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Full text of "Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung auf dem Gebiete der indogermanischen Sprachen 61.1934"

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UNIVERSITY 
LIBRARY 


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ZEITSCHRIFT FÜR 
VERGLEICHENDE SPRACHFORSCHUNG 


AUF DEM GEBIETE DER 
INDOGERMANISCHEN SPRACHEN 


BEGRUNDET VON A. KUHN 


NEUE FOLGE / VEREINIGT MIT DEN 
BEITRAGEN ZUR KUNDE 
DER INDOGERMANISCHEN SPRACHEN 


BEGRUNDET VON A. BEZZENBERGER 


HERAUSGEGEBEN VON 


WILHELM SCHULZE UND HANNS ERTEL 


61. BAND 


GÖTTINGEN / VANDENHOECK & RUPRECHT / 1934 


990685 


P501 
. Z4 


V. bl 


Printed in Germany 
Gedruckt bei Hubert & Co. G. m. b. H. Göttingen 


2-49-52_ 


Wilhelm Schulze 


zum siebenzigsten Geburtstage am 15. Dezember 1933. 


Hochverehrter Herr Professor! Sie an dieser Stelle zu Ihrem 
Ehrentage begrüßen zu dürfen, bedeutet vor allem zu sagen, was 
Sıe der Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung durch ein 
halbes Jahrhundert gewesen sind und damit der Wissenschaft. 
Denn auch was Sie der Forschung durch die Zeitschrift geschenkt 
haben, xtfjua ée dei uällov N dyavıoua Ze tò napaxefun dnovey 
Söyxeıraı, wie Thukydides in einem auch für Ihr ganzes Schaffen 
programmatischen Kapitel sagt. 

Ihr sichtbares Verhältnis zu der Zeitschrift, die damals noch 
das Zentralorgan indogermanischer Sprachforschung war, seit 1881 
geleitet von Ernst Kuhn und Johannes Schmidt, reicht in Ihre 
Studienzeit zurück: im XXVII. Bande von 1885, der noch im 
Dümmlerschen Verlag in Berlin herauskam, erscheint Ihr Name 
zum ersten Male unter den Mitarbeitern, gleich in vier vom 
4. November 1883 datierten Aufsätzen, um in den beiden nächsten 
Bänden wiederzukehren, dann freilich aus einer Reihe von acht 
Bänden nur in einem zu erscheinen, in diesem jedoch auf Schritt 
und Tritt. Später fehlt er in keinem Hefte: seit 1905, mit 
Band XXXVIII, steht Ihr Name an Stelle dessen von Joh. Schmidt, 
neben dem Ernst Kuhns, der ein halbes Jahrhundert die Zeit- 
schrift „wie ein väterliches Vermächtnis“ betreute (seinem Vater 
Adalbert, dem einen Begründer der Zeitschrift, 1850, neben 
Theod. Aufrecht, haben Sie 1912 zur hundertjährigen Wiederkehr 
seines Geburtstages eine Ihrer unübertrefflichen Würdigungen 
gewidmet, o. XLV 375). Sie haben sich seit 1907, nach der 
Vereinigung der Kuhnschen Zeitschrift mit den fast zur Hälfte 
jüngern „Beiträgen zur Kunde der indogermanischen Sprachen“ 
unter dem alten Titel im Verlage von Vandenhoeck und Ruprecht 
in Göttingen, mit A. Bezzenberger und E. Kuhn in die Leitung 
geteilt. Und seit 1925, nach dem Hinscheiden dieser beiden, denen 
Sie im Verein mit dem Verlage je ein kurzes, aber eindrucksvolles 
Gedenkwort nachsandten (o. L 1; L1159), und nach dem Ver- 
zicht von R. Trautmann, der für Band LI—LIII an seines Lehrers 


IV Eduard Schwyzer 


Bezzenberger Stelle getreten war, haben Sie mit Hanns Oertel zu- 
sammen die Aufgabe fortgeführt; fielen diesem vorwiegend allge- 
meine Sprachwissenschaft und die arischen Sprachen zu, so blieben 
Ihnen zur Hauptsache die europäischen Sprachen. Vierundzwanzig 
Bände sind seit 1905 unter Ihrer Mitarbeit in der Redaktion hinaus- 
gegangen, der Schluß der vierten und die fünfte und sechste 
Dekade der ganzen Reihe, die an Gehalt nicht an die dritte und 
auch noch vierte heranreichen, aber doch des Wertvollen genug 
bieten, dem Stande und den Aufgaben unserer Wissenschaft ent- 
sprechend. Was Sie als Herausgeber für die Zeitschrift geleistet 
haben, davon könnten Mitherausgeber und Verlag berufener zeugen. 
Der Mitarbeiter weiß nur von Ihrer selbstlosen, eindringenden, 
ertragreichen Mithilfe bei der oft nicht leichten Korrektur. 

Seit Ihrem Eintritt. in die Redaktion sind in der Zeitschrift 
umfangreichere Arbeiten aus Ihrer Feder nur gleich zu Anfang 
noch zu finden, späterhin gehörten solche den Sitzungsberichten 
der Berliner Akademie oder besonderen Gelegenheiten, während 
Sie die Zeitschrift hauptsächlich den Arbeiten Anderer, auch 
Jüngerer, öffneten. Sie ließen sogar eigene Arbeiten gelegentlich 
anderswo erscheinen, allerdings viel seltener als in den Jahren 
um 1895, als Sie fast ständiger Mitarbeiter klassisch-philologischer 
Zeitschriften waren, einige Male noch in der Sprache Ciceros. 
Doch haben Sie auch neben der Menge von Lückenbüßern und 
Lesefrüchten und Zusätzen, die Laute, Formen, Syntax und Wort- 
schatz fast aller indogermanischen Sprachen betreffen, in der 
Zeitschrift noch eine Anzahl Aufsätze und Mitteilungen drucken 
lassen; ihr geringer Umfang steht, wie so oft bei Ihnen, im um- 
gekehrten Verhältnis zum Gehalte. Man braucht zum Belege 
nur die wenigen Seiten über einige Collectiva (o XLVI 189) 
zu nennen oder die wenigen Zeilen über den Typus Fégyor 
(o. XLVII 236), die beide nicht ohne Widerhali geblieben sind, 
oder die Notiz über Iden (o XLII 81) — ein Einfall aus der Stu- 
dentenzeit, den Sie mehr als 20 Jahre später veröffentlichten, 
als eine urkundliche Stützung möglich wurde aus dem griechischen 
Inschriftenwerke der Akademie, dessen Gaben Sie durch sichtbare 
und auch durch verborgene Mitarbeit vergelten. Die an sich 
auch äußerlich eindrucksvolle Reihe der „Gotica“ der Zeitschrift 
mit ihren Trabanten erscheint allerdings doch nur als ein Ab- 
glanz der gotischen Forschungen der Sitzungsberichte, die auch 
in die Kultur- und Religionsgeschichte eingreifen, nicht nur in 
die Probleme der Sprachgeschichte und Übersetzungstechnik. 


Wilhelm Schulze zum siebenzigsten Geburtstage. V 


Neben den Gotica stehen, in der Zeitschrift und an anderen 
Stellen verstreut, weitere Germanica, zusammen eine bunte Reihe 
von Proben quellenmäßiger Beherrschung auch des germanischen 
Gesamtgebietes und von Treffsicherheit in der Deutung; sie hat in 
den Baltica ein gleichwertiges Gegenstück im Osten. Reihen von 
kleineren Beiträgen mit ausdrücklichen oder zu denkenden Stich- 
worten wie „Dissimilation“ oder „Kakophonie“ oder „Zufall“ zeigen 
auch äußerlich ein stetes Interesse für allgemeine Fragen, das Sie 
sonst gerne hinter der philologischen Dokumentierung verbergen, 
das Sie aber auch weit über das indogermanische Fachgebiet hinaus- 
führen kann, auf Grund umfassender Orientierung, die nur Ihnen 
selbst als mangelnde Kompetenz oder „Zufallsbelesenheit“ erscheint. 
Die neue sprachgeographische Methode haben Sie auf dem Boden 
Indiens in einer bisher vereinsamten, vom Altertum bis zur Gegen- 
wart reichenden Arbeit erprobt, lange bevor Sie sie theoretisch 
würdigten in Ihrem klassischen Akademiebericht über die mund- 
artlichen Wörterbücher von 1929. 

Die Aufsätze des Greifswalder Privatdozenten und des Mar- 
burger Extraordinarius, 1892 und 1893 eingesandt, drücken dem 
XXXIII. Bande der Zeitschrift recht eigentlich Ihren Stempel auf, 
als Zeugen unnachahmlicher Belesenheit in Quellen, die den 
meisten Lesern auch dem Namen nach unbekannt waren, ge- 
wonnen in rastloser Arbeit (man ist überrascht, wenn gelegent- 
liche Zitate literarische Unterhaltungslektüre in den verschieden- 
sten Sprachen verraten und später einmal von einem verregneten 
Ferientage die Rede ist oder aus einer éechischen Inschrift eines 
Prager Denkmals auf Grund eigener Anschauung zitiert wird), 
erarbeitet in Universitätsbibliotheken, die, wie noch die Göttinger, 
Ihnen fast eigene waren, mit äußerster Sorgfalt und Findigkeit der 
Beobachtung, behutsamem, aber auch raschem Zugriff bei der Er- 
klärung, hinter der wieder weitreichendste Kenntnis der ver- 
zweigten sprachwissenschaftlichen Literatur steht. Vom Ende des 
vorletzten Jahrzehnts des vorigen Jahrhunderts bis in den Anfang 
des zwanzigsten gelten Ihre gedruckten Arbeiten besonders der 
Sprache, die Ihnen menschlich am meisten sagt, dem Griechischen, 
von dessen vorgeschichtlichen Anfängen bis ins Mittel- und Neu- 
griechische hinein, nicht minder dem Griechischen als Brücke 
zwischen Okzident und Orient, daneben dem kulturverwandten 
Latein. Dazu gehören auch Ihr Marburger und Ihr Göttinger 
Programm (Orthographica 1894 und Graeca Latina 1901). Aber 
Ihre umfangreichste Arbeit in der Zeitschrift nach ihrem Eintritt 


VI Eduard Schwyzer 


im die Redaktion (o XL 400—418) geht aus von einem „Werk- 
stück“, das die dazu berufenen Germanisten „an dem von ihnen 
oft betretenen Wege“ hatten liegen lassen, weil ihnen die Über- 
lieferungsgeschichte eines lateinischen Textes gleichgültiger war 
als Ihnen, dem Jünger auch der klassischen Philologie, und tut 
von ihm aus kundigste Gänge durch die germanische, slavische, 
arische Sprachenwelt und die indogermanischen Realien — ohne 
ein Schlagwort zu nennen ein Musterbeispiel für die Vereinigung 
von Wort- und Sachforschung, und doch nur ein bescheidener Vor- 
läufer der späteren akademischen „Beiträge zur Wort- und Sitten- 
geschichte* oder auch des vielbeachteten „Todes des Kambyses“ 
oder der lettisch-rumänischen Kuhnamen aus Wochentagsnamen 
und des Rätsels vom trächtigen Tier (die beiden letztgenannten 
im Ungarischen Jahrbuch 8 und 4). Und schon Ihr erster Auf- 
satz in der Zeitschrift (o. XXVII 420) wies in einem indo- 
germanistischen Zentralproblem neue Wege, im Ablaut, auf den 
Sie später in der Arbeit über das litauische Futurum und sonst 
gelegentlich zurückkamen: das geschah durch den Nachweis 
der langdiphthongischen Reihen, der alte Rätsel anscheinend 
spielend löste. Der Aufsatz des werdenden oder besser geborenen 
Gelehrten. aus der ersten Hälfte der Studienzeit ist ein kühner 
Ritt in Neuland, für Sachkenner unternommen, wie auch die öfter 
nur andeutende Zitierweise zeigt, die in den 1884 und 1885 ent- 
standenen Aufsätzen des Studierenden und Doktoranden, die aus 
Burgsteinfurt kamen, wiederkehrt (vgl. o. XXVIII 266. XXIX 230 
oder den Beitrag zur Festschrift des Greifswalder philologischen 
Vereins); überall tritt der Neuling Mitarbeitern und Lehrern 
bereits in voller Selbständigkeit gegenüber. An einer Stelle des 
ältesten, durchaus sprachwissenschaftlichen Aufsatzes blickt jedoch 
der Textphilologe hinter dem Vorhang hervor, und eine An- 
spielung deutet schon auf die werdenden (Juaestiones epicae, von 
denen 1887 eine Probe als Greifswalder Dissertation herauskommen 
sollte; das Ganze, dessen Fertigstellung die erste Lücke in Ihren 
Beiträgen zur Zeitschrift erklärt, erschien Ende 1891. Die Quae- 
stiones, ein Hauptwerk griechischer Sprachforschung und Philo- 
logie, sind auch das Muster sorgfältigster philologischer und sprach- 
-wissenschaftlicher Nachweise, wie Sie alle Ihre späteren Schriften 
geben, mit Ausnahme der persönlichen und allgemein gehaltenen, 
in denen sich, wie Sie selbst von R. Pischels Zigeuner-Aufsatz 
sagen, . „die reifste und erlesenste Gelehrsamkeit mehr verbirgt 
als offenbart“. 


Ba ea toes: hae oe eee 


Wilhelm Schulze zum siebenzigsten Geburtstage VII 


Der Aufsatz, der sich stolz bescheiden „Ahd. suagur“ nennt 
(o. XL 400), kann schon auf das gewaltige Werk mit dem noch 
stärker verhüllenden Titel „Zur Geschichte lateinischer Eigen- 
namen“ Bezug nehmen, das die zweite große Lücke in Ihren Bei- 
trägen zur Zeitschrift verstehen lehrt. Dieser unverwüstliche 
Markstein der Etruskologie von 1904 ist Ihr Vermächtnis an die 
Göttinger Universität und an die Göttinger Akademie, die von 
da an auch auf Ihre berühmten Besprechungen verzichten mußte. 
Neben Ihren akademischen Aufsätzen und Ihren Beiträgen zu 
Gelegenheitsschriften gibt doch auch die Zeitschrift einige Kunde 
von Ihrer jahrelangen eindringlichen Mitarbeit an der Tochari- 
schen Grammatik. Ihren Anteil an dieser dürfen Sie als Ihr drittes 
Hauptwerk betrachten. Dazu tritt nun als viertes der auch den 
pflichtmäßigen Kenner Ihrer Arbeiten überraschende Reichtum 
Ihrer „Kleinen Schriften“. 

Möge es Ihnen, hochverehrter Herr Jubilar, noch beschieden 
sein, die begonnene tocharische Syntax zu vollenden, eine neue 
Reihe von „Kleinen Schriften“ aufwachsen zu sehen und noch 
recht lange die Redaktion der Zeitschrift fortzuführen zum Heile 
der indogermanischen Sprachwissenschaft: das ist der Wunsch, 
den Ihnen zur Vollendung des siebenzigsten Jahres Redaktion, 
Verlag und Mitarbeiter der Zeitschrift für vergleichende Sprach- 
forschung darbringen in aufrichtiger Dankbarkeit und Verehrung. 


Berlin. Eduard Schwyzer. 


Inhalt. 


E. Lidén, Zur indogermanischen Terminologie der Milchwirtschaft. 1. Osset. än- 
yezun — lit. gizti — alb. gize — arm. kcanem — altirisch ger. 2. Osset. 
sili — aind Sara. — lat. colostra — gr. «logos. 3. Osset. xvurx — lit. pã- 
sukos, sunkalat. 4. Osset. dn-taun — awest. tūiri- — gr. svods 5. Alb. 
hire — ultnord. skyr. 6. Altirisch binit — ahd, billa . 

—, Zur alten tieranatomischen Terminologie. 1. Npers. rāda — engl. "read, 
schwed. rudda. 2. Ahd., asächs. ambon — gr. éugadds. 3. Gr. Fvvorgov — 
nord. vinstr, nhd. wanst. 4. Gr. ydilıa — altwestnord. vil. 5. Gr. xdAov, 
»aildıa — arm. k‘atird — lit. skilvis, skildndis. 6. Germanische Be- 
zeichnungen der Nachgeburt . 

G. Morgenstierne, Neupersisch rada und Verwandtes (Zusatz zu 1S. 14) . 

W. Schulze, nalöds Aën ibeiv treonvòs 62 npooeıneiv 2 

R. Loewe, Uber einige europäische Wörter exotischer Herkunft. II. Westindische 
und guayanische Wörter. 1. Kannibale. 2. Orkan. 3. Kanu. 4. Hängematte. 
5. Tabak. 6. Mais. 7. Leguan. 8. Mahagoni. 9. Rum. 10. Kolibri. IV. Mexi- 
kanische und zentralamerikanische Wörter. 1. Kakao. 2. Schokolade. 3. To- 
mate. V. Nordamerikanische Wörter. 1. Opossum. 2. Wigwam. VI. Afrika- 
nische Wörter. 1. Drill und Mandrill. 2. Banane. 3. Zebra, 4. Gnu. 
VII. Malayische Wörter. 1. Kakadu. 2. Tombak . 

H Oertel, Zum ai. Kausativum lapayate von der Wurzel 1 i „sich anschmiegen“ 

F. Specht, Wurzelinfigierungen . 

H.Grewolds, Die gotischen Komposita in ihrem Verhältnis. zu denen der griechi- 
schen Vorlage (s. o. LX 1). Zweites Kapitel. Die Nominalkomposita selbst. 
I. Komposita mit unselbständigem Verbalnomen als Hinterglied. 1. Nomina 
agentis. 2. Adjektiva. 3. Abstrakta. II. Tatpurusas 1. Tatpurusas mit 
Substantiv als Schlußglied. 2. Tatpurusas mit Adjektiv als Schlußglied. 
IlI. Bahuvrihis. 1. Babuvrihis mit dem Privativpräfix als Vorderglied. 
2 Die übrigen Bahuvrihiformationen. Zusammenfassung der Ergebnisse 

V. Pisani. Armeniaca. I. of7 „gesund“. II. k‘atcr „süß“. III. ambost „wider- 
spenstig“. IV. erkayn „lang“. V. erku „zwei“. VI. boyn „Nest“; bun 

„Stamm“. VII. aheak „link“. VIII. e des Gen. Pl. IX. sartnum „über- 
drüssig werden“ SEENEN ae 

J. Wackernagel, Indoiranica. 11. ai. avatkd-. 12. kalyana-. 13. ai. grisma-. 
14 ai. savati. 15. ai. sevate. 16. ai. syond-. 18 jAw. aiwistar-. 19. gAw. 
darssat 20. ap. ucasma . na aa oe te GN Se ce es 

F. Specht, Lit. žmuo 

E. Hofmann, Impersonale mit Instrumental im 1 Russischen , 

O. Grünenthal, Nochmals die „Eltern“ 

E Schwyzer, Dissimilatorische “Geminatenauflésung ‘als Folge v von ‘Obersteige- 
rung, zunächst im Neugriechischen und im en 

W. Wissmann, Zum Keronischen Glossar ; 

R. Thurneysen, Nachträge und Berichtigungen zu KZ. LIX iff 

— Elementa . & gé 

W. Schulze, Zu den griechischen Verbalabstrakten . 

E. Fraenkel, Zu litauischen Mundarten . 

— Zur Vermischung der -ö- und -u-Stämme im Baltischen Be ER 
F. Specht, Griechische Miscellen. 1. Keren. Asßdav. 2. voie 3. xagv7- 
vata und Verwandten 4. n&iavos l ; er 
F. Mezger, Ah. galstar — ae. gealdor; ahd lastar — ae. leahtor DEE 
W. Schulze, Lesefrüchte. Lückenbüßer. Zur Blattfüllung 136. 141. 144. 

E. Hofmann, Sachregister. en zum 61. Bande . ; : 

Jahrestitel . : 

E. Schwyzer, Wilhelm Schulze zum siebenzigstenGeburtstage am 1 15. Dez. 1933 


Seite 


Tr 


37 
137 


. 142 


145 


. 180 


. 190 
. 208 
. 209 
. 221 


. 222 
. 252 
. 253 


v e 


. 255 
. 256 
. 257 
. 270 


. 277 


. 289 
189 


. 291 


I 
II 


> 


Zeitfcyeift für 
vergleichende 
| Spradforfhung 


auf dem Gebiete der 


imdogermanifchen Sprachen 


BEGRÜNDET VON A.KUHN 


NEUE FOLGE /VEREINIGT MIT DEN 


d Beitragen zur Kunde’ 

der indogermanifchen Sprachen 
BEGRÜNDET VON A.BEZZENBERGER 

8. 

* HERAUSGEGEBEN VON 

0: WILHELM SCHULZE UND HANNS ŒRTEL 

21 

i 61. BAND 

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Auf den beiliegenden Prospekt des Verlages Walter de Gruyter, Berlin W 10, weisen wir empfehlend hin. _ |iiliiililiiillll 


Inhalt. MR 


E. Lidén, Zur indogermanischen Terminologie der Milchwirtschaft. 1. Osset. än- 
yezun — lit. gizti — alb. g'ize — arm. kcanem — altirisch ger. 2. Osset. 
sili — aind. sara. — lat. colostra — gr. xlogos. 3. Osset. zurx — lit. pã- 
sukos, sunkalai. 4. Osset. än-taun — awest. tūiri- — gr. tveds. 5. Alb. 
hire — altnord. skyr. 6. Altirisch binit — ahd. bila . . . 1 

—, Zur alten tieranatomischen Terminologie. 1. Npers. rada — ZE: wé 
schwed. rudda. 2. Ahd., asächs. ambon — gr. dugo/de 3. Gr. fvvorgov — 
nord. vinstr, nhd. wanst. 4. Gr. yéAAva — altwestnord. vil. 5. Gr. xdAor, 
xahidia — arm. k‘atird — lit. skilvis, skiländis. 6. Germanische Be- 


zeichnungen der Nachgeburt . ; 14 
G. Morgenstierne, Neupersisch rida und E Open an zu S. 14) . 29 
W. Schulze, xalös uèv (ein repnvög 62 nooceneiv . 36 
R. Loewe, Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft, m Westindische 

und guayanische Wörter. 1. Kannibale. 2. Orkan. 3. Kanu. 4. Hängematte. 

5. Tabak. 6. Mais. 7. Leguan. 8. Mahagoni. 9. Rum. 10. Kolibri. IV. Mexi- 

kanische und zentralamerikanische Wörter. 1. Kakao. 2. Schokolade. 3. To- 

mate. V. Nordamerikanische Wörter. 1. Opossum. 2. Wigwam. VI. Afrika- 

nische Wörter. 1. Drill und Mandrill. 2. Banane. 3. Zebra, 4. Gnu. 

VII. Malayische Wörter. 1. Kakadu. 2. Tombak. . . . . | 
H. Oertel, Zum ai. Kausativum IR von der Wurzel 7 li „sich EE 
F. Specht, Wurzelinfigierungen. - . at ee ee wé Ap ër er 
W. Schulze, Lesefrüchte. Läckenhüßer . NS. ee ee ae: Oo BR 


Preis des Doppelheftes in der Reihe 8 RM., einzeln 10 RM. 


Beiträge, die allgemein sprachwissenschaftliche Fragen behandeln, oder die sich 
auf die asiatischen Indogermanen beziehen, wolle man an Prof. Dr. Hanns Oertel, 
München 27, Pienzenauerstr. 36, solche, die den indogermanischen Sprachen Europas 
gewidmet sind, an Prof. Dr.W. Schulze, verzogen nach Berlin-Wilmersdorf, Helmstedter- 
Straße 8, pt., senden. 

Besprechungen können nur solchen Werken zugesichert werden, welche ein 
Herausgeber erbittet. 


Soeben erschien in unverändertem Nachdruck 


Fr. Blatz 


Neuhochdeutsche 
Grammatik 


mit Berücksichtigung der historischen 
Entwicklung der deutschen Sprache 
3. Aufl. in 2 Bdn. Nur in Leinenbänden lieferbar. 


Bd.1 XI. 856 S. Preis RM. 15,— / Bd.2 XVII. 1314S. Preis RM. 21,— 
oder beide Bände zusammen RM. 36,—. Teilzahlung gestattet. 


Das brauchbare Werk war seit Jahren vergriffen. 
Man wird den Nachdruck begrüßen. 


Buchhändler und Antiquar OTTO EICHLER 
Leipzig, Reitzenhainer Straße 139 


Zur indogermanischen Terminologie der Milchwirtschaft. 


1. SSES än-yezur — lit. oiëtt — alb. gize — arm. kcanem — 
altirisch ger. 


Westossetisch änyezun, Ptz. pass. änyist, ostoss. ängizin, Ptz. 
pass. dngist „gären, vom Teig, Kwaß, Wein u. a4.“’), z. B.: 

0.-088. dnd ängist jul Matth. 26,17 „ungesäuertes Weizen- 
brot“ °); ängizgä sän Matth.9,17 „gärender (neuer, saurer) Wein“; 
w.-oss. k’umäl änyezui „der Kwak gärt“ ’); 

dazu die Ableitung w.-oss. änyez-än, 0.-oss. dngiz-dn „Sauer- 
teig, Hefe“, z.B. Luk. 13,21, mit dem Adj. ängizän-jin „gesäuert 
(kislyj, kvasnyj)“, z. B. vom Brot. 

Das ossetische Verbum (das Simplex existiert nicht) setzt 
ein uriran. *ham gaizaya-, gewiß ein Denom., voraus. Keine 
iranischen oder überhaupt auswärtigen Verwandten sind m. W. 
nachgewiesen worden. 

— Die Bezeichnungen von „gären“ und „sauer werden“ 
werden bekanntlich nicht genau auseinandergehalten, vgl. eben 
gesäuert = oss. ängizänjin (vom Brot). : Ohne begriffliche Be- 
denken können wir demnach eine dem ossetischen Worte lautlich 
entsprechende baltische Wortsippe vergleichen: 

lit. gidti gižtù gizat (auch y92ti) „sauer werden, von der Milch“, 
gìžinti „(die Milch) sauer werden lassen“, giäteleti, gìžterėti „säuer- 
lich werden, von der Milch“; — ER (N. gaiZu), gizüs, auch 
(nach Lalis) gizas 1. „ranzig, muffig, von der Butter, vom Brot; 
säuerlich, von der Milch“, 2. „bitter, herb, z. B. von unreifen 
Äpfeln, bitteren Kartoffeln“, 3. fig. „mürrisch, launig; widrig, 
unerträglich‘; — gaiéti gaiztu gaizaa „bitter, herb werden“ (man 
gerklé gaīžta „ich bekomme in der Kehle einen bitteren Geschmack“); 


1) Ich bediene mich — auch in Zitaten aus anderen Quellen — der von 
Ws. Miller in seiner Arbeit „Die Sprache der Osseten‘ (1903) gebrauchten Be- 
zeichnung der ossetischen Laute. 

2) Nach der Übersetzung der Evangelien Tiflis 1864. 

3) Die Stelle zdnad sd k’dxti buni sau funuk änyistäi „die Erde ver- 
wandelte sich unter ihren Füßen in schwarze Asche“ (Miller und v. Stackelberg, 
Fünf oss. Erzähl. in digor. Dial., S. 24) zeigt eine unursprüngliche Bedeutung 
von dnyezun. 

Zeitschrift für vergl. Sprachf. LXI 1/2. 1 


2 E. Liden 


— giezti giežiù (žem. geīžti) 1. intr. impers. „kratzen, im Halse“, 
2. apmaudg giezti „Groll hegen“. 

W.-oss. yizun, Ptz. yist, 0.-oss. (ba-, s-)gizin, Ptz. qist, impers. 
„kalt werden, böses Wetter werden, frieren“ kann begrifflich mit 
lit. gigas, gaizüus „bitter, herbe“, somit auch mit oss. änyezun, än- 
gizän vermittelt werden; vgl. frz. aigre „Kälte“, nhd. „bittere 
Kälte“, „bitter kalt“, „herbe Kälte“, „kühler, saurer Wind“. 
In lautlicher Beziehung ist zu bemerken, daß der Anlaut y-, q- 
statt des vor i zu erwartenden j (uriran. j) durch den Einfluß 
verwandter Worte mit der Lautstufe iran. gaiz- zu erklären ist’). 

Als besonderes Stichwort verzeichnet Freiman in Miller’s 
Osset. Wörterbuch I 415, 470 o.-oss. (ba-, ärba-)gizin, w.-oss. yizun 
„Böses wünschen“. Es ist wohl unzweifelhaft mit dem vorigen 
Verbum identisch: vgl. lit. pa-gieZa „Rachgier*, jis dpmaudq giézia 
„er brütet Groll“ 5). 

— Als ich die bis dahln vereinzelt dastehende litauische Wort- 
sippe in Ann. Acad. Sc. Fenn., ser. B, XXVI (1932), p. 115sq. 
etymologisch erörterte, konnte ich nur ein albanisches Wort als, 
wie ich glaube, damit verwandt heranziehen’), und zwar d'Lag 
F. 1. „gelabte Milch“, 2. „Käse, Zieger: ein aus der Käsemolke 
durch Kochen gewonnener Quark“*). Lautlich erklärt sich g'ize 
aus *gidid, idg. *gig-iä-. In sachlicher Beziehung ist von der 
Tatsache auszugehen, daß der älteste Käse nichts anderes als 
saure Milch, lac coagulatum, mehr oder weniger flüssiger Quark 
war, s. Schrader, Reallex. d. idg. Altertumsk.* 1559b; Jokl, Stud. 
z. alb. Etym. (1911) 16°). 


Die jetzt verglichenen Wörter aus drei Sprachfamilien gehören 
sachlich enge zusammen. Sie sind alle aus einem bestimmten 


1) Vgl. z.B. ai. giydmana-, gitd- (statt j-) zu gäyatı. 

2) Hierher gehört vielleicht noch w.-oss. yezämard, 0.-088. gieämur „Qual“, 
ba-yezämarä känun, bzw. bagizdämar känin „sich abmühen‘“ (Miller-Freiman 
I 265, 449): vgl. „bitteres Leiden“, „saure Mühe“. 

3) Über frühere Ursprungsdeutungen von lit. giezti usw. s. Verf. a. a. O. 
Die Zusammenstellung mit got. gageigan „gewinnen“ usw. (Feist, Etym. Wörterb. 
d. got. Spr.? 133 u. A.) ist begrifflich unhaltbar, diejenige mit ags. giccan 
„jucken“ (Fick, BB. VII 94) lautlich ungereimt. 

*) Weigand, Alb. Wörterb. (1914) 26; Christophoridis. As&ıxdv tio &AB. 
yAdoons (1904) 80. 

5) Jokl, daselbst 28, erklärt g’ize aus *g’ier-ze und verbindet es mit 
lat. serum, gr. dods „Molke“; -ze faßt er als Suffix auf (vgl. dens., Linguist.- 
kulturhist. Unters. 89, 278; WZKM. XXXIV 41). Anders Vasmer in dieser 
Zeitschrift L 248. 


Zur indogermanischen Terminologie der Milchwirtschaft. 3 


Gebiete altertümlicher Wirtschaft hergeholt; sie beziehen sich 
zunächst auf Geschmacksempfindungen solcher Eigenschaften, 
welche die Nahrungsmittel u.ä. durch Fermente, Milchsäure usw. 
bekommen. 

Es dürfte wohl am angemessensten sein, auf weiter zurück 
hinzielende Kombinationen zu verzichten. Ich möchte aber dies 
Wagnis versuchen. 

Die Bedeutungsgeschichte zeigt, daß manche Ausdrücke für 
„sauer, ranzig, herbe, bitter“ u. dgl. ursprünglich „schneidend, 
beißend, stechend“ u. 4. bedeuten, manchmal sogar auf die sekun- 
däre Bedeutung beschränkt worden sind, z. B. frz. aigre (nicht 
mehr „acer, von der Schneide“); lat. acidus, acerbus; gr. nuxodc; 
nhd. bitter (zu beifen)*); npers. sor „salzig“, kurd. sur „bitter, 
salzig“ (zu aw. šav- ,ritzen“)*); lett. skâbs „sauer, von der Milch 
usw.“ (zu lit. skabeti „schneiden, hauen“); lit. kartüs „bitter, von 
Geschmack“ (zu kertü „scharf hauen“, ai. kațú- „scharf“). Ich 
gehe demnach zu den folgenden Vergleichen über. 

Altirisch ger (o-, d-Stamm) „scharf; schnell“, neuir. géar „sharp, 
sharp-pointed; sour, bitter, aced“ kann regelrecht aus urkelt. 
*gig-ro- entstanden sem", — Das Suffix -ro- erscheint in vielen 
Adjektiven ähnlicher Bedeutung, z. B. gr. &xoog „spitz“; gr. nıxods 
„spitz; bitter“; altlit. astras (astris) „scharf“; got. baitrs, awnord. 
bitr „scharf; bitter“, ahd. zangar (aus *tang-ra-) „beißend; scharf 
von Geschmack usw.“; lett. skabrs „scharf“; npers. dër „salzig“, 
kurd. sur „bitter, salzig“, vgl. gr. &vo6» ,Scheermesser“, ai. 
ksurd- „ds.“. 

Vorausgesetzt, daß ir. ger *gigro- auf idg. *gig- zurückgeht, 
deckt es sich wurzelhaft mit arm. kic-, das die Grundlage folgender 
Worte ist: 

kc-anem, Aor.3.Sg. ebe „stechen; beißen“ (A.T. usw.); kc-em, 
Aor. kc-eac „jucken, z.B. vom Fuß, im Schlunde* (Eznik); 2-kcim 
„s’aigrir : erbittert, gereizt werden“, z-kc-ank‘ Pl. „aigreur: 
Unwille, Entriistung“* (MXor.); Kaus. z-kc-ecucanem „aigrir : er- 
` bittern, peinigen“ (MXor.); — Adj. kc-u „aigre : bitter, beißend, 
z.B. vom Geschmack (ham), von Gift (del)“; ranzig, z.B. von 
Öl Gut), von Käse (panir)“; — kskic (aus *kckic, *kic-kic, redupl.)*) 


1) Awnord. bitr daneben noch von scharfen Waffen. 
2) Reichelt in Streitberg-Festgabe (1924) 297. 
5) Zur Entwickelung von -igr- zu ir. -2r- s. Holger Pedersen, Vergl. Gramm. 
d kelt. Spr. 1102f., § 60. 
*) Betreffs -sk- fiir -ck- s. Meillet, Altarm. Elementarb. 21 (§ 27, A, c). 
1* 


4 E. Liden 


„Schmerz“, kskc-im „Schmerz empfinden“, kskc-ank‘ Pl. „Sarkas- 
mus“, kskc-eli „beißend, verletzend, von Worten“ (A.T.); Kaus. 
kskc-ecucanem „Schmerz verursachen, peinigen usw.“ (A.T.)'). 
Wahrscheinliche auswärtige Verwandte von arm. kic- sind 
bisher nicht nachgewiesen worden. Fr. Müller, WZKM. VIII 281 
verbindet es mit npers. gazidan „beißen“, was Hübschmann, Arm. 
Gramm. 441, Pers. Stud. 271, wegen des Vokalismus beanstandet”). 
Scheftelowitz, BB. XX VII 31 und XXIX 31 stellt auffallenderweise 
für kic einerseits und kcanem anderseits zwei ganz getrennte Etymo- 
logien auf, beide aus lautlichen und anderen Gründen unhaltbar. 


Die oben zum erstenmal in .einen Zusammenhang gebrachten 
Wörter führen auf eine idg. Wurzel geig- zurück’). Mit Aus- 
nahme des Armenischen lassen die betreffenden Sprachen die 
Wahl zwischen idg. g oder gh im Anlaut und zwischen 9 oder 
gh im Auslaut der Wurzel frei. — Die ursprüngliche Bedeutung 
der Wurzel ist „stechen, beißen u. dgl.“, wie aus ir. ger in der 
Bedeutung „mit scharfer Spitze“ und arm. kcanem „stechen usw.“ 
zu folgern ist. 


2. Osset. sili — aind. sara- — lat. colostra — gr. xlooos. 


QO.-oss. sili, w.-oss. sulu „frische Molken“ (d-sili un „zu Molken 
werden, von der Milch“)‘) würden regelrecht auf uross. *sulu 
zurückzuführen sein. Es kommt indessen in solcher Lautkombi- 
nation eine andere Möglichkeit mit in Betracht. W.-oss. u geht 
in gewissen Fällen auf älteres ; oder ë zurück: es möge hier der 


1) Das anscheinende Grundwort kic „Stich, Schmerz, Jacken usw.“ ist erst 
recht spät belegt und wahrscheinlich eine sekundäre deverbative Bildung zu 
kcanem, ekic. 

2) Auch der Wurzelauslaut von gazidan, gaštan stimmt wahrscheinlich 
nicht zum arm. -c-, 8. Horn, Grundr. d. iran. Philol. I 2, 134. — Falk und Torp, 
Etym. Wörterb. 513, und Torp in Fick’s Vergl. Wörterb.* III 33, Nynorsk etym. 
ordbok 271, verbinden gazidan mit nnorw. kjake (aus *kekan-) „Kinnbacken, 
Kiefer“ usw.; dieses Wort ist aber mit Grimm’s DW. V, Sp. 2530 (unter Kufe) 
und Sperber, Wörter u. Sachen IV 52 ganz anders zu beurteilen. 

5) Eine Regel de Saussure’s ist mir freilich nicht unbekannt, nach welcher 
Wurzeln solcher konsonantischen Struktur nicht ursprünglich seien. Wer an 
dieser Regel strikt festhält, dem stehen verschiedene Möglichkeiten zu Gebote, 
sich mit den tatsächlichen derartigen Fällen abzufinden wie z. B. betreffs ai. 
gadati Meillet, BSL. XXV, comptes rendus 120. 

*) Miller-Freiman, Osset. Wörterb. II 1139, 1162: „syvorotka sveZaja“. 
G. Rosen, Philol. u. hist. Abh. d. K. Akad. d. Wiss. zu Berlin 1845, 393b gibt 
für „sil“ die Bed. „Buttermilch“ an. 


. Zur indogermanischen Terminologie der Milchwirtschaft. 5 


Hinweis genügen auf w.-oss. cuppar gegenüber 0.-oss. cippar „vier“ 
(aw. cadwar-, soghd. Gë r), w.-oss. zumäg gegenüber 0.-oss. zimäg 
„Winter“ (aw. zima-), und w.-oss. funuk gegenüber o.-oss. fanuk 
„Asche“. Das w.-oss. u ist offenbar hier dem Einfluß benach- 
barter labialer Laute zuzuschreiben '). 

Ich setze demnach für sili, sulu zunächst ein uross. *silu an"). 
Das -i- kann seinerseits aus -d- (iran. -a-) palatalisiert worden sein, 
und zwar durch das /, das infolge seines wahrscheinlichen Ur- 
sprungs aus iran. -ri- palatal gewesen sein muß. Diese Annahme 
stützt sich auf eine von C. F. Andreas aufgestellte Lautregel >’), 
die freilich m. W. nie genau formuliert, aber unter noch festzu- 
stellenden Bedingungen ohne Zweifel gültig ist. 

Ein formantisches Gegenstück zu sulu, sili ist w.-oss. (@)st alu, 
ö.-oss. slali „Stern“ (vgl. aw. stär-) und zwar in betreff sowohl 
der Endung -u als des -/-*). 

Wenn wir demnach dem oss. Worte ein iran. *sar° zugrunde 
legen, können wir es mit ai. sara- „saurer Rahm“ (Apast. sr. 
usw.), nach einem Kommentator „drapsa- : flüssige, saure Milch“ 
verbinden’). Die Gleichung, wenn stichhaltig, verbürgt die Alter- 
tümlichkeit der bezeugten Bedeutungen. 

Das Sauerwerden, Gerinnen, Verkäsen der Milch u. dgl., auch 
das Verwesen, wird häufig als ein Bersten, Brechen (Ausein- 
anderfallen) aufgefaßt, z. B. nschwed. dial. brista, nnorw. dial. bresta 
„bersten“ und „sauer werden, gerinnen, von der Milch“, nnorw. 
bresta F. „Milch, die aufgewärmt wird, um Käse abzusetzen“, 
nnorw. sprengja „bersten machen“ und „(Milch) gerinnen, käsen 
machen“ °). 

Die fraglichen Wörter können deshalb gehören zu ai. sar- 
srndti „zerbrechen, bersten machen“, Pass. siryate „bersten“, Ptz. 
Sirnd- auch „verfault, verwest“"). Vgl. u.a. das hierher ge- 
hörige lat. cariés „das Morsch-, Faulsein* °’). 


1) Vgl. Miller, Die Spr. d. Osseten 19f. (§ 7: 2,3, Anm.). 

2) Der Übergang *sili in sulu ist vielleicht von der Betonung (— 2) 
mit bedingt. 

2) 8. Gauthiot, Essai de gramm. sogd. I, Introd. III und 79, 93; vgl. 
z.B. oss. wéi „männlich“ : aw. natrya-, sogd. nyr-k „ds.“ 

*) Ossetische Nomina auf - stellt Miller, Oset. etjudy II 115 zusammen. 

5) Über die Form und Bedeutung des Wortes nach der gelehrten indischen 
Tradition s. Zachariae, WZKM. XIV 228ft. 

6) Aasen, Norsk Ordbog 79; Vendell, Ordbok över de östsv. dial. 78. 

?) Betreffs sara- so schon Böhtlingk. 

8) Walde-Hofmann, Lat. etym. Wörterb. 167. 


6 E. Liden 


Diese Ursprungsdeutung von sara- würde es von sáras- N. 
„Rahm, die Haut auf (gekochter) Milch; (fig.) eine dünne Schicht 
von Asche“ (VS., Brahm.) gänzlich trennen, falls die geläufige 
Verbindung des letzteren mit der Wurzel Ee. „verhüllen“, ai. 
$arand- „schirmend‘“, lat. cöläre, nhd. hüllen usw. zu recht bestünde. 
Dieser Etymologie zuliebe wird für séras- eine ursprüngliche Be- 
deutung „Hülle“ vorausgesetzt (so Uhlenbeck u. AL Wird aber 
der Rahm irgendwo als „die Hülle“ bezeichnet? Er kann zwar 
passend als „Decke, deckende Haut, obere Schicht“ (wienerisch 
Obers!) aufgefaßt werden, aber die Wz. Ee. mit Zubehör be- 
zeichnet m. W. nie einfach „tegere, Decke über etwas sein“, 
sondern „umhüllend, verhüllend, zur Obhut u. dgl. bedecken“. — 
Eben wie gara- tatsächlich, wird sdras- ursprünglich den sauren 
Rahm o. a bezeichnet haben. Dabei ist erstens zu bemerken, 
daß in alten Zeiten die Milchspeise gewöhnlich erst als sauer 
(geronnen, gegoren) und das Milchfett zumeist in ranzigem Zu- 
stand genossen wurden '). Zweitens zeigt die Vorgeschichte von 
neuisl. rjómi, nnorw. rjome, rømme, schwed. dial. römme, ags. réam, 
nhd. rahm (dial. aus raum”)) „Butter“, aw. raoyna- „ds.“, daß die 
Bedeutung „Rahm im allg., frischer Rahm“ die sekundäre sein 
kann’): die erwähnten Wörter halte ich für zweifellos verwandt 
mit lett. rag-t „säuern, gären“, lit. rúg-ti „gären“, pr. ructan dadan 
„Sauermilch“ usw. (darüber später). Auch die Geschichte von 
butter (Boörvoov, aw. tü’ri- „Molke, käsig gewordene Milch“) hat 
Ähnliches zu erzählen. Ich glaube daher, daß wir séras- nicht 
nur mit gura- „saurer Rahm“, sondern auch mit oss. sili „Molken“ 
getrost zusammenhalten können. 

Ebenso sehr als ich die Zusammenstellung von $dras- mit der 
Wz. kel- „verhüllen“ anzweifeln muß, ebenso entschieden möchte 
ich an der trefflichen Gleichung Thurneysen’s (GGA. 1907, 805; 
ThLL. III, Sp. 1726) ai. sdras- : lat. colostra, colustra „Biestmilch“ 
festhalten. Nur denke ich mir, daß letzteres durch Dissimilation 
der Liquidae aus *corostra entstanden ist. — Die Biestmilch zeigt 
in bezug auf gewisse Eigenschaften, sowie in der Terminologie‘) 


1) Schrader, Reallex.? I 177. 

*) Zum a für au in rahm Schwyzer, IF. XXI 180f. — Germ. Grundform 
*reuma-n-, *rauma- aus -5m-. 8. Schwyzer, das., und jetzt Torp, Nynorsk 
etym. ordb. 538: unrichtig Falk-Torp, Etym Wörterb. 935. 

*) Norw. rjume bezeichnet übrixens noch jetzt besonders den Rahm auf 
der „dicken“ Milch. 

t) Vgl. z.B. gr. nöos ,Biestmilch* zu zdeoda: „verfaulen“. 


Zur indogermanischen Terminologie der Milchwirtschaft. 7 


Berührungen besonders mit der „dicken“ (in frischem Zustand 
gelabten) Milch. I 

Endlich erinnere ich in Kürze an die Hesychische Glosse 
xlooos: öoos. xal atua. xal néua yddaxtos. Adxwves. Die Bedeu- 
tung „ein aus (saurer?) Milch bestehender Trank“ legt eine leichte 
Konjektur öods „Molken“ für ögos nahe’); die Glossierung alua 
versteht sich vielleicht als ein ungenauer Ersatz für ixoe, das 
auch „Blutserum“ und „Molken“ (Arist. H. A.) bezeichnet. Die 
Form xiogos kann eine Normalform *xéggos vertreten; über 
sporadisches ı aus e, u.a. vor ọ + Kons., vgl. T. Kalén, Quaest. 
gramm. graecae (Göteborg 1918) 69ff., wo wichtige Belege er- 
örtert werden. Das -ọọ- kann verschiedentlich, u. a. als ex- 
pressive Gemination erklärt werden. 


3. Osset. zurxz — lit. pd-sukos, sunkalai. 

O.-oss. zurx bedeutet „Molken, Käsewasser“ nach dem Wörter- 
buche des Bischofs Josif*) und einer Angabe in der Izvöst. Kav- 
kazskago otdéla imp. russk. geograf. obscestva VIII (Tiflis 1884—85) 
175. — In dem von einem eingeborenen Osseten, Gassiev, da- 
selbst mitgeteilten Verzeichnis ossetischer Pflanzennamen findet 
sich wiraig „der gewöhnliche Sauerampfer, Rumex“*‘). Der Zu- 
sammenhang von zurcäg (mit dem überaus häufigen Suffix -äg) 
mit zurx ist darin begründet, daß der Ampfer zum Gerinnen und 
Sauerwerden der Milch seit Alters gebraucht wurde. 

Die w.-oss. Form von zz ist mir unbekannt. Sie kann 
entweder *zurz, also mit uross. und iran. -u-, oder aber *xorz, 
also mit uross. -ö-, uriran. -au, lauten‘). Ich setze vorläufig ur- 
spriingliches -u- voraus. 

Oss. xurx kann regelrecht uriran. *huzra-, urarisch *sukra- 
vertreten. Wegen su- aus hu- vgl. 0.-oss. zu „Schwein“ = aw. hū- 
„ds.“ (npers. zö-k); wegen der Metathese -xr- zu -rx- vgl. w.-oss. 
surx, 0.-088. sirx „rot“ = aw. suxra- „ds.“ (ai. sukra- „licht“)°). 
IE HL Schmidt liest fragend dggos. 

3) Russko-oset. slovaf (Vladikavkaz 1882) 521: EE xürx[!]. 

s) Auch bei Josif 575: ščavelľ æxürxāäg|!]. Er schreibt G und og ohne 
erkennbare Regel. 

4) Der Sauerampfer, zurxdg, heißt nach der erwähnten Quelle im Westoss. 
tdvag-tdfd, eig. ,Sauerblatt‘, im Südoss (Tualischen) golo, ein georgisches 
Lebuwort. [Nachträglich finde ich, daB das Miller-Freiman’sche Wörterbuch, 
wovon ich durch die Güte des Herausgebers die ersten Druckbogen des noch 
unvollendeten 3. Bandes besitze, 0.-088. zürxäg, w.-uss. tavdg-Paffad „Sauer- 


ampfer* (S. 1187) verzeichnet.] 
D S. Miller, Sprache d. Oss. 26 (§ 24, 4), bzw. 36 (§ 43b). 


8 E. Liden 


Das so erschlossere arische *sukra- „Molken“ kann man nicht 
umhin zusammenzustellen mit lit. sunkalai Pl. „Molken“ ’) = lett. 
sūkalas Pl. „Molken; (Blut)serum“, auch sukuls, sükuls, sükulas 

„ds.*; lit. 28-, pd-sukos. „Buttermilch“ °). | 

Deak en; Bild. d. Nom. im Lit. 476 und Endzelin in Mühlen- 
bach’s Lett.-d. Wörterb. III 1131 stellen die baltischen Wörter zu 
lit. suñk-ti, sunkiù „absickern lassen“, lett. sùk-t (aus *sunk-t) 
„saugen; durchseihen“. Das leuchtet mir begrifflich nicht ein. 
Höchstens handelt es sich um einen sekundären Anschluß an 
dieses Verbum. Eine frühere Ansicht Leskien’s, das. 226 und 
Ablaut der Wurzelsilben im Lit. 310 scheint mir vielmehr zuzu- 
treffen; er stellt die Wörter für „Molken“ da zu lit. sùk-ti suka, 
lett. suk-t „drehen“. Das n-Infix in lit. sunkalai stammt aus dem 
Pris. lit. *sunku = lett. sùku, Inf. suk-t „schwinden, entwischen“, 
das gewiß mit suk-t „drehen“ identisch ist’). So wird auch lett. 
sukties „sich sezernieren, wie Molken von der Milch“ im Grunde 
mit suktiös „sich drehen“ zusammengehiren. 

„Die Milch dreht sich“ ist in vielen alten und modernen 
Sprachen der feste term. techn. für „die Milch gerinnt, wird sauer, 
verkäst“, und überhaupt werden die Prozesse, welche Getränke 
(Wein, Bier usw.), Speise u. dgl. durch das Gerinnen, Käsen, 
Sauerwerden, Verfaulen untergehen, mit Ausdrücken für „sich 
drehen, sich wenden“ bezeichnet. Die lange Reihe derartiger 
Beispiele, die ich in meinen Arm. Stud. (1906) 105f. und in den 
Melanges de philol. offerts a Johan Vising (Göteborg 1925) 379 
verzeichnet habe, könnte zum Überfluß vermehrt werden. Ich 
wiederhole hier nur: russ. s-vértyvatsja „sich zusammendrehen“, 
von der Milch ,gerinnen“; frz. tourner und engl. turn „gerinnen, 
von der Milch u. ä.“; schwed. dial. vrida sig ,ds.“, eig. „sich 
drehen“; arm. darn „sauer, bitter“ zu darnam eich drehen, sich 
wenden“. 

Zum Formellen ist schließlich zu bemerken, daß iran. *huxra-, 
oss. zurx „Molken“ dem lit. sukrüs (-ru- für -ra- wie sonst häufig) 
„wer sich leicht dreht, gewandt, schnell“, lett. sukrs „drall“ *); 
„sehr fest; schnell“ gleichzusetzen ist. 


1) Bei Bezzenberger, Lit. Forsch. (1882) 179 belegt. 

2) Leskien, Bild. d. Nom. im Lit. 226 

3) Die Identität von sukt „schwinden“ und sukt „drehen“ wird von Ulmann, 
Lett. Wöiterb. 286, Leskien am letztgen. O.. Reichelt in dieser Zs. XXXIX 78 
und Trautmann, Balt -slav. Wörterbuch 291 anerkannt. Vgl. Endzelin, das. 1118. 

t) Vgl. zur Bed. nhd. drall, ursprünglich „fest gedreht“. 


Zur indogermanischen Terminologie der Milchwirtschaft. 9 


Die Wurzel seug- „drehen“ ist bisher außerhalb der balt. und 
slav. Sprachen nicht sicher nachgewiesen worden; vgl. Trautmann, 
Balt.-slav. Wörterb. 291; Walde-Pokorny, Vergl. Wörterb. II 470; 
Endzelin am letztgen. O.; Falk und Torp, Norw.-dän. etym. 
Wörterb. 1202 (unter sugg). 


4. Osset. än-taun — awest. tutri- — gr. tvods. 


W.-oss. än-taun, Ptz. än-tud, 0.-oss. dn-tdun, Ptz. dn-tid „sauer 
machen, einsäuern, (Bier) einbrauen“; — w.-oss. äntud, 0.-oss. äntid 
„Hefe; Spülicht*; — w.-oss. än-tav-än, 0.-oss. än-tvan „Maische; 
Bierwürze“ ’); — 

dazu die Ableitung w.-oss. tavdg, 0.-oss. tvag „sauer“, z. B. 
0.-08S. tvag-äxsir „saure Milch“, tvag-cimgä „säuerlicher Mehlbrei“, 
w.-oss. tévdg-t’affd „Sauerampfer“. 

Der osset. Stamm tav- (uriran. *téy-) ist wurzelhaft verwandt 
mit aw. tu'ri- N. „käsig gewordene Milch, Molke“ (t#rya- „verkäst, 
von der Milch“), das bekanntlich weiterhin zu gr. hom. tvods 
„Käse“ gehört’). 

Solmsen, IF. XXVI 113, XXX 34 knüpft code, tūri- an die 
Wurzel tū- „schwellen, strotzen“ (lat. obtzro usw.) an. Die Mög- 
lichkeit dieser Kombination möchte ich nicht schlechterdings be- 
streiten, vermag sie aber auch nicht mit einer begrifflichen Par- 
allele zu stützen. Meinesteils glaube ich vielmehr an fernere 
Verwandtschaft mit der Wurzel ter- „drehen“ ahd. dweran „herum- 
drehen, rühren, mischen“ (wozu fernerhin u.a. ags. ze-dweor aus 
*buerha- „Käsestoff“), ai. tvárati „eilen“ usw. Wegen des Be- 
grifflichen sei auf das oben S. 8 Gesagte verwiesen. Die genauere 
formelle Begründung muß ich auf eine andere Gelegenheit ver- 
sparen. 


5. Alb. hire — altnord. skyr. 


Alb. tosk. hive (geg. hir) F. „Molke“ *), hirös „sauer werden“ 
verbindet Gustav Meyer, Alb. Stud. III 43, 45 (vgl. Etym. Wörterb. 
152) alternativ mit aksl. syră „Käse“ (hive solchenfalls aus *särä 
oder *szr-nä) oder mit lat. serum, gr. öods „Molke“ (hive aus 
*ser-nä). Beides ablehnend, stellt Pedersen, IF. V 45 und in 


1) Miller-Freiman, Oss. Wörterb. I 164. W.-oss. äntaun in der Bed. 
„harken“ gehört anderswohin. 

2) S. Bartholomae, Altir. Wörterb. Sp 656; Boisacq, Dict. gr. 902f. und die 
Literaturbinweise daselbst. 

3) Aus dem Alb. ist serb. dial. kira „Käsewasser“ entlehnt, s. Jokl, 
Linguist.-kulturhist. Unters, 172. 


10 E. Lidén 


dieser Zs. XXXVI 277 das alb. Wort mit. ai. kgird- (npers. sr, 
w.-osset. dxsir) „Milch“ zusammen’), Diese Gleichung führt aber 
leider zu einer bedenklichen formantischen Schwierigkeit, in- 
sofern alb. -7- auf -rn- zurückgeführt werden muß. Bei der von 
Meyer, Alb. Stud. III 74 vertretenen Ansicht, wonach alb. -7- auch 
einfachem idg. -r- entsprechen könne, besteht freilich solche 
Schwierigkeit nicht. Allein die von Meyer derart aufgefaßten 
Fälle von -#- sind durch die Erörterungen Jokl’s, zuletzt in der 
Festschrift für P. Kretschmer (1926) 82ff., in ein anderes Licht 
gestellt worden. 

Meiner Ansicht nach gehört hive zur Wurzel sger- „schneiden“. 
Es schließt sich dann sowohl wurzelhaft wie auch semantisch 
nahe an awnord., nisl. skera-st refl. „koagulieren, vom Blut, von 
der Milch“ = nnorw. skjera seg, ndän. skære sig, nschwed. skära sig 
„sich trennen, von der Milch“ (wörtlich „sich schneiden“) mit 
den Ableitungen stidschwed. dial. skära F. „die Molke auf saurer 
Milch“, skär-ing „ds.“ und „Käsewasser, das zusamn:en mit saurer 
Milch aufgekocht wird“. Daß diese spezielle Bedeutung von jeher 
an der Wurzel haftet, zeigt besonders auch die uralte Ableitung 
germ. *skur-ia- awnord., nisl. skyr N. „geronnene Milch“, nnorw. 
skyr skjør „Dickmilch*, schwed. dial. skyr (skör, stjyr u. &.) „ds. 
(Gotl.); geronnene und abgerahmte Milch (Dalek.)“, ndän. sker 
»Dickmilch* (skgr-ost „Quarkkäse“, skgr-ne „gerinnen“)*). 

Andere begrifflichen Parallelen sind gr. téusoog „coagulum“ 
und yada-tudy: Adyavoy dygıov Hes. (Pflanze, die als Labmittel 
gebraucht wird) zu téuvew „schneiden“; ois tò ydla „die 
Milch gerinnen machen“*); nhd. sich trennen (von der Milch); 
ndän. skille sig „käsen“, eig. „sich scheiden“. 
| Die Wurzel (s)ger- „schneiden, trennen usw.“ ist im Alb. 
reich vertreten (s. Jokl, Lingu.-kulturhist. Unters. 156 und die 
Hinweise daselbst), z. B. har „ausjäten, Bäume oder Weinstöcke 
ausschneiden“ (idg. sq-); kor „schneiden, ernten“ und $-ker „aus- 
einanderreißen“* (idg. q- wie in gr. xeigw). 

In lautlicher Beziehung erklärt sich hive z. B. wie alb. pire 
F. „Dorn“, das Jokl a.a. O. 216f., 231 auf idg. *p°r-nä- zurück- 
führt und mit gr. neigw, negdw*), aksl. na-perjo „durchbohren“ 


1) So anch Jokl a a. O 273. 

*) S. Falk und Torp, Nurw.-dän. etym. Wörterb. 1015; vgl. Rietz, Sv. 
dial.-lex. 6 2a. 

3) Fick, BB. XXVIII 108; Roisacg, Dict. étym. 939f. 

*) Vgl. besonders gr. zeodvy „Schnallen dorn“! 


Zur indogermanischen Terminologie der Milchwirtschaft. 11 


usw. verbindet. — Vor ursprünglichem hellem Vokal gilt alb. 
tš als regelrechte Vertretung von idg. sq, z. B. ste! „öffnen“ aus 
*sqel-n- zu lit. skeliü „spalten“ (aber alb. hale „Splitter, Schuppe“ 
zur selben Wurzel), s. Jokl, IF. XXX 194f., WuS. XII 70. Falls 
dieselbe Palatalisierung von idg. sq auch vor dem erst im Alb. 
entwickelten Sekundärvokal i stattgefunden hat, versteht sich das 
h- in hife leicht durch Angleichung an das Verbum har, wozu 
hire ursprünglich eine partizipiale Bildung ist und als solche 
einst in intimer Beziehung gestanden hat. 


6. Altirisch bin:t — ahd. billa. 


Air. binit „Lab“, nir. binid F. „Lab zum Käsemachen“, gil. 
„Lab, Käse; Magen“, wozu die Ableitungen air. bint-en gäl. 
binnd-ean „Lab“, binnd-ich „gerinnen machen“, wird als fem. 
Partizipbildung auf urspr. ap zu air. benaid „schlägt“ aufgefaßt, 
s. Macbain, Etym. Dict. of the Gaelic Lang.* 37; Kuno Meyer, 
Miscellanea hibernica (1916) 30f.*). In formaler Beziehung ist 
das gewiß richtig; es erübrigt nur noch, den begrifflichen Zu- 
sammenhang aufzuklären. Nach Macbain wäre binit ursprünglich 
etwa „the biter“, aber die Bedeutung „beißen“ ist der fraglichen 
kelt. Wortsippe fremd. Meyer knüpft binit an das Verbum an 
mit der bereits von Cormac gegebenen Begründung: benaid in 
n-as co mbi tiug .i. techt „it [the binit] strikes the milk so that 
it turns thick, i.e. coagulated“. Ich vermag aber kein Seitenstück 
zu einer Bedeutungsentwickelung von „(die Milch) schlagen“ zu 
„koagulieren machen, käsen machen“ beizubringen °). 

Man hat für binit „Lab“ vielmehr von der Bedeutung schnei- 
den, die die betreffende kelt. Wurzel mit aufweist, auszugehen. 
Begrifflich gesellt sich binit zu gr. rduoog „Lab“ (: téuvew 
„schneiden“), awnord. skera-st „(sich schneiden,) gerinnen“ usw., 
worüber oben S. 10. 


Zur selben Wurzel (idg. bheta-, bhž-), wovon air. be-nai-d (Prät. 
3. Sg. -bi-th), beim „Schlag“, mbret. benaff „schneiden“ usw., scheint 
ein germanisches Wort zu gehören, das dem erwähnten air. onii 
„Lab* begrifflich nahe steht. 
Aus der Glosse déro billon zu Notker’s Psalm 73,4 déro 
azimorum („der ungesäuerten Brote“) — in welcher Übersetzung 


1) = Univ. of lllinois Studies in Lang. and Lit. II, Nr. A 
2) Anders dagegen nhd. Butter schlagen „die Butter aus der Milch durch 
Schlagen (Stoßen) ausscheiden: buttern‘. 


990685 


12 E. Liden 


doch wohl ein Irrtum steckt — in Verein mit der Glosse unkebilot 
brot (-bilot ungenau für -billot) „azimus panis“ haben F. Kluge 
und nach seinem Vorgange Edward Schröder ein ahd. billa F. 
„Sauerteig“ gefolgert’). 

Die Stichhaltigkeit dieser Erklärung vorausgesetzt und in 
Betracht der Tatsache, daß das „Gären, Sauerwerden“ z. B. 
des Teiges und das Gerinnen, Sauerwerden z. B. der Milch 
nach alter Terminologie öfters gleich benannt werden, läßt sich 
ahd. billa eben wie air. baut zur Wurzel bhi- „schneiden“ ziehen. 

Dann stellt sich billa zunächst zu aengl., as. bil N., Gen. billes 
„Schwert“, as. ,paxillus: bil, pal, pin: paruus palus“ (Prud.- 
Gl.), mhd. bil bill- N. ,Steinhaue“ °) — ahd. billiu Instr., Neutr. 
„Schwert“ (Hildebrandslied) — nhd. bille F. „Mühlsteinshacke“, 
welche anerkanntermaßen mit ahd. bihal N. „Beil“ aus urgerm. 
*bi-bla- und aschwed. bild-er M. „Pflugschar“ usw. aus *bī-đla- 
(*bi-bla-?) zusammengehören. 

Die Formen mit A. urgerm. *billa- (*billiia-), -ön-, sind 
entweder nach Sievers, IF. IV 339, aus *bi-did- (: *bi-bla- ahd. 
bihal) oder, was m. E. vorzuziehen ist, durch germ. expressive 
Gemination aus *bi-la- usw. entstanden’). 

Nun werden ahd. kal und wgerm. bill von einigen Forschern 
nicht zur Wurzel bhei- (air. benaid, asl. bi-ti „schlagen“ usw.), 
sondern zur Wurzel bheid- (lat. findo, got. beitan usw.) gestellt; 
so zuerst de Saussure, der urgerm. *bifla- auf eine idg. Ursprungs- 
form *bheid-tlo- zurückführt‘). Zu Gunsten ersterer Wurzelkom- 


') Ihre weiteren, unter sich verschiedenen Ansätze sind verfehlt. Kluge, 
PBB. VIII 524, behauptet für della (-Z- aus urgerm -zi-) und got. beist ,Sauer- 
teig“ eine sonst ganz unbekannte Wurzel d%s- „durchdringen“. Schröder, Zs. f. 
deutsches Altert XLII 61, der eine durchaus unannehmbare Assimilation von 
idg. -d/- zu urgerm. JL zu erweisen sucht, zieht bla (-U- aus idg. -dl-) und, 
wie allgemein üblich, got. beist zu got. beitan „beißen“ usw. 

8) Mit aengl. wudu-bil gl. falcastrum (auch uuidudil, in ahd. Glossen 
eingemischt, s. Leydecker,. Bezieh. zwischen ahd. u. ags. Glossen, 1911, 46f.) 
vgl. besonders gall. dat) vidu-bium (aus idg. *-bhii-o-), das ebenfalls falca- 
strum glossiert. 

3) Von Schröder’s Erklärung von wgerm. bill aus idg. *bhid-lo- (a. a. O. 
.60f.) ist ganz abzusehen — Kluge, Etym. Wörterb. (unter Bille) und bei Kluge- 
Lutz, Engl. Etym. (1908) 18, erklärt Af aus urgerm. *bilja-, was an sich mög- 
lich ist; seine weitere Annabme aber, daß dieses auf idg. *dAhilio- aus urspr. 
*bhid-ijo- beruhe, wird nicht auf Nachfolge rechnen können. — Die Vermutung 
von Meringer, IF. XVIII 283f , daß zwei der Herkunft nach unverwandte Wörter 
in bil (bille) zusammengefallen seien, ist unbegründet und überflüssig. 

4) MSL. VI 255 = Recueil des publications scient. de F. de Saussure 430. 


Zur indogermanischen Terminologie der Milchwirtschaft. 13 


bination entscheidet m. E. unzweifelhaft aengl. bile M. „Schnabel; 
Rüssel (des Elephanten); Vordersteven“, Nebenform zu mengl. 
bill(e), nengl. bill „Schnabel“, das wohl selbstverständlich von 
wgerm. bill in den oben genannten Bedeutungen nicht zu trennen 
ist’); wegen des begrifflichen Zusammenhangs braucht es nur 
an nhd. „mit dem Schnabel picken“ und den Vogelnamen Nuß-, 
Fliegenpicker im Vergleich einerseits mit ä. nhd. picker „Stein- 
hauer“, nschwed. (Lw.) kvarn-picka „Mühlsteinshaue“, andrer- 
seits mit mhd. bil, bill- „Mühlsteinshaue“ erinnert zu werden. 

Jenem aengl. bile (aus *bi-li-) steht formantisch nahe nnorw. 
bil N. „Zwischenraum; Zeitraum“, awnord. bil N. „Weile, Zeit“ 
usw. (aus *bi-la-) mit dem Denom. schwed. dial. bela (anord. * bila) 
„durch eine Scheidewand, durch Balken trennen“ °). 

Da ein germ. Aë „hauen, schneiden, scheiden u. 8." demnach 
gesichert ist, fällt jeder triftige Grund weg, mit de Saussure u. A. 
ahd. bihal und wgerm. bill von der Wurzel bheid- abzuleiten. 


Göteborg. Evald Liden. 


Ablehnend oder schwankend Brugmann, Grundriß* I 636, II: 1, 343f.; Falk und 
Torp, Etym. Wörterb. 73 und bei Fick, Vergl. Wörterb.* III 269f.; Walde- 
Pokorny, Vergl. Wörterb. II 137; Trautmann, Balt.-Slav. Wörterb. 33 u. A. 

1) S. Uhlenbeck, PBB. XXVI 568; Kluge-Lutz a.a.0.; Falk-Torp bei Fick 
a. a. O. — Anders Lehmann, Zs. f. celt. Phil. VI 438 und Schlatter, Anglia 
XXXIII 141 Fußn. 3, welche aengl. bile mit ir. di} „Rand“ u. a. verbinden; 
über das ir. Wort s. aber H. Pedersen, Aspir. i Irsk (1897) 168, Vergl. Gr. d. 
kelt. Spr. I 117, 302; über das von Lehmann mitverglichene ahd. bilarna „gin- 
givae“ usw. a Schwyzer oben LVII 26dff. 

2) S. Falk-Torp, Etym. Wörterb. a. a. O. (vgl. S. 1437) und bei Fick a. a. 0.; 
Torp, Nynorsk etym. ordbok 23b; vgl. Torp, Sproglig-hist. Stud. tilegn. C. R. 
Unger (1896) 172f. — Auf die weit über das etymologisch Beweisbare hinaus- 
greifende semantische Monographie von A. Wolf, „Die germ. Sippe bi. Eine 
Entsprechung zu Mana“ in Spräkvetenskapl. Sällskapets i Uppsala Förhandl. 
1928—1930, 17—156 (Uppsala Univ.-s Arsskr. 1930) möge hier nur hingewiesen 
werden. 


14 E. Lidén 


Zur alten tieranatomischen Terminologie. 
1. Npers. rida — engl. read, schwed. rudda. 

Mpers. rot „Eingeweide (des Rindes)“ >’); npers. rida, Pl. 
rüdag-äni (aus mpers. *röta-k) „Gedärme, Eingeweide; der After 
eines Vierfüßlers*; — kurd. ruwi usw. „boyau, entrailles“; 

nordbaltitschi rap (ros) „Eingeweide“ *); — sarigoli roud „ds.“ *); 

w.-osset. röd, o.-osset. rad „Darm, Gedärme; Wurst“; rúdtag 
„Fleisch zum Wurstmachen*, rüdiaji fang „Dickdarm“ (fang 
„Darm“) ‘). 

Die iranische Grundlage dieser Formen ist zweifellos * rauta- 
(*rauta-ka-). 

Damit gehört nach Bartholomae j.-aw. wrudwara, -wan- N. 
„Eingeweide, Bauch“ aus urarisch *rut-uar-, -uan- zusammen’). 
Wegen des Formantischen vgl. z. B. j.-aw. sndvara ai. sndvan- N. 
„Sehne, Schnur* oder gr. eldag -aros (aus *édrag) N. „Speise“. 

Das awestische Wort sucht E. Schwyzer, Glotta XII 23ff. 
(1923), mit gr. 6&$0s, hom. deFéwy (bei Hesych onidyxvwv, ueA@v, 
owudtw»v glossiert) zusammenzubringen, indem er — ohne Rück- 
sichtsnahme auf pers. rūda usw. (idg. -t-) — für urudwara von 
idg. -th- als Wurzelauslaut ausgeht und zum Ansatz einer ver- 
wickelten Ablautsreihe wreth- urth- ruth- genötigt wird. Ich ver- 
weise auf die Kritik dieser Aufstellung von Hj. Frisk, IF. IL 101 ff. 
(1931), wo auch das schwierige griechische Wort begrifflich und 
etymologisch anders beurteilt wird. 


Wenn die betreffenden iranischen Wörter auf idg. *reuto- oder 
*routo-, bzw. rut-uer-, -yen- zurückgeführt werden, stellen sich 
m. E. folgende germanische Wörter als urverwandt heraus: 

a. Nengl. read (auch rede, reid, reed geschrieben) bedeutet 
nach dem NED. VIII 193 „the stomach of an animal, in later 
use spec. the fourth stomach [Labmagen] of a ruminant“. Nach 


1) Unvala, Der Pahlavi-Text „Der König Husrav“ (Wien 1917) 194. 

2) Über A aus -/- Geiger, Lautl. des Balūčī 32; Junker in dieser Zs. L 257f. 

3) Tomaschek, Centralasiat. Stud. II (1880) 55. 

*) Miller und Freiman, Osset.-russ.-d. Wörterb. II 1019f.; Miller, Oset. etjudy 
III (1887) 18410. — Ohne irgend welchen Grund denkt v. Stackelberg, Fünf osset. 
Erzähl. (1891) 83b, an Entlehnung des ossetischen Wortes aus dem Persischen. 

5) Bartholomae, Altiran. Wörterb., Sp. 1531f. Dadurch sind verschiedene 
frühere Ursprungsdeutungen, u.a. von Tomaschek a.a.Q., Geldner in dieser Zs. 
XXV 585, wogegen Bartholomae, IF. V 228, hinfällig. 


Zur alten tieranatomischen Terminologie. 15 


Wright, Engl. Dial. Dict. V 56, ist read (reade, rede, reed, rade, 
ready; red, reddy; rid) weit verbreitet in den Bedeutungen „the 
maw of an animal; the fourth stomach of a ruminating animal“, 
in einigen Mundarten „the uterus or fundament [After] of a 
cow“; dazu das Verbum read „to remove the fat from the en- 
trails of slaughtered animals“ mit reedins [readings] Pl. „the en- 
trails, which is rendered into lard with the ‘leaf’ [the inner layer 
of fat of a pig or of poultry]“. Im Mittelengl., um 1320 und 
später, ist das Wort wohl bezeugt. ` 
Im Altengl. erscheinen zwei Belege. Das NED. und Wright, 
a. a. O., verweisen nur auf die Alfricsglosse reada (um 1000), das, 
wie es sich aus dem Zusammenhange („intestina smalpearmas 
.. ilium ... ilia smalepearmas. tolia uel porunula reada. 
extales sn&del uel b&cpearm. exta midrif“)’) klar ergibt, ein 
bestimmtes Verdauungsorgan bezeichnet. Aber außer allem Zweifel 
erscheint dasselbe Wort in „toleam readan“ unter den altertüm- 
lichen Loricaglossen*). Es scheint mir nämlich offenbar, daß 
„toleam readan“ von „tolia reada“ nicht, wie es gewöhnlich 
geschieht, getrennt werden darf”). Weiterhin scheint es mir, 
gegen die übliche Annahme, unzweifelhaft, daß reada, readan 
Singulare, Nom. bzw. Akk., sind. Es ist demnach réada M. aus 
urg. *raudan- anzusetzen‘). | 
Nahe Verwandte des englischen Wortes habe ich vor kurzem 
im Arkiv för nord. filol. XLVIII 260f. nachgewiesen und zwar: 
b. Ält. ndl. roode bedeutet nach Kiliaen (Ende des 16. Jahrh.) 
teils „omasum, echini siue ventriculi pars“, teils „stomachi ap- 
pendix, et echinus, bouis ventriculus; dicitur et huyue, menigh- 
voude, boeck“°). Unter den von K. angegebenen Synonymen 


1) Wright-Wülcker, Vocabularies? I 1593s. 

2) Sweet, The Oldest English Texts (1885) 173, vgl. 615b; Kuypers, The 
Prayer Book of Atdeluald (Cambridge 1902) 871s. 

3) Für die Interpretation von toleam ist es bedeutsam, daß auch die 
irische Loricaglosse olea mit einem Wort für „stomachus“ (ingaile) übersetzt. 
Vgl. Schlatter, Journ. of Engl. and Germ. Philol. V (1905) 472, Fußn. 1. 

+) Sweet a.a.0.615b verzeichnet „readan pl. tonsils“ (!) unter dem Stich- 
worte réad „rot“(!), in seinem Dict. of Anglo-Saxon (1897) 139b „readan 
pl.(?) tonsils“. Der Glosse reada wird keine Erwähnung getan. — Clark Hall, 
Anglo-Saxon Dict.? (1916) läßt dagegen readan aus; für ,réada pl.“[!] gibt er 
die unbegründete Bedeutung „small intestines‘ an. — Bosworth-Toller, Dict., 
Suppl. 684b, führt beide Glossen zusammen auf; reddan übersetzt er „tonsil“. 
— Nur O. B. Schlutter, a. a. O. (vgl. Anglia XIX 469), hat die Glossen in der 
Hauptsache richtig beurteilt. 

5) Kiliani Dvfflaei Etymologicvm, ed. 1777, 539a. 


16 E. Liden 


beziehen sich menigh-voude und boeck deutlich auf den dritten 
Magen der Wiederkäuer, den Blättermagen: vgl. einerseits mhd. 
menigvelt, nhd. mannigfalt, engl. manifold, schwed. dial. mängfall 
usw. „Blättermagen“, anderseits nhd. buch, buchmagen, dän. bogen 
(„das Buch“), schwed. dial. mose-bok (eig. „das Buch Mose“) „ds.“. 
Dagegen kann die wirkliche Bedeutung von huyue (eig. „Haube“) 
schwerlich eine andere als „der zweite Magen, der Netzmagen“ 
sein: vgl. nhd. haube, schwed. dial. mask-huva (eig. „Maschen- 
haube“), konungs-huva (eig. „Königshaube*) „Netzmagen“. 

Die niederländische Form setzt eindeutig urspr. -au- voraus. 

c. Alt. niederd. pommer. rode F. „der dritte Magen bey 
wiederkauenden Thieren“ *); brem. roon „der dritte Magen eines 
Rindviehes, der fette Rindermagen, omasum“*). — Ein älteres 
Zeugnis liefert ält. dän. roden „abomasum, quartus ruminantium 
ventriculus“ 1622 in Colding, Etym. lat.”), das dem Niederd. 
entlehnt sein muß. 

Dem Niederd. entstammt unverkennbar auch ält. nhd. roden 
M. „der vierte Magen des Rindviehes“. In Grimm’s DW. VIII 
1109 wird Adelung’s Wörterb. (1774) als einzige Quelle ange- 
geben, auffallenderweise ohne weitere Auskunft‘). 

d. Schwed. dial. (Bohuslän) rudda F. „der vierte Magen 
(Labmagen) der Wiederkiuer“*). Es entspricht einem anord. 
*rudda (*rodda) F. aus urg. *ruddon-. 


Aengl. réada M. (nengl. read) setzt urg. *rauda-n- voraus; die 
niederl.-niederd. Formen können sowohl auf urg. *rauda-n-, --n- 
als *raupa-n-, -d-n- zurückgehen. Schwed. rudda — mit expres- 
siver Gemination des Wurzelauslautes — stellt eine verschiedene 
Ablautsstufe urg. *ruddö-n- dar. — Germ. *rauda-n- aus idg. 
*routé- deckt sich lautlich mit iran. *rauta- mpers. röt usw. 

Die spezielle Beziehung im Germ. auf den Magen, das Ge- 


1) Dähnert, Plattd. Wörterb. (1781) 383. ` 

*) Brem.-niedersächs. Wörterb. III (1768) 512. 

3) Kalkar, Ordbog til det ældre danske Sprog III 611a. 

4) Sonst finde ich das Wort nur bei Nemnich, Polyglotten-Lex. d. Naturgesch. 
I (1793) 5f., unter abomasum [Labmagen], wo der Roden, aber auch der 
Rom(!) und die sehr auffällige Form die Ruthe. Seine Quellen habe ich nicht 
ausfinden können. Rom ist als Fehler für niederd. ron (= roden) verdächtig. 
Ruthe scheint falsche Verhochdeutschung von niederd. rode zu sein: im Brem.- 
nieders. Wörterb. a.a. O. werden rode (room) „Rindermagen“ und rode „Rute“ 
tatsächlich zusammengeworfen. 

5) Nähere Auskunft über dieses Wort beim Verf. im Arkiv a. a. O. 


Zur alten tieranatomischen Terminologie. 17 


därme bei Tieren, besonders Wiederkäuern, wie sie nament- 
lich im Engl. vorliegt, kann auf sekundärer begrifflicher Beschrän- 
kung im Verhältnis zur iranischen Bedeutung beruhen; vgl. in- 
dessen osset. räd „(Gedärme), Wurst“ (: engl. dial. readins oben). 
Die weitere Verengerung zur germ. Bedeutung „der (2.), 3. oder 
4. Magen der Wiederkäuer ist sicher sekundär; ein Gegenstück 
dazu ist nord. vinstr „Labmagen* im Vergleich mit ahd. wenist 
„Wanst“, worüber unten S. 20. 


2. Ahd., asächs. ambon — gr. öugpaldc. 


Ahd. amban, -on, ampan, (Pl.) ambana, ampana erscheint 
mehrmals in den Prudentiusglossen als Übersetzung von lat. ab- 
domina (Pl.) und zwar stets zusammen mit uuanast, -est, uuenest, 
uuensth, (Pl.) uuanesta, wenosta („Wanst“) als Synonym’). 

Die altsächsische Entsprechung ist abdomina dmbön in zwei 
Handschriften der Werdener Prudentiusglossen °). 

Asächs. ambon ist, wie anerkannt, (Nom.-)Akk. Pl. eines mask. 
an-Stammes. Germ. Grundlage *amban-; zum Formans vgl. die 
sinnverwandten *mazan- ahd. mago „Magen“, *nabalan- ahd. na- 
balo „Nabel“. — Die ahd. Formen dagegen gehören zur mask. 
a-Deklination, ob durch Umbildung nach den sinnverwandten 
ahd. uuanast, Pl. -a „Wanst“, bah „Bauch“?°). 

Eine niederrhein. Quelle vom J. 1477 bringt ame, hame: 
(Pl.) „hamen dat synt twe lang smal stucken vleysch uyt eyns 
werkens [lies verkens ‘Ferkels’] buyck gesneden, abdomen“ ‘), 
Die Bedeutung macht es unzwei'elhaft, daß das Wort mit asächs. 
ambon „abdomina“ im Grunde identisch ist. Die Form — statt 
eines zu erwartenden *amme — erklärt sich durch Berührung 
(oder Verwechslung) mit einem zum selben sächlichen Gebiet 
gehörenden Worte, nämlich mndl. hame „Schinken, Keule vom 
Schwein; Hinterschenkel von Tieren“ mit der Nebenform mndl. 
hamme „Schinken; Kniebug“ (ahd. hamma, mnd. hamme, hame 


1) Ahd. GI. II 52*64 Abdomina amban 1 uuanast; — 5641516 Abdo- 


mina ambon 1 uuenest. äbana 1 uuanesta; — 4932 Abdomina ambana. 
Abdomen pinyucdo carnis .i. wenest ...; — 482s Abdomina apumn. uuensth; 
— 39556 Abdomina weuosta ampana; — 5105153 Abdumina ... ambana. 


Abdomen vuanest. 
23) Wadstein, Kl. altsächs. Sprachdenkm. 167b (Ahd. Gl. II 58261). 
3) Die ahd. Form ambon (1mal, gegen -an 2mal) läßt sich jedoch as. 
ambon yleichsetzen. 
t) G. v. d. Schueren’s Teuthonista. uitg. door J. Verdam 19a (ame), 139b 
(hame). Vgl. Richey, Idiot Hamb. (1755) 444. 
Zeitschrift für vergl Sprachf. LXI 1/2 2 


18 u E. Lidén 


usw.)’). — Zum asächs. ambon stimmen dagegen mehrere ält. 
niederrhein. Belege von ammen (neben amen) Mask. „die Bauch- 
seite des wilden Schweines“ (1553 usw.) ’). 


Keine Ursprungsdeutung des fraglichen Wortes ist meines 
Wissens laut geworden. Folgende Erwägung scheint mir eine 
außergermanische Anknüpfung zu ermöglichen: 

Bezeichnungen für Nabel erweitern sich öfters zu Bez. für 
die Umgebung des Nabels, den Bauch. In der bayrischen 
Mundart bedeutet der dicke Nabel in der Metzger- und Küchen- 
sprache das Bauchfleisch (vom Rindvieh)*). — Zu scheed dial. 
bamb „Wanst“ gehört norw. dial. bembel (aus *bambila-) „Nabel“; 
südschwed. dial. pempa-n (aus *pimp-) „Bauch; cunnus“ bedeutet 
auch „der Nabel“ *). — Altarm. port „Nabel“ bedeutet auch „Bauch, 
Magen“). — Lit. bambalas ,Dickbauch, Fettwanst“ zu bdmba 
„Nabel“ ist mit nhd. elsäss. schmalz-nabel „Dickwanst (Schelte)“ 
zu vergleichen‘). — Poln. pepek „Nabel“ bedeutet auch „Magen 
(vom Geflügel)“. — Zu npers. näf „Nabel“ gehört nafa „the belly, 
or skin of the belly of an animal“. 

Die tatsächliche Bedeutung des fraglichen westgerm. Wortes 
(„abdomen, Fleischstück aus der Bauchseite vom Schwein“) kann 
demnach, zunächst in der Metzgersprache, aus einer ursprüng- 
lichen Bedeutung „Nabel“ spezialisiert worden sein. Germ. *amban- 
aus idg. *ombho(n)- deckt sich dann wurzelhaft mit gr. öugpaidg, 
lat. umbilicus „Nabel“, umbo „(*Nabel,) Schildbuckel*; vgl. air. 
imbliu (aus *embh’- oder *mbh’-) „Nabel“. 

Bisher war als Bezeichnung für den Nabel (und die Radnabe) 
die Wurzelform (onbh-) ombh-, embh- (mbh-) nur im Griech., Lat. 
und Kelt., die Wurzelform nobh- nur im Germ., Balt. und Indo- 
iran. — ahd. nabalo (und naba „Nabe“), apr. nabis lett. naba, ai. 


1) Das mnd. Handwörterb. von Lasch und Borchling weist unter ,amme 
(caro) = hamme Schinken“ auch auf ame, hame „abdomen“ des Teuthonista 
hin, anscheinend ohne den verschiedenen Ursprung der verglichenen Wörter zu 
erkennen. — Das Woordenb. der nederl. taal V 1728 bemerkt nur (unter Ham III), 
daß die Bedeutung von kame im Teuthonista befremdend sei. 

2) S. die Belege bei Vilmar, Idiot. von Kurhessen (1868) 9. 

3) Schmeller-Frommann, Bayer. Wörterb. I 1712. Vgl. auch Grimm’s 
DW. VII d unter Nabel, Mom. 4. 

*) Hedström, Sydsmäl. folkm. I (1932) 59; Wigforss, S. Hallands folkm. 
37 mit Fußn. 7. 

5) Z. B 3.Makk.7,7 vasn portocn = LXX yaoteds Evexev, u. ö. 

: 6) Niedermann-Senn-Brender, Wörterb. d. litau. Schriftspr. 73; Martin- 
Lienhart, Wörterb. d. elsäss. Ma. 1 749b. 


