozá'’). 

Wie žémčug (Belege für žémčug coll. und žemčúžina n. un. 
im SIRJ.) gebraucht man grr. auch biser Glasperlen kollektiv 
(n. un. biserina, ähnlich ukr. namystýna zu namýsto Korallenschnur 
aus monisto monile). Dagegen ist búsy, ein anderes Wort für 
nachgemachte Perlen, pl. tant. (n. un. búsina). Biser ist ein Lehn- 
wort aus der Kirchensprache; es fehlt in den eigentlich russischen 
alten Denkmälern und auch im Ukrainischen. Im Evangelium 
kommt es sowohl kollektiv wie individuell vor: (Matth. 13, 45f.) 
podobno jestě cčsarostvije nebeskoje člověku kupbcu istastu dobra 
bissra, jože obrétě jedině mnogocenons bisorě ... ôuoia Zort ù Ba- 
oılela ron oboav@v Zundow Corofutrt xalovs uaopyapitas' Eëgc 
dé Eva moAdtıuov wopyapiınv ... Skr.: (Vuk, NP. II 28, 55f.) on 
izvadi od zlata prstenje sa biserom i dragim kamenjem „er nimmt 
goldene Ringe heraus mit Perlen und Edelsteinen“ (altr. Zem&ugs 
i drago kamenpje), altčech.: byfer a kamenie drahé (Gebauer, SI. 
stč.). Der Kollektivgebrauch ist durch das gemeinslawische (drago) 
kamenvje und durch die allgemeine Neigung der Fremdwörter zu 
kollektiver Verwendung begünstigt worden. 

Besondere Gelegenheit zur Verwendung von n. un. bieten 
die Wörter für körnige Massen (das Griechische zeigt eine gewisse 
Neigung zu einer dem Litauischen ähnlichen pluralischen Aus- 
drucksweise: duedo: Sand, dies Salz, soot Gerste, nvgoi 
Weizen usw.): grr. pescin(k)a Sandkorn (pesök Sand): mucha, 
menvse daže muchi — uničtožilsa v pescinku! (Gogol, Mertv. dusy 


!) Hrinčenko hat eine ganze Reihe solcher Ableitungen, die nicht eigent- 
lich n. un. sind, sondern nur die Individualität gewissermaßen unterstreichen 
(Tiernamen) holubyna, konyna, kotyna, psyna, ptasjna, (Bäume) derevyna 
berezyna, berestyna, bucyna, verbyna, vyšnýna, hrabyna, dubjna, ilbmýna 
kalynyna, lypýna, smeréčýna, slyvyna, rokytyna, sosnýna, tysýna, topo 
lýna, čeremšýna, čerešnýna, jablunyna, javoryna, jalýna, ferner noch pru- 
týna Rute, kvitýna Blume, zilýna, badylyna Gräschen, steb(e)lyna Stengel, 
zernyjna Körnchen, weißr. bei Nosovil: jelina, osinina, jdvorina. Wie weit 
diese Worte wirklich allgemein gebraucht werden oder nur als Augenblicks- 
oder Zweckbildungen gelegentlich vorkommen, vermag ich im einzelnen nicht 
festzustellen. 

Zeitschrift für vergl. Sprachf. LVI 1/2. 5 


as? 


66 J. F. Lohmann 


13) „eine Fliege, sogar weniger als eine Fliege — zum Sandkorn 
hat er sich erniedrigt!“, auch überhaupt Korn: pescina soli Salz- 
korn, ebenso krupina (Grützekorn): krupina zolot« Goldkorn, 
krupinka soli Salzkörnchen, sorinka Schmutzteilchen, Staubkörn- 
chen (sor Kehricht), porosina (ukr. porosjna) Pulverkorn (póroch), 
pylinka (pylin(o@)ka) Staubkörnchen, Stäubchen (oui, ukr. pyl), 
grr. drobina Schrotkorn (drob f. Schrot), weißr. $röcina, $racinka 
dass. (von dem entlehnten srot; drobin(k)a [drabinka] dagegen 
Körnchen überhaupt), grr. ikrina Kaviarkorn (ikrd), krupina 
(krupjna) Grützekorn (krupa, ukr. Plural: krupy), grädina Hagel- 
korn" (grad Hagel): ču! kak krupnyje gradiny skadut! (Nekr., 
Moroz kr. nos) „wie schlagen die großen Hagelkörner (ansFenster)!“, 
izumina einzelne Rosine (Gm Rosinen), sneZin(k)a Schneeflocke 
(sneg), Iodina Eisscholle') (löd Eis). Ähnlich bei Flüssigem: ro- 
sin(k)a Tautropfen (rosá), krovinka Blutstropfen (gewöhnlich sagt 
man allerdings Foni o krovi), medovinka Honigtropfen (med). Wenn 
das Grundwort singulativ gebraucht wird, ist die ina-Ableitung 
diesem synonym: slezinka Träne (slezd), zernin(k)a Körnchen 
(zernö). Die Getreidearten, bei denen die kollektive Ausdrucks- 
weise ja in vielen anderen Sprachen ebenfalls üblich ist, bieten 
zu Bemerkungen kaum Anlaß’). 

Im Großrussischen verwendet man auch die dort vor allem 
im Norden sehr wichtigen Beerensorten kollektiv. Der Name der 
Pflanze bezeichnet als Gattungskollektivum zugleich auch die 
Frucht (meist ist nach Ausweis der Etymologie die ursprüngliche 
Bedeutung die der Frucht), und für die einzelne Beere bildet man 
n. un.: brusnika Preißelbeeren, brusnidina Eine Beere, zeml’anika 
Erdbeeren (zemľaničina), kumanika rubus chamaemorus (kuma- 
nicina), malina Himbeeren (malininka), dernika Heidelbeeren 
(Cernicina), ohne n. un.: jeZevika Brombeeren, klubnika fragaria 
collina, kľukva vaccinium oxycoccus, moröska rubus chamaemo- 
rus, rubus arcticus, das Dem. als n. un.: smorödina Johannisbeeren 
(smorödinka). Kryžóvnik Stachelbeeren ist Lehnwort („Kraus- 
beere“, Bern.1612), aber in seiner Endung slawisiert. Das Suffix 


1) Vgl. auch frz. grelon Hagelkorn, glaçon Eisscholle, Eiszapfen, an. jokull, 
ags. gicel Eiszapfen. 

2) Für das Ostslawische führen die Wörterbücher auch n. un. zu diesen 
an: grr. ovsinka Haferkorn, solodinka Malzkörnchen, ukr. pšenyčýna Weizen- 
halm, Weizenkorn, vivsýna, ovsýna Haferkorn, hrečýna Buchweizenkorn, ferner 
für den Mohnsamen grr. mačínka, ukr. mačýna, mačá, -dty n., für den Mohn- 
stengel ukr. makovýna. Die Wörter kommen aber in der Umgangssprache 
kaum vor. 


Das Kollektivum im Slawischen. 67 


-nik bezeichnet Wälder, Gestrüpp und Sträucher: beréznik Birken- 
wäldchen, loznik Weidengebüsch, jeZevicnik Brombeerstrauch, 
-gesträuch usw., und danach kryZövnik, zunächst Stachelbeer- 
strauch und dann die Frucht desselben (eine Beere kryZövin(k)a). 
Wie die Waldbeeren wird auch das aus dem Südsl. entlehnte 
tinogrdd behandelt. Altbg. steht es für duneAwv (zur Herkunft 
des Wortes R. Loewe o XXXIX 332f.). Russisch ist die Be- 
deutung „Weingarten“ aufgegeben (dafür vinogrddnik mit dem 
-nik-Suffix für Wald und Gesträuch), und das Wort bezeichnet 
wie die Beerennamen Pflanze und Frucht als Koll. (dunelos — 
Brouch, n. un. vinogradina: v njom vinogradu kisti rdeliso (Krylov, 
Lisica i vinogr.): „(im Garten) röteten sich die Trauben des Wein- 
stockes, zrel jantarnyj vinograd (Lerm., Zelanije) „es reiften die 
bernsteinfarbenen Reben.“ 

Beispiele für die Beerensorten: 1) Pflanze: v sadu za malinoj 
jesto kalitka (Ostrovskij, Groza II 9) „im Garten hinter den Him- 
beeren ist eine Pforte“, v nasem sadu mnogo kryZovniku „in unserem 
Garten sind viele Stachelbeeren“, pal, pal persteno v malinu, v 
kalinu, v Cernuju smorodinu (Volkslied) „es fiel, es fiel der Ring 
in die Himbeeren, in den Maßholder, in die schwarzen Johannis- 
beeren“, 2) Frucht: v sadach i ogorodach mnoZestvo vkusnych plodov 
i jagod: grus, jablok, sliv, dunn, arbuzov, ogurcev, visni (unge- 
wöhnlich, sonst Plural), maliny, klubniki, smorodiny (Karamzin, 
Ist. gos. ross. X), Agafja Michajlovna nalila vody v klubniku i 
zeml’aniku, ... ona byla uličena v etom, i teperv varilasb malina pri 
vsech (L. Tolstoj, Anna Kar.) „A. M. hatte Wasser in die Hügel- 
erdbeeren und Erdbeeren gegossen, ... jetzt wurden die Him- 
beeren vor aller Augen gekocht“, pomńu, kak obradovals'a seloskoj 
žizni, russkoj baně, klubnike i proč. (Puškin, Vstrěča s P. A. Gann., 
19. Nov. 1824) „ich erinnere mich, wie ich mich über das Land- 
leben, das russische Bad, die Erdbeeren usw. freute“, odni dit 
malinu, drugije, komu uže nadoela malina, brodili po gradam klub- 
niki ili ryliso v sacharnom gorosk& (Čechov, Imeniny II) „die einen 
aßen Himbeeren, andere, die die Himbeeren schon satt hatten, 
liefen auf den Erdbeerbeeten herum oder wühlten in den Zucker- 
erbsen.“ | 
Im Ukrainischen, wo die Beeren eine viel geringere Rolle 
spielen als im Norden (mit Ausnahme natürlich der Karpathen- 
gegend, die aber wieder unter polnischem Einfluß steht), hat sich 
kein fester Sprachgebrauch herausbilden können. Nomina unitatis 
für diese Bedeutungsgruppe fehlen hier ganz. 


Of 


68 J. F. Lohmann 


Wenn somit bei den Beeren der kollektive Gebrauch im 
wesentlichen auf das Großrussische beschränkt ist, erstreckt er 
sich bei den Hülsenfrüchten über das ganze slawische Sprach- 
gebiet. Schon in den altkirchenslawischen Denkmälern werden 
diese im Numerus behandelt wie die Getreidearten: (Hesek. IV 9) 
ty Ze, syne člověčb, vězmi sebe pšenicu i jačmenb i bobs i lastu i 
proso i pyro (Hdschr. d. 11. Jhdts.), v5 velikyi p’atsks da sevar’ato 
socivicu (Ust. Stud., um 1200) „am Karfreitag soll man Linsen 
kochen“, ebenso slanuteks cicer: slanutskomb pitajemb EgeßivdFoıs 
TQEPÓLEVOS (sb.-ksl., Mikl. LP), altčech. země nenie bohata na bobu 
(Übers. v. Mandeville’s Reisebeschr., 15. Jhdt.) „das Land ist nicht 
reich an Bohnen“, hrách pisa (Gebauer Sl.), be. tri malki platnika, 
edin s oriz, edin s jacemyk i drug edin s grach (blg. Robinson- 
übers. v. 1849) „3 kl. Säcke, einer mit Reis, einer mit Gerste 
und einer mit Erbsen“, po-dobra je svojata lesta ot čuždata kokoska 
(Sprichw., Duvern.) „besser eigene Linsen als fremdes Huhn“, 
skr. (aus der ragusanischen Literatur): bob i leca korizmina hrana 
jes (Marin Držić) „Bohnen und Linsen sind Fastenspeise‘“, svud 
joj bradavice kako bob rastijehw (Mavro Vetranic) „überall wuchsen 
ihr Warzen wie Bohnen“, (Rječnik s. v.) zdela, zdilica, varivo leće 
Linsengericht, čech. více umí než hrách vařiti (Jungm.) „er kann 
mehr als Erbsen kochen“, poln. dzisiaj jemy groch, co srodę jadamy 
bób „heute essen wir Erbsen, jeden Mittwoch essen wir Bohnen‘‘, 
Ezau za garnek soczewicy prawo pierworodne przedat (Skarga, Zywoty 
świętych), pszenica, kukuruza, bób, jęczmień wasaty, proso, groszek, 
a nawet krzewiny i kwiaty (Pan T. UI 25f.), russ. kušanje iz če- 
čevicy Linsengericht (Genes. 25, 34), u odnogo muZika mnogo bylo 
gorochu nasejano (Afan., Nar. r. skazki 231b) „ein Bauer hatte 
viel Erbsen gesät“, s vami govorite nužno gorochu naevsisp (Gogol, 
Iv. Iv. II) „mit Ihnen muß man reden, wenn man sich an Erbsen 
satt gegessen hat“, ukr. rody, Bože, Zyto, psenycu, horoch, sočevyc'u 
(Čubinskij II 456), pidnesite zaliznoho bobu rešeto (Kuliš, Zap. 
II 52), ebenso weißr. prinesi Zaleznaho bobu i žalěznaho chlčbu ... 
jon uzau chleba i zernusko bobu (Afan. 74b) „bringe eiserne Bohnen 
und eisernes Brot (Stärkungsmittel des Helden) ... er nahm von 
dem Brot und einen Bohnenkern“, n. un.: (ukr.) horosjna katytosa 
po dorozi da i vskodila u vidro (Afan. 74a), in der weißr. Fassung 
dagegen kacicdca harochovaje zernusko (ebd. 74b) „es rollt ein 
Erbsenkorn (auf dem Wege)“, grr. gorösin(k)a und danach auch 
gelegentlich bobinka: žil starik i starucha. Starik katal, katal odnu 
gorošinu, — ona i upala nazemb (Afan. 5, Var. 1), posadil ded bo- 


Das Kollektivum im Slawischen. 69 


binku, a baba gorosinku pod stol, gorosinku poklevala kurica, a bo- 
 binka vyrosla pod samyj stol (ebd. Var. 2). Bob wird merk- 
würdigerweise im Großrussischen pluralisch gebraucht: raz čla 
ona (docka) boby i uronila odin nazemv. Bob ros, ros i vyros do 
neba (Afan. 6a) „einmal aß sie Bohnen und ließ eine auf die Erde 
fallen. Die Bohne wuchs, wuchs und wuchs bis zum Himmel“, 
ne chvalis’a goroch, ne lučše bobov, razmoknes, naduješs'a, lopneš 
(Dal) „rühmt euch nicht, ihr Erbsen, ihr seid nicht besser als die 
Bohnen, ihr werdet feucht, quellt auf und platzt“. Fasolo ist 
dagegen auch im Grr. coll. (Fremdwort!): kotletka s fasolju (Anna 
Kar.). 

An Fremdwörtern mit kollektiver Bedeutung seien außer den 
bereits angeführten (luk, izum, mindalv, kartofelo usw.) noch ge- 
nannt: ukr. löksa Nudeln, kartöpl'a, baraböl’a, búlbba (Bern. I 100), 
weißr. búlbba, slov., skr. krompir, skr. krtöla (aus K(a)rto(ffe)l) 
Kartoffeln, poln. agrest Stachelbeeren (Bern. I 25) gegenüber den 
einheimischen pluralischen porzeczki Johannisb., maliny Himb., 
poziomki Walderdb., truskawki Gartenerdb., czernice Blaub., jeżyny 
Bromb.; n. un. *): russ. lúkķovica (luk), ičúmina (ičúm), mindálina 
(mindálo), kartófelina, kartóška (das letzte bes. volkst., auch ge- 
nerell), ukr. kartoplýna, weißr. búlbbina (búlbba), ukr. lókšyna 
(löksa). Beispiele: čistitë kartofelo Kartoffeln schälen, melonicicha 
prinesla nam moloka, jaic, kartofel'u, chleba (Turg., Zap. och.) „die 
Müllerin brachte uns Milch, Eier, Kartoffeln, Brot“, (ukr.) scob 
do viku ne zabuu, jak barabol’u krasty (Andr., Z myn. 1166) „daß 
du in Ewigkeit nicht vergißt, was es heißt, Kartoffeln zu stehlen‘, 
(n.un.) na Mariju vynimajut cvetoönyje lukovicy (Dal) „am Marien- 
tage (27. Juli) nimmt man die Blumenzwiebeln heraus“, pustil 
jemu vsled .. . dvuma bolvsimi varennymi kartofelinami (Dost., 
Besy): „(der Blödsinnige) warf nach ihm mit 2 großen gekochten 
Kartoffeln“, (v kotelveike) variliso „kartoski“ (Turg., Zap. och.) 
„m Kessel kochte man Kartoffeln“, (ukr.) chapala (svyńa) karto- 
plynu i zaraz kydalaso do druhoho (kusca) „das Schwein schnappte 
eine Kartoffel und stürzte sich sogleich auf einen anderen Busch“ 
(Ivan Levickyj). Wie die Kartoffel wird meist auch repa Rübe 
behandelt (n. un. russ. repina, rěpka oder einfach repa), schon 


1) An n. un. zu Pflanzen führen die Wörterbücher ferner noch an: kapu- 
slina Kohlblatt (Belege SRJ. IV 229), chmelina Hopfenranke, -kätzchen, lopu- 
šina Klettenblatt, chvoscovina einzelner Schachtelhalm (chkvošč), kovylina 
(kovyld Steppengras), kamysina zu kamýš Schilfrohr (SRJ. s. ei, ukr. oceretyna 
zu oceret dass., lobodyna zu loboda Melde. 


70 J. F. Lohmann 


altr.: repe (dat. adnom.) vozz (kupl’achuto) po 2 grivone (1. Novg. 
Chr. 6723) „einen Wagen Rüben kaufte man für 2 Gr.“, (grr.) 
mužik naklal svoju rěpu na voz i povez v gorod prodavato .. . — 
daj-ko poprobovato! — mužik dal jemu repu (Afan. 7a) „der Bauer 
lud seine Rüben auf den Wagen und fuhr sie zum Verkauf in 
die Stadt ... (ihm begegnet ein Bär) laß mich einmal probieren! 
... der Bauer gab ihm eine Rübe“, starucha, podi, kupi repku! 
. starucha pošla, kupila dvě repki (ebd. 81a), (ukr.) tut Ze buu 
chrin, ripa, kartopľa „da waren Meerrettich, Rüben, Kartoffeln“ 
(Hrinč. aus Kvitka), ebenso slov. répa (Pleteršnik s. v.), skr. réng 
(saditi repu, vagon repe). 
~ [m großen und ganzen kann man also sagen, daß das Sla- 
wische die Begriffe, bei denen die Sprachen im Numerusgebrauch 
zu schwanken pflegen (Delbrück, Vgl. Syntax I 146ff.), kollektiv 
verwendet. Natürlich gibt es Ausnahmen von dieser Regel. Er- 
wähnt wurde schon grr. boby Bohnen. Ähnlich gebraucht man 
das Wort für den Hanf in den meisten anderen Sprachen plu- 
ralisch: skr. kònoplje f. pl. (daneben auch als kollektives neutr. sing., 
Rj. V 272), slov. konóplje: gospodari, kakor pes v konopljah (Pleteršn.) 
„er wirtschaftet wie ein Hund im Hanf“, ukr. konópli (n. un. 
konoplýna), weißr. kanapli, poln. konopie (Pan T. VI 312: zające ... 
Skacze skryć sie w konopiach). So auch russ. ótrubi, poln. otręby 
Kleie, poln. plewy Spreu (Linde aus d. Kat. d. Erzb. Karnkowski: 
na bojowisku jest ziarno, ag też i plewy „auf der Tenne ist Korn 
und Spreu“), sadze neben sadza Ruß (Benni-Łoś usw., Gram. polska 
292). Gegenüber der großen Masse der kollektiven Ausdrücke 
fallen diese gelegentlichen Abweichungen aber kaum ins Gewicht. 
Von der genealogischen Verwandtschaft der Sprachen ist 
ihr Verhalten in Bezug auf den Numerusausdruck ganz unab- 
hängig, wie der baltisch-slawische Gegensatz in dieser Frage zeigt. 
Eine gewisse Diskrepanz in der Behandlung der hierher gehörigen 
Wörter besteht auch zwischen dem Lateinischen und Griechischen. 
Das Griechische gebraucht wie das Baltische die Getreidearten 
in der Regel im Plural: zvọoi, eiai, zoıdal, öAvonı, ebenso oùåaí 
mola salsa, ferner die Mehle: tà dicugoog, tà Ğågpıra, weiter tà 
dxvoa Spreu, tà eloıa (čora) Wolle, tà poúyava Reisig, wduadoı 
Sand, xoviaı Staub, des Salz. Die Worte für Sand, Staub u. dgl. 
können auch lat. z. T. im Plural stehen: sales, pulveres, arenae 
(von Caesar nach Gellius 19, 8 in de analogia getadelt) u. ähnl., 
die Getreidearten kommen aber im allgemeinen nur bei Dichtern 
pluralisch vor, sonst sind sie durchaus singularisch (hordea aus- 


Das Kollektivum im Slawischen. 11 


drücklich von Quintilian 1, 5, 16 als fehlerhaft bezeichnet), und 
dem Slawischen entsprechend werden ebenso auch die Hülsen- 
früchte behandelt, faba: singulare tantum esse volunt grammatici 
... legitur saepissime singularis collective positus (Thes.), cicer: 
sed et singularia solum sunt multa, ut cicer, siser (nemo enim 
dicit cicera, sisera) ... (Varro l. LS 48), ebenso vicia und lens 
bei den scriptt. r. rust. 

Wackernagel (Vorl. ü. S. I 96) meint, der Plural von lat. 
frumentum bezeichne nicht bloß die verschiedenen Getreidearten, 
sondern auch das in seiner räumlichen Erstreckung vorgestellte 
Getreide, die Getreidefelder. Da beide Bedeutungen sich aber 
miteinander berühren, dürfte das kaum exakt zu beweisen sein 
(auch an der von Wackernagel angeführten Stelle: [bell. Gall. 
I 40, 11] iam esse ... frumenta matura läßt sich frumenta als 
Getreidearten auffassen, die ja nicht zu gleicher Zeit reif werden, 
während der voraufgehende Singular [frumentum Sequanos ... 
subministrare] auf die Gattung insgesamt geht). Eher sind die 
Bedeutungen bei den einzelnen Arten auseinander zu halten. 
Hier kommt der Gebrauch des Plurals für die räumliche Erstreckung ` 
in verschiedenen slawischen Sprachen vor. So sagt man russ. 
rži chorosi, ovsy plochi „der Roggen (Hafer) auf den Feldern steht 
gut (schlecht)“, ebenso gorochi die Erbsen auf den Feldern, die 
Erbsenfelder: rži pospeli pozdno, ... uže i pozdnije ovsy stali 
mesatosa, a prišla pora sčjatb ... v samoje eto vrema my podsechali 
k gorocham i makam, kotoryje privlekli moj& vnimanije (S. Aksakov, 
Dětsk. gody Bagrova-vnuka, Parašino) „der Roggen (auf den 
Feldern) ist spät reif geworden, ... schon kommt auch der späte 
Hafer dazwischen, und dann ist es Zeit zu säen ... gerade zu 
der Zeit kamen wir zu den Erbsen- und Mohnfeldern, die meine 
Aufmerksamkeit erregten“, (ukr.) dezertyry, ščo vyleZuvalysa po 
2ytach (Andr., Z myn. I 147) ‚Deserteure, die (im Sommer) in 
den Roggenfeldern herumgelungert hatten“. Großr. ist žito Ge- 
treide überhaupt, daher Sté zunächst Getreidearten (SRJ. s. vi 
Bei dem Allgemeinausdruck läßt sich nur schwer entscheiden, ob 
der Plural im einzelnen Falle räumlich aufzufassen ist oder ob 
die Arten gemeint sind‘). Manchmal hat es aber doch den An- 


!) Diese Bedeutungen gehen auch sonst ineinander über. So dienen die 
auf Kollektiva zurückgehenden grr. Plurale auf -á sowohl zur Bezeichnung der 
Arten, Sorten u. dgl. (chlöb& Getreidearten gegenüber chleby Brote usw.) wie 
der (örtlichen) Erstreckung (sněgá Schneemassen, eher zeitlich ist ckolodá an- 
haltende Kälte). Der reguläre Plural hat örtlichen Sinn in ukr. písky sandige 


72 J. F. Lohmann 


schein, als ob mehr an die räumliche Erstreckung gedacht wäre: 
(Ogn. i m. II 11) palono nawet zboża na pniu, lasy i sady „man 
verbrannte sogar das Getreide auf dem Halme, die Wälder und 
Gärten“, vielleicht auch: (Pan T. XI 73) o wiosno ... jak bytas 
kwitnąca zbożami i trawami! 

Der regelmäßige kollektive Gebrauch ist bei den Pflanzen- 
namen im großen und ganzen beschränkt auf die Fälle, wo die 
einzelne Pflanze sich dem Bewußtsein weniger aufdrängt, es sind 
also z. B. Pilze und Bäume davon ausgeschlossen. Frucht und 
Pflanze werden indessen bei den Bäumen mit nutzbaren Früchten 
trotz dieser Individualisierung in der Regel ebensowenig unter- 
schieden wie bei den Pflanzen, wo der Singular die Gattung 
insgesamt bezeichnet (in anderen Sprachen ist das bekanntlich 
der Fall: lat. pomus f. Obstbaum, pomum Frucht usw., gr. À drzuog 
Birnbaum, tò dron Birne usw.). Im Polnischen finden sich An- 
sätze zu einer Scheidung wie in deutsch Eichel — Eiche: gruszka 
Birne, grusza Birnbaum, sliwka Pflaume, sliwa Pflaumenbaum 
(dagegen trzesnia Kirsche und Kirschbaum usw., während Apfel 
und Apfelbaum schon urslawisch verschiedene Namen hatten). 

Zur Bezeichnung der Wälder, Haine, Gebüsche u. dgl. ge- 
braucht man kollektive Suffixe. Alt und weit verbreitet ist in 
dieser Funktion vor allem -bje: abg. dabvje devdon (Supr. 429, 28), 
skr. borje, glö2je, grablje, dubje, öräsje, javörje usw., slov. besonders 
häufig, von allen Bäumen und Sträuchern, desgl. westslawisch in 
den heutigen Dialekten wie in der älteren Sprache und in Orts- 
namen, außerdem allerlei Einzelsprachliches: im Bulgarischen 
-ak, skr. -ik (Leskien, Gr. § 465), -(nj)ak (8 404), ostslawisch (auch 
polnisch) -nik (zuerst in einem Kaufbrief von 1453, Srz. II 23), 
ferner -nak. Daneben kommt auch das Suffix -ina in dieser Ver- 
wendung vor, vgl. etwa poln. alt (Sofienbibel) chroslina virgul- 
tum, drzewina arbores, heute brzezina, debina, chröscina, krzewina, 
olszyna, sosnina, čech.: borovina (borina), brezina, dřevina, dubina, 
chrastina, krovina, olsina, slov. bukovina, bazgovina, gabrina, glogo- 
vina, hrast(ov)ina, Silovina (Nadelwald: šilo Nadel); skr. brezovina, 
bukovina, dubovina, jelovina, klenovina, lipovina, smrekovina nur für 
das Holz. Im Ostslawischen haben diese Ableitungen z. T. die 
entgegengesetzte Bedeutung, vgl. neben chvorostina Rute auch 
russ. dubina (Eichen-)Knüttel, also Teil des Baumes gegenüber 
p. č. debina (dubina), coll. zu dąb (dub); ukr. dubjna (Hrinč. 
Landstriche (Zelechovski), poln. piachy dass. (piach Kurzform zu piasek, vgl. 
Brückner, SE. 405). 


Das Kollektivum im Slawischen. 73 


s. v.) hat beide Bedeutungen, außerdem wird es noch für den 
einzelnen Baum gebraucht. Die Verwendung des -ina-Suffixes 
erscheint auf den ersten Blick recht mannigfaltig, es lassen sich 
aber die einzelnen Funktionen sehr gut unter einen einheitlichen 
Gesichtspunkt fassen‘). Es handelt sich immer um eine Kon- 
kretisierung oder Materialisierung des durch den Stamm Ausge- 
drückten, bzw. etwas Konkretes, was zu diesem in Beziehung 
steht: 

A) Ableitungen von Adjektiven: glabina nicht Tiefe als Eigen- 
schaft, sondern eine tiefe Stelle, istina nicht Wahrheit als 
Eigenschaft, sondern eine wahre Aussage, etwas Wahres, 
sedina nicht die Grauheit abstrakt, sondern das graue Haar, 
novina nicht Neuheit, sondern Neuigkeit, „Neues“, daneben 
vielfach neu gepflügtes Land. 

B) Ableitungen von Substantiven. Hier bezeichnet das Suffix: 
1) das Produkt des Stammwortes, also das, was von ihm 

herkommt: pagina Spinnweb, das Produkt der Spinne, 
zverina Wildfleisch, das Produkt des zverv (fera), ovbčina 
Schaffell, 

2) den Gegenstand, bei dem, an dem, in dem das durch den 
Stamm Bezeichnete sich befindet, bzw. von dem es her- 
kommt: maslina Ölbaum, Olive, Quelle des maslo (Öl), 
otvcina Vaterland. 

Das Erste ist der Ausgangspunkt der Singulativa: dubina der 
einzelne (Eichen-)Knüttel als Produkt der Eiche, gorosina die von 
der Pflanzengattung goroch stammende einzelne Erbse, chvorostina 
die Rute als einzelnes Konkretum des Sammelbegriffes chvorost 
Reisig usw. Das Zweite ist, wie überhaupt die lokalen Bildungen 
(vgl. oben S. 44), ein Ausgangspunkt für kollektive Verwendung: 


1) Auf welcher Ablautstufe der Vokal des Suffixes stand, läßt das Slawi- 
sche nicht erkennen (wenn man vom Akzent absieht, der aber häufig der Aus- 
gleichung unterliegt: lit. Zveriena aber russ. zvěrína, vgl. auch ukr. solomýna 
gegenüber dem lautgesetzlichen grr. soldomina). Nach den entsprechenden litaui- 
schen Bildungen zu schließen scheinen mehrere Suffixe zusammengeflossen zu 
sein (zverina = lit. Zverienä, poln. gesina = lit. Zasienä, slov. kravina = 
lit. karvienà, dagegen drezina — lit. beriynas, berzyne), Da es sich aber 
um Suffixe von sehr ähnlicher Funktion handelt, die naturgemäß bald nach 
ihrem lautlichen Zusammenfall kontaminiert werden mußten (vgl. auch lit, 
nauųjynà —= naujienä Neuigkeit), stößt eine Scheidung der verschiedenen Ver- 
wendungsarten nach ihrer Herkunft auf Grund der Funktion und des Akzentes, 
wie sie Jagić (Arch. XXXI 228f.) und nach ihm Vondrák (Sl. Gr. I? 544ff.) ver- 
sucht haben, auf große Schwierigkeiten. 


74 J. F. Lohmann 


dgbina der Ort, wo die Eichen stehen, der Eichenwald, der dann 
auch allerdings wieder als Produkt der Eiche aufgefaßt werden 
kann, sich berührend mit dabina Eichenholz als Stoff, Material, 
dieses wie zverina sowohl Substanz als Produkt (der Eiche, des 
zverv): beides läßt sich eben nicht streng voneinander scheiden. 

Die Ableitungen von Substantiven gehen nach Ausweis der 
übrigen Sprachen z. T. unmittelbar auf indogermanische sub- 
stantivierte Adjektiva zurück: zuerina, lit. Zveriena = lat. ferina 
(Verg. Aen. 1, 215, Val. Flacc. 3, 569, daneben caro ferina), lit. 
ántiena = anatina (Petr. 56, 3), vlscina Wolfsfell, lit. vilkienà = 
pellis lupina. Solche Ableitungen werden verschiedentlich auch 
zur Motion und zur Bezeichnung von jungen Tieren benutzt: lat. 
regina Königin, gallina Henne, equinus Hengst (?, vgl. Buecheler, 
carm. epigr. 218), griech. xoọaæxīvo: junge Raben (Ar. equ. 1053). 
Aus dem Neutrum hat sich im Germanischen ein Suffix zur Bil- 
dung von Ausdrücken für Tierjunge und überhaupt Deminutiven 
entwickelt (Kluge, Nomin. Stammb. § 57, 58a): got. gaitein junge 
Ziege, gumein Männlein usw., urspr. wohl auch swein Schwein. 
Deminutive neben der singulativen Bedeutung haben auch die 
keltischen -n-Suffixe (Pedersen, VG. II 57; C. Marstrander, Z. f. 
c. Ph. VII 377ff.). Hier ist also aus der Herkunfts- bzw. Zuge- 
hörigkeitsbezeichnung ein deminutives Suffix entstanden (celt. 
voltinio- zum Haar gehörig, aus Haar [als Stoff] bestehend, [ein- 
zelnes] Haar, Härchen, C. Marstrander a. a. O.). Grünenthal (Arch. 
f. sl. Ph. XXXVIII 137f. und XXXIX 143) hält, offenbar aus 
diesem Grunde, auch die slawischen -ina-Ableitungen einschließlich 
der gemeinrussischen Singulativbildungen für Deminutiva. Im 
Slawischen liegen die Verhältnisse aber doch anders. Hier ist 
das besonders in der Volkssprache so häufige Deminutivum vor 
allem auch hypokoristisch. Diese Nuance fehlt aber den -ina- 
Ableitungen, sie sind vielmehr meist pejorativ-vergröbernd und 
haben oft augmentative Bedeutung. Brugmann (Grdr.’II 1, 670) 
bemerkt, daß die von Substantiven abgeleiteten substantivierten 
Adjektiva (gr. dvöolov etwas wie ein Mann, also kein richtiger 
Mann, ähnlich naıdioxos, zéien zu zais, veuvionog zu veavias) 
leicht pejorativen Sinn annehmen können. Im Griechischen sind 
daraus deminutive Suffixe entstanden. In slawisch -ina hat sich 
aber (ebenso wie in den slawischen -sk-Ableitungen, Belić, Arch. 
XXI 180) die Deteriorierung im großen und ganzen nach der 
Seite der Vergröberung hin entwickelt: ukr. sapeyna plochaja 
Sapka, »syna Hund als Schimpfwort, poln. wierszyna schlechter 


Das Kollektivum im Slawischen. 75 


Vers, noZyna elendes Messer, slov. deklina größeres Mädchen, 
serb. psina großer Hund, bulg. glavina großer Kopf, weißr. rybina 
großer Fisch. Das Polnische zeigt neben der abschätzigen aller- 
dings auch eine sympathisch-bedauernde Nuance: babina, dziecina, 
kobiecina, ptaszyna, psina, rgezyna = baba, dziecko, kobieta, ptak, 
pies, reka godne pożałowania, politowania, szlachcina: biedny szlachcic, 
biedna, drobna szlachta). Die polnischen Worte nähern sich 
gewiß stark den Deminutiven, aber sie bleiben doch insofern im 
Rahmen der allgemeinen Funktion des -ina-Suffixes, als der 
Hauptnachdruck auf dem Mangelhaften, Unerwünschten der Er- 
scheinung liegt. Jedenfalls haben die -ina-Ableitungen des Slawi- 
schen (ohne angetretenes Deminutivsuffix) niemals bloß ver- 
kleinernde Bedeutung, diese erscheint vielmehr, wo sie gelegent- 
lich auftritt, als etwas Sekundäres, später irgendwie assoziativ 
hinzugetretenes, sei es von der deteriorierenden Bedeutung aus, 
sei es auch von der der Zugehörigkeit, des Produktes oder des 
Teiles. Eben weil die n. un. auf -ina die deminutive Bedeutung 
an sich noch nicht besitzen, zeigen sie auch eine so starke Nei- 
gung zu deminutiver Weiterbildung, die bei den als n. un. ver- 
wendeten wirklichen Deminutiven so gut wie ganz fehlt. In 
diesem Sinne sind also Grünenthals Ausführungen zu berichtigen 
und zu ergänzen. 

Wenn Gr. das -ina-Suffix der Singulativa mit dem maskulinen 
-in von Slovenins usw. in Verbindung bringt, so hat er damit 
gewiß recht (oben wurden schon Belege für die Assoziation beider 
aus dem Altrussischen gegeben), aber ganz unmöglich ist, daß 
dieses -ing „das ad sensum mutierte gewöhnliche Deminutiv- 
suffix °) -ina“ wäre. Dem widerspricht schon die Chronologie. 
Das singulative -ina ist bloß ostslawisch, ein Ergebnis einzel- 
sprachlicher Entwicklung, der Gebrauch des -ins dagegen auf 
allen Gebieten von Anfang an fest ausgebildet, also offenbar 
etwas sehr Altes. Es wird das singulative us ursprünglich 
ebenso wie -ina irgendwie mit den adjektivischen -n-Suffixen 


1) Vgl. die Belege im Warschauer Wörterbuch. Bei Belić (Arch. XXIII 
197) kommt die besondere Nuance nicht ganz zu ihrem Rechte; entsprechend 
sind auch Vondräk (Sl. Gr. I? 546) und Brugmann (Grdr.? II 1, 275; 676) zu 
korrigieren, die die Worte, auf Belić fußend, mit got. gaitein usw. zusammen- 
stellen und damit eine falsche Vorstellung von dem Wesen des slawischen -ina- 
Suffixes erwecken. 

2) Gr. meint natürlich Singulativsuffix; er setzt beides ohne weiteres gleich, 
was eben eine petitio principii ist. 


76 J. F. Lohmann 


zusammenhängen, die slawisch vor allen Dingen zur Bildung 
possessiver Adjektiva von den a- und ;-Stämmen dienen (Vondrák 
I? 8495). Aus anderen Sprachen lassen sich am ehesten Bil- 
dungen wie lit. kaimijnas = lat. vicinus vergleichen. L’udins, 
cel’adins, gospodins, Rusins, Litvina usw., bzw. die ersten Bil- 
dungen dieses Typs, hätten dann also ursprünglich bedeutet: ein 
zum Volke (*l’udo, alter Stamm, zu lit. lidudis, Buga, Izv. XVII 
1,47, daraus der Plural !udoje ad sensum modifiziert), zum Ge- 
sinde (ef odp, fem. Stamm), zur Herrschaft (gospoda), zu Litva, 
Ruso (fem. i-Stamm), Land und Volk, Gehöriger, ebenso Sloveninz, 
ein Mann der Slovne bzw. aus dem Lande „Slovene“ " usw. Das 
arabische -zju von alhindiiu, arramiiu, Einzahl zu dem kollektiv 
gebrauchten ulhindu (Indien) Inder, arramu (Ostrom) Byzantiner 
ist ebenfalls ein adjektivisches Zugehörigkeitssuffix, und ganz 
ähnlich werden ja auch die possessiven Adjektivsuffixe im Slawi- 
schen für die Bezeichnung der Familienzugehörigkeit verwandt, 
vgl. die grr. Familiennamen: Nikitin, Karamzin, Golovin, Družinin 
usw. (von den a- und i-Stämmen), von den o-Stämmen: Griboje- 
dov, Ivanov, Pisarev usw., bulg. Todorov, Matov, Slavejkov, Christov, 
Radoslavov, Georgijev usw. Daneben stehen bekanntlich ursprüng- 
lich deminutive Patronymika, serbisch: Petrić, Miletić, Savić, 
Nikolic, ukr. Ševčenko, Kovalenko usw., d. i. Schusterlein, kleiner 
Schmied für: Sohn des Schusters, des Schmiedes. Die Suffix- 
häufung in den grr. patronymischen: Ivanovič, Petrovič und den 
serbischen Familiennamen: Jovanović, Obrenović entspräche somit 
der Verbindung des Zugehörigkeits- mit dem deminutiven Suffixe 
in solóminka, travinka. 

Genau wie das slawische -en- im Singular durch das Zuge- 
hörigkeitssuffix -ins erweitert wird, fügen die meist Tierjunge 
bezeichnenden Wörter auf -e im Großr. singularisch das demi- 
nuierende -šķ an den Stamm an: telönok, telönka für tele, telete, 
dagegen im Plural tel’ata = teleta, und im Litauischen finden wir 
an Stelle des slawischen -(en)ins das dem slaw. -ič, -ić usw. ent- 
sprechende deminutive -ietis, -ytis’): Vökietis Deutscher, pilietis 

1) Also etwa das Verhältnis von ’Adnvaios zu ’Adnvaı; vgl. auch die 
litauischen Ortsnamen auf -enai (Leskien, Bldg. d. Nom. 388): Bitenai, Piktu- 
penai, Stalup'nai, Silenai neben girenai Waldleute, kalnenas Bergbewohner, 
ferner čech. Hradčany (alt Hradcene) „anoonolıs“, židy die Judenstadt (Jung- 
mann, Sl.sv.2öd), os. Drjaidzany usw. Dresden („Waldleute“, vgl. den Stamm- 
namen Poľane: „Feldleute“). 


3) Im Slawischen aru. Rusiči die Russen (Igorlied) u. a., vgl. auch Brückner, 
Slavia III 197. 


Das Kollektivum im Slawischen. 77 


zroAitns usw., Zemaitisch (Buga, Kalba ir sen. 203) auch Vökyftis 
usw., lettgallisch Voceits aus * Vacitis gegenüber lettischem Väcietis 
(Endzelin, L. G. 8211). Wenn das slawische us im allgemeinen 
auf den Singular beschränkt geblieben ist, so wird das z. T. wohl 
auch daran liegen, daß es (so Jagić, Arch. XXXI 229) mit ins 
unus im Sprachbewußtsein assoziiert wurde, ohne daß es darum 
mit diesem ursprünglich irgend etwas zu schaffen gehabt zu haben 
braucht (Vondrák I” 541). 

Das Nebeneinander von deminuierenden und Zugehörigkeits- 
suffixen findet sich außer bei den nomina unitatis und den Be- 
zeichnungen für die Volks- und Familienzugehörigkeit auch noch 
bei der Motion, vgl. ksl. Riml’anska Römerin (Mikl., LP.), poln. 
näuczyciel-ka Lehrer-in, autor-ka Schriftsteller-in, čech. manzel-ka 
Gemahl-in, lat. puella zu puer gegenüber ru. koroleva, lit. karalienė, 
lat. regina usw. (Mikl., Vgl. Gr. 1255; W. Schulze, Lt. Eigenn. 
136 Anm. 4; 330; 418). 

So wird also das singulative -ina sich zunächst aus der Be- 
deutung der Zugehörigkeit bzw. der Herkunft entwickelt haben 
(gorosina ` goroch wie dubina zu dub, beides ostslawisch’)!) und 
dann im Laufe der Zeit durch das schon aus dem Urslawischen 
ererbte maskuline singulative Aus in der Funktion des n. un. 
bestärkt worden sein. Daß die beiden Suffixe wirklich als zu- 
sammengehörig empfunden wurden, zeigt auch die ukrainische 
Umbildung des maskulinen !'udins zu dem femininisch gebrauchten 
ludyjna, Mensch ohne Rücksicht auf das Geschlecht (es kommt 
also die umgekehrte Mutation wie die von Gr. angenommene, 
die ja auch dem chronologischen Verhältnis der Verwendung der 
Suffixe in dieser Funktion besser entspricht, tatsächlich vor): 
kožna Ces(t)na Uudyna jeder anständige Mensch. Dadurch, daß 
man das Wort in die Kategorie der (sonst fast nur von Sachen 
gebildeten) n. un. auf -ina hineinzog, wurde es geschlechtlich 
neutralisiert, behielt aber im übrigen seine Bedeutung bei. 

(Fortsetzung folgt.) 


Berlin. J. F. Lohmann. 
1) Frucht wie sonstiges Produkt wird auch deminutiv ausgedrückt, vgl. 


einerseits poln. söwka usw., deutsch Eichel (s.o. S.72), andererseits frz. fouet 
Rute (fouetter peitschen), Deminutivum zu afrz. fou fagus. 


78 E. Koschmieder 


Studien zum slavischen Verbalaspekt'). 


4. Die psychologischen Grundlagen des polnischen 
Aspektsystems. 


Bevor ich an die Untersuchung der Aspekte gehe, muß ich 
mich nochmals zu der Frage äußern, wieviel und welche Aspekte 
im Polnischen zu unterscheiden sind. Wenngleich man nämlich 
bisher im allgemeinen nur deren zwei, den perfektiven und den 
imperfektiven unterschied, so hat doch, wie schon erwähnt, vor 
kurzem eine Autorität diese Zweiteilung verlassen und den beiden 
genannten als dritten den iterativen Aspekt gleichgeartet zur 
Seite gestellt. Nun spielt ja tatsächlich die Iteration bei der 
Aspektfrage im Polnischen wie überhaupt im Slavischen eine 
große Rolle. Trotzdem aber kann man meiner Ansicht nach die 
Iterativa mit den Perfektiva und Imperfektiva nicht auf eine 
Stufe stellen. Die Begriffe perfektiv und imperfektiv nämlich 
schließen einander vollkommen aus, d. h. was perfektiv ist, kann 
eben nicht imperfektiv sein und umgekehrt. Wollte man den 
Begriff iterativ mit ihnen auf eine Stufe stellen, so müßte doch 
dieser Begriff die beiden anderen ausschließen und umgekehrt; 
denn es handelt sich bei unserer Frage doch um ein Einteilungs- 
prinzip. Das Wesen jeder Einteilung aber ist, daß sie nach 
einem Prinzip in sich gegenseitig ausschließenden Klassen vor- 
genommen wird. Will man also etwa die Häuser einteilen, so 
kann man das u. a. nach dem Baumaterial tun und demnach 
Steinhäuser und Holzhäuser unterscheiden. Entschließt man sich 
dann dazu, dieses Einteilungsprinzip mit „Herstellungsart“ zu 
bezeichnen, so unterscheiden wir zwei Herstellungsarten von 
Häusern. Wollte man nun als dritte Herstellungsart die Wohn- 
häuser einführen, so schlössen sich doch Stein- und Holzhäuser 
einerseits und Wohnhäuser andererseits gar nicht aus, denn 
Wohnhäuser gibt es aus Stein und aus Holz. Das Einteilungs- 
prinzip, dem der Begriff Wohnhaus entnommen ist, ist eben ein 
anderes als die „Herstellungsart“; man könnte es etwa mit „Ver- 
wendungsart“ bezeichnen, wenn man als Gegensatz zum Wohn- 


1) S. o. LV 280.'— Die vorliegende Arbeit war bereits vor 2 Jahren ab- 
geschlossen. Es ist mir daher einerseits leider nicht möglich, an dieser Stelle 
schon näher auf die interessanten Arbeiten von Eduard Hermann „Idg. Forschgen. 
45“ und Ferd. Stiebitz „Listy filologické 55, 1“ einzugehen. Andererseits aber 
habe ich inzwischen einige prinzipielle Fragen weiter verfolgt, worüber ich 
demnächst eine weitere Abhandlung der Öffentlichkeit unterbreiten werde. 


Studien zum slavischen Verbalaspekt. 79 


haus etwa das Wirtschaftsgebäude ins Auge faßt. Mag nun auch 
der Begriff des Wohnhauses noch so wichtig für die Bauweise 
sein, es bliebe falsch, die Wohnhäuser in diesem Zusammenhang 
als dritte „Herstellungsart* zu bezeichnen. Als solche kämen 
nur Metallhäuser oder ähnliche in Frage, wenn sie weder Stein- 
noch Holzhäuser sind. 

Nun schließen sich die Begriffe perfektiv/imperfektiv einer- 
seits und iterativ andererseits durchaus nicht aus; denn es gibt 
sowohl perfektive Iterativa als auch imperfektive Iterativa. Des- 
wegen ist es, selbst wenn man perfektiv und imperfektiv schwer 
definieren kann, kaum richtig, das Iterativum als den dritten 
Aspekt zu bezeichnen, nachdem man einmal das Perfektivum 
und das Imperfektivum Aspekte genannt hat. Der Gegensatz 
zum Iterativum ist Semelfaktivum, und es heißt zwei Einteilungs- 
prinzipien vermengen, will man das Iterativum mit dem Perfek- 
tivum und Imperfektivum in einer Kategorie „Aspekt“ unter- 
bringen, mag das Iterativum von noch so großer Bedeutung für 
die formelle Bildung der Aspekte sein. Ich will zur Verdeut- 
lichung noch eine Parallele aus der Deklination beibringen. Das 
Russische unterscheidet bekanntlich drei grammatische Ge- 
schlechter: männlich, weiblich, sächlich. Nun ist aber auch hin- 
länglich bekannt, daß im Russischen belebte Wesen in der 
Deklination vielfach anders behandelt werden als die übrigen 
Nomina. Trotzdem aber kann man unter keinen Umständen 
sagen, es gäbe im Russischen vier Geschlechter, das sächliche, 
das weibliche, das männliche und das belebte. 

Die Iterativa also gehören nicht zu den Aspekten, sondern 
sind eine der verschiedenen Bedeutungskategorien, die man unter 
dem Namen „Aktionsarten“ zusammengefaßt hat. Diese sind 
nach verschiedenen Einteilungsprinzipien gebildete lexikalische 
Gruppen. Sie verhalten sich zum Verbalaspekt, der gewisse oben 
schon berührte, noch näher zu erörternde syntaktische Funktionen 
hat, etwa wie die Konkreta und Abstrakta, die Einzeldinge und 
Sammelnamen, die Nomina, die belebtes und nicht belebtes be- 
zeichnen, usw. zum Numerus in der Deklination — oder wie die 
verba transitiva und intransitiva, die personalia und impersonalia 
usw. zum Tempus in der Konjugation. Ich werde auf sie später 
zurückzukommen haben, denn ihr Verhältnis zu den Aspekten, 
das in der Verbalbedeutung und in der psychologischen Grund- 
lage der Aspekte begründet ist, ist von großer Wichtigkeit. 

Die Grundlage der Aspekte nun ist psychologischer Natur. 


80 E. Koschmieder 


Dabei muß von vornherein scharf betont werden, daß es sich 
hierbei lediglich um den heutigen Stand der Sprache handelt, nicht . 


aber um die geschichtliche Entwicklung, daß also „Grundlage“ hier 


nicht als Herkunft, sondern als heutiges Differenzierungsprinzip 
zu verstehen ist. Welche geschichtliche Entwicklung aber zum ` 


heutigen Stand geführt hat, ist eine Frage, mit deren Beant- 
wortung man sich erst beschäftigen kann, nachdem man das 


Wesen des heutigen Sprachgebrauchs genau erkannt hat. Über | 
den Sprachgebrauch selbst unterrichten die Grammatiken in mehr 


oder weniger anschaulicher Weise. Was aber bis jetzt über das 
Wesen der Unterscheidung von perfektiv und imperfektiv gesagt 
worden ist, ist m. E. noch mancher Vertiefung fähig. 

Soeben habe ich die Grundlage der Aspekte psychologisch 
genannt und damit schon angedeutet, welchen Weg ich bei der 
Erklärung unserer Phänomene nunmehr einschlagen will. Wie 
ich oben schon hervorhob, wird von den meisten polnischen 
Grammatikern als wesentlich für die Unterscheidung perfektiver 
und imperfektiver Verben betont, daß die perfektiven Verben 
nicht zum Ausdruck der tatsächlichen Gegenwart einer Handlung 
befähigt sind. Ihr sonstiger präsentischer Gebrauch nämlich in 
allgemeinen Sentenzen, Sprichwörtern u. dgl. sowie auch in hypo- 
thetischen Sätzen hat in diesem Sinne keinen Gegenwartswert 
und soll unten noch besonders untersucht werden. Diese Un- 
fähigkeit zum Ausdruck der Gegenwart, die hier ausnahmslos für 
alle Kategorien perfektiver Verben in gleicher Weise charakte- 
ristisch ist, will ich nun auf ihre Gründe untersuchen und für 
die Definition der Aspekte verwenden. Dabei tritt zunächst die 
Frage auf: was ıst denn die Gegenwart, und hier betreten wir 
den Boden der Psychologie, die nach meinem Dafürhalten bisher 
nur ganz ungenügend zur Erklärung der Aspekte herangezogen 
worden ist. Diese Frage ist schon oft in der Philosophie und 
neuerlich wieder von der Prinzipienlehre der Psychologie auf- 
geworfen, und die klare Beantwortung, die sie in Hönigswalds 
„Grundlagen der Denkpsychologie“ gefunden hat, lädt förmlich 
zu ihrer Verwendung für die Aspekterklärung ein. 

Gegenwart ist eng verknüpft mit dem „Ich“, mit dem Ich- 
bewußtsein. Das Ichbewußtsein lebt in einer kontinuierlichen 
Gegenwart, indem es in der „Präsenz“ in die Vergangenheit 
zurück- und in die Zukunft vorausreicht. Stellt man sich den 
Ablauf der transeunten Zeit als eine sich in einer Richtung be- 
wegende Linie vor, so bewegen sich sämtliche auf ihr liegenden 


a TTT EE 


E EE ENEE 


E Leg _ u et Saba et tech E ER 


Studien zum slavischen Verbalaspekt. Si 


Stellenwerte durch einen auf dieser Linie liegenden sich aber 
nicht mit ihr bewegenden Gegenwartspunkt hindurch, vor ihrem 
Durchgang durch diesen in der Zukunft und nach ihrem Durch- 
gang in der Vergangenheit liegend. Dieser Gegenwartspunkt an 
und für sich ist ausdehnungslos, d. h. eine absolute, physikalische 
Gegenwart gibt es nicht, da ja die Zeit in dauerndem Flusse ist 
und jeder Moment, den man sich etwa bemüht als den gegen- 
wärtigen zu ergreifen, soeben noch der Zukunft, sofort aber auch 
schon der Vergangenheit angehört. Wohl aber gibt es eine 
Gegenwart vom psychologischen Standpunkt. Unser Ichbewußt- 
sein nämlich, das in diesem Gegenwartspunkt steht, verknüpft 
Vergangenheit und Zukunft in der „streckenhaften“ Präsenz: „ich 
bin“ = „ich war eben und werde weiter sein“. Dieser Gegen- 
wartspunkt nun, und mit ihm die Präsenz, hat auf der Zeitlinie 
zwar in jedem Moment einen Stellenwert, doch stets einen an- 
deren, so daß man hinsichtlich dieser relativen Verschiebung von 
Zeitlinie und Gegenwartspunkt auch sagen kann: er wandert auf 
ihr aus der Vergangenheit in die Zukunft. Die Ereignisse mit 
festem Stellenwert auf der Zeitlinie haben diesen stets und 
wandern aus der durch den Gegenwartspunkt bestimmten Zu- 
kunft in die Vergangenheit. Dabei ist die Kontinuierlichkeit des 
Ichbewußtseins nur durch die, Zukunft und Vergangenheit strecken- 
haft verknüpfende, Präsenz möglich, denn „ich bin, insofern als 
ich mich in jedem Augenblick als den Gewesenen und den Sein- 
werdenden setzen", Hiermit ist nun mit aller Entschiedenheit 
die strenge Gegensätzlichkeit des Ichbewußtseins und des im 
Zeitstellenwerte festliegenden Ereignisses in der Zeitrichtung aus- 
gesprochen. Diese Gegensätzlichkeit läßt sich ganz banal etwa 
in folgendem Satze ausdrücken: „Ich“ war in der Vergangenheit 
und werde in der Zukunft sein, das Ereignis aber liegt in der 
Zukunft und wird in der Vergangenheit liegen. — Historische 
Ereignisse nun werden vom Ich „verstanden“, indem sie in die 
Präsenz projiziert werden’). 

Welche Beziehungen haben nun diese psychologischen Tat- 
sachen zu den Aspekten? Das Polnische besitzt in Perfektivität 
und Imperfektivität grammatische Kategorien, mit denen es aus- 
drückt, ob das im Verb Ausgesagte in der transeunten Zeit als 


1} Vgl. Hönigswald, Grundl. etwa: S. 86ff., 113 und passim. 

2) Vgl. außer Hönigswald auch den dort zitierten L. William Stern: Psy- 
chische Präsenzzeit — in Zeitschrift für Psychol. und Physiol. der Sinnesorgane 
13, 1897. 

Zeitschrift für vergl. Sprachf. LVI 1/2. 6 


SO E. Koschmieder 


Stellenwert, — oder in der psychologischen Gegenwart als dem 
in der Präsenz begründeten Ichbewußtsein konform angesehen 
werden soll. Diese Behauptung erfordert eine eingehende Er- 
läuterung und einen Beweis am sprachlichen Material. 

Ich will mit der Erläuterung bei den Verhältnissen beginnen, 
die bei der Imperfektivität vorliegen. Das in Imperfektivität 
Ausgesagte drückt einen dem Ichbewußtsein konformen Gedanken 
aus: ich bin. Dabei muß man sich vor Augen halten, daß das 
Ichbewußtsein, dem so ein Gedanke konform ist, keineswegs 
immer das des Sprechenden sein muß. Das Bewußtsein eines 
jeden anderen Ich ist dem des Sprechenden psychologisch gleich 
geartet. In: Du bist, er ist usw. also finden wir den Ausdruck 
des Ichbewußtseins anderer Iche als das des Sprechenden. Wenn 
ich also die Imperfektivität in diesem Sinne ichbezogen nenne, 
so folgt daraus nicht, daß sie nur zu Aussagen in der 1. Person 
sing. befähigt sei. Nun sind aber Ich-Bezogenheit und Ist- 
Bezogenheit derart korrelative Begriffe, daß „Ich“ und „Ist“ als 
ihrem Wesen nach gleich genannt werden müssen. Beide wandern 
sie aus der Vergangenheit in die Zukunft. Und so umfaßt die 
Imperfektivität auch das „Ist“, d.h. auch von einem „Es“ aus- 
gesagtes kann in Imperfektivität ausgedrückt werden. Die Person 
also, in der die Verbalform steht und das Subjekt, das zu ihr 
gehört, sind ohne Einfluß auf die Imperfektivität. Nun gilt es 
dasselbe von der Zeitstufe zu beweisen. 

Wir sagten oben, die Imperfektivität diene dem Ausdruck der 
psychologischen Gegenwart. Da scheint es auf den ersten Blick, 
als wäre Imperfektivität in präteritaler und futurischer Form un- 
möglich. Aber auch nur auf den ersten Blick, denn wie wir eben 
sahen, daß das Ich des Ichbewußtseins nicht das des Sprechenden 
ist, sondern das des Subjekts, so ıst es ganz klar, daß die psycho- 
logische Gegenwart nicht die des Sprechens, sondern die des von 
jenem Ichbewußtsein Berichteten ist. Wird man doch ohne weiteres 
zugeben müssen, daß man sich ein Ichbewußtsein an einer an- 
deren Stelle der Zeitlinie vorstellen kann, als die, an der sich der 
Sprechende befindet. Dergestalt also drückt die Imperfektivität 
stets eine Gegenwart aus, auch wenn sie in die Vergangenheit 
oder Zukunft vom Standpunkt des Sprechenden verschoben wird. 
Soviel zunächst von der Imperfektivität. 

Die Bestimmung der Perfektivität sollte es nun sein auszu- 
drücken, daß das im Verb Ausgesagte als Stellenwert auf der 
Zeitlinie betrachtet wird. Auch das erfordert einige Erklärungen. 


Studien zum slavischen Verbalaspekt. 83 


Will man Vorgänge nach ihrer Dauer auf der Zeitlinie abbilden, 
so entsprechen sie da Punkten und Strecken, die ihren festen, 
wenn auch dem Sprechenden oft nicht bekannten oder von ihm 
auch nicht näher bezeichneten Steilenwert auf ihr haben. Sie 
wandern nun auf der Zeitlinie der Präsenz des Beschauers ent- 
gegen aus der Zukunft in die Vergangenheit und werden von 
ıhm „verstanden“, indem sie in die Präsenz projiziert werden. 
Durch diese Projektion in die Präsenz werden sie gewissermaßen 
in einen Punkt verdichtet. Daraus folgt schon, daß die Per- 
fektivität unfähig zum Ausdruck der psychologischen Gegenwart 
ist. Denn, wenn die Handlung eine Dauer besitzt, kann einmal 
nie die ganze Handlung in der Gegenwart liegen, sondern als 
Ganzes gehört sie solange der Zukunft an, bis sie in der Ver- 
gangenheit liegt. Weiter aber ist für die Darstellung einer psycho- 
logischen Gegenwart das Herübergreifen aus der Vergangenheit 
in die Zukunft Bedingung. Betrachte ich nun eine Handlung 
von Dauer einmal in ihrem Stellenwert, d. h. projiziere ich sie 
in die Präsenz, so ist das — selbst wenn der Gegenwartspunkt 
im gegebenen Moment mitten in der ganzen Handlung darinnen 
liegt — mit jener Bedingung der psychologischen Gegenwart un- 
vereinbar. Ich müßte dann, da ich die Handlung ja in ihrem 
Stellenwert in die Präsenz projiziert habe, für den Ausdruck einer 
psychologischen Gegenwart sagen können, daß dieser Stellenwert 
eben war und weiter sein wird. Dieser Stellenwert aber umfaßt 
die gesamte Dauer der Handlung, und durch die gleichzeitige 
Betrachtung von beiden Gesichtspunkten würde die gesamte 
Dauer in jedem Augenblick enthalten dargestellt werden. Und 
das ist unmöglich. Sobald man aber eine solche Handlung im 
Gegenwartspunkt zerschneidet und etwa sagt: ich las eben eine 
halbe Stunde und werde sogleich eine halbe Stunde weiter lesen, 
— so gibt man die Projektion des Stellenwertes in die Präsenz 
auf und geht zur Darstellung der aus der Vergangenheit in die 
Zukunft reichenden psychologischen Gegenwart über unter An- 
gabe ihres Anfangs und ihres Endes. Dergestalt also ist die 
Perfektivität zur Darstellung einer Handlung von Dauer in psycho- 
logischer Gegenwart unbrauchbar. 

Besitzt nun die Handlung keine Dauer, sagen wir, wie etwa 
das Verlöschen des elektrischen Lichtes, so kann sie, weil sie 
keine Dauer hat, keine Gegenwart bedeuten, denn die Präsenz 
durchschreitet sie als ausdehnungsloser Punkt. Die Zeitrichtung 
aller Stellenwerte ist aber die entgegengesetzte der der psycho- 

6* 


84 | E. Koschmieder 


logischen Gegenwart. Durch diese Gegensätzlichkeit in der 
Richtung aber wird die Gegenwart des Punktes unmöglich, denn 
es gehört zur Auffassung einer Handlung als Gegenwart, daß ich 
von ihr sagen kann: ich verrichte sie eben und werde sie weiter 
verrichten. Befindet sich der Punkt nun an der Stelle der Prä- 
senz, die in die Zukunft reicht, so kann man nicht von der 
Handlung sagen: sie war eben. Ist er aber in den zur Ver- 
gangenheit gehörenden Teil fortgeschritten, so kann man von 
ihm nicht mehr sagen: er wird sein. Ja selbst der Moment, der 
zwischen diesen genannten Stellen, also im ausdehnungslosen 
Gegenwartspunkt liegt, ließe, wenn er überhaupt in Betracht 
käme, nur die Möglichkeit zu, zu sagen: er gehörte eben der 
Zukunft an und gehört sofort der Vergangenheit an, nicht aber, 
wie es erforderlich wäre: er gehörte eben der Vergangenheit an 
und wird sogleich der Zukunft angehören. 

Drückt nun also die Perfektivität aus, daß ein Geschehnis 
in seinem Stellenwert betrachtet wird, so ist sie nicht befähigt, 
eine psychologische Gegenwart darzustellen, und zwar aus Gründen, 
die sowohl auf der entgegengesetzten Richtungsbezogenheit der 
Präsenz und des Stellenwertes in der Zeit als auch auf der Natur 
der Betrachtung eines Stellenwertes beruhen. 

Wie dabei einerseits die Beziehung der Gegenwart zum Stellen- 
wert durch den Ausdruck der Zeitstufe gewahrt blieb, so bleibt 
hier andererseits die Beziehung des Stellenwertes zur Gegenwart 
durch die Projektion in die Präsenz gewahrt. 

Imperfektivität ist somit der Ausdruck des „Bewußtseins“, 
Perfektivität der des „Verstehens“ im oben erläuterten Sinne der 
Ausdrücke. 

Um also noch einmal zu unserem Ausgangspunkt zurückzu- 
kehren, betone ich, daß ich den Grund für das verschiedene 
Verhalten der Aspekte in Bezug auf die Darstellung der Gegen- 
wart darin gefunden zu haben glaube, daß es ihre Funktion ist, 
den Richtungsbezug der Aussage in der Zeit auszudrücken. 

Um das bisher Gesagte zu veranschaulichen, will ich es ım 
folgenden durch eine Analyse der sprachlichen Ausdrucksformen 
in obigem Sinne erläutern: 

| czytam, imperfektiv: 
ich lese, d. h. ich habe das Bewußtsein zu lesen, insofern als ich 
eben gelesen habe und auch weiter lesen werde. 
przeczytam, perfektiv: 
ich werde durchlesen. Ich habe beispielsweise einen Brief. Seine 


Studien zum slavischen Verbalaspekt. 85 


Lektüre wird mich 10 Minuten kosten. Sie hat einen Zeitstellen- 
‚wert, der als Ganzes in die Präsenz projiziert wird. Dieser Zeit- 
stellenwert wandert aus der Zukunft der Präsenz des Betrachters, 
d. i. des Sprechenden, zu und kann als solcher für den Betrachter 
nur Zukunft oder Vergangenheit sein. Da man für die Ver- 
gangenheit eine besondere Form hat, bedeutet przeczytam im all- 
gemeinen die Zukunft. | 

Bei czytasz, czyta usf. „du liest, er liest“ usf. ist es schwer 
zu entscheiden, ob zu erklären ist: ich habe das Bewußtsein, daß 
du liest usf. — oder: Du hast das Bewußtsein: „ich lese“ usf, 
Ich möchte den letzteren Ausdruck wählen und somit die Inter- 
pretation im allgemeinen so formulieren: Die Imperfektivität ist 
die Darstellung des Bewußtseins dessen, von dem gesprochen 
wird, d. i. des Subjekts. Daß dabei auch ich derjenige sein kann, 
von dem gesprochen wird, ist wohl klar. Bei przeczytasz, -ta 
usw. ist es leicht, sich die Projektion der Handlung in die Präsenz 
des Sprechenden vorzustellen, da ich als Sprechender eben auf 
diese Weise die Handlungen anderer betrachten kann. Es dürften 
aber auch für przeczytam „ich werde durchlesen“ kaum hierfür 
Schwierigkeiten vorhanden sein, denn der Sprechende vermag 
sehr wohl auch seine eigenen Handlungen zum Objekt seiner 
Betrachtung zu machen. 

czytałem, -es usw. „ich las .. .“ 

d.h. zu einem gewissen Zeitpunkt hatte ich das Bewußtsein: ich 
las eben, lese und werde weiter lesen. Czytatem drückt also die 
psychologische Gegenwart dessen, von dem gesprochen wird, d.h. 
von dem die Rede ist, zu dem Zeitpunkt, von dem die Rede ist, 
und der zum Zeitpunkt des Sprechens in der Vergangenheit 
liegt, aus. 

przeczytatem, -es usf. „Ich habe durchgelesen ...“ d.h. ich 
vergegenwärtige mir im Augenblick des Sprechens die ganze, auf 
einer bestimmten Stelle der Zeitlinie in der Vergangenheit fest- 
liegende Handlung des Durchlesens in der Präsenz, wobei es 
wieder einerlei ist, wer diese Handlung vorgenommen hat. 

bedę, bedziesz ... czytat „ich ... usw. werde lesen“ d.h. 
zu einem gewissen in der Zukunft liegenden Zeitpunkt werde 
ich von mir sagen können: ich las, lese und werde lesen. Auch 
hier drückt also das Imperfektivum die psychologische Gegenwart 
‚dessen, von dem die Rede ist, aus und zwar zu einem zu dem 
des Sprechens in der Zukunft liegenden Zeitpunkt; während das 
‚perfektive przeczyta die im Augenblick des Sprechens vor sich 


86 E. Koschmieder 


gehende Betrachtung einer zu diesem Augenblick in der Zukunft 
liegenden Handlung vom Standpunkt des Sprechenden ausdrückt. 

Bevor wir nun in unseren Ausführungen fortfahren, wird es 
von Nutzen sein, die logische Entwicklung der bisherigen Be- 
trachtungen noch einmal kurz zu fixieren. Wir stellten eingangs 
fest, daß die Definition der Aspekte auf dem Vollendungsbegriff 
beruhte. Dieser der lexikalischen Bedeutung inhärierende Voll- 
endungsbegriff ließ sich nicht in allen perfektiven Verben nach- 
weisen. Wir wählten daher als Ausgangspunkt für eine neue 
Definition das Verhalten der Aspekte bei der Darstellung der 
Gegenwart. Die Untersuchung des Gegenwartsbegriffes ergab, 
daß die Betrachtung von Handlungen eine zweifache sein kann: 

1) vom Subjekt aus als psychologische Gegenwart, die aus der 

Vergangenheit in die Zukunft gerichtet ist, 

2) vom Sprechenden aus als Zeitstellenwert, der aus der Zu- 

kunft in die Vergangenheit gerichtet ist. 

Diese erste Betrachtungsweise liegt der Darstellung einer Gegen- 
wart zu Grunde, der zweiten ist eine Darstellung der Gegenwart 
unmöglich. Wenn nun das Imperfektivum zur Darstellung der 
Gegenwart befähigt ist, so repräsentiert es die erste Betrachtungs- 
weise, das Perfektivum hingegen, das nicht dazu verwendet werden 
kann, ist die Darstellung der zweiten Betrachtungsweise. Prinzi- 
pielle Bedenken aber lagen, wie wir zuletzt sahen, gegen eine 
Erklärung der imperfektiven Verbalformen im Sinne der ersten 
Betrachtungsweise ebensowenig vor wie gegen eine Erklärung 
der perfektiven im Sinne der zweiten Betrachtungsweise. 

Nicht einbegriffen in die Untersuchung war die Verwendung 
perfektiver Verben ın allgemeinen Sätzen, Sprichwörtern usw. 
Ich werde sie unten bei der Betrachtung der syntaktischen Ver- 
wendung der Aspekte im Sinne der obigen Definition noch aus- 
führlich zu besprechen haben. Hier sei ihretwegen zunächst nur 
darauf hingewiesen, daß die bisherigen Untersuchungen nur solchen 
Handlungen galten, die einen Zeitstellenwert haben. Denn auch 
die als psychologische Gegenwart dargestellten Handlungen haben 
stets einen solchen, wenn sie auch nicht in ihm betrachtet werden. 
Die in allgemeinen Sätzen usw. ausgesagten Handlungen aber 
haben keinen Zeitstellenwert und können demnach hier un- 
berücksichtigt bleiben. 

Nachdem ich also meine oben dargelegte Anschauung über 
die Funktion der Aspekte erläutert habe, trete ich jetzt der Auf- 
gabe näher, sie zu beweisen. Dabei ist nun zu betonen, daß es 


Studien zum slavischen Verbalaspekt. 87 


einen direkten Beweis für sie — wenn man meine logischen 
Deduktionen nicht als solchen nehmen will — naturgemäß nicht 
geben kann. Es ist vielmehr nur möglich zu zeigen, daß die 
Tatsachen meiner Theorie nicht widersprechen. Diesen indirekten 
Beweis gedenke ich im folgenden in der Weise zu führen, daß 
ich erstens die verschiedenen Aktionsgattungen und zweitens den 
syntaktischen Gebrauch der Aspekte in seinen Einzelheiten darauf 
untersuche, ob meine Theorie sich ihnen widerspruchslos fügt. 
Bevor ich jedoch diesen indirekten Beweis antrete, will ich noch- 
mals in einem kurzen Kapitel auf den Vollendungsbegriff zurück- 
kommen. 


5. Die Begriffe „vollendet“ und „dauernd“ im Lichte 
meiner obigen Erklärung der Aspekte. 


Im Kapitel 2 hatte ich den Begriff der Vollendung in dem 
spezifischen der lexikalischen Verbalbedeutung inhärierenden 
Sinne des erreichten Resultats als Grundlage für die Aspekt- 
erklärung abgelehnt. Nach meinen Ausführungen aber tritt er 
‚als Folgeerscheinung einer Betrachtungsweise der aus der Zukunft 
in die Vergangenheit gerichteten Zeitstellenwerte, allerdings zu- 
nächst in einem anderen Sinne, wieder auf. Wird nämlich eine 
Handlung in ihrem Zeitstellenwert betrachtet, so wird sie in ihrer 
Gesamtdauer — „jako gotowy czyn, pod tym tylko wzgledem przed 
oczyma naszymi stający, Ze jest, byt albo bedzie spelniony“') — mit 
Anfang und Ende, denn diese gehören wesentlich zum Zeitstellen- 
wert, sofern er betrachtet werden soll, in der Betrachtung erfaßt, 
d. h. in die Präsenz projiziert. Sie steht also gewissermaßen als 
Ganzes in der Präsenz: man nimmt, mag sie nun schon geschehen 
sein oder nicht, ihren ganzen Vorgang als Betrachtungsobjekt. 
In diesem Sinne ist sie dann „vollendet“, und das heißt in der 
Zeit abgeschlossen, wobei über die Erreichung des Resultats gar 
nichts gesagt zu werden braucht. In diesem Sinne ist auch 
poczytad vollendet, d.h. ein Resultat liegt nicht vor, wohl aber 
ein in sich geschlossenes Geschehnis, denn wenn das Moment 
des Aufhörens auch nicht das betonte ist, sondern das Moment 
des nicht erreichten Resultats, so enthält poczytać doch die Vor- 
stellung, daß mit der Tätigkeit aufgehört wurde oder werden 
wird. Das aber ist es, was das slavische Perfektivum vom deut- 
schen unterscheidet, daß es nicht wie „erjagen“ notwendig den 


1) Małecki: Gramm. II, § 722: „als fertige Tat, die einem nur im Hinblick 
darauf vor Augen steht, daß sie ausgeführt worden ist, war oder sein wird“. 


88 E. Koschmieder 


Verbalbegriff im Sinne des erreichten Resultats verändern muß. 
Das Deutsche also kennt wohl eine lexikalische Gruppe mit 
resultativer Bedeutung, nicht aber grammatische Kategorien zum 
Ausdruck der oben erläuterten Betrachtungsweisen. Wenn nun 
auch der Bezeichnung „vollendet“ gerade das Fehlen der Haupt- 
sache, nämlich der Richtungsbeziehung, anhaftet, so habe ich es 
doch unterlassen, an dem in der slavischen Grammatik fest ein- 
gebürgerten Terminus „perfektiv“ zu rütteln, weil er ja nur eine 
Beziehung zum Begriff „vollendet“ ausspricht und sich eine solche 
tatsächlich, wenn auch als sekundär, nachweisen läßt. Daß nun 
der Vollendungsbegriff im Sinne des erreichten Resultats sich 
bei den meisten perfektiven Verben findet, liegt erstens in der 
Natur der perfektiven Betrachtungsweise, insofern als bei Kom- 
position mit stark vollendungsbetonenden Präfixen eine bis zu 
ihrem Ende ausgeführte Tätigkeit — und das ist sie in perfek- 
tiver Betrachtung — auch das in diesem Ende liegende Resultat 
mitenthält. Zweitens aber hat das seinen Grund darin, daß das 
Slavische zur Bildung der grammatischen Kategorie des Perfek- 
tivums gerade die Komposition verwendet. Es wird uns das so- 
fort klar, wenn wir hier zum Vergleich die Verhältnisse heran- 
ziehen, die im Englischen vorliegen. Die grammatischen Kate- 
gorien für die beiden Aspekte kommen im Englischen durch eine 
Betonung der psychologischen Gegenwart zu Stande, insofern 
als gerade zu diesem Zweck die in dieser Beziehung ganz ein- 
deutige „Dauerform“ durch Umschreibung mit dem Partizipium 
Präsentis gebildet wird, während das Simplex ohne Zwang der 
Präfigierung die Stelle des slavischen perfektiven Kompositums 
vertritt. Die Vollendung wird dabei so wenig betont, daß man 
oft Sätze lesen kann wie: „But all through this dismal winter the 
Pilgrims laboured at their heavy task“, wo man im Polnischen, 
das den Begriff der Perfektivität aus den eben erörterten Gründen 
enger, den der Imperfektivität aber — auch wegen der formellen, 
ja auf dem Iterativum beruhenden Bildung — weiter faßt, nur: 
pielgrzymowie pracowali ... (imperfektiv) — sagen könnte. Das 
perfektive popracowali wäre wegen der Betonung des „Ein-wenig“ 
in diesem Zusammenhange unmöglich. Jedoch muß man sich 
hüten, diese englischen Parallelen zunächst für mehr als einen 
erläuternden Vergleich anzusehen. In beiden Sprachen spielen 
zu viel besondere Verhältnisse mit, als daß man das Wesen der 
Dinge ohne eingehendere Untersuchung sogleich erkennen könnte. 

Was nun das „Dauernde“ im Imperfektivum betrifft, so halte 


Studien zum slavischen Verbalaspekt. 89 


ich es für recht bezeichnend, daß viele Gelehrte für die Erklärung 
dieses Aspekts gerade das Partizipium Präsentis „dauernd“ ver- 
wenden. Diese Form nämlich bezeichnet an sich schon die für 
das Imperfektivum so charakteristische Richtung aus der Ver- 
gangenheit in die Zukunft. Von großem Interesse ist es schließ- 
lich, daß H. Bauer in seiner oben schon genannten Arbeit (Die 
Tempora im Semitischen) das hebräische Imperfektum — nach 
unseren Vorstellungen den imperfektiven Aspekt — geradezu auf 
diese Weise erklärt (S. 26): „Das Imperfekt bezeichnet im He- 
bräischen die der Zeitsphäre eines Participium praesentis ent- 
sprechende Handlung.“ In diesem spezifischen Sinne der Richtung 
— nicht aber der Zeitausdehnung einer Handlung — ist also 
auch dieser Terminus berechtigt. 


6. Die Aktionsarten im Lichte des Verbalaspekts. 


Die Aktionsart ist eng mit der Verbalbedeutung, d. h. mit dem 
Bedeutungsinhalt eines jeden Verbums verknüpft. Es ist ohne 
weiteres einleuchtend, daß der Gesamtbestand an Zeitworten in 
einer Sprache sich in Gruppen danach einteilen läßt, in welcher 
Art und Weise die im Verbum ausgedrückte Tätigkeit ausgeführt 
oder vor sich gehend zu denken ist. So sicher es nämlich ist, 
daß einerseits eine große Zahl von Verbalbedeutungen an und 
für sich noch nichts über die Ausführung zu sagen braucht, so 
daß diese sehr oft durch andere Satzteile ausgedrückt wird, so 
sicher tragen auch wieder viele Verbalbegriffe von Hause aus 
kraft ihrer Bedeutung bestimmte actiones in sich. Denken wir 
beispielsweise an gewisse Grenzwerte wie „sterben“, „platzen“ 
oder Ähnliches, so ist es von vornherein klar, daß diese Verba 
eine gewisse punktuelle Bedeutung haben: wenn der Tod eintritt, 
ist der betreffende auch schon gestorben. Aber die Zahl solcher 
Verbalbedeutungen ist im allgemeinen doch verhältnismäßig gering. 
In den meisten Sprachen bedarf die größte Zahl der Verben noch 
erst einer näheren Bestimmung, wenn ausgedrückt werden soll, 
wie im gegebenen Falle die Handlung vor sich ging. Das Pol- 
nische und überhaupt das Slavische aber hat die Fähigkeit, die 
Art und Weise der Ausführung durch Alterationen des Verbums 
mit Hilfe von Präfixen und Stammänderungen in weitgehendem 
Maße auszudrücken. Natürlich bleibt auch hier in sehr vielen 
Fällen der Ausdruck der Art und Weise den adverbiellen 
Bestimmungen vorbehalten. Es erscheint also von Interesse, 
welche Arten von adverbiellen Begriffen im Polnischen durch 


90 E. Koschmieder 


Verbalkategorien ausgedrückt werden. Stanislaw Szober, der in 
seiner Gramatyka jez. polsk. (wyd. 2. 1923) den Aktionsarten einige 
Seiten widmet, sagt darüber folgendes (S. 147): $ 262 „Die Formen 
der Aktionsart weisen hin 1) auf die Grenze der Dauer der Hand- 
lung, 2) auf den zeitlichen Verlauf, 3) auf den quantitativen Ver- 
lauf, 4) auf den qualitativen Charakter und 5) auf den quanti- 
tativen Charakter der Handlung“. Dabei meint er mit der unter 
1) genannten Kategorie die Aspekte, indem er erklärt: „der 
Bereich der Dauer (zakres trwania) einer Tätigkeit kann voll- 
kommen erschöpft oder nicht erschöpft sein. Im ersten Falle 
haben wir es mit der perfektiven ..., im zweiten Falle mit der 
imperfektiven Aktionsart (rodzaj czynnosci) zu tun ...* Bei der 
2. Gruppe versteht er unter zeitlichem Verlauf, die die Tätigkeit 
tatsächlich in Anspruch nehmende Zeit, die entweder momentan 
oder von einer bestimmten Ausdehnung sein kann. Die 3. Haupt- 
gruppe umfaßt die einmalige und die mehrmalige Handlung. Die 
unter 4) und 5) genannten Gruppen bedürfen jedoch vorerst noch 
einer Erklärung. Zu 4) sagt er auf S. 150: „Wenn wir solche 
Verben zusammenstellen wie: grad — odegrać, malować — odmalo- 
wad, deklamowad — oddeklamowald, rysować — odrysowad, so wird 
ersichtlich, daß die Ausdrücke: ‘odegrad’, “odmalowad’ usw. im 
Verhältnis zu: grad, malować auf eine in ihrer Ausführung und 
ihrem Ergebnis qualitativ vollkommene Tätigkeit hinweisen. Eine 
solche Aktionsart könnte man eine qualitative nennen.“ — Zu 
5) sagt er ebenda fortfahrend: „In der gantitativen Aktionsart, 
die auf den quantitativen Charakter der Tätigkeit hinweist, muß 
man mehrere Abarten unterscheiden: 1) die augmentative Aktions- 
art bezeichnet eine Tätigkeit, deren Kraft nach Maßgabe ihres 
Vorwärtsschreitens quantitativ fortwährend anwächst, z. B. roz- 
palad (entflammen) ... wzrastać (erwachsen); 2) die majorative 
. Aktionsart bezeichnet eine Tätigkeit, deren Ergebnis den vorigen 
Zustand übertrifft, z. B. wzbogacać (bereichern), wzmacniać (kräf- 
tigen). 3) Die effektive Aktionsart bezeichnet eine Tätigkeit mit 
einem quantitativ bedeutenden Ergebnis z. B. wystraszyć (hinaus- 
scheuchen, fortscheuchen) ... 4) Die intensive Aktionsart be- 
zeichnet eine Tätigkeit, in der sich nicht nur das Ergebnis son- 
dern auch die Ausführung durch einen bedeutenden Grad von 
Anspannung auszeichnet, z. B. przerazić (heftig erschrecken, er- 
schüttern) ...“ Aus dieser Aufzählung ist zweierlei ersichtlich; 
1) nämlich betreffen diese rodzaje czynnosci (Aktionsarten) den 
zeitlichen Ablauf oder aber den Charakter hinsichtlich der Voll- 


Studien zum slavischen Verbalaspekt. 9i 


kommenheit oder der Intensität der Tätigkeiten, denn auf diese 
Generalnenner lassen sich wohl die genannten Kategorien bringen, 
2) aber sind alle diese Unterschiede lexikalischer Natur, hervor- 
gerufen zum großen Teil durch die den betr. Präfixen inne- 
wohnende Bedeutung, so wie wir oben die Verba „vollendeter“ 
Bedeutung als lexikalische Gruppe erkannten. Ausgenommen 
davon ist jedoch die Aspektgruppe, denn die Aspekte haben, wie 
ich oben darstellte, syntaktische Funktionen und nicht wie die 
hier aufgeführten Gruppen eine lexikalische Bedeutung. 

Nun walten aber gewisse Beziehungen zwischen den Aktions- 
arten und den Aspekten, die sich beim Ausdruck gewisser Aktions- 
arten in den Aspekten äußern. Eine Untersuchung dieser Be- 
ziehungen ist hier deswegen erforderlich, weil sie uns eine Mög- 
lichkeit an die Hand geben, die oben dargelegten Anschauungen 
über die Funktionen der Aspekte zu prüfen. Wie ich nun soeben 
an Szober’s Darstellung zeigte, stellen die Aktionsarten die zeit- 
liche Seite (d. h. Zahl und Dauer) der Vorgänge oder ihren 
Charakter (hinsichtlich der Vollkommenheit oder der Intensität) 
dar. Von einer an und für sich natürlich möglichen Nachweisung 
anderer Gruppen auf Grund neuer Einteilungsprinzipien soll hier 
selbstverständlich abgesehen werden, da die genannten für unsere 
Zwecke vollkommen genügen. Wie es nun natürlich ist, daß 
nur in Bezug auf ihren Charakter näher bestimmte Vorgänge 
sich ohne Schwierigkeiten stets vom Standpunkt beider Aspekte 
betrachten lassen, so ist es auch ganz klar, daß hinsichtlich ihrer 
Zeitausdehnung charakterisierte Vorgänge in bestimmten Fällen 
nicht vom Standpunkt beider Aspekte betrachtet werden können. 
Denn das Aspektsystem ist ja auf der psychologischen Gegenwart 
begründet und hat mithin selbst Beziehungen zur Zeit, die von 
denen der betr. Aktionsarten gekreuzt werden können. Punk- 
tuelle, d. h. zeitlich ausdehnungslose Vorgänge nämlich können 
vermöge ihrer Ausdehnungslosigkeit nicht als psychologische 
Gegenwart dargestellt werden. Und so fehlen sie auch im im- 
perfektiven Aspekt, was aus Szober’s Darstellung sowie aus dem 
von Łoś in der Encykl. polska aufgestelltem System ganz klar 
ersichtlich ist und auch anderwärts mehr oder weniger stark 
betont wird. Es ist das also eine Bestätigung dessen, was ich 
oben in der prinzipiellen Erörterung über Gegenwart und punkt- 
föürmigen Stellenwert ausgeführt habe. Als Beispiel für diese 
Verhältnisse will ich hier das Verb umrzeć „sterben“ anführen. 
Der Begriff des Sterbens stellt gewissermaßen den Trennungs- 


992 E. Koschmieder 


punkt zwischen Leben und Tod dar, die direkt aneinanderstoßen, 
und ist demnach zeitlich ausdehnungslos. Nun gibt es zwar zu 
diesem Verb ein Imperfektivum umierać. Das hat jedoch unter 
dem Einfluß des Aspekts seine Bedeutung geändert, denn es 
bedeutet nicht eigentlich „sterben“, sondern „den Todeskampf 
kämpfen“. So kann man sagen: ten starzec już umiera caty dzień, 
ale dotychczas nie umart „dieser alte Mann kämpft schon den 
ganzen Tag mit dem Tode, aber bis jetzt ist er noch nicht ge- 
 storben“. Nun kann man aber auch sagen: Panuje tam straszna 
epidemja; ludzie umierają setkami: „Es herrscht dort eine schreck- 
liche Epidemie; die Menschen sterben zu Hunderten.“ Dieser 
Gebrauch scheint dem eben Gesagten zu widersprechen. Allein 
der Widerspruch ist nur ein scheinbarer. Es handelt sich nämlich 
hier um viele Todesfälle, und es wird somit nicht von einem 
Moment, sondern von vielen gesprochen, so daß graphisch der 
Fall..... vorliegt. Diese vielen Momente bilden einen Zustand, 
der eine zeitliche Ausdehnung hat und daher sehr wohl einer 
imperfektiven Darstellung fähig ist. Die perfektive Ergänzung 
zu umierać bildet poumierad bzw. powymierad, das graphisch ebenso 
den Fall..... darbietet. Das heute seltene mrzec (imperf.) kann 


nur wie umierać im iterativen Sinne oder auch in übertragener ` 
Bedeutung gebraucht werden. Daraus ist also ersichtlich, daß 


es eine genaue imperfektive Entsprechung zu umrzeć nicht ‚gibt. 

Nun gibt es zwei Kategorien von momentanen Verben: 
1) solche, die es wie umrzeć als Grenzwerte ihrer Bedeutung 
nach sind, 2) solche, die durch Stammmbodifikationen dazu ge- 
macht werden wie krzyknąć „einen Schrei tun“. Die erstge- 
nannten ändern ihre Bedeutung entsprechend, wenn sie imper- 
fektiv gebraucht werden, die anderen weisen beim imperfektiven 
Gebrauch nicht die für das Momentane charakteristische Stamm- 
bildung auf wie krzyczed und haben dementsprechend auch dann 
keine momentane Bedeutung. Die Behandlung der „momentanen“ 


Verba also steht mit meinen Anschauungen über die Funktion ` 


der Aspekte in keinem Widerspruch. 

Die zweite mit der Zeit in Beziehung stehende Gruppe von 
Aktionsarten charakterisiert Tätigkeiten, die eine Dauer haben. 
Solche Tätigkeiten können natürlich vom Standpunkt beider 
Aspekte betrachtet werden. Szober teilt diese Aktionsarten 
folgendermaßen ein: 

1) rodzaj trwaty:  ubiec ułożyć 
durativ laufen legen 


Studien zum slavischen Verbalaspekt. 93 


23) r. wynikowy: zbiec (drogę) zlozyd 
resultativ durchlaufen (einen Weg) ablegen 
3) r. wstepujgey: rozptakac sie zakwitngd 
ingressiv in Thränen ausbrechen erblühen 
zakwilic u 
zu wimmern anfangen 
4) r. zstepujacy: dobiec dokwitnge 
kompletiv erlaufen (d.i. das Ziel erreichen) abblühen 
5) r. ciągły: przebiec przespać przesiedzieć 
perdurativ durchlaufen durchschlafen durch- oder 
versitzen 
6) r. przemijajgey: poptakac pospad posiedzieć 
praeteritiv eine Zeitlang weinen schlafen sitzen 
7) r. skutkowy: pomścić pogardzić 
consecutiv rächen verachten oder verschmähen 
8) r. zakończony: zatracić zagasic. 
definitiv vernichten auslöschen. 


Ohne mit den vielfach nicht zutreffenden Bemerkungen 
Szober’s hier rechten zu wollen, müssen wir uns doch mit einer 
Tatsache auseinandersetzen. In einigen der angeführten Aktions- 
arten wird, wie Szober zweifellos richtig betont, zum Ausdruck 
gebracht, daß der Sprechende irgend eine Phase der Handlung, 
sei es nun Anfang oder Ende oder auch die Erreichung des Re- 
sultats, besonders hervorhebt. Das aber weckt den Anschein, als 
sagten diese Aktionsarten etwas über die Betrachtungsweise des 
Sprechenden aus. Nun hatte ich oben gesagt, die Aspekte 
stellten die Betrachtungsweise, die Aktionsarten hingegen die Art 
und Weise, wie die Handlung vor sich geht, näher dar. Dabei 
aber handelt es sich im vorliegenden Falle stets um Aktionen im 
perfektiven Aspekt. Die dazugehörigen Imperfektiva nämlich 
betonen die entsprechenden Phasen der Handlung nicht, wie man 
leicht aus der Gegenüberstellung von dojdę do tego und dochodzę 
do tego domu sehen kann, denn dochodze hat dabeı die Bedeutung: 
„ich befinde mich auf dem Wege zu diesem Hause“. Die Lösung 
der Frage liegt auf der Hand. Der Aspekt tritt ja nie ohne 
Aktionsart und die Aktionsart nie ohne Aspekt auf. Beide zu- 
sammen geben dem Verbum neben seiner Wurzelbedeutung den 
charakteristischen Bedeutungsinhalt. Wenn wir also sehen (vgl. 
auch Szober’s Tafel), daß dieses, besondere Phasen in der Hand- 
lung betonende Moment lediglich Aktionsarten im perfektiven 
Aspekt zukommt, so liegt es ja von vornherein sehr nahe, die 


94 E. Koschmieder 


Ursache auch im Aspekt und nicht allein in der Aktionsart zu ` 


suchen. Und in der Tat ist ja die Betonung einer Phase in einer 


ganzen Handlung nur da möglich, wo die ganze Handlung be- ` 


trachtet wird, d. h. im perfektiven Aspekt. Die Bestimmung der ` 


betr. zu betonenden Phase aber wird durch die Bedeutung des 
Präfixes bedingt. Wie wir also oben sahen, daß der perfektive 
Aspekt die Möglichkeit für die „Vollendungs“-Bedeutung präfi- 
gierter Verben bietet, so sehen wir auch hier, daß er die Mög- 
lichkeit für die Betonung bestimmter Phasen an die Hand gibt. 

Etwas loser mit der Zeit verknüpft ist die Aktionskategorie, 
die angibt, ob die betreffende Handlung einmal oder mehrere 
Male vor sich geht. Wie nun — abgesehen von den einmaligen 
momentanen Tätigkeiten und Vorgängen — die einmaligen ohne 
Schwierigkeiten vom Standpunkt beider Aspekte betrachtet werden 
können, so stehen auch, wie schon früher bemerkt, einer solchen 
doppelten Betrachtung mehrmaliger Vorgänge keine prinzipiellen 
Bedenken entgegen. So kennt auch die Sprache mit der soeben 
gemachten Einschränkung einmalige und mehrmalige Verben in 
beiden Aspekten, worüber sich weitere Auslassungen erübrigen 
dürften. 

Aus diesen Ausführungen dürfte mit hinreichender Deutlich- 
keit hervorgehen, daß das Verhalten der Sprache hinsichtlich der 
Beziehungen zwischen Aktionsarten und Aspekten meinen An- 
schauungen über die Aspekte nicht nur nicht. widerspricht, sondern 
sie sogar in gewisser Hinsicht zu stützen scheint. 

Nun ist es üblich, an einer solchen Stelle wie die, an der 
wir uns in unserer Untersuchung befinden, eine tabellarische 
Übersicht über Aspekte und Aktionsarten zu geben. Ich will 
hier davon absehen, da es sich dabei ja um eine möglichst voll- 
ständige Aufzählung der actiones handelte und nicht diese, sondern 
die Aspekte im Mittelpunkt meiner Betrachtungen stehen. Es 
sei mir nur gestattet, zu diesen schematischen Darstellungen eine 
Bemerkung zu machen. Ich hob schon oben hervor, daß die 
Einteilungsprinzipien, nach denen der ganze Bestand an actiones 
zerlegt wird, sich nicht ausschließen, ebensowenig wie dies bei 
einer Zerlegung der Nomina in Konkreta und Abstrakta, Kol- 
lektiva und Einzeldinge, Verkleinerungs- und Vergröberungsworte 
u. a. m. der Fall ist. Es wird sich daher für die Aufstellung 
solcher Tabellen aus Gründen der Verständlichkeit zunächst immer 
empfehlen, gerade diesen Umstand besonders hervorzuheben, da 
sich aus ihm ergibt, daß gewisse Züge einzelner actiones bei 


Studien zum slavischen Verbalaspekt. 95 


anderen auch auftreten müssen. Weiter dürfte es aus diesem 
Grunde von Nutzen sein, nach Aufzählung der Einteilungsprinzi- 
pien jedes von ihnen besonders zu behandeln, und dabei zu 
zeigen, wie es von den übrigen durchkreuzt wird. Das Ver- 
hältnis der actiones aber zu den Aspekten wird am deutlichsten, 
wenn man es nach der Darstellung der Aktionsarten erläutert, 
indem man etwa zeigt, welche von den besprochenen actiones 
in beiden und welche nur in einem Aspekt auftreten. 

Ich kann mich nunmehr der Frage zuwenden, ob der syn- 
taktische Gebrauch der Aspekte ihrer Definition entspricht. 


7. Die Definition der Aspekte im Lichte ihres 
syntaktischen Gebrauchs. 

Bezüglich der Verwendungsmöglichkeit der Aspekte gibt es 
logischerweise drei Fälle: 

1) es sind beide Aspekte möglich, 
2) es ist nur der perfektive möglich, 
3) es ist nur der imperfektive möglich. 

Nach diesen drei Gruppen will ich im folgenden die Haupt- 
verwendungstypen der Aspekte ordnen und dabei festzustellen 
versuchen, ob sich hier irgend welche Widersprüche zu meiner 
Definition geltend machen. 

Beide Aspekte treten zunächst auf im praesens abstractum. 
Wie bekannt wird nämlich im Polnischen, wie im Slavischen 
überhaupt, das formale Präsens perfektiver Verben in Sprich- 
worten und Sentenzen, Sätzen von allgemeiner Gültigkeit und 
bei adverbiellen Bestimmungen der ÖOftmaligkeit wie czasem, 
czasami, niekiedy, często, zawsze u. a. neben dem imperfektiver 
Verben in nichtfuturischer Bedeutung verwendet‘). Ich sage ab- 
sichtlich: „nichtfuturisch* und nicht: präsentisch, weil der Aus- 
druck präsentisch, der sonst in diesem Zusammenhange meist 
gebraucht wird, zu Mißverständnissen führen muß. Es handelt 
sich hier nämlich nicht um eine psychologische Gegenwart im 
Sinne der Antwort auf die Frage: was machst du da? Das 
spezifische Kennzeichen einer solchen Gegenwart ist es nämlich, 
daß sie einen Zeitstellenwert besitzt, und meine Definition be- 
ruhte gerade auf dem unterschiedlichen Verhalten der Aspekte 
im Ausdruck von Ereignissen mit festem Zeitstellenwert. Die in 
Sprichworten usw. ausgedrückten Handlungen aber haben keinen 


1) Vgl. A. Musić: Zum Gebrauch des Praesens verbi perfectivi im Slavi- 
schen (Archiv f. slav. Phil. XXIV 479—514). 


96 E. Koschmieder 


Zeitstellenwert, denn es handelt sich dabei ja um allgemeine 
Wahrheiten, weswegen man das dabei angewandte Präsens mit 
Recht ein praesens abstractum nennen kann. 

Betrachten wir zunächst die Sprichworte und Sentenzen. 
Die Fälle sind so zahlreich und allgemein bekannt, daß ich mich 
mit der Anführung einiger weniger Beispiele begnügen kann. 
Kruk krukowi oka nie wykole: „Eine Krähe hackt einer anderen 
kein Auge aus.“ — Jak sobie poscielesz, tak sie wyspisz: „Wie man 
sich bettet, so schläft man.“ — Bóg nie opuści, kto sie nan spuści: 
„Gott verläßt nicht den, der sich auf ihn verläßt.“ — Kogo Bög 
chce skarad, temu wprzöd rozum odejmie: „Wen Gott strafen will, 
dem nimmt er zuerst den Verstand.“ — Głupi, kiedy milczy, za 
mądrego ujdzie: „Ein Dummer gilt, wenn er schweigt, für einen 
Klugen.“ — Kon ma cztery nogi a potknie sie: „Das Pferd hat 
vier Beine und stolpert [doch]* — und viele andere, die ein per- 
fektives Verbum aufweisen. Dem gegenüber steht eine sehr große 
Zahl von Sprichwörtern mit imperfektiven Verben wie z. B.: 
Reka rekę myje: „Eine Hand wäscht die andere.“ — Wie sich 
die Fälle zahlenmäßig zueinander verhalten, habe ich nicht fest- 
gestellt, jedoch möchte ich annehmen, daß der Gebrauch des 
Imperfektivums überwiegt. 

Für allgemeine Sätze will ich ein Beispiel anführen, das ich 
s. Zt. Am Kurjer Polski las (1925, Nr. 153, S.4). Der betreffende 
Artikel handelte über den Schülerselbstmord. Es ist da zunächst 
wörtlich ein Beispiel eines kurzen Zeitungsberichtes über so ein 
Ereignis angeführt. Darauf spricht sich die Verfasserin folgender- 
maßen aus: „Zaledwie kilka wierszy druku, rzuci sie na nie okiem, 
przeczyta, potem przejdzie do innych wzmianek i artykułów, gazetę 
sie schowa lub spali i na tem koniec!“: „Kaum ein paar Druck- 
zeilen, man wirft ein Auge darauf, liest sie durch, dann geht 
man zu anderen Notizen und Artikeln über, die Zeitung hebt 
man auf oder man verbrennt sie, und damit Schluß!“ Wenn also 
in diesen allgemeinen Ausführungen nur perfektive Verben an- 
gewandt sind, wofür sich natürlich noch massenhaft andere Bei- 
spiele finden ließen, so gibt es natürlich wohl ebensoviele Fälle, 
in denen imperfektive Verba verwendet werden. Dieser Gebrauch 
des Imperfektivums etwa wie in zdarzają sie takie wypadki „Es 
kommen solche Fälle vor“ ıst so selbstverständlich und bekannt, 
daß ich mir Beispiele sparen kann. 

Für die Verwendung beider Aspekte bei zawsze usw. kann 
ich auf die Beispiele verweisen, die Krasnowolski in seiner Syste- 


Studien zum slavischen Verbalaspekt. 97. 


matyczna składnia auf S. 193 anführt. Um wenigstens eins zu 
bringen, führe ich folgende Verse aus Fredro, Mąż i żona an 
(Wyd. zup. Chmielowskiego, Warszawa 1897, t. I, 194): 

„Gdzież byłbym w stanie pisać te arkusze? 

Ale gdy codzień jeden list dać musze, 

Siedzi tam przy mnie jeden Francuz stary, 

Co gada dużo i pisze bez miary. 

Jemu więc czasem dyktuje, 

Czasem beze mnie przepisuje, 

Czasem co doda, ja potem poprawię 

I tak co doba jeden list wystawię“ '). 

Auch das schöne Beispiel aus Sienkiewicz, das Boehme: Die 
Actiones, S. 8 anführt, gehört hierher. 

Wie verhält sich nun die Tatsache des Gebrauchs beider 
Aspekte in den angeführten Fällen zu den von mir angenom- 
menen Funktionen der Aspekte? 

Die hier genannten Fälle sind nach einem neuen Einteilungs- 
prinzip gegenübergestellt. Bezeichneten die Aspekte die Rich- 
tungsbezogenheit in der Betrachtung von Ereignissen mit Zeit- 
stellenwert, so haben wir es hier mit solchen ohne Zeitstellen- 
wert zu tun. Man könnte demnach dieses Einteilungsprinzip 
etwa mit Geltungsbereich bezeichnen. Es handelt sich nämlich 
bei den soeben angeführten Fällen um das, was man auch die 
neutrale oder indefinite Form °) genannt hat. Die Aussagen haben 
eine abstrakte Geltung. Diese (xeltungskategorien, die nur logische 
Kategorien geblieben sind und nicht zu grammatischen geworden 
sind, können aber prinzipiell mit den grammatischen Betrachtungs- 
kategorien der einen dieser Geltungskategorien gar nicht in Kon- 
flikt geraten. Ich will das durch eine vollkommene Parallele aus 
der Deklination erklären und zugleich bestätigen. | 

In der Deklination der Nomina treffen wir zunächst auf die 
Bedeutungskategorien: Konkreta und Abstrakta. Ihr Verhältnis 
zum Numerus wurde oben schon erörtert. Von diesen Bedeu- 
tungskategorien aber zu unterscheiden sind Kategorien abstrakten 


1) Wo wäre ich imstande, diese Bogen vollzuschreiben? Aber da ich jeden 
Tag einen Brief liefern muß, sitzt da ein alter Franzose bei mir, der viel spricht 
(imperf.) und maßlos viel schreibt (imperf.). Ihm also diktiere ich (imperf.) 
manchmal, manchmal schreibt er ohne mich ab (imperf.), manchmal fügt er was 
hinzu (perf.), und ich verbessere es später (perf.), und so bringe ich jeden Tag 
einen Brief zustande (perf.). 

2) Vgl. M. Deutschbein: Sprachpsychol. Studien [1] 1918, 5ff. ! 

Zeitschrift für vergl. Sprachf. LVI 1/2. 7 


98 E. Koschmieder 


und konkreten Gebrauchs eines Substantivums, sagen wir die 
Geltungskategorien. Wenn ich z. B. sage: der Vogel singt —, 
und ich meine damit :nicht eine im Augenblick tatsächlich vor 
sich gehende Handlung eines bestimmten vor mir befindlichen 
Vogels, sondern vielmehr eine allgemeine Tatsache, so ist der 
Geltungsbereich dieser Aussage ein abstrakter im Gegensatz zum 
konkreten Fall: der Vogel singt = mein Zeisig singt gerade. 
Dabei hat nun „der Vogel“ eine abstrakte Geltung, obgleich das 
Nomen „Vogel“ der Bedeutungskategorie der Konkreta angehört. 
Nun ist dieses logische Kategorienpaar der abstrakten und kon- 
kreten Geltung nicht zu einem grammatischen geworden, so daß 
man sich zur Darstellung dieses abstrakten Sinnes der sprach- 
lichen Ausdrucksmittel bedienen muß, die in den grammatischen 
Kategorien an Formen für die Bedeutungskategorien der Konkreta 
und Abstrakta vorliegen. Nun erscheinen diese Konkreta und 
auch die Abstrakta entweder im Singular oder im Plural. Daher 
treten die logischen Kategorien abstrakter Geltung notgedrungen 
im Singular oder im Plural auf, ohne daß die Funktion des Nu- 
merus dabei zur Geltung kommt, denn gemeint ist eigentlich 
weder ein Singular noch ein Plural. Daher hat der Satz: die 
Vögel singen — in abstrakter Geltung genau den selben Sinn 
wie: der Vogel singt. 

Genau derselbe Vorgang liegt beim Gebrauch beider Aspekte 
im Präsens abstractum vor. Eine Bedeutungskategorie abstrakter 
Verben ist zwar, allerdings in sehr bescheidenem Umfange, im 
Typ nosić, chodzić, lutad usw. im Gegensatz zu niesc, iść, lecieć 
usw. vorhanden; eine grammatische Kategorie abstrakter und 
konkreter Geltung gibt es aber nicht. So kommen auch die für 
die beiden Funktionen innerhalb des konkreten Geltungsbereichs 
gebildeten grammatischen Kategorien der Aspekte im abstrakten 
Geltungsbereich nicht zur Auswirkung, wie beim Nomen in ab- 
strakter Geltung die Funktion des Numerus. 

Aus diesen Ausführungen geht mit hinreichender Deutlichkeit 
hervor, daß der Gebrauch beider Aspekte im Präsens abstractum 
mit meinen Anschauungen über ihre Funktionen nicht im Wider- 
spruch steht. Natürlich aber ist damit in keiner Weise etwa das 
Präsens abstractum als solches erschöpft. Seine Behandlung soll, 
da sie hier zu viel Raum einnähme, einer späteren ausführlichen 
Darstellung der Syntax der Aspekte vorbehalten. bleiben. 