Zur alten tieranatomischen Terminologie. 19 


näbhi- ndbhya- aw. nabä- näfa- usw. — sicher nachzuweisen’). 
Im Germ., eben in der Mitte der genannten Sprachgruppen, be- 
gegnen sich Ableger beider Wurzelformen, wenn die hier vor- 
geführte Herleitung von asächs. ambon usw. das Richtige trifft. 


3. Gr. Avvorgov — nord. vinstr, nhd. wanst. 


Gr. Avvoroov bezeichnet nach Aristot. den vierten Magen 
(Labmagen, Käsemagen) der Wiederkäuer, bei Aristoph. ein 
best., in Athen beliebtes Gericht aus Eingeweide o. 4. Hesych 
glossiert Frvvotgoy: Å newtn xoila av paguxalouévwy Zeg. 
ol dé (öno)yaorgıov hövousvov. ol dé tò xdAov; daneben évvotoor: 
tò wéya Evreoov tav ée.  xotdla (und ëuotoeroeon: tò Lower 
tis notdlas, Ev @ ù xéxeos). — Für die Vorgeschichte des Wortes 
ist die späte Form Zvvoroov» (auch LXX, Deuteron. 18, 3) gewiß 
von keinem Belang; v- für 7v- läßt sich durch Anlehnung an 
die Synonyme éyxoldia „die Eingeweide, die Dürme“, Zvrega, 
éytdodia „ds.“ erklären”). 

Eine annehmbare Ursprungsdeutung von Avvoreov fehlt”). — 


1) Gegen den Vorschlag von J. Loth, cymr. naf „Herr“ mit ahd. naba 
„Radnabe“ usw. zu verbinden s. Walde-Pokorny, Wörterb. I 130. — Überaus 
kühn und ganz verfchit ist der Versuch von H. Schröder, Ablautstud. (1910) 
14ff., mehrere germ. Wörter wie mbd. tbe „Bienenschwarm, stock" (nhd. imme) 
und mnd. amber „Eimer“ mit gr dugadds usw. zusammenzubringen; 8. dagegen 
u.a. Hj. Falk, IF. Anz. XXVIII 71; Hellquist, Sv. etym. ordbok 1212. — H. 
Pedersen, Vergl. Gr. d. kelt. Spr. I 187 erklärt asl. pop „Nabel“ und lit. Jamba 
„ds.“ aus einer reduplizierten Form der Grundlage von air. imbliu, aw. näfa- 
„Nabel“ usw. Meinesteils finde ich die übliche Zusammenstellung von popù mit 
lit. yamp-ti „aufschwellen‘, pamplys „Dickbauch‘, pamszas (aus *pampszas) 
„ds.“ durchaus überzeugend, s.z B. Trautmann. Balt.-Slav. Wörterb. 205; Verf., 
Arm. Stud. (1906) 44f. Ich babe ebenda lit. ddmba zu nnorw. bembel „Nabel“, 
Scheed bamb „Wanst“, bämba (aus *bambion-) „dickbauchiges Weib“ u a.m. 
gestellt und glaube daran festhalten zu können. (Weiteres zu den Lautkom- 
plexen pamp-, bamb- im Balt. und Slav. s. Niedermann, Wörter u. Sachen 
VIII 88f.. 94.) — Die rel. ursprüngliche Bedeutung sowohl von slav. popü als 
lit. bámba ist wahrscheinlich etwa „bauchige Rundung, Bauch“, dann „die 
Nab-Igegend® und „Nabel“, vgl. das eben erwähnte norw. bembel (*bambila-) 
„Nabel“ : schwed. damd „Wunst“. — Die Verdrängung des gemeinindogerm. 
Namens des Nabels hängt vielleicht von Tabu ab; an den Nabel knüpfen sich 
bekanntlich uralte magische Vorstellungen und Gebräuche. 

2) J. Baunack. Philologus LXXILI 221, faBt Zvosoreov als eine nur graphische 
Variante oder als Schreibfehler für Zvvoreo» auf. 

D Die althergehrachte Zusammenstellung mit dude ist wertlos. — Char- 
pentier, ZDMG LXXIII 135f. sucht 7v- mit ai. sasma „Brustlappen beim Rind- 
vieh“ und sugar mit #vis, homerischem Beiworte von Opferkühen („annicula“) 

2% 


20 E. Liden 


Besonders in Anbetracht der von Aristoteles gewährleisteten Be- 
deutung wird man nicht umhin können, ein anscheinend anklin- 
gendes nordgermanisches Wort ebenderselben Bedeutung 
zum Vergleich heranzuziehen: 

norw. dial. vinstr (vistr, vingstr) F., Pl. vinstrar „der vierte 
Magen der Wiederkäuer“ '); nisl. und färöisch vinstur (aus aisl. 
*vinstr) F., Pl. vinstrar „ds.“ °, shetl. (aus dem Nord.) vinster „ds.“ ; 

ält. schwed. wänster-en (1640; -en Endartikel); schwed. dial. 
vinster, vänster u.ä. F., — vinstar-a, vénster-a, venstr-a (-d-), vänstr-a, 
(Finnl.) vänstro, -u F. — allgemein vom südlichen Schweden (Öland, 
Halland usw.) bis Norrland und Finnland’); — die herrschende 
Bedeutung ist „der vierte Magen der Wiederkäuer, der Labmagen“‘), 
nur auf Gotland gilt die spezialisierte Bedeutung „Lab, coagulum 
(aus dem Labmagen des Kalbes)“ °); 


dän. dial. (südl. Jütland) venster „der Labmagen bei ausge- 
wachsenen Kühen“. 


— Eben wie aus dem %vvoreov wird aus der vinstr ein be- 
liebtes Gericht zubereitet °). 


Die Mehrzahl der nordischen Formen setzt ein zufällig nicht 
bezeugtes gemeinaltnord. *vinstr, Pl. *vinstrar F. voraus; von der 


zu vermitteln. Über letzteres Wort s Meillet, MSL. XXIII 274f., BSL. XXIX, 
c. r. 230 izu 2vog’ &viavıds Hes., idg. en- „Jahr“). 

1) Aasen, Norsk Ordbog? 937; Leem’s Norske Maalsaml. fraa 1740-aari, 
utg. ved Hannaas (1923) 237. 

3) Die isl. Bedeutung ist fraglos „der vierte Magen der Wiederkäuer“, s. 
besonders J. Thorkelsson, Suppl til isl. Ordbeger III (1897) 1293; B. Haldorsen, 
Lex. isl. (1814) II 444 Das neue isl Wörterbuch von Blöndal (1924) übersetzt 
vinstur mit „Kallun“ [dän.: ,Tiereingeweide* und „der vierte Magen der Wieder- 
käuer“]. Dazu vinstrar-gull, -kjalki, -snökur = konu-gédur, d h. „das 
dünne Ende des Blättermagens“. — Cleasby- Viyfusson, Icel.-Engl. Dict. (1874) 
gibt für o/mstr die unrichtige Brdentung „the third stomach ...“ an, was bei 
Falk und Torp, Etym. Wörterb. 1385; Torp, Nynorsk etym. ordbok 867b; Hell- 
quist, Svensk etym. ordbuk 1130b u. A. wiederholt wird. 

3) Rietz, Ordb. 811b; Bodorff, Folkspr. p& Oland 62; Wigforss, S. Hallands 
folkm. 42 (und Sv. Landsm 1926. B. 12, S. 22); Hedström, Sydsmäl folkm. I (1932) 
69; Kalén, Ordb o Fayeredsm. 419; O W. Sundén, Allmogelivet i en västgö- 
tasucken 27; Vendell, (Ostsv.) ordb. 1124. 

t) Vereinzelt auf den Labmagen älterer Tiere beschränkt (Sundén a. a. 0.). 
— Die Bedeutungsangabe „Netzmagen“ bei Kalén a.a.O wird irrig sein. 

5) Gul, vinstar, -er ‘aus *vinstr), s. Ihre, Dial Lex. (1766) 196; vgl. 
vinstar-ust ,\abkise* Klintberg, Sp:idda drag ur den gotl. allmogens lif 
(1914) 9; P. A. Säve, Akerns sagor (1876) 55; Lithberg in „Fataburen“ 1906, S. 77 

6) S. z. B. Leem a a. O.; Vendell a. a. O. 


Zur alten tieranatomischen Terminologie. 91 


schwed. Nebenform auf -a (vänstra usw.) kann als später Er- 
weiterung abgesehen werden. — Die mit Sicherheit zunächst zu 
erschließende urgerm. Form ist *ueniströ-'), das wiederum an sich 
sowohl vorgerm. *uenisträ- als *yenestra- lautlich gestattet. 

Für gr. fvvorgov setze ich nun mit Rücksicht auf das gleich- 
bedeutende germ. Wort eine Vorform *rnvvoroov voraus. Die 
Analyse derselben ist aber schwierig. Ein Stamm r7»v- entbehrt 
jeden Anhalts, und ein Suffix -voroo- ließe sich kaum leidlich 
begründen. Ein Kompositum 7v-vorgov mit einem zu Üoreoog, 
dotéoa gehörenden Hintergliede wüßte ich in begrifflicher Hin- 
sicht auch nicht glaubhaft zu machen. Bleibt dann die Möglich- 
keit, daß eine „volksetymologische“* Anlehnung an öoregog usw. 
(vgl. öoroos‘ yacıno Hes. und das späte évvotegov) eine Umbildung 
von *rnveoreov oder -ıorgov zu (F)nvvoreov bewirkt hat. Dann 
läßt sich eine formantische Vereinbarung des griech. und des 
germ. Wortes erreichen. Als idg. Grundform ergibt sich demnach 
eher * uénes-tro-, -trä- als *uenistro-, -@-, und zwar weil nhd. wanst 
sich so in den Vergleich auf befriedigende Weise formantisch 
mit einpassen läßt. 

Nord. vinstr verbinden Falk und Torp*) überzeugend mit ahd. 
uuanast (-est, später wanst), uuenist (-est, später wenst), Pl. uuanesta 
(für uuenesta-), wenosta „abdomina; farcimen, pinguedo carnis“, 
mhd. wanst, wenst, nhd. wanst, alt. und dial. auch wenst Mm — 
Germ. Grundlage *uanista- (aus alt. *uanesta-) und *uanasta-, 
event. *wanistu-, -astu-, falls die von den ältesten Quellen allein 
bezeugte a-Deklination aus urspr. -u-Deklination umgebildet sein 
sollte *). 

Nhd. wanst bezeichnet Baucheingeweide und zwar nach den 
älteren Belegen zunächst nur bei Tieren, den Magen und die 
Gedärme, besonders auch (wie schon im Ahd.) die Fettablagerungen 
des Tierbauches. Erst später belegt, aber gewiß als sehr alt an- 
zusehen ist die engere Bedeutung „der erste Magen, der Pansen 


1) Zur lautlichen Entwickelung vgl. awnord. vinstri, nschwed. vänstra 
(dial. auch -z-, -e-) „sinister“ aus urgerm. *uenistran-. 

2) In ihrem Norw.-dän. etym. Wörterb. 1385 und bei Fick, Vergl. Wörterb.* 
III 389, dann auch v. Bahder in Grimm’s DW. XIII Sp. 1912. — Später hat Torp, 
Nynorsk etym. ordbok 867 (dann auch Hellquist a. a. O.) vinstr lieber mit der 
germ. Wurzel uind- „winden“ verbinden wollen, wogegen aber Falk in der 
Zeitschr. Maal og Minne (Oslo) 1929, S. 12f. wohlbegründete Einwände erhebt. 

3) S. die ahd. (und späteren) Belege in Grimm’s DW., a. a. O. 

4) Zum Ablaut el »a in der Mittelsilbe s. J. Franck, Altfränk. Gramm. 
(1909) 22s; J. Schatz, Althochd. Gramm. (1927) 46, § 55. 


22 . E. Lidén 


der Wiederkäuer“; vgl. die Beschränkung der Bedeutung des 
nord. vinstr auf den vierten Magen der Wiederkäuer. 


— Die oben genannten Wörter — nord. vinstr, gr. Nvvoroov, 
als Umbildung aus *rnveorgov aufgefaßt, und ahd. uuenist uuanast 
— scheinen einen es/os-Stamm idg. *wénes-, *uones-, -os- als Grund- 
wort vorauszusetzen. Die ersteren sind am ehesten als kompara- 
tivische Bildungen auf (-tero-) -tro- von der Art von gr. ö60£0-Tegog 
„bergig“ (: ögos N.) aufzufassen '). Das deutsche Wort erklärt 
sich als Ableitung mit -to- (event. -tu-) von bekanntem Typus: 
vgl. z. B. aengl. öcus-ta M. (aus *ökas-ta-n-) „Armhöhle“ neben 
nnorw. östr F. (aus *öhs-trö-) „die Höhlung über dem Schlüssel- 
beine“ zu aengl. orn F. (aus *ohs-and-) „Achselhöhle*, lat. ax-illa 
„ds.“; lat. arbustum (: arbös), angustus (: *angös, angor, vgl. asl. 
020s-ti „Enge“ zu ai. dmhas- N. „Angst“). 

Mit ahd. uuanast usw. wird seit jeher‘) ved. vanisthi- M. 
etwa „Mastdarm“ oder „ein in der Nähe des Netzes liegender 
Körperteil*“ verbunden", Die Analyse dieses Wortes ist um- 
stritten; vielleicht aus idg. *xenas-thu-*). 

Betreffs sonstiger hierher gemeiniglich gezogener Wörter — 
lat. venter, vénsica, ai. vasti- „Harnblase* — genüge es, auf die 
Übersicht bei Walde-Pokorny, Vergl. Wörterb. I 190f. hinzuweisen. 
Nur möchte ich got. wamba „Bauch“ (nhd. wamme usw.) gegen 
Falk und Torp, Etym. Wörterb. 1391 und F. Muller Izn, Altital. 
Wörterb. 533, aus der Verwandtschaft ganz ausscheiden. 


4. Gr. yallıa — altwestnord. vil. 


Gr. ydilıa: Zvreoa Hes. ist nur dort überliefert und zwar 
ohne Ethnikon, weshalb die Wahl zwischen urspr. y- und -r an 


1) Betreffs Bildungsart und Bedeutung vgl. z. B. ved. äntrd- N. „Einge- 
weide“ (gr. Zvreoa Pl. „ds.“ usw.). S. besonders Meillet, Etudes sur l'étym. ... 
du vieux slave 167f.; Brugmann, Grundriß? II 1, 329f., 607. 

2) So z. B. Bechtel, Zs. f. deutsches Altert. XXI (1877) 224. 

3) Oldenberg, Rgveda denkt zögernd an Verwandtschaft mit vanam-kärana- 
„Bez. eines best. Körperteils“ RV. X 163s. 

14) Wegen des mutmaßlichen -/ku- neben -/u- vgl. das häufige ai. -tha- 
neben -/a-, z. B. awgusthd- M. „Daumen“, wkthd- N. „Spruch“ usw. — Johansson, 
IF. XIV 324 (dann auch Torp bei Fick a.a.O.; vgl. Charpentier, Le monde orient. 
VI 133) erklärt vanisthu- aus idg. *uenad-sthu- „im Bauch befindlich“; das 
Hinterglied sei ai. -sthu- (: sthä- „stehen“); das Vorderglied liege auch in lat. 
venter, vensica u.a.m. vor. Die Hypothese entbehrt aber tatsächlichen Anhalts; 
vgl. die ablehnenden Bemerkungen von Persson, Beitr. z. idg. Wortforsch. 109, 
Fußn.3. — Anders über vanisthu-, nhd. wanst, lat. vensica, venter Brugmann, 
IF. XII 183, Fußn., vgl. XIV 324, Fußn. 2. 3 


Zur alten tieranatomischen Terminologie. 23 


sich frei ist"). Bei Ansatz eines urspr. y- ergibt sich mir keine 
befriedigende Anknüpfung”).. Wenn man dagegen die Lesung 
*saddia wählt und dies auf *rady® (idg. *ul-no-) zurückführt, stellt 
sich das Wort ungesucht zu der im Griech. reich vertretenen 
Wurzel yel- „winden, drehen, umhüllen usw.“ (elfów, -éw, yeiai: 
ovveılnjocı Hes. usw.). Zum Begrifflichen vgl. besonders die dahin 
gehörenden uË „ein best. Darm“, Pl. ZAıxes „die Windungen 
der Eingeweide“ Aristot., eidedg „Darmverschlingung“ Hippokr. 

Ganz besonders ist zu beachten awnord. vil N., Dat. Pl. -jum 
„viscera“, nisl. vil N. Pl. „die feineren Eingeweide“, speziell „der 
Dünndarm von Tieren“, urgerm. *wel-ia-, das, wie anerkannt, zu 
der erwähnten Wurzel gehört >’). 


5. Gr. xédov, xalia — arm. katird — lit. skilvis, | 
skilandis. 


Gr. xddov „das Gedärm vom Caecum bis zum Rectum“ er- 
scheint zuerst bei Aristoph., Equ. 455. Gegenüber der daneben 
überlieferten Schreibung x@/ov (und xw4ıxds) ist die Form x040v 
u. a. durch das Metrum bei Aristoph. gesichert. 

Betreffs der Verwandtschaft des Wortes bemerkt Boisacq, 
Dict. &tym. 486 nur als eine vage Möglichkeit, daß es zu xvdddc 
„krumm“ usw. gehören könne. — Herbert Petersson, Stud. über 
d. indogerm. Heterokl. (Lund 1921) 152f., vergleicht xd40v mit 
arm. k‘atird, lit. skilvis usw. Seine Kombinationen scheinen mir 
ernste Beachtung zu verdienen, geben aber dabei im einzelnen 
Anlaß zu verschiedenen Bedenken. | 

Zu xddov gehört gewiß — mit anderer Wurzelstufe — xa- 
Aidıa" Evrega. Köngioı Hes.‘). Zum Suffix uo vgl. z. B. das 
begrifflich verwandte Evrood-idıa „Eingeweide“ ^). | 


D Der nur auf Konjektur beruhende Zusatz zap& Adxwor bei Moritz 
Schmidt, Hes. Lex., ed. min., überzeugt nicht. — Uber xaAldıa' Evrepa. Konpios 
Hes., auf das Lobeck, Rhem. 118 N., und M. Schmidt a. a. O. zum Vergleich 
hinweisen, s. sogleich unten. 

*) Das anklingende air. gaile, nir. goile „the throat, the stomach, the 
larger intestine“ gehört wahrscheinlich zu ir, gel- „fressen“, -gleinn- „ver- 
schlingen“ (so Macbain, Etym. Dict. of the Gael. Láng: 3 a): vielleicht auch 
zu gr. yoddées „Gedärm“. 

3) Falk u. Torp, Etym. Wörterb. 466, und bei Fick III* 400. — Begriff- 
liche Parallelen, teilweise fragwürdig, bei H. Schröder, IF. Anz. XXVIII 29; 
Walde-Pokorny, Vergl. Wörterb. I 243. t) O. Hoffmann, Bezz. Beitr. XV 47. 

5) Hierher auch véi tò yaododmevoy (Cyrill. yaododucov) Hes.: Zum 
Formans vgl. xöA«, -cxes „Eingeweide“ (: yodddes). Uber ngr. yapdovuvıc (aus 
it. caldume) „Eingeweide“ s. den Bericht nach Amandos in der Glotta V 294. 


24 E. Liden 


Arm. k‘atird, Gen.-Dat.-Lok. Sing. k‘atrdi, Instr. Sing. k‘atrdav 
„Eingeweide (von Tieren)“ kommt früh und häufig vor, z. B. im 
AT., wo es xoıAla und &vddodıe der LXX übersetzt‘). — Es wird 
häufig katir“ geschrieben’), Aus lautlichen Gründen kann bet 
der Wahl zwischen -rd und -rť schwerlich nur ersteres als alt 
betrachtet werden; letzteres erklärt sich durch die mittelarm. 
Verschiebung von rd zu rt’). 

Für k’atird erschließt Petersson in sehr verwickelter Weise 
ein idg. Grundwort von der Art von ai. ydkrt, arm. leard „Leber“. 
Schon die Struktur des Vorstücks, dessen ? urspr. -In- (oder Ze) 
voraussetzt, macht solche Rekonstruktion durchaus unglaubhaft. 
Das Suffix (-dhro-) -dhrä- wäre etwa leichter annehmbar. Eher 
aber könnte k‘atird nach dem Muster des begriffsverwandten und 
öfters in einem Atem genannten leard aus *k’ali o ä. neuge- 
schaffen worden sein‘). 

Das Vorstück k’ati- als die rel. ursprüngliche Form des Wortes 
aufgefaßt hat eine gewisse Stütze an dem synonymen Reimwort 
ati-k, Gen. ateag Plur. „Eingeweide“’), — Arm. kał? vertritt 
regelrecht idg. gI-n". 

Lit. skilvis, -io „Bauch, Magen (bes. von Vögeln)‘; lett. SKilvis 
(dial. skillis, Skilis durch Assim, von -lv-) „Magen, von Vögeln“; 
skilva „ds.“°); zum Formans vgl. das begriffsverwandte lit. pilvas 


„Bauch“; — lett. skil-na „Hühnermagen; Gänseleber“; wegen 
Formans und Bedeutung vgl. lett. zarna „Darm“, Pl. „Einge- 
weide“; — $kil-sts „Gänsemagen“; wegen Formans und Bedeutung 


vgl. lett. ?ksts „Niere“. 

Dazu lit. skiländis, -džio „der mit Fleisch gefüllte geräucherte 
Schweinemagen, Wurstmagen“. Das Suffix ist dasselbe wie im 
begriffsverwandten asl. Zelgdüuku, serb. Zéludac „Magen“, s. darüber 


1) Über den gleichlautenden arm. Flußnamen s. Hübschmann, IF. XVI 478. 

2) Die kritische Ausgabe der arm. Bibel vom J. 1805 bietet sowohl -rd 
(z. B. Exod. 19, 13) als -ri“ (z. B. Levit. 3, 3). 

3) Über den Wandel von Media zu Tenuis asp. in der Stellung nach r 
s. Karst, Gramm. des Kilikisch-Arm. 83f., § 99. 

: 4) Die späte Form k“alert‘, die Petersson unrichtig verwertet, scheint von 
neuarm. Zerd, dial. Jert* (Karst a. a. O. 184, Fußn. 2) abzuhängen. 

5) Uber die Etymologie von aték* Petersson a. a. O. 158 (zu poln. jelito 
„Darm“ usw., worüber anders Brückner, KZ. XLV 23, 301, XLVI 197f.; Schefte- 
lowitz, KZ. LIII 248). 

6) Auch 3kilbis, šķilmis. — Dial. Kilvis (und durch Assim. killis) „Hühner- 
kropf“ ist nach Endzelin in Mühlenbach’s Wörterb. II 381a, „wohl in livischem 
Munde aus 3kilvis entstanden“. Das & vor ¢ kann selbstverständlich nicht ohne 
weiteres dem Er in arm. k‘atird gleichgesetzt werden, wie Petersson a. a. O. meint. 


Zur alten tieranatomischen Terminologie. 95 


besonders P. Persson, De origine ac vi primigenia gerundii latini 
(Upsala 1900) 33, 35, 58, 130°); Meillet, Etudes sur l’&tym. ... 
du vieux slave (1902) 322f. 


Die hier verglichenen Wörter gehen in formantischer Hin- 
sicht stark auseinander, besonders auffällig im Lettischen; die 
Verschiedenheit läßt sich indessen, wie hervorgehoben, durch 
formantische Anlehnung an begriffsverwandte Wörter genügend 
erklären. Die Annahme einer anfänglichen gemeinschaftlichen 
Grundlage (s)gol-, (s)gl- läßt sich daher schwerlich abweisen. 

Nach Persson, Beitr. z. idg. Wortforsch. 786 gehören lit. skil vis 
und skiländis zur Wurzel (3)qgel- „spalten“ °), was bezüglich sämt- 
licher jetzt besprochenen Wörter zwar möglich, in sachlicher Hin- 
sicht aber einstweilen nicht recht greifbar erweislich ist. 


6. Germanische Bezeichnungen der Nachgeburt. 


Aengl. halan (DL) ist nur einmal in Kontext bezeugt: „zate 
zeallan on wine zedruncen wifa halan him ofadep ond hi 
zehzlep ‘goat’s gall, drunken in wine, removes women’s after- 
birth for them, and heals them“ Leechdoms ... of Early England, 
ed. Cockayne I 356, vgl. IT 389b. Hierzu kommt nur ooch die 
in zwei althochdeutsche Glossensammlungen hineingeratene aengl. 
Glosse „secundarum halana, id est uterus qui sequifur partum“ 
Ahd. Gl. IV 259s; so zuerst Schlutter, Engl. Stud. XLII (1910) 
197; Michiels, Uber engl. Bestandteile altd. Glossenhandschriften 
(1912) 70. 

Ein Mask. (hala), Pl. halan, Gen. halana ,secundae; Nach- 
geburt“ steht demnach fest’). 

Die Herausgeber der Ahd. Gl., a. a. O., Fußn. 12, stellen halana 
zu ahd. hala „Hülse“, ohne des aengl. Charakters der Glosse ge- 
wahr zu werden. Bei Bosworth-Toller, Anglo-Saxon Dict., Suppl. 
502 wird halan mit ahd. halu „tegmine“ verbunden. Michiels 
verbindet halan, -a mit aengl. hulu „Hülse“, ahd. hulsa „ds.“, und 
Holthausen, IF. XLVIII (1930) 256 mit ahd. halu „tegmine“, 


1) In Anbetracht der nahe verwandten Bedeutungen von skildndis und 
lat. crassundia „Dickdärme“ sollte Persson’s formantische Deutung des letzteren 
Wortes nicht gänzlich übersehen werden, wie es bei F. Muller Izn, Altit. Wörterb. 
110 und Walde-Hofmann, Lat. etym. Wörterb. 285 geschieht. 

2) Ebenso Berneker, Slav. etym. Wörterb. I 151 (unter dervo) und Endzelin, 
a. a. O. IV 41 (unter 3%ilois); vgl. Walde-Pokorny, Wörterb. Il 594; Petersson a. a. O. 

3) Schlutter a. a. O. setzt eine Nebenform *Zehalan an auf Grund seiner 
wohl unnötigen Konjektur für Zeallan im erwähnten altenglischen Text. 


26 E. Liden 


außerdem mit nndl. haal N. „Nachgeburt, von Stuten“, das 
schon bei Franck-van Wijk, Etym. Woordenb. 222 u. A. eben 
demselben ahd. Worte zugesellt wird ’). 

Nun gibt es freilich ein germ. *halan- in der vorauszu- 
setzenden primären Bedeutung „Hülle o. ä.“ nicht. Sonst ist 
gegen die behauptete Verwandtschaft kaum was einzuwenden, 
in begrifflicher Beziehung jedenfalls nichts", Dennoch entscheiden 
folgende Tatsachen gegen die bisherige Ansicht. 

Nordfries. (Föhr) hialing F. „Heilung“ und „Nachgeburt“ zu 
hial „heil, ganz“, (Moringer Ma.) „hijlling“ „Nachgeburt“, (Ock- 
holm) hiliv zu hiel „ganz, gesund“, hila „heilen“ usw" — zu 
afries. hél (häl-) „heil“, héla „heilen“. 

Daran schließen sich ndl. he(e)ling F. „Nachgeburt, von Kühen“ 
und heel (Genus unbestimmt) „ds.“, welche beide von dem Woor- 
denb. d. nederl. taal VI Sp. 279, 514, bzw. 258, aus dem Ende des 
18. Jh. belegt, aber falsch zu ndl. helen „hehlen“ gestellt werden. 
— Mit diesem heel muß offenbar das oben erwähnte haal M. 
„Nachgeburt, von Stuten“ — erst im Nndl. belegt — zusammen- 
gehalten werden. Der Vokal erweist, daß haal auf eine friesi- 
sche Form mit @ aus urspr. ai, etwa *hdla, zurückgeht‘). 


Aus den nordischen Sprachen gehören hierher: norw. dial. 
heil „ganz, gesund“, von der Kuh „die die Nachgeburt abgestoßen 
hat“; heila seg „die Nachgeburt abstoßen“°), eig. „sich heilen“; 

schwed. dial. Gotland hail-d „Nachgeburt“ °), norw. dial. hild, 
hill F., neuisl. hyld-ir und -ar F. Pl. „Nachgeburt, von Tieren, 
bes. von Kühen“’), welche awnord. *heild, aengl. held (nengl. 


1) Ebenso Woordenb. d. nederl. taal V Sp. 1373. 
*) Cockayne a. a. O. weist auf aengl. cildhama gl. „secundae“ (: hama 
„Hülle*), ä. ndl. kamme „Nachgeburt“ usw. hin. 

3) J. Schmidt-Petersen, Wörterb. d. nordfries. Spr. 60a (Tedsen, Zs. L 
deutsche Phil. XXXIX 29ss); B. Bendsen, Die nordfries. Spr. (1860) 66; P. Jensen, 
Wörterb. d. nordfries. Spr. der Wiedingharde (1927) 201; E. Löfstedt, Die nord- 
fries. Mundart des Dorfes Ockholm I (Lund 1928) 105 mit Fußn. 10. 

4) Vgl. afries. hal-sum „heilsam“. Über afries. a (~ 2) aus ai s. van Helten, 
IF. XIX 185 ff. 

5) Auch heilna seg (vgl. got. hailnan) und heel-se se u.a. „ds.“ ER sp. 
awnord. heilsa „heilen*). 

6) Ihre, Sw. Dial. Lex. (1766) 68b; auch kail, s. Wennersten, Nygutn. 
ordbok (1902) 105b. | 

°) Die neuisl. Schreibung mit y (ausgespr. d) ist unhistorisch; sie scheint 
auf — jedenfalls orthographischer — Assoziation mit hylja „hüllen“ oder kyld 
„zerfetztes Kleidungsstück“ zu beruhen. 


Zur alten tieranatomischen Terminologie. 97 


health) aus urgerm. *hailifo- entsprechen; — Nebenform schwed. 
dial. hälla, iellda (Dalarna), häll F. (Värmland), norw. dial. (helda) 
helle, helle F. und held-or, hillo F. Pl. „Nachgeburt, von Tieren“ 
aus awnord. *heil-da P". — Uber die nordischen Wörter s. Torp 
in Maal og Minne 1913, 24; ders., Nynorsk etym. ordbok 206, 
208 (unter heil, bzw. heldor)?). 


Aengl. halan ist danach unzweifelhaft als hālan, Abstrakt- 
bildung zu häl „heil“, aufzufassen. Es ist geradezu identisch mit 
dem gleichbedeutenden norw. heile M.*). Eben wie fries. hialing 
und gotl. haild usw. ist hälan urspr. Abstraktum und wird plura- 
lisch gebraucht eben wie norw. held-or, neuisl. hyld-ir, -ar. 

Die Nachgeburt wird auch sonst als „Heilung“ aufgefaßt; 
das bezeugt ostfries.-nd. sund-els , Nachgeburt einer Kuh“ zu sund 
„gesund, heil“ im selben Dialekt‘). | 

— Die oben verglichenen Wörter stellen unzweifelhaft eine 
uralte Übereinstimmung zwischen dem Anglofriesischen und dem 
Nordischen in der Terminologie der Viehzucht dar. Dagegen wird 
es sich in den folgenden Fällen um unter sich unabhängige Be- 
zeichnungen handeln. Schwed. dial. (Upland) rens-ning „Nach- 
geburt, vom Vieh“, eig. „Reinigung“ (zu rensa „reinigen“ von ren 
„rein“) gehört stammhaft zusammen mit nhd. elsäss., schweizer. 
sich reine" „die Nachgeburt von sich geben, auswerfen, von Kühen 
usw.“, elsäss. rein, rein-te, rein-sel, schweizer. rein-i F., rein-i"g F. 
„Nachgeburt der Kühe“*). Vgl. nhd. dial. sich fegen „die Nach- 
geburt abstoßen, von der Kuhn", — Diese Bezeichnungen sind 
darin begründet, daß die Nachgeburt öfters als „Schmutz“ auf- 
gefaßt wird; so wird z. B. gr. yógiov , Nachgeburt* im Deuteronom. 
28,57 von der Vulgata mit „illuvies secundarum“, von der arme- 
nischen Bibel mit att, eig. „sordes“, übersetzt. Ostfries. falsel 
„Fäulnis, Schmutz“, dän. dial. Jütland skarn (skdn) „Kot“ be- 
deuten auch „Nachgeburt“. 


Nndl. licht N. „Nachgeburt, Gebärmutter, von Kühen“, ost- 
fries. ligt N. ,Nachgeburt* wird im Woordenb. d. ndl. taal VIII 


1) Norw. dial. auch kilde M.; helle, haile N.; hil-sk-o F. Pl. „ds.“. 

*) S. die Formen bei Aasen, Norsk Ordbog 201b; Ross, Norsk Ordbog 
310b, 323a, mit „Tillæg“ (1902) 18b; — Rietz, Sv. Dial.-Lex. 117b; Levander, 
Dalmälet I 2082, 15, 314; Noreen, Ordbok o Fryksdalsm. 137a. 

3) Bei Ross am letztgen. Orte belegt. 

4) Doornkaat Koolman, Wérterb. d. ostfries. Spr. III 265b; vgl. Löfstedt a. a. O. 

5) Rietz, a. a O. 521b; Martin-Lienhart, Wörterb. d. elsäss. Mundarten II 
264; Schweiz. Idiot. VI Sp. 991f. 6) Bretschneider, IF. XLVIII 188, 193. 


28 E. Liden, Zur alten tieranatomischen Terminologie. 


Sp. 1958 aus urgerm. *leh-ti- zu leg- „liegen“ erklärt und mit ahd. 
lehtar (s. unten) zusammengestellt. Es existiert aber m. W. kein 
*leh-ti-, das übrigens Fem. sein müßte und zum Genus von licht 
nicht passen würde. Dieses gehört gewiß zu ndl. licht „leicht“ °) 
und ist zusammenzuhalten mit schwed. dial. (stidschwed.) lätte M. 
„die den Fötus umgebende Haut; Nachgeburt, von Kühen“ zu 
lätt „leicht“, dial. (Schonen usw.) „die gekalbt, die die Nachgeburt 
abgestoßen hat, von der Kuh“; din. dial. letn-ing „amnium vac- 
cae“ von let-ne „leichter werden“ = schwed. dial. (Dalarna) litt-n 
(aus anord. */étt-na) „kälbern“; — ält. din. let „gekälbert habend“ 
. (eig. „leicht*), u-let „gravida“ (eig. „unleicht“) = awnord. ú-létt 
„gravida“; — norw. dial. letta seg „gebären, entbunden werden“ 
(eig. „sich leichten“); awnord. verda léttari „gebären, von Frauen“ 
(eig. „leichter werden“)*). — Dazu auch engl. dial. light „of a 
woman: brought to bed of a child“ ; lightered „ds.“ (eig. „unloaded“)°). 

Das gleich oben erwähnte ahd. lehtar „Gebärmutter; Nach- 
geburt“ (Graff II Sp. 162) dagegen ist wohl unzweifelhaft als urgerm. 
*leh-tra- zu leg- „liegen“ aufzufassen‘). Zur selben Wurzel ge- 
hören asl. loge (*logh-io-) „Lager; Gebärmutter“, bulg. lóže „ds.“, 
auch „Nachgeburt“, asl. loges-na „untoa*; gr. Adxıe Pl. „Nach- 
geburt“. — Germ. *leh-tra- deckt sich genau mit gr. A&xıoov ` 
„Lager“; vgl. awnord. látr N. „Lagerstätte (der Tiere)“ aus urgerm. 
*lah-tra-, mit unursprünglichem Wurzelvokal. 


Göteborg. Evald Liden. 


1) So bereits Doornkaat Koolman, Wörterb. d. ostfries. Spr. II 508b, aber 
mit falscher begrifflicher Begründung. 

2) Rietz, Sv. dial.-lex. 422a (wo „latta“ unrichtig statt lätte M., nach 
gütiger Mitteilung von Dr. I. Ingers); Ericsson, Bidrag t. Södermanlands ä. 
kulturhist. III 58; — Molbech, Dansk Dial.-Lex. 321; Kalkar, Ordbog t. det 
ældre danske sprog 11 782, IV 637b; Feilberg, Ordbog over jyske almuesmäl 
III 968b; — Aasen, Norsk Ordbog 442. | 

*) Wright, EDD. III 597a, 598b. 

t) So Schade, Altd. Wörterb.? 541, und (zögernd) v. Bahder, Verbalabstr. 
(1880) 147; Wilmanns, DGramm. II? 281; vgl. Sievers, PBB. V 525. Falsch 
Rietz a. a. O. 


G. Morgenstierne, Neupersisch vada und Verwandtes. 99 


Neupersisch ruda und Verwandtes. 
(Zusatz zu S. 14). 


Von Professor Lidén dazu angeregt, füge ich seinem Aufsatz 
„Zur alten tieranatomischen Terminologie“ einige Angaben über 
die ir. Wörter der *rauta-Sippe bei. 

rūda < *rautaka- ist das gewöhnliche np. Wort für „Darm, 
Gedärme“, kommt aber auch in anderen Bedeutungen vor. Vullers 
übersetzt es mit „intestina, nervus arcus et chorda instrumenti 
musici, ope aquae fervidae depilata ovis vel plumis spoliata volucris 
ad assandam’); per analogiam arbor foliis nudata“. Bei Steingaß 
findet man außerdem: „the fundament of a quadruped, anything 
steeped in hot water, a river“. 

Die zuletzt gegebene Bedeutung scheidet natürlich aus. Mit 
der Angabe „ope aquae... depilata* usw. vergleiche man die 
ähnlichen von Vullers (s. v. rod) gegebenen Bedeutungen, die aus 
dem Burhän-i-Qati‘ stammen, und Steingaß und Richardson rida 
kardan „to pour hot water (amongst flour when baking)“ °); „to 
take feathers off a bird (by scalding)“. 

Die eigentliche Bedeutung von rūda (*roda) in dieser Ver- 
. bindung ist also etwa „abgebrüht“. Eine semasiologische Ent- 
wicklung „Darm“ > „glatt, haarlos* >> „abgebrüht“ ist wenig 
ansprechend und würde auch nicht zu der ersten von Steingaß 
gegebenen Bedeutung von rūda kardan stimmen. 

Nun findet man im Ar. raudag „abgezogenes Fell, zum Braten 
abgehäutetes Zicklein“°), „stripped, flayed skin; a kid ready for 
roasting, the hair being scalded off; meat cooked and mixed with 
potherbs and other seasonings“*). Bei Lane und Dozy kommt 
das Wort nicht vor, aber es wird wohl doch alt sein. Es ist ja 
nämlich offenbar, daß es mit np. rūda verbunden werden muß. 
Lautlich ist ar. Ursprung des np. Wortes ausgeschlossen, und 
. raudag kann nicht aus rvda entlehnt sein, sondern muß aus einer 
mittelir. Form übernommen sein. 

Ar. -d- kann natürlich mittelir. A. < -d- vertreten. Dann 
müßte np. -d- dialektisch sein, vgl. zod „Helm“ neben seltnerem zo 
usw, D. Altir. *rauda- könnte mit altwnord. reyta „abreißen, rupfen 


1) Aus dem Farhang-i-Su‘ari. 

*) Die Quelle dieser Angabe habe ich nicht nachweisen können. 
3) Wahrmund, Hındwb. d. neuarab. u. d. deutschen Sprache. 

D Johnson, Persian, Arabic, and English Dictionary. 

5) Horn, GrIrPh. I, II 386f.; Markwart, Ung. Jahrb. VII 104. 


30 G. Morgenstierne 


(Haare usw.)“ und verwandten germ. Wörtern verglichen werden. 
Aber die Annahme einer solchen unregelmäßigen Lautvertretung 
im Np. bleibt immer unsicher, und ar. -d- wird wohl auch spät- 
mittelir. -d- aus -t- wiedergeben können. Die Lautverhältnisse der 
mittelir. LW. im Ar. sind nicht genügend untersucht worden; aber 
jardagat, aus einer älteren Form von np. girda „rundes Brot“ ') 
entlehnt, scheint doch darauf zu deuten, daß auch in einem Wort 
mit ar. -ag aus mittelir. -ak (oder -ag?) altir. -t- schon durch d, ô 
vertreten sein kann. Auch braucht wohl nicht ar. au aus einer 
noch diphthongischen ir. Form zu stammen und auf sehr hohes 
Alter der Entlehnung zu deuten, sondern wird Substitution von 
mittelir. 6 sein können. 

Über die Etymologie des Wortes, falls es altir. -t- enthält, 
wage ich keine Vermutung zu äußern. Lautlich könnte man rëd(a) 
als das Partizip von einem Verbum *räyam, *rūdan auffassen, 
das sich zu Skr. srävayati „läßt fließen“ wie z. B. saräyam, surüdan 
` „singen“ zu srävdyati verhalten würde. Aber semasiologisch be- 
friedigend ist diese Erklärung nicht. 

Die übrigen . Bedeutungen von rida lassen sich glatt aus 
derjenigen von „Eingeweide, Darm“ ableiten. Was besonders 
„fundaments of an animal“ anbetrifft, macht mich Prof. Liden 
auf engl. (dialektisch) read in ähnlicher Bedeutung aufmerksam. 

Der Majhtlvokal findet sich noch in kabuli-np. roda*) und 
in den np. Dialekten von Badachschan und Madaglascht*), wie 
auch in hindi röda „gut, intestines, catgut“, kaschm. roda f. 
„bowels“‘). Dagegen in russisch Zentralasien rida’). Auf ir. 
Gebiet habe ich das LW. rūda im Wachi und im Ormuri (aus 
dem Logartal) gehört, und Zukovskij*) gibt rudd, rudd aus Siwend 
und Kohrud an. | 

Echte Dialektformen sind dagegen talisch rud „boyau, inte- 
stin“ ”), Sô rüyeh „Eingeweide, Gedärme“ °), Sede rve und ähnliche 
Formen aus zentralen Dialekten. Auch mundschi rüyei, yidgha ri 


1) Horn, Np. Etym., Nr. 901. — Ar. auch jardagat. 

2) Diese und weitere Formen, für die keine Quelle angegeben werden, 
stammen aus meinen eigenen Aufzeichnungen. 

3) Lorimer, Bakhtiari, Badakhshani, and Madaglashti Phonology, s. vv. 

*) Elmslie, bei Grierson. A Dictionary of the Kashmiri Language. 

5) Semenov, Mater. dlja izu& nareétija gorn. tadZikov Centr. Aziji, 8. v. 

6) Mater dlja izuč. persidskix narédija, II s. v. 

IB V Miller, TalySskije Teksty 247. 

3) Huutum-Schindler, Beitr. zum kard. Wortschatz (ZDMG. XXXVIII) s. v. 


Neupersisch ruda und Verwandtes. 31 


„Gedärme“, und wohl auch yaghnobi rútä „Eingeweide“ *) gehen 
auf *rautaka- zurtick. 

Np. kommt auch réda@ „bowstring, gut, branch vor, und 
diese Form findet sich als Lehnwort im paratschi rudd’ „Gedärme“, 
hindi rödä „gut, intestine, sinew, bowstring, branch of a creeper“, 
bihari „leather string (of the spinning wheel)“ *), marathi „catgut“ ‘). 
Mit sekundärem Suffix np. radak „kleines Musikinstrument“. — 

Phl. rötik „intestine, gut, eier" ist im Np. nicht erhalten 
worden, wohl aber im Kurd. se", riwi’) usw. W. Balotschi und 
Brahui haben rétivk, O. Bal. rothivk. Es scheint, als ob das Wort 
in dieser Form ins Balotschi aus dem Brahui zurückentlehnt worden 
ist, denn das Suffix -wk scheint dieser letzteren Sprache eigen- 
tümlich zu sein, wie man aus Sir Denys Brays bald zu erscheinendem 
Brahui-Wörterbuch entnehmen kann, daß mir durch die Güte 
des Verfassers zur Verfügung gestellt worden ist^’). 

Gewöhnlich wird im Ost-Bal. die unerweiterte Form röd, bei 
Dames’), Gilbertson ’°), und Mayer'') auch rod, roz „Eingeweide“ 
gebraucht. Dem entspricht np. rod ,intestines, gut, string of a 
bow or a musical instrument, song, music“ "TL. Die Bedeutung 
„Eingeweide, Darm“ scheint im Np. nicht belegt zu sein; aber 
die abgeleitete findet man in mehreren Zusammensetzungen, wie 
rudsaz, rüdzan, rüdgar „musician, harper“, rzdjäma „lute“, und 
auch in hindi LW. röd „string of a lute“. 

Ossetisch rad, rd „Darm, Gedärme, Wurst“ **) ist sicher ein 
einheimiszhes Wort, und es gibt auch keinen Grund sarigoli 
raud „entrail“ *™*), rawd „intestines“ **), bartangi und oroschori 


1) Ujfalvy, bei Junker, Yaghnobi St I 10. 

2) Steingaß. 3) Grierson, Bihar Peasant Life 64. 

4) Molesworth, Mar. and Engl. Dict., aber nicht in Lele und Kinare, The 
Student’s Enyl. and Mar. Dict. 

5) West, Glossary and Index etc. 139 (r2dtk transcribiert). 

e) Justi-Jaba, Dict. kurde- francais s. v. 

7) Ivanow, Notes on Khorasani Kurdish, JASB 1927, 232. 

8) Vgl. z. B. pddink „anklet, footring“, pūrčīnk „wild lavender“, xarīnk 
„tear“, puri(nk) „drop“ Das aus dem Sindhi eutlehnte djarink (neben jari) 
„Eingeweide“ hat natürlich sein Suffix von röfink übernommen. 

°) Text Book of the Balochi Language 51. ) 

10) Enylish-Balochi Dictionary I 81. 11) English-Biluchi Dictionary 21. 

13) Steınyaß, ähnlich auch Vullers. 

18) Miller, Ossetisch-deutsches Wb. 1019. 

14) shaw, On the Ghalchah Languages s. v. 

15, Bellew, ın Forsyth, Report on a Mission to Yarkand 1873, Voc. s.v. 


32 G. Morgenstierne 


rüd, yazghulami rad „Gedärme, Eingeweide“') für entlehnt zu 
halten. Dagegen spricht die Bedeutung, die, wie gesagt, im Np. 
nicht belegt ist. 

Aus den Pamirdialekten muß auch ischkaschmi récik*) récik*), 
mit sekundärem Suffix, erwähnt werden. 

Eine erweiterte Form ist auch kurd. ridain „bowels“*), vgl. 
bachtiari rz-in „entrails“°), die wohl aus *rautanya- abzuleiten ist. 

Ein np. *rzdär finde ich nicht. Aber diese Form muß als 
Grundlage für bal. rödär „bow-, or fiddlestring“ ^) vorausgesetzt 
werden. Über -är vgl. Horn, GrIrPh. I, II, 177. Im Masärmi, einem 
Fars-Dialekt, heißt „Leber“ rzdär’). 

Aus dem Np. stammt auch wachi guhri „Darm“, wohl eigentlich 
„Mastdarm“ D), obwohl ich das np. Wort nicht nachweisen kann. 

Im Mahallati bedeutet ra „das Innere, in“*). Mit np. rū 
„Gesicht, Oberfläche, auf“ kann es nicht identisch sein, und 
vielleicht hängt es mit rad zusammen. Vgl. die umgekehrte Be- 
deutungsentwickelung z. B. in np. darun „Inneres“ > „Magen, Ein- 
geweide*. 

Paschto lərai (lére, lára, lörai usw.) bedeutet nach Raverty 
„bowels, intestines“, nach Bellew „small intestines, bowels, gut“, 
im Waziri-Dialekt „stoinach“ '°), und in einem von Boyle heraus- 
gegebenen Sprichwort'') „tripe“. Selbst habe ich es in der Be- 
deutung von „Gedärme“ gehört; aber Elif Khan, ein Mohmand 
aus Gandab, der jetzt an der afghanischen Gesandtschaft in Berlin 
angestellt ist, teilt mir mit, daß das Wort „Gekröse* („von Menschen 
wie auch von Tieren“) bedeutet "7, ich weil} aber nicht ganz genau, 
was er damit bezeichnen will. „Darm“ heißt nach ihm, wie auch 
sonst, kulma, und „Eingeweide“ larmūn. 

lərai habe ich**) von *udaruka- abgeleitet. Und obwohl aw. 
udara- (in udarö-Irgsa- „auf dem Bauch kriechend“) den Bauch 


1) Zarubin, K. xarakteristike mundžanskogo jazyka, Iran, I 165. 
2) Zarubin, Le 

3) Stein, bei Grierson, Ishkashmi, Zebaki, and Yazghulami. 

t) Soane, Kurdish Grammar s. v., „ai very much like Fr. ër, 


5) Lorimer, op. cit. s. v. 6) Dames, op cit. 8. vV. 
7) Mann, Kurdisch-persische Forschungen I 56. 
8) Vgl bal. sagindawk, sayindä „Daim“. °») Mann, op. cit. III, 188. 


10) J.G. Lorimer, Grammar and Vocabulary of Waziri Pashto 243 

11) „Naglüna* (Alla! abad, 1926), Nr. 77. 

12) Früher hat er mir einmal die Bedeutung „small pieces of meat in the 
intestines“ angegeben 

13) Etym. Vocab. of Pashto s. v. 


Neupersisch vada und Verwandtes. 33 


bezeichnet, ebenso wie zaza här'), sakisch #ra-*) und mundschi 
yilar, yidgha (ër, wird wohl doch diese Erklärung richtig sein, 
weil sie zu derjenigen von ormuri (von Kaniguram) wär „larai“ 
stimmt. 

Sonst wäre es phonetisch gut möglich, Zarai mit Metathese 
aus *ralai”) < *rutaka- abzuleiten, mit derselben Ablautsstufe, die 
in aw. urudwan- „Eingeweide“*) und auch in einigen von den 
von Lidén verzeichneten germ. Wörtern vorliegt. 

Im kurdischen Dialekt von Abdi findet man eine Form leru 
„Darm“ °), die man vielleicht beim ersten Anblick mit brai in 
Verbindung setzen möchte. Die benachbarten Formen, talahedeschk 
leharz, zängänä-kurdisch liyäru°), gurani lixărū, sind mit Metathese 
aus mukri-kurd. rixölah”), kändulai rirätu, rixälu‘) „Darm, Ein- 
geweide“, kurd. rīxiūù (vgl. rixwär) „bowels“ °) entstanden. Ir. au 
scheint nicht gewöhnlich zu kurd. 3 zu werden *°), sonst könnte 
man annehmen, daß hier ein Kompositum mit ri- < röt- vorläge. 

Mit dieser Sippe gänzlich unverwandte Wörter für „Ein- 
geweide, Gedärme“ sind kurd. ziräw, sūčgār ,intestines“*’), hendv 
„bowels“ **), doran'*), wachi savgar „Eingeweide“ (woraus khowar 
saugor), ischkaschmi zdnjak usw., ormuri „ai „Gedärme* (< 
*andrya-), paschto larman „Eingeweide« (vgl. bartangi darmin) > 
mundschi darin „Eingeweide“ (aus dem SP) 

Auf rein indo-arischem Gebiet kommt *rauta- als Erbwort 
nicht vor. Aber in den Kafirsprachen findet man waigeli wrz, 
aschkun 20 „Gedärme (roda, kulme)“, die aus *rauta- abgeleitet 
werden können. | 


1) v. Le Coq, Kurdische Texte II 110. Aber nach Soane, op. cit., kurd. 
hür „intestines“. | 

*) Nach Leumann, oben LVII 196; aber rañ- f. „Gedärme“, vgl. Maitreya- 
Samiti, 66,16. Die genaue Bestimmung der Bedeutung der sak. Formen bleibt 
natürlich unsicher. 

*) Wie lar „Weg“ <*ral<"rädt-, lara „zu, für“ < *rala < *rada. 

t) Von Bartholomae (IF. V 228) mit rūda verbunden, unter Zurückweisung 
von Geldners Vergleich mit uruzda- (oben XXV 689). 

5) Zukovskij, Materialy II 238. 

°) Mann, Kurd.-pers. Forsch. III, 11 277; Houtum-Schindler, op. cit. s. v. 

7) Mann, op. cit. III, II 277; Houtum-Schindler, op. cit. s. v. 

8) Mann, loc. cit. ?) Soane, op. cit. 8. v. 

10) Vgl. doch civdk = čöb, pist = post, GrIrPh. I, II 267. 

11) Soane, op. cit. s. v. Vgl. Houtum-Schindler mukri zeraü „Milz, Galle“ 
< pp. zardab. 18) Jardine, Bahdinan Kurmanji s. v. 

18) Adjarian, Recueil de mots kurdes (MSL. XVI) s. v. 

14) Zarubin, Abh. d. Pamir-Expedition 1928. VI, Orosorskije teksty islovar 31. 

Zeitschrift für vergl. Sprachf. LXI 1/2. 3 


34 | G. Morgenstierne 


Im W. Balotschi kommt ein Wort rötag „Wurzel“ ') vor, das 
im Brahui in der Form rota, rötg „root, fibre, strand, string“ *) 
wiederkehrt. Lautlich müssen diese Wörter aus *rautaka- ent- 
standen sein, und semasiologisch ist die Verwandtschaft mit np. 
roda sehr gut möglich, vgl. besonders oben np. rödä „branch“ 
und hindi „branch of a creeper“. 

Freilich gibt Mayer "neben dem gewöhnlichen roday „wachsen“ 
usw. auch rotay (w. bal. rötag), und setzt als Bedeutung „to sprout 
as a root“ an, vgl. bei Gilbertson‘) ruday auch in der Bedeutung 
„to take root“. Aber die Ableitung von röday usw. aus aw. raod- 
„wachsen“ ist zweifellos richtig, und es wird wohl bloß eine lautliche 
und semasiologische Beeinflussung von rötag „Wurzel“ auf *rödag, 
roday vorliegen. ` | 

.. Schwierigkeiten bereitet kurd. rat „twig“°), rot „verge“ °, 
weil man im Kurd. nicht Bewahrung des -t erwarten sollte’). 
Justi vergleicht bal. rötag und erwähnt auch „syr. rauto, ar. 
gadım“°) aus S[ocins handschr. Sammlungen]. 

Im ''Syrischen bedeutet nach Brockelmann’) raufä „ramus 
longus et tenuis populi aut salicis; palus; trabs“, und ähnlich bei 
Payne Smith *°). Ar. kommt raut vor, in der Bedeutung „Balken“ **), 
„Chevron, pontelle“ '*), „longue branche détachée d'un arbre, p.e. 
d'un peuplier“ `"). Lane kennt das Wort nicht, Wahrmund be- 
zeichnet es als modern, Belot als vulgär und syrisch-arabisch, 
und Dozy zitiert es aus dem Mohit al Mohit, das nach seiner 
' Angabe“) viele nicht-klassische, vulgäre, aus Syrien stammende 
Wörter enthält. Das ar. Wort wird wohl daher, wie mir Prof. 
Leander beistimmt, syr. Ursprungs sein, und das kurd. Wort 
kann aus dem Neuar. stammen. Syr. rautä wird aber eine alte 
Entlehnung aus dem Ir. sein. 

= Dozy führt auch ar. raudagah „perche, gaule“ aus Pedro de 
Alcalas Vocabilista aravigo (1505) an. Es ist vielleicht möglich, 


1) Pierce, A Description of the Mekranee Beloochee Dialect s. v. 

2) Bray, op. cit. 3) Op. cit. 163. 4) Op. cit. II 556. 

5) Soane, op. cit. 6) Justi-Jaba, Dict. kurde-francais. 

7) S. kurmandschi put „empty, rotten“ (Soane, JRAS. 1922, 211) wird wohl 
ein LW. aus dem Np. (vgl. pūda) sein können. 

8) Ar. gadim habe ich nur in der gewöhnlichen Bedeutung „alt“ usw. nach- 
weisen können. Dozy gaddim „sparte d’ont on fait des chordes, petite espéce 
de kalfa“ wird doch kaum herangezogen werden können. 

°?) Lexicon Syriacum s. v. 10) Supplementum to the Thesaurus Syriacus. 

11) Wahrmund, op. cit. 12) Belot, Voc. arabe-français. 

13) Dozy, Suppl. aux lexicographes arabes. 14) Op. cit. XI. 


Neupersisch rada und Verwandtes. 35 


in diesem Wort eine unabhängige ar. Entlehnung aus dem Ir. 
zu sehen. ! 

Neben np. röd- in röda/rüda usw. „Darm“ und dem etymo- 
logisch davon verschiedenem Wort, das in der Bedeutung „ab- 
gebrüht“ vorliegt, kommen noch andere np. Wörter vor, die einen 
ähnlichen Stamm enthalten. | 

Erstens das wohlbekannte rod „Fluß“, dann rad (rod?) „Kind“, 
auch „a beautiful brunette, a comely youth* (Steingaß), das sich 
auch in den Dialekten findet, z. B. in bacht. ra(d)'), siwendi 
rad”) und kumzari rir’). Das Wort hängt vielleicht irgendwie 
mit känduläi ré/d „Kind, Sohn“ und ähnlichen Formen‘) zu- 
sammen, vgl. auch kumzari rok ,child“*). Eine Ableitung aus 
*fra-hüta-, die Lidén für mich angedeutet hat, würde sehr an- 
sprechend sein. Unsicher bleibt nur, ob man für diese südlichen 
Dialekte einen Übergang fr- > hr- > r- ansetzen darf, oder ob 
das Wort aus dem Nordwestir., wo es noch nicht nachgewiesen 
ist, herstammen kann. 

Im Ar. findet man raudag, raudak°), raudakat, raudakat „a 
small camel or sheep“ °). Über die Möglichkeit, daß diese Wörter 
ir. Ursprungs sind, und mit rzd „Kind“ usw. verwandt sind, wage 
ich nicht zu urteilen. | 

Auch np. rödak „nomen animalis, alias wasg dicti (aus dem 
Burhän-i-Qati‘), lupus cervarius (nach Meninski)“’) weist auf 
mittelir. *röt-, falls nicht eine Entlehnung aus einem anderen 
Dialekt vorliegt. Der Burhan-i-Qati gibt an, daß aus seinem Fell 
Pelzröcke verfertigt werden, und daß das Tier fetter und sein 
Pelz wertvoller wird, je mehr man es schlägt. Von dem wasq 
wird gesagt, daß es dem Fuchs ähnlich sei, in Turkistan lebt, 
und daß ein aus seinem Fell verfertigter Pelzrock gegen Hämor- 
rhoiden schützt. Desmaisons übersetzt sowohl rodak wie wasg mit 
„loup-cervier, lynx“, und Richardson gibt für wasq die Bedeutungen 
„panther, beast engendered between a wolf and a hind“ an. 
Unter diesen Umständen ist es unmöglich, die ursprüngliche Be- 
deutung von rödak festzustellen. Möglich ist es aber, daß das 
Wort eigentlich eine bestimmte Art von Fuchs bezeichnet, und 
daß dialektisches röd- aus *rauda- „rot“ entstanden ist. 


1) Zukovskij, op. cit. III 170. 2) Op. cit. III 237. 
3) Aus Major Cox und Captain Trevors nicht herausgegebenen Vokabular, 
das mir Sir George Grierson zur Verfiigung gestellt hat. 
+) Mann, op. cit. III, II 278. 5) B. Thomas, JRAS. 1931, 808. 
*) Richardson und Johnson. 7) Vullers. 
3* 


36 W. Sch., xadcg uèv Ideiv, tegnvds 62 np00eıneiv. 


Endlich muß der Vollständigkeit wegen np. rodang*) (auch 
rodan) „Krapp“ erwähnt werden, das auch als LW. im Paschto, 
Pandschabi und Brahui vorkommt. Dies Wort hat aber kein altes 
-t-, sondern ist ins Np. aus einem Dialekt entlehnt worden, der ir. 
-d- bewahrt. Bei einem Wort für eine Farbenpflanze ist eine solche 
Entlehnung auch nicht sachlich unwahrscheinlich. Es kommen im 
Np. auch andere, einheimische Formen vor, wie röyan(äs), ronas, 
roynas*), röyan(g), röyina usw. und als LW. kurd. rūnās. Lehn- 
wörter sind auch, wegen des -d-, wachi urudän, sarigoli araden’), 
aber nicht notwendigerweise bal. röden, rödin‘).. Vgl. auch mit 
Metathese ischtahird nérisk’). Die altir. Form wird man als 
*raudana- ansetzen dürfen, und die Pflanze ist natürlich nach 
der roten Farbe benannt worden‘). 

Göteborg 1932. Georg Morgenstierne. 


KaAOs pèv idciv, repnvds 5€ mpooceineiv. 

Oben XLII 380 habe ich zu dieser Wendung einer attischen 
Inschrift des 5. Jh.s v. Chr. (IG I* 923) Parallelen aus litauischen 
Volksliedern nachgewiesen: gras? Ziureti, meili kalbéti. In einer 
späten Grabschrift aus Köln heißt es ganz ähnlich hic iacit 
Artemia dulcis, aptissimus®!® infans, / et visu grata et verbis dul- 
cissima cunctis. / quattuor in quinto ad Christum detulit annos 
Bücheler, carm. epigr. 772 = Bonner Jahrb. 108/9, 1902, 156 nr. 
136%). Zu der Altersangabe vgl. Bücheler 387,5 quadraginta duo 
mecum fero flebilis annos (420,3. 1069,3; attulit 740, 2°); anders 
tetuli 1044,6 tulit 403,2 pertulit) 718,4. 784,3 und erst recht 
841). 498,7 liest Bücheler et tulit Elysium viginti eft quattuor 
annis]. Darf man Elysium als Ortsakkusativ auffassen und annos 
ergänzen? Vgl. CIL III s. 7584 (Bücheler zu carm. epigr. 859) 


estote memores iterum [El]ystis co/fulturi. W. Sch. 
(Nach Horn, Np. Etym. ist diese Form unbelegt. 
3) Auch zuybär, zuynär für *ruynäz. 3) Shaw, op. cit. 93. 
*) Dames, op. cit. 93. 5) Zukovskij, op. cit. II, 237. 


6) Vgl. Tomaschek, Centralasiatische Studien II 61. 
1) Anders Bücheler 52, 7: 

sermone lepido, tum autem incessu commodo. 
8) Bücheler 55, 18 s.: 

bis hic septeni mecum natales dies 

tenebris tenentur Ditis aeterna domu. 


R. Loewe, Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 37 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 
(S. o. LX 145.) 


III. Westindische und guayanische Wörter. 


Von den bekannten Wörtern, welche die Europäer aus Ame- 
rika entlehnt haben, stammen die meisten aus Westindien, ob- 
gleich dies nur von wilden Indianern bewohnt worden ist. Namen 
von Pflanzen wie Mais und Tabak, von Tieren wie Leguan und 
Kaiman und von Gebrauchsgegenständen wie Kanu und Hänge- 
matte sind freilich auch in sehr vielen anderen Teilen der neuen 
Welt und hier auch bei Kulturvölkern zu finden; wenn die 
Europäer ihre Bezeichnungen hierfür speziell den Sprachen West- 
indiens entnommen haben, so hat das natürlich daran gelegen, 
daß die Spanier die so benannten Dinge in Westindien, das 
Columbus zuerst entdeckt hat, kennen gelernt haben. 

Die Indianer Westindiens gehörten nach Ausweis ihrer Sprachen 
zwei verschiedenen stidamerikanischen Familien, der arowakischen 
und der karibischen, an. Arowakisch waren größtenteils die Be- 
wohner Cubas, Jamaicas, Haitis und der Lucayischen Inseln 
(Bahamainseln), karibisch die der kleinen Antillen und Porto Ricos. 
Die Inselarowaken sind schon sehr früh, vielleicht schon sämtlich 
im 16. Jahrhundert, ausgestorben; infolgedessen von ihren Sprachen 
nur einzelne Wörter überliefert sind. Aufgezeichnet worden sind 
diese Wörter von den Geschichtsschreibern der Entdeckung Ame- 
rikas, besonders von las Casas, Oviedo und Martyr, verschiedene 
aber auch schon von Columbus selbst. Die Sprache der Insel- 
kariben hat sich bis in die Gegenwart erhalten; inselkarıbisch 
wird noch von einem kleinen Reste der Kariben auf Trinidad 
sowie von den nach Britisch Honduras verpflanzten Mischlingen 
von Kariben und Negern gesprochen (Müller 271; Otto Stoll, Zur 
Ethnographie der Republik Guatemala 29ff.). Doch verdanken 
wir die Kenntnis des Inselkaribischen hauptsächlich bereits dem 
Missionar Breton aus dem 17. Jahrhundert. 

Die arowakische Familie, die diesen ihren wissenschaftlichen 
Namen nach den in Britisch und Niederländisch Guayana sitzenden 
Arowaken führt, ist in einzelnen Gruppen über einen großen Teil 
Südamerikas zerstreut. Auch die zur karibischen Familie (die 
wissenschaftlich so nach den Inselkariben heißt) gehörenden 
Sprachen sind vielfach von einander geographisch getrennt; doch 
werden die meisten derselben in einem zusammenhängenden Ge- 


38 R. Loewe 


biete gesprochen, das den größeren (östlichen) Teil Venezuelas und 
den größten Teil Guayanas sowie das angrenzende Brasilien bis 
zum Amazonenstrom umfaßt (vgl. Schmidt, Atlas, Süd-Amerika). 
Obwohl einzelne der von Stämmen der arowakischen Familie 
bewohnten Landstriche, darunter auch das Land der eigentlichen 
Arowaken, vom Hauptgebiete der karibischen Familie rings um- 
schlossen sind, werden doch die meisten Sprachen ersterer Gruppe 
westlich und südwestlich des karibischen Hauptgebiets gesprochen. 

Westindien ist ursprünglich nur von arowakischen Stämmen 
bewohnt worden. Bei den Inselkariben hat noch im 17. Jahr- 
hundert die (von Breton berichtete) Tradition bestanden, daß sie 
selbst vom Festlande gekommen wären und ihre Inseln erobert 
hätten, und daß die Kariben in Guayana, von den Franzosen 
Galibi genannt, ihre Verwandten wären. Nur aus dieser Erobe- 
rung ist auch die höchst merkwürdige Tatsache zu erklären, daß 
bei den Inselkariben noch zu Bretons Zeit die Frauen eine andere 
Sprache als die Männer geredet haben. Großenteils hat allerdings 
die Frauensprache mit der. Männersprache übereingestimmt; wo 
aber beide Sprachen verschiedene Wörter für denselben Begriff 
besessen haben, sind die der Männersprache meist karibischen, 
die der Frauensprache meist arowakischen Ursprungs (Adam, Du 
parler 8ff.). Man hat das richtig damit erklärt, daß die Kariben 
auf den von ihnen eroberten von einem arowakischen Stamme 
bewohnten Inseln die Männer getötet, die Weiber aber zu ihren 
eigenen Ehefrauen gemacht haben. 

Die meisten von den Europäern entlehnten westindischen 
Wörter stammen aus Haiti, das die Spanier zu ihrem Haupt- 
quartier gemacht hatten. Hierbei ist aber zu bemerken, daß es 
auf Haiti mehrere Sprachen gegeben hat. Die Hauptsprache war 
die der Taino im Westen der Insel mit dem Hauptort Xaraguä. 
Las Casas, Hist. 66 (5), 486 unterscheidet von der Sprache von 
Xaraguä die der „Macorix de abajo“ und die der „Macorix de 
arriba“. Vielleicht sind die Macorix ein Stamm der karibischen 
Familie gewesen (so nach Schmidt 254). Für die Entlehnungen 
in das Spanische kommt aber wohl fast nur die Sprache der 
arowakischen Taino in Betracht. 


1. Kannibale. 


Um das Verhältnis von , Kannibale“ zu „Karibe“ festzustellen, 
hat schon 1875 J. H. Thumbull, N. a. Q., Fifth Ser., Vol. IV, 172 
diejenige Schrift herangezogen, die zuerst beide Namen enthält, 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 39 


das Tagebuch des Columbus von seiner ersten Entdeckungsreise. 
Thumbull bemerkt, daß, als Columbus von der Nordküste Cubas 
aus ostwärts steuerte, seine indianischen Reisegefährten ihre. Be- 
sorgnis vor den menschenfressenden Caniba äußerten, und hält 
deswegen mit Recht diese Indianer für Cubaner, Caniba also für 
die cubanische Namensform für das menschenfressende Volk. 
Sodann verweist er auf die weitere Nachricht des Columbus, daß 
die Haitier Caribes anstatt Caniba sagten. 

Genaueres über den Ursprung von span. canibal läßt sich 
nur ermitteln, wenn man auf die einzelnen auf die Kariben be- 
züglichen Stellen bei Columbus näher eingeht. Columbus nennt 
das Volk, vor dem sich seine indianischen Begleiter fürchteten, 
zuerst am 23. Nov. 1492 (S. 63) als „otros. que se llamaban Cani- 
bales“ und sodann am 26. Nov. (S. 67) als „los de Caniba 6 Cani- 
ma“. Am 11.Dez. (S. 86) berichtet er abermals von der Furcht 
der Indianer „de los de Caniba“ und meint, „que Caniba no es 
otra cosa sino la gente del gran Can“. Am 13. Dez. (S. 88) führt 
er die Worte eines Indianers an ,que los christianos no eran de 
Cariba“. Am 17. Dez. (S. 94) wurden ihm Pfeile gebracht „de 
los de Caniba ó de los Canibales“. Am 26. Dez. (S. 115). sagt er 
in einem Bericht über Espaniola, wie er Haiti nannte, „los de 
Caniba, quellos llaman Caribes“. Am 2. Jan. 1493 (S. 121) spricht 
er schon kurzweg von „los Caribes“ und wiederum so am 13. Jan. 
(S. 134) zweimal. Am gleichen Tage berichtet er, daß nach der 
Auskunft eines Indianers die Insel Matinino „al Leste de Carib“ 
lige. Am 13. Jan. sagt er S. 135, daß die Insulaner sich tiber- 
haupt „de Carib“ fürchteten, wobei er hinzufügt „y en algunas 
le llamaban Caniba, pero en la Española Carib“. Am gleichen 
Tage (S. 136) redet er dann wieder von „los de Carib“ und „los 
Caribes“ und gebraucht am 14. Jan. (S. 137) die Worte „y en 
Carib y en Matinino; am 15. (S. 138) sagt er „en la Isla de Carib“ 
und „en Carib* und am 16. (S. 139) „la Isla de Carib“. 

Wenn Columbus die Menschenfresser bei ihrer zweiten Er- 
wähnung „los de Caniba 6 Canima“ nennt, so kann das nichts 
anderes heißen als „Einwohner von Caniba oder Canima“, und 
wenn er hier bemerkt, daß diese Leute auf der Insel Bohio wohnen 
sollten, so kann er sich damals das Land Caniba nur als einen 
Teil dieser Insel vorgestellt haben. Für die Indianer aber wird 
Caniba (Canima) in erster Linie ein Volksname gewesen sein, da 
sie ja vor keinem Lande, sondern vor einem Volke Furcht hatten. 
Das Land derjenigen Caniba freilich, vor denen sie sich fürchteten 


40 l R. Loewe 


(wahrscheinlich die Insel Porto Rico, auf die Columbus zuzusteuern 
schien), könnten sie vielleicht auch Cuniba genannt haben; keines- 
falls aber haben sie selbst in ihrer Sprache.als zweite Form des 
Volksnamens ein Canibal oder Canibale besessen. 

Als Columbus nach Haiti gelangt war, notierte er, daß man 
dort Caribes für los de Caniba sage, gebraucht aber für Caribes 
später auch los de Carib. In Caribes ist ja das s deutlich spani- 
sche Pluralendung; Canibales verhält sich aber zu los de Caniba 
fast genau so wie Caribes zu los de Carib. Ein *Canibaes zu bilden 
hinderte Columbus offenbar die unbewußte Scheu vor dem Hiatus; 
als Plural des Volksnamens aber konnte er auch kein *Canibas 
gebrauchen, weil dessen Singular mit dem von ihm als Landes- 
namen empfundenen Caniba zusammengefallen wäre (während 
sich zu Caribes ein vom Landesnamen Carib verschiedener Singular 
Caribe denken ließ). So schuf er sich denn zu dem von ihm als 
Landesnamen verstandenen Caniba als Volksnamen ein span. Ca- 
nibales, wobei ihm der Volksname Españoles vorgeschwebt haben 
wird. Nach dem Verhältnis von España zu Españoles hätte frei- 
lich zu Caniba streng proportionell ein *Caniboles gebildet werden 
müssen; doch ist Columbus hier instinktiv von dem Bestreben 
geleitet worden, den Volksnamen dem Landesnamen möglichst 
ähnlich zu gestalten. Ein solches Bestreben hat ihn wohl noch 
mehr geleitet, wenn er zu dem von ihm gleichfalls als Landes- 
namen empfundenen Carib durch bloße Anfügung von -e im 
Singular, -es im Plural einen Volksnamen Caribe mit dem Plural 
Caribes gebildet hat. 

Daß Columbus Caniba und Carib au wo sie sicher als 
Volksnamen gemeint waren, als Landesnamen verstanden hat, 
wird besonders daran gelegen haben, daß der Name Caniba, den 
er zuerst hörte, auf -a auslautete, das ja die gewöhnliche Endung 
der Ländernamen im Spanischen und in den ihm sonst noch be- 
kannten Sprachen, dem Italienischen und dem Portugiesischen, 
war, während es sich hier als Endung von Völkernamen (wie in 
Persa) nur selten vorfand. Dazu kam aber noch, daß Columbus 
seine Aufmerksamkeit zunächst auf die von ihm entdeckten Länder 
und erst in zweiter Linie auf die dort wohnenden Völker gerichtet 
hat. Da er Indien auf einem neuen Wege hatte erreichen wollen 
und auch bereits nach Indien gelangt zu sein glaubte, so dachte 
er auch mehr an die Namen der westindischen Inseln selbst als 
an die ihrer Bewohner. Daher bildete er sich auch erst von den 
vermeintlichen Landesnamen Caniba und Carib seine Volksnamen 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 41 


Canibales und Caribes. Daß er sich daneben für letztere auch der 
Umschreibungen los de Caniba und los de Carib bediente, zeigt, 
um wie viel wichtiger ihm die Landesnamen als die Volksnamen 
waren. Es ist das um so bemerkenswerter, als er auch selbst 
schon bei der zweiten Nennung von Caniba (11. Dez.) wenigstens 
eine Ahnung davon hatte, daß damit direkt ein Volk gemeint 
sein könnte; er vermutet ja hier, daß Caniba nichts anderes als 
das Volk des gran Can wäre. Gleichwohl blieb Caniba für seinen 
eigenen Sprachgebrauch ein Landesname, wie sodann auch Carib 
ein solcher wurde, was sich besonders deutlich in en Carib zeigt. 

Daß Caniba wirklich vor allem auf Cuba gebräuchlich war, 
wird man schon deshalb annehmen dürfen, weil es höchst sonderbar 
gewesen. wäre, wenn Columbus sich nicht einen großen Teil seiner 
indianischen Begleiter von derjenigen Insel genommen hätte, gegen 
die alle andern bis dahin von ihm entdeckten Inseln verschwindend 
klein waren. Dazu kommt aber noch seine Bemerkung vom 
14. Nov. (S. 57), daß Indianer, die mit ihm fuhren, ihm gesagt 
hätten, daß man vom Flusse Mares, den er am 29. Okt. (S. 42) 
auf Cuba nennt, in drei Tagen bis zur Insel Babeque gelangen 
könne; eine solche Mitteilung können ihm doch wohl nur Cubaner 
selbst gemacht haben. Am 12. Dez. (S. 87) spricht er sogar direkt 
von Indianerinnen, die er in dem zu Juana (welchen Namen er 
Cuba gegeben lıatte) gehörigen Hafen von Mares habe ergreifen 
lassen, und die er mit sich führe. Daß die Form Caniba aller- 
dings auch auf andern Inseln als Cuba üblich war, geht aus seiner 
Notiz vom 13. Jan. 1493 hervor, daß man das Land der Menschen- 
fresser auf „einigen“ Inseln („en algunas“) Caniba nenne. Danach 
wird Caniba außer auf Cuba selbst auch auf den kleinen Inseln 
in der Nähe Cubas, die Columbus schon früher als dies entdeckt 
hatte, Santa Maria de la Conception, Fernandina und Isabela, 
wie er sie nannte, geherrscht haben; auch von diesen Inseln 
kénnen ja einzelne Bewohner mit ihm gefahren sein. 

An der Stelle, an der Columbus das Wort Caniba zum ersten 
Male nennt, führt er daneben auch die Form Canima an. Dies 
Canima könnte cubanisch dialektisch gewesen sein; wahrschein- 
licher aber gehörte es einer der kleinen Inseln an. Und zwar 
darf man vermuten, daß Canima auf Guanahani üblich gewesen 
ist. Denn während Columbus von den Indianern, die er an Bord 
genommen hatte, so oft er auch von ihnen redete, sonst die Heimat 
nicht angibt (von den Cubanerinnen abgesehen, die er aber auch 
nur erwähnt, weil eine von ihm gefangene Haitierin sich zu ihnen 


49 R. Loewe 


gesellte), spricht er doch viermal (19. Okt., 30. Okt., 2. Nov., 
20. Nov.; S. 33, 44, 47, 61) speziell von seinen indianischen Be- 
gleitern aus Guanahani (San Salvador) und sagt das vierte Mal 
sogar, daß er dieselben nach Castilien mitnehmen wolle. Da er 
also auf die Guanahanier seine besondere Aufmerksamkeit ge- 
richtet hatte, konnte er gewiß leicht dazu kommen, eine nur von 
ihnen gebrauchte Sprachform mitanzumerken. Auch war das 
zuerst entdeckte Guanahani weiter als die übrigen bereits früher 
als Cuba entdeckten kleinen Inseln von diesem entfernt und 
könnte daher eher als letztere sprachliche Abweichungen vom 
Cubanischen aufgewiesen haben. \ 

Neben Caniba, Canima und Carib schreibt Columbus auch 
einmal (12. Dez.) Cariba. Diese Form gebraucht ein von ihm mit- 
geführter Indianer auf Haiti, noch ehe er selbst mit den Haitiern 
Worte gewechselt hatte. Danach scheint es, daß eine Form mit 
r außer auf Haiti entweder auch auf einer der schon früher ent- 
deckten kleinen Inseln oder auch in einer Mundart Cubas üblich 
gewesen ist. Doch hat es mit diesem Cariba eine eigene Be- 
‘wandnis. Der Indianer, der es verwendet, ruft den beim ersten 
Anblicke der Spanier die Flucht ergreifenden Haitiern zu, sie 
sollten sich nicht fürchten, die Christen seien nicht von Cariba. 
Es ist möglich, daß diesem Indianer bekannt war, daß die Haitier 
Carib anstatt Caniba sagten, und daß er, um sich ihnen verständlich 
zu machen, was ja in diesem.Falle besonders notwendig schien, 
ihre Dialektform gebrauchen wollte, dabei aber unwillkürlich ihr 
Carib mit seinem eigenen Caniba zu Cariba kontaminierte. 

Das zweimalige Canibales in Columbus’ Tagebuch kann nicht 
die Quelle für den späteren Gebrauch des Wortes gewesen sein, 
da dieser Bericht in den spanischen Staatsarchiven verborgen 
gelegen hat, bis er 1825 von Navarrete veröffentlicht worden ist. 
Span. canibales (Sing. canibal) beruht vielmehr auf der mündlichen 
Anwendung der Form durch Columbus und seine Schiffsmann- 
schaft. 

In der Folgezeit galten Canibales und Caribes zunächst als 
Synonyma zur Bezeichnung desselben menschenfressenden Volkes 
und zwar nicht nur im Spanischen wie bei Ant. Herrera, Historia 
general, Madrid 1601, I 204 (in bezug auf das Jahr 1504), sondern 
auch schon früh im Neulateinischen bei Martyr 2. A. Kontami- 
niert worden sind beide Formen zu Caribales von Columbus selbst 
in seinem Berichte über seine dritte Reise (Navarrete 247). Wenn 
sich später nicht nur im Spanischen, sondern in den europäischen 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 43 


Sprachen überhaupt die Scheidung zwischen beiden Wörtern in 
der Weise vollzogen hat, daß Karibe nur Volksname geblieben 
ist, Kannibale dagegen nur den Sinn von ,Menschenfresser“ be- 
wahrt hat, so könnte hierfür der Anklang des letzteren an lat. 
canis „Hund“ (auch ital. cane) bestimmend gewesen sein. 

‘ Eigentümlich sind die Formen des Wortes Kannibale, deren 
sich der Deutsche Sebastian Franck in seinem Weltbuch (1534) in 
einem Bericht über Columbus’ zweite Reise bedient. Derselbe 
nennt 222° das menschenfressende Volk zweimal Canibali (Plural), 
eine Form, die er wohl einer italienischen Quelle entnommen hat, 
wie er denn in diesem Berichte 221ff. auch mehrfach ein gleich- 
falls auf eine solche Quelle weisendes Spagnola für span. Española 
(Haiti) schreibt. Den Dativ Canibalis 221® und 222% hat er sich 
dann wohl nach lateinischer Weise selbst gebildet, dazu aber auch 
2228 weiter einen merkwürdigen Genitiv der Canibalis. Aber 
schon 221 steht bei ihm „die Insel Canibali“ und „in der Insel 
Canibali“ (mit der, da sie Spagnola gegenüber liegen soll, nur 
Porto Rico gemeint sein kann). Hier hat Franck wohl den Volks- 
namen kurzweg auch zum Landesnamen gemacht. Nach dem 
Landesnamen Canibali hat er dann aber wieder 221° den Volks- 
namen Canibalianer geformt. 

Wie sich die auf Porto Rico wohnenden (wohl schon früh 
ausgestorbenen) Kariben selbst genannt haben, darüber besitzen 
wir keine Nachricht. Doch wird dieser Name wolıl derselbe ge- 
wesen sein, mit dem nach Breton die Kariben der kleinen Antillen 
sich selbst bezeichnet haben. Breton sagt darüber G. F. 105: 
„Callinago C'est le veritable nom de nos Caraibes insulaires, sont 
ces canibals et antropohages, dot les Espagnols se plaignent tant“. 
Ausführlicher sagt er S. 229: „Galibi, Caralibes de terre ferme. 
Tay enfin appris des Capitaines de l’Isle de la Dominique, que 
les mots de Galibi et de Caraibe estoient des noms que les Euro- 
peens leur avoient donnez, et que leur veritable nom estoit Cal- 
linago, qu'ils ne se distinguoient que par ses mots Oubadbanum, 
Baloliébonum, c'est à dire, des Isles, ou de terre ferme, que les 
insulaires estoient des Galibis de terre ferme, qui s’estoient 
detachez du continent pour conquester les Isles.“ Von ihren 
Frauen wurden die Inselkariben nach Breton C. F. 105 calliponan 
genannt. 

Von den hier genannten Namen kommt Caraibes für die Er- 
mittelung der ursprünglichen Form überhaupt nicht in Betracht. 
Das Wort erscheint zuerst bei Lery, der S.268 von den Tupi in 


44 R. Loewe 


Brasilien sagt: „faut scauoir qu’ils ont entre eux certains faux 
Prophetes et abuseurs, que ils nomment Caraïbes.“ Da Lery sehr 
viel von diesen Caraibes spricht, so wurde die Bezeichnung den 
Franzosen sehr geläufig und von ihnen auf die bei den Spaniern 
den sehr ähnlichen Namen Caribes führenden Callinago der An- 
tillen (die teilweis französisch geworden waren) übertragen. 

Anders steht es mit Galibi, wie die Franzosen die Callinago 
des Festlandes (einschließlich der Insel Cayenne) nennen. Diese 
Form, die ja in ihrem b zu Carib auf Haiti und Caniba auf Cuba, 
in ihrem 7 aber zu Callinago stimmt, müssen sie in Guayana oder 
in der Nähe Guayanas von irgend welchen Indianern gehört 
haben. Es wird sich freilich kaum noch ermitteln lassen, welche 
Indianer dies gewesen sind. 

Das auslautende -i von Galibi stimmt zu. dem von Caribi im 
Berichte über Columbus’ zweite Entdeckungsfahrt, der nach Na- 
varrete 198 von Chanca, einem Teilnehmer an dieser Reise, her- 
rührt. Wie die Verbindung los de Caribi (Navarrete 220) zeigt, 
hat Chanca dies Caribi, wohl durch Columbus beeinflußt, so gut 
wie letzterer sein Carib als Landesnamen aufgefaßt. Das Gleiche 
gilt auch von seinem Caribe in los de Caribe (Nav. 207; 208 zwei- 
mal). Doch findet sich bei Chanca schon 202 auch der Satz islas 
eran las de Caribe sowie 218 die Verbindung las islas de Cariby. 
Vermutlich sind Caribi und Caribe haitische Dialektformen neben 
Carib gewesen. Formell identisch mit dem Caribi Chancas ist 
Caribi als Benennung eines festländischen karibischen Stammes, 
als dessen Wohnsitze Adam Car. 5 nach einer englischen Quelle 
„Upper Pomeroon and Isororo“ angibt. Bei de Goeje ist Caribi 
ein Name der Kalifia (Galibi). 

Von alten auf den Namen der Kariben beziiglichen Nachrichten 
ist noch zu nennen die bei Martyr 26B: „Inde Uraban ab orien- 
tali prehendit ora, quam appellant indigenae Caribana, unde Caribes 
insulares originem habere nomenque retinere utique dicuntur.“ 

Mit dem Namen, mit welchen die Kariben sich selbst be- 
zeichneten, sind diejenigen, welche sie bei den ihnen verwandten 
Stimmen fiihren, zusammengestellt worden von Adam Car. 101: 
„Caribe. Chayma caribna, Tamanaque carifna; Galibi, Ouayana 
calina; Caraïbe [inselkaribisch] callinago; Caribi carinya“. Wenn 
auch für diese Sprachen bis jetzt keine festen Lautgesetze auf- 
gestellt worden sind, so lassen sich doch wenigstens, wenn man 
Vorgänge in indogermanischen Sprachen vergleicht, Vermutungen 
über das Verhältnis der genannten Formen zu einander und zu 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 45 


den bereits bei der Entdeckung Amerikas bekannt gewordenen 
aufstellen. 