Von Interesse ist noch, daß andere Sprachen, die einen 
Verbalaspekt kennen, sich im vorliegenden Falle ganz ähnlich 


Studien zum slavischen Verbalaspekt. 99 


verhalten. So verwendet das Griechische für das Präsens abstrac- 
tum sowohl das formelle Präsens als auch den gnomischen Aorist, 
der auch hier trotz Augment und sekundärer Endung keine Ver- 
gangenheit bezeichnet. Ferner verwendet auch das Hebräische 
zum Ausdruck solcher allgemeinen Wahrheiten sowohl das „Per- 
fectum“ als auch das „Imperfectum“ "1. Besonderes Interesse ver- 
dienten auch die Verhältnisse im Englischen. Dort nämlich ist 
anscheinend eine Aspektdualität auf Grund der rein gegenwärt- 
lichen Bedeutung der mit dem Partizipium Präsentis umschriebenen 
Dauerform entstanden, wobei das regulär flektierte Verb gerade 
dieser stark ausgeprägten Bedeutung wegen die abstrakte Funk- 
tion allein übernehmen mußte. Die perfektive Funktion des 
regulär flektierten Verbs konnte daher nicht so deutlich zur Ent- 
faltung kommen, da die abstrakte Geltung von zu starkem Ein- 
fluß war, jedoch läßt sie sich immerhin noch deutlich spüren. — 

Zwei weitere Fälle uneigentlicher Verwendung des formellen 
Präsens, in denen sich beide Aspekte nebeneinander finden, sind 
das Praesens propheticum und das Praesens historicum. Unter 
dem Praesens propheticum verstehe ich den Gebrauch des formellen 
Präsens zum Ausdruck einer in der Zukunft liegenden Handlung. 
Daß in diesem Sinne der perfektive Aspekt weitgehende Ver- 
wendung findet, bedarf nach meinen Ausführungen über die Funk- 
tion der Aspekte weder der Beispiele noch der Erörterung. Aber 
auch der gewiß nur sehr seltene imperfektive Aspekt in dieser 
Verwendung überrascht uns nicht, wenn wir uns nur vorhalten, 
wie oft uns der Ausdruck der Zukunft durch das Präsens auch in 
anderen Sprachen entgegentritt. Da das Perfektivum in dieser 
Beziehung schon an sich klar ist, das Imperfektivum aber leicht 
auch eine rein präsentische Deutung zuläßt, muß das Zukünftige 
entweder eindeutig aus dem Zusammenhang hervorgehen oder 
durch eine adverbielle Bestimmung der Zeit verdeutlicht werden. 
Nun ist dieser Gebrauch aber keineswegs für den Aspekt typisch, 
er tritt vielmehr hauptsächlich bei einer Gruppe von Verben der 
Bewegung auf wie przyjeżdżać, wyjeżdżać, powracać?) und anderen, 
z. B.: ojciec w tych dniach przyjeżdża [impf.]) „der Vater kommt 
[d. i. wird kommen] dieser Tage“ — oder: pociqg zaraz rusza 
[impf.] „der Zug fährt gleich los“ [d.i. wird losfahren]. Der Sinn 
dieses präsens propheticum ist aber keineswegs etwa der eines 
imperfektiven Futurums, sondern er ist durchaus perfektiv und 


1) Vgl. M. Cohen: Le système verb. s&m., S. 29, 30. 
2) Vgl. Krasnowolski: Syst. składnia § 292, 2. 


100 E. Koschmieder 


zwar nicht nur nach meiner Definition der Aspekte sondern nach 
jeder. Auch Mazon, der in seinem Buch: Emplois des aspects 
(125ff.) für das Russische einige Beispiele gibt, beruft sich auf 
das gleiche Verhalten der meisten anderen Sprachen. Zweifellos 
mag die Lebhaftigkeit der Darstellung eines gewiß in nächster 
Zeit zu erwartenden Ereignisses mit der futurischen Bedeutung 
dieser Präsentia in enger Verbindung stehen. Aber erklärt ist 
damit die Erscheinung doch noch nicht. Für mich bleibt sie viel- 
mehr vorläufig eine von den unerklärbaren Einzelheiten, die sich 
ja überall in der Sprache finden. 

Aber auch das Praesens historicum weist seine Probleme auf. 
Sein Wesen besteht, wie allgemein angenommen wird, darin, daß 
der Erzähler sich in die geschilderte Zeit versetzt und nun die 
Ereignisse in großer Lebhaftigkeit als gegenwärtig berichtet. Hier 
ist es das häufige Auftreten von perfektiven Präsentien, das den 
Erklärern Schwierigkeiten bereitet. Im allgemeinen geht die An- 
sicht dahin, daß diese Präsentien ein relatives Futur zu einem 
vorangehenden imperfektiven Präsens darstellen‘). Ich schließe 
mich dieser Meinung nicht an, da imperfektive Futura in dieser 
Bedeutung nicht vorkommen. Wir haben es hier doch mit einem 
fingierten Gegenwartspunkt des Sprechenden zu tun. Diese 
Fiktion wird veranschaulicht durch den Gebrauch von Präsens- 
Formen. Trotzdem aber bleibt sie eine Fiktion, die als solche 
vom Sprechenden gemeint ist und vom Hörenden verstanden 
wird. Sie unterscheidet sich grundlegend von einer wirklichen 
Verlegung des Gegenwartspunktes in die Vergangenheit. Diese 
entsteht, wenn der Erzähler jemanden sprechen läßt. In diesem 
Falle aber sind in der direkten Rede keine perfektiven Präsentien 
möglich. So kann ich etwa erzählen: Byłem wczoraj u leśniczego. 
Rozmawialismy o rozmaitych sprawach, aż nagle zawołał: Pies 
szczeka! [impf.] (Gestern war ich beim Förster. Wir sprachen von 
allerlei Dingen, bis er plötzlich ausrief: „Der Hund bellt!“). 
Im Präsens hist. würde das etwa lauten können: Byłem wczoraj u 
lesniczego. Rozmawiamy o rozmaitych sprawach, a wtem nagle pies 
zaszczeka [perf.] (— Wir sprechen .... da schlägt plötzlich der 
Hund an.). — Natürlich kann ich den Förster nicht sagen lassen: 
pies zaszczeka — das würde stets bedeuten „der Hund wird an- 
schlagen“ —, wohl aber: zaszczekał: er hat angeschlagen, oder 
eben: szczeka: er bellt. Nach meinem Dafürhalten wird der per- 
= 1) vgl. Szober: Gram. jęz. polsk. § 582, S. 344 und Mazon: Emplois des 
asp. S. 151. 


Studien zum slavischen Verbalaspekt. 101 


fektive Aspekt hier ohne weiteres dadurch gerechtfertigt, daß es 
sich um eine Fiktion der Verschiebung des Gegenwartspunktes 
handelt, die so deutlich ist, daß eine gegenwärtliche Bedeutung 
bei diesen Präsentien gar nicht in Betracht kommt, sondern nur 
eine präteritale. Aber selbst wenn diese Erklärung nicht richtig 
wäre und man sie wirklich als relative Futura aufzufassen hätte, 
auf keinen Fall widerspricht ihr Gebrauch den Funktionen der 
Aspekte’). Ä 
Die Fälle, in denen die beiden Aspekte beim ‘Ausdruck der 
verschiedenen Zeitstufen je nach der Betrachtungsweise verwendet 
werden, bedürfen nach meinen obigen Darlegungen über die 
Funktionen der Aspekte keiner weiteren Erörterung. 

Zweitens sollten die Fälle untersucht werden, in denen nur 
die Anwendung perfektiver Formen möglich ist. Hier handelt es 
sich in erster Linie um die Darstellung von Ereignissen ohne 
Zeitausdehnung. Auch hier kann ich im einzelnen auf meine 
obigen Ausführungen verweisen und mich damit begnügen fest- 
zustellen, daß diese Verwendung des Perfektivums in ganz un- 
mittelbarer Verbindung mit den psychologischen Grundlagen der 
Aspekte steht. Ein weiterer für uns sehr wichtiger Fall der 
absoluten Verbindlichkeit des perfektiven Aspekts liegt bei der 
Bildung des Partizipiums praeteriti I auf -wszy (-s2y) vor. Diese 
Formen wie z. B. począwszy, zabiwszy, przyjechawszy, uciekszy ... 


sind indeklinabel und haben die Bedeutung: angefangen, er- 


schlagen habend; angekommen, entflohen seiend.. Von imper- 
fektiven Verben werden sie nicht gebildet. Diese Tatsache ent- 
spricht aufs genaueste der Funktion des imperfektiven Aspekts. 
Sie beruht ganz offensichtlich darauf, daß das Partizip der Ver- 
gangenheit in seinem Abhängigkeitsverhältnis zum Hauptverbum 
_ eine relative Vergangenheit ausdrückt, ganz gleich welches zeit- 
liche Verhältnis zum Zeitpunkt des Sprechens im Hauptverbum 
dargestellt wird. Wenn nun der imperfektive Aspekt zu dem in 
Rede stehenden Zeitpunkt eine Gegenwart ausdrückt, so kann er 
zur Darstellung einer solchen relativen Vergangenheit in diesem 
Falle eben nicht verwendet werden, denn beides würde sich 
widersprechen. Aber gerade der perfektive Aspekt, der ja zur 


1) Vgl. jetzt auch Doroszewski, Prace fil. X 278ff., der den Gebrauch des 
perfektiven Präsens als praes. hist. aus der Bedeutung der „kolejność“ dieser 
Formen erklärt, somit also auch von dem futurischen Ursprung absieht. Der 
wesentliche Unterschied zwischen der Auffassung als relat. Futur und als 
Stellenwert ist jedoch nur ein sehr geringer. 


102 E. Koschmieder 


Wiedergabe einer tatsächlichen Gegenwart an einem bestimmten 
Zeitpunkt nicht verwendbar ist, ist für die Bildung dieses Ver- 
gangenheitspartizipiums sehr geeignet. Betrachten wir als Bei- 
spiel folgenden Satz: Przespawszy całą godzinę, wziatem sie do pracy 
dopiero o piątej: „Nachdem ich eine ganze Stunde verschlafen 
hatte, machte ich mich erst um 5 Uhr an die Arbeit“. Wollte 
man das Partizipum hier vom imperfektiven Aspekt bilden, so 
müßte es etwa bedeuten: „Als einer, der von sich sagen konnte: 
ich schlief soeben und werde weiter 1 Stunde schlafen, machte 
ich mich erst um 5° an die Arbeit“; denn wie oben ausdrücklich 
betont, ist die Bedeutung des Aspekts für alle Formen verbind- 
lich. Dadurch aber erhielte das Part. praet. präsentische Bedeu- 
tung. Wenn auch eine solche Bedeutungsverschiebung an sich 
durchaus möglich ist, so ist doch gerade der Umstand, daß diese 
Form heut offenbar wegen ihrer Widersinnigkeit nicht gebildet 
wird, geradezu eine Bestätigung meiner Definition der Aspekte. 
Im übrigen habe ich an anderer Stelle schon ausführlich über 
diese Form gehandelt, da sie eine interessante Entwicklung in 
ihrer Verwendung durchgemacht hat. 

Es bleibt nun noch als Drittes der Fall zu besprechen, daß 
unter gewissen Umständen nur der imperfektive Aspekt verwendet 
wird. Zunächst trifft das selbstverständlich für den Ausdruck 
eines konkreten Falles in der psychologischen Gegenwart zu. Da 
wir aber von dieser Verwendung der Imperfektivität bei der 
Definition ausgegangen sind, erübrigt sich ihre Untersuchung 
hier, und ich kann sogleich zum Partizipium des Präsens über- 
gehen, das bekanntlich nur von imperfektiven Verben gebildet 
wird. Auch diese Form drückt ein relatives Zeitverhältnis zum 
Hauptverb aus: das der Gleichzeitigkeit. Man könnte sagen: sie 
dient der Darstellung eines relativen psychologischen Präsens, 
also einer Gegenwart zu dem in Rede stehenden Zeitpunkt. Da 
aber das gerade die Funktion des imperfektiven Aspekts ist und 
nicht des perfektiven, kann natürlich auch nur der imperfektive 
Aspekt hier verwendet werden. Im anderen Falle müßte auch 
hier wie beim Part. praet. I eine Bedeutungsverschiebung ein- 
treten. Es läßt sich also hier im Gebrauch der Aspekte bei den 
beiden Partizipien eine deutliche Polarität feststellen, die mir eine 
recht wesentliche Stütze meiner Anschauungen zu sein scheint. 
Auch auf das Participium praesentis bin ich an anderer Stelle 
schon ausführlich eingegangen. Ich will hier nur nochmals auf 
Bauers Ansicht über die Funktion des hebräischen Imperfektums 


Studien zum slavischen Verbalaspekt. 103 


hinweisen, der sie der eines Participiums praesentis direkt gleich- 
setzt. Interessant ist auch der Umstand, daß das Englische zur 
Veranschaulichung einer solchen relativen Gegenwart eben das 
Part. praes. in seiner Dauerform: I am going, I was going usw. 
verwendet. — Denselben relativen Zeitbezug hat auch das Verbal- 
nomen, soweit es als solches noch deutlich fühlbar ist. Wenn 
man also z.B. nur sagen kann: podczas otwierania bramy während 
der Öffnung des Tores (imperf.) — und nicht perfektiv: podezas 
otwarcia) —, so fügt sich das meiner Definition ohne Schwierig- 
keiten. — Weiter vermag ich in der ausschließlichen Verwendung 
des Imperfektivums bei Zeitbestimmungen, die auf die Frage: wie 
lange? °) antworten, sowie bei Ausdrücken, die ein Anfangen, Auf- 
hören u. ä. ausdrücken, einen Widerspruch zu meinen Anschau- 
ungen nicht zu finden. Sie alle nämlich enthalten schon in sich 
einen deutlichen Richtungsbezug aus der Vergangenheit in die 
Zukunft. Es wird in ihnen Anfangspunkt oder Endpunkt oder 
Dauer einer dem in dieser Richtung verlaufenden Ichbewußtsein 
konformen Tätigkeit angegeben. Eine weit schwierigere Frage 
aber ist: warum kann ein periphrastisches Futurum mit Hilfe des 
Zeitworts bede nur von imperfektiven Verben gebildet werden? 
Man sagt gewöhnlich, da das Perfektivum schon an sich eine Zu- 
kunft ausdrückt, kann es nicht noch mit bede verbunden werden. 
Ich glaube, daß wir hier die Sprache nicht weit genug zurück 
verfolgen können, um ein sicheres Urteil zu fällen. Immerhin 
bin ich versucht, dazu folgendes erläuternd zu bemerken: bede ist 
perfektiv, der Sprechende fixiert also damit einen in der Zukunft 
liegenden Stellenwert auf der Zeitlinie. Was aber der, von dem 
gesprochen wird, zu diesem in Rede stehenden Zeitpunkt tut, ist 
für ihn Gegenwart. Würde die Ergänzung zu bede eine perfektive 
sein, so könnte sie für den fixierten Punkt keinen Gegenwarts- 
wert haben, sondern nur Zukunft oder Vergangenheit bedeuten 
— sie soll aber gerade an diesem Zeitstellenwert Gegenwart sein. 
Danach wäre letzten Endes die Unmöglichkeit einer perfektiven 
Ergänzung zu bede eine Folge derselben Relativität des Aspekts 
im Zeitausdruck, die wir oben mit der gleichen Eigenschaft der 
Partizipien in Konflikt geraten sahen. — Mag dieser Erklärungs- 
versuch nun das Richtige treffen oder nicht, — in dem Faktum 
selbst kann ich keinen Widerspruch zu meinen Anschauungen 
über die Funktion der Aspekte sehen. 


1) Krasnowolski $ 288. 2) Krasnowolski $ 284, 1. 


104 E. Koschmieder, Studien zum slavischen Verbalaspekt. 


Einige Eigentümlichkeiten wie der Gebrauch des Imperfekti- 
vums in Sätzen wie: czy chodzites już do apteki') „bist du schon 
in die Apotheke gegangen?“ — anstatt des doch zu erwartenden 
Perfektivums, habe ich übergangen, da ich sie für Einzelheiten 
halte, die ihre Erklärung wohl anders als auf prinzipiellem Wege 
finden müssen. 

Zusammenfassend also läßt sich wohl sagen, daß der heutige 
Gebrauch der Aspekte im Polnischen, abgesehen von unbedeutenden 
Einzelheiten, mit meiner Definition in vollem Einklang steht. 


8. Schlußbemerkungen. 


Nachdem wir nun gesehen haben, daß sich weder aus dem 
Verhältnis der Aktionsarten zu den Aspekten noch aus den Haupt- 
gebrauchstypen der Aspekte nennenswerte Schwierigkeiten für 
meine Anschauungen ergeben, kann ich sie zusammenfassend 
folgendermaßen formulieren. 

Der polnische Verbalaspekt drückt den Zeitrichtungsbezug 
der Aussage aus. Dergestalt bringt der imperfektive Aspekt das 
Ausgesagte als eine aus der Vergangenheit in die Zukunft ge- 
richtete Gegenwart für den, von dem gesprochen wird, zu dem 
in Rede stehenden Zeitpunkt zur Darstellung. Daher ist auch 
die so gekennzeichnete Handlung für diesen Zeitpunkt als gerade 
„dauernd“ und infolgedessen als „unvollendet“ zu bezeichnen. 
Der perfektive Aspekt hingegen drückt aus, daß das Ausgesagte 
vom Sprechenden als Ganzes zum Zeitpunkt des Sprechens in 
seinem aus der Zukunft in die Vergangenheit gerichteten Zeit- 
stellenwert betrachtet wird, und bringt demnach eine mit Bezug 
auf ihr Vorsichgehen „vollendete“ Handlung zum Ausdruck, die 
als solche nur Zukunfts- oder Vergangenheitsbedeutung haben 
kann, sofern sie in ihrem Zeitstellenwert betrachtet wird. 

Wenn wir nun also sagen können, daß das Aspektsystem im 
heutigen Polnischen auf diesen psychologischen Grundlagen fußt, 
:so erhebt sich alsbald die Frage: sind System und Grundlagen 
schon immer die gleichen gewesen oder läßt sich hier eine Ent- 
wickelung nachweisen? Wir können dabei natürlich nur auf der 
_ sprachlichen Überlieferung fußen, die uns leider nur eine ver- 
hältnismäßig kurze Zeit in die Vergangenheit zurückführt. Am 
Beginn dieser Überlieferung finden wir das Polnische und die 
anderen slavischen Sprachen in einem Zustand vor, von dem die 
Forscher in Einmütigkeit erklären: das Aspektsystem lag bereits 


1) Krasnowolski § 285, 2. 


W. Schulze, Lesefrüchte. 105 


— abgesehen von gewissen mehr lexikalischen Einzelerscheinungen 
— voll entwickelt vor. Wie weit wir heut an dieser Ansicht 
festhalten dürfen, dazu habe ich an anderer Stelle Beiträge geliefert. 

Wie im Verlauf meiner bisherigen Untersuchungen ersichtlich 
wurde, zeigen sich die Auswirkungen des polnischen Verbal- 
aspekts heut erstens am Formenbestand des Verbums und zweitens 
. im syntaktischen Gebrauch. Um nun festzustellen, wie weit sich 
das Aspektsystem im Altpolnischen mit dem heutigen deckt, ist 
es erforderlich zu prüfen, ob die Auswirkungen des Systems im 
Altpolnischen dieselben sind wie heut. Wie wir nun oben schon 
betonten, ist dem Formenbestand des polnischen Verbums in 
Verbindung mit dem Aspektsystem eine Beschränkung eigen, 
insofern als das Participium praesentis von perfektiven Verben 
und das Participium praeteriti I auf -szy von imperfektiven Verben 
nicht gebildet werden kann. Nun weist das Altpolnische diese 
Partizipien noch in großer Zahl auf. Wenn sie sich, wie ich 
oben klarlegte, mit dem Wesen des als grammatische Kategorie 
zu bezeichnenden Aspekts nicht vertragen, so ist der Schluß 
zwingend, daß entweder im Aspekt gewisse Veränderungen vor 
sich gegangen sind oder aber die Bedeutung der Partizipien eine 
andere war. Auch diese Frage, die bisher dahin beantwortet 
wurde, daß die Bedeutung der Partizipien eine andere gewesen sei, 
ist an anderer Stelle einer erneuten Prüfung unterzogen worden. 

E. Koschmieder. 


Lesefrüchte. 

5. Das im Ahd. ganz isolierte unker zueio Otfrid III 22, 32 
findet sein genaues Seitenstück im Beowulf 2532 uncer twega. 
Vgl. an. okkr .. tveim Sigrdrifum. 4,5. Ebenso stimmt Heliand 
5593 uuit .. böthia (= wit... bútú Ags. Gen. 574, 838, vgl. 562 
inc bám twdm) zu Fäfnism. 22,3 okkr .. bidom und Volundarkv. 
36,8 ykkor beggia. Daß der Zusatz des Zahlworts zueio bei Otfrid 
nicht als Anzeichen verblaßter Dualbedeutung gewertet werden 
darf, zeigt schon der Zusammenhang: uuker zueio uuesan ein. 

6. Der Hals heißt im Litauischen kaklas (oben S. 9), weil er 
— um ein Wort Platons zu gebrauchen — das xdxiw nv xe- 
gpalıw negıdyeıw (resp. 514 B) besorgt. 

7. Daß „Zügel“ wie „Zaum“ vom „Ziehen“ benannt sind, 
wird anschaulich durch Stellen wie Notker I 230, 30 des uuerlt- 
zimberes züol zihet er und Nib. 1251 daz phert mit dem zoume 
zucken si began. W.S. 


106 Edward Schröder 


Sünde und Schande. 


„Der begriff sünde war so christlich und kirchlich, daß die 
neubekehrten völker zwischen verschiednen ihnen mehr oder 
minder gefügen ausdrücken ihrer sprache die wahl treffend erst 
durch fortgesetzten gebrauch die nothwendige bestimmtheit der 
rede erreichen konnten, und dafür den früheren wortsinn ver- 
alten lassen musten.“ 

Diesen beherzigenswerten Satz stellt Jacob Grimm an die 
Spitze einer Bemühung um die „Abstammung des Wortes Sünde“, 
die er nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf den Wunsch des 
Marburger Theologie-Professors Julius Müller (des „Sünden-Müller“) 
angestellt und in den Theolog. Studien und Kritiken 1839, S. 747 ff. 
hat drucken lassen (jetzt Kl. Schr. V 288ff.). Es fehlt diesem 
Aufsatz ganz die sieghafte Freudigkeit der Kombination die wir 
sonst an dem Altmeister gewohnt sind, der sich dann auch am 
Schlusse mit einem etwas gezwungenen Scherz über das zweifel- 
hafte Ergebnis des mühsamen Versuchs tröstet. 

Gleichwohl ist man über dies Ergebnis seither nicht wesent- 
lich hinausgekommen, nur hat man nachdrücklicher als J. Grimm, 
der dies nur zum Schluß streifte, das lat. sons, sontis hervor- 
gezogen, dessen genaue Entsprechung in ags. sôp, as. söth, an. 
sannr (sadr), ahd. Sand- in Eigennamen vorliegt, und den etwas 
schwierigen Weg rückwärts vom „Fehlen zur Wahrheit“ etwas 
vereinfacht durch den eindrucksvollen Hinweis auf die altnordi- 
sche Ausdrucksweise sannr at sökinni, at fjörrddum, landradum, 
svikredum, bjöfskap, at faderni (Fritzner? III 186), vgl. S. Bugge 
in Curtius Studien IV 205f. (im Anschluß an Clemm ebd. II 337 ff.). 
Wenn das germ. Adjektiv *sánþaz „wahr“ die besondere Bedeu- 
tung „gerichtlich überführt“ entwickeln konnte, so wäre gegen 
ein dazu im Ablaut stehendes *sundjö’ „gerichtliche Überführung“, 
„nachgewiesene Schuld“ weder lautlich noch semasiologisch etwas 
einzuwenden. Nur müßte freilich „Sünde“ auch diese Bedeutung 
haben! Aber kein Prediger, alter oder neuer Zeit, wird das zu- 
gestehn, und kein Richter, alter oder neuer Zeit, wird mit dem 
Begriff „Sünde“ etwas anzufangen wissen. 

Wenn trotzdem die meisten der neueren Etymologen (eine 
Ausnahme macht Kluge, der sich mit dem Hinweis auf sons, sontis 
begnügt) einem weiteren Umweg der Bedeutungsentwickelung 
zuneigen, so scheint das neben der Nachwirkung von J. Grimms 
Gedankengang vor allem auf den Umstand zurückzugehen, daß 


Sünde und Schande. 107 


neben ahd. sunta, as. sundia (an. synd) ein ags. syn(n) (Adj. synnig) 
steht, und daß man dieses nicht gern von got. sunja „Wahrheit“ 
und dessen Entsprechungen im As. (sunnea) und Ahd. (sunna) 
sowie von altnord. syn „defensio“ trennen möchte. Ich zweifle 
nicht daran, daß Kluge auch bei ags. syn(n) mit seiner Ansetzung 
eines alten, nachträglich ausgefallenen d in der Lautgruppe adi. 
Recht behält (Vorgeschichte der germ. Dialekte $ 55a); ja ich 
halte es für möglich, daß zur Zeit der angelsächsischen Mission 
die Nebenform mit d noch existierte: wir haben ja keinen ags. 
Beleg dessen Überlieferung das neunte Jahrhundert übersteigt. 

Um Jac. Grimms bis heute nachwirkende Deutung des 
Wortes zu verstehn, muß man sich vor allem zweierlei klar 
machen: die allgemeine überaus hohe Wertschätzung des Goti- 
schen einerseits und Grimms persönliche Hinneigung zur rechts- 
geschichtlichen und mythologischen Sphäre anderseits. Auch wir 
befragen naturgemäß immer in erster Linie das Gotische, aber 
wir pflegen ihm kein Zeugnis mehr abzuzwingen, wo die ge- 
schlossene Überlieferung der westgermanischen Sprachen einen 
festen Boden abgibt. J. Grimm aber konnte sich trotz dem grellen 
Bedeutungsabstand nicht entschließen, von got. sunjis „wahr“, 
sunja „Wahrheit“, gasunjön „rechtfertigen“ usw. abzusehen, und 
kein Bedenken hinderte ihn, ags. syn(n) „peccatum“ mit an. syn 
„excusatio, defensio, negatio, impedimentum“ zu identifizieren, 
wobei er mit besonderer Freude die „Göttin“ Syn heranzog. Auch 
über den weitern Zwiespalt: got. sunja dier und nord. syn 
„negatio“ kam er mit einer kühnen Konstruktion hinweg; „sunjön 
heißt verteidigen, gleichsam die Wahrheit gegen die Klage dar- 
tun, folglich auch wieder den Grund der Klage abweisen, ver- 
neinen.“ Und nun die „Sünde“? „die Sünde ist Hindernis [syn 
„impedimentum‘“], Abgang, sie irrt, hemmt an der Seligkeit, wie 
die Ehaften eine Ladung irren und hemmen.‘ Diese Deutung 
resp. Umdeutung ist wahrhaftig nicht besser, als jene Laien- 
etymologie welche „Sünde“ aus „sühnen“ ableiten wollte: die 
Sünde wäre das was gesühnt werden muß.“ 

Falk-Torp bei Fick“ III 430 und 444 behandeln got. sunja 
an. syn einerseits und germ. *sundiö anderseits durchaus getrennt 
und stellen für das letztere zur Wahl die Zugehörigkeit zu lat. 
sons, sontis oder die Ableitung von einer Wurzel sen „vollenden, 
vollbringen“. Aber in ihrem eigenen Etymolog. Wb. (dän. Aus- 
gabe II 338, deutsche II 1226) identifizieren sie unbedenklich 
sunja und sun(d)ja, stellen für das Adj., aus dem das Subst. ge- 


108 Edward Schröder 


bildet sei, die Bedeutungsreihe „seiend, wahr, schuldig‘ auf und 
meinen dies mit got. sunjön sik „sich rechtfertigen‘ zu begründen. 
Für das nordische synd glauben sie um dieser ältesten Form 
willen eine andere Grundform, *sunjihö, ansetzen zu müssen — 
obwohl sie betonen, daß das Wort erst mit dem Christentum auf- 
tauche. El. Hellquist, Svensk Etym. Ordbok 927 bezweifelt 
denn auch diese Nötigung, bleibt aber im übrigen bei der gleichen 
Etymologie und Bedeutungsentwickelung. 

Hirt (Weigand) II 1010 verrät indirekten Zusammenhang mit 
J. Grimm, indem er für ags. syn auf altsächs. sunnea „rechtsgült. 
Hindernis“ "1, ahd. sunna ‚„rechtsgült. Hindernis vor Gericht zu 
erscheinen‘‘”) verweist. Aber während sein ersichtlicher Ge- 
währsmann Schade diese als Abkömmlinge des got. sunja von 
suntia scharf trennt, betont H. die Zusammengehörigkeit von 
sunja „Wahrheit“ mit latein. sons, sontis: „der Seiende, der 
Schuldige‘“, und davon abgeleitet Sünde. 

Wenn ich einmal von den verschiedenen Seitensprüngen 
absehe, so muten uns alle Etymologen eine Entwickelungslinie 
zu: „Wahrheit“ — „Schulderweis‘, resp. „erwiesene Schuld“ — 
„Sünde“. 

Nun ist aber zunächst festzustellen, daß in keinem einzigen 
germanischen Sprachdenkmal eine Spur davon zu erblicken ist, 
daß das Wort ‚Sünde‘ jemals in einem andern Sinne als dem 
christlichen, kirchlichen gebraucht worden sei. Für das Nordische 
heben das Falk-Torp ausdrücklich hervor, und schon J. Grimm 
hat betont, daß der einzige „eddische Beleg“ aus den jungen 
christlichen Sölarljöd (v. 73) stamme: sál af syndum Pvegit ist 
sogar ein biblischer Ausdruck: ‚„ablue peccata tua“ Acta app. 22, 16. 
Wenn man den Wortschatz der altnorwegischen Rechtsquellen 
bei Ebbe Hertzberg, Gamle Norges Love V 2,623 prüft, so bietet 
da Erzbischof Jöns Christenrecht die ältesten Zeugnisse; weitere 
Belege aus der geistlichen Literatur auch der Isländer gibt Kahle, 
Acta germ. 1395ff. Wir brauchen ebenso wenig wie J. Grimm 
daran zu zweifeln, daß es sich um ein von Süden importiertes 
Missionswort handelt, und da bei Lehnwörtern allerlei Imponde- 
rabilien der Umdeutung, Anlehnung und Anpassung mitspielen, 


1) Der einzige Beleg ist Heliand 2305, wo die Wörterbücher „Not, Krank- 
heit“ ansetzen! — es kann aber an der betr. Stelle auch einfach „wahrer Zu- 
stand“ heißen. 

2) Vgl. hierzu außer J.Grimm a. a. O. Schade, Altd. Wb.? II 894 (unter sunja) 
und Graff VI 241 (unter SUNNis). 


Sünde und Schande. 109 


scheint es mir ein überflüssiger Sport, für altnord. synd um der 
- (angeblich) ältesten Form synd willen eine besondere Grundform 
anzusetzen: Falk-Torp *sunji5ö, Kluge, Stammbildungslehre $ 126 
sunid)jö. 

Bei den Angelsachsen setzen die Belege mit Cynewulf und 
dem Beowulf ein, wo wir denn auch gleich die Ableitungen: Adj. 
synnig und Vb. syngian (Beow. 2441) sowie zahlreiche Komposita 
mit syn-, dazu ein paar mit -syn(n) treffen. Auch im Beowulf 
gehört das Wort unbedingt zu den christlichen Elementen, die 
man, so viel ich weiß, niemals methodisch gesammelt hat; glaubt 
Jemand vielleicht, daß folces (rices) hyrde aus germanischer An- 
schauung und nicht vielmehr aus der Vulgata stamme? Ver- 
geblich suchen wir syn(n) in den alten Rechtsquellen: Lieber- 
manns Glossar zu den Gesetzen der Angelsachsen Bd. II S. 207 b 
gibt als Hauptbedeutung „kirchliche Sünde“ und notiert für weltl. 
Verbrechen usw. nur ein paar Belege als Glossierung von „pec- 
catum“ und „culpa“ im „Judicium Dei“ (Rituale); dazu allenfalls 
synnig „culpabilis“ als Variante zu scyldig in jungen Handschriften 
der Gesetze Kg. Ines. 

Zunächst scheint also nichts über die Zeit der Mission hin- 
auf, nichts auf die Sphäre des weltlichen Rechts hinüber zu 
weisen, aus der doch nach den Etymologen das Wort stammen 
soll. Und ob wir es nun als „Schulderweis“ (sundjö) oder als 
„Entschuldigung“ (*sunjö) zu nehmen versuchen, weder bei den 
Angelsachsen noch bei den Nordländern ist für „Sünde“ eine 
derartige Bedeutungsvorstufe zu entdecken. 

Gleichwohl muß das Wort als solches selbstverständlich älter 
sein als das Christentum: es muß irgendwie mit der heidnischen 
Ethik zusammenhängen. Und darauf weist auch deutlich hin 
die formelhafte Verbindung Sache und Sünde; denn diese 
alliterirende Zwillingsformel ist dem Angelsächsischen mit dem 
Friesischen und dem Altsächsischen gemeinsam: 1. på wes synn 
and sacu Sweona and Geata ofer wid weter wröht gemiene Beow. 
2472; nê synn nê sacu nê särwracu Phoen. 54°) (Quelle „nec 
scelus infandum ... aut Mars aut ardens caedis amore furor‘“‘); 
dazu noch im Ormulum 1335 sake and sinne; 2) seka and sinne, 
seka ni sinna Rüstr. Recht (Richthofen S. 75); 3) ni uueldun 
derbeas uuiht mönes gifrummean, ne saca ne sundea Hel. 85, 
weiter im Heliand that he -alätan mag liudeo gihuuilicun saca 


13) Auf Stellen wie diese hin setzen die Lexikographen für ags. syn(n) 
sogar eine Bedeutung „Fehde“ (Grein) oder „hostility“ (Sweet) an. 


110 Edward Schröder 


endi sundea 1009 (vgl.1715); that he in aläte lödes thinges, thero 


sacöno endi thero sundeöno 5037 (vgl. 1617). 

„Sache und Sünde“ gehören hier gewiß aufs engste zu- 
sammen, wobei in den Heliandstellen vom Sündenerlaß die christ- 
liche Färbung schon deutlich hervortritt. Aber von Haus aus 
entstammen sie schwerlich der gleichen Bedeutungssphäre: 
„Sache“, das für sich nie verkirchlicht wurde, gehört der Sprache 
des Rechts an, „Sünde‘‘ dem Gebiet der bürgerlichen Sittlichkeit. 
Das letztere versuche ich im folgenden zu erweisen. 

Da ist zunächst eine andere, auf deutschem Boden seit etwa 
1200 belegbare, aber bestimmt weit ältere Verbindung: Sünde 
und Schande. Gleich der frühste Beleg den ich anführen kann, 
ist darum besonders wertvoll, weil er sich zwar in einem Rechts- 
buch findet, aber gleichwohl die „Sünde und Schande“ ausdrück- 
lich dem Gebiete des bürgerlichen Strafrechts entzieht. Im Mühl- 
häuser Reichsrechtsbuch, dessen Alter und Bedeutsamkeit der 
neuste Herausgeber Herbert Meyer (1923) gesichert und nach- 
drücklich betont hat, wird Art. 4, 12 (S. 102) von einem Ver- 
hältnis des außerehelichen Geschlechtsverkehrs gehandelt, das 
sich strafrechtlichem Eingriff entzogen hat, so lange es auf Ein- 
verständnis beruhte: kommt aber die Frau zu dem Entschluß, 
davon abzustehn durch sundi edir durch scandi, edir svarummi iz si, 
so soll sie den Mann bitten, daß er davon ablasse: wandi da 
sundi undi scandi ani sie undi leit. Tut er es trotzdem, so darf 
die Frau „mit Geschrei“ klagen wie über „rechte Notnunft‘“. 
Man beachte: die beim zweiten Vorkommen geschlossene Formel 
„Sünde und Schande“ ist das erste Mal aufgelöst „Sünde [vor 
Gott] oder Schande [vor den Menschen]‘ '). 

Dies sünde und schande, nicht durch Alliteration sondern nur 
eben durch Homoeoteleuton gebunden, mag in nachdrücklicher 
Verwendung etwa besagen: „Schande vor Gott und den Menschen“; 
vor allem im Munde des Geistlichen, für den „Sünde“ doch immer 
den kirchlichen Klang behält, wenn sich auch die Formel mehr 
und mehr zum Werte einer verstärkten ‚Schande‘ abschleift. 
Dies kann man schon aus den Belegen ım DWB. VII 2131f. 
sehen, denen ich zahlreiche weitere aus den Sammlungen der 
hiesigen Zentralstelle hinzufügen könnte. Fortlaufend können 
wir, wie sich das gleich oben ankündigte, zwei Arten des Ge- 


1) Mein Kollege K. Mirbt weist mich auf den Begriff des „scandalum“ hin, 
der auf der Schwelle zwischen christlicher Lehre und kanonischem Recht liegt. 


Sünde und Schande. 111 


brauchs unterscheiden: die eine hebt Sünde und Schande mehr 
oder weniger deutlich von einander ab, wobei Sünde das kirch- 
liche Gepräge behalten soll, die andere verbindet sie energisch 
zu einer Einheit. Luther z.B. (ich zitiere nach der Weimarer 
Ausgabe) bietet in der Postille, in Predigten usw. mehr die erstere 
(X 1a, 555, 7; XXV 227,21; XXXII 369, 23), in den Streitschriften 
mehr die letztere (XI 355, 16. 179,40; XVI 59,34; XVIII 109, 25. 
148, 15. 190, 34). Namentlich die Frage Ists nicht (eine) sund 
und schande, das ...? oder der ÄAusruf: Es ist sund und schande 
das ...! sind zum mindesten seit Luthers Zeit allbeliebt und 
vielbezeugt; der Ausruf wird sogar in das Teutsch-englische 
Lexikon von Ludwig (1716) aufgenommen und hier mit „fy upon 
it! shame upon it! foh shame!“ übersetzt. Übrigens ist die Folge 
der Wörter derart konstant, daß unter 35 literarischen Belegen 
der Zentralsammelstelle, die von Freidank bis zu Wilh. Busch 
und Gerh. Hauptmann reichen, nur ein einziges Mal die Umkehr 
Schande und Sünde begegnet: Schoch, Comödie vom Studenten- 
leben (1657). Das Ethos des Ausdrucks, den noch Frisch (1741) 
mit „indignissime factum“ wiedergibt, sinkt mehr und mehr, oder 
wird doch geschwächt, wie das Gampe (1810) schon ausdrücklich 
bezeugt: Es ist eine Sünde und Schande, daß man nicht mehr auf 
Ordnung hält. ` 

Einem hohen Alter der Paarung könnte man neben dem 
späten Auftreten der Belege auch noch die Erscheinung des 
„Ablauts‘ ö— a entgegenhalten: die uns allen bekannte Tat- 
sache, daß in Zwillingsformeln der Regel nach das erste Glied 
musikalisch über das zweite gehoben wird *), erscheint zwar durch 
mhd. sünde unde schande neu bestätigt, würde aber zu ahd. sunta 
enti scanta nicht recht stimmen. Immerhin muß ich betonen, 
daß der — ungeschriebene — Umlaut hier doch in Wirklichkeit 
mindestens so alt ist, wie das Schwinden des j in sunte, sunta: 
also auch dies Argument würde es auf jeden Fall zulassen, die 
Formel bis in die Zeit sagen wir des Bonifatius hinaufzurücken. 

Es handelt sich um eine Formel der Umgangssprache, welcher 
der stets einen schmückenden Schutz verleihende Stabreim nicht 
zur Seite steht. So dürfen wir sie nicht in der schönen Literatur 
und kaum in der getragenen Prosa erwarten, und es ist durch- 


1) S. zuletzt Wolfg. Krause ob. L 123; die reichen Zusammenstellungen 
im zweiten Teil der Dissertation von Gerh. Salomon (Göttingen 1922) sind 
leider ungedruckt geblieben. 


112 Edward Schröder 


aus bezeichnend daß, wo sie hier, seit Anfang des 13. Jahr- 
hunderts, auftritt, sie mit ersichtlicher Vorliebe entweder aufge- 
löst wird, wie bei Walther v. d. Vogelweide 24, 16 dä mac man 
sünde bt der schande schouwen, 28, 16 ir komet uns beide sünden 
unde schanden Di, oder gesteigert 22,18 und 30,1 houbelsünde 
und schande; oder schließlich durch Umformung. und Erweiterung 
verhüllt und rhetorisch gehoben: so etwa wenn Walther v. d. 
Vogelweide und Freidank die beiden Zwillingsformeln schade und 
schande (z. B. Erec 6741. 7964; Iwein 2029. 3987. 4981) und 
sünde und schande zu einer Dreiheit verschmelzen: Walther 83, 36 
die andern heizent schade, sünde und schande; Freid. 38, 17f. Durch 
sünde, schande und schaden lät manc win und man gröz missetät, 
94, 7f. Trunkenheit ist selten fri, da ensi sünde, schande, schade bi. 

Bekanntlich hat das mit schande engstverwandte scham(e) 
noch im Mhd. neben der subjektiven Bedeutung ‚„Schamempfin- 
dung“ auch die objektive „Schambelastung, Schmach, Schande“ 
(s. Mhd. WB. II 2, 134; Lexer II 648), und so haben wir denn 
neben schade und schande auch schade und scham (Er. 9223. Trist. 
13430), neben sünde und schande gleichbedeutend sünde und scham 
resp. scham und sünde (Lohengrin 4533), und schließlich auch die 
stabreimende Annomination schande und scham: daz ich ir 
schande unde scham iemer solte üeben Heinr. v. d. Türlın, Krone 
24271. 

Eine sehr alte Annomination, aber mit vorliterarischer, 
ja vorhistorischer Einbuße des Stabreims, erblick ich nun auch 
in sünde und schande. sünde ist einfach eine Schwester- 
form von schande’), aus der gleichen Wurzel skem gebildet’), 
und es bedeutet wie schande ‚wessen man sich zu schämen hat“. 

Ich habe oben betont, daß ich keinen formalen Anstoß 
nehmen würde, as. sundea ahd. sunt(e)a als *sntjö’ mit lat. sons, 
sontis zu verbinden, wenn es möglich wäre, einen entsprechenden 
Bedeutungswandel nachzuweisen oder plausibel zu machen. Die 
Brücke aber die wir dort verneinten — von „Wahrheit“ zu 
„Sünde“ gab es nur eine Luftbrücke! — ist hier ohne weiteres 
gegeben, wenn wir germ. *sundjö zur idg. Wurzel skem stellen: 
als *skmtjö. Formell bedarf dabei nur der Ausfall des % einer 
Erklärung: er wird stattgefunden haben, ehe sich auf der Schwund- 


ı) Was übrigens schon Adelung gefühlt hat, der freilich gleichzeitig — 
als Erster? — auf Verwandtschaft mit sons, sontis hinwies. 
2) Deren Grundbedeutung „verhüllen“ für uns kaum noch in Betracht kommt. 


Sünde und Schande. 113 


stufe der neue Vokal entwickelte: also skmtjő > smtjö > sntjö’ 
>> sundjö. 

*s(cjundjö wäre also von Haus aus ein Synonymon von 
*scandö: es ist eine Eigentümlichkeit, eine Eigenschaft oder 
Handlungsweise, die man Ursache hat zu verhüllen, deren man 
sich schämen muß: etwas Entstellendes — wobei von vorn herein 
das Körperliche nicht ausgeschlossen scheint. So ergab sich für 
das biblische „sine macula“ ohne weiteres die ahd. Übersetzung 
äno sunta (Belege bei Graff VI 261); vgl. dazu Schandmal, Schand- 
fleck, mhd. schandenvlec, Sündenfleck, schon mhd. sündenmäl; und so 
konnte sogar Ahd. Gll. 11109, 61 „lepra“ mit sunta wiedergegeben 
werden. Mag das nun aus ursprünglicher Bedeutung entstammen 
oder erst wieder bildlich von der ‚Sünde‘ gemeint sein — auf 
jeden Fall entfernen wir uns auch so immer mehr von der recht- 
lichen Sphäre, in der man bisher den Ursprung des Wortes ge- 
sucht hat. 


Das Nebeneinander von sc- und s- im Anlaut vor Vokal hat 
die Gelehrten oft genug beschäftigt. Die Zahl der sichern Be- 
lege ist leider gering: scarph und sarph wird man (trotz Kauff- 
mann, PBBeitr. XII 505) als einen unsichern Posten bezeichnen 
müssen (vgl. Kögel, Litbl. 1887, 111). So bleibt zunächst nur 
der auffällige Schwund des k im Verbum skulan, den man seit 
Fierlinger ob. XXVII 190ff. im allgemeinen wohl aus Formen der 
Schwundstufe mit dem Anlaut skl- oder skl- erklärt, vgl. dazu 
Johansson, PBBeitr. XIV 295 und die Einwände von Joh. Schmidt, 
Sonantentheorie 40, die jedenfalls gezeigt haben, daß hier kein 
als Lautgesetz faßbarer Wandel vorliegt. Freilich gerade der 
Haupteinwand J. Schmidts, daß das reichlich isolierte sculd seinen 
Guttural konstant bewahre, ist wieder hinfällig, denn das ge- 
forderte suld ist als Nebenform in frühmhd. Quellen ausreichend 
bezeugt: Wiener Gen., Fundgr. II 20,8 sulde, 21,39 sult; Leyser 
Pred. 9, 26 sulden, 5, 20 unsulde. Anderseits sollte man freilich 
bei einem gesetzmäßigen Lautwandel erwarten, daß das sicher 
zu scarph gehörige und doch wieder in der Bedeutung abge- 
sonderte Verbum scurphen (schürfen) vielmehr *surphen lautete. 

Weitere Zeugnisse für den trotz allen Bedenken unbezweifel- 
baren gelegentlichen Lautwandel von sc- zu s-, und zwar in den 
Anlautsgruppen scm-, scn-, scl-, scr-, dürften bei sorgfältiger Durch- 
forschung der Ortsnamen zu Tage treten. Und auf einen der- 
artigen Fall kann ich schon heute hinweisen. 

Zeitschrift für vergl. Sprachf. LVI 1/2. 8 


114 Edward Schröder 


Förstemann-Jellinghaus, Altd. NB. II’ 2, 795f. stellen zwei" 
Flußnamen zusammen: 

1. die Schondra in Unterfranken, r. zur fränk. Saale, mit 
gleichnamigem Dorf im Quellgebiet: zufrühst in der Hammel- 
burger Markbeschreibung von 777 als Scuntra bezeugt, dann im 
10. Jh. Scuntaraha (Dronke Cod. dipl. Fuld. Nr. 691) usw.; 

2. die Schunter im Braunschweigischen, r. zur Ocker, 
zufrühst im 10./11. Jh. als Scuntera, Scuntere belegt (Janicke, 
Urkb. d. Bistums Hildesheim I Nr. 40. 51a). 

Mit diesen beiden hat nun schon Jac. Grimm in der Zs. d. 
Ver. f. hess. Gesch. u. Landeskunde II 152f. (= Kl. Schr. V 309f.) 
zusammengestellt: 

3. die Sonter in Niederhessen, r. zur Wehra (l. Nebfl. d. 
Werra), an ihr die Stadt Sontra: frühste Zeugnisse (bei Reimer, 
Hist. Ortslexikon für Kurhessen S. 449) Suntraha 1246, Suntra 1272. 

Grimm übersah 

4. Sondra, Dorf im AG. Thal (Sachsen-Gotha), am Emse- 
bach (l. zur Hörsel): bezeugt ca. 785 Sundera (Dobenecker, Re- 
gesta Thuringiae I Nr. 49). 

Dagegen führt er für den Wechsel von sc- und s- (der für 
keinen der obigen Bach- und Ortsnamen einzeln bezeugt ist) an: 

5. einen Scunderesbach im Sprengel von Salmünster, der auch 
als Sunderesbach erscheine; die von ihm zitierte Quelle (Trad. 
Fuld. II 241 und 545) kann ich zur Zeit nicht kontrolieren. Aus- 
zuscheiden hat jedenfalls das südöstlich davon gelegene heutige 
Züntersbach (AG. Schwarzenfels), unter dessen wechselnden 
Schreibungen (die älteste ca. 900 Ziuncilesbah Dronke Cod. dipl. 
Fuld. Nr. 661) im J. 1384 auch Suntirspach erscheint (Reimer a. a. O. 
S. 538), was immerhif als Beeinflussung von Nr.5 her und als 
vorläufige Bestätigung der Angabe J. Grimms gelten mag. 

Jac. Grimm hat natürlich auch sofort betont, daß dies Neben- 
einander von Schondra, Schunter—Sontra denselben Wechsel 
aufweise wie sculan — suln und wie scarph — sarph, und er ist 
selbstverständlich für seine Etymologie des Flußnamens von den 
Formen mit sc- ausgegangen: er stellt ihn zu ahd. scuntan, as. 
far-scundian („properare“, „incitare“), ags. scyndan (desgl.).. Der 
Weg den er von seinem heimatlichen Sontra zu den verwandten 
Flußnamen in Franken und Niedersachsen fand, scheint mir auch 
als Brücke gangbar die von Sünde zu Schande führt. Von einer 


!) Eın dritter Name gleichen Klanges, der südlich von Leipzig auftritt, 
bleibt als vermutlich slawisch besser bei Seite. 


Sünde und Schande. 115 


Miszelle Jac. Grimms ging ich aus und bei einer andern Miszelle 
des Meisters bin ich zuletzt eingekehrt. Möchte mein Versuch 
diesen freundlichen Auspizien entsprechen. 


Meine Beschäftigung mit dem Wort und Begriff Sünde 
zielte, wie ich nachdrücklich betonen möchte, zunächst nicht auf 
eine eigene Etymologie ab. Ich erwog, welchen ursprünglichen, 
vorchristlichen Sinn das Wort gehabt haben möge, und versuchte 
von der lautlich gewiß unanfechtbaren Zusammenstellung 
von germ. *sundjö mit lat. sons, sontis, die alle Etymologen an- 
erkennen resp. zu Grunde legen, mir die Bedeutungsentwicke- 
lung klar zu machen. Aber ich konnte weder dem Pfade von 
Jac. Grimm noch dem von Falk-Torp oder Hirt folgen: mit der 
Rechtssprache fand ich nirgends einen Zusammenhang, und am 
allerwenigsten konnt ich einen solchen mit dem Prozeßgang zu- 
"gestehn. Das von vorn herein feststehende Ethos des Wortes 
wies unbedingt in eine andere Richtung. So kam ich schließlich 
zu den formelhaften Verbindungen, um die sich bisher Niemand 
gekümmert hat, und endete, wie das die etwas verblüffende Über- 
schrift meines Artikels ankündigt, bei „Sünde und Schande“. 
Erst so kam ich zur Etymologie. 

Trifft meine Ableitung und Erklärung von Sünde zu, so 
ist sie für die Beurteilung der vorchristlichen Sittlichkeit der 
Germanen von nicht zu unterschätzendem Werte. Das Christen- 
tum fand dann bei den Süd- und Westgermanen, nicht eigent- 
lich in der Religion, und auch nicht im Zusammenhang der 
Rechtsanschauung, wohl aber im Rahmen der bürgerlichen Moral 
einen Begriff und Ausdruck, der ıhm bei der Wiedergabe des 
lateinischen „peccatum‘“, des griechischen duaogria oder dudornua 
ausdrucksvoll, und sogar mit einer gesteigerten Innigkeit ent- 
gegen kam. 

Ulfila hatte geglaubt, dafür einen Ausdruck des Strafrechts 
wählen zu dürfen: so griff er zu fravaurhts. Missionare welchen 
die gegen die Gnostiker gerichtete Definition des Apostels Johannes 
(I. Joh. 3, 4) 7 äugorla goriv ù dvouia (Vulg. „peccatum est ini- 
quitas‘‘) gegenwärtig war, oder die sich sonstwie an die „iniqui- 
tas‘ der latein. Bibel (alten und neuen Testaments) hielten, hätten 
ebenso gut auch zu sculd oder zu une, unthing, unreht ihre Zu- 
flucht nehmen können. Aber alle diese reichlichen und nahe- 
liegenden Möglichkeiten, welche die präzise und nüchterne Rechts- 
sprache bot, mied Derjenige welcher mit kühnem Griff das Wort 

Ch 


116 Edward Schröder, Sünde und Schande. 


sundja wählte. Denn die ,„Gesetzlosigkeit‘“ bestand bei den 
Germanen nicht im Widerstreben gegen den Gotteswillen, sondern 
in der Verletzung der menschlichen Rechtssatzungen. sundja 
dagegen, das war der Inbegriff alles dessen was dem Menschen 
zu Scham und Schande gereichte — auch wenn es dem irdischen 
Gericht sich entzog oder ihm überhaupt verborgen blieb. 

Dies Wortgebilde war es das von einem scharfblickenden 
und geistesmächtigen Prediger der Missionszeit aufgegriffen wurde 
und sich bald als das beste Gefäß für den neuen, christlichen 
Begriff erwies: die Sünde wird allein von Gott bestraft — und 
kann auch nur von ihm allein erlassen werden. So ist das Wort 
von den Südgermanen zu den Nordgermanen gedrungen, von 
den Schweden den Finnen und Lappen überliefert worden. Ob 
der welcher ihm den neuen Inhalt und das neue Gepräge gab, 
ein Angelsachse war, wissen wir nicht‘) — die Abweichung der: 
Form steht dem nicht im Wege: denn selbst wenn um 700 in 
England die Form mit nn die alleinige war und ihr nicht etwa 
noch eine Nebenform synd zur Seite stand, auch ein angelsächsi- 
scher Sendbote auf dem Festlande erkannte die Zusammengehörig- 
keit von insularem synn und festländischem sundia, sunta und würde 
sich wohl gehütet haben, seinen deutschen Beichtkindern die fremde 
Lautform aufzudrängen, wo es sich um einen überaus wichtigen 
Begriff der christlichen Lehre und des sittlichen Lebens handelte. 
Das umgekehrte, daß die neue Prägung auf dem Festland erfolgt 
und dann von den Angelsachsen für ihr eigenes Wort über- 
nommen sei, ist nach dem ganzen Verlauf der Mission zum 
mindesten unwahrscheinlich’). Wohl aber wird das Wort nach 
Skandinavien, wie schon Jacob Grimm aussprach, „von den 
Sachsen“, d. h. von denen Deutschlands, gekommen sein. 


Göttingen. Edward Schröder. 


1) Braune hat das Wort in seine ausgezeichnete Arbeit über „Althochdeutsch 
und Angelsächsisch“ (PBr.Beitr. XLIII 361ff.) leider nicht mit einbezogen. 

?) Das friesische sinna stellt nur scheinbar eine lautliche Zwischenstufe 
dar: denn der dem Friesischen allein geläufige Übergang von ad > nn ist zwar 
alt, aber immerhin wohl jünger als das auf andere Weise entstandene nn in 


ags. syn(n). 


G. Mahlow, Lateinisches odi. 117 


Lateinisches odi. 


Das Präteritopräsens odi wird herkömmlich mit ödddooouaı 
zusammengestellt, so schon von Pape im Wörterbuch s. v., der 
das schon vorgefunden haben muß. Gegen diese Etymologie ist 
vom Griechischen aus entschieden Einspruch zu erheben. Nicht 
so sehr, weil es das Präsens öödooouaı nicht gibt; schon Curtius 
hat es vermieden und man sollte solche Formen nicht gebrauchen, 
wie sie die alten Philologen erfunden haben, um das Schema 
auszufüllen. Das Verbum kommt außer in ööwövoraı Od. 5, 423 
nur im Aorist vor, der @dvoodunv und wövodunv lautet; die 
Analogie von dpdoow mit Äpvoou und Zoo ist nicht maßgebend, 
da es auch ein Präsens 2£apvovrss Od. 14, 95 gibt und andrer- 
seits ein Futurum dee L. 1, 171, und xogdoow liegt seiner 
Bildung nach ganz fern. Faßt man oô als „Wurzel“ des griechi- 
schen Verbums, was soll dann die Silbe vo sein? Schon Curtius 
no. 290 hat das anlautende ö- richtig als „prothetisch“ erkannt; 
wir sagen statt dessen wohl besser, daß es ein erstarrtes Präfix 
sei, das einst in gleicher Weise mit der Wurzel verwachsen ist, 
wie es in jüngerer Zeit bei xdö’nuaı, radio, dupıevvvu u. a, 
geschehen ist, obwohl hier die Präpositionen selbst noch ın 
lebendigem Gebrauch geblieben waren; trotzdem sind bei den 
Verben die beiden Bestandteile fest zusammengewachsen. Das 
Präfix ô- erkennt man noch in dëi io neben xw, in ĝôvúgouat 
neben döoouaı und besonders in öödvn neben dén, Daß ödvrn 
Schmerz zu unserem Verbum gehört, ist klar; wir übersetzen 
dies zwar mit zürnen, aber man braucht für die Bedeutung nur 
dolor und doleo zu vergleichen, die ebenso vom Schmerz gesagt 
werden wie von Ärger, Groll. Demnach kann die Wurzel von 
vc- nur in der zweiten Silbe enthalten sein. Die von Ourtius 
befürwortete Zusammenstellung mit dem arischen dvis hat viel 
für sich, die mit latein. odi ist haltlos, weil sie das vo des Griechi- 
schen nicht berücksichtigt. 

Will man Verwandte von odi finden, so darf man sich nicht 
auf die Bedeutung hassen versteifen. Es ist nicht wahrscheinlich, 
daß es ein indogermanisches Wort dieser beschränkten Bedeutung 
gegeben hat. Haß und Liebe sind Erzeugnisse einer höheren 
Kultur, die sich bestrebt Seelisches und Körperliches zu scheiden, 
weil Religion und Philosophie allmählich Körper und Seele, Fleisch 
und Geist in einen Gegensatz gebracht haben, der ursprünglich 
in dieser Schärfe von den Menschen nicht empfunden wurde, 


118 G. Mahlow 


Nicht als ob unsere Altvorderen in grauer Vorzeit nicht auch 
Liebe und Haß gefühlt hätten, aber es waren für sie nur die 
äußersten Grade einer Stufenleiter von Empfindungen und Vor- 
gängen gleicher Art, unter denen sie keinen wesentlichen Unter- 
schied wahrnahmen, wie auch wir sowohl bei einem harmlosen 
Mückenstich von Schmerz reden als bei einer tödlichen Verwun- 
dung. Wo zwischen Wohlwollen, Zuneigung oder Freundschaft 
einerseits und Liebe andrerseits die Grenze ist, vermag niemand 
zu sagen, ebensowenig wo Abneigung aufhört und Haß anfängt. 
Schon unsere Wörter lieben und Liebe lehren uns, daß die Steige- 
rung des Begriffes bis zu der sentimentalen oder erotischen Höhe 
unursprünglich ist. Das zeigt eine nahe liegende Vergleichung. 
Das englische love ist zwar unser lieben, aber mit Unterschied; 
unser Ausdruck „ich liebe das nicht“ heißt in der verwandten 
Sprache „I dont like that“, und so in allen Fällen, wo wir lieben. 
noch in dem schwächeren Sinne gern haben verwenden; dieser 
ist aber der ältere und in den Zusammensetzungen belieben, Be- 
lieben, Vorliebe noch in voller Kraft. Auch Haß und hassen ent- 
hielten im Altgermanischen nicht die höchste Steigerung seelischer 
Abneigung, die wir heute mit den Wörtern verbinden. Dasselbe 
ist für odi ganz sicher. Gewiß tun wir in vielen Fällen recht, 
das Wort mit hassen zu übersetzen, aber die Wortbegriffe decken 
sich keineswegs, der von odi ist viel umfangreicher; das Ver- 
hältnis ist ähnlich wie das von love zu lieben. Horaz erzählt Ep. 
1,7, 14ff. ein Geschichtchen von einem kalabrischen Bauern, der 
gastfrei einen Fremden auffordert soviel Birnen zu essen, wie er 
wolle, und sich auch die Taschen für die Kinderchen vollzustopfen, 
denn den Rest, sagt er, kriegen die Schweine. Dasselbe kann 
uns auch heute passieren, wenn wir auf einer Wanderung bei 
einer Bäuerin vorsprechen und sie setzt uns eine Schüssel mit 
saurer Milch vor; sie würde auch ungeniert sagen: den Rest 
kriegen die Schweine. Was der Bauer an Milch und Früchten 
nicht selbst verbrauchen oder verkaufen kann, verwendet er als 
Futter. Horaz aber nimmt Anstoß an dem Mangel an Urbanität 
bei dem Bauern: „stultus donat, quae spernit et odit“. Damit 
will Horaz doch nicht sagen, daß der Bauer die Birnen „haßt“, 
sondern er will sie nicht haben, er mag sie nicht, weil er genug 
gehabt hat und sie verbraucht werden müssen. Hier drückt odi 
also den allerschwächsten Grad der Abneigung aus, die bloße 
Ablehnung aus praktischen Gründen ohne Beteiligung der Seele. 
odi ist etwa das Gegenteil von cupio, das ebenfalls vom schlichten 


Lateinisches odi. 119 


haben wollen an eine lange Stufenleiter der Begierde umfaßt. So 
ist es in vielen Fällen. Mit „odi profanum volgus“ meint Horaz 
nichts weiter als „ich mag den Pöbel nicht“; „Persicos odi ap- 
paratus“ O. 1,38, 1 ist dasselbe, was im folgenden Verse durch 
„displicent“ ausgedrückt wird. Das Gleiche können wir bei dem 
als Passiv dienenden odio esse oder in odio esse beobachten, z. B. 
in dem Gegensatz „quid placet aut odio est“ Ep. 2, 1,101. Also 
durch odi an sich wird der Grad der Abneigung nicht bezeichnet, 
die Steigerung auf hassen ergibt sich immer nur aus dem Zu- 
sammenhang. Ja das Wort wird sogar angewandt, wo überhaupt 
keine seelische Erregung denkbar und die Übersetzung durch 
hassen ausgeschlossen ist. Plinius schreibt 19 (24) 69 in schlich- 
tester Prosa: „cucurbitae — hiemem odere“ Kürbis verträgt keinen 
Frost, 19 (23) 65 „cucumeres — oleum odere“, 19 (45) 156 „ruta 
odit hiemem et umorem“ und sogar 12 (54) 115 „balsamum odit 
ferro laedi vitalia“ der Balsambaum verträgt es nicht, daß mit 
einem Messer Einschnitte gemacht werden, um den Saft zu ge- 
winnen. odi umfaßt also jede Art von Widerwillen, von bloßer 
Ablehnung bis zu der höchsten Steigerung, die wir unter Haß 
begreifen; für die schwächeren Grade dieses Wortbegriffes, für 
das einfache nicht mögen fehlt uns ein positiver Ausdruck. 

So gewinnen wir eine Brücke zu dem nächsten Verwandten 
von odi, zu Öödouaı. Das homerische Verbum kommt nur mit 
der Negation vor und bedeutet dann sich nicht kümmern; es ist 
der Ausdruck der Gleichgiltigkeit. Diese passiwe Empfindung 
kanr. doppelten Ursprungs sein. Man ist entweder gleichgiltig 


gegen das, was man wünschen oder schätzen sollte, — das ist 
also ein non cupere —, oder aber gegen das, was man als unan- 
genehm empfinden sollte, — das ist eben ein non odisse. Es 


liegt in der Natur der Dinge, daß der erstere Fall seltener vor- 
kommt, viel häufiger ıst es, daß man sich um etwas keine Sorgen 
macht, darüber nicht ärgert. Daher finden wir Ausdrücke, die 
auf der letzteren Empfindung beruhen, in vielen Sprachen. Wir 
sagen: sich um etwas nicht kümmern, der Engländer braucht 
ebenso to care, der Franzose se soucier, der Römer curare mit der 
Negation. Noch wichtiger ist, daß ox ödouaı von Homer mit 
dem gleichbedeutenden, wohl nur etwas kräftigeren 00x dieylio 
verbunden wird, das zu dleyeıvds, tò dAyos, diyıov gehört, also 
ursprünglich soviel war wie non doleo. Noch verbreiteter ist das 
primäre 00x di&yw in derselben Bedeutung; es stimmt vollkommen 
mit non curo, ich kümmere mich nicht überein. Endlich gehört 


120 W. Schulze, Lesefrüchte. 


noch v»wdng zu ödouaı, das charakteristische Beiwort des Esels, 
der sich um Schläge nicht kümmert und auf seine Weise gleich- 
giltig ist. Mit den Vokabeln Hesychs öouaı Znioro&pouce, 
däer Gëtter, Öedoınevaı, Déwv Yoovıllwv, ÖdEVEı PooVri- 
lei, Ou Yoovris, Goa, póßos, Adyos ist für die Bedeutungs- 
geschichte nichts anzufangen; solche Wörter kann man nur im 
Satz richtig verstehen; überall ist die Negation zu ergänzen, wie 
Eriorg&pouaı und besonders die letzte Glosse Aöyog zeigt, die auf 
die Redensart odödeis Adyos man kümmert sich nicht hinführt. 
Demnach enthielt das positive, nirgends mehr nachweisbare öYou«e 
den Begriff etwas Unangenehmes ablehnen und das ist eben odi. 
Gäbe es zu ödouaı ein Perfektum, so würde es *örwda lauten 
nach dem Muster von önwna, lwa, ödwda und gemäß der 
üblichen Verbindung eines alten aktiven Perfekts mit medialem 
Präsens wie bei önwna dooouaı, öAwia Ölkvuaı usw. *ÖTwdIa 
ist adi, Als Partizip gehört zu odi das mediale osus mit perosus, 
exosus, das wiederum zu ödouaı paßt. Mit Hilfe von osus wurde 
das fehlende Perfektum ersetzt, doch wurde auch schon in älterer 
Zeit odivi gewagt nach dem Vorbild des Gegenteils cupivi und von 
hier aus hat die vulgäre Sprache ein Präsens odire geschaffen. 
Daß überhaupt odi diese ungewöhnliche Form, wobei es nur 
memini zur Seite hat, bis in das Schriftlatein erhalten konnte, 
erklärt sich aus der umfangreicheren Bedeutung, mit der es im 
täglichen Gebrauch der lebenden Sprache häufig vorkam; ein 
Wort, das nur:hassen bedeutet, wäre zu selten, als daß es eine 
eigentümliche Form so lange bewahrt hätte. Das d von odi aus 
ursprünglichem dh ist dasselbe wie in medius. 


G. Mahlow. 


Lesefrüchte. 
8. Der inschriftliche Vers 
elxocı dis nÄNEWOAaGa yov xerar Avnaßdvrwv 
(Dessau 4414) erinnert in seiner überlieferten Fassung an Act. 72s 
Erring0ÖL0 gët teoocoaxovtaétys xodvos, in seiner beabsichtigten 
(nAnoaoa statt nAnowoaoe) an Luc. 1s: tÅ dë "Eleiodßer Goin 
Ô Xodvog rof Texeiv abınv, was selbst nach Gen. 25s, &ninew3n- 


gou al ġuéoaı Tod even abınv geformt ist. S. Johannessohn 
o. LII 201 Anm. 2. W.S. 


F. Specht, Lituanica. 121 


Lituanica. 
1. Zur 3. Plur. im Litauischen auf -q. 


Endzelin, IF. XXXIII 124f. hat aus lit. Verbindungen, wie 
nera kàs räsq (auch rãšo) oder jis Zinös, kàs dërg u. a., die er 
Jablonskis lit. Syntax 1, 25 und 37 entnommen hat, den Schluß 
gezogen, daß in diesen Formen räsg, däry Reste der 3. Pluralis 
auf -ant enthalten sind’). Vgl. auch Endzelin, Lett. Gr. 549. Die 
Auffassung als Partizipium hält Endzelin kaum für möglich. Ich 
glaube, die Sache läßt sich ganz einwandfrei entscheiden. Ge- 
bräuchlich ist diese Ausdrucksweise guch bei Daukša, z. B. 775: 
(= 106. in Wolters Ausgabe) nežino, ką bied, Wichtiger ist 
nun, daß es dort Stellen gibt, wo nur die Auffassung als Parti- 
zipium möglich ist, nämlich dort, wo sich die Form auf -4 nicht 
auf die 3. Person bezieht. Man vergleiche 484,2 Teipag’ wel’ ir tie 
ne žino ko präsq oder 4844; Nežino, ko géidžą mit 48220 (= Matth. 
2022) ne Zinote ko prasq, dem 48425 Ne Zinote tieg’ ko prüSote, 48434 
nežinote ko präsote entspricht. In diesem Falle, wo präsq = präsote 
ist, kann es nur Partizipium sein. So wird man auch die andern 
Verbindungen, wo syntaktisch die 3. Person gefordert wird, als 
Partizipien auffassen müssen. An der betreffenden Matthäusstelle 
hat auch Kurschat präsq, der es wohl aus Quandt hat. Letzten 
Endes wird es auf Bretkun zurückgehen. Giedraitis und N. Test. 
von 1701 haben ko prasote 


2. Lit. med£ias. 


E. Fränkel hat Zeitschr. f. slav. Phil. III 83ff. auf žem. mede 
„Wald, Gehölz“ aufmerksam gemacht und die Bildung in den 
richtigen historischen Zusammenhang gestellt. Nicht zustimmen 
kann ich ihm, wenn er S. 85 glaubt, daß das alte Ntr. median, 
wie es im Apreuß. in der Bedeutung „Wald“ vorliegt, und lett. 
mes „Wald“, das median fortsetzt, ursprünglich den „einzelnen 
Baum“ bezeichnet haben, während lit. medzias, medis „Baum“ 
die alte Bedeutung bewahrt hat. Wer sich der Ausführungen 
W. Schulzes, oben XLVI 189f. erinnert, wird das Verhältnis lat. 
vallus zu vallum oder got. laufs zu lauf in einem urbalt. *medijas 
„Baum“ und *medijan „Wald“ wiederfinden. Das Apreuß., wo 
das Neutrum erhalten blieb, konnte den alten Zustand bewahren, 
wenn auch unsre mangelhafte Überlieferung nur median „Wald“ 


1) Inzwischen hat E. Fränkel, IF. XLVI Aan ausführlich über diese Kon- 
struktion gehandelt. K.-N. 


122 F. Specht 


bietet. Im Lett Lut, mußten *medijas „Baum“ und *medjan 
„Wald“ zu einem Wort zusammenfallen. Da es im Lett. offenbar 
in koks ein Wort für den einzelnen Baum gab, so konnte in mežs 
die Bedeutung des ehemaligen Neutrums zum Siege gelangen. 
Entscheidend hinzu kommt, daß auch das Litauische das Wort 
mēdžšias in der Bedeutung „Wald“ noch kennt. Wie mir Jablonski 
im Herbst 1924 in Kowno mitteilte, sagt man in Lazdünai, dem 
südöstlichsten Zipfel litauischen Sprachgebietes, außer Zmuö für 
Zmogüs, kunigöp auch mēdžias in der Bedeutung der „Wald.“ Jetzt 
führt Senn, Tauta ir Žodis IV 105 ein mēdžias „Wald“ auch aus 
Valkininkas an’). Es scheint also in einem Teil des Ostlit. noch 
weiter verbreitet zu sein. Diese in drei räumlich ganz verschie- 
denen Sprachgebieten (apr., lett. und ostlit.) auftretenden Bezeich- 
nungen für den Wald kann man nicht einfach beiseite schieben. 
Man muß vielmehr für das Urbaltische ansetzen *medijas „Baum“ 
und in kollektivem Sinne *medija = Zem. mede und *medijan = 
apreuß. median, lett. mežs, ostlit. medZias in der Bedeutung „Wald.“ 


Halle (Saale). F. Specht. 


Griech. vëmge, vnmöros. 

Zu den wenigen sicheren Fällen, die den Übergang von zF zu 
mx beweisen sollen, rechnet man »nniog aus *vnnrıog wegen vq- 
wötıog (vgl. Brugmann-Thumb, Griech. Gr. 49). Selbst Jacobsohn, 
der oben XLII 273 zu einem ganz andern Ergebnis für urgr. sur 
kommt, räumt doch ein, daß die Entwicklung im Inlaut und An- 
laut verschieden gewesen sein kann. Nur Prellwitz in seinem 
etym. Wörterbuch hat gegen die Zurückführung von »nnıog auf 
*výnrios Zweifel erhoben und das Richtige geahnt. Man zerlegt 
nämlich »nnörtiog in vn-sev-tiog und sieht in zv die Wurzel, wie 
sie in ai. pundti”) „reinigt“ vorliegt. Da nun im Veda das þe- 
treffende Verbum auch in übertragender Bedeutung „krätum 
punite“ „den Geist reinigen“ erscheint, so glaubt man diesen Sinn 
auch in »nnöriog wieder zu erkennen und deutet es als einen, 
„dessen Geist nicht zu reinigen ist“ also etwa „töricht“. Man 
nimmt damit stillschweigend an, daß die übertragne Bedeutung 
alt ist. Nun heißt »nmıog nicht bloß „töricht“, sondern es ist so 


1) Vgl. ferner noch Būga, Kalba ir senovė 259 Anm. 3, der das Wort 
gleichfalls aus Lazdünai, Valkininkas und Dievöniskis (Aämenös apskr.) kennt. 

2) Diese Deutung geht wohl auf Curtius zurück und ist dann von Osthoff, 
Morph. Unt. IV 67 wieder aufgenommen worden. 


Griech. výzios, vnrirıos. — Altbulg. sizëp, žľ%čb. 123 


eigentlich das Beiwort für die Eigenschaften, die von Rechts wegen 
einem noch nicht Erwachsenen zukommen, es kann also auch 
für „schwächlich“ gebraucht werden, und mich will es damit eher 
dünken, daß man in alter Zeit den noch nicht Erwachsenen 
lieber mit einem Beiwort versah, das die körperliche und nicht 
die geistige Schwäche zum Ausdruck brachte. 

Nun liegt eine weit bessere Analyse von »nnödriog viel näher. 
Zerlegt man es nämlich in »nn-Vros, so gewinnt man eine 
passende Entsprechung für das lit. Deminutivsuffix -utis, etwa 
in mazZuütis „klein“. Schon Joh. Schmidt, oben XXV 142f. hat das 
Verhältnis »n7nıos zu vyzótios in lit. brölis zu brolütis wieder er- 
kannt. Dann lautet der 1. Bestandteil vyz, der sich wieder in 
vn und *dn auflöst oder mit Erweiterung als *dneA vorkommt. 
Auf diese Wurzel, die die Bedeutung „Kraft, Stärke“ hat, ist von 
Prellwitz, BB. XXIV 215 und oben XLV 159 hingewiesen worden. 
Aus dem Griechischen hat er nach Hoffmann, Griech. Dial. III 355 
dazu gestellt ion. dvnneAln‘ dodeveıw Hes., dvaneidoas' dvap- 
ọwoẸels Hes., ferner gehört dahin ion. onnei&w hom. 6Aıynneiiwv, 
dem Nikander ein xaxnnei£wov nachgebildet hat und aus Kalli- 
machos’ Hymn. 6, 135 eönneiie, das auch Hesych neben eönne- 
Zeie: nıogor, eünvıoı anführt. Aus dem Germanischen gehört hier- 
her an. afl „Kraft“, ahd. abalön „Kraft haben“ u.a. Dann wäre 
die alte Bedeutung von »nnıog „kraftlos“, und výmios, agdroe 
haben bei der Frage nach der Vertretung von urgriech. ar im 
Griechischen völlig auszuscheiden. 


Halle (Saale). | F. Specht. 


Altbulg. stoën, Z1sc». 


Im Altbulg. heißt die Galle zleco, Zlsco oder Ss, Das Ver- 
hältnis zwischen 2lsto und Zizët ist ganz klar; 2lsto beruht auf 
dem alten Partizipium 2lsts und entspricht bis auf die andre Ab- 
lautstufe genau lit. geltas, während Sisi eine Weiterbildung mit 
k-Suffix ist, die in zlaks „herba, x407‘ aus *zolks noch vorliegt. 
Auffällig bleibt nur die Differenz im Anlaut. Die älteste Über- 
lieferung (Vondrák, Ksl. Gram. 393) bietet z/scvo und demgemäß 
sieht Vondrák, Vgl. slav. Gram. I* 474 in zlěčo das alte und er- 
klärt ž in 2lsCo als Fernassimilation an č. Nach Meillet, Le slave 
commun 69 dagegen ist zlsco volksetymologische Umgestaltung 
nach zelene. 


124 F. Specht, Got. naiw. — W. Schulze, Lesefrüchte. 


Die Galle ist bekanntlich nach ihrer grünen Farbe genannt, 
und gerade das Wort für „grün‘ schwankt von Hause aus im 
Anlaut zwischen oh und gh’. Man vgl. lit. Zäalias, Zole, Zéit, 
ostlit. Zeltas „golden“, tulZis < *šultis (Niedermann, Tauta ir 
Žodis 2, 443f.), ksl. zlacv, zelens, zlaks, lat. helvus, ahd. galla, 
griech. xoAn, ai. hári-, av. zari- auf der einen, lit. geltas, gelsvas, 
geltönas, ksl. Zleto, ZleCv, lat. fel auf der andern Seite. Demnach 
ist der Anlaut in zla“, žlto, Zar völlig in Ordnung. 


Halle (Saale). F. Specht. 


Gotisch naiw. 


Das einmal Mc. Ge belegte und aus naiswor korrigierte got. 
naiw „E£veigev* hat in den etymologischen Wörterbüchern keine 
außergermanische Entsprechung. Vorausgesetzt, daß das Wort 
richtig überliefert ist, läßt es sich gut mit der baltischen Sippe 
verbinden, die Būga, oben LU 292 angeführt hat: lett. nievät 
„verachten“, lit. neivd, Ge „das Kränkeln“, naīvoties „kränkeln“, 
neivoti „tadeln, schelten“, náivyti „quälen, töten“. Vgl. auch 
Endzelin, Lett.-deutsch. Wörterb. II 751f. In der Bedeutung 
deckt sich naiw genau mit lit. neivoti. Letzten Endes wird auch 
lit. nõvyti „quälen, töten“, lett. nârét, nävit usw. aus *nafli)w- 
dahin gehören. Vgl. Endzelin a. a. O. 703f. mit Literatur. 

Halle (Saale). F. Specht. 


Lesefrüchte. 

9. Daß das Wühlen des Schweins in manchen Sprachen 
einfach als „Graben“ bezeichnet wird, habe ich oben LV 112 
belegt. Das gilt auch fürs Lettische. Bielenstein, Lett. Rätsel 
754 bed (zu lat. fodere), vgl. 747 kaš (zu lit. kasti) und 748 ruok. 
Die Litauer aber besitzen neben kästi „graben“ das nur von 
Schweinen gebrauchte knisti „wühlen* (dazu knysys „Schweine- 
rüssel*): ist es möglich beide Verba durch die Annahme eines 
Präsensinfixes miteinander zu vermitteln ? 

10. Gr. xaiAias als Name des Affen (Kretschmer o XXXIII 
562) wird erläutert durch das 365. Jataka, wo sumukha (d. i. 
xailınodownog) als schmeichlerische Anrede an einen Affen ge- 
braucht wird (III 19822. oe Fausb.). W. S. 


F. Otto Schrader, Sanskrit anala „Feuer“. 125 


Sanskrit anala „Feuer“. 


Zu Wilhelm Schulzes kleinem Artikel „Zufall?“ auf S. 306 
des Bandes LIV dieser Zeitschrift lassen sich noch verschiedene 
Tatsachen beibringen, die teils für teils gegen seine Vermutung 
zu sprechen scheinen. 

Die von den indischen Etymologen gegebene Erklärung von 
skt. unala „Feuer“ (das lautlich zusammenfällt mit dem unbe- 
legten anala = anila) deckt sich dem Sinne nach genau mit der 
von W. S. vorgeschlagenen: nästy alah paryaptir yasya, bahuda- 
hyadahane’pi trpter abhävat (Väcaspatyam). Aber eine Wurzel al 
„ernähren“ gibt es freilich im Sanskrit nicht; und jenes ala „Ge- 
nüge, Sättigung“ und das zugehörige Verbum al, alati „hin- 
reichen, imstande sein“ sind eben nur den Etymologen und 
Lexikographen bekannt und machen ganz den Eindruck, zur Er- 
klärung von anala „Feuer“ und alam „genug, imstande“ von 
ihnen erfunden zu sein. Merkwürdigerweise jedoch scheint hier 
das Päli die Belege zu liefern, die wir im Sanskrit vergebens 
suchen. Im Päli-Kanon nämlich kommt, nach dem Ausweise des 
Wörterbuches der P.T.S., anala zweimal (im Majjhima-Nikäya 
und im Jätaka) im Sinne von „not sufficient, not enough; unable, 
impossible, unmanageable“ und einmal (im Jataka) als „dissatis- 
fied, insatiate“ vor, was um so bemerkenswerter ist, als im Pali ` 
das dem Sanskrit so geläufige Wort anala „Feuer“ vollständig 
fehlt. 

Nun ist aber anala auch dem Vedischen fremd, und zwar als 
Nomen sowohl wie als Adjektiv: es ist zuerst nachweisbar aus 
der späten Svetä$vatara-Upanisad, also etwa aus der Zeit des 
Buddha. Die Frage ist daher berechtigt nicht nur, sondern not- 
wendig, ob es nicht fremden: dravidischen oder sonst an-arischen 
Ursprungs sein könne. 

Im Tamil erscheint skt. anala „Feuer“ als das Tatsama 
analam oder analan. Daneben aber stehen anal „Feuer, Hitze“ 
und ańal(u) „glühen, flammen“ nebst den Ableitungen davon: 
anali „Feuer; Sonne“, ańarru „erhitzen, brennen (trans.); zürnen“ 
und einer Anzahl Komposita wie arar-pori „Feuerfunke“. Diese 
ganze Reihe wird in dem im Erscheinen begriffenen „Tamil 
Lexicon“ der Madras University ohne Begründung, also wohl nur 
wegen der einheimischen Tradition, gleichfalls als sanskritisch 
angeführt, wogegen sie in den älteren Wörterbüchern (von Wins- 
low und Mousset-Dupuy) als dravidisch erscheint. Ist ersteres 


126 F. Otto Schrader, Sanskrit anala „Feuer“. 


richtig — wofür das Fehlen von ańal usw. in den anderen Dravida- 
Sprachen zu sprechen schent") — so würde man bei anal usw. 
an eine durch das Tatsama hervorgerufene Analogiebildung zu 
der völlig gleichbedeutenden Reihe kanal, kanali, kanarru zu 
denken haben’). Aber anderseits ist mit lautgesetzlichem (dia- 
lektischem) Schwund von anlautendem k zu rechnen: dem Tamil- 
Wort arugu (eine Grasart) stehen im Malayalam, Kanaresischen, 
Tulu und Telugu Formen mit anlautendem ka- oder ga- gegen- 
über‘); und in norddravidischen Sprachen erscheint das ursprüng- 
liche (süddravidische) anlautende k als Spirant (x, x”) und weiter 
als A‘). Es ist daher durchaus denkbar, sowohl daß Tamil ańal 
nicht auf skt. anala beruht, vielmehr dieses auf jenem, wie auch 
besonders daß etwa aus einer der vor-arischen Drävida-Sprachen 
. Nordindiens ein auf ursprünglichem *kanal beruhendes Wort mit 
geschwundenem oder dem Sanskrit unfamiliärem Anlaut (Spiritus) 
in der Form von anala in das Sanskrit Aufnahme gefunden habe. 
Eine vierte Möglichkeit scheint nicht vorhanden zu sein, da in 
den Munda-Sprachen die Wörter für „Feuer“, soweit bekannt’), 
mit anala keine Ähnlichkeit haben. 

Es ergibt sich also ein non liquet, aber doch wohl mit einer 
gewissen Wahrscheinlichkeit der Herkunft unseres Wortes aus 
dem Dravidischen‘). Denn die Stütze, die Wilhelm Schulzes 


1) Falls im Kanaresischen wirklich anal (analu) „Hitze“ als dialektische 
Dublette aus dem gleichbedeutenden aral (im Tamil auch „Feuer“) sich ent- 
wickelt hat; s. Kittel, Dict., s. v. (Appendix). Daneben — mit auffallender 
Bedeutungsverschiedenheit — das „Tadbhava“ analu „Hitze“ und das „Tatsama“ 
anala „Feuer“. 

2) Eine dritte Reihe mit fast ganz denselben Bedeutungen ist Tam. aral, 
arali, ararıu. (Hiermit könnte skt. alāta zusammenhängen, wie skt. kanaka 
mit der außer in kanal usw. in Tam. Mal. kani „glühen; reifen“, Tel. Kan. 
kanalu „Zorn“ u.a. Wörtern vorliegenden Wurzel kan.) 

3) Andere Fälle von verlorenem %- e in Gundert’s „Malayalam and English 
Dictionary“ S. 1093 (Appendix) und bei K. S. Subbaya, „A Primer of Dravidian 
Phonology“, S. 43. l 

4) Ursprüngliches *kanal liegt vielleicht vor im ersten Bestandteil von 
Kurux kandkārnā „aufflammen“. Tel. kittu, Tam. Kan. kiccu „Feuer“ er- 
scheint im Kui als Aizzu. Über das Umsichgreifen des A- < x- im Kurux s. 
„Linguistic Survey of India“, vol. IV, S.412. Wenn es ebd. S. 621 vom Brähüi 
heißt: „The % is very faintly sounded and often dropped“, so dürfte mindestens 
das erstere von den meisten Drävida-Sprachen gelten, in denen ein % sich ent- 
wickelt hat oder in Fremdwörtern vorkommt. 

5) S. „Linguistic Survey of India“, vol. IV, S. 248—251. 

6) Ein seltsamer Anklang im Samojedischen würde, falls nicht bloßer Zufall, 


Hermann Jacobsohn, Zum Mitteliranischen. 127 


schon an sich sehr kühne und nicht ohne Bedenken vorgetragene 
Annahme, anala sei ein zu dvairog (dvakos) zu stellendes uraltes 
Kompositum, durch das Pali zu erhalten scheint, erweckt wenig 
Vertrauen, da es doch zu nahe liegt, besonders auch wegen des 
im Samyutta-Nikäya vorkommenden analankata „dissatisfied, in- 
satiate“ (~ Skt. an-alam-krta „ungeschmückt“), in Pāli anala ein- 
fach ein aus an + alam (als Akkusativ eines a-Stammes) abstra- 
hiertes Adjektiv zu sehen. 


Kiel. | F. Otto Schrader. 


Zum Mitteliranischen. 


Auf assyrischen Urkunden werden zwei Könige von Kom- 
magene erwähnt, Kundaspi in einer Urkunde Salmanassars III. 
v. J. 854 und Kustaspi in Keilschriften Tiglath-Pilesers III. von 
740 und 738, deren Namen man seit langem aus dem Iranischen 
deutet und mit altiran. Vindaspa und Vistaspa gleichsetzt. Das 
setzt voraus, daß schon in so früher Zeit der Übergang von anl. 
vi- in gu- (assyrisch durch ku wiedergegeben) vollzogen war, der 
fürs Mitteliranische erst sehr viel später bezeugt ist. Dies Be-- 
denken hebt Ed. Meyer o. XLII 17 hervor und nennt als sonst 
ältestes Beispiel dieses mitteliran. Wandels den Namen des Königs 
T'ovöopeoons = altir. Vindafarna aus dem 1. Jh. n. Chr. Aber er 
glaubt doch, daß die in letzter Zeit ans Tageslicht getretenen 
arischen Namen bei syrischen Dynastieen, die z. T. recht früher 
Zeit angehören, auch für Kundaspi und Kustaspi iran. Herkunft 
sicherstellten. Es war der Zweck meines Aufsatzes o. LIV 254ff., 
zu zeigen, daß mitteliran. Lautwandel sich auf Grund griechischer 
Zeugnisse teilweise ins 8. Jh. v. Chr. zurückdatieren läßt. Das 
könnte dieser Auffassung der beiden Königsnamen zur Stütze 
dienen. Aber zweifelhaft bleibt sie schon deswegen, weil sonst 
die Königsnamen aus Kommagene wie Katazilu ebenfalls aus der 
Zeit Salmanassars Ill. und AMutallu aus der Zeit Sargons ein 
durchaus unarisches Gepräge haben. Wiederum weist Kretschmer 
o LV 99 solche Zweifel ab. Wenn er meint, ich hätte den eben 
erwähnten Namen des I'ovdop&oons woll übersehen, der den 
mitteliran. Wandel von vi- zu gu- schon in einer fürs Mittel- 


hineinpassen in die von mir in Z.LI., Bd. ILI, S. 81f. besprochenen Beziehungen. 
Hier, und zwar im Kamassinischen, lautet nach Castrén das Wort für „Feuer“ 
nawnelin: und das für „brennen“ neñiläm. 


128 Hermann Jacobsohn 


iranische recht frühen Zeit bezeuge, so ist das freilich ein Irrtum. 
Aber es liegt mir fern, an dieser Stelle über den Begriff von 
jungem und altem Lautwandel im Mitteliranischen zu streiten. 
Wertvoller scheint es mir, einen Fall von mitteliran. Übergang 
eines anl. v zu g zu geben, den ich wie so vieles andere von 
Andreas gelernt habe, und der noch um einige Jahrzehnte früher 
zu datieren ist als der Name des T'ovöop&oong. Die InAcaı, ein 
iran. Volk, das am Südwestufer des Kaspischen Meeres saß, und 
dessen Name sich noch heute in der Landschaft Gilan erhalten 
hat, werden zuerst in der antiken Überlieferung bei Strabo 11, 503 
und 11, 511 erwähnt. Strabos Gewährsmann ist Theophanes, der 
am Feldzuge des Pompejus in jenen Gegenden teilnahm. Das 
führt etwa in das Jahr 65 v. Chr. Nun hat Andreas die ältere 
Namensform für I’7icı im ersten Kapitel des Vendidad vs. 17 ent- 
deckt. Hier wird gesagt, daß Ahuro Mazdö als den vierzehnt- 
besten unter den Orten und Stätten varnom yim Caprugausom, 
d. i. „das vierohrige Varnom“ schuf. Die Einwohner der Land- 
schaft Varnom mußten *Varn-ya heißen, und daraus ist durch 
i-Epenthese, Übergang von -rn- in -l- und Wandel des anl. v in 
g die Form Gei geworden. Das sind die I’jAaı, die Bewohner 
der Landschaft Göelan, jünger Gilan. 

Als der Landschaft Yarnom zugeordnete Landplage werden 
im selben Verse dieses Kapitels genannt die anarya dohus-awistara, 
das sind „die Nichtarier, die Eindringlinge des Landes“ (so nach 
Andreas). Andreas leitet daraus eine schlagende Bestätigung 
seiner Deutung von varnom ab. Denn zweifellos mit Recht setzt 
er diese Anarya den Av-agıd-xzaı, den „Nichtariern“ gleich, die 
vor allem Strabo a. a. O. ebenfalls als Anwohner des Südwest- 
ufers des Kaspischen Meeres nennt. Andreas weist nun ferner 
darauf hin, daß bis auf den heutigen Tag sich der Name dieser 
Avagıdaaı in dieser Gegend im Namen der Stadt Nir im östlichen 
Aserbeidschan nicht weit von Gan gehalten hat. Für das Alter- 
tum bezeugt Steph. Byz. dieses Air in der Form Avaoıdzn im 
Gebiet der Avagıdzaı, und es ist immerhin möglich, daß in der 
modernen Form Nir die nicht um das Suffix -ka- erweiterte, ur- 
sprüngliche Gestalt des Namen Avagıa weiterlebt. Dabei ist 
anl. a geschwunden sogut wie in Maoöoı neben "Auagdoı, IIdovoı 
neben ”Anagvoı, wie in Saydorıoı, babylon. sa-ga-ar-ta-a-a neben 
apers. asagarta, elam. as-sa-kar-ti-ya-ra auf der Inschrift von 
Bisutun usw. Sind aber die I’Acuı die Bewohner der Landschaft 
Varnom, so fällt das für die Datierung dieses ersten Kapitels des 


Zum Mitteliranischen. 129 


Vendidad ms Gewicht, da der Name hier noch in seiner älteren 
Form auftritt. . 

Ich benutze die Gelegenheit, um einige mitteliran. Formen 
aus der Inschrift von Bisutun nachzutragen. Vahyazdäta ist ein 
Perser, der sich gegen Darius empört und als Zweiter nach Gau- 
mata als falscher Smerdis auftritt: Bisutun 8 40ff. Im Mittel- 
iranischen wird -ahya- zu & kontrahiert, das dann weiter zu z 
verschoben ist. So erklärt sich die elam. Wiedergabe des Namens 
durch mi-is-da-ad-da, die babylonische durch u-miz-da-a-tu, die 
ein volkstümliches Vizdata, bez. Vezdata wiederspiegeln. Daß 
babylonische Namen im Elamischen oft nicht in babylon., sondern 
in altpers. Lautgebung auftreten, ist bekannt. Vgl. den Namen 
des Tigris, babyl. di-ik-lat = apers. tigra, der im Elamischen mit 
apers. r für Z in der Form t-ig-ra erscheint. Ebenso aufzufassen 
ist wohl die elam. Wiedergabe des Namens der Stadt Arbela, 
jetzt Erbil im nördlichen Assyrien Bis. § 33. Dem babyl. ar-ba-il 
entspricht mit apers. Wandel von Im r arbairaya (Lokativ). 
Aber zum apers. r stimmt elam. harbera, und das zeigt, daß 
die Namensform aufs Altpersische zurückgeht. So wird auch 
e für apers. ai mitteliran. Aussprache des Volks wiedergeben '), 
obwohl an sich, wie mich Baumgartner belehrt, dieser Wandel 
auch im Assyrischen vollzogen sein kann. Daher muß es 
zweifelhaft bleiben, ob die seit der Zeit Alexanders den Grie- 
chen geläufige Form ’"AoßnAa aufs Assyrische zurückzuführen 
oder hier bereits nach mpers. Weise / für r eingetreten ist. Ganz 
merkwürdig aber ist es, daß im Namen des Babyloniers Nidintubel 
= elam. Nitit-bel (geschr. nu-ti-ut-be-ul), der sich 522 gegen Darius 
empört, assyr. e auf apers. Seite durch ai aufgenommen ist. 
Naditabaira ist die apers. Form, die sich wohl nur so erklärt, 
daß hier eine falsche Hochform vorliegt. Die alten Perser, die 
assyr. bel durch -bera aufgenommen hatten, aber gewohnt waren, 
dem 2 der eignen Volkssprache den Diphthong ai in der archai- 
schen Hochsprache entgegenzusetzen, haben dies Verhältnis auch 
auf einen babylon. Namen ausgedehnt, in dem das ai keine Be- 
rechtigung hatte. 

Ich darf noch auf einen andern Punkt in dem Kretschmer- 
schen Aufsatz zurückkommen. Für das Volk der Daher bezeugt 
Steph. Byz. eine Nebenform Adoaı mit erhaltenem o Ich habe 
geglaubt, dieses Adoaı, wenn es überhaupt zu verwerten ist, so 


DT 


1) Apers. ai = elam. ai im apers. Monatsnamen adukanaisa Bis. 8 31 
= elam. ha-du-kan-na-is. 
Zeitschrift für vergl. Sprachf. LVI 1/2. 9 


130 J. Pokorny 


auffassen zu können, daß es sich um eine uriran. Lautform 
handelt, die in grauer Vorzeit, als vorvokalisches s im Iranischen 
noch nicht zu A geworden war, von nichtiranischen Völkern 
übernommen und festgehalten wurde. Es scheint, als ob dieser 
Wandel im Iranischen erst vollzogen wäre, als die Inder bereits 
ins westliche Indien eingerückt waren. Man beachte Folgendes: 
das Wort sindhus „Fluß, Strom‘ haben die Inder erst in Indien 
auf den gleichnamigen Fluß und das dazugehörige Land über- 
tragen können. Wenn die Iranier es in der Form Ahindus für 
Indien gebrauchen, so müssen sie es noch mit anl. s übernommen 
und dieses s gleichzeitig mit dem anl. s ererbter Wörter in A 
verändert haben. An spätere Lautsubstitution ist nicht zu denken, 
noch dazu wo wir aus alter Zeit von einem Austausch indischer 
und iranıscher Wörter nichts wissen. Für Kretschmer aber be- 
weist s von Adoaı, daß dieser Stamm zu den ‚„Sanskrit-Ariern“ 
zu zählen wäre, die auf der Wanderung der Inder von Westen 
nach Osten am Kaspischen Meer sitzen geblieben waren. Zum 
mindesten müßten dann die Daher zur Zeit, als im Iranischen 
s zwischen Vokalen in h überging, noch indisch gesprochen haben, 
Das wäre erst zu beweisen. Denn seitdem das Volk mit seinen 
Stämmen den Griechen bekannt war, sind jedenfalls keine Nach- 
richten über eine bei ihnen geläufige Sprache überliefert, die von 
der Sprache der Skythen stark abgewichen wäre. Was bislang 
über die Zugehörigkeit von Stämmen, die als iranisch bezeichnet 
werden, zu den „Sanskrit-Ariern‘“ vorgebracht. war, war nicht 
grade sehr einleuchtend. Kretschmer meint nun freilich einen 
weiteren Grund für seine These darin zu finden, daß der bei 
Tacitus XI 10 als Grenzfluß der Daher erwähnte Sindes mit air. 
sindhu- identisch sei. Ich gestehe, daß die Etymologie sehr hübsch 
ist, aber sie ist keineswegs zwingend. Übrigens könnte auch 
auf das s von Sindes, wenn Kretschmers Etymologie zuträfe, 
mein Urteil über das s von Adoaı ausgedehnt werden. 


Marburg i. H. Hermann Jacobsohn. 


Zur Etymologie von lit. kumētė „Stute“. 


Die Behandlung dieses Wortes durch Junker (oben L 249 ff.) 
halte ich für verfehlt, weshalb ich dagegen Stellung nehmen 
möchte, umsomehr, als sie sich im wesentlichen auf eine Ety- 
mologie Charpentiers (Le Monde Oriental I 17ff.) stützt, die in 


Zur Etymologie von lit. kumsele „Stute“. 131 


keiner Weise den Grundsätzen einer wissenschaftlichen Etymo- 
logie entspricht, wie sie Kretschmer ’) längst in vorbildlicher Weise 
formuliert hat. 

Charpentier setzt lit. kumele mit ai. kumara- und griech. oxvu- 
vós gleich, indem er von einer gemeinsamen Grundbedeutung 
„Pferdejunges* ausgeht. Das griech. Wort können wir sofort 
ausscheiden, da weder Form noch Bedeutung passen. Es heißt 
„Löwenjunges* und wird erst in übertragener Bedeutung für 
andere Tiere und Menschen verwendet; zur Annahme eines be- 
weglichen s- liegt ebenfalls kein Grund vor. Die Bedeutung 
spricht entschieden für nichtidg. Ursprung und die Form nicht 
dagegen: anlautendes ox- und auslautendes -vuvo- sind beide in 
vorgriech. Namen nicht selten. 

Ebenso unberechtigt ist die Heranziehung von ai. kumara-. 
Es bedeutet ursprünglich „Kind, Knabe, Jüngling“, dann über- 
tragen „Prinz, Pferdeknecht“; von einer Bedeutung „Tierjunges“ 
ist keine Spur. Schon aus chronologischen Gründen ist es un- 
wahrscheinlich, daß das lit. Wort die ursprünglichere Bedeutung 
bewahrt hätte. Wenn man auf diese Weise etymologisieren will, 
könnte man mit gleichem Rechte air. cumal „Sklavin“ (angeblich 
aus *kumela „Beischläferin“, urspr. „Stute“) und bask. -khuma 
„Tierjunges“ heranziehen. 

Ich verstehe deshalb nicht, wie J. sagen kann, daß zweifellos 
kumara- und kumele auf eine Basis *kum- „Pferdejunges“ zurück- 
geführt werden können. 

Die balütschischen, afghanischen und chowärischen Worte, 
die J. als Stützen der Charpentierschen Etymologie heranzieht, 
sind als solche ganz ungeeignet. 

Das chow. kumd „Konkubine“ darf doch nicht ohne weiteres 
mit klruss. komanýća „geiles Weib, Hure“ verglichen werden, das 
nur als Spottname neben dem Grundwort komönyca „geile Stute“, 
komön „Pferd“ vorkommt. Nichts berechtigt uns, für kumd eine 
Grundbedeutung „Stute“ anzunehmen. Überdies halte ich es für 
ein unzweideutiges Lehnwort aus türk.kuma „Beischläferin, Sklavin, 
Dienerin“, was bei den politisch-geographischen Beziehungen zu 
dem benachbarten türkischen Sprachgebiet kaum Wunder nehmen 
kann. 

Aus dem Türkischen stammt auch bal. kūmak „Beihilfe“, u. zw. 
aus türk. kumak „Hilfe“. Junkers Behauptung, daß kūmak eigent- 
lich „der Beritt“ bedeute, hat keinerlei Grundlagen und beruht 


1) Gercke-Norden, Einleitung in die Alterumswissenschaft? S. 510f. 
9% 


132 J. Pokorny, Zur Etymologie von lit. kumele „Stute“. 


offenbar auf seiner mißverständlichen Übersetzung der engl. 
Wiedergabe „aid, assistance, guard“ im bal. Wörterbuch. 

Das von J. angeführte bal. khume$ „Braunstute* hat eben- 
falls nichts mit lit. kumēlė zu tun. Sein Einwand, es könne keine 
Farbenbezeichnung sein, weil es lediglich von braunen Stuten 
gebraucht werde, ist unrichtig, .denn die Balutschen reiten eben 
meist nur Stuten; khume$ ist ganz deutlich aus dem arab. kumait 
„braun“ (zum Stamme kamuta „braun sein“) entlehnt, das sowohl 
die Farbe des Dunkelfuchses wie des Weines bezeichnet. 

Afghan. kükurai, kungarai usw. „junger Hund“ sind nicht 
auf umständliche, gekünstelte Art aus *kumaka- entstanden, son- 
dern einfach aus ai. kukkura „Hund“ entlehnt; das Afghan. 
schiebt oft spontan einen Nasal ein, worauf mich Herr Andreas 
freundlich aufmerksam macht. Schon der Bedeutung wegen dürfte 
man nicht ohne weiteres die Worte für „Hund“ und „Stute“ ein- 
ander gleichsetzen. 

Was endlich das finn. humma „Pferd“ betrifft, auf Grund 
dessen J. behauptet, daß dadurch die Existenz eines german. 
* zuma- „Stute“ bewiesen werde, — ich sehe aber nicht ein, 
weshalb es nicht auf ein echt finn. älteres * čumma zurückgehen 
könnte? — so bedeutet es gar nicht „Pferd“ in gewöhnlichem 
Sinne und fehlt deshalb auch in vielen finn. Wörterbüchern (z. B. 
bei Pekka Katara), sondern ist ein Wort der Kindersprache 
(lasten kielessä, Erwast S. 93) und bedeutet „Kinderpferd, Stecken- 
pferd“, ist somit für unsere Zwecke ganz unbrauchbar; vgl. ferner 
hummata „das Pferd zurücklocken“, auch „faire riboter, godailler“, 
usw. 

Lit. kine, kumele (welches der beiden Worte als Grundwort 
anzusehen ist, bleibt ungewiß) lassen sich also auf die erwähnte 
Weise gewiß nicht deuten. Weil lit. kumelys „Füllen“, lett. ku- 
mels sowohl „Füllen“, wie „stattliches Roß“ bedeutet, darf man 
vielleicht fürs Baltische von einer Grundbedeutung „Pferd“ aus- 
gehen. Da z. B. in mehreren ir. Dialekten gearrán, ursprüngl. 
„verschnittenes Pferd“ (zu air. gerraim „zerhacke, verstümmle“), 
heute einfach jedes Pferd bezeichnet, könnte man auch für die 
balt. Worte eine solche Bedeutung annehmen. Lautlich läßt sich 
lit. küme vielleicht zu der gleichen Wurzel stellen, die auch in 
čech. komoly „stumpf, abgestutzt“, komolec „Stumpf“, russ. komdlyj 
„hornlos“ (d. h. „gestutzt“), komlúcha „Kuh ohne Hörner“ usw. 
vorliegt; dieselbe Wz. nach Trautmann, Bsl. Wb. S. 115 auch in 
tech. kmen „Stamm“, poln. knowad „abhauen, behauen“ (slav. 


H. Krahe, Messapisches. 133 


*ksm-). Wenn das richtig ist, verhält sich das lit. kum- zu slav. 
kom- wie lit. rumbüoju „umsäumen“ zu slav. *rombs „Saum“ 
(slov. ryb „Kante, Saum“ usw.). Vielleicht läßt sich auch ahd. 
hamal „verstümmelt“ trotz Solmsen (Gr. Wf. I 210) hierher stellen. 
Ich sehe nicht, daß etwas entschieden dagegen spräche. 

Lit. küme hätte dann ursprünglich „das verschnittene Pferd“ 
bezeichnet und würde auf eine idg. Grundform *kom- zurück- 
gehen’), also genau slav. *ksmy entsprechen; daß dieselbe Wz. 
sowohl die Worte für „Pferd“ wie für „Stamm, Stumpf“ liefert, 
ist unbedenklich, da auch die Ablautform komol% im Russ. sowohl 
„hornlos* (komölyj), „hornlose Kuh“ (komlúcha) wie „dickes Ende 
eines Balkens“ (kömelo) bedeutet. Die Grundbedeutung ist in 
allen Fällen „Gestutztes“. Hierher gehört vielleicht auch apreuß. 
camnet „Pferd“, u. zw. unmittelbar zu lit. kamënas „Stammende 
eines Baumes“, lett. kamans „dickes Ende eines Balkens“. Es 
wird sich hier wohl auch ein anderes Wort für Pferd eingemischt 
haben: Junker hat zwar die Erklärungen Leskiens (Bildg. d. 
Nomina 277), J. Schmidts (Sonantentheorie 139) und Vondräks 
(Vgl. Gr. I 322) bezüglich des Nebeneinanderliegens von kobyla, 
konjv und komonz mit Recht als unbefriedigend abgewiesen, aber 
übersehen, daß bereits Petersson (Lunds Un. Ärskr. Bd. 14, Nr. 31, 
S. 25) eine richtige Erklärung gegeben hatte: koby-la (vgl. ksl. 
plamy-ks „Flamme“), komons und koup repräsentieren die dreifache 
Stammabstufung des nasalen Suffixes einer Grundform *kab-on-; 
die Form komons statt *kobons erklärte er durch Assimilation an 
das n und Einfluß von (*kobnjs >) Stomp (> konjo). Ich 
möchte nur hinzufügen, daß meiner Ansicht nach auch die Wz. 
kom-, kom- „Gestutztes“ dabei im Spiele gewesen sein wird. 


Berlin. J. Pokorny. 


Messapisches. 


A. Torp (IF. V 202) hat als Erster in dem -9i, das in der 
großen Is. von Basta (Fabr. 2995) mehrfach vorkommt, eine en- 
klitisch antretende kopulative Konjunktion im Sinne von lat. -que 
erkannt. Im Beginn der ganz symmetrisch aufgebauten Auf- 
zählung (vgl. Hirt, Indogerm. II 608) heißt es in darandoa, dann 


1) Ausführliches über idg. — mit zahlreichen Beispielen bei Walde in „Stand 
und Aufgaben der Sprachwissenschaft“, Streitberg Festschrift S. 170ff. 