Die einzelnen Formen sind von sehr verschiedener Länge 
und Silbenzahl, und die kürzeren lassen sich aus den längeren 
kaum durch Auslautsverluste erklären. Das Nebeneinander von 
Carib, Caribna und Callinago deutet vielmehr darauf hin, daß die 
längeren Formen aus den kürzeren durch Antritt von Suffixen 
entstanden sind (wie denn Adam auch callina-go schreibt). Die 
kürzeste Form ist hait. Carib. An und für sich könnte Carib 
freilich nach einem Auslautsgesetze aus Caribi entstanden sein 
(Caribe beruht wohl nur auf einem mundartlichen Wandel von 
ausl. - zu -e). Vergleicht man aber mit diesem Caribi auch Ca- 
ribna, Caribana, so wird es doch sehr wahrscheinlich, daß auch 
in dem -i von Caribi ein Suffix vorliegt. Dann aber würde hait. 
Carib (wenn man von dem Verhältnis seines r zu dem / von 
Callinago absieht) auch die älteste Form des Volksnamens re- 
präsentieren. 

Cuban. Caniba erklärt sich am einfachsten in dem Falle, daß 
das Cubanische kein r gekannt hat; n wäre dann Substitution für 
r. Wenn dem Cubanischen auch Konsonanten im Auslaut fremd 
waren, so würde -a zur Herstellung des vokalischen Auslauts 
angetreten sein; andernfalls läßt es sich als Suffix auffassen. 
Canima aber könnte aus Caniba durch partielle Assimilation des 
b an das n entstanden sein. 

Hat das Cubanische ein r besessen, dann läßt sich sein Ca- 
niba wohl nur im Zusammenhang mit den mit dem Suffix -ana, 
-na gebildeten Formen erklären. Wenn auch von diesen Formen 
Caribana früher als Caribna (woraus Carifna) bezeugt ist, so braucht 
doch. deshalb Caribna nicht notwendig aus Caribana entstanden 
zu sein, sondern es könnte Caribna schon früher existiert und 
sich nur dialektisch zwischen dem b und n desselben ein svara- 
bhaktisches a entwickelt haben. Aus Caribna aber konnte bei 
seiner Entlehnung in das Cubanische durch Fernassimilation 
*Canibna werden, hieraus aber durch Dissimilationsschwund Ca- 
niba. Canima aber läßt sich wohl über *Canimma, *Canimna aus 
demselben *Canibna herleiten, das dem Caniba zunächst zugrunde 
liegen könnte. 

Aus einem alten dem Caribna parallel gehenden *Calibna 
dürfte sich Calina (durch die Zwischenformen *Calimna, *Calinna) 
erklären; Calina aber nennen sich die den Inselkariben nächst- 
verwandten Galibi selbst. Aus Calina wird also Calinago (bei 


46 R. Loewe 


Breton meist Callinago geschrieben), welchen Namen die Insel- 
kariben bei sich selbst führten, durch abermalige Anhängung eines 
Suffixes entstanden sein. Die Galibi nennen sich aber auch Ka- 
liña (welcher Form sich de Goeje für sie bedient), d.h. *kalinia, 
das mit dem Carinya der Caribi bis auf die Liquida identisch ist. 
Hier ist wohl an Calina, "Ging ein Suffix -ia getreten, vor 
dem das -a später ausgefallen ist. 

Zu den Formen mit / gehört auch noch das Calliponan der 
inselkaribischen Frauensprache, dem, was ja bei der Herkunft 
dieser Sprache nur natürlich ist, arowak. kalipina (Plural; Araw. 
D. Wb. 131) am nächsten steht. Dies kalipina, in dem p für b 
substituiert ist, gehört wohl mit Caribana zusammen; das Ver- 
hältnis der Vokale der dritten Silbe von Caribana, kalipina und 
Calliponan bleibt allerdings unklar. Das n im Auslaut von Calli- 
ponan beruht wohl auf Metathesis des hinter dem o stehenden n 
mit dessen gleichzeitiger Beibehaltung an ursprünglicher Stelle. 
In dem arowakischen Singular kalipiddi (wozu kalipiddu „Karibin“; 
Araw. D. Wb. 131) wird ein arowakisches Suffix an das einfache 
*kalip (*kalib, karib) getreten sein. 

Sehr schwer ist zu sagen, ob die Liquida im Namen der 
Kariben ursprünglich r oder ! gewesen ist. Zwar könnte man 
geneigt sein, das / für älter zu halten, weil die Inselkariben sich 
einer Form mit / zu ihrer eigenen Benennung bedient haben und 
weil die Galibi sich auch jetzt noch einer solchen zu gleichem 
Zwecke bedienen. Aber, wie es scheint, haben auch die Caribi 
mit carinya sich selbst gemeint. Dazu kommt, daß die Kariben 
bei nahe verwandten Stämmen .Caribna und Carifna heißen. Nach 
de Goeje 73 gehört nun der Wechsel zwischen r, ! und A über- 
haupt zu den häufigen Lautveränderungen in der karibischen 
Sprachfamilie; das 2 definiert er dabei 75 als „le milieu entre le 
l et le r, suivi d’un i à peine perceptible“. Da nun bis jetzt 
keine festen Lautgesetze über diesen Wechsel gefunden worden 
sind, so läßt sich auch nicht ausmachen, welche Liquida hier 
urkaribisch gestanden hat. Vielleicht darf man vermuten, daß 
es die mittlere Liquida 2 gewesen ist, die nach de Goeje 76 den 
Kalına (Galibi) fehlt. 

Da die Inselkariben und die Galibi selbst für ihren Namen 
Formen gebrauchen, die im wurzelhaften Teile ein / enthalten, 
und da bei den Indianern auch Namensformen für die Kariben 
und ihr Land mit einem n-Suffix wie Caribna, Carifna vorkommen, 
so ließe sich zunächst denken, daß auch der für den rohen und 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 47 


mißgestalteten Sohn einer Hexe in Shakespeares Tempest vor- 
kommende Name Caliban, der von Thumbull a. a. O. und im NED. 
mit Recht mit cannibal in Verbindung gebracht wird, auf eine 
indianische Form mit 7 im wurzelhaften Teile und n im Suffix 
zurückginge. Gegen eine solche Deutung spricht jedoch, daß dem 
Personennamen Caliban bei Shakespeare nur die appellativische 
Bedeutung „roher, wilder Mensch“ zugrunde liegen kann, die sich 
nur aus der von „Menschenfresser“ von span. canibal, nicht aber 
direkt aus dem Volksnamen herleiten läßt. Daß bei der Ent- 
lehnung von canibal n und l ihren Platz getauscht haben, ist bei 
der Neigung beider Laute zur Metathesis gewiß nicht zu ver- 
wundern. Die Metathesis aber zeigt, daß diese Entlehnung (im 
Gegensatze zu derjenigen des durch Übersetzungen in das Eng- 
lische gelangten unveränderten canibal) eine echt volkstümliche 
gewesen ist. Wahrscheinlich haben die Engländer das Wort auf 
ihren Fahrten nach Brasilien (vgl. oben LX 178) von den Portu- 
giesen entlehnt, die es ihrerseits schon früh von den ihnen auch 
in Amerika benachbarten Spaniern erhalten haben können. 

Wie Thumbull a. a. O. bemerkt, bedeutet nach Oviedo Lib. 
If, Kap. VIII (T. I, S. 34°) Caribes so viel wie „bravos é osados“. 
Thumbull verweist ferner auf Rochefort, der S. 401 für Caribes 
die Bedeutung „un belliqueus, un vaillant homme“ angibt. 
Während Oviedo den von ihm angegebenen Sinn des Wortes 
allgemein für die „lengua de los Indios“ in Anspruch nimmt, sagt 
Rochefort, daß nicht nur die Apalachiten, aus deren Mitte die 
Karaiben (d. h. die Inselkariben) gekommen wären, mit Caraïbe 
einen kriegerischen und tapferen Mann bezeichneten. Auch den 
Kariben selbst mache es großes Vergnügen, wenn man sie Ca- 
raibes nenne, „parce que c’est un nom, qui leur semble glo- 
rieus, marquant leur courage et leur generosité“. Sie sagten auch 
beständig zu den Franzosen „Tog François, moi Caraïbe“. Da- 
gegen wollten sie weder mit dem Worte Sauvages, dessen Sinn 
sie verständen, noch mit Cannibales benannt sein (Rochefort 400). 

Daraus, daß die Inselkariben frz. Caraïbes für eine für sie 
ehrenvolle Bezeichnung hielten, folgt nicht, daß sie, wenn sie 
unter sich waren, sich selbst Caraibes genannt hätten. Breton 
C. F. 105 führt ja als „veritable nom de nos Caraïbes insulaires“ 
nur Callinago an und übersetzt auch F.C. 61 frz. Caraïbe nur 
mit karib. calinago. Der Sinn von „tapfer“ aber, den die Insel- 
karıben zu Rocheforts Zeit dem französischen Caraibes gaben, 
beruht darauf, daß schon zu Oviedos Zeit span. Caribes für sie 


48 R. Loewe 


den gleichen Sinn hatte. Span. Caribes aber geht auf das Carib 
der Taino auf Haiti zurück. Es ist aber sehr fraglich, ob die 
unter den Einfällen der Inselkariben schwer leidenden Taino dem 
Volksnamen Carib zuerst die ehrende Bedeutung „tapfer“ gegeben 
haben (die Arowaken, die Hauptfeinde der Kariben, bezeichneten 
nach Rochefort 401 mit Caraïbe „un Cruel“). Vielmehr haben 
wahrscheinlich die Inselkariben selbst, als sie sich von den Taino 
Carib nennen hörten, sich diesen Namen damit erklärt, daß er 
„tapfer“ bedeuten sollte. Irrtümlich ist wohl die Angabe Roche- 
forts, der die Kariben von den Apalachiten (d.h. den Apalachen, 
die nördlich von Florida saßen) abstammen läßt, daß Caraibe bei 
letzterem Volke „kriegerischer, tapferer Mann“ bedeutet hätte. 
Doch wie dem auch sein mag, für die Grundbedeutung des Volks- 
namens Carib könnte carib im Sinne von „tapfer“ doch nur dann 
in Frage kommen, wenn es in dieser Bedeutung aus einer Sprache 
der karibischen Familie stammte; zu letzterer hat aber weder das 
Taino noch das Apalachische gehört. Wäre aber carib „tapfer“ 
ein inselkaribisches Erbwort, so könnte es gleichfalls sicher nicht 
dem Volksnamen Caribes zugrunde liegen, da sich die Inselkariben 
selbst Calinago nannten, welches Wort doch nicht auf carib, 
sondern nur auf *calib beruhen kann. 


2. Orkan. . 


Das Wort „Orkan“ zeigt in den meisten europäischen Sprachen 
wie in span. huracdn, engl. hurricane, ndl. orkaan (woher nach 
Kluge, Et. Wb nhd. Orkan) im Inlaut ein &, in frz. ouragan 
und ital. uragano dagegen ein g. Offenbar stammen die englische 
und die niederländische Form aus dem Spanischen, die italienische 
dagegen aus dem Französischen. Das spanische und das franzö- 
sische Wort aber werden unabhängig von einander aus Indianer- 
sprachen entlehnt worden sein, da in diesen teils ķ, teils g im 
Inlaut der Form steht. 

Was zunächst frz. ouragan betrifft, so findet sich das g dieser 
Form im Inselkaribischen wieder, wie aus Rochefort hervorgeht, 
der S. 526° im Vocabulaire Caraïbe seines Werkes (1658) sagt: 
„Tempeste, Youällou, bointara, Ourogan: qui est le nom le plus 
commun“. Über den Ursprung dieses Vokabulars bemerkt Roche- 
fort Preface b2, das er es dem P. Raimond verdanke, der schon 
so viele Jahre auf den Inseln der Kariben wohne; dieser „P. 
[Père] Raimond“ kann kein anderer sein als der R. P. Raymond 
Breton, der Verfasser des Dictionaire Caraibe-Francois, 1665. 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 49 


In diesem letzteren Wörterbuche fehlt owragan, ourogan zwar an 
seiner alphabetischen Stelle S. 4245, steht aber als karibisches 
Wort S. 82 s. v. bointara in der Verbindung „bointara tempeste, 
orage, ouragan“ (bei Breton sind die karibischen Wörter in ge- 
wöhnlicher Schrift, die französischen aber kursiv gedruckt). Da- 
gegen steht in demselben Buche 305° schon direkt: „Joüällou. 
Les François Vappellent ouragan“. In Bretons Dictionaire Francois- ` 
Caraïbe, 1666, erscheint dann ouragan nur noch als ein franzö- 
sisches Wort, wie aus „orage v. ouragan“ S. 266° und aus ,oura- 
gan, orage iotiallou, bointara“ S. 269° hervorgeht (auch im Dict. 
Francois-Caraibe sind die karibischen Wörter in gewöhnlicher 
Schrift, die französischen aber kursiv gedruckt). In der zeitlichen 
Folge der lexikalischen Vermerke Bretons über ouragan sehen 
wir förmlich das Hineinwachsen des Wortes aus dem Karibischen 
in das Französische. Die Entlehnung erklärt sich daraus, daß 
verschiedene der von den Kariben bewohnten kleinen Antillen 
wie Gouadeloupe und Martinique schon zu Bretons Zeit franzö- 
sischer Kolonialbesitz gewesen sind. 

Auch die Spanier können ihr huracán nur aus der Sprache 
einer ihrer eigenen Kolonien entlehnt haben. Daß diese Kolonie 
Haiti war, erfahren wir aus Oviedo, der I, S. 167° von den Wirbel- 
stürmen auf Española (Haiti) sagt „Huracan, en lengua desta 
isla“. Zu dieser Nachricht stimmt die davon unabhängige, gleich- 
falls auf Haiti bezügliche des las Casas, Ap. Hist. S. 95° und Hist. 
62 (1), 412: huracanes llamaban los indios desta isla las dichas 
tempestades 6 tormentas“. Eine nähere Angabe über die Aus- 
sprache des Wortes macht las Casas Hist. 64 (3), 252: „tempestad 
... que los indios llamaban huracán, la ultima luenga“. 

Eine dritte westindische Form für „Orkan“ verzeichnet Martyr 
11D mit den Worten: „Has aéris procellas uti Graeci tiphones, 
furacanes isti appellant, crebro namque surgere in ea insula in- 
quiunt“. Mit „ea insula“ aber ist gleichfalls Haiti gemeint, da 
Martyr dicht zuvor von dem Aufstande der Cibauenses gegen 
die Spanier redet, Cibaua aber 7A als einen Teil Hispaniolas 
(Haitis) anführt. 

Da las Casas nur die Form huracan als die haitische angibt, 
so wird diese die der Taino gewesen sein, von deren Sprache 
als der „mas universal de esta isla“ und als der „mas pulida y 
regular 6 clara“ sich die der Macorix als „cuasi come lengua 
extraña y barbara“ unterschieden habe (Hist. 63 [2], 120). Hätte 
auch furacan einem Dialekte der Taino angehört, so würde las 

Zeitschrift für vergl. Sprachf. LXI 1/2. 4 


50 _ BR. Loewe 


Casas die Form wohl gleichfalls genannt haben. Daher dürfte 
furacan wohl eher den Macorix als den Taino zuzuweisen sein. 

Auch furacan. ist in die europäischen Sprachen übergegangen. 
So kommen Formen von „Orkan“ mit f im Anlaut im älteren 
Englisch vor, wie aus den Belegen im NED. s. v. hurricano zu 
ersehen ist. Furacanes steht freilich nur in der Übersetzung aus 
Martyr, und zu Furicanos (1587) und Furicanoes (1596) ist hinzu- 
gesetzt, daß die Stürme so genannt seien. Keinen derartigen 
Zusatz enthält jedoch der Beleg von 1632 „With the tempests, 
gusts, and Furicanes“. Obwohl keine Formen mit f im Anlaut im 
Spanischen überliefert sind, ist doch das NED. im Recht, wenn 
es hier dem Spanischen die Vermittlerrolle zuerteilt. Eine india- 
nische Form mit f kennen wir ja nur aus Haiti, wo im 16. Jahr- 
hundert und im Anfange des 17. Jahrhunderts von Europäern nur 
Spanier gewohnt haben (Zimmermann 386ff.). Unmöglich direkt 
aus einer Indianersprache kann das im Portugiesischen für „Orkan“ 
allein übliche furacdo entlehnt worden sein, da die Portugiesen 
in ganz Westindien, wo allein die furchtbaren Stürme, die man 
Orkan nennt, vorkommen, überhaupt niemals Kolonien besessen 
haben. Offenbar sind es die Spanier gewesen, die das Wort 
„Orkan“ auch den Portugiesen vermittelt haben, in deren Sprache 
sodann die mit f anlautende Form der mit h anlautenden wegen 
ihres Anklanges an das scheinbar sinnverwandte furér „Raserei, 
Wut“ bevorzugt worden sein wird. 

Meyer-Lübke, Rom. Et. Wb. Nr. 4242 gibt als Bedeutung von 
amerikan. hurakan ,Sturmgott“ an. Er verweist hierfür auf 
Liebrecht, Jahrb. f. rom. u. engl. Lit. XIII 238, der wieder auf 
Tylor, Die Anfänge der Kultur, übertr. von Spengel u. Peske, 
Leipzig 1873, I, 357 Bezug. nimmt. Tylor sagt dort: „Gehen wir 
nach Centralamerika, so finden wir hier den Vogel Voe, den Boten 
Hurakans, des Sturmgotts (dessen Name in die europäischen 
Sprachen als Orkan, huracano ... herübergenommen ist), des 
Blitzes und des Donners“ und bezieht sich dabei wieder auf 
„Popol Vuh. Le livre sacré et les mythes de l’antiquit& Ameri- 
caine. Ouvrage original des indigènes de Guatémala. Texte Quiché 
et traduction française par Brasseur de Bourbourg, Paris 1861“. 
Gegen diese Ubersetzung ist jedoch im allgemeinen zu bemerken, 
daß sie nach Otto Stoll, Zur Ethnographie der Republik Guatemala 
114f. nach vorgefaBten Meinungen angefertigt worden ist. Falls 
indeß Brasseur in unserem Falle richtig übersetzt hat, wird man 
die Stellen zu vergleichen haben, die vom Gotte Hurakan handeln. 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 51 


Die erste dieser Stellen (S. 9) lautet: „le Coeur du ciel, dont le 
nom est Hurakan. L’Eclair est le premier (signe) de Hurakan; 
le second est le sillonnement de l’Eclair; le troisième est la 
Foudre qui frappe.“ Brasseur macht hierzu die Anmerkung: 
»Hurakan. Ge nom, dont on trouve nulle part l’explication dans 
les livres ou dictionnaires de la langue quichée ou cakchiquele, 
paraît venir des Antilles, où il désignait la tempéte et le gron- 
dement de l’orage.“ Also leitet Brasseur nicht wie Tylor den 
Namen der Naturerscheinung von dem des Gottes, sondern den 
des Gottes von dem der Naturerscheinung her. Freilich unterliegt 
auch Brasseurs Meinung schweren Bedenken. An allen Stellen 
des Popol Vuh nämlich, an denen sonst noch der Gott Hurakan 
zu einer Naturerscheinung in Beziehung gesetzt wird (SS. 11, 15, 
203), ist diese (so gut wie S.9) immer nur der Blitz, niemals der 
Sturm. Für hait. huracan, furacan wird aber überall nur die Be- 
deutung „Sturm“ und nicht auch, wie Brasseur meint, „Rollen 
des Donners“ angegeben. Immerhin wäre es ja, da die Orkane 
auf Haiti nach Oviedo a.a.O. mit außerordentlich starken Regen- 
güssen verbunden sind und da diese Regen wohl auch oft als 
Gewitter auftreten (für Breton ist frz. ouragan mit orage identisch), 
nicht gerade unmöglich, daß die Quichés ihren Gott des Blitzes 
mit dem Namen, den der furchtbare westindische Sturm in West- 
indien selbst führte, benannt hätten. Freilich wäre auch bei dieser 
Annahme zu bedenken, daß die Quichés nur in der Westhälfte 
Guatemalas sitzen (vgl. die ethnographische Karte Stolls), so daß 
doch wohl auch noch in diesem Falle die Völker der Osthälfte 
des Landes für eine Vermittlerrolle in Anspruch genommen werden 
müßten. Höchst wahrscheinlich liegt daher, auch wenn Brasseurs 
Übersetzung richtig ist, nur eine zufällige Übereinstimmung 
zwischen dem Namen des Gottes der Quichés und dem des Ap- 
pellativums der Haitier vor. 

Da die Taino auf Haiti der arowakischen, die Inselkarıben 
aber der karibischen Familie angehören, so muß entweder Taino 
huracan aus dem Karibischen oder inselkar. ouragan aus dem 
Arowakischen entlehnt worden sein. Für die Entscheidung hierüber 
ist es zunächst von Wichtigkeit, daß ouragan sowohl der insel- 
karibischen Männersprache wie Frauensprache angehört haben 
muß, da Breton das Wort weder speziell für erstere noch speziell 
für letztere in Anspruch nimmt. Wo sich nun inselkaribische 
Wörter solcher Art im Arowakischen wiederfinden, sind sie wohl 
immer auch arowakischen Ursprungs. Die Entlehnungen arowa- 

4* 


52 R. Loewe 


kischer Wörter in die inselkaribische Männersprache dürften sogar 
sehr zahlreich gewesen sein. Denn da die Frauen der Inselkariben 
ihre arowakische Sprache für den Verkehr unter sich selbst fest- 
hielten, so konnten doch die inselkaribischen Knaben, die zunächst 
die Sprache ihrer Mütter erlernten, aus letzterer sehr leicht Wörter 
beibehalten, als sie die Sprache ihrer Väter sich zu eigen machten. 
Wenn Adam, Du parler 17 nur elf inselkaribische den Sprachen 
beider Geschlechter gemeinsame Wörter arowakischen Ursprungs 
gefunden hat, so ist dabei zu berücksichtigen, daß er das eigent- 
liche (festländische) Arowakisch, nicht aber das Inselarowakische, 
aus dem doch die karibische Frauensprache hervorgegangen ist, 
(offenbar wegen der geringen Anzahl der uns erhaltenen insel- 
arowakischen Wörter) zum Vergleiche herangezogen hat. Für 
unseren Fall ist aber noch besonders zu berücksichtigen, daß die 
Kariben, als sie vom Festlande aus auf die kleinen Antillen über- 
setzten, wahrscheinlich noch gar kein Wort für die der west- 
indischen Inselwelt eigentümliche Naturerscheinung des von den 
Inselarowaken huracan genannten furchtbaren Wirbelsturms be- 
sessen haben werden. | 

Dafür daß inselkar. ouragan ursprünglich nur der inselaro- 
wakischen Sprache der inselkaribischen Frauen angehört hat, 
sprechen auch Gründe lautlicher Art. Wie dem g von inselkar. 
ouragan in Taino huracan ein k gegenübersteht, so gibt es auch, 
wie man aus Adam, Du parler 15f. ersehen kann, Wörter der 
inselkaribischen Frauensprache, die da, wo ihre Entsprechungen 
im eigentlichen Arowakisch im Inlaut ein E bieten, selbst ein g 
aufweisen. Zwar kommen auch Wörter vor, bei denen sich aro- 
wakisch inlautendes Æ auch inselkaribisch frauensprachlich als % 
wiederfindet (vgl. z. B. Araw. D. Wb. addikin „sehen“ mit Breton 
F.C. 404 „voir chénijm ..., f. arica“); doch zeigen diese nur 
so viel, daß wir hier über die Bedinguugen des Wandels von 
inlautendem & zu g oder von inlautendem g zu k noch im Un- 
klaren sind. Für den Wechsel von & und g kommen hier in 
Betracht Araw. D. Wb. „adukutti Großvater“ neben Breton F.C. 
286 „Pere grand ... itamoulou, f. nargouti* und Araw. D. Wb. 
85 „aküttühü Großmutter“ neben Breton F.C. 245 „Grand-mere 
induti, f. naguetté* (Adam hat hier durch seine Schreibungen 
n-argoutt und n-agnette angedeutet, daß er das n für ein Präfix 
hält). In einem andern Falle steht dem arawakischen Worte mit 
k ein allgemein inselkaribisches mit g gegenüber: man vergleiche 
Araw. D. Wb. „ukútti Fuß“ mit Breton F.C. 291 „pied oupou, 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 53 


ougoütti“’). Es ist das zugleich ein Beispiel dafür, daß Wörter 
der inselkaribischen Frauensprache allgemein inselkaribisch werden 
konnten. 

Was das Verhältnis des Anlauts von Taino huracan zu dem 
von inselkar. uragan betrifft, so muß man doch wohl nach den 
Beispielen von Fällen wie dem Schwunde des anlautenden h im 
Ionischen und Äolischen sowie dem im jüngeren Latein annehmen, 
daß in zragan ein h verloren gegangen ist. Ob nun ein solcher 
Verlust gerade in der inselkaribischen Frauensprache stattgefunden 
hat, darüber können solche Wörter Aufschluß geben, die zugleich 
in dieser Sprache und im eigentlichen Arowakisch vorhanden sind 
und im letzteren mit A anlauten. Adam, Du parler 15f. führt 
drei solcher Wörter an. Das erste derselben findet sich karibisch 
frauensprachlich in gleicher Form wieder (Araw. D. Wb. ,hdla 
Indianersessel“; Breton F.C. 358 „selle, siege moule, f. [femmes] 
hala“). Beim zweiten aber fehlt das A karibisch frauensprachlich 
(Araw. D. Wb. „hátti Pfeffer“; Breton F.C. 302 „poivre ... le 
gros boémoin, f. äti“). Beim dritten hat das h Metathesis erfahren 
(Araw. D Wb. „hideru Frau“; Breton F.C. 171 „femme oüelle, sans 
restriction, f. inharou“). 

Ist aber anlautendes A in der inselkaribischen Frauensprache 
auch nur bedingungsweise verloren gegangen, so stimmt auch das 
zu dem Verluste des anlautenden h in dem allgemein inselkaribisch 
gewordenen ouragan. Wahrscheinlich ist anlautendes h insel- 
karibisch frauensprachlich je nach dem Auslaut des vorhergehenden 
Wortes teils geschwunden, teils erhalten geblieben; zwischen den 
überall entstandenen Doppelformen ist dann aber in verschiedener 
Weise ausgeglichen worden. Daß in unserem Falle die Form 
ohne Ah durchgedrungen ist, wird daran gelegen haben, daß es 
im Inselkaribischen ein Verbum oura- (üra-) „atmen, wehen“ ge- 
geben hat. Man vergleiche Breton C. F. 424°: „Aourälaba banichi, 
souffle, respire, donne air à ta poitrine. — Naoüragle éventail — 
otra oxäali il vente bien, souffle bien.“ Mag auch oura- in der 
Regel nur ein sanftes Wehen bezeichnet haben, so wird doch 
ein Name wie ouragan für den äußerst heftigen Wirbelsturm 
dazu in Beziehung empfunden worden sein’). 


1) Adam vermerkt oupou als Wort der Männersprache, ougoutti als solches 
der Frauensprache; doch fehlt hier bei Breton ein f. (femmss). Auch C.F. 420 
verzeichnet Breton „ougoütti“ allgemein für pied; „oupou“ fehlt in C. F. überhaupt. 
2) Nahe könnte sogar die Vermutung liegen, daß ouragan „Wirbelsturm“ 
eine Ableitung von oura- „wehen“ wäre, in welchem Falle freilich das Verbum 


54 R. Loewe 


Was das Verhältnis von Taino huracan zu dem gleichfalls 
haitischen furacan betrifft, so wird man.hier wohl im Hinblick 
auf den Wandel von lat. f zu h im Spanischen und Gascogni- 
schen furacan für die ältere Form zu halten haben; ein aus f 
entstandenes h konnte ja inselkaribisch frauensprachlich ebenso 
gut schwinden wie ursprüngliches A. Sollte indeß meine Ver- 
mutung zutreffen, daß furacan dem Macorix angehört hat, so 
würde, wenn dies ein karibischer Dialekt gewesen ist, hier wohl 
irgend eine volksetymologische Umformung aus huracan vorliegen. 


3. Kanu. 


Für den Baumkahn der wilden Völker wurde im Deutschen 
zunächst das dem Spanischen entlehnte Canoa verwendet, für das 
Hans Schulz, Fremdwörterbuch für 1598 und Weigand-Hirt für 
1628 einen Beleg gibt. Mit dem Rückgange der spanischen und 
dem Steigen der französischen und der englischen Kolonialmacht 
hängt es wohl zusammen, daß im Deutschen im 18. Jahrhundert 
an die Stelle von Canoa die Formen Canot und Canoe getreten 
sind, von denen erstere dem Französischen, letztere dem Engli- 
schen entstammt; Weigand-Hirt belegt beide zugleich für 1710 
aus Nehring. Jetzt ist Kanoe (das meist nach der Aussprache 
Kanü geschrieben wird) die gewöhnliche deutsche Form, was 
darauf beruhen könnte, daß man in Deutschland infolge der großen 
Menge der englischen Kolonien am häufigsten Gelegenheit hatte, 
in englischen Berichten über die Kähne der Wilden zu lesen. 
Engl. canoe selbst ist im 17. Jahrhundert aus engl. canoa (NED.) 
umgebildet worden, das natürlich auch auf span. canoa zurück- 
geht. Auf letzterem beruhen auch ital. canoa und port. canoa. 
-= Frz. canot hat nicht nur die Bedeutung „Baumkahn, Einbaum, 
Kahn der Wilden“, sondern auch die von „Jolle, kleines Boot“; 
grand canot bedeutet nach Sachs-Villatte „große Schaluppe“, 
canot de plaisance „Gondel“ usw. (vgl. auch Littré s. v.). Daß die 
Franzosen schon ein Wort canot besaßen, als sie das amerikani- 
sche Wort von ähnlicher Form und Bedeutung kennen lernten, 
ersieht man aus Breton bei Rochefort 523: „Piraugue ou grand 
vaisseau de Sauvages Canaoud — Petit vaisseau de Sauvages, que 
‘selbst arowakischen Ursprungs sein müßte. Aber ein arowakisches *hüra- 
„wehen“ ist nicht nachzuweisen. Wohl aber wird für das Galibi (Kalina, fest- 
ländisches Karibisch) ein von oura- „soufflor“ nicht zu trennendes oüari, ouary 
,soufflor & soufflor“ bei Boyer 426 angeführt. Das allgemein inselkaribische 


oura- entstammt also der inselkaribischen Männersprache und hat mit dem 
ursprünglich arowakischen ouragan von Haus aus nichts zu tun. 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 55 


nous appellons Canot, Couliala“. Dazu stimmt Breton C.F. 108 
„Canäoa, piraugue“ und F.C.60 „canot, oucounni buert, f. cou- 
hala aöuloubali*'). Ferner schreibt Boyer im Dictionnaire de la 
langue Galibiena S. 396 „Bateau petit, canoüc“, 398 „Canot ca- 
naoda“, 418 „Nauire nauio ou nauiota“ (Frz. „piraugua“ fehlt bei 
ihm). Da sich nun frz. canot und inselkarib. candoa zugleich in 
Form und Bedeutung nahe standen und da das canaoua (canoua) 
des Galibi sogar wie frz. canot ein kleines Fahrzeug bezeichnete, 
so übernahm letzteres auch die Bedeutung „Einbaum, Kahn der 
Wilden“. An der Herkunft aber von frz. canot selbst aus dem 
Germanischen (mnd. kane, ndl. kaan „Boot“, aisl. kena F. „Art 
Boot“) ist nicht mehr zu zweifeln °). 

Weit früher als für die kleinen Antillen canaoa ist für das 
westlichere Westindien canoa bezeugt. Das Wort findet sich in 
dieser Form bereits mehrfach bei Columbus, der es am 3. Dez. 
1492 (S. 75) ausdrücklich als ein indianisches bezeichnet („muy 
grandes almadias que los indios llaman Canoas“). Aber schon am 
26. Okt. (S. 40) fügt er zur Beschreibung der indianischen „al- 
madias“, die aus einem einzigen Holze bestünden und keine Segel 
trügen, die Worte „Estas son las canoas“; außerdem gebraucht 
er den Plural canoas noch am 31. Okt. (S. 45), den Singular canoa 
am 30. Nov., 12. Dez., 16. Dez. und 21. Dez. (SS. 73, 87, 91, 101) 
und zwar immer nur von Indianerfahrzeugen. 

Canoa ist das erste Wort gewesen, das aus einer amerikani- 
schen Sprache in eine europäische entlehnt worden ist. Columbus 
hat es bereits am 26. Okt. aufgezeichnet, während er Canibales 
erst am 23. Nov. (los de Caniba erst am 26. Nov.) in sein Tage- 
buch geschrieben hat. Am 26. Okt. aber hatte er noch nicht 
Cuba und Haiti, sondern nur erst Guanahani (San Salvador), 
Conception, Fernandina und Isabela entdeckt. Wahrscheinlich ist 
das Wort canoa auf allen diesen kleinen Inseln heimisch gewesen. 
Gehört haben aber wird es Columbus (nebst seiner Schiffsmann- 
schaft) zuerst von den Guanahaniern, die er mit sich führte, und 
die ihm auch sonst Mitteilungen machten, wie sie ihm denn nach 


1) Es sei hier noch einmal daran erinnert, daß bei Breton C.F. und F.C. 
die karibischen Wörter in gewöhnlicher Schrift, die französischen aber kursiv 
gedruckt sind; f. bedeutet femmes (Frauensprache). (In den langen Zitaten im 
Teile „Kannibale“ habe ich Bretons Druckweise umgekehrt.) 

2) Doch fehlt ein afrz. cane „Schiff“, das Weigand-Hirt s. v. Kahn und 
Falk und Torp s.v. kane angeben, in den altfranzösischen Wörterbüchern, auch 
bei Tobler-Lommatzsch. 


56 R. Loewe 


seinem Berichte vom 19. Okt. (S. 33) für die Insel, die er selbst 
Isabela nannte, den Namen Saomete angaben. Somit stammt das 
älteste Lehnwort der europäischen Sprachen aus Amerika wahr- 
scheinlich auch von derjenigen Insel, die Columbus zuerst ent- 
deckt hat. 

Da Columbus später auch Cubaner, deren Insel er am 28. Okt. 
aufgefunden hatte, mit sich führte, so würde er, wenn diese ein 
anderes Wort als canoa für ihre Einbäume gehabt hätten, schwer- 
lich noch am 3. Dez. gesagt haben „que los indios llaman canoas“. 
Auf die Haitier beziehen sich wohl Columbus’ Worte vom 21. Dez. 
„canoa es una barca, en qua navegan“. Bestimmt von Haiti 
sagt las Casas, Ap. Hist. 182° (Kap. LXX) „El nombre de canoas 
es desta isla“. In bezug auf die Haitier bemerkt auch Martyr 
1D „lintribus, quas Canéas vocant“. Die weite Verbreitung des 
Wortes canoa bei den Indianern in und um Westindien bezeugt 
aber besonders Oviedo I 170 in der Überschrift des Lib. VI, Kap. IV: 
„Que tracta de los navios ó barcas de los indios, que ellos la- 
man canoas, & en algunas islas & partes las dicen piraguas; las 
quales son de una pieza & de un solo ärbol“. 

Da die Sprachen von Haiti, Cuba und Guanahani zur arowa- 
kischen Familie gehört haben, so könnte man sehr geneigt sein, 
ihr canoa mit den aus dem eigentlichen Arowakisch in Araw. D. 
Wb. vermerkten kanöa „ein Nachen“ unmittelbar zu verbinden. 
Da aber das eigentliche Arowakisch auch spanische Wörter ent- 
lehnt hat (vgl. Grammatik der arawakischen Sprache, Bibliothéque 
linguistique Américaine VIII 167) und die Spanier ein Wort wie 
canoa gerade im Verkehr mit Indianern viel gebraucht haben 
werden, so liegt der Verdacht nahe, daß arowak. kanöa erst auf 
dem canoa der Spanier beruht, das diese selbst erst von den 
Guanahaniern entlehnt haben. 

Von den Formen unseres Wortes in den Sprachen der kari- 
bischen Familie gibt Adam Car. 101 folgende Zusammenstellung: 
„Chayma, Cumanagote Canagua, canahua; Galibi, Ouayana, Aparai 
canaua, canua; Caraibe, Macusi, Opone canaoa.“ Das karaibische 
(inselkaribische) canaoa hat er dabei Breton entnommen; wenn 
Breton bei Rochefort canaouä schreibt, so deutet hier wohl das 
ou (d. h. 2) auf eine mittlere Aussprache zwischen 6 und @; das 
ä für a ist vielleicht nur fehlerhafte Wiedergabe durch Rochefort. 

Von den genannten Formen ist canaoa (canaua) wohl als die 
älteste zu betrachten. Das Nebeneinander dreier Vokale wird 
dann einerseits zur Kontraktion in canoa (canua), andrerseits 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 57 


zur Einschaltung eines Konsonanten in canagua, canahua geführt 
haben. 

De Goeje, Araw. gibt in dem Vocabulary seiner „Information 
in Surinam in 1907 and in 1928“ S. 252 für „canon“ arowak. 
kulidla an, zu dem das durch frz. canot übersetzte „coulialla“ 
der karibischen Frauensprache bei Breton F. C. 60 als ein ur- 
sprünglich inselarowakisches Wort stimmt. Dem culiala nahe 
steht das bei Martius II 308 für lat. „cymba“ angeführte aro- 
wakische kuljara. In seinem Comparative vocabulary of Arawak.- 
Maipure languages nennt de Goeje a. a. O. S. 221 s. v. Boat als 
einen sich in mehreren Sprachen der arowakischen Familie finden- 
den Ausdruck nur arowak. mihu „ship“, Palikur omuhu „boat“, 
dem auch Kanya aho „ship“ entsprechen soll, aber kein kanoa 
oder eine ähnliche Form. 

Bei dem Fehlen des Wortes canoa in fast allen arowakischen 
Sprachen des Festlandes und bei seiner weiten Verbreitung in 
der karibischen Sprachfamilie wird nicht daran zu zweifeln sein, 
daß es die Inselarowaken dem Karibischen entlehnt haben. Ihrem 
canoa liegt inselkaribisch canaoa zugrunde. Die Entlehnung aber 
erklärt sich daraus, daß die Kariben, die von Guayana aus die 
kleinen Antillen und Porto Rico und wahrscheinlich auch einen 
Teil Haitis erobert haben, ihre Seefahrzeuge sehr viel gebraucht 
und daher oft auch von ihnen gesprochen haben müssen. 

Beachtenswert ist noch die Angabe bei Breton F. C. 257 
„nauire canabire“. Bei Rochefort 523 sagt Breton darüber „na- 
vire Kanabire. Cela vient sans doute de notre mot françois“. Die 
letztere Bemerkung ist richtig; nur hat sich frz. navire, als es in 
das Inselkaribische überging, an das begriffsverwandte candoa 
auch lautlich angelehnt. 

4. Hängematte. 

Ndl. hangmat (woher nhd. Hangmatte, Hängematte) geht volks- 
etymologisch über hangmak wahrscheinlich zunächst auf frz. hamac 
zurück (Franck-van Wijk s. v.). Das Gleiche dürfte auch für 
engl. hammock gelten, während dem ital. amaca und port. maca 
das span. hamaca zugrunde liegt. Das Wort ist mit der Sache 
nach Europa gewandert; die hängenden Schlafstellen der euro- 
päischen Matrosen sind den schwebenden Betten der Indianer 
nachgebildet worden. 

Für frz. hamac usw. wird meist karibischer Ursprung ange- 
nommen, so von Diez, Kluge, Franck-van Wijk und im NED. Die 
Meinung geht zunächst zurück auf Pott, Doppelung 83, der sich 


58 R. Loewe 


wieder auf Duponceau beruft, der das Wort bei Raymond ge- 
funden habe. In der Tat sagt auch Raymond Breton bei Roche- 
fort 522: „Liet H [Hommes], Amak et Akat, F. [Femmes] Nékera“. 
Aber im C.F. verzeichnet Breton kein „amac“ mehr, sondern 
nur noch 11 ein ,acat“ (mit der Übersetzung „lict de Sauvage“). 
Und im F.C. sagt er 228 „Lit de coton suspendu en lair äcat, 
bäti, &bou, f. &kera, mon lit ibönem, nelétébou, (bat, f. nékéra“. 
Es fehlt also auch hier „amac“. Wahrscheinlich war Breton 
später ein Zweifel darüber aufgestiegen, ob amac, das er als hamac 
aus dem Französischen kannte, wirklich ein echt karibisches 
Wort wäre. 

Dafür daß amac von Haus aus nicht karibisch sein dürfte, 
spricht auch der Umstand, daß es nirgends als Wort des dem 
Inselkaribischen nächstverwandten Galibi genannt wird. So sagt 
Boyer 414 nur „Lict de eoton, acado“, so Diet 415 nur „lict ... 
acado ...* und so auch Pelleprat 20 nur „Un lict Acdto ou Batio“. 
Und während sich zu acato nach de Goeje Car. 32 ein verwandtes 
Wort in dem zur karibischen Familie gehörigen Tamanaco als 
caic-cat6 „Bett“ wiederfindet, läßt sich ein mit inselkar. amac 
verwandtes nur außerhalb dieser Gruppe nachweisen. 

Aufmerksam gemacht auf Literaturstellen, die für frz. hamac 
usw. auf einen nichtkaribischen Ursprung hinweisen, hat denn 
auch bereits Skeat 347f., der es „probably a Hayti word“ nennt. 
Wenn sich Skeat hier zunächst auf Webster (Compl. Dict. of the 
Engl. lang., New ed. London 1882) beruft, der hamaca aus Co- 
lumbus’ Bericht von seiner ersten Reise (auf der dieser wohl Cuba 
und Haiti, aber noch nicht die von den Kariben bewohnten Inseln 
entdeckt hat) anführe, so habe ich freilich die Worte, die Webster 
s. v. hammock in englischer Übersetzung gibt, ohne die Seite bei 
Navarrete oder das Datum bei Columbus zu nennen, nicht ge- 
funden; es handelt sich hier wohl um die Nachricht eines späteren 
Geschichtsschreibers. Ferner soll nach Skeat 347f. hamaca bei 
Oviedo zugleich in bezug auf Cuba und auf Haiti vorkommen. 
Für Cuba habe ich nun freilich auch bei Oviedo keine hierhin 
gehörige Stelle ausfindig machen können; nicht entgangen sind 
mir aber die Worte, mit denen Oviedo hamaca den Haitiern zu- 
weist. Dieselben stehen bei ihm I 131P und lauten: „... los indios 
en esta Isla Española, à la qual cama llaman hamaca“. Unab- 
hängig von Oviedo bezeichnet las Casas, Hist. 62 (1), 310 hamaca 
als ein haitisches Wort (Estas [camas] llamaban en esta Española, 
hamacas)“. Noch genauer äußert sich las Casas über das Wort 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 59 


66 (5), 485, wo er mit Bezug auf „la gente de Xaraguä“, also 
speziell auf die arowakischen Taino, sagt: „las camas en que 
dormian, que llamaban hamacas“. 

Wahrscheinlich ist allerdings hamaca „Bett“ in gleicher oder 
wenig abweichender Form auch auf anderen von arowakischen 
Stämmen bewohnten Inseln Westindiens üblich gewesen; doch 
habe ich hierüber keine bestimmte Nachricht gefunden. Wenn 
Skeat 348 auch bemerkt, daß Herrera hamaca in Verbindung mit 
Columbus’ Entdeckung der Insel Fernandina bei Cuba nenne 
(wobei er nicht angibt, an welcher Stelle bei diesem Schriftsteller 
die Worte vorkommen), so beweist das nichts für die Sprache 
Fernandinas, da hamaca schon ein Jahrhundert vor Herrera (der 
um 1600 gelebt hat) zur spanischen Bezeichnung für „Indianer- 
bett“ geworden sein kann. Es ist das vielleicht sogar schon vor 
1500 der Fall gewesen, da sich die Spanier bereits 1493 auf Haiti 
niedergelassen haben (Zimmermann 133ff.). Ein spanisches Wort 
ist hamaca deutlich schon bei Oviedo III 126, wo dieser in bezug 
auf die Cueva die Worte „en una hamaca“ gebraucht, ohne 
eine Erklärung von hamaca hinzuzufügen (die Cueva sitzen nach 
Müller 170 auf der Landenge von Panama und gehören nach 
Schmidt 213 zur Chibcha-Familie). 

Höchst zweifelhaft erscheint es, ob hamaca auch der Sprache 
der Insel Cozumella (östlich von Yucatan), für die es nach Skeat 
348 in The first three English books on America (1511?—1555) 
by Eden, edited by Arber, Birmingham 1885, S. 192 erwähnt 
wird, angehört hat. Die Stelle bei Eden ist übersetzt aus Martyr 
71B: „Aufugiunt incolae ad sylvas ... vacuas domos ingrediuntur 
nostri ... lodices, amaccas appellant, ex gossipio nativo repe- 
riunt“. Hier ist vielleicht nostri (die Spanier) auch als Subjekt 
zu amaccas appellant zu denken, indem Martyr hat sagen wollen, 
daß schon die Spanier seiner Zeit in ihrer eigenen Sprache amaca 
für „Indianerbett“ gebraucht hätten. Doch könnte er auch irr- 
tümlicherweise gemeint haben, daß amaca der bei allen Indianern 
übliche Ausdruck für „schwebendes Bett“ gewesen wire. Daß 
speziell die doch wohl zum Kulturvolke der Maya auf Yucatan 
gehörigen Bewohner Cozumellas ihr Wort für „Bett“ von einem 
Naturvolke wie den Taino auf Haiti (oder anderen Westindiern) 
entlehnt haben sollten, ist doch sehr unwahrscheinlich. Auch 
können die Taino ihr hamaca nicht wohl von den Maya erhalten 
haben, da ein solches Wort, wie es scheint, weder im Maya selbst 
noch in irgend einer dem Maya verwandten Sprache existiert. 


60 R. Loewe 


Außer im Inselarowakischen kommt unser Wort jedoch noch 
in der inselkaribischen Männersprache vor, für die es, wie be- 
merkt, Breton bei Rochefort als amak bezeugt. Die inselkaribische 
Frauensprache kann in diesem Falle nicht vermittelt haben, da 
sie ja gerade für „Bett“ ein ganz anderes Wort (nékera) hat. 
Hätte nun das Taino oder das Inselarowakische überhaupt sein 
hamaca aus der karibischen Minnersprache entlehnt, so bliebe die 
Herkunft des A unklar. Dagegen läßt sich der Verlust des h von 
hamaca in der karibischen Männersprache genügend durch An- 
lehnung an das anklingende Synonymum akat erklären. Auch 
sieht man nicht, warum im Inselarowakischen an *hamak noch 

ein -a angetreten sein soll, während in der inselkaribischen Männer- 
= sprache der Verlust des -a nach demselben Auslautsgesetze er- 
folgt sein könnte, nach der hier acdto, wie „Bett“ im Galibi nach 
Pelleprat 20 geheißen hat, zu akat geworden ist. 

Wahrscheinlich aber haben die karibischen Männer ihr amak 
erst von den Franzosen erhalten. Wie die Franzosen bei Ent- 
lehnung von span. tabaco den in dritter Silbe stehenden Endvokal 
fortgelassen, das Wort also zu tabac gemacht haben, so haben 
sie auch span. hamaca zu hamac gekürzt (wobei das Wort nach 
dem Muster von frz. lit Maskulinum geworden ist). Haben aber 
die Inselkariben ihr amak erst von den Franzosen entleht, dann 
könnte auch die schwache Aussprache des h aspiré im Franzö- 
sischen zur gänzlichen Fortlassung des h in amak beigetragen 
haben. Vielleicht haben die Inselkariben das Wort amak auch 
nur dann gebraucht, wenn sie mit Franzosen sprachen, haben 
aber sonst ihr akat beibehalten; wenigstens erklärt es sich so am 
leichtesten, daß Breton, der bei Rochefort amak als ein insel- 
karıbisch männersprachliches Wort für „Bett“ an erster Stelle 
nennt, es in seinen eigenen Wörterbüchern des Inselkaribischen 
überhaupt nicht mehr verzeichnet. | 

Wo hamaca in festländischen Indianersprachen auftritt, kann 
es dem Spanischen entstammen. Es gilt das besonders für das 
im Araw. D. Wb. angegebene hdmaca „Hängematte“, da das 
eigentliche Arowakisch auch sonst Wörter aus dem Spanischen 
aufgenommen hat (vgl. oben S.56). Auch das von Gilij, Saggio 
di storia Americana III (Roma 1782) 377 aus der gleichfalls zur 
-arowakischen Familie gehörigen Linguo Maipure am Orinoko 
(vgl. Les langues du monde 644) angeführte amäca kann durch 
die Spanier vermittelt worden sein; vielleicht erklärt sich hier auch 
das Fehlen des h durch seine schwache Aussprache im Spanischen. 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 61 


Dagegen kann nicht aus dem Spanischen entlehnt sein das in 
dem gleichfalls arowakischen Yavitero übliche amaika „Hänge- 
matte“ bei Th. Koch-Grünberg, Aruak-Sprachen Nordwestbrasiliens 
und der angrenzenden Gebiete (Mitteilungen der Anthropologi- 
schen Gesellschaft in Wien, Bd. 41, 1911), S. 97 (das k zwischen 
h und ach-Laut nach S. 54). Möglicherweise ist dies amaiha mit 
Taino hamaca erbwörtlich verwandt. Für das neben amaiha als 
Wort des Yavitero von Koch-Grünberg aus Wallace (1853) an- 
geführte hamäka ist dagegen wegen des Vorhandenseins von 
amaiha Entlehnung aus dem Spanischen besonders wahrscheinlich. 


5. Tabak. 


Nhd. Tabak und ndl. tabak werden im NED. richtig auf frz. 
tabac zurückgeführt, das selbst auf span. tabaco zurückgeht. Un- 
verändert erhalten hat sich letzteres noch in der ältesten engli- 
schen Form tabaco (NED.), dessen Nebenform tabacco vielleicht 
an back „Rücken“ angelehnt worden ist. Der Wandel von a zu 
o in dem jetzt im Englischen herrschenden tobacco erklärt sich 
wohl daraus, daß es in vortoniger Silbe stand (worauf ich noch 
unter „Kakao“ zurückzukommen habe). Auf Einfluß von engl. 
tobacco beruht wohl (nach Weigand-Hirt) die deutsche Nebenform 
Tobak, die wieder dem dän. und schwed. tobak zugrunde liegt. 
Unverändert ist span. tabaco in port. tabaco geblieben, während 
sich ital. tabacco wohl an Bacco „Bachus“ angelehnt hat. 

Das Rauchen der Indianer ist nach Columbus’ Bericht vom 
6. Nov. 1492 (S. 51) zuerst von zwei Spaniern auf Cuba beobachtet . 
worden. Ausführlicher erzählt hierüber las Casas, Hist. 62 (1), 
332. Danach wickelten die Indianer bestimmte trockene Kräuter 
in ein bestimmtes gleichfalls trockenes Blatt von der Form einer 
Muskete aus Papier, wie sie sich Pfingsten die Knaben machten, 
zündeten das eine Ende an und sogen aus dem anderen den Duft 
ein; solche Musketen nannten sie tabacos. Einen ähnlichen Be- 
richt gibt las Casas auch Ap. Hist. S. 181°. Danach trockneten 
die Indianer Haitis und der Nachbarinseln ein Kraut, das wie 
eigentümlicher Lattich (lechugas) war, machten aus trockenen 
Baumblättern ein Röllchen wie eine Papiermuskete, steckten ein 
wenig von dem Kraut hinein, zündeten das eine Ende an und 
sogen aus dem anderen den Rauch ein, der eine Einschläferung 
ihres ganzen Körpers bewirkte, ohne daß sie dabei müde wurden; 
die Musketen aber nannten sie tabacos. 

Sehr abweichend von las Casas berichtet über das Rauchen 


62 : R. Loewe 


auf Haiti Oviedo I 130f. Danach sogen die Haitier den Rauch 
eines Krautes von der Art des Bilsenkrauts (belefio) ein, um sich 
zu betäuben. Und zwar rauchten die Vornehmen aus hohlen 
Stöckchen; diese bestanden aus zwei Rohren, die in eins zu- 
sammenliefen. Die Enden beider Rohre steckte man in die Nasen- 
löcher; das entgegengesetzte Ende hielt man in den Rauch eines 
bestimmten Krautes, das brannte. Diejenigen Indianer aber, welche 
solche Stöckchen nicht hatten, sogen den Rauch aus Rohren oder 
Röhrchen von Schilf. Die Röhrchen aber nannten sie tabaco. 
Den Widerspruch zwischen las Casas und Oviedo hat A. Ernst 
im American Anthropologist II (1889), 133ff. aufzuklären gesucht. 
Nach Ernst 134 gleicht die von Oviedo seinem Berichte über das 
Rauchen beigegebene Abbildung dem (auch in ethnographischen 
Sammlungen zu findenden) taboca genannten, die Form eines Y 
aufweisenden Instrument, das mehrere südamerikanische Stämme 
zum Schnupfen . gewisser erregender Pulver (niopa, parica) ge- 
brauchten. Den Namen taboca leitet Ernst dabei aus dem Guarani 
her, wobei er sich auf Almeida Nogueira, Vocabulario Guarani 
(Rio de Janeiro 1879) 469 (mir nicht zugänglich) bezieht; taboca 
ist nach ihm im Guarani auch zugleich der Name eines bambus- 
artigen Grases, dessen hohle Zwischenknotenstücke man wahr- 
scheinlich zum Schnupfen des Pulvers gebraucht habe, bevor 
man das Schnupfinstrument aus einem Tapirknochen geformt 
hätte. Nach Ernst soll nämlich taboca auch der Name der aus 
einem Knochen des Tapirs gefertigten Röhre sein, aus dem nach 
Martius, Reise in Brasilien III 1075 die Muras am Amazonenstrom 
sich das Pulver Parica gegenseitig in die Nasenlöcher bliesen. In 
Wirklichkeit gebraucht freilich Martius a.a. O. (und ebenso Bei- 
trige zur Ethnographie I 411) den Namen taboca nicht in bezug 
auf die zum Schnupfen dienende fußlange Röhre, die meist ein 
ausgehöhlter Schenkelknochen des Tapirs ist, sondern nennt die 
großen Bambusrohre, in denen das Parica aufbewahrt und aus 
denen es in den hohlen Knochen gefüllt wird, Tabocas. Nach 
Ernst soll Martius dasselbe wie von den Muras auch von den 
Mauhés sagen; doch bemerkt letzterer, Reise nach Brasilien a. a. O. 
von diesen nur, daß ihnen der Gebrauch des Parica in einer 
feineren Form als den Muras zu eigen wäre; den Namen taboca 
erwähnt er in bezug auf die Mauhés überhaupt nirgends. Da- 
gegen nennt er Beitr. z. Ethnogr. 1536 taboca auch das Pflöckchen, 
das sich die Miranha quer durch den Nasenknorpel oder durch 
die Ohren stecken. Auch Oviedo führt den Namen tabaco, den 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 63 


er nach Ernst für taboca eingesetzt haben soll, erst am Schluß 
seines Berichtes über das Rauchen für die Schilfrohre an, aus denen 
die nicht vornehmen Haitier das berauschende Kraut rauchten, 
während er für das von ihm abgebildete aus Stöckchen bestehende 
Instrument überhaupt keine Benennung angibt, wenn er letzteres 
auch vielleicht unter dem Namen tabaco mitverstanden wissen 
wollte. Daß der Name taboca, für den Oviedo tabaco eingesetzt 
habe, überhaupt auf Haiti erscheine, soll nach Ernst a.a.O. 137 
daher rühren, daß die (von las Casas genannten) Ciguayos auf 
Haiti vom Stamme der Guarani (im fernen Paraguay) gewesen 
wären; der sprachliche Beweis aber, den Ernst hierfür zu geben 
versucht hat, steht außerhalb der wissenschaftlichen Diskussion. 

Ernst bemerkt auch noch a. a QO. 134, daß man, wie er ex- 
perimentell festgestellt habe, mit dem wie ein Y geformten Schnupf- 
instrument südamerikanischer Stämme (das aus Tapirknochen be- 
stehen soll) überhaupt keinen Rauch aus brennenden Tabakblättern 
einziehen könne. Damit ist aber nicht widerlegt, daß man aus 
dem ebenso geformten aus hohlen Stöckchen bestehenden Instru- 
ment, das Oviedo beschreibt, sowie aus hohlen Schilfrohren rauchen 
kann. Merkwürdig ist nun allerdings, daß nach Oviedo die beiden 
oberen Enden des Rauchinstruments nicht in den Mund, sondern 
in die Nasenlöcher gesteckt worden sein sollen. Oviedo hat also 
vielleicht wirklich, wie Ernst meint, das Schnupfen gewisser er- 
regender Pulver und das Rauchen des Tabaks bei den Indianern 
in seinem Bericht durcheinandergewirrt. Dann wäre Ernst auch 
im Recht mit seiner Behauptung, daß Oviedo nur das Instrument 
gesehen, vom Gebrauche desselben aber nur durch Hörensagen 
gewußt hätte. Daß Oviedo die Indianer selbst gar nicht hat 
rauchen sehen, wird vor allem (aus dem von Ernst gar nicht an- 
geführten) Moment wahrscheinlich, daß er das gerauchte Kraut 
mit dem Bilsenkraut vergleicht, das ja mit dem Tabak in Wirk- 
lichkeit keinerlei Ähnlichkeit hat. Wie nun aber auch Oviedo 
zu seiner Schilderung des Rauchens der Indianer gekommen sein 
mag, jedenfalls ist diese höchst unzuverlissig und kann daher 
auch über die wirkliche Bedeutung des Namens tabaco keinen 
Aufschluß geben. | 

Wie das Einziehen des Rauches bei den westindischen India- 
nern in Wirklichkeit vor sich gegangen ist, hat uns las Casas 
geschildert. Danach rauchten dieselben ihre Röllchen nach Art 
unserer Zigarren. Ob freilich die Röllchen auch schon in ihrer 
Gestalt unseren Zigarren ähnlich gewesen sind, läßt sich nicht 


64 R. Loewe 


feststellen, da wir nicht wissen, wie die zu las Casas’ Zeit von 
den spanischen Knaben angefertigten Papiermusketen, mit denen 
er die Röllchen vergleicht, ausgesehen haben. 

Einen Zweifel davon, ob das von den Indianern Cubas und 
Haitis gerauchte Kraut wirklich der Tabak gewesen ist, könnte 
las Casas’ Bemerkung erwecken, daß das Kraut eine betäubende 
Wirkung gehabt hat. Dieser Zweifel wird jedoch fast ganz wieder 
durch las Casas selbst zerstreut, der ja auch sagt, daß dies Kraut 
dem Lattich ähnlich gewesen sei. Denn in der Tat ist eine Ähn- 
lichkeit zwischen dem gemeinen Tabak, Nicotiana Tabacum, und 
dem Lattich, Lactuva sativa, vorhanden, wie man z.B. an den 
Abbildungen bei Hegi, Flora von Mittel-Europa V 4, 2623 und 
VI 2, 1119 sehen kann. Nach Dr. Otto Schmidt (Botan. Museum, 
Berlin) besteht die Ähnlichkeit beider Pflanzen in ihrem hohen 
Aufbau und ihrer steifen Haltung sowie in der Form ihrer Blätter, 
die auch bei beiden leicht gewellt sind. A. Grisebach, der in 
seinem Catalogus plantarum Cubensium, Lipsiae 1866 die wild- 
wachsenden Pflanzen Cubas aufzählt, nennt unter diesen als 
Spezies von Nicotiana freilich nicht Nicotiana tabacum (welche Art 
nach Hegi V 4, 2638 aus Virginien stammt), sondern nur Nico- 
tiana repanda (S.188); doch ist diese letztere Art nach O. Schmidt 
dem Lattich ebenso ähnlich wie erstere. Wie mir O. Schmidt 
ferner mitteilt, zeigen von sämtlichen wild wachsenden Pflanzen 
Westindiens eine Ähnlichkeit mit dem Lattich sonst nur noch 
einige Arten von Solanum (Nachtschatten), die aber schwerlich 
jemals geraucht worden sein dürften. Höchst wahrscheinlich ist 
also das von den Indianern Cubas und Haitis gerauchte Kraut 
Nicotiana repanda gewesen. 

Um die betäubende Wirkung des Tabaks der Inselarowaken 
zu erklären, braucht man nicht anzunehmen, daß diesem noch 
eine andere Substanz beigemischt worden sei. Wire dem so 
gewesen, so würde las Casas, der doch das Rauchen der Indianer 
genau beschreibt, wahrscheinlich auch davon etwas mitgeteilt 
haben. Eher wäre denkbar, daß speziell Nicotiana repanda eine 
betäubende Wirkung ausübte, wenigstens wenn der Tabak nicht 
fermentiert ist. Sollte aber dies nicht zutreffen (was sich ja ex- 
perimentell feststellen ließe), so wird die Betäubung entweder 
von den Hüllblättern des Tabakröllchens, die von einem Baume 
herrührten, den las Casas nicht nennt, oder durch das Zusammen- 
wirken dieser Hüllblätter mit dem Tabak selbst hervorgerufen 
worden sein. 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 65 


Wie Nicotiana repanda bei den Indianern Cubas und Haitis 
selbst geheißen hat, ist unbekannt. Daß die Spanier schon sehr 
früh den Namen tabaco auf Nicotiana repanda übertragen haben, 
wird aus Oviedos Bemerkung I 131° wahrscheinlich, daß einige 
glaubten, daß das von den Indianern gerauchte Kraut (das er 
freilich sehr unzutreffend als dem Bilsenkraut ähnlich bezeichnet) 
selbst tabaco heiße. Die weitere natürliche Folge war die Uber- 
tragung des Namens tabaco im Spanischen auf alle übrigen Arten 
von Nicotiana. Später schufen sich die Spanier für das von ihnen 
gerauchte Tabakröllchen, das wahrscheinlich bei ihnen eine neue 
Form angenommen hat, ein besonderes Wort, cigarro’). 

Auf die merkwürdige Erklärung Ernsts a. a. O. 140, nach dem 
westind. tabaco in Wirklichkeit „ich rauche“ oder „ich werde 
rauchen“ geheißen hätte und die Bedeutung „Zigarre“ nur durch 
das Mißverständnis eines Spaniers erhalten haben soll, brauche 
ich nicht einzugehen. Wenn las Casas, der schon deshalb, weil 
er auf Haiti als Missionar wirkte, die dortige Sprache gut kennen 
mußte, von den Haitiern sagt, daß sie die von ihm beschriebenen 
„Musketen“ tabacos nannten, so ist an der Richtigkeit dieser An- 
gabe nicht zu zweifeln. Wie philologisch genau las Casas auch 
in diesem Falle verfahren ist, zeigt sein Ap. Hist. 181 zu tabacos 
gemachter Zusatz „la media silaba luenga“. | 

Martius II 318 vermerkt in seinem aus alten Quellen zu- 
sammengestellten Wörterverzeichnis des Taino auch ein tabaco 
„tubulus tabacinus“ aus Martyr, ohne Angabe der Stelle. Ich 
habe aber das Wort bei Martyr nicht gefunden und vermute, daß 
Martius hier Martyr mit Oviedo verwechselt hat. Martius fügt 
aber zu seinem tabaco auch noch ein bacana aus dem „Caraibi“ 
und zwar ohne jede (Juellenangabe. Man wird aber dieser Form, 


1) Span. cigarro ist von cigarra „Baumgrille, Singzikade“ abgeleitet. 
Diese Herleitung ist besonders von Mahn, Etym. Unters. auf dem Gebiete der 
roman. Spr. 144 verfochten worden. Meyer-Lübke, Et. Wb. Nr. 1897 vermißt 
hier freilich den sachlichen Nachweis. Dem gegenüber ist zu bemerken: Die 
Singzikade besitzt einen zylinderförmigen Leib, der aber hinten in eine kegel- 
formige Spitze ausläuft, wie ja auch die Zigarre die Form eines Zylinders hat, 
aber an dem einen Ende kegelförmig zugespitzt ist. Die verschiedenen Arten 
der Singzikade, auch die amerikanischen, weisen alle denselben Typus auf. Auch 
sind die Singzikaden meist von brauner Farbe wie die Zigarre. Prof. Ramme, 
der mir im Berliner zoologischen Museum viele Arten dieses Tiers gezeigt hat, 
sagte mir auch, daß die Singzikade das einzige Insekt sei, das eine Ähnlichkeit 
mit der Zigarre habe. Auch machte er mich auf die Popularität der Singzikade 
(die ja schon bei den Griechen als zérr: eine Rolle gespielt hat) aufmerksam. 


Zeitschrift für vergl. Spracht. LXI 1/2. 5 


66 R. Leewe 


die weder bei Breton noch in bekannten Vokabularen des Galibi 
sich findet, so lange das größte Mißtrauen entgegenzubringen haben, 
bis sie in einer zuverlässigen Quelle nachgewiesen worden ist. 

Noch vorsichtiger zu sein hat man gegenüber dem von Mar- 
tius II 425 aus dem Coroado mitgeteilten, von ihm selbst aufge- 
zeichneten tabaco „pulvis tab.“ neben boké „Nicotiana Tabacum, 
Tabak“, boké tehé „ad fumandum*, boke motche „fumare“, bocéh 
brohma „fistula fumaria“. Das Coroado gehört nicht zu den 
arowakischen Sprachen, sondern zu den Ges-Tapuya-Sprachen im 
östlichen Brasilien (Schmidt 234ff.). Sind Martius’ Angaben hier 
sämtlich richtig, so könnte man aus ihnen vielleicht zunächst 
schließen, daß im Coroado von der Wurzel bok „rauchen“ durch 
ein Präfix "to oder auch durch Zusammensetzung mit einem 
selbständigen Worte *ta ein tabaco „Tabakpulver“ gebildet und 
daß tabaco frühzeitig in das Inselarowakische entlehnt worden sei 
und dort die Bedeutung „Zigarre“ erhalten habe. Bei dem weiten 
Wege.aber, den das Wort vom südöstlichen Brasilien aus (vgl. 
Schmidt, Atlas, Karte VI) bis nach Haiti und Cuba zu machen 
gehabt hätte, müßte es doch wohl auch in einigen andern India- 
nersprachen erhalten sein, worüber aber nichts bekannt ist. Noch 
mehr fällt auf, daß das von Martius aus dem Coroado vermerkte 
tabaco in seiner zweiten Silbe einen vom o der Wurzel bok ab- 
weichenden Vokal zeigt, hierin aber gerade wie in der Vorsilbe 
*ta zu hait. tabaco „Zigarre“ stimmt. Dadurch wird der Gedanke 
nahe gelegt, daß die Coroado, die schon seit 1757 von eindrin- 
genden Kolonisten teilweis zivilisiert worden sind (Martius 1334), 
ihr tabaco aus dem Portugiesischen entlehnt haben. Doch ist mir 
eine andere Sachlage noch wahrscheinlicher: Martius wurde, als 
er 1817—1820 Brasilien zum Zwecke botanischer Forschungen 
bereiste und bei dieser Gelegenheit auch Wörter aus vielen bra- 
silianischen Sprachen und zwar besonders Pflanzennamen auf- 
zeichnete, durch Coroado boké „Tabakpflanze“ an deutsch Tabak, 
port. tabaco erinnert und glaubte nun ein Wort für „Tabakpulver“, 
das zu boké mit einem Präfix oder durch Komposition gebildet 
worden war und dem tabaco ähnlich klang, wirklich als tabaco 
zu hören. 

Man hat tabaco auch vom Namen der Insel Tabago herge- 
leitet, was allerdings falsch ist, wenn man annimmt, daß direkt 
die Tabakpflanze nach Tabago benannt worden sei. Da aber 
inselarowak. tabaco wahrscheinlich niemals die Bedeutung „Tabak- 
pflanze“, sicher aber die von „Zigarre“ gehabt hat, so liegt doch 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 67 


die Sache etwas anders. Die auf Haiti und Cuba gerauchte Zigarre 
übte ja eine betäubende Wirkung auf den Rauchenden aus, und 
es ist nichts darüber bekannt, daß eine derartige Zigarre auch 
außerhalb Westindiens von Indianern geraucht worden wäre. 
Eine solche besondere Art von Zigarre könnte doch aber sehr 
wohl nach dem Lande benannt worden sein, in dem man sie 
zuerst verfertigt hatte, und zwar besonders dann, wenn sie (was 
man wohl aus las Casas’ Vergleich mit spanischen Papiermusketen 
schließen darf) eine eigentümliche Form besessen hat. Dies Land 
ist aber möglicherweise die kleine Antille Tabago gewesen. Wie 
wir nun eine aus Havannah importierte Zigarre kurz eine Havannah 
nennen, so könnte man in Westindien eine aus Tabago kommende 
und später auch eine nach dem Muster einer solchen hergestellte 
kurzweg tabaco genannt haben. Der lautliche Unterschied von 
tabaco und Tabago spricht eher für als gegen meine Vermutung. 
Tabago wurde die Insel Tabago offenbar von ihren eigenen karibi- 
schen Bewohnern genannt; wie aber dem inselkaribischen ouragan 
„Orkan“ im Taino ein kuracan entsprach, so kann dem Tabago im 
Taino * Tabaco als Name der Insel entsprochen haben. Die Form 
mit g würde dann auch hier aus der inselkaribischen Frauensprache 
auch in die inselkaribische Männersprache übergegangen sein. 


6. Mais. 


Dem span. maiz liegt ein indianisches mahiz zugrunde, das 
von Oviedo I 264ff. und III 142° bezeugt wird. Las Casas, Hist. 
66 (5), 315 bezeichnet dies mahiz als haitisch (mit „esta isla“ 
ist Haiti gemeint) und gebraucht die Form mahiz für „grano 
desta Isla“ (Haiti) auch noch 66 (5), 357. Doch schreibt er dafür 
maiz 62 (1), 308 und 333, welcher Form sich auch Oviedo in 
seinem Sumario de la natural historia de las Indias (Biblioteca 
de Autores Españoles, T. 22 [I], Madrid 1852, S. 475f.) wiederholt 
bedient. Dies maiz ist, obgleich las Casas 1, 333 sagt „grano 
que llamaban los indios maiz“, nicht mehr die haitische, sondern 
bereits die spanische Form, in der das den Spaniern ungewohnte 
intervokalische h fortgefallen war. Die Zugehörigkeit von maiz 
zum Spanischen zeigt sich besonders deutlich darin, daß Oviedo, 
Sumario 476 auch schon das abgeleitete los maizales aufweist. 

Neben den spanischen Formen des Wortes „Mais“ kommen 
aber auch noch die neulateinischen bei Martyr in Betracht. Als 
solche finden sich maizum (Nom.) 54C, maizium (Akk.) 2B, 50A 
und maizio (Abl.) 62D, zu welchen Substantivkasus sich noch das 

5* 


68 R. Loewe 


Adjektiv maizius in maizio pane 47D, 56B, 66D, maizii panis 64D 
und maizio grano 75B gesellt. Als endungslose Form schreibt 
dagegen Martyr 31B Mais in dem Satze „Ac ex tribus illis radi- 
cum et granorum ad conficiendum panem generibus, quae lucca, 
Ages et Mais diximus“, in dem auch Jucca indeklinabel gebraucht 
ist (gegenüber 50A Iuccam neben Maizium, 2B iuccam und iuccae). 

Für das spanische z wird noch in einer grammatischen Schrift 
von 1546 und sogar noch in einer solchen von 1614 die Aus- 
sprache dz angegeben (Paul Foerster, Span. Sprachlehre S. 12). 
Allerdings tbernahm z bei einzelnen Spaniern bereits im 16. Jahr- 
hundert den Lautwert des ¢, wurde also von ihnen als is ge- 
sprochen (Foerster S. 13). Das z von Taino mahiz ist daher ent- 
weder eine stimmhafte oder eine stimmlose Affrikata gewesen. Das 
spanische z des 16. Jahrhunderts schwankte aber auch zwischen 
dentaler und interdentaler Aussprache (Foerster S. 12), so daß das 
z von mahiz auch in bezug auf die Artikulationsstelle doppeldeutig 
ist; da indes das interdentale s den meisten Sprachen fehlt, so 
wird das z von Taino mahiz aller Wahrscheinlichkeit nach ein- 
fach dental gesprochen worden sein. 

Die Aussprache des z von mahiz als einer Affrikata wird auch 
durch das maizum, maizium des Italieners Martyr bestätigt. Das 
s in dem endungslosen mais hat Martyr wahrscheinlich nur deshalb 
geschrieben, weil es ihm widerstrebte, im Lateinischen, in dem 
niemals ein z am Wortende vorkommt, ein Wort mit diesem 
Buchstaben schließen zu lassen. Als Affrikata aber ist das 2 von 
Taino mahiz auch noch besonders deutlich in dem ältesten deutschen 
Belege für den Pflanzennamen, in dem Maytz bei Sebastian Franck, 
Weltbuch (1534), 231® erhalten. Dies Maytz spricht auch dafür, 
daß das z von Taino mahiz stimmlos gewesen ist. 

Das z von span. maiz wird heute gewiß nicht anders als 
sonstiges z, d. h. als stimmloses postdentales s gesprochen (vgl. 
Baist in Gröbers Grundr. I 884; Wiggers, Gramm. d. span. Spr.’ 
S. 10). Bereits in dieser jüngeren Aussprache ist span. maiz in das 
Französische als mais (mit dentalem s) entlehnt worden. Auf frz. 
mais gehen ndl. mais und nhd. Mais zurück. Die Deutschen haben 
hier, da sie einen Diphthong ai besaßen, den Hiatus zwischen a 
und i in dem bald volkstümlich gewordenen Worte nicht geduldet 
(gerade wie sie auch später von dem Vorhandensein des Diphthongs 
au in ihrer Sprache zur Beseitigung des Hiatus zwischen o und 
u in dem aus frz. caoutchouc entlehnten Kautschuk Gebrauch ge- 
macht haben); gleichwohl zeigt sich darin, daß man hier im 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 69 


Deutschen den Diphthong ai wirklich als ai und nicht wie ge- 
wöhnlich als ei schreibt, die Herkunft aus dem französischen 
Schriftbild. Dem wie nhd. Mais einsilbig gewordenen engl. maize, 
in dem ai als é und z als stimmhaftes s gesprochen wird (NED.), 
liegt das geschriebene (und gedruckte) span. maiz zugrunde. Im 
Italienischen hat man sowohl maiz (mit Affrikata) aus dem älteren 
Spanischen wie mais aus dem Französischen (mais) entlehnt, da- 
neben aber auch zur Beseitigung des ungewohnten Konsonant. 
schen Auslauts ein maice geschaffen, das an die Feminina auf 
-ice wie radice, pernice, nutrice angelehnt worden ist, dabei aber 
sein maskulines Genus beibehalten hat. Auch portugiesisch stehen 
aus dem Spanischen stammendes maiz und aus dem Französischen 
stammendes mais neben einander (Figueiredo); ausgesprochen wird 
aber jetzt der Endbuchstabe wenigstens vor einer Pause in beiden 
Fällen gleichmäßig in Portugal als $ und in Brasilien als stimm- 
loses s (vgl. Louise Ey, Port. Konversations-Gramm. 10f.). 

Mit hait. mahiz verwandte Wörter gleicher Bedeutung sind 
in der arowakischen Familie weit verbreitet. Aus der von de Goeje, 
Araw. 230 aus den arowakischen Sprachen gegebenen Zusammen- 
stellung der Namen für „Mais“ gehören hierhin eigentlich arowa- 
kisch marisi (welchen Laut hier $ bezeichnet, ist nicht klar), insel- 
karibisch frauensprachlich marichi, Goajiro, Magidian mariki, Pali- 
kur mahiki, Parauhano mai, Wapischiana marique, Bare mai, 
Kustanau u. a. maiki. Uber den lautlichen Zusammenhang dieser 
Formen wird man nach der Analogie indogermanischer Verhält- 
nisse etwa folgendes vermuten dürfen: Urform war *maziki (z 
hier stimmhaftes. si, Durch Wandel von intervokalischem stimm- . 
haftem s in r (wie lateinisch und nordisch-westgermanisch) ergab 
sich mariki, durch solchen in h (als Vorstufe zum Schwund) 
mahiki, durch vollständigen Schwund des stimmhaften s in dieser 
Stellung (wie griechisch) maiki. Weiter konnte das & vor i wie 
vielfach in den indogermanischen Sprachen palatalisiert werden: 
auf diese Weise wurde aus mariki über *maritsi ein marisi (in 
französischer Orthographie marichi) und aus mahiki ein *mahitsi. 
Aus *mahitsi entstand durch Schwund des auslautenden i (wie 
bedingungsweise in den germanischen Dialekten) Taino mahits 
(in altspanischer Orthographie mahiz). Ähnlich ergab sich durch 
Schwund des auslautenden i von mariki ein marik (wenn marique 
hier französische Orthographie ist). Umständlicher erscheint nur 
der Wandel bis zu mai, über den ich keine Vermutungen auf- 
stelle. 


70 R. Loewe 


Die karibische Sprachfamilie hat ein anderes Wort oder viel- 
leicht sogar zwei andere für „Mais“ (vgl. Bakairi anachi, Macusi 
anaï usw. bei Adam Car. 93; Kalina awasi, Aparai aouachi usw. 
bei de Goeje Car. 54). Das karibische Akkawai hat sein mai 
(de Goeje a. a. O.) dem Parauhano oder dem Bare entlehnt. 


7. Leguan. 


Mit dem deutschen Namen der Baumeidechse, Leguan, stimmen 
in den Sprachen der Völker mit altem Kolonialbesitz nur ndl. 
leguan, leguaan, din. leguan und schwed. leguan überein, während 
die übrigen hierher gehörigen Sprachen statt des le- nur i- auf- 
weisen. Aber wie orkan so ist auch leguan nicht nur von den 
Deutschen, sondern auch von den Dänen und Schweden der 
Sprache der Niederländer entlehnt worden, die von jeher mehr 
Kolonieen als die letzteren beiden Völker angelegt hatten. Ndl. 
leguan steht zuerst bei Marcgraf, der 236 sagt: „Senembi Brasi- 
liensibus, nobis iguana, Cameliaon Lusitanis falso'), et falsissimo 
Belgis Leguan“. 

Das nach Marcgraf ursprünglich auch im Deutschen bestehende 
iguana kann nur dem span. iguana entstammen, auf das auch 
engl. iguana und frz. iguane zurückgehen. Doch kann auch ndl. 
leguan nicht direkt einer Indianersprache entnommen worden sein, 
da es unter diesen keine einzige gibt, in der das Wort den An- 
laut le- aufweise. Dieser Anlaut läßt sich überhaupt nur bei einer 
Entlehnung aus einer romanischen Sprache verstehen, deren Ar- 
tikel von den Niederländern als Teil des Wortes selbst aufgefaßt 
werden konnte. Und zwar wird ihr leguan auf frz. l’iguane be- 
ruhen, mit dem es (im Gegensatze zu span. iguana) im maskulinen 
Genus übereinstimmt, und dessen -e wohl von jeher stumm ge- 
wesen ist und nur dazu gedient hat, das vorhergehende an nicht 
als Nasalvokal sprechen zu lassen (das Maskulinum des Franzö- 
sischen erklärt sich durch Anschluß an lézard). Wieso das i von 
frz. Viguane niederländisch durch e ersetzt worden ist, bleibt 
freilich unklar. 

Als spanisch ist iguana vielleicht zuerst 1590 bei Acosta, 
Historia natural y moral de las Indias IV 38, S. 288 (in der Plural- 
form Yguanas) bezeugt. Als Wort einer Indianersprache erscheint 


1) Nach B. T. V 95 wird der Leguan noch heute von den Brasilianern 
(d.h. den portugiesisch sprechenden Brasilianern) cameleäo (eig. „Chamäleon“) 
genannt; die europäischen Portugiesen sagen dagegen wie die Spanier iguana 
(Figueiredo; Michaelis). 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 71 


die Form iguana zuerst bei las Casas, Hist. 62 (1), 314 Daman la 
los indios desta isla Espafiola iguana“. Auch wo iguana sonst 
noch bei las Casas vorkommt, wird es als Indianerwort noch be- 
sonders erklärt, so Hist. 62 (1), 316 („una sierpe ... y se llama 
iguana“), 64 (3), 472 und 66 (5), 301. 

Die Nennung von iguana als einer haitischen Wortform fällt 
deswegen auf, weil las Casas selbst in seiner früher geschriebenen 
Apol. Hist.') 26 als haitische Form yuana (,las, que llamaren 
yuanas“) anführt. Dasselbe Zuang gibt für Haiti auch Martyr 58C 
an („serpentes iudnas“). Wie ang auszusprechen ist, sagt genau 
Oviedo I 3932: „Llämase yuana, y escríbese con estas cinco letras, 
y pronüngiase y, é con poquissimo intervalo u, é despues las tres 
letras postreras ana, juntas 6 dichas presto: assi que, en el nom- 
bre todo se hagan dos pausas de la forma ques dicho.“ Oviedo 
überschreibt das Kapitel, in dem sich diese Stelle findet (Lib. XII, 
Cap. VII) mit den Worten: „De la serpiente 6 animal llamado 
y..u%..ana, del qual género avin é hay muchas en esta isla.“ Mit 
„esta isla“ ist hier wie sonst bei Oviedo Española (Haiti) gemeint, 
wo er während seines Aufenthaltes in Amerika gelebt hat. Danach 
war das viersilbige iwana eine haitische Form. 

Der Widerspruch bei las Casas läßt sich nicht etwa dadurch 
erklären, daß er mit iguana die Form des Macorix gemeint hätte, 
da er in einem solchen Falle dies hinzugesetzt haben würde; wo 
er ein Wort kurzweg als haitisch bezeichnet, weist er dasselbe 
vielmehr der „lengua universal“ der Insel, dem Taino, zu. Wenn 
er nun in der Historia iguana haitisch nennt, so hat er offenbar 
das wirklich haitische Zwang nicht mehr genau im Gedächtnis 
gehabt und geglaubt, daß span. iguana ein haitisches iguana 
wiedergäbe. Daß nun span. iguana sehr wohl auch aus einer 
anderen Sprache der arowakischen Familie entlehnt worden sein 
kann, zeigt das von A. Ernst, Z. E. II 401 aus dem Goajiro ver- 
zeichnete iguana. Es wäre nun zwar an und für sich nicht un- 
möglich, daß die Goajiro ihr iguana erst dem Spanischen ent- 
nommen hätten; doch bezeugen hier eine Entwicklung des g vor 
u in einem Teile der Indianersprachen selbst die Formen guana 
„Leguan“ im Marauha und guigana „Leguan“ im Warau (de Goeje, 
Car. 47); von diesen Sprachen ist das Marauha auch eine aro- 


1) Las Casas hat die Apol. Hist. bereits 1527 verfaßt (Fabie, Vida y escritos 
de F. Bart. de las Casas, Madrid 1879, I 356), mit der Abfassung aber der 
Historia general in ihrer: vorliegenden Gestalt wahrscheinlich erst 1552 oder 
1553 begonnen (Fabié I 358). 


72 R. Loewe 


wakische (de Goeje, Araw. 214), während das Warau (am Mün- 
dungsdelta des Orinoko) isoliert steht (Schmidt 219). Da das Land 
der Goajiro (im Nordosten Columbiens) die nördlichste Halbinsel 
Sudamerikas bildet, so wird dasselbe auch schon sehr früh von 
Spaniern besucht worden sein, die dort also ihr iguana entlehnt 
haben können. Sollte jedoch das Wort auch bei den Indianern 
Cubas und Jamaicas iguana gelautet haben, so kämen diese Inseln 
in erster Linie für die Entlehnung in das Spanische in Betracht. 

Da die Spanier ihre aus den arowakischen Sprachen stam- 
menden Wörter sonst gewöhnlich dem Taino entnommen haben, 
- so erhebt sich die Frage, warum sie im vorliegenden Falle von 
dieser Regel abgewichen sind. Offenbar ist ihnen der Zusammen- 
stoß dreier Vokale unbequem gewesen. Sie bevorzugten daher 
das iguana einer andern arowakischen Sprache, eine Form, in 
der offenbar auch das u konsonantische Geltung gehabt hat, und 
die zudem an ihr Adjektiv igual „gleich“ anklang. 

Außer in den arowakischen Sprachen und im Warau begegnen 
Formen für „Leguan“, die mit Taino iuana zusammengehören, 
auch in karibischen Sprachen wie yiwdna, wäna im Trio, yu-uana 
im Yabarana, iwó im Macusi (de Goeje, Car. 47). Da die letzteren 
Formen weiter auseinandergehen und zudem auch noch das oniö 
des von der Hauptmasse. der karibischen Sprachen weit entfernten 
Bakairi in Zentralbrasilien dazu gehört, so dürfte unser Wort 
eher karibischen als arowakischen Ursprungs sein. 