134 H. Krahe 


aber stets in-i trigonoxoa, in-i rexrzoricoa usw. = „und in“. 
Ebenda heißt es in Z. 5. 6. kazareihi xonetðihi otoeihi-$i dazohon- 
nihi, d. h. das zweite Namenpaar (sämtliche Namen im Genetiv) 
wird an das erste durch -9i angeschlossen, und dieses -Ẹi tritt 
an den ersten Namen im zweiten Paar an. Ebenso hat Torp 
(a. a. O. 204) richtig gesehen, daß dieses -9i nach s in -si über- 
geht; so heißt die erste Namengruppe derselben Is. (Z. 2. 3): sta- 
boos zonedonas dartas-si vaanetos. — Gleiche Namengruppen, durch 
-si verbunden, finden sich in der großen Is. von Brundisium 
(jetzt CIM. [= Corp. Inscr. Messap. ed. Ribezzo] 34, Br. 1): daxtas 
vosdellihi, Yalo]taras')-si balasüri[hi], Yaotoras-si vallaidihi (Z. 5 
bis 7). Ebenso wird in der vorhergehenden dreigliedrigen Namen- 
gruppe das zweite Paar v/alJlaihas-si dasinn/a]r (Z. 3) durch -si 
an das erste arg entstellte angeschlossen. 

Das dritte Glied in dieser Gruppe liest man allgemein als 
dazimaihi oibaliahiai[hi]. Ich schlage vor, den Anlaut des zweiten 
Namens Ol in Ol zu ändern und darin ebenfalls die in Rede 
stehende Konjunktion -vi zu sehen, die sonst diesem Namenpaar 
ım Gegensatz zu den andern fehlen würde. Es wäre dann zu 
lesen: dazimaihi-9i baliahiai[hi). Das hat zunächst den Vorteil, 
daß dadurch der erste Teil der Is., d. h. die beiden dreigliedrigen 
Namengruppen, als völlig symmetrisch gebaut erscheinen. Daß 
für O der messapischen Iss. (namentlich solcher, von denen wir 
nur alte Abschriften besitzen, die Steine aber verschollen sind) 
häufig © hergestellt werden muß, ist bekannt und ist kein allzu 
harter Eingriff in die Überlieferung. Als Vergleichsbeispiel eines 
für viele: CIM. 32, Cae. 4: Jotor argorapandes, wo ebenfalls OOTOR 
überliefert ist, einwandfrei jedoch OOTOR gelesen werden muß. — 
Zweitens verschwindet durch meine Änderung der wegen seiner 
Vokalisation im Anlaut immerhin unbequeme Name oibaliahiai/[hi]. 
Man hätte ihn wegen oi statt messap. ai”) als Lehngut betrachten 
müssen, und ein Anschluß lag auch nicht fern: Oißelie, die Burg 
von Tarent (Verg. Georg. IV 125; vgl. Deecke, Rhein. Mus. 
XXXVII, 377), OißoaAos, König von Sparta usw. Diese Namen 
sind natürlich sowohl vormessapisch als auch vorgriechisch. Eine 
Entlehnung ins Messapische ist zwar durchaus möglich, doch er- 


1) o von mir ergänzt; denn a für ao kommt sonst in dieser Is. nicht vor, 
und şa- steht am Zeilenende, wo fast in jeder Zeile der Is. ein oder mehrere 
Zeichen zu ergänzen sind. 

2) Vgl. z. B. berain 3. pl. opt. < *bheroint in derselben Is. 


o. get a Aë u 


Messapisches. | 135 


übrigt sich m. E. diese Erklärung durch das eben Dargelegte’). — 
Andrerseits findet der neu gewonnene Name baliahiaihi, nom. 
* baliahias, innerhalb des Messapischen reichlich Anknüpfung: 
Dbalehi Rom, Mitt. XXVII, 107; bale.. Fabr. s. III 468; baledonas 
Fabr. 3002, das sich zu balet$ihi Fabr. 2986 verhält wie zonedonas 
zu xzonetdihi (beide auf der eingangs genannten Is. aus Basta); 
ferner vielleicht noch balasüri/hi] in der großen Is. aus Brundi- 
sium und balakrahiaihi Fabr. s. III 467°). 

-Ji findet sich auf der eben erwähnten Is. von Brundisium 
weiter in anda-di (Z. 4), an ein voraufgehendes anda anknüpfend, 
genau wie in der Is. aus Basta (s. oben) At ein vorhergehendes 
in wiederaufnimmt. — Zwei Einzelnamen verbindet -9i in eo- 
torras xernaihi-Fi CIM. 61, Cae. 25. — Auch in der dritten großen 
Is., die wir vom Messapischen kennen, CIM.29, Ca. 1, begegnet 
die Konjunktion zweimal, hier beidemale nach s, also in der Form 
-si: tot}ebis-si (Z. 4. 5) und ....maddes-si (Z. 13); doch ist diese 
Is. vorderhand noch zu wenig deutbar, als daß sich über ihren 
Bau Abschließendes erkennen ließe. 

Wenn es überhaupt erlaubt ist, für -% „und“ sich nach einer 
indogermanischen Etymologie umzusehen, so kann nur ein Ver- 
gleich mit gr. u, lat. et in Frage kommen, den auch schon Ri- 
bezzo RIGI. IX 81 vorgeschlagen hat. Ein idg. *eti hätte also 
im Messapischen Wegfall des anlautenden e- erlitten. Ein zweites 
Beispiel für einen solchen Vorgang kennt das Messapische viel- 
leicht in pi-do°) (große Is. von Basta, Fabr. 2995 Z. 1), falls man 
Torps Deutung (IF. V 198f.), die m. E. zu Recht besteht, akzep- 
tieren will. pi- hat dann gegenüber gr. Zei, ai. dpi (woneben 
freilich auch pi) ebenfalls den anlautenden Vokal eingebüßt‘). — 
Der dem idg. € entsprechende Laut wird — die Richtigkeit der 
gegebenen Etymologie vorausgesetzt — in -9i durch © wieder. 
gegeben. Etwas Ähnliches liegt vor in den 3. sg. hipakadi CIM. 


1) Das von Deecke herangezogene illyr. Oeplus liegt selbstverständlich noch 
_ weiter ab. 

2, Daß dal- auch in der balkanillyrischen Namengebung keine geringe 
Rolle spielt, zeigt die Zusammenstellung bei Verf., Die alten balkanillyrischen 
geogr. Namen 82. Dort noch nachzutragen: Báůĝĝůa, nölıs Manedovias. d soit. 
tns BaAlatos Steph. Byz. 

3) Ich behalte damit Torps Worttrennung klohizis Yotoria marta pido 
vastei basta veinan aran bei, wobei Òotoria marta als Doppelname zu fassen 
ist. Ist es mehr als Zufall, daß auf einer Is. aus Rom (Ndsc. 1909 p. 312) eine 
Freigelassene Tutoria C.I. Martha heißt? 

4) Im Balkaniliyrischen gibt es epi-. Siehe Verf, a. a. O. 87f. 


136 H. Krahe, Messapisches,. 


55, Cae. 19 (Z. 2) und kermadi Ndsc. 1884, 132, wo -9i die idg. 
Primärendung -ti repräsentiert, bemerkenswerterweise auch hier 
vor A 

Für die Feststellung des Lautwertes von # ist gewiß der 
Übergang von -$i in -si nach s nicht ohne Bedeutung. Wäre A 
ohne weiteres = t, so hätte es nach s wahrscheinlich erhalten 
bleiben müssen, denn die Lautfolge st ist dem Messapischen nicht 
fremd, vgl. vastei zu idg. *uastu „Stadt“ (Fabr. 2995), staboas (oft) 
u.a. Vielmehr scheint der Übergang in s auf spirantische Aus- 
sprache des A hinzudeuten. Für diese Annahme läßt sich noch 
eine weitere Stütze beibringen. Der häufige messapische Name 
blatdes (z. B. CIM. 29, Ca. 1), der bekanntlich auf *hlatias < *bla- 
tios (cf. BAdruos, z. B. App. Hannib. 45f. u. ö.) zurückgeht, wird 
bei den Römern bald als Blattius (z. B. Liv. 26,38 u. ö.), bald als 
Blassius (z. B. Val. Max. 3,8 ext. 1 u. ö.) umschrieben. Diese Ver- 
schiedenheit kann nur auf der Verlegenheit beruhen, einen 
fremden messapischen Laut mit unzureichenden Mitteln der 
eigenen Sprache wiedergeben zu müssen, Man substituierte dem 
messapischen (0 bald ein tt, bald ein ss. Daraus ist zu schließen, 
daß {3 spirantischer Natur war, oder genauer, daß dieser Laut- 
komplex eine Spirans (nämlich das 9, etwa = p) enthielt, als 
Ganzes also eine Affrikata (etwa tp) darstellte. 

Die Verbindung t ist, wie seit Deecke feststeht, auf die 
Wirkung des folgenden i bzw. ¿į zurückzuführen. Nur — scheint 
mir — darf man nicht wie bisher einfache Dehnung eines vorher- 
gehenden Konsonanten (wie etwa bei der westgerm. Konsonanten- 
gemination) annehmen, was Schriftbilder von der Art des *pla- 
torres = Platorius vortäuschen könnten. Man hat vielmehr mit 
einer Infektion des vorhergehenden Konsonanten (Mouillierung 
od. dgl.) zu rechnen, worauf ich an anderer Stelle zurückkommen 
werde. Ist aber in *blatdes < *blatius das i der treibende Faktor 
für die Lautveränderung, dann wird es auch das ¿į in -9 und in 
hipakadi, kermaði sein. Dahingestellt muß freilich noch bleiben, 
ob man in letzteren Fällen dem vokalischen i diese Kraft zuzu- 
schreiben hat, oder ob von Fällen auszugehen ist, wo -9i vor 
vokalisch anlautendem Wort stand, also -9i gesprochen werden 
konnte oder mußte. 

Jena. H. Krahe. 


Paul Maas, Sappho fr. 75 Bergk. 137 


Sappho fr. 75 Bergk >. 


all’ EWV PIOS auuıv AEOS QQVÜOO VEWTEEOV' 
ou yao Tiaoou EYW OVV (CH OÜANV E000 YEQQITEQQ. 

Zu dem Imperativ «gvv00 vgl. Homer I 145 Zevyvvuev (womit 
Bechtel, Griech. Dial. I, 1921, 81 du6wosaı Öıdovuev in äolischen 
Inschriften verbindet). Die Synizese vewregov, die notwendig 
wird wenn man agevvoo mißt, wäre gegen den Sprachgebrauch 
der Lesbier (Lobel, Sappho p. XXXIII und LXIII); auch müßte 
man dann vorher einen Pherekrateus ansetzen («AF — ou) 
der bei den Lesbiern noch nicht bezeugt ist. 

Zur Elision von co, das ich einfüge, vgl. o eınnv Ale. 
55, 2 4 Sappho 28 Bergk (Sappho 149, 1.4 Diehl, inc. 22, 1.4 
Lobel), Tis ? w nov[... Alc. 117 Diehl (F 6 Lobel) 1, xai ? ef... 
Sappho 63 Anm. Diehl (6 22 b1 Lobel), uevr’ erf... Sappho 23 
Diehl (a 1 Lobel) 2, Za (r) ele&auav ovaog Kvngoyevna Sappho 
87 Bergk (87 Diehl, inc. 19 Lobel) nach Bergks ziemlich sicherer 
Konjektur®); Lobel Sappho p. LXI. Daß ovvoixeiw einen Dativ 
fordert, hat schon Bergk (1843) erkannt, ooı an anderer Stelle 
steht in Hartungs Umdichtung, die Bergk zitiert. 

Zur Diaerese oïxņv (Ahrens, G. Hermann, O. Hoffmann) vgl. 
oiö@ Ale, 145 Bergk (inc. 99 Lobel), das freilich für uns metrisch 
nicht kontrollierbar ist, oiön09a Theocr. 30, 13 (so Bergk zu Ale. 
Le und Wilamowitz, erte cod.), dazu die dreifach bezeugte 
Schreibung ovvdida Sappho 15 Bergk (37, 12 Diehl, «æ 14, 12 Lobel), 
wo das Metrum freilich einsilbiges or verlangt; ferner eixaodw D 
Sappho 104 Bergk (127 Diehl, y 12 Lobel), xoiAog Alc. 15 Bergk 
(54 Diehl, inc. 34 Lobel) 6, «Again» lyr. adesp. 65 Bergk, im all- 
gemeinen Herodian. bei Stephan. Byz. s. v. Kaola« und bei Choerob. 
I 110 Hilgard, dazu Kühner-Blaß I 224, Lobel Alc. p. LV, LXXII. 


1) 100 Diehl (1923), inc(erti) libri 5 Lobel (1925), überliefert bei Stobaios, 
IV 22, 112 p. 543 Hense. Die Orthographie von our, Bon und oe haben 
Frühere verbessert. 

2) Ca (éi efečauav, was Ahrens wollte, paßt nicht an den Gedichtanfang, 
den Hephaistions Zitat voraussetzen läßt. Laelefauav läßt sich durch den 
nach zeo zulässigen Hiat nicht decken, weil Are /Zefoton (Theocr. 30, 11) zur 
Verfügung stand. Bergk hat sein (7’) als re verstanden (er druckt Kvrooyernaı), 
aber das verbietet der Stil. Lobel (Alc. p. XXV) empfiehlt z?’ ohne Angabe wie 
es zu deuten sei, und zwar „exempli gratia“, aber ich sehe keine andere 
Möglichkeit. 

3) Hierzu W. Schulze, oben XLIII (1910) 186. 


138 Paul Maas, Cyren. zevraı = Zoraı. — Ed. Hermann, Die Konstruktion usw. 


ccoa hat Theokrit für aeolisch gehalten, 28, 16, an derselben 
Stelle desselben Verses, in einem ebenfalls mit ou yao beginnen- 
den Satz; dagegen coroa Ale, 117 Diehl (F 6 Lobel) 16 und Sappho 
27a Diehl (œa 5 Lobel) 16. 

Über die Sprecherin und den Angeredeten wage ich keine 
Vermutung ’). 


Berlin-Frohnau. ‘ Paul Maas. 


Cyren. Tevram = Eoral. 


Die neugefundenen cyrenäischen Inschriften des 4. Jahrh. 
v. Chr. haben drei Belege für tévtaı = Zoraı gebracht”). Da es 
aussichtslos scheint, diese Form auf den Stamm eo- zurückzu- 
führen, obwohl Sc dor. auch 3. sing. des Präsens ist, und ob- 
wohl das Fehlen des Bindevokals stark an Are erinnert, wird 
man nach einem andern Stamm suchen müssen. Und da dürfte 
es schwerlich Zufall sein, daß in den Inschriften zweier kretischer 
Städte, Dreros und Hierapytna, rElouaı, releraı und releodaı in 
der Bedeutung von &oouaı, &oraı, Eoeodaı bezeugt ist (4 Stellen 
bei Bechtel II 792). Die linguistischen Folgerungen zu ziehen, 
muß ich Berufenern überlassen. 


Berlin-Frohnau. Paul Maas. 


Die Konstruktion der Städte- und Ländernamen 
im Lateinischen. 


Die Schulregel, daß im Lateinischen auf die Fragen wo?, 
woher?, wohin? die Ländernamen mit Präposition, die Städte- 
namen ohne sie stehen, eine Regel, die allerdings besonders im 
älteren und nachklassischen Latein nicht genau eingehalten wird, 


1) Zu der Alkaios-Sappho-Legende, auf die man das Fragment bezogen hat, 
vgl. Sokrates VIII (1920) 20. Zu Alk. 55 Bergk (63 Diehl, inc. 62 Lobel) o io 
ayva neAlıyouside Zanpoı bemerke ich, daß außer dem Vokativ -weıde (Bechtel, 
Griech. Dial. I 70) auch der Anlaut Sarg. statt Warg. bedenklich ist. Die 
Trennung ueAlıyousides arpoı (oder Angor) beseitigt beide Anstöße. 

2) Lex sacra Cyren. (ed. zuletzt Wilamowitz, Berl. Sitz. 1927, 155) A 18 
aörög uèv uiapög revraı åuégas tots, dAAov di oò wiavei. B2 adıa A8 oöy 
öuwedpıos zéit vôl tévtaı odö} boost (— niavdHoeraı). Ius iurandum 
Theraeorum (ed. S. Ferri, Alcune iscrizioni di Cirene, Abh. Berl. Akad. 1925) 38 


Bavdoınog revraı val ré yonuara čorw abrod ĝaudoa. 


rn EU ei ii. fe ui GE mn E ml m ri 


Ed. Hermann, Die Konstruktion d. Städte- u. Ländernamen im Lateinischen. 139 


hat bisher keine befriedigende Erklärung gefunden. Der Einzige, 
der sich darum bemüht hat. scheint Delbrück zu sein. Auch 
Heckmann hat IF. XVII die Verschiedenheit der Konstruktionen 
als etwas ganz Selbstverständliches hingenommen. Aber selbst- 
verständlich ist sie durchaus nicht. 

Delbrück ist Vgl. Syut. 1202, 364 der Meinung, daß es sich 
beim Fehlen der Präposition nie um die anschauliche Schilderung 
eines in der Phantasie genau vorgestellten Vorgangs im Raume 
handele, wobei die malerischen Präpositionen am Platze gewesen 
wären. Das paßt auf den Unterschied zwischen Athenas proficisci 
und in Graeciam proficisci sicherlich nicht. Wieso wäre eine Reise 
nach Athen weniger anschaulich als eine Reise nach Griechenland? 

Die Sache liegt in Wirklichkeit anders und ganz einfach. 
Die Konstruktion mit Präposition ist jünger als die ohne Präposi- 
tion. Nun sind aber die Ländernamen in allen indogermanischen 
Sprachen eine ziemlich junge Erscheinung. Allerdings sind sie 
schon zu Beginn der lateinischen Überlieferung vorhanden; aber 
gerade aus der Umgebung Roms kann man sehen, daß die Länder- 
namen jung sind. Der Römer hat immer nur die Aequi, Aurunci, 
Hernici, Marrucini, Marsi, Paeligni, Sabini, Vestini, Volsci ge- 
kannt; nur zu den Latini gab es ein Latium usw. Die Länder- 
namen, die den Römern zum Teil erst durch die Vermittlung der 
Griechen geläufig wurden, werden ins Lateiniscke zumeist erst 
gekommen sein, als der Zusatz der Präpositionen ex und in bei 
den Appellativen schon geläufig war. Bei häufigen Verbindungen 
wie domum, rus usw. hielt sich der Ortskasus ohne Präposition. 
So mag es auch bei den Städtenamen gewesen sein, die in alten 
Zeiten durch häufigen Gebrauch sich befestigt hatten. Die Städte- 
namen fernerer Gegenden wurden allmählich auch noch in diese 
präpositionslose Konstruktion einbezogen; aber bei Plautus und 
andern Altlateinern schwankt der Sprachgebrauch, wie Heckmann 
mit Recht vermutet hat, wohl zum Teil deswegen, weil die 
Sprechenden garnicht recht wußten, ob der Name ein Land oder 
eine Stadt meinte. Es lohnt vielleicht den Dingen von neuem 
einmal nachzugehen. [Nachtrag. Vgl. Wackernagel, Vorlesungen 
II 223 fg.] 


Göttingen. | Eduard Hermann. 


140 E. Lewy, Einzelheiten. 


Einzelheiten. 


1. Die Zusammengehörigkeit des idg. Wortes für „Meer“ 
mit griech. ueouelow hat W. Schulze Berl. Sitzber. 1910, 795 
dadurch evident gemacht, daß er diese mit einer Fülle ähnlicher 
Bedeutungsverwandtschaften zusammengeordnet hat. Ein germ. 
Wort ähnlicher Bedeutung, „See“, das im got. marisaiws „Aluvn“ 
mit jenem idg. zu einem Kompositum verbunden ist (Grimm, 
Gr. IL 442), scheint nun auch eine haltbare Deutung zu gewinnen, 
wenn man es in diese Bedeutungsverwandtschaft bringt: durch 
griech. aid4osg (das Schulze auch a.a.O. 804 erwähnt) '). 

2. Die genaue Prüfung der in ähnlichen Wortbildungen auf- 
tretenden phonetischen Bedingungen zeigt manchmal ganz ein- 
fache Regelungen, die ein Zurückgreifen auf ältere rekonstruierte 
Verhältnisse oder die Annahme von verwickelten Übertragungen 
überflüssig machen. Griech. dovvuaı, nrdovvuaı z. B. gegenüber 
dovvuı, orögvvu zeigen die Lautfolgen -æọ-ŭ und -0g-v-; d.h. 
doch wohl rundende Wirkung eines langen v. Lat. pressi (: premo) 
und con-tempsi (: contemno) zeigen die dissimilierende Wirkung 
eines anlautenden Labials auf ein folgendes m und die erhaltende 
eines anlautenden Dentals. 

3. Für die von der antiken Etymologie gelehrte Ableitung von 
facies von facere (Gellius, Noct. Attic. XIII XXX) bilden eine schöne 
Parallele die von W. Bang zusammengestellten mandschurischen 
Wörter arbun „Körper, Gestalt, Ansehen, Äußeres“, arambi 
„machen, bereiten, wirken“ und osmanisch gilig „die äußere Form, 
das Aussehen“, türk. gil- „machen“ Ungar. Jahrbücher IV 18 Anm. 

4. Vielleicht ist es erlaubt, gegenüber einer wohl auch heute 
noch beliebten Rekonstruktion auf eine sehr alte Deutung zu 
verweisen, nämlich auf die Ableitung des griech. dıödoxw von 
„AAQ“ von der Wurzel „AA“ bei Buttmann, Ausf. griech. Sproch), 
(1839) II 152, Ahrens, Griech. Formenlehre (1852) 124 gegenüber 
einer Identifizierung mit lat. disco und Aufbau einer besonderen 
idg. Präsensklasse. [S. o. XLIII 185.] 


Berlin. E. Lewy. 


1) Die Bedeutungen „schnell“ und „bunt“ (s. a.a.0. 802 Anm. 3) könnten 
allenfalls veranlassen, auch lat. saevus hierher zu ziehen, das ja auch evidenter 
Deutung entbehrt. Aber „schnell“ ist doch noch nicht ganz „wild“. 


W. Schulze, Etymologische Zweideutigkeit. 141 


Etymologische Zweideutigkeit. 


Bei Servius zu Verg. Aen. XI 788 steht eine Notiz über die 
beiden lat. Wörter, die ‘Kohle’ bedeuten, pruna und carbo: ‘prune 
quamdiu ardet dicitur, cum autem extincta fuerit, “carbo nominatur; 
nam pruna a perurendo dicta est. Die Etymologie a perurendo 
(W2z. eus, ai. ösati = gr. edeı)') ist natürlich falsch; der Vergleich 
mit alb. pruš „brennende Kohlen“ (G. Meyer, Alb. Wb. 355) und 
ai. plosati „brennt“ hat uns, wie bekannt, darüber belehrt, daß 
prūna aus *prusna entstanden und auf die mit dem synonymen 
eus reimende idg. Wz. preus zu beziehen ist. Auf diese Analogie 
können sich also die Etymologen berufen, die germ. kol „Kohle“ 
zu ai. jvalati „brennt“ stellen (vgl. an. kola „a small flat open 
lamp“).. 

Aber das germ. Wort kann ebenso gut die erloschene wie 
die glühende Kohle, carbo wie pruna, bezeichnen; dem lat. carbones 
entspricht im An. kọld kol wörtl. „kalte Kohlen“. Also könnte 
man kol auch zu germ. kalän „kalt sein oder werden“ in Be- 
ziehung setzen; die erforderliche Ablautsstufe ist durch an. kuldi 
und mnd. kulde (heute küll „Kälte) direkt belegt. 

Da die Wirkungen der Hitze und der Kälte verwandt sind 
— Griechen und Römer gebrauchen für beide xaisıv bz. urere’) 
— ergibt sich die bemerkenswerte Möglichkeit, an. kala durch 
das gleiche Verbum zu übersetzen, von dem die lat. Benennung 
der brennenden Kohle abgeleitet ist, to freeze (= ahd. friosan 
„frieren*). Cleasby-Vigfusson u. d. W. kala. 

Die Entscheidung zwischen den verschiedenen Erklärungs- 
möglichkeiten für germ. kol wird noch erschwert durch die Exi- 
stenz des bedeutungsgleichen mir. gúal, dessen Lautgestalt über- 
dies selbst zweideutig ist (aus goul- oder gogl-, das eine redu- 
plizierte Bildung sein könnte wie sl. popels „Asche“ oder lat. 
populus, älter poplos)*). W. S. 


1) Vgl. Paul. ex Festo 253 Linds. pruina dicta, quod fruges ac virgulta 
perurat. 

2) Servius Aen. I 92 et de calore et de frigore "wiere dicimus. S. auch 
- die vorhergehende Anm. 

3) „Mittelirisch gúal erscheint als ä-Stamm, der Gen. Sg. guala mit 
nichtpalat. Z weist auf eine Grundform *goglä; daneben kommt guaile vor, das 
ist aber eine häufige Analogiebildung zum Dat. Akk. gúail. Hingegen kann 
guala nicht analogisch erklärt werden; *geulä würde im Gen. nur gúaile er- 
geben haben, also beweist gúala eine Grundform *gogl-.“ J. Pokorny. 


142 E. Lewy: 


P. W. Schmidt, S. V. D., Die Sprachfamilien und Sprachen- 
kreise der Erde. Mit einem Atlas von 14 Karten in Lithographie. 
(Kulturgeschichtliche Bibliothek, herausgeg. v. W. Foy. 1. Reihe: 
Ethnologische Bibliothek 5.) 

Die auf der Titelseite des Buches ausgesprochene Einreihung 
in eine kulturgeschichtliche Bibliothek gibt uns den Maßstab für 
das, was wir von dem umfangreichen Werke zu erwarten haben: 
es ist ein etlinologisches, mindestens eines, in dem das Ethno- 
logische stark betont ist — schon das Wort „Sprachenkreis“ wird 
den anderen Linguisten nicht bekannter sein, als es es mir war —, 
kein sprachwissenschaftliches oder gar philologisches. Man tut 
gut, den Begriff der „philologischen Akribie“ der sich leicht bei 
uns einstellt, bei der Lektüre des Buches nicht zu fest im Auge 
zu behalten. Gleich im ersten Satze des Vorworts heißt es: „Das 
vorliegende Werk hat in seinem ersten Teil .. . Berührungs- 
punkte mit N. Fincks „Die Sprachstämme des Erdkreises“ (Leipzig 
1919).“ Finck hat nie ein wissenschaftliches Buch unter einem 
anderen Namen als F. N. Finck "erscheinen lassen. Welche 
Gründe Schmidt veranlaßt haben, diese Umnennung vorzunehmen, 
weiß ich nicht; auf mich wirkt sie, wie ein Unglück verheißen- 
des Symbol — zumal auch das genannte Buch nicht 1919, sondern 
1909 erschienen ist: Namen und Zahlen in dem Buche, das doch 
z. gr. Teile ein bibliographisches ist, stimmen allzuoft nicht. Von 
den Forschern, die im 3. Abschnitt auf S. 40 genannt sind, tragen 
hier 3 falsche Vornamen (J. Streitberg, P. de Saussure, A. Verner); 
auf S. 50 im 2. Abschnitte treten folgende Forscher auf: V. Gøpen- 
bech, H. Petersen und J. Gombocz (im Register erscheinen sie als 
Gopenbech, Pederson und J. Gombocz). Daß es sich hier um 
V. Grønbech, H. Pedersen und Z. Gombocz handelt, kann nur 
merken, wer es schon weiß. Jacob Grimm tritt hier (S. 40) als 
„J. Grimme (1835—1863)“ auf. Auf derselben unglücklichen Seite 
erfahren wir, daß Th. Benfey von 1709—1886 lebte, also wirk- 
lich ein patriarchalisches Alter erreichte, während sein Gegner 
G. Curtius nur 1820—25 Zeit für doch immerhin respektable Lei- 
stungen finden konnte. Diese ärgerlichen oder heieren Versehen), 
meinetwegen Druckfehler, wären vielleicht mit Stillschweigen zu 


1) Über die Sitte, die sich zu einem Gewohnheitsrecht der Linguisten aus- 
zubilden scheint, die ungarischen Worte falsch zu schreiben, und die oft furcht- 
bare Form russischer Titel will ich nicht viel sprechen. Aber man muß doch 
konstatieren, daß von Wundts berühmtem Ayelo eine Linie der Entwicklung 
führt zu összehasonlito (S. 46) bier. 


P. W. Schmidt, Die Sprachfamilien und Sprachenkreise der Erde. 143 


bedecken; aber das wird schwer, weil sie fast regelmäßig in die 
Register reichen. Daß daselbst H(ugo) Winckler und H(einrich) 
Winkler zu einer Persönlichkeit H. Winkler zusammengeronnen 
sind, war nach den oben gegebenen Proben zu erwarten; ebenso 
daß mit großer Regelmäßigkeit Böthlingk gedruckt wird. Leider 
beschränken sich diese Versehen nicht auf Namen und Zahlen. 
S. 48 finden wir eine Arbeit von O. (l. Ö.) Beke zitiert mit dem 
wunderlichen Titel: „Einflüsse in die Syntax der finnisch-ugrischen 
Sprachen“ unter den „Arbeiten vergleichender Natur“ (S. 47). 
Richtig heißt der Titel anders: „Türkische Einflüsse in der Syntax 
finnisch-ugrischer Sprachen“; womit auch schon gesagt ist, daß 
er dorthin, wo er bei Schm. steht, nicht hingehört. — Ob wohl 
ein Bibliothekar aus den Angaben S. 66 erkennen kann, wie es 
sich mit den Erscheinungsjahren von Schiefners Arbeiten über 
das Thusch, Awarische und Udische verhält? Für diese 3 Sprachen 
sind nämlich 4 Erscheinungsjahre und -orte angegeben. Es ist 
richtig; aber ich glaube, daß niemand aus dem Text entnehmen 
kann, daß sich die 4. Angabe auf Schiefners „Awarische Texte“ 
bezieht. Auch kann man aus den daselbst verzeichneten An- 
gaben über die Bearbeitungen (Schmidt sagt „Auszüge“) der 
Uslarschen Arbeiten durch Schiefner nicht entnehmen, was doch 
gewiß interessant und wissenswürdig ist, daß diese „Auszüge“ 
viel früher allgemein zugänglich waren (1863, 67, 72, 66, 71, 73) 
als die gedruckten Werke Uslars. Raummangel wende man nicht 
ein; es kommen nicht ganz selten Wiederholungen vor, die wunder- 
lichsten auf S. 260 (Abschnitt 3 und 4 von Nr. 28), und S. 88 
mit Nachtrag dazu auf S. 542. — S. 64 finden wir einen Ab- 
schnitt überschrieben: „Die japhetitischen (nostratischen) Sprachen“ 
und dann besprochen die kleinasiatischen Altsprachen (so), das 
Etruskische usw., bis wir auf S. 74 finden: „diese ganze Gruppe“ 
(der neuentdeckten kleinasiatischen Sprachen und der mit ihnen 
verwandten) „aber... würde als ein besonderes Glied in die 
nostratische Sprachfamilie ... eintreten, die die indoeuropäischen, 
die hamito-semitischen ... umfaßt...“ Ja, wenn die „nostrati- 
schen“ Sprachen als Oberbegriff die indoeuropäischen, die hamito- 
semitischen usw. umfassen, da kann man doch nicht eine Unter- 
gruppe, wie die der „japhetitischen“ Sprachen, in Klammern 
„nostratisch* benennen, wonach jeder denken muß, daß „nostra- 
tisch“ nur ein anderer Ausdruck für „japhetitisch“ ist. — 

Man verzeihe diese Kleinlichkeit. Aber die Zahl der un- 
präzisen oder unrichtigen Formulierungen oder Angaben stört 


144 E. Lewy: 


wirklich sehr. Dennoch ist das Buch ein umfassendes und viel 
bietendes bibliographisches Hilfsmittel, dessen Reichtum manch- 
mal geradezu in Erstaunen setzt, besonders natürlich auf Gebieten, 
die dem Verfasser naheliegen. Man vgl. z. B. S. 122—23 über die 
andamanesischen Sprachen, die der für seine Aufgabe nicht vor- 
bereitete Herausgeber Meillet in „Les langues du monde“ ganz 
vergessen hatte, und S. 148 — 54 über die Papua-Sprachen (gegen- 
über Les langues du monde 456—59), wo mir nur auffiel, daß 
R. Thurnwalds Forschungen auf den Salomo-Inseln, Berlin 1912 
(vgl. O. Dempwolff, ZfK. II 330—33), nicht verzeichnet sind, in 
denen doch auch zusammenhängende Texte geboten werden. Bei 
der Auswahl der Literaturangaben spielt der Gesichtspunkt eine 
bedeutende Rolle, ob ın den Arbeiten der Nachweis weiterer 
sprachlicher Verwandtschaft erstrebt wird, jedoch — verständiger- 
weise — nicht die ausschließliche (vgl. das Vorwort). Doch wirkt 
es wunderlich, wenn beim Etruskischen (S. 64—66) W. Schulzes 
Werk nicht genannt wird’), über dessen Stellung in der Ge- 
schichte der etruskischen Forschung Schmidt sich durch einen 
Latinisten, wie F. Skutsch (bei Pauli-Wissowa VI 774), unter- 
richten möge; wenn bei der Besprechung der Anfänge der finnisch- 
ugrischen Forschung (S. 45) E. N. Setäläs Lisiä suomalais-ugrilaisen 
kielentutkimuksen historiaan (1891) fehlen. Betrübt hat mich, 
daß besonders aus älterer Zeit wertvolle Werke verdienter Männer 
fehlen, die man nicht vergessen darf. Z. B. J. B. Schlegels „Schlüssel 
zur Ewe Sprache“ (1857); die höchst interessanten Études philo- 
logiques sur quelques langues sauvages de l’Amerique par N. O. 
ancien missionaire (= J.-A. Cuoq), Montreal 1866 (für Algonkinisch 
und Irokesisch); bei den Algonkin-Sprachen (166—68) vermisse 
ich sehr J. Howse, A grammar of the Cree language whith which 
is combined an analysis of the Chippeway dialect, London 1865 °); 
bei den Eskimo-Sprachen (52—54) sind zwar die Wörterbücher 
von Egede und Fabricius zitiert, aber die neueren von F. Erd- 


1) Vgl. z. B. das Kärtchen bei Autran, Les langues du monde 305. 

2) Howse war nach der Titelseite seines Buches resident twenty years in 
Prince Ruperts Land, in the service of the hon. Hudson’s Bay company. Ob 
er sich in seinem Leben großer linguistischer Schulung zu erfreuen hatte, weiß 
ich nicht; die Lektüre der Vorrede des Buches scheint mir auf alle Fälle lehr- 
reicher als die der meisten sprachphilosophischen oder sprachpsychologischen (oder 
wie man es sonst nennt) Werke neuester Zeit, weil sich hier, wenn vielleicht auch 
in naiver Weise, aber doch deutlich das Erlebnis der Sprache ausspricht. Als 
Beweis für den offenen Sinn des Mannes zitiere ich S. IX Anm.: It may be here 


P. W. Schmidt, Die Sprachfamilien und Sprachenkreise der Erde. 145 


mann (1864) und S. Kleinschmidt (herausgeg. v. H. F. Jørgensen 
1871) fehlen. Die Geschichte der Erforschung der einzelnen 
Sprachen und Sprachgruppen ist für Schmidt in hohem Grade 
Erforschung der Zusammenhänge einer Sprache und Sprachgruppe 
mit anderen; diese Zusammenhänge interessieren ihn, die Gewinnung 
immer größerer Gruppen. Hierbei erleben wir nun das zwar zu 
erwartende, aber darum nicht minder schmerzliche Schauspiel, 
daß der Forscher sehr kritisch ist auf Gebieten, die er kennt, 
leichtgläubig aber auf Gebieten, die ihm ferner liegen. So lehnt 
Schmidt, S. 121, die Verwandtschaft der dravidischen Sprachen 
mit australischen (mit den australischen darf man ja seit Schmidts 
wichtigem Werke nicht mehr sagen) ab, bemerkt aber über den 
Aufsatz von F. O. Schrader, Dravidisch und Uralisch: „eine be- 
trächtliche Anzahl von bedeutungsvollen Wortgleichungen, wie 
auch Gemeinsamkeiten der Wortbildung und Grammatik“, so daß 
„die vorgebrachten Tatsachen“ „die neuerliche Prüfung der Frage 
als notwendig erscheinen“ lassen. Schrader hatte gemeint (ich 
zitiere nach Schmidt S. 122), daß zwischen den dravidischen und 
uralischen Sprachen ein historischer Zusammenhang bestehe, „der, 
wenn nicht als Urverwandtschaft, so doch als vorgeschichtliche 
Nachbarschaft und sehr intime einseitige oder gegenseitige Beein- 
flussung erklärt werden muß“. Da auch zwei der bedeutendsten 
jüngeren Sprachforscher, die, da sie ihre Meinung abgeben, hier 
offenbar besonders kompetent sind —- W. Porzig LZ. 76 Sp. 215 
nennt Schraders Arbeit „wichtig“, H. Güntert, Grundfr. d. Sprachw. 
103—4 „beachtenswert“ —, Schmidts Meinung teilen, muß ich, 
obwohl ich mich auf zwei so umfangreichen Forschungsgebieten 
durchaus nicht heimisch fühle, doch einmal die Frage prüfen '). 

Schrader sagt (Zflul. III 105) bei Gelegenheit der negativen 
Verba des Dravidischen: ... „Die Wurzel il ... steckt, wenn 
observed, as worthy of notice, that this, among other forms of the verb, seems 
to bring into view a third generic family, as respects languages 

1. Agent and Action, separate, as English, 
2. Agent and Action, combined, as Lat. Ital. 
3. Agent, Action, Obj. etc. combined, as Amer. Languages. 

1) Professor Schrader war so freundlich mir auf meine Bitte ein Exemplar 
seines Aufsatzes zu senden, in das er sogar briefliche Bemerkungen J. Szinnyei’s, 
die allerdings für den mit den fi.-ugr. Sprachen auch nur oberflächlich Vertrauten 
nahelagen, eingetragen hatte. Ich möchte auch hier Professor Schrader für seine per- 
sönliche Freundlichkeit bestens danken, zumal ich sachlich gegen seine Arbeit 
den allerschärfsten Einspruch erheben muß und begründen werde, wobei ich aller- 
dings zu seiner Entlastung hinzufügen möchte, daß die Mode des lexikalischen 
Verwandtschaftsnachweises wie eine ansteckende Krankheit grassiert. 

Zeitschrift für vergl. Sprachf. LVI 1/2 10 


146 E. Lewy: 


nicht in Finn. en ..., so doch sicherlich z. B. in Finn. ilman 
‘ohne’ ~ Tam. illamal ohne zg Nun ist finn. ilman „ohne“ der 
Genetiv von ilma „Luft“ (das Wort schon vor Jahren als Parallele 
zu einer preußischen Erscheinung angeführt IF. XXXI 165); und 
die Übereinstimmung, die sichere, mit dem Tamulischen Worte 
eben das, was wir Zufall’) nennen. Dies zur Vorbereitung. 

Schrader hat mir brieflich gesagt, daß er auf die grammati- 
schen Übereinstimmungen weniger Wert legt; daß aber die lexi- 
kalischen Übereinstimmungeu zu massenhaft aufträten, als daß 
sie Zufall sein könnten. Um die Möglichkeit des Zufalls zu 
beweisen, lege ich hier eine kleine Liste von Übereinstimmungen 
von Ketschua- (bei Schmidt Quechua 214—15) und finnischen 
Worten vor, wobei die hinzugesetzten Zahlen beim Ketschua auf 
E. W. Middendorf, Wörterbuch des Runa Simi oder der Keshua- 
Sprache (Die einheimischen Sprachen Perus 2. Leipzig 1890), beim 
Finnischen auf P. Katara, Finnisch-deutsches Wörterbuch, Porvoo 
(1925) weisen, damit jeder sich überzeugen kann, daß es mit 
rechten Dingen zugeht’). 


1. 


k. 
kallu (218) Zunge 


2. kantuj (220) baumartiger 


, kasi (226) müssig, ... 


Strauch des Hochlands mit 
schönen, roten Blüten 


, kara (221) Haut, Fell, Rinde 
, karkoy (223) aus dem Hause, 


dem Orte, dem Lande ver- 
weisen, verbannen, hinaus- 
treiben 
leer, 
friedlich 


. kata (228) Decke 
, kella (233) faul, träge, weich- 


lich 


. kepo (235) feine Stacheln, Na- 


deln, wie die des Kaktus oder 
der Nessel 


1) Daß hinter dem Worte „Zufall“ 
spielt aber hier keine Rolle. 
2) Ein paar zu nahe liegende Vergleiche aus anderen dem Finnischen mehr 
oder weniger nahen Sprachen sind nebenbei zugefügt. 


f. 
kieli (198) Zunge 
kanto (168) Baumstumpf 


kuori (256) Rinde 
karkottaa (171) verjagen, ver- 
scheuchen, vertreiben 


kesy (195) zahm 


katto (179) Dach ... Decke 

kolpus (Ervast, Finn.-deutsch. 
Wb. 216) der nachlässige, 
träge ... Mensch ... 

keppi (190) Stock 


viele Probleme liegen, ist ja bekannt; 


P. W. Schmidt, Die Sprachfamilien und Sprachenkreise der Erde. 


k. 


8a. kepnay (236) sich erbrechen 


9. 


10. 


11. 


12. 


13. 


keru (236) Becher 
kerhu (236) Leibbinde 


koillur Stern, 

koiru der weiße Flecken, die 
Narbe in der Hornhaut des 
Auges (238—39) 

kolluy (244) aufhören, zu Ende 
gehen, beendigen, unter- 
brechen 

konkor (249) Knie 


13a. konta (250) Dampf, Dunst 


14. 


18. 


kora (250) krautartige ze 
Kraut, Unkraut 


15. kaura (216) schmutzig 
. kasa (225) Frost, Eis 
17. karpay (224) das Feld bewäs- 


sern; karpuña (225) Name eini- 
ger Pflanzen 

kallpa (219) das bebaute Land, 
im Gegensatz zu purun, das 
wüste, unbebaute Land 


. kaihuiy (214) umrühren, auf- 


lösen 


. kori (251) Gold, kollke (246) 


Silber, Geld 


, kollko (247) dicker Stock, 


Knittel 


. kosko (253) Mittelpunkt des 


Körpers, Nabel 


. korumt’a (252) das Herz, der 


Strunk des Maiskolbens 


. Koronta (322) der seiner Kör- 


ner beraubte 
Strunk 


Maiskolben, 


. kero (236) Balken, dünn oder 


dick gezimmertes Holz, keriri 
(236) Drüsengeschwulst.... 


147 


f. 
ung. köpni spucken, speien 
kuoru (Ervast 243) Aushöhlung, 
Rinne ... Napf, Schüssel 


 kääre (280) Umschlag, Kom- 


presse 
koi (223) Morgendämmerung, 
koillinen (ebd.) Nordosten 


kulua (249) ... abgetragen, ab- 
gegriffen werden, sich ab- 
nutzen, abnehmen ... 
konkka (Ervast 218) . 
Schenkel 
tawgy-samojedisch kinta Rauch 
korsi (235) Strohhalm, Halm, 
Stiel, Stengel 
kura (258) Kot, Schmutz, Dreck 
kaste (174) Tau, Nässe 
karpalo (171) Moosbeere; Trop- 
fen, Träne ar 


Hütte, 


kelpo (189) tüchtig; kelpaava 
tauglich 


kaihokas (Ervast 159) düster, 
traurig 

koru (236) Schmuck, kulta (249) 
Gold 

kolkka (Ervast 214) Stange, 
Stecken 

keski (193) Mitte 


korte (236) Schachtelhalm 
korento (233) Tragstange 
kerros (191) Schicht, . . . Stock- 


werk, kerä (192) Knäuel 
10* 


148 


26. 


27. 
28. 


29. 


30. 


. kaitu (286) Faden, 


E. Lewy: 


k. 
kosa (253) Gatte 


k’umu (326) Buckel, Höcker 
kurpa (327—28) Erdscholle 
des umgebrochenen Feldes, ein 
Stück von einem Luftziegel 
kana (292) verächtlicher 
Mensch; gemeines Subjekt 
k’amiy (291) mit Worten be- 
leidigen, tadeln, schmähen 
... Zwirn 


. kehui (304) gedreht, verdreht, 


verbogen ... 


. kellu (307) gelb, blau 
. k’empiy (308) den Rand von 


etwas umschlagen, einschla- 
gen, säumen 


. ki'teu (317) eng, schmal, knapp 
. kita (317) herumschweifend, 


vagabundierend, wild... 


. "Foto (270) Bergabhang 
. “kari (268) Mann; . 


.. stark, 
mutig, tapfer 


. "kullpi (284) Splitter 


. ‘kuyay (283) lieb haben, Mit- 


leid haben, pflegen, wohltun 


. "kopo(kompo)(282)Geschwulst, 


Beule 


, "koroy (282) in Stücke schnei- 


den, verstümmeln; schlachten 


, “kompu (281) Geschwulst, 


Beule 


. “kollmo (281) stumpf, ohne 


Spitze 


. “katke (271) herb, zusammen- 


ziehend, sauer 


f. 

kanssa (167) mit; syrį. goz, wot]. 
kuz Paar, kuzpal Ehehältfte, 
Gatte, Gattin 

kumara (250) gebückt 

kurppu (Ervast 246) Knülle, 
Knitter, kurppuinen runzelig, 
faltıg 

konna (230) Kröte, Schurke, ... 
Schuft 

kimakka (209) schrill, grell 


köysi (282) Seil, Strick (Stamm: 
köyte-) 

keikka (Ervast 186) krumm, ge- 
bogen ... 

kellastua (188) gelb werden 

kimppu (209) Bündel, kimpi 
Daube 


kitsas(217) geizig,knapp,karg... 

kilua (217) kränkeln, verküm-. 
mern 

keto (196) Feld, Flur 

koira (223) Hund; 

Männchen 

kolpia (Ervast 216) schlagen, 
prügeln 

koinia (Ervast 210) coire; Cerem. 
kujas 

kopea (232) hochmütig ... 
(„geschwollen“!), 
kompelo (229) täppisch ... 

koro (235) Furche, Riefe 


ung. him 


stolz 


kumpu (252) Hügel, kupu (258) 
Kropf 
kulma (248) Winkel, Ecke 


katkera (177) bitter 


46. 


STE 


P. W. Schmidt, Die Sprachfamilien und Sprachenkreise der Erde. 


k. 
pata (654) Stufe, Rand, ... 
Ufer, Saum 


. pisi (660) wenig ... gering 


pokes (665) dick, fett, plump.... 


. pajla, poajra (694) haarlos, 


kahl... 


. p'itay (702) Schlingen, Fallen 


149 
E 
pato (477) Damm 


pisara (500) Tropfen 
pohkio, pohje (505) Wade 
paljas (465) kahl 


pyytää, pyydystää (535, 534) 


stellen fangen, jagen 
öl. p'ituiy(703)sehnlich wünschen pyytää (535) bitten, ersuchen 
52. posko (704) sauer, herb puhkaista (518) durchstechen 
53. ‘puyu (686) Wolke, Nebel pilvi (499) Wolke 
54. ‘piri (684—5) kleines Frag- pirsta (500) Splitter, pirastaa 
ment, zerstoßene Stücke ... (Ervast 483) splittern, brök- 
keln, zerbrechen 
55. mak’alliy (555) umarmen maata (makaan) (Ervast 358) 
liegen, schlafen ... beschlafen, 
schwängern 
56. makay (554) schlagen, prü- mukittaa (Ervast 382) schlagen, 
geln .. klopfen ... 
57. malliy(560—1)kosten,schmek- maistaa (350) kosten, schmecken 
ken, probieren; Geschmack 
58. manay(571)fordern,verlangen, manata (356) beschwören, ... 
bitten, zurückverlangen ... verfluchen, ... vor Gericht 
laden ... 
59. maruy (573) Erdklumpen zer- mura (393) Kieß, Grieß ... 
schlagen 
60. orko (123) Männchen der Diere yrkä (Ervast 789) Bräutigam; 


Junggesell, Mann. 


Was können nun die Zusammenstellungen lehren? Sie zeigen, 
daß in zwei Sprachen, deren hauptsächliches Gemeinsame das 
‚ist, daß ich von beiden Wörterbücher besitze, ohne Schwierig- 
keit eine ganze Menge lautlich und bedeutungsmäßig identischer 
oder sich sehr nahestehender Worte gefunden werden können, 
leichter beinahe, als etwa in den finnisch-ugrischen und den 
samojedischen gemeinsame. Und doch stehen auch im Wort- 
schatze diese beiden Sprachstämme ganz nahe, weil — wie Setälä 
in seiner Behandlung des Wortschatzes gezeigt hat — sich eine 
ganze Menge von Bedeutungsgruppen im Wortschatz als einander 
nahestehend erweisen. Das müssen die an etymologischen Ver- 
wandtschaftsnachweisen Arbeitenden in ihrer Werkstatt bedenken. 


150 E. Lewy: 


Es hieße Papier verquisten, wenn ich noch Listen ketschua-griechi 
scher, wogulisch-lateinischer, mordwinisch-indogermanischer usw. 
Gleichungen veröffentlichte. Wer Zeit für diese geistreichen 
Spiele hat und die nötigen Wörterbücher, kann ad infinitum der- 
artiges fabrizieren '). 

Aber auch der Nachweis der Verwandtschaft des Ketschua 
und des Finnischen (bzw. Finnisch-Ugrischen) in bezug auf Laut- 
wesen und Flexion ist spielend zu führen. Auch im Ketschua 
fehlen zunächst b, d, g, und kein Wort fängt mit 2 Konsonanten an. 
In dem Pluralsuffix -Auna des Ketschua ist das ung.-lapp. Plural- 
suffix -A, vermehrt um ein -n (für das viele Deutungen möglich 
sind), nicht zu verkennen, Im Sprachbau steht, wie bekannt, das 
Ketschua dem Finnischen beträchtlich näher als das Dravidische 
dem Finnisch-ugrischen. Misteli sagt über das Dravidische ganz 
richtig in seinem Werke, das Schrader S. 85 Z. 29 mit dem Prä- 
dikat „klassisch“ versieht, S. 391: „Die dravidischen Sprachen 
zeigen im allgemeinen eine ähnliche Struktur, wie die uralaltai- 
schen, mischen aber soviel Abweichendes bei, daß sie als selb- 
ständiger Typus gelten müssen und unmöglich im uralaltaischen 
Kapitel unterzubringen wären.“ Vgl. bes. S. 405, 407, Ende von 
Absch. 5 und 6. Ein wichtiger Unterschied ist z. B. der, daß die 
Konsonantenverstärkung in den Dravidischen Sprachen in vielen 
Fällen eine Funktion, einen faßbaren Sinn hat (Vinson 108')), 
den der finnisch-ugrische Stufenwechsel”) nie besitzt, der immer 


1) Ich erlaube mir, weil sie es m. A. n. verdienen, folgende Worte A. Trom- 
bettis in diesem Zusammenhange anzuführen (aus Caucasica II 115): „Schon seit 
längerer Zeit vertieft sich in mir die Überzeugung, daß die bedeutendsten Ver- 
änderungen in der Sprache mehr die Bedeutung der Wörter und die Funktion 
der Formen als ihr lautliches Bild ergriffen haben, wenn dieses letztere in vielen 
Fällen sich auch so geändert haben kann, daß das ursprüngliche Aussehen der 
Wörter ganz verborgen ist.“ Ein Kommentar hierzu oder eine Polemik da- 
gegen wäre zu umfangreich. Doch fragt man sich, wie man diese Äußerung 
verstehen soll. Etwa so: „Die Laute in zwei Worten zweier Sprachen sind nicht 
gleich; die Bedeutungen sind ebenfalls nicht gleich; also liegt es nahe anzunehmen, 
daß die Worte einmal identisch waren, "ursprünglech" 

1) Auch spielt, wie man bei Vinson a. a. O. hervorgehoben findet, vielfach 
ein Nasal vor dem Verschlußlaut eine Rolle; diese müßte man auch erklären, 
bevor man vergleicht. 

2) Bei den ganz oberflächlichen Kenntnissen des Türkischen, die ich habe, 
möchte an verfrühtem Vergleichen ich mich nicht gern beteiligen. Die Frage 
darf ich mir aber vielleicht gestatten: Wieso wird mit dem Stufenwechsel nicht 
verglichen die Tatsache, die Pröhle, Oszmän-török nyelvtan (1899) § 7, so be- 
schreibt: Die auf -Z endenden Worte, besonders wenn sie mehrsilbig sind, ver- 
wandeln vor mit Vokalen beginnenden Suffixen und Wortbildungselementen das 
-t in -d? Németh, Türkische Grammatik $ 27, bemerkt ausdrücklich: „Die ein- 


P. W. Schmidt, Die Sprachfamilien und Sprachenkreise der Erde. 151 


ein rein „euphonischer“ Vorgang ist. Die beiden Erscheinungen 
zu vergleichen, geht so nicht an. 

Nach dem, was oben über den Wortschatz und den Wert 
der Wortgleichungen bemerkt ist, brauche ich kaum hervorzuheben, 
daß die Versuche mit Hilfe von Wortgleichungen Beziehungen 
zwischen den austrischen und tibeto-chinesischen Sprachen her- 
zustellen, die A. Conrady unternommen hat, und die auf Schmidt 
einen gewissen Eindruck gemacht haben (s. S. 147—48), ähnlich 
zu bewerten sind, wie der Versuch F. O. Schraders mit Hilfe von 
Wortgleichungen Beziehungen zwischen den dravidischen und den 
finnisch-ugrischen bzw. den uralischen Sprachen herzustellen — 
zumal hier noch innerhalb des Tibeto-chinesischen viel zu tun ist. 

Trotz des großen Interesses und der großen Befähigung für 
den Sprachverwandtschaftsbeweis — man denke besonders an 
den von Schmidt geschaffenen Begriff der austrischen Sprachen, 
der sich schon fast allgemein durchgesetzt hat — werden in diesem 
Buche die Gründe für die angenommenen Sprachstämme und 
Sprachverwandtschaften nicht angegeben, so daß man bei dem 
Burnushaski (44—45) nur erfährt, daß die einen es zu den Munda-, 
die andern zu den Dravida-Sprachen rechnen, und beim Sumeri- 
schen (77), daß es mit den uralaltaischen Sprachen, dem Bir- 
manischen, dem Kanuri, dem „Prämalaischen“, den kaukasischen 
Sprachen, aber auch noch mit einigen anderen Sprachtypen ver- 
glichen worden ist. Lieber als die Angabe dieser deprimierenden 
Meinungsverschiedenheiten, die im Leser starke Zweifel an dem 
Vorhandensein einer Methode des Verwandtschaftsnachweises 
wecken, wäre ihm in solch zweifelvollen Fällen die Angabe einiger 
Gründe für die getroffene Entscheidung. — 

Die reichen Literaturangaben bilden, im ganzen genommen, 
fraglos eine glückliche Abweichung von Fincks Büchlein; ein 
zweiter Unterschied, den gleichfalls Schmidt im Vorwort hervor- 
hebt, „besteht in der Weglassung der Angaben über den geo- 
graphischen Sitz der Sprachen; für diesen ist auf die betreffen- 
den Quellenwerke und die beigegebenen Karten verwiesen“. Wenn 
nun im Text des Buches oder im Register auf die Karten, auf 
denen Gradzahlen und Flußnamen fehlen, nach der Art, wie sie 
in Atlanten üblich ist, verwiesen würde, so wäre das Suchen er- 
leichtert; so ist es oft schwer, und manchmal auch nicht leicht, 
eine Angabe der Karte in dem Buche wiederzufinden. Mir ist 
es z. B. nicht gelungen, mit Hilfe des Buches zu erkennen, welche 


silbigen Wörter behalten des öfteren ihr 2" Ist das nicht eine Erscheinung, 
die dem Stufenwechsel sehr nahe stehen könnte? 


152 E. Lewy: 


Algonkin-Sprache es ist, die südlich von Kiowa und westlich von 
Pani (Pawnee) auf Karte V eingetragen ist. Nur durch Finck 
S. 77 habe ich erkannt, daß hier Arapaho „am Oberlauf des 
Kansas“ gemeint ist. Manche Namen des Buches fehlen auf der 
Karte; ich wenigstens konnte Menomini, Sauk-Fox-Kickapoo, Pota- 
watomi (S. 168) auf der Karte nicht finden; ebenso scheinen zu 
fehlen Cocamilla, Yurimagua (S. 242). Erschwerend ist es auch, 
wenn die Formen der Namen auf der Karte und im Text nicht 
ganz identisch sind. Schon solche kleine Abweichungen wie: 


im Text Sipaia (Achipaya) 241; Acipaya 243, Tsölöa (223), 


auf der Karte Acıpaya, Tsöloa, 
ım Text Kassibo (228), Aratsaira (228), Toosle (258), Diuiche (263), 
auf der Karte Kashibo, Aratsira, Tosle, Diuiiche 


stören bei der großen Fülle, Mannigfaltigkeit und Ähnlichkeit der 
südamerikanischen Stammnamen. Ärgerlicher ist es, wenn Puqina 
im Text (215—) auf der Karte als Ugina (UQINA), Paumari (S. 245) 
als Pauma erscheint. Auf Karte VI finden wir südlich des Ama- 
zonenstromes eine Panosprache, hellblau: Katawisi, und eine iso- 
lierte, weiß: Katawise; im Text S. 229 Katawisi als letzte der 
Katukina-Sprachen. In solchen Fällen muß man sich in dem mit 
großer Genauigkeit (ich habe es genau durchgeprüft und darf es 
feststellen) gearbeiteten, freilich nicht mehr ganz neuen Büchlein 
Fincks oder bei Rivet in Les langues du monde Rats erholen '). — 
Auch die hübsche Buntheit der Karten ist nicht immer so ver- 
wendet, wie man wünschen muß. Sicher ist eine der interessan- 
testen Entdeckungen, die auf dem Gebiete der genealogischen 
Sprachforschung nach dem Erscheinen von Fincks „Sprach- 
stämmen“* gemacht worden ist, die von Schmidt uns hier S. 167 
mitgeteilte, von E. Sapır gemachte, daß zwei Sprachen am Stillen 
Ozean (Wiyot und Yurok) zu dem großen Algonkinischen Sprach- 
stamm gehören, wie ähnlich auch die Athapaskischen Sprachen 
(die Schmidt S. 168 Dene-Sprachen, S. 171 Na-Dene-Sprachen 
nennt) am Stillen Ozean in Talowa und Wailaki Verwandte haben. 
Das tritt beides auf der Karte V nicht völlig hervor. Die Fär- 
bung von Wiyot und Yurok ist nicht ganz die gleiche, wie die 
der anderen Algonkin-Sprachen; Talowa und Wailaki sind zwar 
wie die anderen Athapasken-Sprachen gefärbt, aber fast dieselbe 
Farbe trägt das geographisch naheliegende, linguistisch aber ganz 


1) Schmidt hat (241, 243; auch im Register so) Guayajaro; Finck 89 das 
Guashasharische (Guajajarische); Rivet 690 aber Guažažaro. Was ist nun das 
Richtige? 


P. W. Schmidt, Die Sprachfsmilien und Sprachenkreise der Erde. 153 


selbständige Yuki (S. 185—86). (Ich folge hier selbstverständlich 
durchaus Schmidts Angaben.) — 

Ich weiß nicht, ob ich nach diesen Ausführungen meine Mei- 
nung über den ersten Teil des Buches noch besonders ausdrücken 
muß. Es ist eine schlimme Eigenschaft, die nun einmal zum 
Wesen der kritischen Anzeige gehört, daß das Gute in einem 
Buche vielleicht allzu selbstverständlich angenommen und genossen, 
das Schlechte zu heftig abgelehnt, zu stark hervorgehoben wird. 
Deshalb hebe ich noch einmal hervor, daß ich auf Gebieten, von 
denen ich wenig oder nichts weiß, durch die Fülle der Literatur- 
angaben') erfreut und überrascht war und viel mir Neues erfahren 
habe; daß ich aber auf Gebieten, die ich genauer kenne, über 
die unsachgemäße und uncharakteristische Auswahl der Werke 
und die wenig deutliche Schilderung des Forschungsganges (man 
lese besonders das Kapitel über „die indoeuropäischen Sprachen“ 
S. 39—43) gestaunt habe. Hoffentlich geht es nicht so wie mir 
allen Lesern! Die Fülle der Versehen im einzelnen, die vielfach 
nur auf mangelnder Präzision des Ausdruckes beruhen’), stört 
sehr und war nach den schönen Worten des Vorworts (IV) nicht 
zu erwarten. — 

Einen vollkommen anderen Charakter als der erste Teil des 
Buches trägt der zweite (269—540). Jener war Bericht; dieser 
ist Forschung. Er beruht auf einer ohne Frage großartigen Kon- 
zeption, die Schmidt bei seinen umfassenden etlınographischen 
und linguistischen Studien gewinnen mußte: die ethnologischen 
und die linguistischen Einheiten stehen in einem Zu- 
sammenhange. Die Schönheit und Wucht dieses Einfalls wird 
nicht dadurch berührt, ob er alt oder neu, beweisbar oder un- 
beweisbar ist. Er wird, wie Steinthals und Mistelis Einteilung 
der Sprachen in Form- und formlose Sprachen, die in der zu- 
friedenen bürgerlichen Hochblüte um die Mitte des 19. Jahrhunderts 
im schönen Europa, das sich froh im Besitze fühlte, konzipiert 
wurde, und wie Byrnes und Fincks Beziehung der Sprachform 
auf die Temperamente der Völker, die auf einer tieferen, wohl 
z. T. schon von Nietzsche befruchteten Auffassung vom Kultur- 


1) Daß freilich nie hervorgehoben wird, über welche Einzelsprachen man 
sich aus reichlichen Texten wirklich unterrichten kann, ist m. A. n. ein sehr 
großer und die Weiterarbeit schädigender Mangel, der nicht verschwiegen werden 
darf, und der nicht dadurch kleiner wird, daß ihn das Meilletsche Buch Les 
langues du monde auch hat. Ebenso müßte hervorgehoben werden, für welche 
Gebiete Texte fehlen. 

2) So tritt S. 59 Fr. Praetorius als Aagyptologe, S.53 V. Henry als fran- 
zösischer Missionar — wenn ich recht verstehe — auf. 


154 E. Lewy: 


wandel beruhte, als ein Versuch, das Rätsel der sprachlichen Form 
zu deuten, bleiben. Freilich steht er für den Linguisten hinter 
den beiden genannten Versuchen zurück, nicht infolge einer 
mäßigeren Beherrschung des hier in geradezu beängstigender 
Fülle herbeigeschafften sprachlichen Materials, sondern aus einem 
noch tieferen Grunde: hier werden Kultur und Sprache unmittel- 
bar verglichen und versucht, eine direkte Beziehung zwischen 
beiden herzustellen’), Das wird aber in alle Ewigkeit unmöglich 
bleiben; denn Sprache und Kultur erhalten ihre Vermittelung nur 
im Geist. Ich möchte diese Dinge, über die eine völlige Ver- 
ständigung wohl nie zu erreichen sein wird, hier nicht ausführ- 
lich behandeln, sondern möchte der Einfachheit halber auf Voßlers " 
„Geist und Kultur in der Sprache“ verweisen. 

Da m. A. n. Schmidts Leistung als Konzeption auf einen 
hervorragenden Platz zu stellen ist, ist es fast weniger wichtig, 
wie es sich mit seinen Aufstellungen im einzelnen verhält. Doch 
kann ich mich vor dieser — man erwartet nach dem 1. Teile nichts 
vollendet Gutes — schmerzlichen Aufgabe nicht drücken. S. 276 
heißt es: „Das größte kontinuierliche Gebiet (der Verbreitung von 
ö und ü) weisen die uralaltaischen Sprachen auf; hier sind ö und 
ü überall verbreitet ...“ Im Mordwinischen kommt weder ü noch 
ö vor; das seltene hintere ; kann keinesfalls also gelten, das hintere 
e auch nicht als ö. In den permischen Sprachen liegen die Dinge 
ähnlich; doch kann hier e allenfalls als ö-artig gelten (wie es ja 
auch im Syrjänischen so geschrieben wird). — 

S. 284: „Jedenfalls das Finnisch-Esthnische und die uralischen 
(ugro-finnischen) Sprachen überhaupt kannten den Unterschied 
zwischen Tönenden und Tonlosen (Konsonanten) ursprünglich 
nicht.“ Da der Stufenwechsel, eine der charakteristischen Laut- 
eigentümlichkeiten der finnisch-ugrischen Sprachen, gerade in 
vielen Fällen im Wechsel zwischen Tönenden und Tonlosen besteht, 

1) Wie es etwa A. Dirr in seinem Anfsatze „Über die Klassen (Geschlechter) 
in den kaukasischen Sprachen“ (Internationales Archiv für Ethnographie 18) 
unternimmt. Übrigens hätte hier S. 336 dieser Aufsatz genannt zu werden ver- 
dient, da das dort mitgeteilte Schema Bleichsteiners dem Dirrs außer einigen 
Erweiterungen nahe steht. Aber Schmidt ist im 2. Teile seines Buches mit 
Literaturnachweisen überaus sparsam (Ausnahmen S. 284. 350. 423. 426), wodurch 
m. A. n. sogar die Kraft seiner Beweise und das Bild seiner Leistung etwas leidet. 

2) Der übrigens in einer „Einführung“ (S. 3—38) aus dem Jahre 1926 nicht 
fehlen dürfte. (Wenigstens fehlt er im Register.) Es fehlen im Register auch 
O. Stoll, dessen mir unbekannte, hier wohl auch nicht erwähnte Arbeit „Zur 
Psychologie der indianischen Hochlandsprachen von Guatemala“ (Zürich 1912) den, 


der Stolls solide grammatische Arbeiten kennt, schon durch ihren Titel spannt, 
und J. Platzmann, der wohl nur S. 260 erwähnt wird. ` 


P. W. Schmidt, Die Sprachfamilien und Sprachenkreise der Erde. 155 


wird der Unterschied vorhanden gewesen sein. Wahrscheinlich 
traten auch im Satze in gewissen Fällen Tönende hier immer auf. 

S. 290: „... eine Gruppe im Nordwesten, bestehend aus 
Lappisch, Mordwinisch, Tscheremissisch, kennt außer Muta + Li- 
quida auch s(s) + Konsonant und Konsonant —+ s(8).“ Meines 
Wissens tritt im Tscheremissischen im Anlaut Muta + Liquida 
kaum auf, noch weniger Konsonant -+ s, wohl aber im Mordwini- 
schen auch Anlautsgruppen aus 3 Konsonanten. 

S. 299: Überraschte es schon S. 290 Mordwinisch und Tschere- 
missisch mit dem Lappischen zu einer nordwestlichen Gruppe ge- 
legentlich vereint zu sehen, so erscheinen hier gar die „Lappen 
(Esten) '), Mordwinen und Samojeden“ als die „nördlichsten“ Völker. 
Ich bitte Schmidt, sich seine Karte I anzusehen; die Mordwinen 
kann man zu den „nördlichsten Völkern“ unmöglich rechnen. 

S. 322: „Dagegen weisen das Lappische, das Wogulische und 
Östiakische, und in Spuren auch das Magyarische, beim Personal- 
pronomen (und Nomen) Singular, Dual und Plural auf.“ Klar ist 
dieser Satz gewiß nicht abgefaßt, so daß daraus jemand den Tat- 
bestand erkennen könnte; aber wo es (außer allenfalls bei dem 
Zahlwort kettö 2°”) im Magyarischen Dualspuren gibt, würde ich 
gerne wissen. 

S. 339: „Es ıst bemerkenswert, daß von den uralaltaischen 
Sprachen, die ebenfalls keinerlei sonstige Gruppierung (der No- 
mina) aufweisen, die uralische, die finnisch-ugrische Gruppe beim 
Interrogativpronomen und beim Relativ die Einteilung in Belebte 
und Unbelebte übt.“ Soviel ich weiß, ist die Einteilung in Be- 
lebte und Unbelebte beim Interrogativum °) allgemein uralaltaisch. 
Übrigens liegt sie aber beim Interrogativum so nahe (vgl. unser: wer? 
was? gegenüber dem sonst durchgeführten Genus), daß ich darin 
kaum etwas Bemerkenswertes finden kann, und die offenbar darauf 
beruhende Angabe der Karte XII, wonach die Einteilung in Be- 
lebte und Unbelebte in Finnland, Lappland usw. eine Rolle spielt, 
für durchaus irreführend halte. Daß es ganz schwache Spuren 
der Scheidung in Belebte und Unbelebte im Finnischen, Mordwini- 
schen und Tscheremissischen, und ganz anderer Art gibt, das zu 
wissen, wäre unbillig von einem Nichtspezialisten zu verlangen. 
Vgl. die Bemerkungen über J. Wackernagels Syntax II in der 
OLZ 1927 Sp. 232 Anm. 2. Ich habe hier eine Reihe von Stellen 
angeführt, wo die finnisch-ugrischen Sprachen auftreten: alle 
Angaben waren nicht präzise. Hoffentlich ıst es mit anderen 


1) Diese Klammer ist mir übrigens in ihrer Bedeutung nicht klar. 
2) Das Relativum ist hier wohl überall sekundär. 


156 E. Lewy: 


Sprachen besser. Aber Versehen finden sich leider auch da. So 
soll es im Baskischen ö und ü geben (S. 276); nach den mir zu 
Gebote stehenden Quellen gibt es ö aber nicht, und o nur in 
einem Dialekt. — 

Seine ganzen Ausführungen hätte für den Linguisten Schmidt 
sehr viel leichter verstehbar gemacht, wenn er als Einleitung in 
den 2. Teil eine kurze Darstellung seiner Kulturkreislehre ge- 
geben hätte. Das Buch von Schmidt und Koppers, Völker und 
Kulturen I, Regensburg (1924) ist sehr umfangreich und enthält 
zu viel Einzelheiten, so daß es dem ethnologischen Laien schwer 
fällt, sich durchzufinden `. Schmidt betont sehr oft und mit vollem 
Recht das vorläufige seiner einzelnen Kombinationen wegen der 
noch durchaus mangelhaften Grundlage. Manchmal liegt einem 
da doch die Frage auf der Zunge, ob nicht mit der Einzelaus- 
führung hätte gewartet werden können. Offenbar drängte es 
aber doch den Verf., seine Schau aus sich herauszustellen, auch 
in unvollkommener Gestalt. Deshalb würde ich es für ein über- 
flüssiges Vergnügen halten, an Einzelheiten weiter zu kritisieren. 
Nur drei prinzipielle Einwände möchte ich nicht verschweigen. 

1. Die vielfache Annahme von Mischungen der Sprachen 
(d. h. natürlich der Völker) ist durchaus richtig. Aber die An- 
wendung dieser Annahme muß irgendwie geregelt sein und 
irgend einer Methode folgen. Ich habe nicht die Absicht diese 
Methode zu beschreiben, da ich mich selbst bemüht habe sie 
auszuüben (Zschr. f. slav. Phil. II 415—37, bes. 429f.). Bei jeder 
Einzelheit einer Sprache, die einem nicht in das Bild paßt, das 
man von ihr hat, anzunehmen, daß sie auf Mischung beruht, 
halte ich für äußerst gefährlich, weil man damit alles, was man 
will, beweisen kann. Erst müssen wir Bilder der Sprachen in 
viel größerer Zahl und in viel größerer Klarheit vor uns haben, 
ehe wir wissen können, was in diesen Bildern einander bedingt, 
was zueinander gehört. Daß die Versuche Schmidts in dieser 
Richtung: Verknüpfung eines Sprachzuges mit einem andern 
ihrer Tendenz nach meinen vollen Beifall haben, brauche ich 
hiernach gar nicht hervorzuheben. Die Ausführung scheint mir 
allerdings nicht so gelungen. 


1) Die Kulturkreislehre ist aber nichts Unbestrittenes. Man vgl. den 
Artikel „Kulturkreis“ von Thurnwald in dem „Reallexikon der Vorgeschichte“ 
und die Besprechung des obengenannten Buches durch F. Krause in der „Zeit- 
schrift für Völkerpsychologie und Soziologie“. Auf mich hat aber dieses Buch, 
getragen von einer einheitlichen Weltanschauung, die stark und richtunggebend 
hervortritt, einen bedeutenden Eindruck gemacht. 


P. W. Schmidt, Die Sprachfamilien und Sprachenkreise der Erde. 157 


2. Auch dem Versuch der Deutung eines einzelnen Sprach- 
zuges müßte eine größere Verdeutlichung des Baues, des Systems, 
des Organismus der einzelnen Sprache in ihrer Gesamtheit und 
mit möglichst vielen Einzelzügen vorausgehen. Die Deutung eines 
einzelnen sprachlichen Zuges ist fast nicht möglich, wenn es auch 
oft den Linguisten gelüstet, seinen Geist in dieser Richtung spielen 
zu lassen; aus den völlig verschiedenen Deutungen des einzelnen 
Sprachzuges durch verschiedene Forscher ist zu sehen, daß wir 
hier noch kein Mittel gefunden haben, die Wahrheit zu erkennen. 
Wenn z. B. für den Exklusiv hier S. 333 als Ursache der Ent- 
stehung nach einer Ansicht angeführt wird „die Unterscheidung 
von Herrschenden und Beherrschten, von Eroberern und Besiegten“, 
so fragt Byrne (II 362): ls the inclusive and exclusive first person 
‚ dual and plural connected with need for help in the life of the 
race? Schmidt hält die erste Ansicht jedenfalls nicht für durch- 
gängig treffend, weil der Exklusiv gerade in Sprachen fehlt, wo 
man ihn danach erwarten sollte’), sie aber für möglich „bei dem- 
jenigen älteren Mutterrecht, wo der Stamm m zwei Heiratsklassen 
geteilt ist, und eine derselben sich höher stellt und vornehmer 
dünkt, als die andere“ (S. 334). Ich will durchaus nicht diese 
Gedanken für undenkbar erklären, meine nur, daß das Gefühl 
gewisser Kreise eines Stammes, sich „exklusiv“ dünken zu dürfen, 
so allgemein menschlich ist, daß man aus ihm eine Besonderheit 
einer Sprache kaum erklären kann. | 

3. Die Versuche, rein aus dem Denken bestimmte Sprach- 
züge zu konstruieren, die Schmidt anstellt, halte ıch nicht für 
gelungen”). In der öfters besprochenen Genetivvoranstellung 
sieht Schmidt das Natürliche, „etwas organisch-psychologisch Ge- 
wachsenes“ (S. 464). „Der Genetiv stellt in dem ganzen Organis- 
mus der Begriffsentwicklung die differentia specifica dar, durch 
welche aus der Allgemeinheit des genus die neue species sich 
konstituiert... Das genus ist dabei naturgemäß das schon be- 
kannte ältere. Die differentia specifica ist das bis dahin Un- 
bekannte, das aber jetzt als Neues die Aufmerksamkeit auf sich 
gezogen hat. Es steht deshalb in der naiven, natürlichen, spontan 
warmen Denkweise bei der Wortbildung, eben als „Genetiv“, 
voran. In der kühleren, konstruktiven, „logischen“ Denkweise 


1) Bei den Viehzüchternomaden. Ich erlaube mir Schmidt auf Ramstedts 
Abhandlung „Über mongolische Pronomina“ S. 3 zu verweisen; da findet er ganz 
genau das, was er hier braucht. 

£) Ich bemerke jedoch, daß ich prinzipiell gegen solche Versuche nichts 
einwenden kann, 


158 E. Lewy: 


steht der Genetiv eben, weil er die differentia specifica, das 
Spätere, das Nachherige zum Ausdruck bringt, auch nach. . .* 
Ähnlich schrieb J. Edkins in seinem bedeutenden, auch heute 
noch sehr lesenswerten Buche China’s place in philology: an at- 
tempt to show that the languages of Europe and Asia have a 
common origin (London 1871) S. 56: „The adjective naturally 
precedes the noun, as the mark of the species precedes that of the 
genus').*“ Dennoch halte ich diesen Gedanken durchaus nicht 
für einwandfrei; es scheint mir durchaus mehr über die Menschen- 
natur ausgesagt, als wir können, wenn man meint, daß das Un- 
bekannte zuerst gesagt werden müsse. Das Gefühl der Zurück- 
haltung kann man durchaus nicht als etwas Sekundäres im mensch- 
lichen. Geiste ansehen’). So ist mir auch die Lehre von den 
primitiven Normalvokalen (S. 273) äußerst zweifelhaft. Ebenso ist 
der Satz: „Das Fehlen der Unterscheidung von Männlich und 
Weiblich zeigt an, daß auch der Unterschied der beiden Geschlechter 
damals in keiner Weise so empfunden wurde, daß eigene Sprach- 
formen zum Ausdruck derselben gebildet worden wären“ (530—31), 
zwar richtig, weil er zunächst die Tautologie: wenn keine Sprach- 
formen für eine Tatsache der Welt vorhanden sind, sind sie nicht 
vorhanden — ist; aber nicht etwa in dem Sinne unwiderleglich, 
daß etwa der Unterschied der Geschlechter für die Empfindung 
nicht bestanden hätte; denn wir wissen absolut nicht, was in den 
Sprachen zum Ausdruck gelangt, das für den Sprecher Auffallende 
oder das für ihn Selbstverständliche! — Auch einen Satz, wie 
„Die Numerusbildung ist überall zuerst vom Personalpronomen 
ausgegangen und hat sich dort am reichsten entwickelt“ (S. 316), 
halte ich für durchaus unbewiesen, unbeweisbar und bei näherem 
Zusehen sogar für falsch. 

Doch finden sich bei der nüchternen Sprachauffassung Schmidts 
hier auch erfreuliche Sätze; vgl. besonders S. 288 über die Realität 
des Wortes. Von den Einzelheiten hebe ich als interessant hervor 
die Bemerkung über die Sprachzersplitterung im Gebiete der 


1) „Alles Gescheidte ist schon gedacht worden“ ... 

2) Auf die Sprachauffassung, die sich hier, wie an vielen anderen Stellen 
des Buches, äußert, gehe ich absichtlich nicht ein, weil ich die endlose Debatte 
über prinzipielle Dinge für unfruchtbar und nicht für Aufgabe des Linguisten 
halte. Doch erlaube ich mir, wie schon oft, zu betonen, daß m. A.n. die Sprache 
durchaus kein Bild des Denkens ist, sondern daß das ganze geistige Leben in 
sie hineinströmt und sich in ihr ausströmt (dazu noch in den buntesten Wechsel- 
beziehungen: Ufer und Strom), und daß auch das geistige Leben, das durch die 
Sprache zum Ausdruck kommt, durchaus nicht ganz durch das Denken hindurch- 
geht und von ihm geformt wird. 


P. W. Schmidt, Die Sprachfamilien und Sprachenkreise der Erde. 159 


totemistischen Kulturen und die großen Sprachstämme im Gebiete 
des Mutterrechts (463). Bemerkenswert scheint mir noch, daß 
Schmidt als energischer Verfechter der Monogenese der Mensch- 
heit (S. 38) den Begriff „Rasse“ in dem Buche nie (oder wenig- 
stens bestimmt nie an auffallender Stelle) gebraucht — was eine 
achtunggebietende Selbständigkeit gegen starke Modeströmungen 
(über deren wissenschaftliche Berechtigung ich hier nicht zu be- 
finden habe) beweist — und daß er darauf — ich hoffe, daß ich 
hier recht verstanden habe und richtig berichte — verzichtet, für 
die Verbreitung der Sprachenkreise und der Kulturkreise eine 
Endursache aufzustellen. — 

Meine Meinung über den 2. Teil des Buches brauche ich 
wohl nicht noch einmal zusammenzufassen. Nur sei mir in aller 
Kürze eine ziemlich subjektive Bemerkung gestattet. Es ist für 
jeden Forscher, besonders aber den unbekannten, ein verdrieß- 
liches Unternehmen, umfassende Arbeiten berühmter Gelehrter, 
deren einzelne Arbeiten er selbst sehr schätzte, fast bewunderte, 
nach genauer und sachlicher Prüfung mehr oder minder scharf, 
aber doch deutlich als schlecht vorbereitet, nicht ganz durch- 
dacht und ohne Sorgfalt ausgeführt ablehnen zu müssen und in 
ihnen in vieler Hinsicht eine überflüssige Belastung und nur in 
sehr geringem Maße eine Förderung der Wissenschaft zu sehen. So 
ging es mir — trotz trefflicher Einzelstücke — mit dem von Meillet 
geleiteten Werke „Les langues du monde“ (vgl. DLZ. 1925, 2426 
bis 2447); so geht es mir leider auch mit diesem Buche W. Schmidts. 
Woran mag das liegen? Vielleicht daran: die Summe der ein- 
zelnen Sprachwissenschaften ist durchaus nicht die allgemeine 
Sprachwissenschaft, sondern diese hat auch ihre eigenen Gesetze, 
die erkannt und erfaßt sein wollen, und durch Spezialarbeiten 
noch nicht erfaßt und erkannt werden. Da ich mich seit mehr 
als 25 Jahren um diese Dinge bemühe, wird es mir vielleicht ge- 
stattet sein, einen Vorschlag zur Güte zu machen, der dahin 
gehen würde, den Strom der Produktion der zusammenfassenden 
Handbücher und der auszuführenden Programme etwas einzu- 
dämmen und lieber das so unendliche, der Bearbeitung harrende 
Material anzugreifen oder gar noch neues zu sammeln. Man 
möchte an die schöne Vorrede Oskar Peschels zu seiner „Völker- 
kunde“ erinnern, und P. W. Schmidt erinnert selbst (S. 97) an. 
„eine Synthese“, die „nicht nur verfrüht, sondern auch verfehlt, 
weil erzwungen ist“. Auch als Gelehrter muß der Gelehrte lernen, 
warten zu können. o 

Berlin (Wechterswinkel). E. Lewy. 


160 Eingegangene Bücher. — Druckfehlerberichtigung. 


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Vilhelm Thomsen, Geschichte der Sprachwissenschaft bis zum Ausgang 
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nn A 


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| vergleichende 
| Spradhforfhung 
E auf dem Gebiete der 


Indogermanifchen Sprachen 


BEGRÜNDET VON A.KUHN 


NEUE FOLGE / VEREINIGT MIT DEN 
Beitragen zur Kunde’ 
derindogermanifdyen Sprachen 


BEGRÜNDET VON A.BEZZENBERGER 


HERAUSGEGEBEN VON 
WILHELM SCHULZE UND HANNS (CERTEL 


96. BAND 
3./4. HEFT 


GAR, 
2 9 


Be 19 U 
"böttingen/Bandenhoeck et Hupredyt 


Inhalt. Be €) D; 


J. Scheftelowitz, Die verbalen und nominalen sk- SS EEN im 


Baltisch-Slavischen und Albanischen . .. 5 % . a : 
E. Lidén, Zur vergleichenden Wortgeschichte . . . . „==... BIL ° 
, Zufälliger. ‚Gleichklang . DR ENT er ee 
R. Loewe, Die indogermanische Abtönung.. 227 


F. Specht, Zur Geschichte der d ie Flexion im Indogsrmanlachen 

und Litauischen , 264 
O.Behaghel, Zur Stellung des Verbs im Germanischen t Indogermanischen 276 
282 


H. Lüders, Vedisch sdma-.. . ~ KR ue 
W. Krause, iranis u N NW EE EEGENEN 
E. Schwyzer, A E E a 7 809 
cW. Schulze, Lesefrüchte . u. 2... 210. 226, 275. 287. 308. $ 31: 
` E. Lewy, Nachtrag BA "RE KA WH/Zx S 
H. Jacobsohn, Berichtigung ~. Suri e 2 2A m Stee EE 
E Hofmann, Register e Na er AN A e ui SEENEN j 
Berichtigungen 


` 


Preis des Doppelheftes in der Reihe 8, einzeln 10 RM. 41.55. Bd. je 12 RM. 


Die Herausgabe hat für den 57. Band H Oertel übernommen. d 


Beiträge, die allgemein sprachwissenschaftliche Fragen behandeln, oder die sic a 
åuf die asiatischen Indogermanen beziehen, wolle man an Prof. Dr. Hanns dote $ 
München 27, Pienzenauerstr. 36, solche, die den indogermanischen Sprachen E Jas 
gewidmet sind, an Prof. Dr. W. Schulze, Berlin W.10, Kaiserin Augustastr. 72, sen 1 > i 

Die Herren Mitarbeiter werden gebeten, leserliche’und. druckfertig 
Handschriften (möglichst in Maschinenschrift) einzuliefern. Auch die kleinste n: 
erfolgtem Satze vorgenommene Änderung gegen die Handschrift erfordert Zeit ı 
sondere Setzerentschädigung, die bei den gegenwärtigen Arbeits- und Lines 
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gegebenenfalls den Herren Mitarbeitern belastet werden. Se d 

Zu den Niederschriften wolle man im allgemeinen lose Quartblätter verw 


Besprechungen können nur solchen Werken zugesichert werden, welche ES 
Herausgeber erbittet. 


ch 


Soeben sind erschienen; Erg-Hefte . Zeitschrift für vergl. Sprachforschung: Helt 6. 
Der polnische Katechismus des Ledezma und 
die litauischen Katechismen des Daugßa und 
des Anonymus vom Jahre 1605 A 


nach den Krakauer-Qriginalen und Wolters Neudruck interli leg 


herausgegeben von Ernst Sittig SE. 
VIII, 163 Seiten RM. 12.50 ` Es 


Desgleichen: Heft 7 an 


Das Plusquamperfektum i im Veda 


von Dr. Paul Thieme 
Von der Philosoph. Fak. d. Univ. Göttingen gekrönte Preisschrift. 64 eg 1929. 


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Altindische Grammatik S 
von Jacob Wackernagel. R g 


Bd. III: Deklination der Nomina, Zahlwörter, Pronomina von 
Albert Debrunner und Jacob Wackernagel. 
1. Teil (Seite 1—368) RM. 21.— Er 

„ Früher sind erschienen: Bd. 1. Lautlehre. LXXIX, 334 Seiten. 1896. RL.18—, 
LER A Be Bd. IL: Core zur Wortlehre. Ke 
3 Saz SEA e 1905. RM 16.—, Lwd. 18 —, einige wenige noch in Halbleder — 


Verlag von Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen 2 


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J. Scheftelowitz, Die verbal. u. nominal. sk- u. sk-St. im Balt.-Slav. u. Alb. 161 


Die verbalen und nominalen sk- und s*-Stämme im 
Baltisch-Slavischen und Albanischen. 


Aus der Übereinstimmung des Rgveda mit den zarathustri- 
schen Gäthas läßt sich erschließen, daß das sk-Formans in der 
arischen Urzeit ähnlich dem Hetitischen (vgl. Sommer, Bogh. 
Stud. X 21f.) eine „iterativ-durative* Bedeutung hatte. 
So wird das ‘wiederholte Umwandeln des Kultgegenstandes 
einer Gottheit — was eine urarische Sitte ist (vgl. MGWJ. 1921, 
118ff.) — in den Gäthas stets durch pari-jasa wiedergegeben (vgl, 
Y. 28,2; 36,3; 43,7; 51,22; Yt. 10,6). Ebenso kommt im RY. 
pari-gaccha „umwandeln“ 11 mal vor, während das nur an einer 
einzigen Stelle IV 39, 6 belegte pari-gam ebenso wie pari-ga (VII 
69,4) „entgehen“ heißt (vgl. Geldner, Der Rgveda I p. 430). Für 
die „iterativ-durative“* Bedeutung führe ich folgende Beispiele an: 
116,8: „Zu jeder ausgepreßten Trankspende kommt. (gacchati) 
Indra, um sich zu berauschen.*“ X 40,3: „Bei jedem Frühlicht 
kommt ihr (gacchathas) Asvinau ins Haus.“ X 86, 10: „Ehemals 
pflegte die Frau zum gemeinsamen Opfer und zur Somaspende 
zu kommen (gacchati). X 10,10: „Es werden wohl die künftigen 
Zeitalter folgen (gacchän), wo Verwandte Blutschande begehen.“ 
IX 112,1: „Den verschiedenen Menschen sind (verschiedene) Ge- 
danken und Berufe: Der Zimmermann wünscht ständig (icchati) 
eine Bruchstelle, der Arzt Krankheit, der Priester einen Soma- 
opferveranstalter.* V 54,13: „Das Gut..., das nicht stets fern- 
bleibt (yucchati) wie das Himmelsgestirn Tisya*. VIII 39,2: „Die 
Hindernisse mögen von hier ständig fernbleiben (yucchantu). 
146,1: „Diese Morgenröte, der niemand vorangeht, leuchtet (täg- 
lich) auf“; ebenso Yt. 14,20: vs usaiti ... bamya „die Morgenröte 
leuchtet (immer wieder) auf“; ferner Yt. 14, 20: usaitim usänham. 
Yt. 5,85: Ahuramazda gebot der in den Sternen wohnenden Arodvi: 
„Komm immer wieder herab (paiti avajasa) von diesen Sternen 
zur Erde.“ Yt. 19,56: „Das XVarana ..., das der schurkische 
Franhrasa ständig (aber vergeblich) erstrebte (isat)“. Yt. 19, 34: 
„Als Yima sein Xvarona verschwinden sah, irrte er ständig umher 
(brasat) und dem üblen Geiste unterlegen, hielt er sich auf der 
Erde auf“. Vend. 3,32: „Wenn das Getreidefeld bestellt wird, 
dann pflegen die Dämonen zu schwitzen (x”ison), wenn der Schöß- 
ling hervorkommt, pflegen sie die Fassung‘ zu verlieren (fusan), 

Zeitschrift für vergl. Sprachf. LVI 3/4. 11 


162 J. Scheftelowitz 


wenn die Zermahlung geschieht, dann pflegen sie zu jammern 
(uru$an aus uriran. *raud-sk), wenn der Mehlteig gemacht wird, 
dann pflegen die Dämonen zu pfarzen (paroden aus *parad-sk)“. 

Yt. 10, 136: „Mithra, dessen Wagen weiße, angeschirrte Rosse 
ständig ziehen (Hanjasänte)“. Vend. 18,16: „Schlafe (x’afsa) noch 
lange, o Mensch“. RV. 148,3: „Usas ist (einst) aufgeleuchtet 
(uväsa) und die Göttin wird wohl nun weiter aufleuchten (wcchät)“. 
V1174,1: „Denn ihr gehet zu jedem einzelnen Hause (gäcchathah)“. 
X 173, 1: „Alle Menschengeschlechter sollen dich (Agni) ständig 
gern haben (vancchantu)“. VS. 3, 33: „Denn diese Söhne der 
Aditi gewähren dem Menschen immerwährend Licht zum Leben 
(yacchanty djasram)“. VS.17,48: „Indra soll uns allezeit (visväha) 
diesen Schutz gewähren (yacchatu)“. VS.40,3: „Diese Menschen 
(, die Opferhandlungen verrichten,) und diejenigen, welche ihr Selbst 
vernichten, pflegen, wenn sie gestorben sind, zu den Asura-Welten 
zu gelangen (apigacchanti)“. VS.37,16: „An ihn (Agni) richte 
(ständig) das nach den Göttern zustrebende Gebet (niyaccha)“. 
Sankh. Gr. II 17: „Ein Brahmane, der ungeehrt bei einem weilt, 
nimmt selbst von einem ständig Grashalme Auflesenden (trnāny 
apy uñcchato nityam) alle guten Werke an sich“. 

Im Sonderleben der iranischen und vedischen Sprache hat 
das sk-Formans zum Teil dieselbe Bedeutung wie die Wurzel 
erhalten, d.h. es kann hierdurch sowohl eine einmalige abge- 
schlossene Handlung als auch eine allmählich sich vollziehende 
unterschiedslos zum Ausdruck gebracht werden. Hierfür einige 
Beispiele: 

a) Eine allmählich sich vollziehende Handlung: RV. 
IV 35,1: „Eure Rauschtränke sollen zu Indra hingehen (gdmantu).“ 
IX 49, 2: „Mit solchem Strome rinne klar, mit welchem in unser 
Haus Rinder kommen sollen (agaman).“ 150, 10: „Aus dem Dunkel 
heraus ... gelangten wir zu dem höchsten Licht (dd aganma).“ 
V 57,1: „Ihr, die ihr goldene Wagen besitzet, Rudra vereint mit 
Indra, kommt herbei zum Wohlergehen (å gantana).* V 46,5: 
„Und diese im Himmel wohnende, verehrungswürdige Marutschar 
möge herbeikommen (å gamat), um sich auf die Spreu zu setzen.“ 
VII 20,1: „O kommet herbei (@ ganta) aufbrechend, versäumet 
nicht.“ VIM 33,8: „Du, Indra, mögest herankommen (& gamah) 
zum Somatrank, als Erhabener schreitest du mit Kraft.“ Genau 
denselben Sinn hat vielfach a-gacch: I 34,10: „Kommt herbei 
(@ gacchatam) ihr Näsatya, die Spende wird geopfert.“ 185, 11: 
„Sie kommen (å gacchanti) zu ihm mit Hilfe (dvasa)“; vgl. hierzu 


Die verbalen und nominalen sk- und sk-Stämme im Balt.-Slav. und Alban. 163 


V 46,6: „Bhaga, der Austeiler, komme mit Kraft und mit Hilfe 
(ávaså gamat)“ ; ähnlich VIII 18,7. Genau denselben Gebrauch finden 
wir in den Gäthäs: Y.46, 3: „Wer sind diese, denen Vohumanah 
zu Hilfe kommen soll (vai jimat)?“; vgl. auch Y.57,3. Ebenso Yt. 
10,113: „Dann möge uns zu Hilfe kommen Mithra und Ahura (ava»he 
jamyat)“, dagegen Y. 72,9: „O Mazda komm mir zu Hilfe (jasa 
me avanhe).“ Y.46, 11: „Wenn sie (nach ihrem Tode) dahin ge- 
langen (aibz gaman), wo die Cinvat-Brücke ist.“ Y.44,1: „Damit 
Vohumanah herankomme (o jimat).“ 48,11: Wann wird Asa mit 
Armaiti herankommen (@ jimat), dagegen Y. 30,7: „Und zu ihm 
kam Xsadra nebst Vohumanah und Asa (jasat)*; Yt. 14,2: „Zu 
ihm kam heranfahrend zuerst Vərəvrayna (ajasat)“, vgl. auch 
Y. 54,1. — Vd. 14,16: „Zweimal 7 junge Hunde soll er aufziehen 
(uz jamöit)“, dagegen 15,15: „Solange soll er Sorge tragen, bis 
das Kind aufgezogen ist (uz jasat).“ Y. 44,11: „Ob sich wohl 
die Gottergebenheit bei denen verbreiten wird (@ vijamyät), denen 
man deine Lehre verkündet‘, dagegen Yt. 10,85: „Dessen (des 
Mithra) Stimme ... sich über die 7 Erdteile hin verbreitet vi 
jasaiti).“ Y.31,4: „Was dein Asa uud was der Schöpfer des 
Rindes dem Asa kund getan hat, danach streben sie (iSanti)“, 
dagegen Y.71,13: „Zarathustra möchte sich den Freund zu seinem 
Beschützer wünschen (isöit).“ Y. 31,13: „Oder wer im höchsten 
Maße die Befreiung von seiner geringen Sünde anstrebt (aya- 
maite), hingegen Yt. 14,35: „Du mögest dir eine Feder ver- 
schaffen (ayasassa).“ Yt.5,61: „Ihr (der Arodvi) opferte Päurva ..., 
als Thrastaona ihn in Gestalt eines Geiers auffliegen ließ (uz dvą- 
nayat),‘“ hingegen Vend. 8,16: „Durch das Herbeiführen eines 
gelben Hundes mit 4 Augen ... pflegt jenes Leichengespenst nord- 
wärts wegzufliegen (apa dvgsaiti).“ Yt. 8,38: „Bis daß er (der Pfeil) 
fliegend zum Berg XVanvata kam; auf dem Berg kam er zur Erde 
herab (nirat = ni-irat).“‘ Yt.8,42: Wann wird der glänzende Stern 
Tistrya uns aufgehen (avi vyarat)?‘“ Dafür steht im Altpers. das 
sk-Formans, Bh. 2,6: „Bis ich nach Medien kam (arasam), 2,12: 
„Als ich nach Medien kam (para-arasam).‘ Dagegen meint rech 
im RV. eine einmalige abgeschlossene Handlung: X 87,15: „Den 
Heuchler sollen die Pfeile an der leicht verwundbaren Stelle 
treffen (rechantu).“ IX 5,8: „Zu unserem Opfer mögen die drei 
schön geschmückten Göttinnen herbeikommen (4 gaman)“, aber VIII 
85, 1: „Zu meinem Opfer kommet ihr beiden herbei (å gacchatam)“. 

b) Eine einmalige, abgeschlossene Handlung: RV. 
VII 98,3: „Vor Licht strahlend bist du (Indra) in die Sonne, 

11* 


164 J. Scheftelowitz 


den Himmelsraum eingegangen (ügacchah).“ VI57,2: „Der eine 
(Indra) setzte sich zum Soma, um aus den 2 Bechern den aus- 
gepreßten Saft zu trinken, der andere (Püsan) verlangt (icchati) 
Mehlbrei.“ I 80,6: „Von Soma berauscht, wünscht (icchati) Indra 
den Freunden Erfolg.“ Y. 51,15: „Was Ahuramazda im höchsten 
Himmel als erster erlangte (jasa!).“ Als oberster Gott erlangt 
er alles sofort. Y.30,4: „Und als diese beiden Geister zusammen- 
trafen (höm jasaēztəm).““ RV I 52,8: „Als du, festentschlossener 
Indra, ... den Vrtra erschlugst, ... hieltest du die eherne Keule 
in den Armen (äyacchathah).“ VII 18,17: „Indra gewährte (prä- 
yacchat) alle Güter dem Sudas.“ In Vend. 19,8f. fragt Angro- 
mainyuS den Zarathustra: „Durch wessen Wort willst du mich 
schlagen, durch wessen Wort willst du ... meine Geschöpfe be- 
seitigen (apa yasai).““ Zarathustra erwidert: „Durch dieses Wort 
(Ahunavairya) ... will ich beseitigen (apa yasani). Die Ahuna- 
vairya-Formel bewirkt die sofortige Bannung der Dämonen. Somit 
bieten die arischen Sprachen keine Stütze für die These Porzigs 
IF. XLV 159: „Das verbale sk-Formans meint Handlungen oder 
Vorgänge als sich ruckweise in einzelnen Absätzen vollziehende.“ 

Auf den ursprünglich „iterativ-durativen“ Sinn des sk-Formans 
scheinen auch die homerischen Bildungen von Imperfekten und 
Aoristen auf oxo» mit iterativer Bedeutung hinzuweisen (z. B. 
PÜYEOXE). 

Genau so wie im Baltischen von iterativen Verben auf -st- 
sekundär Nomina gebildet werden, denen aber die iterative Be- 
deutung mangelt (vgl. lit. wystas „Schnürbrust“ von wystyti „mehr- 
fach windeln“ : vejù, abg. ei „‚winde‘‘), sind im Indog. von den 
sk- (sk-)Verben Substantiva abgeleitet worden. Das sk- (sk-) 
Formans scheint also bei den Verben primär zu sein. Dieses 
nominale Formans ist dann ähnlich dem in Baltisch belegten 
nominalen si-Formans, wohl durch Analogiebildung, sehr produktiv 
geworden (vgl. lit. werpstas, werpste ` werpiü „spinne“, dagegen 
inkstas „Niere“ : l. inguen; smaikstis „Stange“ ` smaigas dss.). 
Bereits im Urbaltischen war die eigentliche Bedeutung des zb. 
(-sk-)Formans verloren gegangen, weshalb viele sk-Verben noch 
mit dem baltischen Iterativsuffix st- versehen wurden (vgl. lit. 
ausztu, gaisztü, losztü, tresztüu, blúksztu, luksztinu, tröksztu, plüksztu). 
Eine Analogie zur Bedeutungsentwicklung des sk-Formans findet 
sich im Neupers. Als Zeichen der Dauer einer Handlung wird 
im älteren Neupersischen dem Präs., Impf. und Futurum das 
Adverb hämi (bezw. mi) „immer“ vorgesetzt (vgl. Salemann- 


Die verbalen und nominalen sk- und sk-Stämme im Balt.-Slav. und Alban. 165 


Shukowski, Pers. Gramm. S. 61). Im modernen Neupers. hat 
jedoch dieses mi die iterative Bedeutung vollständig verloren, 
und ist jedes Präs. und Impf. unterschiedslos mit diesem Präfix 
versehen worden. 


Ebenso wie in den arischen Sprachen und im Armenischen 
(vgl. ZII. V 92ff.) tritt das idg. s%-Formans im Balto-Slavischen und 
Albanischen niemals an eine auf einen Velar auslautende Wurzel 
an. Während aber im Sonderleben der arischen Sprachen zahl-. 
reiche Neubildungen mit dem s-Formans stattgefunden haben, ist 
dieses im Balto-Slavischen nicht der Fall. Dort ist vielmehr das 
sk-Suff. lebendig geblieben, sodaß zuweilen selbst an alte ab. 
Bildungen sekundär das sk-Suff. hinzugetreten ist. Die Forman- 
tien sk, sk sind ursprünglich an solche Wurzeln angetreten, die eine 
Lichterscheinung, einen Schall, eine Ausdehnung, Verminderung, 
etwas Bewegliches, Flüssiges, Gebrechliches, Widerwärtiges be- 
zeichnen. Durch die lautliche Behandlung des sk-Formans im 
Litauischen wird Pedersens These, daß nach i, u im Litauischen 
„nach gestoßenem Tone sz bleibt, nach schleifendem s eintritt“, 
unhaltbar. 

1. Formans sk im Litauischen: 

kus29s „vulva“, npers. kus (ZII. VI 97)’). — läszas „Tropfen“, 
arm. lac „Träne“ (ZII. VI 122). — aüseti, ai. ucchäti. — triszu 
„zittere“, ap. tarsatıy dss. (ZII. VI 102). 

taszinti „tröpfeln lassen“ (Geitler, Lit. St. 116), teszmú „Euter“: 
cymr. taen aus *tagna „conspersio*, gr. orayav „Tropfen“ (vgl. 
Fick I* 121). In lit. tessketi, abg. testiti ist noch das sk-Suff. an- 
getreten. Daß dieses sekundär geschah, deutet. schon das lit. 
s2k an. 

losziü's, löszti „sich anlehnen“, dtloszas (Cappeller, Kaip senëji 
Lët. gyveno 39) „Lehne“, p. tasic „sich anlehnen“ : lit. Zožinti 
„biegen“, abg. loza „Gerte, Weinrebe“, vgl. o. LIV 247. 

kösziu, köszti „seihen“, kosztůwas „Seihe“, lett. kast „seihen“, 
gr. xóoxvov „Sieb“ (vgl. Prellwitz? 239, Walde, L. E. W.* 177): 
np. kat „Tropfen“, arm. L. W. kath = mp. *kat dss. (Hübschmann, 
Arm. Gr. I 162), lat. scatere „hervorsprudeln“, lit. skataŭ, skasti 
„springen“ (vgl. Walde* 685). Mit s-Suff. erweitert: mir. casair 
„Hagel“, corn. keser dss., cymr. cesair „Schlossen“. Begrifflich 
vgl. ai. jharjhara (m.) „Seihe, Sieb“: jharant „fließend“. 

1) Meinen Aufsatz: „Die verbalen und nominalen sk-Stämme im Arischen 
und Armenischen“ ZII. VI hatte ich anfangs 1926 der Redaktion eingesandt. 


166 J. Scheftelowitz 


Liszt, kleszti „fegen*, bret. clasq „recherche, chasse“ (Arch. 
f. kelt. Lex. I 611), armoric. clasc „chercher“, gall. clasg „amas, 
collection“ (Loth, Les mot latins 150): lit. Aletu, klesti „abstäuben “, 
lett. klästit „Staub vom Korn wegfegen“, abg. klatiti „schütteln, 
stoßen“ (vgl. Berneker, SI. E. W. 550), p. klocić „durchrühren“, 
corn. clas aus *klatto „amas“. 

gaiszus „saumselig*, gařszas „SŠSäumnis“, gaīszti „zaudern, 
zögern“, alit. sugaift, sugayßimds, gayßind, su-gayßino (Wiln. Post. 
121b, 121a, 119b, 158a): l. haerere (vgl. J. Schmidt o. XX VII 
332, Osthoff, Perf. 493, 630, Wiedemann, Lit. Gr. 28, Pedersen, 
IF. V 79). 

plaüszas (pl. plauszart) „Bast“, plūszař „Faser“, pliusziälis „sich 
abfasern“, iszpluszóti „sich zerfasern“, lett. plūsni (Pl) „weiße 
Birkenrinde“ (Leskien, Abl. 305), anorw. fluskr „Hülse“, flusk 
„Schabe“ : nhd. flaus, gr. porós (påóos) „Rinde“ aus *phlousios, 
anorw. flusa „abschälen“ (H. Ross, Norsk Ordbog). Davon zu 
trennen sind lit. plùskos „Haarzotten“, lett. pluskas „Zotten, 
Lumpen“, worüber im weiteren gehandelt wird. 

pliuszis, pliuszë, plüszis „Schilf, Schnittgras“, plusze dss. (Mitt. 
Lit. Ges. 119) aus phleus-sk-: gr. pAéwç aus *phleusos „Schilf- 
gewächs“. Nach F. Sommer, Gr. Lautst. 68f. soll pl&ws = idg. 
"pleusos, pAoıös = *plousios sein, was sehr unwahrscheinlich ist, 
wie ich im folgenden darlege. 

truszis, triuszis „Schilfrohr“, lett. trusi „Binsen“, abg. maa, 
trěsina „saeta“, trěs% „vitis“, č. trs „Stock der Pflanze“, serb. trsnat 
„stimmig“, idg. *threus-sk- : $gbov „Binse“ aus *thruso, lit. triasai 
(nach Leskien, Abl. 313: triúsai) „die langen Schwanzfedern des 
Hahns“, trasai .„Federbusch“, lett. trusu, trust „strüppig werden“ 
(dazu wohl auch lit. siruste, strustis „Rohrspan*); r. trostina 
„Röhricht“. Mit sekundärem sk-Suff. bulg. treska „Schilf“, kroat. 
trska „Rohr“. Alb. trise „Setzling, Pfropfreis* gehört nicht hierher 
und ist wegen seiner Bedeutungsschwierigkeit schwerlich aus slav. 
*truso (vgl. alb. kripe = abg. krupa) entlehnt‘)., F. Sommer, Gr. 
Lautst. 60 führt gr. Jọúov auf *truso zurück, was ebenso wenig 
einleuchtet wie seine Gleichung gr. xaiın „herabwallendes Haar“ 
l. caesaries, ai. kesara „Haar“. Daß ai. kesara auf älteres *kesara, 
hingegen |. caesaries auf idg. *kaidh-s : ae. hád „Haar“, fries. hede 
„Hede“, lit. su-kides „zerzaust“ zurückgeht, habe ich eingehend 


1!) Es könnte ein echt alb. Wort sein und zu gr. Bodo" dunelog &v Konten 
(Dee) gehören, aus *Z/hrisnia. 


= mm Ce rem A m rte, 
Br E 
”., e 


Die verbalen und nominalen sk- und sk-Stämme im Balt.-Slav. und Alban. 167 


in W ZKM. XXI 126ff. dargelegt. Dagegen gehört xalın zu aw. 
gaesa „Lockenhaar“, gazan „haarig“, np. ges „herabhängende 
Haare“, nir. gaoisnen „capillus“, gaoisid „erinis“, idg. *ghaid, 
* ghaid-s- (vgl. Lidén IF. XIX 318f.). Zum s-Suff. vgl. z.B. gr. ööog: 
al. utsa „Wasser“, air. os das: gr. uúðog : air. mosach „Schmutz“ 
(Fick Ui 206); abg. truds : lit. träsas „Mühe“, triusiù „vielge- 
schäftig sein“, slov. trsiti „sich bemühen“. Die Beispiele, in denen 
F. Sommer, Gr. Lautst. einen unregelmäßigen Spiritus asper finden 
will, sind neben g4AE&ws (: lit. pliuszis), gAouög (: lit. platszas), Moon 
(: lit. iruszis), xalın (:1. caesaries) auch sie „senge“, allein letzteres 
verknüpfe ich mit aw. hav (havayeiti) „rösten“, air. ad-sóim „Ikindle“ 
(BB. XXIX 170). Demnach ist Sommers Hypothese. anfechtbar. 
kriuszà „Hagel“, neben krusza dss., kriusziù „zermalme, zer- 
schmettere“, kriüsztine „Graupe“, lett. krauset „stampfen“ aus 
kreus-sk, ae. hrysca „a bursting“, hryscan, ne. rush „rauschen“, 
mhd. rüschen : ksl. kruchs „Bruchstück, Brocken“, krscha „mica“, 
krøchčkě „fragilis“, ss-krusiti „frangere“, r. krocha „Stückchen“, p. 
kruszyć „klein machen, zerbröckeln, zermalmen“, skrucha „Zer- 
knirschung, Reue“, ae. !'hreosan „to rush, shake“, gr. xg00(0)w 
„stoße, schlage“, xodos „Frost“, xgv6sıs „schauerlich“, xoVoral- 
Aos „Eis“, ahd. (h)rosa „glacies“ (vgl. Miklosich, Vgl. W. 144, 
J. Schmidt, Pluralbild. 338, Zupitza, GG. 124, Prellwitz, Et. W.° 
246f., Walde, LKW? 204, Berneker, Sl. Et. W. 628f., 630). 
tresztù, treszaa, tröszti „modern“, lett. treset dss., lit. irgszau, 
trgszti „faulen, mürbe werden“ (Mitt. Lit. Ges. 1330), traszai 
„Etwas Moderndes, Verdorbenes“, pätraszai „verfaultes Lagerholz“, 
trasza „Moder“, neben trüsza dss., truszus „faul, morsch“ (vgl. 
Leskien, Bild. Nom. 169. 173. 209. 357), tresziù, treszti „düngen“ 
(Geitler, Lit. Stud. 117), trisziu, triszti „düngen“ : r. trjachavyj „zer- 
fetzt, zerzaust“, truchnuto „morsch werden, zu faulen anfangen“, 
truchavyj „faul“, wr. truchty dss., klr. potruchnuty „faulen“, potruch 
„Moder“, č. trouchneti „modern“, sl. trochneti dss., serb. truchnuti 
„faulen“, neben b. torz „Dünger“, serb. toriti „misten“ (vgl. Mlade- 
now, o. XLVII 190, Persson, Beitr. I 554ff.). 
püsze „Blatter, Pickel“, püsznas „aufgeblasen“, lett. pusis 
„Windstoß“. Sekundär mit dem k-Suff.: lit. püszkas „Pickel, Hitz- 
bläschen“, puszkanos „Hautausschlag“* (Leskien, Bild. Nom. 387), 
puksztimas „Keuchen“ aus *puszk-stimas, lit. pusz- idg. *phusk-, 
gr. púoxa „Blase in der Hand“ : lit. pucziù „blase, wehe“, putà 
„Blase, Schaum“, putlùs „aufgeblasen“, putmenos „Geschwulst“, 
pustýti „stümen“, lett. pūtu „blase, wehe“, gr. põoa „Blasebalg, 


168 J. Scheftelowitz 


Anhauch® aus *phut-sa, gvodw „blase“, lat. pusula aus *phutsla 
„Blase“, ai. phut-krti „Blasen“, phutkära „Blasen, Zischen*. Da- 
gegen gehen auf idg. pau, pu-s- zurück: abg. puchati „blasen“, 
č. puchly „geschwollen“, r. puchnuto „schwellen“, abg. na-pystiti 
` Sẹ „sich aufblasen“, lett. pusla „der mit Blasen Zauberei Treibende“, 
ai. pavana m. „Wind“, afgh. pū, pū-k, pūg „Blasen, Hauch“, np. 
pü-k „Blasen, Anfachen“, arm. hovem „schnaube“. Daneben gibt 
es noch idg. pug „blasen“, r. puzyrs „Blase“, klr. puzyr dss., r. 
puzo „Bauch“, aisl. feykja „blasen, fortblasen“, fjuk „asnow-storm“, 
fjuka „to be driven on, tossed by the wind, to snow, fly off“, 
nhd. fauchen. 

losztu, loszaŭ, löszti „spielend toben“ :ai. lasati „spielen, sich 
vergnügen, lasayati „tanzen“, läsa „Springen, Hüpfen“, lasana 
(MBh.) „das Hin-und-her-Bewegen*“, lasya „Tanz“, gr. Aılaiouaı 
(o, LIT 251). 

kuszlüs „schwächlich, kümmerlich“, küszlas „kümmerlich (von 
Gewächsen)“, Leskien, Bild. Nom. 468, lett. kusls „zart, klein“, 
pr. kuslaisin „d. Schwächste“ : aw. kusaiti „töten“, np. kustan dss., 
al. kusati kusnati „zerreißen, kratzen“, nis-kusita nach Hemac. anek. 
(älterer Ausg.) = „hatatvac“, wofür aber Zachariae jetzt in 4, 13 
nistusita einsetzt (vgl. K. Geldner, S. Pr. A. W. 1903, 423), vgl. 
auch Candra Vyäkarana ed. Liebich p. 31 Nr. 36: kuşa „niskarse“. 
— Davon zu trennen sind lit. küszinti „rühren, in Bewegung 
setzen“, lett. kustet „rühren, bewegen“, käsuls „Sprudel“, r. kuša 
„Gewimmel“ (vgl. Berneker, Sl. Et. W. 672), pr. enkausint „an- 
rühren“, ai. czsati (= urind. *cosati) „wallen, sieden“ : gr. xuxdo 
„rühren, mischen, vermischen“. Begrifflich vgl. ae. hrinan „be- 
rühren“ :ai. srinämi „mische“ (Zupitza, GG. 187); aisl. hrera „rühren“, 
idg. *khras : arm. xarnem „zusammenrühren, mischen“, aw. edu. 
haya- „erschüttern“. 

júsz „Fischsuppe, schlechte Suppe“ : ai. ups, yasa „Brühe“, 
abg. jucha „Suppe“, p. jucha dss., r. uchá, lat. jūs; dazu vielleicht 
auch gr. čwuós „Brühe“ aus *:wvouós (vgl. Pedersen, IF. V 33, 
Prellwitz, Et. WT 169). 

máúiszas „ein gestricktes Heunetz, großer Sack“, maiszđ-siuwis 
„Sacknäher“ : apr. moasis „Blasebalg“ (Trautmann, Apr. Spr. II 379), 
aw. mista (in baevars'mista) „Vorhang“, np. misti „seidenes Gewand“ 
(vgl. Geldner, Sitzb. Pr. A. W. 1903, 426), abg. r. méch „Schlauch“, 
p. miech „Sack, Blasebalg“, nsorb. mech „Sack“, mesk „Säckchen“ 
(Mucke, Form- u. Lautl. d. Nsorb. Spr. 203), bulg. méch „la fourrure, 
peau“. Begrifflich vgl. air. bolg „Sack“, gall. bulga „sacculus scor- 


Die verbalen und nominalen sk- und sk-Stämme im Balt.-Slav. und Alban. 169 


teus“ : ahd. balg „Schlauch“; an. vara „Fell, (aisl.) grober Woll- 
stoff“. — Miklosich u. Pedersen, IF. V 40 verbinden abg. mechs 
mit ai. mess „Widder, Schaf“, vgl. np. mesin „vom Widder her- 
rührend, Schaffell“. Möglich wäre es, daß dieses die Grund- 
bedeutung ist. Davon zu trennen sind aber aisl. meiss, ahd. meissa 
„hölzernes Gestell zum Tragen auf dem Rücken“ (vgl. Noreen, 
Abr. d. Urg. Lautl. 31, 192). 

szuszinu „zischen“, szidusziäs „sich aufblähen“, abg. sysati 
„sausen, pfeifen“, č. suseti dss. : ai. svasiti (RV.), susati „schnauben“, 
aw. suši (Du.) „Lungen“, idg. *Aves- : * kus-. 

duszau, duszyti „kühlen“, dusztu, duszti „kalt, kühl werden“, 
alit. dt-aufisiu, dt-außima „Wiederabkühlen* (Wiln. Post. 153b, 
147 b) idg. *ou-sk- : ved. öman „kühl“ (Neisser Z. Wtb. d. RV. 198f.), 
aw. aota „kalt“, arm. how (idg. *ouo) „kalt“ (vgl. Meillet, Mém. Soc. 
Lingu. IX 53); neben idg. ued-, oud- aw. aodar „Kälte“, air. fuit 
„Kälte“ aus *vodni (Fick* 11 269), adh-úar „sehr kalt“, dor, cymr. 
oer „kalt“ aus *eudro (vgl. Stokes, BB. XXI 122), lit. wedinu 
„Kühlen, lüften“, lett. wedit „Kühlung zuwehen, lüften“, arm. oic 
„kalt“ aus *eudio; ai. üdhar „Kälte“, das Lidén, Arm. Stud. 22 
anführt, gibt es nicht. W. Stokes, IF. XII 194 verbindet air. dur 
mit air. daran „Quelle“. Doch letzteres ist hiervon zu trennen 
und gehört zu lit. audra „Flut, Gewässer, Überschwemmung® 
(Bezzenberger, BZGLSpr. 274), aw. aoda „Quelle“, lat. unda, ai. 
unatti. Falsch ist auch Strachans Verknüpfung von air. dar „kalt“ 
mit abg. ognd „Feuer“ (BB. XX 23). Nicht hierhergehörig ist lett. 
auksts „kalt“ : air. dacht (Bezzenberger bei Fick“ II 48). 

kleisziüti „mit krommen Füßen laufen“, kliszas „schiefbeinig* : 
air. clöin „schief, schielend“, nir. claoine. 

Dagegen ist das lit. Nominalsuffix sz in laszas „lahm“ neben 
laszas, lüszas dss. Das oe geht hier auf q zurück. Für o sprechen 
auch Zuszus (Sz. Di. unter niedole!ny und niecaty „mutilus“ sowie 
iuszas Da. 43, 17, luszas Giedr. Matth 15,13, luoszas W. 7.71 
Leskien, Bild. Nom. 177f.): ahd. ae. lam „lahm“, lit. lömas „lahm“, 
ofries. lömen „langsam gehen“, nndl. loom „lahm, langsam“, ae. 
lama „verstümmelter Krüppel* (F. Liebermann, Gesetze d. Angel- 
sachsen II 130). — In lit. wetuszas „alt“ neben abg. vetschs geht 
das sz ebenfalls auf idg. E zurück, vgl. über das Suff. sz Leskien, 
Bild. d. Nom. 598f. (Über lat. vetus, das eigentlich „Jahr“ be- 
deutet, vgl. Skutsch, Arch. f. Lat. Lex. XV 35ff.) Das Suff. sz 
steckt auch in lit. mösza „Schwester des Ehemanns“, lett. māsa 
„Schwester“. „Bezzenberger leitet diese Wörter mit Recht durch 


170 J. Scheftelowitz 


Vermittlung einer Koseform "ug, *ma auf möte, māte zurück“ | 
(Delbrück, Idg. Verwandtschaftsnamen 87). 

2. Das idg. Formans sk in den baltischen Sprachen. 

lit. bliksztu, blüszkau, blúkszti „welk und schlaff werden“, 
lat. *flascus, afr. flasque „schwach, kraftlos* (vgl. F. Godefroy 
IV 24): lat. flaccus (idg. *bhlako) „welk, schlaff“. 

lit. luskos f. pl. „Lumpen, zerrissene Kleider“, luskis „Lump“ 
(Geitler, Lit. Stud. 95), r. loskuts „Fetzen, Lappen, Fleck“, mndl. 
lassche „Lappen“, mhd. lasche dss., aisl. laska „to break asunder“, 
laski „flaw, fissure in wood“, e. lash, np. lašk : gr. Adxos, lit. lakatas 
„Fleck, Fetzen, Stück“ (Geitler, Lit. St. 94), vgl. ZII. VI 115. 

lit. pleszkù, pleszkťti „gewaltig prasseln, knallen“, pleskoju, 
plaskůju „in die Hände klatschen“, plaszkůju dss., lett. plaksket, 
plekskis „Schwätzer“, russ. pleskanie „Plätschern“, na-pleskato „plät- 
schernd bespritzen“, abg. pleskati „klatschen“, p. plaskad „klat- 
scher, plätschern, slov. naplöskati „sich satt klatschen“, serb. 
pljeskati, pljesnuti „klatschen*, rum. Lehnw. pläskänesku „platze, 
explodiere“, abg. plisto, nsorb. plišć „Jammer“, pli$cowas, pluscowas 
„jammern“ (Mucke, Laut- u. Forml. d. Nsorb. Spr. 214), gael. las- 
gar „sudden noise“, me. flaschen „to dash“, e. flash „platschen, 
schimmern, leuchten“, schw. dial. flaska „klatschen* (Hellquist, 
Ark. N. Fil. XIV 19) : lit. plakù, plakti „schlagen“, lett. plikis „Ohr- 
feige“, pliku, plaku „der Schall beim Aufschlagen auf etwas 
Weiches“, abg. plakati „weinen“, nsorb. plakas „weinen“, p. pla- 
kač „weinen“, ahd. flegel „Dreschflegel*, aschw. flengia „schlagen“ 
(vgl. Zupitza, GG. 130). Neben idg. W. plek gibt es eine begriff- 
lich sehr nahe stehende W. plek, lit. plösziu „reiße“, alit. supteßimus 
(Wiln. Post. 151a), witkas pteßas (W.P.181b), prapleszd „Bruch“, 
serb. pljes „Knall eines Hiebes“, alb. oi ds „beste, breche“ (G. Meyer, 
Alb. W. 344), arm. lesum „zerschlage, zerreibe“, lett. at-plesit Jos. 
reien“ (Bezzenberger, Lett. Dial. Stud. 17 Anm.), ahd. Aahan 
„schinden, die Haut abziehen“ (vgl. Zupitza, GG. 190). 

lit. laskaroti, laskarau „rasch gehen, ausreißen“ (Bezzenberger, 
LF. 133), r. lesko „flink, rasch“, gael. lasgaire „young, youth“: 
lit. lakstus „flüchtig, stürmisch, schnell“, Zakiöju, lakstaŭ „umher- 
liegen“, lekiù, lekti „fliegen“, lett. lecu, lēkt „springen, hüpfen“, 
gr. AdS „mit der Ferse ausschagend*, lat. alacer idg. W. alak-'). 

luskäti „laufen“ (Bezzenberger, LF. 138), gr. dAdoxw (éiden) 
Hom. „fliehe“, Avoxdleı meoıpeöyeı (Hes.), dän. luske „schleichen“, 
air. luascaim „erschüttere“, luascan „cradle“, gael. luaisg „move, 
II kurd. Zaggäh „Ausschlagen mit dem Fuß“ ZDMG. XLII 76. 


Die verbalen und nominalen sk- und sk-Stämme im Balt.-Slav. und Alban. 171 


wave“, abret. luscon „oscilla“, mbr. lusquennein „wanken“, lusquiff 
„mou voir“ (Ernault, Gloss. Moy. Bret.° 124, 381, Stokes-Strachan, 
Thes. Palaeohib. II 100), : gr. dien „Unruhe“, dAvcoeın: To&ueıv 
(Hes.), Avoodw „tobe“, Zem „Wut“, mir. locaim „ich weiche“, 
lit. sZükau, slükyti „schleichen“. 
lit. plüskos „Haarzotten“, lett. pluskas „Zotten, Lumpen“, plus- 
kis „Lump“, pluskutains „zottig, wollig“, plaskat „an den Haaren 
zupfen, reißen“, mir. luascach „zottig“ : lett. plaukas „Flocken, 
Fasern“, plaukains „faserig, flockig“, plauköt „fasern“, plukt 
„zupfen, raufen, pflücken“, plakat „zausen, zupfen“, lit. plaukaz 
„Haar“, plaukütas „behaart“, plaukiu, plaukti „behaart werden, 
Ähren bekommen“ (vgl. Bezzenberger, BB. XII 241, Thurneysen, 
IF. XIV 127ff.). 
lit. szläkszti „plätschern* (Bezzenberger, LF. 183), aw. srask- 
(ZII. VI 113£.). 
lit. traszkù, traszkëti „prasseln, knacken“, treszkü, treszketi 
„Knistern, knacken, prasseln*, treszkütis „Plapperer, Schnatterer“, 
tirszkinu, tirszkinti „klappern, kratzen, schaben“, tarszketi „klap- 
pern“, lett. tarksket dss., tersket „schnarren“, lit. czerszkiü „zische“, 
terschkia „es fröstelt“, abg. troskotati „strepere“, trestiti „schlagen“, 
trestati „strepitum edere“, treskati „strepitum edere“, treska „Schall“, 
č. traskati „knallen“, treskati „krachen“, triskati „poltern, schlagen“, 
troskot „Gekrach“, p. trzaskac „krachen“, strzaskad „zerschmettern“, 
treszczed „knarren, knistern, prasseln*“, trzask „Gekrach“, bulg. 
treskam „schlage, prassele“, kroat. triskati „einschlagen (vom 
Blitz)“, r. treskato sja „platzen, bersten, reißen“, trescato „krachen“, 
natreskatv sja „oben Risse, Sprünge bekommen“, got. hriskan 
„dreschen“, ae. berscan dss. : lit. trankaa, trankıjti „mehrfach dröh- 
nend stoßen“, trenkiù trenkti „dröhnend stoßen“, trinketi „dröh- 
nen“, trinka „Hauklotz“, trinkis „Anstoß“, alit. trenkszmas „Lärm“ 
(Bezzenberger, BZGLSpr. 333), lett. trīcæt „zittern, beben“, p. 
tracić „stoßen“, r. torks „Klopfen, Stoßen“, torkato „hin und her- 
stoßen. rütteln“, potoroks „Hieb, Stoß“, potorča „Stange, Pfahl“, 
potorkiss „kleine Stange, kleiner Pfahl“, slov. trkati „anstoßen, 
klopfen“, lat. truncus „gestutzt“, ae. bringan, ahd. dringan „dringen“ 
(vgl. Zupitza, GG. 70). Zur Begriffsentwicklung „schlagen, dreschen“ 
vgl. gr. dAo@v „schlagen, dreschen": engl. beaten „zerschlagen, ab- 
gedroschen‘; apr. tlakut „dreschen“ : abg. tlską „schlage“, č. tlesk 
„Klatsch“; lett. kult „dreschen“ neben kalt „schlagen, hämmern“; 
aw. x’asta „gedroschen“ : aw. paitiy’ah (y. 57,10) „darauf treten“, 
np. x”astah „herausgerissen, zerwühlt“, ost „ausgetretener Pfad“. 


172 J. Scheftelowitz 


— Zur W. tresk- gehört auch r. treskd „Stock, Stange, Stock- 
fisch“ an. porskr „Dorsch“ (vgl. auch Uhlenbeck, o. XL 560). 
Die Fischnamen beruhen meist auf einem äußeren auffallenden 
Kennzeichen, vgl. T. E. Karsten, Beitr. z. germ. Wortkunde unter 
mhd. sturz, Lidén, Uppsalastudier 90f., Hellquist, Spräkveten- 
skapliga sällskapets förhandlingar 1891—94, S. 8öf. Lit. sutre- 
szinti (Bezzenberger, LF.) „entzweischlagen“ kann wegen des sz 
nicht zu lit. traszkù, got. þriskan gestellt werden, sondern gehört 
zu air. terc „rarus, spärlich“ (begrifflich vgl. lat. rarus : abg. oriti 
„zerstören“). 

lit. triùszkinu (trüszkinu), triüszkinti „zermalmen“, truszketi 
„knistern“, č. truskotati „krachend zerbrochen werden“, č. p. trusk 
„Gerassel, Geräusch“, r. trusks „Krachen, Knistern“, ae. of-drys- 
can „unterdrücken“, ndd. drüschen „quetschen“, drūsch „durch 
Stoß entstandene Beule“ (vgl. Korrespondenzbl. d. Ver. f. niederd. 
Sprachf. XXIV 5, 23f.), gr. rodoxeı‘ rode (Hes.) : lit. trúkķti „ent- 
zweigehen*, trdukti „reißen“, lett. trūkt „entzweigehen, brechen“, 
cymr. trwch „fractus, mancus, mutilus, scissura, incisio“, ae. dryccan 
„to tread on, trample, thrust, press, oppress“, aisl. prúga „drücken“, 
mhd. druc(-ckes) „Druck, feindliches Zusammenstoßen“, gr. tovo- 
ode ` vooeg6s, dodevng, Aentós (Hes.) (vgl. Zupitza, GG. 140, Thurn- 
eysen, IF. XIV 129). Neben idg. W. truk gibt es auch eine W. 
truk, alit. truscha „Hagel“ (Bezzenberger, BZGLSpr. 333), lett. 
trausls „zerbrechlich“, trauss das, p. truskad „zerschmettern‘ ist 
ebensowenig wie p. irzaska „Gekrach‘“ mit Brückner IF. XXII 
217 als „Doubletten‘“ zu druzgad bezw. drzazga aufzufassen, vgl. 
über letztere o LIV 241. 239. 

lit. pravirszkyii „zu weinen anfangen“ (Bezzenberger, 
BZGLSpr. 82 Anm.), lett. rekskinat, reksinat „grunzen*, reksket 
dss., abg. vrestati „schreien“, vreskandje „Schrei*, osorb. wresk 
„Aurchdringender Schrei“, r. verescato „schreien“, veresks „Ge- 
schrei“, nsorb. rjascas, rjaskas „schreien“, osorb. wresced dss. 
(Mucke, Formen, d. Nsorb. Spr. 215) : abg. vrscati „einen Laut von 
sich geben, murren“, reką, resti „sagen“, poroks „Tadel“, pre- 
rekati „contradicere“, r. raz-vorcato sja „fortwährend schelten“, 
p. rzeknąć „sagen“, nsorb. warcas „knurren“, lit. weřkti „weinen“, 
werkszlenù dss., wìrkstu, wìrkau „fange zu weinen an“, su-rinkù, 
su-rikti „laut aufschreien“, rékiù „brülle, schreie, weine“, got. wroh- 
jan „anklagen“, nhd. rügen, as. wröht „Anklage, Streit“. Zur 
Bedeutung „anklagen“ vgl. abg. vaditi „anklagen“, č. udati „an- 
geben, verklagen“ : ai. vadati „reden“, gr. woën: »Auieıv (Hes.), 


Die verbalen und nominalen sk- und sk-Stämme im Balt.-Slav. und Alban. 173 


wobei y für f steht, vgl. Solmsen, Z. Gr. Lautl. 81; abg. r. sokz 
„Ankläger“, č. sok dss. : lit. sakýti „sagen“; r. skomleto „schelten“ 
neben skomlito „weinen“, osorb. skomlić „tadeln“, aisl. skama 
„Scham“; air. léim „ich klage an“ : got. laian „schmähen“, abg. 
lajati „bellen, schmähen“. Weitere Begriffsparallelen bei Brug- 
mann, IF. IX 354; Fick Wtb.* II 254 (air. locht) u. W. Schulze, 
S. Pr. Ak. W. 1918, 481 ff. Walde, o. XXXIV 517 stellt r. verezgs 
„Schrei“ zu abg. veresks, was lautlich unmöglich ist. Über r. 
verezgě vgl. o. LIV 239. 

lett. plaskains „flach, glatt“, lit. su-plúszkau, suplükszti „sich 
breit und flach legen“, abg. r. plosks dss., r. ploščadb „Platz“, p. 
plaski „flach“, č. plosky, lit. plokszczias aus *ploszk-stjas „flach“ : 
lett. plakans „flach“, ahd. flah, ndl. flak, gr. nid& „Fläche“, åa- 
vepde „breit“, lat. placenta „Kuchen“. Davon zu trennen gr. tà 
riAdyıa „Seiten, Flanken“, dor. mayos „Seite“, lat. plaga, poln. ptoz, 
płaza „flache Seite einer Sache“, klr. płaz, plazen „flache Seite“. 

lit. braszkù, braszketi „krachen, knacken“, bräszkinu, bräszkjti 
„durch Brechen knacken, krachen lassen“, bárszku, barszketi „klap- 
pern“ (vgl. Juškevič, Liet. Svot. Dáinos Nr. 743,3: del tů jisáj 
bárszka, kad sužléts kajp märszka; 768, &: távu dántys iszbarszkës ; 
753, 6: ¿ tanciy Eju, skranda braszkëju; 769, 2. 3: sülelis subraszkes); 
burszkiù, bùrkszti „brummende Töne hervorbringen“ (Juškevič, 
Slovarp), burksznöti „prasseln“, brañkszt aus *branskt Interj. des 
Erdröhnens, neben brankst (vgl. Leskien, IF. XIIL 188), lett. braksket, 
brakskinät „krachen“, air. brisc „brüchig, zerbrechlich“, ápprisc 
aus *dd-brisc „fragilis“, mir. briosg, bret. bresc dss., urkelt. *bresku 
(vgl. Fick* II 184), aisl. brosk „Geräusch, Krachen“, norw. brask 
„Gekrach, Geräusch“, braska „knistern, prasseln“, brask „knistern- 
des Brennholz“, schw. braska „rauschen“ (Ark. f. Nord. Fil. XIV 10), 
mnd. breschen „brüllen, krachen“. Hierzu auch air. brose „Schall, 
Lärm, Donner“, gael. brosgul „Schmeichelei“ (begrifflich vgl. lat. 
blandus ` lett. blädu „schwatzen“), čech. brresk „Blöken“, br’eskot 
„Lärm“, bresteti „heulen“, briskati „kreischen“, Hr. brascaty 
„klirren“ ` lat. fragor „Krachen, Getöse“, frango (vgl. Walde, L. 
E. W.? 313,754), aisl. brak „knarrendes Geräusch“, braka „krachen“, 
ndän. brage dss., got. brikan „brechen“, ae. brecan „brechen“, broc 
„Kummer, Beschwerde“, air. air-brech „Krachen“, com-brugad 
„confringere“, cymr. brau „fragilis“ (vgl. Fick, Wtb.* II 183), lett. 
brag-sdet „knarren“, lit. branksztas „Bruch im Felde“. Davon zu 
trennen ist lett. brafet „toben“, lit. brešù „raschele*, ai. barhati 
„brüllt“, gr. ßBodxye „krachte“* (vgl. o. LIV 231). 


174 J. Scheftelowitz 


lit. pliske „Lappen“, lett. plaški „zerlumpter Rock“, »ska 
„zerlumpter Mensch“, bulg. o-pleskan „beschmutzt“ : lit. pl&kstu, 
plökau „modrig werden“, pelke „Bruch“, lett. pelce „Pfütze“, gr. 
naixds' nnAös (Hes.), lit. plakas „Schmutzflecken“, plakütas „voll 
Flecken“, plakas „schlecht“, an. flekkr „Fleck“, ahd. fleccho, mhd. 
vlece (vlecke) „Flecken“, nhd. Fleck. 

lit. troszkis „Spalte im Holz“, abg. sl. treska „Splitter“, abg. 
tresnovenije „fragor“, sl. trska, klr. triska, p. trzaska „Splitter, Span“, 
b. tresk3 dss., serb. troska „Schlacke“, č. troska, trüska dss., nsorb. 
tseska, osorb. třčska „Holzspan“ (Mucke, Forml. d. Nsorb. Spr. 
71. 222), air. trese „Schlacke, Auswurf“ : aisl. þrekkr, mhd. drec 
„Dreck“, abg. trgnati, treynati „zerreißen“, č. trh, strž „Riß, Bruch“, 
serb. tergaty „reißen“. Mit dem s-Suff. sind erweitert sl. trocha 
„Splitter, Bißchen“, abg. trocha „mica“, bulg. trosa „Brocken“, 
trucha „zerriebenes Heu, Spreu“. Begrifflich vgl. aw. saray „Ab- 
fall, Splitter“, sairya „Mist“, sl. serja „Mist“, phl. sargen dss., lett. 
sārni „Schlacken“, ai. siryate „zerfällt, zerbricht“, np. gu-salīdan 
„brechen, zerbrechen“ (vgl. Verf., ZDMG. LIX 709). J. Schmidt, 
o. XXV 128 u. Miklosich, Vgl. W. stellen slav. tragati zu ai. trm- 
hati, was aber unmöglich ist, denn das altind. Wort geht auf ar. 
*trngh zurück, vgl. ai. trnedhu, es gehört also zu abg. trszati 
„vellere“, otrszati „avellere“, trezati „lacerare“, otrezeti „abscin- 
dere, exscindere*, pretrszati „rumpere“, r. terzatv „zerreißen, 
peinigen, plagen, quälen“. Neben ai. trmhati kommt auch ai. 
strhati „Schaden machen" vor. 

lett. spruksket „prusten*, lit. pürkszczoti „prusten* (Bezzen- 
berger, BB. XVII 221) aus pürskstjoti, klr. porosdity „stäuben“, poros- 
nuty „auseinanderstieben*, porsky „scheu“, toch. praski „Furcht“: 
č. prseti „stieben, fallen“, prch „Flucht“, p. pierszyd „stieben“, lett. 
persla „Schneeflocke*, ai. prsitam „Regen“, prsata „Tropfen“, aw. 
parsuya „schneeig“*. Dazu auch osorb. porskac „nießen, schnau- 
ben“, nsorb. parskas dss., parskel „Rotz“, p. parskot, parskad 
„schnauben‘“, abg. preskanije „Geschnaube*. 

lett. mirksket (mirksu), mirkskinat „mit den Augen blinzeln“, 
r. merescitv sja „fimmern, sich unklar zeigen, schwanen“ : r. merek: 
„Phantasieren, Erscheinung“, sl. mraci se „dämmert“, lit. markstıjti 
„blinzeln“, vgl. Berneker, SI. E.W. 1138.78. Im Lettischen wird zu- 
weilen E vor šk eingeschoben, z.B. lett. spruksket; mikskis „Maisch- 
holz“ neben miskis dss., plaksket „klatschen“ neben lit. plaskäti des, 
braksket neben lit. braszketi, pauksket „schallen, knallen“ neben 
lit. pauszkäti; pluksket „schwatzen, plaudern“ neben plusket dss., 


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Die verbalen und nominalen sk- uud sk-Stämme im Balt.-Slav. und Alban. 17 5 


‚ lit. pliuseketi „albern“; bauksket „stark schlagen“ : ahd. biuschen 


„schlagen“; wiskis neben wikskis „Strohbündel*“ : ai. veska. 

lit. blaszkyti „hin und herschleudern*, iszbläszkyti „ausein- 
anderzausen* (Bezzenberger, LF. 101), bloszkiù, blökszti „seitwärts 
schleudern“ (vgl. Juskevid, Liet. Svotb. Dáin. Nr. 19, 2: Uj, täszke, 
blaszke puszú szakeleles, Nr. 64,10: žirgams köjas bläszke, Nr. 268, 4: 
Aj taszke, bläszke Zirgelej baltös alıjvos szakeles), bläksztas „Wedel“ 
aus *blaszkstas (vgl. Leskien, Bild. Nom. 532); lett. blaksket „das 
Geräusch, wenn etwas zur Erde fällt* ist in seiner Bedeutung 
von lett. plaksket beeinflußt: gr. pAadeiv „auseinar.derreißen“, lat. 
floccus aus *bhlodkos (W. Meyer, o XXVII 172). Trautmann, 
BB. XXX 328 möchte lit. blaszkyti mit lat. lagrum „Geißel“, aisl. 
blaka „schlagen“ verknüpfen. Allein letztere gehören eher zu lett. 
belfet „klopfen, schlagen“, belfins „derber Schlag“. 

lit. eska „Fraß, Aas“, eskus „gefräßig“ (Geitler, Lit. St. 82), 
eskümas „Freßlust“ (Bezzenberger, LF. 111), lett. eska „Vielfraß*“, 
lat. &sca „Speise“ : lit. ëdu, Esti „fressen“, lat. edere, ai. atti 
DEN. 

lett. līkas „Zauberstäbchen“, lit. iszka „Brettstein“, p. laska 
„Stock, Stab, Rohr, Haselnußstrauch“, leska, leszczyna „Hasel- 
staude“, nsorb. l&ska „Rute, Haselnußstrauch“, Lesce „Name des 
Dorfes Horno bei Spremberg“ aus älterem * Léskoje (Mucke, Form- 
u. Lautl. d. Nsorb. Spr. 164), sl. leska, lesca „Haselstrauch“, serb. 
ljieskovina dss., b. leska, €. líska, leska „Haselstaude“, r. lesca dss., 
r.-ksl. leskovs „aus dem Holz des Styraxbaumes“ (vgl. Berneker, 
SI. Et. W. 713), mndd. loske „Boot“ : lit. lentà „Brett“ (vgl. auch 
Meringer, Stellung des bosn. Hauses 68f.), lentinis „von einem 
Brett gemacht“, lütas, lötas „Boot“ (Leskien, Bild. d. Nomina 197), 
p- tet „Gerte“, klr. ut dss., tute „Weidenzweige, Lindenbast*, 
ksl. Zotzen, latěva „olla, lebes*, p. łatka „lebes“ (Berneker, Sl. Et. 
W. 694), lat. linter, lunter „Kahn, Trog“ (zum Vokalismus vgl. 
Niedermann: e und ž im Latein., S. 48f., ferner Walde, Lat. Et. W. 
843), germ. lapa = mhd. lade „Brett, Bohle“, dän. lade „Scheune“ 
(zur Bedeutung vgl. lat. trabs : lit. trobà „Gebäude“). Zu dtsch. 
latte vgl. Meringer, IF. XVI 113f., gr. &Adın „Fichte, Tanne“, ai. 
lată „Schlingpflanze, Ranke“, air. slat „Rute“, cymr. llath „Rute, 
Latte“, an. linde „Linde, Schild, Speer“, ahd. linta „Linde, Schild“ 
(vgl. Uhlenbeck, o. XL 557f.). Mit dem Suff. £ erweitert sind 
lit. Zasta „ein aus Brettern verfertigter Gänseverschlag“, r. lost», 
lostě „Latte, Leiste zum Bekleiden eines Bootes“, b. lostě „Hebel, 
Brechstange“, arm. last (gen. pl. lastic) „Holzfloß, Schiffskiel, 


176 J. Scheftelowitz 


Boot, Schiff, bretternes Bett, Bank“ '), lasteni „Erle, Holz, das zum 
Schiffsbau verwendet wird“ (Bedrossian), lastem „zimmere“, arm. 
last idg. lat-ti (Verf., BB. XXIX 32). acorn. lester „Schiff“, bret. lest »- 
dss., air. lestar „Gefäß“, vorkelt. *lent-st-. Lidén (Balt.-Slav. Anl. 25) 
möchte slav. leska auf idg. *vloiska zurückführen und es mit ai. 
vleska „Schlinge“ verknüpfen, allein wegen mndd. loske ist es un- 
möglich. (Über ai. vleska vgl. ZIF. VI 113.) Dagegen möchte Liden, 
IF. XVIII 488 arm. last mit lit. lazdá „Stock, Haselnußstrauch“, 
abg. loza „Gerte, Reis“ verknüpfen. „Sollte es sich bewähren, 
was Zupitza, 0. XXXVII 389 zu begründen sucht, daß idg. s unter 
bestimmten Bedingungen zu slav. z wird, so stünde die Möglich- 
keit offen, slav. loza unter Voraussetzung einer Grundform *las 


1) Zur Begriffsentwicklung „Boot“ vgl. abg. Zadija, ludni „navis“, r. lodij«e, 
č. loď’, p. lodz, 8. lodija „Boot, flaches Flußschiff“, klr. Zodva „dickes Brett“, 
p. todyga „Stengel“, č. lodyha „Stengel“, ursl. *old-, lit. eidija „Flußkahn“, 
eldze „flaches Flußschiff“, ae. aldot „alviolum“, skand. alda „Trog“ (vgl. Lidén, 
Blandade Spräkhistor. Bidrag in: Göteborgs Högskol. Arsskr. 1904, 28) In idg. 
*oldh- scheint das dh „Determinativ“ zu sein, vgl. ai. Gin, älü „kleines Gefäß, 
Floß, Nachen“. Slov. dedenj „Baumschiff*, bednač „dickes Scheit Holz“, Daden7. 
bedenj „Bottich, hohler Baumstamm“ (vgl. Meringer, IF. XVI 154); sl. kopanja 
„Trog, Kahn aus einem hohlen Baumstamm“ : sl. kop „Stange“; č. sud „Boot“, 
p. súdno dss., sudzina „Faß“ : lat. caudex „Baumstamm“, caudica „aus einem 
Baumstamm gemachter Kahn“; lit. kumdrys „Holz zu Kähnen“ (Leskien, Bild. 
Nom. 437), lett. kumbris „Gabel, in der das Steuerruder liegt“, ai. kumbha 
„Gefäß, Topf“; lat. zrabica „Floß“:trabs „Balken“, gr. rodpn& „Bord des Schiffes, 
Pfahl“ (Prellwitz, Et. W.? 466); ahd. ask „Esche, Boot, Schüssel“, aisl. askr, 
aschw. asker „kleines Gefäß, Kleines Boot“, an. askja „vas ligneum“; np. döreh 
„Trinkschale, best. Hohlmaß“, mp. *dörak = arm. Lehnw. dorak dss., airan. 
*dauruka ` aw. däuru „Holz“, ai. däru, dru dss., drona, druvaya „aus Holz 
verfertigt, Gefäß, Krug, best. Hohlmaß“, ae. ¿rog „Trog“, idg. *druko-; air. 
long, loing „Gefäß, Schiff“; ai. Zängala „Stange“; lit. wáltis „Kahn“ : ai. vala 
„Stange, Balken“, got. walus „Stab“, lat. valus „Pfahl“, ahd. wald, mhd. watt 
„buschiger Ast, Waldbaum, Wald“, schweiz. wald „die laubigen Äste u. Zweige 
eines Baumes“ [Hiervon zu trennen lit. wáltis „Haferrispe“ : čak. vlat, vlati 
„Ähre“, r. volotb „Faser“ (Vondrak, BB. XXX 123), ai. vala „Schweifhaar“, aw. 
vāra, lit. valai „Schweifhaar des Pferdes“. Begrifflich vgl. lett. skara „krause 
Wolle, Zotte, Büschel, Haferrispe“]; as. nako „Nachen“, ae. naca deg ` ai. naga 
„Baum“ (Lidén, Stud. z. Ai. Sprachgesch. 31f.); lett. felejs „Holzfloß“ : lit. zlis 
„Baumstamm“, arm. jo? „Stange, Rute“ (z. B. Ez. 40,3. 5.7.8; 41,8), ai. kala, 
häla „Pflug“; russ. date „Eichenstock, Eichenknüttel, Holztrog, Kahn“; mbret. 
bac, bag „Boot, Schiff“ : ndd. back „Schüssel“; gr. yaðåoş „Schiff“, ahd. Aöol 
„Schiff“ : gr. yavics „Eimer“, ai. golä „Krug“ (Zupitza, GG. 145); poln. kloda 
„Baumstamm, Klotz, großes Faß, Tonne“; gr. xatos „Nachen, Lastschiff, Becher“ ; 
air. drochta „Tonne, Kufe“ (BB. XXV 255), drochet „Brücke“ : np. darayt „Baum. 
Balken“; aisl. strokkr „Faß“ : nhd. strunk; č. l£sa „Flechtwerk, Floß, Kahn‘; 
mp. kastık „Schiff“ (Säyast 9,7): ai. kästham „Holzstück“ aus *kalstkam. 


Ä 


Die verbalen und nominalen sk- und sk-Stämme im Balt.-Slav. und Alban. 177 


mit arm. last und lit. lazdà aus *lazda zu kombinieren.“ Doch 
ist Ludens Ansicht unhaltbar, da sowohl im slav. loza als auch 
im lit. Zazdà die W. lag steckt, was ich im weiteren nachweise. 
abg. loza „Gerte, Reis, Reisig, Weinrebe, Weinstock“, lozije 
„Reisig, Triebe, Schößling, Weinreben, dürres Reisig“, sl. löza 
„Ranke, Weinrebe, Wald, Hain“, serbokr. loza „Zweig, Schöß- 
ling, Rebe“, lazovac „Reis, dünner Zweig, Rebe“, lozities „sich 
hinaufranken“, r. loza, lozina „Rute, Reis, Zweig“, lozve „Reisig, 
Weinrebe“, lozanb „Hieb mit der Rute“, Kr. loza „Zuchtrute, 
Weide“, p. toza „Rute, Gerte, Zweig, Strauch, Weinstock, Weide“, 
tože „Schaft“ (davon entlehnt lit. laža dss., Brückner, Lituslav. 
St. I 102), łozina „Wasserweide, Gesträuch“ (vgl. K. Strekeli, 
Arch. f. sl. Ph. XXVII 53f.), lit. ložinti „biegen“, gr. ölöyıvov' 
öGöoöeg Hes. (W. Schulze, Quaest. 494), ferner stelle ich hinzu 
T. mp. raz „Weinstock“, parsi raz dss. (ZDMG. XXXVI 62), phl. 
raz, razan „Weinstock, Weinrebe“, idg. log. Hierzu gehört auch 
balt. lazd- aus idg. *lag-d(h)-; lit. zd kann zurückgehen auf idg. 
s+d(h)-, d+d(h), och) dch, A-+-d(h), wofür ich folgende 
Beispiele anführe: 
mp. pazd „Frost“ (Denk. 8, 20, 117) : gr. tò ndyos „Frost“. — 
lit. pyzdà „vulva“, lett. pizda dss., pr. peisda, serb. sl. p. r. č. pizda 
„vulva“, alb. pi aus *pizd (vgl. Jokl, IF. XXX 199f.) : lit. pisù, pisti 
„Coire cum femina“, ai. pidayati „drücken“, idg. *pis-d (vgl. v. 
Rozwadowski, IF. V 353f.). — lit. burzdüs „rührig“, su-bruzdù „ich 
komme in Bewegung, eile“ (Bezzenberger, LF. 102): abg. brzo 
„schnell“, r.-ksl. ber zu „schnell, wacker“, r. borzyj „schnell, rasch“, 
b. berz dss., č. brzy (vgl. Berneker, SI. Et. W. 109f.). — lit. barzdà 
„Bart“ : abg. brada „Bart“, apr. bardus, r. boroda „Bart“ (vgl. de 
Saussure, MSL. VI 442). — lit. sklezdëti „flattern“ : sklandýti „um- 
herschweben“. — lit. bēzdas „Hollunder“ : r. bozz dss., sl. bezg, 
serb. bazag „Hollunder“. — lit. wēzdas „Prügel, Knüttel“ : lett. 
wed-ga „Brechstange, Axt“, lit. wedega dss., apr. wedigo „Beil“, 
air. fadb „Axt“, aw. vada „Keil“, vadar „Waffe“, ai. vadha, vadhar 
dss. — lit. gruzdü, gruzdenü „glimmen“ : mndd. grude „heiße Asche“ 
(Schiller-Lübben II 157), nnd. dial. grude „glimmende Koksasche 
im Herd“ (so im Anhaltinischen), vgl. auch J. F. Danneil, Wtb. 
d. altmärk. plattdeutschen Mundart. — lit. brazdu, brazdeti, braz- 
dinti „klopfen, poltern“ (Juškevič), nubrazdeti „herunterpoltern“ 
(Bezzenberger, LF. 101), abg. brezdati dss., lett. bra/dét : lit. bresu 
„raschele“, gr. Bodye „krachte“. — lit. grumzda „Drohung“ : abg. 
r. grozá dss., r. grositk „drohen“. — lit. bruzduklas „Zaum“ (Bezzen- 
Zeitschrift für vergl. Sprachf. LVI 3/4. 12 


178 J. Scheftelowitz| 


berger, BZGLSpr. 277), abg. brazda. dss. : lit. brizgilas „Strick, 
Zaum“, apr. brisgelan dss. — lit. lizdas „Nest“ : apr. lasinna „legte“, 
lasto „Bett“ W. log. — lit. apweizdas „Vorsehung“, uZweizdas 
„Aufseher“ (Leskien, Bild. Nom. 184), weizdeti „sehen“, idg. W. 
vid „sehen“. — lit. wañzdis „Rohrpfeife“ : ai. vamsa, vamsı „Rohr, 
Rohrpfeife, Flöte“, vamsakrtya „Flötenspiel“. — lit. žaizda „Wunde“, 
pa3aizda „Verletzung“, žaizdas „Beleidigung“, ai. hedäas heda 
„Ärger, Zorn“, hedati „ärgern, kränken* : lit. Zeidäiu „verwunde, 
verletze, beleidige*, puZaida „Beleidigung, Wunde“ (vgl. Zubaty, 
BB. XVII 326f., Stokes, o XXX VII 466). Weitere Beispiele mit 
dem idg. Suff. -d, -dh sind: lett. várde „Frosch“, arm. gort dss., idg. 
vor-d- : lit. varl& „Frosch“ (Bezzenberger, LF. 195). — lit. Gë. 
klodas, pri-klodas „Deckbett“ : klöti „breiten, spreiten“. — lett. 
trimda „Angst“ : tramigs „scheu“, lit. trimu „zittere“. — lett. trüdi 
pl. „Moder“ : trunet „modern“ (Leskien, Bild. Nom. 586). — lett. 
smaida „Lächeln“ : smet „lachen“. — abg. stogda „platea“ neben 
stogna dss. — abg. sl. r. uzda „Zügel“ : abg. veza, vgqza „Band, 
Fessel“, r. uza „Fessel, Band“, uzy pl. „Fesseln, Bande“ (anders 
über uzda Walde, o. XXXIV 508). — serb. zvizda „Pfeifen“ 
neben zvizga dss. — č. dřizdati „Durchfall haben“, aisl. drita 
„cacare“. — č. ohyzda „Ekel“ : Kr. ohyda dss. — abg. gruzdije 
„Erdscholle“ neben grudije dss. — wruss. hiuzd „Sinn, Verstand“ : 
aisl gloggr „klug, klar“ (Berneker, SI. Et. W. 309). — abg. grozds 
„Weintraube“ : p. grono dss. aus *yrodno (Mikkola, BB. XXII 243). 
— č. paždi „Achselhöhle“ aus *pažod- : nsorb. paža, osorb. pod- 
paha, č. paže „Arm“, podpaži „Achselhöhle“, ai. pājasyæ „Bauch- 
gegend“, pajakam „Korb“, r. pacha „Achselhöhle aus pag-s- (vgl. 
Wiedemann, BB. XX VII256ff.). Begrifflich vgl. skroat. kàlja „Bauch“ 
neben lit. kulìs „Sack“, Berneker 642; abg. pazucha, r. pazucha 
„Achselhöhle* ist von slav. paz „Fuge“ abgeleitet (ucha ist ein 
häufiges slav. Suff., vgl. russ. sivucha, čeremucha, starucha). In 
dem d von slov. pazduha (neben pazuha) sehe ich mit Wiedemann 
das suffixale Element d. (Anders [zu ai. dos gehörig], aber nicht 
einleuchtend erklärten es Pedersen, IF. XXV1292, Berneker, SI. 
E. W. 233f.) — sl. brezdeti „dämmern“, brezeti dss. — č. paždik 
„kleiner Riegel“, pa!diti „verschränken, vermachen“ aus *pa2bd : 
č. pažiti „Pfähle einschlagen, verrammen“, paž „Bretterwand“, 
ahd. spacha, spacho „Reis, Zweig“. — abg. jazda „Fahrt, Ritt“: 
jadę „fahre“. (Anders hierüber Brugmann, IF. XV 103.) — ai. 
krodá „Eber“, ar. *krauzda idg. *kraud-do- : aisl. hrútr „Widder“. 
— ai. sabda „Laut, Rede“ : ai. sapate „beteuert*; mrdati „ver- 


Die verbalen und nominalen sk- und sk-Stämme im Balt.-Slav. und Alban. 179 


zeihen“ aus *mrsd- : mrsyati. Über das idg. Suff. d vgl. auch 
Kretschmer, o. XXX1347f., Niedermann, IF. X 229ff. Zum idg. 
Suff. dh vgl. auch Johansson IF. XIX 133. Das Suff. dh steckt 
in got. gahugds. (Dagegen ist idg. gh(gh) +t im Germ. zu ht 
geworden, vgl. got. mahts aus *magh-ti Walde, o. XXXIV 495f.) 
— got. razda, an. rodd „Stimme, Sprache“, ae. reord, ahd. rarta 
dss. : got. rödjan „reden“, an. reda (vgl. auch von Grienberger, 
Unt. z. got. Wortkunde 175). — ae. heorde, e. hards, hurds „Hede, 
Werer, ae. heord „Haar“ : lit, su-kides „zerzaust“*, ndd. fries. hede 
„Werg“, ae. häd „Haar“, lat. caesaries aus *kaidh-s- vgl. Vert, 
WZKM. XXI 126f. — an. haddr „Haar“ : abg. cesati „kämmen“, 
p- paczes „Hede“ (vgl. Trautmann, Germ. Lautges. 34). — gr. 
Ado9n „Spott, Schmähung“ : nhd. luodar „Lockspeise, Gespött, 
Schlemmerei“. — gr. uaodös, ai. medhas „Fettbrühe* aus idg. 
*maddhos. — Dagegen geht gr. focos, Aolodıos „der äußerste, 
letzte“ auf idg. *sloiddho = *sloidh-to zurück : nsorb. sledny „der 
letzte“, sl. slednij „extremus“, abg. po-sledoni) „Eoxatos“, po-sledeke 
„Ende“, posleide „Üoregov“, posledv dss., vs-sleds toen", slede 
„Spur“, posledovati „folgen“, ae. slidan „gleiten“, lit. siystu, slýdau 
„gleiten“, ai. a-sridh, a-sredhat „unendlich, unvergänglich“, gr. 
ölıoddvo (vgl. auch Thumb, IF. XIV 346). Begrifflich vgl. ai. ca- 
ramd „letzter, späterer“ : carati „gehen“. Die bisherigen Erklä- 
rungen von Äoiodog sind sehr unwahrscheinlich, so nach Solmsen, 
IF. XIII 140 aus *losistos : got. lasiws „schwach, kraftlos“, dagegen 
nach Danielsson, Z. Altıt. Wortforsch. u. Formenl. 54, Persson, 
Wurzelerw. 187, Brugmann, IF. XVII 433f. aus *Aoıö-3%o : lit. 
leidZu, leisti „lassen“, atlaida „Erlaß“. 

Hiermit habe ich das Verhältnis von abg. loza zu balt. lazd-, 
das Zupitza, o XXXVII 398 für „unklar“ hält, aufgeklärt. lit. 
lazdà „Stock, Stecken, Haselnußstrauch*, lazdinis „dicker, starker 
Stock“, lett. /a/da, lag/da „Haselnußstrauch“, apr. laxde (d. i. 
*lagzde = *lazde) dss., kel-laxde „Speerschaft“. Vor zd entwickelt 
sich nämlich im Baltischen zuweilen ein g, vgl. lett. strag/ds neben 
stra/ds „Star“; lig/da neben li/da „Nest“ (Bielenstein, Lett. Spr. 
I 215); lit. žwirgčdas neben žwiršdas `). 

1) Für zd kommt im Litauischen dialektisch auch 2 vor, daher auch lazà 
für Zazdà, wie weizéti neben weizdeti „sehen“; pyzà für pyzdà „vulva“; lizas 
für üzdas „Nest“; wamzis neben wamzdis „Pfeife“; gremzu „senken“ neben 
gramzdyti „versenken“ (abg. graziti „einsinken machen“); blauzà „Wade“ für 
blauzda dss.; bezas für bezdas, bezdalas; bräzas für bräzdas; Eerzinti „reizen, 
zergen“ neben drzdintis „sich streiten, reizen“ (Bezzenberger, LF. 97): lett. 
erdinät „reizen, Gecken", gr. &oedilw „reize“. 

12* 


180 J. Scheftelowitz 


Mit abg. loza, np. raz, lit. lazdà sind auch lat. lignum „Holz“ 
aus *leg-nom') und lit. lo&inti „biegen“ verwandt. Begrifflich 
vgl. gr. Aöyog „Zweig zum Flechten“ : Avyliw „biege, winde, 
drehe“, lit. /ugnas „biegsam“ (Prellwitz * 274); dants „Rute“, owp 
„Reisig, „Gezweig“ ` 6eno „sich neigen“, lit. warpstis „dünne 
Stange“ (Bezzenberger, LF. 195), wirpeti „zittern“; onagtög 
„Strauch“, ordern, ondorov „Seil“, lit. spartas „Band“ °) : oneio« 
„Windung“, onelonua „Windung“ (Prellwitz? 424); gr. Ad 
„Rute“, bulg. klon „Zweig“ : abg. kloniti „neigen“; apr. wipis 
„Zweig“ : ai. vepati „in schwingender Bewegung sein“ (Zupitzas 
Zusammenstellung von wipis mit got. tweifls GG. 16 ist unmöglich); 
ai. vaya „Zweig“, vetra „Rohr“, aw. vaelay „Weide, Weidengerte“, 
lit. výtis „Gerte“ : ai. vayati „flechten, weben“, veska „Schlinge“; ai. 
venu „Rohr“ (RV), mind. (pali, prakr.) veļu aus älterem *velnu : präkr. 
= velli, vella „Schlingpflanze“, vella „Haar, Schößling*, vellira „sich 
bewegend“, ai. (prakritisiert) vellati „schwanken, sich kräuseln“ 
aus ar. *vailyati : lit. velyju „ringeln“, viliökas „Faden, der auf der 
Spule bleibt“, vëlà „Draht“, ae. ge-wilian „to bind“ (vgl. Trautmann, 
Germ. Leute 35), gr. (fiAio wälzen, Lige „Strick, Seil“ (vgl. 
Solmsen, Z. Gr. Laut- u. Versl. 244), r. viljavyj „krumm, ränkevoll“, 
viljuga. „Krümmung“, viljat „wedeln, die Richtung beständig 
ändern“; ai. kuficika „Bambuszweig“ : kuficate „sich krümmen“, kuñ- 
cita „gekrümmt, kraus, geringelt“; ai. siphā „Rute, Rutenstreich‘“ : 
aw. saf „schwingen“, p. siepad „schütteln“; ai. pallava „Zweig“ 
aus *palvava, abg. palica „Rute“, p. paliczka dss., gr. ndilo 
„schwinge, schüttle“, ma4udsg „Schwingen, Schwanken“; duet 
„Rohr“ :6ovew „bewege, schwinge* (Prellwitz Et. W.); isl. svige, 
schw. dial. zeg „dünner Stock“: isl. sweigia „biegen“ (Waldstein, 
IF. V30); ae. twig „Zweig“, ahd. zwig, alb. dege „Zweig“ idg. * dvoighä 
(vgl. G. Meyer, Alb. St. II 89):r. dvigato „bewegen, schwenken“, 
abg. dvignati des ` r. bulg. vica „Rute“. lett. wica dss., wikas „Bündel 
von Reisern“, wikne Banker :lett. wikt „schmiegen, biegen“, wicinat 
„schwanken, die Rute schwenken“; ai. sikharin „Baum“ (vgl. Gray, 
ZDMG. LX 367), r. posts „Rute, Schwanz“ : r. sikotato „sich be- 
ständig bewegen“; ae. hrís „Rute“, aisl. hrís „Reisig“, ahd. mhd. rīs 


1) Meringer, IF. XVII 162 verknüpft lignum mit gr. Aıyvös „Rauch“, was 
begrifflich unmöglich ist. Undenkbar ist auch lignum : legere „sammeln“ (Walde, 
L. E. W.? 429; Vanilek 230). 

2) Die Rute ist zum Flechten verwandt worden, vgl. AZouge „Zweig zum 
Flechten“, Avyıvog „geflochten“; arís „Rute“ : lit. werpfi „spinnen“. Weitere 
Begrifisparallelen bei Verf., IF. XXXIII 134f. 


Die verbalen und nominalen sk- und sk-Stämme im Balt.-Slav. und Alban. 181 


„Zweig, Reis“, apr. craysi „Halm“ : ae. hrysjan as. hrisjan „sich 
schütteln, zittern“ (vgl. Zupitza, GG. 126); rum. gen? „Flechtrute“ : 
veži „sich biegen“; lat. vacerra „Pfahl“ : vacillo „wackeln“, ai. vacyate 
„sich schwingen, fliegen“; lit. linkstinis „Stock“ (Bezzenberger, LF. 
136), ai. langala „Stange“ : lit. lingéti „schwanken“, lingú'ti „hin und 
her bewegen“; got. wandus „Rute“ : windan „winden“; ai. cala „be- 
weglich, schwankend“, m. „Schößling“; ai. vala „Stange, Balken“, 
valli „Schlingpflanze*, vdnz (= *valni) „Schilfrohr“, got. walus 
„Stab“, afries. walu „Stab, Stock“, lat. vallus „Pfahl“ (vgl. Bechtel, 
Hauptprobl. 384, Johansson BB. III 247), mbr. goalen „Rute, Gerte“, 
goalenn „Stock“ (Ernault, Gl. moyen-Bret.” 264), urkelt. *valeno : 
ai. valayati „sich winden, rollen machen“, lit. weliu „wickeln“; 
lat. virga „Rute, dünner Zweig“ : lit. wizgeti „schwanken“; fr. 
brandons „Zweige“ : brandir „schwingen“. 
lit. pröskas „ungesäuert“, ae. fersc „frisches Wasser“ (F. Lieber- 
mann, Gesetze d. Angelsachsen 1170), dtsch frisch : abg. presonz 
„frisch, ungesäuert“ aus *prait-s-ino, aw. frast „weich werden, 
sich auflösen, verfaulen“. Begrifflich vgl. lat. mustus „frisch, 
neu“ : gr. uödog „Feuchtigkeit, Nässe, Fäulnis“, lett. mudet „weich, 
schimmlig werden“ (Fick I* 104); ai. ardra „feucht, frisch“, gr. 
doen „benetze“ : ai. ardati „zerstieben, vernichten“; ai. klinna 
feucht, naß, verfault*; abg. mlads „jung, zart“, ai. mrdu „weich, 
zart, mild“ : aisl: maltr „verfault, verdorben“, ae. meltan „sich auf- 
lösen, zerfließen“, ahd. smelzan (Walde, Lat. Et. W.” 491f.); lit. 
miřkti „eingeweicht sein“ : mhd. murc „morsch, faul“, arm. mord 
„frisch, jung“; aram. x2% „feucht, saftig, frisch“: "an „feucht 
werden, befeuchten“; hebr. n5 „feucht, frisch“ :äth. nndx „feucht 
machen“; aram. Si „zart, jung“ : bby „feucht“. | 
lit. wisketi „beben“ (Bezzenberger, BZGLSpr. 85 A), mir. fesky 
„a hurry“, cymr. fysgio „hasten“ (Arch. f. kelt. Lex. 1116): got. 
wibon „schütteln“, ai. vyathate „schwanken“. 
lett. bauksket, baukset „stark schlagen“, ahd. biuschen „schlagen“, 
püsk „Knüttel, Schlag der Beulen gibt, Wulst, Bausch“, mhd. 
busch dss. : aisl. bauta „schlagen, stoßen“, baytell „Penis des Pferdes“, 
ae. beatan dss., bytel „Stößel“ (F. Liebermann, Ges. d. Angelsachsen 
1129), ahd. bozzen „schlagen“, lat. fustis „Stock, Knüttel, Prügel aus 
*bhud-sti (Walde, Lat. Et. W.’330), norw. dial. butt „Stück Holz“, 
aisl. bytta „Bottich“. (Davon zu trennen arm. buth „stumpf“ : alb. 
bute „weich“, Pedersen, o. XXXVI 341 leitet arm. buth fälschlich auf 
idg. *bhukt- zurück). Hierzu auch westf. buschen „Bund Reisig“ 
(Korrespondenzbl. d. Ver. f. niederd. Sprachf. XIV70). v. d. Osten- 


182 J. Scheftelowitz 


Sacken stellt IF. XXVIII 143f. mhd. büsch zu nhd. bauch, was sehr 
unwahrscheinlich ist. Zur Bedeutung „Stock, Knüttel, schlagen“ 
vgl. fr. bâton „Stock, Stab, Stange“ : bätonner „prügeln“; an. lustr 
„Knüttel* : liósta „schlagen“; mhd. brügel „Knüttel“, schweiz. 
brügel „Holzscheit* : nhd. prügeln (vgl. Kluge, Et. Wi lit. viřbas 
„Gerte“ ` lat. verberare, verbus „Prall, Wurf, Schlag, Rute“; lit. 
wezdas „Knüttel“ : ai. vadhati „schlagen“; lit. külas „Pfahl“, abg. 
kolz dss., aisl. hell dss., lett. kalotes „Stock, Klötze an den Füßen“ : 
lit. kálti „schlagen“, abg. klati dss., gr. xAdo „breche“, lat. clava 


„Knüttel, Keule“; ae. stocc, aisl. stokkr „Stock“ :aisl. stukan „stoßen“, 
ai. tuñjati „stoßen, schlagen“; r. dubena „Knüttel*, dubecs „Rute, 
Gerte“ neben dubasitv „schagen, prügeln“; r. botě „Stock“ : pri- 
botatv „durchprügeln“, botkatv „schlagen“; r. batoys „Stock, dicke 
Rute“ : batozitv „mit Ruten schlagen“; r. rjasina „Knüttel, Prügel“: 
rjasnuto „hauen, schlagen“, ai. rsati „stößt, sticht“, rsti „Speer“; 
r. potorca „Stange, Pfahl“, potorkiss „kleine Stange“ ` potoroks 
„Hieb, Stoß“, torkatov „hin und herstoßen“; abg. &balo „Knüttel, 
Stock“, slov. šiba „Rute“ : abg. Sibati „mit Ruten schlagen“, č. 
šibati „peitschen“, r. $ibato „werfen, schlagen“; lett. wembele „Rute“: 
wembelet „durchprügeln“; č. dřkolna „Balken, Kolben, Schlägel“ : 
drkoliti „prügeln“; aram. Stop „Stab, Rute“ : wm „schlagen“. 

lit. lüksztinu „aus den Hülsen ausschälen“ aus *lusk-stinu, 
abg. luska „Hülse, Schale“ : abg. lupiti „abschälen*, lit. lùpti. 

lit. druskà „Salz“, lett. druska „Bröckchen, Krümchen, Bro- 
same“, got. drauhsna „Brocken, Bissen“, idg. *dhruskna (Bezzen- 
berger, BB. XXII 298, Persson, o. XXXII 291), gr. Ioav(o)w, 
Yoavorög „zerbrochen, zerbrechlich“, Yoadoue „Bruchstück“, cymr. 
dryll „Bruchstück“ aus *dhruslo. Ebenso wie im Litauischen (z.B. 
bruksznis) und im Schwedischen (vgl. Noreen, Aschw. Gr. 263f.), 
ist im Urgerm. zk Kons. zu ke Kons. geworden. Dagegen 
wird im Anord. x (= urgerm. hs) vor n sekundär zu sk, vgl. aisl. 
fylskne „Versteck“ neben fylxne, got. fulhsni; anorw. Asknes „ein 
Ortsname“ neben Axnes (Noreen, Ausl Gr.” & 306). 

lit. reszkiu, rekszti „abpfücken“, raszkau, raszkyti „fortgesetzt 
pflücken* (vgl. Juskevit, Liet. Svotb. Däjn. Nr. 773, 11: söde oba- 
lëlu ne raszkiau); norw. rask „Abfälle, Geschabsel“, schwed. dial. 
rask dss., aisl. rask „Fischabfälle“, norw. raske „zusammenscharren“ 
(Falk-Torp, Et. Ordb. II 96): slov. rasiti „lockern, losmachen“, rach, 
rachel „locker“, kroat. rachal dss., aw. rah- „abtrünnig machen“ 
idg. W. aras. 

lit. twoskinu, twoskinti „stark schlagen, herben Geschmack 


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më mee, EEN N on EEE EEE Ach fe 


Die verbalen und nominalen sk- und sk-Stämme im Balt.-Slav. und Alban. 183 


haben“, twoskü, twoksti „viel schwatzen“, twasketi „viel schwatzen, 
flimmern“, nsorb. tuskas „rütteln“, aisl. þausk n. „Lärm : lett. tusēt 
„stöhnen“, aisl. þausn, byss „Lärm“, pysia, Dyria „rush forth“, ahd. 
döson, mhd. dösen „tosen, lärmen“ (vgl. Wood, Am. J. Phil. XX 268), 
ai. Zosati (Dhät.) „tönen, schallen“ (vgl. Verf., WZKM. XXI 133). 

lit. troszkinu, troszkinti „dursten, verschmachten lassen“. 
tröksztu, tröszkau, trökszti „dürsten, schmachten“, alit. troszkulgs 
„Durst“ (Bezzenberger, BZGLSpr. 82A), Wiln. Post. 155a: kokią 
ghisay meyte trokßta; lit. troszküs „durstig“; weiteres unter arm. 
tharsamim „dürste“ (ZII. VI 102). 

lett. kaskis „Krätze*, kaska „Tannenrinde“, keska „Flick“, vgl. 
ai. kacchü (ZII. VI 100). 

lit. dreskiù, dreksti „reißen“, sudriskaŭ „zerreiße“, alit. Wiln. 
Post. 7a: dreskime Ziefd to; 152a: draskima, 155a: su-dräskitas; 
lit. sudraskyti „hin und herreißen“ (vgl. Juskevid, Liet. Svotb. Dam. 
Nr. 552, 4: jú barzda sudräske, Nr. 572,9 (= 575,5): mäne jauna 
į szaleles bläszke, petinelejs Ziurstü2j sudräske); driskad „zerrissen 
werden“, ap-driskes „ringsum zerlumpt“, driska „eineabgeschnittene 
Partie Garn“, draskus „reißend, rauh“ (Geitler, Lit. Stud. 63), ap- 
driskelis, sudriskelis „Zerlumpter“, driske „zerlumpte Frau“ (vgl. 
Juskevid, Liet. Svotb. Dájn. Nr. 20,32: O ta Züze ji ne driske, ji 
bus gerà moteriszke), lett. driska „Zerreißer“, draska „Lump“, draskat 
„zerreißen“ (vgl. Leskien, Abl. 325), č. drasteti „rauh werden“, 
altöech. z-dfieskati „zerbrechen“, drieska „Splitter“, sl. dräska 
„RiB“, d’skati „glitschen, rutschen, knistern, schnarren“, bulg. 
draska „Riß, Kratzer“, drdskam, dräste, draskal „kratzen, scharren“ : 
abg. derg „scindere“, serb. derati „reißen“, č. dräti, p. drzec, lit. 
diriù, diřti „schinden“, gr. ö&gw, ai. drnati, ae. tord „fimus, coe- 
num“, aisl. tord. Die germ. Wörter gehen auf einen partizipialen 
Stamm *dr-to zurück (vgl. Persson, BB. XIX 283). Mit dem st- 
Suff. č. drásti „Splitter“, drastina „holprige Stelle“, drastiti „rauh 
machen“, sl. drástiti „reizen“. Zu sl. drasati, č. drasati „kratzen, 
streifen“ vgl. S. 199. | 

lit. pliuszketi „albern“, alit. pliuschketi „schwatzen“, pliausch- 
keimas „Geschwätz“ (Bezzenberger, BZGLSpr. 315), lit. pliduszkiti 
„klatschen“, pliüszke „Schwätzerin* (Capeller, Kaip seng Lët. 
gyv. 59), lett. plusket, plukset „schwatzen, plaudern“, abg. pljusks 
„Schall“ : gr. påúos, pAva& „Geschwätz“, pvagós „geschwätzig“, 
pw „schwatzen“, lit. pliaunà „Schwätzer“, pliaünyti „schwatzen“. 

lit. plüszkis „reingewaschen“ (vgl. Juškevič, Dájn. 706, 10, 
Bezzenberger, LF. 179), lett. plauskains „wässerig“, ferner lit. 


184 J. Scheftelowitz 


plüskis „Schlemmer“, plauszkiu, plauszketi „mit dem Wasser ein 
Geräusch machen“, p. pluskad „bespritzen, begießen“, plusk „Regen- 
wasser“, pluskola „Regengüsse“, pluszczeć „laut strömen, strudeln“, 
r. pljuskatv „plätschern*. Von lit. pláukszt aus *plauszkt Inter]. 
„Bezeichnung eines Schlages ins Wasser“ ist abgeleitet pldauksz- 
cziu, plaukszti und plaukszczeti „mit dem Wasser ein Geräusch 
machen“ : lit. plöowiju „wasche, reinige, läutere“, pláuju „spüle“, 
plüsti, plüdau „ins Schwimmen geraten, flott werden, überfließen“, 
p. plavid „schwemmen, flößen, netzen, baden“, ai. plavate „baden, 
schwimmen“, plava „Wasserflut“, gr. mĝéw „schwimme, schiffe“, 
nivvo „wasche“, mAúua „Spülwasser“, lat. pluere „regnen“, plu- 
vius „Regen“, ahd. flewen „spülen“, dtsch. flut. Mit dem %-Suff. 
ist gebildet lit. plaakti „schwimmen“, plukdaa „schwimmen machen, 
schwemmen“, plaüksmas „Floß auf dem Wasser, Waschbank“. 

lett. Zauska „Splitter, Scherbe, Krachen, Knacken“, osorb. 
luskad „knallen“, č. luskati „schnalzen“, lousteti „knastern“, loustiti 
„knacken“, lustent „Knackern, Knastern“ : aisl. lýja „klopfen, 
schlagen“, got. laus „los, leer, eitel“, gr. Abo, ai. Zunati „schneidet“, 
lavitra n. „Sichel“, lava „schneidend“ (vgl. Osthoff, MU. IV 32). 

3. Sekundäre sk-Bildungen ım Baltischen. 

Auch das Litauische beweist, daß in der indogerm. Ursprache 
-sk nie an idg. A, 9 angefügt ist. Erst in der slavisch-baltischen 
Grundsprache, in der das Suffix sk noch geläufig war, ist ganz 
vereinzelt dieses Suffix auch an jene Laute angetreten. Während 
in der idg. Grundsprache ein Explosivlaut vor sk spurlos ver- 
schwindet, verschmilzt jedoch in der baltisch-slavischen Grund- 
sprache ž und $ (= idg. 9, A) mit dem Suffix sk zu sk = urlit. 
sek, ebenso wie urbalt.-slav. š+- s, s+s zu urlit. sz geworden 
ist. Wäre sk in indogerm. Zeit an 9, Æ angetreten, so hätte im 
Litauischen dafür nur sk stehen können, das nur unter gewissen 
Bedingungen, die wir im weiteren erörtern werden, sekundär 
auch zu ask werden kann. Mit dem Verbalsuffix sk werden auch 
im Sonderleben des Baltischen nur solche Worte gebildet, die 
eine Bewegung, Flüssigkeit, Lichterscheinung, einen Schall und 
etwas Widerwärtiges (wie z. B. einen widerwärtigen Geschmack) 
ausdrücken. 

lit. blýszkiu, blyszketi „funkeln, glänzen“, blyksztü, blyszkaŭ „er- 
bleiche“, vgl. Juškevič, Liet. Svotb. Däjn. Nr. 677,13; 189,8: 
iszbliszku, iszbljszkelis „bleicher Mensch“, blaiksztytis „sich auf- 
klären“ (= blaiszk-st-), ksl. blesks „Glanz“, apoln. blask „Schein“ 
(Babiaczyk, Lexikon z. Apoln. Bib. 84), abg. bivstati „glänzen“, 


Die verbalen und nominalen sk- und sk-Stämme im Balt.-Slav. und Alban. 185 


bliscanije „Glanz, Blitz“, r.-ksl. bliskati sja „glänzen“, sl. blesket 
„Schimmer“ (vgl. Berneker, Sl. E. W. 63): aisl. bleikr, ahd. pleich, 
mhd. bleich, aisl. blikia „glänzen, leuchten“, ae. bliccettan dss., idg. 
bleig, vgl. lit. blizgü „flimmere“ aus bliz + Suff. g- (o LIV 234£.). 

lit. brüszküju, brüszköti „scheuern*, brükszmis, brüksznis 
„Strich, Streifen“ aus *brüszk- : lit. braukiu, braükti „streichen, 
wischen‘“, lett. bráukt „streichend fahren“, braucit „streichen“. 

lett. leska „einer der sich unrein hält“, lasks „schmutzig“ : 
lett. lekans „kotig“, lit. lekmene „Pfütze“, bulg. serb. lokva „Pfütze“, 
np. lažan, lajan „Schmutz“. 

lit. pliuksztu (plüksztu), pliüszkau (pliszkau) „welkend zu- 
sammenfallen“ : lit. plunkù „die Farbe verlieren“, plukstu, plukau 
„vergehen, verderben“, ahd. fliohan „fliehen“ (vgl. Zupitza, GG. 131). 

lett. pleska „Kahlkopf, Glatze“, plisköt „kahl machen“ : lett. 
pliks „kahl“, lit. plikas dss., ahd. fahan „schinden, die Haut ab- 
ziehen“. Mit dem s-Suff. erweitert ist abg. ple& „Kahlheit“, 
plesivs „kahl“. 

lett. puskis „Blumenstrauß“, puskains „mit Fransen besetzt“, 
puskainis „Blumenkranz*“ (vgl. Endzelin, o XXXXIV 63). Aus 
dem Lettischen entlehnt ist wohl lit. puszkai „mit goldenen Sternen 
besetzte Tannenzweige oder Blumen, bei Hochzeiten verwendet“ 
(Geitler, Lit. St. 105), iszpuszkät „mit Tannenzweigen oder Blumen ` 
ausschmücken“* (Bezzenberger, LF. 161): Jett, puke „Blume“, puköt 
„mit Blumen bestecken“, pukuls „Troddel*, pūka „Fasern“, 
Flocken“, r. puk% „Büschel*, puceks „Büschelchen‘“, gr. múza 
„dicht“, nvxv6w „dicht machen“, orepdvoıs nvzáéčtw „bekränze*. 
Hiervon zu trennen ist ai. puskala „reichlich, prächtig, herrlich“ 
aus pus-kala (vgl. bhaskara „scheinend, leuchtend“ : bhas) : ai. 
pusyati „gedeihen, zunehmen“, abg. o-puchngli „anschwellen“, 
abg. r. puchls „aufgedunsen“, r. pysnyj „aufgedunsen, üppig, 
prächtig“, pusistyj „buschig“, p. puszyd „aufblähen“. Dagegen 
ai. púşpa n. „Blume“ aus idg. puk-spo. (Über das idg. Suff. -spo 
vgl. Festgabe an H. Jacobi 1926, 27f.) 

lett. tuska „Geschwulst*, tauksket, taukset „Fett schmelzen“, 
tuskis „Woassersucht“ : lett. takstu, tūku „schwellen“, tūks „Ge- 
schwulst“, tauks „fett“, tūcēt „schwellen machen“, lit. tunkù, tukau, 
tukti „fett werden“, tauka? m. pl. „Fett“, pr. taukis „Schmalz“, 
abg. tuk „Fett“, ae. beoh „Schenkel“, ahd. dioh dss., air. tón (= * tūk- 
nā) „podex“ (vgl. Berneker, Pr. Spr. 326, Pedersen, Vgl. Gr. kelt. 
Spr. I 125). Begrifflich vgl. aisl. spik, ahd. spec „Speck“ : ai. sphig, 
sphigi „Hinterbacken, Hüfte“ (vgl. Zupitza, GG. 167). 


186 J. Scheftelowitz 


lit. trdiszkau, tráiszkyti „wiederholt quetschen“ (Mitt. Lit. 
Ges.1327), tröszkiu, trökszti „quetschen, pressen“, treksztu, tröszkau 
„spritzen“ (Mitt. Lit. Ges. 1333), tröszke für *tröszke „Presse“ neben 
treksztuwe aus *treszktuwe (zum Suff. tuwe vgl. Leskien, Bild. Nom, 
565f.) : gr. toißw „reibe“, zerreibe*, lat. striga „Strich“, strigilis 
„Schabeisen“, ahd. strihhan „streichen“, got. striks „Strich“, aisl. 
strjkua, abg. strigq „tondere“ (vgl. Verf., IF. XXXIII 161). Hierzu 
gehört auch alit. trikschti „hervorquellen, hervorbrechen“ (Bezzen- 
berger, BZGLSpr. 333), lit. tryksztu, trjszkau „beim Druck oder 
Quetschen Flüssigkeit spritzend von sich geben“. Begrifflich vgl. gr. 
duopyög „auspressend“ : du&oyw „abstreichen“, ai. mrjati „streichen, 
striegeln* und gr. oroeöyouaı „sich aufreiben“ : aisl. strjúka 
„streichen“ (Prellwitz, Et. W.” 438). 
apr. dinskins (Elb. Voc.) „Orsmalez“ : lett. dangat „in den Kot 
treten“, danga „kotige Pfütze, Schlamm“, davon eine junge Ab- 
leitung danska „kotige Pfütze, Schlamm“ : lit. däglas „fleckig“, 
ahd. tunchal, ne. dank „dumpfig, feucht“, aisl. dekkr „dunkel“. 
lit. leskinti „bewegen“, ausis leskinti „Ohren bewegen, spitzen“ 
(Bezzenberger, LF. 136) : lit. Zingeti „schwanken“, lingůti „hin und 
her bewegen“, langoti „sich wiegen“, ai. rangati „sich hin und 
her bewegen“. Für leskinti kommt dialektisch auch lezgint vor 
(Bezzenberger, LF. 136), indem das g nach lingeti wiederhergestellt 
“worden ist. Über die weiteren Verwandten vgl. IF. XXXIII 141. 
lit. waiskus „durchsichtig, ansehnlich*, waiskybe „Durchsichtig- 
keit“ : lit. waidas „Erscheinung“, isz-wydau „gewahr werden“, 
weizd2iu „hinsehen“. 
lit. laiszkas „mit fadem, unangenehmem Geschmack“, Idiszkus 
„von bitterlichem Geschmack“ (Geitler, Lit. St..93): €. lišiti „ver- 
derben“, p. lichi „gering, elend, schlecht“, liszeć „schlecht werden“, 
klr. Zychyj „elend, böse“, r. lichnuto „zu Grunde gehen“, lichój 
„schlecht“, wr. lichij „böse“. Dazu kann auch gehören abg. Achs 
„redundans“, lišiti „privare“, osorb. lichi „kahl, frei“, nsorb. lichy 
„ledig“, lit. lesas „mager“ (vgl. Pedersen, IF. V 60). 
lit. trosköti „schleichen“ : alit. trositi „treffen“, trassiti „um- 
herlaufen“ (Bezzenberger, BZGLSpr. 332f.), lit. tresoju „vorlaufen“. 
= ht. twisketi „gewaltig blitzen“, twiska „es blitzt gewaltig“, 
twýskinu „klopfe gewaltig an“, twýkstu (twyskëjo) „knalle“ aus 
*twysk-stu:ai. tvesati „in heftiger Bewegung sein, funkeln, glänzen“. 
Nach Kurschat WO, wird „in manchen Gegenden“ auch twiszkčti 
gesagt. Bei Juškevič, Liet. Svotb. Däjnos finde ich nur twisketi 
z. B. Nr. 616,8: žiédaj žëri, vajniks tviska, Nr. 19,9 (= 503, 15): 


Die verbalen und nominalen sk- und sk-Stämme im Balt.-Slav. und Alban. 187 


Uj, triska blizga pövu plunksnee, Nr. 673, 11: tviska blega szilku 
kaspinelej. Zur Begriffsentwicklung vgl. ae. rescan „schimmern, 
aufleuchten“ : ahd. rasc „rasch“. 
alit. inkschtis „Daumen“ (Bezzenberger, BZGLSpr. 287) aus 
* inszk-stis, lett. ikstis, isKis, īkšķis, Tksis dss., dial. &ıksts dss. (Bezzen- 
berger, Lett. Dial. St. 130) : pr. instie „Daumen“, insan „kurz“, 
lett. zss dss., zsinat „kürzen“, ?kss aus *inskas „kurz“, lett. ?s-, pr. 
ins- könnte = idg. *enk sein : ai. qsa „Teil, Partei“, aw. qsa „Partei“, 
niS-qs „teilen, scheiden“ (Verf., ZDMG. LIX, 693). Nach Endzelin, 
BB. XXIX 189 soll lett. krëtt zum Gen. Sg. īkšķa aus *ikstja 
neben dem regelmäßigen Nom. ikstis neugebildet sein, denn lett. 
sk kann auch aus sij entstehen, vgl. Zubaty, IF. III 137, Leskien, 
IF. XIII 174, Endzelin, BB. XXVIII 188f. 
lett. rusket „schüren“, ruska „der Schürer des Feuers“, ruskis 
„Aschenbrödel“ : lett. rauset „schüren, wühlen“, lit. rausiù, radsti 
„scharren, wühlen“, rausjti „mehrfach wühlen“, rüsinu, rusinti 
„wühlen“, r. rychlyj „locker“, ndl. rul aus germ. *ruzla dss. (vgl. 
Walde, Lat. Et. W. 531f.). | 
pr. blensky „Schilf“ : r. bolone „der Überschwemmung aus- 
gesetzte Uferwiese“. Zur Begriffsentwicklung vgl. air. sescenn 
„Sumpf“ : nir. seisgeann „Binsen“; aisl. veisa „Sumpf“ ` norw. 
veisa „Pflanze mit saftigem Stengel“. 
lit. czurszketi „rieseln“, cziurszkëti „plätschernd rieseln“, 
czurkszliu Instr. sg. „mit Gerinsel“, czurkszleis (Instr. pl.) „in 
Strömen“, aus *czurszkleis (vgl. Leskien, Bild. Nom. 460) = 
urbalt. *teur 4 sk-, lett. tšurkstēt „rieseln“ aus *tiursk-stēti : lett. 
tšurināt „urinieren“, tšurēt „mit Geräusch fließen“, tšurga „Regen- 
bach“, ai. turati „eilig sein, rennen“, turana „eilig“, túrnāsa 
„ Wassersturz“, kurd. tar „wild, unbändig“, neben ai. tvarati „eilt“, 
aw. Ywasa „eilig“, lat. tullius „hervorspringende Flüssigkeit, 
Springquell“ aus *tur-lius (wie stella aus *ster-la). 
lit. warszkë „geronnene Milch“ : ai. var „Wasser“, aw. vār 
„Regen“, vairi „See“, aisl. úr „feiner Regen“, ae. worsm, wursm 
„Eiter“ (mit Metathesis: worms, wurms vgl. Sievers, Ags. Gr.’ 
§ 185), schwed. var „Eiter“, aisl. aurr „Nässe, Schlamm“, apr. 
wurs „Teich“, arm. gair „Sumpf, Schlamm“ aus *vrsio, lat. urīna 
(vgl. Walde, Lat. Et. W.* 860), gr. öoög „Molken“ aus *rogog 
(wegen des Spir. lenis ist öedg schwerlich mit Prellwitz, Et. W.” 
337 zu lat. serum, ai. saras zu stellen). Begrifflich vgl. slov. zur«a 
„Molken“ : arm. jur „flüssig, Flüssigkeit, Wasser“ (bibl. z. B. Gen. 
1,2. 6. 7. 9. 10), ai. jarö „Speichel“ (Vert, BB. XXVIII 297). 


188 J. Scheftelowitz 


lit. Zilszkes „Art Unkraut im Flachs“ (Mitt. Lit. Ges. 1315): 
gr. tilaı „Flocken“, zilAw „abrupfen, zupfen“. 

apr. alskanke „Erle“, lit. elksnis, alksnis (aus *-skn) dss. : lat. 
alnus, ahd. elira, r. olvcha „Erle“, abg. elocha, jelucha dss., p. 
oleha, olsza. 

lett. laišks neben /aiskis (Endzelin, BB. XXIX 195) „faul, 
träge“, aplaiskotis „sich auf die faule Seite legen“ : lett. laita „die 
Faule, Träge“, laida „fauler Mensch“, abg. lens „faul“, r. len» 
„Trägheit“, p. Jeng „Faulheit“, serbokr. Dien „faul“, mhd. lin „matt“, 
gr. &Aiviw „bin müßig“ (Vert, IF. XXXIII 158), ai. laya „den 
Geist träge machend“, lināti „sich anschmiegen, stecken bleiben, 
sich niedersetzen“, lat. lino. Eine «d-Erweiterung ist lit. léidžiu 
lasse“, lett. laidu dss. lett. lens „faul“ halte ich für aus dem Slavi- 
schen entlehnt. 

lett. saiskis „Garbenband‘ : lett. saiklis aus *saitlis „Garben- 
band“, sinu, sıt „binden“, saite „Band, Fessel, Schnur“, lit. sötas 
„Strick“, pr. saytan „Riemen“, ai. syati „fesselt“, gr. iugs „Riemen“ 
(vgl. Prellwitz, Et. WT 196). 

lit. braszkau, braszkyti „schütteln“, burszkyti dss., broszkiu, 
brökszti „buttern“ : an. brega „durch eine Schnellbewegung in 
veränderte Lage versetzen, schwingen“, bragd „Schwingung, 
schnelle Bewegung“, ae. bregdan „to move to and fro, cast, draw, 
drag“, alb. breit „hüpfen“, r. brositv „werfen“, s-brasyvatv „hinab- 
werfen“ (, das nach Wiedemann, BB. XXX 210f. schwerlich zu 
r.-ksl. brasnuto „schaben, rasieren“ gehört), r. broskij „weit werfend“ 
aus *bros-vke, ai. bhrasate, bhrasyati „entfallen, anprallen, abprallen, 
weichen, entschwinden“. Oder lit. braszkau zu air. di-bairg „wirf“, 
mc. bwrw „werfen“ (vgl. Pedersen, Vgl. Gr. kelt. Spr. I 105). 

lit. diszkineti „ausspazieren* Jett, diZotıs „sich schwer bewegen“. 

lit. reiszkiu, reikszti „offenbaren“, alit. isi-reykßt (Wiln. Post. 
130a, 156a), isi-reyßkie (W. P. 129b, 130a), isi-reyßkimg (W. P. 
130b), isi-reyßkimu (W. P. 5b), lit. raiszkus „offenbar, sichtbar“ : 
lit. riszý's „sich wissen, sich kennen“, abg. resons „verus, certus“, 
sl. res (vgl. Miklosich, Vgl. W. 278). Die Grundbedeutung ist 
„offen machen“ (wie lat. aperio), gr. 2oeixw „aufspalten, auf- 
brechen“ (vgl. Hom. Il. 17, 294: Zoe xóovs). Davon zu trennen 
ist lett. risu, rist „abfallen, sich trennen“, abg. resiti „solvere“, 
aw. raes „Schaden nehmen‘, ai. risyati „versehrt werden, Schaden 
nehmen“. 

lit. tyszkinu, tyszkinti „glatt machen“ : tisztu, (Gap, tiszti „glatt, 
schlüpfrig werden“ (Mitt. Lit. Ges. I 322), tiZus „glatt, glitschig“ 


Die verbalen und nominalen sk- und sk-Stämme im Balt.-Slav. und Alban. 189 


(vgl. Bezzenberger, BZGLSpr. 82), idg. W. tig neben idg. *tig, 
ai. Zejati „schärfen“, tigma „scharf“, aw. tiyra „spitz“. 

lit. brëkszta, breszko „es graut der Morgen“, apjbreszkis „Morgen- 
dämmerung“, prabreszkimas „Tagesanbruch“, brekszma „Dämme- 
rung“ (Kreczinski 30). Mit st-Suff. gebildet: lit. berszta „es fängt 
an weiß zu werden“ aus balt. *breö-sk, berž-st (vgl. Verfasser, IF. 
X XXIII 150, o LIV 245£.). 

lit. wäsekas, abg. vosks „Wachs“ aus urbaltoslav. *v09-skos, 
was unter r. vezžica behandelt wurde (o. LIV 249). 

4. In folgenden Beispielen sind indogermanische s%-Bildungen, 
die im Baltoslavischen nicht mehr als solche erkenntlich sind, 
sekundär mit dem sk-Suffix versehen worden: 

lit. taszkas „Tropfen“, teszkù, teszketi „in dicken Tropfen 
spritzend fallen“, taszkyti „mehrfach umherspritzen“ (vgl. Juskevic, 
Liet. Svotb. Däjn. Nr. 19,4 o ir sutäszke jüds purvynelis), tiszku 
tiszkad „plötzlich auseinanderspritzen“ (i für ə wie szìszēs neben 
szdszes), töszkinti „heftig fortgesetzt spritzend werfen“, abg. testiti 
„fundere“ : lit. taszinti „tropfen lassen, fließen“ vgl. oben S. 165. 

lit. treszkinu, treszkinti „faulen lassen“ (Mitt. Lit. Ges. I 335), 
treksztu, treszkau, trekszti „faulen, morsch, mürbe werden“ (Mitt. 
Lit. Ges. 1333), abgeleitet von lit. ireszaa, trèszti „faulen, mürbe 
werden“ = idg. trensk. Siehe oben S. 167. Im Sonderleben des 
Litauischen ist häufig an die ab Bildung noch das Suff. -st ange- 
fügt z. B. treksztu (Mitt. Lit. Ges. 1333): treszkiu, blüksztu : blüszkau, 
tröksztu : tröszkau, trýksztu : tryszkau, blyksztu : blyszkaü, cziaukszeziu 
aus *tiauszkstiu ` czauszkiu, pauksztu : pduszkiu, lüksztinu aus *lusk- 
stinu; vgl. auch bulg. trsska „Schilf“, serb. troska, kr. trska 
„Rohr“ neben r. trostina „Röhricht“ : lit. truszis „Schilfrohr“ idg. 
*thrusk (vgl. oben S. 166). 

jeszkau, jeszköti „suchen“, su-jiszkau „heftig zu suchen be- 
ginnen“, alit. ischkoti (Bezzenberger, BZGL.Spr. 58); in der Wil- 
naer Postille steht ghießkau, ghießkay, ghießka (= jeszko) usw. 
Ähnlich wie im Altenglischen für anlautendes j vor i, e, y stets 
q gesetzt und im Inlaut bisweilen zwischen Vokalen und im Ahd. 
und Altsächs. dafür g gewöhnlich steht (vgl. Sievers, Angels. Gr.’ 
8 175f.; Wilmanns, D. Gr.’ I 165; Braune, Ahd. Gr.* 96; Holt- 
hausen, Altsächs. Elem. 62), wird in der Wilnaer Postille j vor i 
im Anlaut oder nach einem Vokal stets zu gh’). 


1) z. B. dumoghi 127a (= dumöji), ghiemus 128a, 129a (= jëmus), 
ghiey 153a, ghis 5a, 141b (= Gei, abeioghima 128b (= abejójima), wiena- 
tighis 19b, 130b (= wenätyjis), dtäghima 13b, praleghimas krauiá 132a, 


190 Ä J. Scheftelowitz 


lit. jeszkoti (neben ischkoti) „suchen“, lett. &skdju „lause“, abg- 
iskati „suchen“, serb. iskati dss., neben iskati „Läuse suchen“, 
klr. $katy (aus iskati) „lausen“ vgl. Bezzenberger, BB. XXIII 294; 
urbaltoslavische sk-Ableitung von idg. *aisk, *isk, wodurch das 
sz im Litauischen auch seine Erklärung findet. Brugmanns An- 
nahme, daß lit. jeszkau, slav. iskati aus dem Germ. entlehnt sei, 
ist bereits von E. Berneker, Arch. f. slav. Phil. XXV 491f. zurück- 
gewiesen worden. 

5. Der Wandel von sk in szk im Litauischen. 

Im Sonderleben des Litauischen ist unter folgenden Bedin- 
gungen sk zu szk geworden: 

1) regelrecht nach r, ! (vgl. z. B. wirszüs : ai. varsistha-s 
„höchster“), 

2) sehr häufig nach r bezw. L das durch einen Vokal von 
sk getrennt ist. Unter den gleichen Bedingungen ist auch im 
Neupersischen sk zu ZE geworden. 

Beispiele ad 1: barszketi, czurszköti, prawirszkyti, tirszkinti, 
tilszkes; 

ad 2: blaszkyti, blyszketi, bräszkinti, bruszküti, blüszkau, laisz- 
kas, plaszküti, pleszketi, pleszkinti (neben plasküti, plesköti), pliusz- 
këti, pliduszkjti, plüszkis (neben plüskis), reszkiu, traszketi, treszketi, 
troszkinti, triuszkinti, treszkiu, troszkis; ruszkanas „entzündet“ : 
raüswas „rot“. 

Dagegen: eska, esküs, twoskinti, twisketi, twyskinti, maskatoti, 
spanskus, waiskus, wisketi. 

Ebenso wird s nach k im Litauischen häufig zu ss Z. B. 
bauksztus „furchtsam“ : baugus dss., bauksztinù „ängstige“ neben 
baugina dss.; köksztas „Büschel“ : kek „Büschel, Traube“, bulg. 
cekor „Zweig“ (vgl. Zubaty, Arch. f. Sl. Ph. XVI 386), lett. koks 
„Holz, Stock, Baum“; läksztas „Blatt“ (: lat. lacer, gr. Aaxitw); 


prastoghinmu 134a, stoghies, stoghieis 135b, naughienas 12b, paziwoghimas 
137a, danguieghis 139a, pänoreghimais 14la, neißwaädzioghi 141a, atnau- 
ghintá 141b, pikalbeghimas 142a, pustighima 388a, Zadeghimas 118a, 
gäileghimas 154a. — Dagegen wird vor andern Vokalen als / statt j ein ö 
bezw. ii gesetzt, z. B. ioghima 131b neben doghima (= joj-) 131a, ddoghimu 
löla; due (= jamè) 141a, iu 14la (= jū), iusu 141a, b; iumus 325a, iog 
325a, iay (= jañ) III 79b, iau 118a, tiepiias 128b; Tobiopium 128b; dbeio- 
ghimá 128b; tureio (= turejo) 129b; rúskaßiio 131a; musiio 131a; tureio 
133a, 166a; Ddiloio 133a; krauia 132a; wieppátáuia 169b; tuoiaus 171b; 
ißghießkoio 8b (daneben wohl Druckfehler öfießkotumbey 182a); danguieghis 
139a; procawoids 139b; atdio 141a; grießiia 141a (= greszija); nodieios 
141b; ghießkoio 122b; ipidio 145a; iptekieis 152b; stoios 153a, 154b. 


Die verbalen und nominalen sk- und sk-Stämme im Balt.-Slav. und Alban. 191 


baiksztis „Fliegenscheuche“ (Leskien, Bild. Nom. 540): lett. baiglis; 
rüksztis „Säure“, riksztas „sauer“ ` ruginti „sauer machen“; laksztà 
„Hühnerstange“ neben laktà. Dagegen lanikstas, laliksmas „Bie- 
gung, Krümmung“ neben lanksztas (Leskien, Bild. Nom, 592) : 
lenkiü „biege“; inkstas „Niere“, lett. ikstis dss., lat. inguen (vgl. 
jedoch Brugmann, Grdr. I? 391); sleäkstis „Schwelle“; dinkstis 
„Meinung“ : dingoti „meinen“ (Leskien 549); smaikstis neben 
smaiksztis „Stange“ (Leskien 540) :smaigas „Stock, Stange“, sakstis, 
sakste „Schnalle“ (Leskien 551) neben saktìs dss., smalkstis „Dunst“ 
neben smalkis, smalkas dss.; branksaŭ, branksöti „bloß oder un- 
bedeckt dastehen“ neben brankszaŭ des, ` arm. merk „nackt, ent- 
blößt“; tranksmas „Gedränge, Gedröhne* : trankyti; mökslas „Lehre“: 
mokinti; alıt. duksus „reich“, duksinti „vermehren“. (Bezzenberger, 
BZGLSpr. 281), duksedämas, dukseios, päduksis, duksies (W.P.150b; 
151a): daugjti „mehren“; linksmas, päweiksl& W.P. 151b, ferner 
Bezzenberger, BZGLSpr. 81. 

6.. Pedersen hat IF. V 77f. folgende Hypothese aufgestellt: 
„Nach i, u, r, k, (q und $) war im Litauischen ursprünglich š 
statt s vorhanden; später ist aber eine Rückverwandlung einge- 
treten, u. zw. zu einer Zeit, wo das idg. Æ noch nicht zu sz ge- 
worden war; denn ein aus Å entstandenes sz unterliegt der Ver- 
wandlung in s nicht. Von der Rückverwandlung wurde jedoch 
sz nach r nicht betroffen; auch nach % ist sz geblieben. Nach i 
und u ist dagegen eine Rückverwandlung eingetreten u. zw. 
nach folgender Regel: Nach gestoßenem Ton bleibt sz, nach 
schleifendem Ton tritt s ein. Beispiele: júsze, máiszas, diszkus, 
raiszkus zu reiskiu, jeszkau, röszutas, szeksztas (falls k hier einge- 
schoben worden ist), kidusze „Hirnschädel“* : an hauss. Dagegen 
teisüs, tösti, atsitaise, tës, pröskas, daüsos, salisas, müsas, ausis, 
klausaŭ, paisjti, vesulds, prausiü, praüsti (: ai. prusnöti), vařstas 
„Arznei“ (: visam „Gift“). 

Doch ist diese Hypothese unhaltbar. In júsze und mdiszas 
steckt, wie ich oben dargelegt habe, das idg. Suffix s4. Nur auf 
diese Weise werden auch alle übrigen dort besprochenen Fälle, 
die gegen Pedersens Hypothese sprechen, klar z. B. lit. plaaszas 
„Bast“ :nhd. flaus; pliuszis „Schilf“ : gr. gA&ws (*phleusos); truszis 
„Schilfrohr“ : gr. Doan (= *thruso-); kriuszà „Hagel“ : abg. kruche 
„mica“; trasza „Moder“ :č. trouchneti „modern“, löszti „spielend 
toben“ : ai. lasati „spielen“, gaīszti : l. haereo; kuszlüs „kümmerlich“ : 
aw. kusaiti. Während in diesen Beispielen idg. s£ vorliegt, so 
geht sz in diszkus neben iszkùs, iszkì, iszkümas auf k zurück, was 


192 J. Scheftelowitz 


ich im weitern darlege. In raiszkus und jöszkau ist sz regelrecht 
aus sz + sk entstanden (vgl. oben S.188f.).. Daß in lit. kiausze, 
ai. koša ein idg. E enthalten ist, habe ich WZKM. XXI 127 dar- 
gelegt. Sämtliche RV.-Handschriften überliefern kosa. Nach dem 
Kasmirischen RV.-Ms. wird ursprüngliches s nach o nie zu S. 
In dem Wort akosadhavanır, dessen Bedeutung nicht feststeht 
(TBr. II 6,2, MS. IV 13,2), ist schwerlich koşa mit dem älteren 
kosa identisch. kosa an sich ist erst MB. (z. B. 4, 964) belegt. 
Th. Zachariae sagt in seiner Einleitung (XXVIII) zu Sasvata, 
Anekarthasamuccaya: „Ich habe immer kosa geschrieben, da die 
älteste und beste Handschrift kosa, nicht kosa hat.“ Daß sekundär 
für ursprüngliches s oft s geschrieben ist, habe ich WZKM. XXI 
124ff. dargetan. Aus diesem Grunde ist es unmöglich kosa mit 
got. hús, aisl. hauss zu verknüpfen. Es gehört vielmehr zu aw. 
kusra „sich wölbend“ (vgl. Geldner, Metrik 159; Bartholomae, Air. 
W. 475), lit. kduszas „Schöpflöffel, Trinkgeschirr“, lett. kauss 
„Schüssel, Topf“, lat. caucum, gr. xaüna „Becher“, nir. cuach 
„biegen, flechten, schlingen“, gael. cuach „curl“, cuach „cup, bowl“, 
air. cúach dss. (vgl. Macbain, Et. Dict. of the Gael. Langu. 100; 
Loth, Les mots Latins 155), cymr. cwch „Höhlung, Boot, Schiff“, 
urkelt. kaukko. Dagegen über got. hus = idg. *khūtso vgl. Traut- 
mann, Germ. Lautges. 51. — Auch in dem baltischen Namen für 
Haselnuß lit. röszutas neben reszutys, lett. riksts aus älterem 

* reistas, pr. reisis „Nuß“ steckt idg. E denn sie sind abgeleitet von 

lit. riszü, raisztas „Kreis“, gr. 6oıxds „gewunden, gekrümmt“ (vgl. 

Liden, Balt.-Slav. Anlautsges. 5. Zur Bedeutung „Nuß“ vgl. arm. 

olorn „Erbse, Korn“ : olor „Drehung, Windung“, ai. arala „ge- 

bogen, krumm“). Die Haselnuß hat von der runden Form ihren 

Namen. Davon zu trennen sind die slavischen Worte für Wal- 

nuß, abg. r. oreche, p. orzeh. „Man darf an gr. dog t Ĥọa- 

xAewrın& song (Hes.) denken. Zunächst ist gewiß die slavische 
Bezeichnung verwandt, in deren von Miklosich, Et. Wb. 277 an- 
gesetzten Grundform das anlautende o- nicht fehlen dürfte, abg. 
orech® = bulg. oreh, serb. orah usw. sind entlehnt. Die Urheimat 
der Walnuß ist Pontus oder Lazistan“ (G. Meyer, Alb. Wtb. 17). 
Auch in mehreren orientalischen Sprachen ist der Name für Walnuß 
ein Lehnwort, so hebr. DR (aus *inguz) „Nuß*, arab. jauz, arm. 
angoiz „Nuß*, anguzi „Nußbaum“, phl. göz, georg. nigozi, oss. 

angoza, kurd. agviz „Nuß“ (vgl. Hübschmann, Arm. Gr. 393). Aus 
dem Altpersischen *inguda stammt ai. inguda „Nuß“ neben ingida 

„Nußbaum“ (Kaus. XLVII3 vgl. Caland, Altind. Zauberrit. 1900, 


Die verbalen und nominalen sk- und sk-Stämme im Balt.-Slav. und Alban. 193 


S.159 A.5). Nach Hehn, Kulturpflanzen ° 390 stammen die Nüsse 
aus dem nördlichen Kleinasien. — Dagegen ist in lit. sz&ksztas, 
lett. siksts „entwurzeltes Stammende* kein k eingeschoben (vgl. 
auch lit. szökszele „Baumstumpf“ Leskien, Bild. Nom. 544) : ai. sikh- 
arin „Baum“ (vgl. ZDMG. LX 367), sekhara „Gipfel, Scheitel“, 
sikha „Spitze; Zweig, Haarbusch“ (vgl. Vaijayanti ed. Oppert. S. 46 
V.29: sikha sakhatha sikharam Sirah), np. sex „Bratspieß“, bal. 
sih, sg „Bratspieß, Ladestock“, r. posiks „Rute, Schwanz“. 

Für Pedersens Hypothese spricht demnach kein einziges 
sicheres Beispiel. Gegen seine Annahme lassen sich aber eine 
große Anzahl von Wörtern anführen, in denen s nach gestoßenem 
i, u unverändert geblieben ist z. B. rústas „unfreundlich, zornig 
aussehend“, rústinu „ärgern“ : ai. róşati „zürnen“, rustd „zornig“ 
(Fick 1‘ 110), Zjse „Beet“ : abg. lecha „area“, lat. lira; lesas „mager“: 
osorb. lichi „kahl, frei“, abg. lišiti „privare“; rúsas „Grube zum 
Aufbewahren der Kartoffeln“, vgl. rúses iszknest „Gruben wühlen 
(von Schweinen, bezw. Rindvieh)“, Bezzenberger, LF. 166; rùsinu, 
rausýti „wühlen, scharren“ (Leskien, Bild. Nom. 506), gr. Gordon 
„zerre“; dusauju „seufze“ : dwesiü „hauche“, düsas „Dunst“, abg. 
r. ducha „Atem“; twyjskinu „klopfe gewaltig an“; jusa, músū; kläusti 
„fragen“, kläusimas „das Fragen“, alit. klausineimg W. P. 152a 
(: lett. klauset „hören, horchen“, pr. klausitön), strüste „Rohrspan“ : 
truszis „Schilfrohr*, müsinas „Aasfliege“ : abg. mucha „Fliege“; 
wýstau „windele“ : vejù „drehe“, abg. vvjg „winde“; túkstantis (mit 
eingeschobenem k): got. Zusundi; ostlit. vesulas „Wirbelwind“ : r. 
ksl. vichars dss. (Trautmann, Balt.-Sl. Wtb. 345); lit. džiústu „dürr 
werden‘ : džiáuju; szlüstau „mehrfach fegen“, szlč'ju „fegen“. 

Ferner wird Pedersens Hypothese auch durch folgende Bei- 
spiele widerlegt: bräszkinti, brūszků'ti, laīszkas, liszka, plaszküti, 
pleszketi, plöszkinti, pliuszketi, plüszkis, reszkiu, traszketi, treszketi, 
troszkinti, triüuszkinti, troszkis. — In lit. kermüsze „wilder Knob- 
Jauch? ist üsze Suffix (vgl. brotusze, epusze Leskien, Bild. Nom. 
598f.) : r. Ceremica, Ceremsa, ceremuska „Knoblauch“, slov. črêmoš 
„Bärenlauch“, ae. hramsan „Waldknoblauch“, ir. crem, cymr. craf, 
gr. xoduvov (vgl. Bugge, o. XIX 419, J. Schmidt, o. XXV 1254; 
XXXII 346, Miklosich, Vgl. Wtb. 33, wo auch türk. sarmusak. 
angeführt ist, Zupitza, GG. 122). 