Außerhalb der arowakischen Familie wird, worauf Skeat 337 
hinweist, die Form iguana als ein Indianerwort noch aus dem ` 
Guarani angefiihrt (Granada, Vocabulario Rioplatense, Montevideo 
1890, S. 244). Da das Guarani in weiter Entfernung vom Aro- 
wakischen und vom Karibischen gesprochen wird und .von beiden 
Familien auch durch das ihm nahe verwandte Tupi, in dem man 
nach Marcgraf 236 senembi fiir „Leguan“ sagte, geographisch 
geschieden ist, so kann es sein iguana nur dem Spanischen ent- 
lehnt haben. 

| 8. Mahagoni. | 

Das Wort „Mahagoni“ tritt zuerst im Englischen auf, für 
das es im NED. s. v. mahogany für 1671 als mohogeney angeführt 
wird. Doch sollen die kontinentaleuropäischen Formen des Wortes 
nach dem NED. wahrscheinlich auf dem 1762 von Linné gege- 
benen botanischen Namen Swietenia Mahagoni beruhen. Diesem 
mahagoni näher als mohogeney stehen engl. mohogony (1703) und 
. mahogena (1733), neben denen es auch ein engl. *mahogoni ge- 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 73 


geben haben kann. Dies *mahogoni aber könnte schon zu Linnés 
Zeit in das Schwedische, wo das Wort jetzt mahogni lautet, ent- 
lehnt gewesen sein; neben *mahogoni könnte sich schwedisch 
gleich bei der Entlehnung ein *mahagoni mit Assimilation des 
Vokals der zweiten Silbe an den der ersten gebildet haben. Daher 
dann Linnés mahagoni. 

Auf Linnés mahagoni werden im NED. wohl mit Recht nhd. 
Mahagoni und frz. mahagoni zurückgeführt. Mit Unrecht aber 
wird hier der botanische Name auch als Quelle von ital. mogano, 
mogogone, mogogon usw., port. mogno, frz. (selten) mohogon ange- 
sehen; das o der ersten Silbe und, von port. mogno abgesehen, 
auch das der zweiten Silbe dieser Wörter weist vielmehr auf die 
ältesten englischen Formen mohogeney und mohogony zurück; für 
das Italienische kommt noch hinzu, daß mogano usw. nur „Maha- 
goniholz“ bedeutet, während „Mahagonibaum“ dort acagiù oder 
anacardo heißt. Ähnlich beruht auch das von Michaelis, Deutsch- 
It. Wb. genannte maogani „Mahagoniholz“ auf jüngerem engl. 
mahogany. Auch ndl. mahonie (mahoniehout) „Mahagoniholz“ wird 
im Wb. d Nederl. taal mit Recht als eine Verkürzung von engl. 
mahogany betrachtet. 

Nicht vorhanden ist das Wort Mahagoni im Spanischen. Die 
Spanier sagen für „Mahagonibaum“ caoba, caobana und anacardo, 
für „Mahagoniholz“ caoba und madera de anacardo (Tolhausen; 
für den Baum bezeugt Pages auch ein unter Einfluß von drbol 
maskulinisiertes caobo). Und zwar haben sie ihr caoba, caobana 
den Haitiern entlehnt, für deren Sprache Oviedo 1341 und las Casas 
Hist. 66 (5), 324 das Wort als caoban (letzterer mit dem Zusatze „la 
o letra luenga“) angeben. Doch ist caoba in keine andere europäi- 
sche Sprache übergegangen, woraus man wohl schließen darf, 
daß die Spanier das Mahagoniholz im 16. und 17. Jahrhundert 
noch gar nicht nach Europa gebracht haben. Wohl aber ist dies 
seit dem 17. Jahrhundert durch die Engländer geschehen. 

Im NED. wird s. v. mahogany über den gemeinen Mahagoni- 
baum zwar bemerkt, daß er im tropischen Amerika und zwar 
besonders in Mexiko, Zentralamerika und Westindien wachse, 
aber auch noch nicht einmal eine Vermutung darüber geäußert, 
aus welcher Indianersprache der Name herrührt. Skeat hält in 
seinem Etym. Dict.” das Wort wenigstens richtig für westindisch, 
setzt aber auch hinzu, es sei unbekannt, aus welchem Dialekt es 
stamme. Auch J. Platt, der N.a. Q. IX, vol. VIII S. 201f. zeigt, 
daß Martius Il 318 mahogani irrtümlich dem Haitischen zugewiesen 


74 R. Loewe 


hat, ist der Meinung, daß die Herkunft des Wortes dunkel bleibe. 
Mir scheint freilich zu einem solchen Pessimismus kein Anlaß 
vorzuliegen. 

Die Engländer haben sonst die Bezeichnungen für Tiere und 
Pflanzen, die sie aus den zuerst von Spaniern besetzten Teilen 
Amerikas kennen lernten, auch dem Spanischen entnommen. 
Wenn sie für den Mahagonibaum eine andere Benennung als die 
Spanier besitzen, so haben sie entweder ein jetzt im Spanischen 
nicht mehr vorhandenes Wort aus diesem oder aber sie haben 
den Namen direkt aus einer Indianersprache entlehnt. Welche 
von den beiden Möglichkeiten nun auch zutrifft, höchst wahr- 
scheinlich werden doch die Engländer das in ihrer Sprache zuerst 
belegte Wort in einer ihrer eigenen Kolonien kennen gelernt 
haben, mag diese auch früher spanisch gewesen sein. 

Von den Ländern aber, in denen der gemeine Mahagonibaum, 
Swietenia Mahagoni, wächst, gehörten den Engländern zur Zeit 
des ersten Vorkommens des Wortes „Mahagoni“ nur erst Jamaica 
und eine Anzahl der kleinen Antillen und daneben nur noch 
„several colonies at Surinam and Sinamori with several Forts 
upon the Coast of Guiana“ (John Ogilby, America, London 1670 
S. 674): Der älteste Beleg für das Wort steht nun bei Ogilby 
selbst S. 338 und bezieht sich auf Jamaica. Die Stelle lautet: 
„Here are ... the most curious and rich sorts of Woods, as Cedar, . 
Mohogeney, Lignum vitae, Ebony, Granadilla and others, which 
are frequently exported.“ Auf den kleinen Antillen (,,Caribby 
islands“) erwähnt nun aber Ogilby den Mahagonibaum überhaupt 
nicht, obgleich er eine sehr große Anzahl der dort wachsenden 
Bäume S. 346ff. aufzählt und kurz beschreibt. Das läßt sich nur 
so erklären, daß der Mahagonibaum auf diesen Inseln die Auf- 
merksamkeit der Engländer damals überhaupt noch nicht erregt 
hatte. Über die Bäume und Pflanzen Guayanas spricht Ogilby 
S. 617 allerdings überhaupt so kurz, daß es ganz natürlich er- 
scheint, wenn er hier den Mahagonibaum gleichfalls nicht nennt; 
sicher haben die Engländer damals überhaupt noch nicht viel 
von der Pflanzenwelt des von ihnen bis dahin nur zum kleinsten 
Teile besetzten Guayana gewußt. Auch in keinem nicht den 
Engländern gehörigen amerikanischen Lande erwähnt Ogilby den 
Mahagonibaum. | 

Ähnlich wie mit Ogilby steht es in bezug auf unsern Baum 
mit Blome. Was dieser S. 5 über die Bäume auf Jamaica sagt, 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 75 


ist zwar nur aus Ogilby abgeschrieben (wobei Mothogency für 
Mohogeney verdruckt ist). Aber die Bäume, die er S. 33 für Bar- 
bados, die größte der im englischen Besitze befindlichen kleinen 
Antillen, aufzählt (Locust, Mastich, Red-wood usw.), sind fast 
durchweg andere als diejenigen, die Ogilby für die kleinen Antillen 
überhaupt nennt; gleichwohl fehlt hier auch bei Blome der Maha- 
gonibaum. Danach darf man es doch wohl für sicher halten, daß 
dieser Baum auf Barbados damals noch nicht sonderlich die Auf- 
merksamkeit der Engländer auf sich gezogen hatte. Wenn Blome 
für die übrigen kleinen Antillen fast gar keine Namen einzelner 
Bäume nennt, so mögen eben auch die meisten übrigen dort 
wachsenden Bäume von den Engländern in jener Zeit noch nicht 
allzusehr beachtet worden sein. Die englischen Kolonien in 
Guayana nennt Blome, dessen Buch doch die englischen Besitzungen 
in Amerika behandelt, überhaupt nicht; sie waren offenbar noch 
höchst unbedeutend und kommen für die Entlehnung des Wortes 
„Mahagoni“ gar nicht in Betracht. 

Daß man dagegen auf Jamaica dem Mahagonibaum schon 
damals größere Beachtung hat zu Teil werden lassen, zeigt vor 
allem Ogilbys Bemerkung, daß man das Holz dieses Baumes von 
dort exportiert habe. Unter solchen Umständen kann es doch 
wohl nicht zweifelhaft sein, daß die Engländer auch den Namen 
dieses Baumes auf Jamaica entlehnt haben. Und zwar muß das 
zwischen 1654, in welchem Jahre die Engländer Jamaica erobert 
haben (Ogilby S. 341), und 1670, dem Erscheinungsjahr von Ogilbys 
Werk, geschehen sein. Da die Indianer Jamaicas um diese Zeit 
wahrscheinlich schon längst ausgestorben waren, so werden die 
Spanier der Insel und deren Negersklaven das ursprünglich india- 
nische Wort den Engländern vermittelt haben. Auffallen könnte 
es ja, daß die Spanier auf Jamaica ihr Wort für den Mahagoni- 
baum nicht wie die übrigen Spanier von ihren Landsleuten auf 
Haiti, also indirekt von den Indianern Haitis, sondern von den 
Indianern ihrer eigenen Insel entlehnt haben. Wahrscheinlich hat 
das an einer besonderen Häufigkeit dieses Baumes auf Jamaica 
gelegen. Aus einer solchen Häufigkeit wird es sich ja auch am 
besten erklären, daß später die Engländer das Holz des Mahagoni- 
baums aus Jamaica schon exportiert haben, als sie denselben 
Baum auf Barbados und den übrigen in ihrem Besitze befind- 
lichen kleinen Antillen noch gar nicht gekannt zu haben scheinen. 
Wenn der Mahagonibaum heute vielleicht nicht mehr häufiger 


76 R. Loewe 


auf Jamaica als im übrigen Westindien vorkommen sollte, so 
könnte sich das sehr wohl aus dem schon länger bestehenden 
Export von Mahagoniholz von ersterer Insel aus erklären. 

Wie das Verhältnis der ältesten englischen Wortformen für 
den Baum mohogeney, mohogony und mahogena zu einander aufzu- 
fassen ist, bleibt bei dem Fehlen der spanischen Überlieferung 
unklar. 

9. Rum. 

Die europäische Bezeichnung des Zuckerbranntweins, nhd. 
Rum, ndl. rum, frz. rum, span. ron usw., taucht zuerst im Engli- 
schen als rum auf. Als Heimat von engl. rum bezeichnet Skeat, 
der zuerst malayischen Ursprung des Wortes angenommen hatte, 
253ff. im Anschluß an N. D. Davis, Academy 5. Sept. 1885 S. 155 
die kleine Antille Barbados, auf der die Pflanzer den Zucker- 
branntwein bereits zwischen 1640 und 1645 destillierten. Als 
ältesten Beleg (1654) für rum gibt denn auch das NED. s. v. 
Kill-devil die Worte: „Barbados liquors, communly called Rum, 
Kill-devil or the like.“ 

Breton F. C. 402 führt als Namen eines von den Kariben 
selbst bereiteten alkoholischen Getränks („vin des Caraibes“) nur 
ein ,otiécou“ an. Die Angabe bezieht sich freilich zunächst nur 
auf die im französischen Besitze befindlichen kleinen Antillen wie 
Guadeloupe und Martinique; doch ist es nicht gerade wahrschein- 
lich, daß sich die Kariben von Barbados dafür eines anderen 
Wortes bedient haben. Gesetzt aber, sie hätten ein solches ge- 
habt, so konnten doch die Engländer von Barbados der neuen 
Branntweinart, die sie aus dem dorthin verpflanzten Zuckerrohr 
gewannen, nicht gut einen Namen geben, mit dem die Indianer 
ein ganz anderes Getränk bezeichneten. Dazu kommt, daß die 
Indianer von Barbados um 1640 nur noch in sehr geringer An- 
zahl vorhanden gewesen sein können, wenn sie nicht damals 
sogar schon ganz ausgestorben waren; Blome 36 nennt wenigstens 
für seine Zeit (1678) nur noch Weiße und Negersklaven als Be- 
wohner der Insel. 

Eher ließe sich die Frage diskutieren, ob nicht das Wort, 
wie Skeat ursprünglich gemeint hatte, aus dem Malayischen nach 
Barbados gelangt ist. Für eine solche Annahme könnte scheinbar 
die Nachricht sprechen, daß ein Holländer aus Brasilien den Bar- 
badosianern 1640 die Zubereitung des Zuckers gelehrt hat (Oliver, 
History of Antigua I, S. XIX) sowie die, daß auch noch später 
Holländer auf Barbados gewohnt haben (Blome 36). Die Holländer 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 77 


hatten um 1640 auch einen Teil Brasiliens erobert (Zimmermann 
140); doch hatten sie ihre hauptsächlichsten Eroberungen in Ost- 
indien gemacht und beherrschten schon damals den ganzen Handel 
auch auf den Sundainseln (Zimmermann 88), wo die Malayen 
gleichfalls Handel trieben. Danach könnte es scheinen, als ob 
die Holländer malay. brum (vgl. Marsden 39 „bram or brum an 
intoxicating liquor made from burnt palm-sugar or melasses“) den 
Engländern vermittelt hätten. Doch bliebe bei einer solchen An- 
nahme der Verlust des b in ndl. rum unaufgeklirt. Die Vermu- 
tung in meinem Et. Wb.*, daß engl. rum durch niederländische 
Vermittlung aus dem Malayischen stamme, muß ich daher fallen 
lassen. 

Sicher ist dagegen Skeat 254 mit seiner späteren Ansicht im 
Recht, wenn er engl. barbad. rum als eine Kürzung aus dessen 
bereits 1651 bezeugtem engl. barbad. Synonymum rumbullion an- 
sieht und letzteres wiederum auf Kolonisten aus Devonshire 
zurückführt, wo das Wort in der Bedeutung „a great tumult“ 
vorkommt (Wright, Engl. dial. det), Nur hat Skeat keinen Grund 
dafür angegeben, wieso rumbullion auf Barbados die Bedeutung 
„Zuckerbranntwein“ angenommen hat. Dieser Grund hat offenbar 
in der stark berauschenden und erhitzenden Wirkung des Rums 
gelegen. Daß zum mindesten der auf Barbados im 17. Jahrhundert 
zubereitete Zuckerbranntwein in dieser Art gewirkt hat, ersieht 
man aus der von Skeat selbst herangezogenen Definition von rum 
bei Blount, Glossographia (London 1681) „Rum a drink in the 
Barbados (much stronger than Brandy, which they call otherwise 
Kill-devil“)*). Das Synonym kill-devil, wörtlich „tötender Teufel“, 
malt ja besonders grell den Schaden, den der Genuß des Rums 
zur Folge haben kann. Zunächst erschien aber der Zuckerbrannt- 
wein nur als ein Tumulterreger, wofür kurzweg rumbullion „großer 
Tumult“ gesagt wurde. Das NED. gibt s. v. rumbustion für 1652 
auch noch einen Beleg für rombostion „Zuckerbranntwein“; hier 
ist rumbullion an rumbustical „stürmisch“ angelehnt, also wiederum 
an die durch dies Getränk hervorgerufene Unruhe gedacht worden. 


10. Kolibri. 
Nhd. Kolibri stammt nicht, wie Weigand-Hirt angibt, aus 
dem Spanischen, sondern aus dem Französischen. Span. colibri 
selbst ist erst wie auch port. colibri, ital. colibri, ndl. kolibrie (Fem.), 


1) In der mir allein zugänglichen Third edition von Blount, Glossographia, 
London 1670, fehlt rum noch. | 


78 R. Loewe 


engl. colibri (wofür meist hummingbird) aus dem Französischen 
entlehnt worden. Das Spanische kennt daneben noch heute das 
ältere tomineja, tominejo, über das schon Rochefort 164 bemerkt: 
„Les Espagnols les [colibris] nomment Tomineios, par ce que 
quand on en met un avec son nid dans un trébuchet à peser 
Yor, il ne pese ordinairement, que deus de ces petits poids, que 
les mémos Espagnols appellent, Tominos, c’est a dire vint-quatire 
grains“. Das auch wirklich zu span. tomin (nach Tolhausen „ein 
Sechstelquentchen Silber“) gehörige tomineja sollte sicher auch 
die Leichtigkeit und Kleinheit des Kolibris kennzeichnen. 

Bezüglich der Herkunft von frz. colibri verweist Littre auf 
Labat, Voyage aux isles de l’Amérique, A la Haye 1724, II 5: 
„Nos Francois le nomment Colibris qui est le nom que les Ca- 
raibes lui ont donné.“ Zu den weiteren Bemerkungen, die Labat 
über den Kolibri macht, ist als das Jahr seiner Beobachtungen 
1697 am Rande angegeben. Unter den Caraibes kann er nach 
französischem Sprachgebrauche nur die westindischen Inselkariben 
verstanden haben. 

Labats Worte lassen sehr wohl die Möglichkeit zu, daß er 
sich den ihm in Frankreich selbst noch unbekannten, bei den 
Franzosen der kleinen Antillen üblichen Namen colibri daraus 
erklärt hat, daß diese ihn von den Inselkariben entlehnt hätten, 
ohne daß er colibri wirklich von letzteren gehört zu haben braucht. 
Aber auch wenn die Inselkariben seiner Zeit das Wort colibri 
in ihrer Sprache besessen haben sollten, so können sie es doch 
ihrerseits dem Französischen entnommen haben. Jedenfalls be- 
merkt Breton, der früher als Labat auf den kleinen Antillen ge- 
lebt hat, nichts über colibri als ein karibisches Wort. F.C. 78 
sagt derselbe vielmehr „colibri, le plus gros s’appelle, alamoinchay 
celuy qui a vne hupe, manléchi, celuy qui wen a point, yerétrê“. 
Im C.F. fehlt „colibri“ in der alphabetischen Folge S. 175. Da- 
gegen steht hier unter dem Buchstaben a S. 26: „Alamoinchay, 
colibri le plus gros qui a la poitrine rouge comme escarlatte. Man- 
léchi, c’est celuy qui a vne si belle huppe sur la teste. Yeretré 
celui-cy est bean mais il wa point dhuppe.“ Dazu kommt unter 
dem Buchstaben m S. 354: ,manléchi ... cest vn colibry huppé.“ 
In Bretons kurzem Vocabulaire caraibe bei Rochefort fehlen noch 
alle diese Wörter. 

Man könnte vielleicht zur Stütze der Ansicht, daß colibri von 
Haus aus inselkaribisch gewesen wäre, darauf hinweisen, daß 
Breton ja auch ouragan, das er noch bei Rochefort nur als insel- 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 79 


karibisch, nicht als französisch nennt, im F.C. nur als französi- 
sches Wort vermerkt und als solches dasselbe auch schon im 
C.F. s. v. „Jouällou* bezeichnet. Aber in seinem G. F. bietet er 
doch auch noch s. v. „bointara* das Wort „ouragan“ in gewöhn- 
lichem (nicht kursivem) Druck und läßt es dadurch als karibisch 
erscheinen. Nichts ähnliches aber findet sich bei colibri. Würde 
colibri damals wirklich schon eine inselkaribische Allgemeinbezeich- 
nung für die verschiedenen Arten des Kolibris gewesen sein, 
dann hätte er doch wohl diese Arten im C. F. nicht unter „ala- 
moinchay“, womit ja schon eine bestimmte Art des Kolibris ge- 
meint war, sondern unter einen „colibri“ aufgezählt. Höchst 
wahrscheinlich hat es eben zu Bretons Zeit für die verschiedenen 
Arten des Kolibris überhaupt noch keine inselkaribische Allge- 
meinbezeichnung gegeben. 

Schon lange vor Littré hatte M.D.L.S., Dictionnaire Galibi, 
Paris 1763, S. 88 colibri aus dem Galibi (dem Karibischen in 
Guayana) hergeleitet. Verwiesen worden war hier auf Biet 344: 
„Entre les petits oyseaux ceux qu’on appelle Colibris sont les 
plus considerables pour leur petitesse. Leur gorge ressemble à 
une emeraude, on leur tire un petit boyau, et on les fait seicher, 
pour en faire des pendants d'oreilles aux Dames.“ Danach war 
colibri auf der Insel Cayenne schon 1652 ein französisches Wort. 

So kurz Biets Bericht über seinen Kolibri ist, so läßt er doch 
mit Bestimmtheit erkennen, auf welche Kolibriart er sich bezieht. 
Gemeint ist die Art, über die Gould, A monograph of the Tro- 
chilidae (London 1861)') sagt: „Lampornis gramineus. Green- 
throated Mango ... Colibri à gorge verte de Cayenne Buff. ... 
Its true habitat is Cayenne and Guiana, whence all our collec- 
tions are supplied with examples, and where it musl be very 
numerous, as shown by the great number of specimens sent to 
Europe from these countries. ... The male has the head and 
nerk golden-green ... throat luminous grass-green.“ Zur letzteren 
Bemerkung paßt der von Biet vorgenommene Vergleich der Kehle 
seines Kolibris mit einem Smaragd ganz vortrefflich. Auch macht 
sich in den von Gould gegebenen Abbildungen eines alten und 
eines jungen Männchens des Lampornis gramineus die grüne 


1) In diesem Werke hat nur die in Vol. I enthaltene Introduction Seiten- 
zahlen. Die einzelnen Arten der Trochiliden (Kolibris) sind in der Reihenfolge 
behandelt, in der sie in der Introduction aufgezählt werden. Lampornis grami- 
neus ist S. LIII der Introduction unter Nr. 87 genannt. Seine Beschreibung steht 
im Vol. II, der mit der in der Introduction als Nr. 47 genannten Art beginnt. 


80 R. Loewe 


Kehle bei weitem am meisten bemerkbar, dem entsprechend Biet 
von keinem anderen Teile des Gefieders des Kolibris als von der 
Kehle spricht. 

Von denjenigen kleinen Antillen, die zu Bretons Zeit fran- 
zösisch waren, gibt Gould als Heimat einzelner Kolibriarten nur 
Martinique und (das später dänische) St. Croix an (nicht Gouade- 
loupe, Dominica, St. Christophe). Nun ist aber St. Croix erst 1650 
von den Franzosen erobert und kolonisiert worden (Hans West, 
Beyträge zur Beschreibung von St. Croix, Kopenhagen 1794, 
S. 160). Da nun auf der Insel Cayenne schon 1652 (als Biet 
dieselbe besuchte) colibri ein französisches Wort war, so kann 
der Name kaum von St. Croix ausgegangen sein. Martinique 
allerdings haben die Franzosen schon 1635 besiedelt, während sie 
ihre erste Station auf der Insel Cayenne auch erst 1634 gegründet 
haben (Zimmermann, Die Kolonialpolitik Frankreichs 55f.). Eine 
solche Zeitdifferenz kann natürlich für die Entscheidung der Frage, 
wo sie ihr colibri entlehnt haben, nicht in Betracht kommen. 
Diese Entscheidung läßt sich vielmehr nur dann gewinnen, wenn 
man die Häufigkeit der auf Martinique (und St. Croix) lebenden 
Kolibriarten mit derjenigen des Lampornis gramineus vergleicht. 

Für St. Croix allein verzeichnet Gould nur eine einzige Art, 
den Eulampis chlorolaemus und zwar in der Introduction unter 
Nr. 94; doch sagt er von derselben Art im Text selbst (Vol. ID, es 
sei ungewiß, auf welcher Insel sie vorkomme; weiß man aber bei 
diesem Kolibri die Heimat nicht einmal genau, so ist er doch 
gewiß so selten, daß sein karibischer Name nicht gut entlehnt 
worden sein kann. Für St. Croix und Martinique zugleich nennt 
Gould (Introd. Nr. 232; im Text Vol.IV gegen Anfang) den eine 
Haube tragenden Orthorhynchus exilis, engl. Gill-crest, d. h. den 
manlechi Bretons. Für Martinique allein vermerkt er (Introd. 
Nr. 92; Text Vol. II) den Eulampis iugularis mit purpurroter Brust, 
engl. Purple-breasted Carib, d. h. den alamoinchay Bretons, sowie 
(Introd. Nr. 93; Text Vol. II) den Eulampis holosericeus, der wohl 
mit Bretons yeretré identisch ist. Beim Orthorhynchus exilis und 
beim Eulampis iugularis vermerkt Gould nichts über irgend welche 
Häufigkeit; nur über Eulampis holosericeus bemerkt er im Text, 
daß er „nunerous examples“ in einer Privatsammlung und im 
Museum von Paris gesehen habe, die aber außer aus Martinique 
auch aus St. Thomas und Porto Rico stammten (welche beiden 
Inseln niemals französisch gewesen sind). Daß die Häufigkeit 
dieser Art nicht besonders groß sein kann, ersieht man aus ihrer 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 81 


Anführung in der Introduction, wo Nevis und Martinique als ihre 
Heimatinseln und zwar beide mit einem Fragezeichen versehen 
angegeben werden. Vergleicht man hiermit, was Gould über den 
Lampornis gramineus äußert, so muß man doch wohl annehmen, 
daß dieser letztere allein bei weitem häufiger ist als die drei 
Arten Martiniques zusammengenommen. 

Kolibris kommen auch auf Haiti (St. Domingo) vor, dessen 
Nordküste bald nach 1635 gleichfalls von Franzosen besetzt wurde 
(Zimmermann, Kolonialpolitik Frankreichs 56). Aber die franzö- 
sischen Seeräuber, die sich hier niederließen, werden mit den 
friedlichen Franzosen der kleinen Antillen und Guayanas kaum 
Verkehr gehabt haben. Was aber die Hauptsache ist, von keiner 
einzigen der auf Haiti heimischen Arten des Kolibris bemerkt 
Gould etwas über ihre Häufigkeit, so weder beim Lampornis auru- 
lentus (Nr. 89) noch bei der Mellisuga minima (Nr. 152) noch beim 
Sporadius elegans (Nr. 390). Auch ist das Wort colibri für Haiti 
bei keinem Reisenden des 17. Jahrhunderts bezeugt. Haiti war 
aber die einzige große Antille, auf der es im 17. Jahrhundert 
französische Niederlassungen gegeben hat. 

Von Teilen des amerikanischen Festlandes, ın denen Kolibris 
vorkommen (die nach Norden nicht über Mexiko hinaus verbreitet 
sind), haben die Franzosen im 17. Jahrhundert nur in Guayana, 
zu dem auch die Insel Cayenne gehört, Kolonien gehabt. Aber 
auch bei keiner einzigen Art der außer dem Lampornis gramineus 
in Guayana lebenden Kolibris bemerkt Gould etwas Ähnliches 
wie bei diesem über ihre dortige Häufigkeit; auch beim Lampornis 
Mango (Nr. 83), der nach ihm auf dem Festlande die weiteste 
Verbreitung hat, fügt er doch nichts über besondere Häufigkeit 
desselben speziell in Guayana hinzu. Daß wenigstens auf der 
Insel Cayenne der Lampornis gramineus von allen Kolibris am 
häufigsten vorkommt, folgt daraus, daß Biet bei seiner Beschrei- 
bung der Vögel der Insel von keiner anderen Vogelart, die zu 
den Trochiliden (Kolibris) gehören könnte, als von dem colibri 
genannten kleinen Vogel mit der smaragdgrünen Kehle redet. 
Daher ist wohl nicht daran zu zweifeln, daß es der Lampornis 
gramineus gewesen ist, der ursprünglich allein den Namen colibri 
geführt hat. 

` M.D.L.S. hat also mit Recht colibri als ein Wort des Galibi 
(Kalina) bezeichnet. Für colibri als ursprüngliches Wort des Ga- 
libi spricht auch Biets Nachricht, daß die Damen der Insel Cayenne 
Kolibrikörper als Ohrgehänge verwendeten. Zwar sagt auch Roche- 
Zeitschrift für vergl. Sprachf. LXI 1/2. 


82 R. Loewe 


fort (bei dem colibry auch nur als französisches Wort vorkommt) 
161 von diesem Vogel: „Bien que son plumage perde beaucaup 
de sa grace quand il est mort, si est ce qu’il est encore si beau, 
que l’on a veu des Dames en porter par curiosité pour pendans 
d’oreilles“; doch zeigt gerade dieser Wortlaut, daß die Damen 
auf den kleinen Antillen nur selten solchen Schmuck trugen, 
während Biet ohne jede Einschränkung von dieser Sitte auf 
Cayenne spricht. Daher werden sich auch die Französinnen 
letzterer Insel zuerst mit dem Kolibrigefieder geschmückt haben, 
was ja auch schon deswegen höchst wahrscheinlich ist, weil hier 
der besonders häufige und zugleich besonders schöne Lampornis 
gramineus lebte. Haben aber die französischen Damen auf Cayenne 
früher als die auf den kleinen Antillen ihre Aufmerksamkeit auf 
den Kolibri gerichtet, dann werden auch sie und ihre Männer es 
gewesen sein, die den Namen colibri von den Indianern entlehnt 
haben. Mit dem Übergange des Brauches. der Französinnen der 
Insei Cayenne, den Kolibri als Ohrgehänge zu verwenden, auf 
die der kleinen Antillen wird auch das Wort colibri aus dem 
Französischen auf Cayenne in das Französische der kleinen An- 
tillen übergegangen sein. 

Der Name colibri ist im Galibi bis jetzt nicht wieder aufge- 
funden worden. Bekannt ist aus dieser Sprache für den Kolibri 
nur die Bezeichnung tukusi (de Goeje Car. 43), ein Wort, das alt 
sein muß, weil es sich in verwandten Sprachen z.B. im Chayma 
als tukuz und im Trio als tukui wiederfindet. Es wäre auch sehr 
wohl möglich, daß das Wort colibri im Galibi jetzt überhaupt nicht 
mehr existierte; vielleicht ist es überhaupt nur bei den Galibi 
der Insel Cayenne, die wohl längst ausgestorben sind, üblich ge- 
wesen. Leider erfahren wir auch nicht, ob tukusi eine Allgemein- 
bezeichnung für den Kolibri oder ob es nur, was bei der Über- 
setzung durch „colibri“ auch möglich wäre, ein Name einer be- 
sonders häufigen Art desselben ist. Denkbar wäre durchaus, daß 
tukusi bei der Hauptmasse der Galibi speziell den Lampornis gra- 
mineus bezeichnete und auch von jeher bezeichnet hätte. Aber 
denkbar wäre wohl auch ebenso gut, daß ursprünglich alle Galibi 
den Lampornis gramineus colibri, den Lampornis Mango aber tukusi 
genannt hätten; die weite Verbreitung von tukusi in den karibi- 
schen Sprachen (s. de Goeje Car. 43) würde wenigstens zur Ver- 
breitung des Lampornis Mango über weite Ländergebiete gut passen. 

Über die Etymologie von colibri möchte ich wenigstens eine 
Vermutung wagen. Unter den mit col- anlautenden Wörtern. bei 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 83 


M.D.L.S., Dictionnaire Galibi S. 88 ist verwiesen auf cololéta 
„Vne chandele“ bei Pelleprat 26 und auf colliman, das nach S. 32 
s. v. résine aus Joannes de Laet, Novus. orbis, seu descriptionis 
Indiae occidentalis libri XVIII, Lugd. Bat. 1633 stammt, wo in 
dem Teile über Cajane (Cayenne) S. 645 „Colliman sive Carriman“ 
als eine ,resina nigrescens et resplendens“ genannt wird. Wenn 
hier colliman die ursprüngliche Form gewesen ist (J und r wechseln 
in den karibischen Sprachen häufig nach de Goeje Car. 73), so 
darf man aus colliman „ein glänzendes Harz“, cololéta „Kerze“ 
und colibri „Vogel mit leuchtend grüner Kehle“ vielleicht eine 
Wurzel kol „leuchten“ herausschälen. 

Größere Schwierigkeiten macht der Bestandteil -ibri. Laut- 
lich ließe sich derselbe allerdings wohl mit Galibi ibari bei Biet 
416 vereinigen; aber dies Wort bedeutet nicht „gorge“, sondern 
„front“. Immerhin bestände die Möglichkeit, daß bei ibari die 
Bedeutung „Stirn“ aus der von „breite Fläche“ hervorgegangen 
wäre, wie das bei ahd. stirna „Stirn“ der Fall ist, das dem kymr. 
sarn „Fläche“ entspricht; daß aber ein Wort für „Fläche“ ge- 
eignet war, auch andere Teile der Oberfläche des Körpers zu 
bezeichnen, zeigt das dem kymr. sarn gleichfalls entsprechende 
gr. otéovoy „Brust“. Nun bedeckt aber beim Lampornis grami- 
neus, wie an Goulds Abbildung zu sehen ist, das leuchtende Grün 
den ganzen unteren Teil des Kopfes, so daß ein Name wie 
»Leuchtfliche* für den Vogel wohl möglich gewesen wäre. 


IV. Mexikanische und zentralamerikanische Wörter. 


Die Lehnwörter aus dem Lande Mexiko entstammen dem 
Nahuatl oder der Sprache der Azteken, deren Hauptstadt Mexiko 
war. Dem Nahuatl auf das nächste verwandt ist das Nahuat, zu 
dem das noch heute in Teilen San Salvadors und Guatemalas 
gesprochene Pipil und das ausgestorbene Nicarao in Nicaragua 
gehören. Nahuatl und Nahuat bilden die Südgruppe der uto- 
aztekischen Sprachfamilie, deren Gebiet außer dem größten Teile 
der Republik Mexiko auch einen großen Teil des Westens der 
Vereinigten Staaten von Nordamerika umfaßt und sogar noch über 
deren Nordgrenze hinausreicht (vgl. Schmidt, Atlas, Nord- und 
Mittel-Amerika). Die Mittelgruppe dieser Familie bilden die So- 
nora-Sprachen, die Nordgruppe die Shoshoni-Sprachen (Schmidt 194). 

Die Sprache der Maya in Yucatan und die mit ihr ver- 
wandten Sprachen im nördlichen Zentralamerika, namentlich in 
Guatemala, die man als Maya-Sprachen zusammenfaßt (Schmidt 

6* 


84 R. Loewe 


203ff.), haben, obgleich sie von Kulturvölkern geredet werden, 
den Europäern keine bekannteren Lehnwirter geliefert. Es wird 
das darin begründet sein, daß sich die Spanier in diesen Gebieten 
nur in verhältnismäßig geringer Anzahl niedergelassen haben. 


1. Kakao. 


Das Indianerwort auf A für „Kakaobohne“, mit dem span. 
cacao zusammenhängt, ist nicht, wie Meyer-Lübke s. v. kakanotl 
sagt, ein chilenisches, sondern, wie Diez.’ 76 angibt, ein mexi- 
kanisches. Um den Schwierigkeiten zu entgehen, welche die Her- 
leitung von cacao aus dem langen mexik. cacanatl bietet, vermutet 
Skeat 331, daß die Spanier den Schlußteil von cacanatl als mexik. 
atl „Wasser“ aufgefaßt und das Wort deshalb gekürzt hätten. Doch 
bedarf es einer solchen Annahme garnicht, da cacao selbst, wenn 
auch nicht als mexikanisches, so doch wenigstens als indianisches 
Wort überliefert ist. Als solches bezeugt es Oviedo, der I 318* 
sagt: „la fructa del coco 6 cacao 6 cacaguat, porque de todas tres 
maneras le nombran.“ 

Wo die Heimat der Form cacao zu suchen ist, darüber geben 
einen Fingerzeig Oviedos Worte 1 315°: „El árbol llamado cacao 
6 cacaguat no es ärbol destas islas, sino de la Tierra-Firme. Hay 
estos ärboles en la Nueva Espafia & en la provingia de Nicaragua 
é otras partes.“ Walter Lehmann, Zentralamerika 1010 hat denn 
auch die drei Formen unter den Wörtern aufgezählt, die Oviedo 
aus dem Nicarao-Gebiete anführt. Als Volk der Nahuat-Gruppe 
sprachen die Nicarao ein einfaches ¢, wo die Mexikaner als solches 
der Nahuatl-Gruppe ein ¢ hatten (Lehmann 978ff.). Da nun 
Oviedos cacaguat ein t anstatt des tl! von mexik. cacahuatl bietet, 
so hat es dem Nicarao angehört. Dem coco Oviedos aber, das 
aus cacao durch lautgesetzlichen Übergang beider a in o und 
darauf folgende Kontraktion des zweiten und dritten o hervor- 
gegangen sein wird, steht das von Lehmann 439 aus dem Rama 
im südöstlichen Nicaragua angeführte kuk „Kakao“ nahe, das ja 
gleichfalls einen dunklen Vokal enthält. Die Rama gehören nicht 
zur uto-aztekischen Familie, sondern zu den Chibchaz (Schmidt 
213) und werden daher ihr kuk einer Nachbarsprache entlehnt 
haben. Liegt nun coco dem kuk des Rama zugrunde, dann wird 
coco eine Dialektform des Nicarao gewesen sein. Haben aber 
sowohl coco wie cacaguat dem Nicarao angehört, dann wird das 
gleiche wohl auch für das zwischen beiden Formen vermittelnde 
cacao, das ja Oviedo auch mit beiden zusammen nennt, gegolten 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 85 


haben. Das dem cocoguat zugrunde liegende *cacagua verhält 
sich zu cacao wie Nicaragua zu Nicarao. (Offenbar wurde beim 
Antritt eines Vokals ein hinter einem Vokal stehendes o konsonan- 
tisch und entwickelte sich dann weiter zu gu). 

Nicht genau zu Oviedos zweimaligem cacaguat stimmt das 
cacaguate seiner Überschrift (Lib. VII, Kap. XXX) I 315: „Del 
árbol llamado cacao é algunos le llaman cacaguate.“ Der Ausgang 
-te ersetzt in span. chocolate, tomate das tl von mexik. chocolatl, 
tomatl. Man wird daher Oviedos cacagnate bereits für eine spa- 
nische Form zu halten haben. Da nun mexik. h (das nur vor 
und nach vorkommt) als eine Art g zu sprechen ist (Siméon 
S. XXV), so kann span. cacaguate nur aus mexik. cacahuatl ent- 
standen sein. (Auch in dem als cacahuatl geschriebenen cacaguatl 
ist wie in nikar. cacaguat das g vor einem zwischen zwei Vokalen 
stehenden konsonantischen u entstanden; das gy steht hier aber 
vielleicht nur dialektisch für uv, da Siméon 42 neben cacahuatl 
auch cacauatl schreibt). 

Über die hierhin gehörigen mexikanischen Wörter liest man 
bei Hernandez II 153 „Cacahoaquahuitl seu arbor Cacai“; II 154 
„Semen Cacahoatl“; II 155 „Est ergo Cacaoatiquahuitl arbor ... 
fructu oblongo ... Cacahoacentli nuncupato, semine Cacahoatl') 
pleno.“ Von den hier mit cacaho- komponierten Wörtern ver- 
zeichnet Siméon 375 quauitl als „arbre“ und 76 cent als „tige, 
épi de maïs“, welcher Bedeutung ja „fructus oblongus“ nicht so 
fern liegt. Im übrigen ist Hernandez’ cacahoatlquahuitl offenbar 
inkorrekt für cacahoaquahuitl, da -tl wie alle anderen Substantiv- 
suffixe im ersten Kompositionsgliede stets verloren geht (Siméon 
S. X XVII). 

Da mexik. -tl die Herkunft bezeichnen kann (vgl. Mezicatl 
„Mexikaner“ neben Mexico „Mexiko“, Siméon 240), so könnte 
dem cacahoatl „Kakaobohne“ ein *cacahoa oder ein *cacaho 
„Kakaobaum“ zugrunde liegen (streng proportionell würde aller- 
dings hier nur ein *cacahoo sein”). 

Obgleich Oviedo coco und cacao als Namen eines Baumes an- 

1) Cacahoatl für Cacahuatl erklärt sich daraus, daß mexik. o und a den- 
selben Laut bezeichnen (Siméon S. XXIII). Neben cacahoatl und sogar häufiger 
als dies schreibt Hernandez auch cacaoatl (z. B. 154; II 435; III 18). 

2) Keinerlei Aufklärung gibt der älteste Beleg für „Kakao“, das sehr 
merkwürdige cacap in Cortez’ erstem Briefe an Karl V. vom Jahre 1519 (Hi- 
storia de Nueva-Espaüa, escrita por Hernan Cortes, aumentada con otros docu- 
mentos por F. A. Lorenzana, Mexico 1770, S. 91); wahrscheinlich hat sich Cortez 
verhört. 


86 R. Loewe 


gibt, macht er doch I 320° die Bemerkung ,Molido el coco ó 
cacao & cogido con un poco de agua“; er gebraucht hier also die 
beiden Formen im Sinne von „Kakaofrucht“. Es ist wohl nicht 
zu entscheiden, ob coco und cacao auch bereits im Nicarao „Kakao- 
frucht“ bedeuten konnten oder ob sie diese Bedeutung erst bei 
den Spaniern erhalten haben. Auffallend ist, daß Oviedo gerade 
nicar. cacaguat, das doch dem mexik. cacahuatl ,Kakaobohne“ 
entspricht, nicht auch in der Bedeutung „Kakaobohne“ oder 
„Kakaofrucht“ mitanführt, sondern nur als „Kakaobaum“ kennt. 
Die Indianer, die den Kakaobaum seit Alters selbst pflanzten, 
können sehr wohl die Bezeichnung der Kakaofrucht von der des 
Kakaobaums abgeleitet haben; doch haben sie vielleicht später 
die kürzere und bequemere Form des Namens des Kakaobaums 
auch auf die Kakaofrucht übertragen. Für die Spanier aber, die 
den Kakao zunächst von den Indianern erhielten, in der ersten 
Zeit ihres Wohnens in Amerika vom Kakaobaum also nur selten 
zu sprechen hatten, lag es doch von vornherein näher, die kürzere 
Form in bezug auf die Kakaofrucht anzuwenden. Daß aber die 
Spanier auch heute noch cacao außer in der Bedeutung „Kakao- 
frucht“ in der von „Kakaobaum“ gebrauchen, obgleich sie doch 
sonst zur Bezeichnung der einzelnen Bäume sich anderer Wort- 
formen als für deren Frucht bedienen, ist ein beredtes Zeugnis 
dafür, daß in der zugrunde liegenden Indianersprache cacao auch 
noch oder vielleicht sogar lediglich „Kakaobaum“ bedeutet hat. 

Doch muß sich, besonders seit die Spanier selbst Kakao zu 
bauen begannen, nicht selten auch für sie die Notwendigkeit ein- 
gestellt haben, zwischen „Kakaobaum“* und „Kakaofrucht (Kakao- 
bohne, Kakaomasse, Kakaopulver, Kakaotrank)“ sprachlich zu 
scheiden. So erklärt sich der besondere Ausdruck cacahuate für 
»Kakaobaum* (Tolhausen, Span.-Deutsch). Die Entstehung dieser 
letzteren Bedeutung mag dadurch begünstigt worden sein, daß 
mexik. cacahuatl wenigstens als zweites Kompositionsglied gleich- 
falls schon „Kakaobaum“ heißen konnte, wie aus Hernandez II 155 
hervorgeht: „Sunt autem quatuor hujus arboris differentiae: prima 
Quauhcacahoatl dicitur, omnium maxima et ampliorem ferens 
fructum, altera Mecacacahoatl ...“ Der Hauptgrund aber für die 
Bedeutungsverschiebung im Spanischen wird der gewesen sein, 
daß die Spanier, die zunächst nur auf die Kakaofrucht geachtet 
hatten, die längere und abgeleitete Form als passend für den 
Kakaobaum empfanden, der für sie erst in zweiter Linie in Be- 
tracht kam. 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 87 


| Neben cacahuate kennt das Spanische als ein Wort speziell 
für den Kakaobaum auch noch ein cacagual (Tolhausen, Deutsch- 
Span.). Auch dies cacagual wird auf mexik., cacahuatl zurückgehen. 
Um das ihnen ungewohnte d zu beseitigen, haben die Spanier 
hier das ¢ fallen lassen und das / konsonantisch gemacht. Diese 
Art von Umgestaltung dürfte unter Einfluß von span. peral „Birn- 
baum“, welches Wort ja auch einen Baum mit gern genossenen 
Früchten bezeichnet, erfolgt sein; doch könnte dabei auch das / 
von árbol „Baum“ mitgewirkt haben. Zugleich haben die Spanier 
bei Bildung von cacagual das dem g nahestehende mexik. h an- 
ders als bei cacahuate wiedergegeben, was wohl auf eine Ent- 
stehung beider Formen zu verschiedenen Zeiten zurückzuführen 
ist. Aber wie bei der Bildung von cacahuate haben sie auch bei 
der von cacagual die längere und abgeleitete Form des Mexi- 
kanischen im Sinne von „Kakaobaum“ aufgefaBt. WW 

Gleichzeitig mit span. cacahuate wird span. cacahual aus 
mexik. cacahuati entstanden sein. Dies cacahual heißt aber weder 
»Kakaofrucht* noch „Kakaobaum“, sondern „Kakaopflanzung“, 
eine Bedeutungsänderung, die unter dem Einflusse von Wörtern: 
wie madroüal „Erdbeerbaumpflanzung“, trigal , Weizenfeld“, arro- 
zal „Reisfeld“ erfolgt ist. Das mit cacahual synonyme span. ca- 
caotal ist zu cacao „Kakao“ nach dem Verhältnis von cafetal 
»Kaffeepflanzung* (nach cafeto „Kaffeestrauch*) zu café „Kaffee“ 
gebildet worden. 

Von den Spaniern haben die übrigen europäischen Völker, 
auch die selbst kolonisierenden, das durch den Handel verbreitete 
Wort cacao größtenteils nur zur Bezeichnung der Kakaofrucht 
übernommen, für den Baum sich aber eigene Benennungen ge- 
schaffen. So die Portugiesen ein cacaoeiro') (woneben dieselben 
auch. zur Vermeidung des Zusammenstoßes mehrerer Vokale vom 


1) Die maskuline Endung -eiro erklärt sich hier daraus, daß cacao selbst 
Maskulinum ist. Man vergleiche die portugiesischen Baumnamen abrunheiro, 
marmeleiro, pecegueiro, limoeiro, albricoqueiro, cafeeiro und die Krautnamen 
morangueiro, ananazeiro neben den maskulinen Fruchtnamen abrunho, mar- 
melo, pecego, limäo, albricoque, cafe, morango, anandz. Dagegen steht bei 
Namen von Bäumen das feminine -eira, wenn auch die Namen der Früchte dieser 
Baume Feminina sind, wie in maceira, pereira, cerejeira, giojeira. ameixi- 
eira, nespereira, laranjeira, avelleira, nogueira neben maçã, pera, cereja, 
gioja, ameixa, nespera, laranja, avellä, noz. Der Baum (bzw. das Kraut) 
ist hier als die zur Größe gelangte Frucht, aus der er (bzw. es) entsprossen ist, 
aufgefaßt worden und hat daher das jeweilige Genus der Frucht beibehalten. 
Es liegt hier im Grunde dieselbe Anschauung vor, nach der zu ahd. eik „Eiche“ 
ein ethhila „Eichenfrucht“, eigentlich „kleine Eiche“, gebildet worden ist. 


88 R. Loewe 


Plural cacaos ,Kakaobohnen* aus die Form cacaoseiro [Michaelis] 
gebildet haben), die Franzosen ein cacaoyer und cacaotier, die 
Engländer ein cacao-tree usw. Doch sagen letztere für den Kakao- 
baum bisweilen auch einfach cacao oder cocoa (NED.). 

Wo span. cacao nicht „Kakaobaum“ heißt, wird es deutsch 
mit „Kakao“ übersetzt, ist also dann einfach Stoffname. So sagt 
man auch cacao cuarterizado für „Kakaobruch“, cacao en pasto 
für ,Kakaomasse‘, cacao en grano für „Kakaobohnen“ (Tolhausen, 
Span.-Deutsch). Für die einzelne Kakaobohne wird umgekehrt 
grano de cacao neben almendra de cacao gesagt (Tolhausen, Deutsch- 
Span.). Ursprünglich bezeichnete aber im Spanischen gerade das 
einfache cacao außer dem Kakaobaum nur die einzelne Kakao- 
bohne, wie denn cacao in der ältesten Ausgabe des Diccionario 
der Akademie II (Madrid 1729), S. 35 außer als „arbol ...* nur 
mit „fruta menor que almendra“ definiert wird. Auch port., ital. 
und frz. cacao kann ebensogut noch „Kakaobohne“ wie „Kakao 
als Stoff“ bedeuten. Doch sagt man französisch für , Kakaobohne“ 
auch, dem span. almendra de cacao entsprechend, amande de cacao. 
In den germanischen Ländern tritt hier an die Stelle der im 
Norden nicht wachsenden Mandel die Bohne wie in nhd. Kakao- 
bohne, engl. cocoa-bean, schwed. kakaoböna usw. Der erste Bestand- 
teil allein bedeutet hier nur „Kakao als Stoff“; in der Bedeutung 
»Kakaobohne“ ist span. cacao in keine einzige germanische Sprache 
übergegangen. Dagegen haben nhd. Kakao und engl. cocoa auch 
noch die Bedeutung „Kakaotrank, Schokolade“ angenommen. 
Letzteres gilt aber auch für span. cacao gerade in Amerika selbst 
(Tolhausen, Span.-Deutsch). | 

Das Wort cacao zeigt in den meisten europäischen Sprachen 
die gleiche Lautgestalt wie im Spanischen. Nur im Englischen 
sagt man dafür meist cocoa, woneben aber auch cacoa, cocao und 
besonders cacao selbst vorkommen. Zweimaliges cacoa belegt das 
NED s. v. cacao (4.) für 1661; cocao ist stehend bei Blome (4 zwei- 
mal; 9; 21; 26). Die Formen lassen sich nicht etwa durch Ein- 
fluß von Nicarao coco erklären, da sich ein solcher doch zunächst 
im Spanischen zeigen müßte’). Wohl aber darf man darauf hin- 


1) Wenn, wie R. Lenz, Diccionario etimologico de las voces Chilenas deri- 
vadas de lenguas indigenas Americanas, Santiago de Chile 1904, 8.141 mitteilt, 
im chilenischen Spanisch neben granos de cacao ,Kakaobohnen‘ ein cocoa 
„Kakaopulver“ und „Kakaotrank“ steht, so erklärt sich das nach Lenz selbst 
aus der Aufschrift „cocoa“ der aus England importierten Kakaobüchsen in den ` 
chilenischen Kaufläden. | 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 89 


weisen, daß sich engl. cocao zu span. cacao wie engl: tobaco (bei 
Blome 26 u. 47, sonst meist tobacco) zu span. tabaco verhält: wahr- 
scheinlich wurde span. a in vortoniger (drittletzter) Silbe bei der 
Entlehnung englisch zu o. Bald darauf konnte dann aber cacao 
aus dem Spanischen noch einmal unverändert von den Engländern 
entlehnt werden. Standen nun aber engl. cacao und cocao neben- 
einander, so konnte das Gefühl entstehen, als ob in dem Wort 
a und o überhaupt miteinander wechseln könnten, so daß sich 
auch cacoa und cocoa bildeten. Mit cacao, cocao, cacoa, cocoa sind 
alle hier möglichen Kombinationen erschöpft mit Ausnahme der- 
jenigen, bei denen entweder zwei a oder zwei o zusammenstoßen 
mußten. 

Von den Indianersprachen, aus denen Entlehnungen des 
Wortes cacao bekannt sind, hat keine einzige die Form unver- 
ändert erhalten. Am nächsten steht dem cacao das cacau des 
Tupi, in welches, wie Martius II 427 sagt, das Wort als in die 
„ingua geral“ eingeführt worden zu sein scheint. In der Tat 
müssen auch die portugiesischen Missionare, die sich der Sprache 
der Tupi auch im Verkehre mit den übrigen Indianern Brasi- 
liens bedienten, sich mit ersterem Volke so viel beschäftigt haben, 
daß sie ihm das aus der aztekischen Sprache stammende Kultur- 
wort sehr wohl zuführen konnten. Ob freilich die ganz ım Westen 
Brasiliens sitzenden Omagua ihr acdo „Theobroma Cacao L.“ 
(Martius a a. O.) wieder von den an der brasilianischen Ostküste 
heimischen Tupi erhalten haben, ist äußerst fraglich. Eher könnten 
auch sie das Wort direkt den Portugiesen verdanken. Es wäre 
aber auch denkbar, daß sie ihr acdo durch Vermittelung von In- 
dianersprachen des nordwestlichen Südamerika aus dem Nicarao 
entlehnt hätten. | 

In Zusammenhang mit Omagua acdo stehen höchst wahr- 
scheinlich die von Martius a. a. O. mitgeteilten gleichbedeutenden 
Formen einiger anderer brasilianischer Sprachen, Araicü ako, 
Jumana (Yumana) akdouy und Cauixana ghdo (nach Schmidt 249 
gehören die Araicü und Yumana zur arowakischen Familie; das 
Cauixana ist nach Martius II 257 Fußn. mit dem Maipure ver- 
wandt, das Schmidt a. a. O. gleichfalls unter den arowakischen 
Sprachen nennt). Während acdo (akde) nur anlautendes k durch 
Dissimilationsschwund verloren hat, ist in ako außerdem noch ao 
zu o kontrahiert worden und in akdouy noch ein Suffix an akdo 
angetreten. Die Form ghdo wird zunächst auf ein *kdo zurück- 
gehen, dies aber durch Schwund des a in vortoniger Silbe auf 


90 R. Loewe 


akdo. An sich wäre auch Entstehung von *káo direkt aus kakao 
durch Haplologie möglich; doch ist es viel wahrscheinlicher, daß 
hier ein direkter Zusammenhang mit Omagua acdo besteht. Nur 
das von Martius a.a.O. aus dem Canamirim (d.h. dem zur arowaki- 
schen Familie gehörenden Canamare oder Canamari; Martius II 
235; Schmidt a. a. O.) angeführte gleichbedeutende codca fügt sich 
nicht in diese Reihe; es beruht vielmehr direkt auf cacao, in dem 
hier das auslautende o Metathesis erfahren hat. Mit der Häufig- 
keit springender Lautwandlungen bei Entlehnungen steht es im 
Einklange, daß hier eine Art von Metathesis stattgefunden hat, 
wie sie bei einfacher Vererbung von Sprachformen vielleicht über- 
haupt nicht möglich ist. 

Verbreitet sind Namen des Kakaos, die durch Entlehnung 
auf aztekisch cacao oder dessen Nebenformen zurückgehen, auch 
in Zentralamerika. Hier, wo von aztekischen Sprachen das Pipil 
(in Salvador und Guatemala) gesprochen wird (Schmidt 194) und 
früher auch das Nicarao in Nicaragua herrschte, wird das Wort 
in die meisten Sprachen, die es entlehnt haben, wohl schon in 
der Zeit vor Columbus eingedrungen sein. Die entlehnenden 
Sprachen gehören hier der Chibcha-Familie an (vgl. Schmidt 210ff.). 
Erwähnt habe ich bereits das aus dem Nicarao entlehnte kuk des 
Rama. In dem mit dem Rama nahe verwandten Guatuso findet 
sich kdyu „cacao“ nebst kāgyú-li „cholocate“ (Lehmann 408). Ferner 
im Boruca in Costa Rica cáu „cacao“ (grano), wozu cdu-cd „Ca- 
cao“ (árbol) (Lehmann 351). Dies c4w ist wohl durch Schwund 
des intervokalischen Spiranten aus kdyu entstanden, geht aber 
möglicherweise auch durch Dissimilationsschwund auf ein *kaku 
oder durch Haplologie auf *kakau zurück. Das cdu des Boruca 
findet sich in dem kau „cacao“ des Tirihi, gleichfalls in Costa 
Rica, wieder; kontrahiert erscheint dies kau zu ko in dem vom 
Tirihi nur mundartlich verschiedenen Térrahe (Lehmann 263). Auf 
indirekter Entlehnung aus dem Aztekischen beruhen wohl auch 
die Wortformen für „cacao“ in den meisten Guagmi- und Dorasque- 
Dialekten der Chibcha-Sprachen im westlichen Panama wie ku im 
Muria, kod im Muri usw. (Lehmann 161 nach Pinart); für Ent- 
lehnung spricht hier der Umstand, daß einige dieser Dialekte ein 
anderes Wort für Kakao, doló, besitzen. Haben die Indianer im 
westlichen Panama die ursprüngliche Form des Wortes cacao stark 
verändert, so haben im Gegensatze dazu die schon in Columbien 
sitzenden Choco die alten Formen ganz oder fast ganz beibe- 
halten. Lehmann 84 gibt dafür kakau nach Pinart und cacagua 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 91 


nach Bastian an (über Nicarao *cacagua s. o. S. 91).. Daß ge- 
rade das vom Aztekischen räumlich weiter entfernte Choco diese 
Formen aufweist, spricht dafür, daß es dieselben erst durch Ver- 
mittlung des Spanischen erhalten hat. 

Nördlich des Chibcha-Gebietes finden sich Formen des Wortes 
cacao in den Mixo-Lenca-Sprachen (vgl. Schmidt 200f.). So in 
dessen südlichster Abteilung, dem Lenca, im Dialekt von Chilanga 
im nordöstlichen Salvador (Lehmann 692) k’ägäu, das Lehmann 
717 selbst als Lehnwort aus dem Mexikanischen bezeichnet. Ferner 
in der mittleren Abteilung im Tapachulteca (in Chiapas in Mexiko 
nahe der Grenze von Guatemala; Lehmann 780), kika (Leh- 
mann 782). Endlich in der nördlichen Abteilung im Zoque cacd 
(Lehmann 782). Hinter dies cacé setzt Lehmann das Wort 
»(Maya!)“, wie er denn auch auf das aus dem Zoque für span. 
„Cuerpo“ vermerkte nitoc ein „(Maya)“ und auf das für span. 
„casa“, verzeichnete Wort des Zoque tok ein „(Maya otoch)“ folgen 
läßt. Wie Lehmanns Karte zeigt, ist das Zoque den Maya-Sprachen 
unmittelbar westlich benachbart und auch vom eigentlichen Maya 
in Yucatan nicht allzuweit entfernt. Höchst wahrscheinlich hat 
das Zoque sein cacd aus einer der alten Kultursprachen der Maya- 
völker entlehnt. 

Es fragt sich nun weiter, ob die Maya ihr caca von den 
Azteken oder ob die Azteken ihr cacao von den Maya erhalten 
haben. Die Azteken sind, wie man mit Recht wegen ihrer Ver- 
wandtschaft mit den sonorischen und schoschonischen Völkern 
annimmt, von Norden her in Mexiko eingewandert. Da nun der 
Kakaobaum nördlich nur bis zum 23. Breitengrade vorkommt 
(Mitscherlich, Der Cacao und die Chocolade, Berlin 1859, S. 8), 
so können die Azteken ursprünglich gar kein Wort für ihn be- 
sessen haben. Als sie oder zunächst ihre früher auftretenden 
Verwandten, die Tolteken, den Kakaobaum kennen lernten, haben ` 
sie entweder den Namen eines ıhnen schon früher bekannten 
Baumes auf ihn übertragen oder sie haben — und das ist weit 
wahrscheinlicher — ihr Wort cacao von einem Volke, das schon 
lange im südlichen Mexiko oder dessen Nachbarschaft saß, ent- 
lehnt. Dies Volk aber wird eines der alten Kulturnationen der 
Maya-Familie gewesen sein, die, nach dem archäologischen Be- 
funde und der sprachlichen Zugehörigkeit der Ortsnamen zu 
schließen, schon seit sehr langer Zeit das weite Gebiet ihrer heu- 
tigen Wohnsitze innegehabt haben (Schmidt 203). Wahrscheinlich 
haben die Tolteken und Azteken ihr Wort cacao von den eigent- 


92 R. Loewe 


lichen Maya erhalten, die den Kakaobau besonders stark betrieben 
haben müssen, da sie einen besonderen Gott (Ekchuah) der Kakao- 
pflanzer, Kaufleute und Reisenden hatten; dieser Gott war zugleich 
der heilige Geist, der die Erde mit dem anfüllte, was sie nötig 
hatte (Seler I 413). 

Das Mexikanische kennt auch einen mit dem aus *cacaho er- 
weiterten cacahuatl zusammengesetzten Pflanzennamen tlalcaca- 
huatl, den Siméon 539 mit „Plante appelée cacahuate par les 
Espagnols“ übersetzt. Span. cacahuate ist die Erdpistazie, Arachnis 
Hypogaea L., deren Blütenstiele sich nach dem Abblühen in die 
Erde senken und den Fruchtknoten in die Erde gelangen lassen, 
wo dann die Frucht zur Reife gelangt. Daher ist das żlal- des 
Wortes mit Siméon von tlalli „terre“ herzuleiten. Da sich die 
Samenkörner der Erdpistazie wie die des Kakaobaums in einer 
Hülse befinden und wie diese auch zur menschlichen Nahrung 
dienen, so hat man sie als eine Art Kakaosamen aufgefaßt. 

Hernandez handelt über verschiedene mexikanische Pflanzen 
mit Namen tlalcacahoatl. So sagt er II 159 unter der Überschrift 
„De Tlalcacahoatl seu Cacahoatl humili“ folgendes: „Ita vocant 
Mexicenses herbam, cujus fructum Haitini Manies nuncupant, ob 
similitudinem quam habet cum altera Tlalcacahoatl, sed praecipue 
radicibus, quae tamen huic sunt strobiles et figura et nucleorum 
gustu similes, neque aliter saccharo condiri solent ... gustuque 
dulci et iucundo placere ...* Die hier geschilderte Pflanze ist 
eine Art von Erdpistazie, deren in die Erde gesenkte süßen Nüssen 
gleichende Früchte Hernandez als Wurzeln bezeichnet hat. 

An die gegebene Beschreibung schließt Hernandez dann ein 
Kapitel „De altera Tlalcacahoat!“, das mit den Worten „Herba 
est per terram repens“ beginnt. In Wirklichkeit dürfte nicht die 
Erdpistazie nach diesem Kraute, sondern dies Kraut nach der 
wegen ihrer süßen Früchte beliebten Erdpistazie benannt worden 
sein, was freilich vielleicht nicht möglich gewesen wäre, wenn 
nicht der über die Erde kriechende Stengel ersterer Pflanze an 
das in tlalcacahuatl steckende tlalli „Erde“ erinnert hätte. Her- 
nandez läßt dann noch die Beschreibung dreier anderer Pflanzen 
mit Namen tlalcacahoatl folgen, auf die ich hier nicht eingehe. 
Nach Hernandez II 156 war aber tlalcacahoat! auch der Name der 
kleinsten nur durch ihre Größe von einander verschiedenen vier 
Arten des Kakaobaums selbst. „Erdkakao“ ist hier eine ähn- 
liche Bezeichnung wie ahd. erdbrama „Erdbeerkraut* neben brama 
„Brombeerstrauch“, als dessen Art sich das Erdbeerkraut beson- 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 93 


ders wegen der Ähnlichkeit der Beeren sehr wohl auffassen ließ, 
dem es aber an Größe bedeutend nachsteht, indem es sich vom 
Erdboden weniger weit entfernt. 

Die Spanier haben ¢lalcacahoatl nur in der Bedeutung „Erd- 
pistazie“ entlehnt. Dabei haben sie zugleich die sehr lange Form 
zu cacahuate gekürzt. Da nun aber im Spanischen cacahuate 
„Erdpistazie* mit cacahuate „Kakaobaum“ zusammenfiel, so nahm 
man mit dem Worte, wenn es die erstere Bedeutung hatte, noch eine 
weitere Veränderung vor. Dem Wortausgang -ate stand das Suffix 
-ete nicht fern, das deminutive Funktion haben konnte; bei der 
Kleinheit der Erdpistazie aber im Vergleich zum Kakaobaum 
konnte erstere sehr wohl als „kleiner Kakaobaum“ bezeichnet 
werden. So wurde denn cacahuate im Sinne von „Erdpistazie“ 
in cacahuete verwandelt, das sich zwar formell zu cacahuate nicht 
wie etwa escudete „Schildchen“ zu escudo „Schild“ verhielt, sich 
aber doch (besonders auch wegen cacao „Kakaobaum“) als „kleiner 
Kakaobaum“ verstehen ließ. Auch die weitere (nicht lautgesetz- 
liche) Kürzung von cacahuete zu cacahué „Endpistazie* ist viel- 
leicht weniger wegen der Länge ersterer Form als zur Erreichung 
einer noch deutlicheren Scheidung von cacahuate „Kakaobaum“ 
erfolgt. 

Span. cacahuate, cacahuete und cacahué bezeichnen nach Pages 
nicht nur die Erdpistazie selbst, sondern auch ihre Frucht. Diese 
Doppelbedeutung entstammt höchst wahrscheinlich schon dem 
Mexikanischen. Denn obgleich Hernandez tlalcacahoatl nur als 
Namen der ganzen Pflanze verzeichnet, so kann doch, wie be- 
merkt, die Erdpistazie nach dem Kakaobaum nur wegen ihrer 
Frucht benannt worden sein; der Name cacahoatl kam aber nach 
Hernandez selbst sogar nur der Kakaofrucht, nicht dem Kakao- 


baum zu. 
2. Schokolade. 


Nhd. Schokolade (Fem.),; das in dieser Form erst bei Schiller 
begegnet (Weigand-Hirt), geht wie verschiedene andere deutsche 
Wörter überseeischer Herkunft (vgl. Orkan, Hängematte, Leguan) 
wahrscheinlich zunächst auf das Niederländische zurück. Für 
ndl. chocolade (Fem.) gibt Franck-van Wijk als Form des 17. Jahr- 
hunderts noch chocolate an und bemerkt richtig dazu, daß -ade 
hier wie in sukade „eingemachte Pomeranzenschale“ an die Stelle 
von -ate durch den Einfluß älterer Lehnwörter auf -ade getreten 
sei; bei chocolade hat wahrscheinlich der Getränkname limonade 
eingewirkt. Ndl. chocolate beruht wohl direkt auf span. chocolate 


94 R. Loewe 


(Mask.). Das Gleiche gilt auch von port. chocolate (Mask.), engl. 
chocolate und frz. chocolat (Mask.). Ital. cioccolata (Fem.) ist an 
limonata angelehnt. Das Deutsche schwankt, wie aus den Zitaten 
bei Weigand-Hirt hervorgeht, noch bis gegen Ende des 18. Jahr- 
hunderts zwischen verschiedenen Formen. Dem Schockolata (Fem.) 
bei Kramer (1678) liegt ital. cioccolata, dem Chocolate bei Wächtler 
(1703) span. chocolate und dem Schokolut (Mask.) bei Wieland 
frz. chocolat zugrunde. | 

Span. cholocate ist aus mexik. chocolat! entstanden. Letzteres 
Wort findet sich zuerst bei Hernandez, der II 157f. die zu medi- 
zinischen Zwecken dienenden aus Kakaobohnen und Bestandteilen 
anderer Pflanzen gemischten Tränke beschreibt und ihre Namen 
angibt, wobei er 158 auch sagt: „Tertium [potionis genus] vero, Cho- 
collatl vocatur, paratur ex granis Pochotl et Cacahoatl aequa men- 
sura“; darauf schildert er die Zubereitung und bemerkt dann noch: 
„immiscent Frumenti praedicti [Indici] emolliti pugillum unum“, 
worauf er noch einige Bemerkungen. über die medizinische Ver- 
wendung des Trankes folgen läßt. Der pochotl ist nach Siméon 346 
„Bombax ceiba, grand et bel arbre“; mit dem „frumentum Indicum“ 
kann nur der Mais gemeint sein. Das LU von Hernandez’ chocollati 
steht wohl nicht für palatalisiertes 7, da man sonst auch span. 
* chocollate zu erwarten hätte; es wird vielmehr Schreibfehler oder 
Druckfehler sein. Auch schreibt Siméon nur chocolatl. 

Leider gibt Siméon, der die lebende mexikanische Sprache 
nicht berücksichtigt, S. 95 auch nicht an, ob mexik. chocolat! heute 
noch dieselbe Bedeutung wie im 16. Jahrhundert oder ob es die 
von span. chocolate „Kakaotrank mit Zucker“ hat; als Zitat aber 
bietet er nur die von mir angeführte Stelle aus Hernandez. Als 
ein mit chocolatl verwandtes Wort nennt er jedoch noch das 
Verbum chocolai „boire, prendre du chocolat“ und zitiert dazu 
eine Stelle aus Ignacio do Paredes, Compendio del arte de la 
lengua mexicana del P. Horatio Carochi, Mexico 1759, die er mit 
»pris d’abord, puis tu déjeuneras et prendras du chocolat" über- 
setzt. Die Mexikaner genossen also zu dieser Zeit den von ihnen 
chocolat] genannten Trank schon regelmäßig zum Frühstück. Die 
Bedeutung ,Kakaotrank mit Zucker“ von span. chocolate (und 
vielleicht auch vom jüngeren mexik. chocolatl) dürfte sich daraus 
erklären, daß chocolat! ursprünglich eben nicht den reinen, sondern 
gleichfalls schon einen vermischten Kakaotrank bezeichnet hat. 
Den unvermischten Kakaotrank nennt Hernandez stets »potio 
cacaoatl* (I 190; II 437; II 452; III 220). 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 95 


Mexik. chocolat! kann nicht, wie Weigand-Hirt angibt, aus 
einem *choco „Kakao“ und einem *latl „Wasser“ zusammengesetzt 
sein. Der Kakao heißt mexik. vielmehr cacahoatl, das Wasser atl. 
Letzteres Wort könnte allerdings den zweiten Bestandteil von 
chocolatl ausmachen, wobei man jedoch zu beachten hat, daß i 
hier Suffix ist und die Wurzel des Wortes nur a lautet. Mit 
cacahoatl „Kakaobohne“. läßt sich chocolatl lautlich nicht ver- 
einigen, wie Skeat 332 richtig bemerkt. Doch muß ich auch die 
Vermutung in meinem D.Et.Wb.’, daß chocolatl aus ena 
entstanden sei, fallen lassen. 


3. Tomate. 


Das deutsche Femininum Tomate geht wohl zunächst auf das 
französische Femininum tomate, dies aber auf das spanische Mas- 
kulinum tomate zurück. Frz. tomate verdankt sein Genus wohl 
der Anlehnung an plante wie ital. tomata Genus und Endung zu- 
gleich derjenigen an pianta. Port. tomate hat dagegen das mas- 
kuline Genus gewahrt. Auffallend ist engl. tomato, das Skeat 333 
aus der Empfindung erklärt, daß spanische Wörter ein besonderes 
Recht auf auslautendes o hätten. Bei dem Mangel an langen 
vollen Vokalen in unbetonten Endsilben echt englischer Wörter 
und der Häufigkeit des zum Wohlklang sehr viel beitragenden 
langen o im absoluten Auslaut spanischer Wörter ist auch diese 
Empfindung der Engländer sehr wohl zu verstehen. 

Span. tomate beruht auf mexik. tomati. Das Wort findet sich 
zuerst bei Hernandez, der II 1 sagt: „Praeter ceteras solani spe- 
cies ... inveniuntur aliae, quarum fructus, quoniam orbiculares 
sunt, vocantur Tomatl ...“ Die Behauptung, daß die Tomate 
nach ihrer kreisrunden Gestalt benannt worden sei, ist freilich 
unrichtig, da es mexikanisch kein Wort, von dem sich tomatl ab- 
leiten ließe, mit der Bedeutung ,kreisrund“ oder ähnlich gibt. 
Der Name tomatl kann vielmehr nur hergeleitet sein von der 
Wurzel tomau, die in tomaua „grossir, croître“ und ohne das u 
in tomactli „gros, épais, massif“ (Siméon 648) enthalten ist; das 
in tomatl wie in tomactli verlorene u erscheint auch noch in to- 
mauia „ässaissoner un mets avec des tomates“. 

Der Name tomatli paßt sehr gut; die Tomatenfrucht, die ja 
meist die Größe eines kleinen Apfels erreicht, ist fiir eine kraut- 
artige Pflanze außerordentlich groß: Hegi, Flora von Mitteleuropa 
V 4, 2608 nennt sie kurzweg „groß“. Daß man mexikanisch von 
der Wurzel tomau „wachsen“ auch sonst Pflanzennamen bilden 


96 R. Loewe 


konnte, zeigt der Name des Krautes toma, von dem Hernandez 
ITI 446 sagt: „Genus est Urticae in Arboris magnitudinem adole- 
scens, foliis sinuosis, et magnis .. .“ (Das Wort scheint von jeher 
ohne Suffix gebildet worden zu sein; das w ist hier im Auslaut 
verloren wie im Inlaut vor Konsonanten in tomactli und tomat!). 
Zu diesem toma darf man wohl auf den deutschen Pflanzennamen 
Alant als Parallele hinweisen (vgl. Verf., DEL Wb 

Wie die Mexikaner seiner Zeit die ganze Pflanze Tomate 
genannt haben, sagt Hernandez nicht; doch läßt sich dies wohl 
aus seinen Ausführungen erschließen. Es genügt dazu ein Hin- 
weis auf II 4: „Radicem fert crassam Coztomatl .. . caules fulvos, 
folia Solani ... luteum florem, unde nomen’) fructumque con- 
tentum in uesicis.“ Hier ist also coztomatl der Name einer ganzen 
Pflanze; Il 2 („Minores vero dicti Miltomame*) praedictis nucibus 
pares sunt... Tales habentur Coztomatl . . .“) ist es dagegen der- 
jenige der Frucht dieser Pflanze. Haben aber die Mexikaner bei 
den einzelnen Tomatenarten den Namen der Frucht auf die ganze 
Pflanze übertragen, so doch wohl auch den einfachen Namen der 
Frucht tomatl auf die Tomatenpflanze überhaupt. Auch im Deut- 
schen benennen wir ja Pflanzen, deren Früchte uns viel wichtiger 
als sie selbst erscheinen, gewöhnlich mit dem Namen der Frucht 
(vgl. z. B. Erdbeere für „Erdbeerkraut“). 


V. Nordamerikanische Wörter. 


Die den europäischen Sprachen aus Nordamerika zugeführten 
Wörter sind durch das Englische vermittelt worden. Dieselben 
entstammen wohl sämtlich den Sprachen der Algonkinvölker, die 
weite Gebiete der Osthälfte Nordamerikas bewohnten (vgl. Müller 
255ff.; Schmidt 166ff. nebst Atlas Karte V), heute aber meist 
verschwunden sind (Ausgestorben sind auch die Algonkin, nach 
denen man die ganze Gruppe genannt hat). Die Engländer haben 
die betreffenden Wörter von den an der Küste sitzenden Stämmen, 
auf welche sie zuerst gestoßen sind, entlehnt. Es sind meist nur 
Bezeichnungen, die sich auf die Lebensverhältnisse der Indianer 
selbst beziehen wie Wigwam, Squaw, Tomahawk. Für sich allein 
steht der Tiername Opossum: 


1) Nach Siméon 115 gehört coztomatl zu coztir „jaune“. 
2) Die Substantiva auf -¢7 bilden ihren Plural zum Teil durch Verwande- 
lung des -t! in -me (Siméon XXIX). 


Über einige europäische. Wörter exotischer Herkunft. 97 


1. Oo: 

Nhd. Opossum, schwed. opossum, frz. opossum usw. gehen auf 
engl. opossum zurück. Nach dem NED. stammt letzteres aus 
Virginien. Als. Wort einer Indianersprache ist dasselbe erhalten 
aus dem Jahre 1615 in dem Dictionarie of the Indian language bei 
William Strachey, The historie of travaile into Virginia Britannia, 
Now first edited from the original manuscript by R. H. Major, 
London 1849, wo es S. 183 heißt: „Aposon, a beast in bignes 
like a pig and in tast alike“. Als englisches Wort hierfür war 
dem Verfasser bereits die Form opossum geläufig, wie aus der 
Bemerkung in seinem englischen Texte S. 123 hervorgeht „An 
opossum is a beast as big as a pretty beagle ...“ Man könnte 
bei dem Wandel von a zu o in aposon an einen Einfluß des o 
der Folgesilbe unter Mitwirkung des Labials p denken; wahr- 
scheinlicher ist hier aber das a in vortoniger Silbe nach dem- 
selben Lautgesetze wie in engl. tobacco und cocao (s. ob. S. 89) 
zu o geworden; dabei ist aber in aposon das auslautende n durch 
Fernassimilation an das p in m, das wieder auf den vorangehen- 
den Vokal eingewirkt hat, übergegangen. 

Eine ältere Entlehnung als in opossum liegt in der dem aposon 
noch näher stehenden englischen Form apossoun vor, die im Plural 
als Apossouns schon 1610 belegt ist (NED. s. v. opossum). Neben 
engl. opossum ist auch gekürztes possum im Gebrauch, aber auch 
dem possum (zuerst 1648) geht ein possoun (schon 1613; NED. 
s. v. possum), also ein gektirztes apossoun voraus. Vermutlich ist 
der unbetonte anlautende Vokal ursprtinglich dann fortgefallen, 
wenn das vorausgehende Wort vokalisch auslautete. Nicht klar 
ist das Verhältnis des ow von engl. apossoun zum o der Schluß- 
silbe von aposon wie auch das des ss von apossoun und opossum 
zum s von aposon; möglicherweise war aposon in der betreffenden 
Indianersprache nur dialektisch. 

Das nordamerikanische Opossum, Didelphys Virginiana Kerr, 
bewohnt den Siidosten der Vereinigten Staaten Nordamerikas 
(B. T. X 100). Sein zoologischer Name deutet darauf hin, daß es 
in Virginien am häufigsten vorkommt; doch ist das nicht eigent- 
lich der Grund dafür, daß der Name des Tieres aus einer einst 
in Virginien herrschenden Sprache stammt. Vielmehr ist letzteres 
darin begründet, daß die Engländer ihre erste amerikanische Kolonie 
in Virginien (schon 1607) angelegt haben (vgl. Fiske, Old Virginia 
and her neighbours, Boston and New York 1900, I, S. XIV 

u. 93). 
Zeitschrift für vergl. Sprachf. LXI 1/2 7 


98 R. Loewe 


Strachey sagt nicht, von welchem Stamme die Indianer waren, 
von deren Sprache er das Vokabular gibt, in dem auch aposon 
steht. Doch können diese kaum andere als die Powhatan ge- 
wesen sein, die in erster Linie als Bewohner Virginiens zur Zeit 
von dessen Besitznahme durch die Engländer genannt werden 
(Fiske a. a. O. 95). S. 27 spricht Strachey selbst von „enmity 
and open warrs, between the high and lowe country, going by 
the names of Monocans and Powhatans“ und erzählt S. 36ff. und 
an anderen Stellen sehr viel von einem Häuptling Namens Pow- 
hatan, der doch offenbar nach seinem Volke heißt. Sprachreste, 
die direkt als solche der Powhatan bezeichnet werden, sind mir 
freilich nicht bekannt geworden. Nach Rivet, Les langues du 
monde 610 gehörten die Powhatan wie überhaupt die Stämme 
Marylands, Virginiens und Nordkarolinas zu den Algonkinvölkern; 
doch bleibt ihre nähere Stellung noch zu bestimmen. 

Eine Etymologie von aposon hat A. F. Chamberlain im Ame- 
rican Anthropologist, New Ser. III 677 aufgestellt. Er verbindet 
das Wort mit Lenäpe (delawarisch) woapsu, Ojibwa wapisi, Cree 
wäpisiso „it is white“. Sachlich paßt diese Deutung gut, da das 
nordamerikanische Opossum ein weißes Gesicht hat (B. T. X 100). 
Auch hätte Chamberlain zur Stütze seiner Annahme auf Lenäpe 
woapink „opossum, a wild beast“ (Br. a. An. 166) verweisen können, 
das offenbar zu woapsu „white“, woapachpoan „white bread“, 
woapeu „white* (Br. a. An.) gehört. Da es nun neben woapsu 
ein gleichbedeutendes (vielleicht mundartliches) wapsu (Br. a. An. 
151) gibt, so ließe sich auch aposon sehr wohl dazu stellen, wenn 
der Fortfall des anlautenden w zu rechtfertigen wire. Für Er- 
haltung des anlautenden w im Powhatan spricht nun aber wingan 
„good“ (Strachey 195) neben Lenäpe wingan „sweet, savory; good 
tasted“ (Br. a. An. 159) und wingi „fain, gladly, willingly“ (Br. 
a. An. 160). Auch wousekan „a bone“ bei Strachey 195 ist doch 
wohl mit Lenäpe wochgan „bone“ (Br. a. An. 166) identisch (das 
g des Manuskripts des Lenapé-Engl. Dict. steht für E nach Br. 
a. An. VII). Dazu verzeichnet Strachey 195° noch mehrere andere 
Wörter mit anlautendem w wie wapin „a stab“, winpe „marrow“, 
zu denen ich keine verwandten Formen in anderen Algonkin- 
sprachen nachweisen kann. Auf rein lautlichem Wege läßt sich 
also Powhatan aposon mit delawar. wapsu nicht vereinigen. Doch 
wäre die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, daß aposon ein an- 
lautendes w durch irgend eine Volksetymologie verloren hätte; 
bei dem geringen Umfange von Stracheys Vokabular braucht das 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 99 


Wort, an das sich aposon angelehnt haben könnte, dort nicht 
überliefert zu sein. 
2. Wigwam. 

Nhd. Wigwam, frz. wigwam, span. wigwam, dän. wigwam usw. 
beruhen auf engl. wigwam. Der älteste Beleg, den das NED. für 
das Wort gibt, stammt aus dem Jahre 1628 und bezieht sich auf 
Neu-England. Für die Herkunft des Wortes verweist Skeat 321 
auf wikiwam „maison“ bei Cuog, Lexique de la langue Algon- 
quine, Montréal 1886, S. 438. Welcher von den zahlreichen Algon- 
kinsprachen engl, wigwam entstammt, ist zu ersehen aus Jonathan 
Edwards, Observations of the language of the Muhheekaneew In- 
dians, A new edition with notes by John Pickering, Boston 1823. 
Hier sind in dem angefügten Comparative Vocabulary of various 
dialects of the Lenape (or Delaware) Stock of North American 
languages S. 57 ff. folgende Formen für engl. „house“ verzeichnet: 
„Mohegan (from Edwards) weekuwuhm, Mohegan (from W. Jenks) 
weekwom, Lenape or Delaware wikuam'), Munsee or Minsi wich- 
quam, Shawanese (Edwards) wecuah, Shawanese (Archaeologia 
Americana) wigwa, Naraganset wetu, Massachusetts wétu, Penobs- 
cot wigwam, Abnaki wigwam °), St. Francis Indians wigwam *), Chip- 
peway wigwaum.“ 

Danach stammt engl. wigwam aus der Sprache der Nordost- 
gruppe der Algonkinstämme oder der Abenaki im weiteren Sinne 
(vgl. Müller 255). Von diesen Völkern sitzen die Abenaki im 
engeren Sinne am Kennebee, die Penobscot am Penobscotflusse 
- in Maine (dazu die Passamaquoddi teilweis in Maine, teilweis in 
Neubraunschweig, und die Mikmak in Neubraunschweig, Neu- 
schottland, Prince Edwardsinsel und Neufundland). Bei irgend 
welchen Indianerstämmen südlich von Maine wird die Form wig- 
wam schwerlich noch existiert haben; den Massachusetts, welche 
wetu für „Haus“ sagten, war wigwam fremd, wie aus der Bemer- 
kung bei John Eliot, The Indian Grammar Begun, Cambridge 


1) Hierzu S. 69, Note 9: „The z¢ long as ee“. Heckewelder. 

2) Anstatt des w steht hier beide Male ein besonderes Zeichen, das auch 
sonst noch in den aus dem Abnaki „From Father Räle’s M. S. Dictionary“ 
mitgeteilten Wörtern erscheint, wo die entsprechenden (nach französischer Ortho- 
graphie geschriebenen) des Penobscot meist w oder ow aufweisen. 

3) Die sonst kaum bekannten „St. Francis Indians‘ saßen nach Pickering 
bei Edwards 49 an der Mündung des St. Francis River in Canada und bestanden 
1821 nur noch aus 360 Personen. Sie hießen auch „Abenaquis“; doch zeigt nur 
ein Teil der aus ihrer Sprache Pickering mitgeteilten Wörter Ähnlichkeit mit 
den entsprechenden Wörtern der Abnaki bei Father Räle. 

7* 


100 R. Loewe 


1666 (A Grammar of the Massachusetts Indian language by John 
Eliot, A new edition by Peter S. Du Ponceau, Boston 1822) S. 12 
„n Weekuwont or wekuwomut ‘in his house’. Hence we corrupt this 
word Wigwam“ hervorgeht. Dem weekuwont (mit ee nach eng- 
lischer Orthographie für 7) und wekuwomut (mit e für 7) aber muß 
ein *wikuwom „Haus“, das in seinem E zu delawar. wikwam usw. 
stimmt, zugrunde gelegen haben. Zwischen. den Abenaki und 
den Massachusetts im südlichen Massachusetts saßen freilich noch 
die Pawtucketts im nördlichen Massachusetts und südlichen New 
Hampshire (Talvj, Geschichte der Colonisation von Neu-England, 
Leipzig 1847, S. 99), ein Stamm, von dessen Sprache man keine 
Reste besitzt; da aber das nördliche New Hampshire fast ganz, 
wenn nicht vollständig unbewohnt war (Palfrey, History of New 
England, Boston 1859, I 24f.), so wird dieselbe mehr zu derjenigen 
der Massachusetts als der Abenaki gestimmt haben. 

Die Entlehnung des Wortes für „Indianerhaus* aus dem 
Abenakı könnte deswegen auffallen, weil die Engländer in der 
ersten Zeit der Besiedelung Neu-Englands mehr dessen mittlere 
und südliche Staaten als das nördliche Maine aufsuchten. Aber 
Virginien haben ja die Engländer noch früher als Neu-England, 
schon 1607, zu kolonisieren begonnen, und doch haben sie das 
bei den dortigen Indianern gebräuchliche Wort für „Haus“ (yohacan 
nach Strachey 189°) nicht entlehnt. Der Grund hierfür hat offen- 
bar darin gelegen, daß sie gar kein Interesse für die armseligen 
Indianerhütten hatten. Haben doch auch, wie es scheint, die 
Spanier und Portugiesen, die doch weit früher als die Engländer 
in Amerika Kolonieen angelegt haben, kein Wort für „Indianer- 
haus“ direkt einer Indianersprache entnommen. 