In drei sek-Verba liegt Analogiebildung vor. Im Litauischen 
sind nämlich die meisten mit dem sk-Suffix gebildeten Verba, die 
einen Schall bezeichnen, wegen Vorangehens eines r, } nach 


obiger Regel zu szk geworden, vgl. pleszketi „gewaltig prasseln, 
Zeitschrift für vergl. Sprachf. LVI 3/4. 13 


194 J. Scheftelowitz 


knallen“, pleszkinti „knallen machen“, traszketi, treszketi „prasseln, 
knacken“, tirszkjnti „klappern“, truszketi „knistern*, braszketi 
„krachen, knacken“. Durch analoge Übertragung wurde auch 
in den drei folgenden mit sk- gebildeten synonymen Verba sk 
zu szk : pıjszku, pyszkëti „knallen“, ab. piskati „pfeifen, Toten", 
klr. pyskovaty „plaudern“ : norw. fisa „pusten, blasen“; — muss, 
puszketi „knallen (vom Gährenden), ein Geräusch verursachen“, 
pauszkiu, pduszketi „knallen“, pdukszt aus *pauszkt- „Interj. das 
Knallen bezeichnend“, wovon abgeleitet ist pduksztu, paukszteti 
„knallen“, lett. pauksket paukset „schallen, knallen“ : abg. puchati 
„blasen“, serb. pusiti, r. pyšato „atmen“, pychatb „keuchen“; — 
táuszkiu, tauszketi „klopfen“, tazkszt „Interj., die den Schall beim 
Fallen eines harten Gegenstandes bezeichnet“, tauksznóju, tauksz- 
nöti „anklopfen“, czauszkiù czaükszti „plätschern“ (Leskien, Bild. 
Nom. 258), cziauszkčti „Zwitschern“, nsorb. tuskas „rütteln“, lit. 
twoskinti „stark schlagen“, twasköti „schwatzen“, twasketi „viel 
schwatzen, flimmern“, twáska „Vielplapperer“. Ebenso haben 
sich die baltischen Schallverba auch im Infinitivstamm auf -eii 
gegenseitig beeinflußt (vgl. Leskien, IF. XII 171). „Für das Leben 
und die Geschichte eines jeden Suffixes ist es von der größten 
Bedeutung, eine bestimmte Wortkategorie zu finden, in der es 
produktiv ist: begrifflich nahe verwandte Worte lieben das gleiche 
Suffix“ (F. Kluge, Nom. Stammbildungslehre® 1). Da im Baltischen 
neben dem sk-Suffix auch das st-Suff. sehr häufig grade bei 
Schallverben vorkommt (vgl. Leskien, IF. XII 171f.), so wurden 
besonders im Lettischen auch sekundär gebildete schallnach- 
ahmende Verba teils mit 5%, teils mit st versehen z. B. $lupstet 
„lispeln“ neben slupskēt (vgl. nhd. schlappern); kurksket neben kurk- 
stet „quarren* (: lit. kurkiu, lett. kurcu); kwäksket neben kwakstet 
„quaken“ CG lit. kwakiu), kwarksket neben kwarkstet „quarren*“ (: lit. 
kwarkiù, lett. kwarcu), kluksket klukset neben klukstet „glucken“ 
(: lit. klugeti); vgl. auch lett. rusfet „knurren, murren“ : abg. rezati 
„wiehern“; lit. plerszkit, plerkszti, plerszketi „plärren, schnarren“. 
(Hier ist also an das onomatopoetische Wort pler- sekundär das 
Suffix angetreten). Zu dieser Bildung auf -sk und -st vgl. lit. 
tyszkinu, tyszkinti „glatt machen“ neben tisztu, tiszti „glatt, schlüpfrig 
werden“ (Mitt. Lit. Ges. 1322): lit. Gäns: treszkinu, treszkinti „faulen 
‘ lassen“ (Mitt. Lit. Ges. I 335) : tresztu, treszti „faulen, morsch 
werden“; pduszkiu, pduszketi neben pduksztu, paukszteti (aus 
*pauszkstu), czauszkiu neben cziaukszeziu, pläuszkiu neben pláuk- 
szcziu. Unwahrscheinlich ist daher Leskiens Versuch (IF. XIII 


Die verbalen und nominalen sk- und sk-Stämme im Balt.-Slav. und Alban. 195 


173£.), eine derartige lettische sk (= ksk, $k)-Bildung auf stj zurück- 
zuführen, vgl. lett. wikskis, wiskis „Strohbündel“ : aisl. visk „Bündel“; 
mirksket (mirksu), mirskinat „mit den Augen blinzeln“ : r. merescitv 
des. ` braksket, brakskinat „krachen“ : lit. braszketi; plaksket, plakset 
„klatschen‘“ : lit. pleszketi, abg. pleskati; tersket, tarksket : lit. tarsz- 
këti; pluksket, plusket, plukset „schwatzen“ : alit. pliuschketi des 
pauksket „schallen, knallen“ : lit. pduszketi; spurksket spurkset 
„prusten*:r. porskato „bersten“ ; tauksket, taukset „Fett schmelzen“: 
lett. tuska „Geschwulst“; bauksket, baukset „stark schlagen“ : mhd. 
busch „Knüttel, Schlag, der Beulen gibt“; lett. kuskis „Büschel“ : 
lit. küszkis; suskis : lit. süskis „Krätze“ (Geitler, Lit. St. 113). 

7. Die Lautgruppe sk (szk), in der nicht das Suff. -sk 
steckt. 

Die Lautgruppe sk, sek ist in mehreren Nominibus dadurch 
entstanden, daß an s, bezw. sz das Suff. k angetreten ist. Über 
letzteres Suff. vgl. Leskien, Bild. Nom. 504f. 

lit. diszkus „deutlich“ neben iszkùs dss., adv. iszkiai „deutlich“, 
iszkümas „Deutlichkeit“, alit. ¿ifkus „deutlich“ (Wiln. Post. 17a), 
ißkios (W. P 12b), ißkiey (= ìszkiay) W. P. 12b, 13a, 138a; III 39b; 
ikas „deutlich“ W. P. 129b: tureio ápe ghi ißkq ráßima. alit. ißkas 
verhält sich zu ;szküs wie alit. blagnas neben blagnus, blaiwas 
neben blaiwus (Bezzenberger, BZGLSpr. 276), pakarnas (Wiln. Post. 
181a: ape to pakarng) neben pakarnus, skaistas (Wiln. Post. 158b: 
skaystas) neben skaistùs, laīszkas neben láiszkus (Geitler, Lit. St. 
93) `). lit. diszkus, iszkùs, iszkas : abg. jason „licht, klar“, r. jasnyj 
dss., č. jasný, sl. jasen „hell, klar, heiter“, ai. yásas „Herrlichkeit“, 
yaśás „herrlich“. Mit dem k-Suffix erweitert (wie p. klęska „Nieder- 
lage“, č. kleska „Straucheln : č. klesati „straucheln, fallen“) ist 
p. jaskry „blendend“, jaskravy „schimmernd, funkelnd, hell“, abg. 
iskra „Funke“, atech. jiskra, dial. öskra (Vondrak, BB. XXX 118), 
sl. isker „feurig, flink, munter“. Auch ai. (RV) astr! „Herd“ könnte 
hierzu gehören, idg. *aiktri. 

lit. kiszkà „Kniekehle“, lett. ciska „Sehnen in der Kniekehle“ : 
lit. kiszù „etwas stecken in“, kiszimas „Hineinstecken“, kaisztis 
„Stecksel, Riegel“, už-katszot „zustecken“ (Bezzenberger, LF. 119), 
arm. kic „angeheftet, befestigt, verbunden“. 

lit. kiszkis „Hase“ (aus bat. vgl. tiszkü neben teszku, sziszes 
neben szãszğs. Betreffs des lit. i = idg. a vgl. Bechtel, Haupt- 
probl. 267, Mikkola, IF. XVI198f., Wiedemann, D. lit. Praet. 8, 


1) Vgl. ferner lit. szaŭnas neben szaunüs; dosnas neben dosnüs; dregnas 
neben dregnüs. 


13* 


196 Ä J. Scheftelowitz 


Hirt, Abl. § 30) : ai. sasa „Hase“, gr. xexjvas‘ Aaywoös‘ Konmrtes 
(Hes.), eymr. ceinach „Hase“, cein- = *kasni, pr. sasins, ahd. haso, 
aisl. here dss. Betreffs des anlautenden k im Lit. vgl. lit. klausyyti 
„hören“ : abg. sluchse „Gehör“, aw. sraosa „Gehorsam“, ai. srus 
„hören“; smakrà „Kinn“ : ai. Smäsru, vgl. Wiedemann, Handbuch 
lit. Spr. 23; umgekehrt vgl. lit. szöszkas „Iltis“, lett. sesks dss. : ai. 
kasikd „Wiesel“ (Zupitza, o XXXVII401f., Fick, BB. III 165, 
Bechtel, Hauptprobl. 378). In der Gegend von Wilna heißt szeszo% 
„Iltis“ (aus lit. sz&szkas), das aber in der Endung nach russ. choriok 
„Utis“ umgebildet ist (vgl. E. Wolter, Mitt. Lit. Ges. IV 59). 

lit. küszkis „kleine Staude, Büschel“, lett. kuskis „Strauß, 
Büschel, Päckchen“ (Leskien, Bild. Nom. 506) : ai. kuss „Gras“, 
kusara „Art Schilf“, r. kusts „Strauch, Staude“, klr. kust dss., č. 
dial. kejska d.i. *kyšoka „Bündel Stroh, Heu“ (Geitler, Lit. St. 66). 

lit. lařszkas „Blatt“, apr. laiskas „Buch“ : abg. liste „Blatt“ 
aus *lik-to, ai. W. lis „reißen, brechen“, lesa „ein Teilchen“, lesika 
„Grasschneider“, lestu „Erdscholle“. 

lit. márszka „dichtes Fischernetz, Handtuch“ (Bezzenberger, 
LF. 139), marszkinei „Hemd“ : lett. marsna „Laken“ (Leskien, Bild. 
Nom. 505), idg. marks-, ai. mrksati „striegeln, reiben“ = idg. mrg-s: 
ai. mrjati „abwischen, abstreifen“, aw. marəz „streifend berühren“, 
abg. mrčža „Netz“. Begrifflich vgl. sl. brisati „wischen“ : brislja 
„Handtuch“. 

apr. liscis „Lager“ : apr. lasinna „legte“, listis „Heerlager“, 
lasto „Bett“, lett. lē/u „Sandbank“, lē/s, lefns „flach“. 

lit. plaszkinis „Fischernetz“, pleske „Sieb“, apr. pleske dss. : gr. 
nier® „knüpfe, flechte“, "ies „geflochtene Gerätschaften“, 
siAexog „Geflecht, Flechtwerk“, ai. prasna m. „Geflecht“ (vgl. Traut- 
mann, Apr. Spr. II 401). 

lit. pluszkis „Schilfgras“ (Mitt. Lit. Ges. I 135) : pläszis, pliū- 
szis dss. 

lit. püszkas „Pickel, Bläschen auf der Haut“ : püsze dss. 

lett. mikskis, miskis „Maischholz zum Umrühren“ : lit. maiszijti 
„mischen, mengen“. 

lit. raszkanas „entzündet“, ruszkanos akes „entzündete Augen“ 
(Geitler, Lit. St. 107) : ruseti „brennen“ (Geitler, Lit. St. 107), rùswas 
„rotbraun“, raasvas „rot“, sl. rús dss., lat. russus „rotbraun“ idg. 
*rudh-s-. 

lit. suskis „schmutzig“ (Bezzenberger, LF. 179, vgl. Juškevič, 
Liet. Däjn. Nr. 706, 10: kuris r&dos tasdj plüszkis, kurs ne redos 
tasdj süskis), suskius „Krätziger“ (Juskevid, Liet. Dën, Nr. 894, 2), 


Die verbalen und nominalen sk- und sk-Stämme im Balt.-Slav. und Alban. 197 


süskis „Aussatz, Krätze“ (Geitler, Lit. St. 113), lett. susKis, suskis 
„einer, der sich unrein hält“, lit. susö „räudig werden“ (vgl. W. 
Schulze, Z. Gesch. Lat. Eigennamen, 209 Anm.). 

lit. taszkq Acc. Sg. („Genus nicht zu erkennen“) „Verhau“, 
ap-si-taszkanti „sich verschanzen“ : lit. taszýti „fortgesetzt Baum- 
stämme behauen“ (Leskien, Bild. Nom. 504), č. tasiti „schwingen, 
stoßen“. (Weitere Verwandte bei Walde’ 778: texo). 

lett. laiskis „Lecker“ neben laisa dss. 

lett. askis „Haare des Pferdeschweifes“ neben astes „After- 
haar, Achterkorn“, aste „Schwanz“, astri „Haare des Pferde- 
schweifes“, asenes, asas „Schachtelhalm, Binsen, Schilfrohr“, astits 
„geschwänzt“, lit. aszutaz, üszate „grobe Haare des Pferdeschweifs“ 
(Bezzenberger, LF. 97), r. osto „Spitze, Granne, Dornspitze, langes 
Haar im Pelzwerk“, r. ostie „Stacheln, Spitzen, Grannen“, osten3 
„Stachel“, p. oëd „Spitze, Stachel, Dorn, Gräte“, oscien „Stachel, 
Treibstachel, Fischerpfeil“, ahd. ah, ahil „Ähre“ neben ehir aus 
* ahir- dss., arm. hask „Ähre“ (bibl. z. B. Gen. 41, 5ff., Jud. 12, 6), 
urarm. **aso 4 Suff. -k-, gr. dxis „Spitze“. 

Da im Litauischen auslaut. SL Suff. k wie szk gesprochen 
wird, so wird dafür häufig auch szk geschrieben, so ožkķà „Ziege“ 
neben oszkà (Kurschat kennt nur die letztere Form) : lit. 027s 
„Ziegenbock“. Daß 2% wie szk ausgesprochen wird, geht z. B. 
aus folgendem Reim hervor: ajë mažà káipo óžka, Eisnant jósios 
kaulaj pöszka (Juskevil, Liet. Svot. Däjn. Nr. 20,2; Juskevid schreibt 
zwar očka z. B. Nr. 20,2; 538, II: 999,2, aber oszkyjtai batelai 
„Schuhe aus Ziegenleder“ in Liet. Svot. Däjn. Nr. 28,6). — lit. 
czüszkis „träger Mensch“ : czùžė „träges Mädchen“ (Leskien, Bild. 
Nom. 506). | 

Das lit. Suff. isek- (iszkas, iszkis) scheint durch Kontamina- 
tion der urbaltischen Suffixe isz- und *isk- (vgl. gr. veavioxog, 
nawöloxog, got. gudisks, ahd. irdisc) entstanden zu sein, vgl. 
wagiszius „diebischer Mensch“ neben wägiszkas „diebisch*, kiau- 
lisze, kiauliszius „Schweinehüter“ neben kiatliszkas „schweinisch*, 
mergiszius „Mädchenjäger“ neben mergiszkas, bandiszius „Vieh- 
knecht“ neben bandiszkas „viehisch“. (Zum lit. Suff. isz und iszk 
vgl. Leskien, Bild. Nom. 599, 522.) Lit. iszk- könnte aber auch 
aus dem Slavischen entlehnt sein, vgl. russ. domisko, mužičiško, 
ovcisko, nsorb. boblisk, bundlisk, gelnisk, gruzlisk, huglisk, kryngelisk. 
— Daß Bildungen wie lit. dainuszka, lett. drobuskas fremdes Suff., 
russ. uška enthalten, bedarf keiner weiteren Ausführung (Leskien, 
Bild. Nom. 506). 


198 J. Scheftelowitz 


Die Lautgruppe szk, sk kommt schließlich in einzelnen sla- 
vischen Lehnwörtern vor; so ist lit. meszka „Bär“ aus r. mečka 
dss. (abg. mečbka), grr. meška entlehnt; lit. patvaiskas „Scherge“* 
aus p. podvojski (Brückner, Litu-Sl. 117), kuskà „Tuch“, skuskà 
„Taschentuch* wohl aus p. chustka „Tuch“ (Brückner, das.), lit. 
maskas „klein“ neben mackas, macjnikas dss. aus dem slav. malbč- 
(sl. malica) oder aus dem lett. mač „klein“ aus *maťš (vgl. End- 
zelin, BB. XXIX 190). — Zu pljskas neben pljckas „Fladen“ vgl. 
p. placek „Fladen“. Daß lit. meszkoti wegen seines sz aus p. mieszkać 
„verweilen“ entlehnt ist, hat bereits Bezzenberger, BZGLSpr. 351 
bemerkt. — lit. pleszka, plečka „gläserne Flasche“ aus wr. pljaška, 
klr. pljacka (Brückner, Litu-Sl. 119). 

Das Suffix sk ist noch im jüngeren Lettischen in lebendiger 
Anwendung, wovon Formen zeugen wie lett. danska „kotige 
Pfütze“ : dangät „in den Kot treten‘, lanska „Fetzen‘“, wanskat 
„prügeln“ : lit. wanta „Badequast“, ai. van- „niederschlagen“; lett. 
ritskas, ritski, riskas „altes Gerät, Plunder“ : rida „allerlei Gerät“; 
ewarskis „Pastelschnur“ : Gert „einfädeln“, wert „reihen, sticken, 
nähen“, abg. vervo „Strick“, r. vervo dss., lit. wirwe dss., api-wara 
dss., wóras „Spinne“, ai. varatra „Riemen“, vata aus * varta „Strick“, 
vatin „stringed, having a string“. Auch im Litauischen ist das 
Nominalsuffix -skas, skis noch lebendig, vgl. Nazareňskas (vgl. 
Wiln. Post. 156b), kurleñskis „Kurländer“, Sponskas neben Sponckas. 
Die letztere Schreibung scheint zu beweisen, daß dieses Suffix, 
das nur an Länder- und Städtenamen antritt, aus dem Polnischen 
stammt, vgl. p. turecki „türkisch“, francuski „französisch“, saski. 

8. Formans sk im Slavischen. 

abg. pasą, pasti „weiden“ (vgl. v. d. Osten-Sacken, IF. XXXIII 
260), lat. pasco : got. fodjan, ahd. fuattan „ernähren“, aisl. fostr 
„Erziehung“, gr. natéoua „esse, zehre“ (vgl. Prellwitz, Et. W "28411 

č. dusiti „würgen, sticken, den Atem hemmen“, dus „Würgen, 
Alp“, p. dusić „würgen, hemmen, drücken‘, dusić sie „ersticken“, 
ai. ducchuna (ZII. VI 104f.). 

abg. sz-brysati „abradere“, brasngti „radere, corrumpere“, r.- 
ksl. brasnuti „schaben, verderben‘, brssels ‚„Scherbe‘“, r. bross „Ab- 
fall“, bulg. bress „reibe ab“, r. brusitv „Steine brechen“, brusato 
„zerbrechen, zerreißen, reißen“, ir. bruscan, brusgar „Bruchstück, 
Zerbrochenes‘“, gael. brusg „a crumb, particle of food“, idg. *bhrus-sk, 
aisl. breyskr, brøskr „zerbrechlich“, mnd. brösch dss., mndl. bruuschen 
„brausen“, ndd. bräsken, brüsken „brausen, lärmen, überkochen, 
geil aufschießen“ (im Bremer Wtb.), brüschen „rauschen“ (bei 


em ` em geneeën, Ëm i z 


ETERRA ŘS E - ee, un 


Die verbalen und nominalen sk- und sk-Stämme im Balt.-Slav. und Alban. 199 


Schambach) : ae. brjsan „zerbrechen“, ahd. brösma „Brockchen“, 
mhd. brusen „brausen“, aschw. brūsa „einherstürmen‘“, air. bronnaim 
„schädige“ aus *bhrusnämi (Strachan, Rev. Celt. XXVIII 195f.). 

r. rysb „Trab, schneller Lauf“, na-rysitv „zum Traben ab- 
richten“, sryskato „schnell hin und zurücklaufen‘“, bulg. rssja „be- 
sprengen“, abg. ruslo „Flußlauf“, aisl. ruska „heftig schütteln“, 
ryskja dss., rysking „heftiges Schütteln“ : abg. rychls „behend‘“, 
nsorb. rychty dss., p. ruch „Bewegung“, ruchty „beweglich“, č. 
rychty „schnell“, klr. ruch, poruch „Bewegung“, r. ruchnuto „stür- 
zen“, p. ruszyć „rühren, bewegen“ (woher lit. rùszinu, ruszaŭ 
„„berühren‘“‘), ai. rūşita „bestreut“, rūsana „Bestreuen‘, idg. "rie 
scheint eine s-Erweiterung zur idg. W. ru, lat. ruere „stürzen, 
rennen, eilen“ zu sein. In r. rysks „schneller Lauf, Spur, Fährte‘ 
(davon ryskato „schnell laufen“) und in č. rusky „schnell“ ist das 
k ein sekundäres Suffix, aus älterem *ryssks, russk2. 

abg. trsa, tresina „saeta“, trsss „vitis“‘, lit. truszis, vgl. oben 
S. 166. 

r. trusito „schütten, ausstreuen‘, č. trus „Zerstreutes, Mist“, 
trusek „Zerstreutes‘ : aw. rav „streuen“ (Verf., ZDMG. LIX 698), 
got. straujan, ae. streowian „streuen“. r. truska „Schütten, Streuen“ 
aus älterem *truspka, wie sl. ruska „Fuchsstute, Erdbeere“ : rùs 
„rot“, praska „Kohlenstaub“ : prasina „Staubmasse‘. 

bulg. drusati „schütteln“, drissk „holpriger Weg“, drusliv 
„schüttelnd‘“ : ai. dravati „laufen, eilen“, drava ‚laufend, m. rasches 
Bewegen“, aw. drav dss., dru (am Ende eines Kompos.) „laufend“. 
bulg. druskam stoe, rüttle‘“ ist abgeleitet von drussk, drusak 
„Rütteln“. 

In folgenden Beispielen ist es unsicher, ob idg. sk oder s 
vorliegt: ksl. klosnati „stechen“, bg. klösam dss. ` ksl. kolją, klati 
„stechen“, r. kolotv dss. — ksl. klospns „claudus“, b. klösan ‚ver- 
stümmelt“, r. klosnosto „Lähmung“ : arm. kat „lahm, hinkend“, got. 
halts dss., r. kalčka „Krüppel‘“, p. kaleka dss., gr. neildv' orgeß- 
Aën, sAdyıov (Hes.), np. kul „krumm, gekrümmt“. — sl. drasati 
„auflösen, auftrennen‘‘, d’sati „schleifend ziehen, schaben‘“‘, drseti 
„gleiten, glitschen‘“, č. drasati „kratzen, streifen‘, draslavy „rauh, 
holprig“, lett. dirsu „seine Notdurft verrichten“, dirsa „Scheißer“ : 
abg. dorati „reißen“, lit. dirti „schinden“, gr. d&ow, ai. drnati. 
Daneben gibt es auch eine sk-Bildung, s. lit. dreskiu, ač. drieska 
„Splitter“. Letztere Formen würden dann eine urbalto-slavische 
Neubildung sein. 


900 J. Scheftelowitz, 


9. Formans -sk im Slavischen. 

a) Die älteste Schicht. 

č. bresk „Blöken‘“, břeskot „Lärm“, bresteti „heulen“, klr. 
brascaty „klirren“, lit. braszku, braszketi „krachen, knacken“, vgl. 
oben S. 173. 

č. křeskati „bellen“, b. kreskam „schreien“, serbokr. krijestim 
„schreie‘, b. kresek „Geschrei“, vgl. Berneker 614, lit. kryksztauti 
aus *kryszkstauti kreischen" : gr. xoixe „kreische‘“‘, ae. hringan 
„tönen“, abg. kričati „schreien“. 

abg. loskots „Geräusch, Lärm‘, č. lostiti „kracheln, rasseln“, 
p. loskot „Geräusch“, r. leskatv „klatschen, knallen“, Zaskotatv 
„schwatzen, plappern‘“, klr. laskaty „klatschen‘, gr. Adoxw „töne, 
schreie“ (Hes. Bldoxeı‘ Akyeı, sortie ist in der Bedeutung Aéye 
sehr unsicher, vgl. die krit. Anmerk. von M. Schmidt) : gr. &Aaxov, 
Akinna, Annew „töne, schreie, spreche“, Aaxeodg „lärmend“, Adxog' 
Zoe, pópos (Hes.), ahd. lahan „schelten“, ae. léan „tadeln“, r. 
lakotato „schwatzen“. 

abg. č. laskati „schmeicheln, liebkosen“, č. láska „Liebe“, 
laskawy „liebreich, hold“, p. taska „Gunst“ (woher lit. loskà dss., 
loskùs „gnädig, gewogen“), laskotać „kitzeln“, sl. láskati „schmei- 
cheln“, läskav „leckerhaft, wählerisch“, r. laskato „liebkosen“ (vgl. 
Berneker, GL Et. W. 691f.), lat. lascivus „ausgelassen, zügellos, 
geil“, aisl. elska „Liebe“, elska „lieben“, norw. dial. ulsk „gierig“ : 
r. lasite „schmeicheln“‘, lasyj „schmeichlerisch“, lastito „liebkosen, 
schmeicheln“, klr. Zástyty dss., lasyj „begehrlich, begierig, lüstern“, 
tásyti „lüstern, gierig machen“, p. tasy „naschhaft, gierig, lüstern“, 
ai. lasati = *lalsati (Fortunatov, BB. VI 218, Wackernagel, Ai. Gr. 
§ 208A, Brugmann, IF. XVII 371), abhilasas „Verlangen“, lalasas 
„heißes Verlangen tragend“, gr. Audaiouaı, got. lustus „Lust“, gr. 
Adorn‘ nögvn (Hes.), vgl. Berneker 693. Daneben gibt es eine 
_ gleichbedeutende Wz. lak, abg. lakota „libido“, lakoms „begierig“, 
b. lakom dss., klr. taköm „lüstern“, č. lakota „Gier“, lakati „locken, 
verlangen“, lakotka „Leckerbissen, Lockspeise“, p. lakomić „gieren 
nach“, lakomy „gierig“, lit. làkti „leckend fressen“, aisl. lokka, 
ahd. lockön „locken“. Pedersen, IF. V 47 stellt dagegen r. lasyj 
„gierig“ zu lit. apylasus „wählerisch“, apylasa „Sonderung, Aus- 
wahl‘, dtsch. lesen. 

abg. luska „Hülse, Schale“, sl. luska dss., luščiti „schälen“, 
sl. Zuskati „abschälen‘“, p. tuska „Schale, Schuppe“, lit. lùksetinu 
„aus den Hülsen ausschälen“ (aus *luszk-st-, wie troksztu aus troszk-, 
bluksztu aus bluszk-, magztas aus * mazgtas) : abg. lupiti „schälen“, 


Die verbalen und nominalen sk- und sk-Stämme im Balt.-Slav. und Alban. 901 


sl. Zupina „Schale“, p. lupid „abschälen“, č. lupen „Blatt“, lit. lùpti 
„SChälen“, lupinas „Schale (von Obst)“, lett. lupt „abhäuten, 
schälen“, laupit „abblättern, plündern“. Prellwitz, Et. W.” 275 
stellt hierzu auch gr. Adrın „Leid, Betrübnis, Kränkung“, ai. lupta 
„beschädigt“. Dann würde idg. Wz. laup vorliegen und gr. Aero 
hiervon gänzlich zu trennen sein. 

klr. poroscity „stäuben“, porsky „scheu“, abg. preskanije „Ge- 
schnaube“, lit. pürkszczoti „prusten‘‘ aus *purskstjoti. 

č. prjskati „spritzen“, p. wr. pryskad „spritzen, sprudeln‘“, r. 
pryskati „spritzen, besprengen‘, prysks „Spritzröhre‘“, b. prøskam 
„Spritze“, osorb. pruskel „Bläschen, Pickel‘, nsorb. pryscel des, 
(begrifflich vgl. r. puzyrě „Blase“ : osorb. puzoric, puzolid „spru- 
deln‘), ndd. Gëskn „Schwämmchen auf der Zunge bei saugenden 
Kindern“ (Danneil, Wth. der altmärk. Mundart 264), frosch „Ge- 
schwulst im Mund, Mundwarze“ (Grimm, D. W.):ai. prusnoti, 
prusyati „träufeln, spritzen“, pali phusayati „es regnet“ (Windisch, 
Mara u. Buddha 89), ai. prusva „Tropfen, Reif“, lit. prausiu, praüsti 
„waschen“, an. frusa „heftig hervorströmen‘“. Durch Kreuzung mit 
der begrifflich nahestehenden W. *brezg ist W. *brysk entstanden 
(vgl. o. LIV 235f.). | 

poln. darski, dziarski „rasch, hurtig, flink“, gr. ödodoxaoıs 
‚Entlaufen‘“, öoaoxdatw (Lys. 10, 17) „entlaufen“, dän. traske „tra- 
ben, gehen, rennen“, schw. traska „trollen“ : ai. drati „läuft“, gr. 
anodpdvaı, drroöıdodoxeıv „entlaufen‘“, doaueiv „laufen“. 

bg. driskam, drists „Durchfall haben“, sl. drösk m., driska 
„Durchfall“, lett. draiska „Reißteufel“ (begrifflich vgl. sl. dripa 
„Durchfall“ ` dripati „zerreißen‘“, b. dripel „Fetzen‘“; ahd. scizan 
„scheißen‘“ : lat. scindo) : aisl. drita, ae. dritan, mndl., ndd. driten 
„cacare“ (vgl. Solmsen, o. XXXVII 578, Berneker, Sl. Et. W. 
224). Das st-Suff. ist enthalten in serb. drista „Diarrhoe“, osorb. 
dristac, Kr. drystäty, grr. dristato, č. dristati „Durchfall haben“. 
(Grade im Slavischen und Baltischen ist an s%k-Bildungen noch 
das st-Suff. angetreten, vgl. abg. bliskati „glänzen“ neben blistati, 
r. puskato „lassen“ neben pustito dss., č. dřieska „Splitter“ neben 
drásta, abg. riskanije „Lauf“ neben ristati, r. ristati „laufen‘‘). Die 
indogerm. Wz. dhrit scheint im Litauischen durch Dissimilation 
zu *trid geworden zu sein; lit. trìde, treda „Durchfall“, tredziu 
„starken Durchfall haben“. In č. diizdati, p. dryzdad „Durchfall 
haben“ ist die slav. Wz. drid- mit dem d-Suff. erweitert (anders 
Solmsen, o. XXX VII 578). 

abg. riskanije „Lauf“, klr. riskyj „flink“, lett. rikšot aus *risköt 


202 J. Scheftelowitz 


„laufen“ ` abg. rijati ‚fließen‘, ai. rinati, riyati ‚läßt laufen“. Mit 
st-Suff. : abg. ristati „schnell laufen“, r. ristato dss., lit. riszezoti 
aus *ristjoti „galoppieren“, ristas „schnell, hurtig“ (Geitler, Lit. 
St. 107); vgl. auch np. ët (ZII. VI 116). 

č. brosk „Knospe“, Kr. broska dss., aisl. brjösk „Knorpel“, 
schwed. dän. brusk „Knorpel“, brusket „knorpelig“ (aus dem Nord. 
stammt gael. brisgein „Knorpel‘), mhd. bräsche „Beule“, nndd. 
brusch, brusche „Beule“ (vgl. Korrespenzbl. d. Ver. f. niederd. 
Sprachf. XXIII 67ff.), aisl. druskr „Haarbüschel“. Hierzu wohl 
auch lat. bruscum (Plin.) „Auswuchs am Ahornbaum“ (s. Meyer- 
Lübke, Wien. St. XXV 93f.) : aisl. brum „Knospe, belaubter Zweig“, 
lat. frutex „‚hervorsprossende Staude, Strauch, Busch‘, ai. bhrand 
nur RV 10, 155, 2: särva bhrünäni nach Säyana = garbhajatani sar- 
vasam osadhinam ankurani „die aus dem Keim hervorgehenden 
Sprößlinge aller Pflanzen“. Über die bisherigen unhaltbaren Er- 
klärungsversuche von ai. bhrand vgl. Osthofi, MU. V 135. Das 
altind. Wort beweist, daß lat. frutex aus idg. *bhru- entstanden 
ist, wodurch Osthoffs Ableitung (MU. V 98) aus mr- unmöglich 
ist. Hierzu gehört auch lit. bridutis „sich hervordrängen, mit 
Gewalt hervorbrechen‘‘, pr. brewinnimai „wir fördern“ (vgl. Bezzen- 
berger, BB. XXIII 300). Mit st-Suff. gebildet: sl. brst „Knospe‘“, 
serb. brst, klr. brost, abg. brasto „Knospe“, as. brustian „knospen“. 
ai. bhrüund verhält sich zu aisl. brum wie aisl. brun „Zeitpunkt“: 
brum dss., oder ai. Züna n. „Schwanz“ : luma des, Zur Bedeutung 
von ai. bhrüna vgl. ai. tokma „junger Schoß“, tokman „junger 
Halm“, toka „Brut, Kind, Nachkomme‘“ : aw. taoyman „Keim, Same“. 

p. pluskva Wanze, mir. loscann „Frosch“ neben losgan 
(Arch. f. kelt. Lex. III 200), nir. fo-loscain „Laubfrosch“, mbret. 
gluesquer „Frosch“, daneben guescle infolge Metathesis aus glues- 
que (Ernault, Gl. Moyen Bret.” 303), mbret. gluesquer aus älterem 
* f(o)lesquer (vgl. lautlich mbr. glueiz, gall. gvlydd, mir. flidh) : ai. 
plusi „ein best. schädliches Insekt“ (vgl. Berneker, IF. X 154), arm. 
lu (aus *pluso) „Floh“, alb. plest „Floh“ aus pleus-ti, ai. plava 
„Frosch“ (vgl. Vaijayantı p. 152 V.87: plavavyangasalarandukaken- 
dukah / mandukas) neben plavaga dss., ai. plavate „schwimmen, 
hin-und-her-schwanken, sich bewegen“, aw. frav dss., ai. plava 
„Sprung“, plavaka „Springer, Frosch“, plavitar „Springer“. Be- 
deutungsparallelen u. np. risk „Nisse“ (ZII. VI 114); ferner r. Ljagusa 
„Frosch“ : jagato sja „schwanken, schaukeln“, č. löhati „bewegen“; 
ai. salu, salüra „Frosch“, saluna „ein best. Insekt“ : ai. salati 
„gehen“, lit. szalinu „treibe mich umher“; r. prygundiks „kleiner 


Die verbalen und nominalen sk- und sk-Stämme im Balt.-Slav. und Alban. 203 


Springer, Frosch“ : prygatv „springen, hüpfen“; pol. lozäuka 
„Kröte“ : sl. ldziti „kriechen‘“, p. łazić „langsam gehen“. 

b) Jüngere Schicht. 

klr. bloscyca „Wanze“ : lit. blake „Wanze“, lett. blakts dss. 
(Berneker, SI. Et. W. 62). Da im Russischen anlaut. urslav. ml 
erhalten bleibt (vgl. Solmsen, o. XXX VII 587f.), so kann es nicht 
mit arm. mlukn „Wanze‘‘ (wohl aus *möl + ukn), got. malö „Motte“ 
(Lidén, Arm. St.83), slov. mölj dss. verwandt sein. In p. ploszczycze 
ist das anl. p- aus Kontamination mit p. pluskva hervorgegangen. 

p. muskad „glatt streichen, streicheln, putzen“ : lit. mazkti 
„glatt streifen“, lett. mukt „gleiten“, muca „Strich“, mucite „Marke 
am Zugnetze, um in rechter Richtung zu ziehen“, sl. smukati 
„schlüpfen, abstreifen“, smuka „das Dahingleiten‘“, ai. muñcati 
„abstreifen, loslösen‘, aw. paiti-smuxta „angezogen“. 

abg. plaskati, r. poloskatv „eluere“, p. ploskuny „nasses Wetter“: 
abg. plakati, po-plakati „lavare, eluere‘“‘, p. plokad „abspülen, 
waschen“, gr. naldoow „besprenge, bespritze‘“ (vgl. Fortunatov, 
BB. III 57 Anm.). 

serb. nrstati „murmeln“ : abg. mrekati, sl. mrčati „murmeln‘“, 
č. slov. mrkotat' „plaudern‘‘, r. murčato „brummen‘“, p. mrukad dss., 
markot „Gebrumme“, daneben idg. *mrek, *mrenk — urslav. *brek, 
*brek, abg. breknati „klirren“, č. brenkati, r. brjakato „klirren‘“, 
brjakala „Lärmmacher“, p. brzęk „Geklirr“, č. břeńk dss., nsorb. 
brjenkas, brjenkotas „klirren“, osorb. brjénčeč dss., r.-ksl. brakati 
„summen“, č. breceti, „murren“, lett. brecu, brekt „schreien“, brekat 
iter. dss., braket „schreien“, breka, brecius „Geschrei, Schrei“. Mit 
dem s-Suff.: sl. brehati „keuchen‘“, r. brechato „schreien, zanken‘, 
č. břechati „bellen“, p. brzechad (vgl. Berneker p. 84). 

sl. prskad „brünstiger Ziegenbock“, prskati se „brünstig sein“, 
č. prskati „bocken“ : klr. perčyty sa „brünstig sein“, sl. prkati, b. 
prscat „sich begatten“, sl. prč „Ziegenbock“, serb. preati se „sich 
begatten“, ai. parc- „mengen, mischen“, upa-parc- „sich begatten“, 
upaparcana n. „Begattung“. 

č. tlesk „Klatsch“, tleskati „klatschen‘“, tlaskati „schnalzen‘, 
bulg. tlaskam stoen : abg. tleka „schlage“, sl. tolkad „Stößel“, 
p. ttuke „schlage stark, stoße, zerstoße“, r. tolknuto „einen Stoß 
geben“, tolkanie „das Stoßen‘“, tolkato, tolocv „stoßen, klopfen“, 
p. tlocyd dreschen, pr. tlakut dss., lit. ap-tilkes „verschlagen, 
durchtrieben“, cymr. talch „Fragment“ (vgl. Trautmann, Balt.- 
Sl. W. 321). 


r. tusknuto „trüb werden“, tusks „Trübung“, serb. tüska 


204 J. Scheftelowitz 


Schlacke, Treber“ :abg. tyda öußoos, tąčenosonz „imbrifer‘‘, tqCons 
„regnerisch‘“, r. tuča „Gewitterwolke‘“‘ (woher lett. tūce „Regen- 
wolke‘‘), p. tecza, serb. tüca „Hagel“, phl. takarg „Hagel“ = airan. 
*takar- (zur Bildung vgl. aw. danar, avar, snavar). Begrifflich vgl. 
r. morgato „trüb werden“ : morozga „feiner Regen“. Uhlenbecks 
Zusammenstellung von r. tusk mit mhd. düster (PBB. XXVI 294) 
ist also unmöglich. 

abg. viskati „wiehern“, visklivs „wiehernd‘“, serb. viska „Ge- 
wieher“, klr. visk dss., sl. viskati „wiehern‘‘, p. wiskac „laut pfeifen‘“‘ : 
sl. za-viknoti „ausrufen“, vika „Geschrei“, serb. vikati „schreien“, 
r. vicatp „schreien, kreischen, Überr. vizgs, das nicht mit Brückner 
(o. XLV 52) aus slav. visks zu erklären ist, vgl. o. LIV 244. 

bulg. ssskam „zische“ : p. sykngd „zische‘‘, lit. sewanikszti 
„keuchen, röchelnd atmen“. Mit s- erweitert: č. suchati „leise 
rauschen‘, ai. suksi „Wind“. Schwerlich gehört ssskam zu ahd. 
sūson „sausen‘“. 

wruss. kljask „Geräusch‘‘, r. kleskatv „knallen“, apoln. kleskad 
„klatschen‘“ (Leciejewski, Arch. f. Sl. Ph. VI 540 glaubt fälschlich, 
daß hier anlaut. k für p stehe), npoln. klaskad, kleskad, klaskad 
„klatschen‘“, klqsk „Kernbeißer“ :r.-ksl. klegota „Geschrei“, klegs- 
tati „elangere‘“, lett. klegat „schreien“, lit. klagasis „Geschrei“ 
(Bezzenberger, BZGLSpr. 295), lat. clango, gr. dien „töne“, Auto 
„schnalze, schreie“, ir. colg „wrath“, gael. colg des, Über die 
weiteren Verwandten vgl. Prellwitz, Et. W. 226, Walde, Lat. Et. 
W.? 166. Daneben gibt es r.-ksl. klekstati „schreien“, vgl. Ber- 
neker, Sl. Et. Wtb. 511. 

abg. is-teskngti „emacerari‘, isteskle „emaceratus“ : r. is-tjažšnój 
„ausgedehnt, langgestreckt, mager“, č. výtažek „aufgeschossener 
Mensch“, abg. tegnati „ziehen“, aw. ang- dss., np. ähanjidän dss., 
bal. tajenag „spannen, dehnen“‘, jüd.-pers. tanjad „zieht zusammen‘, 
idg. W. theng. 

abg. tiskati, tistati, tisnąti „drängen, drücken‘‘, sz-tiskati ,„com- 
primere“, tesks „eng“, teskota „Enge“, serb. tještiti „pressen“, tis- 
kati „drücken“, p. scisk „Drang, Not“, apoln. stiskovad dss. (Arch. 
f. sl. Ph. VI540), č. stisk „Drang, Not“, stiskati „zusammendrücken“‘: 
gr. oreißw „mache dicht, trete fest“, oerëoode „dicht, derb, fest, 
schwer, kräftig“, orınıdg „fest zusammengedrückt, dicht, fest“, 
orißn „Reif, Morgenfrost‘“, lit. stingstu, stingau „gerinnen, dick 
werden“, lett. stingt „kompakt werden“, stings „starr“. Dagegen 
p. eiskad „werfen, schleudern“ : p..scigad „nachjagen, verfolgen‘, 
č. stihati „jagen, verfolgen“. 


Die verbalen und nominalen sk- und sk-Stämme im Balt.-Slav. und Alban. 205 


p. teskliwy „ängstlich, beklommen‘“, tesknid „sich bangen“, 
apoln. tesknosc „Verdruß“ (A. Babiaczyk, Lex. z. Apoln. Bibel 288), 
č. tesknota „Angst, Betrübnis‘“, tesk, teska „Angst“, teskliti, stesk- 
nouti „bangen, sich betrüben“, r. toska „Harm“ (vgl. Puškin, Ausg. 
M. O. Wolf, Petersburg 1904, 28: i molča ss dikoju toskoju, na dalb- 
nij puto gljadels) aus *tzska, woraus finn. tuska (Mikkola, BB. 
XXII 254): ai. tanka „Trauer, Furcht“ (vgl. Vaijayanti S. 98, V. 385), 
tankati (Gr.) „in Not leben“, tafic, tanakti „gerinnen, zusammen- 
ziehen“, atanka m. „Leiden, Unruhe, Angst, Furcht“, phl. tančišn 
(Vd. 5,14) „Strafe“, tangih „Enge“, lit. tánkus „dicht“, tánkinu 
„dicht machen“. Aus der Bedeutung des Zusammendrückens 
hat sich der Begriff „Trauer, Furcht“ entwickelt (vgl. begrifflich 
abg. tąga „pressura, afflictio“, ogotog „pondus“, tgZiti „urgere, 
lugere, anxiarı“). 

r. porskato „bersten, platzen“, prasks „Knall“, klr. poroska 
„Spalte, Sprung“, serb. praskati „erumpere“, sl. prask Brachen, 
praskati „Geräusch machen, kratzen“, práskav „knallend, rauh“, 
nsorb. praskas „schlagen“ (Mucke, Formenlehre d. Nsorb. Spr. 287): 
p. pierzgnąć „bersten“, abg. pragngti dss., air. orgim „schlage“, 
arm. harkanem „schlage“, ap. parga N. pr. eines Berges; ferner 
lit. sproga ,œpalte“, sprogalà „was beim Hauen herausplatzt‘“, 
sprökstu, sprögau „platzen, bersten“, sprageti „platzen“, sprägilas 
„Dreschflegel‘“, lett. sprakt „bersten, platzen‘, aisl. spraka „prasseln“, 
mndd. sprok „zerbrechlich‘“, gr. ondgayua „abgerissenes Stück“, 
arm. pherekem (idg. sp = arm. ph) „spalte“. 

p- tryskad .„sprudeln‘“ : gr. zoVä(-y6g) „Most, Hefe“, danorev- 
vita „kläre den Wein“, abg. strugati „radere“, an. strjúka „streichen, 
sich bewegen, rasch weggehen, entgleiten‘‘, schw. stryka „streichen, 
fallen lassen, sich fortmachen, laufen, rinnen“. Über die weiteren 
Verwandten vgl. Prellwitz, Et. W. 7 438 (orgsvyouaı). 

serb. kiskanje „das Anschicken zum Weinen“, kiskati „sich 
zum Weinen anschicken‘ neben serb. kisanje „Anschicken zum 
Weinen“, kisati „sich zum Weinen anschicken‘, kisa „Regen“, 
kisnuti „sauer, naß werden‘, abg. kysngti ‚sauer werden“, Looss 
„Sauerteig“, serbokr. kväsiti „netzen“ (vgl. Berneker, Sl. Et. W. 
655f., 678) aus kuts- *kvats, got. bap „Schaum“, hapjan „schäu- 
men“, lett. kusat „überwallen“ (vgl. Pedersen, IF, V 37f.). 

p. troska „Kummer“, troskad „sich abhärmen‘, č. treskt ‚Strafe‘, 
tresktati, p. tresktad „strafen“ : aisl. þrot „Mangel“, osorb. tradad 
„darben“, abg. stradati „leiden“, strada „Mühe“, sl. stradati „Hunger 
leiden“, strad „Hunger, Not“. 


206 J. Scheftelowitz 


vw 


p. truskawka „Gartenerdbeere‘“, č. truskavice, sl. truskelica 
„Gartenerdbeere‘“ : alb. strud „Erdbeere“. 

slov. miskat', mrsknuť „werfen“ : b. mredam „bewege‘‘, p. 
mardać „wedeln“, lit. mùrdau, mürdyti „rütteln, schütteln“. 

abg. loèstati se „leuchten“, lostanbje „yAwoótns“, č. lesk „Glanz‘‘, 
leskati „schimmern“, lesklý „glänzend“, leskot „Blitz“, lskavý „glän- 
zend“, sl. lask „Glanz“, skr. läskat „Blitzstrahl“ : lit. lipst „‚es 
brennt“, apr. lopis „Flamme“ (vgl. Fortunatov, BB. III 58), lett. 
lapa „Fackel“, lipīt „Licht anzünden“, gr. Aduno „leuchte, scheine“ 
(vgl. Berneker, Sl. Et. W. 750). 

r. u-lyskato sja, lyscitosja „lächeln“: ulybanie, ulybocka „Lächeln“, 
ulyba „die Lächelnde‘. 

č. uska „Wespe“ aus *vaph-ska : ahd. wefsa „Wespe“, lit. 
rond „Bremse“, np. bafad „webt‘“, aw. vaf (vgl. Bartholomae, 
Air. W. 1346), idg. *vaph neben idg. vabh, ai. urna-vabhi „Spinne“, 
eigentlich „Wollenweber“, prativabhya „gewebt, gedichtet‘“ (vgl. 
Verf., Apokryphen d. RV. 61); gr. p), pas „Gewebe“, entweder 
zu idg. vabh oder vaph. 

abg. praskati „kratzen“, sl. praskati des, : bulg. presav „krätzig“‘, 
ns. parch „Räude‘, č. prašivý „räudig“. Hier liegt die s-Erweiterung 
der Wz. por vor, abg. porja, prati ‚„dissecare‘, wr. pornud „stechen“. 

č. mlaskati „naschen“, pomlsky „Leckerbissen“, p. pomloski 
dss., p. ntaskad, osorb. mlaskad, ns. mlaskas, mjaskas „schnalzen“ 
(Mucke, Forml. Nsorb. Spr. 237), sl. mlaskati „mit den Lippen 
schnalzen‘, serb. mlaskati : č. misati „lecken, naschen‘“, serb. musa 
aus *mzlsa „Baumsaft‘“, air. mlas „Geschmack“, nir. blas dss. 

serb. smrskati „zermalmen‘“ : ndd. mors „morsch“, mhd. zer- 
mürsen „zerdrücken“, ai. mrs-mrsa kar „zermalmen‘ neben mas- 
masa kar dss. 

sl. vreskati, vröskniti „krachend brechen, zerspringen, knacken, 
bersten“ : wr. voroch® „Gekrach‘, sl. vrseti „brausen“, r. vorochatb 
„anrühren‘“, lat. verro „schleppen“ (vgl. Lidén, Balt. Slav. Anl. 18). 

abg. pyskö „Schnauze, Maul“ : klr. pychtity „schnauben‘, r. py- 
chato „keuchen“, b. puchkam „schnaube‘“. Begrifflich vgl. ai. protha 
„Nüstern, Schnauze‘, lit. prusnà „Maul, Schnauze“, pr. prusna 
„Gesicht“ aus *pruth-sna: ai. prothati „schnauben“. Zum idg. 
Suff. sna im Baltischen vgl. Leskien, Bild. Nom. 218ff. Im Ai. 
vgl. jyotsna „Mondschein“, karasna „Arm“ : kara „Hand“. 

nsorb. zaparsk, zaporsk „bebrütetes, abgestorbenes Ei, Windei“ 
(Mucke, Laut- u. Formen), Nsorb. Spr. 277), ursl. *za-persks : abg. 
zapretsk® „Windei“, osorb. zaportk, p. zapartek, zaparstek dss., 


Die verbalen und nominalen sk- und sk-Stämme im Balt.-Slav. und Alban. 907 


Č. spratek „unzeitiges Kalb“, Er. vyportok „Frühgeburt‘“, cymr. 
erthyl dss., erthyln „frühgebären‘, ai. prthuka „Junges, Kalb“ (vgl. 
Bezzenberger bei Fick“ II 40), lat. pario „gebären‘ (Walde, Lat. 
Et. W.” 562), lit. periü, pereti „brüten“, r. parenb „Junge, Knabe“, 
dial. parja, paro dss., p. parcied „von feuchter Wärme auswachsen“. 

p. jaskinia „Höhle, Grube“, č. jeskyne dss. : p. r. bulg. serb. 
abg. jama „Höhle, Grube, Gruft“. (Zur Etymologie von jama vgl. 
Lidén, o. XLI 395.) 

Č. trysk „Galopp“, tryskati „galoppieren‘ : r. traviti „hetzen, 
jagen‘, p. travić dss. 

serb. rüskati „krachend zerbeißen‘ : abg. rzvati „evellere“‘, 
ryla „ligo“, ai. ru- „zerschlagen, zerschmiettern“, rutá „zerschlagen‘“‘, 
lat. rūtrum „Spaten, Hacke“. 

abg. voisko, vojska „exercitus“, bulg., serb. sl. vojska „Heer“, 
r. č. p. vojsko, p. vojska dss. (aus dem Slav. stammt lit. waiskas 
„Heer“) : voine, voindks „bellator“, vojevati „Krieg führen“, p. 
vojovać dss., lett. waina „Wunde“, lit. waina „Krieg“, wainatins 
„tadelnswürdig“ (Bezzenberger, BZGLSpr. 336), wainóju „schmähe, 
schelte‘‘, iszwainoti „ausschelten“, lett. wainöt „beschuldigen, ta- 
deln“, waina „Schuld“, kas waina “worüber wird geklagt“, wainigs 
„schuldig“, r. vina „Schuld“, vinovato „schuldig“, pr. ni-winzton 
„nicht schuldig“ (vgl. Fortunatov, BB. XXII 165A.), air. fine „Sünde“ 
(Stokes, BB. IX 89), got. wainags, wainigs „schuldig“ (vgl. v. Grien- 
berger, Unters. z. got. Wortkunde 235), aisl. veina, ahd. weinöon 
„weinen“. DBegrifflich vgl. ae. as. wröht „Anklage, Streit“ : abg. 
po-roks „Tadel“, lit. werkiu „weine“; got. dulgs „Schuld“ : an. dolg 
„Krieg“; abg. svara „Streit“, svars „Kampf“, svariti „schmähen, 
bekämpfen“ : aisl. suara „antworten“, sugr „Antwort“; abg. brand 
„Kampf“, brati „kämpfen“, ai. bhara „Kampf“, an. beria „schla- 
gen“ : lit. barnis „Zank, Schelte“, barne „Zank“ (Bezzenberger, 
BZGLSpr.), lett. branīt „schelten“, ai. bhrnati (Dhat.) „zürnt“; lit. 
plakti „schlagen“ : abg. plakati „weinen“. 

bulg. serb.-kr. slov. pol. guscers „Eidechse (Berneker 363) : gr. 
yóņs „Krummholz“, yvodw „krümmen“. Begrifflich vgl. ai. kuti- 
cara „Krokodil = gekrümmt laufend‘; hvara „Schlange“ : hvar- 
„krumm gehen‘. 

Über die urslavisch-baltischen Neubildungen iskati, blvstati, 
testiti, vosks vgl. lit. jeszköti, blyszketi, teszketi, wäszkas. 

Das Verbalsuffix sk hat im Sonderleben der slavischen Sprachen 
einzelne Neubildungen hervorgerufen, so poln. głaskać „streicheln“, 
głaskanie „Streicheln, Striegeln“ : p. gładzić „streicheln“, abg. gla- 


208 J. Scheftelowitz 


diti „glätten“, gladeks „glatt“, lett. glastit „streicheln“, aisl. gladr 
„glänzend“, ahd. glat „glänzend, glatt“, lat. glaber „glatt“, idg. 
*ghladh- (vgl. Zupitza, GG. 174). Dagegen hätte idg. *ghladh-sk- 
nur slav. *glazg ergeben können, vgl. o. LIV 235ff. 

Das altslavische Nominalsuffix əsk (vgl. Miklosich, Vgl. Gr. 
II 274ff. z. B. morbsks „dem Meere angehörig‘‘) hat sich im Sonder- 
leben der einzelnen Sprachen einer großen Beliebtheit erfreut. 
Es tritt in den neueren Sprachen als sk-Suff. auf, ohne jedoch 
zuweilen den vorangehenden Konsonanten spurlos zu verdrängen, 
z. B. serb. banätski : banat; biögradskt: biögrad, krüpski : krüpa, sri- 
jemski : srìjem; mùskî : mûž, pjesäckt : pjesäk, ravanickt : ravànicą (vgl. 
Leskien, Untersuchungen über Quantität u. Beton. in d. slav. Spr. 
166ff., Miklosich, Vgl. Gr. II 278ff.), sl. pogrebski „feralis“, babski, 
p- babski; r. bratskij; serb. ljudskota „humanitas“ (: abg. Lade ,„po- 
pulus“); č. kramska „Ladensitzerin“ : č. kram „Laden“ (aus dem 
Deutschen); č. raska „Schinderin“, rasiti „schinden“; božsky „gött- 
lich“ neben abg. božoskz; r. plaška „Pflugbaum“ aus *plazbsķa, č. 
plaz dss.; r. ljaška „Land“ aus ljazbska : ljaga „Schenkel“. Das 
russische Suff. uska ist eigentlich eine Verschmelzung von zwei 
Suffixen, vgl. r. ljagucha, ljaguša „Frosch“ neben ljaguška, cerömucha 
neben čeremuška, paduska „kl. Schlucht, Kluft“ neben padunz „Ab- 
grund“, padd „Schlucht, Abgrund“; vgl. auch die ganz jungen 
Suffixe in domisko, muzilisko, ovlisko, č. holeska. 

10. Das idg. Formans sk im Albanischen. 

Im Albanischen ist die idg. Lautgruppe sk zu h geworden 
(vgl. alb. he „Schatten“ : ai. chayd dss., G. Meyer, Alb. St. III 59; 
heb „werfe“, hu? „worfle‘“ : lit. szdudyti „schießen“, ae. sceotan 
dss.; hqne, hene „Mond“, idg. *skond-na : aw. sand „sichtbar 
werden, zum Vorschein kommen", sada „Erscheinen, Aufgehen der 
Gestirne“, ai. chandayati chadayati „scheinen“; hal’e „Schuppe“ : ai. 
challi, challi „Rinde, Haut“, vgl. Vaijayanti, p. 46, Z. 26: challitvak; 
hurde „Knoblauch“ : gr. oxógoôov, ai. chardana „Erbrechen be- 
wirkend, Name verschiedener Pflanzen‘). 

alb. eh „schärfe“, uralb. *askiö, mbret. asq, ask „corniere, 
incision, entaille“, cymr. asg des : alb. adete „scharf, herb“, ai. 
asri „scharfe Kante, Ecke, Schneide“, as. eggja „Spitze, Schneide“, 
ahd. ekka, lat. acies, acer, acus usw. 

krahe „Arm, Oberarm“, *karsk- : ai. kara „Hand“, vgl. ai. kisku 
(ZII. VI 111). 

kreh „kämme“, kreher „Kamm“ (G. Meyer, Alb. St. III 8): 
lit. karsziü, karszti „kämmen, striegeln“, abg. krasta „Krätze“, 


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Die verbalen und nominalen sk- und sk-Stämme im Balt.-Slav. und Alban. 209 


mnd. harst „Harke“, nhd. harsch, ai. kasati „reibt, schabt, kratzt“ 
(vgl. Berneker, SI. Et. W. 575). 

ah. „Buche“, arm. haci „Esche“ (ZII. VI 119). 

kohe „Zeit“ aus *kes-ska : abg. časa dss., apr. kīsman dss. 
G = urbalt. z), vgl. Pedersen, IF. V 45, G. Meyer, Alb. St. IMI 3; 
hierzu stelle ich auch ai. ksana „Augenblick“, ig. *k(e)send. Es 
deckt sich begrifflich mit abg. Zostet „Augenblick“. 

leh „belle“, idg. *lösko : ai. rdyati „bellt“, abg. lajati dss., lit. 
löju (vgl. G. Meyer, Alb. St. III 60). 

n-groh „wärme“ aus *guhresko, siehe arm. gor? „aschgrau‘ 
(ZII. VI 124). 

noh, neh „kenne“, *gnösk, lat. (g)nösco, ap. xsnasatiy (vgl. 
G. Meyer, Alb. St. III 17, 60, ferner ZII. VI 106), idg. W. gan 
neben gan. | 

n-dih „helfen“, idg. *dhiskö : aw. day „sorgen, hegen und 
pflegen“ (Bartholomae, Air. W. 724), gao-dayav, gao-dayah, gaoiöya 
„das Rind hegend und pflegend‘“. Eine unhaltbare Vermutung 
über ndih bei Meyer, Alb. St. II 6f. 

11. Formans sk ım Albanischen. 

Idg. sk ist zu alb. sk, sk geworden (z. B. Aber „reiße ausein- 
ander“ : ahd. scöran, G. Meyer, Alb. W. 411). 

baske „zugleich, gemeinsam, zusammen‘, baskön „vereinige“ 
(vgl. G. Meyer, IF. VI 106, Brugmann, Ber. Verh. Sächs, Ges. Wiss. 
1901, 108f.), gr. gdoxwAog „Ränzel‘‘; Hes. Bdoxıoı: deouoi povyá- 
væv und Aaoxevrel dss. deutet Fick, BB. XXIX 199 sehr an- 
sprechend als makedonische Glossen, sodaß 8 = 9 ist; lat. fascia 
„Binde, Band“, fascis „Bund, Bündel“, mir. base „round“ (Arch. 
f. kelt. Lex. III 176), ir. basc „Halsband“ : gr. paxelos „Bündel“, 
aschwed. bagge „Bündel, Packen“, isl. baggi, e. bag „Sack“ (vgl. 
Johansson, o. XXXV1362, Prellwitz? 483). Hierzu gehört auch 
lat. fascinum „Beschreiung, Behexung‘“, eigentlich „Bindung“, 
was ich ausführlich in meiner Arbeit: „Schlingen- und Netz- 
motiv im Glauben und Brauch der Völker, 1912, 17ff., 59 dar- 
gelegt habe. 

blosk „Span, Baumrinde‘“, air. bldesc „squama“, blaesc „shell“, 
mir. blaosg „scale“, cymr. blisg „shells, husks“ (Arch. f. kelt. Lex. 
II 178), lat. flasco „Flasche“, woraus die germ. Worte stammen. 
idg. *bheloi-sk- : gr. goAls „Schuppe“, lat. follis „Balg, lederner 
Schlauch“, ae. bolla „Schale, Gefäß‘, ahd. hirni-bolla „Hirnsehale‘‘, 
bolla „Knospe, kugelrundes Gefäß“, č. blána „Haut, Splint“, klr. 


bolon „Bast, Splint“, r. blona „Häutchen‘“, ai. bhanda „Gefäß“ aus 
Zeitschrift für vergl. Sprachf. LVI 3/4. 14 


210 W. Schulze, Zur Blattfüllung. 


ar. *bhal-nda, pali bhanaka „Krug“ aus *bhalnaka. Über das Suff. 
-nda vgl. Liden, Stud. z. Ai. Sprachgesch. 79f. | 
kreskem „rauh“, me. harsk, ne. harsk „rauh, scharf, herb, 
sauer“, dän. harsk „ranzig, streng, verdorben“, mndd. harsch 
„rauh“ : mhd. hare, har, here „herb“, lit. kartüs „bitter“, pr. 
kartai dss., ai. katu „scharf, beißend“, canda (= *ker-ndo) „heftig, 
ungestüm, grimmig“, gr. xeigw (xaonvaı) „schneide ab“, ai. krnati 
„verletzt“. Davon ist sicherlich zu trennen die lautlich damit 
zusammenfallende jüngere Bildung nhd. harsch „hart“, schw. härsk 


„hart“ : got. hardus, aisl. hardr „hart, stark“, gr. xọatós, ai. ka- 


thina „hart, steif“, lat. crassus „dick, fest, grob‘ aus *krat-to, lit. 
kresnas „stark am Leib“ aus *kret-snas, ai. kar-kara „hart“, das auch 
in den neuind. Dialekten vorkommt, vgl. E. Kuhn, o XXX 354. 

eske „Niere“, *engw-sk : lat. inguen, gr. dëi „Drüse‘‘, aisl. økkr 
„Geschwulst“, schw. ink „Blutgeschwür bei Pferden“ (vgl. Walde, 
L. Et. W.? 386). 


Köln. J. Scheftelowitz. 


Zur Blattfüllung. 
Ai. dih. 

Benfey hat Or. u. Oce. II (1863) 331 gr. reixog toixos mit 
ai. deha „Körper‘‘, dehi „Damm, Wall“, av. pairidaeza ‚Umfriedi- 
gung‘, ai. dih „beschmieren, anstreichen‘“ und weiter mit lat. 
fingo, figulus verglichen. Auf der einen Seite haben wir also die 
Bedeutung „schmieren, streichen“, auf der andern ‚formen, 
bilden‘ : lateres fingere ist gleich unserem „Ziegel streichen“. 
Dieselben Bedeutungen vereinigt in sich auch das gr. dog 
(xogoniddos) mit seinen Kompositen Zunidoosw (Zuniaorgov 
„Pflaster‘‘), xaraniadooeıv. Ulfilas bestätigt die Bedeutungsver- 
wandtschaft von dih und ie, indem er das gr. Verbum seinem 
deigan gleichsetzt, von dem unser — formell griechischem zoixos 
‚entsprechendes — ‚Teig‘ (got. daigs) eine Ableitung ist (vgl. lat. 
liba fingere) Über toch. tseke (= ai. deha) habe ich in den 
Sitzungsberichten der Berliner Akademie 1921, 295f. gehandelt; 
ich füge hinzu, daß kuntis-tsek — ai. kumbhakara ist. W.S. 


Evald Liden, Zur vergleichenden Wortgeschichte. 211 


Zur vergleichenden Wortgeschichte. 


1. Lit. kötas — neupers. zada — arm. Zo, 


Eine unbeachtete zunächst baltisch-iranische Gleichung kommt 
durch folgende Wörter zum Vorschein. Einerseits: 

lit. kötas, Pl. kota? „Besenstiel, Harken-, Sensenstiel; Ruder- 
griff; Messerheft; Stiel, Stengel der Pflanzen“; dazu kotend 
„Stammende, Wurzelende einer Pflanze“ ’); 

lett. kats „Stiel (Besen-, Sensen-, Harken- usw.); (Angel)- 
rute“, „Strumpfbein“ °). 

Und andrerseits: 

neupers. zada „quoduis lignum erectum“, bes. „Besenstiel“, 
„Ruder“, auch „Galgen“, das ein mittelpers. *zäta-k voraussetzt. 

Iranisches x aus idg. qh und balt. k decken sich regelrecht. 
Aus iran. *zata- und balt. köta- ist eine idg. Grundform *ghato- 
zu folgern. | 

Mit dem pers. Worte habe ich in der Zeitschrift der Wiener 
Mechitharisten „Handes amsorya“ XLI 765f. (1927) das seiner- 
seits ebenfalls vereinzelt dastehende arm. rač „Kreuz“, insbes. 
„das christliche Kreuz“ als urverwandt zusammengebracht’). 
Arm. x für idg. gh ist mehrfach sicher bezeugt‘). Begrifflich 
liegt der Vergleich sehr nahe schon weil pers. vada u.a. „Galgen; 
patibulum“ bedeutet, sowie in Rücksicht auf gr. oravodg „Pfahl“, 
hellenist. auch „das Kreuz zur Hinrichtung“; ahd. ruota „Rute, 
Stange“, nengl.rod „Stock, Rute, Stange“, aber aengl. röd „Kreuz“, 
awnord. röda „Stange“ und „Kreuz“; got. galga, aengl. zealza, 


1) Juskevid, Lit. slovaf II 205. 

23) Aus dem Baltischen stammt wahrscheinlich südestn. kuwwas, Gen, küda 
„Beilstiel“, s. V. Thomsen, Beröringer mellem de finske og de balt. Sprog, S. 190. 

Die von Endzelin in Mühlenbach’s Lett.-deutschem Wörterb. II 205 er- 
wähnte aber mit Recht als fraglich bezeichnete Zusammenstellung des baltischen 
Wortes mit lit. kdj@ „Fuß“ bleibt außer Betracht. Ebenso die Kombination 
Herbert Petersson’s in Stud. über die idg. Heteroklisie, S. 262, von lit. kótas 
mit einem begrifflich und lautlich fern abliegenden altindischen Worte. 

3) Frühere etymologische Erklärungen von zad — a.a.0. verzeichnet — 
können als offensichtlich verfehlt hier unberücksichtigt bleiben. — Die gleich- 
lautende georgische Benennung des Kreuzes ist, wie anerkannt, erst mit dem 
Christentum aus dem Arm. übernommen worden. Npers. xaj (aus älterem *xäc), 
das nur das christliche Kreuz bezeichnet, ist ebenfalls dem Arm. entlehnt, s. 
Hübschmann, Arm. Gramm. S. 158, Pers. Stud. S. 227. Aus dem älteren Pers. 
oder direkt aus dem Arm. stammen kurd. xač und türk. xzac, had „Kreuz“. 

4) S. z.B. Meillet, Esquisse d'une gramm. comp. de l’armenien class. S. 16. 

14* 


212 Evald Liden 


awnord. galgi „das Kreuz Christi“, aengl. und awnord. auch 
„Galgen“, vgl. awnord. gelgia (aus *zalziiön-) „Baumstamm, 
Balken“, lit. žalgà „Stange“ usw. 

Die Kombination zrač : pers. xada setzt voraus, daß arm. č für 
ursprüngliches ti steht‘), Nun gehört aber rač der armenischen 
i-Deklination an (Gen.-Dat.-Lok. zadi, Instr. zadiv), was sich mit 
dem Ansatz -ti- scheinbar schlecht verträgt. Diese Schwierigkeit 
löst sich in befriedigender Weise, wenn der Stamm zrači- auf 
idg. *ghat-ie- (urspr. e erscheint bekanntlich als ¿i im Arm.) zurück- 
geführt wird. Seit der anregenden und ergebnisreichen Erörterung 
des Problems der ze Stëmme von Holger Pedersen, La cinquième 
déclinaison latine (1926)°) darf zuversichtlicher, als es eine Zeit- 
lang manchem ratsam scheinen mochte, mit diesem Formans 
gerechnet werden. Es liegt aus lautlichen Rücksichten wohl auf 
der Hand, daß im Armenischen event. einst vorhandene z2-Stämme 
in die arm. i-Deklination aufgegangen sein müssen. Wenn die 
vorgeschlagene Analyse von vač stichhält, ist darin ein bis jetzt 
vereinzeltes Relikt dieser Stämme zu erblicken. 


2. Ein baltisch-iranischer Name der Katze. 


Der normale Name der Hauskatze in der persischen 
Literatursprache ist gurba. Er ist schon im Mittelpersischen 
bezeugt und zwar als gurpak°) oder (mit späterer Verschiebung 
von p zu b nach r) z. B. im Bundahišn gurbak. 

Mittelpers. -ur- kann in solcher Stellung nur ein altpers. und 
uriran. -r- vertreten, woraus zu folgern ist, daß der Anlaut g aus 
ursprünglichem « entstanden sein muß (ein uriran. *grp- würde 
*girp-, *girb- ergeben haben): vgl. z. B. mpers. gurtak, npers. 
gurda = ai. vrkkdu aw. varaöka- „Niere“ ‘). 

Kurd. gürpe „der Kater“ (Mukri), gurbe „le chat" ist dem 
Persischen entlehnt, denn nach der Darlegung von Bartholomae, 


!) Wegen arm. č aus -żį- s. Lidén, Arm. Stud. S. 69f. (1906) über arm. 
kocem „rufe, nenne“ aus * gotið zu got. giban „sagen“. Bezüglich der morpho- 
logischen Beurteilung von Aocem schließe ich mich Meillet, IFAnz. XXII 16, 
Les dial. indo-europ. S.110, an. Vgl. Brugmann, Grundriß II? 3, S. 227; Kluge, 
PBB. XLI 181. 

2) In Det K. Danske Vidensk. Selskab, Hist.-fil. Meddelelser XI 5. 

3) H. Junker, The Frahang i Pahlavik (Heidelberg 1912) S. 82. 

*) S. Hübschmann, Pers. Stud. S. 143f. (über uriran. y im Pers.) und S. 160f., 
KZ. XXXVI 165ff.; Horn im Grundriß d iran. Phil. I1, S. 64 (vgl. S. 30f.). 

5) Houtum-Schindler, Zeitschr. d. d. morgenl. Gesellsch. XXXVIII 84; 
Justi-Jaba, Dict. S. 358. 


Zur vergleichenden Wortgeschichte. 213 


Zur Buchenfrage, S. 9, 10 mit Anm. 2‘), wird ursprüngliches wu 
ım Anlaut echt kurdischer Wörter durch v- oder b- vertreten. 

Die Vorgeschichte des, wie es scheint, auf das Persische 
beschränkten iranischen Wortes ist unermittelt”). Die oben er- 
schlossene arische Grundform *urpa- (*urpa-ka-) führt nun auf 
Verwandtschaft mit dem litauischen vilpiszğs M. „Wildkatze“°). 
Daß vilp- und npers. gurb- sich lautlich decken, wird durch die 
Gleichung lit. vilkas : npers. org (ai. vorka-) „Wolf“ einfach ver- 
anschaulicht. 

Das Suffix -iszia- in vilpiszJs erscheint auch in lit. te 
„eine Klettenart“, takiszis „Lachswehr“, vgl. lasziszd „Lachs“ 
(Leskien, Bild. d. Nom. im Lit. S. 599), oder den Flußnamen 
Lapisze, wahrscheinlich zu Jong „Fuchs“ (Gerullis, Die altpreuß. 
Ortsn. S.254)*). — Der Dorfname Vilpiszia? (Kurschat) ist formell 
der Plur. von vilpiszj7s wie der Dorfname Vilka? von vilkas „Wolf“ 
(wohl eigentlich zu einem Personennamen *Vilkas = apreuß. 
Wilke gebildet). 

Das iran.-balt. *ulpo- wird ohne Zweifel ursprünglich, wie 
noch im Litauischen, die wilde Katze bezeichnet haben, im 
Persischen dann nach der spät erfolgten Bekanntschaft mit der 
Hauskatze auf sie übertragen worden sein. Der pers. Name wird 
übrigens auch von einer Art wilder Katze, gurba i dasti, gebraucht, 
daneben von ähnlichen Tieren wie gurba-dala „Itis, Marder od. 
dergl.“, gurba i abi Otter, — Ebenso wird der germanische 
Name der Katze häufig und zwar gewiß von Anfang an von 
wieselartigen Tieren, Mustelidae, gebraucht, z. B. nschwed. le-katt 
„Hermelin“, dial. utter-katt „Otter“, eig. „Otterkatze“; nnorw. 
röyse-katt (awnord. hreysi-kottr) „Hermelin“, eig. „Steinhaufen- 


1) In den Sitzungsber. d. Heidelb. Akad. d. Wiss., phil.-hist. KI., 1918. 

2) Der Vergleich Fr. Müller’s (Wiener Zeitschr. f. d. Kunde des Morgenl. 
VII 281) von gurba mit arm. kulb „Bieber“ und ai. babhrú- „Ichneumon“ 
spottet aller Lautregeln. Auch die Zusammenstellung Darmesteter’s (Le Zend- 
Avesta II 212) von gurba mit aw. kahrpuna- „ein gew. Tier“ ist falsch, s. 
Bartholomae, Altiran. Wörterb. Sp. 455. 

3) In den Wörterbüchern von Mielcke, MieZinys u. A. belegt. 

4) [Über lit. Kurznamen auf -öszius und andere durch -sz- charakterisierte 
baltische Bildungen Trautmann, Die altpreuß. Personennamen (1925) S. 180.] 

D Der Otter heißt im Pers. auch „Wasserhund* sag i abi (Wollaston) oder 
„Flußhund“ sag i daryä; ersteres bezeichnet zugleich den Bieber. Ebenso im 
Keltischen, wo z.B. ir. dobor-ch% „Otter“ und „Bieber“, cymr. dyfr-gi „Otter“ 
eig. „Wasserhund“ bedeuten. — Vgl. npers. õla „junger Hund‘, öra „Schakal“, 
aber kurd. Züre „Otter“. 


214 Evald Liden 


katze“, oder krit-katt dass", eig. „Weißkatze“. Letztere Tiere 
erinnern in Habitus und Lebensweise tatsächlich nicht wenig an 
die Felidae z. B. die Wildkatze oder den Luchs. 

Es fällt dagegen stärker auf, daß die äußerlich so verschie- 
denen Tiere Katze und Fuchs in der volkstümlichen Namen- 
gebung zusammengehen können. Ein sicherer Fall begegnet in 
kaspischen Dialekten des Persischen: samnäni ruwa, sangsari 
rävå „Katze“') ist lautlich identisch mit schriftpers. röba, ruba 
„Fuchs“ (mpers. röpas, ai. löpagd-). 

Durch diese begriffliche Parallele wird die Glaubwürdigkeit 
der üblichen Zusammenstellung von lit. vilpiszğs mit lat. volpes, 
vulpes, -is „Fuchs“ beträchtlich verstärkt"). 

[Die Zusammenstellung von alb. del nere, dei ne „Fuchs“ mit 
lat. vulpes (Bugge, BB. XVIII 165f.; Vasmer, Stud. z. alb. Wort- 
forsch. I 15, in Acta et Comment. Univ. Dorpat. I, 1921) ist be- 
sonders wegen der ostgegischen Form del’bune lautlich unhaltbar, 
wie Jokl, Linguist.-kulturhist. Untersuch. (1923), S. 297f., 336, 
nachgewiesen hat. Der alb. Stamm ist nach Jokl del’b-, ursprüng- 
lich eine Farbenbezeichnung, idg. *ghel-bho- (vgl. lat. helvus, germ. 
* zel-ua- „gelb“ usw.), also ein „Noa“-Name, der im Alb. einen mit 
Tabu belegten ursprünglicheren Namen des Fuchses verdrängt hat.] 

Hinter die schon vorgeschichtlich fest gewordene Bedeutung 
eines Wortes zurückdringen und eine ursprünglichere erschließen 
zu suchen, ist immer ein mißliches Unternehmen. Dies zuge- 
geben, möge zur obigen Gleichung eine weitergehende Andeutung 
erwogen werden. Tiernamen und Farbenamen stehen bekannt- 
lich häufig in wechselseitigen Beziehungen — was im einzelnen 
Falle prius, was posterius, ist nicht immer leicht zu entscheiden. 
Nun ist die Wildkatze (vilpiszjs) oben gelbgrau, unten rostgelb, 
der Fuchs (volpes) rötlich gelb, oben stärker rötlich, im Winter 
ist er mehr oder minder graugelb. Es scheint daher möglich, 
die betreffenden Wörter mit lit. pa-valpes „gelbsüchtig“, der Form 
nach ein (alleinstehendes) Part. Perf.°), zusammenzubringen. 


1) Arthur Christensen, Le dialecte de Sämnän S. 75 (Det K. Danske Vidensk. 
Selsk. Skr., 7. Række, hist.-phil. Afd. II 4, 1915). 

2) Diese Gleichung vertreten u. a. Fick, Vergl. Wörterb.* I S. 556; Zupitza, 
Die germ. Gutt. S. 16; Walde, Lat. etym. Wörterb.? S. 448, 855; Falk u. Torp, 
Norw.-dän. etym. Wörterb. S. 1329; Persson, Beitr. zur indogerm. Wortforsch. 
S. 504 Anm.; Schrijnen in der Streitberg-Festgabe (1924) S. 336f ; Roland G. 
Kent, Language II 188f. — Das mehrfach mit herangezogene germ. *uulfa- 
„Wolf“ kann hier unerörtert bleiben. 

3) Leskien, Ablaut d. Wurzelsilben im Lit., S. 375, kennt nur diese eine 


Zur vergleichenden Wortgeschichte. 215 


Sonst klingen nur einige bei Gerullis, Die altpreuß. Orts- 
namen (1922) S. 193, verzeichneten baltischen Flußnamen an: 
lett. Vilpene, lit. Velvesa, preuß. (vom Jahre 1354) Walpis. Ob 
die Flüsse etwa nach der gelben Farbe des Wassers benannt 
sind, bleibt ganz zweifelhaft. 


3. Lat. faccilo — nhd. dohle. 

Lat. faccilo, -are bezeichnet den Naturlaut der Drossel. Es 
kommt, nach dem Thes. l. 1., bei Sueton’) und in der Anthol. lat. 
(im Hexameter „Faccilat hinc volitans turdus ...“)°) vor. Sa- 
muelsson, Glotta VI 248, stellt in Frage, ob nicht auch bei Festus, 
S. 508:s (ed. Lindsay, 1913) statt des dunklen fucillantem — var. 
lect. fucilantem, facillantem — besser faccilantem zu lesen sei. 

Unser Verbum gehört zu den vielen Bildungen auf -ilo, 
welche Naturlaute — häufig Vogelstimmen — bezeichnen, wie 
bubilo (vom Uhu), iugilo (von der Weihe), trucilo (von der Drossel), 
trittilo, stritilo, pipilo, mugilo, bombilo, iubilo, sibilo, zinzilo. — Als 
mutmaßliches Grundwort läßt sich *facco oder *faccio erschließen: 
vgl. z. B. pipilo : pipo, pipio; mugilo ` mugio; bombilo : bombio; 
iugilo : iugo. 

Eine altererbte Eigentümlichkeit vieler schallbezeichnenden 
Wörter ist, im Lat. wie in verwandten Sprachen, die Gemination 
- stammschließender Konsonanten: faccilo gesellt sich in dieser Be- 
ziehung zu racco (vom Naturlaut des Tigers), gliccio (von den 
Gänsen), miccio (von den Ziegen), graccito (von den Gänsen), 
soccito (von der Drossel) usw. TL Vgl. sanskr. bukkati „bellt*; gr. 
xaxxáčw „gackern“; nschwed. skrocka a sucka „seufzen“; 
nhd. meckern, uin 
Als voritalische Grundform für cilo läßt sich, von der 
Gemination abgesehen, *dhag- (oder *dhag*-) ansetzen. Das führt 
auf Urverwandtschaft mit ahd. taha, mhd. tahe, spät dach, jetzt 
süddeutsch dahe, dache, dählein, tachele usw. „Dohle“ 4). Aus einem 
altdeutschen *tahala stammt als Lehnwort ital. taccola (mittellat. 
Form. Belege in den Wörterbüchern von Ruhig, Mielcke (im deutsch-lit. Teil, 
S. 219) und Nesselmann (S. 280). 

1) Svetoni reliqviæ ed. Reifferscheid (1860) S. 253; var. lect. facillare. 


2) Anthol. latina I, fasc. II, rec. Riese (1906), 73310 (S. 218); var. lect. 
facilat, faxillat. 

3) [Eine Reihe lautbezeichnender lateinischer Verba mit verdoppelten in- 
lautenden Konsonanten stellt kürzlich Specht, oben LV 6f., zusammen.] 

4) Kritische Zusammenstellung der Formen usw. bei Suolahti, Die deut- 
schen Vogelnamen S. 187f., 190f. [Die für ahd. taka usw. zumeist angesetzte 
Vokallänge (täka) ist unbegründet.] 


916 Evald Liden 


tacula) „Alpenkrähe; Dohle“. Eine abweichende Form zeigt spät 
mittelengl. dawe, daw, neuengl. daw (jackdaw, caddow) „Dohle“ °). 

Mit dem germ. Wort verbindet man seit lange apreuß. 
doacke „Staar“ (-oa- aus urspr. a)”). 


4. Slav. dolga — mhd. zilge. 


Serb. (dalm.) dlaga „Brett zum Schienen gebrochener 
Knochen“, čech. dláha, dlaha „Schiene, Beinschiene; Fußbrett, 
Unterlage des Bodens“; dlaž F. „Pflaster“, dlažka „Fliese“; dlašička 
„Beinschiene“; poln. dłożka „Fußboden aus Brettern“; — serb. 
po-dlaZanj „Reibescheit“, čech. po-dlaha „Boden, Diele“, poln. 
po-dioga „Fußboden aus Brettern“. Slav. *dolga usw. *). 

Berneker, Slav. etym. Wb. I 207, vergleicht damit u. a. die 
germanische Wortsippe awnord. talga „zu-, behauen (z. B. Bau- 
holz)“, talga F. „das Zuhauen, Schnitzen“ (germ. *talzon-), telgja, 
aschwed. telghia, nschw. tälja (*talziia-) „behauen, zuschneiden, 
schnitzen“, agotl. telgia (*talsiiön-) F. „Schnittwunde“; — awnord. 
tialga (*telzon-) F. „dünner Zweig“; mnd. telch, Pl. telge, mhd. 
zelch (*telza-) M. „Zweig, Schößling“, aengl. telga mnd. telge 
mhd. ze/ge (*telzan-) M. „ds.“ usw.‘). 

Da diese in jeder Hinsicht befriedigende Zusammenstellung 
von Trautmann, Balt.-slav. Wb., s. 44, nicht berücksichtigt worden 
ist, möge zur Erhärtung derselben auf die genaue semantische 
Übereinstimmung zwischen slav. dolga in der serb. und čech. 
Bedeutung „Schindel zum Verbinden gebrochener Knochen“ und 
mhd. zil(i)ge (*telziion-) „Schindel, Schiene des Wundarztes“ 
(auch „Rebschoß“), ziligen „schindeln“°) hingewiesen werden. 


Zu dem erwähnten germ. tel5- „schneiden, hauen“ gehört 
nach althergebrachter und gewiß zutreffender Annahme lit. dalgis, 


1) Auf Grund der engl. Form ein urgerm. *dauön- (für *dasuon-) und 
dementsprechend für ahd. zaka ein urgerm. *dahuön- anzunehmen (Murray, 
NED. V 47; Suolahti a. a. O.; Hellquist, Svensk etym. ordbok, S. 290, s. v. 
kaja), scheint mir unzulänglich begründet zu sein. Es ist u. a. mit der Mög- 
lichkeit zu rechnen, daß daw von caw „schreien, krächzen, von Krähen, Raben 
usw.“ sekundär beeinflußt sein kann. 

2) Pott, Kuhn’s und Schleichers Beitr. z. vergl. Sprachf. VI 113; Nessel- 
mann, Thes. linguæ pruss. S. 31; Zupitza, Die germ. Gutt. S. 139; Trautmann, 
Die altpreuß. Sprachdenkm. S. 322. — Vgl. Gerullis, Die altpreuß. Ortsnamen 
(1922) S. 25, s. v. Dachowe. 

3) Torbiörnsson, Gemeinslav. Liquidametathese I 75f. 

+) Vgl. z.B. Fick, Vergl. Wb.* III 1591. 

5) Belege bei Schmeller-Frommann, Bayer. Wb. II 1117. 


Zur vergleichenden Wortgeschichte. 217 


Gen. -io M. (dalge, delge F.), lett. dalgs, apreuß. doalgis „Sense“ °). 
Vgl. zur Bedeutung aschwed., nschw. skära, norw. skjera F. 
„Sichel“ : awnord. skera „schneiden“; — osset. cäwäg „Sichel, 
Sense“ ` osset. cäwin „hauen“; — awnord. sigdr, ahd. segansa 
„Sichel, Sense“ zur Wz. seh- lat. secäre securis, usw. 

Gegen diese Ursprungsdeutung des baltischen Wortes kann 
m. E. die Kombination mit lat. falx „Sichel, Sense“ °) nicht auf- 
kommen. Nur äußerlich besehen erscheint sie verlockend: die 
Wurzelauslaute sind verschieden (balt. g : lat. ei: die Wurzel- 
vokale (bat. a : lat. a) decken sich in solcher Stellung nicht; die 
Gleichung balt. d- und lat. f- stellt nur eine unter den zwei, bez. 
mehreren an sich möglichen Provenienzen von lit. d-, bez. lat. f- 
dar. Die Wahrscheinlichkeit des Vergleiches hängt demnach von 
der begrifflichen Übereinstimmung der betreffenden Wörter ab; 
aber darauf ist in diesem Fall wenig Verlaß in Anbetracht der 
bekannten, in der Geschichte der Sichel und Sense real begrün- 
deten Tatsache, daß die Bezeichnungen dieser Geräte zumeist 
von Sprachzweig zu Sprachzweig, häufig sogar von Sprache zu 
Sprache’) wechseln und sich somit als verhältnismäßig späte 
Namenprägungen der Einzelsprachen verraten. Ich verweise im 
übrigen auf die Kritik, der Niedermann, Essais d'étymologie et 
de critique verbale latines (Neuchatel 1918) S. 22f., die Gleichung 
dalgis — falæ unterzogen hat‘). 

Die seltenen Fälle, wo ein Name der Sichel (Sense) fern- 
verwandten Sprachen gemeinsam ist^), lassen auf frühere nach- 
barliche Beziehungen zurückschließen. Ein wohl wenig beachteter 


1) Fick, Vergl. Wb.? II 382, 739 (1876); Zupitza, Die germ. Gutt. S. 181; 
Falk und Torp, Norw.-därf. etym. Wb. S. 1252; Pedersen, Vergl. Gramm. d. kelt. 
Spr. I 43 (vgl. 106); Walde, Lat. etym. Wb.? S. 239, 269; Berneker, a. a. O.; 
Trautmann, a. a. O.; Endzelin in Mühlenbach’s Lett.-d. Wb. I 434; Brückner, 
Siown. etym. polsk. S. 89. 

2) Mikkola, BB. XXV 74; Hirt, Die Indogerm. S. 684; Junker, IF. XXXV 
276, und als Alternative Trautmann, a.a. 0. (vgl. Trautmann, Altpreuß. Sprach- 
denkm. S. 322). 

3) Z. B. awnord. Zé (neben sögdr), nschwed. Zie „Sense“ : d. sense, engl. scythe. 

14) Niedermann (daselbst, S. 17—36) zieht mit feinsinniger Begründung lat. 
falx zu sikulisch (ligurisch) áyxůov „Sense“ u. a.; vgl. dazu Gamillscheg, 
Zs. f. rom. Phil. XLII 86ff. (XL 517f.); Walde, Wochenschr. f. klass. Phil. 1920, 
S. 375; Vendryes, Revue des &tud. gr. XXXII 498; Hartmann, Glotta XI 259; 
Hobi, Wörter und Sachen, Beiheft 5, S. 26ff.; F. Muller, Altit. Wb. S. 504; 
Schrader-Nehring, Reallex. II 386. 

5) S. z. B. Niedermann, a. a. O.; Schrader-Nehring, a. a. O. Besonders be- 
merkenswert ist die Gleichung akslav. sr8p8, lett. sirps : gr. doen, 


218 Evald Liden 


Fall dieser Art ist von Paasonen zuerst in den Finn.-ugr. Forsch. 
VIII 72ff. (1908) hervorgezogen, dann im Journal de la soc. finno- 
ougr. XXXIV 3, S. 8f. (1920), des näheren begründet worden. 
Nach Paasonen ist mordw. tarvas „Sichel“ — dessen -rv- nicht 
ursprünglich sein kann, wohl aber regelrecht aus ursprünglichem 
-rg- zu erklären ist — mit lit. dalgis und lat. falx mittelbar ver- 
wandt. Innerhalb der finnisch-ugrischen Sprachen steht tarvas 
völlig vereinzelt, und alle oder fast alle sonstigen Namen der 
Sichel und Sense in diesen Sprachen sind anerkanntermaßen 
fremden Ursprungs. Als Quelle des mordw. Wortes setzt P. ein 
urarisches, später im Arischen selbst verschollenes *dhargas voraus. 
Diese Aufstellung dürfte, trotz des Fehlens ganz sicherer Be- 
stätigung arischerseits, in der Hauptsache volle Beachtung ver- 
dienen; nur muß, weil nach dem oben gesagten lat. falx auszu- 
scheiden hat, als arische Grundlage *dargha- (idg. *dolgho-) 
angesetzt werden. — Mit dem von Paasonen vorausgesetzten 
arischen Worte stellt Junker, IF. XXXV 276f. (1915) ein pamir- 
dialektisches lərégūś „Sichel“ zusammen °). 


5. Altpreuß. redo, altengl. wrötan und Verwandtes. 


Apreuß. redo „vorch“ (Vokab.), d. h. „Ackerfurche“ wurde 
früher mit lit. röda, redas „Ordnung, Anordnung“ zusammen- 
gestellt). Dies ist aber ein slavisches Lehnwort, vgl. abulg. redz, 
russ. rjad, auch rjadd, usw. „Reihe, Ordnung“ (damit urverwandt 
lit. rinda „ds.“)’), was von preuß. redo nicht mit gelten kann, 
weil das slav. Wort nie „Furche“ bedeutet. — R. Trautmann, 
Die altpreuß. Sprachdenkm. S. 414, vergleicht redo mit mnd. rat 
(-d-) F., nnd. ra „Reihe“ *), awnord. red F., Gen. radar „Reihe, 
Reihenfolge“, auch „langgestreckter Erdrücken: Moräne“, nnorw. 
ro(d), ra(d) F. (NI „ds.“, aschwed. radh F., Pl. o, nschwed:, 
ndän. rad „Reihe, Reihenfolge; Zeile“. Nun glaube ich aber (in 


1) Vgl. Junker, Drei Erzählungen auf Yaynabi (1914) S. 14; Lidén, Finn.- 
ugr. Forsch. XII 95f. (1912). [Vgl. jetzt auch Morgenstierne in Norsk Tidsskr. 
or Sprogvidenskap I (1928) S. 54.] 

2) Nesselmann, Thes. linguae pruss. S. 147; Fick, Vergl. Wb. II 762, und 
noch Berneker, Die preuß. Spr. S. 316, jedoch mit der Bemerkung „vielleicht 
entlehnt“. 

3) Brückner, Slav. Fremdw. im Lit. S.125 mit Fußnote 195; vgl. J. Schmidt, 
Indogerm. Vocalismus I 61 (II 348). 

4) Auch in deutschen Ortsnamen auf -rad, -radt, -rade, alt -rada, z.B. 
Gewirada, Clutzarada (8. Jahrh.), nach Henning, Anz. f. deutsches Altert. 
XXV 231; vgl. Förstemann, Namenb. II? 1214. 


Zur vergleichenden Wortgeschichte. 219 


„Studier tillegnade Esaias Tegnér“, Lund 1918, S. 585f.) nachge- 
wiesen zu haben, daß dieses Wort zunächst mit einem gleich- 
bedeutenden iranischen zusammengehalten werden muß: npers. 
rada (aus mpers. *rata-k) „series, ordo, acies hominum, animalium 
allarumve rerum, quae uno ordine disposita sunt“ und damit ab- 
lautend ostosset. rad, westosset. radä (aus altiran. *rata-) „Reihe“, 
vgl. ostosset. radigäi, westosset. radugai „der Reihe noach", Die 
Gleichung iran. *rata- (idg. *roto-), *rata- (idg. *röto- oder *rēto-) 
und urgerm. *rado- (oder *rapõ-) schließt die vermutete Zuge- 
hörigkeit von preuß. redo zum germ. Worte wegen der ursprüng- 
lich verschiedenartigen Dentale aus. 

Preuß. redo ist m. E. mit germ. wröt- zusammenzuhalten: 
aengl. wrötan st. Verbum „wühlen, wie Schweine“, mengl. wröte(n) 
auch „nagen, von Würmern“, nengl. wroot, root „wühlen*; mnd. 
wröten Cé = 0) schw. Verbum „wühlen, vom Schwein und vom 
Maulwurf“ (dazu wröte „Maulwurf“); nnd., ostfries. wröten, fröten; 
mndl. wroeten „wühlen; (eine Grube) graben“, nndl. wroeten, dial. 
auch mit Umlaut wruten, vruten; — awnord. röta, Prät. -ada, 
nnorw. röta, aschwed., nschwed. rota, ndän. rode „wühlen, vom 
Schwein“ (isländ. und nnorw. auch „weg-, zusammenscharren; um- 
wälzen, zerstreuen, in Unordnung bringen“). Gemeingermanisch 
ist die besondere Beziehung des Verbum auf das Schwein; daher 
aengl. wröt M. „Schnauze des Schweines“ (auch „Schnabel des 
Elephanten“), ostfries. wrote (wröte, fröte), fläm. wroete F. „ds.“, 
und mhd. rüezel (aus *urötila-) „Rüssel“, eig. von der Schnauze 
des Schweines, sekundär von der spitz zulaufenden Schnauze 
oder Nase anderer Tiere, z. B. der Maus. 

Wie aber das Schwein mit seinem Rüssel die Erde aufwühlt, 
so bricht, wirft sie der Pflug mit seiner Schar auf, zieht darin 
Furchen. Wie nahe diese Vorstellungen sich berühren, das be- 
zeugt z. B. cymr. swch „Schweinsschnauze* und „Pflugschar“ 
oder gr. övvıg „Pflugschar“, das gewiß zu fe gehört”). In Anbe- 


!) Belege bei Hübschmann, Etym. u. Lautl. d. osset. Spr. S.53; Miller, 
Spr. d. Osseten 8.94 ($ 95,26); Arthur Christensen, Textes ossetes (Kopenhagen 
1921) S. 48s, 130. — Begrifilich oder lautlich unannehmbare Etymologien geben 
Hübschmann, a.a.O., und Miller, Oset. etjudy II 88 [sowie Munkácsi, Kel. szemle 
XX 38, NI betreffe des osset. Wortes, Horn, Neupers. Etym. S. 136 (vgl. Hübsch- 
mann, Pers. Stud. S. 66) betreffs des pers. Wortes. Sonderbarerweise ist ihnen 
der Zusammenhang des pers. und des osset. Wortes unter sich entgangen. 

2) Formantisch kann Övvıs von dente [öpvıs?]' Zäre, dooreov Hes., das 
wegen der damit urverwandten akarn. Georg, apreuß. wagnis usw. alt sein 
muß, abhängig sein. Das -vv- erklärt sich einfach durch „expressive Gemina- 


220 Evald Liden 


tracht dieser Tatsache, ist es nun für unseren jetzigen Zweck 
von Interesse, daß ahd. ruoz(z)it Präs.‘) in den paar einzigen Be- 
legen in der Bedeutung „aufpflügen“ und zwar als Glosse zu 
Verg. georg. 197, 123 „(agros) mouit“ und „(terga) suscitat“ er- 
scheint’). Aschwed. roto und mengl. wröte werden, wenigstens 
okkasionell, in der Bedeutung „im Acker graben, vom Acker- 
bauer“ gebraucht’). | 

Hier schließt sich redo „Ackerfurche“* begrifflich angemessen 
an. Lautlich läßt es sich entweder auf *ureda oder, da es nur 
aus der pomesanischen Mundart bekannt ist, eher auf *ureda 
zurückführen‘). Wegen balt. r- aus yr- s. Lidén, Ein balt.-slav. 
Anlautgesetz (Göteborg 1899). 

Die betreffende germ. Wurzel zeigt neben uröt- auch andere 
Ablautsstufen. Auf urgerm. *wrat-, altostnord. *vräta geht alt, 
ndän. vraade, vrode, dial. Jütland vrdd, vrai, vrad usw. „wühlen“ 
allem Anschein nach zurück’). Dahin gehört awnord. rati (aus 


tion“ wie in sénge, ôévvoç, yévva, ßBAgvva, yóvvıeçş usw. (e Meillet, BullSL. 
XXVI 15f.; Kretschmer, Glotta XV 173, u. A.). 

Seit jeher hat man versucht, lat. porca „Furchenrücken‘, ahd. furuh 
„Furche* usw. mit porcus „Schwein“, ahd. farak „ds.“ usw. real zu vermitteln 
(J. Grimm u. A., s. Grimm, DW. IV 1, Sp. 673), was schwerlich ohne weiteres 
abzuweisen ist. Was jenes porca betrifft, kann man überdies sogar im Zweifel 
sein, ob es überhaupt ein anderes Wort als porca „Sau“ sei, wenn man in 
Betracht zieht, daß nhd. range „Mutterschwein* mundartlich (henneberg.) 
„Furche“ bedeutet, vgl. Rohlfs, Arch. f. d. Stud. d. neueren Spr., Bd. CXLVI 
(1923), S. 129, Fußn. 1. 

1) Inf. *ruwozzen — nnd. wröten oder vielleicht *ruozzan = aengl. wrötan. 

2) Ahd. Glossen II 62661, 70. 

3) Söderwall, Ordbok II 267, Oxford NED, s. v. wroot (um 1325), je ein 
Beleg. In beiden Fällen scheinen die resp. Wörter verächtlich gemeint und die 
Wortwahl auch durch die Reimstellung mit bestimmt zu sein. 

+4) Für ursprüngliches ë können etwa die Ortsnamen Ridos (See), Reddos, 
-us (Dorf und See dabei) sprechen, wenn sie mit Gerullis, Die altpreuß. Ortsn. 
S. 142, mit redo „Furche“ zu verbinden sind. 

5) Den Formenbestand des dänischen Verbums (Feilberg, Ordbog over de 
jyske almuesmäl III 1092; Bennike und Marius Kristensen, Kort over de danske 
folkemål S. 91) kann ich im einzelnen nicht ins klare bringen. Ob der bunte 
Vokalismus wenigstens zum Teil auf frühzeitiger niederdeutscher Entlehnung 
beruht? Für den Ansatz jüt. vråđ, Prät. vratt aus *vrăta spricht jedenfalls 
jüt. Råđť, Prät. hatt „hassen“ aus anord. häta; vgl. auch jüt. vrasəl (vråsəl, 
vrøsəl) „Wühlerei*. — Die Zurückführung von dän. vraade, vrode auf urgerm. 
*urēt- (Persson, Beitr. z. idg. Wortforsch. S. 279; Hellquist, Svensk etym. ordbok 
S. 665) entbehrt genügenden Anhalt. — Gegen Falk und Torp, Etym. Wörterb. 
S. 907 ist zu bemerken, daß die dän. dial. Form „vröde“ (jüt. vrøğ) selbst- 
verständlich nicht auf gleiche Linie mit den daneben verzeichneten Formen mit 
urspr. ö gestellt werden darf. 


Zur vergleichenden Wortgeschichte. 221 


* ratan-) M. „der wunderbare Bohrer Odin’s“ (Hávamál), das sich 
zunächst an ält. dän. vraade in der Bedeutung „(eine Radnabe) 
aufbohren“ anschließt‘. — Auf die schwache Ablautsstufe 
urgerm. *urut-, anord. *röt- beruht schwed. dial. (Dalarne, Norr- 
land) röta (rütd, räta usw.) „wühlen, bes. vom Schwein“, fig. 
„große Unordnung anrichten; umrühren; klecksen“”); es ent- 
spricht regelrecht einem anord. *rota, got. *wruton. Dazu stellt 
sich nnorw. rott (germ. *wrutta-) M. „Rüssel des Schweins“, 
auch „vorragender Mund, Maul; platter Felsenvorsprung, vor- 
springender Erdrücken“°); der anorw. Spitzname rottr (14. Jahrh.) 
kann dasselbe Wort sein‘). Die sogen. expressive Gemination, 
hier -t- für -t-, kennzeichnen bekanntlich häufig Wörter solcher 
Bedeutung, denen gern ein geringschätziger Gefühlston anhaftet. 

Wilhelm Schulze hat kürzlich, in dieser Zeitschrift LV 112, 
auf die schlagende Übereinstimmung in der Bedeutung zwischen 
lat. röstrum „Schnauze, bes. des Schweins (auch des Hundes usw.)“ 
und nhd. rüssel (*urötila) aufmerksam gemacht und daraus ge- 
folgert, daß röstrum für *vröstrum mit germ. uröt- „wühlen“ ur- 
verwandt ist. Er stellt sich dann die Frage, ob lat. rödo, wozu 
sonst wohl einstimmig rostrum gezogen wird, unmittelbar gleich 
germ. uröt- sein könne. Er stellt fest, daß es „rostro fodere“, 
„aper fodit (terram)* nach festem Gebrauch heißt, aber z. B. 


1) E. Jessen, Tidskr. for Phil. og Pædag. VIII (1869) S. 225 (vgl. Kalkar, 
Ordbog IV 878); Falk und Torp, a. a. O. S. 908. Diese Erklärung von rati 
scheint mir durchaus einleuchtend. Anders Bugge, Norroen fornkvaedi S. 55b, 
Fußnote; wieder anders Bugge, Stud. over de nord. Gude- og Heltesagns 
Oprindelse 1468 (rati aus spät aengl. ræt „Ratte“ entlehnt); Kahle, Idg. Forsch. 
XIV 180f., und Finnur Jónsson, Lexicon poet. S. 455 (zu awnord. rata „umher- 
wandern; auf etw. stoßen, den Weg finden“; rati eig. „der Wegfinder‘“); vgl. 
Olrik, Danske Studier 1917, S. 52, Fußnote. — Begrifflich passend, aber formell 
anfechtbar Gering, Kommentar zu d. Liedern der Edda 1127: rati eig. „Nager“, 
zu lat. rdo (was angeht, wenn rödo zu germ. uröt- gehört), lat. rädo, aind. 
radati. 

2) Belegt bei Levander, Dalmälet I 68; Sjödahl, Gammal kort stavelse i 
västerdalm. (1922) S. 54; Bucht in Svenska Landsmäl, [Ser.] B. 22, S. 100f.; 
Lindgren in Svenska Landsm. XII 1, S. 112 (er setzt die betreffende Dialektform 
des Verbums dem oben erwähnten dän. voraade zweifellos unrichtig gleich). 

3) Falk und Torp, a.a.0., S. 908. — Torp, Nynorsk etym. ordbok S. 545, 
vermutet für rot eine Vorform *urunt- oder *urantu-, was aber bei Berück- 
sichtigung des erwähnten schwed. Verbums als unnötig und kaum wahrschein- 
lich erscheint. 

4) Lind, Norsk-isl. personbinamn S. 297. Anders K. Rygh, Norsk-isl. Til- 
navne (1871) S.52. — Über anklingende norw. Ortsnamen s. Magnus Olsen, 
Norske Gaardnavne X 185, 459. 


222 Evald Liden 


„rode (benage), caper, vitem“ Ovid, und fügt hinzu: „Darf man 
so verschiedene Dinge wie fodere und rodere einfach zusammen- 
werfen?“ Die tatsächlichen Bedeutungen dieser Verba berühren 
sich allerdings nicht. Man kann aber eine allgemeinere Frage 
stellen: Können so verschiedene Dinge wie „wühlen (fodere)* 
und „nagen (rodere)* überhaupt mit demselben Wort bezeichnet 
werden? Das läßt sich in der Tat bejahen und zwar durch ein 
Beispiel, das sich gerade auf die angezweifelte Gleichung un- 
mittelbar bezieht: es heißt im Mittelengl. nicht nur swyne wroten 
„Sues fodiunt“, sondern auch wormes wroten on pe skin „ver- 
mes rodunt cutem“, a werm that wrotith on the tre „vermis 
qui rodit arborem“ '). Dies wroten und lat. rodo decken sich also 
begrifflich teilweise, rostrum und aengl. wröt „Rüssel“ vollständig; 
nach wie vor dürfen rostrum und rodo zusammengehalten werden‘). 
Wegen weiterer Verwandten von germ. uröt- genügt es hier 
auf P. Persson, Beitr. z. indogerm. Wortforsch. S. 278f., 668, 842, 
hinzuweisen’). Nur möchte ich anläßlich des von ihm mit heran- 
gezogenen slav. *verdo- — abulg. vredü „damnum“, bulg. vredu 
Schaden“, slov. vred „Verletzung, Leibschaden; Geschwür“, russ. 
véred „Geschwür, Eiterbeule“* (vered4 „Schaden“), čech. vřed 
„(Eiter)geschwür“ usw. — auch auf das wohl wenig beachtete 
gr. bwdıyyes‘ ninyal Öyaıuoı Öıaxnexouutvaı. ol dë uwAwnes Hes. 
aufmerksam machen; ursprünglich etwa *uwröd-, Formans wie am 
synonymen ou@dıyy- „blutunterlaufene Strieme, Beule“. Besonders 
wegen der Nebenform dwrıyyes (ebenda) bleibt indessen diese 
Deutung der vereinzelten Glosse einstweilen hypothetisch. 


Göteborg. Evald Liden. 


') NED., s. v. wroot, wo mehrere Belege. 

23) F. Kluge, Etym. Wörterb., hat trotz Einsprüche (von Uhlenbeck, PBB. 
XXVI 307; Hirt-Weigand, Deutsches Wörterb. II 629, u. A.) immer an wahr- 
scheinlichem Zusammenhang von rüssel und lat. rodo festgehalten, freilich ohne 
die Schwierigkeit zu würdigen. 

3) Vgl. Falk und Torp, a. a. O. S. 908; Torp bei Fick, Vergl. Wörterb.* 
III 909; H. Petersson, Balt. u. slav. Wortstud. (1918) S. 52. — Die altherge- 
brachte Zusammenstellung von germ. uröf- „wühlen“ mit awnord. rót, lat. rädız, 
got. waurts „Wurzel“ usw. (Walde, Lat. etym. Wörterb.? S. 639; Kluge, a.a. O., 
s. v. Rüssel; Hirt, Indogerm. Gramm. II 123, u. A.) halte ich für falsch. Ver- 
fehlt ist auch die alte, nicht selten auch neuerdings wiederholte Verknüpfung 
desselben wë mit got. wratön „reisen“ usw. (van Wijk, Franck’s Etym. 
Woordenb. S. 807; F. A. Wood u. A.; über die verwandtschaftliche Beziehung 
des got. Wortes gewiß richtig R. Trautmann, BB. XXIX 308f.; Balt.-slav. 
Wörterb. S. 236). 


Zufälliger Gleichklang. 223 


Zufälliger Gleichklang. 


Es wird zur Zeit auf die den Sprachvergleichern drohende 
Giefahr des zufälligen Gleichklangs von vielen Seiten hingewiesen 
und — von vielen Seiten wenig geachtet. Ein oben, S. 221, 
besprochenes Wort, nnörw. rott „Schweinsrüssel; vorragender 
Mund; Felsenvorsprung usw.“, hat mir eben Anlaß gegeben, jene 
heikele Sache — nicht zum erstenmal — zu überlegen: es klingt 
verführerisch an akslav. rătă „rostrum; apex“, bulg. rătă „Hügel“, 
russ. rot „Mund“, rum. Lehnw. rit „Rüssel“ usw. an.. Sowohl 
Bedeutung als Lautform — wegen germ. tt: slav. ¢ vgl. got. atta : 
slav. otic „Vater“ — laden zu einer Gleichung germ. *rutta- : 
slav. *răto- (event. germ. und vorslav. *ur-) ein! Doch das von 
rott füglich nicht zu trennende schwed. röfa „wühlen“ verwahrt 
dagegen. Meinesteils möchte ich aber nicht den ersten Stein auf 
den werfen, der den Vergleich im Ernst zu SE etwa 
bereit wäre’). 

Andere Lockrufe der „Sirene des Gleichklangs“ mögen ab- 
gehärteten Ohren weniger verlockend erscheinen und finden 
dennoch willige Opfer. Die klassische Paradenummer Aede = 
deus wird wahrscheinlich nie aus dem Repertoire ganz zu ver- 
schwinden brauchen "1 

Die aus weit verschiedenen Sprachen und Zeiten nn: 
den Wörter lykisch lada „uxor“ — serb., russ. lada „Gattin“, 
čech. lada „Jungfrau“ — awarisch (nordkauk.) Aadi, “thladi’ 
„Ehefrau“ werden von mehreren Forschern als in irgend einer 
Weise unter sich verwandt betrachtet”). Es widerstrebt einem 
in der Tat, diese Kombination als ein Irrlicht abzuweisen, man 
wird aber stutzig, da man nachher — von Troubetzkoy, BullSL. 
XXIII 199, Fußn. 1, vgl. S. 193 — mit triftigen Gründen belehrt 
wird, daß awar. Aadi mit den entsprechenden Formen der nächst- 


1) Genau genommen, ist jener Vergleich bereits halb ausgesprochen worden: 
Miklosich verbindet rüfü mit russ. raf „wühlen“ (rylo „Rüssel“), das mit lat. 
ruo „wühlen“ zusammenhängt. Zu ruo zieht Sjödahl, a.a.O., wiederum scheed. 
röta „ds.“ (um das -/- kümmert er sich nicht), freilich ohne dabei an norw. 
rott za denken. 

2) Bartoli, Rivista di filol. class., nuova serie VI (1928), S. 108—117, sucht 
die Gleichung neu zu beleben. 

3) Kretschmer in Gercke und Norden, Einleit. in die Altertumswissensch. 
I576f., u. A. — Gr. Anda und Aar sind nach Kretschmer, Glotta XIV 307, 308 
(vgl. Deecke, BB. XII 137; Fick, Vorgriech. Ortsn. S. 140) einem mit lyk. lada 
verwandten vorgriechischen Worte entlehnt, was sehr wahrscheinlich ist. 


224 Evald Liden 


verwandten kaukas. Sprachen zusammengehalten auf eine Grund- 
form *ze(n)di zurückgeht. Es scheint demnach mit der Gleichung 
lyk. lada — awar. Aadi am Ende nicht besser zu stehen als mit dem 
kuriosen Einfall des alten Engländers: lyk. lada = engl. lady!"). 

Bask. elkar und ndl. elkaar bedeuten beide „einander“; jenes 
ist nach Uhlenbeck*®) aus urbask. *kark-kar, dieses zunächst aus 
elk-ander (nengl. each other, vgl. aengl. elc) entstanden. Dies 
Beispiel hätte gewiß niemand für mehr als einen sonderbaren 
Zufall nehmen wollen, aber nichts bürgt zur Zeit dafür, daß nicht 
alle oder die meisten Anklänge im Grunde ebenso trüglich sind, 
die die Japhetitologen bei den eifrigen und an sich nur aner- 
kennenswerten Bestrebungen verwerten, das Baskische aus seiner 
Isolierung zu bringen. Nur die vage Möglichkeit eines Vergleiches 
besteht bestenfalls, bis sichere lautgeschichtliche und morpho- 
logische Übereinstimmungen zwischen den betreffenden Sprachen 
vorerst etwa nachgewiesen werden können’). 

An die auffallenden Wortpaare altchines. t'i2u „day, daylight“ : 
idg. dieu- (lat. dies usw.) und chines. yong (aus dëng: germ. gang- 
„gehen“ knüpft Karlgren, Philology and Ancient China (Oslo 1926), 
S. 118, einige kurze, aber schlagende methodische Bemerkungen 
an über die Unzulässigkeit, aus dergleichen Zufälligkeiten irgend 
welche Schlüsse auf wirkliche Verwandtschaft zu ziehen. 

Enno Littmann, Lydian Inscriptions I 79 („Sardis“, Vol. VI) 
und besonders in der ZddMG., NF. I 270—281, hat eine Reihe 
„sprachlicher Seltsamkeiten aus Morgenland und Abendland“ zu- 
sammengestellt. Unter seinen Beispielen mögen zwar einige 
harmlos und nur komisch erscheinen, andere aber geben dabei 
zu ernsten Betrachtungen Anlaß, insofern sie bei der Ergründung 
sprachlicher Zusammenhänge zu verhängnisvollen Trugschlüssen 
geführt haben. Zufälligkeiten wie guatemalisch ruká „Hand“: 
russ. rukd „Hand“ oder tigre sənsən „die Zinsen“ werden wohl 
Niemanden beirren, ob aber dasselbe von Littmann’s Beispiel 


1) Sharpe 1841 (nach Kretschmer, Einl. in die Gesch. d griech. Spr., S. 372, 
zitiert). 

2) Mededeel. d. Ak. van Wetensch., afdeel. letterk., deel LXIII, ser. A, 
no. 6 (1927). 

3) Uhlenbeck, Over een mogelijke verwantschap van het Baskisch met de 
Palaeo-Kaukasische talen (in den soeben erwähnten Mededeel., deel LV, ser. A, 
no. 5, 1923), gibt eine vorzügliche kritische Übersicht der beachtenswertesten 
Resultate der baskisch-kaukasischen Forschung nebst einem Verzeichnis der 
vorzugsweise in Betracht kommenden Wortgleichungen. [S. jetzt auch Pokorny 
in Ebert’s Reallex. d. Altertumsk., Art. Iberer, S. 5f#.] 


Zufälliger Gleichklang. 295 


telugu (drav.) pampu „schicken“ : gr. n&unw gilt, ist gar nicht 
sicher: die Anhänger alter dravidisch-indogermanischer Zusammen- 
hänge nehmen nicht verlockendere Anklänge als bares Geld, z. B. 
kanares. kawi „Höhle“ neben lat. cavus; tamil. alai „schwanken“ 
neben gr. dAdouaı’); kanares. migilu „groß“ neben gr. ueydio- 
(dazu kanares. male „Berg“, alb. mal’ „ds.“ und viel anderes) °). 

Ein paar Fälle seltsamer Ähnlichkeit mögen noch hinzu- 
gefügt werden. 

Die Städte georg. Tp'ilisi „Tiflis“ und čech. Teplice „Teplitz“ 
sind beide nach den heißen Quellen in ihrer Nähe benannt; jener 
Name ist von georg. tpili, tbili (iber. tubu, tibu) „warm“ abge- 
leitet”); dieser ist čech. teplice „heiße Quelle“ (slav. teplo- „warm“). 
Forscher, die uralte kharthwelisch-idg. Berührungen annehmen, 
können freilich hier Zufall ablehnen. | 

Bei finn. liian „zu viel“: gr. Alav „ds.“ *); mingrel. luri „Schlaf“ : 
schwed. lur „Schläfchen“; türk. göl „Teich, See“ : schwed. göl 
„Pfütze“ (mhd. gülle „ds.“); bask. baso „Wald“ : norw. dial. base 

„Gebüsch, Gehölz“°) u. ä. ohne Zahl brauchen wir uns nicht 
mehr aufzuhalten. — Auch Fälle wie afgh. kara „großes hölzernes 
Gefäß“ : scheed, kar „ds.“ (germ. *kaza-, got. kas) oder ormurī 
(iran.) mil-iz „Apfel“: en milon (ufAov) „ds.“, wo doch die 
Glieder der Gleichungen zweifellos verwandten Sprachen an- 
gehören, schreiben wir ohne Zögern auf Rechnung des Zufalls, 
weil sie feststehenden Lautentsprechungen zuwiderlaufen. 

Nicht gleich einfach erledigt sich der recht auffallende An- 
klang von pers. dial. (ka, samn.) varg u.ä. „Wolf“ an scheed, 
norw. varg, awnord. vargr „Wolf“. Wenn die Wörter beiderseits 
vereinzelt dastünden und uns nur in ihrer heutigen Form und 
Bedeutung vorlägen, würde etwaige genetische Gleichsetzung 
derselben als in jeder Hinsicht wohlbegründet erscheinen. In 
Wirklichkeit aber trifft bekanntlich das iranische Wort über 
urarisch *urka- (ai. vrka-) und idg. *ulg*o- (vgl. lit. vilkas) mit 
skandin. uw (nhd. wolf) zusammen, und skand. varg ist seiner- 
seits ein rel. später „Noa“-Name des Wolfes; die ältere und ur- 
sprüngliche Bedeutung ist „Geächteter, Räuber, Verbrecher“. 


1) R. Caldwell, A comp. Grammar; A. C. Schoener, Altdrawidisches (1927) 
S. 49. 2) Tagliavini in Caucasica III An (1926). 
8) Deeters, Caucasica III 52. 
1) Von Elias Lönnrot seinerzeit im Ernst verglichen. ` 
H Das bask. Wort hat man mit kaukas. (lakisch) vazca „Wald“ usw. 
verbunden (vgl. Uhlenbeck a. a. O., S. 24), ob zutreffender?? 
Zeitschrift für vergl. Sprachf. LVI 3/4. 15 


226 W. Schulze, Lesefrüchte. 


Andrer Art ist der Anklang schwed., norw. purka „Sau“ : 
lat. porca „ds.“ Ersteres — in den Mundarten weit verbreitet 
und schon im Awnord. (als Schimpfname) bezeugt — wurde 
früher unbedenklich als lat. Lehnwort betrachtet‘), Verschiedene 
Umstände machen aber einen Zusammenhang zum mindesten 
sehr unwahrscheinlich °). 

— — Ich erlaube mir, diese zerstreuten Bemerkungen mit 
den Worten Hugo Schuchardt’s, des gewaltig umspannenden 
Sprachvergleichers zu beschließen: „In der Annahme und Ab- 
lehnung des Zufalls herrscht bei den Sprachforschern 
viel Willkür; wir müssen uns bemühen, die Wahrschein- 
lichkeiten genauer abzuschätzen’).“ 


Göteborg. Evald Liden. 


Lesefrüchte. 


11. Verbindungen wie „sich satt essen“ sind im Deutschen 
seit Otfrid III 24,46 belegt. Behaghel, D. Synt.1 712. Ein Gen. 
part. kann dabei stehen, wie in der von Behaghel aus R. V. 585 
zitierten Stelle wan ik mi honiges sat mochte eten (vgl. Steinmeyer, 
Ahd. Sprachdenkm. 125,1 so ez sat ist misselihes). Der Gote zieht 
aber eine andere Konstruktion vor: Le XV 16 sad itan haurne 
xooraodivaı èx von xegario» (also mit Unterdrückung der gr. 
Präposition, o. LV 120'). Sie findet ihr Seitenstück im Rgveda: 
X 116,1 piba mädhvas trpdd indrå vrsasva „trinke dich am Soma 
satt, Indra“ (wo trpdt zu piba wie zu d vrsasva gezogen werden 
kann, vgl. IH 32, 2). Daneben ist auch der Akk. zulässig, sömam 
abhängig von trpdt pibati II 11, 15. 22,1. Wie frpdt, wird auch 
sad ein Neutrum adverbialer Funktion sein. — Zufälligerweise 
fehlt grade das formelhafte Gendt pibati des Rgveda (außer an den 
schon angeführten Stellen noch II 36, 5) bei Gaedicke, Akk. im 
Veda 224 und Delbrück, Vgl. Syntax 1611. 

12. Menschen, die an schwerer Krankheit dahin siechen, 
nennt ein Epigramm bei Diog. Laert. VIII 61 (AP. VII 508) 
uoyegooioı uagaıvou£vovs xaudroroı (Diels, Poetae philos. 167). 
lst das eine Illustration zu der Etymologie des lat. morbus, dessen 
b suffixal sein kann wie das in verbum? WS. 


1) So noch Falk und Torp, Norw.-dän. etym. Wörterb. S. 859. 

2) Faröisch purka bezeichnet auch „junges weibliches Schaf“; vgl. nnd. 
dän. purk „Knirps“ u. a., s. Torp, Nynorsk etym. ordbok S. 503. 

3) Sitz.-Ber. d. preuß. Ak. d. Wiss. 1917, S. 158. 


Richard Loewe, Die indogermanische Abtönung. 227 


Die indogermanische Abtönung. 


Daß die idg. Abtönung nicht auf dem exspiratorischen 
Akzent beruht, folgt vor allem außer aus Formen wie gr. oľôe, 
sr6öe, ndöes gegenüber edpowv neben por» aus den flexionslosen 
Wörtern, von denen die enklitischen wie Size (ai. ca, gr. te, lat. 
que), "uge (lat. ve, gr. ne aus *n-rE) so gut wie die orthotonen wie 
*gueks (gr. Gë, res, lat. ser, got. saihs), *ghies (gr. x9&s, wozu lat. 
heri usw.) das e gewahrt haben. Daß auch vortoniges e erhalten 
blieb, zeigt *septm (ai. saptd, gr. ntd, lat. septem). Daher kann 
überhaupt nur der vom exspiratorischen Akzent unabhängige 
musikalische Akzent Ursache der Abtönung sein. Nun weisen 
aber einige flexionslose Wörter neben e auch o auf; insbesondere 
stehen so neben einander *preti (lett. pret, osk. pert, pamphyl. 
wegr-Edwxe, Kol. roés) und *proti (abg. proti, kret. mooti, gr. mọós) 
sowie gr. &nl und osk. úp, op, lat. ob. Da jede Silbe nur einen 
einzigen musikalischen Wortakzent hat, wohl aber im Satze bald 
höheren, bald tieferen Ton tragen kann, so ist die Doppelheit 
aus dem musikalischen Satzakzent herzuleiten. 

Durch diese Annahme gewinnt man auch eine einheitliche 
Erklärung für die Abtönung der nichtinterjektionellen flexions- 
losen Wörter und die der Interjektionen und Vokative, die ja 
entweder überhaupt einen Satz für sich allein oder einen Schalte- 
satz bilden. Freilich besteht ein gewichtiger Unterschied darin, 
daß die verschiedenen Tonhöhen bei den Interjektionen und 
Vokativen wohl in. allen Sprachen nur aus den verschiedenen 
Stimmungen hervorgehen, bei fast allen anderen Wörtern zwar 
auch von der jeweiligen Stimmung abhängen (Bremer, Deutsche 
Phonetik § 197), zugleich aber auch von der Art des Satzes, je 
nachdem derselbe Aussagesatz, Fragesatz, Befehlssatz oder Aus- 
rufungssatz ist, ferner von der Stelle, an der sie im Satze stehen, 
und vor allem von dem den einzelnen Sprachen und Mundarten 
eigenen Tonfall, der Satzmelodie, bestimmt werden. Wie sehr 
auch die Stelle, die ein Wort jeweils im Satze hat, die musika- 
lische Betonung beeinflußt, kann man an einzelnen Tonsprachen 
ermessen, d. h. solchen Sprachen, in denen die Tonhöhe eines 
Wortes seine Bedeutung mitbestimmt. So wird in der Jaunde- 
Sprache (in Kamerun), in der z. B. fo mit Hochton „Wunde“, 
aber fo mit Mittelton „Maus“, fa mit Tiefton „das Buschmesser“, 
aber fa mit (geschleiftem) Hochtiefton „wachsen“ bedeutet, in der 
fließenden Rede der Mittelton zum Hochton und der Tiefton 

15* 


228 | Richard Loewe 


zwischen zwei Hochtönen zum Mittelton (Nekes, Lehrbuch der 
Jaunde-Sprache S. 24f.). Um wie viel leichter muß eine solche 
Beeinflussung da sein, wo wie indogermanisch die Wortbedeutung 
vom musikalischen Wortakzent unabhängig ist! 

Die Satzmelodien der einzelnen Sprachen und Dialekte unter- 
scheiden sich vor allem durch die Größe der Intervalle, die z. B. 
bei den einzelnen deutschen Mundarten außerordentlich ver- 
schieden ist (Bremer a. a. O.). Das Indogermanische, in dem e 
unter dem Tiefton o geworden ist, wird zu den Sprachen mit 
sehr großen Intervallen gehört haben. War das aber der Fall, 
dann wird sein musikalischer Wortakzent in besonders starkem 
Maße dem Einflusse des musikalischen Satzakzents unterlegen sein, 
d.h. es wird fast jede seiner Silben bald Hochton, bald Mittelton, 
bald Tiefton getragen haben. Auf diese Weise werden fast bei 
allen Wörtern, die ein e enthielten, Nebenformen mit o entstanden 
sein. Nichts war dann aber natürlicher, als daß die gleichbedeu- 
tenden Formen mit e und mit o durcheinandergerieten. Daher 
sind bei einigen flexionslosen Wörtern e und o noch neben ein- 
ander vorhanden. Zahlreicher freilich sind diejenigen flexions- 
losen Wörter, von denen sich nur Formen mit e erhalten haben. 
Hierhin gehören besonders die Zahlwörter *peuk?e, *sueks, * septm, 
*néum, *dekm, die Präpositionaladverbien *éģs, *peri, *medhi, das 
Zeitadverb *ghids, die Negationen *né, *nd, *mö, die Konjunktionen 
Zoe, *we. Bei diesen Wörtern werden die Formen mit o bald 
verschwunden sein, weil sie als die ursprünglich nur dem Tiefton 
zukommenden seltener als die zugleich dem Hochton und dem 
Mittelton eigenen mit e waren. Die Ursachen der Erhaltung des 
o bei einzelnen flexionslosen Wörtern entgehen uns, weil wir die 
idg. Satzmelodie nicht mehr rekonstruieren können. 

Bei den flektierten Wörtern mit o neben e standen überall 
verwandte Formen in Wechselbeziehungen, so daß hier Aus- 
gleichungen nach ganzen Systemen eintreten konnten. Doch 
zeigt sich auch hier in der Erhaltung von o neben e in Endungen 
gleicher Funktion wie in der von -mos neben -mes in der 1. Pl. 
und in der von -os neben -es im Gen. Sg. noch eine deutliche 
Spur des einstigen idg. musikalischen Satzakzents, unter dessen 
Wirkung eine und dieselbe Silbe bald Hochton oder Mittelton, 
bald Tiefton trug. Im übrigen hat es auch bei den flektierten 
Wörtern der Umstand, daß Hochton und Mittelton zusammen 
häufiger als der Tiefton allein vorkamen, zur Folge gehabt, daß 
sich die Ausgleichung größtenteils auch bei ihnen zu Gunsten des 


Die indogermanische Abtönung. 229 


e vollzogen hat. Wo hier o durchgedrungen ist, kann das nur 
unter begünstigenden Bedingungen geschehen sein. Unsere Auf- 
gabe aber ist es, diese Bedingungen zu finden. 

Unter den Abtönungserscheinungen fällt besonders die Ver- 
schiedenheit des Themavokals je nach Person und Numerus auf. 
Noch eigentümlicher ist aber die bisher noch nicht beachtete Tat- 
sache, daß einige athematische Präsentia in der Färbung ihres 
Wurzelvokals einen derjenigen des Themavokals parallelen Wechsel 
aufweisen. Wenn sich hiervon nur wenige Reste erhalten haben, 
so erklärt sich das daraus, daß die einheitliche Bedeutung der 
Wurzel und des Tempus auf weitere Ausgleichung hindrängte. 

Bei der Wurzel *es zeigt sich ein Wechsel der angegebenen 
Art noch im Angelsächsischen, wo er am vollständigsten nor- 
thumbrisch erhalten ist. In Betracht kommt hier zunächst die 1. Sg. 
am. Bei diesem am wie auch bei der 1. Sg. north.-mere. dóm 
fällt außerdem auf, daß es keinen i-Umlaut hat: haben aber beide 
Formen kein ausl. - besessen, so stammen sie aus dem Injunktiv. 
Injunktivformen im Ind. Präs. kommen ja auch sonst vor (Thurn- 
eysen, 0. XXVII 174) und mögen hier besonders bei athematischer 
Flexion verbreitet gewesen sein, wo sie griechisch in der Redu- 
plikationsklasse regelmäßig in der 2. Sg. (Tl9ng usw.) erscheinen. 
North. am aber kann nur auf idg. "oam zurückgehn, dessen s 
sich dem m schon assimiliert haben muß, bevor germ. m in um 
überging. War aber am ursprünglich eine Injunktivform mit ab- 
getönter Wurzelsilbe, dann wird auch noch eine zweite Form der 
Wz. Zeg im Northumbr., die 3. Pl. arun, aron für eine solche zu 
halten sein. Dies arun beruht auf idg. *os-nt, das aus einem aus 
*s-ńt wiederhergestellten *es-nt (vgl. die Wiederherstellung des e 
z. B. in gr. &or£) abgetönt worden ist. Vorgerm. idg. lautete es 
*s-nt für sonstiges idg. 3-Ent (ai. san, wozu homer. 3. Sg. Imperf. 
Zen, wofür dor. 7» noch 3. Pl.) mit d auch nach einem Kon- 
sonanten wie in der 3. Pl. Praeter. (vgl. got. gebun). 

Auch die allgemein ags. 3. Sg. is wird eher auf eine inti: 
form *est als auf eine Präsensform *esti zurückgehen, da sich so 
der Schwund des € leichter begreift; unbetontes germ. e wurde 
ja unter allen Umständen zu ¿. Auch die north. 2. Sg. is kann 
ebenso gut auf injunktivischem *es wie auf präsentischem *esi 
beruhen. Die gewöhnliche north. 2. Sg. ard kann schon wegen 
ihres (aus z entstandenen) r vor d nur Analogiebildung nach dem 
für alle drei Personen geltenden Pl. arun sein, der wegen seines 
-un mit den Präteritopräsentien assoziiert war; die ursprüngliche 


230 Richard Loewe 


Endung der 2. Sg. der Präteritopräsentia muß aber -4 (-th) aus 
idg. -tha gelautet haben. Die Neubildung erklärt sich aus dem 
Bedürfnis nach Scheidung der 2. Sg. (nur noch selten is) von der 
häufigeren 3. Sg. (is). Jedenfalls steht hier also deutlich idg. e 
in der 2. Sg. und 3. Sg. dem idg. o in der 1. Sg. und 3. Pl. der 
Wurzelsilbe gegenüber ’'). 

North. arun findet sich in aschwed. aru wieder. Gewöhnlich 
lautet die aschwed. Form æru wie aisl. stets ero mit Angleichung 
an das idg. e der 2. Sg., 3. Sg. und 2. Pl. In die 1. Pl. aschwed. 
cerum, aisl. erom ist dies e durchweg eingedrungen‘) wie auch 
in die 1. Sg. aschwed. «em, aisl. em (das e mußte hier germ. wie 
in der 2. und der 3. Sg., die runisch noch is lautet, im einsilbigen 
Enklitikon zu werden, ist aber überall nach dem Pl. wieder- 
hergestellt worden; vgl. Noreen in Pauls Grundr. I? 638). Die 
seltene aschwed. 3. Sg. ar ist nach aru gebildet worden, wie denn 
auch schon das r dieser Form aus der 3. Pl. stammen muß so 
gut wie aisl. er für älteres es (Noreen a. a. O.). 

Wie im Northumbr. so gehören bei der Wurzel *es auch im 
Lateinischen einerseits die 1. Sg. (sum) und 3. Pl. (sunt), andrer- 
seits die 2. Sg. (es) und 3. Sg. (est) ihrer Formation nach enger 
zusammen. Zur 1. Sg. und 3. Pl. stellt sich hier aber auch noch 
die 1. Pl. (sumus), zur 2. Sg. und 3. Sg. die 2. Pl. (estis). Das 
ist genau das gleiche Verhältnis beim Wurzelvokal, wie es beim 
Themavokal etwa zwischen gr. 1. Sg. &eyov, 1. Pl. &A&youer, 
3. Pl. &Aeyov einerseits und 2. Sg. eyes, 3. Sg. čAeye, 2. Pl. gâd- 
yere andrerseits besteht. Um aber lat. sum, sumus, sunt (sont) 
mit north. am, arun zu vereinigen, braucht man nichts weiter 
als einen Wandel der Injunktivformen *osm, *osmos, *osnt zu 
*som, *somos, sont durch Metathesis anzunehmen. Daß ein Vokal 

1) Merc. eard, earun entsprechen lautlich north. ard, arun; mere, eam 
ist danach aus am umgebildet worden. Westsächs.-kent. eart ist nach den 
Präteritopräsentien erst geschaffen worden, als diese in der 2. Sg. € für -d all- 
gemein durchgeführt hatten; daß das Westsächs. und Kent. auch einmal *earon 
kannten, wird durch ihr sindon, die Kontaminationsform ihres sind und *earon, 
erwiesen. Altwestsächs. eom für (hier seltenes) eam beruht wohl (als dom) auf 
Einfluß von béo. | 

?) Aisl. wurde nach dem Verhältnis von vitom zu vitob usw. zu erom 
die 2. Pl. erop geschaffen. Daß diese Umbildung schon alt war, zeigen ahd. 
birum, birut, die ja den aisl. erom, erop, bis auf das vorgetretene b- lautlich 
entsprechen. Daß auch dirum eine ursprüngliche Injunktivform ist, ergibt sich 
daraus, daß es (nach Braune, Ahd. Gr.? 8379 Anm. 3) eine Nebenform piramis, 


Dirames nur in solchen Quellen aufweist, die auch sonst den Bereich des 
indikativisch-präsentischen -mës ausdehnen. 


Die indogermanische . Abtönung. 231 


mit folgendem. s umgestellt werden kann, zeigt gr. (tà) wırıdaıa 
aus motáxiæ (Lobeck, Path. Gr. I 492), und daß dies auch im 
Anlaut. vorkommt, nhd. oberbair. si aus is „es“ (Schmeller-From- 
mann JI 204). In unserem Falle wird die Umstellung von o und 
s besonders dadurch veranlaßt worden sein, daß sich s vor Nasal 
nicht gerade bequem sprechen läßt, wie aus den häufigen Assi- 
milationen von sm zu mm und von sn zu nn hervorgeht. Ähn- 
lich schwand ja auch im Latein selbst später s vor Nasal mit 
Ersatzdehnung des vorhergehenden Vokals (cömis aus cosmis, ca- 
nus aus. *casnos usw.). Natürlich konnte das vor Nasal stehende 
s leichter mit einem ihm vorangehenden anlautenden als inlauten- 
den Vokal den Platz tauschen, da es ın letzterem Falle mit dem 
Konsonanten, der dem Vokal voranging, zu einer (auch nicht 
immer leicht sprechbaren) Konsonantengruppe zusammentreten 
mußte. Auch war das s in *osm und *oszt nicht bequemer als 
das in *osmos zu sprechen, wie denn sonantische Liquiden. und 
Nasale sogar selbst mit einem vorangehenden Konsonanten um- 
gestellt werden können, um gleichfalls konsonantisch zu werden 
und so eine leichtere Gruppierung der Laute herbeizuführen: so 
in nhd. md. dornstag aus donerstac (d. h. .donrstac), ags. frenz aus 
Sreszn, ags. worms aus worsm (Brugmann, Grundr. 1” S. 864); auch 
bei Wandel von *osm und *osat in *som und sont ist der sonanti- 
sche Nasal konsonantisch geworden. 

Daß die Metathesis bei *osm schon uritalisch war, zeigt osk. 
súm (neben 3. Sg. est, ist, umbr. est). Die 3. Pl. osk. sent, set, 
umbr. sent aber wird mit Recht auf idg. *s-enti (ai. santi, got. 
sind) zurückgeführt und steht wahrscheinlich als ursprüngliche 
Präsensform neben der ursprünglichen Injunktivform lat. sont wie 
die ursprüngliche Präsensform got., as. sind, ahd. sint, neben der 
ursprünglichen Injunktivform north. arun, ‚aschwed. aru. Der 
Anklang von lat. sunt, sont an abg. sat kann zufällig sein, da 
soft vielleicht nur nach berati usw. aus idg. *senti umgestaltet 
worden ist (Sommer, Lat. Laut- u. Formenl. ° § 345, 1 Anm.). Aber 
auch wenn abg. sai auf ein neben idg. *s-énti bestehendes 
*s-ónti zurückgeht, braucht für lat. sont nicht dasselbe zu gelten. 
Doch bleibt auch für den Fall der Identität von lat. sont und 
abg. sot meine Erklärung von lat. sum und sumus bestehen, da 
Brugmanns ‘Annahme, Grundr. II®,3 S. 95, daß sich lat. sum, 
sumus sowie osk. súm nach einem urital. *sonti gebildet hätten, 
keinen Aufschluß darüber gibt, warum denn nicht auch die übrigen 
Personen sich an *sonti angeglichen haben, dem doch obenein 


232 Richard Loewe 


die 2. Pl. und die 3. Sg. funktionell näher als die 1. Sg. standen. 

Ist auch das italische Präsens der Wz. *es wegen north. arun 
höchst wahrscheinlich für einen Injunktiv zu halten, so steht 
doch sonst nichts der Auffassung desselben als eines ursprüng- 
lichen Präsens im Wege, da ein *osmi zu *somi werden konnte 
und *somi dann sein -i verlieren mußte. 

Reste eines Wechsels von abgetöntem und nicht abgetöntem 
Wurzelvokal, die dem beim Themavokal parallel gehen, finden 
sich wenigstens germanisch auch noch bei der Wurzel *dhe, die 
im Sg. Ind. Präs. mhd. mfränk. als don, deis, * deit, mnd. als do, 
deist, deit flektiert; im Plural kennen beide Dialekte nur ö-Färbung, 
die für das übrige Westgerm. auch in der 2. und 3. Sg. gilt. Die 
Formen mit ei finden sich da, wo auch die Wurzeln *ĝhē und 
*stä (die sich germanisch nach *gha gerichtet hat) in Abweichung 
von der 1. Sg. solche mit ei bieten (mhd. mfränk. gän, geis, geit; 
mnd. gä, geist, geit'); sie müssen also im Zusammenhang mit 
diesen erklärt werden. Mit Recht bestreitet aber Streitberg, Zur 
germ. Sprachgeschichte 97f., daß deis, deit analogisch nach geis, 
geit gebildet worden seien, da weder Form noch Bedeutung Be- 
rührungspunkte ergäben. Streitbergs eigene Erklärung trifft aber 
nur insofern das Richtige, als er in deis, deit Formen des Wurzel- 
präsens mit später angetretenem Themavokal sieht. Seine Zurück- 
führung derselben auf urgerm. *döizi, "datt scheitert mit seiner 
Theorie, daß sich urgerm. o zu ai entwickelt habe”). In Wirk- 

1) Die Formen deis, deid, steig, steid werden schon altsächsisch die ge- 
wöhnlichen gewesen sein, obgleich von ihnen nur steig und dies auch nur 
M 4349 und auf der Münzinschrift bezeugt ist (gän ist as. meist durch gangan 
ersetzt). As. 2. Sg. däs, duos, 3. Sg. dog, duod, doit 2. Sg. stes, 3. Sg. sted, 
städ, deren mittelniederdeutsche Entsprechungen (döst, dëst: döt, döt; stäst; 
stat, stet) seltener sind als mnd. deist, deit, steist, steit, beruhen auf dem Ein- 
fluß der anglofriesischen Oberschicht des altniederdeutschen Volkes, die es ge- 
wohnt war, bei diesen Verben auch die 2. und 3. Sg. im Einklang mit den 
übrigen Personen mit dunklem Vokal zu sprechen. Die altsächsischen Formen 
solcher Herkunft sind ja später bisweilen sogar ganz den eigentlich nieder- 
deutschen wieder gewichen, wie sich z. B. für as. ödar, ädar, andar mnd. nur 
noch ander findet (vgl. Bremer, Ethnographie 860ff.; Verf., Germ. Sprachw. 
11? 28f.). 

£) Si Beispiel für den Wandel von germ. haupttonigem primären oi zu 
ai gibt Streitberg 93 nur got. aiws usw., wo õi auf idg. äi (vgl. lat. aevom, 
gr. aiov, ai. ãyúš) zurückgehen soll; doch ist hier ai im Germ. wahrscheinlich 
längst vor dem Wandel von idg. & zu ö im Zusammenhang mit dem Lateinischen 
und Griechischen zu ai gekürzt worden. Haupttoniges sekundäres öt aber will 
Streitberg (außer in mfränk. deis, deit) in got. maiza usw. und aisl. fleire 
sehen; doch ist bei maiza die Herkunft des oi sehr zweifelhaft (Brugmann, 


Die indogermanische Abtönung. 233 


lichkeit sind deis, deit vielmehr mit Wilmanns, Deutsche Gr. II, 1 
§ 33,4 als Bildungen von der nicht abgetönten Wurzelform *dha 
mit den Endungen des thematischen Verbums aufzufassen. Doch 
braucht der Antritt des Themavokals erst geschehen zu sein, 
nachdem idg. 2 deutsch zu o geworden war; kontrahiertes ai 
konnte dann über ai zu ei führen. Gleichzeitig mit *dasi, *dädi 
wurden aber *gasi, *gädi (noch in ahd. gas, gät) durch den Thema- 
vokal erweitert: daher geis, geit wie deis, deit. Mfränk. deis, deit 
verhält sich also genau so zu gr. tins, tidnoı wie mfränk. geis, 
geit zu gr. *xixns, *aiynoı (aus hom. xıynuevaı zu erschließen) ^. 

Für den Sg. Präs. von idg. *dha ergibt sich also die Flexion 
* Jhömi, *dhesi, *dheti. Dabei kann *dhömi nicht etwa auf Ana- 
logie nach den thematischen Präsentia beruhen: nach *bheresi, 
* bhereti zu *bhér hätte sich zu *dhösi, *dheti nur *dhö gebildet‘). 
Wenn im Plural des germ. Präsens von *dhe durchweg 5 er- 
scheint, so wird hier wahrscheinlich idg. dialektisch zunächst die 
Schwundstufe durch die Vollstufe ersetzt worden, dann aber e 
zu o abgetönt worden sein, das in der 1. Sg., 1. Pl. und 3. Pl. 
durchdrang. Germ. wurde dann o auf den ganzen Plural aus- 
gedehnt. Da so 5 ein Übergewicht erhielt, so drang es im größten 
Teile des Westgerm. auch in die 2. und 3. Sg. Die Abweichung 
in der Ausgleichung bei *ghe (*ghei) wird sich daraus erklären, 
daß hier auch im vorgerm. Idg. die Vollstufe im Plural nicht 
wiederhergestellt wurde, weil das schwundstufige i (vgl. ai. jöhite) 
sich mehr als das schwundstufige ə von *dhe bemerkbar machte. 
So erlangte bei *ĝhē im Germ. die 2. und 3. Sg. mit 2 ein Über- 
Grundr. I? S. 176 leitet got. mais aus idg. *ma-is her), und aisl. fleire, das 
Streitberg mit alat. ploirume (mit oi) zusammenbringt, kann sich an meire 
angeglichen haben. Für urgerm. Ai ist doch weit eher mit Mahlow, Die langen 
Vokale 46 und Joh. Schmidt, o. XXVI 390 Wandel zu ö anzunehmen. 

!) Das 2 des Mfränk. in der 1. Sg. und im Pl. Ind. muß hier älteres a 
(idg. 2) verdrängt haben und kann nur aus dem Optativ stammen, der im Ahd., 
in dessen Indikativ & und e neben einander stehen, stets ë aufweist; das ale- 
mannische Ahd., das im Optativ nur gange und stante kennt, hat im Indikativ 
als kürzere Formen nur gäm, gäs usw. Auch mfränk. ist a noch erhalten im 
Infinitiv gän neben gen und Partizip gände neben gende (Michels, Mhd. RL? 
8 283 Anm. 1). Am deutlichsten zeigt sich die Zugehörigkeit des ei der 2. und 
3. Sg. zu & (idg. ©) der übrigen Formen im heutigen Bernisch-Wallisischen, wo 
geist, geit, šteišt, $teit neben 1. Sg. gä, 3tä usw. stehen, deren & die Berner 


Kanzleisprache auch in got, stat schreibt (Bohnenberger, Die Mundart der 
deutschen Walliser 88 26, 182f.). | | 

2) Bestand *dhömi einmal, so konnten allerdings weitere Angleichungen 
an die thematischen Präsentia stattfinden: daher 1. Sg. westsächs. dd ohne 
Personalendung wie mnd. dö für as. dom, mhd. two für älteres tuon. 


234 Richard Loewe 


gewicht über die 1. Sg. mit 5 und drang dann auch in den 
Plural ein. | 

Für die Frage der Abtönung würde es nichts ausmachen, 
wenn wegen north.-merc. dóm für das ganze Präsens der Wurzel 
*dhe im Westgerm. Entwicklung aus einem Injunktiv anzunehmen 
wäre. Die gleiche Abtönung wie im Sg. Präs. von *dhö ist ja 
auch im Singular des mit dem reduplizierten Injunktiv von *dhe 
(ai. Imperfektum ddudhäm) zusammengesetzten germanischen 
schwachen Präteritums nordisch vollständig erhalten: vgl. 1. Sg. 
urn. worahto, aisl. orta; 2. Sg. aisl. orter (got. waürhtes); 3. Sg. 
urn. urte, aisl. orte. Bei den nicht zusammengesetzten Formen 
des reduplizierten Injunktivs von *dhö erscheint idg.5 noch deut- 
lich in der 1. Sg. as. deda, ahd. teta (-a aus "am idg. ë in der 
2. Sg. ags. dydes. Altsächsisch wurde nach *dedö” auch die 2. Sg. 
dedös geschaffen, wonach dann in C auch die 2. Sg. des schwachen 
Präteritums auf -ös (z. B. in habdos 3376) gebildet wurde, während 
M hier noch zs gewahrt hat. So auch ahd. *tetös (wofür tāti) 
und danach im schwachen Präteritum fast stets -ös, wofür ze 
nur noch in chimminerodes Isid. Die 1. und 3. Sg. konnten sich 
nach dem Muster des starken Präteritums einander angleichen; 
so ist die 3. Sg. got. waúrhta La aus 20 auch in die 1. Sg., da- 
gegen die 1. Sg. as. deda, warhta auch in die 3. Sg. gedrungen. 
Angelsächsisch kann sich das -e von dude, worhte in der 1. Sg. 
aus om (vgl. tunge aus *tungö”), in der 3. Sg. aus -æt entwickelt 
haben. Nach dem Germanischen ist daher als Singular des redu- 
plizierten Injunktivs von *dhe ein *dhedhom, *dhedhes, * dhedhst 
anzusetzen, das einem thematischen Injunktiv wie *bherom, * bhé- 
res, *bheret genau parallel geht. Auf diesen Parallelismus hat 
auch schon Sievers, PBB. IX 561 hingewiesen, der nur das & und 
ö des schwachen Präteritums nicht als Wurzelvokal von *dhe, 
sondern gleichfalls als Themavokal betrachtet `). 

Daß auch das Lateinische einst bei sämtlichen Wurzel- 


präsentien denselben Wechsel zwischen e und o in der Wurzel- 


silbe wie bei der Wurzel *es besessen hat, darf man daraus 


1) Im Plural des reduplizierten Injunktivs von *@ha hat sich auch germ. 
meist die Schwundstufe erhalten: vgl. ahd. ¿ätum, At, -un, got. nasidedum, 
-ub, -un. Doch werden auch hier in einem sehr kleinen Teile des Idg noch 
vor Entstehung der Abtönung die Vollstufenformen wieder an die Stelle der 
Schwundstufenformen getreten sein; nach Eintritt der Abtönung wird ö auch 
hier zunächst nur in der 1. Pl. und 3. Pl. durchyedrungen, dann aber auch auf 
die 2. Pl. ausgedehnt worden sein. So erklären sich wohl am besten die ahd. 
alemannischen Pluralendungen des schwachen Präteritums -fom, -töt, -tön. 


ge 


-= Georg, ege, nie 


Die indogermanische Abtönung. 235 


folgern, daß alle diese Präsentia’nur die 2. Sg., 3. Sg. und 2. Pl. 
athematisch, die 1. Sg., 1. Pl. und 3. Pl. aber thematisch bilden: 
fers, fert, fertis, aber fero, ferimus, ferunt; es, st, östis, aber edo, 
edimus, edunt; is, it, ilis, aber eo, imus (aus *eimus, *eimos), eunt; 
vis aus vois (aus *vols aus *vels nach Sommer a. a. O. § 347, 1), 
volt, voltis, aber volo, volumus, volunt. Diese eigentümliche Mischung 
erklärt sich dann sehr leicht, wenn die verschwundenen athemati- 
schen Formen der. 1. Sg., 1. Pl. und 3. Pl. ein o in der Wurzel- 
silbe hatten und so die Empfindung für die Zusammengehörigkeit 
aller einzelnen Formen dieser Verba störten, die ja in allen Per- 
sonen aller übrigen Tempora in der Wurzelsilbe nur ein e be- 
saßen. Bei allen diesen Verben existierten aber idg. neben 
athematischen Präsentien auch einfach thematische: vgl. ai. bhá- 
rati, got. bairid, marruc. feret „fert“ neben ai. bhárti, gr. p£ore, 
umbr. fertu; gr. &öw, got. itan neben lit. Edmi; ai. dyate, aw. 
Imperat. -aya neben ai. éti, gr. eluı, lit. eim; gr. &A8odaı" éier 
Hesych neben got. wiljau, lit. pavelt. Das Lateinische, das mehr 
als andere Sprachen zur Erhaltung von Doppelformen neigt (vgl. 
patris, patrus; turrim, turrem; deorum, deum; amäverunt, amävere; 
teris, utere), hat auch in diesem Falle solche erhalten. 

Daß sich lateinisch einerseits die 1. Sg., 1. Pl. und 3. PL. 
andrerseits die 2. Sg., 3. Sg. und 2. Pl. der Wurzelpräsentien 
gruppenweise zusammenschließen, zeigt sich noch besonders bei 
nölo und mälo. Hier steht ja dem nolo, nölumus, nölunt ein nevis 
(später nön vis), nevolt (später nön volt), non voltis, dem mälo, mā- 
lumus, mälunt aber ein mavis, mäavolt, mävoltis gegenüber. Für 
nolo läßt sich der Unterschied wohl nur so erklären, daß zur Zeit, 
als inl. # vor o schwand, e vor ! noch nicht in o übergegangen 
war. Aus *ne-olm, *ne-olmos, *ne-olent wurden dann *nölm, *nöl- 
mos, *nölent (die bald durch die thematischen Formen nölo, nölu- 
mus, nölunt in Parallele mit dem Simplex ersetzt wurden), während 
*nevels, *nevelt, *neveltis unverändert blieben. Als der Ausfall des 
u zwischen zwei gleichen Vokalen eintrat (Solmsen, Studien 109ff.), 
wird es eben schon *nevois, nevolt, *nevoltis gelautet haben; war 
dies aber nicht der Fall, so wäre doch wahrscheinlich v in *neveltis 
wegen des Akzents auf der zweiten Silbe wie in severus usw. 
erhalten geblieben (vgl. Sommer a. a. O. S. 160); *neveltis hätte dann 
aber nach dem Verhältnis von *mäveltis zu *mävels, *mävelt ein 
*nevels, *nevelt neu erzeugt; *nevels, *nevelt, *neveltis wurden dann 
zu nevis, nevolt, *nevoltis. Beim Verbum malo aber wurde -ão- 
(aus -äuo-) kontrahiert, während -äue- unverändert blieb, wie 


256 Richard Loewe 


denn auch Sommer a. a. O. S. 536 malo und den Optativ mävelim 
als die lautgesetzlichen, mävolo und den Optativ mälim als ana- 
logische Formen erklären möchte. 

Die Annahme, daß im Lateinischen bei der Wurzel *wel 
Formen mit e und o nach den verschiedenen Personen wechselten, 
wird nun wieder durch das Germanische bestätigt, das hier ja 
beim positiven Verbum im indikativisch fungierenden Optativ 
noch tatsächlich solche Unterschiede aufweist. Solmsen a. a. O. 
189f. hat hier die Formen mit a (idg. o) aus der Vermischung 
des Verbums mit seinem Kausativum *waljanan, das in der Be- 
deutung „wählen“ als got. waljan, aisl. velja, ahd. wellen fortexi- 
stiert, mit Hinweis auf das Kausativum abg. voliti „wollen“ er- 
klärt. Da aber der Ersatz nur in bestimmten Formen geschehen 
ist, so erscheint Solmsens Annahme nur dann gerechtfertigt, wenn 
es gelingt, den Grund für den Unterschied aufzufinden. Gab es 
germanisch unter den Formen des Optativs des Grundverbums 
„wollen“ auch solche mit a (idg. o) in der Wurzelsilbe, so konnten 
diese allerdings leichter als die mit e durch Formen des Kausati- 
vums verdrängt werden. Da aber der Optativ des Grundverbums 
indikativisch fungierte, so fand der Ersatz seiner Formen nicht 
durch solche des Optativs, sondern des Indikativs seines Kausa- 
tivums statt. | 

Der alte Unterschied soll nun nach Sievers, PBB. IX 565 im 
Althochdeutschen, das die Formen mit i (willu, wili, wili) aus idg. 
e im ganzen Singular, die mit Umlauts-e (wellemes, wellet, wellent) 
aus a aus idg. o im ganzen Plural bietet, bewahrt worden sein. 
Nun zeigt aber das Altsächsische des Cotton. hier eine Scheidung, 
die der Indikativflexion der Wz. *es im Northumbrischen und 
Lateinischen und der Wz. *dha im Mittelfränkischen parallel geht, 
bei der Wz. *uel selbst aber für das Lateinische wenigstens zu 
erschließen ist. Es stehen nämlich in C für die 2. Sg. 14 Formen 
mit ¿è (wili, wil, wilt, willd), für die 3. Sg. 40 mit: (wili, wil, wilt, 
wilit), keine einzige aber für beide Personen mit Umlauts-e, da- 
gegen für die 1. Sg. neben 13 mit i (williu, willeo, willio) auch 10 
mit Umlauts-e (welliu, wellu, welleo, wellia) und für den Plural (der 
stets die Form der 3. Pl. hat) neben 4 mit į (willeat, williat) 28 
mit Umlauts-e (wellat, welliat, welleat, welleant).. Das i war also 
in Q von der 2. Sg. und 3. Sg. aus auch schon in die 1. Sg. und 
den Plural gedrungen, wobei sich an dem angegebenen Zahlen- 
verhältnis zeigt, daß Singularformen leichter auf eine andere 
Singularform als auf den Plural einwirken können. Zudem steht 


Die indogermanische Abtönung. 237 


die Einführung des / in die Wurzelsilbe aller Präsensformen von 
„wollen“ im Einklang mit dem übrigen Altsächsischen, in dem 
das Umlauts-e im Präsens überhaupt durch das į verdrängt worden 
ist. Wenn das Althochdeutsche im alten Optativ auch in der 
1. Sg. ein i, in der 2. Pl. aber ein e bietet, so hat es diese An- 
gleichung nach dem Vorbilde des starken Verbums (biru, biris, 
birit gegenüber börames, beret, berant) vorgenommen, was um so 
leichter möglich war, als die Musterformen mit ; sämtlich als 
Singulare, die mit ë sämtlich als Plurale einander assoziiert waren. 
Im Singular drang dabei das ¿ durch, weil hier schon zwei Formen 
mit i, darunter die der dritten Person als die häufigste nur einer 
einzigen mit e gegentberstanden und weil obendrein die Muster- 
formen gleichfalls ein / boten. Im Plural siegte das e, weil hier 
zwei Formen mit diesem e, darunter wieder die der dritten Person 
als die häufigste schon da waren, dagegen nur eine einzige mit 
i vorhanden war, und weil das e wenn es sich auch von dem ë 
der Musterformen durch seine hellere Färbung unterschied, doch 
wie dies gegenüber dem ; des Singulars der dunklere Vokale war. 
Auf den zum Teil sehr bunten Vokalwechsel in der Wurzelsilbe 
von „wollen“ in den übrigen westgerm. Dialekten kann ich hier 
nicht eingehen und bemerke darüber im allgemeinen nur, daß, 
wenn ein so einfacher Wechsel, wie er im Ahd. vorliegt, alt- 
ererbt gewesen wäre, derselbe sich höchst wahrscheinlich überall 
erhalten haben würde, wie er sich überall bei den Präterito- 
präsentien und auf hochdeutschem Gebiete bei „wollen“ selbst 
bis in das Neuhochdeutsche erhalten hat. Dagegen konnte ein 
so unregelmäßiger Wechsel, wie ihn noch der Cotton. zeigt, in 
einzelnen Dialekten noch weitere Vokalwechsel in der Wurzel- 
silbe zur Folge haben, in anderen aber auch zur vollständigen 
Durchführung eines von beiden Vokalen führen, wie das mit i 
im Monac. und beim positiven Verbum auf ags. Boden im West- 
sächsischen geschehen ist. 

Daß idg. der Dual in der Wurzelsilbe der athematischen 
Verba denselben Wechsel wie der Themavokal der thematischen 
aufzuweisen hatte, läßt sich nicht aus einzelnen Formen dartun, 
da die Sprachen, die den Wechsel bei ersteren Verben bewahrt 
haben, keinen Dual mehr besitzen; doch dürfte an der Tatsache 
kaum zu zweifeln sein. Im Dual aber zeigt die erste Person 
nach Ausweis von got. bairös aus *bheröues (ai. bhárāvas) Ab- 
tönung des Themavokals, die zweite und die ale (vel. gr. èpé- 
ọetov, èpeoétnyv) dagegen nicht. 


238 Richard Loewe 


Bei der 1. Pl. und 1. Sg. hat man früher die o-Färbung des 
Themavokals als lautgesetzliches Produkt eines Wandels von e 
zu o vor m erklärt. Daß es aber einen solchen Lautwandel nicht 
gegeben hat, beweisen Formen wie gr. &» aus idg. *sem und gr. 
&u&o, lit. vemiù. Um zur richtigen Lösung zu gelangen, braucht 
man aber die Auffassung von dem lautgesetzlichen Wandel von 
idg. em zu om nur dahin umzuwandeln, daß von den unter dem 
musikalischen Satzakzent entstandenen Doppelformen mit e und 
o bei der Ausgleichung die mit o als die bequemere da bevorzugt 
wurde, wo dem Labial o der Labial m folgte. So erklären sich 
die 1. Sg. Imperf. *ébherom (gr. čpegov, ai. dbharam), die 1. Pl. 
Imperf. *ébherome (gr. èpégouev, ai. ábharāma) und die 1. Pl. Präs. 
*bhéromes (dor. p&pouss, ai. bháramas), aber auch bei den vokalisch 
auslautenden athematischen Verben die 1. Sg. Injunkt. *dhom 
(merc.-north. dóm), die 1. Sg. Präs. *dhömi (ahd. tuom) und die 
1. Pl. Präs. *dhömes, *dhömes (ahd. tuomes). Wie aber vor dem 
Labialm das o vor e, so wurde auch nach dem Ausweise der 1. Du. 
*bheröues (got. bairös, ai. bharavas) vor dem Labial u das o vor 
dem & bevorzugt. Die Durchtührung des o, 5 war hier um so 
leichter, als sich die drei Formen mit o, ð als die ersten Personen 
aller Numeri zu einer Gruppe zusammenschlossen. Letzterem 
Umstande besonders wird es auch zu danken sein, daß das ö 
auch in der 1. Sg. der thematischen Präsentia wie *bherö (gr. 
p£ow, lat. fero) durchdrang; mitgewirkt hat dabei sowohl die 1. Sg. 
des Injunktivs und Imperfekts der thematischen Verba selbst 
(*bherom, *ébherom) wie die 1. Sg. des Injunktivs und des Präsens 
der langvokalisch auslautenden athematischen Verba (*ahom, 
*dhomi). Das o ö der 3. Pl. (gr. &peoov, dor. pEoovrı, ags. dä, 
as. död, ahd. tuont) aber wird sich daraus erklären, daß m und n 
als Nasale psychologisch assoziiert waren (vgl. Güntert, IF.XXXVI 
69), und daß man deswegen hier auch vor n die Formen mit o 
ö vor denen mit e, ë bevorzugte. In allen übrigen Personen aber 
drang e, & als der häufigere Laut durch. Die Durchführung des 
ö in der 1.Sg., 1.Pl., 3. Pl. (und 1. Du.) bei den Wurzelpräsentien 
mit vokalisch auslautender Wurzel veranlaßte dann auch den 
Sieg des o bei denen mit konsonantischem Auslaut (wie *es) 
unter Mitwirkung des Durchdringens des o als Themavokals in 
den entsprechenden Formen der thematischen Präsentia. Beim 
Wurzelpräsens „wollen“ hat sich hieran auch noch der Optativ 
angeschlossen, wo er idg. dialektisch als Indikativ fungierte. 

Wenn im Optativ der thematischen Präsentia und Aoriste 


Die indogermanische Abtönung. 239 


das labiale o dem palatalen e bei folgendem palatalen ; durchweg 
bevorzugt worden ist (vgl. gr. p&ooı, got. bairai usw.), so steht 
das damit in Einklang, daß i und ¿ auf Nachbarlaute auch dissi- 
milierend wirken können, wofür PBB. LI 261ff. aus dem Goti- 
schen und Mittelhochdeutschen Beispiele beigebracht sind.- Hinzu- 
zufügen ist noch das Attische, in dem überhaupt die Palatalvokale 
t £, v folgendes 7 zu @ gemacht haben. Beim ei hat das / auf 
das vorhergehende e dissimilierend gewirkt bei dessen Rückwandel 
zu ai im Deutschen (zuerst im Bair. und Schwäb. vor 1100 nach 
Braune, Ahd. Gr.’ § 44 Anm. 3). Daß ei nicht immer bequem 
war, zeigt auch sein assimilatorischer Wandel zu žē im Lateini- 
schen, im Germanischen, im Slawischen und im Neugriechischen. 

Im Part. Präs. Akt. ist im größten Teile des Idg. nach Aus- 
weis von gr. p&owv, got. bairands, lit. vezgs, abg. very o als Thema- 
vokal durchgedrungen, was auf Anschluß an die 3. Pl. Ind: wegen 
des gemeinsamen -nt beruhen wird. Doch hat hier idg. dialektisch 
nach Zeugnis des Lateinischen (vehöns, -entis) auch e als der 
häufigere Vokal gesiegt (es sei denn, daß lat. e hier die idg. 
Schwundstufe repräsentiert). Im Part. Präs. Med. (gr. geoduevogs) 
wurde o wegen des folgenden m durchgeführt. 

In der Wurzelsilbe aller Formen fast aller thematischen Prä- 
sentia primärer Verba der e-Reihe ist e als der häufigere Laut 
durchgedrungen. Wo hier dem e einiger Sprachen in anderen 
ein o gegenübersteht wie in lat. molo, got. malan, lit. malù neben 
air. melim, abg. meljq und in lat. fodio, abg. bodą neben lit. bedù, 
handelt es sich vielleicht um starres o, das in die e-Reihe über- 
getreten wäre, indem z. B. nach dem Verhältnis von idg. *bhorä 
(gr. poo) zu *bhero (gr. p&ow) usw. auch zu *mola (gr. udn, 
lat. mola) neben altem *molö auch ein *melö geschaffen wurde. 
Doch ist auch Abtönung denkbar, indem hier ursprüngliche Wurzel- 
präsentien mit einstigem Wechsel von e und o in der Wurzelsilbe 
je nach den verschiedenen Personen vorliegen könnten (bei idg. 
*nolö könnten dann für die Durchführung des o die dasselbe 
umgebenden Laute bestimmend gewesen sein). | 

Bei den primären Verben ist o-Stufe der Wurzelsilbe Regel 
nur im Ind. Perf. Dagegen herrscht die e-Stufe ursprünglich im 
Part. Perf., wie besonders gr. siädc (got. weitwöds) neben old« 
(got. wait) und eix@g neben Zog zeigen. Wie nun Brugmann, 
Grundr. II° 3, S. 432 mit Recht vermutet, haben die Perfekt- 
partizipia ursprünglich auch keine Reduplikation gehabt, wie denn 
reduplikationslose Formen des Perfekts auch noch in historischen 


240 Richard Loewe 


Zeiten beim Partizip vorkommen; so ist z.B. gr. 2oıxoc für eixws 
gewiß erst nach oxa gebildet worden, während Sol oľxæ erst 
aus dem gewöhnlichen gr. Zoıxa umgeformt worden sein wird. 
Ist dies richtig, dann herrschte o in der Wurzelsilbe des Perfekts 
ursprünglich nur bei den reduplizierten Formen; auch idg. *uoida 
(gr. roida, got. wait) wird seine Reduplikation durch Haplologie 
erst verloren haben, nachdem sich o in der Wurzelsilbe des Per- 
fekts durchgesetzt hatte. Wenn aber in der Wurzelsilbe der 
reduplizierten Perfektformen o vor e, gleichzeitig aber in ihrer 
Reduplikationssilbe e vor o bevorzugt wurde, so wird das auf 
Einfluß der reduplizierten Präsentia beruhen, bei denen in der 
Reduplikationssilbe ein hellerer Vokal als in der Wurzelsilbe stand 
(gr. tinut, Öldwus usw.) Wie air. cechan aus *kekana zeigt, 
haben auch die a-Wurzeln den helleren Vokal in der Reduplika- 
tionssilbe durchgeführt. 

Wo im Perfektum Dehnstufe herrscht, konnte nach dem Aus- 
weise von gr. u£unde (Präs. väëie auch in der Wurzelsilbe die 
e-Färbung durchdringen. Für die Variation der Vokale genügte 
dem Sprachgefühl hier schon die Verschiedenheit der Quantität. 
Doch steht griechisch bei Dehnstufe auch goe neben 9w, und 
bei &-Wurzeln herrscht hier im Ind. Perf. überhaupt 5 (&oowya, 
deeg, dor. dp&wxa). Dagegen bietet das Gotische bei z-Wurzeln 
wenigstens saizlep neben sonstigem ð wie in lailöt, taitok, saisö, 
während das Westgerm. bei den Perfekta der konsonantisch aus- 
lautenden Wurzeln sogar nur solche Formen zeigt, die für die 
noch reduplizierten Perfekta ein 2 in der Wurzelsilbe voraus- 
setzen (ags. lét, ahd. liag aus *leleta), und ags. bei den vokalisch 
auslautenden Wurzeln neben den gewöhnlichen Perfektformen 
mit éo (séow, bléow), die om der Wurzelsilbe ihrer Vorformen 
gehabt haben müssen, auch einige solche wie oncnew vorkommen 
(Sievers, Ags. Gr.’ § 396, 2 Anm. 8). Da 2 in der isolierten (in 
der Ilias nur impersonellen) 3. Sg. uEunde erscheint, so haben die 
langvokalischen Perfekta die Vokale der Wurzelsilbe ursprünglich 
vielleicht nach dem Muster der Wurzelpräsentia von e Wurzeln 
(wie *dhe) verteilt, so daß in der 2. und 3. Sg. 2, in der 1. Sg. 5 
gestanden hätte, wovon noch ein Rest in aisl. sera, serer, sere 
vorliegen könnte, welche Flexion nicht notwendig erst nordisch 
nach dem schwachen Präteritum entstanden zu sein braucht. 

Die durch Kontraktion reduplikationslos gewordenen Perfekta 
vokalisch anlautender e-Wurzeln wie lat. ēdi, got. fr-et, aisl. dt 
usw. und gr. %o9a haben wegen des Fehlens der Reduplikation 


BER à 


Die indogermanisehe Abtönung. 241 


die gewöhnliche e-Färbung durchgeführt. Für das reduplizierte 
‘Perfekt der Wz. *ed ist dagegen aus dem neben gr. &öndos P 54, 
&öndoraı y 56, att. 2öndoxe stehenden dAlnAodwödraı‘- dAAnAoß6gon, 
"dAinkopdyoı Hesych nach Fränkel, IF. XX VII 249 auf ein *čôwða 
-zu schließen. 

Beim reduplikationslosen dehnstufigen Perfektum nimmt Brig: 
mann, Grundr. 1[?38358 ein Nebeneinander von idg. und 3 an. 
Letztere Formen sind die gewöhnlichen und stehen ausschließlich 
germanisch (got. sētum), italisch (lat. Jet, umbr. pru-sikurent „pro- 
nuntiaverint“) und albanesisch (-Zoda mit o aus idg. & zum Präs. 
Fei, Dagegen bietet hier das Keltische neben 3 aus ē wie in ir. 
-midair (Präs. midithir) auch o wie in ir. fo-räith = akymr. guo- 
raut aus urkelt. *-röf- (Präs. ir. rethid). Für das Griechische, das 
Formen dieser Art im allgemeinen nicht kennt, verweist Brug- 
mann auf hom. dworo, aus dem ein *dwea zu erschließen sei, 
und auf ovv-oxwxwg für älteres *-wy@s, das dem ai. sahvds- ent- 
spreche. Da das Part. Perf. sonst e-Färbung zeigt, so kann das 
erste w von -wyóç nur aus dem Ind. Perf. stammen. Die 1. Sg. 
Ind. Perf. *dwoe, *&xa gehen wohl auf idg. *uöra, *sögha zurück, 
die durch Dissimilationsschwund des Wurzelanlauts und Kontrak- 
tion von eo aus *weuöra und *sesögha entstanden sein werden. 
Die o-Färbung drang hier griechisch durch das ganze Perfektum, 
‚weil sie diesem bei fast allen übrigen Verben zukam. Dagegen ist 
das ē der übrigen Sprachen vom Plural und Dual des Ind. Perf. aus- 
gegangen, auf welche Numeri es sich germanisch noch beschränkt. 
Das 2 ist hier in den reduplizierten Formen der mit einem Ge- 
räuschlaut anlautenden Verba nach Dissimilationsschwund des 
Geräuschlauts der Wurzelsilbe aus ea entstanden z. B. idg. *ssdme 
(got. setum) aus *seodm& aus *sesadme. Wie got. berusjös neben 
berum zeigt, wurde & auch auf die Partizipia ausgedehnt, die balto- 
slawisch allein vom Perfektum erhalten sind (lit. södes, abg. sed). 
Wenn beim reduplikationslosen dehnstufigen Perfektum urkeltisch 
neben: e auch a steht, so ist das wohl im Anschluß an die redu- 
plizierten kurzsilbigen Verba geschehen, bei denen ursprünglich 
o dies Tempus gegenüber dem Präsens charakterisierte. 

In der Wurzelsilbe ist idg. o auch bei den Kausativen und 
Iterativen. wie *bhoreio (gr. eege durchgedrungen. Hier wird 
man nun Günterts Erklärung IF; XXXVII 49f., daß e in vor- 
toniger Silbe lautgesetzlich zu o geworden sei, dahin abzuändera 
haben, daß bei der Ausgleichung'o vor e in diesem Falle bevor- 
zugt wurde, weil es sich um eine ünbetonte Silbe handelte. Nach- 

Zeitschrift für vergl. Sprachf. LVI 3/4. 16 


242 ‘ Richard Loewe : 


dem idg. der musikalische Satzakzent im Tiefton e in o verwandelt 
hatte, konnte auch der musikalische Wortakzent wieder mehr 
hervortreten. Daß der von uns erschließbare idg. Akzent ein 
exspiratorischer war, folgt. vor allem aus der Entstehung der 
Schwundstufe; dieselben Silben aber, welche nach den idg. Laut- 
gesetzen zu schließen, den exspiratorischen Hauptton getragen 
haben, werden sowohl von den indischen wie von den griechi- 
schen Grammatikern als die musikalisch hochtonigen bezeichnet, 
während das Vernersche Gesetz dafür spricht, daß diese Silben 
auch noch zur Zeit der Auflösung der idg. Urgemeinschaft die 
exspiratorisch haupttonigen waren. So fielen denn auch. idg. 
exspiratorisch unbetonte und musikalisch tieftonige Silbe meist 
zusammen, nachdem der musikalische Satzakzent gegenüber dem 
Wortakzent an Kraft verloren, d. h. nachdem die Satzmelodie 
eine einfachere mit geringeren Intervallen geworden war. Da 
nun e einen hohen, o einen tiefen Eigenton hat, so konnte idg. 
in einer an und für sich tieftonigen Silbe das o im allgemeinen 
leichter als das e durchdringen. Doch hat, da äußerst häufig 
auch anders ausgeglichen worden ist, dies Tonverhältnis allein 
kaum zur Durchführung des o genügt; vielmehr wird dazu auch 
der Umstand beigetragen haben, daß durch das o in der Wurzel- 
silbe der Kausativa ihr Unterschied vom Grundverbum noch 
deutlicher wurde. Daß indes bei der Auswahl zwischen e und o 
letzteres in vortoniger Silbe wirklich bis zu einem gewissen Grade 
begünstigt war, ergibt sich aus dem A von homer. Zoe, gort. déien 
neben att. Co aus *ý:w (Inf. ñv). Hier war das aus vortonigem 
-eie- (vgl. gr. ßBelouaı) entstandene -&- unter dem musikalischen 
Satzakzent teilweis zu -ðf geworden; als dann der musikalische 
Wortakzent mehr hervortrat, erhielt sich neben -&- auch a. 
unter dem Tiefton, obgleich -&i- häufiger war und idg. *gris-i0 
keinem umfangreichen Typus wie *bhor-eiö angehörte. Der Grund 
hierfür dürfte darin gelegen haben, daß sich der tiefe Eigenton 
des langen o mehr als der des kurzen bemerkbar machte. 

: Unter den Personalendungen zeigen nur o mehrere mediale 
Sekundärendungen und zwar die der 2. Sg. -so (gr. &p&oeo), die 
der 3. Sg. -to (gr. &p£oero), die der 3. Pl. -nto (gr. èpégovto). 
Liegt in diesen Fällen nicht starres o vor, so ist hier zunächst 
in der 3. Sg. -to vor -te bevorzugt worden, um die Form deutlich 
von der aktivischen Sekundärendung der 2. Pl. -te (gr. èpéoete, 
ai. dbharata) zu scheiden; wegen des Parallelismus zu -s«i, -tai, 
-ntai als den medialen Primärendungen, zu -si, -ti, -nti als den 


Die indogermanische Abtönung. 943 


aktivischen Primärendungen und zu -s, -t, -nt als den aktivischen 
Sekundärendungen drang dann neben -to der 3. Sg. -so in der 
2. Sg. und -nto in der 3. Pl. durch. Dagegen wird o in der 
Sekundärendurg der 2. Du. Akt. auf -tom (gr. &p£&oerov, ai. ábha- 
ratam), falls es nicht starres o war, wegen des folgenden Labials 
m gesiegt haben. Von den übrigen Personalendungen schwanken 
ng e (Z) und o (ö) die 1. Pl. Akt. (gr. p&oouev, ahd. beramēs, 
lit. sukame, tschech. neseme, aber lat. ferimus, abg. nesemü, nesomù, 
serbokr. jesmo) und die 1. Du. Akt. (abg. vezevd, aber lit. sùkava, 
reflexiv sükavos). Nur e-Färbung zeigt sich in der 3. Sg. Perf. 
Akt. auf -e (gr. y&yove, air. -cechain, -cechuin aus *kekane), in der 
sekundären 2. Sg. Med. auf -thes (gr. Zräiiue = ai. ddhithäs; air. 
Imperat. Depon. dermainte aus *de-pro-mn-i-thds nach Pokorny, IF. 
XXXV 173) und in der primären 3. Du. Akt. -tes (abg. vezete, ai. - 
bhäratas). Das o hat sich also, wo es nicht aus den bereits an- 
gegebenen Gründen vollständig durchdrang, in. den Personal- 
endungen nur da neben e erhalten, wo es sich als 'Themavokal 
(bei den Wurzelpräsentien als Wurzelvokal) überhaupt durch- 
gesetzt hat. Es liegt hier also etwas Ähnliches vor wie bei der 
rein lautlichen Geet eines EE an den Vokal einer 
Nachbarsilbe ` 
Das Altirische zeigt in der 1. Pl. Akt, in absoluter Flexion 
-mi (bermi) aus idg. -mesi oder -mösi, in konjunkter aber dunkeles 
-m (-beram) aus idg. -mo oder -mos. Danach war mindestens idg. 
dialektisch o in letzter Silbe mehr begünstigt als in vorletzter. 
Es wird das damit zusammenhängen, daß man in der letzten, 
aber noch nicht in der vorletzten Silbe des Aussagesatzes, also 
der häufigsten Satzart, die Stimme sinken läßt. Am Ende des 
Aussagesatzes standen beide Formen mindestens dann, wenn 
dieser kein Wort weiter enthielt. So wird: bereits, als die Ab- 
tönung entstand, -mos im Verhältnis zu -mes etwas häufiger als 
-mosi im Verhältnis zu -mesi geworden sein; wahrscheinlich aber 
war damals auch -mos noch nicht so häufig: als -mes. Als nun 
die Ausgleichung eintrat und sowohl -mos wie -mosi durch das o 
der vorhergehenden Silbe bis zu einem gewissen Grade gestützt 
wurde, konnte -mos leichter als -mosi nicht nur deshalb durch- 
dringen, weil es schon etwas häufiger als dies vorkam, sondern 
auch weil sein o im Gegensatze zu dem von -mosi auch noch in 
dieser Zeit in der letzten Silbe des Aussagesatzes stehen konnte, 
mit deren Tiefton es sich besser als e vertrug. ` 
Mit der Ausgleichung zwischen e und o beim Verbum steht 
16* 


9244 Richard Loewe 


die bei den Verbalnomina in Zusammenhang. Bei der verbrei- 
tetsten Klasse dieser Nomina, dem Typus g@ödoos, mußten ja die 
nach Entstehung der Abtönung bestehenden Formen seines häu- 
figsten Kasus, des Nom. Sg., *bheres, *bhöres, *bheros, * bhöros, 
völlig mit denen der 2. Sg. des Injunktivs der häufigsten Präsens- 
klasse (*bherö) zusammenfallen. Da beide Wörter unter Umständen 
verwechselt werden konnten, so schied hier die Sprache zwischen 
der mit anderen Verbalformen wie der 8. Sg. *bheret in einem 
System stehenden 2. Sg. *blieres „du trugst, mögest tragen“ und 
dem Nom. Sg. „Tragung“ möglichst scharf, indem sie für letzteren 
die Form *bhöros auswählte. Es war nur natürlich, daß nunmehr 
das o in der Wurzelsilbe sämtlicher Kasus von *bhöro-s durch- 
drang und hier auch in der Endsilbe mehr als e begünstigt war. 
Aus dem Durchdringen des o in der Wurzelsilbe des Typus 
pöoos ergab sich fast von selbst sein Sieg auch in der Wurzel- 
silbe des ihm ziemlich gleichbedeutenden und in der Bildungs- 
weise äußerst nahe stehenden Typus poọ&, zumal es hier seinen 
Platz in vortoniger Silbe hatte. Letzterer Umstand trug um- 
gekehrt auch seinerseits zum Durchdringen des o in der Anfangs- 
silbe des Typus g@doog bei. Unbetontheit der Anfangssilbe kam 
auch dem Typus gogd-s „tragend* zu, der im übrigen formell 
dem Typus péço- „Tragung* noch näher als der Typus poọä 
stand. Daher wurden die Formen seines Nom. Sg. *hheres, * bho- 
res, *bherös, *bhorös entsprechend denen des Nom. Sg. des Typus 
pógoç ausgeglichen. Der Verbalform *bheres gegenüber mußten 
ja beide Typen durchaus als eine Einheit empfunden werden; 
für ihre eigene Unterscheidung genügte nach wie vor der ex- 
spiratorische Akzent. | 
Wo idg. bei den maskulinen Verbalnomina dem e/o oder bei 
den femininen dem € noch ein Konsonant oder eine Konsonanten- 
gruppe im stammbildenden Suffix vorausging, wurde in der 
Wurzelsilbe wenigstens in der Regel auch das o durchgeführt. 
Vgl. z. B. gr. x6doros, lat. hortus, ir. lub-gort zu ai. härati; gr. 
pdoros zu pégw; ahd. giwaht M. zu ai. vdkti, gr. nos; lit. laktas 
zu lekiù; Sol Foivog „Wein“ (neben gr. oivn „\Weinstock“), russ. 
věnů „Kranz“ zu ai. váyati „flicht“, lit. vejù „drehe“; gr. tóọvoç 
zu teigw, lat. tero; gr. tóguos, aisl. þármr zu gr. telọw; aisl. straumr 
zu gr. 6&w; abg.'qzlü zu vezati; gr. noo$uög zu nelow; gr. nAoyuós 
aus *nioxoudgs zu nAEro; aisl. sodull (idg. *sod-tlö-s) zu lat. sedēre; 
lat. porta zu gr. nelow; lit. naszta zu neszù; gr. now), abg. cena 
zu gr. reıoa; gr. doun zu lett. sert „Raubzüge machen“, ai. sdrati; 


B” a 


Die indogermanische Abtönung. 245 


lit..vapsd, ahd: wafsa zu ahd. weban. Doch steht bei Wörtern: 
dieser Art nicht selten auch e in der Wurzelsilbe z. B. in: er 
zeyvn aus *ieks-nä zu ai. tákşati; lakon. 84a (idg. *sed-1d), lat. 
Sellu, got. sitls und gr. &öoa, aisl. setr zu lat. sedere; akymr. etn 
aus *petnds, lat. penna aus *petnā zu gr. nerouaı. Doppelformen 
liegen vor in ahd. wagan und air. fen aus "ueg-no-3 zu lat. veho, 
in lit. säpnas und ags. swefn zu ai. svapiti und in lit. dagla und 
degla zu degti. Die Ausgleichung zu Gunsten des o in den meisten 
Fällen erklärt sich aus dem Anschluß an die verwandten sehr 
umfangreichen Typen göoos und goe, Wo e durchgedrungen 
ist, beruht das zum Teil darauf daf die betreffenden Wörter wie 
die für „Sessel“ und „Feder“ schon damals nicht mehr als Verbal- 
nomina. "empfunden würden; daß in dieser Empfindung die idg. 
Dialekte nicht immer: übereinzustimmen brauchten, zeigt das Wort 
für. :„Wagen“. -Die übrigen - Verbalsubstantiva mit e werden erst 
nach Vollzug der Ausgleichung gebildet worden sein. 

Das e durchgeführt haben aber ‚überhaupt die Neutra mit 
dem Suffix e/o, so. gr. nedov, umbr. perum, aisl. fet, arm. het zu 
ai. pddyald; gr. r£oyov, aisl. verk zu gr. 20dw, éw; aisl. hvel zu 
gr. n&douaı; ahd. seh zu lat. seco; lat. serum (neben gr. God) zu 
ai, sárati; abg. pero zu perq’); got, jer (neben gr. do, ço-s) zu 
ai. ydti. Die nicht sehr zahlreichen neutralen e/o-Stämme haben 
sich hier an die großen Klassen der Neutra auf -es und -men 
angeschlossen. Bei dem verhältnismäßig kleinen Umfang des 
Typus n&döov war auch Zusammenfall seines Nom.-Akk. mit der 
1. Sg. Injunkt. des Typus péęw (*bherom) zu selten, als daß er 
eine lautliche Scheidung von dieser hervorgerufen hätte. Ging 
dagegen dem e/o im Suffix eines Neutrums noch ein Konsonant 
voraus, so konnte dieser Anschluß an die maskulinen und femi- 
ninen Verbalnomina, die vor ihrem e/o oder a gleichfalls im Suffix 
noch einen Konsonanten hatten, bewirken; daher aisl. teikn zu 
got. gateihan, gr. deixvvm; aisl. fax zu gr. néxw; gr. nov zu 
Enw; auch gr. Öönalov zu 6£nw. Dagegen haben die Neutra auf 
-tro-, die als Nomina instrumenti eine besondere Gruppe aus- 
machten, nach dem Muster der Neutra mit einfachem Suffix e/o 
das e durchgeführt: so gr. p&oeroov, pégtoov, lat. praefericulum, 
ferculum, ags. beordor zu gr. p&ow; ags. hleodor, ai. Srötra-m zu 
gr. dëm: ai. vahitra-m, lat. vehiculum zu lat. veho; gr. Tegergov 
zu relow. Da das neutrale Geschlecht als das gewöhnliche der 


1) Aisl, þak usw. hat sein æ von got. hakjan, aisl. bekja usw. bezogen, 
das als Iterativ sein Grundverbum verdrängt hatte. 


946 Richard Loewe 


idg. Nomina instrumenti auf -tro- erscheint, so wird ahd. riostra 
F. erst auf Umbildung von ahd. riostar N. (zu mhd. riuten) be- 
ruhen. Daß ein solcher Genuswechsel schon idg. dialektisch statt- 
haben konnte, zeigt das Nebeneinander von mhd. wester F. und 
gr. *r&oroa@ (yEorga' ovoln Hesych) gegenüber ai. västra-m (idg. 
*uéstro-m). Bei idg. *loktro-s (aisl. látr) neben idg. dial. *lektro-m 
(er, Aéxtoov) wird aber der Übergang in das Maskulinum schon 
vor der Ausgleichung zwischen e und o erfolgt sein. Gr. 66rroo0» 
hat sein o von 6önadov. 

Von den Adjektiven, die im Suffix vor e/o noch einen Kon- 
sonanten haben, zeigen die auf Zo, -no, -lo ein e in der Wurzel- 
silbe: so gr. Aoexrde, lat. röctus, got. raihts; aisl. hliöpr; as. lioht; 
gr. peorösg; gr. oreyvög; deıvös; ouegövds; oeuvós; lat. dignus; ahd. 
gern; gr. deılög; 2odids; orgeßAds (neben Substant. orgößiAos); 
ahd. ezzal. Diese Wörter haben das e bevorzugt, weil sie damals 
noch Partizipien, also ein integrierender Teil des Verbums waren. 
Daß auch -lo partizipial verwandt wurde, darf man aus dem 
slawischen Part. Praet. Akt. II wie abg. nes! und dem Adjektiv- 
typus pendulus im umbr. Futurum exactum wie apelust aus *am- 
pendlo- schließen (Brugmann, Grundr. II’, 1 S.374). Bei den Ad- 
jektiva auf -ro zeigt sich idg. o in der Wurzelsilbe im Germani- 
schen: ags. hddor, ahd. heitar zu ai. cötati, got. baitrs zu beitan, 
ahd. weigar zu wigan. So auch lit. j-vairas zu vyti (Brugmann. 
a. a. O. S. 353). Dagegen bietet das Griechische cọós, änods zu 
ai. ksäyati. Doppelformen liegen hier vor in gr. öxvoös, &xvoös 
zu &xw. Bemerkenswert ist aber der Gegensatz zwischen dem 
Adjektiv gr. xjoog „verwaist“ und den substantivierten yõgos 
„Zwischenraum“, sde „leere Stelle“ zu ai. jdhati. Die Adjektiva 
auf -ro haben sich also nach dem Typus gdoos gerichtet, sind 
jedoch im vorgriechischen Idg. dem Einfluß der Verhaladjektiva 
auf -żo- und -no- unterlegen. Doch zeigt o in der Wurzelsilbe 
nach Muster des Typus doo auch das mit Suffix -so- gebildete 
zu lit. lenkiù gehörige Adjektiv gr. Ao&ös, das gerade in keiner 
anderen Sprache als der griechischen sicher erhalten ist. 

Nach dem Muster der Verbalsubstantiva auf -no-, -na haben 
auch die auf -ano-, -ana bereits idg. das o durchgeführt, wie gr. 
x6davos, xdavog, Xodvn, .öxdvn, doxdvn (G. Meyer, Griech. Gr? 
§ 10) und lit. nätukand zu tekù, rägana zu regü (Leskien, Nomina 
im Lit. 387) zeigen. Da die Neutra der Klasse infolge der Länge 
des Suffixes mit deren Maskulina eng assoziiert waren, so drang 
auch bei ihnen o wohl schon idg. durch: daher gr. ögavov, Edawo», 


Die indogermanische Abtönung. 947. 


Irönavov,: nAdxavov, öoyavov. Daß bereits hom. do&navov (und 
Ögendvn) sich an do&nw angelehnt hat, folgt nach Meyer aus alb, 
@drapen. Dagegen können Adjektiva wie gr. oreyavds „bedeckt“ 
und „bedeckend“ und 2öavds „eßbar“ wegen ihrer partizipialen 
Bedeutung immer nur e gehabt haben’). 

Den Typen póọços und pogós nahe standen auch die Verbal- 
nomina auf -i-, bei denen ja im Nom. Sg. und Akk. Sg. wie bei 
den e/o-Stämmen nur ein einzelner Vokal der Wurzel angefügt 
wurde, dem im Nom. nur noch ein a im Akk. nur noch ein -m 
folgte. Daher haben auch diese Wörter in der Wurzeisilbe, soweit 
sie hier nicht Schwundstufe aufweisen, idg. o durchgeführt. So 
die Nomina agentis wie gr. rode, oreögıs, aisl. beigr, reykr, ags. 
steng, abg. molji, lit. kdrtis, trandis, dazu mit passivischem Sinn 
gr. nöoıs und das Adjektiv gr. redpıs. Wenn sich bei den ger- 
manischen maskulinen Nomina actionis auf -i- neben der gewöhn- 
lichen Schwundstufe außer der o-Stufe auch noch die e-Stufe 
zeigt, so wird hier letztere meist erst germanisch selbst die 
Schwundstufe verdrängt haben, wie z. B. ags. drinc erst aus 
dryne nach drincan umgebildet worden ist, weil sonst kein. y 
eines Verbalnomens mit einem i des Präsens wechselte. Dagegen 
ist nicht einzusehen, warum ags. drync.auch durch drenc ersetzt 
worden sein soll; dies dree (as. drank) kann vielmehr nur die 
idg. o-Stufe sein. Man vergleiche auch das feminine Nomen 
actionis abg. po-kon? (neben -ceti) sowie die griechischen Nomina 
actionis Öodnıs‘ tovyņtós Hesych und udugıv dvri toù Dën 
TnAenAslöns Bekker Anecd. 107, 18. 

: Im Gegensatze hierzu zeigen die vollstufigen Nominalbildungen 
auf -t- ganz überwiegend e-Färbung. So got. ga-debs, abg. blago- ` 
deu, lit. dötys (Pl.); ahd. nāt, gr. vios; gr. onéyus, deidıs usw. 
lat. messis, vestis; ahd. gift, wist, siht; lit. iszmestis. Das Litauische 
weist hier allerdings bei den meisten kurzvokalischen Wörtern a 
auf; doch erklärt sich das nach Brugmann, Grundr. II’ 1 8 321 
durch Anlehnung an Bildungen auf -tus und -tà (z. B. slaptis 
neben slepiù nach slaptas und -slaptà). Wenn die idg. Nomina auf 
-ti- sich :nicht an die auf -i- angeschlossen, sondern das häufigere 
e durchgeführt haben, so lag das daran, daß sie eine weit Sek 


1) Substantiva wie avos, orépavos, orepdvn werden erst gaei aus 
Adjektiven hervorgegangen sein, wie sich das deutlich an oreydvn zeigt. Auch 
bildete sich erst nach oreyavds zu onenag „Schutzdach“ ein Adjektiv oxenavdg 
und aus diesem wieder ein oxenavov „Decke“; daher dann ‚auch andere Deno: 
minativa auf -avov wie £doavov, Se o gsi 


348. Richard Loewe 


Klasse als die auf -i- bildeten und als feminine Nomina actioms 
(deren es unter den Substantiven auf -i- wohl nur wenige gab) 
durchaus einen Typus für sich ausmachten. 

=! Auch die germanisch-baltoslawischen Nomina actionis auf -ni- 
und -sni- zeigen meist idg. e, e So got. siuns, andawizus, usbeisns, 
gürehsns, lit. degsnis. Hier haben die Nomina actionis auf -ti 
eingewirkt. Doch haben sich lit. slögsnis, slä’gsnis neben sleyti 
(Leskien a. a. O. 370f.) nach den Wörtern auf -i- gerichtet, während 
got. taikns sein ai von einem Neutrum *tuikn = aisl. teikn usw. 
erhalten haben wird. Die Adjektiva auf -ni- haben sich über- 
haupt an die Wörter auf -i- angeschlossen, so ahd. ursceini (zur 
Wz. skei in gr. oxa), as. lehni, got. (Adv.) analaugniba (est. 
anasiuns nach dem Subst. siuns). 

Aus entsprechendem Grunde wie die Stämme auf -i- haben 
auch die auf A das o durchgeführt, so ai. ketu-g, got. haidus zu 
ai. cétati, lat. domus, abg. domü zu gr. deuw, lit. dangüs, apr. 
dangus zu lit. dengiü, got. handus zu hinan, wandus zu windan, 
waddjus zu lit. vejü. Tat. impetus hat sich an peta, *genu-s (in 
ingenuus) an genui, gr. tegvs (TEov‘ dadeves, Aenıdv Hesych) oan 
seonv angelehnt. Von Adjektiven geht auf das Idg. zurück ai. 
kufu-$, lit. kartü-s zu kertu. Die übrigen neben Verben mit wurzel- 
haftem e stehenden lit. Adjektiva auf -us haben (so weit sie nicht 
Schwundstufe zeigen wie mildüs) teilweis wie darküs neben derkiü 
(Leskien 251) nach dem Muster von kartüs die Abtönung durch- 
geführt, teilweis aber auch wie atmenüs neben menü (Leskien 247) 
das e des Grundverbums mitübernommen. Dagegen steht bei 
wurzelhaftem 2 derselbe Vokal auch stets beim Adjektiv auf -us 
z. B. in begus neben bëgti (Leskien 249). Das Idg. hat zu diesen 
Verben vielleicht noch gar keine Adjektiva auf -u-s (die sich ja 
erst litauisch weit ausgebreitet haben) besessen. - es 

Nicht abgetönt sind die idg. Verbalnomina auf -tu-, wofür 
man besonders die infinitivisch fungierendean Akkusative wie lit. 
detu, abg. dét, lat. rēctum vergleiche. Der e-Färbung in rectum 
(und röctz) entspricht die in gall. Rectugenus, air. recht M. N., aisl. 
réttir (Gen. réttar). Dazu kommen gr. xAcırÖs zu ai. śráyati (Brug- 
mann, Grundr. II? 1 8 329), gr. dneorös, aisl. fjordr aus urgerm. 
* férþus oder ferdüz zu gr. nelow (lat. portus aus *prtüs), got. skildus. 
Brugmann a. a. O. § 328 sieht zwar auch aisl. vgrdr (zu lat. verzri) 
als alten tu-Stamm an; doch deutet der neben vardar stehende 
häufige Genetiv verds (Noreen, Aisl. Gr.* 8395, 2), der aus *vards 
nach vprdr umgebildet worden sein wird, darauf hin, daß das 


Die indogermanische Abtönung. 249. 


Wort (wie noch. got. daurawards) idg. o-Stamm ‘gewesen ist (auch. 
ags. weard weist keine Formen der «-Deklination auf; Bosworth- 
Toller s. v.). Die Verbalnomina auf -tu weichen in der Aus- 
gleichung von denen auf -u aus demselben unge wie die auf 
-ti von denen auf -i- ab. | 
Die griechischen Nomina agentis auf Zu. wie TOUTEÙG könnten 
schon idg. im Anschluß an die Stämme auf -u- (-eu-) das o durch- 
geführt haben. Da indes der idg. Ursprung dieses Typus zweifel- 
haft ist, wird man sein o besser mit G. Meyer, Griech. Gr.” § 10 
Anm. 2 aus seinen engen Beziehungen zu den Nomina auf -o-ç 
(und. den Verba auf -&w) erst im Griechischen erklären. | 
Starken Schwankungen in Bezug auf die Ausgleichung unter- 
liegen die Verbalnomina mit dehnstufiger Wurzelsilbe. Bei den 
a-Stämmen hat das Griechische hier 5 durchgeführt wie in Adrz 
zu ÄA£no, Auen (svvaywyıı oltov Hesych) zu A&yw, neben denen 
Verba wie orgwpdw zu org&pw, vwućw zu véuw usw. (Buck, Amer.. 
Journ. of phil. XVII 462) auch noch Substantiva wie *ore@gpn, 
*poun erschließen lassen; entsprechend steht auch abg. slava 
neben gr. xAéw. Dagegen weist das Germ. hier nur auf idg. ë 
aisl. ndd, ahd. ginada zu got. niban; ags. s&t, ahd. säzza; ags. 
spréc, ahd. sprähha; ags. wréc, ahd. rähha; ags. ber, ahd. bāra; 
afries. lēge, ahd. lāga; as., ahd. quāla; mnd. māte, ahd. masza;. 
mnd. bräke, ahd. brāhha; mnd. gave, ahd. gāha; nl. vraag, ahd. 
fraga; ahd. nama; ahd. scara, Auch das Latein zeigt hier ē in 
collega (ursprünglich Abstraktum), *tēga (vgl. iēgula)ą, *seda und 
"eëin (vgl. sedare und celare). Dagegen schwankt das Litauische, 
das iszmonà neben menù und tvorà neben tveriù, aber gélà (ahd. 
guër) neben geliù und pédà neben aisl. feta bietet; Doppelformen 
sind pravesa und pravo neben geän, Wo hier ö siegte, beruhte 
das auf Einwirkung des Typus good; doch war der Unterschied, 
in der. Quantität der Vokale beider Typen so mächtig, daß idg.. 
dialektisch das häufigere 2 teils ganz durchdrang, teils sich neben. 
d erhielt; Bei den maskulinen o-Stämmen findet sich Dehnstufe 
häufiger nur baltisch, wo sich denn auch das gleiche Schwanken. 
zwischen 3 und ö wie bei den a-Stämmen zeigt: so steht lit. doräs 
neben derù, apmotas neben met, lett. nars neben lit. neriù usw. 
(Leskien 178ff.), aber auch lit. vezas neben veżù, lett. krets neben 
lit. krerzü, lett. sērs neben lit. szeriù (Leskien 166); dem lit. vezas 
„Abweg“ entspricht lautlich got. w2gs „Sturm“, aisl. vágr „Meer“ 
usw, Nicht abgetönt ist germanisch auch der neutrale Stamm got. 
andanēm (aisl. nám) zu niman (bei got. usmēta- steht das Genus, 


250 Richard Loewe 


nicht fest). Bei der Durchführung des 3 bei den dehnstufigen 
d-Stämmen und den genannten dehnstufigen o-Stämmen und zu- 
gleich des e bei den vollstufigen neutralen o-Stämmen im Germ. 
fällt es um so mehr auf, daß hier gerade ein dehnstufiges Neutrum, 
aisl. lög, ags. löh, afries. (äech, ahd. luog zu got. ligan, o zeigt. Das 
ö kann hier nur deshalb durchgedrungen sein, weil so eine deut- 
lichere Scheidung von dem zugehörigen Femininum (noch ahd. 
laga usw.) erreicht wurde '). 

Von dehnstufigen :-Stämmen findet sich lit. nur iszmonis 
(Leskien 236); aber dem Schwanken des Lit. bei den dehnstufigen 
a-Stämmen entspricht hier das im Abg., wo es re@i neben reką, 
Zali aus *geli neben lit. geliù, aber Goor? F. neben lit. tveriù lautet. 
Das für das Germ. zu erwartende 2 steht in got. wens M. usw.; 
doch zeigt das Nebeneinander von ahd. scär F. „Scheere* und 
mhd. schuor M.F. „Scheerung“, daß das vorgerm. Idg. auch hier 
ö neben # bestehen ließ, wo es dasselbe zur Scheidung von Wort- 
bedeutungen verwenden konnte. Die germ. dehnstufigen Ad- 
jektiva der Möglichkeit auf idg. -i- haben schon wegen ihres ur- 
sprünglich partizipialen Charakters das dem e des Verbums näher 
stehende ë durchgeführt: das dem got. anda-sets entsprechende 
ai. sadi-s bedeutet ja noch „sitzend, Reiter“. Auch das é des 
einzigen griechischen dehnstufigen i-Stammes dpoc erklärt sich 
aus seiner ursprünglich partizipialen Bedeutung (ai. dari-s „zer- 
spaltend“). Reines Adjektiv wird dagegen von jeher lit. rom&s 

„ruhig, zahm“ gewesen sein, neben dem auch noch das einfach 
vollstufige ramüs „ruhig“ (zu remiù „Stütze“, ai. ramnāti „bringt 
zur Ruhe“) Abtönung zeigt. 

Fast durchweg das häufigere e in der Wurzelsilbe durch- 
geführt haben idg. die mit konsonantisch schließendem Suffix 
gebildeten Verbalnomina, die denen mit vokalisch schließendem 
zu feın standen, um von ihnen beeinflußt zu werden. So die 
Nomina agentis auf -n wie lat. edo, ahd. ezgo usw.; ein o in der 
Wurzelsilbe findet sich hier nur in späteren denominativen Bil- 
dungen wie in gr. doduw» nach dodwos (Brugmann, Grundr. II*, 1, 
8212). Von den german chei Nomina agentis auf E die nach 


1) Auch das o des Neutrums ajisl., ags. sót, mnd. söf „Ruß“ erklärt sich 
entsprechend aus dem Streben nach deutlicherer Scheidung von dem in ags, sæt 
usw. erhaltenen Femininum, wenn es wirklich zu got. sitan gehört. Doch: ist 
letztere Annahme nicht unbedenklich, da das verwandte litauische Wort neben 
södziai (Kurschat) auch sö’d2iai (Lalis) lautet und nur SS o idg. sbgetöntes 
ö, lit. 2 dagegen idg. starres ö vertritt. 


Die indogermanische Abtönung. 251 


Sütterlin, Nomina agentis im Germ. 47 a in der Wurzelsilbe haben, 
gehört ahd. scarbo wahrscheinlich zu einem Verbum der a-Reihe 
(Weigand ^), während ahd. slango wie lit. slanka M. F. „Schleicher“ 
und abg. sląkă „gekrümmt“ ursprünglich a Stamm oder o-Stamm 
gewesen sein wird und nhd. range M. „böser Bube“ (erst um 
1500 nach Weigand’) auf ostmitteld. range „laufende Sau“ (zum 
Iterativum rangen) beruht (D. Wb.). Auch die neutralen men- 
Stämme wie gr. p&oua, abg. bröme zeigen in der Wurzelsilbe fast 
nur e-Färbung. Eine Ausnahme bildet wohl nur gr. olua „heftiger 
Ansturm“, das man kaum mit Recht zu aw. aesma- „Zorn“, lat. 
ira, eira gestellt hat; dagegen gehört es gewiß zu aisl. eisa „sich 
rasch vorwärts bewegen“, ai. dsati „treibt an“ und hat wahr- 
scheinlich starres o. 

Nicht abgetönte Wurzelsilbe erscheint auch bei den Nomina 
agentis auf -tēr, -tör wie in gr. yev£ıwe, lat. genitor, gT. HEAXTWE, 
erop, ÖERTWE, UÁOTWQ, Greg, ueltwo, ferner in evxtýę (ai. 
yoktar-), *nevorno (in nevornigiov; ai. böddhar-), Deiere, extýo, 
xAentio, neEuTTÁE, ext, Acvorne. Ein o steht hier nur in 
doerëe „Wehrgehenk“ volksetymologisch nach dog „Schwert“. 

Das e ist in der Wurzelsilbe auch durchgedrungen bei den 
Neutra auf -es, -os wie in gr. y£vog, lat. genus usw. Wo hier o 
vorkommt, ist das Wort ursprünglich maskuliner o-Stamm gewesen 
(Brugmann, Grundr. II’, 1, S.521). Idg. war hier aber die Aus- 
gleichung zu Gunsten des e um so leichter erfolgt, als dadurch 
der Zusammenfall des Nominativs dieser Neutra mit dem der 
maskulinen e/o-Stämme vermieden wurde (vgl. gr. TEROS E 
TÓXOS „Geburt“). 

Auch bei den Suffixen auf -t erscheint stets e (2) in der 
Wurzelsilbe. So bei bloßem -t in lat. locuples, mansuös (-ētis), bei 
-et in lat. teges, teres (-etis), bei et in gr. n&vns, &yns, xéânņs (-nTos), 
bei -at oder -ot (kaum -adh oder -odh) in got. mitabs. Daß auch 
die Verbalnomina auf idg. -ad (oder ad) das e durchgeführt hatten, 
zeigt gr. xeods, -dödog zu ai. gharsuti. Griechisch hat sich 24 
weiter ausgebreitet und dabei überall, wo es neben ein synonymes 
Verbalnomen mit o in der Wurzelsilbe trat, dessen o übernommen: 
so stehen duoıßas, &ußoids, vouds, pooßds, ÖAxds, Öoouds, Aoyds, 
mAoxds, orgopds, Aosıds, grogde, oroAdg, OTQOPČĚS, Yogds, TOOXdg 
neben duoußn, BoAn, „von, pooßn, Aixvg, ÖQÓUOS, Adyos, muAönos, 
Groo, Aonös, oroo& und ordoog, oroAn und ordAog, orgopn und 
orEö6pos, gogo, Yögog und Yogös, zeöxıs; in „oeuds, das kein 
synonymes Verbalnomen hat, erscheint e (ebenso in deiods, dem 


252 Richard Loewe 


auch kein Verbum zur Seite steht). Von den Verbalnomina, 
deren Suffix auf Guttural ausgeht, zeigen e in der. Wurzelsilbe 
gr. neugıf, -ıyog zu *neupo (vgl. noupds) und EA, -ıxog zu lit. 
veliü. In lat. pödex, -icis (idg. *pozdek-s) ahmte o den Schall mehr 
nach als e Auch bei lak. Jowvas hatte idg. ö als schallnach- 
ahmend gesiegt. Gr. wga, -axos wird ð im Anschluß‘ an 
* Ihoreieti, das sehr wohl schon idg. (wie ai. dhardyati) sein Grund- 
verbum vertreten haben kann, durchgeführt haben. Att. éiweg, 
hom. xoAdöes „Eingeweide“ (neben abg. Zelgdükü „Magen“) haben 
ihr o von xöfog „Galle“ erhalten. 

Die Nomina, die schon idg. nicht mehr als Ableitungen von 
anderen Wörtern gefühlt wurden, sind in Bezug auf die Aus- 
gleichung in der Wurzelsilbe von den Verbalnomina nicht beein- 
flußt worden; daher ist hier meist auch bei vokalischem Stammes- 
auslaut das häufigere e allein durchgedrungen.. So bei Wörtern, 
die sonst ganz das Aussehen des Typus @6oog haben wie *ekuos 
(ai. dsra-s, lat. equos, air. ech, ags. eoh), neuos (ai. ndva-s, gr. véos), 
und bei solchen, die sich vom Typus goọ& sonst nur durch den 
Akzent unterscheiden wie *erä (gr. čọa). Man beachte auch 
*medhios (gr. u£oos, lat. medius, got. midjis), *ptersnä (gr. nıeEovn, 
lat. perna, got. fuirzna), *g’erua (att. deon), * genu-s (gr. y&vvs, got. 
kinnus, air. giun, gin, lat. gena für *genus), *medhu-s. (lit. medüs, 
ahd. metu), *medhu (gr. ué9v, apr. meddo), *prku (lat. pecu, got. 
faihu) ohne Nebenformen mit o. Wo bei Wörtern, zu denen 
nirgends mehr ein Grundverbum vorhanden ist, Abtönung er- 
scheint, könnte das Verbum in einzelnen Fällen doch noch idg. 
existiert haben. So mag wohl dem nach dem Typus gögos 
gebildeten gr. wóůĝos „Ruß, Rauch“ ein idg. *bhsel-5 (das auf 
der in ai. bhús-man „Asche“ enthaltenen Wa *bhes „blasen“ 
beruhen könnte; vgl. Persson, BB. XIX 258 'Fußn. 3). zu Grunde 
liegen, indem das Wort eigentlich „Blasung“ bedeutet hätte; 
wenn neben ddioe auch weiös‘ (aidaAds Hesych) steht, das 
eigentlich „blasend“ bedeutet haben kann, so läßt sich das 
vielleicht so erklären, daß das Grundverbum eben schon idg. 
selten geworden und in demjenigen idg. Teildialekt, in dem 
*bhselös durchdrang, schon ganz verschwunden war. Häufiger 
dürfte da, wo bei Wörtern, die nicht mehr als Ableitungen ge- 
fühlt wurden, neben idg. e (Z) auch o (ö) steht, letzteres durch 
den folgenden Laut begünstigt worden sein, so in ags. hramsa 
neben gr. xo&uvov (xoduvov Hesych) durch das m, in lit. java 
neben gr. eral, in gr. dodoc neben ahd. triuwi und m gr. Zoe, 


Die indogermanische Abtönung. 258 


ahd. ruowa' neben ahd: rawa durch das w. Zu beachten: ist in 
dieser Hinsicht besonders gr- Gap aus *oghris neben Ze aus 
#*eghis. 

‚Auch die idg. denominativen Nomina standen den Verbal- 
nomina zu fern, um hier ihrem Einfluß zu unterliegen. So hat 
lat. ferus (zu gr: 970) umgekehrt wie die Typen pógoşs und good, 
gr. zéðņn umgekehrt wie der Typus gou, ags. sweger, lat. socrus 
(*suėkrů-5) umgekehrt wie got. haidus usw. ausgeglichen. Man 
vergleiche auch got. aírpa, air. ert zu er čoa und lat. ee 
kymr. gwynt, got. winds zum Partizip idg. *uznt-. In idg. *somö-s 
(gr: öuög) ist o zum Unterschiede vom Gen. Sg. *sem-ös (gr. Aude 
durchgedrungen, wie auch *som „mit“ (ai. sam, abg. sq-) von 
*sem- (gr. &v) „eins“ geschieden wurde; nach *somo-s richtete sich 
dann auch das dehnstufige *sömo-s (ahg. samă), bei dem jedoch 
auch sein m zum Siege des o beigetragen haben mag. 

Bei den denominativen Nomina auf Zo, -ia ist e fast zur 
Alleinherrschaft gelangt. So steht es in idg. *neptio-s (abg. netijt, 
gr. d-verpıös), *pedio-s (lat. acu-perius), *pedia (aisl. fit, gr. deyvod- 
mea), * gheslio- (Gol, xEAAıoı), * sebhio-s (got. un-sihjis), *sebhia (got. 
sibja), *neuwio-s (got. ninjis), *lentio-s (ahd. lindi). Bei den Verbal- 
nomina auf -ig hat sich dagegen wie in *sodıa, *togia (air. suide, 
tuige) in Anlehnung an den Typus good das o durchgesetzt. Auch 
das Gotische zeigt hier noch durchaus die o-Stufe wie in wrukja, 
brakja, bandi, skalja (zu lit. skeliù) neben der e-Stufe bei den 
denominativen io-Stämmen wie hairdeis, Biubi N. (ahd. diuba PA 
In Übereinstimmung mit den übrigen idg. Verbalnomina, die im 
stammbildenden Suffix vor e/o noch einen andern Laut haben, 
schwanken die aisl. Nomina agentis auf idg. -io zwischen (umge- 
lauteter) o-Stufe wie z. B. in skeyter und (umgelauteter) e-Stufe 
wie z. B. in fiýter (Sütterlin a a. O. 7ff.). Auch die lit.. von 
Verben der e-Reihe abgeleiteten io-Stämme zeigen teils e wie 
z.B. lökis zu lekiù, àtvejis zu vejü, teils a (idg. o) wie z. B. narfs 
zu nerti, usvangis zu vengti (Leskien 284ff.); dagegen steht ın 
denominativen io-Bildungen auch lit. immer nur e wie in geltis 
zu yeltas, kerszis zu kerszas, żebrĝs zu Zebras, lepn?s zu lett. lepns 
{Leskien 302f.).. Auch das Griechische bietet einerseits Gout zu 
čoðw (wofür Prellwitz s: v. auf hom. 2odeıv &xardußag verweist), 
andrerseits Zoos zu äol. &rr-eoug. dazu die Adjektiva Deia, Zénoc, 
Eoru&ouog, Goreguos, ĠégLos; oxoAıdz „schief“ wird nicht von ox&4ob 
N. „Schenkel“, sondern von *sk«lo „bin schief“ (wovon auch ags. 
sceolh „schief“) gebildet worden sein. 


254 Richard Loewe 


Daß idg. auch bei den denominativen Nomina das o nicht 
in unbetonter Wurzelsilbe durchdrang, lag daran, daß solche 
Bildungen wie etwa *eln-ö-s (gr. &Alds) zu Zeien (arm. ein; 
Hübschmann, Arm. Gr. I 441) zu vereinzelt standen. Bei einer 
den denominativen Nomina nahe stehenden ganzen Wortklasse, 
den nominalen Komposita, hat sich dagegen idg. o, ö wie bei den 
kausativen Verben in nichthaupttoniger Silbe durchgesetzt, nur daß 
hier diese Silbe erst hinter der haupttonigen stand. Auch wurde 
hier idg. o, ö nicht nur in der Wurzelsilbe wie in gr. gvoldoog, 
eöpowv, dynvwg’), lat. exrtorris, sondern auch in der Suffixsilbe 
wie in gr. eöndtwo und in beiden zugleich wie in gr. dxdAovdosg 
idg. durchgeführt. Doch schlossen sich idg. die Dvandva mit be- 
tontem Vordergliede wie gr. dwdexa (ai. duddasa). lat. undecim, got. 
finftaihun, kymr. dondec, pemdec den übrigen Komposita nicht an. 
Auffallend sind auch gr. &xaröunedos, E&uneöog neben noög (dor. 
ws), moöds. Hier ist idg. unbetontes o in Kasus wie .*podös, 
* podi durchgeführt worden, wobei der Gen. *podös mit dem zweiten 
Teil des Nom. Sg. M. *kmtöm-pedos zusammengefallen sein würde, 
wenn o auch hier in der Wurzelsilbe durchgedrungen wäre. Da 
man nun das Gefühl hatte, daß der Vokal zwischen Simplex und 
demselben Worte als Hinterglied des Kompositums wechselte, so 
ließ man in diesem Falle bei letzterem das e durchdringen. Aus 
entsprechendem Grunde hat jdg. auch in den Komposita des zum 
Typus @doog gehörigen *stngo-s eig. „Bedeckung“ das e gesiegt, 
wie noch abg. oxtegü „Kleid“ neben stogü „Schober“ zeigt. Daß 
man bei dem minder umfangreichen Typus rode umgekehrt ver- 
fahren konnte, ist aus abg. vodotoc? neben te: zu ersehen. Den 
nominalen Komposita hat sch auch der Optativ des verbalen 
Kompositums „nicht wollen“ (wohl durch Vermittelung des Parti- 
zips) in der Art der Ausgleichung angeschlossen. Nach Sievers, 
PBB. IX 565 ist der de Akzent schuld an dem Unterschiede von 
‚westsächs. wille und nelle (mit Umlauts-e aus idg. o), und dieselbe 
Scheidung hat Solmsen, Studien 9ff. zwischen lat. velim für idg. 
*ueliem und nölim für *neuoliem wiedergefunden. (Hierbei haben 
aber die Sprachen, die diesen Unterschied erhalten haben wie 
das Westsächs. und Latein. bei den einzelnen Personen des 
positiven Optativs zu Gunsten des idg. e ausgeglichen.) 