Wenn die Engländer nun doch zuerst ihre Sprache mit einem 
Worte für „Indianerhaus“ bereichert und wenn sie dies Wort 
speziell dem Abenaki entlehnt haben, so beruht das auf dem 
Interesse, das ein einzelner Engländer an den Indianern genommen 
hatte. Es war das Christopher Levett, der in seinem Buche „A 
voyage into New-England“ (London 1628) zum ersten Male das 
Wort wigwam gebraucht. Die Schrift ist neu gedruckt in den 
Collections of the Maine historical society, Vol. II, Portland 1847 
S. 75ff. und wird S. 73 als ,Levett’s voyage along the coast of 
Maine A. D. 1623—4“ bezeichnet. Die betreffende Stelle, das 
älteste Zitat, welches das NED. über wigwam überhaupt gibt, 
steht S. 82 und lautet: „We built us our wigwam, or house, in 
one hour’s space“. Levett nennt hier also die elende Hütte, die 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 101 


er sich selbst mit seiner Schiffsmannschaft auf seiner Reise baute, 
ein Wigwam, ein Wort, das er erst auf derselben Reise von den 
Indianern gehört haben kann. S. 89ff. spricht er dann ausführlich 
auch von den Indianern selbst und bemerkt über sie S. 97 auch 
„Their houses are built in half an hour’s space ...“ Der Aus- 
druck wigwam kommt hier freilich nicht vor, aber jeden aufmerk- 
samen Leser des Buches mußten die Worte doch an die oben 
zitierten über wigwam erinnern, so daß er sich sagte, daß wigwam 
der Ausdruck der Indianer für ihre eigene schnell erbaute Hütte 
sei. Levetts Buch ist auch gewiß viel gelesen worden; er be- 
zeichnet sich auf dem Titelblatt (S. 75 des Neudrucks) als „His 
Majesty’s woodward of Somersetshire, and one of the council of 
New-England“ und spricht S. 85 davon, daß er den ersten von 
ihm entdeckten Fluß „Levett’s river“ genannt habe; seine Reise 
war also noch eine Entdeckungsfahrt. Auch ist wohl nicht zu 
bezweifeln, daß er sehr oft von den „Wigwams“ der Indianer, 
die ihn sehr interessierten, erzählt hat. 

Zu delawar. wikwam „house“ geben Br. a. An. 157f. außer 
direkten Ableitungen wie wikwames „little house“ auch verwandte 
Formen, die nur die erste Silbe wik enthalten wie wikiak „my 
house*, wikian „thy house“, wikit „his house“ sowie wiku „he has 
a house“, wikheu „to build“. Danach hat ursprünglich auch schon 
das einfache *wik „Haus“ bedeutet. Dies *wik zeigt sich auch 
im Massachusetts, in dem wie sonst allgemein in den Algonkin- 
sprachen die Possessivpronomina durch Präfixe ausgedrückt werden, 
wobei der Anfangskonsonant des Substantivs verloren geht: es 
heißt hier Neek „my house“ (ee nach englischer Orthographie für 2), 
Keek „thy house“, Week „his house“ wie Nuttah „my heart“, Kuttah 
„thy heart“, Wuttah „his heart“ (neben Metah „the heart“) nach 
Eliot, Indian Grammar Begun S. 11. 

Das -wam von wigwam habe ich weder als Suffix noch als 
selbständiges Wort in irgend einer Algonkinsprache wiederge- 
funden. Als zweites Wortglied erscheint es allerdings als -wöm 
auch in wénjeegwom, wie im Mikmak neben wigwom für „a house“ 
gesagt wird (S. T. Rand, Diction. of the language of the Micmac 
Indians, Halifax 1888, 134); doch ist wenjeegwöm vielleicht über- 
haupt nichts anderes als ein mit einem Infix -ënj weitergebildetes 
* weegwöm (d. h. *wigwom) neben wigwöm. Beachtung verdient aber 
noch delawar. wikwahemunk „in the house“ (neben wikwam „house“) 
bei Br. a. An. 158 (-unk ist Lokativsuffix nach Zeisberger, Tran- 
sactions of the Amer. philos. Society held at Philadelphia III New 


102 R. Loewe 


series, 1830, S. 99), nach welcher Form zu schließen -wam aus 
-wahem entstanden ist; das h steht auch noch in Mohegan weeku- 
wuhm „house“ und Shawanese wecuah „house“ bei Edwards a a O. 

Über das lautliche Verhältnis von wigwam und wikwam ge- 
winnen wir Aufschluß aus Mikmak nek „my house“, kek „thy 
house“, wek „his house“ (S. T. Rand, A first Reading book in the 
Micmac language, Halifax 1875, S. 9; nach der Bemerkung S. 6 
wë as in me“ ist e hier als 2 zu sprechen). Diese Formen finden 
sich genau wieder im Massachusetts neek, keek, week und haben 
die gleiche Bedeutung wie delawar. wikiak, wikian, wikit, während 
dem delawar. wikwam „house* ein gleichbedeutendes wigwom im 
Mikmak und wigwam im eigentliohen Abenaki und im Penobscot 
gegenüberstehen. Demnach hat die Wurzel ursprünglich k gehabt, 
das aber in den Abenakisprachen vor folgendem w stimmhaft 
geworden ist. 


VI. Afrikanische Wörter. 


Die bekannteren aus Negersprachen herrührenden europäi- 
schen Wörter sind wohl sämtlich Tiernamen oder Pflanzennamen. 
Auch für Wörter dieser Art kommen die nördlicheren Neger- 
sprachen (die man, obgleich sie verschiedenen Familien angehören, 
unter dem Namen „Sudansprachen“ zusammenzufassen pflegt; 
Schmidt 92ff.) kaum in Betracht. Dagegen entstammen mehrere 
Wörter dieser Art den Bantusprachen, die in der ganzen Süd- 
hälfte Afrikas gesprochen werden und eine einzige Familie aus- 
machen (Schmidt 85), wobei sie freilich in ihrem Wortschatze 
vielfach weit auseinandergehen. Die meisten Leehnwörter hat 
hier die Sprache der Kongoneger geliefert, die früher auf einer 
etwas höheren Kulturstufe als die übrigen Bantuvölker standen 
und in deren Lande sich die Portugiesen bereits im 16. Jahrhundert 
in größerer Menge niedergelassen haben (Zimmermann 179). Da- 
neben ist hier nur noch die Sprache der Kaffern zu berücksichtigen. 


1. Drill und Mandrill. 

Unter „Drill“ (nhd., engl., frz. drill, ital. drillo) und „Mandrill“ 
(nhd., engl., frz. mandrill, ıtal. mandrillo) versteht man heute all- 
gemein zwei einander ähnliche Pavianarten, die in ihrer Gestalt be- 
sonders durch ihre merkwürdig gewulsteten und gefurchten Backen 
und ihre kurzen Stummelschwänze von allen übrigen Affen stark 
abweichen (B. T. XIII 586). Sowohl für den Drill wie für den 
Mandrill sind zoologisch verschiedene Namen in Gebrauch; Linné, 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 103 


der ersteren noch nicht kannte, nennt letzteren Simia maimon; 
Geoffroy-Saint-Hilaire, Mammiféres (1831) S. 66 unterschied den 
Drill als Cynocephalus leucophaeus vom Mandrill, Cynocephalus mor- 
mon. Der Drill wurde als eine besondere Art überhaupt zuerst 
in der Histoire naturelle des mammiferes von Geoffroy-Saint- 
Hilaire und Fr. Cuvier, T. I (Paris 1824) geschieden. In dem 
Kapitel „Le drill“ S. 1 sagt hier Cuvier, daß der dem Mandrill 
nahe verwandte Pavian ein schwarzes Gesicht, der Mandrill selbst 
aber eine rote Nase mit blauer Einfassung habe, und bemerkt dann 
S. 3: „Un nom était nécessaire 4 ce cynocéphale nouveau ... Le 
grand rapport qu’il a avec le Mandrill, puisqu’il n’en différe guére 
que par les couleurs de la face, m’a suggéré Idée de lui donner 
le nom de Drill, qui a l’avantage, en quelque sorte, d’indiquer 
les rapports intimes de ces deux espéces.“ Dieser Name Drili 
sollte aber ein französischer, kein zoologischer sein; zoologisch 
nennt Cuvier die von ihm entdeckte Pavianart vielmehr (Le Drill 
S.2) Simia Leucophea (daher bei Geoffroy Cynocephalus leucophaeus). 

Cuvier hat nicht etwa sein Wort drill aus dem Worte man- 
drill abstrahiert, sondern beide Namen dem Kapitel „Le mandrill“ 
bei Buffon XIV 154ff. entlehnt (wo noch nicht zwischen französi- 
schen und zoologischen Benennungen geschieden wird). Unter 
der Bezeichnung mandrill ist nun hier bei Buffon schon genau 
derselbe Affe beschrieben, den später auch Cuvier so nennt. Über 
das Verhältnis seines mandrill zu seinem drill bemerkt aber Buffon 
S. 156 Fußnote folgendes: „Dans le même pays [Guinée], Ton 
appelle donc boogoe ou boggo et mandrill, ’anımal dont il est ei 
question, et l’on appelle aussi pongo et drill; ces noms se ressem- 
blent, et sont vraisemblablement dérivés les uns des autres, et en 
effet, le pongo et le boggo, ou si lon veut, le drill et le man- 
drill ont plusieurs cavactéres communs, mais le premier est un 
singe sans queue et presque sans poil, qui a la face aplatie et 
ovale, au bien que le second est un babouin, avec une queue, 
de longs poils, et le museau gros et long.“ 

Aus der Beschreibung, die Buffon von seinem drill gibt, und 
besonders aus der Gleichsetzung der Namen drill und orang-outang 
geht hervor, daß er darunter einen menschenähnlichen Affen 
verstanden hat. Da er Guinea als Heimat dieses Affen nennt, 
so kann das allerdings nicht der Orangutan, der auf Borneo lebt, 
sondern muß entweder der Gorilla oder viel wahrscheinlicher der 
viel weiter verbreitete Schimpanse (B. T. XIII 680) gewesen sein. 
Bei der außerordentlichen Verschiedenheit zwischen dem Schim- 


104 R. Loewe 


pansen und dem Cynocephalus mormon, dem mandrill Buffons, 
sowie bei dem Vorhandensein anderer französischer Benennungen 
(wie barris, jocko, chimpanze) für die Menschenaffen Afrikas be- 
greift es sich leicht, daß Cuvier den Namen drill von dem Schim- 
pansen auf den dem Cynocephalus mormon außerordentlich ähn- 
lichen Cynocephalus leucophaeus übertragen hat. 

Für den Namen drill gibt Buffon S. 47 als seinen Gewährs- 
mann Tyson an, der Anatomy of a pygmie, London 1699, S. 1 
sagt: „The Baris or Barris ... probably may be what we call 
a Drill“. Weiter aber nennt Tyson Baris, Barris als ein bei 
einem Teile der Afrikaner übliches Wort für den Orangutan. 

Die Stelle, woher er den Namen mandrill hat, bezeichnet 
Buffon S. 156 Fußn. als „Nouveau voyage en Guinea, par Smith, 
traduit de l’Anglois, Paris 1751, tome I, page 104“. Diesen Worten 
voran geht bei Buffon die wörtliche Wiedergabe der Übersetzung 
von Smiths Beschreibung seines mandrill. Ich gebe hier das 
Wichtigste aus dieser Beschreibung nach dem englischen Text 
(A new voyage to Guinea by William Smith, London 1745) S. 51 f. 
wieder: „I shall next describe a strange Sort of Animal, call’d 
by the White Men in this country, a Mandrill, but why it is so 
called I know not, nor did I ever hear of the Name before, neither 
can those who call them so tell, except it be for their near Re- 
semblance of a human Creature, though nothing at all like an 
Ape ... The Face, which is cover’d by a white Skin, is mon- 
strously ugly ... Hands have no more Hair than the Face, but 
the same white Skin, tho’ all the rest of the Body is cover’d 
with long black Hair like a Boar. They never go upon all Four 
like Apes ...“ Mit der hier beschriebenen Affenart kann aber kein 
Pavian, sondern auch nur wie mit drill ein menschenähnlicher 
Affe gemeint sein. Das zeigt auch auf das deutlichste die von 
Smith gegebene Abbildung seines Mandrill. 

Buffon ist in sehr merkwürdiger Weise dazu gekommen, einen 
Namen des Schimpansen auf den Cynocephalus mormon zu über- 
tragen. S.154Fußn. nennt er von Zoologen, die schon vor ihm 
über letzteren Affen gehandelt haben, nur Brisson, aus dessen 
Regnum animale er die Stelle zitiert „Cercopithecus Cynocephalus 
naso violaceo ... Le Magot ou Tartarin“’). Er meint nun, daß 
Brisson hier die Namen magot und tartarin irrtümlich angewandt 
habe, wie er, Buffon, denn selbst S. 109 Fußn. von einer andern 


1) In der von mir benutzten „Editio altera auctior“ (Lugd. Bat. 1762) 
von Brissons Werk stehen diese Worte S. 152; Buffon zitiert S. 214. 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 105 


Affenart sagt: „Magot, nom ancien de ce Singe en françois et 
que nous avons adopté ... on la aussi appelé Tartarin, parce 
qu’il est fort commun dans la Tartarie méridionale.“ Es braucht 
hier nicht untersucht zu werden, ob Buffon mit seiner Ansicht 
über magot und tartarin im Recht ist; jedenfalls kannte er aus 
älteren französischen Schriften keine anderen Benennungen des 
Pavians mit der blauen Nase als magot und tartarin, die er selbst 
schon für eine andere Affenart verwandt hatte. So blieb ıhm 
nichts übrig, als sich für den Pavian mit der blauen Nase nach 
einer von magot und tartarin verschiedenen Bezeichnung um- 
zusehen. 

Wenn nun Buffon gerade den Namen mandrill auf den Cyno- 
cephalus mormon übertragen hat, so könnte das daran gelegen 
haben, daß Smith bei seinem (Smiths) mandrill zugleich die 
Häßlichkeit und die Größe im Vergleich zu anderen Affen her- 
vorhebt, daß aber der Cynocephalus mormon der allerhäßlichste 
Affe und gleichfalls sehr groß ist. Buffon beginnt auch dem- 
gemäß die Schilderung seines Mandrills S. 154 mit den Worten: 
„Ge Babouin est d'une laideur désagréable et degoutante* und 
sagt S. 155 von ihm: „il paroit qu’apres l’orang-outang, c’est le 
plus grand de tous les singes et de tous les babouins.“ Sonderbar 
erscheint es, daß Buffon a.a.O. auch behauptet, daß an der Gold- 
küste und in den übrigen südlichen Provinzen Afrikas die Neger 
den von ihm unter dem Namen mandrill beschriebenen Affen 
boggo, die Europäer aber mandrill nennen. Es ist das eine Um- 
wandlung von Smiths Angabe S. 52, daß bei den Eingeborenen 
der von den Weißen mandrill genannte Affe (also der Schim- 
panse) den Namen Boggoe führt. Für den drill dagegen, der ` 
auch bei Buffon Schimpanse geblieben ist, nennt dieser (Buffon) 
S. 156 Fußn. auch den Namen Pongo, der gleichfalls mit Recht 
dem menschenähnlichen Affen zukommt’), hält aber dies Wort 


1) S. 43 Fußn. bezeichnet Buffon Pongo als „nom de ce même animal 
[orang-outang] à Lowando, province de Congo“. Das NED. gibt ein Zitat für 
engl. pongo bereits für 1625, worin es heißt: „The greatest vf those two Mon- 
stres is called Pongo in their Language [of Mayomba] ... ‘This Pongo is, more 
like a Giant in stature, than a man; for he is very tall and hath a mans 
face ...“ Hinzugefügt wird die Deutung eines Zoologen aus dem Jahre 1861, 
wonach dieser starke menschenähnliche Affe der Gorilla wäre. Doch nennt 
Bentley 355 das (offenbar dem engl. pongo zugrunde liegende) mpongi nur in 
der Bedeutung „chimpanzee“. Daß mpongi von Haus aus „Gorilla“ bedeutet 
hätte, wäre allerdings nicht unmöglich; doch könnte damit ursprünglich auch 
wohl die im Gebirge an der Loangoküste heimische sehr große und starke Spiel- 


106 R. Loewe 


pongo wieder für verwandt mit dem Worte boggo, das er für 
Smiths boggoe einsetzt, wie er auch (und dies mit Recht) das 
Wort mandrill mit dem Worte drill für verwandt ansieht. 

Buffons Abweichung von Smith ist schon von Audebert, 
Histoire Naturelle des singes et des makis, Paris, an huitiéme 
[1799] bemerkt worden. Derselbe beschreibt hier in seiner „Se- 
conde famille, Singes à queue courte Section II®me“ (K) denselben 
Affen, den Buffon mandrill nennt, gleichfalls als Le Mandrill, be- 
merkt aber S. 3f. dieses Teils, daß der Mandrill Smiths menschen- 
ähnlich sei, derjenige Buffons aber keinerlei Ähnlichkeit mit dem 
Menschen zeige, und daß die meisten Merkmale, die Smith von 
seinem Mandrill angebe, nicht im geringsten auf Buffons Mandrill, 
wohl aber auf Buffons Pongo paßten; es scheine daher, daß Smith 
von letzterem unter dem Namen Mandrill geredet habe. Obgleich 
nun Buffon selbst nur Smiths Reisebeschreibung als seine (Juelle 
für den Namen Mandrill angibt, schließt Audebert seine Betrach- 
tung über den Namen mit den Worten: „Au reste, c'est à l'animal 
dont voit ici la figure [Cynocephalus mormon Geoffroy] que les 
naturalistes ont appliqué le nom de Mandrill; les noms sous les- 
quels les voyageurs parlent des animaux varient à l'infini, et ce 
seroit se plonger dans la nuit du chaos que de vouloir les ré- 
tablir.“ Alle späteren französischen Zoologen haben denn auch 
den Namen mandrill im Sinne Buffons festgehalten. 

In Deutschland, wo bereits Schreber, Die Säugthiere I, Er- 
langen 1775, S. 75 auf den Unterschied zwischen dem Mandrill 
Buffons und demjenigen „der Reisebeschreiber“ hingewiesen hatte 
und Buffon nicht gefolgt war, nennt gleichwohl selbst Nemnich 
111300 den Mandrill nur unter den geschwänzten (nicht menschen- 
ähnlichen) Affen, wobei sein Zusatz „Le magot ou tartarin des 
Brisson“ zeigt, daß er den Namen aus Buffons Werk hat, das 
sehr populär war. 

Sogar in das Englische wurde die von Buffon erfundene 
Bedeutung des Wortes mandrill übernommen, wobei man die von 
„Schimpanse“ aufgab. Daher kommt es, daß mandrill selbst im 
NED. nur für „Cynocephalus maimon or mormon“ verzeichnet 
art des Schimpansen gemeint gewesen sein (vgl. B. T. XIII 651): Das Wort 
mpongi ist wohl von mpongo „fatness, obesity, corpulence“ (Bentley) herzu- 
leiten, das vielleicht sogar in unveränderter Form früher auch die Bedeutung 
„starker menschenähnlicher Affe“ haben konnte, wie man nach engl. pongo ver- 
muten darf. — Uber die Herkunft von engl. chimpanzee aus der Sprache der 


Stämme südlich vom Kongofluß vgl. J. Platt, N. a. Q., Ninth Ser., Vol. VII 
(1901), S. 341. 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 107 


wird, obgleich hier die Stelle aus Smith vom Jahre 1744 als 
ältester Beleg für das Wort überhaupt steht. Auch Skeat in 
seinem Etym. dict. of the Engl. language, New ed. kennt man- 
drill nur als „a kind of baboon“. 

Während engl. mandrill vor Smith noch nicht bezeugt ist, 
kommt doch engl. drill schon vor Tyson, dem Gewährsmanne Buf- 
fons für dieses Wort, vor. Die ältesten Belege, die das NED. 
für drill als Namen einer Affenart anführt, stehen bei dem Arzte 
John Bulwer, und zwar stammt der früheste („The dumb Ginnie 
Drills“) aus dessen Chirologia vom Jahre 1644. Von den folgenden 
beiden Belegen aus Bulwers Anthropometamorphosis ist der vom 
Jahre 1653 von Wichtigkeit. Bulwer sagt hier S. 439: „This 
relation of Tulpius shows this creature to have been a kind of 
Ginney Drill...“ Diese Worte beziehen sich auf die Beschreibung 
des „Satyrus Indicus“ bei Nicolaus Tulpius in dessen Observa- 
tionum medicarum libri tres, Amstelodami 1641, S. 274. Hier 
heißt es: „attexam tamen huic talae, Satyrum Indicum, nostra 
memoria, ex Angola delatum ... Erat autem hic satyrus quadru- 
pes: sed ab humana specie ... vocatur, Indis orang-outang sive 
homo sylvestris.“ Da dieser menschenähnliche Affe (von dem 
Tulpius auch eine Abbildung gibt) aus Angola stammte, so ist er 
allerdings kein Orangutan, sondern ein Schimpanse gewesen. 
Wenn nun Bulwer diesen Affen des Tulpius fiir eine Art des 
guineischen Drills erklärt, so bezeugt er damit schon für seine 
Zeit die Bedeutung „Schimpanse“ für engl. drill. 

Eine von Bulwer scheinbar abweichende Definition von drill 
gibt Blount m seiner Glossographia vom Jahre 1656 mit den 
Worten „Dril a large over-grown Ape, or Baboon, so called“ ’). 
Blounts Erklärung von drill knüpft höchst wahrscheinlich an einen 
Bericht in Bulwers Anthropometamorphosis S.441 über das Einher- 
ziehen der Paviane in großen Scharen an, der mit den Worten 
beginnt „But to speak of the Baboon“. Hier ist zum Worte 
„Baboon“ die Randbemerkung gemacht „which I take to be the 
Drill, and is without a Taile“. Weil also Bulwer vermutet hatte, 
daß der ungeschwänzte Pavian, von dem er einen Bericht gab, 
in Wirklichkeit ein Drill sei, wird Blount drill durch „Ape or 
Baboon“ erklärt haben. 

Was die ursprüngliche Heimat von drill und mandrill „Schim- 
panse“ betrifft, so erfahren wir darüber aus einer bestimmten 


1) So nach dem NED. In der mir allein zugänglichen Third edition von 
Blounts Glossogr. vom Jahre 1670, S. 221. stehen die Worte ebenso. 


108 R. Loewe 


Nachricht nur etwas über letzteres Wort. Es ist das der Bericht 
W. Smiths, der seine Bemerkungen über den von der weißen 
Bevölkerung mandrill genannten Affen (Voyage S. 51) in seine 
Schilderung der englischen Kolonie Sierra Leone (Voy. S. A1ff.) 
einflicht. Smiths Aufenthalt in Sierra Leone fällt nach Voyage 
S. 1 und 61 in das Jahr 1726. Da nun engl. drill „Schimpanse“ 
schon 1644 belegt ist, so könnte vielleicht auch dies letztere Wort 
in Sierra Leone entstanden sein, wo es dann später zu mandrill 
erweitert worden wäre, um die Menschenähnlichkeit des Schim- 
pansen besonders hervorzuheben. Es ist nun aber zu beachten, 
daß außer Sierra Leone auch die Goldküste eine alte englische 
Kolonie in Afrika war. An der Goldküste verkehrten die Eng- 
länder sogar bereits seit der Fahrt des Kapitäns Windham im 
Jahre 1553 (A. B. Ellis, A history of the Goldcoast, London 1893, 
S. 26ff.), während sie in Sierra Leone erst seit 1592 Handel trieben 
(J. J. Crooks, A History of the Colony of Sierra Leone, London 
1903, S. 7). Daher könnte engl. drill „Schimpanse“ sehr wohl 
auch an der Goldktiste entstanden und von dort sowohl nach 
Sierra Leone, wo es in mandrill verändert worden sein kann. 
wie nach England selbst gelangt sem. Wie die Belege im NED. 
und Tysons Worte „what we call a drill“ zeigen, ist drill vielen 
Engländern des Mutterlandes im 17. Jahrhundert und auch noch 
später in der Bedeutung ,Schimpanse“ ganz geläufig gewesen, 
wie der Name denn auch nicht durch gelehrte oder literarische 
Vermittelung, sondern durch den Verkehr der Seefahrer und 
Kaufleute nach England gebracht worden sein wird. 

Beziiglich der Herkunft von drill selbst als Name einer 
Affenart wird im NED. vermutet, daß es aus einer Negersprache 
stamme. Es ist aber sehr ungewiß, ob ein solches Wort wirklich 
in einer Negersprache vorkommt. Was hier zunächst die Gold- 
küste betrifft, so fehlt es hier gerade in den am meisten ver- 
breiteten Sprachen, die doch in erster Linie für eine Entlehnung 
in Betracht kommen müßten. So ist aus dem Tschi kein drill 
bekannt (vgl. J. G. Christaller, A dietionary of the Asantı and 
Fante language, called Tschi, Basel 1881). Auch aus dem Ak- 
wapim-Dialekt führt H. N. Riis, Elemente des Akwapim-Dialects 
der Odschi-Sprache, Basel 1853 in seiner alphabetisch geordneten 
Wörtersammlung kein drill, wohl aber ein kontromfi für „Schim- 
panse“ an. Ferner wird aus dem Akkra von J. Schopf und L. 
Richter, An English-Accra or Gä Dictionary’, Basel 1912 für 
„chimpanzee“ nur ein asämänukpa vermerkt. (In diesem Wörter- 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 109 


buch ist auch „gorilla“ verzeichnet, für das außer asamänukpa 
nur ein gumokönye angegeben wird.) Auch aus dem Ewe bietet 
D. Westermann, Deutsch-Ewe Wb, Berlin 1906, für „Schimpanse“ 
nur ein akplakpoe; ebenso ist im Ewe-Deutschen Wb., Berlin 
1905, kein drill verzeichnet. Endlich wird auch aus dem Yoruba 
(vgl. S. Crowther, Vocabulary of the Yoruba language, London 
1852) kein drill für „chimpanzee“ oder „gorilla“ angegeben. 

In Sierra Leone muß Smith den Namen mandrill speziell auf 
der Insel Sherbro, wo ihm nach seiner Erzählung S. 52 ein man- 
drill genannter Affe zum Geschenk gemacht wurde, gehört haben. 
Von diesem Affen sagt er nun weiter: „which is call’d by the 
Natives Boggoe“. Da die Sprache von Sherbro zum Bulom ge- 
hört (nach Delafasse, Les langues du monde 557 erstreckt sich 
das Sprachgebiet des Bulom an der Küste von Freetown aus süd- 
wärts bis Sherbro einschließlich), so ist boggoe das im Anfang des 
18. Jahrhunderts im Bulom übliche Wort für „Schimpanse“ ge- 
wesen. Ein Wort drill kann im Bulom damals auch für keine 
andere Affenart existiert haben, da Smith, der nach seiner eigenen 
Angabe nach dem Ursprunge des Wortes mandrill in Sierra Leone 
geforscht hat, dies sonst erwähnt haben würde. 

Auch das dem Bulom verwandte nördlich benachbarte Temne 
(Timne) kennt nur ein u-füka, aber kein drill oder ein ähnliches 
Wort für „chimpanzee“ (C. F. Schlenker, Engl.-Temne Dict., 
London 1880). Auch bei Northcote W. Thomas, Anthropological 
report on Sierra Leone, Part. II, Timne-Engl. Dict., London 1916, 
findet sich kein drill. Für das Mende, östlich vom Bulom (vgl. 
Karte 14 in Les langues du monde), vermerkt Migeod, Mende 
Natural History vocabulary, London 1913, S. 10 nur ein ugörö für 
„chimpanzee“ und ein gbegi für „gorilla“, ein drill aber auch 
fiir keine andere Affenart. Wie freilich der Schimpanse in dem 
südlich vom Bulom gesprochenen Krim heißt, vermag ich nicht 
anzugeben; Northcote W. Thomas, Specimens of languages of 
Sierra Leone, London 1916, gibt S.16 für diese Sprache nur ein 
kak „monkey“, aber keine Namen für einzelne Affenarten an. 
Auch aus den noch nördlich vom Temne vorhandenen Sprachen 
Sierra Leones wie dem Limba (Delafasse a. a. O.), aus dem Koelle, 
Polyglotta Africana, London 1854, eine Anzahl von Wörtern mit- - 
teilt, sind Namen einzelner Affenarten bisher unbekannt. 

Daß nun aber weder im Krim noch im Limba noch ın den 
meisten übrigen Sprachen Sierra Leones ein drill überhaupt exi- 
stieren kann, ergibt sich aus einem anderen Umstande, den Anlauts- 


110 R. Loewe 


verhältnissen dieser Sprachen. Den meisten Negersprachen sind 
überhaupt Konsonantenverbindungen im Anlaut fremd (Schmidt 
281). Auch die Verbindung „Muta cum Liquida“ fehlt hier den 
meisten dieser Sprachen. Wie nun eine Durchsicht der Speci- 
mens of languages from Sierra Leone von N. W. Thomas ergibt, 
gilt letzteres auch für die Sprachen von Sierra Leone. So für 
das Timne, Bulom, Krim, Kisi, Limba, Susu, Koranko, Yalunka, 
Kono, Val, Mendi’, Mendi’, Loko (vgl. Thomas 8—35, für einen 
Teil dieser Sprachen auch 54—60 sowie für das Gola und Fula 
36—42). Von den Vokabularien des Buches zeigt außer denen 
des Kisi und des Gola auch das des Pwese keine Wörter mit Muta 
cum Liquida im Anlaut, wohl aber weisen das Dewol und das 
Basa zahlreiche Beispiele davon auf (vgl. Thomas 44—51). Diese 
beiden letzteren Sprachen sind also unter den von Thomas be- 
handelten Sierra Leones die einzigen, in denen das Vorhandensein 
eines Wortes drill überhaupt möglich ist. Nun gehören aber beide 
Sprachen nach Delafasse a. a. O. 552 (hier heißt die erstere Dé 
oder Dewoy, die letztere Bassa oder Gbasa) gar nicht mehr dem 
eigentlichen Sierra Leone, sondern Liberia an. Allerdings wäre 
es nicht unmöglich, daß die Engländer in der ersten Hälfte des 
17. Jahrhunderts auch schon an der Küste Liberias Handel ge- 
trieben hätten, wo sie dann ein Wort drill ‘fiir „Schimpanse“, 
wenn ein solches dort existierte, entlehnt haben könnten. Ob 
drill in der Bedeutung „Schimpanse* (oder „Gorilla“) in einer 
Sprache an der Küste Liberias vorkommt, muß sich ja noch fest- 
stellen lassen. Doch würde, wenn wirklich ein drill in diesem 
Sinne in Liberia existierte, eine solche Übereinstimmung mit dem 
europäischen drill als Name einer andern Affenart wohl schon 
bemerkt worden sein. Mir ist es daher schon jetzt wahrschein- 
licher, daß engl. drill „Schimpanse“ von den englischen Kolonisten 
selbst gebildet worden ist. 

Im Hinblick auf Buffons Angabe, daß die Neger den bei den 
Weißen mandrill heißenden Affen boggo nennen, hat auch bereits 
Skeat 177 vermutet, daß engl. drill als Name einer Affenart von 
ndl. drillen „to turn round or about“, von dem auch das englische 
Verbum to drill herstamme, abgeleitet sei. Daß drill „Schim- 
panse“ ursprünglich selbst ein niederländisches Wort gewesen 
wäre, ıst allerdings sehr unwahrscheinlich, da die Niederländer 
kaum schon in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts an der 
westafrikanischen Küste Handel getrieben oder gar Kolonien an- 
gelegt haben, wie denn auch der Niederländer Tulpius im Jahre 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 111 


1641 für den aus Angola nach Europa gebrachten „Satyrus In- 
dicus“, d.h. für den Schimpansen den Namen drill nicht kennt 
und dafür nur die „indische“ (d. h. malayische) Bezeichnung orang- 
outang angibt (vgl. oben S. 107). Eher könnte die Herleitung 
unseres drill von dem bereits englischen Verbum to drill in Frage 
kommen, das nach dem NED. als „to turn round and round“ 
1681, als „to pierce, bore“ 1640 und als „to train in military 
movements and exercise“ 1646 zuerst belegt ist. Doch läßt sich 
drill „Schimpanse“ mit keiner dieser Bedeutungen direkt in Ver- 
bindung bringen. Zwar mag sich der Schimpanse, der ein ge- 
schickter Kletterer ist (B. T. XIII 654), beim Klettern auch viel 
drehen, aber dies Drehen kann doch wohl keinen Grad erreichen, 
daß man es, selbst wenn man stark übertreibt, mit einem Worte 
von der Bedeutung „to turn round and round, to whirl, to twirl“ 
(NED.) bezeichnen könnte; wäre dem so, dann würde davon auch 
in B. T. etwas bemerkt worden sein. Außerdem würde der 
Schimpanse in einem solchen Falle doch nur sich selbst, nicht 
andere Dinge drehen; in der Bedeutung „sich drehen“ ist aber 
to drill nicht bezeugt. Auch von to drill „to delay“ oder von 
to drill „to flow in a small stream or in drops“ (NED.) kann 
drill „Schimpanse“ nicht herkommen. 

Auch aus den meisten Bedeutungen, die drill als Substantiv 
haben kann, gleichviel ob sie mit einem der genannten Verba 
zusammenhängen wie ,Drillbohrer“ oder nicht wie „Drillich“, 
kann sich die von „Schimpanse“ nicht entwickelt haben. Auch 
schon deswegen nicht gut, weil man ein Wort, das eine Sache, 
nicht aber eine Person bezeichnete, doch kaum zur Benennung 
eines menschenähnlichen Affen gemacht haben wird. Als Be- 
zeichnung einer Person aber bedeutet engl. drill nur „one who 
drills (others); a drill-master“ (im militärischen Sinne). In dieser 
Bedeutung ist das Wort nach dem NED. freilich erst 1814 zuerst 
bezeugt, kann aber sehr wohl als Volkswort neben drill „mili- 
tary exercise or training“ (zuerst 1637) und to drill „to train or 
instruct as with military rigour and exactness“ (zuerst 1622) schon 
in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts existiert haben (für 
drill-master gibt das NED. überhaupt keine Belege). Wenn aber 
der Schimpanse den Namen ,Exerziermeister“ erhalten hat, so 
kann es sich dabei nur um eine ironische Bedeutungsübertragung 
handeln. Der menschenähnliche Affe und zwar auch der Schim- 
panse geht nur halb aufrecht und dabei recht ungeschickt, so daß 
er den Eindruck macht, als ob er auf Krücken ginge (B. T. XIII 


112 R. Loewe 


624 und 657), bildet also den äußersten Gegensatz zum Exerzier- 
meister mit seiner kerzengeraden Haltung. Daß man für ein Tier, 
das wie ein besonders häßlicher Mensch aussieht und einen Gang 
wie ein lahmer Mensch hat, eine scherzhafte ironische Benennung 
schaffen kann, ist doch leicht zu verstehen. Vielleicht aber sollte 
in der Übertragung von drill auf den Schimpansen auch ein Spott 
auf den Exerziermeister selbst liegen. Ist meine Annahme richtig, 
dann braucht auch das man- von engl. mandrill nicht erst später 
vor drill getreten zu sein, sondern mandrill könnte dann vielleicht 
ursprünglich gleichfalls ,Exerziermeister“ bedeutet haben, der 
hier nicht einfach als „Driller“, sondern als ,Menschendriller, 
Mannschaftendriller* bezeichnet worden wäre. 


2. Banane. 


Nhd. Banane, frz. banane, engl. banana, span. banana usw. 
beruhen auf port. banana. Als ursprüngliche Heimat des Wortes 
bezeichnet das NED. Guinea und verweist dafür auf de Orta 
und Pigafetta. Die Stelle bei ersterem in den Colloquios dos 
Simples e drogas e Cousas medicinaes da India, Goa 1563, in 
der Neuausgabe, Lisboa 1872, S. 93° ist der älteste bekannte Beleg 
für das Wort überhaupt. De Orta spricht dort von den „figos 
em Guiné“ mit dem Zusatze ,chamam-lhe bananas“ und führt 
als arabische Namen dieser Früchte musa und amusa an. Bei 
Philippus Pigafetta aber stehen in seiner Vera descriptio Regni 
Africani, quod tam ab incolis quam Lusitanis Congus appellatur, 
olim ex Edoardi Lopez acroamatis lingua Italica excerpta, nunc 
Latio sermone donata ab August. Cassiod. Reinio, Francofurti 1624, 
S.29 die Worte: „Invenitur praeterea in magna copia fructus 
Banam vocatus ab incolis, quem puto esse musam Aegyptiam et 
Sorianam, forma enim et gustu simillimus ...“ Uber seinen Ge- 
währsmann aber sagt Pigafetta S. 1: „Anno 1578 ... Eduardus 
Lopez ... navem conscendit ..., ut in portum Loanda, qui est in 
regno Africae Congo, navigaret ac merces, quibus in Lusitania 
navem oneraverat, ibidem distraheret“. Die Nachrichten de Ortas 
und Pigafettas stehen mit einander in Einklang, da das Land 
Kongo einen Teil Niederguineas bildet. Das NED. bezeichnet 
daher auch Kongo als ursprüngliche Heimat des Wortes banana. 

Das Königreich Kongo hat zur Zeit des Eduardus Lopez 
einen sehr bedeutenden Umfang gehabt. Es wäre daher leicht 
zu verstehen, wenn die Frucht des Bananenbaums (Musa sapien- 
tium) nicht in allen Teilen des Kongoreiches oder in allen Dia- 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. {13 


lekten der Kongosprache denselben Namen geführt hätte. Wo 
der Name banam sicher zu Hause war, erfahren wir durch Piga- 
fetta, der von der so benannten Frucht bei der Schilderung der 
Umgebung der Hauptstadt des Reiches spricht. Nach seinem Be- 
richte S. 28 hieß diese Stadt bei den Eingeborenen Banza, d.h. 
„aula“, bei den Portugiesen aber San Salvator, und war 150 
Meilen vom Meere entfernt. Wie Pigafetta sagt, hatte der erste 
christliche König von Kongo einen bestimmten Teil der Stadt 
portugiesischen Kolonisten zugewiesen. Auf diese Weise hatte 
sich San Salvador (Salvator) schon früh zu einem bedeutenden 
Handelsplatze entwickelt. Erst von hier aus wurden die benach- 
barten Landschaften Angola, Benguela, Mossamedes in den Be- 
reich der Kolonisation gezogen, in deren Verlaufe auch 1578 
Sao Paulo de Loanda, die spätere Hauptstadt des portugiesischen 
Westafrika, gegründet wurde (Zimmermann 179). Da nun de Orta 
bereits 1563 die portugiesische Namensform für die Banane, ba- 
nana kennt, so sind es doch wohl die portugiesischen Kolonisten 
San Salvadors gewesen, die banam als banana entlehnt haben. 
Es wird das um so wahrscheinlicher dadurch, daß Pigafetta nur 
bei der Schilderung der Umgebung San Salvadors von der Frucht 
banam spricht, an dieser Stelle aber zugleich auch sagt, daß diese 
Frucht dort in großer Menge vorhanden sei. 

Die Umwandlung von Kongo banam in port. banana ist ohne 
Schwierigkeit zu verstehen. Eine Fernassimilation wie die des 
m von banam an sein n konnte sich ja bei.einer Entlehnung 
leicht einstellen, und das -a konnte ohne weiteres nach der Ana- 
logie portugiesischer Obstnamen wie pera, cereja, ameixa ange- 
fügt werden. 

Die Entlehnung dürfte nicht viel früher als um die Mitte des 
16. Jahrhunderts stattgefunden haben. Noch 1563 bezeichnet ja 
de Orta, der in Portugiesisch Indien lebte, banana als ein Wort 
Guineas, d.h. der portugiesiscken Kolonisten in Afrika, und noch 
1578 muß es wohl dem aus Portugal selbst kommenden Lopez 
unbekannt gewesen sein, da er es sonst neben dem banam der 
Eingeborenen als ein ähnliches portugiesisches Wort zu nennen 
kaum unterlassen haben würde. 

Das heutige Kongo scheint das Wort banam nicht mehr zu 
kennen. Bentley verzeichnet im Engl.-Kongo Dict. für „banana“ 
nur tiba und gibt auch im Kongo-Engl. Dict. kein banam an, 
vermerkt hier aber ein tiba als „the banana tree, also the fruit“. 
Die Abweichung von Pigafetta (d.h. von Lopez) fällt um so mehr 

Zeitschrift für vergl. Sprachf. LXI 1/2. 8 


114 R. Loewe 


auf, als dieser das Wort banam speziell San Salvador und seimer 
Umgebung zuschreibt, Bentley aber auch im Titel semes Werkes 
sagt, daß er die Sprache von San Salvador wiedergebe. Die 
Neuerung wird sich kaum daraus erklären lassen, daß zur Zeit 
des Lopez nur die Frucht banam, der Baum aber bereits tiba ge- 
heißen hätte und daß letztere Bezeichnung später auch auf die 
Frucht übertragen worden wäre, da eine gern gegessene Frucht 
wichtiger als der Fruchtbaum erscheint und daher nicht leicht 
dessen Namen annehmen wird. Eher ist das Verschwinden von 
banam durch die Annahme zu erklären, daß dies Wort überhaupt 
nur in einem kleinen Teile des Kongolandes üblich gewesen ist, 
so daß es leicht von einem Synonymum, das eine weitere Ver- 
breitung in demselben Lande besaß, verdrängt werden konnte. 
Auch ließe sich denken, daß man mit banam nur die Frucht einer 
bestimmten gerade in der Umgebung von San Salvador viel an- 
gebauten Varietät von Musa sapientium bezeichnet, den Anbau 
dieser Varietät aber später aufgegeben hätte; war dies der Fall, 
dann mußte ja mit der Frucht auch ihr Name verschwinden '). 


3. Zebra. 


Das Wort Zebra ist in Europa durch das Schriftbild verbreitet 
worden. Man spricht das z von zebra im Deutschen als stimm- 
loses ts, im Niederländischen und im Englischen als stimmhaftes 
s, 1m Dänischen als stimmloses s aus usw. Im Schwedischen, in 
den z nur in Fremdwörtern erscheint und dann als stimmloses s 
gesprochen wird, ist denn letzterer Laut auch in der Schreibung 
sebra (neben zebra) durchgeführt worden. Im übrigen ist das Wort 
fast in allen germanischen und romanischen Sprachen unverändert 
geblieben; nur im Französischen, das die vollen Vokale im Aus- 
laut von Substantiven exotischer Herkunft auch in anderen Wörtern 
aufgibt (vgl. frz. tabac für span. tabaco, frz. hamac für span. ha- 
maca), dabei aber in der Schrift zum Teil als stummes e beläßt 
(vgl. frz. iguane für span. iguana, frz. banane für port. banana) 
ist zebra durch zébre ersetzt worden. Das feminine Genus des 
Wortes im Französischen erklärt sich aus seiner Umwandlung aus 

1) Da banam nicht in den Wörterbüchern des Kongo zu finden ist, so 
habe ich in meinem D. Et. Wb.? port. banana aus Zéma bana „banane grosse“ 
(Delafosse, Vocabulaires comparatifs de plus de 60 langues ou dialectes parlés 
á la cote d'ivoire, Paris 1904, S. 115) hergeleitet. Diese Etymologie kann ich 
jedoch nicht aufrecht erhalten. Denn erstens ist nichts von Verkehrsbeziehungen 


der Portugiesen zu den Völkern der Elfenbeinküste bekannt, und zweitens hätte 
aus bana nicht gut banana werden können. 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 115 


neulat. zebra, das italienisch, spanisch und portugiesisch gleich- 
falls Femininum geblieben ist. Nhd. Zebra hat sein neutrales 
Geschlecht von dem bedeutungsverwandten Pferd erhalten. 

Das älteste bekannte Zeugnis für das Wort ist das des Job 
Ludolf in seiner Historia Aethiopica, Francof. ad M. 1681, Lib. I, 
Cap. X, 37, auf dessen Wortlaut J. Platt N. a. Q. Ninth ser., 
Vol. V 480 hingewiesen hat, um die Irrtümer verschiedener Lexi- 
kographen zu berichtigen. Ludolf sagt dort: „pulchritudine omnia 
totius orbis quadrupedia praecellit Zecora, Congensibus Zebra 
dicta“. Auf diese Bemerkung des zu seiner Zeit berühmten Ge- 
lehrten (dessen Werk auch schon 1684 in das Englische übersetzt 
wurde), geht offenbar das europäische Wort zebra zurück. Wie 
bekannt die angeführte Stelle war, ergibt sich besonders daraus, 
daß Peter Kolle, der in seinem Buche „Vollständige Beschreibung 
des Africanischen Vorgebirges der Guten Hoffnung“, Nürnberg 
1719, S. 146 das von ihm im Capland oft gesehene Zebra schildert, 
überhaupt keine dort selbst herrschende Benennung des Tieres 
anführt, sondern über den Namen nur sagt: „Von den Abys- 
siniern wird dieses Thier Zecora, von den Einwohnern in Congo 
Zebra genannt“ und sodann auch Ludolf nennt. 

Zum Beweise dafür, daß das Wort Zebra nicht aus dem 
Äthiopischen, sondern aus dem Kongo stammt, verweist Platt 
a.a. O. auch noch auf das Vorkommen der Form zerba für Ludolfs 
zebra im Vokabular der Relazione del viaggio nel Regno di Congo 
von Girolamo Merolla vom Jahre 1692. In der (mir allein zu 
Gebote stehenden) Ausgabe dieses Werkes von 1726 (Napoli) be- 
gegnet zerba außer im Vokabular S. 315 auch schon im Texte 
S. 40, wo Merolla sagt: „Nodriscono anche le foreste di questo 
Regno un quadrupedo, nominado, Zerba, simile al Mulo selvaggio, 
la di cui pelle e così bella ...“. Die Form zerba steht auch noch 
im Texte S. 41, unter der Abbildung S. 39 sowie im Register. 

Das Nebeneinander von zebra und zerba, die ungefähr aus 
gleicher Zeit überliefert sind, kann auf einer dialektischen Ver- 
schiedenheit beruhen. Als wirkliche Form gesichert ist freilich 
nur das zerba Merollas, der sich selbst lange im Reiche Kongo 
aufgehalten hat. Dagegen kann Ludolf sein zebra nicht selbst im 
Kongolande gehört haben, da er niemals dort gewesen ist; in 
Jöchers Gelehrten-Lexikon wird von ihm in bezug auf seine 
äthiopischen Studien nur gesagt: „und war gar willens deswegen 
eine Reise nach Africam zu thun“. Eine Schrift aber, aus der 
Ludolfs zebra stammen könnte, habe ich nicht aufgefunden. Es 

8% 


116 R. Loewe 


wäre auch möglich, daß Ludolf das Wort überhaupt nirgends 
gelesen, sondern von einem Manne gehört hätte, der selbst in 
Kongo gewesen war. Doch wie dem auch sein mag, es fällt auf, 
daß Ludolf seinen Gewährsmann für sein Kongowort zebra nicht 
nennt. Für seine sachlichen Mitteilungen, die er a.a.O. über das 
Zebra macht, gibt er ja seine Quelle an; er beruft sich hier auf 
den Portugiesen Balthasar Tellez, der in seiner Historia geral de 
Ethiopia, Coimbra 1660, S. 37 das Tier beschreibt. Diesem Werke 
‚ hat Ludolf a. a. O. 40 auch den portugiesischen Namen des Zebras 
Burro do matto entnommen. In seinem Lexikon Amharico-Lati- 
num, Francof. ad M. 1698 S. 63 hat er aber „Mulus Sylvestris ... 
qui Zecora appellatur“ nicht ganz korrekt durch port. Burro de 
Matto wiedergegeben. Wie er also hier die von ihm vor langer 
Zeit gelesene Form nicht mehr genau im Gedächtnis gehabt hat, 
so könnte er sich doch auch schon, als er in seiner Hist. Aethiop. 
durch den äthiopischen Namen zecora an das Kongowort zerba, 
das er früher für dasselbe Tier gelesen oder gehört hatte,. er- 
innert wurde, die Form gleichfalls nicht mehr genau gewußt und 
an zecora durch Umstellung des r und b angeglichen haben. 
Hatte Ludolf das Kongowort überhaupt nur gehört, so könnte 
auch bereits sein Gewährsmann, der sich vielleicht nur kurze Zeit 
im Kongolande aufgehalten hatte, ein zerba. unrichtig durch zebra 
wiedergegeben haben, wie ja ähnlich bei Entlehnungen Metathesen 
begünstigt sind und wie solche am häufigsten bei r vorkommen. 

Mit dem z von zebra kann Ludolf, da die Bantusprachen 
keine Konsonantenverbindungen im Anlaut kennen (Schmidt 291) 
nur stimmhaftes s gemeint haben, das im Kongo auch sonst in 
dieser Stellung vorkommt (vgl. Bentley 519 und 476ff.). Auf die 
Wiedergabe des stimmhaften s durch z kann er einfach durch 
abessynisch zecora gebracht worden sein, in dem er in Anlehnung 
an die französische Aussprache das fremde Zeichen für stimm- 
haftes s durch z transkribierte'). Hatte er das Kongowort nicht 
von einem Besucher des Kongolandes sprechen hören, sondern in 
einem portugiesischen Texte, in den z ja auch nur die Geltung 
eines stimmhaften s haben konnte, gelesen, so ist seine Schreibung 
mit z um so verständlicher. Daß er in seinem Deutsch z als ts 
aussprach, brauchte ihn nicht zu stören, da er ja sein lateinisches 


1) In seinem zwischen der Praefatio und dem Index capitum seiner Hist. 
Aeth. stehenden Syllabarium Aethiopicum fügt Ludolf zum Buchstaben Zai ein 
„Z Gall.“, zu keinem Buchstaben aber ein „Z Germ.“, sondern nur noch zum 
Zadai ein „Tz Aeth.“ und zum Zappa ein „tz Aeth.“. 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 117 


Buch nicht nur für Deutsche, sondern überhaupt für Europäer 
abfaßte. | | 

Unabhängig von Ludolf hat Merolla in seinem zerba das 
stimmlose s des Kongo durch z wiedergegeben. Das fällt bei 
ihm mehr als bei ersterem auf, da er nicht lateinisch, sondern in 
seiner italienischen Muttersprache geschrieben hat, in dem man 
doch das z teils als ts, teils als dz ausspricht. Merolla hat sich 
hier der portugiesischen Schreibweise bedient. Vielleicht hat er 
das getan, weil er, als er in Kongo verweilte, zerba in portu- 
giesischen Büchern oder Briefen gelesen hatte, vielleicht aber 
auch nur aus dem Grunde, daß er für Wörter des Kongo, das 
nur von Portugiesen und höchstens noch von einigen Kongo- 
negern selbst, aber auch nur nach portugiesischem Vorbilde, ge- 
schrieben wurde, auch nur die portugiesische Orthographie an- 
wenden zu dürfen glaubte. Hätte er *serba geschrieben, so 
würden seine italienischen Landsleute das Wort sicher mit stimm- 
losem s ausgesprochen haben, was er doch wohl vermieden wissen 
wollte; bei seinem z aber konnten sich die Italiener, wenn nicht 
an das portugiesische, so doch an das französische (und englische) 
z erinnern. | 

Für die nähere Bestimmung der Heimat von zerba (zebra) 
ist sein r von Wichtigkeit. Der Dialekt von San Salvador und 
Umgebung, den Bentley behandelt, kennt überhaupt kein r und 
bietet in Wörtern, in denen verwandte Dialekte diesen Laut auf- 
weisen, an Stelle desselben gewöhnlich ein d (Bentley 518 und 
XII). Das d für r findet sich schon in dem ältesten Schrift- 
denkmal des Kongo, der in der Sprache des Hofes von Kongo 
geschriebenen 1624 zu Lissabon gedruckten Übersetzung der 
christlichen Glaubenslehre von Jorge aus dem Portugiesischen 
(Bentley XIf.); also können zerba, zebra gerade demjenigen Dia- 
lekte der Kongosprache nicht angehört haben, dem höchst wahr- ` 
scheinlich port. banana entstammt. 

Cannecattim, der in seinen Observações grammaticaes sobre 
a lingua Bunda ou Angolense, Lisboa 1805, einzelnen Wörtern 
des Bunda die entsprechenden des „Conguez“ gegeniiberstellt, 
weist die Formen mit r dem Bunda zu, so S. 182 quitári „ferro. 
(ferrun)“*, S. 199 matdri „pedras (lapides)“, S. 203 cuburica „que- 
brar (frango)*, S. 176 cariopémba „diabo (diabolus)“, die ent- 
sprechenden mit d (oder l) dagegen (tädi, matddi, budica, calian- 
penti) dem Conguez (Kongo). Harry H. Johnston, A comparative 
study of the Bantu and Semi-Bantu languages I, Oxford 1919 


118 R. Loewe 


verzeichnet aus den einzelnen Mundarten des Angola (Bunda) 
neben Formen mit 7 auch solche mit d oder /, aus den einzelnen 
des Kongo aber nur solche mit d oder J, z.B. für „to eat“ aus 
dem Angola S. 376 ria, dia, li, la, dagegen aus dem Kongo S. 392 
nur dia, lia. Allerdings ist es fraglich, ob Johnston sämtliche 
Mundarten des Kongo berücksichtigt hat. Jedenfalls ist zu be- 
achten, daß in dem Vokabular bei J. B. Douville, Voyage au 
Congo, fait dans les années 1828, 1829 et 1830, Paris 1832, T. II, 
S. 261ff. auch Wörter des Kongo mit r vorkommen. Zwar gibt 
Douville S. 263 für „briser“ neben Abunda (Bunda, Angola) cu- 
burica für das Kongo budica an (wie Cannecattim), vermerkt jedoch 
für letzteres auch S. 261 tandero „marchand“, S. 262 pacassero 
„Soldat“, S. 265 samboari „sept“ (neben quitandero, empacasseiro, 
sambouari im Abunda). Trotz dieser Formen spricht die größere 
Wahrscheinlichkeit für Zugehörigkeit von zerba (zebra) zum Bunda 
(Angola). Daß Ludolf sein zebra ein Wort des Kongo nennt, 
macht hierbei nichts aus, da auch Angola zum Königreiche Kongo 
gehört hat; Merolla sagt auch direkt vom Tiere zerba, daß es in 
den Wäldern „di questo Regno“ lebe. 

Daß zerba (zebra) dem Bunda zuzuweisen ist, läßt sich nun 
auch sachlich begründen. Zwar fehlt das Wort im Wörterbuche 
des Bunda von Cannecattim (Lisboa 1804) ebenso gut wie in dem 
des Kongo von Bentley, und auch bei Johnston wird ein Name 
für das Zebra 1372 ebenso wenig aus den Dialekten Angolas wie 
1388 aus denen des Kongo oder Westkongolandes angegeben. 
Nach B. T. XII 640f. findet sich aber im Westen Afrikas eine 
bestimmte Unterart des Bergzebras in den Küstengebirgen des 
nördlichen früheren Deutsch-Südwestafrika sowie auch noch in 
denen des angrenzenden südlichen Angola. Für ersteres Gebiet 
ist denn auch eine besondere Benennung des Zebras noch aus 
der Gegenwart bezeugt; P. H. Brincker, Deutscher Wortführer 
für die Bantu-Dialekte Otjiherero, Oshindönga und Oshikuänjama 
in Südwest-Afrika, Elberfeld 1897, bietet S. 522 für den ersteren 
Dialekt ein ongöro, für die beiden letzteren ein ongölo „Bergzebra, 
Klippbock*. Wenn in den Wörterverzeichnissen der Angola- 
dialekte kein Wort für „Zebra“ mehr angegeben wird, so wird 
das Bergzebra in Angola wohl schon sehr selten geworden sein 
(vielleicht infolge davon, daß man es dort wegen seines schönen 
Felles allzu viel gejagt hat, wie es denn im Kaplande nach B. T. 
XII 640 fast ganz ausgerottet worden ist). Im Gebiete des Kongo- 
stroms kommt aber das Zebra nur im äußersten Südostzipfel, 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 119 


der Landschaft Katanga, vor (B. T. XII 644). In der Nähe des 
Unterlaufs des Kongostroms, also auch im Lande um San Sal- 
vador, gibt es überhaupt keine Zebras. 

Was den Anklang von zebra, zerba an amharisch (abessynisch) 
zecora betrifft, so ist dieser sicher nur ein zufälliger, wenn in 
zerba die alleinige richtige Form des Bunda vorliegt, aber auch 
wenn ein wirklich dialektisches zebra erst auf Metathesis des r 
von zerba beruht. Aber selbst wenn ein dialektisches zebra älter 
als zerba sein sollte, bleibt das Verhältnis seines b zu dem e (k) 
von zecora unklar. Vor allem aber sieht man nicht, auf welchem 
Wege ein abessynisches Wort bis nach Angola oder ein Bunda- 
‚wort bis nach Abessynien gelangt sein soll. 


4. Gnu. 


Als ältesten Beleg für engl. gnu verzeichnet das NED. aus 
George Forster, A voyage round the world, London 1777, 183 
die Worte: „there is another species of wild ox, called by the 
natives gnoo“. In der deutschen Ausgabe des Werkes, I, Berlin 
1778, S. 62 steht für engl. gnoo ein Gnu. Durch die Schreibung 
oo im Englischen wollte Forster wohl der Aussprache des u als 
ju vorbeugen; doch schreiben die Engländer selbst stets gnu im 
_ Anschluß an das Gnu in Forsters deutschem Text. 

Nach J. Platt, N. a. Q. 9. Ser., Vol. V (London 1900), S. 45 
stammt gnu nicht, wie das NED. angibt, aus dem Hottentottischen, 
sondern aus dem Kaffir. Platt verweist dafür auf in-Nqv') „the 
antelope called the Gnu“ bei William J. Davis, A dictionary of 
the Kaffır language including the Xosa and Zulu dialects, I, London 
1872, S. 149. Über sein Zeichen q bemerkt Davis S. 174: „q is 
a palatal click in Kaffır. It is pronounced by bringing the upper 
part of the tongue flat against the palate of the mouth, and sud- 
denly withdrawing it, thus causing a loud click or smacking 
sound. It is varied in its pronunciation by combining with n, g 
and ng, which often precede it. Ngamla Cut off, Ngqonga Sur- 
round, Ggabuka Burst.“ Danach hat Forster den palatalen 
Schnalzlaut durch ein g wiedergegeben und dies mit dem vorher- 
gehenden n den Platz tauschen lassen. Platt a.a.O. meint frei- 
lich, daB im Kaffir der Nasal gleichzeitig mit dem Schnalzlaut 
ausgesprochen wiirde; wie er an der Aussprache eines Xosa selbst 
bemerkt habe, wiirde tiberhaupt im Kaffir jeder Schnalzlaut von 


1) dn- ist Singularpräfix einer bestimmten Nominalklasse nach Davis, A 
grammar of the Kaffir language*, London 1863, S. 11. | 


120 | R. Loewe 


einem gleichzeitig tönenden Nasal oder anderen Konsonanten be- 
gleitet. Ich vermag nicht genügend zu beurteilen, ob eine solche 
gleichzeitige Hervorbringung im Bereiche der Möglichkeit liegt, 
oder ob Platt hier einer Selbsttäuschung verfallen ist. Jedenfalls 
kennt Davis neben den Wörtern des Kaffır, die mit ng, ngq oder 
gg anlauten, auch solche mit dem bloßen Schnalzlaut o im An- 
laut. Auch zur Erklärung von Forsters gnu (gnoo) benötigt es 
nicht der Annahme Platts; da dem Deutschen sowohl wie dem 
Englischen der Anlaut ng fehlt, war eine Umstellung des n mit 
dem den Schnalzlaut wiedergebenden g bei Forster ganz natürlich. 

Auf nhd. Gnu bei Forster gehen auch die Formen der übrigen 
europäischen Sprachen wie ndl. gnoe, frz. gnou, ital. gnu usw. 
urück. 


VIL. Malayische Wörter. 


Die Lehnwörter malayischer Herkunft sind den europäischen 
Sprachen durch die Kelonisatoren Malakkas und des indischen 
Archipels, d. h. zuerst durch die Portugiesen und später durch 
die Niederländer vermittelt worden. Daß mehr Wörter aus dem 
Malayischen als aus den Sprachen der indischen Inseln ihren Weg 
nach Europa genommen haben, liegt daran, daß die Malayen ein 
Handelsvolk sind, und daß sich Gruppen von ihnen fast auf allen 
Inseln des indischen Archipels selbst sowie an den Küsten Indiens 
und Ceylons finden (Müller 327f.). Auf dem indischen Archipel 
ist ja auch das Malayische heute allgemeine Handelssprache. | 

Das Malayische, das in kompakter Masse nur auf Malakka 
gesprochen wird, ist nahe verwandt mit den Sprachen der Sunda- 
inseln, der Molukken, der Philippinen, Formosas und des fernen 
Madagaskar. Diese Sprachen, die man als indonesische zusammen- 
faßt, bilden die eine Hauptgruppe der austronesischen (malayo- 
polynesischen) Familie. Die andere Hauptgruppe wird von den 
ozeanischen Sprachen gebildet, deren Untergruppen als melane- 
sische und als polynesische unterschieden werden; zur ersteren 
gehören unter anderen die Sprachen Neukaledoniens, der Fidji- 
Inseln und der Karolinen, zu letzteren die der Samoainseln, 
Neuseelands und Hawaiis (Schmidt 146). Während die indone- 
sischen Völker eine ziemlich hohe Kultur erzeugt haben, sind die 
ozeanischen auf der Stufe der Naturvölker verblieben (Müller 316). 


1. Kakadu. | 
Dem malayischen kakatua (kakatuwa) entsprechen noch genau 
port., span., ital. cacatua. Von diesen Formen ist nur die portu- 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 121 


giesische direkt auf die malayische zurückzuführen, während die 
spanische und die italienische erst wieder auf der portugiesischen 
beruhen. | 

Das Portugiesische kennt neben dem Femininum cacatua auch 
noch ein Maskulinum cacatu (Figueiredo). Maskulmum wird das 
_ Wort nach papagaio geworden sein; doch hätte der bloße Einfluß 
von papagaio aus cacalua nur ein *cacatuo machen können. Die 
Form cacatu kann wohl nur auf Angleichung an das Personal- 
pronomen tu beruhen. Der Brauch, dem Kakadu seinen Namen 
„Kakadu“ vorzusprechen, damit der Vogel ihn selbst sprechen 
lerne, kann ja schon sehr früh bei den Portugiesen bestanden 
haben. Sprach man aber dem Kakadu seinen Namen vor, so 
redete man ihn doch an, und dies konnte sehr leicht dazu führen, 
cacatua in cacatu zu verwandeln. 

Aus port. cacatu halb entlehnt, halb übersetzt ist vielleicht 
das auch im maskulinen Genus zu ihm stimmende frz. cacatois. 
Doch kann das als kakatoa gesprochene frz. cacatois auch aus dem 
sehr ähnlichen span.-port. cacatua entlehnt worden sein und sein 
maskulines Genus auch auf Einfluß von frz. perroquet (und oiseau) 
beruhen. Doch wie dem auch sein mag, so wird sich die Über- 
setzung von port. -tu durch frz. -toi oder die Umwandlung von 
span.-port. -tua in -toi wiederum daraus erklären, daß man dem 
Vogel seinen Namen vorsprach, ihn also anredete. Die franzö- 
sische Schreibung cacatois beruht auf dem Plural cacatois, der 
infolge von Massenversand von Kakadus im Vogelhandel sehr 
häufig gewesen sein kann. 

Ndl. kakatoe, kaketoe scheint, da es gewöhnlich Femininum 
ist, auf port. cacatua zurückzugehen. Die Kürzung zu kakatoe 
kann allerdings auf Einwirkung des davon nur graphisch ver- 
schiedenen port. cacatu beruhen, indes auch durch das unbewußte 
Streben, den Hiatus zu vermeiden, sowie durch dasjenige, für 
einfache Begriffe möglichst keine langen Wörter zu gebrauchen, 
veranlaßt worden sein. Daß die Niederländer die Silbe -toe (-tz) da- 
bei nicht auch durch die anklingende Form du „du“ ersetzt haben, 
wird darin begründet gewesen sein, daß sie sich bereits damals 
nur noch der pluralischen Anrede mit gij bedienten. Haben sie 
aber ıhr kakatoe von den Portugiesen entlehnt, so werden sie 
das wohl schon in Indien getan haben, wo sie diesen weit bäufiger 
als in Europa begegneten. Doch ist auch die Möglichkeit nicht 
ausgeschlossen, daß sie ihr kakatoe direkt von den Malayen er- 
halten haben. Mit diesen trafen sie ja in der Heimat der Kakadus, 


122 R. Loewe 


dem indischen Archipel, zusammen, den sie schon seit dem An- 
fange des 17. Jahrhunderts zu erobern suchten (Zimmermann, Die 
Kolonialpolitik der Niederländer 15ff.). Bei der weiten Verbrei- 
tung der Niederländer über diese Inselwelt konnte das Wort 
„Kakadu“ bei ihnen volkstümlicher als anderwärts werden, und 
so erklärt es sich wohl, wenn sie ihr kakatoe durch Einführung 
von e in die unbetonte Mittelsilbe nach dem Muster der Erb- 
wörter in kaketoe (woraus auch scherzhaft volksetymologisch 
kakketoe) verwandelt haben. 

Entweder auf port. cacatu oder auf ndl. kakatoe beruht engl. 
cockatoo, das nach dem NED. an cock „Hahn“ angelehnt worden 
ist. Der Ersatz der letzten Silbe durch die Form für „du“ (thou) 
ist hier aus gleichem Grunde wie im Niederländischen unterblieben. 

Dagegen zeigt sich dieser Ersatz auch in nhd. Kakadu, das 
aus ndl. kakatoe einfach dadurch umgestaltet worden sein kann, 
daß man dem Vogel seinen Namen vorsprach, ihn also anredete. 
Doch deutet das maskuline Genus von Kakadu wohl auf Mit- 
wirkung von frz. cacatois, dessen -tois (-toi) auch durch du über- 
setzt werden konnte. Auf nhd. Kakadu beruht dän.-schwed. 
kakadu, das dänisch auch zu kakadue, schwedisch auch zu kakadua 
erweitert worden ist. Offenbar durch den Vogelhandel ist deutsch 
Kakadu auch in das Spanische gelangt, wo neben dem Femininum 
cacatua (Pages; Academia, Diccion. **) auch das Maskulinum cacadu 
(Dominguez; Tolhausen) vorkommt. 

Das dem port. cacatua zugrunde liegende malayische kakatua 
wird auch kakatuwo (in niederländischer Orthographie kakatoewa) 
geschrieben. Das malayische w ist Halbvokal wie engl. w (Win- 
stedt S.27); daher mag es kommen, daß es nach vorangehendem 
ü kaum zu hören ist. Auch H Kern, De indische Gids XI 
1215f. schreibt als malayisch kakatoea. 

In der Zoologie bezeichnet Cacatua eine etwa dreißig Arten 
umfassende, über die hinterindische Inselwelt, Polynesien und 
Australien verbreitete, durch ihre aufrichtbare Federhaube ge- 
kennzeichnete Gruppe der Papageien. Auch bei den Malayen 
selbst ist kakatuwa der Name der Haubenpapageien, soweit ihnen 
diese bekannt sind. So gibt Badings II 216 für kakatoewa die 
Bedeutung „gekuifde papegaai“ an. Wenn Klinkert, Nieuw 
Nederlandsch-Maleisch Woordenboek*, Leiden 1901 s. v. papegaai 
vier verschiedene Namen fiir vier verschiedene Arten von Papa- 
geien nennt und unter diesen kakatoewa als „de witte kuifpape- 
gaai“ vermerkt, von Haubenpapageien anderer Farbe aber über- 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 123 


haupt nicht spricht, so erklärt sich das zunächst daraus, daß 
sämtliche Haubenpapageien des indischen Archipels von weißer 
Farbe sind (vgl. E. Bade, Die Kakadus, Berlin 1899, S. 34ff.). 
Allerdings übersetzt Klinkert, Nieuw Mal.-Nederl. Woordenboek’, 
Leiden 1916, S. 789 malayisch kakatoewa mit „de witte kuifpape- 
gaai van de Molukken“, kennt also keine andere Art der weißen 
Haubenpapageien als den Molukkenkakadu (Cacatua moluccanus 
Gmel.). Als Grund dieser Einschränkung wird man vermuten 
dürfen, daß die Malayen, in deren Heimatland Malakka überhaupt 
keine Haubenpapageien wild leben, von allen diesen als Käfig- 
vogel ausschließlich oder wenigstens ganz überwiegend den 
Molukkenkakadu halten, der ein besonders prachtvoller und an- 
mutiger Vogel ist, und den die Alfuren, die Bewohner seiner 
Heimatinsel Ceram, oft jung aus dem Neste nehmen, zähmen und 
dann verkaufen, wie er denn auch nach Europa fast immer nur 
gezähmt gelangt (B.T. VIII 50). 

Wenn die Malayen von einer andern Art Haubenpapagei 
als dem Molukkenkakadu sprechen, mögen sie wohl vielfach ein 
Attribut zu kakatoewa hinzusetzen. Doch darf man deswegen 
kaum annehmen, daß der nach Meyer and Wiglesworth, The birds 
of Celebes, Berlin 1898, I, Systematic part, S. 129 bei den Malayen 
von Celebes für den Gelbwangenkakadu, Cacatua sulphurea Gmel. 
übliche Name cacatua puti, d.h. „weißer Kakadu“ daher rühre, 
daß dieser Vogel sich durch die rein weiße Farbe des größten 
Teils seines Gefieders von der rosa angehauchten weißen des 
Molukkenkakadus unterscheidet. Vielmehr wird der Name daher 
kommen, daß die Malayen auf Celebes den Namen kakatua auch 
auf Papageien ohne Haube, die von überwiegend grüner Farbe 
sind, übertragen haben; den Prioniturus Platurus Vieill. nennen 
sie Cacatua birotti, den Tanygnathus Muelleri Schl. Cacatua idin 
(Meyer a. Wiglesworth I, S. p., S. 134 u. 141). Auf einer Ent- 
lehnung der letzteren Form kann es nur beruhen, wenn eine 
Spielart des Tanygnathus Muelleri auf Gr. Sangi (nördlich der 
Nordostspitze von Celebes) auch bei den Nichtmalayen kurzweg 
Kakatua (Meyer a. Wiglesworth, I, S. p., S. 142) heißt. 

Klinkert gibt als Bedeutung von malay. kakatoewa noch an 
„op Java ook nijptang“. Hiermit vergleiche man das Zitat des 
NED. von 1850 „Cockatoo Malay. Kakatunah a vice, a gripe, and 
also the name of the bird, no doubt referring to his powerfull 
bill“. Richtig bemerkt hierzu P. J. Veth, Uit Oost en West, 
Arnhem 1889, S. 148, daß hier nicht die Bedeutung „Kneifzange*“, 


124 R. Loewe 


sondern die vom „Vogel Kakadu“ die ursprüngliche sein wird. 
Man erinnere sich nur an Wörter wie mhd. ramme eig. „Widder“, 
lat. aries „Mauerbrecher“, eig. „Widder“, gr. y&oavos „Hebe- 
maschine“, eig. „Kranich“, ebenso mhd. kran. Die beste Parallele 
zu unseren Fall findet man bei Campe, Wörterbuch zur Erklärung 
und Verdeutschung, Braunschweig 1813, S. 468: „Pelican 1) Die 
Kropfgans. 2) Ein Werkzeug zum Zahnausziehen, welches man 
seiner schnabelförmigen Gestalt wegen, die Schnabelzange nennen 
könnte“. 

Die von H. Kern, De indische Gids XI 1215f. wiederaufge- 
nommene Etymologie eines französischen Reisenden, nach welchem 
der weiße Papagei mit hochroter Haube, d. h. der Molukken- 
kakadu, den Namen kakatou nach seinem Rufe kakatou führe, 
kann nicht richtig sein. Nach Hagenbecks Beobachtungen wird 
das Wort Kakadu zwar von allen Arten der Kakadus gesprochen, 
aber immer nur von zahmen Vögeln, denen es in der Jugend 
angelernt worden ist, weshalb es auch die australischen nach 
englischer Weise aussprechen; von alt gefangenen oder vernach- 
lissigten Kakadus hat er es nie gehört, und zwar weder von 
den indischen noch von den australischen Arten (E. Bade, Die 
Kakadus 14f.; vgl. auch B. T. VIII 38). Das gilt also auch für 
den Molukkenkakadu. Selbst wenn irgend ein Kakadu einen dem 
kakatüa so ähnlichen Ruf wie crockadore, den ihm ein englischer 
Reisender zuschreibt und von dem derselbe behauptet, daß er 
danach crockadore hieße (Kern a.a.O.), wirklich ausstoßen sollte, 
würde das Hagenbeck doch wohl bemerkt haben. 

Trotz seines Irrtums hat Kern den Weg angedeutet, auf dem 
die wirkliche Herkunft des Wortes zu finden ist. Er stellt näm- 
lich malay. kakatoea zu kaka „de gewone benaming van den pa- 
pegaai of kaketoe in het Sumbasch, Maori, Fidjisch eng.“ Frei- 
lich bezeichnet kaka bei den Maori (auf Neuseeland) nur einen 
bestimmten Papagei, den Nestor meridionalis Gmel., während eine 
andere, diesem nahe verwandte Art, der Nestor notabilis Gould 
bei ihnen den Namen kea führt (B. T. VIII 21); doch steckt kaka 
höchst wahrscheinlich auch in kakapo, dem Namen des Eulen- 
papageien, Stringops habroptilus Gray bei den Maori (B. T. VIII 
33). Die drei genannten Arten kommen überhaupt nur auf Neu- 
seeland vor. Bezüglich des kaka auf der kleinen Sundainsel 
Sumba bemerkt Kern selbst noch a. a. O. 1216, daß damit der 
weiße Kakadu gemeint sei. Unter dem weißen Kakadu wird hier 
in erster Linie der einzige auf Sumba wild vorkommehde Kakadu 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 125 


von weißer Farbe, der Goldwangenkakadu, Cacatua chrysolophus 
(vgl. E. Bade a. a. O. 32ff., besonders 34) zu verstehen sein, wenn 
auch der Molukkenkakadu, falls er auch auf Sumba im Käfig 
gehalten wird, dort wahrscheinlich auch kaka heißt. Im wilden 
Zustande führt der Molukkenkakadu den Namen kaka im Nord- 
osten der Molukke Ceram (Kern a. a. 0.) Da auf den Fidschi- 
inseln weder der Nestor meridionalis noch, wie sich aus E. Bade 
ersehen läßt, irgend ein Kakadu vorkommt, so muß dort mit kaka 
wieder eine andere Art Papagei gemeint sein. Und wo sonst 
noch im austronesischen Sprachgebiet der Name kaka ftir einen 
Papagei erscheint, ist darunter wahrscheinlich wieder eine andere 
Art dieses Vogels zu verstehen, deren es ja eine außerordentlich 
große Menge gibt. Daher ist kaka ursprünglich vielleicht ein 
Ausdruck für den Papagei überhaupt gewesen. Doch ist es für 
die Frage keineswegs gleichgiltig, daß im indischen Archipel 
gerade zwei verschiedene Arten von Kakadus den Namen kaka 
führen. Da nun sowohl die Maori als Polynesier wie die Fidschi- 
insulaner.. als Melanesier aus dem indischen Archipel stammen 
(Müller 316ff.), so konnten beide weit eher als die in ihren ur- 
sprünglichen Sitzen gebliebenen Indonesier den Namen kaka auf 
neue Papageienarten übertragen, zumal die meisten Arten nur 
auf wenigen Inseln vorkommen. Einen bestimmten Schluß können 
wir freilich hier nicht ziehen, da Kern selbst angedeutet hat, daß 
seine Angaben über das Vorkommen des Wortes kaka zur Be- 
zeichnung des Papageis und Kakadus unvollständig sind. Aus 
den von ihm mitgeteilten Tatsachen ergibt sich indes eine größere 
Wahrscheinlichkeit dafür, daß kaka ursprünglich nur ein Name 
der Haubenpapageien als daß er ein solcher aller Papageien ge- 
wesen ist. | | 

Kern bringt nun dies kaka mit kaka „Krähe, Rabe“ im Lam- 
pong (im Südosten Sumatras) in Zusammenhang. Er stützt diese 
Annahme sehr gut mit dem Hinweise darauf, daß danga und 
dangadanga im Makassarischen und Buginesischen (auf Celebes) 
„benamingen voor den grooten witten en den kleinen groenen 
kaketor“ sind, und daß dangadanga sich nicht von dangdang, dem 
Namen der Krähe im Javanischen, trennen lasse. Mit dem großen 
weißen Kakadu wird hier wohl auch der Molukkenkakadu gemeint 
sein, da dieser der größte indische Kakadu überhaupt ist (B. T. 
VIII 48) und, wenn er auch wild auf Celebes nicht vorkommt, 
auch dort sehr wohl im Käfig gehalten werden kann. Vermutlich 
wird aber auch der auf Celebes wild lebende kleine weiße Gelb- 


126 R. Loewe 


wangenkakadu, Cacatua sulphurea (vgl. Bade a. a. O. 34f.), der 
kakatua puti der Malayen, dort auch danga heißen können (Meyer 
a. Wiglesworth I, S. p., S. 129 geben als Namen dieses Vogels auf 
Celebes Katella und Catala an, das als catalla für den Molukken- 
kakadu auf Ceram wiederkehrt; vgl. B. T. VIII 49). Zu bemerken 
ist ferner, daß es grüne Kakadus (Haubenpapageien) auf den 
Sundainseln nicht gibt (wie aus E. Bade zu ersehen ist), und daß 
mit dem kleinen grünen Kakadu Kerns wohl der auf Celebes 
lebende kleine grüne Loriculus exilis Schl., für den Meyer a. 
Wiglesworth I, S. p., S. 149 außer malayisch Tintis kitjil „little 
lorikeet“ keinen einheimischen Namen angeben, gemeint ist. Doch 
nennen letztere I, S. p., S. 141 danga als einen auf Celebes üb- 
lichen Namen für einen anderen Papagei (von vorwiegend gelb- 
grüner Färbung), den bereits erwähnten Tanygnathus Muelleri. 

Kern 1215 nımmt nun für kaka sowohl im Sınne von „Krähe“ 
wie in dem von „Papagei, Kakadu“ onomatopoetischen Ursprung 
an. Für „Krähe“ verweist er dabei auf Wörter mit dieser Be- 
deutung in anderen indonesischen Sprachen wie dayak. (Borneo) 
kak, batak. (Sumatra) gak, malagasi. (der Hova auf Madagaskar) 
goaka, malayisch gagag, javan. gagak, tagal. (Philippinen) oak. 
Das sind in der Tat nur verschiedene Nachahmungen eines und 
desselben Klanges. Von indogermanischen Wörtern wie gr. xdeaé 
„Rabe“, aisl. kräka „Krähe“ usw. weichen dabei die Namen der 
Krähe in den indonesischen Sprachen im wesentlichen nur durch 
das Fehlen des r ab. Möglicherweise unterscheidet sich auch der 
Schrei der auf Malakka und den Sundainseln lebenden ostindischen 
Krähe, Corvus enca Horsf. (Meyer a. Wiglesworth II 580) von 
dem der europäischen Krähenarten durch das Fehlen des r-Klanges. 
Wahrscheinlicher ist jedoch der Unterschied in den Anlautsver- 
hältnissen der indonesischen Sprachen begründet. Nach Schmidt 
290 kann man darüber streiten, ob hier der Anlaut Muta cum 
Liquida ein wirklicher Doppellaut oder ob der zwischenstehende 
Stützvokal (Pepet) so stark ist, daß er beide Laute von einander 
scheidet. Wahrscheinlich wird doch der vor dem Stützvokal 
stehende Explotivlaut als eine Silbe für sich gesprochen, so daß 
die Indonesier wohl ein zweisilbiges kara, gara, nicht aber ein 
einsilbiges kra, gra sprechen können. Ein einsilbiges ka, ga aber, 
in dem das r als der schwierigere Laut fortgelassen war, wird 
für ihr Empfinden dem kra, gra der Krähe näher als ein zwei- 
silbiges kara, gara gestanden haben. 

Ganz anders liegt die Sache bei kaka als Name von Papa- 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 127 


geien. Die höchst zahlreichen Arten der Papageien weichen in 
ihren Schreien sehr von einander ab (Otto Finsch, Die Papageien 
I 47ff.); nur das Kreischen haben viele von ihnen gemeinsam 
(B. T. VIII 5); speziell ist die natürliche Stimme der hier in erster 
Linie in Betracht kommenden Kakadus ein „abscheuliches, unbe- 
schreibliches Kreischen* (B. T. VIII 38). Danach sollte man doch 
in einem schallnachahmenden Namen derselben am ehesten einen 
hellen Vokal, nicht aber den mittleren Vokal a erwarten. Nun 
ließe sich freilich denken, daß der Schrei eines der häufigsten 
Papageien der indischen Inselwelt auch ungefähr wie kraka oder 
kaka klänge und daß daher kaka zunächst zum Namen dieser Art 
geworden und später auch auf andere Papageien übertragen 
worden wäre. Daß aber eine solche Annahme nicht richtig sein 
würde, ergibt sich aus den genannten dangdang und dangadanga. 
Es ist schon äußerst zweifelhaft, ob javan. dangdang „Krähe“ mit 
seinem d für sonstiges g oder & und zugleich mit seinem Nasal 
wirklich auf Nachahmung des Schreies der indischen Krähe beruht; 
völlig unglaublich aber erscheint es, daß sowohl der Schrei der 
Krähe wie der eines bestimmten Papageien zugleich durch gak, 
kak und durch dang wiedergegeben worden wäre, wo doch dang 
dem gak, kak fern genug liegt. Vielmehr drängt sich die Erklä- 
rung auf, daß man hier in beiden Fällen den Namen des einen 
Vogels auf den anderen übertragen hat. Da nun kaka „Krähe* 
durch Schallnachahmung entstanden ist, so kann es sich wenigstens 
bei kaka „Papagei, Kakadu“ nur um Übertragung des Namens 
der Krähe auf den Papagei (Kakadu) handeln. Führt doch Kern 
auch aus den austronesischen Sprachen Formen, die ähnlich wie 
kaka klingen, nur für die Krähe, aber keine einzige für eine Art 
Papagei an. 

Eine Übertragung, wie ich sie annehme, hat nun aber auch 
im Grunde nichts Auffallendes. Rabe und Krähe sind die durch 
ihr Schreien am meisten bekannten Vögel, weshalb z. B. im Grie- 
chischen sowohl xgd£eıv, das eigentlich nur das Schreien des Raben, 
wie xowlev, das eigentlich nur das der Krähe bezeichnet, auch 
vom Schreien des Menschen gesagt wird. Bei Hesiod Op. 747 
ist auch von der daxégvfa xogwvn, der „lärmenden Krähe“ die 
Rede. Daß seis auch auf den Schrei anderer Vögel übertragen 
werden kann, ersieht man aus Lucian, electr. 5, wo von den 
Schwänen gesagt wird ,xowlovat ndvv duovoov“, obgleich der 
Schrei des Schwans mit dem der Krähe keinerlei Ähnlichkeit hat. 
Ein Schritt nur weiter ist es, wenn auch der Name der Krähe 


128 | R. Loewe 


oder der des ihr eng verwandten Raben seibst auch auf andere 
sich durch ihr Geschrei bemerkbar machende Vögel übertragen 
wird. Hierhin gehört der nach Aristoteles, Hist. anim. ed. Ditt- 
meyer, 8 597°, 22—24 für den wrös, die Waldohreule, gebräuch- 
liche griechische Name »vxrixdgad. Die Waldohreule ist in Ge- 
stalt und Farbe sowie in ihrer Lebensweise vom Raben völlig 
verschieden. Auch ihr Schrei, den sie in der Paarungszeit häufig 
hören läßt, klingt wie hu hu (B. T. VIII 246), weicht also auch 
von dem des Raben so weit wie möglich ab. Aber da dieser 
Schrei durch die Stille der Nacht tönt, konnte die Waldohreule 
gerade durch ihn die Aufmerksamkeit auf sich lenken, und so 
wurde sie von den Griechen als Nachtschreivogel aufgefaßt und 
deshalb ,Nachtrabe* genannt. 

Nun sind auch die Papageien Vögel mit starker Stimme (B. T. 
VIII 5), und ihr lautes Schreien macht sich um so mehr bemerkbar, 
als sie in Scharen zusammenleben (Finsch, Die Papageien I 42). 
Mit heiserem Gekreisch verkünden sie gemeinsam den Tages- 
anbruch, fliegen mit lautem Geschrei in langen Zügen zu ihren 
Futterplätzen und begeben sich Abends mit vielem Lärm zur Ruhe 
(Finsch I 42ff.). Besonders tun sich die Kakadus durch ihr lautes, 
durchdringendes Schreien hervor (Finsch 148). Die Kakadus be- 
grüßen auch jedes neue Ereignis mit Geschrei; namentlich erhebt 
sich, wenn ein Flug sich niedergelassen hat und ein anderer 
vorüber kommt, ein ohrenzerreißender Lärm (B. T. VIII 39). Unter 
solchen Umständen braucht man sich doch nicht zu wundern, 
wenn im Austronesischen der Name der Krähe kaka als der des 
Schreivogels auf den Papagei (oder wahrscheinlicher zunächst 
nur auf den Kakadu) übertragen worden ist. 