Ähnlich ist die Akzentstelle auch bei den beiden Untergruppen 
der Nomina agentis auf ter, -tör für die Richtung der Aus- 
gleichung entscheidend gewesen: 3 drang hier idg. im Suffix bei 

1) Nach gr. åyńvwo „mutig“ ist Zeen „Mannhaitigkeit“ gebildet. 


Die indogermanische Abtönung. 255 


den Oxytona (gr: dorne, Yeixtne), ö bei den Barytona (gr. darwp, 
3Eixtwg) durch. Die doppelte Betonungsweise ließe sich nicht 
verstehen, wenn nicht beide Typen schon idg. verschiedene Funk- 
tion gehabt hätten, wie sich eine solche noch zwischen ai. datd 
viüsunam „dator bonorum“ und dåtā vásūni „dator bona“ zeigt: 
durch die Verteilung von 5 und 2 aber wurde hier eine schärfere 
Scheidung erreicht. Da wo o, ō durch die schwächere Betonung 
einer Silbe begünstigt war, führte man es im allgemeinen doch 
nur dann durch, wenn man auf diese Weise zwei verwandte 
Formenklassen (wie Kompositum und Simplex, Kausativum und 
Grundverbum) noch deutlicher von einander scheiden konnte. 
Daß die Unbetontheit auch bei einer ganzen Formengruppe zum 
‚Siege des o nicht genügte, wenn nicht dadurch die Scheidung 
von einer andern Gruppe noch mehr verdeutlicht wurde, zeigt 
das Komparativsuffix idg. -tero- (gr. -teoo-, lat. -ter), dessen erste 
Silbe stets unbetont war. 

=- . Die e (&) und o (6) der meisten übrigen stammbildenden 
Suffixe haben sich idg. in den einzelnen Kasus verschieden aus- 
geglichen. Wenn Brugmann, Grundr. Il” 1, § 164 be den n- 
Stämmen aus dem Wechsel der e- und o-Qualität in demselben 
Paradigma des Germ. und Baltoslaw. schließt, daß die Durch- 
führung jedesmal derselben Qualität in den Kasus von gr. noıunv, 
dunn, hyeu®@v „wahrscheinlich“ unursprünglich sei, so geht er 
hier nicht weit genug, da gr. aiév neben «io» diesen Schluß zu 
einem zwingenden macht. Die idg. o-Färbung haben das Balto- 
slaw. und das Westgerm. im Nom. Sg. gewahrt... Innerhalb des 
Westgerm. aber zeigt das Deutsche und außerhalb desselben das 
ihm nicht benachbarte Gotische idg. e noch im Gen. und Dat. Sg. 
(as., ahd. md. hanen, ahd. obd. hanin; got. hanins, hanin). Nun 
folgt aus dem ursprünglichen endungslosen Lok. gr. olén, daß in 
diesem Kasus das Suffix zugleich e enthielt und den Hauptton 
trug. Nicht anders aber als der endungslose Lokativ wird idg. 
bei den »-Stämmen der Lokativ auf -i, d. h. der germ. Dativ 
‚betont worden sein, so daß auch hier e-Färbung und Hauptton 
zusammenfielen; da aber auch hier der Genetiv germ. e-Qualität 
des stammbildenden Suffixes aufweist, so wird auch er idg. den 
Hauptton auf dieser Silbe getragen haben. Gen. Sg. und Lok. Sg. 
werden also idg. in der exspiratorischen Betonung bei den n- 
Stämmen wie bei den Wurzelstämmen zu einander gestimmt 
haben. Im Akk. Sg. zeigt das Got. die idg. o-Stufe (hanan); der 
got. Nom. Sg. M. (hana, blinda) ist allerdings wohl erst zum Akk. 


256 Richard Loewe 


Sg. M. nach dem Verhältnis des Nom. Sg. F. (blinda) zum 'Akk. 
Sg. F. (blindön) gebildet worden; doch geht hier der westgerm. 
Endvokal (in ags. kona, as., ahd. hano) auf idg: -5 (vgl: lit. akmů) 
zurück. War dieser Gegensatz von Nom. und Akk. einerseits, 
Gen. und Lok. andrerseits schon idg., so besteht hier eine Parallele 
zu den i- und x-Stämmen, deren Vokale darauf hindeuten, daß 
bei ihnen im Nom. und Akk. Sg. der Hauptton auf der Wurzel- 
silbe, in den übrigen Kasus des Sg. aber auf dem stammbildenden 
Suffix lag. Die Schwundstufe im ahd. Akk. Sg. (hanon, hanun) 
beruht dabei wohl auf einem idg. dialektischen Lautwandel,: wo- 
nach e in der Silbe hinter dem Hauptton nicht nur wie allgemein 
vor ¿ und y (0. LI 33 Fußn.), sondern auch vor n ausfiel: ‘ Die 
i- und u-Stämme aber standen weiter in Parallele zu den Wurzel- 
stimmen, bei denen ja auch im Nom. und Akk. Sg. der Akzent 
um eine Silbe weiter zurück als im Gen., Dat., Lok. und Instr. 
Sg. lag. Bei den n-Stämmen ging aber laut Zeugnisses des Germ. 
die Parallele mit den Wurzelstämmen noch eine Stufe weiter als 
bei den i- und u-Stämmen, indem bei ihnen auch im Nom. PL 
(got. hunans, ahd. hanon, -un) der Akzent seinen Sitz um eine 
Silbe weiter rückwärts als bei den „schwachen“ Kasus des Sg. 
hatte. Daß in den schwachen Pluralkasus bei den n-Stämmen 
wie bei den GC und u-Stämmen der Hauptton idg. dem Kasus- 
suffix zukam, konnte die Empfindung für diese Parallele nicht 
stören, da hier auch die Wurzelstämme auf dem Kasussuffix be- 
tont waren. Infolge des Parallelismus aber zwischen Wurzel- 
'stämmen und n-Stämmen waren auch bei letzteren die „starken“ 
‘und die „schwachen“ Kasus als zwei verschiedene Gruppen im 
Sprachempfinden von einander geschieden, und das konnte dazu 
führen, in der einen Gruppe e, in der andern o durchzuführen. 
Da nun bei den n-Stämmen das stammbildende Suffix in den 
starken Kasus unbetont, in den schwachen aber betont war, so 
‚wurde bei ersteren o, bei letzteren e bevorzugt. 

| Daß auch einmal die es-Stämme einen ähnlichen Akzent- 
wechsel besessen haben, folgt nach Güntert,: IF. XXXVII 75 aus 
den ved. dativischen Infinitiven wie tujdss und nach Brugmann, 
Grundr. IL? 1, 8397 aus dem Vorkommen der Schwundstufe neben 
der Vollstufe in der Wurzelsilbe dieser Klasse. Nun zeigt sich 
‘hier wenigstens im Singular der Neutra noch der Wechsel von 
-os im Nom.-Akk. (gr. y&vos, abg. slovo) und -es in den übrigen 
'Kasus (z. B. Gen. yeveog, slovese); es ist also auch hier o in un- 
'betonter, e in betonter Silbe durchgedrungen. Bei den Adjektiven 


Die indogermanische Abtönung. 257 


auf -es hat e auch in den starken Kasus (gr. eöyevnsg, ebyevij aus 
-£a, ebyeväs) gesiegt, weil es hier betont war; die Parallele mit 
den übrigen Stammesklassen konnte hier auch deshalb aufgehoben 
werden, weil sich so ein Wechsel von e und o zwischen Simplex 
und Kompositum ergab, wie er gleichzeitig (wenn auch meist in 
der Wurzelsilbe und meist in umgekehrter Richtung) bei anderen 
Wörtern geschaffen wurde. 

Daß es auch unter den idg. e/o-Stämmen Wörter mit wechseln- 
dem Akzent gegeben hat, zeigt ags. horh: Sg. horh, horwes, horwe, 
horh, horu; Pl. horas, horwa, horwum, horas. (Sievers, Ags. Gr.’ 
8 242 Anm. 4.) Ein direkter Rest des Akzentwechsels bei einem 
e/o-Stamm liegt noch in gr. doo (úw), 6voiv vor. Daß andrer- 
seits einzelne Klassen der idg. e/o-Stämme festen Akzent besaßen, 
folgt aus der altindisch ebenso gut wie griechisch bestehenden 
Scheidung der Typen gödgos und goods. Auch herrscht feste 
Endbetonung bei den meisten Adjektiven (vgl. z.B. ai. ämd-s, 
gr. &ud-s); doch gab es auch Adjektiva mit fester Anfangsbetonung 
(vgl. ai. ndva-s, gr. véo-ç). Ausnahmslos o im Suffix zeigt sich 
bei den e/o-Stämmen nur im Nom. und Akk. Sg. und, vom got. 
Gen. Pl. auf - abgesehen, im ganzen Plural. In den „schwachen“ 
Singularkasus steht dagegen neben o (Gi auch e (eh, so im Gen. 
-e-so in got. -is (dagis) und adverbial in ags. «nes, im Lok. -ei 
in osk. -ei (terei), umbr. -e (onse), altags. -i (on rodi; Sievers, 
PBB. VIII 330), as. -i (Rothi usw.; Gallée-Lochner, As. Gr.° 8 297 
Anm. 5), adverbial in gr. et (olxeı), im Instr. e adverbial in ai. 
palatisierendem -@ (pascå), got. -& (De), gr. -n (&uagın), im Abl. 
-ēd adverbial in ai. palatisierendem -ad (puscäd), osk. -id (amprufid) 
und allgemein in alat. -ad (facilumēd), lat. e als echter Dativ 
mit e-Färbung ist wahrscheinlich mit Joh. Schmidt, Festgruß an 
Böhtlingk 102 got. kammeh zu betrachten. Daß es idg. im Nom. 
und Akk. Sg. nur Formen mit o in den übrigen Singularkasus 
aber zugleich solche mit o (6) und e (2) gegeben hat, erklärt sich 
am besten aus Vermischung der Klasse mit festem und der mit 
wechselndem Akzent. Drang im Nom. Sg. *bhöros das o zur 
deutlichen Scheidung von der 2. Sg. Injunkt. *bheres auch in der 
Endsilbe durch, so lag es nahe, das o (oi hier auch in allen übrigen 
Kasus in zweiter Silbe durchzuführen. Da sich *bhorö-s „Träger“ 
in der Ausgleichung im Nom. Sg. nach *bhöro-s „Tragung“* ge- 
richtet hatte, so siegte auch bei ihm o in allen übrigen Kasus. 
Auch die Adjektiva mit ihrem festen Akzent konnten sich leicht 
nach *bhóro-s richten. Dagegen konnten sich die e/o-Stämme 

Zeitschrift für vergl. Sprachf. LVI 3/4. 17 


258 Richard Loewe 


mit wechselndem Akzent nur den übrigen Klassen mit Akzent- 
wechsel wie den en-Stämmen und es-Stämmen anschließen. Bei 
der Vermischung beider Klassen der e/o-Stämme ergab sich für 
den Nom. und Akk. Sg. nur o, für die übrigen Singularkasus zu- 
gleich e (ë) und o (ö), doch so, daß durch den Einfluß des Nom. 
und Akk. Sg. auch hier o (oi bald das Übergewicht erlangte und 
e (e) sich meist nur bei Adverbien erhielt. Im Plural wird sich 
anfänglich die gleiche Verteilung zwischen den „starken“ und 
„schwachen“ Kasus ergeben haben; bei der geringeren Häufigkeit 
der Pluralformen drang dann hier aber o (ö) bald fast allgemein 
durch. Nur ist im Gen. Plur. got. -z erhalten, was mit der Neigung 
des Gotischen für die Kasus mit e-Färbung überhaupt zusammen- 
hängt (vgl. dagis, hvammeh, bei und nur darauf beruhen kann, daß 
schon der dieser Sprache zugrunde liegende idg. Teildialekt hier 
e und ée möglichst bevorzugt hatte. Auch im Dual konnte im 
Nom.-Akk. nur idg. -ð durchdringen, während in den übrigen 
Kasus infolge ihrer Seltenheit die e-Färbung gleichfalls bald der 
o-Färbung unterlag. Nur im Nom.-Akk. Sg. von „zwei“, der, 
wo er keine Dehnung des Endvokals erfahren hatte, isoliert stand, 
erhielt sich neben gr. ôúo auch lak. dée (aber nicht neben úw 
auch *dön), und wahrscheinlich ist auch gr. dveiv für Övoi» nur 
zufällig erst spät bezeugt. 

Umgekehrten Wechsel wie die bisher behandelten Klassen 
zeigt lat. iens, euntis, dessen Akk. nach Lindsay-Nohl 621 einmal 
*jentem gelautet haben muß (daß -ens hier die Schwundstufe 
repräsentiert, ist deshalb nicht möglich, weil schon die erste Silbe 
des zweisilbigen Wortes Schwundstufe zeigt). Bei den übrigen 
Partizipien der athematischen Verba ist lat. -ent durch alle Kasus 
gedrungen; doch zeigen noch das Adjektiv song, sontis und das 
abgeleitete voluntas die ursprüngliche o-Färbung der schwachen 
Kasus dieser Wörter. Idg. war auch hier e in betonter und (wo 
sich nicht dialektisch die Schwundstufe erhalten hatte), o in un- 
betonter Silbe durchgedrungen, wodurch doch zur en-Klasse und 
es-Klasse insofern eine Parallele geschaffen worden war, als sich 
durch den Vokalwechsel zwei Gruppen gebildet hatten, deren 
eine sich aus den „starken“ und deren andre sich aus den 
„schwachen“ Kasus zusammensetzte. 

Beim Wurzelstamm *prd steht dem gr. nodg (dor. mós), mod-6s, 
ags. fót usw. ein lat. pēs, ped-is gegenüber; doch hat: man richtig 
auch gr. dial. reöd „mit, nach“ von idg. *ped- hergeleitet. Freilich 
wird man in zedd keinen Instrumental, der doch wohl auf 


d 
nr 


A 


Die indogermanische Abtönung. 259 


- langen Vokal enden müßte, sondern einen Akkusativ *ne&da „die 
Fußspur hindurch“ zu sehen haben. Also auch hier ist idg. e 
in betonter, o in unbetonter Silbe mit umgekehrter Verteilung 
auf die Kasus wie bei den en- und es-Stämmen durchgedrungen. 
Man vergleiche auch beim Wurzelstamm *diey, der in den 
schwachen Kasus nur Schwundstufe zeigt, das idg. e im Nom. 
gr. Sege, lat. dies und Akk. gr. Zon, lat. diem. Dasselbe Ver- 
hältnis aber wie zwischen lat. pēs und dor. ze besteht auch 
zwischen lat. hiems, -emis und gr. xıov, -6vos und beruht auf 
demselben Gegensatz in der weiteren Ausgleichung in den Einzel- 
sprachen. Dazu kommen die Verbalnomina gr. påó£, xọóxa (Akk.), 
Oo, dd, duh, dog und lat. lex, prex, de-ses, res, rex (auch 
air. ri). Wenn bei *bhör (gr. poe, lat. für) das ö schon idg. durch- 
gedrungen ist, so ist das wohl unter Einwirkung von *bhorö-s (gr. 
goodcl geschehen, während bei *uok’s (lat. vor), *uok’s (gr. öy) 
die o-Färbung wegen des folgenden ke (und vielleicht auch des 
vorhergehenden x) sich schon idg. durchgesestzt haben wird. Um- 
gekehrt ist e, e bei den Wurzelstämmen schon idg. nach dem 
Ausweise von gr. åvýę, osk. ner, alb. ger, von gr. pe lat. er 
(her), von gr. xele, arm. jern und von gr. 3ro, ostlit. Nom. P). 
Zveres (Trautmann, Balto-slaw. Wb. 374) als der häufigere Laut 
da durchgeführt worden, wo eine Beeinflussung durch verwandte 
Wörter nicht möglich war. Hierbei fällt allerdings auf, daß e, ë 
in allen diesen Fällen vor einem r steht; möglicherweise hat also 
idg. r eine Aussprachsweise gehabt, die das Durchdringen des 
e, € begünstigte. 

Die i- und u-Stämme zeigen in den meisten Kasus mit Di- 
plıthong im Stammessuffix e-Färbung, so deutlich im Lok. Sg. 
(hom. ndAnı, ahd. suniu aus *suneu) und Nom. Pl. (gort. zo&es, 
ion. sıngess). „Starke“ und „schwache“ Kasus waren aber in 
diesen Klassen nicht wie gewöhnlich getrennt: wie hier der sonst 
„starke“ Nom. Pl. in Übereinstimmung mit dem Gen. Sg. und 
Lok. Sing. den Diphthong gewahrt hatte, so zeigt hier der Instr. 
Sing. Monophthong und zwar auch kurzen Monophthong (vgl. ved. 
präyukti, aw. cisti, manyu) wie der Nom. Sg. und Akk. Sg. Daher 
konnten die Kasus mit Diphthong noch durch die Färbung von 
dessen erstem Komponenten unter einander geschieden werden. 
Wenn sich nun im Gen. Sg. neben idg. -eis (osk. Lüvkanateis) und 
-eus Lous in osk. castrous wohl aus -eus) auch -ois (got. anstais) und 
-ous (got. sunaus, ahd. fridoo) erhalten haben, so wird das daran 
liegen, daß man hier die Doppelheit von -eis und -ois und die 

17* 


260 Richard Loewe 


von -eus und -ous in Beziehung zu den ähnlichen und auclı neben 
einander gewahrten Endungen -es und -os des Gen. Sg. der kon- 
sonantischen Stämme empfunden hat. Die Erhaltung aber von 
Formen auf -os neben -es im letzteren Falle wird an ihrem viel- 
fachen ursprünglichen Zusammenfall mit dem Nom. Pl. liegen. 
Im Nom. Pl., der häufiger als der Gen. Sg. war, ist hier -es als 
die häufigere Endung (wie auch -e im Nom. Du.) allgemein durch- 
gedrungen. Beim Gen. Sg. läßt sich freilich auch aus dem Latein, 
das -is und -us (alat. -es und -os) neben einander erhalten hat, 
die ursprüngliche Verteilung nicht mehr erkennen. Vermutlich 
hat sich -es im Gen. Sg. ursprünglich in den Formen erhalten, 
die nicht mit solchen des Nom. Pl. zusammenfielen, also in den 
zweisilbigen, die ja Oxytona waren, ferner bei den Neutra, die 
keine Nom. PI. auf -es, und bei den Eigennamen, die überhaupt 
keinen Nom. Pl. bildeten. 

Nach den nominalen e/o-Stämmen haben sich idg. auch die 
meisten pronominalen e/o-Stämme in den Formen mit nominalen 
Endungen gerichtet. So steht o allein hier im Nom. Sg. M. (gr. 
ős), Akk. Sg. M. (gr. tóv, got. Dan-a), Lok. PI. M. N. (gr. zoior, abg. 
těchü) usw. Wo sich hier e, & neben o, ö beim Nomen erhalten hat, 
zeigt es sich meist auch beim Pronomen wie im Instr. Sg. lak. 
sınrcora neben att. zozote und im got. Gen. Sg. (þis wie dagis). Von 
den pronominalen Lokativadverbien hielten dann die auf -ei wie dor. 
rei „wo?“, lat. hic aus *hei-c „hier“ die eigentlich lokativische Be- 
deutung fest, während die auf -oi wie gr. zot „wohin?“ lat. hüc aus 
*hoi-ce „hierher“ die Funktion von Richtungsadverbien annahmen 
(vgl. Brugmann, Grundr. 11°2 8472 Anm.). Auch haben die meisten 
Pronomina mit e/o-Suffix in den Kasus, in denen sie mit andrer 
Endung als die Nomina gebildet waren, diese aber selbst o durch- 
geführt haben, das e zu Gunsten des o aufgegeben. So vor -d 
im Nom.-Akk. Sg. N. (gr. tó, got. bat-a) und vor i im Nom. Pl. M. 
(dor. tol, got. dat). Entsprechend auch im endungslosen Nom. 
Sg. M. (gr. ô, got. sa). Auch wo bei den Pronomina noch ein 
besonderes Element vor dem Vokal der Endsilbe stand, hinderte 
dies nicht, daß letzterer denselben Ausgleichungen wie beim Nomen 
unterlag: daher z. B. Gen. Pl. ahd. dero wie tago, aber got. þizë 
wie dage. Die Vokale dagegen vor dem konsonantischen pro- 
nominalen Bestandteil wurden verschieden ausgeglichen. Im 


Gen. Pl. siegte hier beim Stamm to- nach Ausweis. von aisl. Deira, 


ags. dára, got. blindaiz& nach *pþaizē, abg. techü das oi über ei in 
Anlehnung an das oi des Nom. Pl. (dor. toi, got. hai) und Lok. Pi. 


Die indogermanische Abtönung. 361 


(gr. roiot, abg. techü). Bei dem mit -sm- gebildeten Dat. Sg. 
konnte nach dem Vorbild des Nom. Sg. und Akk. Sg. idg. o durch- 
dringen wie in got. þamma, hamma, umbr. pusme, aber auch e 
als der häufigere Vokal sich behaupten wie in ahd. demu, hwemu. 
Vor dem -s- der pronominalen Femininformen hat sich nur das 
häufigere e erhalten (Gen. Sg. got. Pizös, ahd. dera, apr. stesse usw.; 
Dat. Sg. got. Raat, ahd. deru), weil es kein Muster femininer 
nominaler e/o-Stämme gab. Im Dat. Sg. M. lit. tamui, abg. tomu 
und Lok. Sg. lit. tame, tamì, abg. tomi ist idg. o durch Einfluß 
des m durchgedrungen. 

Nur Formen mit e weist der Pronominalstamm *e- auf: Nom. 
Sg. M. osk. es-idum, umbr. es-to, air. é, run. eR, aisl:, ahd. er; Akk. 
Sg. M. alat. em, em-em usw. (Brugmann, Grundr. IL’ 2 S. 326f.). 
Es ist dies darin begründet, daß der Stamm *e- nur aus einem 
Vokal ohne vorhergehenden Konsonanten bestand, so daß, wenn 
man in einzelnen seiner Kasus e, in anderen o durchgeführt hätte, 
die Formen garnicht mehr als verwandt hätten empfunden werden 
können. So wird hier das häufigere e schon durchgedrungen 
‚sein, noch bevor die übrigen pronominalen e/o-Stämme die Aus- 
gleichung nach dem Muster der nominalen vornahmen. 

Bei dem Stamm *Åte-, *kto-, der nur altpreußisch auftritt, er- 
scheint idg. o hier im Nom. Sg. M. stas, Akk. Sg. M. N. stan, 
Nom. Akk. Sg. N. sta, Instr. Sg. N. stu, Nom. Pl. M. stai, Akk. 
Pl. M. stans. Wo hier aber eine Form durch Anfügung oder 
Einfügung eines pronominalen Elements oder sonst. zweisilbig 
geworden war, erscheint idg. o (6) nur in zweiter, dagegen e in 
erster Silbe. So im Gen. Sg. stesse usw. (idg. *ktesioi; Trautmann, 
Die altpreuß. Sprachdenkmäler, S. 262), Dat. Sg. stesmu, Gen. Pl. 
steison, Dat. Pl. steimans. Hierbei fällt der Gegensatz von steison 
(idg. *kteisom) zu aisl. þeira usw. (idg. *toisom) und der von steimans 
(idg. *kteimons) zu abg. temü (idg. *toimos) auf. Der Unterschied 
wird sich so erklären, daß der um das deiktische Ze vermehrte 
Stamm *kte-, *kto- einen stärkeren Hinweis als das einfache *te-, *to- 
enthielt und deshalb öfter als dies mit Hochton gesprochen wurde; 
daher drang bei *Ate-, *kto-, von sta und stai abgesehen, die sich 
an die übrigen einsilbigen Formen anschlossen, das e überall 
durch, wo keine nominalen Formen als direkte Muster vorlagen. 

Daß idg. *Ate-, "bio. sehr oft mit Hochton gesprochen wurde, 
folgt besonders aus dem Gegensatz des Dat. Sg. apr. stesmu zu 
kasmu, da auch idg. *k’e-, "ro häufiger als *te-, *to- mit e vor- 
kommt. So zeigt das Altbulgarische bei oe noch e gegenüber 


262 ` Richard Loewe 


dem o von *te- in allen „schwachen“ Kasus des Neutrums: vgl. 
Gen. česo, togo; Dat. čemu, tomu; Lok. čemi, lomi; Instr. čimř, těmi. 
Ähnlich weist das Homerische vom Stamme *k’e- nur tgo, TEÒ (TE0, 
tev), vom Stamme *te- nur zoio toð im Gen. Sg. M. und N. auf. 
Zum Demonstrativum idg. *te- stimmt aber bei Homer auch das 
Relativum idg. *ie-, dessen Genetiv hier nur 60v (für *60) und oð 
lautet. Daß sich die Formen mit e bei *ķ"e- einst auf alle schwachen 
Kasus des Singulars erstreckten, wird durch das Awestische be- 
stätigt, in dem nicht nur im Gen. cahya neben kahya, sondern 
auch noch im Lok. cahmi neben kahmi vorkommt (Reichelt, Awest. 
Elementarb. § 401): Die Formen des gewöhnlichen idg. Demon- 
strativums *ie- werden ebenso gut wie fast alle anderen idg. 
Wörter je nach der Stelle im Satze zwischen Hochton, Mittelton 
nnd Tiefton gewechselt haben, die des Stammes *k”e- aber nur da, 
wo sie in indirekter Frage standen oder als Indefinitum fungierten: 
in direkter Frage aber werden die letzteren Formen stets, auch gegen 
die Satzmelodie, den Hochton getragen haben. Wird doch auch 
das direkte Fragepronomen noch neuhochdeutsch stets mit Hoch- 
ton gesprochen, und behält gr. sie als direktes Fragewort vor 
jedem anderen Wort im Gegensatz zu allen anderen betonten 
Endsilben in der Schrift den Akut, d. h. in der Sprache den 
Hochton. So erhielt bei Size das e schon beim Eintritt der Ab- 
tönung ein gewisses Übergewicht über o, nicht aber bei *te- und 
*je-, und dazu mußte später bei der Ausgleichung *k’e- wieder 
mehr als *te- und *ie- das e begünstigen, dessen hoher Eigenton ` 
sich besser als der tiefe des o mit dem Hochton des direkten 
Frageworts vereinte. 

Eine stärkere Bevorzugung des e bei idg. *%k”e- als bei idg. 
*te- zeigt sich auch altsächsisch; nur sind dabei die Formen 
etwas anders verteilt. Das Interrogativum bietet hier stets e 
nicht nur im Gen. (hues) und Dat. (hwemu, hwem), sondern auch 
im Akk. (hwena, -e); das Demonstrativum hat im Gen. neben thes 
vereinzelt auch thas, im Dativ neben themu usw. vereinzelt auch 
tham, than, im Akk. dagegen neben then(a) häufig auch thana. 
In dem hier zugrunde liegenden idg. Teildialekt wird bei *te- das 
e in den schwachen Kasus, bei Size aber außerdem noch — im 
Gegensatz zum Nomen — im Akkusativ durchgedrungen sein 
(as. thena ist Angleichung an hwena wie ahd. den an wen). Zu 
as. hwena stimmt auch lat. quem (gegenüber istum, hun-c), während 
dem Nom. as. hwe aus idg. *k’oi (wie as. hē aus idg. *koi, ags. sē 
aus idg. soi, Brugmann, Grundr. Il?,2 8 350) alat. qoi, osk. pui 


Die indogermanische Abtönung. 263 


entspricht; doch gab es auch selbst einen idg. Nominativ * kei, 
der in air. cia, kymr. pwy vorliegt. 

Durchführung des idg. e zeigt sich auch in Ableitungen des 
Interrogativums wie in kret. reiov' ncoiov Hesych und gort. Öreia. 
Auch lat. quot beruht erst auf einzelsprachlicher Angleichung an 
tot, vorindisch *köti (ai. ké) auf solcher an zën (ai. táti), da in 
den Sprachen, die idg. *töti verloren, das zugehörige Interroga- 
tivum aber erhalten haben, für letzteres nur Formen vorkommen, 
die auf idg. *kreti- zurückgehen: aw. caiti, bret. pet. Entsprechend 
steht auch idg. e in got. hileiks neben idg. o in got. swaleiks'). 

Von den zweisilbigen Pronomina bietet apr. tans, tans aus 
idg. *lonos im Nom. Sg. zwei o, im Gen. Sg. tennesei, Dat. Sg. 
tennesmu, Gen. Pl. tenneison, Dat. Pl. tenneimans dagegen in erster 
wie in zweiter Silbe e: hier hat also idg. der Vokal der zweiten 
Silbe die Auswahl unter den Vokalen der ersten bestimmt, ähnlich 
wie der Themavokal o das o in der Personalendung der 1. Pl. 
-mos begünstigt hat. Das e der ersten Silbe hat sich dann über 
alle Kasus mit Ausnahme des häufigsten, des Nom. Sg., verbreitet 
(Akk. Sg. tennan, Akk. Pl. tennans; Nom. Pl. tennei zugleich mit 
ei in der zweiten Silbe nach ienneison, tenneimans). Allgemein 
zu Gunsten des häufigeren e ist idg. dialektisch in der ersten 
Silbe des zweisilbigen Pronomens *eno-s ausgeglichen worden, 
wie es griechisch in ën und xeivog (dor. x7vog) aus *xe vos vor- 
liegt. In einem anderen idg. Dialekt ist hier aber die Ausgleichung 
nach Ausweis von abg. ong, lit. añs zu Gunsten des o erfolgt; 
hier hat das o der zweiten Silbe, das ja in allen Kasus nach dem 
Muster des Nomens möglich war, die Durchführung des o auch 
in der ersten Silbe bewirkt. Doch erscheint lit. als possessiver 
Genetiv zu kàs auch keno, das Brugmann, Lit. Volkslieder 304 
aus Godlewa als kend mit der Nebenform kanö verzeichnet und 
das auch Lalis 148 vermerkt, und dessen Gegensatz zu alleinigem 
ano (ein *eno wird nirgends angegeben) sich wie der von hom. 
180 ZU Toio usw. aus seiner interrogativen Funktion bereits im 
Idg. erklärt. 


Berlin. Richard Loewe. 


e - eu m 


1) Umgekehrt stehen neben einander lit. Zen „so“ und kaip „wie?“. Hier 
wird aber für Zeip nach Kurschat s. v. gewöhnlich Goin geschrieben, das offenbar 
die ältere Form ist, während Zeip auf Anlehnung an das zu idg. ki- (lit. 823-8) 
gehörige szeip beruht (vgl. szeip ir teip, nei szeip nei fen: Kurschat se, 
szeip). 


264 F. Specht 


Zur Geschichte der pronominalen Flexion im 
Indogermanischen und Litauischen. 


Bekanntlich hat das Germanische in der pronominalen Flexion 
im Dat. Plur., der formell ein alter Instrumentalis ist, für Masku- 
linum und Femininum die gleiche Form, z. B. got. þaim. Im 
Gen. Plur. ist zwar im Gotischen eine Umbildung eingetreten. 
Aber die andern germanischen Dialekte haben den gleichen Zu- 
stand wie im Dat. Plur., z. B. ags. dära, an. þeira. Mit dem 
Germanischen geht Hand in Hand das Slavische, wo außer im 
Instrumental (ént und Genitiv tch% auch im Dat. Plur. těma 
und Lok. Plur. fechs Maskulinum und Femininum die gleiche 
Bildung zeigen. Man hat ferner schon längst auf das Altpreußische 
verwiesen, wo der Dat. Plur. steimans, steimans, steimans nicht 
nur für das Maskulinum, sondern auch tür das Femininum gilt. 
Auch die Form des Gen. Plur. steison ist femininisch gebraucht, 
findet sich aber zufällig nur als Singular verwendet. Dafür ist 
aber vom Pronomen täns der Genitiv Pluralis tenneison, tenneison 
wieder Maskulinum und Femininum. Da aber auch sonst im Alt- 
preuß. in der pronominalen Flexion Geschlecht und Numerus 
nicht immer streng geschieden ist (Trautmann, Die altpr. Sprachd. 
263f.), so könnte an und für sich der Zusammenfall zwischen 
Maskulinum und Femininum im Dativ und Genitiv Pluralis auf 
Rechnung des auch sonst trostlosen Zustandes der apreuß. Sprache 
kommen. Deshalb glaubt auch Trautmann a. a. O. 263, daß femi- 
nines steimans, nach lit. föms, ai. täbhyas zu urteilen, für ehemaliges 
* stamans eingetreten ist. 

Nun führt aber auch Endzelin, Lettische Grammatik 391 unter 
Berufung auf apreuß. sfeimans aus einer lett. Grammatik vom 
Jahre 1732 ein lett. tiems (Dat. und Instr. Plur.) an, das für beide 
Geschlechter gebraucht ist. Er hält aber, da diese Formen sonst 
im Lettischen ganz isoliert sind, auch ein Versehen. für nicht 
ausgeschlossen. Daß das feminine apreuß. steimans, lett. tiems 
nicht von den gleichen Erscheinungen des Germanischen und 
Slavischen zu trennen ist, lehrt nun weiter das Litauische. 
Zwar was Bezzenberger, Zur Geschichte d. lit. Sprache 234 aus 
Bretken Sach. 13; anführt: kurei žemei dwi dalli ira, thiemus isz- 
pustitiems buti, ist, da es sich um einen Dual handelt, etwas anders 
geartet und kann deshalb hier beiseite bleiben. Wohl aber ist, 
soweit ich die altlit. Literatur übersehe, tiems usw. in femininer 
Verwendung in gewissem Umfang in der Sprache der Reformierten 


ZE 


Zur Geschichte der pronom. Flexion im Indogerm. und Litauischen. 265 


üblich gewesen. Das wird etwa die Mundart im Nordosten sein, 
die in der Umgebung von Biržiai gesprochen wird. Das Material 
kann ich schon deshalb nicht vollständig geben, als ich bei der 
Lektüre die Fälle zunächst nicht beachtete und sie für Druck- 
fehler hielt. Erst als die Beispiele immer zahlreicher wurden, 
habe ich sie mir regelmäßig angemerkt. Immerhin reichen sie 
aber zum Beweise völlig aus. 

Aus der sehr umfangreichen Postille des Morkunas von 1600') 
kenne ich nur den Dativ 57?ss tokiems gilibems. Da ferner žmonės 
in der genannten Schrift bald Maskulinum, bald Femininum ist, 
so könnte man auch Fälle wie 64? gieriems ir pakaingoms Zmone- 
mus oder 11° Zmonemus anomus sumaisitomis (Dat.) o silvartuojan- 
tiems hierher rechnen und annehmen, gieriems und silvartuojantiems 
stünden für das Femininum. Aber beweisen läßt sich das nicht. 
Denn man findet auch Wendungen, wie 8? tas žmones, kurie ga- 
tavi ira oder 189° anas žmones, kurius, 198° Zmones savo viernas 
ir savo išrinktus. In der Regel hat auch Morkunas im Dat. Plur. 
die übliche Femininform, 82%, toms baysiomis mariomis, wo ich 
wegen der Endung -mis im Dat. Plur. auf ob. LII, 153ff. ver- 
weise, oder 99% anomus iSatkusiomis Zmonemis, 65° Zmonemus krik- 
Scioniskomis, 163° visomus Zmonemus (= Gerullis, lit. Ghrestom. 
167), 305° anomis baysiomis ronomis (Dat.), 338° anomis dvasiomis 
piktomis (Dat.), Ill 75° anomis Zmonemis šventomis ir viernomis 
(Dat.) u. a. 

Ungleich häufiger kennt nun die Verwendung des Masku- 
linums für das Femininum im Dat. Plur. der pronominalen Flexion 
die Bibel des Chylinski*). Allerdings ist die Verteilung auffällig. 
Während in manchen Büchern die maskuline Form durchgängig 
gebraucht ist, kennt das kleine Buch Esther die Erscheinung 
gar nicht, sondern verwendet immer die Femininform. Ganz 
eindeutig sind zunächst folgende Beispiele: Deut. 3:ı visiems kara- 
listems, Deut. 419 7ı9 Sam. I 1020 visiemus giminems, Deut. 286; 
po tiems giminems, Jos. 23s jusu visiemus tiemus giminems, Jud. 
Argum. tuliemus Pahoniskiems giminems; Reg. 13. II 18. iki aniems 
dienams‘), Sam. I 15s, 15 gierausiems aviams‘), Reg. Iiis visiems 


1). Vgl. darüber Bezzenberger, Zur Gesch. der lit. Sprache XXTf. 

2) Vgl. darüber Reinhold, Mitteil. der litauisch. literar. Gesellsch. IV 207 f. 

3) Über dienams für dienoms u. a. s. u. S. 274f. 

4) Über aviams für avims s.u. S. 273. Das Wort ist stets Femininum. Ich 
verweise auf Gen. 29, 3315 Num. 2717 Deut. 12sı Sam. I 17s4f. 3020 Sam. II 24:7 
Reg. I 22,,, Chron. I211. Ex. 22, kiaturis avis (Akk. Plur.) ist kein Geger- 


264 F. Specht 


Zur Geschichte der pronominalen Flexion im 
Indogermanischen und Litauischen. 


Bekanntlich hat das Germanische in der pronominalen Flexion 
im Dat. Plur., der formell ein alter Instrumentalıs ist, für Masku- 
linum und Femininum die gleiche Form, z. B. got. aim. Im 
Gen. Plur. ist zwar im Gotischen eine Umbildung eingetreten. 
Aber die andern germanischen Dialekte haben den gleichen Zu- 
stand wie im Dat. Plur., z. B. ags. dära, an. þeira. Mit dem 
Germanischen geht Hand in Hand das Slavische, wo außer im 
Instrumental tmi und Genitiv fechae auch im Dat. Plur. Zeıns 
und Lok. Plur. ?echs Maskulinum und Femininum die gleiche 
Bildung zeigen. Man hat ferner schon längst auf das Altpreußische 
verwiesen, wo der Dat. Plur. steimans, steimans, steimans nicht 
nur für das Maskulinum, sondern auch für das Femininum gilt. 
Auch die Form des Gen. Plur. steison ist femininisch gebraucht, 
findet sich aber zufällig nur als Singular verwendet. Dafür ist 
aber vom Pronomen ous der Genitiv Pluralis tenneison, tenneison 
wieder Maskulinum und Femininum. Da aber auch sonst im Alt- 
preuß. in der pronominalen Flexion Geschlecht und Numerus 
nicht immer streng geschieden ist (Trautmann, Die altpr. Sprachd. 
263f.), so könnte an und für sich der Zusammenfall zwischen 
Maskulinum und Femininum im Dativ und Genitiv Pluralis auf 
Rechnung des auch sonst trostlosen Zustandes der apreuß. Sprache 
kommen. Deshalb glaubt auch Trautmann a. a. O. 263, daß femi- 
nines steimans, nach lit. töms, ai. täbhyas zu urteilen, für ehemaliges 
* stamans eingetreten ist. 

Nun führt aber auch Endzelin, Lettische Grammatik 391 unter 
Berufung auf apreuß. sfeimans aus einer lett. Grammatik vom 
Jahre 1732 ein lett. tiems (Dat. und Instr. Plur.) an, das für beide 
Geschlechter gebraucht ist. Er hält aber, da diese Formen sonst 
im Lettischen ganz isoliert sind, auch ein Versehen für nicht 
ausgeschlossen. Daß das feminine apreuß. steimans, lett. tiems 
nicht von den gleichen Erscheinungen des Germanischen und 
Slavischen zu trennen ist, lehrt nun weiter das Litauische. 
Zwar was Bezzenberger, Zur Geschichte d. lit. Sprache 234 aus 
Bretken Sach. 13; anführt: kurei žemei dwi dalli ira, thiemus isz- 
pustitiems buti, ist, da es sich um einen Dual handelt, etwas anders 
geartet und kann deshalb hier beiseite bleiben. Wohl aber ist, 
soweit ich die altlit. Literatur übersehe, tiems usw. in femininer 
Verwendung in gewissem Umfang in der Sprache der Reformierten 


Zur Geschichte der pronom. Flexion im Indogerm. und Litauischen. 265 


üblich gewesen. Das wird etwa die Mundart im Nordosten sein, 
die in der Umgebung von Biržiai gesprochen wird. Das Material 
kann ich schon deshalb nicht vollständig geben, als ich bei der 
Lektüre die Fälle zunächst nicht beachtete und sie für Druck- 
fehler hielt. Erst als die Beispiele immer zahlreicher wurden, 
habe ich sie mir regelmäßig angemerkt. Immerhin reichen sie 
aber zum Beweise völlig aus. 

Aus der sehr umfangreichen Postille des Morkunas von 1600 ') 
kenne ich nur den Dativ 57° ss tokiems gilibems. Da ferner Zmones 
in der genannten Schrift bald Maskulinum, bald Femininum ist, 
so könnte man auch Fälle wie 64? gieriems ir pakaingoms Zmone- 
mus oder 11? Zmonemus anomus sumuisitomis (Dat.) o silvartuojan- 
tiems hierher rechnen und annehmen, gieriems und silvartuojantiems 
stünden für das Femininum. Aber beweisen läßt sich das nicht. 
Denn man findet auch Wendungen, wie 8? tas žmones, kurie ga- 
tavi ira oder 189? anas žmones, kurius, 198? Zmones savo viernas 
ir savo išrinktus. In der Regel hat auch Morkunas im Dat. Plur. 
die übliche Femininform, 82°; toms baysiomis mariomis, wo ich 
wegen der Endung -mis im Dat. Plur. auf ob. LIII, 153ff. ver- 
weise, oder 998 anomus iSatkusiomis Zmonemis, 65° Zmonemus krik- 
Scioniskomis, 163% visomus Zmonemus (= Gerullis, lit. Chrestom. 
167), 305? anomis baysiomis ronomis (Dat.), 338° anomis dvasiomis 
piktomis (Dat.), Ill 75° anomis Zmonemis šventomis ir viernomis 
(Dat.) u. a. 

Ungleich häufiger kennt nun die Verwendung des Masku- 
linums für das Femininum im Dat. Plur. der pronominalen Flexion 
die Bibel des Chylinski?). Allerdings ist die Verteilung auffällig. 
Während in manchen Büchern die maskuline Form durchgängig 
gebraucht ist, kennt das kleine Buch Esther die Erscheinung 
gar nicht, sondern verwendet immer die Femininform. Ganz 
eindeutig sind zunächst folgende Beispiele: Deut. 3: visiems kara- 
listems, Deut. 419 71» Sam. I 1020 visiemus giminems, Deut. 286s 
po tiems giminems, Jos. 23s jusu visiemus tiemus giminems, Jud. 
Argum. tuliemus Pahoniskiems giminems; Reg. 13. II 18. iki aniems 
dienams’), Sam. I 15», ı5 gierausiems aviams‘), Reg. I 11s visiems 


1)- Vgl. darüber Bezzenberger, Zur Gesch. der lit. Sprache XXIf. 

2) Vgl. darüber Reinhold, Mitteil. der litauisch. literar. Gesellsch. IV 207 ff. 

3) Über dienams für dienoms u. a. s. u. S. 274f. 

1) Über aviams für avims s.u. S. 273. Das Wort ist stets Femininum. Ich 
verweise auf Gen. 295 3315 Num. 2717 Deut. 123: Sam. I17s4f. 3020 Sam. II 2417 
Reg. 122,7, Chron. 12117. Ex. 22, kiaturis avis (Akk. Plur.) ist kein Geger- 


268 F. Specht 


Esth. 1 Arg. Esth. is 314 Bu Hiob 5 Argum. visomus Zmonemus, 
Esth. 1 Argum. visomus moterims, Esth. 1 Argum. kitoms moteryms, 
Gen. 314s toms dukterims, Gen. 1514 Lev. 9 Arg. kuromus. Möglich, 
daß ich noch dies oder jenes Beispiel übersehen habe, im großen 
und ganzen wird die Sammlung vollständig sein. 

Die übrigen reformierten Schriften, der Katechismus von 
1598, die Kniga nobažnistes von 1653, die Summa von 1653, die 
Małdos krikščioniškos von 1653 und der ihnen beigefügte Kate- 
chismus kennen den Gebrauch nicht. Überall haben dort Femi- 
nina der pronominalen Flexion im Dat. Plur. die auch sonst üb- 
liche feminine Endung"). Da žmonės in den genannten Schriften 
beiderlei Geschlechts sein kann, so ist auf Stellen wie Katech. 
von 1598 S. 18 už visas žmones tikras, idant giemus Ponas visame 
stavint’) tryktusi (= Gerullis, lit. Chrest. 152s) nichts weiter zu 
geben. Das wird durch ganz eindeutige Fälle, wie Kniga nob. 88, 
visi žmones ... bus surinktos, 214°, su visoms Zmonems viernaysmys 
(als Reim auf su Anieluys Sventaysiays) oder Sum. 48s, tokiose 
žmonese, kurie u.a. bewiesen. Auch der katholischen ostlitauischen 
Literatur ist die Verwendung des Maskulinums für das Femininum 
fremd. 

Nachdem sich also der Gebrauch der Maskulinform für das 
Femininum im Dativ Plur. der pronominalen Flexion noch aus 
dem Altlitauischen hat nachweisen lassen, kann man die lettischen 
und altpreußischen Beispiele nicht kurzer Hand beiseite schieben, 
sondern man ist gezwungen diesen Gebrauch für gemeinbaltisch 
zu halten. Dann aber ist fernerhin das Baltische nicht vom 
Germanischen und Slavischen zu trennen, und die weitere Frage 
muß gestellt werden, wie sich diese drei Sprachgruppen zu den 
andern idg. Sprachen verhalten, die im Plural der pronominalen 
Flexion Maskulinum und Femininum scharf geschieden haben. 

Soweit ich die Literatur übersehe, herrscht wohl fast all- 
gemein die Ansicht vor, daß die gemeinsame Form für Masku- 
linum und Femininum im Germanischen und Slavischen eine 
junge Spracherscheinung ist. Ich verweise nur auf Brugmann. 

') Vgl. Kat. von 1598 S. 48 pasakoms netikroms, Kniga. nob. Ga dusin- 
gomis maldomis (Dat), 15211 tamsioms akims, 61l&ıs visoms giminems, Dee 
bestiioms baysioms, 822, savomis zmonemis (Dat), 1807 po toms sunkibenis, 
19618 dusioms alkanomis (Dat.), Sum. 19:5 visoms giminems u. a. Maldos 61s 
kalboms nievieslivoms, 111. mums Zmonems ... griesnomis (Dat) ir neklau- 
zadzioms, 360 iSalkusioms dusioms, 4017 visoms rodoms, 4111 neklauzadoms 


Zmonemis (Dat), 6ls nesciomis ir ... auginančioms. 
3) lavint im Original und bei Gerullis a.a.O ist zu korrigieren. 


Zar Geschichte der pronom. Flexion im Indogerm. und Litauischen. 269 


Grundr.* 11,2, 1, 370ff. (8 370%; 372,2; 373,2; 374,2) und 376 
oder Kluge, Urgerm.® 208. Nur Meillet, le slave commun 380t. 
sieht jedenfalls im Dativ und Instr. Plur. fem. altbulg. tmz, těmi 
got. þaim etwas Uraltes, hält aber den Gebrauch von altbulg. 
tEchs als Femininum des Genitivs wegen der Übereinstimmung 
von griech. zë, ai. täsam, lat. istarum für eine Neuerung und 
rechnet weiter mit der Möglichkeit, daß altbulg. € und got. ai im 
Dativ und Instrumental Plur. fem. auf idg. ai zurückgehen, während 
č und ai im Maskulinum auf idg. oi (ei) weisen. 

Ich stimme Meillet in dem ersten Teil seiner Annahme durch- 
aus zu. Der Hinweis darauf, daß im Substantiv ein maskuliner 
ö-Stamm im Akk. Plur. und Gen. Plur. wie vlsky, vlsk& einem 
gleichlautenden femininen #-Stamm, wie ženy, ženě gegenüber- 
steht, ohne daß irgendwo sonst im Plural Vermischung der A. 
und a-Stämme eingetreten ist, verdient die vollste Beachtung. 
Außerdem erscheint es mir viel leichter ein ai. tabhyas usw. als 
Angleichung an die Substantivflexion wie senabhyas zu deuten, 
zumal da doch sonst die Sprache die Genera scharf zu scheiden 
pflegt. Aber ich glaube, das Litauische führt uns noch einen 
Schritt weiter. Es ist nämlich kein Zufall, daß dort nur im 
Dativ Plur. Zusammenfall zwischen Maskulinum und Femininum 
eingetreten ist, während der Instrumental Plur. auch bei Chylinski 
nie anders als tomis, anomis, visomis usw. lautet. Dieser Gegen- 
satz des Litauischen zum Germanischen, Slavischen und auch 
zum Lettischen wird sofort klar, wenn man bedenkt, daß diese 
im Instrumental Plur. masc. die Endung ot (ei) Lais verwenden, 
während das Litauische die Endung -ais hat, die die andern 
erwähnten Sprachen gar nicht kennen. Nun zeigt ferner das 
Altindische im Veda noch deutlich den Gegensatz zwischen -ebhis 
in der pronominalen und ais in der nominalen Flexion; -zbhis 
in der nominalen Flexion ist nur vereinzelt, während im klassi- 
schen Sanskrit genau wie im Litauischen das nominale -ais die 
alte pronominale Endung verdrängt hat’). Aus dem altlit. Gegen- 
satz zwischen Dativ Plur. tiem(u)s für Maskulinum und Femininum 
und Instrumental tais für Maskulinum und tomis für Femininum 
folgt nun, daß der Zusammenfall zwischen Maskulinum und Femi- 


1) Brugmann, Grundr. II, 2, 374 setzt für die idg. Grundsprache im Pronomen 
neben dem Instrumental *Zozdbhis auch ein *öis an. Schwerlich mit Recht. Auch 
Ehrlichs Spekulationen, Untersuchungen über die Natur der griech. Betonung 64 
scheitern außer an andern Gründen an dem Ansatz eines pronominalen In- 
strumentals auf -öis. 


270 F. Specht 


ninum im Plural der pronominalen Flexion nur an dem pro- 
nominalen Bildungselement oi (ei) liegt, oder mit andern Worten: 
das pronominale Bildungselement oi (ei) war indog. gegen das 
Geschlecht indifferent. Damit lehne ich Meillets weitere Fol- 
gerungen (ob. S. 269), daß im Femininum slav. € und germ. ai auf 
idg. a weise und der Genitiv Plur. fem. von Haus aus auf -asöm 
laute, ab. Andrerseits siele ich im Gegensatz zu Hermanns 
Ausführungen in der Festschrift für Wackernagel 217ff., der für 
die früheste Zeit eine wechselseitige dauernde Beeinflussung der 
pronominalen und nominalen Endungen annehmen muß’). Was 
dieses pronominale -oi- (-ei-) gewesen ist, will ich nicht entscheiden. 
Sicher ist nur soviel, daß toi- (tei-) den Stamm to- (te-) + i ent- 
hält. Ob in diesem i, wie Joh. Schmidt oben XXV 6 will, der 
pronominale Stamm i vorliegt, lasse ich dahingestellt. Vgl. auch 
noch Bartholomä, Grundr. der iran. Phil. 1137 mit Literatur. 
Jedenfalls kann i keine gewöhnliche Flexionsendung sein; denn 
dann versteht man nicht, weshalb toi- (tei-) für das Maskulinum 
und Femininum gebraucht wird. Sicherlich ist diese Art der 
Pluralbildung älter als diejenige, die wir beim Nomen antreffen. 

Demnach hat das Slavische den idg. Zustand am reinsten 
erhalten, indem es in 4 Kasus, dem Gen. Dat. Instr. Lok. Pluralis 
das Alte bewahrt hat. Das Germanische hat den alten Lok. und 
Dat. aufgegeben, hat aber im Instrumental und Genitiv Plur. das 
Ursprüngliche festgehalten. Da das Litauische im Pronomen den 
Genitiv und Instrumental Plur. durch die nominale Flexion er- 
setzt und den Lokativ Plur. umgebildet hat, so zeigt dort nur 
noch der Dativ als echte Pronominalforın das Alte. Im Lettischen 
hat die Dativendung Zem auch die Funktion des Instrumentals 
übernommen (Endzelin, lett. Gram. 299). Daher steht tiem alt- 
lettisch als echte Pronominalform auch für den Instrumental des 
Femininums. Das Apreuß., das im Gegensatz zum Litautschen 
und Lettischen im Gen. Plur. die pronominale Flexion bewahrt 
hat, führt dementsprechend außer im Dativ auch im Genitiv Dier. 
den alten Zustand weiter. Darnach können ai. Formen, wie tas, 
tasam, täbhis, tabhyus, tasu und die entsprechende Flexion im 


1) Selbstverständlich zweifle auch ich nicht an gelegentlichen gegenseitigen 
Beeinflussungen zwischen pronominaler und nominaler Flexion. Denn im Lok. 
Plur. der ö-Stämme kann -oisw natürlich nur aus dem Pronomen stammen. Nur, 
glaube ich, muß man die Scheidung zwischen nominaler und pronominaler Flexion 
für den uns erreichbaren Zustand der idg. Grundsprache schärfer ziehen, als cs 
Hermann a a O tut. 


Zur Geschichte der pronom. Flexion im Indogerm. und Litauischen. 271. 


Griech. und Lat. nicht ursprünglich sein. Vielmehr sind tahhis, 
täbhyas, tāsu nach nominalem Vorbilde wie senabhis, senabhyas, 
senasw neu geschaffen worden. Waren aber tabhis, tabhyas, tasu 
einmal gegeben, so war es selbstverständlich, daß auch *toism 
(tesam) als Femininum durch *tasom ersetzt wurde. Nur für den 
Nom. Plur. fem. tas läßt sich nirgends mehr ein *toi nachweisen. 
Aber begreiflich ist das. Denn im Akkusativ Plur. fem. ist von 
Hause aus pronominale und nominale Flexion nicht geschieden 
worden. Es lag also immer neben femininem *toi, *toisöm, *toibhis, 
*toibhjos, *toisu ein Akk. Plur. tās. Da nun im Nomen bei den 
femininen a-Stämmen Nominativ und Akkusativ in der gleichen 
Endung -äs zusammengefallen sind, so lag es sehr nahe, auch das 
pronominale (ës, das ursprünglich nur Akkusativ war, auch als 
Nominativ zu verwenden. Dabei kann mitbestimmend die Drei- 
heit des Geschlechts im Nominativ des Singulars gewesen sein. 
Weiter ist es kein Zufall, daß gerade die drei nordeuropäischen 
Sprachfamilien hier den alten Zustand am reinsten bewahrt haben. 
Denn in keiner Sprachgruppe ist der Gegensatz zwischen pro- 
nominaler und nominaler Flexion so scharf durchgeführt wie 
gerade im Germanischen, Slavischen und Baltischen. Die ge- 
legentliche analoge Ausbreitung des -oi- (-ei) auch auf Kasus des 
Singulars wie in ags. dém, an. þeim, altbulg. t&m» beruht auf 
Angleichung des Prononunalstammes des Singulars an den Plural 
und steht mit der besprochenen Erscheinung in keinem ursäch- 
lichen Zusammenhang. Noch anders ist die Ausbreitung von 
-ei(s)- in der pronominalen Flexion des Oskisch-Umbrischen (Brug- 
mann, Grundr. ° II, 2, 1,330) zu beurteilen. 

Die Ansicht, daß eine Flexion wie ai. täs, täsam, tabhyas, 
‚tabhis, tasu auf Neubildung nach dem Nomen beruht, wird nun 
auch dadurch bestätigt, daß es einen femininen Pronominalstamm 
ta- überhaupt nur dort gibt, wo nominale und pronominale Flexion 
von Hause aus identisch waren, also im Akk. Sg. und Plur. fem. 
tam und Gs, Sonst haben das Ai. und Germ., die hierin alt sind, 
auch im Femininum des Sg. stets den Stamm tö-/te-, vgl. ai. tasyas, 
tasyai, taya, tasyam. Da im Gen. Sg. tasyas die Endung -ās aus 
-4 + ës oder -ðs kontrahiert sein muß, so kann -äs in tasyas nicht 
regelmäßig entstanden sein, sondern es ist Umgestaltung in der 
Endung nach den nominalen z-Stämmen für ursprünglich gegen 
Geschlecht indifferentes tasya (Brugmann, Grundr.” II, 2, 309). 
Von hier aus geseheu, erweist sich von den Pluralformen des 
F'eemininums ai. tasam sofort als Neubildung, da im Gen. Plur. 


9793 F. Specht 


Nomen und Pronomen durch die Endung geschieden sind. Die 
andern Pluralformen haben zwar im Nomen und Pronomen gleiche 
Endungen, müssen aber ebenso wie tasam als Neubildungen auf- 
gefaßt werden. 

Die Verwendung des Pronominalstammes toi- für den Plural 
des Femininums wirft, wie ich denke, auch Licht auf apers. tyai- 
sam, das in einer Inschrift von Persepolis in der Verbindung: 
adum Darayavaus ... xsayıdiya® dahyunäm Iyaisäm parunam „Ich 
bin Dareios ... der König dieser vielen Provinzen“ sich findet 
(Spiegel?, Apers. Keilinschriften 48). Da dahyinam sonst Femininum 
ist, so kann auch fyaisam, so sehr man sich auch dagegen ge- 
sträubt hat, nichts andres als Femininum sein. Daran hat Spiegel 
a.a.0. 113 mit Recht festgehalten. Bartholomae erwähnt fem. 
tyaiSam weder in seinem Handbuch der iranischen Dialekte noch 
im Grundriß der iran. Phil. und deshalb sucht man auch in Brug- 
manns Grundriß vergeblich darnach. Nur im Altiran. Wörterbuch 
bemerkt Bartholomae zu der Stelle 659f.: „man erwartet die fem. 
Form.“ Bei Tolman: Ancient Persian Lexicon 94 und Johnson: 
Historical Gram. of the Ancient Pers. Language 192 ist tyaisam 
ohne ein Wort der Erklärung als feminine Form registriert. Meillet 
in seiner apers. Gram. 171 denkt auch an die Lesung *tyisam 
statt iyaisam, was zwar rein graphisch möglich ist. Aber damit 
wird nichts gewonnen. Trotz des Gegensatzes zu ai. tasam, av. 
dahqm hat die apers. Form etwas Uraltes erhalten, und sie bietet 
eine willkommene Bestätigung zu dem, was uns das Germanische, 
Slavische und Baltische gelehrt haben '). 

Zum Schluß behandle ich noch eine Analogiebildung des 
Dativs Plur. bei Chylinski, die sich nur daraus deuten läßt, daß 
im Dativ Plur. der pronominalen Flexion Maskulinum und Femi- 
ninum ursprünglich nicht geschieden sind. Die Sprache Chylinskis 
steht in gewissem Gegensatz zu der sonstigen bei den Refor- 
mierten üblichen Schriftsprache, die zwar je nach dem Verfasser 
oder der Art der Schrift und ihrer Abhängigkeit von andern 
literarischen Vorbildern gewisse Abweichungen kennt, aber im 
allgemeinen doch ein und dieselbe Grundlage hat. Das gilt für 
die oben S. 265 und 268 genannten Schriften. Ihnen allen ist 
z. B. die Verwendung von -mis als Dativendung oder seltner 
von -mus als Instrumentalendung (oben LIII 151ff.) ganz geläufig. 

!) Bereits Leskien, Die Deklination im Slav.-Lit. und Germ 130 hat an 


apers. Zyaisäm erinnert, hat aber wegen der Entsprechungen im Altind. und 
Avest. die richtige Folgerung nicht gezogen. 


Zur Geschichte der pronom. Flexion im Indogerm. und Litauischen. 273 


Besonders gilt die Verwechslung für die Postille von 1600. Chy- 
linski kennt dazu im Gegensatz nirgends eine Vermischung von 
-mis und -mus, aber dafür ist bei ihm die Nominalflexion viel 
weiter entartet als in der sonstigen kalvinischen Literatur. Ich 
wage nicht, ihn genauer zu lokalisieren. Dem, der die nordostlit. 
Mundarten besser kennt als ich, wird es nicht schwer fallen. 
Sehr starke Beziehungen zu der sonstigen Schriftsprache der 
Reformierten sind vorhanden. 

Ein besondres Merkmal der Sprache Chylinskis ist nun die 
häufige Vermischung zwischen -jö- und -i-Stämmen. Ungemein 
zahlreich sind ‘die Beispiele für die Genitivendung -ies bei den 
-j0-Stämmen, die trotzdem maskulinisch bleiben, z. B. medies, Zalties, 
peties, brolies, Sulnies, Zveries (masc.), piliesp (masc.)'), iš uspakalies 
und fast durchweg viduries, von Eigennamen wie Ismaelies, Sa- 
muelies, Saulies usw. ganz zu schweigen. Wie nun -ies als Gen. 
Sg. der -;-Stämme auch für die -jö-Stämme Verwendung fand, 
so ist im Dativ Plur. umgekehrt -iam(u)s der -j0-Stämme auch 
für die -i-Stämme, selbst wenn sie Femininum waren, gebraucht 
worden, z. B. Gen. 2 Argum. Sam. I 174., ue 112110 Zveram(u)s”), 
Gen. 4332 4634 EX. 1412 18s 19, Deut. 71s Egypčoniams, Sam. II 1016 
Reg II 5ı Syrioniams, Reg. Ui Are, Samarioniams, Chron. II 12, 
Libjoniams, Sam. I, 11 Argum. Jabesoniams, Sam. I 815 dvaroniams, 
Sam. II 224, pahoniams, bei Femininen: Gen. 3s Sam. II 20. aki- 
ams, Gen. 47. Num, 32.. Sam. I 15», », ıs Ghron. 14ss, a aviams, 
Jud. 19ıs Reg. 161s $alams, Jud. 94o durams*), Ex. 30, kardiams 
und Hiob A. kądžiams in der Verbindung sukulami est k-, wo 
die syntaktische Konstruktion ungewöhnlich ist. Ferner bei kon- 
sonantischen Stämmen: mascul. Ex. 151» Deut. 11. vgdeniams, fem. 
Gen. oe Sam. UG, Reg. Iiis Esth. 1, moterams’), Num. 181 
36: Sam. 130:» dukterams‘), Num. 1819 dukteriams und Num. 4; 
das merkwürdige iki penkiams desymtiems”). Neben diesen Dativ- 
formen finden sich auch die regelmäßigen auf -im(u)s, z.B. Num. 34; 
Salims, Gen. 3145 Sam. I1, dukterims, Jud. 9ss Sam. I 11ss durims, 
Esth. 1 Argum. moteryms (2 mal). Dagegen gibt es von den -i- 


1) Vgl. dazu Akk. Plur. pilus Num. 3110 Reg. I9 Argum. Chron. II 8 Argum. 
11 Argum., pilose (= piliuose) Sam. I 136 2314,19 241; pilosna (= piliuosna) 
Jad. 62; pylui Sam. I 1720; pilu (Instr.) Jud. 949; piliy (masc.) Sam. I 224, s. 

= 2) Vgl. S. 267 Anm. 2. 

2) Das Wort flektiert im Plural sonst dešimtys, Gen. Plur. dešimtu. Für 
den Dativ Plur. habe ich nur die angeführte Form zur Hand. Binen Plural 
dešimtims kenne ich nicht. Das kann aber Zufall sein. 

Zeitschrift für vergl. Sprachf. LVI 8/4. 18 


274 F. Specht, Zur Geschichte d. pronom. Flexion i. Indogerm. u. Litauischen. 


Stämmen niemals einen Instrumental Plur. auf -iamis oder -iomis '). 
Er lautet stets auf -imis aus, wie Sam. II 11, durimis, Ex. 2230 
avimis, ferner ausimis, akimis, dukterymis, prieZastymis-usw.. Der 
Grund ist klar. Nur weil tiem()s im Dativ Plur. sowohl Mascu- 
linum und Femininum sein konnte, ist auch das ursprünglich nur 
maskulinische -iam(u)s im Dativ Plur.. auch bei Femininen ver- 
wendet worden. Ebensowenig, wie das von Haus aus nur nominal 
verwandte -ais in tais Ersatz für das Femininum sein konnte, 
ist auch ein *avieis trotz aviams gewagt worden. 

Nachdem aber die Endung -iams auf diese Weise einmal bei 
femininen Stämmen aufgekommen war, konnte sie auch bei den 
femininen -ja-Stämmen gebraucht werden. Das Material kann ich 
nicht ganz vollständig geben, da ich zunächst an Verschreibungen 
dachte. Immerhin wird nur wenig fehlen: Lev. 131: iki kojams, 
Reg. 12010 Zupsniams"), vielleicht auch Reg. II 18s rubeZams ’). 
War aber erst iams als Dativendung bei den ja-Stämmen durch- 
gedrungen, so war es die natürliche Folge, daß darnach zu den 
-ä-Stämmen der Dativ auf -am(u)s gebildet wurde‘). Ich kenne 
Ex. 115 bobams, Ex. 116 Zydaukamus, EX. Lee bobamus, Ex. 22 Are, 
Deut. 24 Argum. siratams, Num. 322s gatvams, Sam. 1175: iki 
bromams, Sam. Il 10, iki strenams, Reg. I3. II 18, iki aniems die- 


1) Man darf dafür nicht Lev. 13 Argum. vočiomis neben Ex. Oe Deut. 2837, 35 
Sam. I5 Argum. De, ua Hiob 2 Argum. 2; votymis ins Feld führen wollen. Denn 
neben der Flexion Lev. (ie votis, Lev. 1319 voties (fem.) Sam. I 5o 6 Argum. 
votis (Akk. Plur.) ist das Wort auch -ja-Stamm: Lee 133 vočią (Akk. Sg.), 
Ex. 9 Argum. 910 vočios (Nom. Plur ), Ex. 9ıı vocias (Akk. Plur.) u. a. 

2) Bei Kurschat und in der Univers. 9 ist das Wort -jö-Stamm, bei Chylinski 
-jãā-Stamm: Ex. 9s Zupsnias (Akk.Plur.), Lev. 2: 615 Num. dass Zupsrig (Akk. Sg.). 

3) Reubezis (sic!) ist bei Chylinski Femininum und Masculinum; das Femi- 
ninum aber überwiegt. 

1) Ich möchte von vornherein der Gegenbemerkung die Spitze abbrechen, 
die Flexion Dat Plur. dienams, Instr. Plur. dienomis wäre dem Polnischen 
wie in Zonom, żonami nachgebildet. Das ist ganz unmöglich. Denn erstens 
gilt -om für Dativ, -ami für Instrumental auch für Maskulina und außerdem 
ließe sich der Gegensatz -iam(w)s Dativ zu -imis Instrumental bei den ©-Stämmen 
aus dem Polnischen überhaupt nicht deuten. Natürlich hat Chylinski wie alle 
andern Schriftsteller seiner Zeit polnisch verstanden und in der Wortwahl oder 
Syntax mancherlei dem Polnischen entnommen. Die Flexion aber ist unangetastet 
geblieben. Nur gelegentlich bei ähnlich klingenden Wörtern könnte man an 
poln. Einfluß denken. Ich verweise auf Bystron, Rozprawy Akademii umiejet- 
ności Krakau XIV 21, der das seltsame prieg krikstie Katechismus von 1605 
Zoe als Anlehnung am poln. przy chrzcie vielleicht mit Recht deutet. Aber : 
so etwas ist verschwindend selten und betrifft nur Einzelheiten. Auf ein ganzes 
grammatisches System hat sich der poln. Einfluß nie erstreckt. | 


W. Schulze, Ahd. uuidaruuinno. 275 


nams, Neh. 12., iki dienams, Reg. 161, iki sienams, Reg. 17, iki 
tubams, Reg. UA Argum. ogams, Chron. I5ıs iki iseygams. Sehr 
zweifelhaft ist Num. 8, kvietkams') und Deut. 116 u.a. sudZiams °). 
Dagegen ist Deut. 11» giminiams trotz Maldos krikšč. 245; giminiose 
wohl Druckfehler”). Auch bei den -a- und -jä-Stämmen ist, ob- 
wohl es doch hier viel näher lag, im Instrumental Plur. niemals 
ein -amis statt -omis gebraucht worden. Dativformen auf -om(u)s 
sind bei Chylinskı vorhanden, scheinen aber seltner zu sein. 
Außer den oben S. 267f. angeführten pronominalen Bildungen 
kenne ich nur Ex. 1 Argum. boboms (2 mal), Num. 6, kasoms. 

Ich erinnere mich nicht irgendwo sonst ähnliche Dativ- 
bildungen von Feminina, wie akiams, kojams, dienams‘) gelesen 
zu haben. Das wird dadurch begreiflich, daß sie als Voraus- 
setzung pronominales -iems in femininer Verwendung haben, und 
ein solches -iems ist selbst im Altlitauischen nur noch auf ganz 
geringe Reste beschränkt. 


Halle (Saale). F. Specht. 


Ahd. uuidaruuinno, 


das Graff I 881 aus Otfrid belegt, gilt für einen -an-Stamm. Wie 
vorsichtig man indes sein muß im Urteil über solche formell 
zweideutigen Bildungen, lehrt die durch zwei Zeugnisse gesicherte 
Glosse rebellio* uuidaruuinneo Ahd. Gl. I 524s. IV 315... Darnach 
wird man auch ags. widerwinna für einen alten -jan-Stamm er- 
klären dürfen. W.S. 


1) Bei Kurschat ist das Wort Femininum, aber die Ostlitauer gebrauchen 
es in der Regel als Maskulinum, vgl. Chylinski Reg. 1635 atvireys Kvietkeys. 

2) Außer Chron. 11710 sud2ios (Nom. Plur.), Jos. 232 Jud. 2ıe, ıs sudzias 
(Akk. Plur.), Deut. 323} Sam. I Argum. 8 Arg. Ba Chron. I 2629 sudziomis u. a. 
kennt Chylinski auch eine Flexion Deut. 17 Argum. 212 Ruth 1ı Sam. II7ı 
sudziey (Nom. Plur.), Jos. Bas Jud. 2 Argum. Sam. 18ı sudzieys usw. 

3) Chylinski ist eine vorzügliche Quelle für die Scheidung der -jä- und -e- 
Stämme. Da sonst der Dat. Plur. der 2-Stämme auch von gimine immer auf 
-em(u)s ausgeht, so steht geminiams ganz isoliert. 

*) Natürlich fallen diejenigen Mundarten weg, in denen sonst entweder 
ö>d verkürzt wird oder ö als ä erscheint. Sonst kenne ich aus zahlreichen 
alit Schriften nur das ganz vereinzelte Summa (Orig.) 1601s — 14614 (Neudruck 
von 1863) ¿šminčiams (Dat. Plur.), das aber dadurch bedeutungsvoll wird, daß 
der betreffende Text, der es bietet, wie Chylinski zur Literatur der reformierten 
Kirche gehört. Die ganz vereinzelten Dative aus Bretkes Bibel, wie dukteriams 
(Bezzenberger. Z. Gesch. d. lit. Spr. 142) gehören in einen ganz anderen Zu- 
sammenhang. Das muß ich bei anderer Gelegenheit ausführen. 


18* 


276 O. Behaghel 


Zur Stellung des Verbs im Germanischen und 
Indogermanischen '). 


Im ersten Band der Indogermanischen Forschungen (1892) 
hat Jakob Wackernagel einen umfangreichen Aufsatz veröffent- 
licht „Über ein Gesetz der indogermanischen Wortstellung“. Er 
hat hier nachgewiesen, daß enklitische Wörter die Stellung nach 
dem ersten Wort des Satzes erstreben, und er hat daraus einen 
bedeutsamen Schluß gezogen: da das Verbum im Hauptsatz des 
Altindischen unbetont ist, während es im Nebensatz den Ton hat, 
so trachtet es im Hauptsatz gleichfalls nach der zweiten Stelle des 
Satzes. Mit anderen Worten: die Wortstellung des Hauptsatzes 
ist bereits indogermanisch von der des Nebensatzes verschieden. 

Diese Lehre ist nachdrücklich bekämpft worden insbesondere 
von John Ries in seinem Buche „Die Wortstellung im Beowulf“ 
(1907) und schon vorher von Wilhelm Braune in seiner Abhand- 
lung „Zur Lehre von der deutschen Wortstellung“* in der Fest- 
schrift für Rudolf Hildebrand (1894), S. 34. Dieser stellt der An- 
schauung von Wackernagel den Satz entgegen (S. 50), „daß die 
urgermanische Verbalstellung eine freie war, d. h. das Verbum 
konnte sowohl im Hauptsatze als im Nebensatze ganz beliebig 
am Anfang, in der Mitte und am Schluß stehen.“ 

Auf Braune’s Standpunkt steht auch Mc Knight, Journal of 
Germanic Philology I 217 (1897); Gustav Hübener, Anglia XXXIX 
289 (1915/6); Heinr. Kreickemeyer, Die Wortstellung im Neben- 
satz des Englischen, Gieß. Diss., 23 (1915); Helmut de Boor in 
seinen Studien über altschwedische Syntax (1922), mit einiger 
Einschränkung auch Ed. Hermann, Zs. f. vergl. Sprachforschung 
XXXIU 515 (1895) und B. Delbrück, Zur Stellung des Verbums 
S. 74 (1911), der sich so ausdrückt (sachlich übereinstimmend mit 
Hermann): „Hiernach läßt sich für das Urgermanische folgender 
Zustand erschließen: das Verbum stand im Hauptsatze habituell 
am Ende, doch begann schon die Bewegung, durch die es später 
an die zweite Stelle kam, im Nebensatz verblieb es in der über- 
lieferten Endstellung.* Demgegenüber hat Neckel 1923 in seinem 
Vortrag auf der Philologenversammlung in Münster die Anschauung 
vertreten, daß die Haupttypen des Nebensatzes und seine Haupt- 
merkmale urgermanisch oder vorgermanisch sind, zurückgezogenes 
Verbum, Modus obliquus usw. (Indogerm. Jahrb. IX 291). 


1) Ich bin J. Wackernagel für freundliche Winke zu lebhaftem Danke 
verpflichtet. 


Zur Stellung des Verbs im Germanischen und Indogermanischen, 277 


Angesichts dieses Auseinandergehens der Anschauungen 
empfiehlt es sich, die Frage erneut zu prüfen, 

Ich muß feststellen, daß für den Nebensatz die Behauptung 
Braune’s durch die Tatsachen nicht gerechtfertigt wird. In 
Braune’s Zeit galt es als Glaubenssatz, daß die reine Schluß- 
stellung des Verbs in der Regelmäßigkeit wie im schulmäßigen 
Nhd. (Braune S. 50) wirklich ein echtes Kennzeichen der neu- 
hochdeutschen Zeit sei, das Ergebnis einer natürlichen Weiter- 
entwicklung aus dem ahd. freieren Zustand. Diese Überzeugung 
ging so weit, daß Theodor Matthias, als ihm abweichende Bei- 
spiele begegneten, darin französischen Einfluß sah (Sprachgebr., 
u. Sprachrichtigk.’, S. 396), Ich habe dann gezeigt, daß das un- 
richtig ist, daß in der heutigen Mundart, in unserer Umgangs- 
sprache wie in altdeutschen Texten, oft genug das Verbum nicht 
am Ende steht, Das entscheidende Kennzeichen des deutschen 
Nebensatzes ist nicht die Endstellung des Verbs, sondern die 
Nicht-Zweitstellung, die Stellung nach der zweiten Stelle; ob 
danach noch etwas folgt, ist grundsätzlich gleichgültig. Dieses 
Kennzeichen des Nebensatzes gilt nun auch schon für die ahd. 
Zeit: Reis, ZfdPh. XXXIII 348 gewinnt das Ergebnis, „daß die 
Schlußstellung des finiten Verbs konsequent durchgeführt worden 
ist mit alleiniger Ausnahme von Anfügung nachträglicher Er- 
gänzungen“. Das ist nur insofern nicht ganz richtig, als die 
Ergänzungen, die nach dem Verbum stehen können, nicht nur 
nachträgliche sind, sondern auch durchaus notwendige. Außerdem 
finden sich Ausnahmen namentlich bei zusammengesetzten Verbal- 
formen, wie ja auch im Nhd, Dem gegenüber hat Reis für den 
Hauptsatz festgestellt, daß die Mittelstellung des Zeitworts als 
Regel anzusehen ist (S. 219), und ebenso spricht sich Ruhfuß 
über die Wortstellung des Tatian aus (S. 731). Der Unterschied 
der beiden Satzgattungen ist also aufs schärfste ausgeprägt; nichts 
deutet darauf hin, daß früher dieser Unterschied nicht bestanden ` 
habe, 

Für die ags. Prosa behauptet Braune (S, 51): „Es zeigt 
sich hier deutlich der Ansatz zu einer Differenzierung zwischen 
Haupt- und Nebensätzen.* Aber es zeigt sich keineswegs bloß 
der Ansatz. Braune hat es unterlassen, die älteste ags, Prosa, 
die Chronik, die im sogenannten Parker-Manuskript vorliegt und 
die Ende des 9. Jhd. aufgezeichnet ist, im Zusammenhang durch- 
zuarbeiten, und Hans Reis hat sie überhaupt nicht in Betracht 
gezogen. Über sie gibt es zwar eine Untersuchung von W, Roth, 


278 O. Behaghel 


aber sie bezieht sich nicht auf den Nebensatz: Die Wortstellung 
im Aussagehauptsatz angelsächsischer Originalprosa, Berl. Diss. 1914. 

Ich habe nun die ersten 100 Seiten in Thorpes Ausgabe der 
Parker-Handschrift untersucht (Rerum Britannicarum medii aevi 
scriptores, Bd. 23), unter Weglassung natürlich der Interpolationen. 
Gerne würde ich die einzelnen Stellen angeben, aber leider ist 
keine Zeilenzählung vorhanden. Ich muß mich daher mit bloßer 
Häufigkeitsangabe begnügen. Ich finde im Nebensatz End- 
stellungen 49 mal, Nicht-Zweitstellungen 9 mal, also 58 Stellungen, 
die im Deutschen dem Nebensatz eignen; demgegenüber tritt 
Zweitstellung nur 12mal auf, also rund '/ der Nicht-Zweit- und 
Endstellung. Im Hauptsatz begegnen 63 Endstellungen, 52 
Nicht-Zweitstellungen, zusammen 115, dagegen Zweitstellungen 
210, also beinahe das Doppelte. Aber zu den Zweitstellungen 
sind doch auch noch Fälle zu rechnen, wo an ein her des Satz- 
beginns gleich das Subjekt sich anschließt; ähnliche Fälle finden 
sich zahlreich im Altnordischen, vgl. de Boor, Studien zur alt- 
schwedischen Syntax 6. Diese Erscheinung ist noch 97 mal be- 
legt; das ergäbe mit Fällen der reinen Zweitstellung 307 Belege. 

Für das Altnordische behauptet Braune S. 47: „Die nordische 
klassische Prosa kennt eine Schlußstellung absolut nicht, weder 
im Haupt- noch im Nebensatze; stets steht das Verbum an erster 
oder zweiter Stelle.“ Das würde Braune heute wohl nicht mehr 
aufrecht erhalten. Ich verweise für die nordische Prosa auf den 
Aufsatz von Delbrück, PBB. XXXVI 359, auf das Material, das 
Delbrück bietet in seiner Abhandlung über die Wortstellung in 
dem älteren westgötischen Landrecht, auf die Beispiele bei Heusler, 
Altisl. Elementarbuch, 2. Aufl., S. 177, die, eine ganze Seite füllend, 
den Satz anschaulich machen: „Das Verbum steht im Nebensatz 
um eine Stelle weiter hinten.“ Ich verweise ferner auf de Doors 
„Studien zur altschwedischen Syntax“. De Boor stellt für den 
Hauptsatz fest (S. 5), daß nur äußerst selten mehr als ein Glied 
dem Verbum vorangeht; „ja man kann die Belege bei ihrer 
völligen Vereinzelung wohl gar als Stilflüchtigkeiten behandeln.“ 
Dagegen dafür, daß ım Nebensatz das Verbum an späterer als 
an zweiter Stelle steht, sind die Beispiele massenhaft vorhanden, 
vgl. S. 163ff., S. 195ff. 

Wie steht es nun mit dem Gotischen? Die einen behaupten, 
daß das Gotische sklavisch sich an die Wortstellung der Vorlage 
anschließe, die anderen, unter ihnen Braune, die gotische Wort- 
stellung sei so beweglich gewesen, daß aus dem Anschluß an die 


Zur Stellung des Verbs im Germanischen und Indogermanischen. 279 


griechische Vorlage sich kein Widerspruch gegen den heimischen 
Gebrauch ergeben habe. . Wirklich bewiesen ist keine der beiden 
Meinungen. Nun gibt es ja im Gotischen immerhin eine ganze 
Anzahl von Stellen, wo der Übersetzer seine Wortstellung wählen 
mußte, ohne einen Anhalt in der Vorlage zu haben, z.B. in den 
Fällen, wo er eine einfache Verbalform des Griechischen durch 
eine zusammengesetzte wiedergeben mußte, oder wo ein absolutes 
Partizip, ein Infinitiv mit dore in einen Satz aufgelöst wurde. 
Diese Fälle lehren uns, daß im allgemeinen dem gotischen Verbum 
eine spätere Stellung als die Zweitstellung zukommt. Für den 
Nebensatz ist mir keine Ausnahme begegnet, außer einigen Fällen, 
wo der Satz verneinend ist, II. Kor. 9, 3 (vgl. Meillet, Mém. de 
la soc. de ling. 15, 97), Kol.3, 21. Wo also im Nebensatz sich 
Zweitstellung in Übereinstimmung mit der Vorlage findet — was 
oft genug geschieht —, ist das eine Verletzung des gotischen 
Gebrauchs, eine Ausdrucksweise, die eben unter dem Bann des 
Griechischen steht. Etwas anders liegt die Sache im Hauptsatz. 
Daß der Imperativ gerne an den Anfang rückt, hat schon Meillet 
gezeigt (a.a. 0.97), unter Hinweis auf Mt. 8, 3, wo zwar xade- 
olodnt mit wairb hrains übersetzt wird, aber &xadegiodn mit 
brain warp. Aber es gibt auch Fälle, wo im Aussagesatz das 
Objekt des Verbs oder eine adverbielle Bestimmung nach dem 
Verbum steht, ohne Anleitung durch das Griechische oder etwa 
das Lateinische: Mc. 5,40 jah galaip inn (xal eionogeveran), 6, 27 
ib is galeibands afmaimait imma haubib (dnenepdiıcev abrdv), 
15, 43 anananbjands galaib inn (ToAunoas eioniYyev) = Luk. 4,16; 
Joh. 18, 16 jah attauh inn Paitrau (xai eionyayev réng IlEroov), 18, 38 
galaip ut (£E7AYev)') (vgl. auch Delbrück, PBB. XXX VI 360). Das 
ist zwar nur ein halbes Dutzend von Belegen, immerhin eine 
Andeutung, daß entweder auch das lebendige Gotische den Unter- 
schied zwischen Haupt- und Nebensatz besaß oder wenigstens 
Reste dieser Unterscheidung aus älterer Zeit gerettet hatte. Woher 
die herrschende Endstellung des literarischen Gotisch stammt, 
bleibt dunkel. 

Es kann nach unseren Ausführungen nicht mehr zweifelhaft 
sein, daß bereits urgermanisch sich Hauptsatz und Nebensatz in 
der Wortstellung unterschieden. Wie steht es aber mit dem Indo- 
germanischen? Vor kurzem hat Schwentner für das Altpersische 
behauptet, daß im Nebensatz die Endstellung die gewöhnlichere 
und habituelle sei (Zs. f. Indologie und Iranistik III 27); die Mittel- 

1) Dazu 2 Beispiele mit Negation: Gal. 4,30; 5,2. 


280 - O. Behaghel 


stellung sei viel seltener, und er gibt dafür im Ganzen zwei Bei- 
spiele, ohne Voraussetzung eines „z. B.“. Auch im Hauptsatz 
ist nach Schwentner Endstellung die habituelle Stellung; aber 
die Mittelstellung ist doch recht häufig; Schwentner gibt dafür 
22 Belege, die jeweils mit „z. B.“ eingeführt werden. Leider 
fehlt es bei Schwentner an einer wirklichen Statistik, und, wie 
mir Wackernagel mitteilt, ist der Text veraltet, den Schwentner 
benützt hat. Für Cicero besitzen wir eine Untersuchung von 
B. J. Porten; Die Stellungsgesetze des verbum finitum bei Cicero, 
Bonner Diss. von 1922 (im Auszug gedruckt); daraus geht hervor, 
daß in den untersuchten Abschnitten auf 1728 Endstellungen im 
Hauptsatz 2531 Endstellungen im Nebensatz kommen, auf 1212 
Mittelstellungen im Hauptsatz 1113 im Nebensatz. Für Tacitus 
glaubt Perrochat feststellen zu können, daß er im Hauptsatz freie 
Stellung des Verbums hat, aber ganz überwiegend Endstellung 
im Nebensatz (Revue des Etudes Latines IV 50 (1925)). 

Für das Griechische hat Bernh. Gieseke schon 1861 den Satz 
aufgestellt: „Homer hat das Streben, in abhängigen Sätzen das 
Verbum möglichst an das Ende des Satzes zu bringen.“ Er hat 
aber seine Lehre nicht bewiesen, nur die Ausnahmen in gewisse 
Gruppen gebracht, Sie ist von P. Fischer abgelehnt worden, 
auf Grund von nicht ganz 400 Versen der Ilias (Glotta XIII 201). 
Ich habe meinerseits die jeweils 400 ersten Verse von Il. A, H 
und N durchgezählt. Man kann gelegentlich über die Beurteilung 
eines Satzes im Zweifel sein, aber dadurch dürfte das Ergebnis 
kaum beeinträchtigt werden. Es kommen im Nebensatz 

in A auf 35 Endstellungen 7 Zweitstellungen 
in H auf 36 j 1 = 
in N auf 33 > 1 = f 
im ganzen auf 104Endstellungen 9Zweitstellungen. Im Hauptsatz: 
in A auf 55 Endstellungen 41 Zweitstellungen 
in H auf 53 S 47 R 
in N auf 59 a 40 e 
im ganzen auf 167 Endstellungen 128 Zweitstellungen. 

Das heißt: im Nebensatz machen die Zweitstellungen nur 
ein Elftel der Endstellungen aus, im Hauptsatz drei Viertel. 

So dürfte, was für das Germanische sicher steht, auch für 
das Idgm. wahrscheinlich sein: daß Wortstellung des Hauptsatzes 
und Wortstellung des Nebensatzes nicht zusammenfallen. 

Man kann fragen, wie sich die beiden Gattungen der Neben- 
satzstellung, die reine Endstellung (Delbrück: absolute Endstellung) 


Zur Stellung des Verbs im Germanischen und Indogermanischen. 281 


und die bloße Nichtzweitstellung (Delbrück: relative Endstellung, 
Porten: paragogische Stellung) zu einander verhalten. Beide 
können von alters her nebeneinander bestanden haben, von der 
Zeit an, wo es längere Sätze gibt, längere, d.h. wo dem Verbum 
längere oder zahlreichere Bestimmungen zugeordnet sind, Man 
pflegt bei deren Nachstellung von Nachträgen zu sprechen; aber 
das trifft keineswegs immer zu: vgl. z.B. Ags. Chr. 20 se a siddan 
stod betwyx Jotum and Seaxnum, Isid. 6, 5 dhazs dhu firstandes 
heilac chiruni. Der eigentliche Grund für solche Nachstellungen 
des nicht verbalen Bestandteils ist das Gesetz der wachsenden 
Glieder. Bei der Endstellung von stod, firstandes würde das 
kürzere Glied dem längeren nachfolgen, 

Ob und inwieweit Braune’s Lehren für den Hauptsatz Bestand 
haben, soll hier nicht untersucht werden. Nur eine Tatsache sei 
als doch wohl gemeingermanisch hervorgehoben, De Boor hat 
S. 8 und 9 seiner Untersuchungen Belege gegeben für die ihm 
höchst auffällige Erscheinung, daß im zweiten Gliede koordinierter 
Sätze das zweite Verbum an das Ende rücken kann. Die Er- 
scheinung begegnet aber auch im Parker-Ms. der ags. Chronik: 
Zz. B. 40 ac him com to on niht se apt Petrus '7 hine hetelice swang, 
70 Ines brobur 7 hiera swostur werun Cuenburg '7 Cupbburh 7 sio 
Cupburg bet liif et Winburnan arerde, 72 7 hio wes fargifen 
Norbanhymbra cyninge Aldferbe '7 hie be him lifigendum hie ge- 
deldun, 82 ba utresde on hine '7 hine miclum gewundode. Dieses 
Verfahren kann ausgehen von zweiten Sätzen, in denen kein 
betontes Subjekt vorhanden war, an das sich das Verbum an- 
schließen konnte. Man kann aber auch an das Vorbild von Aus- 
gängen denken, die durch Hauptsatz mit Nebensatz gebildet 
waren, also das Verbum am Ende aufwiesen. 

Merkwürdig ist, daß die Erscheinung auch in der späteren 
Zeit des Deutschen begegnet: Jostes, Eckhart 47, 14 waz awer 
des geistes erst erch sey? daz ist ein lauter bloz ancapfen des 
obersten gutes, daz got ist, und daz oberst gut sich reichlich ergeuzet 
in den geist, Frankf. Reichskorr. II 67 (1442) die sind uns vor 
in trüwen leyt gewesen und noch hüt bytage leid sind — hat uns ouch 
darinne komer, kost noch erbeit nye betüret und noch nit betüren 
sollte, Füeterer, Lanz. 213 er rait an den perg und vor wegs den 
weg nymer geriten mocht. Dieser Umstand spricht wohl für die 
zweite der eben gegebenen Erklärungen. 


Gießen. O. Behaghel 


282 Heinrich Lüders 


Vedisch säma-. | 

In einem Aufsatze in dieser Zeitschrift, XL 257ff. hat Liden 
die Beziehungen von ved. säma- zu Wörtern in den übrigen indo- 
germanischen Sprachen untersucht. Er ist dabei von der Ansicht 
ausgegangen, daß in RV. 1, 32, 15: indro yatö ’vasitasya rdja 
sámasya ca Srngino vdjrabahuh das Wort „hornlos“ bedeute. Das 
fordert meines Erachtens der Gegensatz, in dem sáma- hier zu 
$rngin- steht, mit aller Deutlichkeit. Merkwürdigerweise aber 
haben alle Erklärer und Übersetzer mehr oder weniger Bedenken 
getragen, diesen Schluß zu ziehen. Säyana sagt: sdmasya santasya 
$rugarähityena praharanadav apravrttasyasvagardabhadeh sruginah 
$rngopetasyograsya mahisabalivurdädes ca. Man sieht, daß er das 
Richtige gefühlt hat, aber die Rücksicht auf die Etymologie hat 
ihn bei seiner Erklärung des Wortes durch „ruhig“ geleitet und 
zu einer völlig willkürlichen Klassifizierung der indischen Haus- 
tiere verführt. Auch die indischen Kühe haben Hörner, aber wer 
sie beobachtet hat, wird zugeben, daß sie die ruhigsten Tiere 
von der Welt sind. Auch im PW. (Nachtr.) wird „gezähmt, 
domesticus“ als Bedeutung für sáma- verzeichnet. Grassmann 
gibt im Wörterbuch für sama- „arbeitend, sich anstrengend“; 
Indra beherrscht „das arbeitsame Vieh und das gehörnte“ (Übers.). 
Er will also sáma- mit samati „sich mühen“ verbinden. Der 
Gegensatz kommt aber auch dabei nicht heraus; man braucht nur 
an die zur Arbeit verwendeten Ochsen zu denken. Baunack, der 
sich o. XXXV 527f. ausführlich über das Wort verbreitet, geht 
wieder von der Bedeutung „ruhig“ aus; er sucht daraus in höchst 
künstlicher Weise den Gegensatz zu sragin- zu entwickeln. Der 
erste, der sáma- richtig übersetzt hat, ist Ludwig, er gibt es in 
seiner Übersetzung durch „hornlos“ wieder. . Daß aber auch er 
sich noch nicht von etymologischen Rücksichten frei machen kann, 
zeigt seine Bemerkung im Kommentar: „cama ist das zame, das 
niemanden schädigt; vill. auch stumpf“ *). Und auch Oldenberg,, 
der Religion des Veda, S. 138 (zweite Aufl. S. 135) säma- durch 
„ungehörnt“ übersetzt, fügt in der ersten Auflage in einer An- 
merkung hinzu, daß die Übersetzung ungewiß sei. Nun scheint 


1) Er verweist auf samanicamedhräh T.M. Brähm. 17, 4,3, Läty. Srautas. 
8,6, 4, aber hier ist sama- Substantiv. Säyana erklärt es apagatayauvana- 
tvena nirviryaprajananäh devasambandhino vrätyah, Agnisvamin genauer 
durch samäan (Ausg. saman) nicibhütam medhram yesäm te: nivrttapraja- 
nanäh. 


Vedisch sáma-. 983 


mir allerdings Lidén gezeigt zu haben, daß die aus dem Text- 
zusammenhang für sáma- erschlossene Bedeutung auch von Seiten 
der Etymologie völlig einwandfrei ist, da aber Geldner in seiner 
neuesten Übersetzung Indra wieder den König „über Zahmes ‘und 
Gehörntes“ sein läßt, so mag es nicht überflüssig erscheinen 
darauf hinzuweisen, daß sáma- auch an der zweiten Stelle, wo 
es im RV. erscheint, in. 1, 33, 15, nur „hornlos“ bedeuten kann. 
Es heißt da von Indra: | 
dvah šámam vrsabhäam tügryasu ksetrajese maghavan chvitryam 
gäm, 
„Du halfest dem śáma Stier in den tugrischen (Kämpfen?) ^, bei 
der Landeroberung, du Gabenreicher, dem Svitrya-Rinde“. 

Von diesem Svitrya-Stiere ist schon in der vorhergehenden 
Strophe (14) die Rede: 

dvak kütsam indra ydsmin cäkan právo yüdhyantam vrsabhäm 

dasadyum | 

Saphdcyuto renür naksata dydm de chvaitrey6 nrsdhyaya tasthau || 

„Du, Indra, halfest dem Kutsa, an dem du Gefallen fandest, du 

halfest dem kämpfenden Stier Dasadyu. Von den Hufen aufge- 

wirbelt, drang der Staub zum Himmel. ` Der Svaitreya stand 
aufrecht zur Männerbezwingung.* 

Der Stier Dasadyu wird noch einmal in 6, 26, 4 erwähnt: 

tvdm rátham prá bharo yodhdm rsvdm Gro yüdhyantam vrsabhäm 

dasadyum | 

tvdm tügram vetasdve säcähan tvdm tújim grnántam indra tutoh || 

„Du brachtest den Wagen vorwärts, den hohen Kämpfer. Du 

halfest dem kämpfenden Stier Dasadyu. Du erschlugst den Tugra 

für Vetasu, (mit ihm) vereint. Du brachtest den lobpreisenden 
Dun zur Macht.“ 

Der kämpfende Stier Dasadyu ist nach 1, 33, 14 offenbar mit 
dem Svaitreya-Stier identisch. Unzweifelhaft ist der Svitrya- 
Stier ın 1, 33, 15 derselbe wie der Svaitreya in 1,33, 14. Ist sáma- 
in 1, 32, 15 „hornlos*, so würde sich ergeben, daß der Svaitreya- 
oder Svitrya-Stier Dasadyu, dem Indra half, ein hornloser Stier 
war. Dazu stimmt nun vortrefflich eine Legende in den Yajus- 
texten, auf die längst Geldner, Gloss. S.8, hingewiesen hat. 
Käthaka 1, 183, 10ff. wird erzählt: devās ca va asuras ca samyatta 
asams te na vyajayanta te ’bruvan brahmana no mem vijayetäm iti 
ta rsabhau samaväsrjan chvaitreyo ’runas tuparo devanam äsic 
chyeneyas yeto ’yassrngo ’suränam tau samahatäm tam Svaitreyas 

1) Auf das schwierige túgryāsu kann hier nicht eingegangen werden. 


984 Heinrich Lüders 


samayabhinat, „Die Götter fürwahr und die Asuras waren an ein- 
ander geraten. Sie konnten keine siegreiche Entscheidung herbei- 
führen. Sie sagten: ‘In einer Verzauberung sollen unsere beiden 
Zornesgeister die Entscheidung herbeiführen’. Sie ließen zwei 
Stiere auf einander los. Svaitreya, der rote, hornlose, gehörte 
den Göttern, Syeneya, der weiße mit ehernen Hörnern, den 
Asuras. Die beiden stießen zusammen. Svaitreya brach den 
(andern) mitten durch.“ Ganz ähnlich wird die Geschichte Maitr. 
S. 2,59, 15ff. erzählt: devas ca vā asuräs cäspardhanta te ’"bruvan 
brahmani no ’smin vijayetham') ity arunas tüuparas caitreyo*) devä- 
nam asin Syeto ’yahsrugah Saineyo’) ’suranam te ’surä utkrodino 
’carann arado ’smäakam tuparo ’misäm iti tau vai samalabhetam 
tasya devah ksurapavi giro ’kurvams tasyantura Zräge siro vyava- 
dhaya visvancam vyarujat, „Die Götter fürwahr und die Asuras 
stritten sich. Sie sagten: ‘In einer Verzauberung sollen unsere 
beiden Zornesgeister die Entscheidung herbeiführen‘. Der rote, 
hornlose Svaitreya gehörte den Göttern, der weiße mit ehernen 
Hörnern versehene Syeneya den Asuras. Die Asuras gingen froh- 
lockend einher: “Langhörnig ist unser (Stier), ihrer ist ungehörnt’. 
Die beiden faßten sich. Dem (eigenen Stiere) machten die Götter 
einen messerkantigen Kopf. Er schob seinen Kopf dem (andern 
Stier) zwischen die Hörner und riß ihn nach beiden Seiten aus- 
einander.“ 

Ich bin überzeugt, daß die Legende, wie sie in den Yajus- 
texten erzählt wird, eine spätere Fassung der Geschichte ist, auf 
die die rgvedischen Dichter anspielen. Aber darauf kommt es 
hier nicht an. Niemand wird bezweifeln, daß der tüpara Svai- 
treya der Yajurveden mit dem sáma Svaitreya des Rgveda iden- 
tisch ist, und damit wird bestätigt, worauf uns schon RV. 1, 32, 15 
geführt hatte, daß śáma ein Synonym von täpara ist, also „un- 
gehörnt“ bedeutet. 

Man darf nicht dagegen anführen, daß in 1,33, 13 von einem 
Stiere die Rede ist, der figmd- genannt wird: 

abhí sidhmö ajigäd asya śátrūn vi tigmena vrsabhena püro ’bhet| 

sám vdjrenäsrjad vrirdm indrah prá svdm matim atirac chá- 
sadänah || 

„Erfolgreich ging er auf seine Feinde los, mit dem spitzen Stier 
brach er die Burgen. Mit seinem vajra brachte Indra den Vrtra 


1) Der Text ist hier verderbt und offenbar nach dem des Käth. zu verbessern» 
2) Lies Svaitreyo. 3) Lies Syeneyo. 


Vedisch dame 285 


ud 


in Berührung. Sich auszeichnend steigerte er sein eigenes An- 
sehen“ '). | 

Tigmäsrnga- ist ein beliebtes Beiwort des Stiers, und so mag 
der tigmd.Stier hier ein spitzhörniger Stier sein. Allein nichts 
zwingt zu der Annahme, daß dieser Stier mit dem Svaitreya 
identisch ist. Es ist mir sogar das Wahrscheinlichste, daß der 
Dichter hier. eine ganz andere Sage im Sinne hatte. Schließlich 
bleibt aber auch noch die Möglichkeit, das tigmd- auf den messer- 
kantigen Kopf zu beziehen, den die Götter dem Svaitreya nach 
der Version der Maitr. Samh. anzaubern. Für die Feststellung der 
Bedeutung von śáma- scheint mir jedenfalls 1, 33, 13 belanglos. 

Mit der Wurzel sam- „ruhig werden“ hat sáma-, „ungehörnt“, 
sicherlich nichts zu tun, ebensowenig mit der Wurzel gam- „sich 
mühen, arbeiten“. Es ist offenbar ein selbständiges altes Wort, 
das später völlig ausgestorben ist, aber seine Verwandten in 
andern Sprachen hat. 

Lidén hat unzweifelhaft Recht, daß sáma- auf ein altes idg. 
*kemo- „hornlos* zurückgeht, das mit lit. Zemait. szm-ülas „ohne 
Hörner“, szm-ùlis m., szm-üle f. „ein Rind, Ochs, Kuh ohne Hörner“ 
verwandt ist. Ebenso wenig läßt sich Lidéns Zusammenstellung 
mit gr. xeuds und ahd. hinta usw. bezweifeln. Die Hindin ist 
die „Hornlose“. Als Bedeutung von xeuds gibt Lidén an „junger 
Hirsch, im zweiten Jahre, im Alter zwischen »eßoös und agos“. 
Beim Edelhirsch entwickelt sich das Geweih im fünfzehnten, 
beim Damhirsch schon im siebten Monat, und dieses Erstlings- 
geweih ist doch immerhin so bedeutend, daß die deutsche Jäger- 
sprache den Hirsch, der sie trägt, als „Spießer“ bezeichnet. 
„Hornlos“ kann man ein solches Tier kaum nennen, und man 
müßte schon annehmen, daß sich im Griechischen die Bedeutung 
des Wortes etwas verschoben hätte. Unmöglich ist das nicht, 
aber schließlich darf man auch nicht außer Acht lassen, daß jene 
genaue Definition des xeudg auf den unsichern Angaben der Gram- 


1) Mati ist hier wahrscheinlich das Nomen zu mányate in dem Sinne wie 
es in RV. 1,33, 9 erscheint: dmanyamänam abht mänyamänair nír brah- 
mäbhir adhamo däsyum indra. Geldner übersetzt: „da bliesest du die 
Ahnungslosen durch die Ahnenden, den Dasyu mit den Segensprechern fort, o 
Indra“. Allein was sollen die Helfer Indras „ahnen“? Meines Erachtens sind 
die dmanyamanäh „die (den Indra) nicht achtenden‘, die mänyamänah „die 
(ihn) achtenden‘. Wie man bahu manyate „er achtet hoch“ sagte (10, 34, 13), 
so sagte man nd manyate „er achtet nicht“; dazu ist dmanyamäna- das 
Partizip. Man wird danach auch dmanyamänän in 2, 12, 10 in demselben 
Sinne fassen müssen. 


986 Heinrich Lüders, Vedisch sima-. 


matiker beruht und daß diese nicht einmal übereinstimmen. 
Der ganze literarische Gebrauch des Wortes geht im Grunde 
auf die eine Homerstelle, Il. 10, 361, zurück: 

oc Ò’ te napxapddorre úw xúve eiddre Ihons 

N neudd TE Aaywov Enelyerov Euuevis aiei 

x@g0ov dv’ blev? ô dé TE zeoiéne Geo 

s tòv Tuvdelöng ÔÈ ntoAlnogdos "Odvooeds 

Aaod dnorunsavıe dıwaerov Euuevig alel. 

Der verfolgte Dolon ist trotz seines anfänglichen Renom- 
mierens ein furchtsamer Mann. Das läßt vermuten, daß die 
xeuds ein schwaches Tier aus dem Hirschgeschlechte ist, wozu 
die Zusammenstellung mit dem Hasen und der Hinweis auf das 
klägliche Blöken stimmt. Sonst gilt bei Homer öfter der veßoös 
als Sinnbild der Verzagtheit; Il. 4, 243; 21, 29; 22,1. Es liegt 
nahe zu vermuten, daß diese Übereinstimmung’) und die ety- 
mologische Verbindung des Wortes mit xoıudouaı”) die Erklärer 
veranlaßt hat, xeuds als „Hirschkalb“ oder „junger Hirsch“ zu 
deuten. Daß ihnen das Wort dunkel war, zeigt ihr Schwanken. 
So sagt das Etym. Magn. xeuds ët ù èx veßooö ueraßindeice 
&Aapos xoıuds tiş oo Dë veoyvi EAapos. ÖLapopgüv dë Goor 
elvaı xeuddos xai veßood. xeudôa yo elvar mv Ertixouwutvnv 
roi onmlalo' veßoöv de ron uelbova xal mì Bogav veuóuevor `). 
An und für sich legt das weibliche Geschlecht des Wortes es 
näher, darin den alten Ausdruck für die Hindin zu sehen. Freilich 
mahnt zur Vorsicht, daß der Grieche auch Zioeoc als Gattungs- 
begriff gern weiblich gebrauchte. Auf keinen Fall läßt sich gegen 
Lidéns Etymologie geltend machen, daß Spätere wie Callimachus, 
Artem. 112 oder Apollonius Rhodius 3, 879 xeuds“) im allgemeineren 
Sinne von den Hirschen vor dem Wagen der Artemis gebrauchen, 
de für gewöhnlich mit langen Hörnern dargestellt werden. Das 
veraltete xeudg ist einfach als poetisches Wort für Hirsch in die 
spätere Dichtersprache übernommen. Schwerer scheint es auf 
den ersten Blick ins Gewicht zu fallen, wenn Aelian, An. 14, 14 
von den libyschen xeuddes, die er von den dogxddeg unterscheidet, 


D Vgl. auch das Beiwort der Grammatiker, Athenaeus 222: 75 Eovdns 
desAdrepoı neuddos. 
2 Man beachte auch Od. 4, 336; 17, 127: 
doe A nót’ Ev EvAdyp Eiapos ngarepoio Adovros 
vegoù xoruńoaoa venyevdas „aÄadmvods USW. 
>) Vgl. Suidas aetde ` Ziogeoc ó noınWuevos Zu onndAalp' noınds tis dv. 
*) Aus metrischen Rücksichten auch xeuuds, Quintus Smyrnaeus 1, 587 u. a. 