Eine Parallele zur Übertragung des Namens der Krähe auf 
den Papagei findet sich im Germanischen: hier ist die Bezeich- 
nung des nach seinem Schrei heißenden Reihers auf den Häher 
übergegangen, der ebenso laut und häßlich wie der Reiher selbst, 
aber doch sehr verschieden von ihm schreit (vgl. Sunlahti, Die 
deutschen Vogelnamen 199; Verf., D. Et. Wb.’ s. v. Reiher und 
Häher). | 
Was das Verhältnis von jav. dangdang „Krähe* zu danga 
und dangadanga als Namen verschiedener Papageien auf Celebes 
betrifft, so ist hier vielleicht umgekehrt wie bei kaka der Name 
einer Papageienart als ,Schreivogel“ auf die Krähe übertragen 
worden. Es muß sich ja feststellen lassen, ob wirklich der Schrei 
eines der den Namen danga oder dangadanga führenden Papageien 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 129 


ähnlich wie danga klingt. Ist dies nicht der Fall, dann käme 
vielleicht irgend ein dritter Vogel, der in irgend einer indone- 
sischen Sprache danga oder dangadanga oder ähnlich hieße und 
dessen Geschrei ähnlich wie dieser Name tönte, als der ursprüng- 
liche Träger desselben in Betracht. Doch ließe sich auch denken, 
daß dangdang oder dangadanga als ein Name entweder der Krähe 
oder einer Papageienart gar nicht schallnachahmend gewesen wäre, 
daß man ihn aber später als ,Schreivogel“ aufgefaßt und deshalb 
entweder von der Krähe auf den Papagei oder vom Papagei auf 
die Krähe übertragen hätte. 

Ihr kakatuwa werden die Malayen erst ı aus dem im nordöst- 
lichen Ceram für den Molukkenkakadu üblichen kaka gebildet 
haben. Nach B.T. VHI 49 lebt der Molukkenkakadu fast aus- 
schließlich auf Ceram und fliegt von dort nur sehr selten auf das 
südlich davon gelegene Amboina hinüber. Für das im Amboini- 
schen für diesen Vogel vorkommende kakatoea (d. h. kakatüwa), 
kaktoea (d. h. kaktuwa) hält Kern selbst Herübernahme aus dem 
Malayischen für möglich. Da er nichts über die Bedeutung des 
bloßen tawa im Amboinischen bemerkt, so ist wohl anzunehmen, 
daß -tüwa dort als selbständiges Wort entweder überhaupt nicht 
existiert oder die Bedeutung „alt“ wie im Malayischen hat. Im 
ersteren Falle haben die Amboiner ihr kakatua sicher, im letzteren 
wahrscheinlich aus dem Malayischen entlehnt. Wie die Amboiner 
ihr katalla, das sie in der Bedeutung „Molukkenkakadu“ mit den 
Strandbewohnern Cerams gemeinsam haben (B.T. VIII 49), den 
letzteren verdanken werden, so werden sie das bei ihnen für 
denselben Papagei gleichfalls übliche kakatua von den auf Ceram 
wohnenden Malayen erhalten haben. 

Malay. kakatzwa hat man früher nach malay. kaka „älterer 
Bruder“ und tuwa „alt“ als „alter Bruder“ gedeutet, was als Name 
einer Papageienart keinen rechten Sinn ergibt. Aber an der 
Deutung von tūwa als „alt“ wird man hier festzuhalten haben. 
Die Malayen konnten ihr tawa „alt“ deshalb zu dem von ihnen 
entlehnten Namen des Molukkenkakadus kaka hinzufügen, weil 
Papageien überhaupt sehr alt werden können. Beobachtungen 
über das Alter der. Papageien muß man in Europa schon im 
18. Jahrhundert an Käfigvögeln gemacht haben, da bereits Nem- 
nich If 1079 davon spricht. Nun erreichen doch die Papageien 
in ihrer Heimat im allgemeinen gewiß ein noch höheres Alter 
als in Europa und zwar auch dann, wenn sie dort im Käfig ge- 
‚halten werden. Das können die Malayen schon frühzeitig gerade 

Zeitschrift für vergl. Sprachf. LX1 1/2, 9 


‘130 R. Loewe 


an dem Molukkenkakadu beobachtet haben, da der erwähnte Brauch 
der Alfuren, die Jungen dieses Vogels zu zähmen und dann zu 
verkaufen, schon seit vielen Jahrhunderten bestehen kann. Ob 
die Malayen freilich durch die Hinzufügung von Gg zu kaka 
sagen wollten, daß der Molukkenkakadu ein höheres Alter als 
andere Papageien erreiche, ist fraglich; vielmehr konnten sie auch 
ohne eine solche Absicht ein Gg zum Namen des bei ihnen 
beliebten Vogels hinzusetzen, etwa wie man den in Deutschland 
populären Storch dort auch Klapperstorch nennt, ohne daß man 
durch die Hinzufügung eine Unterscheidung von einem anderen 
Vogel beabsichtigt. Endlich wird auch für den Hinzutritt von 
tzwa „alt“ zu dem aus Ceram entlehnten kaka „Molukkenkakadu“ 
der Umstand nicht gleichgiltig gewesen sein, daß die malayische 
Bedeutung von kaka „älterer Bruder“ war, also den Begriff „alt“ 
bereits in sich schloß und dadurch an das Altwerden des Vogels 
noch besonders erinnerte. 
2. Tombak. 

Das Wort „Tombak“ bezeichnet in den meisten europäischen 
Sprachen ein Gemisch aus Kupfer und Zink. In Karmarsch und 
Heerens Technischem Wb. IX * (Prag 1888), 509 wird der Tombak, 
als „rothes Messing“ definiert und darüber gesagt: „Die Zusammen- 
setzung ist wechselnd, von 78 Proc. Kupfer, 18 Zink, 2 Blei, 
2 Zinn bis zu 92 Proc. Kupfer und 8 Proc. Zink“. Die älteste 
Angabe eines deutschen Werkes über die Zusammensetzung unseres 
Metalls ist wohl die in Johann Hübners Natur- und Handlungs- 
Lexicon, Leipzig 1776, Sp. 2316; danach wird eine bestimmte 
Quantität Tombak aus 7 Lot Kupfer, 5 Lot Messing und "e Quent- 
chen englischem Zinn zusammengeschmolzen. Da schon das Messing 
selbst aus Kupfer und Zink zusammengesetzt ist, so hat in Deutsch- 
land im Tombak von jeher das Kupfer bei weitem das Über- 
gewicht über das Zink gehabt. Ein solches Übergewicht ist aber 
auch wohl für alle anderen Länder, in denen „Tombak“ eine 
Mischung aus Kupfer und Zink bezeichnet, anzunehmen; für Eng- 
land gibt das NED. s. v. Tombac den Kupfergehalt des Tombaks 
‚sogar auf 82—99 Prozent an. 

Nhd. Tombak (Tomback) wird in D. Wb. als Entlehnung aus 
dem Französischen bezeichnet, für das Hatzfeldt- Darmesteter 
tombac auch schon aus dem Jahre 1700 belegt. Dazu paßt es, 
‘daß Tombak im Deutschen gewöhnlich Maskulinum wie im Fran- 
zösischen und nur selten Neutrum wie im Niederländischen ist. 
Doch wird das französische Wort (aus dem auch ital. tombacco 


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t 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 131 


umgebildet worden sein dürfte) selbst erst dem Niederländischen 
entstammen, da, wenn es umgekehrt wäre, doch wohl auch die 
Niederländer das maskuline Genus beibehalten hätten, während 
ein niederländisches Neutrum französisch Maskulinum werden 
mußte. Für das Niederländische, dessen Metallnamen wie die 
deutschen fast sämtlich noch Neutra sind, war es nur natürlich, 
daß es einen solchen Namen, den es einer genuslosen Sprache 
entlehnte, gleichfalls zum Neutrum machte. 

Vor allem aber ist von Wichtigkeit, daß die Franzosen in 
Malakka und dem indischen Archipel niemals Kolonien besessen, 
die Niederländer aber gerade hier ihr Kolonialreich gegründet 
haben. Schon im ersten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts entrissen 
die Niederländer den Portugiesen die Molukken und 1641 auch 
Malakka, und schon 1638 war der ganze Handel auf der Sunda- 
gruppe ausschließlich in ihren Händen (Zimmermann 79; 89; 88). 
Nichts war daher natürlicher, als daß sie den Namen eines in 
jenen Gegenden hergestellten Mischmetalls, aus dem allerlei 
Schmuckgegenstände gefertigt wurden, mit der Sache entlehnten 
und anderen Europäern vermittelten. Auch engl. tombac dürfte 
zunächst aus dem Niederländischen stammen. 

Nur in der Bedeutung, nicht aber in der Form stimmt zu ndl. 
tombac das port. tambaca f., tambaque m. (Michaelis). Zweifellos 
haben die Portugiesen, die schon 1511 Malakka erobert hatten 
(Zimmermann 27ff.), das Wort schon vor den Niederländern von 
den Malayen entlehnt. 

Von den Unterschieden, die zwischen port. tambaca, tambaque 
und ndl. tombac bestehen, ist derjenige der Vokale der ersten 
Silbe leicht zu erklären. Den europäischen Formen kann ja nur 
ein zu malay. tömbaga „Kupfer“ gehöriges Wort zugrunde liegen; 
mit & aber wird im Malayischen ein überkurzer Vokal von unbe- 
stimmter Klangfarbe bezeichnet, der etwa dem engl. a in along, 
attend gleicht (Winstedt S. 29). Ein solcher Vokal aber konnte 
von Fremden verschieden aufgefaßt werden. Die Portugiesen 
machten hier unter dem Einflusse des a der folgenden Silbe 
gleichfalls ein a daraus, die Niederländer aber unter demjenigen 
des labialen mb den Labialvokal o. Der Unterschied im Auslaut 
dagegen läßt sich nicht ohne weiteres erklären. Auffallend aber 
ist die Übereinstimmung in dem k (c, qu) von port. tambaca, tam- 
baque mit ndl. tombak. Dieselbe setzt für das Malayische eine 
Form mit k in der Bedeutung „Kupfer mit Zinkbeisatz* neben 
einer solchen mit g in der Bedeutung „Kupfer“ voraus. 

9% 


132 R. Loewe 


Ergänzend zu den europäischen Formen. mit & treten andere 
mit k, die von Europäern als solche hinterindischer Sprachen 
aufgezeichnet worden sind. Die älteste dieser Formen, auf welche 
das NED. s. v. Tombac verweist, steht bei Purchas, Pilgrimes, 
London 1625, First Part, Third Booke 153f. in der Beschreibung 
der Reise des James Lancaster nach Ostindien. Die ganze Stelle 
lautet: „All the dishes ... were, either of pure Gold, or of an- 
other Mettall, which (among them) is of great estimation, called 
Tambaycke, which groweth of Gold and Brasse together“. Nach 
Pilgr. 152 handelt es sich hier um einen Besuch beim König von 
Achin auf Sumatra im Jahre 1602. Zwei andere hierhin gehörige 
Formen findet man bei Savary, Dictionnaire universel de com- 
merce, Amsterdam 1726, der II 1690 sagt: „Tambac ou Tambaque. 
Melange d’or et de cuivre, que les Siamois trouyent plus brillant 
et estiment plus que l’or . . . Les ouvrages de tambac que les 
Ambassadeurs de Siam apportérent 4 Paris sous le Régne de 
Louis XIV. ne parurent pas aussi beaux qu’on se |’étoit imaginé.“ 

Die Atchinesen auf Sumatra, auf welche sich die erste der 
beiden angeführten Nachrichten bezieht, sind die allernächsten 
Verwandten der eigentlichen Malayen (Müller 328; Schmidt 146). 
Die Siamesen gehören zwar nicht zur malayischen Rasse und 
Sprachfamilie, sind aber Nachbaren der eigentlichen Malayen auf 
Malakka, haben also ihr tambac, tambaque unmittelbar von diesen 
entlehnt. 

Was die Bedeutung der Formen des Wortes mit k betrifft, 
so wird die zufrühst (1602) bezeugte, die von „Mischung aus 
Gold und Messing“ auch die älteste sein. Denn ließ man bei 
der Mischung das Zink fort, so erhielt man ein Mischmetall aus 
Gold und Kupfer, das die Siamesen unter den Namen tambac 
und tambaque bezeugen; ließ man aber das Gold fort oder er- 
setzte man dasselbe vielmehr durch eine gleich große Quantität 
von Kupfer, so ergab sich eine Mischung von Kupfer und Zink, 
bei der das Kupfer mindestens drei Viertel des Ganzen ausmachte, 
also dasjenige Metall, das in den europäischen Sprachen tombac 
usw. heißt. Ein goldähnlicher Glanz wurde ja auch bei dieser 
letzten Mischung erzielt, so daß sich der Name der Goldlegierung 
mit Messing auf sie leicht übertragen ließ. Daß diese Über- 
tragung schon malayisch geschehen ist, folgt aus der Überein- 
stimmung der Bedeutung von ndl. tombac und port. tambaque, 
die ja unabhängig von einander aus dem ee Ae entlehnt 

worden sein müssen. 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 133 


Formell entspricht dem ndl. tombac das gleichfalls direkt aus 
dem Malayischen entlehnte siam. tambac; es wird also auch ein- 
mal ein malay. *témbak als Name des Mischmetalls vorhanden 
gewesen sein. Daß neben diesem *témbak aber auch ein gleich- 
bedeutendes *témbake bestanden hat, bezeugt die Übereinstimmung 
von port. tambaque mit siam. tambaque sowie vor allem das Vor- 
handensein von atchinesisch tambaycke. 

Freilich wurden für das Mischmetall in indonesischen Dia- 
lekten auch schon früh Formen auf -ga verwandt. . Es ist das 
zu folgern aus dem zweiten Zitat s. v. tombac im NED., wo in 
bezug auf Java aus der Zeit zwischen 1602 und 1605 der Satz 
angeführt wird: „Their drummes are huge pannes made of a 
metall called Tombaga* (Purchas, Pilgrimes, First part, Third 
booke 180). Wäre hier reines Kupfer gemeint, dann würde 
nicht „metall called tombaga“, sondern einfach „copper“ gesagt 
worden sein. Das Mischmetall aber, aus dem die riesigen Trom- 
meln gefertigt waren, kann nicht aus Gold und Kupfer, sondern 
nur aus Kupfer und Zink bestanden haben. 

In den mir zugänglichen Wörterbüchern der indonesischen 
Sprachen habe ich mit malay. témbaga verwandte Formen auf 
-ke oder -k oder auf -ka überhaupt nicht mehr gefunden; dieselben 
werden auch wahrscheinlich schon längst verschwunden sein. 
Freilich wird in den Wörterbüchern auch für tembaga, tambaga 
usw., wo das Wort mit keinem Zusatze versehen ist, fast immer 
nur die Bedeutung „Kupfer“ angegeben. So für Karo-Batak 
(Sumatra) tembaga (Joustra, Leiden 1907), Dajak (Borneo) tambaga. 
(Hardeland, Amsterdam 1859), javan. tembägä, témbagi (P. Jansz, 
Semarang, Den Haag 1913), sundanes. (im Westen Javas) tam- 
baga (Coolsma, Leiden 1913), makassar. (Celebes) tambäga (Mat- 
thes, S’Gravenhage 1885, S. 988). Auch in den Wörterbüchern 
des Malayischen selbst wird das einfache témbaga nur in der Be- 
deutung „Kupfer“ angeführt (Badings II 548; Klinkert, Nieuw 
Maleisch-Nederl. Wb. 287). Das gilt auch für die ältesten malayi- 
schen Wörterbücher, die in den Collectanea. Malaica Vocabularia, 
Bataviae 1707, abgedruckt sind. So steht schon bei Danckwitz, 
S’Gravenhaghe 1623 S. 13 nur „coper tambagga“ und bei Haex, 
Romae 1631, S.45 nur „Tambagga Aes Cyprium, cuprum“. Dabei 
müssen aber die Malayen den aus Kupfer und Zink bestehenden 
Tombak wohl noch kennen; denn die Bemerkung des NED. s. v. 
tombac, daß man „in the east“ den Tombak, der in Europa zu 
Schmuckgegenständen diene, „for gongs and bells“ verwende, 


134 SS R. Loewe 


wird sich doch wohl in erster Linie auf die Erfinder dieses Tom- 
baks, d. h. auf die indonesischen Völker beziehen. Vielleicht 
nennen aber die Malayen das aus Kupfer und Zink bestehende 
Mischmetall im allgemeinen einfach témbaga „Kupfer“ und fügen 
nur noch da eine nähere Bestimmung hinzu, wo es ihnen auf 
eine genaue Unterscheidung ankommt. Wie diese nähere Be- 
stimmung lauten könnte, vermag ich nicht zu sagen; wenn 
Klinkert 287 neben tembaga „koper“, témbaga koening „geel koper“ 
(„Messing“), tembaga merah „rood koper“ („rotes, d.h. eigentliches 
Kupfer“) auch témbaga peroenggoe ,klokkenmetaal“ nennt, so ist 
unter letzterem doch wohl nur Bronze zu verstehen, da Badings, 
Maleisch Woordenboek* II 411 das einfache peroenggoe durch 
„klokkenmetaal, klokkebrons, klokkespijs* wiedergibt. 

In der Bedeutung „Mischmetall aus Gold und Kupfer“ exi- 
stiert ein dem malay. témbaga lautlich entsprechendes Wort inner- 
halb des indonesischen Sprachzweiges noch in tagal. (Philippinen) 
tumbaga („Liga de oro y cobre“) nach Pedro Serrano Laktaw, 
Diccionario Tagälog-Hispano, Segunda part, Manila 1914, S. 1323. 
Daß sich diese Bedeutung gerade im Tagalischen erhalten hat, 
hängt offenbar damit zusammen, daß letzteres in tangsé (Rosalio 
Serrano, Nuevo diccionario manual Espafiol-Tagalo, Manila 1872, 
s. v. cobre) ein anderes Wort für „Kupfer“ als twmbaga besitzt. 
Vielleicht haben die Tagalen témbaga (tumbaga) in der Bedeutung 
„Kupfer“ überhaupt niemals gekannt und nur in der von „Misch- 
metall aus Gold und Kupfer“ mit der Sache von den Malayen 
entlehnt. 

Mt tagal. tumbaga stimmt sowohl lautlich wie begrifflich 
span. tumbaga überein, das im Diccionario der Akademie von 
1925 als „Liga metälica muy quebradiza, compuesta de oro y de 
igual o menor cantidad de cobre, que se emplea en joyeria“ 
definiert wird. Die Spanier haben also ihr tfumbaga aus dem 
Hauptdialekte der Philippinen, die bis 1898 zu ihrem Kolonial- 
besitze gehört haben, entlehnt. Die von Dominguez angegebene 
Bedeutung von tumbaga „Liga 6 meszia de iguales partes de 
oro, plata y cobre“ hat sich erst spanisch aus der von „Misch- 
metall aus Gold und Kupfer zu gleichen Teilen“ entwickelt. 

Von den malayischen Wörterbüchern nennt wenigstens das 
von Marsden 80 für das Mischmetall aus Gold und Kupfer eine 
mit témbaga (hier tambäga geschrieben) gebildete Wortverbindung 
tambäga suäsa. Daneben vermerkt Marsden 189 auch einfaches 
suäsa als „a mixed metal of gold and Japan coppeo, often termed 


Über einige europäische Wörter exotischer Herkunft. 135 


tambäga sudsa“. Bei dem außerordentlichen Wertunterschiede, 
der zwischen unvermischtem Kupfer und Mischmetall aus Gold 
und Kupfer selbst bei geringem Goldgehalt besteht, ist es sehr 
begreiflich, daß sich für das letztere das einfache tembaga auf 
die Dauer nicht hat halten können. Daß sich aber auch *tém- 
bake, *témbak „Mischmetall aus Gold und Kupfer“ nicht neben 
tembaga „Kupfer“ erhalten hat, wird in seinem geringen laut- 
lichen Abstande von diesem begründet gewesen sein. 

Was die Entstehung von *témbake, *tembak betrifft, so machen 
die Formen nicht gerade den Eindruck, als ob sie ihr Dasein dem 
Antritt eines Suffixes oder gar eines ganzen Wortes an témbaga 
verdankten. Eher ist wohl zu vermuten, daß *témbake, *témbak 
in einem indonesischen Dialekt, in dem g, sei es allgemein sei 
es bedingungsweise, zu k geworden war, aus témbaga hervor- 
gegangen wären; in einem Teile dieses Dialekts müßte dann 
auslautendes a sich in e verwandelt haben, in dem andern aber 
ganz abgefallen sein. In dem Gebiete, in dem dieser Dialekt 
gesprochen wurde, müßte man dann zuerst Gold und Messing 
zusammengeschmolzen und nach dem als „gelbes Kupfer“ (malay. 
témbaga koening) bezeichneten Messing einfach *témbake, *tembak 
d. h. „Kupfer“ genannt haben. Die übrigen Indonesier hätten 
dann diese Zusammenschmelzung nachgeahmt und für das neue 
Metall den Namen *témbake, *témbak entlehnt. Da aber in dem 
zugrunde liegenden Dialekt *témbake, *témbak auch einfach „Kupfer“ 
bedeutet haben müßte, so hätten auch die Indonesier, die *tém- 
bake, *témbak entlehnten, auch ihrem tembaga „Kupfer“ die Be- 
deutung „Mischmetall aus Gold und Messing“ verliehen. Auf 
diese Weise wären javan. (nach 1600) tombaga „Mischmetall aus 
Kupfer und Zink“ und malay. témbaga ,,* Mischmetall aus Gold und 
Kupfer“ zu erklären, welches letztere in der gleichen Bedeutung 
als tumbaga in das Tagalische entlehnt worden sein dürfte. 

Merkwürdig erscheinen könnte es ja, daß man eine Mischung 
von Gold, Kupfer und Zink von vornherein kurzweg „Kupfer“ 
genannt haben soll. Aber dies Mischmetall dient ja zur Her- 
stellung prachtvoller Gegenstände, für die man früher lediglich 
Gold verwandt hatte. Das Gold war also bei der neuen Mischung 
das Selbstverständliche, das Messing aber, das man „gelbes 
Kupfer“ und wohl auch einfach „Kupfer“ nannte, das Auffallende. 
Daher konnte man auch wohl die ganze Mischung kurz als 
Kupfer bezeichnen. 

Wenn es zutrifft, daß in einem Teile des Indonesischen 


136 | Lesefrüchte. 


neben *témbake auch témbaga die Bedeutung des Mischmetalls 
ännehmen konnte, so können beide Formen auch zu *tömbaka 
kontaminiert worden sein. Auf einer Entlehnung eines auf solche 
Weise entstandenen indonesischen (wahrscheinlich malayischen) 
*témbaka würde dann port. tambaca beruhen, das gewöhnlich 
„Mischung aus Kupfer und Zink“ bedeutet. Wenn port. tambaca 
daneben auch die Bedeutung „Mischung aus Gold und Silber“ 
hat (Figueiredo), so wird das auf spanischen Einfluß zurück- 
gehen. Da sowohl span. tumbaga wie das ihm ähnliche port. 
tambaca eine Metallmischung bezeichnete, so konnten beide Wörter 
als verwandt empfunden und daher die für span. tumbaga vor- 
kommende Bedeutung „Mischung aus Gold, Silber und Kupfer“ 
auch auf port. tambaca übertragen werden. Aus letzterer Be- 
deutung konnte sich dann aber leicht die von „Mischmetall aus 
Gold und Silber“ entwickeln. 


Berichtigung. 
60. Ba. S. 153 Z.16 v. u. lies: Dem ital. china, chinachina (statt 
Dem ital. quina, quinaquina). 
Berlin. Richard Loewe. 


Lesefrüchte. 

35) Cleasby-Vigfusson 134: eski, n. [askr], an ashen box; mod. 
spelt askja, and used of any small box. Vgl. die ags. Übersetzung 
der Dialoge Gregors 11,21 mid treowenum scene, 

-= Bezzenberger, Lit. Forschungen 135: Jépiné ein durchaus nicht 
nur aus Lindenholz gefertigtes Gefäß, das zum Einschütten des 
Mehles dient. 

Athen. XI784 A: APTYPIZ elöos wornglov, où udvov ZE doyv- 
gov. Avafiias (II 275 K.)' 

xal niveıw AE doyvoldwv yovoðv: 

IG M/I nr. 1421, 94 xvvi ois: 1425, 341 xvvů odnod ver- 
glichen mit hom. xvven aiyein w 231, ixtidén K 335, taveein K 258, 
nayyahnos o 378, yovoein E 743. 

36) Die Umschreibungen der ags. Dichtersprache fiir die 
Sonne, rodores candel Beow. 1572, sweglcondel Phoen. 108, swegles 
tapur Phoen. 114 wirken auf den modernen Leser einigermaßen 
befremdend durch die Wahl eines für uns durchsichtigen Fremd- 
wortes (candela und papyrus). Eine fast genaue Parallele finde 
ich bei Silius Italicus VE 157: lampade solis. Darf man schließen, 
daß in allen Fällen das Fremdwort nicht mehr als fremdes Wort 
empfunden wurde? | W. Sch. 


Hanns Oertel, Zum ai. Kausativam Zäpayate von der Wurzel 1 li usw. 137 


Zum ai. Kausativum zäpayate von der Wurzel 1 tī 
„sich anschmiegen““. 

1. Nach Panini 1.3. 69—70 hat das mediale Kausativum der 
Wurzel li (läpayate) drei Bedeutungen: a) „täuschen“ (pralam- 
bhana), b) „geehrt werden“ (sammänana), und el „demütigen“ 
(sälinikarana). Die Kasika gibt als Beispiele: zu a) kas tvam 
ulläpayate = visamvädayati „Wer hintergeht dich?“, zu b) jatäbhir 
alapayate = pujam samadhigacchati „Durch (seine) Haarflechten 
(Asketenfrisur) verschafft er sich Ehrung“, und zu c) syeno varti- 
kam ulläpayate = nyakkaroti „Der Adler demütigt (verachtet) die 
Wachtel“. Patafijali (1 Vartt. zu Pan. 6. 1.48) kennt das mediale 
Kausativum von l in zwei Bedeutungen: a) „täuschen“ (pralam- 
bhana) und b) „demütigen“ (Sälinikarana). Zu a) gibt er die Bei- 
spiele jatabhir äläpayate und smasrubhir aläpayate „Er hintergeht 
durch (seinen) Bart“; zu b) syeno vartikam ulläpayate und rathi 
rathinam apaläpayate „Ein Wagenkämpfer demütigt (verachtet) 
den (anderen) Wagenkämpfer“. — | 

2. Diese Stellen sind schon von Boehtlingk in seiner Aus- 
gabe der Chändogya Upanisad (1889) S. 101 (Anmerk. zu S. 37, 17) 
und von Lüders in den Sitzungsber. d. kgl. preuß. Ak. d. Wiss. 
1916 (X) S. 292 (vgl. Johnston JRAS. 1931 S. 900) bei der Be- 
sprechung von ChU. 4. 2.5 herangezogen worden. Hier bietet 
Janasruti Pauträyana dem weisen Raikva tausend Kühe, ein Niska 
(Goldes), einen mit weiblichen Maultieren bespannten Wagen, ein 
Dorf und seine Tochter als Gattin an, um von ihm zu erfahren, 
welche Gottheit Raikva als Gottheit verehrt. Dieser, indem er 
das Gesicht der Tochter emporhob, entgegnete: anenaiva mukhen- 
aläpayisyathäh. Auf die Schwierigkeit, das Medium aläpayisyathäh 
oder äläpayisyathäh') von der Wurzel lap „reden“ abzuleiten, hat 
Boehtlingk mit Recht hingewiesen; diese Wurzel zeigt durchgängig 
nur aktive Formen, vgl. außer den AV.-Stellen noch TB. 2. 2. 10. 3 
prälapat; KB. 30.5 (144,8) = GB. 2. 6. 13 (264,6) abhilaläpa; 
AB. 4.33.2 = GB. 2.6.13 (264,5) = KB. 30.5 (144,7) abhilapis- 
yami; die Partizipien des Intensivums K. 12. 12 (174,18) lälapatah, 
in der Parallelstelle MS.2.4.2 (39,19) vilalapatah; TA.6.2. 1 (Mantra 1) 
apalälapate und abhildlapate. Indem er die Verbform ins Aktivum 


1) Die indischen Kommentatoren lesen dlipayisyathah (von lap + 4a): 
Sankara anenaiva mukhena vidyägrahanatırthenä ”lipayisyatha alapayasi 
. ti mam bhanayasi ’ty arthah; Rangaramanuja anenaiva mukhenopäyena 
mam brahmopadesaripam vakyam dGlapayisyase brahmavidyopadestram 
karisyasi ’ty arthah. 


138 | Hanns Oertel 


ändert und das Objekt ma ergänzt, emendiert Boehtlingk zu mukhena 
mäläpayisyah und übersetzt: „Mit diesem [d. h. deiner Tochter] 
Gesicht allein hättest du mich zum Sprechen gebracht“. Lüders 
hat dagegen eingewendet, daß ein Grund für die Korruptel nicht 
ersichtlich ist; unter Heranziehung der oben (1) angeführten 
Stellen des Panini, der Kasika und des Patañjali nimmt er älapayate 
im Sinne von „auf betrügerische Weise durch etwas Ehre erlangen“ 
und übersetzt: „Mit diesem Gesicht allein würdest du dir Beachtung 
erschwindelt haben“. Der Text bleibt so unangetastet. Es wäre 
nur anzumerken, daß die von Lüders vorgeschlagene Übersetzung 
von äläpayate auf einer Verbindung der Interpretation des Satzes 
jatäbhir alapayate der Kasika mit der des Patafijali beruht: das 
„Ehre erlangen“ stammt aus der Kasika (sammänane; pūjām sam- 
adhigacchati); das „auf betrügerische Weise“ aus Patanjali (pralam- 
bhane). 

3. Nun kommt aber ein mediales Kausativum äläpayate und 
läpayate mit abhängigem Akkusativobjekt, das man zur Wurzel 
lī stellen und mit „hintergehen“ übersetzen kann, an drei Stellen 
des Jaiminiya-Brähmana vor, die in diesem Zusammenhange Be- 
achtung verdienen. 

A. JB. 2.439 (JAOS. 19, 100). Die Götter senden die Sarama 
um die von den Panis gestohlenen Kühe zu suchen. Als sie an 
den Platz kommt, wo die Kühe in einer Höhle verborgen sind, 
setzen ihr die Panis Butterschmalz, Milch, Quark und saure Milch 
vor. Darauf wehrt die Sarama diese Bestechung mit den Worten 
ab: täsäm va aham gaväm padavir asmi, na mäläpayisyadhve (es 
kann auch mä läpayisyadhve gelesen werden), „Ich bin die Ver- 
folgerin der Spur’) dieser Kühe; ihr werdet mich nicht hinter- 
gehen“. Ich habe JAOS. 19, 102 na mä läpayisyadhve mit „You 
shall not make me prate“ übersetzt, aber „hintergehen* paßt 
hier zweifelsohne besser in den Zusammenhang und die mediale 
Form spricht gegen Ableitung von der Wurzel lap. 

B. JB. 1. 162 (Actes du onziéme Congrés International des 
Orientalistes, Paris, 1897, I [1899] 229; W. Caland, Jaiminiya- 
Brahmana in Auswahl [1919] 60—62, Nr. 53). Die Asuri Dirghajihvi 
störte das Opfer, indem sie allen Soma beleckte; Indra bittet den 
Sumitra Kautsa um Hilfe: sumitra darsaniyo vā asi suläpä (so die 
Hss.) vai darsaniyena striya imam dirghajihvim liläpayisyasveti (die 

1) Nicht wie ich JAOS. 19, 102 übersetzt habe „Truly of these cows I am 


the guide“. C£.RV.1.72.2 und 1.48.6 padám ná veti „sie (die Usas) verfolgt 
gleichsam die Spur“. 


Zum ai. Kausativum /a@payate von der Wurzel 1 li „sich anschmiegen‘. 139 


Hss. llävaisasviti und lildisastveti). „Sumitra, du bist schön (und) 
Weiber sind leicht von einem schönen (Manne) zu hintergehen; 
sei doch willens, diese Dirghajihvi zu hintergehen.“ Ich hatte 
übersetzt: „O Sumitra, thou art handsome; and with a handsome 
man women like to chat; please make this Dirghajihvi chat with 
thee“; ebenso Caland: „Sumitra, du bist schön; die Frauen lieben 
es, mit einem schönen (Mann) zu schwatzen; versuche mit dieser 
Dirghajihvi zu schwatzen“, und in seiner Übersetzung des PB. 
Anm. 2 zu PB. 13. 6. 10 „Sumitra, thou art handsome; with a 
handsome (young man) women like to chat; make this Dirghajihvi 
chat with thee“. Aber das Medium und der Zusammenhang weisen 
auf ,hintergehen“, denn im Folgenden handelt es sich um einen 
Vexiernamenbetrug (Studien z. vergl. Literaturgeschichte, 8 [1908] 
117—118). | 

C. JB. 2.424 (Caland 221 Z. 5 v. unten, Nr. 168) atho hainam 
devä iksante: dhävata svo yasteti tad yad ekähe gaurivitam na kurvanti: ` 
ned devän lopayamaha (so die Hs.) iti. Caland übersetzt: „Auch 
achten die Götter auf ihn [d.h. den, der das Soma-Opfer ansagt] 
(zu einander sagend): ‚Eilet hin, morgen wird er opfern‘. Daß 
man also an einem eintägigen Soma-Opfer das Gaurivita [-Saman] 
nicht anwendet (hat seinen Grund, weil man denkt): ‚Damit wir 
die Götter nicht verwirren mögen‘“. Hier bietet das mediale 
Kausativum von rup Schwierigkeit. Das aktive Kausativum ropayati 
kommt in der alten Prosa nur einmal vor, TS. 2.6.8.4, wo aber 
seine Bedeutung unklar ist und ein nominaler Genitiv davon 
abhängt. Dort wird erzählt, daß Rudra, vom Opfer ausgeschlossen, 
das Opfer anschoß; indem nun die Götter dachten: „Dies [d.h. 
der verletzte Teil des Opfers = des Opferkuchens] soll für uns 
in Ordnung kommen (kalpatäm na idam iti)“, schnitten sie den 
angeschossenen Teil des Opfers heraus in der Größe eines Gersten- 
kornes (tasyä lee, yajitasya] ”viddham nir akrntan yavena sammilam). 
Deshalb soll (der Adhvaryu) ein Stück von der Größe eines Gersten- 
kornes (aus dem Opferkuchen) herausschneiden (tasmäd yavamatram 
avadyet); wenn er ein größeres (Stück) herausschnitte (yaj jyäyo 
’yadyed) ropayet tad yajüasya. Die letzten drei Worte übersetzt 
Keith: „he would confuse that part of the sacrifice“’); Caland, 
Anm. 2 zu seiner Übersetzung des ApSS. 3. 1.2 zweifelnd: „so 
würde er das Opfer (den Opferkuchen) in Verwirrung bringen (?)*. 
Damit ist zu vergleichen der kausativ gebrauchte reduplizierte 


1) Der Mantra TB. 3.7.5.6 zeigt, daß yajnasya nicht von ład, sondern 
direkt vom Verbum abhängt. 


140 Hanns Oertel, Zum ai. Kausativum läpayate von der Wurzel 1 li usw. . 


Aorist rzrupama mit Genitiv im Mantra TB. 3.7.5.6 = ApSS.3.1.2. 
na jyäyo (lies so statt Bibl. Ind. ajyäyo in TB.) yavamatrad avyadhät 
krtyatam idam | mā rürupäma yajiiasya | suddham svistam idam 
havih, den Caland übersetzt: „Ein Stück nicht größer als ein 
Gerstenkorn soll aus der angeschossenen Stelle hier geschnitten 
werden; wir wollen das Opfer in Ordnung bringen [dazu die 
Anm. ‚die Übersetzung der Wörter mā rurupäma yajiiasya ist 
unsicher‘); rein und wohlgeopfert sei diese Opfergabe*. Das PW. 
übersetzt an beiden Stellen mit „abbrechen“. 

Im JB. 3.17 findet sich aber eine von Caland übersehene 
genaue Parallele zu JB. 2.424. Die beiden Stellen stimmen wörtlich 
von atho hainam bis iti überein, nur liest die Hs. in JB. 3. 17 ned devän 
läpayamahä iti „Daß wir die Götter nur nicht täuschen“. Ich trage 
keine Bedenken, dieser Lesart den Vorzug zu geben; sie paßt 
ausgezeichnet in den Zusammenhang. Ahinas Asvatthi erklärt 
seinen Söhnen den Satz yajüasya sma svastanam upeta „Das Morgende 
des Opfers sollt ihr begehen“ auf folgende Weise: atha yad vo 
"vocam: yajkasya sma Svastanam upeteti gaurivitam eva vus tad avocam 
ity etad dha vai yajiiasya Svastanam yad gaurivitam ...atho yatha 
somapraväkah somam prähaivam etau gaurivitasyodasau devebhyah 
somam prähatuh proktasomo ha sa tam rätrim vasati yasminn ahani 
gaurivitam bhavaty atho boom usw. bis läpayämahä iti. „Als ich 
euch sagte: ,Das Morgende des Opfers sollt ihr begehen, so meinte 
ich damit das Gaurivita [-Saman]; das Morgende des Opfers ist 
ja eben das Gaurivita [-Saman]‘.... Und weiter, grade wie der 
Somaherold den Soma ansagt, ebenso sagen diese beiden Hebungen 
des Gaurivita den Göttern den Soma an. Als einer, der (den 
Göttern) den Soma angesagt hat, verbringt er die Nacht (die 
den Tag beschließt), an welchem Tage das Gaurivita stattfindet.“ 
D. h. wenn immer das Gaurivita-Saman angewendet wird, so setzt 
das eine mehrtägige Feier voraus. Bei einer eintägigen Feier 
kann das Gaurivita keine Verwendung finden, weil es den Göttern 
ein Somaopfer für den nächsten Tag ankündigen würde, das tat- 
sächlich nicht stattfindet. Die Götter würden dadurch hinter das 
Licht geführt, um das erwartete Soma-Opfer betrogen werden. Das 
drücken die folgenden zwei Sätze ganz klar aus: „Weiter aber 
haben die Götter Acht auf ihn (d.h. auf den, welcher ihnen durch 
Anwendung des Gaurivita ein Soma-Opfer für den nächsten. Tag 
angekündigt hat): ‚Eilet hin, morgen wird er opfern‘. Wenn sie 
(d. h. die, welche ein Eintagsopfer bringen) also bei einer ein- 
tägigen Opferfeier das Gaurivita nicht anwenden, (so ist der Grund 


Lückenbüßer. 141 


der, daß sie fürchten:) ‚Daß wir nur die Götter nicht hinter- 
gehen‘“. 

4. Es scheint mir fast sicher, daß in den drei angeführten 
Stellen des JB. transitives /apayate (bzw. äläpayate) in der von der 
Kasıka für das Beispiel kas tvam ulläpayate angenommenen Be- 
deutung ,hintergehen“ vorliegt. Wenn man mit Boehtlingk und 
Johnston („the insertion of mā is probably sound“) in der ChU.- 
Stelle einen Objektsakkusativ mä ergänzt, so würde diese den drei 
JB.-Stellen genau parallel gehen. Johnston übersetzt (für ChU.) 
„It is by this face that you would gain me over“, indem er auf 
alliyati „be attracted to“ in Pali alliyati keläyati vanäyati hinweist. 
Das würde für zwei JB.-Stellen (oben 3A und B) passen. aber 
nicht für die dritte (oben 3 C). 

Endlich wäre noch anzumerken, daß die hier behandelten 
vier Stellen die einzigen in der vorklassischen Literatur sind, in 
denen eine finite Verbalform vom kausativen Thema läpay- (zu 1 lī) 
belegt ist; sonst findet sich dort nur noch das Absolutivum vilapya 
EE habend“ SB. 1. 3. 1. 20; ApSS. 2.6.1; und vielleicht 
Kaus. 126.9 (wo aber viläpya nur in einer Hs. steht; s. Bloomfields 
Anm.). In Whitneys Roots etc. s. Wz. lap „prate“ ist das kausative 
Medium läpayate B. U. zu streichen. 


München. Hanns Oertel. 


Lückenbüßer. 


1) Beachte Herodot IV 31,1 Sots dyydder zéng adony ri- 
nrovoav Eide, olde tò Aéyw für den etymologischen Zusammenhang 
von eidévat und ldeiv. | 

2) IG I/II 302 steht auf dem Stein verschrieben otdjdn. 
Meisterhans* 81. Ebenso im Marcianus Athen. VII 303F ziedriov 
für cedtdov, im Freckenhorster Heberegister Wadstein 31,18 sclilling 
für scilling. 

3) Das got. Substantiv timrja ,céxtwy faber“ erscheint meines 
Wissens in den Handbüchern ohne einen Genossen. Aus Ahd. 
Gl. IV 205, 34 zimbrio: mechanicus ergibt sich, daß die Form auch 
westgerm. gewesen ist. Darnach wird man dann wohl auch die 
niederdeutschen tymbron: fabros Wadstein 68,4 themo timmeron 41,17 
(Gallée, Vorstudien zu einem andd. Wb. 322) zu beurteilen ge- 
neigt sein, falls man nicht vorzieht eine Bildungsdoppelheit wie 
bei got. waurstwja : waurstwa zu postulieren. W. Sch. 


142 F. Specht 


Wurzelinfigierungen. 
Wer die Verse o 195f. 
60s dë wot, Ei moti rot OdNAAOY TET MEVOY EOTLY, 
e oxnointEecd (ar), 
und e 201 ff. 
ô d ès nödıv yev dvaxta 
mtw Aevyakéw évadlynioy È YyEgovtı, 

Ä OXNITOMEVOY. 
hintereinander liest, kann nicht darüber im Zweifel sein, daß die 
ähnlich klingenden Wörter oxneintouaı und oxýztoua:i sich dem 
Sinne nach völlig decken. Sie sind aber auch etymologisch 
identisch. Denn oxneintouaı läßt sich als oxn-gi-ntoua: analy- 
sieren, d. h. die Wurzel ong ist durch ein infigiertes ri (ri?) 
gesprengt worden. Genau die gleiche Bildung liegt auch in oxe- 
eipdodaı, oxagipediery, dem Substantiv oxdgigos: §éots, year, 
uiunoıs dxgıußns tónov Hes., lat. scribo vor. Es läßt sich wieder 
in oxa-gi-päodaı, sc-ri-bo zerlegen und ist Infigierung der in 
oxdrıto') oder lat. scabo vorliegenden Wurzel. Da in oxdnıw der 
Wurzelauslaut zwischen p und bh zu schwanken scheint”), so 
gehören ferner lett. sk-ri-pdt „einritzen, schrammen“ und an. 
h-ri-fa*) „kratzen, scharren, greifen“ hierher‘). | 

Mit oxyjntw ist ferner teilweise gleichbedeutend’) oxnvintw 
in dveoxjvipe (Nikander) ,zerschmetterte“, dıaoxnviwaı‘ dtaqo- 
ojoaı, diaoneiou; dieoxnvipdn dë Öreowuariodn Hes. und viel- 
leicht Zoxnvupe, wie M. Schmidt im Hesych für &oxevupe‘ dré - 
pHeige, dteoxédacey schreiben will, vgl. Debrunner, IF. XXI 212. 
Daneben steht eine ähnlich lautende und, wie ich glaube, etymo- 
logisch verwandte Bildung oxvinzew' vVooeıv, xarvotoueiv Hes.; 
dnooxvlyngs' oxeddons, xoovons Hes.; xvıneiv‘ oeleıv, Zoe Hes. 
(Debrunner a. a. O. 210). Auch oxyvintw ließe sich leicht wie 
oxnointoua als Infigierung oxn-vi-ntw deuten. Das Interpreta- 
ment &Veıw bei xvıneiv macht weiter eine Analyse ox-vi-nteıv, 
x-vi-neiv zu griech. (o)xan- in oxdnerog, xdnetos möglich. Dann 


1) Vgl. Hesych oxagıpaodaı' Zeg, oxdnrerr, yodpeıv, Sev xal 6 (a) xdoupos. 

2) Die Literatur darüber bei Walde-Pokorny II 559 ff. 

3) yorpaoFas’ yedpery, of dë Every nal 4udooew Hes., das nach dem Ge- 
währsmann des Eusthatios 1926, 57 den Adxwves zugeschrieben wird, kann nur 
eine Kontamination von yodpsıv und oxagıpäodaı sein. 

*) Das Wort ist dann in die Ablautsklasse der ersten Reihe Genk 
nachdem germ. ej zu 3 geworden war. Vgl. got. speiwan oder an. gina 
„gähnen“ (W. Schulze, ob. XXVII 425). | 

5) Vgl. dazu Solmsen, Beitr. zur griech. Wortforsch. 206 ff. 


Wurzelinfigierungen. 143 


würde das Verhältnis von oxn-vi-nıw zu ox-vi-ntw Ähnlich sein 
wie das zwischen oxa-gi-p&odaı und lat. sc-ri-bo. Jedenfalls ließe 
sich auf diese Weise ein Präsensinfix ni gewinnen, das bereits 
W. Schulze, ob. LVI 124 in lit. k-ni-sti zu kästi vermutet hat. 

Da Hesych schließlich ein oxaopdoda:: oxeddvyvada: kennt, 
dessen Interpretament sich mit dem von oxnvintw deckt, und 
bei diesen ähnlich lautenden Wurzeln, wie bereits oben bemerkt 
ist, der Wurzelauslaut zwischen p und bh schwankt, so wird man 
auch dieses als oxa-0-gdoda: mit Schwund des infigierten Vokals 
deuten müssen. 

Auch zd-gi-xos und za-g-xveıw könnten hierher gehören. Dazu 
führt Bechtel, Les, 309 noch an die Hesychglossen zagxdvıov 
Evrdgyıov, téoyven’ .... évtdgia, torydoar' Fdwat. Sie müssen 
demnach gleichfalls als ra-g-xdvıov, té-ọ-yvea und T-gi-Xwoaı 
analysiert werden. Das ergibt vom griechischen Standpunkt aus 
eine Wurzel tey- mit infigiertem or. Vor r hat das unbetonte 
e zu ər geschwächt werden müssen, das griechisch regelmäßig 
ta-ọi-%- oder a-g-xy- ergab. Das Verhältnis von zagıyedcıw zu 
roıxöoaı entspricht wieder dem von oxagıpdodeı zu scribo. 

Ich bin mir der Unsicherheit solcher Analysen wohl bewußt, 
aber ich glaube trotzdem, daß die bisher über oxnointouaı, oxa- 
eıpäodeı, lat. scribo u. a. vorgetragenen Etymologien mit ihren 
angeblichen Wurzelerweiterungen, weswegen ich auf die üblichen 
Handbücher und Glo. XIII 274 verweise, weit unwahrscheinlicher 
sind. Wurzelinfigierungen hat man seit de Saussure in der Regel 
nur bei -n(e)- angenommen. H. Schröder hat dann allerdings in 
seinen „Streckformen“ dieses Prinzip im weitesten Sinne für das 
Deutsche durchführen wollen. Aber von seinem Material, das 
außerdem sehr jung ist, hat nur wenig der Kritik Stand gehalten. 
Vgl. zuletzt darüber Steinger, PBrB. LIII 307ff., wo auch die 
sonstige Literatur darüber verzeichnet ist. 

Für das Griechische hat Bechtel, Hermes LV 99 nach dem 
Vorgang Ficks’) auf ein infigiertes -x-Element hingewiesen, das 
sich in guo-xo-ọôoŭv: ré oxnuatilecdar tas yuvaixas Hes., Zud- 
x0-000g neben ouogdoöv: ovvovaordley Hes., dona-xd-Cowar neben 
dondlouc, uvrri-nd-Lew‘?) otévery neben muttdgaca: otevdgaca, 
den lakon. Eigennamen "Jet dx on, “Anedd-dx-wv, Asıv-dx-wv, 
Hééau-du-wv, Hev-du-wv, Ilao-dx-wv, Tew-du-wv, Dil-dx-wv 

1) G.G.A 1881, 443. Bechtels Analysen von zaddoow, teonailfouaı u. a., 


Lexil. 267, 318 sind mir nicht wahrscheinlich. 
2) So schreibt Bechtel vielleicht mit Recht fiir überliefertes wvrınmaßeıv. 


144 _  Lückenbüßer. 


und eretr. AvriA-ax-os neben Avrikog (Bechtel, Hist. Personennam. 
60) findet. Er will in diesem x Infix kosenden Sinn erkennen. 
Diesen Wurzelinfigierungen füge ich aus Hesych zwei weitre 
Beispiele mit einem -Element hinzu: oxöpos neben oxv-Eı-pov' 
oxbpov und dıxdLerar") neben di-Sı-xdberar: dindberan, orooßeitaı. 
Namentlich Steinger a. a. O. 385ff. hat gezeigt, daß die soge- 
nannten Streckformen in den deutschen Mundarten sehr jung 
sind und gewissen Bedeutungsgruppen angehören. Das läßt sich 
für die griech. Beispiele nicht erweisen. Die Gleichungen oxa- 
oıpdouaı, scribo und oxintoucı, oxnvinto im Verein mit lit. kästi, 
knisti rücken gewisse Infigierungen sogar in die idg. Urzeit hinauf. 
Vielleicht hat man darnach auch ein Recht, die homerischen 
reduplizierten Aoriste jovxaxe, hvinane und ai. Aoriste wie arpipat 
als jov-xa-xe, Nvi-na-ne und ar-pi-pat”) zu analysieren. Zu den 
andern ai. Aoristen, die nur die Grammatiker anführen, wie ärji- 
ham zu arh oder Desiderativen, wie arjihisa zu arh*), wage ich 
keine Stellung zu nehmen, Wohl aber könnte man noch an 
Präsensreduplikationen des Griechischen, wie ö6-vi-vnu und d-te- 
tw erinnern, obwohl sie etymologisch nicht ganz klar sind. 
Dagegen gehören sicher nicht hierher die von Aufrecht, Z. d. 
Morg. Ges. XXXIV 175f. ans Licht gezogenen Bildungen, wie 
paca-ka-ti „er kocht erbärmlich“ u.a. Vgl. darüber auch Solmsen, 
ob. XXXV 467f. Sie kommen in ihrer Bedeutung den sogenannten 
‘Streckformen Schröders sehr nahe und werden wie diese spite 
Entwicklungen sein. | 
Halle (Saale). | F. Specht. 


Lückenbüßer. 

Lat. coägulare coägulator coägulum werden in der späteren 
Sprache zu quagulare quagulator quagulum. Diese silbenärmeren 
Formen leben nicht nur im Romanischen fort, sondern sind auch 
ins Deutsche eingedrungen: gequahlit in den altniederfr. Psalmen 
67,17. Die glossae Lipsienses schreiben dafür 321 gequalhit (354 
geuuallit?). In van Heltens Ausgabe wird dazu S. V aus dem 
Altniederd. quagul Wadstein 89, 20, aus dem Mittelniederd. quagel, 
aus dem Mittelengl. quail zitiert. W. Sch. 


1) Ggiergt ` dınvds wie muudler: nunvds. | 

2) Anders darüber Bartholomae bei Güntert, IF. XXX 129f. 

*) Vgl. das Material bei Whitney, Sanskr. Gram.? 310, 3 862 und 373, 
§ 1029c. | 


F R = ty Ly Le? 
D 


Zettidrtdt fur 


vergleichende 
Sprahforfhung 


auf dem Gebiete der 


imdogermanifchen Sprachen 


BEGRÜNDET VON A.KUHN 


NEUE FOLGE / VEREINIGT MIT DEN 
BeiträgenzurKunde ` 
dev indogermanifchen Sprachen 


BEGRÜNDET VON A.BEZZENBERGER 


HERAUSGEGEBEN VON 
WILHELM SCHULZE UND HANNS CERTEL 


| 61. BAND 
| 3./4. HEFT | 


yy 
AYY Si 


Kl 


"dom Singen Bandenboe up 


Inhalt. DS 


H.Grewolds, Die gotischen Komposita in ihrem Verhältnis zu denen der griechi- 
schen Vorlage (s. o LX1). Zweites Kapitel. Die Nominalkomposita selbst. 
I. Komposita mit unselbständigem Verbalnomen als Hinterglied. 1. Nomina 
agentis. 2. Adjektiva. 3. Abstrakta. II. Tatpurusas. 1. Tatpurusas mit 
Substantiv als Schlußglied. 2. Tatpurusas mit Adjektiv als Schlußglied. 
III. Bahuvrihis. 1. Babuvrihis mit dem Privativpräfix als Vorderglied. 
2. Die übrigen Bahuvrihiformationen. Zusammenfassung der Ergebnisse 145 
V. Pisani, Armeniaca. I. ołj „gesund“. II. k*aler „süß“. III. ambost „wider- 
spenstig“. IV. erkayn „lang“. V. erku „zwei“. VI. boyn „Nest“; bun 
„Stamm“. VII. aheak „link“. VIII. -c des Gen. Pl. IX. sartnum „über- 
drüssig werden: . . Sdn ee. Dee ` 
J. Wackernagel. Indoiranica. 11. ai. , avatká-. 12. kalyäna-. 13. ai. grigmä-. 
14. ai. Savati. 15. ai. sevate. 16. ai. ican 18. jAw. aiwistar-. 19. gAw. 


darasat. 20. ap. ucasma. . . SNe A ac Ain, N he eg ee 
F. Specht, Lit. zmuo . . PERNE RE 
E. Hofmann, Impersonale mit Instrumental im Russischen te ee A 
O. Grünenthal, Nochmals die „Eltern“. . . 221 
E. Schwyzer, Dissimilatorische Geminatenauflésung als Folge von Übersteige- 

rung, zunächst im Neugriechischen und im CENETA EEE - : : 
W. Wissmann, Zum Keronischen Glossar . . . a Ehe BR 
R. Thurneysen, Nachträge und Berichtigungen zu ‘KZ. LIX ff. . eas Oe, eg ae 
— Elementa . . cn SE 
W. Schulze, Zu den griechischen Verbalabstrakten fhb te A ale 3° Se 
E. Fraenkel, Zu litauischen Mundarten. . . na Ber ar a, ee 
— Zur Vermischung der -d- und -«-Stämme im Baltischen Së ea e i 
F. Specht, Griechische Miscellen. 1. Kyren. garen 2. gapda». 3. nagvý- 

uara und Verwandtes. 4. neiavos . . EEEE y i 
F. Mezger, Ah. galstar — ae. gealdor; ahd. lastar — ae. leahtor . . 289 
W. Schulze, Lesefriichte. Lückenbüßer. Zur Blattfüllung 136. 141. 144. . 189 
E. Hofmann, Sachregister. Wortregister zum 61. Bande. . . 291 
E. Schwyzer, Wilhelm Schulze zum ee TERROR am a 15. Dez. 1933 III 


Jahres-Titel und Jahres-Inhalt. . . . . . I und VIII 
Preis des Doppelheftes | in der Reihe 8 RM.. einzeln 10 RM. å 


Beiträge, die allgemein sprachwissenschaftliche Fragen behandeln, oder die sich 
auf die asiatischen Indogermanen beziehen, wolle man an Prof. Dr. Hanns Oertel, 
München 27, Pienzenauerstr. 36, solche, die den indogermanischen Sprachen Europas 
gewidmet sind, an Prof. Dr. W. Schulze, verzogen nach Berlin-Wilmersdorf, Helmstedter- 
Straße 8, pt., senden. 

Besprechungen können nur solchen Werken zugesichert werden, welche ein 
Herausgeber erbittet. 


Dr. Leo Weisgerber, o. Prof. an der Univerfität Noftod 


Mutter(prahe und Geiftesbildung 


1929. 6, 1706. 8°. 5,95 RNM., gh 7,20 RM. 
Der Audlandödeutfche, 1930, 10: „XZroß ihrer ungeheuren Bedeutung für unfer 
efamtes Dafein ift die Sprache als Gefamterfheinung in allen ihren äußeren 
` Sieg nod) wenig erfaßt. Eine einheitlihe Darftellung unter Heraushebung 
der entfcheidenden Puntte ift das Verdienft diefes aud allgemein verftandliden 
Buches. Seine befondere Bedeutung aber liegt in der Behandlung ber Mutters 
fprache al befonderer First ber Sprache als deg gemeinfamen Kultur- 
befiges eines Dolkes . 
Sociologué. VIII, 3: Das it das Bud, das blibartig die Lage der 
Spradwiffenfdaft beleuchtet. €8 verlangt Abkehr vom Pfydologismus und 
iftorismus und Hinwendung zur Sprade als fymbolifhe Erkenntnisform, als 
ulturgut und Befiß einer Gemeinfhaft... Das methodifde Inftrument der Frage: 
ftellung ift bie wiederholte SCH nad) der “Seiftung der Sprache . . . Weisgerbers 
Bud) kann, indem es die Spradgrenjen objeftiver Erkenntnis zeigt, gum Vade: 
metum für die geifteswiffenfhaftlihe Forfhung werden.“ 


Verlag von Vandenhoed & Rupredt in Gottingen 


we ct ie MH 


Die gotischen Komposita in ihrem Verhältnis zu denen 


der griechischen Vorlage. 
(S. o. LX 1.) 


Zweites Kapitel. Die Nominalkomposita selbst. 

Die Nominalkomposita, wie sie den zuvor betrachteten Ab- 
leitungen zugrunde liegen, zerfallen in drei Unterarten: I. Kom- 
posita mit unselbständigem Verbalnomen als Hinterglied, II. Tat- 
purugas, III. Bahuvrihis. Wir beginnen mit der Behandlung der 
ersten Gruppe, die wir ihrerseits wieder nach dem besonderen 
Charakter der Schlußglieder in drei Klassen zerlegen: 1. Nomina 
agentis, 2. Adjektiva, 3. Abstrakta. | 


I. Komposita mit unselbständigem Verbalnomen als Hinterglied. 


1. Nomina agentis. 

Das Griechische leitet in den Komposita dieser Art, ent- 
sprechend den o. LX 32 behandelten Nomina, das Schlußglied 
unmittelbar vom Verbalstamm ab. Als Suffixe dienen o-, ä-, tā-: 

0- advdownoxtd6vos patato- wevdo-Adyos xdnoo- olxo-vóuos xa- 
Ootd dvögopdvos yewoyds Acırovoyds sowie mit verändertem 
Akzent xax- nav-oöoyos und Pvg- rvå-wọőç. 

d unte- narg-algns poevandtns eidwihoddtons ted@vns. 

Die Zusammenbildungen mit dozen haben beide Suffixe 
gleichwertig nebeneinander: &xardvr- xıll-apyos, ðv- éxatort- 


_ TETE-ŘEXNS ’). 


ta- moeoBdtns") mAeovéztns peoitns(?) abrönıng olvonórnys*). 

Das Gotische dagegen bildet auch in dieser Gruppe (vgl. o. 
LX 32f.) die Nomina agentis in der Regel im Anschluß an ein 
Verbalnomen, und zwar mittels der Suffixe ja- und jan-: 

ja- gudblostreis (vgl. ahd: bluostar) silbasiuneis* (zu siuns) ubil- 
tojis (zu taui). 

. jan- waidedja (vgl. wailadeþs) weindrugkja (vgl. aisl. drykkr, 
ae. drync, mnd. drunk, ahd. trunch)*) dulgahaitja (vgl. anda- bi- 

1) Blaß-Debrunner, Gramm. d. nt. Gr.* § 50. 

3) Vgl. auch zo&oßvs bzw. npsoßürepog S. 147. 

3) xoonoxedtwe und zavtoxedtwe sind hier nicht berücksichtigt, da es 
Bahuvribis zu sein scheinen; Ernst Fraenkel, o. XLII 116ff. 

*) Uber afdrugkja s. o LX 33. 

Zeitschrift für vergl. Spracht. LXI 3/4. 10 


146 Heinrich Grewolds 


ga-hait)') manamaurprja (zu maurbr). Das letzte Beispiel ist aber 
insofern zweifelhaft, als es nach Ausweis von ae. myrdra, ahd. 
murdreo auch einfach als Tatpurusa aufgefaßt werden kann. 

Komposita, deren Hinterglied wie im Griechischen unmittelbar 
auf einen Verbalstamm zu beziehen ist, begegnen nur ganz ver- 
einzelt: arbinumja und wahrscheinlich auch witodafasteis”). 

Auffällig ist, daß der im Germanischen sonst so häufige Typus 
des aisl. Zinglogi, ae. werloga, as. wärlogo, ahd. muntporo*) im Go- 
tischen durch kein einziges Beispiel vertreten ist. Die beiden 
einzigen zweigliedrigen Nomina agentis des Gotischen auf an-, 
fauragagga* und ufarswara*, stehen neben komponierten Verben 
(s. o. LX 33). 

Lebendiger noch als die obigen Aufstellungen veranschau- 
lichen auch hier die in unseren Bibeltexten mehrfach auftretenden 
Kreuzungen der -beiden Reihen den morphologischen Unterschied 
zwischen den verglichenen Spraehen. Es entsprechen sich: xaxo- 
mods, xaxoveyos: ubiltojis Joh. 18,30, 2. Tim. 2,9, adtéatys: silba- 
siuneis* Lk. 1,2, olvondıns‘ weindrugkja Lk. 7,34 (daneben af- 
druykja Mth. 11,19); hierher vielleicht auch dvd ogwnoxt6vog‘ mana- 
maurprja Joh. 8,44. Das gleiche Bildungsprinzip auf beiden Seiten 
findet sich dagegen nur in der Gleichung xAnoovduos: arbinumja 
Lk. 20, 14; Mk. 12,7; Gal. 4,1 (neben arbja. Gal. 3,29; 4, 7). 


2. Adjektiva. 

Beide Sprachen bilden tibereinstimmend mittels o- adjektivische 
Hinterglieder aus Verbalstämmen. 

Aus der griechischen Vorlage sind zu verzeichnen: @yvagos 
yetodyeagoy (subst. Adjektiv) ovvegyds yAwoodxouov (? Subst.) uo- 
yıldlos xeluappos‘) drouos; möglicherweise auch oxvdewnds und 
rodownov (Subst.); jedoch können die beiden letzteren ebensogut 
Bahuvrihis sein. Dazu mit suffixal gebrauchtem Hinterglied &- 
Teroa-nloüg”). 

Im Gotischen finden sich: heilabairbs lubjaleis und *filudeis 
(zu erschließen aus filudeisei, o. LX 40). Ferner ähnlich wie in 
griech. å- teroa-nAoös suffixal gebrauchtes -fals in ain- fidur- 
manag- taihuntaihund-falbs und -wairds in ana- and- jaind- wipra- 

1) Uber Bihaitja s. o LX 33. 

2) Wilmanns, DG. II? § 185. 

3) Sütterlin, Gesch. d Num. ag. S. 200 


4) = yetudeeoos. 
5) Neben ihnen mit suffixaler Erweiterung éxacovranAaolwy und nodda- 
siaolav. 


Die gotischen Komposita in ihrem Verhältnis zu denen der griech. Vorlage 147 


wairps; dazu *framwairps (zu erschließen aus dem adverbiellen 
Genetiv(?) oder Komparativ framwairpis’)*)). cae 2 

Das Griechische verwendet darüber hinaus noch eine Reihe 
primärer, meist oxytonierter es-Stämme als adjektivische Hinter- 
glieder °): adtdoxys vovvexns cùkaßńs dAndns dopalins nooopLins‘). 

Isoliert steht die hier einzuordnende Wurzelbildung re&oßvs 
(in unserem Textstück nur im Komparativ ngeoßöreogog bezeugt)’) 
und das Adverbium dre£, in dem ein ti-Stamm zu stecken scheint 
(<< *dnantj-)°). 

Das Gotische bietet außer den verzeichneten o-Stämmen nur 
wenig Hierhergehirendes. So den komponierten i-Stamm *bal- 
wawes (zu erschließen aus balwawesei, s. o. LX 40) und vielleicht 
auch das morphologisch gleichwertige ungebs sowie unandsoks’); 
jedoch sind die beiden letzteren vielleicht regelrechte Tatpurusas, 
deren Schlußglied nur zufällig als Simplex fehlt. Vgl. hierzu 
auch o. LX 30. Ein jan-Stamm endlich liegt vor in dem singu- 
lären swultawairbja (mit zu ergänzendem was): fjpeddev teievrdv 
Lk. 7,2. | 

3. Abstrakta. 

Daneben verfügt das Gotische auch über einige Komposita 
mit auf die Hintergliedstellung beschränkten Verbalabstrakten. 
Fast ausschließlich sind es ti-Bildungen, die ja auch sonst (s. o. 
LX 23f.) die Zusammensetzung bevorzugen *): alabrunsts missa- 
sama- piupi-qiss manaseps twisstass (? s. o. LX 7); hierher auch 
missadebs und *waideps (zu erschließen aus waidedja). Dazu 
kommen die morphologisch gleichwertigen Abstraktableitungen von 
trennbaren Verbalkomposita: framgahts (vgl. iddja fram Lk. 19, 28) 
innatgahts (von inn atgaggan, o. LX 17). Schließlich sind noch 
mailadeps‘ ebegyecia 1. Tim. 6,2 und wailagiss: eöloyia 2. Kor. 9,5 
zu erwähnen, die als Abstrakta zu waila taujan: ed noriv Mk. 14,7, 
xad@s nowy Mth. 5,44; Lk. 6,27, xalonoıeiv 2. Thess. 3, 13 und 
waila qipan: xadds size Lk. 6,26 fungieren. 


1) Streitberg, Elementarbuch® 8 191, 1 B2 Anm. 2. 

23) Über swultawairbja s. weiter unten. 

5) Freilich lassen sich einige der folgenden Komposita auch als Bahuvrihis 
von es-Abstrakta verstehen; so z. B. aözdoxns und &dAndije. 

t) Etymologisch undurchsichtig ist dxgußns. 

5) Uber die Etymologie von ze&oßvs s. Boisacq, Dict. étym. s. v. 

D W. Schulze, o. XXXIII 395 Anm. 1. 

7) Von nicht sicher erkennbarer Stammgestalt, da nur der Akk. Sing. Neutr. 
unandsok Skeir. VI 13 nachweisbar ist. 

D Vgl. auch Wackernagel, Berliner Sitzb. 1918, S. 380ff. 

10* 


148 Heinrich Grewolds 


Abweichende Stammbildung mittels ni- findet sich nur in 
wailawizns (zu waila wisan). — gilstrameleins hlebrastakeins midja- 
sweipains dagegen wird man, obgleich die Abstrakta nur als Hinter- 
glieder bezeugt sind, im Hinblick auf die Analogie von fraßja- 
marzeins: marzeins als reine Tatpurugas auffassen müssen (s. unten 
S. 150). 

Im Griechischen fehlt der Kompositionstypus mit unselbstän- 
digem Verbalabstraktum als Hinterglied gänzlich. 


II. Tatpurugas. 

Von den Tatpurusas besprechen wir zunächst diejenigen mit 
einem Substantiv als Hinterglied. Im zweiten Abschnitt folgen 
sodann diejenigen mit adjektivischem Schlußglied, in die auch 
hier wieder die Partizipia einbezogen werden. 


1. Tatpurusas mit Substantiv als Schlußglied. 

Aus den Belegen des griechischen Textstücks lassen sich 
kaum mehr als zwei Gruppen aussondern: 

1. Komposita mit wevöo- als Vorderglied zur Bezeichnung 
des Simulanten — wevdddeldpos wevdandorolog wevöoudervg pevdo- 
MOOPHTNS WwEvööxgLoTosS. 

2. Komposita mit ovv- als erstem Glied zur Bezeichnung der 
soziierten Person — odvdovdosg ov&nınınz ovyxAnoovduos ovuuadn- 
TÚS Ovumuntng ovumoditns ovotactactis OCVOTEATLÓTNS OvupvÄeıns; 
allein, bei der Beurteilung der Komposita dieser Gruppe ist zu 
berücksichtigen, daß sie — mit Ausnahme von ovugvilıns — 
insgesamt entsprechende Verbalkomposita zur Seite haben, auf 
die sie sich unbedenklich als Ableitungen oder Rückbildungen be- 
ziehen lassen, und daß sie deshalb keine vollwertigen Belege für 
selbständige Komposition darstellen, so daß von ihnen allen nur 
ovugudétns als zweifelfreies Tatpurusa gelten kann. 

Im übrigen finden sich nur ganz wenige Tatpurusas mit sub- 
stantivischem Hinterglied: mit Substantiv als Vorderglied — xo- 
vıoorös vouodıddoralog olnodeondıng xoeopeilkıng '); dazu die vor- 
historischen Komposita deomdétys*) und xgdoredov”); mit präposi- 
tionalem Vorderglied — rg00dßßarov ünnoeıns‘). 


1) = yoewperrétys. *) Zur Etymologie s. Boisacq, Dict. SS 8. V. 

3) Zur Etymologie s. Joh. Schmidt, Neutra S. 365. 

*) Bezüglich der Kompositionsart s. Schulze, Qu. ep. p. 161 not. 2. — dei, 
Avıoov, erst nachchristlich bezeugt, scheint eine Riickbildung von dvzıAvrooör 
(seit Aristoteles) zu sein, das seinerseits Kompositum von dem auf Adzoo» (seit 
Äschylus) fußenden Avzgody (seit Plato) ist. 


Die gotischen Komposita in ihrem Verhältnis zu denen der griech. Vorlage 149 


Zu den angeführten Komposita, in denen die als zweite Kom- 
positionsglieder fungierenden Nomina ihre ursprüngliche Stamm- 
form unverändert bewahren, kommen noch einige Tatpurusas 
hinzu, bei denen die Komposition eine Stammerweiterung oder 
einen Genuswechsel des Hintergliedes zur Folge hat: dygrédatos, 
xarkıelaros ` éhaia, vovunvia ` unv, dvrucda ` uiodös, oúooņuor : 
oNua, UEOÓTOLXOV ` toixoS, TTEEIXWOOS ` ywoa. 

Gegenüber dieser Spärlichkeit, die das Griechische in der 
Anwendung von Tatpurusas mit substantivischem Hinterglied 
kennzeichnet, tritt uns im Gotischen ein Befund von größter 
Reichhaltigkeit entgegen. Besonders zahlreich ist hier der Kom- 
positionstypus mit substantivischem Vorderglied vertreten. Da- 
neben erscheinen nominale und pronominale Adjektiva sowie Ad- 
verbia, Präpositionen und Präfixe als erstes Kompositionsglied. 
Der Bestand umfaßt folgende Belege: 

1. Mit Substantiv als Vorderglied — und zwar sind 

a) beide Kompositionsglieder auch selbständig als Simplizia 
bezeugt: alewabagms”) augadauro eisarnabandi*) faihugawaurki’) 
figgragulb fotubandi*) frastisibja frabjamarzeins gabaurpiwaurd ga- 
liugaapaustaulus galiugabrobar galiugagup galiugapraufetus*’) ga- 
liugaweitwods galiugaxristus hunslastaps®) Iuduialund kaisaragild 
liugnapraufetus* matibalgs motastaps nahtamats’) naudibandi naudi- 
baurfts siyislaun smakkabagms stauastols biumagus wadjabokos”*) 
waihstastains waurdajiuka weinagards”) weinatains weinatriu'”) wito- 
dalaisareis; 

b) von den beiden Kompositionsgliedern ist nur das Schluß- 
glied als selbständiges Simplex bezeugt für: aurtigards (vgl. aurtja) 
bairabagms drauhtiwitob (vgl. gadrauhts) frabauhtaboka (Urk. v. 
Arezzo, vgl. anda- faur-bauhts, o. LX 22) Gutpiuda (Kal.)'’) heiwa- 
frauja marisaiws (vgl. marei)™) peikabagms buthaurn undaurnimats; 
8 1) S. auch smakkabagms (weiter unten) sowie baira- peika-bagms (unter b). 

2) Dazu fotu- naudi-bandi (weiter unten). 

3) Vgl. auch fathugeiro, faihupraihn* (unter c). 

*) Außerdem fotubaurd (unter c). 

5) Daneben liugnupraufetus* (weiter unten). 

6) Vgl. motastaps (weiter unten). 

7) Daneben undaurnimats (unter b). 

8) Außerdem frabauhtaboka (unter b). 

*) Vgl. auch aurtigards (unter b) und midjungards (im Folgenden unter 2a). 

10) Dazu weinabasi (unter c). 

1) Vgl. unbiuda (im Folgenden unter 3). 

13) Über das Verhältnis des i-Stammes von mari- zum ein-Stamm von 
marei s. Joh. Schmidt, Neutra S. 45f. 


150 Heinrich Grewolds 


c) nur das Vorderglied ist als selbständiges Simplex belegt bei: 
asilugnirnus broßrulubo brubfaps*) daurawards (-a, -o F, vgl. wardja) 
faihugeiro faihupraihna (Dat. Sing. Lk. 16,9.11.13 [Mth. 6, 24 Rand- 
glosse]) fotubaurd gardawaldands (vgl. waldan, gawaldan)*) *gardi/a- 
waddjus (zu erschließen aus midgardiwaddjus [mibgardawaddjus])”) 
gilstrameleins (vgl. meljan) gudaskaunei (vgl. skauns*) gudhus hle- 
brastakeins (vgl. staks) hundafaps launawargs (vgl. wargiba, gawarg- 
jan) sunagogafabs busundifabs weinabasi; hierher gehören ferner 
balsagga: tedyndos Mk. 9,42, das nach allgemeiner Ansicht für 
*halsagga verschrieben ist, und vielleicht auch (af) wigadeinom: 
(and) veıB6Awv Mth. 7,16; isoliert steht das Juxtapositum Baunge- 
waddjus Rn: 

d) beide Kompositionsglieder fehlen im Gotischen als selb- 
ständige Simplizia bei: grunduwaddjus M hraiwadubo manamaurprja 
(vgl. manna’) und maurpr, maurfrjan, s. auch oben S. 146) skau- 
daraip (Akk. Sing. Lk. 3,16; Mk. 1,7; Skeir. III 26) winbiskauro °); 
unklar sind kunawidom (Dat. Plur.) ‘@Avdosı nur Eph. 6, 20 (vgl. ahd. 
cuoniouuidi 1. Merseb. Zauberspr.) und manaulja (Dat. Sing.) org: 
vate nur Phil. 2,8 (vgl. aisl. manneli À „wretch“). — Über Zrutsfill 
s. unten S. 175 Anm. 3. 

Eine kleine Gruppe für sich bilden die komponierten Ab- 

strakta: frabjamarzeins (s. unter ia) gilstrameleins (s. unter Ic) 
hlebrastakeins (s. unter 1c) nebst den unter 2c und 3 SSES 
nenden midjasweipains und aftraanastodeins. 

2. Mit nominalem oder pronominalem Adjektiv als Vorderglied: 

a) (beide Glieder sind auch als Simplizia bezeugt) ainabaur 
(nur Skeir. V 21) frumabaur midjungards; 

b) (nur das Schlußglied begegnet auch als Simplex) alaman- 
nam") (Dat. Plur. Skeir. VIII 11/12) gistradayis (Adv.)°); 

c) (nur das Vorderglied erscheint auch als Simplex) allwal- 
dands (vgl. waldan, gawaldun) midjasweipains; 

1) Vgl. hunda- swnagoga- busundi-fahs (weiter unten). 

_ `) Zudem unregelmäßigen Fugenvokal vgl. mipyardawaddjus Eph.2,14B. — 
Über alwaldands s. das Folgende unter 2c. 

3) Ferner grunduwaddjus (unter d) und midgardiwaddjus (im Folgenden 
unter 3). Abseits steht daurgswaddjus (weiter unten). 

*) Wrede!‘ § 87 Anm. 

5) Über mana- in seinem Verhältnis zu manna s. J. Schmidt, 0. XXXII 
253 Anm. 1. 

D Die grammatische Registrierung des Stammes winpja- (vgl. diswinbjan: 
Amuäv nur Lk. 20,18) ist zweifelhaft; Wilmanns, DG. II? § 403, 1. 

?) ala- : alls ~ mana- ` manna. 8) Vgl. afardags (unter 3). 


Die gotischen Komposita in ihrem Verhältnis zu denen der griech. Vorlage 151 


d) (beide Glieder fehlen als Simplizia) awiliup (vgl. liubareis 
und Ziußon). — Uber sildaleik s. unten S. 174 Anm. 2. 

_. 8. Mit Adverbium, Präposition oder Präfix als Vorderglied'): 
afurdags afarsabbate (Gen. Plur. nur Mk. 16, 2) aftraanastodeins (nur 
Skeir. I 22) anamahts*) gaarbja gabaurgja gajuk* ganibjis ga- 
waurstwa midgardiwaddjus (mibgardawaddjus)*) ufargudja*) unbiup 
unpiuda’); ihnen folgt die sich deutlich abhebende Gruppe der 
privativen Abstrakta: unbimait unfreideins (Simplex aus freidjan 
erschließbar) ungahobains ungalaubeins ungaraihtei unkaureins* 
(Simplex aus kaurjan erschließbar) unlustus unmahts. Über un- 
kunpi und unsuti* s. o LX 35. 

Neben den angeführten Belegen mit unverändertem Schluß- 
glied steht auch im Gotischen eine Reihe von Tatpurusas mit 
Stammvariation. Gewöhnlich handelt es sich hierbei um Erweite- 
rungen durch neutrales ja- und maskulinisches n-Suffix. 

1. ja-Erweiterungen®). Die Komposita weisen fast durchweg 
einen Wortstamm von adverbialer Bedeutung als Vorderglied auf: 
andalauni : laun, andawairßi : wairp* (nur Dat. Sing. -pa 1. Kor.7, 23 
und Akk. Sing. -p Urk. v. Neapel), andawaurdi : waurd, atapni* (nur 
Gen. Sing. -jis Joh. 18,13) : a5n* (nur Dat. Plur. -am Gal. 4, 10), 
faurafilli : *fill (vgl. filleins), gaskalki : skalks, ufarmeli : mela (Plur.); 
mit nominalem Vorderglied nur haimopli : germ. *obalaz. 

2. n-Erweiterungen °): aizasmifa ` aisl. smidr, ae. smid, afries. 
smith, ahd. smid, lukarnastapa ` stabs, manleika ` leik; vielleicht 
auch ibdalja* (nur Dat. Sing. -jin Lk. 19,37) : dals*. 

3. Beispiele fir Stammvariation durch andere Suffixe finden 
sich nur ganz vereinzelt: gaman (mit neutralem a-Suffix) : manna, 
Diudangardi (jo-Stamm) : gards, desgleichen usundi (jo-Stamm), 
wofern es aus */ushundi entstanden ist, : hund. 

Wie bei der großen Geläufigkeit der Substantiv-Tatpurusas 
im Gotischen zu erwarten, übersetzt Wulfila, von einigen Aus- 
nahmen abgesehen, die wenigen griechischen Bildungen dieser 
Art durch entsprechende einheimische Komposita. 


') Die Schlußglieder der folgenden Tatpurusas sind, soweit nichts anderes 
bemerkt wird, insgesamt auch als Simplizia bezeugt. 

D Vgl. unmahts (weiter unten). 

3) Uber das fehlende, aber erschließbare *gardila-waddjus s. o. unter Ic. 

t) Gehört auch das etymologisch unklare fauratani , Wunderzeichen“ hierher? 

5) Wortgeschichtlich dunkel ist das einmal — Tit. 1,12 — als Nom. Plur. 
bezeugte unbiarja‘ nola. 

*) Wilmanns, DG. II? § 189. 

7) Grimm, DG. II 529, 9; 640, 7 n. Abdr. 


152 Heinrich Grewolds 


1. Innerhalb der wevdo-Gruppe findet sich die Koinzidenz 
ausnahmslos: wevöddeipos‘ galiugabropar 2. Kor. 11,26; Gal. 2,4, 
wevdandotodos: galiugaapaustaulus 2. Kor. 11,13, wevdouderve' 
galiugaweitwods 1. Kor. 15,15"), wevdongopnins‘ galiugapraufetus* 
Lk. 6,26; Mk. 13, 22, liugnapraufetus* Mth. 7,15, pevddyororos: 
galiugazristus Mk. 13, 22. 

2. Von den ov»-Tatpurusas übersetzt Wulfila die folgenden 
durch gotische Parallelbildungen’): oúvôovůos: gaskalki Kol. 1,7; 
4,7, ovyxAnoovéuos: gaarbja Eph. 3,6, ovunoAlıns ` gabaurgja 
Eph. 2,19; vgl. auch ovumuntns‘ mißgaleikonds Phil. 3,17. Ab- 
weichungen; ovfntntyjs: sokareis 1. Kor. 1,20, ovuuadnıns, ov- 
atoatiwtns: gahlaiba Joh. 11,16, Phil. 2,25, vera ron ovotana- 
grou ` mip baim mip imma drobjandam Mk. 15,7, ovpgpudétngs: in- 
kunja* 1. Thess. 2, 14. 

3. Den übrigen griechischen Tatpurusas ohne Stammerweite- 
rung entsprechen gotischerseits in folgenden Fällen analoge Kom- 
posita: vouodıödoralog‘ witodalaisareis Lk. 5,17; 1. Tim. 1,7, oixode- 
onöıns‘ garduwaldands Mth.10, 25; Lk.14,21, heiwafrauja Mk. 14,14; 
vgl. auch yoeoperdétns: faihuskula Lk.16,5. Abweichungen: xov:0g- 
t6s° mulda Lk. 9,5, stubjus Lk. 10,11, yoeopedétns: dulgis skula 
Lk. 7,41, no00@ßßarov' fruma sabbato Mk. 15, 42, énnoétns: andbahts 
Mth. 5,25 und noch 13mal°). Daß die vorhistorischen Tatpurusas 
deondıns und xedonedov durch die Simplizia frauja Lk. 2, 29; 
1. Tim. 6, 1.2; 2. Tim. 2,21, fraujinonds Glosse zu Lk. 2,29 und 
skaut* (nur Dat. Sing. -a) Mth. 9,20; Lk. 8,44; Mk. 6,56 wieder- 
gegeben werden, dürfen wir kaum unter die Abweichungen buchen. 

4. Für die griechischen Tatpurusas mit Stammvariation end- 
lich gestaltet sich das Koinzidenzverhältnis folgendermaßen: d»- 
tuuıodia" andalauni 2.Kor. 6,13, peodtoryor’ midyardiwaddjus (A 
mibgardawaddjus B) Eph. 2,14. Abweichungen: dygédaros’ wilbeis 
alewabagms Rom. 11,17.24, xaddrédatos: gops alewabagms Röm.11,24, 
vovunvias (Gen. Sing.)‘ fullibe (Gen. Plur.) Kol. 2,16, odoonuov' 
bandwo Mk. 14,44, neglxwoos' gawi Mk. 6,55, gawi bisitande Lk. 
4,14, gaujans (Plur.) Lk. 3,3; 8,37%), bisitands (Plur.) Lk.7,17; 
Mk. 1,28, pata bisunjane land Lk. 4, 37. 


1) Vgl. auch wevdouaorvgeiv' galiugaweitwods wisan Lk.18,20; Mk. 10, 19. 

2) Der Vollständigkeit halber nehmen wir die ovv-Gruppe in unsere Über- 
sicht mit auf, obgleich sie, wie oben S. 148 bemerkt, als Zeugin für selbständige 
Komposition keineswegs vollgültig ist. 

3) Ausschließlich Skeir. VIII A 6 (= Joh. 7, 45. 46). 

14) Wörtlich: rav ré nANsos tis megıywoov' allai gaujans. 


Die gotischen Komposita in ihrem Verhältnis zu denen der griech. Vorlage 153 


Allein, die verzeichneten Koinzidenzfälle können naturgemäß 
nur einen geringen Teil des gotischerseits Vorhandenen aufnehmen, 
daja nach Ausweis unserer obigen Bestandsaufnahme das griechische 
Tatpurusamaterial dem gotischen zahlenmäßig unvergleichlich nach- 
steht. Es taucht deshalb die Frage auf, von welcher Art denn 
die vielen übrigen griechischen Wörter sind, die Wulfila für gut 
befindet, durch Tatpurusas zu übersetzen. Antwort darauf erteilt 
die folgende Übersicht: 

1. In einer Reihe von Fällen sind es abgeleitete Substantiva, 
deren spezifische Begriffsmodifikation Wulfila durch Tatpurusa- 
komposition wiedergibt: duneAov' weinagards Lk. 20,9 und noch 
10mal, weinatriwa (Plur.) 1.Kor. 9,7 (vgl. dunelos‘ weinatriu 
[unter 4]), B@oilsıov, Bacthela’ Biudangardi Lk.7,25, Mth. 5,19 und 
noch ca. 60mal') (vgl. Bactheds: Jiudans Mth. 5,35 o o [häufig]), 
daxtvdios figgragulb Lk.15,22 (vgl. ddxtvdos: figgrs Mk.7,33), 
haia: alewabagms Lk. 19,37; Rom. 11,17. 24 (vgl. ZAaiov: alew Lk. 
7,46; 16,6; Mk. 6,13), duels augadauro 2. Kor. 11,33 (vgl. dvea’ 
daur Joh. 10,1 u. ö., daurons [Plur.] Mth. 27,60 u. ö.), voaot- 
iov’ hunslastaps Mth. 5, 23. 24; Lk.1,11; 1. Kor. 10,18 (vgl. vola’ ` 
hunsl Mth. 9,13 u. 6.), Avyvia’ lukarnastaba Mth. 5,15; Lk. 8,16; 
Mk. 4, 21 (vgl. Adyvos: lukarn Mth. 6,22 u. ol, vvuplos, vupgar’ 
brußfaßs Mth. 9,15; Lk. 5, 34.35; Mk. 2,19. 20, Mth. 9,15; Lk. 
5,34; Mk. 2,19 (vgl. ogëugen: brußs Mth. 10,35), neön‘ fotubandi 
Lk. 8,29°) (vgl. nods fotus Mth. 5,35 u. 6. [häufig]), ot: smak- 
kabagms Mk. 11,13. 20. 21; 13,28°) (vgl. oxov’ smakka Mth.7,16 
u. ö.), teiwvıov‘ motastaps Lk. 5,27*) (vgl. teAw@vng‘ motareis Mth. 
5,47 u. 6. [häufig], télog: mota Röm. 13,7), yadueds* aizasmipa 
2. Tim. 4,14 (vgl. gaAxds‘ aiz Mk. 6,8); ähnlich dxgoywviaiog‘ au- 
humista waihstastains Eph. 2,20 (vgl. ywrla* waihsta Mth. 6,5 u. ö.); 
hierzu ferner xevtvoiwy (d. i. lat. centurio)’ hundafaps Mk. 15, 39. 
44.45°) (vgl. centum’ hund) und vielleicht auch (zò) rorfd/ion: 
(af) wigadeinom Mth.7,16 (vgl. zoißos‘ fehlt). 