W. Schulze, Lesefrüchte. 287 


ausdrücklich berichtet, daß sie schöne Hörner haben: ğ ye un» 
alovusvn nò rein norytõöv xeu&s Öpaueiv Mën oxloın Yveiins 
Ölxnv, löeiv dé do nvoo6dgıE xal Anoıwrarn ... tà nEgard Te abrng 
avıla xal woaie ws Enıevaı ën thv Inoav, Ev roëréi dë xal poßeiv 
duc xal BiAdnteodaı naiv. Die einleitenden Worte scheinen mir 
deutlich zu zeigen, daß xeuds auch hier: das alte poetische Wort 
ist, das auf die afrikanischen Gazellen übertragen wurde, als man 
die Grundbedeutung längst nicht mehr kannte.. Hesych hat auch 
die Bedeutung „Gazelle“ gebucht; er verzeichnet xeuds' veßoös 
Eiapos' tivès dé dogxds und sende: apos véos. Der Bildung 
nach stimmt xeuds und dooxds überein, neben dem ôóọçxa (Euri- 
pides, Herc. Fur. 376) und ddoxog (Oppianus, Cyn. 2, 324f.; 3, 3), 
auch ôóọ (Oppianus, Cyn. 2, 315; Lucianus, Amor. 16) erscheint. 
sáma- würde sich zu xeuds verhalten wie ddexvoc zu Ödoepxdc.. 

Die Zusammenstellung von sdma- mit preuß. camstian „Schaf“ 
und deutsch „Gemse* hat Lidén abgelehnt. Selbstverständlich 
erledigen sich durch Lidens Ausführungen auch die Vermutungen, 
die Charpentier, o. XL 430ff. über den Zusammenhang von xeuds 
mit sk. camara-, dem Namen des Yack, usw. geäußert hat. 


Heinrich Lüders. 


Lesefrüchte. 


13. Gr. dunweug (Ernst Fraenkel, Nomina agentis 1116) ver- 
hält sich zu zaußðrı y Soph. Phil. 391 etwa wie lit. päta „con- 
vivium d. i. ovundoıov“ zu gütas „Herde“, also = Bord, Bdonnua 
(Leskien, Bild. der Nom. 196. 548). Es ist das (auf Id4aooa be- 
zogene) Femininum eines i{-Stammes, wie aeol. öduogrıs (Bechtel, 
Griech. Dialekte I 53), und läßt sich mit Hilfe eines Horazverses 
c. II 7, 15 fast genau ins Lateinische übersetzen: resorbens unda. 
Denn daß ein Wort wie dunwrs morphologisch ebensogut als 
nom. ag. wie als nom. act. gefaßt werden darf, mag die Gegen- 
überstellung zweier Vergilverse zeigen, die dieselbe Vorstellung 
grammatisch in beiderlei Form ausprägen: Aen. X 288s. recursus 
pelagi und: 307 unda relabens. Die Erhaltung des t in dunwusg 
entscheidet für die erste Auffassung. Denn auch das gewöhnlich 
mit dunwrıg zusammengenannte garıg ist ursprünglich gewiß kein 
Abstraktum, sondern femininisches nom. ag. so gut wie got. 
hwoftuli, also zunächst als Personifikation zu verstehen, wie das 
lat. fortuna, das morphologisch zu Portunus (: portus) und lit. 
Perkünas (: lat. quercus) gehört. | W.S. 


288 Wolfgang Krause 


Iranica. 


Aus den verschiedensten Gründen ist das Studium ge? irani- 
schen Sprachen für den Indogermanisten mit der schwierigste 
Teil seines weiten Forschungegebietes, und jedes Werk, das ihm 
hier neue Kenntnisse und Erkenntnisse zu vermitteln vermag, 
ist freudig zu begrüßen. Es sei daher gestattet, die Aufmerk- 
samkeit der Sprachforscher auf ein im Jahre 1926 erschienenes 
Buch zu lenken, das seinem Titel nach der Sprachwissenschaft 
fern zu stehen scheint, inhaltlich jedoch auch für den Linguisten 
manches Wertvolle enthält: E. Waldschmidt und W. Lentz, 
Die Stellung Jesu im Manichäismus (ABAW. 1926). Die folgenden 
Ausführungen wollen über den sprachwissenschaftlichen Gehalt 
dieser Abhandlung referieren und in bald engerer, bald loserer 
Anknüpfung an die in ihr vorgebrachten Tatsachen einige weitere 
Anregungen geben. 

Das genannte Werk ist in seiner Gesamtheit selbstverständ- 
lich nicht vom Standpunkt des Linguisten aus zu beurteilen. Die 
Art der hauptsächlich benutzten Quellen brachte es indessen mit 
sich, daß die beiden Verfasser wiederholt sprachgeschichtliche 
Probleme berührten und teilweise erörtern mußten, wobei sich 
das Zusammenwirken eines Sinologen und eines e als 
höchst fruchtbar erwiesen hat. 


I. Die große Hymnenrolle. 


Die Hauptquelle der Untersuchungen von Lentz und Wald- 
schmidt bildete eine im Britischen Museum befindliche chinesisch 
geschriebene Rolle, die in der Hauptsache — in einer Ausdehnung 
von 7,5 m — manichäische Hymnen enthält. Das sprachgeschicht- 
lich wichtige Moment ist nun, daß im ersten Teil dieser Rolle 
die großen aus dem Mittelpersischen übersetzten Hymnen unter- 
brochen sind von einigen kleineren Liedern, die in der mp. 
Originalsprache belassen, jedoch graphisch in chinesischer Tran- 
skription gegeben sind. Der sprachwissenschaftliche Wert gerade 
dieser Texte leuchtet ohne weiteres ein. Er wird dadurch noch 
erhöht, daß gerade zu diesen Transkriptionen die iranischen 
Originaltexte größtenteils, wenn auch nur bruchstückweise, unter 
den Berliner Turfanfragmenten vorhanden sind. Sie sind zum Teil 
von Lentz im Anhang der Abhandlung veröffentlicht worden. 

Die Zeit der Entstehung dieser manichäischen Turfanfragmente 
samt der Vorlage der großen Hymnenrolle (H) wird von den 


Iranica, 289 


beiden Forschern zwischen 762 und 832 n. Chr. fixiert; inhaltlich 
aber gehen diese Texte zum großen Teil in weit ältere Zeit zurück. 
Die große Hymnenrolle selbst dürfte nach Ansicht der Bearbeiter 
vor dem Sturz des Uigurenreiches und der darauf folgenden 
Ächtung des Manichäismus in China, also vor 843, geschrieben sein. 

Der chinesische Übersetzer, Tao Ming, hat in H eine Reihe 
manichäischer Termini durch entsprechende buddhistische ersetzt. 
Aber schon unsere Turfanfragmente weisen einige wenige Lehn- 
wörter aus dem buddhistischen Sanskrit auf. Unter ihnen sei als 
Beispiel punvand „verdienstreich“ = ai. punyavant hervorgehoben. 
Die Synkope der mittleren Silbe könnte darauf deuten, daß es 
sich hier um ein älteres Lehnwort, nicht um ein rein literarischės 
Fremdwort, handelt. Daß zweisilbig punvand zu lesen ist, wird 
durch den mit der Vokalsynkope verknüpften Schwund des 
dem -n- ursprünglich folgenden -y- erwiesen. Das Wort punya 
scheint sich überhaupt frühzeitig in Zentralasien ausgebreitet zu 
haben. Als Lehnwort, nicht als Fremdwort, begegnet es uns 
auch im Tocharischen in der Form pri (pfi si „punyavant“) mit 
echt tocharischer Lautumgestaltung. 

Für einen Chinesen ist die Aufgabe, mit Hilfe seiner Silben- 
wortschrift fremdsprachliche Texte zu umschreiben, natürlich 
recht schwierig. Vor allem mußten zahlreiche silbenauslautende 
Konsonanten des iranischen Originaltextes durch volle chinesische 
Silbenzeichen ersetzt werden. Noch weit schwerer muß es aber 
für die beiden Bearbeiter von H gewesen sein, aus diesen chinesi- ` 
schen Transkriptionen den mitteliranischen Text zu rekonstruieren, 
beispielsweise ein yü jen des Textes mit važan „Stimme“ zu 
identifizieren, oder ein mu ch’uan tu lo mit mu2dayday Bo 
schaftsbringer*“. 

Trotz der Roheit einer derartigen Transkription sind die 
phonetischen Hymnen von H — im ganzen drei — geeignet, uns 
manche erwünschte Aufschlüsse bzw. Bestätigungen über gewisse 
Verhältnisse in der Originalsprache zu geben. Die diesbezüg- 
lichen Ergebnisse sind von den beiden Bearbeitern a. a O. 80ff, 
kurz besprochen worden. 


II. Nord- und Südwestdialekt. 


Zunächst sei hier erwähnt, daß die von Andreas als erstem 
entdeckte und ausgesprochene mundartliche Zweiteilung des 
Mittelpersischen in einen Nord- und einen Südwestdialekt auch 
in den phonetischen Hymnen von H deutlich hervorbricht: Der 

Zeitschrift für vergl. Sprachf. LVI 3/4. 19 


290 Woltgang Krause 


erste, nur noch in seinem Schlußteil erhaltene Hymnus dieser 
Art (H Zl. 1—5) spiegelt den SW.-Dialekt wieder; die beiden 
übrigen, vollständig bewahrten (H Z1. 154—158 und Z1. 176—183), 
den N.-Dialekt. In den alten manichäischen Turfanfragmenten, 
soweit sie in persischer Sprache verfaßt sind, ist nach Lentz 
(a. a. O. 22) diese Scheidung strengstens durchgeführt ’). Erst späte 
Texte, die sich auch inhaltlich durch andere Verteilung der Epi- 
theta und Funktionen als sehr jung erweisen, verwenden neben- 
einander Formeln aus dem N.- und SW.-Dialekt. In den mp. 
Inschriften treten ebenfalls diese beiden Dialekte auf, das Ar- 
sakidische Idiom (Norddialekt) und das Sasanidische (Südwest- 
dialekt). Im wesentlichen auf der Grundlage des mp. SW.-Dia- 
lekts baut sich die neupersische Schriftsprache auf, jedoch mit 
Untermischung zahlreicher dem Norddialekt entlehnter Lautformen. 
Auch darauf hatte zuerst Andreas hingewiesen. Eine Monographie 
darüber besitzen wir nunmehr in einem Aufsatz von W. Lentz: 
Die nordiranischen Elemente in der np. Literatursprache bei Fir- 
dosi (ZII. IV 251ff.). 

Von allgemein sprachwissenschaftlichem Interesse ist es dabei, 
daß die dem Norden entlehnten Wörter des Persischen sich keines- 
wegs auf bestimmte Bedeutungsgruppen verteilen lassen, daß man 
hierbei also mit dem beliebten Begriff „Kulturwort“ nicht im 
mindesten auskommt. Ich hebe hier nur wenige charakteristische 
Beispiele hervor. 

Da ist das Allerweltswort zädän „gebären, geboren werden“ 
mit seinen zahlreichen Ableitungen und Kompositen, das wegen 
des anlautenden z- (statt sw. d- < d-) ein Nordwort sein muß 
(Lentz a.a. 0.309). Die Entlehnung dieses Wortes fand bereits 
in altpersischer Zeit statt, wie die in den Keilinschriften ver- 
tretenen Komposita paruzana „viele Völkerschaften habend“ und 
vispazana „alle möglichen Völkerschaften habend“ beweisen, von 
denen das letztgenannte auch in der Lautform des ersten Gliedes 
(vispa- für visa- oder — speziell achämenidisch — viba-) die Her- 
kunft aus dem Norden dokumentiert (vgl. Meillet, Gr. du v. perse 
60). Bemerkenswert ist dabei, daß diese entlehnte Form die 
eigentlich südwestiranische (dana-, dä-) schon sehr frühzeitig 
völlig verdrängt zu haben scheint; denn diese SW.-Form ist 
nirgends appellativisch belegt. Allerdings könnte sie sich, wie 

1) Es sei gestattet, bei dieser Gelegenheit einen fatalen Schreibfehler in 


der genannten Abhandlung zu verbessern: S. 21 21.43 lies: „... unbedingt ž 
haben.“ 


Iranica. ` 291 


ich vermute, hinter einem bestimmten Worttypus verbergen: Ich 
meine das zweite Kompositionsglied -däta in einer Reihe persi- 
scher Eigennamen wie Mithridätes, Aridäta, Tiridäta, Bagadäta 
(Bagdad), Farrukhdäd usw. (vgl. die zahlreichen Belege bei F. 
Justi, Iran. Namenbuch 491). Justi sieht in diesem -däta einer- 
seits die Wz. dö (= ai. datta), andererseits die Wz. dhe (= ai. 
hita). Gegen diesen zweiten Ansatz scheint indessen der Umstand 
zu sprechen, daß die altindische Namengebung, sofern man sich 
auf die Zusammenstellungen bei Hilka, Beiträge zur Kenntnis 
der ai. Namengebung (= Ind. Studien hgg. von A. Hillebrandt, 
H. 3) verlassen darf, ein Namenwort -hita nicht kennt. Ich wage, 
wenn auch mit Vorbehalt, die Vermutung, daß es sich in dieser 
-däta-Gruppe, wenigstens zu einem Teil, um die echt südwestiran. 
Form des gemeiniran. -zäta = ai. jäta handelt. Hier mag sich 
die sonst bei den Appellativen völlig verdrängte SW.-Form eben 
durch ihren lautlichen Zusammenfall mit dem so beliebten gemein- 
iran. Namenwort -däta (= ai. datta) erhalten haben. Auch das 
Altindische kennt ein, freilich nur spärlich gebrauchtes Namen- 
wort -jäta (Hilka a. a. O. 50: Gavijäta und Abhayajäta). Die Grie- 
chen haben das entsprechende Namenwort -yontog (Bechtel, Die 
hist. Personenn. 109f.). Im lIranischen selbst endlich ist das 
Namenwort -zāta > -zad, -zädä sehr häufig (Justi a. a. O. 519). 
Da wir nun z. B. neben Mihrzäd „Mithrageboren“ (oder „von M. 
abstammend“), Farrukhzäd „Glanzgeboren“, Khorzäd „Lichtge- 
boren“ auch Mipradäta, Farrukhdäd, Khurdäd belegt finden, so 
will es mich nicht ausgeschlossen bedünken, daß jene Paare 
mindestens in einem Teil der zahlreich belegten Fälle nur dia- 
lektisch, nicht etymolegisch, verschieden sind, indem die zweite 
Gruppe im zweiten Kompositionsglied eine SW.-Form enthält. 
Freilich wird trotzdem ein Teil auch dieser data-Formen mit der 
Wz. do gebildet sein; neben einem Miprazäta wird es sicher schon 
von Haus aus einen Mibradäta gegeben haben, sowie neben dem 
gr. ®eöyvnvos ein @eödorog bestand. Sicher scheint mir der im 
Buch Esther (9, 8) überlieferte persische Name Arzdat (NATN) = 
ap. Ariadäta im zweiten Glied = nordiran. -zāta zu sein und die 
Bedeutung „Edelgeboren“ zu haben’). Eine Wz. dao scheint hier 
doch bedeutungsmäßig schlecht zu passen. Ich muß es im übrigen 
den Fachiranisten und den Historikern überlassen, die vorge- 
schlagene Zweiteilung der iranischen data-Namen genauer zu 

1) Darius I. legt sich im Eingang der Grabinschrift u. a. die Epitheta 
ariya ariya-&ica bei: „aryen, de lignée aryenne“ (Meillet 150). 

19* 


292 Wolfgang Krause 


prüfen. Die Verdrängung der SW.-Form dan, dä in Appellativen 
durch die Nordform zan, zë ist jedenfalls zur Zeit der Achämeniden 
eine vollendete Tatsache. 

Weiter nenne ich das np. Wort zäbän „Zunge“. Die Namen 
der elementaren Körperteile pflegen bekanntlich in der Regel 
altererbt, nicht irgendwie entlehnt zu sein. Indessen ist zäban 
— wieder infolge des kennzeichnenden z- und weiter durch den 
Schwund des anlautenden h- — nicht echt südwestiranisch. Schon 
das Mp. kennt die echte SW.-Form nicht mehr; heißt es doch 
im mp. Psalter (SW.) bereits uzvan. Es ist nun Lommels Ver- 
dienst, in der ap. Bisutun-Inschrift die echt sw.iran. Form hidu- 
bünam gelesen zu haben (o L 260ff.)').. In diesem Beispiel hat 
sich die dem SW. eigene Form wenigstens noch bis in die Achä- 
menidenzeit hinein gehalten. 

Noch anders ist das dialektische Verhältnis bei dem Wort 
für „Pferd“. Schon in den ap. Keilinschriften finden wir bei 
diesem Worte medische und SW.-Formen nebeneinander: aspa 
neben asa. Als Simplex scheint später die SW.-Form von der 
N.-Form völlig verdrängt worden zu sein, vgl. np. äsp. Dagegen 
hat sich die SW.-Form in dem Kompositum suwär „Reiter“ aus 
ap. asabära erhalten. Ich möchte mit Lentz (ZI. IV 279) an- 
nehmen, daß es nutzlos ist, nach besonderen kulturhistorischen 
Ursachen für die Entlehnung zu fahnden. Der Umstand, daß 
nach Herodot 4, 70 (und sonst) in der Nisäischen Ebene (Medien) 
eine besonders edle und kräftige Rasse gezüchtet wurde, genügte 
doch wohl nicht, die N.-Form asp im SW. zu erklären. Darius I. 
nennt auf der Inschrift von Persepolis (Weißbach, Die Keilinschr. 
der Achäm. 80d § 2) Persien überhaupt huvaspam. 

Endlich erwähne ich hier noch das wegen seines dž dem N. 
entstammende ärdž „Wert“, das von Firdosi gleichmäßig neben 
der echten SW.-Form ärz verwendet wird; Ableitungen von der 
N.-Form sind bei Firdosi ärd2(u)-mänd „wertvoll“ und der Eigen- 
name Ärd3-äsp (Lentz a. a. O. 278). Im Mp. sind nach Lentz beide 
Formen noch getrennt: Im N.-Dialekt der TF. begegnet arzan 
„würdig“, im Bp. und im Ps. (SW.) arz und arzän®). Hier scheint 
die N.-Form also erst in frühneupers. Zeit in die Schriftsprache 
des Südwestens Eingang gefunden zu haben, und zwar nicht für 
lange: Die heutige Umgangssprache scheint allein die SW.-Form 


1) Anders, aber falsch, Meillet, Gr. du v. p. 31. 
2) Die historische Schreibung d in den beiden von Lentz gegebenen Belegen 
ist freilich nicht völlig eindeutig, doch vgl. Lentz, ebd. 254, 30. 


Iranica. 298 


zu gebrauchen. Es ist bei Fällen dieser Art auch mit der Mög- 
lichkeit zu rechnen, daß die N.-Form im gesprochenen Persisch 
nie vorhanden war, sondern nur ein rein literarisches Dasein, 
vielleicht nur bei dem einen Autor, gefübrt hat. 

Es hat sich also ergeben, daß die auf der Grundlage des 
Dialektes von Färs beruhende persische Schriftsprache von den 
ältesten Zeiten unserer Überlieferung an bis in die frühneupers. 
Periode hinein eine Reihe der landläufigsten Wörter in einer von 
Haus aus nur den nördlichen Dialekten eignenden Lautform ver- 
wendet, ohne daß sich diese Lehnwörter in Bedeutungsgruppen 
aufteilen ließen. Nach welchen Gesichtspunkten lassen sich aber 
dann die Entlehnungen gliedern? Ich fürchte, der gewaltige 
Zeitraum, innerhalb dessen der Norden fort und fort seinen sprach- 
lichen Einfluß auf den Südwesten geltend gemacht hat, läßt von 
vornherein alle Hoffnung schwinden, diese Frage einheitlich und 
entscheidend zu beantworten. Wir könnten höchstens einige 
recht allgemeine Vermutungen darüber vorbringen. Man könnte 
etwa damit rechnen, daß die ap. Monumentensprache sowie die 
spätere persische Schriftsprache und die Umgangssprache der 
vornehmen Perser der verschiedenen Zeiten es gelegentlich ver- 
mied, solche Lautformen zu gebrauchen, die allzusehr den Stempel 
des geographisch eng begrenzten Lokaldialekts zur Schau trugen. 
So war der Übergang z zu d, d allein südwestpersisch. Es ist 
unter diesen Umständen auch begreiflich, daß oft, wie wir sahen, 
gerade die allergebräuchlichsten Wörter in der Nordform erscheinen, 
insofern gerade bei ihnen für einen Südwestperser die Korrektiv- 
möglichkeiten durch die in den umgebenden Dialekten einheit- 
liche Lautform besonders häufig waren. Bei der Aussprache (bzw. 
Schreibung) solcher landläufigen Wörter kämpften in der sprechen- 
den Person eben oft zwei entgegengesetzte Prinzipien mitein- 
ander: der Hang zur Bequemlichkeit, d.h. so zu sprechen (bzw. 
schreiben), wie man es in dem Mundartengebiet von Färs dauernd 
gewohnt war, und andererseits der Wunsch, „fein“ zu sprechen, 
so wie man den betreffenden Laut oder Lautkomplex überall 
außerhalb der eigenen Mundart sprechen hörte. Weshalb nun 
aber in diesem Fall das eine, in jenem das andere Prinzip die 
Oberhand gewann, läßt sich natürlich im Einzelfall nur selten 
vermuten, wohl nie entscheiden. Das an zweiter Stelle genannte 
Prinzip wird besonders dann stark sein, wenn durch seine Be- 
folgung die Klarheit, eine der wichtigsten Triebkräfte beim 
Sprechen, erhöht wird. Unter diesem Gesichtspunkt können wir 


294 Wolfgang Krause 


es z. B. begreifen, daß, wie wir sahen, seit den ältesten Zeiten 
unserer Überlieferung die Wz. zan- bei appellativischem Gebrauch 
stets mit anlautendem z-, also in der N.-Form, d.h. in der ge- 
meiniran. Form erscheint. Die SW.-Form mit d- wäre einmal 
ein ausgesprochener Böotismus gewesen und hätte zum andern 
in vielen Fällen, zumal in den Formen des im Persischen ja so 
unendlich häufig gebrauchten Partizipiums Passivi zu formalem 
Zusammenfall mit den entsprechenden Formen der Wurzeln idg. 
do und dhe geführt und dadurch eine gewisse Unklarheit des 
Ausdrucks veranlaßt. Auch bei den zahlreichen Wörtern mit 
gemeiniran. sp anstelle von echt sw.iran. s (wie z. B. bei aspa) 
wird der Drang nach Klarheit, sofern noch irgend ein weiteres 
Moment hinzukam, die Annahme der N.-Form bewirkt haben. 
Gerade bei aspa dürfen wir jenes andere, noch hinzutretende 
Moment vielleicht mit Meillet, Gr. du v. p. 6, darin suchen, daß 
die echte SW.-Form asa nach dem Abfall der Endung, also in 
der Gestalt as, nur noch einen allzu geringen Wortkörper besaß. 
Das Moment der Klarheit mag auch in solchen Fällen gewirkt 
haben, wo ein echt sw.iran. z (aus 2) durch dž ersetzt ist, oder 
ein sw. s (aus Zr) durch nordiran. hr. Jedenfalls muß man sich 
immer wieder vor Augen halten, daß in den meisten Fällen 
mehrere Momente zusammen wirken mußten, um den Ausschlag 
für die Entlehnung zu geben. 

Die beiden mp. Dialekte spiegeln sich also, wie bereits an- 
gedeutet, in den phonetischen Texten der chinesischen Hymnen- 
rolle deutlich wieder. Interessant ist, daß uns hier gelegentlich 
Mischformen anstelle von eindialektischen Formen des betr. mp. 
Originals entgegentreten: So su pu li fu to = ispurzft (Nordd.) 
„Erfüllung“ (phonet. Hymnus auf Jesus Vers 9 = Waldschmidt- 
Lentz a a. O. 88) und sa to wei shen = istavisn „Preis“ (ebd. V. 10). 
Das mp. Original schreibt, wie im Norddialekt zu erwarten, in 
beiden Fällen den anlautenden Vokal (y). Die Formen erweisen 
sich auch sonst als N.-Formen (Abstraktsuffix -ēft, Erhaltung von 
intervokal. ai Die chinesische Transkription weist aber keinen 
anlautenden Vokal auf: Es ist also wohl supureft und sutavisn zu 
lesen (Waldschmidt-Lentz 81). Erleichterung. einer ursprünglich 
anlautenden Konsonantengruppe durch Entwicklung eines Spalt- 
vokals ist aber für den SW. kennzeichnend (Lentz ZII IV 272). 
Der Anlaut ist in diesen beiden Fällen also der südwestlichen 
Aussprache angepaßt worden. Ob diese Veränderung auf Tao 
Mings Konto zu setzen ist oder auf das seiner Vorlage, läßt sich 


Iranica. 295 


nicht entscheiden; wahrscheinlicher dünkt mich das erstere. Viel- 
leicht liegt eine ähnliche Anpassung des Anlauts an die Aussprache 
des Südwestens vor in dem np. d2ävedan „ewig“ (Lentz, ZII. IV 
291). Die eigentliche SW Form d2äedän mit Schwund des v ist 
in den Turfanfragmenten belegt. In diesem Wort ist nun die 
Nordform mit dem im N. regelrecht erhaltenen inlaut. -v- in den 
SW. gedrungen (Prinzip der Klarheit bei einem feierlichen Wort?); 
die wahre N.-Form lautete jedoch yävcdan mit regulär im N. er- 
haltenen y-. Dieser nördliche Anlaut wurde vom SW. nun aber 
nicht mit übernommen, vielleicht weil der voller klingende süd- 
westl. Anlaut dž aus klanglichen Gründen und aus Bequemlich- 
keit bevorzugt wurde. Man kann also sehr wohl den Anlaut von 
džāvēdān im SW. mit Lautsubstitution erklären und braucht nicht 
anzunehmen, daß das Wort in den SW. bereits zu einer Zeit 
gedrungen sei, als dort uriran. y- noch nicht zu dë geworden 
war. Daß nämlich dieser Anlautsübergang sehr alt ist, beweist 
das Zeichen für anl. y- im Awesta, das nach Andreas eine Ligatur 
aus vm ist. Es wird sich aber kaum beweisen lassen, daß der 
gelegentliche Schwund von intervokal. e im SW. noch älter 
sei als jener Anlautsübergang. Eine solche Voraussetzung muß 
aber derjenige machen, der bei der lautlichen Erklärung von 
dZavedän ohne die Annahme von Lautsubstitution auskommen will. 

Eine interessante N.-Form zeigt sich in der chinesischen 
Transkription des bekannten Wortes rösun „Licht“ (so auch in 
den nordiran. TF.), nämlich u-lu-shen = urösun (phonet. Hymnus 
auf Jesus V.21) mit dem eigenartigen Vokalvorschlag, der nur 
im Norden Parallelen hat (vgl. Waldschmidt-Lentz Sit, 

Wenn ein altiran. Wort mit zwei kurzen offenen Silben an- 
lautet, so wird nach Andreas der Vokal der zweiten Silbe im 
Mitteliran. synkopiert. Einen schönen Beleg liefert nach Wald- 
schmidt-Lentz 82 das Wort fo-hi-fu-t0 — farheft „Herrlichkeit“ 
(V.7). Dies Wort ist entstanden aus faroheft aus *farroheft aus 
*farnohveft. Die Schrift der Turfanfragmente kann uns natürlich 
infolge der Nichtbezeichnung der Vokale (won) keinen Auf- 
schluß über den Eintritt der Synkope geben. Das Chinesische 
zeigt ihn — falls nicht ein Zeichen nur versehentlich ausgelassen 
ist — deutlich. 


III. Zum mitteliranischen Konsonantismus. 
Die uriranischen intervokalischen stimmlosen Verschlußlaute 


y 


p, t, k sowie č wurden bereits vom 5. Jhd. vor Chr. an zu den 


296 Wolfgang Krause 


entsprechenden stimmhaften Frikativen ß, d y, ž (dž), vgl. darüber 
zuletzt H. Jacobsohn oben LIV 273 A.1. Ich kann daher P. 
Tedesco nicht zustimmen, der in seinem Beitrag zur Kretschmer- 
Festschrift (S. 263) anzunehmen scheint, daß mindestens in einer 
Reihe von iranischen Dialekten jene Lautverschiebung im ersten 
Jhd. v. Chr. noch nicht stattgefunden habe. Die Namen Algıns 
und Oindtov auf der einen griechischen Urkunde von Avroman 
(1. Jhd. v. Chr.), die Tedesco ins Treffen führt, vermögen die Ent- 
scheidung nicht zu bringen: Die in ihnen auftretenden Tenues 
können sehr wohl der historischen Schreibweise des Iranischen 
nachgebildet sein, sowie wir auch in dem iranischen Namenwort 
droe das -ı- (lat. -t-) als historische Schreibung ansehen müssen. 
In Namen wie Meyaßdıns (= päta) haben wir ja sichtbarlich 
historische und phonetische Schreibung nebeneinander. 

Für die Frage, ob die mp. 3, 7, 3 den phoneteschen Wert von 
Verschluß- oder von Reibelauten haben, gibt es nach Lentz (Die 
Stell. Jesu 82) besonders zwei gute Kriterien: die Transkription 
manichäischer Texte in sogdischer und chinesischer Schrift. Am 
klarsten ist die sogdische Transkription. Die sogdische Sprache 
kennt offenbar im Inlaut (außer nach 2) wie im Anlaut keine 
stimmhaften Verschlußlaute. Die sogdischen Texte schreiben M, 
5, 3 an solchen Stellen, wo in westiranischen Texten etymologisch 
A 1,2 entsprechen würde. Die sogd. Schreibung m weist nun 
deutlich auf einen Reibelaut, etwa mit dem phonetischen Wert y. 
5 wird aus d hervorgegangen sein. Das Zeichen 3 ist an sich 
natürlich ebenso zweideutig wie das entsprechende Zeichen in 
der manichäischen Schrift. Daß wir auch hier mit einem Reibe- 
laut rechnen müssen, geht nicht nur aus der Parallelität hervor, 
sondern auch aus der folgenden Tatsache: In solchen Texten, die 
zwar in westiranischer Sprache, aber in sogdischer Schrift ver- 
faßt sind, entsprechen den manichäischen Zeichen für 3, 7, 3 die 
sogdischen Zeichen für n, 5, 3 im Inlaut außer nach Nasal, da- 
gegen die sogdischen Zeichen der stimmlosen Verschlußlaute im 
Anlaut und im Inlaut nach Nasal. Der Schluß ist zwingend, daß 
es sich in der ersten Kategorie um Reibelaute handelt, in der 
zweiten um stimmhafte Verschlußlaute, für die es in der sogd. 
Schrift eben keine eigenen Zeichen gab. Man schreibt also in 
den sogd. Transkriptionen z. B. WNN = andarväz, DND = bam 
und vm = gr2v (manich. vu, sogd. Sprache vn, Beide Laut- 
werte in einem Wort finden sich z. B. in mm drūđ, das in der 
sogd. Transkription 5an geschrieben wird. Bemerkenswert ist die 


Iranica. 297 


chinesische Transkription mu-ch'uan-tu-lo = muždayđay „Botschaft- 
bringer“ (V. 3 des phonet. Hymnus); sie zeigt, daß der Dental 
hinter -3- als Verschlußlaut, hinter -ay- als Reibelaut gesprochen 
wurde. Im Westiranischen vollzieht sich also der Übergang von 
stimmhaften Reibelauten zu stimmhaften Verschlußlauten in den- 
selben Etappen wie im Germanischen: Die Veränderung tritt zu- 
nächst hinter Nasal und im Anlaut auf. 


IV. Zum Vokalismus des Altiranischen. 

Man weiß, daß gerade um den altiranischen Vokalismus seit 
Jahrzehnten ein heißer, teilweise übertrieben erbitterter Kampf 
geht. Auf der einen Seite steht Andreas mit seinen wenigen 
Anhängern, der den altiranischen Grundvokalen (den altindischen 
a, ā etymologisch entsprechend) den phonetischen Wert o, o bei- 
mißt, auf der anderen, weitaus stärkeren Seite stehen alle übrigen 
Forscher, die jene beiden Grundvokale als a, ö interpretieren. 

Erst jüngst hat wieder Reichelt in der „Geschichte der idg. 
Sprachwissenschaft“, Teil 2, Band 4, Heft 2 (Iranisch und Arme- 
nisch) S. 33f. die Andreassche o-Theorie rundweg abgelehnt. Die 
von Reichelt vorgebrachten Gegengründe treffen nun in der Tat 
sehr viele Einzelheiten der Andreasschen Beweisführung. Auch 
mir scheint, daß Andreas den awestischen Vokalismus viel zu 
einfach darstellt. Die Möglichkeit kombinatorischen Lautwandels 
der Vokale schon in der altiranischen Periode berücksichtigt er so 
gut wie gar nicht’). An dieser schwachen Seite ist die o-Theorie 
denn auch von ihren Gegnern energisch angegriffen. So hat z. B. 
Tedesco, wie mir scheint mit vollem Recht, darauf hingewiesen, 
daß nach Andreas sowohl der Nom. wie der Vok. Sing. der idg. 
o-Stämme völlig gleichmäßig auf -o ausgehen, obwohl die Awesta- 
handschriften streng zwischen -ð für den Nominativ und -ä (-a) 
für den Vok. scheiden. Daß es sich hierbei lediglich um eine 
Schreibgewohnheit handelt, ist in der Tat höchst unwahrschein- 
lich, zumal der dem ai. o entsprechende kurze Vokal auch sonst 
vor geschwundenem A aus s als o (nach der üblichen Transkrip- 
tion) erscheint, z. B. im Nom. Akk. Sing. der neutralen s-Stämme 
und in den verschiedenen Verbalausgängen auf 5 = ai. as. Der 
lange Vokal (ai. ai erscheint in entsprechenden Stellungen als å. 
All das schließt die Annahme aus, daß es sich nur um rein gra- 
phische Differenzierungen handele. 


1) Auch L. Gaál schenkte in seinem in mancher Hinsicht nützlichen Auf- 
satz „Zur Frage des aw. und uriran. o“ (Körösi Csoma Archiv I 389ff.) dem 
kombinatorischen Lautwandel keine Beachtung. 


298 Woltgang Krause 


Durch diesen und ähnliche Einwände wird aber Andreas 
Annahme, daß die mit a, o umschriebenen Awestavokale o-Laute 
seien, noch nicht widerlegt. Man stimmt wohl jetzt allgemein 
darin überein, daß das mit a umschriebene Awestazeichen auf 
Defektivschreibung zurückgeht, d. h. daß der entsprechende Laut 
in dem älteren Awestaalphabet, aus dem das in unseren Hand- 
schriften überlieferte, feiner differenzierte Alphabet erst entwickelt 
ist, überhaupt nicht geschrieben war. Andreas stellt nun be- 
kanntlich den Satz auf, daß uns nur alte Pleneschreibung über 
die Qualität des Vokales unterrichten kann. Nun ist es allerdings 
richtig, daß ein großer, ja der weitaus größte Teil der alten Plene- 
schreibungen — wie z.B. das -ð des Nom. Sing. der männlichen 
o- und der neutralen s-Stämme, oder wie das ə vor unmittelbar 
folgendem m einen durch die umgebenden Laute irgendwie modi- 
fizierten, stärker labialisierten Laut repräsentieren. Es bleiben 
aber, wie mir scheint, doch noch eine ganze Reihe von Fällen, 
die eine solche Erklärung mit kombinatorischem Lautwandel nicht 
zulassen. Wie will man etwa das ð von čōrət = ai. (a)kar „er 
tat“ deuten? Wie das ö von oug (neben j.aw. aya) = ai. ayā 
„mit dieser“, wie das ð von vätoyota „er soll zum Verständnis 
bringen“ (neben vatöyamah?)? In allen diesen Fällen geht der 
Vokal auf den dem ai. o entsprechenden Grundvokal zurück, kann 
aber weder durch lautgesetzlichen kombinatorischen Wandel noch 
durch irgendeine wahrscheinlich zu machende Analogiebildung 
als modifizierter Laut erklärt werden. Hier liegt gewiß schon 
in dem älteren, vokallosen Alphabet Schreibung mit der mater 
lectionis ) vor. Warum gerade hier Pleneschreibung stattgefunden 
hat, können wir freilich nicht wissen; sicher ist aber, daß | einen 
labialen, also etwa o-ähnlichen Vokal bezeichnet. Daraus, daß 
dieser Vokal für gewöhnlich defektiv geschrieben wurde, darf 
man schließen, daß er offener, nicht so stark labialisiert war, wie 
jene durch labialisierende Einwirkung der Nachbarlaute (u, Nasal, 
h) differenzierten, mit o a 3 bezeichneten Vokale. Das awest. a 
mag sich zu dem ð ungefähr verhalten wie das ungarische a 
(gespr. ol zum ungar. o (gespr. o). Es liegt, wie mir scheint, 
keine Nötigung vor, die traditionelle Schreibung a aufzugeben, 
wofern man sich nur der phonetischen Geltung des Zeichens 
bewußt ist und die seltenen Pleneschreibungen mit } versteht. 

Die 9-Aussprache des aw. a darf um so weniger Befremden 
erregen, als bekanntlich auch das a des Sanskrit nach der be- 
rühmten Pänineischen Regel 8, 4, 68 ein gegenüber dem langen ä 


Iranica. 299 


mehr geschlossener (samvrta) Laut war; vgl. auch Wackernagel, 
Altind. Gr. 13. Der genaue Lautwert läßt sich für das Altindi- 
sche nicht feststellen, da auch die Pratisakhyen keine genauere 
Definition des Vokals geben. 

Ist nun das a des Altindischen und des Awestischen kein 
reines a, so werden wir auch dem altpersischen a einen o-ähn- 
lichen Lautwert zuerkennen müssen. Unmittelbare Beweise aus 
der ap. Schrift selbst fehlen. Wenn aber z. B. im Elamischen 
sauddakuis$ neben saaddakuis geschrieben wird, so darf man doch 
diese auffällige Schreibung nicht einfach mit Reichelt (Iranisch 34) 
als belanglos bezeichnen. Die Schreibung ud mag sich zu der 
Schreibung ad ähnlich verhalten wie die seltene EIN US NIE 
o 3 zur Defektivschreibung (a) im Awesta. 

Im Armenischen wird nun altiran. a (= ọ) in den ältesten 
Lehnwörtern meist mit o wiedergegeben, während das armen. o 
anscheinend in jüngeren iranischen Lehnwörtern begegnet. Das 
armen. o war eben ein sehr geschlossenes o (vgl. Karst, Hist. Gr. 
des Kil. Armen. 21), während dem offenen o des Altiranischen 
lautlich das (reine) a des Armenischen noch am nächsten kam. 
Bezeichnend ist die armen. Vokalisierung der beiden eng ver- 
wandten iran. Namenwörter phar- (= altiran. farr-) und das 
jüngere zorox- (mitteliran. khorrokh- aus zvarnazva-). 

Auch das Griechische ersetzt das iranische a (= oi durch 
a, da das griech. o bekanntlich ein geschlossenes o ist. Es ist 
bezeichnend, daß das griechische o in zahlreichen Eigennamen 
einem fremdem x entspricht, nachdem gr. v ein ü-Laut geworden 
war. So erscheint der indische Name Candragupta als Savöoa- 
xóttas. Von iran. Namen seien beispielweise genannt Maoödvıos 
(Marduniya), ”Ordvns (Utana), Zoydıavn (Suguda). Daneben 
gr. v, z.B. in Kaußvons (Kambuiya), Meydßvbos (Bayabuxsa). 

Derselbe Wechsel von v und o für u findet sich auch in 
vorderasiatischen Namen und Appellativen, die ins Griechische 
entlehnt worden sind. Neben Kvß&in und xvßeluorng stehen 
xóßūos, xóßergos; zugrunde liegt ein vorderasiatisches u, vgl. ai. 
Kubera (Kretschmer, o LV 85f.). Die Qualität des griech. o 
erklärt auch seine Verwendung in einem Namen wie "Aroooa = 
aw. Hutaosa (Yt. 15, 35). Das griech. o entspricht hier einem 
pers. langen geschlossenen 5 aus ou. Dieser geschlossene Laut 
konnte im Griech. nicht durch das offene w bezeichnet werden. 
In der Vokalbezeichnung des griechischen Alphabetes kam es ja 
auch sonst grundsätzlich mehr auf die Qualität als auf die Quantität 


300 Wolfgang Krause 


der Vokale an; o bezeichnet bekanntlich auch den unechten Di- 
phthong, der dann später im Ionischen durch ov ausgedrückt 
wurde. So erledigte sich wohl Jacobsohns Zweifel in bezug von 
"Atoooa (o. LIV 267 A.1). 

Weder das Armenische noch das Griechische sprechen dem- 
nach gegen die Annahme, daß dem altiran. a der phonetische 
Wert o beizumessen sei. | 

Schwieriger ist die lautliche Beurteilung des altıiranischen o. 
Die heutigen iran. Dialekte weisen tibereinstimmend labiale Aus- 
sprache (9 und ai auf. Schon in den Turfanfragmenten kommt 
nach Andreas neben x und xx auch die Schreibung w vor, die 
auf labiale Qualität weist. Aus dem Altıiranischen ist mir kein 
sicheres, direktes Zeugnis für dunkle Aussprache bekannt. An- 
dreas mißt zwar auch dem altiran. o den phonetischen Wert ð 
bei, jedoch ohne sichere Beweise. Wo in den Awestatexten d 
erscheint, (das entsprechende Awestazeichen ist eine noch in den 
Handschriften selbst am Zeilenschluß trennbare Ligatur aus NN), 
liegt kombinatorischer Lautwandel vor, vergleichbar der oben 
besprochenen Modifizierung von a (9) zu 5, a. Es ist vom Stand- 
punkt des Iranischen aus sehr wohl möglich, daß im Gegensatz 
zum kurzen a (= ọ) die Länge wirklich ein phonetisches o war. 
Auch ım Altindischen stand ja neben dem dumpfen a ein helles 
d, und ähnlich entspricht im Slavischen dem ursprünglich kurzen 
o ein ursprünglich langes a. Die spätere gemeiniranische Ent- 
wicklung zu einem langen offenen und sogar geschlossenen ö-Laut 
ist trotzdem möglich, sowie sich etwa sämtliche nordgermanische 
Sprachen aus dem urnordischen hellen o (meist aus urgerm. 2 
hervorgegangen) im Laufe der Zeit einen labialen Vokal bzw. 
Diphthong (dän. 9, norw. ö, schwed. o isl. au) entwickelt haben. 

Die Wiedergabe der iranischen Vokale a, a in den chinesi- 
schen Transkriptionen, besonders in den phonetischen Hymnen 
der großen Londoner Rolle scheint als Beweismittel für die Qualität 
der iranischen Vokale nicht in Betracht zu kommen, zumal sich 
die genaue Aussprache der chinesischen Zeichen zur Abfassungs- 
zeit der Hymnenrolle wohl nicht mit völliger Sicherheit ermitteln 
läßt. Waldschmidt und Lentz (a. a. O. 81) äußern sich darüber 
mit großer Zurückhaltung. 


V. Awest. hu-. 


An die Frage des o-Vokalismus sei eine kleine Sonderunter- 
suchung geknüpft. Wir sahen, daß gelegentlich auch der ein- 


Iranica. 801 


fache, unmodifizierte Grundvokal a (= ọ) im Arsakidentext durch 
die mater lectionis | bezeichnet werden konnte. Es ist theoretisch 
denkbar, daß bei der Umschrift in ein vokalbezeichnendes Alphabet 
ein \) gelegentlich falsch gedeutet wurde, da es als Vokalzeichen 
mehrere Qualitäten (9, o, u) umschließen konnte. Bei Durchsicht 
des awestischen Wortschatzes fällt nun auf, daß ein im nah ver- 
wandten Altindischen so überaus häufiges Präfix wie sa- = gr. å- 
„samt“, „gleich“ in unserer Awestavulgata als ha- auffällig selten 
zu finden ist. Mir sind im ganzen nur folgende fünf Fälle be- 
kannt: hapapni „Nebenweib“* F.2f. — hadam „die selbe Wohnung“ 
Y.44,9; 46,14. — haydanham „in Erfüllung der Bitte“ Y. 62, 9f.; 
V.18,26. — hawuharana „Backe“ Y.11,4; F.3g. — hazaosa 
„gleichen Willens mit“ Y. 28, 8; 29, 7. — Außerdem steckt das 
ha- noch in ganz festen Verbindungen wie hakat „auf einmal“, 
hakarst = ai. sakrt, hada „von her“, hada „immer“, „zusammen 
mit“, haprā „zusammen, gleich“. Schließlich sind etymologisch 
eng verwandt ham- (höm, hąm), hama, hama. Demgegenüber ist 
das dem ai. su- entsprechende Präfix hu- „schön, gut“ im Awesta- 
text sehr reichlich vertreten. Bei diesem Mißverhältnis fragt man 
unwillkürlich, ob von den Transkriptoren nicht gelegentlich ein- 
mal ein hu- irrtümlich an die Stelle eines ha- gesetzt worden ist. 
Eine Pleneschreibung m war ja in der Tat doppeldeutig, und es 
ist ja zu beachten, daß einerseits ein a gelegentlich durch y be- 
zeichnet werden, daß aber andererseits ein u gelegentlich unbe- 
zeichnet bleiben konnte. Da nun an sich das Präfix hu- sowohl 
häufiger wie durchsichtiger war, so wäre es keineswegs ver- 
wunderlich, wenn gelegentlich ein hybrides hu- sich in unseren 
Awestatext eingeschlichen hätte. Ferner ist zu berücksichtigen, 
daß nach Andreas und Wackernagel (NGGW. 1911, 8) alte 
Nasalis sonans im Altiranischen als u erscheint. Gegen diese An- 
nahme spricht freilich, daß in unseren Awestahandschriften iran. 
u aus idg. u so gut wie regelmäßig geschrieben wird, während 
die alte Nasalis sonans hier fast stets als a (also Defektivschreibung 
im Arsakidentext) erscheint. Wie sollen wir diesen Unterschied 
verstehen, wenn beide Laute im Altiran. wirklich zusammenge- 
fallen wären? Auf der anderen Seite spricht aber einiges auch 
für jene Hypothese, vor allem das altiran. Zahlwort für „100“ 
in seiner vom Slawischen entlehnten Form ssto. Daß es sich 
hierbei wirklich um ein Lehnwort handelt, ist äußerst wahrschein- 
lich, um so mehr, als auch die finnisch-ugrischen Sprachen das 
Wort für „100“ dem Iranischen unzweifelhaft entlehnt haben. 


302 Wolfgang Krause 


Meillets Versuch (Le slave commun 56), das 3 des slaw. Wortes 
als echt slaw. Entwicklung aus nasalis sonans zu erklären, kann 
nicht befriedigen, da es im Slav. keinen zweiten Fall für einen 
derartigen Lautwandel im Wortinnern gibt. Ein altiran. a (= oi 
wäre aber im Slawischen mit o wiedergegeben worden’). Beach- 
tenswert ist auch, worauf wiederum Andreas hingewiesen hat, 
die im Rigveda bezeugte Flußnamensform sutudri neben späterem 
Satadru. Der Name dieses westlichen Nebenflusses des Indus mag 
von Haus aus iranisch gewesen sein; daß er das Wort für „100“ 
enthält, scheint zweifellos. Erwägen wir also das Für und Wider, 
so ist, wie mir scheint, die Möglichkeit nicht von der Hand zu 
weisen, daß die idg. nasalis sonans sich im Altiran. zu einem 
geschlossenen o entwickelt hat. Dazu stimmt die theoretische 
Erwägung, daß, wie wir oben sahen, im Awesta — und wohl 
überhaupt im Altiran. — auch der einfache kurze Grundvokal 
(= ai. a) vor Nasal, besonders vor m, eine geschlossene Aus- 
sprache erhielt. Ein derartiges geschlossenes o wurde in den 
Awestahandschriften bald durch a (alte defektive Schreibung), 
bald durch ein aus altem ) differenziertes Vokalzeichen ausge- 
drückt. Unter diesen Umständen wäre ein graphischer Zusammen- 
fall der alten Präfixe hu- und ha- (aus *sm-) ganz selbstverständ- 
lich. Immerhin möchte ich vorsichtig sein und auf die etwaige 
Sonderentwicklung der altiran. nasalis sonans nicht allzu großes 
Gewicht legen; der gelegentliche Zusammenfall von hu- und ka- 
in der Schrift ist ja auch ohnedies begreiflich. 

In der Tat gibt es nämlich einige Fälle, an denen das über- 
lieferte hu- nicht recht passen will, während ka- an der gleichen 
Stelle einen guten Sinn ergäbe. Ich nenne folgende Stellen: 

1) Y.49,5: at hvo mazda īžāčā azuitišča / yð daengm vohū 
särsta mananha / ärmatois kasčit ašā huzäntus / tāišča vispais Dwahmi 
xsapröi ahura. Bartholomae übersetzt das: „Der, o Mazdäh, — 
Glück und Fülle (wird ihm), wer immer sein Ich mit Vohu-Manah 
vereinigt, weil er durch Asa mit der Frommergebenheit wohlver- 
traut ist. Und mit denen allen in dein Reich, o Ahura!“ Dem- 
gegenüber schlage ich folgende Übersetzung vor: „Der aber, o M., 
ist (Brot mit) Milch und Fett‘), der da sein geistliches Wesen 
mit dem guten Denken vereinigt hat, durch die Wahrheit ein 
Stammverwandter der rechten Gesinnung, und zwar durch all 

1) Der Vokalismus der finnisch-ugr. Wörter für „100“ beweist für die uriran 


nas. son. nichts, vgl. Jacobsohn, Arier u. Ugrofinnen 50. 
2) Dieser Ausdruck nach Andreas übersetzt. 


Iranica. . 303 


das in deinem Reich, o A.!“ Ich bemerke, daß es ein Wort 
z3ntu (zantu) nur in dem Sinn „Stamm“ gibt, nicht in der Be- 
deutung „Erkenntnis“. Huzantus könnte also höchstens heißen 
„von guter Art, von gutem Stamm seiend“*; das paßt hier schlecht. 
Man hat also. wohl hazöntus zu lesen und es als „stammverwandt“ 
zu übersetzen. 

Dasselbe Wort huzöntus findet sich außerdem noch dreimal. 
Y.43, 3 schließt mit der Zeile (Subjekt ist hvo na „der Mann“): 
aradro bwavgs huzöntusa spantö mazda. Bartholomae: „Der getreu, 
der wie du kundig ist und heilig, o M.“ Richtig wird sein: „ein 
zuverlässiger, von gleichem Stamm, wie du geartet, ein heiliger, 
o M.“ Zu erwägen wäre daneben noch die Übersetzung: „von 
gutem Stamme“, aber das unmittelbar vorangehende Zwavgs macht 
die Übersetzung „von gleichem Stamme“ wahrscheinlicher. 

Y.46,5 wird von Bartholomae folgendermaßen übersetzt: 
„Wenn ein Kundiger einen festzuhalten vermag, nachdem er 
ihn dazu gebracht hat, von seinen Gelübden und Bindungen 
weg (zu ihm) überzugehen, einer der nach der Satzung lebt, ein 
Asaanhänger einen Druggenossen, so soll er, wenn er dessen 
sicher ist, das dem Adel kund tun, damit er ihn vor Mißhandlung 
schütze, o M. A.!“ Hier ist huzöntus mit „Stammgenosse“ statt 
„Kundiger* zu übersetzen: Der Asaanhänger und der Druggenosse, 
der Wahrhaftige und der Lügner, gehören dem gleichen Stamm- 
verband an, wie der Schluß der Strophe zeigt. Es scheint mir 
auch kein Zufall, daß im Originaltext huzöntus zwischen urvatöis 
va („von den Gelübden*) und mipröibyö va („oder von den Bin- 
dungen“) steht: urvatöis va huzöntus mibröibyö va. Diese Wort- 
stellung soll offenbar den kühnen Glaubenseifer des „Wahr- 
haftigen“ scharf beleuchten, der einen anderen von den religiösen 
Bindungen löst, die doch eigentlich auch für ihn selbst als einen 
Stammgenossen gelten sollten. 

Endlich begegnet dasselbe Wort (mit defektiver Schreibung 
der zweiten Silbe) einmal im jüngeren Awesta. In Yt. 13, 133f. 
wird begründet, weswegen die Fravası (Schutzgeist) des Kavi 
Haosravah angerufen wird, und am Schluß von § 134 heißt es 
huzant3us paiti aparayd vyarəÞyayå vahistahe anhaus. Bartholomae 
übersetzt: „um des künftigen rechten Teilhaftigwerdens, des 
unbestrittenen, des besten Lebens“. Anders Lommel (Die Yästs 
des Awesta 127): „und wegen der rechten Erkenntnis des 
künftigen und des (Anrechts?) auf das beste Dasein (Paradies)“. 
Die Stelle ist schwer zu verstehen, zumal infolge der Unklarheit 


304 Wolfgang Krause 


des Wortes vyarabyayd, das natürlich Gen. Sing. Fem. ist; mir 
scheint seine Verbindung mit huzant3uš aparayd (Bartholomae) 
besser als seine Trennung davon (Lommel).. Ich schlage folgende 
Übersetzung vor: „(und) wegen (seiner) künftigen Stammzuge- 
hörigkeit, der unbestreitbaren(?), zum Paradiese“. Das Kom- 
positum huzantu (= hazantu) ist hier jedenfalls ein Karmadharaya, 
nicht ein Bahuvrihi wie in den drei vorgenannten Fällen. Auch 
hier tritt das Verglichene in den Genetiv, wie in Y.49,5 (s. ol 

Mit dem so erschlossenen hazantu nah verwandt ist das altind. 
Bahuvrihi sajati „von gleichem Stamm, gleicher Art“. Als ent-- 
sprechendes Karmadhäraya ist im Altind. sajatya belegt, von dem 
gerade wie von dem huzantu des Fravardın Yäst ein Genetivus 
objektivus abhängen kann, z.B. sajatyam asvinoh „Verwandtschaft 
mit den A.“ (RV. 3, 54, 16). — asti hi vah sajätyam „denn (mir) 
ist Verwandtschaft mit euch“ (8, 27, 10). — Diese Beispiele werden 
genügen, um die syntaktische Verwendung des Genetivs an jenen 
Awestastellen zu rechtfertigen. 

2) Y. 52, 3: vamuhisca add vanuhisca asayo hupaurvd vahehis 
apard rasaintıs ... Das letzte Wort (räsaintis) ist unerklärt. 
Nach Bartholomae wäre die Übersetzung: „die guten Heim- 
zahlungen und die guten Belohnungen, die voranstehenden 
besseren (und) die folgenden ...“ Es ist ohne weiteres klar, 
daß hu- in hupaurvä keinen Sinn ergibt. Lesen wir dagegen 
hapaurvä, so ist alles in Ordnung: „die späteren räsaintis(?) be- 
gleitet von den voranstehenden besseren“; das wäre auf Altind. 
sapürva vasyasir aparah ... 


VI. Ein idg. Ausdruck für „Bruder“. 


Ein drittes mit hu- anlautendes Awestawort der in Frage 
stehenden Art findet sich Yt. 10, 116: visaitivd asti mibro antara 
hasa suptidaranga / brisabwä antara varazana / Cabwarosapwä antarə 
hadöogaeba / pancasabwä antara huyayna. Übersetzung nach Lommel: 
„Zwanzigfach ist der Treubund (Mithra) zwischen schulterver- 
bundenen(?) Freunden, dreißigfach zwischen Geschlechtsgenossen, 
vierzigfach zwischen Hausgenossen, fünfzigfach zwischen (Stuben- 
genossen?)*. Das Wort huyayna am Schluß der Reihe ist bisher 
etymologisch dunkel gewesen. Da es sich nach dem Zusammen- 
hang um einen noch engeren sozialen Verband als um Haus- 
genossen handeln muß, so hat man das Wort etwas mechanisch 
und unter Verzicht auf etymologische Verknüpfung mit „Stuben- 
genosse“* übersetzt. Auf der anderen Seite sucht Spiegel (Com. 


Iranica. 305 


mentar über das Awesta 11 575) in dem Worte die iran. Wurzel 
yaz und übersetzte es „gut opfernd“ (in den auf die zitierten 
Zeilen folgenden Reihen werden in entsprechender Steigerung 
geistliche Verbände aufgezählt). Diese Erklärung ist aus laut- 
lichen Gründen abzulehnen: „gut opfernd“ müßte huyasna heißen. 
Wenn wir das in der vorhergehenden Zeile stehende hadögaepa 
„zum gleichen Haus gehörig“ berücksichtigen, liegt es, nach 
unseren früheren Beobachtungen, sehr nahe, hinter dem hu- von 
huyäyna ein ha- zu suchen. Die Pleneschreibung des « vor dem 
konsonantischen y ist verständlich (vgl. öya „mit ihr“). Was aber 
bedeutet -yayna? Eine Wz. yäg mit (labio)velarem g gibt es 
weder im Iranischen noch im Indischen‘) noch überhaupt in 
irgendeiner idg. Sprache. Wir dürfen aber damit rechnen, daß 
in den Texten des Jungawesta öfter schon die mitteliranische 
Lautverschiebung (s. 0.) durchgeführt ist. Das y von -yayna kann 
also für älteres k stehen (das awest. Zeichen für y ist durch eine 
geringfügige Modifizierung aus dem %-Zeichen zu erklären). Wir 
kämen damit auf ein -yakna, eine lautliche Unform, da kn zu an 
hätte werden müssen. Es steht aber nichts im Wege, -yakana 
zu lesen, wobei wir uns auf einen großen Teil der Handschriften 
berufen können (vgl. Geldners Apparat). Ein Wort yakana ist 
aber, wie mir scheint, etymologisch eindeutig: Es gehört zu aw. 
yakara „Leber“, gr. Zog (gen. ratos), ai. yakrt (gen. yaknah), 
lat. iecur (gen. iecinoris), lit. jeknos, und zwar abgeleitet von dem 
Obliquusstamm yäkan- mit Reduktionsstufe im Suffix (vgl. etwa 
ai. odana „Reisbrei“, *udar, Lok. udani „Wasser“. Das Kom- 
positum hayakana bedeutet also „die zu der selben Leber ge- 
hörigen“. Das ist aber nichts anderes als eine uralte, vielleicht 
poetische Bezeichnung für „Geschwister“ bzw. „Brüder“. Daß 
in den Zusammenhang unserer Awestastelle ein Ausdruck für 
„Geschwister“ vortrefflich paßt, ist wohl ohne weiteres einleuch- 
tend: Nach den „Geschlechtsgenossen“ und den „Hausgenossen“ 
erwarten wir einen noch engeren sozialen Verband, und der Be- 
griff „Geschwister“ entspricht dieser Erwartung vollkommen, 
Was nun die Umschreibung „die von der selben Leber 
stammenden“ anlangt, so erinnere ich an den ähnlichen Ausdruck 


1) Zwar kennt das Altind. ein Wort yäga „Opfer“, doch handelt es sich 
hier um eine ziemlich junge Analogiebildung (nach dem Typus Zyäga, räga 
usw.) für lautgesetzliches *yäja. Das Wort findet sich noch nicht in den Veden; 
seine frühesten Belege stammen aus den Puränen, der Brhat-Samhitä und 
Sankhäyana. 

Zeitschrift für vergl. Sprachf. LVI 3/4. 20 


806 Wolfgang Krause 


ai. sagarbhya „zu demselben Mutterleib gehörig“, „Bruder“, das 
ja bekanntlich fast Laut für Laut dem gr. ddeApeds entspricht 
und damit sein hohes Alter bezeugt. Man vergleiche auch ai. 
sayoni, sodara „Bruder“ (zu yoni „Mutterleib*, udara „Leib“). 
Über die Bedeutung der Leber in diesem Zusammenhang wird 
sogleich des näheren die Rede sein. 

Ich würde jedenfalls eine so kühne Deutung von huyayana 
nicht wagen, wenn ich nicht aus einem ganz anderen Gebiet des 
idg. Sprachkreises Helfer herbeirufen könnte. 

Snorri Sturluson führt im 65. Kapitel der Skáldskaparmál 
(Snorra Edda ed. Jónsson S. 144) einige poetische, in der Tat 
auch in den Skaldengedichten mehrfach bezeugte, Umschreibungen 
(vidkenningar) für „Bruder“ an, aus denen ich die folgenden drei 
heraushebe: barmi „der zum selben Mutterleib (barmr) gehörige“ 
(vgl. zur Bildung z. B. landi „Landsmann“ zu land); blödi „der 
zum selben Blut gehörige“ (blöd); lifri „der zur selben Leber 
(lifr!) gehörige“. Das erste Wort barmi entspricht also bedeu- 
tungsmäßig genau dem altind. sagarbhya, sayoni, sodara und dem 
griech. ddeiyeös; das zweite Wort blödi dem lat. consanguineus, 
das dritte lifri (dazu lifra „Schwester“) eben dem awest. hayakana 
(huyayana). So beleuchten sich das awestische und das altnordi- 
sche Wort gegenseitig. Dabei ist das altnord. Wort in seiner 
Bedeutung, Etymologie und Bildungsweise völlig durchsichtig, 
wodurch die Wahrscheinlichkeit für die Richtigkeit der Erklärung 
von aw. huyayana sehr vergrößert wird. 

Es bleibt uns noch übrig, nach dem physiologischen Hinter- 
grund dieser auf den ersten Blick auffälligen Umschreibung für 

„Bruder“ zu fragen. 

Bekannt ist, daß bei den klassischen Völkern die Leber 
als Sitz der Leidenschaften galt; aber auch als einer der Sitze 
des Lebens. So sagt Cicero (de nat. deor. 199): ... cerebrum, 
cor, pulmones, iecur; haec enim sunt domicilia vitae. Am sicht- 
barsten aber tritt die zentrale Stellung der Leber unter den Ein- 
geweiden des menschlichen und tierischen Körpers im Orakel- 
wesen hervor (vgl. Eberts Reallex. s. v. Leberschau). Ich erinnere 
an die bekannte etruskische Bronzeleber und an das Orakelwesen 
der Babylonier. Diese hervorragende Geltung der Leber für die 
divinatio hängt sicher mit der alten Anschauung zusammen, daß 
die Leber der Sitz der Einsicht sei (vgl. die alsbald zu be- 
sprechenden Zitate aus dem Atharvaveda und der Edda). Hier 
sei noch eine bei Cicero, de div. 1131 zitierte Stelle aus Pacu- 


Iranica. ' 307 


vius genannt: nam isti qui linguam avium intellegunt plusque ex 
alieno iecore sapiunt quam ex suo ... — Gerade für unsere Unter- 
suchung von Wert ist es, daß die Leber auch in den embryo- 
ogischen Anschauungen mancher Völker eine hervorragende 
Rolle spielte. So teilt mir Herr Prof. Hübotter-Berlin freund- 
lichst mit, daß nach der Galenschen Schrift negi xvovusvwv du, 
zAdoewg die Leber das für die Entwicklung des Embryos wich- 
tigste Organ sei. In der früheren griechischen Medizin von Hippo- 
krates bis Aristoteles dagegen nimmt das Herz. diese Stellung ein. 

Aus dem Indoiranischen ist mir freilich kein direktes 
Zeugnis bekannt, das die Leber als ein besonders lebenswichtiges 
Organ betrachtete. Beachtenswert ist immerhin, daß in. der 
vedischen Literatur Herz und Leber in enger Verbindung ge- 
nannt werden. So heißt es ın einem Prosastück des Atharva- 
veda, das die verschiedenen Körperteile je zu zweien oder. zu 
dreien mit göttlichen Wesen und abstrakten Begriffen. vergleicht 
(9, 7, 11): ceto hrdayam yakrn medha „Geist: ist das Herz, die 
Leber Verstand“. Ähnlich nennt Sat. Br. 12, 9, 1, 3; 13 beide 
Organe nebeneinander als Paar. In einem ..Zauberspruch des 
Atharvaveda (10, 9, 15f.) folgt in der Aufzählung die Leber auf 
Herz und Herzbeutel samt Hals (hrdayam puritat sahakanthika ... 
yakrt). Andererseits galten Leber und Milz als Sitz des ‚Blutes 
(Sonitasya sthanam yakrtplihanau Susr..1, 79, 9). 

Auch aus der altnordischen Literatur sind mir nur indirekte 
Zeugnisse für die Bedeutung der Leber bekannt. Im allgemeinen 
galt das Herz als der Sitz des Lebens, vgl. Reichborn-Kjennerud, 
Festskrift til Hj. Falk 27f. Es ist indes zu bemerken .— was 
dem ebengenannten Forscher entgangen zu sein scheint —, daß 
gelegentlich auch die Leber als Zentralorgan des Lebens anstelle 
des Herzens erscheint. Es handelt sich um den ın verschiedenen 
poetischen und prosaischen Quellen erzählten Tod Gunnars im 
Schlangenturm. 

Das ziemlich junge Eddagedicht Oddrünargrätr a an der 
Stelle (Str. 32) von der :Giftschlange: ... ok Gunnari gróf til 
hjarta „und grub sich in G. hinein bis zum Herzen“. Auch in 
der Völsungasaga heißt es an der entsprechenden Stelle (Kap. 37): 

. ok gróf inn sinum rana, Dar til er hon hjó hans hjarta, ok Bar 
let hann sitt if ... „und grub ihren Rüssel hinein, bis sie sein 
Herz traf, und dort ließ er sein Leben .. .*. 

Dagegen lautet die Parallelstelle bei Snorri (Edda ed. Jönsson 

S. 106): ... sú nadra er rendi at honum ok hjó svå fyrir flagbrjöskat, 
20* 


308 W. Schulze, Lückenbüßer. 


at hon steypdi hofdinu inn í holit, ok hangdi hon a lifrinni þar til 
er hann dé „eine Natter, die sich auf ihn stürzte und ihn so vor 
den Brustknorpel biß, daß sie mit dem Kopf in die Leibeshöhlung 
fuhr, und sie hing sich an der Leber fest, bis er starb“. Kürzer 
drückt sich an der entsprechenden Stelle die in dem Codex regius 
der Liederedda aufgenommene Prosaerzählung Dräp Niflunga aus 
(Edda hg. Neckel S. 217 21.18): en nadra ein stakk hann til lifrar 
„aber eine Natter stach ihn bis zur Leber“. 

Diese vier Parallelstellen zeigen also deutlich, daß neben 
dem Herzen auch die Leber als zentrales Lebensorgan galt. Dazu 
stimmt die Vermutung Neckels (briefliche Mitteilung), daß das 
germ. Wort Leber mit leben etymologisch verwandt sei. 

Die Leber galt den alten Nordgermanen offenbar auch als 
Sitz des Verstandes, der Einsicht, des Besinnens. Ich entnehme 
diese Anschauung der Stelle eines Eddagedichts (Gudr. II 23). 
Der Gudrun, die die Ermordung Sigurds nicht verwinden kann, 
wird ein Vergessenheitstrank gebraut, in dem sich unter anderem 
auch eine Schweinsleber befand: ... svins lifr sodin, pviat bon 
sakar deyfdi „eine Schweinsleber gesotten, weil sie den Groll 
betäubte*. Das Schwein galt als träges, stumpfsinniges Tier; 
wer also eine Schweinsleber genoß, übernahm damit diese Eigen- 
schaft. Ich erinnere hier an jene aus dem Atharvaveda zitierte 
Identifizierung der Leber mit dem Verstand (medha). 

So finden die Ausdrücke lifri und hayakana auch ihre inhalt- 
liche Erklärung. Auffällig ist natürlich, daß sich jene Umschrei- 
bung für „Bruder“ gerade an zwei so entgegengesetzten Ecken 
des idg. Sprachgebiets findet. Aber Indoiranier und Nordgermanen 
scheinen auch sonst manches Alte getreuer bewahrt zu haben 
als andere idg. Stämme, vor allem in der Mythologie, in den 
Anschauungen über den Makrokosmos. In unserem Fall ists eine 
gemeinsam bewahrte Anschauung vom Mikrokosmos. 


Göttingen. Wolfgang Krause. 


Lückenbüßer. 

Die kyrenaeische Inschrift, aus der Maas o. 138 das Fut. 
tevraı, Ich selbst LV 313 das Paradigma weaivoueı 2uiav Goen 
ausgehoben habe, bringt in Zeile 50 (Berl. Ak. Sitzungsber. 1927, 
161) eine bemerkenswerte Konjunktivform, £vfxeı, die sich zu 
Öexaredoeı noodVoe derselben Urkunde (v. Wilamowitz a a O. 
175) genau so verhält, wie ion. xazeineı zu èxxóyei morýoe 
(Bechtel, Gr. Dial. III 217). Beide Konjunktive gehören regel- 
recht zu den -a-Formen Zousoe eine (Bechtel Ill 203). W. S. 


Eduard Schwyzer, &xredvıos. 309 


EKTPAVIOS. 

Dieses Wort steht in einer christlichen Inschrift aus dem 
Theseion in Athen, die der Herausgeber, A. Oiladeipevs, dem 
3. Jahrh. n. Chr. zuweist (Aox. AeAr. VI [1920/1, erschienen 1923], 
124 nr. 41 mit Abbildung 18): Dikınnols] | nıorög | Evdade | vie | ef 
tış EKTPA(5)NIOZ voite, | åoàv Zë) Lem Über EK- 
TPANIOZ äußern sich weder ®iAndeApevs noch Hondius und 
seine Mitarbeiter im Suppl. epigraph. Graec. III 46 nr. 208, aus 
dem mir die Inschrift zuerst bekannt wurde; denn die Schreibung 
&xtodvıog ist noch keine Erklärung für ein Wort, das man auch 
in neuesten Wörterbüchern vergeblich sucht. 

Vielleicht ist die Deutung doch nicht für jeden selbstver- 
ständlich, wie man aus dem Schweigen der Epigraphiker schließen 
könnte; sie liegt allerdings nahe: 2xredvıog ist das lat. extraneus 
oder vielmehr extranius; denn -ius für -eus ist schon lat. (Sommer, 
Handb. 111). Aber griech. xt gegenüber lat. xt hat keinen vulgär- 
lateinischen Hintergrund; im Lateinischen geht xt nicht in ct, 
sondern in st über; dies ist sogar die ohne analogische Störung 
zu erwartende Entwicklung; wo zt erscheint, ist x statt s von 
daneben stehenden Formen mit zwischen Vokalen oder am Wort- 
ende stehendem x bezogen (z. B. textus nach texo, sextus nach 
sex) oder es ist dazwischen ein Vokal geschwunden (dexter aus 
* dexiteros); aber auch im letztgenannten Fall ist vulgär doch st 
für klass. zt eingetreten wie auch in osk. destrst, umbr. destram, 
sestentasiaru; auch klass. ist st in dem Namen Sestius (neben 
Sextius); vgl. Sommer, Handb.” 257; Stolz-Leumann 165; Buck, 
A grammar of Oscan and Umbrian 91; Meyer-Lübke, Einführung' 
8 130. Dagegen ist im Griechischen Er (xot) zu xt erleichtert 
worden, schon früh in Fällen wie Zueixto, Zdexto, für die eine 
Restitution des gefallenen o nicht in Frage kam, aber auch in 
Beispielen wie &xtog &x-unvog, -neĝos Aaxrareiv, die nicht durch- 
weg jünger sind, bei denen aber eine Restitution von E aus &£ 


)) Hinter EKTPA bietet die Majuskelumschrift der griechischen Veröffent- 
lichung eine Schraffur; die Abbildung zeigt Reste eines weggemeißelten oder 
weggescheuerten Buchstabens; es könnte ein N dagestanden haben. Vielleicht 
wurde es vom Steinmetz getilgt, weil es nach der Regel über die Silbentrennung 
zur folgenden Zeile gehörte. Da für das Spätgriechische (von den Vorstufen 
derjenigen neugriechischen Dialekte abgesehen, die Geminaten kennen — soweit 
hier nicht Neuentwicklung solcher vorliegt) »» und » zwischen Vokalen gleich- 
wertig sind, wird die Erklärung durch eine mögliche Lesung EKTPANNIOZ 
nicht berührt. 


310 Eduard Schwyzer 


Ad& (mit lautrichtig nur vor folgendem Vokal erhaltenem £) ebenso 
gut möglich gewesen wäre wie in kypr. AE tõi roixo, ZE réi réit 
u.a. nach 25 ögvse (neben gs mo? čones für è n.); s. G. Meyer, 
Griech. Grammatik " 353; Brugmann-Thumb 149; Bechtel, Dial. I 
421). Die nicht häufigen Wörter mit lat. xt, die in griechischen 
Quellen auftreten, erscheinen allerdings mit Er, wenn nicht schon 
im Lateinischen st erscheint (so Sýotıos), nicht nur die Namen 
Zéros, -ros, droe, sondern auch die militärischen Termini oe&ro- 
daludıns und &örgaogdıvdgıov (vgl. auch Zöxevrvgiwv -mertogındg 
-xovßıros) bei Preisigke, Wörterb. der griech. Papyrus-Urkunden. 
Das sind jedoch lediglich Transkriptionen; in lateinischen Wörtern 
mit xt, die wirklich in den griechischen Sprachschatz übergingen, 
brauchte Zr nicht festgehalten zu werden. G. Meyer, Neugriech. 
Studien III 49 (Sitz.-Ber. Akademie Wien 1895, phil.-hist. Kl. 132 
II) hat &&ong schlagend als „Kurzform von lat. sextarius, mit 
Umstellung von s und x“ erklärt”); die Umstellung wird ver- 
ständlich, wenn man die Abneigung der Griechen gegen die Folge 
Er in Rechnung stellt. Aber dieser singuläre Weg, einem Er zu 
entgehen, kommt für lat. ertraneus in griechischem Munde nicht 
in Frage, und man müßte die Möglichkeit einer andern Behand- 
lung zugeben, auch wenn die angenomme Entwicklung *2&7od- 
vıos — Extodvıos ohne Analogon wäre. Es liegt aber ein solches 
vor in der Reihe lat. bis(s)extus „Schaltjahr“ : griech. ßlosörog : 
Bloextogs (s. G. Meyer, Neugriech. Stud. II 15). Allerdings erklärt 
hier G. Meyer (vgl. auch ebd. 7) ßioextog durch „Gräzisierung von 
sextus zu Exroc‘‘, und dafür könnte die „noch weiter gräzisierte‘ 
Form ödioextog zu sprechen scheinen, die dann geradezu eine Um- 
setzung von lat. bissextus ins Griechische wäre (dig &xrog). Man 
begreift dabei nur nicht, wie man dazu gekommen wäre, erst 
nur das ÖOrdinale zu gräzisieren (ßio-&xros), um dann zu be- 
merken, daß auch Be. durch ein griechisches Wort wiedergegeben 
werden könne; eher möchte man dann für ßloextos an ein Kreu- 
zungsprodukt denken aus ßioeöros, der Transkription des lat. 


D In Fällen wie &xorzvaı (neben £dloranaı), ExorEAlo blieb o nicht so 
sehr, weil es für oo steht (2&0-), als unter Einfluß von &$&oznv, dnoornjvaı usw. 
&Eorooı Zelea Del.? 733, 33 zeigt nicht erhaltene Folge 2&0-, sondern etymologi- 
sche Schreibung. 

2) Vgl. zur Kürzung air. adiecht, posit, comparit u.a. für lat. adiectivum 
(Weglassung der lat. Endung) usw. und besonders air. Zén an Stelle einer 
längern lat. Endung, z. B. septien „septuaginta“ (griechische Bibel), bei Thur- 
neysen, Handbuch des Altir. 519. Das Widerspiel zu &$orng für sextarius bietet 
nododvrns für quadrans (wohl vom Akk. quadrantem aus). 


Extodvıos. 311 


Wortes, und’ der griech. Übersetzung dioextog'). Aber wozu für 
Bioextog diesen Umweg gegenüber der lautlichen Erklärung von 
xt aus Er, die auch für Zxrodvıos aus *Eöre. die einfachste ist? 
(Man könnte freilich auch hier mit Anlehnung an ein griechisches 
Wort operieren: &xrds; nur zeigt gerade nicht &xrös, sondern Eo 
sachliche Verwandtschaft, in Ew co yévovg.) | 

So viel über die formale Seite. Was: die Bedeutung E 
so ist die lat. Form extranius zufällig gerade in der Verwendung, 
die für: die griechische Inschrift paßt, bezeugt: si quis autem post 
obitum nostrum extranium inferre voluerit, davit aerari [statt -rio] 
populi sestertia L N CIL XIV 667 (gefunden in episcopio Portuensi)?). 
Extraneus, &utgdvıog bezeichnet den außerhalb der Verwandtschaft, 
des Geschlechtes Stehenden, wofür auf griechischen Grabschriften 
Kleinasiens dAAödrgros und 2ZEwrındg erscheinen, das erste rein 
griechisch, das zweite durch das römische exterus (extraneus) be- 
einflußt (nach Br. Keil, Hermes XLII 562). Diese Auffassung der 
Geltung von Z&wrnöds (= extraneus in familienrechtlichem Sinne) 
als Lehnbedeutung wird durch das Lehnwort &xredvıog bestätigt. 


2) Sicher ist übrigens, daß d:o- teilweise als dvo- verstanden wurde. 
G. Meyer, Neugriech. Stud. a. a. O. hat darauf hingewiesen, daß das Schaltjahr 
nach dem griechischen Volksglauben unheilbringend war und daß damit die Be- 
deutung „unheilbringend“ von kret. Bioexros (anderswo dioexros, dloepros). in 
Zusammenhang steht (vgl. x’ Eunfxe xodvos Öloepros xal ufvas deyıouevos in 
der griechischen „Lenore* bei Thumb, Handbuch der neugriech. Volkssprache? 
206). Ist am Ende überhaupt d/osxrog nicht mit der Annahme von Ersatz von 
(lat.) #:(0)- durch griech. Zuel. „zweimal“, sondern durch Anlehnung an dvo- 
zu erklären? Das geht aber doch wohl zu weit; denn diodxxı neben und für 
Bıodaxı (G. Meyer, Neugriech. Stud. III 15) enthält sicher griech. dr. für lat. bi- 
(dıpoöoxe ebd. 71 hat kein lat. Prototyp). — Geht auf mittelgriech. d4oexros 
in der Bedeutung „(Schaltjahr als) Unheilsjahr“ das seit dem 13. Jahrh. belegte 
nfrz. disette „Hungersnot; Teurung; Mangel, Armut“, z. B. année de disette, 
la disette de 1812, zurück? Die Erklärungen aus lat.-rom. Mitteln genügen 
den Romanisten selbst nicht; daher Gamillschegs Versuch, das frz. Wort aus 
dem Breton. zu gewinnen, auf den mich Meyer-Lübke hinweist (breton. dized, 
dial. dizet „ohne Getreide“ wurde zu frz. disetteux „wer Mangel hat“ umge- 
bildet, daraus disette „rückgebildet“ Zeitschr. f. rom. Phil. XL 528; danach Frz. 
etym. Wb. s. v.) Aber die bei Meyer-Lübke, Rom. etym. Wb. nr. 2499 ange- 
gebene Verbreitung über das Frz. hinaus (Teramo dešette, anordital. dexeta) 
ist Gamillschegs Erklärung nicht günstig, während sie bei Annahme griech. 
Ursprungs leicht zu verstehen ist. Der Geschlechtsunterschied zwischen den 
romanischen Wörtern und dem als Quelle angenommenen griech. würde sich 
durch Einfluß von annata, année ohne weiteres erklären. 
2) Vgl. quicumque extraneus voluerit alterum corpus ponere CIL. ur 
13124 (Spalato) — Diehl, Lat. christl. Inschriften nr. 178. | 


312 Eduard Schwyzer, &xzpdvıos. 


Wie nach Osten, ist lat. bissextus auch nach Nordwesten ge- 
wandert, in den keltischen Sprachbereich, und hat sich auch hıer 
nach Form und Bedeutung in der Folge selbständig entwickelt: 
air. bissext „Schalttag“ als gelehrte Transkription, lediglich an die 
irische Deklination angepaßt, aber mir. bissech „Zuwachs; Vorteil: 
Besserung in einer Krankheit“, ebenso nir. biseach (Pedersen, Vgl. 
Gramm. d. kelt. Sprach. I 218). Und auch lat. extraneus ist zu 
den Iren gekommen; Pedersen a. a. O. II 57 betrachtet allerdings 
das air. echtrann „extraneus“, das eine anscheinende Parallele zu 
&xtodvios bietet, als genuin keltisch, während Thurneysen, Hand- 
buch des Altirischen 523 es als entlehnt ansieht, Vendryes a. a. O. 
157 zwischen beiden Ansichten vermittelt („a genuina stirpe ortum, 
sed a Latino verbo affectum“: auch das Umgekehrte wäre mög- 
lich: Kreuzung des aufgenommenen lat. Wortes mit air. echtar 
„außerhalb“, und dies hat vielleicht am meisten für sich, wenn 
auch die Annahme einer lautlichen Entwicklung von lat. extraneus 
zu air. echtr- — vgl. echtar aus *ekster — nicht zu widerlegen 
ist. Doch auch nicht zu erweisen). Jedenfalls geht die Entlehnung 
auch im Falle echtrann, wenn sie zu Recht besteht, von der klassisch 
lat. Form aus”); bei bis(s)extus ist dies ohne weiteres begreiflich, 
aber auch bei dem in die rechtliche Sphäre einschlagenden ex- 
traneus nicht unverständlich. — Noch ein drittes lat. Wort ist 
sowohl ins Griech. als ins Irische gelangt; aber auch hier erweist 
sich die anscheinende Ähnlichkeit der Lautentwicklung als trü- 
gerisch: lat. exemplum bezw. exemplar erscheinen nach den Nach- 
weisen von Br. Keil a. a. O. 555f. auf spätgriechischen Inschriften 


1) Wie mich Thurneysen belehrt, beruht die von Vendryes, De Hibernicis 
vocabulis quae a Latina lingua originem duxerunt (Diss. Paris 1902) 117 zitierte 
Form dissect (wäre gesprochenes -echt), die an griech. Alosxıos, gesprochen 
-xtos, erinnern würde, auf einem Versehen. Güterbock, Bemerkungen über die 
lat. Lehnwörter im Irischen, Leipz. 1882 (Diss. Königsberg) S. 72, auf den V. 
sich bezieht, hat nur bissext, ep, -ec (ohne Belege). Aus dem ältern Irischen 
sind Th. nur folgende Belege für das Wort bekannt: air. bissext Thes. Palaeohib. 
II 39, 22 (Computus Vaticanus), mir. Nom. und Akk. bisex, Gen. in bisecsa 
(Kommentar zum Félire des Oengus ed. Stokes? 8.78; in der ersten Auflage — 
die Güterbock benutzte — nach andrer Handschrift S. LIIlf. Nom. in bisex, 
Akk. (fri) bisec). „Wie der Gen. disecsa zeigt, wurde damals x als ks ge- 
lesen (daher disec); aber in älterer Zeit war es sicher hier wie überall = gs; 
daher die von Pedersen behandelte Form disseck“ (Th.). 

23) Vgl. auch extais „extasis“ und — mit zp — exceptid „exceptio“ (wo- 
neben in Kommentaren zu Rechtstexten oft vollständig übernommenes exceptus 
„Ausnahmefall“ Th.); mit vulgärlat. si: seist „sexta (hora)*, sesra „sextarius“, 
maistreadt „mixtura“. 


WGehulze, Lesefrüchte. — E.Lewy, Nachtr. z. 8.159.—H. Jacobsohn, Berichtigg. 313 


aus Kleinasien als Zëou/ddgoron, E2&omgodoeı[lov (Dionysopolis in 
Phrygien), &Zsıwnnidgıov (Smyrna), Hes. hat 2&ounlov, das Neu- 
griech. EóunAu für * 2&6undıov (G. Meyer, Neugriech. Studien III 49), 
während das Irische für lat. exemplum außer esimal u. 8. auch 
sompla, für lat. exemplar außer esimplair auch eisiom(p)lair, isiom- 
plar bietet (Vendryes a. a. O. 138. 178). Aber ein Zusammenhang 
zwischen den beidseitigen o besteht nicht. Irisch jo ist regel- 
mäßige Schreibung von ¿i vor nicht-palatalem Konsonanten, vgl. 
z. B. biobla „biblia“, prinsiopal „principalis“; die Form sompla 
gibt nach Pedersen a. a. O. I 193 das engl. sample wieder. Griech. 
o für lat. e ist noch nicht erklärt. 


Bonn. Eduard Schwyzer. 


Lesefrüchte. 


14. In Fontanes Wanderungen durch die Mark (Oderland, 
Berlin 1899, S. 90) lese ich folgendes: „Und dazu klang es in der 
Tiefe wie ein Quell, der über Kiesel fällt. Ich fragte: ‚Ist da ein 
Wasser unten?‘ ‚Ja‘. ‚Wie heißt es?‘ ‚Das klingende Fließ'“. 
Das Zeitwort wird zu allen Zeiten gern vom klingenden Wasser 
gebraucht, z. B. Keller, Sinngedicht c.2 „neben dem Häuschen 
klang ein klarer Brunnen“ und c. 9 „dicht neben dem Brunnen 
mit seinem klingenden krystallklaren Wasser“. Ahd. clingo oder 
chlinga ist Übersetzung des lat. torrens oder nympha. W.S. 


Nachtrag zu S. 159. 


Das späte Erscheinen meiner Besprechung des Schmidt’schen 
Buches, die größtenteils in den Weihnachtstagen 1926 geschrieben 
wurde, macht die nachträgliche Erwähnung einiger wichtigen; 
unterdessen erschienenen Besprechungen nötig: A. Meillet, Literis 
IV 178—-83; G. Schmidt, Neuphilologische Mitteilungen XXIX 
149—63; vgl. ferner über das S. 156 genannte Buch von Schmidt 
und Koppers K. Th. Preuß, Zschr. f. Ethnologie LIX 143 —47. — 
An Versehen sind zu verbessern S. 144 Anm. 2 Z.2 Prince Ru- 
pert’s Land; S. 151 Z. 19 v. o. Burushaski; S. 155 Z. 20 v.o. 
kettő. S.155 2.8 v.u. ist „und Tscheremissischen“ zu streichen. 

E. Lewy. 


Berichtigung. 

Die Lesart Naditabaira auf der Inschrift von Bisutun habe 
ich oben S. 129 zu Folgerungen benutzt, die schon dadurch hin- 
fällig werden, daß man ebenso gut Nadītabira lesen kann. Für 
b und ba wird derselbe Keil gebraucht. Auf dieses ärgerliche 
Versehen hat mich Lommel aufmerksam gemacht. 

Marburg i. H. H. Jacobsohn. 


314. Sachregister. 


W ortregister. 


Sachregister. 


Akzent; musikalischer Satz- 2271. 
Wort- 242. 

Belebte und Unbelebte: 155. 

Bedeutung: schlagen, dreschen 171. 
Fischnamen 172. — anklagen 172f. 
Boot 176 A.1. — Holz, Zweig 1801. 
Stock, schlagen 182. — Nuß 192. 
zusammendrücken, Trauer, Furcht 205. 
— Schuld, Klage, Streit 207. 

Christliches: im Beowulf 109. 

Deminutiv: des Baumes := Frucht 72, 
77 Al. 

Exklusiv: 157. 

Gegenwart: psycholog. Definition 80f, 

Gleichnisse: bei Homer 7. 

Hysteron proteron: 1ff. 

Konsonantismus: Konsonantendoppe- 
lung bei Schallwörtern 215. — expres- 
sive 219 A.2, 221. — Lautwert des 
messap. A 136. — German. sc- > s- 
113. — Baltoslav. 2 und $+ sk > $k 
184. — Lit. sk> šk, ks œ kš 1%Wf. — 
zd <idg.s, d, 9(h), k+d(h) 177. — 
z dial. < zd 179 A.1. — gh- statt j- 
in der Wilnaer Postille 189. — Lett. 
Einschub von k vor šk 174f. — Finn.- 
ugr. Stufenwechsel 150, 154. 

Namen: von Völkern und Ländern 42f., 
(Dt 


-ie-St. 212. — 


EE EE nn a a — — 
D 


Lit. Vermischung von -jo- und -i-St. 
bei Chylinski 273f. — Adjektiva auf 
-as und -us 19. 

Plural: der räuml. Erstreckung 71. 

Präposition: bei Ländernamen im Lat. 
138f. 

Stellung: des Verbs 276ff. 

Suffix: Lat. -ilö bei Naturlauten 215. — 
Pälign. -cus 27. — -idius 28. — Volsk. 
-iternus 30. — Baltoslav. u. alban. 
-sk- und -sk- 161ff. — Balt. -sk, -st 
bei Schallverben 194f. — Lit. -23k- 197. 
— -st an -sk-Bildung 189. — Slav. -ina 

55, 64f., 72—77. — -in 75f. — -bnikö 
67. — -bje 72. — -bsk 208. — Serb. 
-ka, -ika 58. 

Verbum: Personalendungen 242f. 
3. plur. lit. auf -g 121. — Injunktiv- 
formen im Ind. präs. 229. — Entstehung 
des lat. Perfekts auf -uj 22. — Deno- 
minative Verba westgerm. auf -ôn 36. 

Vokalismus: Abtönung 227ff. — Iran. 
a = ọ 297. — Rundende Wirkung 
eines vd 140. 

Zahlwort: Acc. plur. von 4—9 lit. auf 
-is statt Zoe 265 A.1. 

Zufall: lexikalischer Übereinstimmungen 
nicht verwandter Sprachen 146 ff. 

Zwillingsformeln: 1098. 


Nominalstamm: Armen. 
Wortregister. | 

 Tocharisch. kanaka 126 A.2 |trmhati 174 sayoni 306 
kuntis-tsek 210 kumara- 131 dih 210 sumukha 124 
pri 289 kumbhakära 210 \deha 210 sodara 306 
praski 174 kuşa 168 dehi 210 z 
tseke 210 kośa 192 puskala 185 Pali. 

koşa 192 prajäta- 14 anala 127 ` 
Altindischh |zsana 209 bhrüna 202 analaskata 127 

akosadhävanir 192\gala 36 mati 285 A.1 
anala 125. gilati 36 sama- 282. Altiranisch (Awe- 
aläta 126 A.2 challi 208 sikharin 180. 193 |stisch unbezeichnet). 
äjäneya- 2 A1 |tanka 205 | sutudrī 302 lap. Ariadāta 291 
alu 176 A.1 tigma- 285 sagarbhya 306 ap. asa 292 
üdhar 169 trpat pibati 226 sayätya 304 ap. aspa 292 


azäata- 22 A.1 
gaesa 167 

ap. tyaišām 272 
ap. -dāta 291 
pairidaèza 210 
ap. paruzana 2% 
ap. vispazana 290 
ap. -zäta 291 
ha- 301 
hapaurva 304 
hayäkana 3041. 
hazantu 304. 
hazantus 303 


ap. hidubänam 292 


hu- 301 


Mitteliranische 
Namen. 


T'nAaı 128 
Tovödopegens 127 
Adoaı 129. 
Hindus 130 
Kundaspi 127 
Kustaspi 127 
Nir 128 
Varnom 128 


Mittel- und Neu- 
persisch. 


arzün 292 
arzän 292 
döreh 116 A.1 
dzavedäan 295 
farheft 295 
gurpak 212 
gurtak 212 
kastık 176 A.1 
muzdaydäay 297 
pazd 177 
punvand 289 
rada 219 
sangs.:räva 214 
samn. ruwa 214 
sag i abi 213 A.5 
supureft 294 
sutavisn 294 
töla 213 A.5 
` töra 213 A.5 
urösun 295 
kāš. varg 225 
zäbān 292 


Wortregister. 


zādän 290 ` 
xāda 211f. 
xāj 211 A 3 


Andere iranische 
Sprachen. 


osset. cäwåäg 217 
kurd. gürpe 212 
afgh.. kāra 225 
aigh. kukurai 132 
bal. kumak 131 
bal. khumes 132 
orm. mil-iz 225 
osset. rad 219 
kurd. Gre 213 A.5 
kurd. zad 211 A.3 


Armenisch. 


buth 181 ` 
æač 21i1f. 
zorox- 299 
kocem 212 A 1 
hask 197 

jot 176 A.1 
mlukn 203 
jur 187 

p'ar 299 


Albanesisch. 


adete 208 
ah 209 
baške 209 
blosk 209 
del’pere 214 
eh 208 


'leske 210 


hal’e 208 
bone 208 
he 208 
hed 208 
kohe 209 
krahe 208 
kreh 208 
kreskem 210 
leh 209 
mal’ 225 
n-dih 209 
n-groh 209 
noh 209 
trise 166 


Messapisch. 
baliahiaiht 135 
Baila 135 A.2 
rt 133#. 
pi- 135 


Griechisch. 


dxaros 176 A.1 
aAinAkobwddraı 241 
dunwtıs 287 
Goprno 251 
denn 217 A.5 
dova 192 
"Aroooa 299 
Bloentos 310 
Bioexgros 311 A.1 
yavios 176 A.1 
dote 250 
ôôdoxw 140 
dlosntos 310 
öduoorıs 287 
dooxds 287 
do&navov 247 
dodnıs 247 
&nardunmedos 254 
Entodvıos 200. 
Evineı 308 
E&oracı 310 A.1 
eEwrınds 311: 
wuds 168 
ivogen 254 A.1 
Zeie 166 A.1 
Hodov 166 
Popa 252 
xaleiw 141 
nanndtw 215 
„aiilas 124 
narelneı 308 
xeuds 285 Ë. 
nododvıns 310 A.2 
„oındouaı 286 
Adodn 179 
Anda 223 A.3 


|Ao&ös 246 


Aoyn 249 
nogaivsodaı 226 
ngr. yijAov 225 
usugıs 247 
vnneito 123 
výnos 122 
vwĝ®ýs 120 


315 


Eeoıns 310. 
ngr. dundi 313 ` 
6öwdvoraı 117 
ö&3onaı 119 

olua 251 

dreia 263 

6pvis 219 A.2 
öxvods 246 

di: 259 

raußörıs 287 
nAidooeıw 210: - 
6adıyyes 222 
onenavov 247 A.1 
oxoAıds 253 
zeiyos 210 ` 
tevraı 138 

Övvıs 219 

påéws 166f. 
pAoıds 166f. 
xalın 166f. 
weids 252 


Altitalisch (Latein. 
unbezeichnet). 


agnatus 10. 22 A.1 

pälign. atix 27 

volsk. *biim 32 

pälign. dio 26 f. 

carbo 141 

cognatus 10.19 A.2. 
22 AL 

Cupra 24 

extranius 311 

faccilare 215 

falx 217 

flagrum 175 

fodere 2211. 

forda 10 A.3 

fucillantem 215 


|Genita 22 


germen 19 A.i 

Gnaeus 10 

gnasci 22 

gnatus 21 

gravida 10 A.3. 

inciens 10 A.3. 22 
A 


lincin(c)ta 22 A.1 


innatus 12 
maronatus 25f.. 
medix 28 


316 


morbus 226 
naevus 11 A.2. 12 
naritas 12 A.2 
odi 117. 

porca 219 A.2. 226 
praegnas 10 
progenere 14 
progenitus 20 
prognatus 10#. 
pronasci 13f. 
pruna 141 
regnatus 10 
volsk. *ristrom 311. 
rodere 2211. 
rostrum 221 
ruere 223 A.1 
saevus 140 A.1 
osk. sipus 34 
mlat. acula 216 
trabica 176 A.1 
urere 141 
zabolicus 19 AL 


Romanisch. 


fr. disette 311 A.1 
it. taccola 215 


Keltisch (Irisch 
unbezeichnet). 


adiecht 310 A.2 
aicned 22 A.1 
mbret. bac 176 A.1 
bissext 312 
casair 165 

clöin 169 
dobor-chüu 213 A.5 
drochta 176 A.1 
echtrann 312 
exceptid 312 A.2 
gearrán 132 
güal 141 

long 176 A.1 
sescenn 187 
sompla 313 

cymr. swch 219 


Gotisch. 
aiws 232 A.2 
deigan 210 
galga 211 
maiza 232 A.2 


Wortregister. 


marisaiws 140 
naiw 124 
wratön 222 A.3 


Nordisch (Altnord. 
unbezeichnet). 


barmi 306 

blaka 175 

blodi 306 

brum 202 

norw. fisa 194 

fleire 232 A.2 

jüt. had 220 A.5 

hreysi-kottr 213 

kola 141 

kuldi 141 

lifri 306 

lustr 182 

purka 226 

rati 220 

röda 211 

schwed. röta 221.223 
A.1 

strokkr 176 A.1 

syn 107 

vargr 225 

dän. vraade 220 

jüt. vrasəl 220 A.5 

dän. voröde 220 A A 

vordr 248 

þak 245 AL 

Pporskr 1712 

boot 205 


Westgermanisch 
(Hochdeutsch unbe- 
zeichnet). 


ask 176 A.1 
brügel 182 

ae. Drysan 199 
büsch 182 

ndd. büschen 181 
me. dawf(e) 216 
Dohle 215 

as. drank 247 
ndl. elkaar 224 
mndd. grude 177 
harsch 210 

ae. heorde 179 
hinta 285 

me. caw 216 A.1 


clingo 313 

mndd. loske 176 

luoder 179 

murc 181 

range 219 A.2 

riostra 246 

rüezel 219 

ruoz(z)it 220 

Schande 110f. 

Schondra 114 

Schunter 114 

fries. sinna 116 A.2 

Sondra 114 

Sontra 114 

streichen 210 

Sünde 112f. 

as. sunnea 108 

susön 204 

ags. syn(n) 109 A.1 

taha 215. 216 A. 1 

unker zueio 105 

werden 36 

uuidaruuinn(e)o 
275 

ae. wröt 219 

zil(i)ge 216 

zoum 105 

züol 105 


Altpreußisch. 


alskanke 188 
blensky 187 
dinskins 186 
instix 187 
camnet 133 
liscis 196 
median 121 
moasis 168 
redo 218 
wipis 180 


Litauisch. 


aiškus 1918. 195 
ausyti 169 

austi 165 
barnis 207 
barzda 177 
bersta 189 
bezdas 177 
blaskyti 175 
blysketi 184 


blizgu 185 
bluksti 170 
brasketi 173 
braskyti 188 
braukti 185 
brazdinti 177 
breksta 189 
brezu 177 
briautis 202 
brizgilas 178 
brüskuoti 185 
bruzduklas 177 
burzdus 177 
ciursketi 187 
cuskis 197 
daglas 186 
dešimtys 273 A.3 
diskineti 188 
dreksti 183. 199 
druska 182 
dusauju 193 
dziustu 193 
eska 175 
gaisus 166 
gniusai 54 
grumzda 177 
|\gruzdu 177 
guotas 287 
inkstas 164 
inkštis 187 
iskus 195 
jieskoti 189 
Juse 168 
kaklas 9. 105 
kamenas 133 
kasti 124 
keno 263 
kermuse 193 
kiause 192 
kiska 195 
kiskis 195 
kleisiuoti 169 
klesti 166 
klesti 166 
knisti 124 
koja 211 A 2 
kosti 165 
kotas 211 
kriusa 167 
kulis 178 
kumbrys 176 A. 


Ateme 132 
Jctve mele 130#. 
Fctemelys 132 
Arveolas 182 
zeska 198 
Feresinti 168 
Zezešys 165 
Auskis 196 
Zezešlus 168 
Fevietka(s) 275 A.1 
Zaiskas 186. 196 
Lakatas 170 
Zakisis 213 
Zakstus 110 
Lopise 213 
Zaskaroti 170 
Zasta 175 
Zasas 165 
Zasas 169 
Zazda 176 
Zeisti 179. 188 
Zenta 175 
leskinti 186 
liesas 193 
linkstinis 181 
lipst 206 
Iyse 193 
lizdas 178 
luskäti 170 
luskos 170 
luk3tinu 182. 200 
maišas 168 
maisyti 196 
marai 266 A.1 
marska 196 
maskas 198 
maukti 203 
medzias 121 
meška 198 
mirkti 181 
mosa 169 
musinas 193 
neivoti 124 
novyti 124 
patvaiskas 198 
pavalpes 214 
pisti 177 
pysketi 194 
pyzda 177 
plakti 170. 207 
plaskinis 196 


Wortregister. 


iplaukti 184 
plausas 166 
plekstu 174 
plersketi 194 
plesiu 170 
pleska 198 
plesketi 170 
plyskas 198 
pliske 174 
pliusis 166 
pliusketi 183 
pliukstu 185 
plunku 185 
pluskos 166. 171 
pluskis 183. 196 
pravirskyti 172 
prieskas 181 
puota 287 

puse 167. 196 
puskai 185 
puskas 167 196 
pusketi 194 
reda 218 
reikšti 188 
reksti 182 
riesutas 192 
rinda 218 
risuos 188 
rubezis 274 A.3 
rusas 193 
ruseti 196 
rustas 193 
rüskanas 196 
sklandyti 177 
sklezdeti 177 
smaikstis 164 
suodžiai 250 A.1 
spartas 180 
Sponckas 198 
sproga 205 
struste 166. 193 
sudzıa 275 A.2 
sukides 166. 179 
suskis 196 
sutresinti 172 
siekstas 193 
Släksti 171 
$luostau 193 
3mulas 285 
susinu 169 
tasinti 165. 189 


taškas 189 
tausketi 194 
teip 263 A.1 
tesketi 165 
tilškės 188 
tyškinti 188 
tišti 188 
traiskyti 186 
trankyti 171 
trasketi 171 
treskinti 189 
&resti 167. 189 
tride 201 
triksti 186 
trisu 165 
triuskinti 172 
troskoti 186 
troskinti 183 
troskis 174 
trukti 172 
truša 167. 172 
trusis 166. 189 
tukstantis 193 
tulzis 124 
tvisketi 186 
toyskinu 193 
tvoskinti 182 
uzklodas 178 
vaidas 186 
vaiskus 186 
valtis 176 A.1 
vamzdis 118 
varpstis 180 
varske 187 
vaskas 189 
Velpesa 215 
verpstas 164 
verdas 117. 182 
viesulas 193 
Vilpisiai 213 
vilpisys 213 
virbas 182 
visketi 181 
vystau 193 
zaizda 178 
zveres 259 
zvirgzdas 179 


Lettisch. 


askis 197 
auksts 169 


317 


bauksket 181 
bläaksket 175 
eurkstet 187 
dangät 186 
danska 198 
dizotis 188 
tevärskis 198 
kāts 211 
laiskis 197 
laisks 188 
lanska 198 
lauska 184 
lens 188 
leska 185 
ligzda 179 
lškas 175 
mač 198 
mežs 121 
miekskis 196 
plaskains 173 
pleška 185 
puskis 185 
rickas 198 
riest 188 
rusket 187 
saiklis 188 
saiskis 188 
sirps 217 A 5 
skara 176 A.1 
smaida 178 
spruksket 174 
stragzds 1719 
trimda 178 
trüdi 178 
tuset 183 
tuska 185 
vanskät 198 
varde 178 
vembele 182 
Vilpene 215 
zelejs 176 A.1 


Südslawisch (Alt- 
bulg. unbezeichnet). 


slov. dederj 176 A.1 
brezdeti 178 

s. dlaga 216 

b. driskam 201 

b. drusati 199 
grozd% 178 
isteskngti 204 


318 

jazda 178 zlöcb 123 

s. kiskanje 205 

kobyla 133 Russisch. 
slov kopanja176A.1|batog 182 

s. lada 223 bat 176 A.1 
ladija 176 A.1 bot 182 

laskati 200 wr. cyhunka 63 A.1 
leska 176 dranb 61 

loskot& 200 dubena 182 

loza 176. wr. kljask 204 
lupiti 182. 200 klr. komanyca 131 
luska 200 komolyj 133 
lbštati se 206 klr. kyrpye 61 


slov. mrskat' 206 
s. mrštati 203 


klr. Zudyna 77 
klr. poroščity 201 


plaskati 203 porskatb 205 
praskati 206 puzyr 168. 201 
prati 206 klr. pychtity 206 
slov. prskad 203 rjasina 182 
pysk& 206 ruka 224 

slov. rasiti 182 rysb 199 
riskanije 201 tes 62 


s. ruskati 207 
rotě 223 

s. smrskati 206 
sr8p& 217 A.5 


trusitp 199 
tusknutb 203 
ulyskatbsja 206 
klr. volosyna 60 A.1 


stbgda 118 wr. voroch 206 
söbrysati 198 

b. szskam 204 Westslawisch 
žibalo 182 (Čech. unbezeichnet). 
tiskati 204 břesk 200 

trssa 199 brosk 202 

b. żrčska 166. 189 |p. ciskad 204 

s. ugljen 62 p. darski 201 


viskati 204 

s. vlat 176 A.1 
voisko 207 

slov. vrěskati 206 
vröcati 172 
zlak& 123 

zlččb 123 


dřízdati 178. 201 
dusiti 198 

p. głaskać 207 
p. jaskinia 207 
p. kloda 176 A.1 
komolý 132 
|křeskati 200 


Wortregister. — Berichtigungen. 


lesa 176 A.1 Dravidisch. 
mlaskati 206 tamil. alai 225 
misati 206 kanar. anal 126 A.1 
p. muskad 203 kanar.anala126 A.1 
ohyzda 178 tamil. aalam 125 
paždi 178 tamil. aral 126 A.2 
paždik 178 tamil. ařugu 126 


p. placek 198 
p. ploszczycze 203 


kurux. kandkārnā 
126 A. 4 


p. pluskva 202 kui. kizzu 126 A. A 
prýskati 201 tamil. kańal 126 
sud 176 A.1 tamil. kańi 126 A. 2 


Teplice 225 

p. teskliwy 205 
tlesk 203 

p. roska 205 

p. truskać 172 

p. truskawka 206 


kanar. kawi 225 
telugu. kittu 126 A.4 
kanar. niale 225 

kanar. migilu 225 
telugu. pampu 225 


trysk 207 Tigre. 
p. tryskad 205 sənsən 224 
uska 206 

nsorb. zaparsk 206 Elamisch. 


sauddakuis 299 


Finnisch-Ugrisch. 
finn. kumma 132 Lykisch. 
finn. ilman 146 lada 223 
sdestn. kuwwas 211 

A.2 Baskisch. 
finn. liian 225 baso 225 
mordvin. tarvas 218 elkar 224 

Türkisch. Samojedisch. 
göl 225 na»nelim 126 A.6 
qül- 140 nenitläm 126 A.6 
gilig- 140 1 
Mandschurisch, 
Kaukasisch. arambi 140 

awar. Aadi 223 arbun 140 
mingrel. Zuri 225 
georg. Tp`ilisi 225 Guatemalisch. 
lak. vatca 225 A.5 |ruka 224 


Berichtigungen. 
S.11,8 v.u. nur. — 8.150, 20 und 10 v.u. °), 21 und 7v.u.°). — S. 170, 13 v.u. 
berste. — S. 176,5 v. u. kloda. — S. 178, 20 dfizdati. — S. 179, 13 mhd. luoder. — 
S. 190, 4 v. u. bauksztüs. — 8.228, 4 v.u. tilge „es“! — HB 262, 2 cemi, Zon, 


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