2. An anderen Stellen dient das gotische Kompositum zur 
Übersetzung einer determinativen Wortgruppe der Vorlage: èm’ 
oùx &dver in unpiudom (!) Röm. 10,19, Joe uvåıxós: asilugairnus 


1) Außerdem faothela’ biudinassus Mth. 6,10 u. 6. 

2) Daneben zédac’ eisarna bi fotuns gabugana und bo ana fotum ei- 
sarna Mk. 5, 4. 

3) Uber smakkabagms' ovxopogata s. unten S. 174. 

4) Dazu ml tò reiwvıov' at motai Mth. 9,9; Mk. 2, 14. 

5) Über hundafaps’ &xatdvıapyos, éxatovtdexns 8. unter 3c. 


154 Heinrich Grewolds 


Mk. 9,42"), oop) Yeoö‘ gudaskaunei Phil. 2,6, 7 Iovdaia "deg: 
Judaialand Mk.1,5; ähnlich v tü ñs (sc. nueog)‘ in Damma 
afardaga Lk.7,11 (Lk. 9, 37). 

3. Ziemlich häufig liegen auf griechischer Seite ebenfalls 
zweigliedrige Wortformen vor; jedoch ist deren Bildungsweise 
anderer Art. 

a) Es sind Verbalabstrakta von komponierten Verben: dno- 
yoapn' güstrameleins Lk. 2,2, éntyoagy: ufarmeli Lk. 20,24; Mk. 
15,26°), dvranddooıs‘ andalauni Kol. 3, 24°), xataxivouds' midja- 
sweipains Lk.17,27, dadxorots’ andawaurdi Lk. 2,47; 20,26*); Joh. 
19,9; möglicherweise auch (noösg) ti xaraßdoeı' (at) ibdaljin Lk. 
19, 37. | 

b) Abstraktableitungen von Kompositis: Jo — dxgaola’ un- 
gahobains 1.Kor.7,5, dxooBvotia: faurafilli 1.Kor.7,18.19; Gal. 
2,7; 5,6; 6,15; Kol. 3,11, unbimait Kol. 2,13°), dvoula' ungaraihtei 
2. Kor. 6,14°), dasotia: ungalaubeins Mk. 6,6 und noch 4mal’), 
adgelia: unfreideins Kol. 2,23, yeveadoyla: gabaurbiwaurd 1.Tim. 
1,4, edyaoutia: awiliup 2. Kor. 4,15; 9,12; 1.Thess. 3,9; 1.Tim. 
2,1, awiliuda (Plur.) Eph. 5,4; Phil. 4,6; Kol. 4,2; 1.Tim. 4, 3. 4°), 
Aoyopayia: waurdajiuka 1.Tim. 6,4, nleove&ia‘ faihugeiro Kol. 3, 5°), 
oxnvonnyia: hlebrastakeins Joh.7, 2, viodecia: frastisibja Röm. 9,4*"), 
pıladeipia‘ broprulubo (bzw. bropralubo) Rom. 12,10; 1.Thess. 4, 9, 
pılaeyvoia' faihugeiro 1.Tim. 6,10; tea — dree: ungalaubeins 


1) Die befremdliche Übersetzung asiluguirnus für Aldog uvAınds (man er- 
wartet etwa *qairnustains) scheint nicht für diese Stelle geprägt zu sein; sie 
wird vielmehr aus der gotisch nicht mehr erhaltenen Parallelstelle Mth. 18, 6 
übertragen sein, wo sie zur Wiedergabe von wdAos RR diente (s. Streitberg, 
Glossar s. v.). 

3) Vgl. auch &rıygapn’ ufarmeleins Mk. 12, 16. 

3) Außerdem dient andalauni zur Wiedergabe von duoıpn (s. unter 4) 
und dvrıuıodia (s. oben S. 152). 

*) Javudoavres nl tH Anongloeı adrod' sildaleikjandans andawaurde 
(sic!) de Zur Schreibung e für / vgl. Streitberg, Elementarbuch *® § 22D. 

5) Vgl. dazu of Aeyduevor axgofvotia’ pai namnidans unbimaitanai 
Eph. 2, 11. 

6) Außerdem of égoyalduevor tiv dvoulav' jus waurkjandans unsibjona 
Mt.7, 23. 

?) Über ungalaubeins: anetSera s. weiter unten. 

8) 2, Kor. 9, 11 wird edyagıoıia als Fremdwort in der Übersetzung beibe- 
halten. Über awiliußb‘ xdeıs s. unter 4. 

°?) Daneben zdeovegta: bifaihons 2.Kor. 9,5, faihufrikei Mk.7,22; Eph. 
4,19; 5,3. Über faihugeiro‘ Yılapyvela s. weiter unten. 

10) An anderen Stellen gibt Wulfila viodeola durch Auflösung wieder; so 
Eph. 1,5 durch suniwe gadeps und Gal.4,5 durch suniwe sibja. 


Die gotischen Komposita in ihrem Verhältnis zu denen der griech. Vorlage 155 


Rom. 11,30 und noch 4mal, do9évera: unmahts Mth. 8, 17; 2. Kor. 
12,5; Gal. 4,13 Randglosse in A zu siukei’). 

| 0) Nomina agentis-Komposita mit unselbeliindigeni Hinter- 
glied: éxatéytagyos, éxatovtdoyns: hundafaps Mth. 8,5.8; 27,54; 
Lk.7,2.6, Mth. 8,13, yAlaezos: Dusundifaßs Joh. 18,12; Mk. 6, 21, 
manamaurprja* dvdewnoxtdvos Joh. 8,44, Iveweods, mvAwods: dau- 
rawards Joh. 10,3, Neh.7,1.45, 7 vgwods: daurawarda Joh. 18, 16, 
daurawardo Joh. 18,17; hieran seien zwei substantivierte Adjektiv- 
komposita mit unselbständigem Hinterglied angeschlossen: xeıod- 
yoapov' wadjabokos Kol. 2,14, ovvegyds: gawaurstwa 2. Kor. 1, 24; 
8, 23; Phil. 2,25; 4,3; Kol. 4,11°) und das deverbative Adjektiv 
uétoyos: gaman Lk. 5,7 °). 

d) Bahuvrihis: ovyyevng‘ ganifjis Lk. 1,58; 2,44; Mk. 6,4%), 
010 navroxodiwo' frauja allwaldands 2. Kor. 6,18, mewtdtoxos: 
Frumabaur Lk. 2,7; Kol. 1,15.18, önonddıov' fotubaurd Mth. 5, 35; 
Lk. 20, 43; Mk. 12,36; vgl. ferner doyegeds: ufargudja Mk. 10, 33°) 
und dexiovvaywyos‘ swnagognfaps Mk. 5, 22. 35. 36. 38°). 

4. Verhältnismäßig oft bedient sich Wulfila auch der Tat- 
purusakomposition, um durch sie eine begriffliche Spezialisierung 
zu erreichen, die im Griechischen dem einfachen Substantiv an 
sich innewohnt: dAvoıs’ eisarnabandi Lk. 8,29, naudibandi (+ ei- 
sarna) Mk. 5,3.4; 2. Tim. 1,16’), kunawida* Eph. 6,20°), duoıßal 
(Plur.)‘ andalauni 1. Tim. 5,4, dunelog‘ weinatriu Joh. 15,1. 4. 5, 
dgıotov”)‘ undaurnimats Lk.14,12, aögıov: gistradagis Mth. 6, 30 *°), 
Bua: stauastols Mth. 27,19; Röm. 14,10; 2. Kor. 5,10, Boaßeiov' 


1) Positiv gefaßt erscheint dodéveca als sauhteis Lk. 5,15 (und noch 2 mal) 
und als siukei Joh. 11,4 (und noch 6mal). 

2) Vgl. auch ovvegydy’ gawaursiwa 1.Kor. 16, 16; 2. Kor. 6, 1. 

3) Uber gaman' xowwvia, noıwavdg 8. unter 4. 

1) Außerdem steht für ovyyerns’ nibjis Joh. 18,26; Lk. 14, 12; Rom 16, 21, 
nipjo Lk. 1,36, samakuns* Rom, 9, 3. 

5) Neben einfachem gudja Mth. 27,1 u. 6. (ziemlich häufig) und gudjane 
auhumista Mk. 11,18. Sonst wird der Begriff doyı- (in dexıegeds) durch einen 
attributiven Superlativ übersetzt: auhumista gudja Mth. 27, 62 u. 6. (häufig), 
auhumists weiha Joh. 18,13, maists gudja Joh. 18, 24. 26; 19, 6, reikists gudja 
Joh. 18, 22. 

D Vgl. damit deysovvdywyos: fauramableis swnagogeis Lk. 8, 49. 

1) Plur. für Sing.; wörtlich: xal ci» EAvoly uov odx Enauogövdn' Jah 
naudibandjo meinaizo ni skamaida sik. 

8) Ebenfalls Plur. für Sing.: de dAdoe:’ in kunawidom. 

D Das Wort wird hier als Simplex behandelt, weil die ursprüngliche Kom- 
position (s. unten S. 164) von Wulfila nicht mehr gefühlt werden konnte. 

10) 1.Kor. 15, 32 begegnet dagegen für adoıov' du maurgina. 


156 Heinrich Grewolds 


sigislaun 1.Kor. 9,24; Phil. 3,14, deinvov: nahtamats Joh. 12, 2; 
Lk. 14,12.16.17. 24; Mk. 6, 21"), cïôwkov: galiugaguda (Plur.) 1. Kor. 
10,19(20)*), eixw»' manleika Lk. 20,24; Mk.12,16; 1. Kor. 15, 49%), 
Yeu£luos‘ grunduwaddjus Lk. 6,48.49; 14,29; Eph. 2,20; 2. Tim. 
2,19, feodv: gudhus Joh. 18,20°), iuas: skaudaraip* Lk. 3,16; Mk. 
1,7; Skeir. III 26 (= Joh. 1,27?), (tò) xaxdv‘ unpiup Rom. 9,11; 
12,21; 2. Kor. 5,10; 2.Tim. 4,14°), «7voos‘ kaisaragild Mk. 12,14, 
xjmos* aurtigards Joh. 18,1. 26, xAñua: weinatains Joh. 15, 4.5.6, 
xowwvia’ gaman 2. Kor. 13,13"), xowwwvós: gaman 2. Kor. 8, 23; 
Philem. 17°), a7ea° matibalgs Lk. 9,3; 10,4; Mk. 6,8; don: win- 
PDiskauro Lk. 3,17, odAnry§: puthaurn 1. Kor. 15, 52; 1. Thess. 4, 16, 
orapvin‘ weinabasi Mth.7,16; Lk. 6,44°), ovxduwosg‘ bairabagms 
Lk. 17,6, tégac: fauratani Mk. 13,22; 2. Kor. 12,12 (Joh. 6, 26%), 
tovywv: hraiwadubo Lk. 2,24, Ößgıs‘ anamahts 2. Kor. 12,10, poi- 
vı: peikabayms Joh.12,13, xdoıs‘ awiliub 1. Kor. 15,57; 2. Kor. 
2,14; 8,16; 9,15''); hier sei auch erwähnt teizos: baurgswaddjus 
2.Kor. 11,33; Neh. 5,16; 6,15; 7,1; fraglich hinsichtlich ihrer Zu- 
gehörigkeit sind die Gleichungen oxynuarı' manaulja Phil. 2, 8, 
xiAıoı* Pusundi Joh. 6,10 u. 6. 

5. Endlich sind noch einige Fälle anzuführen, in denen Wulfila 
eigentlich ohne Grund Tatpurusakomposita anwendet, da das Schluß- 
glied bzw. das Vorderglied auch unkomponiert in der gleichen 
Bedeutung gebraucht werden kann: dyods‘ haimopli Mk. 10, 29. 30 


1) Vgl. damit 1. Kor. 11,25 afar nahtamat: ueta tò deenvijoas. ` 

23) Vgl. auch 1. Kor. 8,10; Eph. 5,5; Gal. 5,20; Kol.3,5. Einfaches galiug* 
für elöwAov 2. Kor. 6,16 u. a 

3) Außerdem wird zo: durch frisahts i übersetzt (1. Kor. 15, 49 u. ö.). 

4) Sonst steht für Zeodv" alhs Joh.7,14 u. 6. (häufig). 

5) Vgl. auch Lk. 6,9; Mk. 3,4; das Adjektiv xaxdés wird dagegen durch 
ubils wiedergegeben (Mk. 7,21 u. 6. [häufig]). 

6) Das einmalige unkomponierte Zains für xAjua Joh. 15,2 ist, wie aus 
dem Zusammenhang der Stelle hervorgeht, stilistisch begründet. 

"1 Wirklich geläufig aber ist für xowwvia' gamaindups (6mal) und ga- 
mainet (2mal). 

8) Daneben xoıwwvds' gadaila Lk. 5,10 u. 6.; vgl. auch 1. Kor. 10,18, xoı- 
vovoi ... elaty’ gamainjandans ... sind. 

°) Plur. fiir Sing.: 0662 x párov tevydar orayviiv' nth þan us aila- 
tundjai trudand[a] weinabasja. 

10) ni patei sehub taiknins jah fauratanja’ oby Ste eldere onueia (mit 
nach Joh. 4,48 zu ergänzendem Zusatz xal tégata s. Streitberg? z. St.). 

11) Vgl. gagıv yew’: awiliudon 1.Tim.1,12; 2. Tim. 1. 3. — Daneben finden 
sich als Interpretamente von doc ansts Lk.1,30 u. 6. (sehr häufig), Zaun 
Lk. 6, 32. 33.34, bank (Akk. Sing.) Lk. 17, 9. 


Die gotischen Komposita in ihrem Verhältnis zu denen der griech. Vorlage 157 


und haims Mk. 5,14"), &viavroö‘ atapnjis Joh. 18,13 und émavtods: 
abnam Gal. 4,10°), Cedyos: gajuk* Lk. 2,24 und juk Lk. 14,19, 
Aluvn‘ marisaiws Lk. 8, 22. 23.33 und saiws Lk. 5,1.2, mais: piu- 
magus Mth. 8, 6. 8.13; Lk. 1,54. 69; 7,7 und magus Lk. 2,43; 9, 42; 
15,26°), zogıouds‘ faihugawaurki 1.Tim. 6,5 und gawaurki 1.Tim. 
6,6, town’ andawairfi Mth. 27,6.9 und waird* 1.Kor.7,23()‘), 
teayndos: halsagga (Cod. balsagga) Mk. 9,42 und hals Lk. 15, 20. 

6. Gering ist die Zahl der übrigen Tatpurusas mit substantivi- ` 
schem Hinterglied, die Wulfila außer den in den obigen 5 Gruppen 
dargelegten in seiner Bibelübersetzung zur Anwendung bringt, 
ohne daß in der Vorlage ein entsprechender Kompositionstyp vor- 
lige: dvayxaiov ody Aynodunv‘ naudibaurft nu man 2.Kor. 9, 5°), 
Gxdorovos‘ launawargs 2. Tim. 3,2°), ueuwvd, -& (Gen. Dat. Sing.): 
faihupraihna (Dat. Sing.) Lk.16,9.11.13 (Mth. 6,24 Randglosse’)), 
oixovu£vn‘ midjungards Lk. 2,1; 4,5; Röm. 10,18, tio wids oaßßd- 
ron: fis dagis afarsabbate Mk.16,2, oroarela‘ drauhtiwitop 1. Tim. 
1,18°); vgl. ferner ër navi dëoop uiv éuavtdy éthonoa: in al- 
laim unkaureinom izwis mik silban fustaida 2. Kor. 11,9, wa py 
aIvpdov: ei ni wairbaina in unlustau Kol. 3, 21, &avröv poeva- 
matg: sis silbin frabjamarzeins ist Gal. 6, 3°). 


2. Tatpurugas mit Adjektiv als Schlußglied. 
a) Reine Adjektive. 
In derselben Weise wie beim substantivischen Tatpurusa 


1) Außerdem wird dyods übersetzt durch akrs Mth. 27,7.8 (und noch 
3mal), kaipi Mth. 6, 28.30 (und noch 3mal), Zand Lk. 14,18, Baurp* Neh. 5,16, 
weihs Lk. 8, 34; 9, 12. 2) Vgl. auch éveausds’ jer Lk. 4, 19. 

3) Femininisches maç erscheint nur als unkomponiertes mawi Lk. 8, 51. 54. 

*) runs hyoododnte’ wairpa galaubamma usbauhtai sijub. — Sonst be- 
gegnet für teuh: sweriba Kol. 2,23 u. ö.; vgl. ferner noch Rom 9, 21 sochoas 


d adv eis tiuhv onedos, Ð d2...° taujan sum du galaubamma kasa, sumup- 
pan ... und 2.Tim. 2,20 & udv eis zuufv, & d2...' suma du sweraim, su- 
mup-ban . 


5) Aus der Form selbst ist nicht ersichtlich, ob ein partizipialer ¢o-Stamm 
oder der Akk. Sing. eines /i-Abstraktums vorliegt. Für die letztere Annahme 
spricht der Umstand, daß der #-Stamm an anderer Stelle (Skeir. II 20/21) im 
Gegensatz zum partizipialen ¢o-Stamm sicher bezeugt ist. Jedoch läßt sich auch 
die erstere Ansicht rechtfertigen, und zwar durch 1. Kor. 12,22 und Phil. 1, 24, 
wo dvayxaios durch das unkomponierte Zo-Partizipium Daurfts wiedergegeben 
wird. Vgl. auch Phil. 2,25 dvayxaiov Aynodunv‘ barb munda. 

*) Außerdem noch unfagrs für dydeıoros Lk. 6, 35. 

7) Im Text behält Wulfila das Fremdwort bei; vgl. Lk 16,13, wo das um- 
gekehrte Verhältnis vorliegt. 8) Daneben otearela’ drauhtinassus 2. Kor. 10,4. 

-= 9%) Dazu in A die Randglosse: sik silban uslutonds ist. 


158 Heinrich Grewulds 


scheiden sich die beiden Sprachen auch in der Verwendung von 
Tatpurusas mit reinem Adjektiv als Schlußglied. 

Die griechische Vorlage enthält nur wenige. 

Zunächst sind einige d-privativum-Verbindungen zu erwähnen: 
åváěios dvdnnoos ') &dndos dödxıunos dvnwegos dialog Avdaros pů- 
dyadog dpıldeyvoos. Aus der geringen Anzahl der Belege können 
wir jedoch entnehmen, wie ungebräuchlich diese scheinbar so 
naheliegende Negierungsweise im Griechischen ist. Die hier wirk- 
lich charakteristische Privationsweise für einen Adjektivbegriff ver- 
anschaulichen uns die Fälle, die ihren Weg über ein wurzel- 
gleiches Substantivum oder zo-Verbale nehmen; vgl. Baeds — 
aßaons, Ölnaıos — ddixos, nagTepds — axoatys, uETQLOS — ČUETEOSŞ, 
vöuıuos — dvouos, tios — tuos, podvipos — €powy; xadagds — 
dxddaotos. Nur dieser Typus des mit d-privativum komponierten 
Verbaladjektivs auf -tos ist im Griechischen wirklich lebendig 
(s. u. S. 159 u. S. 163). 

Neben den vereinzelten Privativ- Komposita besitzt der 
griechische Text noch eine Reihe von Adjektiv-Tatpurusas mit 
Stämmen adverbialer Bedeutung als Vorderglied: nas &xönkos 
ndunoAvs naganinoıos nagduoıos noAvnolnılos noeddndos ovyxot- 
vwvös Ovuulroxos avvéxdnuos dnevavzlos”). Ein Adjektiv als 
Vorderglied finden wir nur in dxgoywviaios (sc. Aldos) und in 
dem ganz vereinzelt dastehenden devreodnewros, ein Substantiv 
in dem ebenfalls singulären dydewndoeoxos. 

Im Gegensatz zu diesem Befund auf seiten des Griechischen 
treten uns bei Wulfila Tatpurusas mit reinem Adjektiv als Hinter- 
glied in reicher Fülle entgegen. 

Die unmittelbare Privation eines Adjektivs durch un- ist fier 
gang und gäbe: unanasiuniba (Adv., nur Skeir. VIII 2) unbruks 
unfagrs unfrops ungahairbs ungalaufs unhails unhindarweis unhrains 
unhulba, -6 unliufs unliuts unmahteigs unmanwus unriureis* unsels 
unswers untriggws unuhteigo (Adv.) unwairbaba (Adv.); dazu kommt 
eine Reihe von negierten Adjektiven, die als Simplizia zwar nicht 
bezeugt, aber mit Sicherheit zu erschließen sind: unairkns (Simplex 
aus airknida zu erschließen)?’) unaiwisks (Simplex aus aiwiski*, 

1) Über die Etymologie von &aneos = drnens s. Schulze, Qu. ep. p. 456 not. 4. 

2) dneieddegos und drreonegıooös dagegen erklären sich wohl am besten 
als Rückbildungen von dneievdegoöv und drrepnegiooedew. Freilich ist die Auf- 
fassung als Pustverbale oder Deverbativum auch für einige der oben im Text 
aufgeführten Komposita nicht ausgeschlossen, für ovyxoıwwwds, gvuu£ftoxos und 


ovv&nönuog sogar wahrscheinlich (s. auch oben S. 148). 
3) Das Simplex dazu scheint 1.Tim.3, 3B als Nom. Sing. airknis unmittel- 


Die gotischen Komposita in ihrem Verhältnis zu denen der griech. Vorlage 159 


aiwiskon erschließbar) unfaurweis (nur Skeir. IM 14; vgl. fulla- 
hindar-weis) ungastops (s. 0. LX 31) unmilds* (vgl. friabwamilds* 
und mildiba) unnuts* (vgl. ae. nytt, afries. nette, as. nutti, ahd. 
nuzzi „nützlich*) unsibjis* (vgl. afries. sibbe, sib, ahd. sibbi „fried- 
lich, verwandt“) unwahs (vgl. ae. woh „krumm, verkehrt“) un- 
wamms (vgl. ae. wamm, as. wam „böse“ und got. gawamms) un- 
weis (vgl. aisl. viss, ae. afries. as. ahd. wis „weise“ und got. fulla- 
hindar- unfaur-weis) unwiss (nur du unwis(s)amma' dönkws 1. Kor. 
9,26; vgl. ae. afries. as. wiss „gewiß*) unwita (vgl. ae. wita, ahd. 
wi350 „Weiser, Ratgeber“ und got. fulluwita); ferner *unsutis (vgl. 
unsuti* und sutis)'). Über unandsoks und ungeps s. oben S. 147. 
Etymologisch undurchsichtig sind unmanari(g)gws und untilamalsks 
sowie unfaurs unskaus* untals. 

Dem großen Unterschied gemäß, der zwischen beiden Sprachen 
in der Frequenz von privativen Adjektiven besteht, übersetzen 
die obigen gotischen Tatpurusas nur in den seltensten Fällen 
gleichartige griechische Komposita. Es koinzidieren: dva&lws: 
unwairpaba 1. Kor. 11, 27.29, de ox dd7jlws: ni (swe) du unwis- 
(syamma 1. Kor. 9, 26, åvóoios: unairkns 1.Tim.1,9; 2.Tim. 3, 2, 
adgidyatos: unsels 2.Tim. 3,3; zweifelhaft ist die Gleichung un- 
manari(g)gwai’ dvjuegor 2. Tim. 3, 3. 
| Wo sonst den in Rede stehenden gotischen Tatpurusas im 
Griechischen negierte Begriffe entsprechen, ist deren Bildungs- 
weise eine andere. 

1. Häufig sind es privative to-Partizipia: dödvaros' unmah- 
teigs Lk.18,27; Mk. 10,27; Röm. 8,3, dvenaloxvvros‘ unaiwisks 
2. Tim. 2,15, &x&9agros‘ unhrains Lk.4,33 und noch 18mal, dueu- 
ntos: unwahs Lk.1,6, dvdntos: unfrops Gal. 3,1.3, dvdvntog‘ un- 
nuts* 1. Tim. 6,9 (?), dnaguoxedaorog‘ unmanwus 2.Kor. 9,4, de- 
ontos' ungeps 2. Kor. 12,4, dooworos‘ unhails 1. Kor. 11,30, dodve- 
tos: unwita Mk.7,18, dvunduertos: unhindarweis 2. Kor. 6, 6; 1. Tim. 
1,5, unliuts Rom, 12,9; 2.Tim.1,5, dvvunösantos‘ ungahairbs Tit. 
1,6.10, [untals 1.Tim.1,9°),] &pdaetos: unriureis* 1. Kor. 9, 25; 
15, 52; 1. Tim. 1,17 (9), dxaoıoros‘ unfagrs Lk. 6, 35. 


bar überliefert zu sein; jedoch stimmt das © der Endung nicht zu dem Kom- 
positum, das nach 1. Tim. 1,9 (unairknaim), 2.Tim. 3,2 (unairknans A, un- 
airknai B) als reiner a-/an-Stamm anzusetzen ist. 

1) Freilich läßt sich wnsuti* auch als selbständiges Tatpurusa auffassen; 
denn, wie wir oben 8.151 gesehen haben, können im Gotischen auch Abstrakta 
die Privativpartikel vor sich nehmen. 

3) [Vgl. auch dnaidevros‘ untals 2. Tim. 2, 23.) 


160 Heinrich Grewolds 


2. Öfters auch sind es Bahuvrihis mit d-privativum als Vorder- 
glied: dösxos‘ untriggws Lk.16,10, dxalows‘ unuhteigo 2. Tim. 4, 2, 
duwuos' unwamms Eph. 1,4; 5,27; Kol. 1,22, dvopos: unsibjis* 
Mk. 15, 28, dneıdng‘ ungahairbs 2.Tim. 3,2, [untals Lk.1,17,] doe- 
Bús: unsihjis* 1.Tim. 1,9, dodevng‘ unmahteigs 1. Kor. 4,10; 9, 22; 
Gal. 4,9, onos: unwamms 1.Tim. 6,14, &otogyos: unmilds* 2.Tim. 
8,3, drıuog‘ unswers Mk. 6,4; 1. Kor. 4,10, pow: unfrofs 2. Kor. 
11,16; Eph. 5,17, unwita 2. Kor. 11,19; 12,6.11, dyoetos: unbruks 
Lk. 17,10. 

3. Zuweilen entsprechen griechischerseits Formen von sekun- 
dären Verben: od dédw buds dyvoeiv' ni wiljau izwis unweisans 
Rom. 11,25 (?); ähnlich 2. Kor. 1,8; 1. Thess. 4,13, ni wiljau izwis 
unuitans 1. Kor.10,1, od% ddvvarnosı' nist unmahteig Lk. 1, 37, 
dodevöv' unhails Lk. 9,2, unmahteigs Röm.14,1.2; 1. Kor. 8, 9.11, 
dorarovuev" ungastopai 1. Kor. 4,11, nxeaıwdnoav" unbrukjai waur- 
Dun Skeir. 12 (= Röm. 3,12), magagoorvay’ (swaswe) unwita 2. Kor. 
11, 23. 

4. In einigen Fallen sind die griechischen Aquivalente von 
Komposita abgeleitete Abstrakta: of éoyaléuevor thy Grofen: jus 
waurkjandans unsibjona(?) Mth. 7,23, eis druulav: du ungal(aju- 
bamma Rim. 9,21, du unsweraim 2. Tim. 2, 20. 

5. An einer Stelle endlich liegt im Original ein durch oð 
verneintes Part. Perf. Pass. vor: tiv odx hyannuevnv‘ fo unliubon 
Röm. 9, 25. 

Anderseits sind aber auch die Fille nicht selten, wo ein 
positiver Begriff der Vorlage in der gotischen Auffassung eine 
Umfärbung zum Negativen erfährt und demzufolge in der Uber- 
setzung durch ein verneintes Adjektiv wiedergegeben wird. Vgl. 
daıudvıov‘ unhulba Lk. 4,35; 8,33; 9,42, unhulbo Mth. 7,22 und 
noch 34mal, daluwv‘ unhulba Lk. 8,29, unhulbo Mk. 5, 12°), dré 
Bodog: unhulba Mth. 25,41 und noch 6mal, idıwıns' unhrains 
2. Kor. 11,6, unweis 1. Kor. 14, 23.24, of xandc &yovtes: pai un- 
hailans Lk. 5,31, xowdy> unhrain Rom. 14, 14(?), [výpwuev: un- 
skawai sijaima 1. Thess. 5, 8,] movnoös‘ unsels Mth. 5,39 und noch 
6mal, [moonereis‘ untilamalskai 2. Tim. 3,4,] catavds: unhulda 
1. Kor. 5,5, [p4dagoı: unfaurjos 1. Tim. 5, 13]. 

Neben der bisher behandelten Komposition mit dem Privativ- 
präfix un- zeichnet sich das Gotische auch in der Verwendung 
anderer Wortstämme als Vorderglied von adjektivischen Tatpurugas 


1) Vgl. auch dasuovıtöuevos, -01` unhulbon habands Joh. 10, 21, unhulbons 
habandans Mk. 1, 32. 


Die gotischen Komposita in ihrem Verhältnis zu denen der griech. Vorlage 161 


durch eine ungleich größere Beweglichkeit vor dem Griechischen 
aus. Während dieses, wie wir sahen, die Adjektivkomposition 
auf mehr oder weniger modale Begriffe beschränkt, sind im Go- 
tischen auch materiale Bestimmungswörter durchaus geläufig. Es 
lassen sich folgende Kompositionsarten unterscheiden: 

1. Substantiva als Vorderglied: faihufriks (vgl. aisl. frekr, ae. 
frec, fræc, ahd. freh) faihugairns (vgl. aisl. gjarn, ae. zeorn, as. ahd. 
gern) faihuskula friabwamilds* (vgl. unmilds*, oben S. 159) gasti- 
gods; dazu *wiljahalfs (zu erschließen aus wiljahalpei) und viel- 
leicht auch *prasabalpds (aus Zrasabalßei* erschließbar); s. o. LX 40. 
Mehr für sich stehen die Komposita von laus: akrana- andi- (bzw. 
anda-) guda- witoda-laus sowie lustusama. Fraglich ist die Tat- 
purusa-Auffassung für (jah Dana ...) haubib-wundan (brahtedun’ 
xdaeivov ... Enepalaiwoav) Mk. 12, 4. 

2. Adjektiva, Adverbia und Pronomina als Vorderglied: ala- 
Barba filufaihs (vgl. ae. fäh, fas, as. ahd. feh) filugalaufs*') fulla- 
weis (vgl. unweis, oben S. 159) fullawita (vgl. unwita, oben S. 159)*) 
ibnaskauns* seinaigairns (s. faihugairns, oben unter 1) wailamereis 
(vgl. aisl. mérr, ae. mére, as. ahd. märi)’); dazu *wajamereis (zu 
erschließen aus wajamerei Io. LX 41] und wajamerjan To LX 46)). 

3. Präverbia (bzw. Präpositionen) als Vorderglied: gahails 
garaihts gawamms (vgl. unwamms, oben S. 159) hindarweis (vgl. 
unweis, oben S. 159) ufarfulls*); ferner *faurweis (zu erschließen 
aus unfaurweis, oben S. 159) und *usbalps (vgl. usbalpei, o. LX 40); 
hierher stelle ich endlich noch eine Reihe von adjektivischen 
Präverbiakompositionen, die nicht weiter auflösbar sind: gafaurs: 


1) Die Adjektivkomposita mit filu- sind problematisch. Auf Grund ihrer 
Ähnlichkeit mit filufaihs und filugalaufs ließen sich auch filu air C Alav newt 
Mk. 16,2), filu airzjai (sijub' noAvd nAaväcde Mk. 12,27), filu gabaurjaba 
C Adıora 2. Kor. 12,9) und (at) filu managai (managein wisandein’ naundi- 
Aov SyAov Öövros Mk. 8,1) als Komposita auffassen. Jedoch spricht gegen diese 
Annahme die Wortstellung gabeigs filu (° nAodorog opddga Lk. 18,23) und 
sleidjai filu ( yadexot Alav Mth. 8,28). Für filu mais (` molli paAdov 
Mk. 10,48; 1. Kor. 12,22; [Skeir. VII 21]) ist die Annahme einer Komposition 
zweifelsohne unstatthalt. 

2) *fullafahs (zu erschließen aus fullafahjan [o. LX 46]) ist morpho- 
logisch unklar. 

3) Ebenso auch wailaandanems' eöngöcödentos 2.Kor. 6,2; 8,12. Oder 
unkomponiert waila andanems? | 

‘) Entsprechend könnte man auch ufar-filu (ufar filu ist‘ negrooeder 
2.Kor. 1,5, baim ufar filu apaustaulum' tv dbnegAiav dnoordAwv 2. Kor. 12,11) 
und ufar-mikil (baim ufar mikil wisandam apaus(tau)lum' ron Aoreg dien 
anootéAwy 2. Kor. 11,5) als Komposita ansetzen. 

Zeitschrift für vergl. Sprachf. LXI 3/4. 11 


162 Heinrich Grewolds 


xöowog 1. Tim. 3,2, vngpdäuog 1. Tim. 3,11 (vgl. unfaurs, oben 
S. 159), gafehaba * edoynudvws 1. Thess. 4,12, galaufs*: eis teeny 
Röm. 9, 21, noAvreing 1. Tim. 2,9 A’); (1. Kor. 7,23), gamains' 
xowds Mk.7,2; Rim. 14,14; Tit. 1,4; (Skeir. I 3), ovyxoıwavds 
Rom, 11,17; (Phil. 4,14)°), *ufarmauds (zu erschließen aus ufar- 
maudei, o. LX 40). Hier sei auch erwähnt gabaurjaba‘ hödws 
Mk. 6,20; 12,37; (14,65), Aödıora 2. Kor. 12,15B und A Rand- 
glosse (als Text bietet A lapaleiko)*), xatà éxodoroy Philem. 14 
(Randglosse zu us lustum). Uber das Verhältnis von gabaurjaba 
zu gabaur*: xöuosg (0. LX 29 Anm. 4) vermag ich nicht zu ur- 
teilen. 

Es versteht sich, daß auch innerhalb dieser Klasse Koinzi- 
denzen zwischen beiden Bibelfassungen nur selten begegnen. An 
genauen Entsprechungen habe ich nur eine gefunden: (Ñ) moAv- 
nolxılos (copla): (so) filufaiho (handugei) Eph. 3,10A*), zu der sich 
noch Mk. 8,1 naundAlov (xov Övros): (at) filu-managai (mana- 
gein wisandein) hinzufügen ließe. Doch geben die Herausgeber 
den letzteren Beleg nicht ohne Grund in getrennter Schreibung 
und erschüttern dadurch in bedenklichster Weise die Glaubwürdig- 
keit des ersteren (s. auch S. 161 Anm. 1). Als ein weiteres Bei- 
spiel für Koinzidenz könnte man allenfalls auch Lk. 16,5 faihu- 
skulane’ tõv yoeoperAet@y anführen. Freilich steht hier dem go- 
tischen Adjektiv-Tatpurusa griechischerseits ein substantivisches 
gegenüber. 

Unter den übrigen Gleichungen lassen sich zunächst die Fälle 
zu einer Gruppe zusammenfassen, in denen Wulfila seine Adjektiv- 
Tatpurusas zur Übersetzung von griechischen Bahuvrihis heran- 
zieht’): didoyos: faihufriks 1. Tim. 3,8, eöpnuos‘ wailamereis Phil. 
4,8, dAdxdAnoos: gahails 1. Thess. 5, 23, noddtpos: filugalaufs* Joh. 
12,3, odupoogos: ibnaskauns* Phil. 3, 21, psAdoyvoos: faihufriks 
Lk. 16, 14; (1. Tim. 3, 3), faihugairns 2. Tim. 3, 2, pidavtot: seinai- 
gairnai 2. Tim. 3, 2 (Randglosse in A zu sik friG)ondans), pıåó- 
evos’ gastigods 1. Tim. 3,2; Tit. 1,8, gıAdorogyoı: friabwamildjai 
Röm. 12,10. Ebenso sind die Aquivalente der Komposita auf 
-laus fast durchweg Bahuvrihis, und zwar mit d-privativum als 

1) Wörtlich: ivatsopg noAvreilei' wastjom galaubaim A, galubaim B. 

*) Vgl. auch ni gamainja si(j)ais’ und xowóve: 1. Tim. 5, 22. 

3) Uber filu gabaurjaba’ Adıora s. oben S. 161 Anm. 1. 

*) B hat für filufatho ` managfalpo. 

5) Im Folgenden werden die gotisch-griechischen Gleichungen, die bereits 


bei der vorhergehenden Bestandsaufnahme angeführt worden sind, nicht mehr 
wiederholt werden. 


Die gotischen Komposita in ihrem Verhältnis zu denen der griech. Vorlage 163 


Vorderglied:d3eos‘ gudalaus Eph. 2,12, &xaonos: akranalaus Mk.4,19, 
&vouos: witodalaus 1. Kor. 9, 21; 1. Tim. 1,9. Eine Ausnahme macht 
nur andi-(bzw. anda-)laus, das 1.Tim. 1,4 dnégavtos wiedergibt. 

Andere Komposita als Bahuvrihis entsprechen außer bei dem 
vorerwihnten andilaus nur bei faihufriks: nAcovexıns 1. Kor. 
5, 10.11; Eph. 5,5 (neben dfloyos, giddeyvoos s. weiter oben) und 
lustusamans’ &nınddntor (Vok.) Phil. 4, 1. 

Den Rest machen solche Fille aus, in denen das gotische 
Tatpurusa ein griechisches Simplex vertritt: dixasos: garaihts 
Mth. 5,45 und noch 25mal'), dddsog: hindarweis 2. Kor. 11, 13, 
xoıwös‘ gawamms Röm. 14,14, éiere": fullaweis 1. Kor. 14, 20, fulla- 
wita Phil. 3,15; Kol. 1,28; vgl. ferner nenteopévos: ufarfulls Lk. 
6, 38, WEE ec Kol. 4, 12, EES alaparba 
wairban Lk. 15, 14. 


b) to- (und no-)Partizipia. 

Ganz verschieden von dem Befund der zuvor behandelten 
Tatpurusa-Klassen ist das Bild, das wir beim Vergleich der kom- 
ponierten to-Partizipia erhalten. Waren jene entweder ganz oder 
doch zumindest in ihrer reicheren Entfaltung ein ausschließlicher 
Sonderbesitz des Gotischen, so tritt uns in den komponierten to- 
Partizipien ein Tatpuruga-Typ entgegen, der auf beiden Seiten 
in genauester Übereinstimmung vorliegt. 

In der griechischen Vorlage erscheinen die to-Verbalia vor- 
wiegend mit d-privativum komponiert (1). Daneben begegnen 
das Indeklinabile ed (2) sowie einige Nominal- bzw. Pronominal- 
stämme (3) als Vorderglied; 
| 1. dvenaloxvvros adddvatos dvebegeuvntog ER avendın- 
ynvos amodattos dvettyviaotos adxddagtos dxatanddAvatos duetaxi- 
yntos avéyxdntos dvvnnöngıros Adıdleınrog aventAnntos duerauf- 
Autoe peuntos dvınvog dvdntos dvdvytos (? 1. Tim. 6, 9) adoatos 
analdevros anégavtos dnıoros doontos dooworos doßeoros Geo 
oxEvactos howtos draxıos drvundtaxtos dxdoıcros EpIaetos; dazu 
ayevoosolntos ; 

2. etdoectos etredodextos eddetocg ebydgratos edyonotos; 

3. abtdaioetos aiyudiwrog’) Yeodidartos (tò) eidwlddutov 

1) Vgl, auch dexacodv’ garaihtana domjan bzw. gadomjan Lk. 7, 29; 
16, 15; Gal. 2,17; Phil. 3,12(?); 1. Tim. 3,16, garaihtana giban Gal. 5,4, ga- 
rathtana gateihan Lk. 18,14, dıxawdodaı' garaihts wairban Gal. 2, 16. 

2) Oder xexAnoopoenuévos? 

3) Hierzu ovvasyudiwros Kol. 4,10; Philem. 23, das eine Rückbildung von 


ovvaryualwsiLeım zu sein scheint; vgl. auch oben S. 148. 
11* 


164 Heinrich Grewolds 


attéuatos Ökıydnıoros Seduvevotos Xeıgonolntos vedpvros; dazu 
das erstarrte (tò) dguorov'). 

Diesen Komposita entsprechen im Gotischen die Tatpurusas 
mit den Partizipien auf a- (bzw. da-) und na- als Schlußglied. 
Sie zerfallen in die gleichen Gruppen wie jene; nur sind die Be- 
lege für das dem gr. eö gleichwertige Adverbium waila als Vorder- 
glied zweifelhaft; 

1. mit privativem un-: unbaurans (nur Skeir. V 20) unbeistjops °) 
(vgl. gabeistjan) *undiwans (zu erschließen aus undiwanei, o. LX 40) 
unfairinodaba ungafairinobs unandhulibs ungakusans unuslaisids unbi- 
unfair-laistibs (vgl. laistjan, afar- ga-laistjan) unliugaips unbimaitans 
ungasaihans unandsakans (nur Skeir. VI 15) unsaltans unusspillops 
ungatewibs unbwahans ungawagips; dazu unhanduwaurhts unkunps 
unswikunps (nur Skeir. VI 1) und die erstarrten Partizipia unat- 
gahts ungatass (s. o. LX 31f.) sowie *unsahtaba (überliefert un- 
sahpaba’ dpodoyoupévws 1. Tim. 3,16); für sich steht ungenibs (ohne 
Verbum); 

2. mit waila als Vorderglied: wailagaleikaifs (oder waila galei- 
kaibs? s. weiter unten); 

3. mit anderen Wortklassen, hauptsächlich Nominal- und 
Pronominalstimmen, als Vorderglied: swikunps niujasatids handu- 
waurhts; ferner in aktivischer Bedeutung hauh- mikil-Buhts; dazu 
von erstarrten Partizipien gudafaurhts audahafts gibuhafto airpa- 
goda- guma- himina- ufarhimina- inna- qina-kunds und *ainamunds 
(zu erschließen aus ainamundipa, o. LX 41)*). Analoge Beispiele 
für komponierte na-Partizipia fehlen. 

Entsprechend der Gleichartigkeit und Lebendigkeit, mit der 
beide Sprachen den gemeinsamen Typus darbieten, findet sich 
ein unmittelbares Zusammentreffen der obigen Reihen in unseren 
verglichenen Texten verhältnismäßig häufig. 

' 1. Besonders gilt dies für die Privativverbindungen. Man 
vergleiche dveEegedyytos, dvendınynros‘ unusspillops Röm. 11, 33, 
2. Kor. 9,15, drodotoc: unatgahts 1. Tim. 6,16, dveSıyviaoros‘ un- 
bilaistibs Röm. 11,33, unfairlaistibs Eph. 3,8, dueraxivntos' un- 
gawagips 1. Kor. 15,58, advéyxdntos, dveniinntogs' ungafairinops 


1. Tim. 3, 10; Tit. 1,7, 1. Tim. 5, 7: 6, 14, du&unıws' unfairinodaba ` 


1) Bezüglich der Etymologie s. Boisacq, Dict. étym. s. v. 

%) Über die unregelmäßig vokalisierte Endung s. Streitberg, Elementar- 
buch® 6 8 216 Anm. 3. 

3) Über ein möglicherweise als komponiertes Partizipium anzusetzendes 
naudibaurfts 8. oben S. 157. 


Die gotischen Komposita in ihrem Verhältnis zu denen der griech. Vorlage 165 


1. Thess. 2,10, dvırmvos‘ unbwahans Mk. 7, 2. 5, ddgatos’ ungasathans 
Kol. 1,15.16; 1. Tim. 1,17; (2. Kor. 4,4B), čtaxtos: ungatass 1. Thess. 
5,14, dtdutws* ungatassaba 2. Thess. 3, 6.11’), dxeigonolntos‘ un- 
handuwaurhts Mk. 14, 58; 2. Kor. 5, 1. 

2. Innerhalb unserer zweiten Gruppe könnte vielleicht eddge- 
otos’ waila-galeikaibs Röm. 12,1; Eph. 6,10; Kol. 3,20 als morpho- 
logisch identisch gelten. Die Herausgeber freilich pflegen — und 
wie mir scheint nicht ohne Grund — die gotische Verbindung 
getrennt zu edieren. 

3. Unter den noch übrigen Komposita treffen wir nur zwei 
Gleichungen an, die aber wegen ihrer charakteristischen Überein- 
stimmung durchaus Beachtung verdienen. Es sind y&ıyonolntog' 
handuwaurhts Mk. 14, 58; Eph. 2, 11 und »edpvros' niujasatibs 
1. Tim. 3, 6. — 


c) Partizipia Präsentis. 

Zu den ausschließlichen Besonderheiten des Gotischen im 
Gebrauch von Tatpurusas mit adjektivischem Hinterglied gehören 
dagegen die privativen Partizipia Präsentis. Sie sind in beträcht- 
licher Anzahl vorhanden: unagands unbairands unufbrikands un- 
gafairinonds unfrabjands unhabands ungahabands sik unhapnands 
unkunnands unyalaubjands unliugands unrodjands unsaihands un- 
sweibands unwitands unwunands (vgl. aisl. una). 

Das Griechische hat diesem im Gotischen so geläufigen Typus 
nichts Entsprechendes an die Seite zu stellen. Die dort zugrunde 
liegenden Äquivalente besitzen eine wesentlich andere gramma- 
tische Struktur. 

1. Zum Teil sind es Bahuvrihis mit @-privativum als Vorder- 
glied: dxeaths: ungahabands sik 2. Tim. 3, 3, dneıdng (neben åre- 
don, motos): ungalaubjands Tit. 1,16, drrodoxonos‘ unufbrikands 
1. Kor. 10,32, dpoßos (bzw. dpdBws): unagands 1.Kor. 16,10 B; 
Phil. 1, 14, dwevöns‘ unliugands Tit.1,2°). 

2. Wo in der Vorlage gleichfalls negierte Verbalbegriffe korre- 
spondieren, erscheinen diese 

a) als Part. Präs. von sekundären Verben aus Privativkom- 
posita: dyvody: unkunnands Röm. 10,3, unwitands 1. Tim. 1,13°), 
adnedov: ungalaubjands Röm. 10,21; hierher vielleicht auch dör- 
uovõæv: unwunands Phil. 2, 26 (?); 


1) Vgl. auch ox Ataxıroauev' ni ungatewidai wesum 2. Thess. 3, 7. 
3) Isoliert steht die Gleichung dialog‘ unrodjands Mk. 7,37; 9, 17. 25. 
») Vgl. damit ni sijum unwitandans’ oð» éyvoodmev 2. Kor. 2, 11. 


166 Heinrich Grewolds 


b) als privative to-Verbalia: dodvetos: unfrapjands Röm. 10, 19, 
dvéyxAntos, dventAnntos: ungafairinonds Tit. 1,6; 1. Tim. 3,2, döıd- 
Aeintos (bzw. döialelntws)‘ unsweibands 1. Thess. 2,13; 5,17; 2. Tim. 
1,3°), motos: ungalaubjands Lk. 9,41 und noch 17mal, doBeotos: 
unhapnands Lk. 3,17; Mk. 9, 43. 45; | 

c) als durch uý oder oò verneinte Part. Präs. von einfachen 
Verben: un Biren: unsaihands Joh. 9,39, un ëron: unhabands 
Lk. 3,11; 19,26; 1. Kor. 11,22, un nord», un pégwv: unbairands 
Lk. 3,9, Joh. 15,2, 4 où tixtovoa’ so unbairandei Gal. 4, 27. 

Wie aus der vorstehenden Ubersicht zu entnehmen, gibt 
Wulfila also die mittels uù bzw. od negierten griechischen Präsens- 
partizipia auch durch entsprechende gotische Privativkomposita 
wieder. Jedoch geschieht dies nur ausnahmsweise. In der Regel 
übersetzt er sie vielmehr in engstem Anschluß an seine Vorlage 
durch ein mittels ni verneintes Part. Präs. Dies zeigen besonders 
klar die Fälle, wo er die ni-Verneinung der Privativkomposition 
vorzieht. So begegnen gleichsam als Gegenbilder zu den obigen 
Privativkomposita: ni ogands‘ un poßoúuevos Lk. 18,2 (vgl. un- 
agands* dpoßos unter (DI, ni frabjands' un vody 1. Tim. 1,7B 
(vgl. unfrabjands‘ dodvetog unter 2b), ni kunnands, ni witande® um 
(bzw. oöx) iĝos Mk. 12, 24; Gal. 4,8; 2. Thess. 1,8, Lk. 9,33 (vgl. 
unkunnands, unwitands’ dyvo@v unter 2a), ni galaubjands’ uù m- 
oredwv Joh. 6, 64 (vgl. ungalaubjands' dnewdis, Grein, notos 
unter 1,2a.b). Anderseits steht neben unhabands‘ un Zxwv (unter 
2c) ni habands' uù éywv Mth. 9,36; Lk. 7,42; Mk. 8,1; Eph. 2,12; 
5,27; Phil. 3,9, où xoatéyv Kol. 2,19; mit unbairands‘ un now», 
un pégwv (unter 2c) vgl. ni taujands: un nowy Mth. 7,19 (uù 
soınoas Lk. 6, 49), mit so unbairandei: 4 0d tlxtovoa (unter 2e) 
vgl. so ni e anda Å oòx òðivovoa Gal. 4, 27. 


III. Bahuvrihis. 


1; _ Bahuyrihis mit dem Privativpräfix als Vorderglied. 

Unter den zahlreichen Bahuvrihis, über die sowohl die grie- 
chische als auch die gotische Bibelfassung verfügt, erfordern in 
unserem Zusammenhang diejenigen mit dem Privativpräfix als 
Vorderglied eine getrennte Darstellung, da sie im Gegensatz zu 
den übrigen eine neue Divergenz in der Kompositionsbildung der 
beiden Sprachen kennen lehren. 


1) Dazu Eph. 1,16 unsweibands awiliudo’ oò nadouaı eöxagıorür. 
®) Über das Verhältnis von ni ogands zu dem anders vokalisierten un- 
agands s. W. Schulze, o. LV 134. 


Die gotischen Komposita in ihrem Verhältnis zu denen der griech. Vorlage 167 


Im griechischen Original sind die Privativ-Bahuvrihis häufig: 

Goin: 

dßaonıs xats dree doeßns dodevng dıwevöns; über Gë 
Ins s. oben S. 147 Anm. 3. 

 dvalos dBvooog dyauos ddınos vuos ddEog duaroos duaenos 
GAvn0g duaxos dueroos duwuos dvouos dniodoxonos domıdos 
Gonovdos doropyos atexvos drıuos dronos dpoßos; dazu mit ab- 
weichendem Akzent: dea dxoelos und deyös (< dregyds). 

Wulfila nun übersetzt diese Komposita fast an keiner Stelle 
durch genau entsprechende gotische Bildungen '). Zwar bringt er 
in der gotischen Wiedergabe ihren negativen Bedeutungscharakter 
überwiegend begrifflich zum Ausdruck’); aber er verfährt dabei 
selbständig, und zwar, von vereinzelten Ausweichungen abgesehen 
(s. im Folgenden unter 4), in dreifacher Weise. Er ersetzt die 
privativen Bahuvrihis entweder durch privative Tatpurusas von Ad- 
jektiven (1) und Partizipien (2) oder er umschreibt sie durch 
Tatpurusas mit -laus als Schlußglied (3): 

1. döwnog‘ untriggws Lk. 16,10, dxalgws‘ unuhteigo 2. Tim. 
4,2, duwuog‘ unwamms Eph.1,4; 5,27; Kol.1,22, rouge: un- 
sibjis* Mk. 15, 28 (neben EE Bee 4), 
dnreräéc: ungahairbs 2. Tim. 3, 2 [untals Lk. 1,17] (neben ungalaub- 
jands s. unter 2a), doeßrs‘ unsibjis* 1. Tim.1,9 (neben afgups* 
s. unter 4), doevng‘ unmahteigs 1. Kor. 4,10 und noch 4mal, 
GontAos: unwamms 1. Tim. 6,14, doroeyos‘ unmilds* 2. Tim. 3, 3, 
d@rıuos‘ unswers Mk. 6, 4; 1. Kor. 4,10, čpowv: unfrops 2. Kor. 
11,16; Eph. 5, 17, unwita 2. Kor. 11,19; 12, 6.11, dyoeiog‘ unbruks 
Lk. 17, 10. 

` 2. a) negierte Partizipia Präsentis: dxeatijs: ungahabands sik 
2. Tim. 3, 3, dneıdns‘ ungalaubjands Tit. 1,16, daedoxonos’ unuf- 
brikands 1. Kor. 10,32, dpoBos (bzw. dpößws)‘' unagands 1. Kor. 
16,10; Phil. 1,14 (neben unagein s. unter 4), dıpevöng‘ unliugands 

Tit.1,2; 
b) negierte Partizipia Perfekt: dvalog‘ unsaltans Mk. 9, 50, 


1) Eine Ausnahme machen nur doyds' unwaurstwa 1. Tim. 5, 13, domovdog* 
unhunslags 2. Tim. 3,3, drexvos' unbarnahs Lk. 20, 28. 29. 30. 

2) Positiv aufgefaßt finden sich nur folgende Fälle: &dıxos‘ inwinds Mth. 5,45 
und noch 3mal (neben untriggws s. weiter unten), ëëäeoc swikns Mth. 27, 4, 
@Avnos‘ hlas* Phil. 2, 28, deyds‘ lats Tit. 1,12 (neben unwaurstwa s. oben 
Anm. 1), dodevis‘ siuks Mth. 25,39 und noch 6mal, lasiws 1. Kor. 12, 22; 
2. Kor. 10,10 (neben unmahteigs s. weiter unten), dnd tõv dıönwv ... dv- 
Jonanwv‘ af gastojanaim (?) ... mannam 2. Thess. 3, 2. 


168 Heinrich Grewolds 


äyauos' unliugaips 1. Kor. 7,11, ungenibs 1. Kor. 7,8, d&vuos‘ un- 
beistjops 1. Kor. 5,7 (s. auch unter 4). 

3. cos’ gudalaus Eph. 2,12, dxaonos‘ akranalaus Mk. 4, 19, 
dvouos‘ witodalaus 1. Kor. 9, 21; 1. Tim. 1, 9. 

4. Fälle, wo die gotische Übersetzung trotz begrifflicher 
Wiedergabe des negativen Sinnes von der obigen Weise abweicht, 
begegnen nur vereinzelt. Hierher gehören einige Auflösungen: 
duaxos‘ ni sakuls 1. Tim. 3,3, 06x eis tà Awetoan’ ni inu mitap 
2. Kor. 10,13. 15, dvowos‘ witodis laus 1. Kor. 9,21. Durch af- 
wird das d-privativum wiedergegeben bei dßvooos* afgrundiba 
Lk. 8, 31; Röm. 10,7 und oeßýs: afguds* 1. Tim. 1,9 Randglosse 
in A zu unsibjis*. Außerdem sind noch einige Gleichungen zu 
erwähnen, in denen die griechischen Privativ-Bahuvrihis durch 
negative Abstrakta ersetzt werden: èv mavti dßaon uiv &uavröv 
étnonoa’ in allaim unkaureinom izwis mik silban fastaida 2. Kor. 
11,9, èv dGouoc in unbeistein 1. Kor. 5,8 (vgl. dagegen zw» 
dfüuwv‘ azwme Mk. 14,12), dpdBws: unagein Lk. 1, 74. 

Die Privativ-Bahuvrihis dagegen, die Wulfila seinerseits meist 
unabhängig vom Griechischen gebraucht, sind an Zahl gering’). 
Auch bestehen sie bemerkenswerterweise nicht aus einer ein- 
fachen Verknüpfung des Privativpräfixes mit dem Substantiv- 
stamm, sondern dieser enthält darüber hinaus fast durchgängig 
eine charakteristische Suffixerweiterung. Es begegnen _ 

1. mit festem n-Suffix: unfairina unheila unkarja unwaurstwa ` 
dazu mit us- als Vorderglied: usfairina usliba uswena; etymo- 
logisch ungeklärt sind usfilma usgrudja ushaista*); nur als Ad- 


1) Ihre Zahl erhöht sich insofern um ein geringes, als wir zu den un- 
Komposita sinngemäß auch die mit us- als Vorderglied hinzurechnen müssen, 
da diese mit jenen funktionsgleich sind, wie besonders 1. Thess. 5, 23 zeigt, wo 
man für in A stehendes unfairinona in B usfairinona liest. 

*) Das feste Haften der schwachen Flexion ist in diesen Fällen um so auf- 
fallender, als die Komposita überwiegend in prädikativer Stellung stehen: 

du tulgjan hairtona izwara unfatrinona’ eis td otnelfac iuay tds 
xagdlas duéuntovs 1. Thess. 3,13, jah satwala jah leik unfairinona (A us- 
fairinona B) ... gafastaindau’ nai i dor xal tò oda duduntws ... tEn- 
Sein 1. Thess. 5, 23; 

patei saurga mis ist mikila jah unheilo aglo hairtin meinamma’ őt: 
Atnn pol oti ueydin nai adidAetatos ôĝúvy tů napdig mov Röm. 9,2; 

jah pan gahausjand unkarjans' xal tav dxodowoıv (zum gotischen 
Zusatz vgl. lat. qui neglegenter verbum suscipiunt et cum audierint) Mk. 
4,15. ni sijais unkarja bizos in bus anstais’ un dueieı tod v aol xaglo- 
patos 1. Tim. 4, 14; 

unwaurstwons laisjand sik bairhgaygan gardins, appan ni batain 


Die gotischen Komposita in ihrem Verhältnis zu denen der griech. Vorlage 169 


verbia sind bezeugt ussindo‘ udAıora Philem. 16 und usstiuriba- 
dowtws Lk. 15, 13; 

2. mit ka-Suffix: unbarnahs und unhunslags (s. oben S. 167 
Ann. 1); 

3. dazu noch unweniggo'), wohl Adverbium (vgl. ae. wéninga), 
1. Thess. 5, 3 anuh unweniggo ins bigimib fralusts: téte aigvidsos 
abtois &ploraraı ÖAEFoos. 

Ohne suffixale Erweiterung nur unleds’ n&vns 2. Kor. 9, 9, 
mtwyds Mth. 11,5 und noch 15mal (vgl. aisl. lad, ae. /&d „Land- 
anteil“) sowie usweihs’ BeßnAog 1. Tim.1,9; 4,7; 2. Tim. 2,16 und 
das etymologisch unklare usdaubs*: onovdaiog Lk. 7,4; 2.Kor. 
8, 17. 22; 2. Tim. 1,17, ohne griechisches Äquivalent 1. Tim. 4, 16. 
Für das aus unwerjan (o0. LX 46) erschließbare und vielleicht hier 
anzuschließende *unwers (vgl. *tuzwers unten D. 171) bleibt die 
Frage nach der Stammgestalt offen. 

Verglichen mit dem griechischen Befund, meine ich, zeigen 
die angeführten gotischen Komposita sowohl durch ihre Selten- 
heit als auch durch die Altertiimlichkeit ihrer Stammgestaltung 
aufs deutlichste, daß die Kategorie der Privativ-Bahuvrihis für 
Wulfila die Kraft eines lebendigen Bildungsprinzips eingebüßt 


unwaurstwons, ak jah unfaurjos' deal pavddvovow negiepyduevaı tas 
oixtacs, 0d uóvov 62 oyal dAAd xal pAdagor 1. Tim. 5, 13; 

wisands usfairina’ yevduevos &ueuntos Phil. 3,6, du atsatjan izwis ... 
usfairinans faura imma’ nagaotijoa bus ... aveynAhtous xatevanıov 
adroö Kol. 1,22, vgl. auch 1. Thess. 5, 23B; 

usliba begegnet überwiegend (10mal) in substantivischer Funktion: sa 
usliba‘ 6 nagaAvsınds Mk. 2,4, Bomme uslibin' ro nagaivıund MK. 2,9, du 
bamma uslipin‘ të negadveen@ Mth. 9,2 6; Mk. 2,5.10, rë napaleivuevp 
Lk. 5,24, ohne entsprechendes Äquivalent für aðr Lk. 5,20, atberun du imma 
usliban' nooo&pepov aðr nagadvtixdy Mth. 9,2, jah gemun at imma us- 
liban bairandas: xal Epyoviaı medg oëtdn nagaivrınöv pepovies Mk. 2,3; in 
prädikativer Stellung findet sich uslifa 2mal: Piumagus meins ligib in garda 
uslipa’ ô nais pov Peßinsaı Ev tù olnla napgadvtixds Mth. 8,6, saei was 
uslipa’ ds Tv nagaheAvpévos Lk. 5, 18; 

biup taujaid jah leihaid ni waihtais uswenans' ayadonoveite xal ĝa- 
velCete undtv aneAniCovtes Lk. 6,35, þaiei uswenans waurpanai sik silbans 
atgebun aglaitein: olwwes anndAynudtes (?) éavtods napédwxay tů doedyelg 
Eph. 4, 19; 

usfilmans waurpun' é&exAjooovto Lk. 9,43; Mk. 1, 22; 

ni wairpan usgrudjans' un (bzw. od) éxxaxety Lk. 18, 1; 2. Kor. 4, 1. 16; 
Eph. 3,13; Gal. 6,9; 2. Thess. 3, 13; 

jah wisands at izwis jah ushaista ni ainnohun kaurida’ xal nagov 
apde buds nal borepndels od natevdexnoa oddevds 2. Kor. 11, 8. 

1) Uber das zugrunde liegende Suffix s. Wilmanns, DG. II? § 457. 


170 Heinrich Grewolds 


hat. Ihre Funktion übernahm nach Ausweis unserer obigen Auf- 
stellungen (S. 167f.) die Tatpurusakomposition. 


2. Die übrigen Bahuvrihiformationen. 

In den übrigen Bahuvrihiformationen stimmen die beiden 
Sprachen im wesentlichen überein. Auf beiden Seiten finden sich 
Präverbia und Adverbia bzw. Adverbialpartikeln, Zahlwörter, Pro- 
nomina sowie Pronominaladjektiva und Nominalstämme als Vorder- 
glied ziemlich gleichmäßig vertreten. 

1. Die Präverbiaverbindungen zerfallen in zwei Gruppen’). 

a) In der ersten Gruppe regiert das Präverbium in der 
Funktion einer Präposition das Hinterglied, so daß das Kom- 
positum den Charakter einer adjektivisch gebrauchten adverbialen 
Bestimmung besitzt. 

Das Original enthält an Belegen dieser Art die folgenden: 
and- dnroovvdywyos — èx- Endınos — èv- Evöodos Eveoyis Zvvouog 
£vvvxov (Adv.) &vogxog Evriuog — Enl- Enlyeiog Enıdardrog énloenos 
errovodvıos — nagd- napdlıos nagddofgos midgoıwos — negl- negi- 
xepadaia,  (substantiviertes Adjektiv) — rods- nedoxaıpos — óró- 
Onavdoog dnoAnvıov (subst. Adj.) ömonddıov (subst. Adjektiv). 

Im Gotischen finden wir: af- afgubs* afhaimeis* *afhugs 
(„von Sinnen“, zu erschließen aus afhugjan: Baoxaivey, s. o. 
LX 46 Anm. 1) — ana- anahaimeis**) — and- andaugiba andaugjo 
(Advv. von andaugi, s. weiter unten) — ga- *gafrabjis (zu er- 
schließen aus gafrafjei- owpoootvy 1. Tim. 2,15, s. o. LX 40) 
gaguds gaskohs gatils *gawaurts (überliefert gawaurhtai: &ogıGwue£vor 
Eph. 3,18) — in- ingardja inkunja* (nur Dat. Plur. -jam 1. Thess. 
2,14) *inwitops (? überliefert inwitop: Zvvouos 1. Kor. 9, 21) — uf- 


ufaipeis* ufwaira (qens: Ñ Önavöoogs yvvý Röm. 7,2, wofür aber 


v. d. G.-L. uf waira ediert); unklar undarleija (nur Dat. Sing. 
bamma undarleijin' tq E&Aaxıororeow Eph. 3, 8). 

Das ja- von *gafrapjis inkunja* (*anawiljis) gehört bereits den 
zugrunde liegenden Substantiva frapi kuni (wilja) an; dagegen 
ist es in afhaimeis* anahaimeis* ingardja ufaibeis* Bestandteil des 
Kompositionssuffixes. Letzteres stimmt zu griech. éziyetog èn- 
Yavdrıos Enovodvıos naodiıos meguxeqadaia u. 8. 

Außerdem finden sich in beiden Sprachen hierhergehörige 

1) &4poßos' usagiphs Mk. 9, 6 (vgl. éxpofeiv’ blahsjan „erschrecken“ 2.Kor. 
10,9) scheint eine postverbale Bildung zu sein und wird deshalb im Folgenden 
nicht berücksichtigt. 

*) Dazu *anawiljis (zu erschließen aus anawiljei, o. LX 39f.); desgleichen 
scheinen auch analaugns und anasiuns hierherzugehören (o LX 31). 


Die gotischen Komposita in ihrem Verhältnis zu denen der griech. Vorlage 171 


Bildungen, die nur als Substantiva gebraucht werden. In der 
Regel weisen sie Stammerweiterungen durch neutrales (i)jo- auf. 

Griechisch: mgoaddiovy nrgo0xepdiAcıov und möglicherweise 
dvdyaıov; jedoch ist das letztere wortgeschichtlich dunkel. Ein 
fem. ija-Stamm liegt vor in nagoıula, ein neutraler o-Stamm in 
nedownov (? s. oben S. 146). 

Gotisch: andaugi andanahti fauradauri. Uber fauramapleis 
und faurstasseis* s. 0. LX 33. 

b) Zum Unterschied von den bisher behandelten Präverbia- 
Bahuvrihis der ersten Gruppe, in der das Präverbium die Funktion 
einer Präposition versieht und das Schlußglied regiert, besitzen 
die Präverbia der zweiten Gruppe die Bedeutung eines Adverbiums 
und verhalten sich in logischer Hinsicht zum Hinterglied wie ein 
Satzprädikat zu seinem Subjekt. Der syntaktische Wert, den 
die Präverbia in diesen Fällen haben, erhellt aus den Gleichungen 
ovyyevýs: samakuns* Röm. 9,3, odupvyos: samasaiwals Phil. 2, 2 
und gawiljis*: éduodvpadéy Röm. 15,6. 

Aus der Vorlage sind zu dieser zweiten Gruppe zu ver- 
zeichnen: dutt. dytidixos (Substantiv) — v- éyxoatns Eyavos — éni- 
ertlonuos — uerd- weddoquoy (subst. Adjektiv) — magá- ndooıxos — 
negl- meglegyos neglAvnog neoloınog — nod- noodeouia (subst. Ad- 
jektiv) — ovv- oúußovůos (Substantiv) ovyyevńs adluyos TOU MOEPOS 
VÜOOWUOS VUUPWVOS ovupVYOS. 

Im Gotischen entsprechen: anda- andaneifa DEE (über 
andastafjis s. o. LX 33) — ga- galeiks gawiljis* — in- inahs inkilBo ‘) 
— tuz- *tuzwers (zu erschließen aus tuzwerjan, s. o. LX 46). 

_ Eine Gruppe für sich bilden die durch festes n-Suffix charak- 
terisierten Bezeichnungen des „Genossen“: gadaila gadauka*"*) 
gahlaiba’) gajuka (gajuko F)*) galaista (s. o. LX 33) galeika* ga- 
marko (RI) garazna (garazno F) gasinba* gasinfja**); vgl. auch 


1) Wohl nicht unmittelbar von kilþei: yaotyje Lk. 1, 31. 

2) Ohne sichere Etymologie des Schlußgliedes. 

3) Der 4mal bezeugte starkflektierte Dativ Plur. gahlaibaim begegnet 
bezeichnenderweise nicht bei Wulfila, sondern erst in der Uıkunde v. Neapel. 

4) Vgl. auch gajuk*: Ceöyos Lk. 2, 24 (neben juk’ Cedyog Lk. 14, 19), oben 
8. 151, und .gajuko' naposula Joh. 10,6; 16, 25.29, zagaßoih Lk. 4,23 und 
noch 25mal, dessen morphologische Stellung mir nicht deutlich ist. 

5) Streitbergs Konjektur gamarko(p) Bizai nu Iairusalem: avotoryet 62 
eg võv ‘TepovoaAyju Gal. 4, 25 für überliefertes gamarko scheint mir nicht un- 
bedingt notwendig zu sein. . 

*) Zwar sind nur die doppeldeutigen Akk. Plur. gadaukans 1. Kor. 1, 16, 
galetkans Eph. 3, 6 und Dat. Plur. gasinpam 2. Kor. 8,19, gasinpjam Lk. 2, 44 


172 Heinrich Grewolds 


gamainja (oben S. 162 Anm. 2). Völlig isoliert steht gadrauhts 
(s. o LX 33). 

ga- als erstes Glied zeigt ferner die hier einzuordnende Kate- 
gorie der neutralen ja-Kollektiva: galigri**) garuni gaskohi ga- 
bagki* gawaurdi gawaurki (s. auch o. LX 30)*). Diesen Kollektiva 
stehen nahe hinsichtlich ihrer Zusammensetzung und Bedeutung 
die beiden jon-Stimme garunjo: nAnuuvoa Lk. 6, 48 und gatimrjo: 
oixodouy 2. Kor. 5,1; Eph. 2,21 (s. o. LX 30). Auch das bereits 
oben (S. 151) als stammvariierendes Tatpurusa verzeichnete a-Neu- 
trum gaman ließe sich auf Grund seiner Bedeutung xowwrvia 
2. Kor. 13,13 hierherstellen. Den Begriffswert xoıww»ös 2. Kor. 
8,23; Philem.17, u&roxog Lk. 5,7 würde es dann einem auch 
sonst nachweisbaren Bedeutungswandel vom Kollektiven zum 
Singulären verdanken °). 

Obgleich demnach die Belege für Präverbia-Bahuvrihis in 
beiden Sprachen ziemlich zahlreich sind, so begegnen doch 
Koinzidenzfälle nur selten. 

In Gruppe a): &vouog Xọoiortoù: inwitoh(s) (?) Xristaus 1. Kor. 
9,21, Zvogxoı: ufaipjai Neh. 6,18, 4 Ünavögos yuv: ufwaira qens 
Röm. 7, 2, falls die Auffassung als Kompositum zu Recht besteht 
(s. oben S. 170); ferner noóowzov: andaugi 2. Kor. 10,1; 1. Thess. 
2,17; annähernd stimmen überein: &xdnuoüuev" afhaimjai sijum 
2. Kor. 5, 6, &xönuoövres‘ afhaimjai 2. Kor. 5,9, &vönunjoaı' ana- 
haimjaim (sic!) wisan 2. Kor. 5, 8, &vönuoövres' anahaimjai 2. Kor. 
5,9. Über die Gleichung doeBéot- afgudaim 1. Tim.1,9, s. oben 
S. 168. | 

In Gruppe b): dvriöıxog‘ andastaua Mth. 5, 25 (andastapjis 
Lk. 18, 3), od0n éyxdq@: wisandein inkilbon Lk. 2,5, odfvye: gajuko 
Phil. 4,3, odcowua (Akk. Plur. Neutr.): galeikans Eph. 3, 6; weniger 
genau decken sich: étegofuyotrtes: gajukans 2. Kor. 6,14, èv cp 
ovvodig: in gasinþjam Lk. 2,44, ovpBoddcov’ garuni Mth. 27,1 C 
(neben runa CA). 7; Mk. 3,6; 15,1; vgl. auch die eingangs (S. 171) 
erwähnten Gleichungen. Reiner Zufall dagegen ist es, wenn 
bezeugt; jedoch ist für diese Komposita aus ihrer Bedeutungsübereinstimmung 
mit den anderen sicheren »-Stämmen ebendieselbe Suffixform zu erschließen. 

1) Vgl. damit das hinsichtlich seiner Bildung zweifelhafte filigri*: onhAaıov 
(nur Dat. Sing. filigrja Mk. 11,17, filegrja Lk. 19, 46); Feist, Etym. Wb. ° s. v. 

2) Fir galigri* und gabagki* — bezeugt nur im doppelwertigen Dat. 
Sing. galigrja Röm. 9,10, gabagkja 2. Kor. 9,6 — ergibt sich das neutrale 
Genus ebenfalls ohne weiteres aus der kategorialen Verbundenheit beider mit den 
übrigen Komposita der Gruppe. 

3) Kluge, Etym. Wb.® s. vv. „Bursche“, „Frauenzimmer“, „Kamerad“. 


ez "3 ae Zr, KÉ Sé 


ł 


Die gotischen Komposita in ihrem Verhältnis zu denen der griech. Vorlage 173 


Eph. 2,19 zéeorxoe durch das gotische Bahuvrihi aljakonjai wieder- 
gegeben wird. 

2. Bahuvrihis mit Adverbien oder Adverbialpartikeln als 
Vorderglied finden sich in unseren beiden Texten nur vereinzelt. 

Aus der griechischen Vorlage läßt sich nur für die Kom- 
position mit ed eine längere Reihe von Belegen zusammenstellen: 
edyevns edxatoos EÖnonog Eboeßis edondayyvos Eboyhuwv eðynuos 
eb@wvvuos; dazu das erstarrte Öyıns’); außerdem sind bloß noch 
ddonodos, ınAavyns und vielleicht auch voris’) zu verzeichnen. 
Unklar ist mAńuuvoa: garunjo Lk. 6, 48. 

Gotischerseits stehen diesen gegenüber nur framaldrs und 
framwigis (Adv.). 

Genaue Koinzidenzen fehlen; als annähernde sind zu er- 
wähnen edxaoos: gatils Mk. 6, 21; 14,11, edonkayyvos: armahairtai 
Eph. 4,32 und edoeßösg‘ gagudaba 2. Tim. 3, 12°). 

3. Spirlicher vertreten sind auf beiden Seiten auch die 
Bahuvrihis mit einem Zahlwort als Vorderglied. 

Aus dem Griechischen gehören hierher: d/Aoyos éxtanueoos; 
todnela; dazu mowtdtox0s. 

Das Gotische besitzt: fidurdogs ahtaudogs taihuntewja* twalib- 
wintrus. 

Es koinzidieren: öxtanueoos‘ ahtaudogs Phil. 3, 5. 

4. Zahlreicher sind die Bahuvrihis vorhanden, deren erstes 
Glied ein Pronomen oder ein Pronominaladjektiv ist. 

Griechischerseits liegen vor: ddeApds (-n F) dAloyevns aöddöns 
EtegdyAwooor (subst. Adjektiv) uowoyerng uovöpdaiuos 6AdxAnoos 
öloreing duodvuuaddy (Adv.) mavtoxedtwe (?)*) moAvreing moAdtıuos. 
Über aördexng s. oben S. 147 Anm. 3. 

Im Gotischen entsprechen: aljakuns allandjo (Adv.) alla- 
waurstwa *filuwaurds (zu erschließen aus filuwaurdei, o. LX 40, 
und filuwaurdjan, o. LX 46) samafrahjis* samakuns* samasaiwals 
silbawiljis* °); eine Sonderstellung nehmen die pronominalen Ad- 
jektiva helaubs* samalaups* swalaups* ein. Laut der fem. Akk. Sg. 
kelauda 2. Kor. 7,11 und swalauda Mth. 8, 10; Lk. 7, 9; Skeir. IV 14 
sind sie reine a-Stimme’), wogegen das Substantiv juggalaups 


1) Zur Etymologie s. Wackernagel, Dehnungsgesetz S. 4. 

2) Bezüglich der Etymologie s. Prellwitz, Etym. Wh.? s. v. 

3) Die Gleichungen edoyjuwv' gaguds Mk. 15,43 und voris’ lausqiprs* 
Mk. 8,3 übergehe ich, da hier die Entsprechung allzu äußerlich ist. 

4) Ernst Fraenkel, 0..XLII116f. 5) Über sildasiuneis* s. oben S. 145. 

*) Die übrigen Belege samalaud (Akk. Sing. Neutr) Lk. 6, 34 und swa- 


174 Heinrich Grewolds 


nach Mk.14,51 (Dai juggalaudeis) als i-Stamm flektiert. Als 
Simplex erscheint das Schlußglied Gal. 4,19A als Randglosse zu 
gabairhtjaidau‘ uoogwsn in der Formel du laudjai gafrisahtnai 
und ist also als jö-Stamm anzusetzen. — Hier mögen auch so- 
gleich die Bahuvrihis mit dem zum Suffix gewordenen Substantiv 
leik als zweitem Bestandteil ihre Stelle finden’)... Das Gotische 
verwendet in adjektivischer bzw. adverbialer Funktion: Aileiks 
ibnaleiks (nur Skeir. V 26) liubaleiks missaleiks samaleiks sildaleiks *) 
swaleiks; dazu galeiks (s. oben unter ib); nur adverbial gebraucht 
erscheinen: aljaleiko (aljaleikos) analeiko (nur Skeir. VII 4) anpar- 
leiko lapaleiko wairaleiko. 

Ein unmittelbares Zusammentreffen der beiden Bibelfassungen 
habe ich auch innerhalb dieser Gruppe nur an zwei Stellen fest- 
stellen können: 6 dAAoyevns odros' sa aljakunja Lk.17,18 und 
dAotedeic (prädikativer Akk. Plur.)‘ allandjo (Adv.) 1. Thess. 5, 23; 
mittelbar entsprechen déuodvuyaddy (Adv): gawiljai (prädikativer 
Nom. Plur.) Röm. 15,6 (s. auch oben S. 171). Nur formal gram- 
matisch ist die Ähnlichkeit zwischen aö9döng‘ hauhhairts Tit.1,7. 


5. Bahuvrihis mit Nominalstämmen als Vorderglied finden 


sich ebenfalls in beiden Texten häufiger. 

Das griechische Textstück enthält folgende Belege: «aioxoo- 
xegöng docevonolıns BAdopnuog’) evedywoos Yeoceßis xevóðočos 
xoononodtwe *) ddrydwuyos oxvtownds (? s. oben S. 146) cHpowy’”). 
Unklar ist mir die Bildung von ovxouogala (‘smakkabagms Lk. 19, 4). 

Das Gotische stellt als analoge Fille hierher: aglaitgastalds 
*aglaitiwaurds (zu erschließen aus aglaitiwaurde*, o LX 39f.) 
armahairts *dwalawaurds (zu erschließen aus dwalawaurdei, a.a. O. 
40) freihals (mask. Subst.)°) *fullafrajis (vgl. fullafrapjan, a.a.Q. 46) 
fullatojis grindafrapjis* *harduhairts (aus harduhairtei* a. a. O. 40 
erschließbar) hauhhairts hrainjahairts juggalaubs (mask. Subst.) 
*laggamops (aus laggamodei a. a. O. 40 erschließbar) lausawaurds 


laud (ebenfalls Akk. Sing. Neutr.) Joh. 14,9; Gal. 4,1 sind nicht entscheidend, 
da sie sich auch auf ein z/ja-Paradigma beziehen ließen. 

1) Wilmanns, DG. II? § 361; Kluge, Nom. Stbl.* 88 237; 238. 

2) sildaleik' Fdußoş Lk. 5,9 verhält sich zu silduleiks: Yavuaoıds Mk. 
12,11; Joh. 9,30; 2. Kor. 11,14 wie prutsfill zu Prutsfills (s. unter 5); beide 
Neutra scheinen substantivierte Adjektiva zu sein. 

3) Wackernagel, o XXXIII 41ff. 

t) Ernst Fraenkel, o. XLII 116f. | 

5) Hierher möglicherweise auch yeawdys und nerewöns; s. Wackernagel, 
Dehnungsgesetz S. 44ff. 

DS Neckel, PBB. XLI 405f. 


Die gotischen Komposita in ihrem Verhältnis zu denen der griech. Vorlage 175 


laushandja lausgibrs*') liugnawaurds*) *mukamops (vgl. mukamodei, 
a. a. O. 40) Zrutsfills’) ubilwaurds; dazu aihatundi (fem. Subst.)‘). 
Unklar niuklahs‘ vizios Lk.10, 21; 1.Kor. 13,11; Eph. 4,14; Gal. 
4,1 und weinnas’ ndgowos 1.Tim. 3,3; Tit.1,7. Über gudblostreis 
und ubiltojis s. oben S. 145. 

Auch innerhalb dieser Gruppe koinzidieren die beiden 
Texte nur in zwei Fällen: aioxgoxeoöns‘ aglaitgastalds 1. Tim. 
3,8; Tit. 1,7 und tots ÖAıyowöxovs‘ pans grindafrapjans 1. Thess. 
5, 14°). 

Darüber hinaus besitzt unser griechisches Textstück noch 
einige bahuvrihiähnliche Komposita mit verbalem oder doch verbal 
empfundenem Vorderglied. Ziemlich häufig begegnen in dieser 
Verwendung der und gılo-°): doxayyelos doxiegeus doxiovvd- 
ywyos doyıreiwvns — giddyatos piddoyveos pliavros YıAndovos 
gtdddeos Yıldgevos giAdotogyos; zu ihnen kommen hinzu die 
innerhalb unserer Vorlage vereinzelt stehenden dveäixaxos iody- - 
yehog Talainwoog ’). 

Im Gotischen fehlt Entsprechendes ganz. 

Und ebenso fehlt hier der Kompositionstypus des Dvandva, 
der in der Vorlage durch zwei Beispiele vertreten ist: xwudmodts 
und »vvy$rusoov. Wulfila löst beide in seiner Übersetzung auf: 
eis tas Exoukvas nwuondäcıs‘ du baim bisunjane haimom jah baur- 
gim Mk.1,38, vux$nuegov" naht jah dag 2.Kor. 11, 25. 


1) Beachte den Suffixwechsel gegenüber dem Simplex gidus. 

*) Belegt nur im Gen. Plur. iugnawaurde 1.Tim. 4,2, der besonders im 
Verhältnis zum Nom. Plur. Zausa(i)waurdai Tit.1,10 wegen seiner nominalen 
Form bemerkenswert ist. 

*) Bezeugt nur im Nom. Plur. Zrutsfillai‘ Aexgof Mth.11,5; Lk. 4,27; 
7,22; (17,12). Der Singular Aexgds dagegen wird durch manna pruts/fill ha- 
bands Mth. 8,2 und prutsfill habands Mk.1,40 umschrieben; vgl. auch Lk. 5,12 
åvňę Athens Aéngas’ manna fulls prutsfillis. — Uber das Verhältnis von 
PDrutsfül' Adnoga Mth. 8,3; Lk. 5,12.13; Mk. 1, 42 zu brutsfillat: Aenool s. oben 
S. 174 Anm. 2. 

a Bezüglich der Suffixvariation vgl. aind. phaladatı; Wackernagel, Aind. 
Gramm. II 1 § 39aa. Aus der genauen morphologischen Übereinstimmung des 
indischen Kompositums mit dem im Gotischen völlig isolierten atatundi 
folgt, daß wir in diesem ein versprengtes Residuum aus ältester Zeit vor uns 
haben. | 

5) Bei lausa(i)waurdai’ vasawoidyoı Tit.1,10 und liugnawaurde‘ pevdo- 
Adyav 1.Tim. 4,2 finden wir zwar eine begriffliche Übereinstimmung zwischen 
den entsprechenden Komposita; jedoch ist ihre Bildungsweise auf beiden Seiten 
verschieden (s. oben S. 145). 

©) Osthoff, Verb. i. d Nominalkomp. SS. 159ff.; 163ff. 

7) Ernst Fraenkel, o XLII 125f. 


176 Heinrich Grewolds 


Zusammenfassung der Ergebnisse. 

Am Ende unserer Darlegungen vergegenwärtigen wir uns 
rückblickend noch einmal im Zusammenhang die in den vor- 
stehenden Ausführungen ermittelten Unterschiede zwischen der 
griechischen und der gotischen Kompositionsbildung. 

Die ersten Divergenzen, die hervortraten, betrafen das ver- 
schiedene Verhalten der beiden Sprachen zur Verbalkomposition 
(o. LX 2ff.) und zeigten sich in Folgendem: | 

1. Im Griechischen erscheinen als Präverbien lediglich Prä- 
positionen, und zwar gehen diese mit dem Verbum insgesamt 
echte Komposition ein. Das Gotische dagegen kennt vier ver- 
schiedene Arten von Präverbien: a) unselbständige Präfixe, b) reine 
Präpositionen, c) Präpositionen, die auch als Adverbien fungieren, 
d) reine Adverbien, von denen aber nur die Präfixe (a) und die 
Präpositionen (b und z.T. c) echte Komposition bilden, wohin- 
- gegen die Verbalverbindungen mit den Adverbien (d und z.T. c) 
durchweg trennbar zu sein scheinen. 

2. Die im Griechischen sehr häufigen echten Verbalkomposita 
mit 2 Präverbien fehlen im Gotischen vollständig. Wo hier ver- 
bale Bikomposita auftreten, ist deren erstes Präverbium wohl aus- 
nahmslos ein abtrennbares Adverbium. 

3. Die altindogermanische Erscheinung der Tmesis, die im 
Griechischen zur Zeit des Neuen Testaments längst erloschen ist, 
entfaltet im Gotischen noch eine ausgedehnte Wirksamkeit. Frei- 
lich tritt uns auch hier, und zwar bei nu (und pau), ein Rück- 
gang aufs greifbarste entgegen. 

Bei dem Vergleiche der Ableitungen von Verbalkomposita 
(o. LX 20ff.) sahen wir sodann die beiden Sprachen vor allem in 
der Bildungsweise der Abstrakta und der Nomina agentis (bzw. 
patientis) sich scheiden, und zwar durch folgende Gegensätze: 

1. Die Abstraktableitung vollzieht sich in beiden Sprachen 
mittels völlig verschiedener Formantien. Gemeinsam ist ihnen 
nur das ¢i-Suffix. Aber auch dessen Verwendung ist auf beiden 
Seiten nicht einheitlich. Das Griechische gebraucht es gleicher- 
maßen sowohl neben einfachen und komponierten Verben, wie 
neben primären und sekundären. Das Gotische weist demgegen- 
über. eine doppelte Einschränkung auf. Das ¢:-Suffix erscheint 
hier fast ausschließlich neben primären komponierten Verben. 
Die primären Simplizia dagegen verwenden andere Formantien 
(tu-, i- u.a.); für sekundäre Verben wiederum — sowohl für ein- 
fache wie für komponierte — gilt ni- als Abstraktsuffix. ` Dazu 


Die gotischen Komposita in ihrem Verhältnis zu denen der griech. Vorlage 177 


kommt als ein weiterer Gegensatz der Unterschied in der Be- 
schaffenheit der Wurzeln, an die das t-Suffix antritt. Das 
Griechische bevorzugt offene Wurzeln, während im Gotischen 
vor dem Suffix gerade konsonantisch geschlossene die Regel sind. 

2. Die griechischen Nomina agentis (bzw. patientis) zu kom- 
ponierten Verben sind durchweg primäre Ableitungen (dı@ßoAos : 
dıaßaileıv, nagaßdıns ` nagaßealveıv). Im Gotischen erscheinen 
entsprechende Bildungen nur ganz vereinzelt. Normalerweise 
werden hier die Nomina agentis in grundsätzlichem Gegensatz 
zum Griechischen sekundär unter Anknüpfung an ein Verbal- 
abstraktum gebildet (bihaitja : bihait). 

Es folgte die Betrachtung der Ableitungen von Nominal- 
komposita (o. LX 34ff.). Hier ergaben sich als besonders charakte- 
ristische Differenzen zunächst die morphologische und semantische 
Verschiedenheit der beiderseitigen io-Neutra (1), sodann der Funk- 
tionsunterschied zwischen den griechischen Abstraktbildungen auf 
-iœ und +a und den entsprechenden gotischen auf ia- ein- ipo- (2), 
endlich der Gegensatz in der stilistischen Auswertung des ge- 
meinsamen Typs der sekundären Verben (3). 

1. Die zweigliedrigen io-Abstrakta des Griechischen erscheinen 
in der Regel von Substantiven abgeleitet und tragen überwiegend 
konkrete Sinnesfärbung zur Schau (z. B. reiwvıov „Zollhaus* von 
reAovns). In striktem Gegensatz hierzu steht die Verwendung, 
die das Gotische von dieser Formenkategorie macht. Die zwei- 
gliedrigen io-Neutra werden hier zumeist gerade von Adjektiven 
abgeleitet und sind ihrer Bedeutung nach reine Abstrakta (z. B. 
unhaili von unhails). Auch die vereinzelt begegnenden Substantiv- 
ableitungen besitzen im Gegensatz zum Griechischen durchaus 
abstrakte Bedeutung (z. B. fauragaggi von fauragagga* bzw. faura- 
gaggja). | 

2. Den griechischen Abstraktableitungen auf -ia und “va 
haftet normalerweise eine Doppelbeziehung an, indem sie (z. B. 
Géinia, Ev&oysıa) nicht nur als Nominalabstraktum zu ihrem Grund- 
kompositum (dödıxos, E&veoyns) fungieren, sondern in der Regel 
auch als Verbalabstraktum auf ein danebenstehendes Sekundär- 
verbum (döıxeiv, éveoyeiv) bezüglich sind. Die gotischen Ablei- 
tungen auf ia- ein- ifo- dagegen zeigen so gut wie ausnahmslos 
die einseitig nominale Beziehung bewahrt. Auch dort, wo von 
den Grundkomposita sekundäre Verben gebildet werden, ist eine 
Beziehung der Abstrakta auf sie an keiner Stelle notwendig. Der 
Grund für diese Einseitigkeit ist einmal darin zu suchen, daß das 

Zeitschrift für vergl. Sprachf. LXI 3/4 12 


178 Ä Heinrich Grewolds 


Gotische im Gegensatz zum Griechischen im ni-Suffix ein be- 
sonderes Formans für die Abstraktableitungen von sekundären 
Verben entwickelt hat, sodann aber auch darin, daß das Gotische 
nur gelegentlich von Komposita sekundäre Verben ableitet, so 
daß sich also überhaupt nur in den seltensten Fällen die Mög- 
lichkeit einer Doppelbeziehung ergeben konnte. Damit gelangen 
wir zu unserer dritten Differenz. 

3. Das Griechische des Neuen Testaments liebt es, Verben 
mit ihrer näheren Bestimmung (Objekt, Adverbium) dadurch zu 
einem einheitlichen Begriff zu vereinigen, daß es von nominalen 
Komposita, in denen die in Betracht kommenden Begriffsstticke 
bereits verbunden vorliegen, sekundäre Verben (besonders auf 
-eiv) ableitet. Aus der großen Häufigkeit dieser Verben erhellt, 
daß es sich hierbei um einen wesentlichen Zug in der Diktion 
des neutestamentlichen Griechisch handelt. Dem Gotischen ist 
eine solche Ausdrucksweise völlig ungeläufig. Zwar gibt es auch 
hier sekundäre Verben, die von Komposita abgeleitet sind; je- 
doch kommen diese Bildungen über eine sporadische Zufälligkeit 
nicht hinaus. Wie fern es Wulfila liegt, sie seiner Vorlage ent- 
sprechend stilistisch nutzbar zu machen, ist sowohl daraus er- 
sichtlich, daß er die griechischen Verben nicht durch gotische 
Parallelbildungen wiedergibt, sondern fast ausnahmslos durch Um- 
schreibungen, als auch ganz besonders aus deren zwiefältigen 
Beschaffenheit. Diese nämlich läßt erkennen, daß die Umschrei- 
bungen keine andere Aufgabe besitzen, als die in der Vorlage 
gegebenen zweigliedrigen Verben als solche zu umgehen. Wulfila 
löst sie entweder in ein Verbum und dessen nähere Bestimmung 
auf (xaorropogeiv‘ akran bairan), oder er ersetzt die verbale Zwei- 
gliedrigkeit durch eine nominale und fügt den der griechischen 
Form innewohnenden Verbalbegriff durch ein Hilfsverbum be- 
sonders hinzu (poevanardv éavtdy: sis silbin frabjamarzeins wisan). 

. Die Gegenüberstellung der eigentlichen Nominalkomposition 
(o. S. 145ff.) endlich führte uns zu folgendem Ergebnis: 

1. Innerhalb der Komposita mit unselbständigem Verbale als 
Hinterglied gehen die beiden Sprachen zunächst in der Bildungs- 
weise der Nomina agentis auseinander, und zwar erscheint hier 
der gleiche Unterschied, den wir bereits bei den von Verbal- 
komposita abgeleiteten Nomina agentis festgestellt haben. Das 
Griechische bildet das verbale Hinterglied unmittelbar vom Verbal- 
stamm mittels primärer Suffixe (d€vdownoxtdvos ` utelverv, nieov- 
éxıns ` &yevv), während das Gotische auch hier den Weg über 


Die gotischen Komposita in ihrem Verhältnis zu denen der griech. Vorlage 179 


ein Verbalabstraktum wählt (silbasiuneis* : siuns). Dazu gesellt 
sich als weitere Abweichung die im Gotischen zutage tretende 
Möglichkeit, Komposita auch mit unselbständigem ti-Abstraktum 
als Hinterglied zu bilden (z. B. framgahts : gaggan from). Im 
Griechischen fehlt Vergleichbares gänzlich. ` 

2. Ebenso scheiden sich die beiden Sprachen auf das be- 
stimmteste in ihrem Verhältnis zu dem gemeinsamen Kompositions- 
typus des Tatpurusas. Das Griechische kennzeichnet eine er- 
staunliche Zurückhaltung. Sowohl die Tatpurusas mit Substantiv 
als auch die mit Adjektiv als Schlußglied kommen hier über An- 
sätze nicht hinaus. Eine lebendige Entfaltung zeigen nur die 
komponierten ¢o-Partizipien. Ganz anders das Gotische. Hier 
erfährt der Tatpurusatypus die reichste Ausgestaltung. Es be- 
gegnen die mannigfaltigsten Verbindungen, darunter als ganz 
geläufig komponierte Abstrakta (z. B. frafyamarzeins) und priva- 
tive Partizipia ` präsentis (z. B. unbairands), Bildungen, die im 
Griechischen nie eine Rolle gespielt haben. 

3. In der Anwendung von Bahuvrihi-Komposita dagegen 
fanden wir eine weitreichende gegenseitige Übereinstimmung. 
Die verschiedenen Unterarten ließen sich in beiden Sprachen 
ungefähr gleichmäßig nachweisen, obwohl sich freilich genaue 
Koinzidenzfälle bei der Übersetzung nicht allzu häufig einstellten. 
Dennoch zeigte der Vergleich auch hier wenigstens in einem 
Punkte eine bemerkenswerte Divergenz, und zwar in der Ver- 
wendung von Bahuvrihis mit dem Privativpräfix als Vorderglied. 
Im Griechischen bildet diese Kategorie — abgesehen von den 
privativen to-Partizipien — das allein gebräuchliche Mittel zur 
Darstellung eines verneinten Adjektivbegriffs. Im Gotischen da- 
gegen ist diese Praxis, die wir für die indogermanische halten 
dürfen, bis auf einige erstarrte Reste geschwunden. An ihre 
Stelle trat die Tatpurusakomposition. Völlig abweichend vom 
Griechischen, bringt Wulfila verneinte Adjektivbegriffe in der 
Regel dadurch zum Ausdruck, daß er das Privativpräfix unmittel- 
bar mit dem Adjektiv selbst verbindet. | 

Nachschrift. Bei der Behandlung der Tmesis o. LX 5f., 
der Stellung von ni und mip 10ff. hätte ich auf Jacobsohn 
o. IL 133. 158ff. 163f. 169f. hinweisen sollen. 


Berlin-Charlottenburg. Heinrich Grewolds. 


12* 


180 V. Pisani 


Armeniaca. 


I. otf „gesund“. 

Walde, Idg. Et. Wb. II 511: „Auf *solios (ob auch *soluios?) 
zurückführbar ist arm. olf ‚gesund, ganz, vollständig‘ (s. Hübsch- 
mann, IF. XIX 476)“. *soluios kommt nicht in Betracht, sofern die 
tadellose Gleichung kogi „Butter“ : ai. gdvyah „bovinus“ gr. tecoaed- 
Boros zu Recht besteht, welche besagt, daß g aus a (durch yu 
gu nach Pedersen o. XXXIX 339f.) das Lautgesetz gi (aus ghi) 
zu j nicht mitgemacht hat. Auch *solios ist aber nicht so sicher. 
Ich will zwar nicht darauf Wert legen, daß off (so!) eigentlich 
„gesund“, die Worte, womit Walde es zusammenstellt, „ganz“ 
(solus usw.) bedeuten — der Übergang ist ja kein außergewöhn- 
licher; aber die lautlichen Vorgänge sind keineswegs klar. Meillet, 
MSL. VIII 237 glaubte das Gesetz aufstellen zu können, daß ly 
ry zu OU rj geworden sind; für #j konnte er nur oi verwerten, 
welches mit air. (h)uile auf idg. *olios zurückgeführt wurde, somit 
war für Meillet ausschlaggebend nur der Parallelismus von rj, 
angeblich aus ry. Aber arm. ut aus -ly- ist über jeden Zweifel 
erhaben (f‘oyt „lässig“ ` totum „lassen“, ayl = alius) und darum 
schlug Hübschmann a. a. O. vor, einen Gedanken Osthoffs auf- 
nehmend, eine doppelte Vertretung von idg. li anzunehmen, nämlich 
-yl- und D. Im Folgenden werde ich versuchen, die Hinfälligkeit 
der vermeintlichen Parallele zu erweisen und für oi eine bessere 
Etymologie aufzustellen. 

Das Lautgesetz -ri- zu -rj- scheint Hübschmann durch sterj 
anurj hinlänglich bewiesen. sterj „unfruchtbar* hat man längst 
mit oteiga verglichen, daneben steht aber arm. sterd ds. aus *stert...., 
und es ist weit annehmbarer, sterj als eine Ableitung daraus ver- 
mittelst -io- anzusehen, wie es schon bei Pedersen o. XX XVIII 224 
und Scheftelowitz, BB. XXIX 32 zu lesen ist (aufgenommen von 
Walde a. a. O. II 630, 640). Für anurj, welches Meillet, Esquisse 29 mit 
Svevgos zusammenbringt, denkt Pedersen a.a.O. an Verschleppung 
von j aus einem Lok. sg. gebildet wie telvoj zu teti usw.'), das 
ist aber schwerlich glaublich, und der zu betretende Weg wohl 
ein anderer. Neben ğvergos kennt das Griechische seit Homeros 
den Nom. Akk. sg. ntr. évag und daneben einen Stamm évegart-, 


1) Pedersens Zurückführung dieses j auf einen Vertreter von ai. -ki z. B. 
in kdr-hi „wann?“ mag richtig sein; woran ich deshalb erinnere, weil es eine 
lautliche Parallele zu meiner Erklärung von men} jénj — 1F.L29 — bieten würde. 
Daß darin die Partikel ai. hz avest. 27 usw. zu sehen ist, wird man mit Brugmann 
gegen Pedersen annehmen wollen, vgl. Grundr. II 2, 735. 


Armeniaca. 181 


nach J. Schmidt, Pluralbild. 375 ein Kompromiß zwischen *övaros 
von övag und ğvergos; ich glaube vielmehr, daß es zu idg. *onr(t) 
keinen Stamm *ongn- je gegeben hat, da derselbe ja allzu kako- 
phonisch gewesen wäre, und das erklärt das Nichtvorhandensein 
eines gr. *övar-; man verhalf sich daher mit dem abgeleiteten 
öveıgos, und dveroat- ist lediglich eine literarische Neuschöpfung 
zu övag nach Frag ratos und dgl. mit Emmischung von évergos '). 


Das u des arm. Wortes geht wohl auf idg. 5 zurück, welches 
dem 6 von oxwe ddwe entspricht; da, wie gesagt, das Idg. wohl 
keine obl. Kasus von *onr(t) *onor(t) besaß, mußte sich das Arm. 
dieselben ex novo verschaffen, und das geschah mittels Anfügung 
von -io- an den Nom. Akk.: *onört-io- gab ganz regelrecht anurj 
(a- wie in akn : oculus usw.)?). 

Es gibt somit keine Wahrscheinlichkeit, daß ri und li arm. 
rj resp. tj ergeben haben; für li steht eher die Vertretung yl 
fest. Daher kann oi als etymologisch noch nicht gedeutet be- 


1) öveioara bei Homer nur v 87; die Herübernahme des et erklärt sich 
aus metrischen Gründen — NB. veıọ- steht hier an derselben Versstelle wie e 560 
(gewöhnlicher am Versende: B. 56, E 150, € 49, A 207). In die spätere Literatur 
ist dieser Stamm augenscheinlich aus der homerischen Stelle gelangt, wie auch 
schon aus seinem Erscheinen fast nur im Plur. (also wie bei Homer!) zu er- 
schließen ist. Aeschylos scheint denselben wieder in Gebrauch gesetzt zu haben, 
aus ihm ist dveroar- zu den anderen Tragikern und zu Aristophanes gekommen. 
Ob das vereinzelte évecodtwy Herod. 1120 aus den Tragikern oder direkt aus 
Homer stammt, weiß ich nicht zu sagen. Aus den Tragikern hat dvecpat-, der 
mit poetischer Sprache gern wirtschaftende Plato, bezeichnenderweise aber in 
den späteren Schriften (Legg. Epist. — pseudepigr.? — einmal Resp. III 414 D); 
den Stamm hat er zuerst Theait. 201 D gebraucht, in der Wendung övag dvıl 
oveloata, wo der Gebrauch von veigar- in der Prosa durch den vorhergehenden 
Nom. auf ze einigermaßen empfohlen war; danach ist Resp. 278E drae dvri 
Sveigaros gebildet. 

2) Bei dieser Gelegenheit will ich einen Erklärungsversuch von kamurj 
„Brücke“ vorgetragen; ich bringe es mit sl. kamy kamen- zusammen und sehe 
darin eine Ableitung („steinerne Brücke“) vom Nom. vorarm. * kamu (aus *kamö), 
welches nach der 2-Deklination in den obl. Kasus und der Analogie der r/n-Stämme 
zu *kamurt umgeformt worden war. 

Neben *onört hatte das Vorarm. ein Nom. *nert ohne o- (vgl. dpeös : ai. 
dhrüh) und mit dem Ablaut von övsıoos in nirh „Schlaf“ aus *nerti... Die 
Lautverhältnisse sind dieselben, wie für mark mah „mors“ aus *mytj..: al. 
mrtyuh (Pedersen o XXXIX 364 fgg.), bah „Hacke“ aus *dhrti...: dDr-em 
„hacke“ (Hübschmann, Arm. St. I 22). Zum Wechsel von rk und be Meillet, 
Altarm. Elem. 23. Vor palataler Silbe ist © aus e umgelautet, vgl. giser aus 
*uesk’ero- (Kontamination von *uespero- lat. vesper mit *uekero- sl. večerů) 
und die teilweise Parallele von mei = medius, zunächst aus Suen? (vgl. dere 
„er bringt“ aus *berey aus *bhereli). 


182 V. Pisani 


zeichnet werden. Ich verbinde es mit gr. öAßıos „glücklich“ zu 
6A8og „Wohlstand“, ein Wort, welches bisher keine befriedigende 
außergriechische Anknüpfung gefunden hatte. Idg. wäre dafür 
*olg*ios, woraus öAßıog *) otf, anzusetzen. Wenn man mir entgegen- 
hält, daß nach der arm. Lautverschiebung *oté zu erwarten wire, 
so antworte ich darauf, daß dies eine ganz aprioristische Frage- 
stellung ist. Man kennt m. W. keine weitere arm. Entsprechungen 
von idg. gi oder di, und keiner kann sagen, ob das Arm. auch 
seinen Palatal j verschoben hat. Man beachte die Beschränkung 
der ahd. Lautverschiebung auf einige Laute und die verschiedenen 
Reflexe der idg. Tenues im Armenischen. Vielleicht gibt uns 
aber das Armenische selbst eine willkommene Parallele. Meillet, 
Esquisse 29 glaubt einen Übergang nj zu nj aus munj „stumm“ 
erschließen. zu können, welches er aus *munios herleitet unter 
Vergleichung von gr. uövdos. Nach dem Gesagten ist die Ver- 
gleichung, wenigstens in den von M. angesetzten Termini, wenig 
ansprechend. Ob eher eine Grundform *mundios anzusetzen ist? 
ndi zu nj würde dann dem lgi zu (H am besten entsprechen. 
Vgl. dagegen yn aus ndhi unten IV. In beiden Gruppen könnte 
weiter der Sonorlaut durch die vorhergehende Liquida (bzw. Nasal) 
erhalten sein; was oi betrifft, so würde es, wenn paylem „glänze“ 
aus *phalg.... in Anbetracht von ai. phalgih „rötlich“ herzuleiten 
ist, dieselbe Entwicklung wie gail „Wolf“ = ai. orkak durchgemacht 
haben, das aus *ulg*os durch ly zu Jj entstanden sein soll (Pedersen 
o. XXXIX 364); darnach hätte die Gruppe lg lg eine besondere 
Behandlung erfahren *). 


IL Kater „süß*. 


Hübschmann, Arm. Stud. 154 hat Kater mit großem Vorbehalt 
zu avest. xvarazista- „sehr süß“ gestellt; zvarazista ist aber augen- 
scheinlich eine Derivation von zvar „genießen“ (vgl. Vd. 2. 28 hadra 
vispangm zvaradangm taoxma upa barat yöi hantianhä zamo zvarazistada 
hubaoiöitamada: „dann sammelte er die Samen aller Speisen, welche ` 
dieschmackhaftesten und wohlriechendsten sind auf dieser Erde“, mit 


1) Für 8 vgl. Béog usw.; übrigens habe ich in meinen demnächst erscheinenden 
Studi sulla preistoria delle lingue indeuropee zu zeigen versucht, daß Labiovelare 
vor ¿ im Griech. nur dann Dentale ergeben haben, wenn die Analogie der 
vor e vorlag (z. B. vis, nicht *ris nach 7£o). 

2) Nach Nasal alternieren bekanntlich 4 ¢ p mit g d b, ohne daß man 
immer wüßte, was das Prius ist; Meillet, Altarm. Elem. 23. Im Kilikisch-Armenischen 
ist die Verschiebung der Media nach Nasal ausgeblieben. Karst, Gramm. des 
Kil.-Arm. 82. 


Armeniaca. 183 


xvarada- aus derselben Wurzel), was Walde, Idg. Et. Wb. II 530 auf 
idg. syel zurückführt; dann wäre der Vokalismus des arm. Wortes 
unerklärlich; übrigens sind Bildung und Bedeutung von avest. 
xzvarazista- augenscheinlich in einzelsprachlicher Zeit entstanden. 
So ist diese Etymologie Hübschmanns vergessen worden, und sie 
ist nicht einmal angeführt bei Walde a. a. O. II 816, welcher 
Scheftelowitzens Herleitung (BB. XXVIII 290) aus *dulkus an- 
geblich = gr. yAuxdc mit der Bemerkung „sehr unsicher“ wieder- 
holt. Man wird Walde einräumen, daß Pedersens Zusammenstellung 
von kater mit k‘ate „Hunger“ keine einleuchtende ist; was Kater 
aus *dulkus betrifft, so müßte man eher *kal.. erwarten (vgl. 
erku aus *duö unten V), und überhaupt ist Scheftelowitzens Re- 
konstruktion ziemlich unsicher. 2 
Wie in mehreren anderen Fällen (z. B. beim Namen der 
Leber, vgl. IF. L 31'), so hatten die Indogermanen für „süß“ 
mehrere unter sich reimende Worte: *suädus vgl. ai. svaduh, gr. 
Hdvs, lat. suävis, ahd. suogi (ursprünglich „schmackhaft“, vgl. gr. 
ndog „Essig“, lit. súdyti „würzen, salzen“ usw.); *sal(d)us, vgl. 
lit. saldüs, ablg. sladükü und daneben gr. Gduxdc ,silzig* (das 
Wort aus *sal-, Nom. *sald „Salz“); endlich *dlukus (so besser 
als *dlkus wie üblich angesetzt, vgl. gr. ydedxog dedxoc, devxis), 
vgl. gr. yAvxög mit Assimilation des d- an den Guttural der folgenden 
Silbe, lat. dulcis (s. ul Wie man sieht, waren zwei dieser Worte 
oder gar alle drei gleichzeitig auf einem einzelnen Gebiete im Ge- 
brauche (Hdvg yAuxds GAvxds), was vielleicht auf kleine Bedeutungs- 
verschiedenheiten hindeutet. Dabei waren formelle Angleichungen 
unvermeidlich; *saldus hat zwar das d aus dem Nom. sg., es ist 
aber mehr als wahrscheinlich, daß dabei (vgl. dAvxds) das Synonym 
*suädus mitgeholfen hat; ebenso ist die Umstellung von * dlukus 
zu *dulkus in lat. duleis nach *saldus erklärlich; endlich ist das 
k-Suffix von @Avxös wohl nach yAvxös entstanden (aber das -kù 
von sladuku ist dasselbe -ku, welches an alle Adjektive auf A im 
Slav. angetreten ist: Leskien, Handbuch der altbulg. Sprache ° 87). 
Etwas derartiges möchte ich für arm. k‘atcr (nebenbei bemerkt ein 
u-Stamm, Gen. k‘atcu) annehmen. Als Grundform dieses Wortes 
nehme ich ein *suälduku- an, d. h. idg. *suädu-, worin das J von 
*saldu- eingefügt, und welches um das Ju von *dluku- erweitert 
worden ist. In dieser Form mußte E zu s werden, d zu t, und 
das « in allen Kasus außer dem Nom. Akk. sg. verschwinden, 
demnach ¢ mit s den Laut ce ergeben, wie ds als 7 erscheint im 
Stamm des Pronomens „ihr“, vgl. IF. L 29 und kil.-arm. e aus 


184 V. Pisani 


t-s, Z. B. baczun „Antwort“ aus batszun, altarm. patasxani, usw., 
Karst, Gramm. des Kil.-Armenischen 105. 


II. ambost „widerspenstig“. 


ambost „widerspenstig“, ambostanam „w. werden“ erinnern 
sehr an engl. boast, mengl. bösten „prahlen“, ahd. bösi „böse“. əm- 
ist natürlich die Präposition and, welche vor Kons. ihr d verliert, 
vgl. z. B. an-kalay Aor. von and-unim „empfangen“ ’). Der Vokalismus 
ist freilich nicht in Ordnung; die angeführten germ. Worte weisen 
auf au hin, und da daneben gr. pgadoıy& patowyé ,(Brand)blase“ 
einerseits, pica , Blase(balg)“, pucdw „blase“, púoxnņ „Blase“, piorys 
„Knoblauch Zwiebel“ (ursprünglich wohl „Blase“, vgl. gaöoıyE) 
andererseits vorhanden sind, so darf man als gemeinsamen Ursprung 
ein idg. *bhaus/bhus (aus *bhuas) „blasen“ ansetzen”). Arm. -bost 
weist dagegen auf *bhuost hin. Liegt hier eine Umfärbung des 
Schwa durch die umgebenden gutturalen Laute vor? Oder liegt 
eine Analogie zugrunde, welche mir entgeht (etwa zostanam 
» verspreche“)? 


IV. erkayn „lang“. 


Von erkayn „lang“ kenne ich keine Etymologie. erka- ist 
wohl aus *gra- entstanden mit der Metathesis von etbayr „Bruder“: 
ai. bhrätä, otork „glatt“ : öAıßoos, surb „rein“ : ai. cubhrdh „glänzend“ 
usw., vgl. auch unten V: dann vergleicht sich das arm. Wort am 
besten mit lat. grandis. Walde, Idg. Et. Wb. 1699 vereinigt ja 
grandis mit Boévdos usw. unter Annahme einer Wurzel grrendh 
„schwellen“, es widerspricht aber dabei der Vokalismus des lat. 
Wortes. Arm. erkayn ist auf eine Grundform *grandhio- zurück- 
führbar; das muß, als aus dh schon d (nicht d!) entstanden war, 
die Palatisierung aber noch nicht stattgefunden hatte, zu *grannio-, 
daher *granio-, geworden sein, etwa wie idg. *sxt-iö- durch *sundja- 
zu got. sunja-; dann ist aus *granio- erkayn geworden mit der- 
selben Versetzung des i-Lauts in die vorhergehende Silbe wie in 
mej „medius“ (oben S. 181 Fußn. 2), ayl „alius* aus *alio-, layn 
„breit“ aus *planio-, vgl. lat. planus, gall. Medio-lanum. 


1) ampem „ich trinke‘, Wurzel 66 von bibo, ai. pibami, air. ibid (idg. 
* pibö aus ** bibö, vgl. meine Grammatica dell’ antico indiano § 363) könnte dasselbe 
and haben; -pem wäre dann ein Wurzelpräsens. Ich ziehe aber vor, darin eine 
Grundform *pimb... zu sehen, ai. pibämi usw. entsprechend: der Nasal wohl 
onomatopöisch, vgl. ital. bumba „Trank“, ein Kinderwort. 

2) Ich sehe von Waldes weiteren Verbindungen ab (im Idg. Et. Wb. ITs. vv. 
pu peu pou phu und bu bhu, S. 79 und 114). 


Armeniaca. 185 


V. erku „zwei“. 

In der vorigen Nummer ist von der Metathesis der Gruppe 
gr- zu erk- die Rede gewesen; ein weiterer Fall liegt in erku 
„zwei“ vor, welches bisher als unerklärlich gegolten hat: vgl. 
Walde, Idg. Et. Wb. [ 817: „er- noch unklar“. 

Ich muß zuerst einige Bemerkungen über den Wandel du 
zu E vorausschicken. Er hat eine genaue Parallele in iu zu k, 
z. B. in ke-, Wurzel des Pronomens „du“, vgl. ai. tva- usw. 
In beiden Fällen ist die Lautverschiebung, welche die ursprünglichen 
Gutturale ergriffen hat, eingetreten, d. h. es ist aller Wahrscheinlich- 
keit nach zuerst iu zu k, du zu g geworden, dann sind diese ko 
zusammen mit den alten k g zu k (vgl. Ik'anem : Auundvo_elik“ 
: line neben unverschobenem k, z. B. in akn : oculus) resp. k ver- 
schoben worden. Dagegen erscheint für idg. vw arm. g-, welches 
dann nach Vollendung der Lautverschiebung entstanden ist. 

Wir haben somit ein vorarm. *gö als Übergangsstufe zwischen 
* Jwö und erku anzunehmen. Dieses *gö ist dann zu *grö, daraus 
*gru (mit regelmäßigem Übergang von 5 in u) geworden, woraus 
lautgesetzlich erku. Die so wiedergewonnene Form *gru ist übrigens 
anderswoher zu gewinnen. krkin heißt „zweifach“ und es ist aus 
dem Zahlwort „zwei“ + -kin gebildet, wie me-kin (aus mi-a-kin) 
„einfach“, erek‘-kin „dreifach“ usw. : mi „eins“, erek „drei“. Nun 
setzt krkin ein *krukin voraus (mit regelmäßigem Verlust von u 
in nichtletzter Silbe), worin *kru- die direkte Fortsetzung des 
aufgestellten *gru ist. Das lehrt uns, daß wenigstens im Anlaut 
(für den Inlaut gibt uns otfork, s. o. ein Beispiel der Metathese 
im Fale von Zweisilbigkeit) die Metathese nur dann stattfand, 
wenn das mit Muta cum Liquida anlautende Wort einsilbig war: 
etbayr erkayn erku, aber kr-kin, d. h. sie ist nur dann eingetreten, 
wenn die Einsilbigkeit beseitigt werden mußte. 

Wie die Grundform *g7o für "ag eingetreten ist, läßt sich 
jetzt leicht vermuten. Es ist bekannt, wie die Zahlwörter oft 
analogischen Einfluß auf einander üben (vgl. etwa got. fidvor 
mit f- nach fimf, vgl. lat. quatuor; lat. novem mit -m nach decem, 
vgl. nön-us aus *noven-os; arm. ut“ „acht“ aus "ont aus "ont mit 
-p- nach *septm, vgl. octö); so ist der Eintritt des -r- in die Grundform 
des arm. Worts für „2“ dem Vorhandensein desselben Lautes im 
Wort für „3“ zuzuschreiben; graphisch ist die Folge der anzu- 
setzenden Übergangsstufen zwischen den idg. und arm. Formen 
dieser Zahlwörter ungefähr so auszudrücken: 

*duo “go *gro *gru erku kr-kin 
* freies *lre..*tre.. erek‘. 


186 V. Pisani 


VI boyn „Nest“; bun „Stamm“. 

Aus der idg. Wurzel bheu sind mehrere Worte hergeleitet, 
welche „Wohnung, Nest“ bedeuten: mit Dehnstufe pwAeds, aisl. 
bol aus *böla- „Lager für Tiere und Menschen“; mit Schwund- 
stufe schwed. dial. bylja bölja aus *bulja- „kleines Nest“, alb. 
buj ba „wohnen“ aus *buniö, usw.; mit Normalstufe und dem 
Suffix -no- hat das Ai. bhavanam „Wohnstätte“, das Alb. bane 
„Wohnung“ aus *bhoyonä; der Vokal der Mittelsilbe ist in beiden 
Sprachen aus dem thematischen Präsens ai. bhdvati usw. übertragen. 

Ohne diesen Vokal, übrigens gleich gebildet ist arm. boyn 
Gen. bunoy „Nest“ aus *bheuno- oder *bhouno-. Dazu mit schwachem 
Vokalismus (idg. bhuno-) bun bnoy „Stamm (e. Baums)“, welches 
keineswegs als iran. Lehnwort aufgefaßt zu werden braucht (so, 
nach Hübschmann und Meillet, zweifelnd Walde, Idg. Et. Wb. II 190, 
wo Zusammenhang mit ai. budhndk „Grund, Boden“ der ver- 
schiedenen Bedeutung zum Trotz — vgl. schon Hübschmann, 
Arm. St. 123 — angenommen wird). Vgl. wegen der Bedeutung 
gutéy gitv (bhy-i-), arm. boys busoy „Schößling, Pflanze“ usw., 
alle zur Wurzel bheu. 

VII. aheak „link“. 

Für aheak aheki „link“ finde ich bei Hübschmann, Arm. Stud. dE 
die Zusammenstellung mit ai. savyd- „link“, welche aber lautlich 
völlig unmöglich ist (es müßte arm. etwa *hegi heißen) und daher 
von ihrem Urheber selbst mit einem Fragezeichen versehen wird. 
Bei Walde, Idg. Et. Wb. finde ich nichts, und das gibt mir den 
Mut, einen neuen Deutungsversuch hier vorzutragen. 

Das -ak ist m. E. mit dem ag* identisch, welches in lat. antiquos 
anticus posticus amicus („der Umstehende* : am- = amb-), ai. dnikam 
„ Vorderseite“ praiic-, schw. Stamm von praty-anc- „zugewandt“ 
usw. als „wohin gewandt“ bedeutendes Suffix vorkommt. Dieses 
Suffix hat im Arm. weiter um sich gegriffen, und wird für die Ab- 
leitung aus Nomina oft gebraucht: get „wissend* — gitak ds., patuér 
„Befehl“ — patuirak „Gesandter“ usw., vgl. Fälle wie ai. cvity-anc- 
„weißlich*. Die Deminutiva auf -ak wie ordeak „Söhnchen“ : ordi 
usw. (dazu dayeak „Amme“, arbaneak „servulus“) enthalten dagegen 
das idg. Deminutivsuffix -ko-. 

aheak ist somit ahi-versus (e aus i vor a wie in dem an- 
geführten ordeak usw.) und die Bedeutung „link“ wird im ahi- 
stecken. Es ist nun bekannt, wie die Sprachen aus Gründen der 
Superstition eine Neigung haben, diesen Begriff durch Um- 
schreibungen anzudeuten: vgl. gr. dguategds ` dgıoros, lat. sinister : ai. 


Armeniaca. 187 


säniyams- „besser“, ai. savydh wohl: sú „gut“, lat. scaevus ` mhd. 
schief schiec, laevus urspr. „gekrümmt“ nach den Glossen laevi 
boyes, qui cornibus terram spectant und laevi boves sunt, quorum 
cornua terram spectant (Walde, LEW.” 408), engl. left = ags. left 
„schlaff“, mndl. Ji lucht = ags. lyft » schwach“, ai. vdmah = vamdh 
„lieb“. 

Ich vermute daher Zusammenhang von ahi- mit ai. dsi-tah 
„schwarz“, fem. dsikni (vgl. häri-h und häri-tah „gelb, grün“ usw.). 
Die Verbindung dieses Wortes mit gr. doc „Schlamm“ unter 
Ansetzung einer Grundform *zsis (Schulze bei Walde, Idg. Et. 
Wb. 1324) ist lautlich unanfechtbar, semasiologisch aber keine 
entscheidende. 

= Der Übergang von „schwarz“ zu „link“ kann auf zwei Wege 
erfolgt sein. Entweder ist die unglücksbesagende Richtung als 
„die schwarze“ bezeichnet, vgl. den nigrum lapillum, womit die 
unglücklichen Tage vermerkt wurden und mehreres der Art; oder 
bedeutet aheak urspünglich „Nordgewandt“. Bekanntlich fällt die 
rechte Hand mit dem Süden, die linke dagegen mit dem Norden 
zusammen in der alten idg. Orientierung, welche das Ai. vor- 
trefflich erhält: déksinam „die rechte Seite“ und „Süden“, pratydfc- 
„hinten befindlich“ und „westlich“, prdac- „vorn befindlich“ prac 
(dig-) „Osten“; bezeichnenderweise sagt man für „Norden“ nicht 
savyd- oder dgl., sondern donc „oben befindlich“, wohl aus 
ominösen Gründen. Nun ist der Norden die schwarze, dunkle 
Seite; vgl. lat. aquilo „Nordwind“ : aguilus „dunkel“; gr. xaıxlas 
„Nordostwind“ : caecus. Wir hätten somit 1. einen Übergang von 
*ahi „schwarz“ zu „nördlich“; 2. einen anderen von aheak „nord- 
gewandt“ zu „link“. 

| VII. -c des Gen. PL 

Brugmann, Grundr. II 2, 240 § 254: „Ganz heraus aus dem 
Rahmen der Formen auf *-om fällt das SE Formans -c, 
das zugleich für den Dat. Abl. Plur. gilt, z. B. mardoc, amac, srtic, 
zarduc, anjanc, marc. Vielleicht repräsentieren diese Formen einen 
Kasus eines mit dem Stammformans -sko- gebildeten Adjektivs.“ 
Ich wüßte aber nichts von einer Bedeutung des idg. Suffixes 
-sko, woher der Gen. Pl. herleitbar wäre; im Arm. bezeichnet 
-oç den Ort, wo etwas sich befindet, bzw. vor sich geht, z. B. in 
hn-oc „Herd“ aus dem idg. Wort für „Feuer“ (Vf. Rendiconti 
dell’Acc. dei Lincei VI, III 411 fgg., vgl. Idg. Jahrb. XIII 75) und 
daraus hat sich die Bezeichnung des Werkzeugs entwickelt, z.B. 
in kir-oc „Messer zum Scheren“ : ktur-k“ „Schur“; aus -oc weiter- 


188 V. Pisani, Armeniaca. 


gebildet ist -anoc mit einer verwandten Bedeutung, z. B. in meluanoc 
„Bienenkorb* : metu „Biene“, gohanoc „Altar“ : goh „Opfer“; -aci 
in Atenaci „Athener“ : Afen-k (pl. t.), draci „Nachbar“ : dur-k* 
(pl. t.) „Tür“ ist offenbar eine i-Ableitung aus Genetiven von 
Pluralia tantum, die sich dann an andere Worte verbreitet hat. 

c ist aus idg. ks hervorgegangen, wahrscheinlich auch aus 
ts, wofür ich keine Belege kenne, wohl aber die Parallele ts 
(aus d-k) zu c, vgl. oben II. D. h., da für zh am Ende der Gruppen 
Media Aspirata + s das s fast überall wiederhergestellt worden 
ist unter entsprechender Verhärtung des vorausgehenden Kon- 
sonanten, so hätten wir bei den Stämmen auf k 9 ght d dh einen 
Komplex ¢ zu erwarten, als Produkt des Zusammentreffens von 
Stamm und mit s anlautender Endung. Eine solche ist -söm des 
Gen. pl. der Pronomina, welches im Griech. Lat. und Osk.-Umbr. 
über seine Grenze um sich gegriffen hat, nämlich bei den g- (Lat. 
auch o-)Stämmen. Der Grund der Neubildung ist hier darin zu 
sehen, daß man die direkte, den Stammauslaut verdunkelnde Ver- 
quickung des thematischen -# mit der Endung -öm zu vermeiden 
suchte, (vgl. die Auswege ai. senänäm, ahd. geböno, got. gibö aus 
-äm gegenüber vulfe aus -om: Vf. IF. XLVIII 67 fgg.) Im Arm. 
dürfte für den Eintritt von -səm statt om der Wunsch ausschlag- 
gebend gewesen sein, der Endung — zumal wenn schon die Re- 
duktion des Auslauts begonnen war — größere Schallfülle zu 
geben. 

Man wird mir entgegenhalten, daß die Stämme auf Palatal 
und Dental schon im Idg. eine verschwindende Minderheit bilden 
gegenüber denjenigen auf Vokal Liquida Nasal und s. Es kommen 
aber zwei Momente in Betracht; einmal haben sehr früh, dank 
dem Schwund des Vokals in letzter Silbe der mehrsilbigen Wörter, 
auch die vokalischen Stämme ein gleiches Aussehen bekommen 
wie die wurzelhaften; zweitens wäre die direkte Fortsetzung der 
idg. Bildungen auf om oder auch auf -som, da wir ja billiger- 
weise eine Verbreitung dieser Endung auf alle Stämme annehmen 
müssen, nach jenem Schwund völlig mit dem reinen Stamm zu- 
sammengefallen. Es hat somit etwas derartiges wie gr. &naldevoa 
nicht *ézadeva nach raġa und dgl. stattgefunden, mit anderen 
Worten, es ist das morphologisch bedeutungsvolle, obgleich nur 
in einigen Fällen vorhandene, auf alle Fälle ausgedehnt worden 
als Zeichen kat’exochen der betreffenden grammatischen Kategorie, 
nachdem infolge des „lautlichen Verfalls“ diese Kategorie jeder 
Bezeichnung entbehrte. | 


W. Schulze, Zur Blattfüllung. 189 


IX. sartnum „überdrüssig werden“. 

Das idg. Wort für „Herz“ liegt im Arm. in der dehnstufigen 
Form vor, sirt Gen. srti aus *kerd-, welche wohl im gr. xfo und 
apr. seyr wiederkehrt; daneben weisen die idg. Sprachen auf 
schwundstufiges krd- hin, z. B. ablg. srüdice lit. sirdis lat. cord-is usw. 

Ich vermute, daß diese schwundstufige Form in einem arm. 
Derivatum vorhanden ist, nämlich in sart-num Aor. sart-eay „ich 
werde überdrüssig“, mit sart- regelmäßig aus *krd-; semasiologisch 
vgl. ablg. srüditi se „irasci“ russ. serdifsja „8. ärgern“ : srüdice, 
serdce „Herz »—> Ärger, Zorn“ TL 


Rom. En um Vittore Pisanı. 


Zur Blattfüllung. 


1) Die Ablautsdifferenz zwischen den gleichbedeutenden Wör- 
tern Ywuög ` Bond wiederholt sich ganz genau in dem Syno- 
nymenpaar westgerm. raum : an. rjómi (Kluge* § 88). Vgl. an. 
draumr (Heliand 680 sweban gitögda, / gidrog im an dröme) flaumr 
straumr taumr, ags. fléam : got. hliuma an. (ags. as.) ljömi. Das 
an. hljémr beruht also wohl auf Kontamination, wie ahd. lim und 
leimo neben leim o. XLV 55, osk. feiho- neben toiyos teizos, gr. 
duopp£orarog (Quaest ER 244)°), lat. modestus pondus neben modus 
pondo. 

2) Bei Walde-Pokorny I 202 wird ein altgermanisches Kausa- 
tivum jaukian erschlossen, das Laut für Laut dem ai. yojayıti ent- 
spricht. Im Ahd. ist es direkt belegt durch die Verbalform 
untariauhta: subiugavi Gl. I 290,58, untariaucten’ interiectis II 332, 24 
und wird vorausgesetzt durch das Verbalabstraktum kaiauchida‘ 
iuga II 331,38. Graff 1592. Krüer, Der Bindevokal und seine 
Fuge im schwachen deutschen Priteritum 106. 

3) Komposita wie gr. Sequodérns, ai. somasit (Berl, Ak, Sitzungs- 
berichte 1918, 774 Anm. 5) finden eine Parallele auch in ags. 
gealdorgalend. W. Sch. 


1) Man wäre versucht anzunehmen, daß bei dieser Entwicklung eine Be- 
deutung „Magen“ des Wortes *kerd- zugrunde liegt; vgl. die Bedeutung von 
xagdla bei den griechischen Ärzten (aus „Mitte, Inneres“, scil. des Körpers, ent- 
wickelt; vgl. russ. seredina „Mitte“, sereda „Mittwoch“, serdcevina „Herz eines 
Baumes, Seele des Kabels“) und lat. stomachari : stomachus. 

2) Wenn nicht an edecdgoregos angeglichen (Hdt. I 196), wie é99wueréotegos 
an dodevéotepos (Schwyzer, Bursians Jahresber. 120, 66). 


190 Jacob Wackernayel 


Indoiranica’). 

11. ai. avatkd- 
in AV. 2,3,1b adó ydd ava-dhävaty avatkam ddhi parvatat (tat 
te krnomi bhesajdm, sübhesajam ydd dsasi) wird von Roth (BR.) 
fragend als Deminutivform von RV. avatd- „Brunnen, Cisterne“ 
erklärt, von Whitney (Atharva-Veda Samhita translated S. 40) 
fragend zum Partizipium von av- gezogen; er übersetzt „what 
runs down yonder, aiding (?) off the mountain...“ Die Erklärung 
Roths ist sachlich und formal unmöglich, die Whitneys scheint 
durch einen dem dritten und vierten Pada entsprechenden Passus 
des Paippalada-Textes: avat(a)kam mama bhesajam avat(a)kam pari- 
vacanam, an die Hand gegeben, und würde eine normale Bildung 
voraussetzen. Aber Whitney zweifelt selbst mit Recht: in den 
vorangestellten Relativsatz paßt ein „aiding“ schlechterdings nicht. 

Das daneben stehende ava-dhdvati führt auf die Teilung ava- 
tkdm „herabstürzend“. Das Verbum tak- mit seinen Ableitungen 
wird im Altindischen, wo es früh verschollen ist, meist von stür- 
mischer Bewegung der Tiere, besonders der Vögel, gebraucht. 
Aber im Awesta, wo es häufiger belegt ist, hat es vorwiegend die 
Bedeutung „fließen“. Ebenso ist diese Bedeutungsnuance in. den 
baltischen und slavischen Sprachen reichlich vertreten (vgl. End- 
zelin KZ. XLIII 18; Walde-Pokorny I 715). Man darf sie füglich 
auch der Grundsprache zuschreiben. Ä 

Oxytones -tkd- gehört mit den zahlreichen einsilbigen Nomina 
agentis auf -d- zusammen, die sich im Altindischen als Hinter- 
glieder finden. Allerdings wäre -tkd- so verstanden m. W. das 
einzige ai. Nomen auf -a-, wo die Einsilbigkeit auf Vokalsynkope 
vor Verschlußlaut beruht. Aber das grundsprachliche Wort ni- 
zda- „Nest“ bietet eine sichere Parallele. Ebenso mit anderm 
Suffix das vedische d-sk-ra- „zusammenhaltend“ und das sicher 
zweisilbige gAw. d-skaitim „Anschluß“ (beide zu ai. d-sac-ate bzw. 
jAw. ä-hishazti-). In allen diesen Fällen geht der synkopierten 
Wurzel ein Präverb voran. 

Ein -tk- wäre allerdings undenkbar, wenn tak-, wie BR. unter 
pratänkam (angeblich „gleitend, schleichend“) annehmen, nasalen 
Inlaut gehabt hätte; aber solcher wird durch die baltischen und 
slavischen Entsprechungen ausgeschlossen. Auch scheint pratdn- 
kam eine ganz andre Bedeutung gehabt zu haben. 


1) Vgl. KZ. LIX 19ff. 


Indoiranica. | 191 


12. kalyana-. 

Das vom RV. bis in das spätere Sanskrit häufig gebrauchte, 
auch im Pali noch fortlebende, Adjektiv kalyäna- „schön“ fällt 
durch sein zerebrales » auf. Im allgemeinen nimmt man an, die 
ursprüngliche altindische Form habe *karyäna- gelautet, mit einem 
durch normalen Lautwandel unter dem Einflusse des voraus- 
gehenden r für n eingetretenen n, und es sei dann das n nach 
Ersatz des r durch 7 in dem Worte haften geblieben. Man führt 
als Parallele hierzu an, daß das ın TS. TB. und AV. überlieferte 
$lond- (nebst d-slona- und slénya-) „lahm“ für srond- des RV. eben- 
solches durch r bewirktes und nach Ersatz von r durch / ge- 
bliebenes ņ enthalte. Im RV. findet sich kein Fall dieser Art; 
und außerhalb des RV. gibt es im Altindischen kein weiteres 
Beispiel, es sei denn, daß man das a des vom AV. an belegten 
lavand- „Salz, salzig“ in dieser. Weise erklären will. Im Mittel- 
indischen, wo / für r teils häufiger, teils geradezu Regel ist, finden 
sich allerdings manche Fälle von solchen ņ in der Nachbarschaft 
von l gegenüber ai. r; es genüge auf pali taluna- aus ai. tdruna- 
zu verweisen. Bei dem so ganz vereinzelten slond- aber wird man 
fragen dürfen, ob nicht das n aus dem sinnverwandten, schon 
vedischen känd- „einäugig* (dem altes d-käna- zur Seite steht) 
oder dem lautlich anklingenden ebenfalls alten söna- „rot“ ent- 
stammt. 

Aber auch zugegeben, die herrschende Erklärung von ka- 
lydna- aus einstigem *karydna- für *karydna- sei annehmbar, was 
wäre damit gewonnen? Man bringt das Wort mit ep. kl. kalya- 
(als Adjektiv „rüstig, bereit“, in den Formen kalyam und kalye 
adverbial „mit Tagesanbruch“) zusammen. Aber dieses kalya- fehlt 
der vorklassischen Sprache, und seine Verwendung paßt schlecht 
zum Gebrauche von kalydna-, gehört eher zu käld- “Zeit“ 
(KZ. LIX 23, wozu nun Leumann, Studia indo-iranica, Ehrengabe 
W. Geiger 22 hinzuzunehmen ist). 

Auch formal ist ka/ydna- schwer davon abzuleiten; -äna- in 
Ableitung aus Nomina auf a ist dem Altindischen sonst unbekannt. 
Leumann in dieser Zeitschrift XXXII 309 wäre geneigt, das 
Femininum kalyani- zu Grunde zu legen und die maskulin-neu- 
tralen Formen auf a daraus zurückgebildet sein zu lassen unter 
der Berufung darauf, daß im RV. und AV. das Wort in masku- 
liner Verwendung nur einmal belegt ist, dagegen femininal zwölf 
(mit Einschluß von d-kalyäni dreizehn) Mal. Aber Oldenberg, Gött. 
Nachr. 1918, 55 Anm. bemerkt mit Recht, daß in jenem Über- 


192 Jacob Wackernagel 


wiegen des Femininums nichts anderes zu sehen ist, als daß man 
Frauenschönheit mehr als Männerschönheit beachtete. Ganz un- 
wahrscheinlich ist aber Leumanns Vermutung, weil au. zur 
Bildung des Femininums von Substantiven dient, nicht von Ad- 
jektiven, und ganz unmöglich ist sie, weil das -7- von kalyänt- 
ein Vrki -i ist (unten S. 194), das der Bildungen auf -äni ein Devi 
A daher diese nur zum Teil oxyton sind. 

Man muß dem merkwürdigen Worte von ganz anderer Seite 
beizukommen suchen. Steckt darin vielleicht ein altes Kompositum? 
Zusammenhang mit griech. xaddcg (böot. »aArds) darf wohl als 
selbstverständlich gelten. Nun stimmt kaly- zu gr. xalAı- im Ein- 
gang von Komposita, wenn man der zuletzt von Arbenz (Die 
Adjektive auf Auge, Dissert. Zürich 1933, 10) vertretenen, wie mir 
scheint sichern Annahme folgen darf, daß die Kompositionsform 
von xaArös ursprünglich gerade so *xadi- war, wie xvdi- mvx- 
usw. die von xvdods nmuxvds, und daß *xadı- durch xaAdı- ersetzt 
wurde, weil das entsprechende Abstraktum xdddog (aus *xdAvog?) 
doppeltes 2 hatte. Gerade so sekundär ist das doppelte A in den 
Steigerungsformen att. xaddiwy udddiotos gegenüber dem sicher 
bezeugten lesbischen xddsov xddiotos, worin gerade die Formen 
vorliegen, die wir postulieren miissen. Vgl. besonders Schulze, 
Qu. ep. 8if. und Ernst Fraenkel, Griech. Denominativa I 35 Anm. 
(Das einfache A in eleisch xaditegos (Inschr. von Ol. 7, 4) ist wohl 
nur graphisch.) 

Bliebe -äna- als Hinterglied. Nach Fortunatovs Regel (Bezz. 
Beitr. VI 216) würde dem ein grundsprachliches -#*/no- zu Grunde 
liegen, mit einer vom Indischen aus nicht zu bestimmenden Quanti- 
tit und Qualität des anlautenden Vokals’). Einem solchen -dlno- 
entspricht genau griech. &@AAd»' thy toù Boaxiovog xaunyjy (Hesych). 
Dagegen weisen griech. #A&vn, got. aleina, ahd. elina, altir. uilen und 
wohl auch lat. ulna (nach Ernout, Bull. Soc. ling. XXX 121 durch 
etruskische Vermittlung aus dem Griechischen entlehnt) auf eine 
Form mit e zwischen / und n. Im Indoiranischen sind beide Formen 
des Wortes belegt, die zweisilbige in ai. äni-, klassisch „der Teil 
des Beines unmittelbar über dem Knie“ (im RV. „Zapfen der 
Achse“, MS. 4, 8, 4 [111, 13f.] an? yajädsya), wobei das ai. i- 
gegenüber dem -o- -@- der anderen Sprachen unerörtert bleiben 
darf (vgl. Fortunatov, Ztschr. XXXVI 29); die dreisilbige in npers. 


D Zieht man Bartholomaes (IF. III 174ff.) und anderer Auffassung der 
vedischen Cerebrale vor, so wäre außer -d*Zno- auch -d*rno- als Grundform 
denkbar, was indes keinen Anhalt für eine etymologische Deutung böte. 


Indoiranica. 193 


dran „Elle* Sarigoli yorn „Ellbogen“. (Hübschmann, Pers. Stud. 
208; Geiger, Iran. Grundr. I 2, 305 [§ 28 A am Ende]; Bartholomae, 
Heidelberger Sitzgsber. 1918, V 33.) 

Formal ist alles in Ordnung: kaly-dna- ist Paroxytonon (im 
RV. 1, 31,9 Vokativ): TB. 2, 4, 7,2; 3, 10, 7,1; SB. 2, 3, 4, 11. 
14; 3,5,4,7; 14, 4, 1, 3. (kalyandtara- SB. 14,7, 2,5 gehört zu 
den vielen Akzentfehlern dieses Buches: Ai. Gramm. I 295); Klassisch 
gilt diese Paroxytonese nach Phits. II 19 weiter. — Dieser Akzent 
stimmt, wenn wir gemäß rji-svan- oxytones *kali- ansetzen, zu 
der Ai. Gramm. II 1, 295f. angedeuteten, in den Göttinger Nach- 
richten 1909, 54f. besser formulierten Regel betr. Schub des 
Akzents von Vordergliedern mit -i- usw. auf die erste Silbe des 
Hintergliedes. — Das Femininum lautet vom RV. an auf oxytones 
-ani- aus, wofür klassisch nach Gana bahv-adi zu Pan. 4, 1, 45 
auch paroxytones -dnd- zulässig ist. 

Nun ist es eine Regel der indischen Grammatiker (Pan. 4, 1, 
54ff.), daß im allgemeinen solche Bahuvrihi-Komposita, deren auf 
a ausgehendes Hinterglied einen Körperteil bezeichnet, im Femi- 
ninum den Ausgang ? haben können, der in diesem Fall ohne 
Rücksicht auf die Akzentuation des Maskulinums stets oxyton ist. 
Diese Regel gilt schon für die ganze vorklassische Sprache. So 
treffen wir im RV. in Komposita mit kdrna- „Ohr“ den Akk. Pl. 
asta-karnyäh (10, 62, 7°); in solchen mit parná- „Fittig* su-parnyah 
(10, 86, 195 Nom. Pl., 9, 86, 375 Akk. Pl); in einem mit jihvä 
„Zunge“ (9, 101, 14) sudnam .... dirgha-jihvyam „die langzüngige 
Hündin“. (So richtig Graßmann, Wörterb. s.v. svudn- und in seiner 
Übersetzung; zu Unrecht hält Oldenberg zu der Stelle an der 
älteren Auffassung von dirgha-jihvyam als Akk. eines Adjektivs 
auf -yd- fest.) — Eben solches oxytoniertes -karni- kehrt in andern 
alten Texten wieder, meistens neben barytonen Maskulina auf 
-karna-. So hinter adhilodha- im Kathaka, hinter krdhu- im AV., 
hinter krsna- in der MS., hinter babhru- in der TS. (vgl. auch 
TS. vi-karn? neben vi-karnd-). Eine lange Reihe von solchen 
Bahuvrihis auf -karni- liegt MS. 4, 2, 9 (S. 31, 15ff.) vor. Ebenso 
lebt derartiges parni- weiter in AV. sahasra-parni- neben sahdsra- 
parna- (allerdings im Sinne von „tausendblättrig“). — Derselben 
Art sind die Feminina -kesi!- von késa- „Haar“, -mukht- von mükha- 
„Maul“, -srngt- von sraga- „Horn“ vom AV. an; -grivi- von grivd- 
„Nacken“ in VS. und TS. usw. (Der einzige Fall von ä bei 
einem solchen Bahuvrihi, der sich in einem alten Texte bietet, 
ist der RV. 10, 86, 8° belegte Vok. prthu-jäghane „o u 


Zeitschrift für vergl. Sprachf. LXI 3/4. 


194 Jacob Wackernagel 


von p.-jdghana-.) Ausgezeichnet paßt dies auf die Akzentuation 
kaly-äni- : kalydna-, sobald man dem Wort die Bedeutung „schöne 
Ellbogen habend“ geben darf. 

Eine besondere Übereinstimmung sei noch hervorgehoben. 
Den Femininen mit durchweg oxytonem Z gegenüber eventuell 
barytonem a im Maskulinum eignet in den alten Texten meist die 
von Lanman entdeckte Vrki-Flexion (vgl. Altind. Gramm. III 70, 
§ 86). Sicher gilt dies von den Bahuvrihis der bezeichneten Art; 
daran lassen die oben aus dem RV. angeführten Beispiele keinen 
Zweifel. Und nun treffen wir im RV. gerade auch von kalyant- 
die Vrki-Nominative sing. kalyänih (3, 53, 6®), Plur. kalyanyah 
(4, 58, 8b). | 


.Man wird einwenden, daß zu der Bedeutung „mit schönen 
Ellbogen“ „schönarmig“, auf welche die formale Analyse von 
kalydna- zwingend zu führen scheint, der wirkliche Gebrauch des 
Wortes für alles mögliche Schöne und Gute, wie ihn die Wörter- 
bücher verzeichnen, nicht stimme. Demgegenüber sei zunächst 
auf Oldenbergs Feststellung (Göttinger Nachr. 1918, 54) verwiesen, 
daß in RV. und AV. kalydna- (nebst d-kalyäna-) ausschließlich 
dazu dient, Personen als „schön“ (bzw. als „häßlich“) zu bezeichnen. 
Solche Beziehung auf persönliche Schönheit ist auch in jüngeren 
Texten noch zu treffen; den Stellen, die Oldenberg aus der Brah- 
mana-Prosa anführt, kann man etwa Jaim. Br. II 266 kalyänya 
striyah pativratäh beifügen. Aber allerdings schon dieselbe Prosa 
zeigt uns das Wort auf verschiedene unpersönliche Begriffe und 
nicht bloß im Sinne von „schön“ angewandt. (Oldenberg a. a. O.) 
Das ist nicht überraschend. Sachliche Verwendung von Worten, 
die anfänglich nur von Personen galten, kommt überall vor. Ein 
besonders drastisches Beispiel ist das lateinische virtus. 

Mehr könnte es befremden, daß ein Wort, das schon in den 
ältesten indischen Texten dazu diente, jemanden als überhaupt 
schön zu bezeichnen, seiner Etymologie nach anfänglich nur einem 
einzelnen Schönheitszuge gegolten haben soll. Aber hier kann 
uns das älteste Griechisch vorwärts helfen. 

‘ Die antiken Erklärer des Homer heben an den homerischen 
Beiwörtern von göttlichen und menschlichen Frauen, die mit 
xaldı- und ähnlichen Wörtern beginnen, gerne hervor, daß sie 
dré wégovs gemeint sind und im Grunde dazu dienen sollen, die 
betr. Frau als überhaupt schön erscheinen zu lassen’). So Apol- 


u 1) Im Ganzen fehlen bei Homer eigentliche Epitheta von Männern, die auf 


Indoiranica. 195 


lonios Soph. 94, 21 xaddispueos dré vòs u£oovs nv ÖAnv naiv 
Bovileraı dnidody (vgl. Hesych. xaddicpveos' xa dnd pégove. 
edov9u0s. Ähnlich Etymol. m. 487,7) und 41, 82 doyvedneta’ and 
u£oovs, ÖAn Aevan. Ferner Hesych devxdanyvs dnd péoovs, San 
Aevnn nai xadyn. Kürzer Hesych xaddindonos’ nalds nageras čyovoa: 
ebsoenns, wonach man bei denselben richtig ergänzt xad(A)ilwror: 
ano pégovs xadal. — Hieher gehört auch Apoll. Soph. 139, 9 60do- 
ddxtvdos N 6o0ddyoovs, and mégovs zań. 

In der Tat kann man sagen, daß, wenn Homer durch ein 
rühmendes Epitheton die Schönheit einer bestimmten Göttin oder 
menschlichen Frau hervorheben will, er lieber ein Kompositum 
setzt, wodurch ihr der Besitz eines schönen Körperteils oder Ge- 
wandstücks u. dgl. zugeschrieben wird, als daß er sie einfach als 
xady bezeichnete. Letzteres kommt in der Jlias zweimal (Z 556 
naAnı Kicsondron: und IT 175 sein IloAvdwen), in jüngeren Teilen 
der Odyssee (y 464. ô 404. 4 271. 321) viermal vor, überall im 
gleichen Versfuß, so daß eine einzelne Stelle für alle Stellen Vor- 
bild gewesen sein mag. Daran reihen sich einige Stellen, wo dem 
= ein präzisierender Ausdruck beigegeben ist, wie @ 305 xady 

. deuas éixvia Zeien, IT 180 yoods xad. 3 383 Aunagoxondeu- 
vos “adn. 

Diesen wenigen Stellen mit xad7 stehen gegentiber, in der 
Regel singularisch, xaddiZwvog (3mal Plur.), xaddinowos (2mal), 
nxahdinondeuvos (1mal), xaddincdenos (16mal Plur.), xaddindAduapos 
(6mal), xaddicpvoos (mal), édfwvog (mal Sing., 2mal Plur.), 
nhoxowos (2imal), édmendocg (2mal Sing., 5mal Plur.), évwAdxapos 
({7mal Sing., 9mal Plur., dazu évadoxapides 2mal), doyvednela 
(13 mal), Aevxwdevos (36 mal), Aunagoxondeuvos (melt, Dazu (oben 
Zeile 7, unten S. 196) das 27 malige 6ododdxrvAog “Haws. — Die hohe 
Dichtung der Folgezeit setzt vieles von diesem fort und fügt als 
Epitheta von Frauen weiteres der Art bei, wie xaddinédtdosc, 
*sinela (aus eönebos Poll. 2, 192 zu erschließen), xgoxdxerdog, 
Ainagdlwvos, oınıloodußaios, 6oödxoAsos, Taviopvoos und viele 
andere. Ich habe wohl nicht die Pflicht, auch bei diesen den 
Gebrauch gegenüber dem einfachen xaåń abzugrenzen '). 
Schönheit gehen. Es finden sich nur Äußerungen nach Art von I'169 xaddv 
ottw éyav od nw Tov éptadhuoiow od’ odtw yeoaedy oder P 108 ody dpauıs 
olos nal yò xadds te wéyag ve, oder wieder nach Art der Nireus-Stelle B 671ff. 

1) In diesem Zusammenhange darf hier wohl auf die feinsinnigen Bemer- 
kungen Hermann Fränkels in der Festschrift für Reitzenstein S. 11 Anm.1 hin- 
gewiesen werden. Er macht darauf aufmerksam, daß in der alten Dichtung von 


den weiblichen Körperformen nur so weit die Rede ist, als sie gemäß der Be- 
13* 


196 Jacob Wackernagel 


Was wir hier bei den alten Dichtern der Griechen beobachten, 
daß sie den Preis menschlicher Schönheit, insbesondere der 
Frauenschönheit, gern an ein einzelnes Stück anknüpfen, woran 
sich diese Schönheit offenbart, dürfen wir vielleicht für ältere 
Denk- und Ausdrucksweise überhaupt voraussetzen. Kundige 
werden das Gesagte aus andern alten oder in ihrem Wesen alter- 
tümlichen Literaturen ergänzen oder berichtigen können. 

Jedenfalls kann es nicht überraschen, daß der Lobpreis der 
Schönheit gerade an die Schönheit des Armes anknüpft. Auch 
hier können wir von Homer ausgehen. Bei ihm ist Aevxwdevoc 
zwanzigmal Epithet der Hera, vereinzelt Epithet menschlicher 
Frauen, sogar von duwiai und duginodo. Die folgenden Dichter 
haben das Wort aufgenommen und fügen eöw4evog bei, bilden 
weiterhin sinnverwandte Komposita mit njyvs. So xaddinnyus, 
edanyvs, Aevudnnyvs, boddsıngus (Sappho Booöönaxvs), so wie yovoć- 
sraxvs bei Bakchyl 5, 40 im Anschlusse an das häufige yoevoddeovos 
Hos der Odysse. Schon Homer hat 6odoödxtviog als Beiworte 
der Eos. Die Alten haben es wohl richtig gedeutet (oben S. 195): 
es ist eigentlich, wie mich Von der Mühll belehrt, Epithet von 
Frauen mit rosigen Armen. 

Fast noch deutlicher dient bei den Ariern ein schöner, bes. 
ein großer langer Arm als Hauptkennzeichen einer schönen statt- 
lichen Persönlichkeit. Aus der Geschichte bekannt ist *drgabäzu- 
(uaxoöxeıg longimanus) als offenbar rtühmendes Beiwort Artaxer- 
xes des ersten. Dasselbe Wort in der Form darayobäzu- wird im 
Awesta (Yt. 17, 22) neben hv-ascu- ,schénwadig“ für den schönen 
(hukarata- srira-) Zarathustra gebraucht. Midra führt Yt. 10, 75 
das Epitheton uyrabäzu- „starkarmig“. Schöne Mädchen heißen 
im Awesta (Yt. 5,7) aurusa-bazu- „weißarmig“, darayo-angusta- 
„langfingrig“ (worauf Bartholomae, Altir. Wb. 191, 694f. ausdrück- 
lich hinweist). So werden die persischen Mannsnamen auf -bäzu- 
(griech. durch -8alog wiedergegeben) verständlich. 
kleidungsweise der alten Zeit dem Auge sichtbar waren. Die „Epitheta xaAAL- 
opvoos und AevxwAevog heften sich an die Grenzbezirke zwischen Blöße und 
Bedeckung“. Daß die alte hohe Dichtung Komposita der Spätlinge wie xa’Aé- 
nvyos, xadAlydovtos, doddnvyog in Schilderungen der Frauenschönheit nicht 
zugelassen hätte, bedarf der Begründung nicht; vgl. Sprachliche Untersuchungen 
zu Homer S. 224ff. Hiervon steht das prthu-jaghane „o breithüftige“ in Strophe 8 
des vor stärksten Obszönitäten nicht zurückschreckenden Liedes RV. 10,86 stark 
ab (vgl. Str. 62 ná mát stri subkasditara) und gemahnt an die Weise der 
späteren indischen Dichtung. Vgl. auch Arnold, KZ. XXXVII 217ff. Darf man 


wohl annehmen, daß in Derartigem Homer dem Stile seiner vorgeschichtlichen 
Vorgänger treuer geblieben sei, als der indische Dichter? 


Indoiranica. 197 


Ähnlich halten es die Inder. Im RV. 3, 32, 6f. wird Sinivali 
mit prthustuke angeredet, als subahüh svangurih bezeichnet, also 
außer wegen ihrer mächtigen Zöpfe wegen ihrer schönen Arme 
und Finger gefeiert; ähnlich die Anreden subaho svangure prthusto 
an eine andere göttliche Frau 10, 86, 82? (Oldenberg, Gött. Nachr. 
1918, 64 Anm.); subāhú- heißt im RV. auch Indra, svanguri- auch 
Savitar, ugra-bähu- (= jAw. uyrabazu-) Indra und die Maruts, 
während, wie wiederum Oldenberg bemerkt, Leben und Schön- 
heit des menschlichen Gesichts den Dichtern des RV. noch wenig 
aufgegangen, z. B. vom Antlitz der Usas nirgends die Rede ist 
(außer etwa von ihrem Lächeln). Daß Agni jyotir-dnika- und 
sv-anika heißt, geht auf die materielle Erscheinungsform des 
Feuers. 

Ähnliches bietet die nachvedische Überlieferung. Das vedische 
subahu- ist vom Epos an häufig als Name von Männern und 
Frauen, das zum Iranischen stimmende dirghabäzu- im Epos Bei- 
name und Name. Ich verweise auch auf alles das, was ım Nala 
5,5 an den Armen der zum Svayamvara der Damayanti ver- 
sammelten Fürsten gerühmt wird. — Etwas ferner liegen die 
Äußerungen über die Hand und die mit hdsta- und päni- gebil- 
deten Worte. 

Bleibt noch ein Wort über das Alter von kalydna- zu sagen. 
Nach Oldenberg, Gött. Nachr. 1918, S. 54 Anm. ist einerseits 
daraus, daß drei der vier Belegstellen des RV. in Anhangshymnen, 
bzw. im X. Buche stehen, andrerseits aus dem 7 und dem n zu 
folgern, daß das Wort minder alt sei. Zu der hier vorgetragenen 
Auffassung stimmt dies zunächst nicht. Wichtiger ist, was von 
Oldenberg, S. 35ff. nachgewiesen wird, oder sich mittelbar aus 
dem von ihm Gesagten ergibt: das Erbwort für „schön“ im all- 
gemeinen ist srird-, das mit dem Abstraktum srZ- und den Grada- 
tionsbildungen sreyas- srestha- zusammengehört. Aber schon für 
RV. und AV. ist srörd- nicht mehr lebendig, nur die Privativ- 
bildung a-srird- (RV.) a-slild- vom AV. bis in die klassische Sprache 
zu belegen. Offenbar dient kalydna- als Ersatz fiir das fehlende 
*srird- oder hat dieses verdrängt (vgl. Oldenberg, S. 53). Darauf 
mag das seltene Auftreten in den ältesten Stücken des RV. be- 
ruhen. 

13. ai. grismd- 
„Hochsommer“, vom RV. an belegt, klingt mit seinem -sm- 
deutlich an die begriffsverwandten Wörter des indogermanischen 
Sprachkreises, wie jAw. ham- nebst Zubehör „Sommer“, deutsch 


198 Jacob Wackernagel 


Sommer an, wozu aus dem Altindischen selbst sámā- „Sommer“ 
kommt, wenn Whitney im AV.3,10,1 u. 17,4 uttardm-uttaram 
sdmam richtig mit „each further summer“ wiedergegeben hat. 
Sonst wird für das vedische s4mä- die Bedeutung „Jahr“ ange- 
nommen, was zu SB. aisdmah „heuer“ (vgl. BR.) und arm. am 
„Jahr“ stimmt; daß Bezeichnungen von Jahreszeiten gern die 
Bedeutung „Jahr“ bekommen, ist bekannt. 

Die Anfangssilbe gri- stimmt zu dem griechischen Adverb ßei, 
das Strabo 8, 5, 3 (S. 364) als hesiodeische Abkürzung (Fr. 236 Rz.) 
von Boragdy und Bordd kennt und Hesych in der Glosse Boi (sic!): 
en tod ueydiov xal ioyvooð xal yadenod ılderaı bezeugt. Das 
Wort ist auch in Homers ßgınnvog „mächtig schreiend* enthalten 
und gehört mit Boaeds „stark“ und fod» „stark sein“, „stark 
machen“ zusammen. Wohl zu Unrecht nimmt Bechtel, Lexilogus 
zu Homer 84 an, daß ßei als selbständiges Wort kein Daseins- 
recht hatte, sondern die Kompositionsform von ßgıagös darstelle, 
wie xaAlpow» die von yadaods. Der Kombination mit grismd- 
würde dies übrigens im letzten Grunde kaum hinderlich sein. 

 grismd- ist also „die Zeit des heftigen starken Sommers“. 
Ob es von Haus aus Maskulinum war oder erst durch nachträg- 
lichen Einfluß von rté- zu einem solchen geworden ist, mag 
dahingestellt bleiben. 

So ist für das Altindische zu vasantd- sardd- heman(td)- hinzu 
eine weitere ererbte Bezeichnung einer Jahreszeit gewonnen. 
Das zuerst in der Atharva-Samhitä belegte sisira- „Vorfrühlung, 
kühle Zeit“ scheint wenigstens indogermanisch verwurzelt. Um- 
gekehrt kann varsdh „Regenzeit“ erst auf indischem Boden auf- 
gekommen sein. 

14. ai. Savatt. 

In dem viel beachteten Abschnitt des Nirukta 2,1 (S.40,14ff. 
Roth), wo Yaska unter anderem von der Möglichkeit spricht, in- 
dische Nomina aus außerindischen Verben abzuleiten, führt er 
als Beleg hierfür das bei den „Ariern“ übliche savak (zu sdva- 
oder zu sdvas-?) an, das auf dem von den Kambojas gesprochenen 
Savati „gehen“ beruhe. Patafijali S. 9,25f. seiner Einleitung wieder- 
holt diese Bemerkung, wobei seine Abhingigkeit von Yaska an dem 
unpänineischen Ausdruck gati-karman- und dem unpänineischen 
(daher von Kaiyata und Vopadeva mißverstandenen) Gebrauch 
von vikāra- erkennbar ist. (Vgl. Danielsson, ZDMG. XXXVII 39.) 
Sowohl im Naighantukam ist im Verzeichnis der gati-karmänah 
(Nigh. 2, 14 Nr. 17) dieses savati aufgeführt, als auch im päninei- 


{wa QO 5 


Indoiranica. 199 


schen Dhatupatha (17,76 West. = 1,761 Bö.), wo ihm auch die 
Bedeutung gatau gegeben ist. (Von den nachpänineischen Dhatu- 
pätha’s führt der das Candra savati als su- auf, während Hema- 
candra 1,459 wörtlich auf Patafijali = Yaska zurückgreift: savatir 
gatikarmä kämbojesu bhäsyate.) 

Jedenfalls bleibt es dabei, daß savati dem echten Altindisch 
fremd ist. Grierson in der Festschrift für Garbe S. 25 und Konow 
im Corpus Inscr. Ind. 2, S. XXXVII stellen es zu neupers. sudan 
„gehen“ (vgl. altpers. asiyavam „ich ging“). Da dieses sudan alt- 
indischem cyu-, also das s- von savati altindischem cy- entspricht, 
setzt diese einleuchtende Etymologie einen doppelten Lautwandel 
voraus. Das Eintreten eines Sibilanten für cy ist gemein alt- 
iranisch, wo gerade für cyu- awestisch s(y)u-, altpers. šiyu- er- 
scheint (Bartholomae, Grundr. d. iran. Philol. 7 § 7). Dagegen, 
daß wir nun in gavati nicht einen g-Laut, sondern $ treffen, ist 
nur aus dem alten Mittelindisch des Nordwestens zu begreifen. 
Die sogen. Shähbazgarhi-Version von Asokas Edikten weist für 
ai. sy- palatales $ (zu verstehen als ss) auf: manusa- (auch in der 
Mansehra-Version) -isati -egati im Futurum (Hultzsch, Corpus In- 
scr. Ind. 1, S. LXXXIX; vgl. auch Johansson, Der Dialekt der 
Shahbazgarhi-Redaktion 129. 169f., der jedoch den Sachverhalt 
nicht gentigend erkannt hat); manusa- findet sich auch in dem 
aus dem Nordwesten stammenden mittelindischen Dhammapada 
(Konow a. a. O. S. CX). Dieser Palatalisierung des zerebralen 
Sibilanten durch Einfluß des y ganz analog ist # (d. h. ar) für 
ny in den Formen puna- hirana- in Shahbazgarhi für ai. punya- 
hiranya- (Hultzsch a a. O. S. LXXXVIII) und vuñae für ai. varnyate 
in der von Bühler herausgegebenen Inschrift von Taxila, Epi- 
graphia Ind. 4,56. Übrigens eignet puñña- und ähnliches auch 
der Magadhi und der Paisaci (Pischel, Präkrit 194 § 282), und 
andrerseits findet sich überall wo ññ für ny eintritt, auch 9% für ny. 

Wenn diese Darlegung zutrifft, so stellt das kambodschische 
savati eine vom NW.-Mittelindischen infizierte iranische Form dar. 
Eine solche Mischform paßt in eine an der Grenze von Iran und 
Indien gesprochene Sprache. 


15. ai. sevate 
sieht nicht danach aus, ein Erbwort echt altindischer Form zu 
sein. Im RV. nur im X. Mandala, im AV. nur an zwei Stellen, 
außerdem zweimal in einem Yajus (MS. 4,9, 19 [136, 2] = TA. 
4, 29, ic mit upa- und TB. 3, 7, 11,13 = ApSS. 1, 12,8 mit ni be- 


200 Jacob Wackernagel 


legt; in der alten Prosa selten (SB. 3,6,2,4.5; ChU. 2, 22,1; dazu 
eine Strophe ApDhs. 1, 27,11), gelangt es erst in der epischen 
und klassischen Sprache zu häufigem Gebrauch, hier allerdings 
zu sehr häufigem. 

Ferner kommen nominale Bildungen aus sev- vorklassisch so 
gut wie gar nicht vor. Abgesehen von sevä- und sevana- bei 
Gautama (vgl. J. J. Meyer, Rechtsschriften 323) habe ich nur 
TU. 1, 11,3 sevitavya- zur Hand. Alter, aber als Bildung aus 
einem sekundären Verbalstamm auch wieder ganz vereinzelt, ist 
ni-sevayati MS. 3, 6, 3 (62, 8] (fehlt noch in den Petersburger 
Wörterbüchern), Die Wortsippe hatte also offenbar Mühe, sich 
in der höheren Sprache einzubürgern. 

Außerdem müßte man, wenn sev- ein orale Erbwort wäre, 
zugehörige Ablautformen erwarten, wie solche bei den Wurzeln, 
die ev in der Hochstufe haben!), belegt sind. Aber neben sev- 
gibt es kein "og, das dem dai von dévana-, dem sthyü- von 
tistheva, dem s(y)ū- von sevani-, dem srü- von srevayati srevuka- 
entspriche. Und doch ist tiefstufiges yz sonst so beliebt, daß es 
sogar im Desiderativ von iv-, wo es gar nicht hingehört, Eingang 
gefunden hat: jujyüsati in der alten Prosa gegenüber dem später 
belegten episch-klassischen jijivisati. — Damit hängt es zusammen, 
daß es von sev- kein als Hinterglied verwendetes wurzelhaftes 
Nomen agentis gibt. 

So ist denn auch bisher ein außerindisches Etymon mit nor- 
maler Lautentsprechung nicht aufgefunden worden. Die alte 
Gleichsetzung mit gr. o&ßeodaı, die noch Curtius gelten lassen 
wollte (Grundzüge* 576f.) ist längst aufgegeben. Aber die etwa 
aufgetauchten neueren Versuche das Verbum indogermanisch zu 
etymologisieren sind nicht überzeugender, so die Leo Meyers: zu 
griech. afuwy; die Uhlenbecks: aus -sa-iv- zu i- „gehen“; die Odés: 
zu lat. saevus. 

Solchem Sachverhalt gegenüber drängt sich förmlich die Ver- 
mutung auf, daß wir in sev- ein altes Lehnwort zu sehen haben. 
Herkunft aus einer fremden Sprache entbehrt aller Wahrschein- 
lichkeit. Die älteste Sprache kennt, wie sich fast von selbst ver- 
steht, abgesehen vielleicht von den Interjektionen, fast nur solche 
Fremdwörter, die sich als Substantive auf Sachbegriffe beziehen. 

Bleibt die Möglichkeit mittelindischen Ursprungs und diese 


1) Wie problematisch übrigens die im Dhätupätha 14, 28ff in der Nachbar- 
schaft von sev- aufgeführten Wurzeln auf ev sind, hat Lüders, Berliner Sitzungs- 
berichte 1913, 99 Anm. gezeigt. 


4 


Indoiranica. 201 


verdient ernsthaft erwogen zu werden. Unserm sev- steht in der 
ältesten Sprache als Synonymum sap- gegenüber, das awestischem 
hap- und griechischem zew, und in der Weiterbildung saparydti 
lateinischem sepelire entspricht. Aus diesen Entsprechungen, wie 
aus dem altindischen Gebrauch, ergibt sich als dessen Grundbe- 
deutung „sich mit jemand oder etwas abgeben, einen oder etwas 
in Ehren halten“. Genau dies ist die Bedeutung von sev- zu 
allen Zeiten. Auch die von Geldner, Ved. Stud. 2,135 für sap- 
besonders betonte erotische Nebenbedeutung fehlt bei sev- nicht: 
sowohl als Simplex wie mit o upa ni sam kann es geschlecht- 
lichen Verkehr bezeichnen; dasselbe gilt für die zugehörigen 
Nomina sevana- sevä- sevin- sevya-. Zu dem häufigen sev- „wohnen“ 
darf an den Gebrauch von dugensıw» erinnert werden. Ferner 
ist die häufigste präverbiale Verbindung von sev- die mit ni 
(neben der mit upa die einzige vorklassische); sap-, meist Sim- 
plex, kommt außer einmal mit abhi (im RV.) ebenfalls mit ni ver- 
bunden vor: wenn anders Caland (Anm. 3 zur Übersetzung von 
Ap.SS. 15, 9, 4) richtig den Vokativ Part. perf. ni-sepivah für über- 
liefertes ni-pepice Taitt. Ar. 4,35 eingesetzt hat. 

Man kann fast sagen, daß sap- von sev- abgelöst worden 
ist. Im Unterschied von sev- ist sap- (abgesehen von dem Kom- 
positum rta-sdp-) im RV. auf die ersten neun Mandala beschränkt. 
Außerhalb von RV. I—IX ist sowohl sap- als sev- in den Mantras 
belegt, allerdings beide nur in ganz vereinzelter Verwendung. 
Von der alten Prosa an und auch in der Atharvasamhita kommt 
nur sev- vor. (Für frühes Veralten von sap- spricht vielleicht 
auch, daß AV. 18, 2, 15a das rta-sdpak von RV. 10, 154, 4 durch 
rta-sdtah ersetzt ist.) 

So liegt der Gedanke sehr. nahe, daß sev- mit sap- nicht bloß 
gleichwertig, sondern geradewegs daraus entsprungen sei. Dann 
muß es aus dessen schwachem Perfektstamme sep- hervorgegangen 
sein, der außer in dem eben angeführten nisepivak in RV. 6, 29, 1a 
sepuh belegt ist. Und zwar muß dessen Verwendung im Medium 
zugrunde gelegt werden, wo der schwache Stamm auch dem 
Singular eignet. Denn sev- ist klassisch gesetzmäßig Deponens 
(Dhatup. 14, 30), vorklassisch ist es dies meistens; doch wird 
(abgesehen vom Kausativ ni-sevayati MS. 3, 6, 2 [62,8]) an der 
Stelle RV. 10, 117, 2c die Ill sg. sévate von manchem, so zuletzt 
von Oldenberg zu der Stelle, als Dativ eines aktiven Partizips 
sevant- gefaßt. (Gegen Oldenberg zutreffend Renou, La valeur 
du parfait dans les hymnes védiques [1925], S. 129). In dem 


202 Jacob Wackernagel 


Spruche grdhrdh suparndh hat die MS. ni sevati, das Taitt. Ar. nt 
sevate (Bloomfield-Edgerton, Vedic Variants 1, 48). 

Ein quasi-prisentischer Gebrauch des Perfekts ist auch dem 
ältesten Altindischen ganz geläufig (Delbrück, Synt. Forsch. V 297; 
Renou a.a. O. 10ff.); und für den einzigen vedischen Beleg des 
Perfekts von sap- nicht ausgeschlossen: sepuh in RV. 6, 29, la 
indram vo ndrah sdkhyaya sepuh kann ebensogut mit „ehren“ oder 
„umwerben“ übersetzt werden als mit „ehrten“ (Graßmann) oder 
„haben umworben“ (Geldner, Ved. Stud. 3, 178). — Mehrfach hat 
aber dieser Gebrauch des Perfektums zu Übergang aus perfektischer 
in präsentische Flexion geführt (vgl. diese Zeitschr. XLI 306 ff.; 
Renou a. a. O.). So konnte in der I. Sg. *sepé „ich halte in Ehren“ 
durch *sépe (seve), in der III. Sg. sepe „hält in Ehren“ durch 
*sépate (sevate) ersetzt werden. Die Beispiele von sap- sind nicht 
so zahlreich, noch, wie es scheint, so beschaffen, daß man er- 
kennen könnte, wieso sich sein weniger häufige mediale Gebrauch 
eher zur Überführung in das Präsens eignete, als der häufigere 
aktive. Formal eignete sich natürlich sep- leichter dazu als sa- 
sap-: thematische. Präsentia med. mit e in der Wurzelsilbe sind 
im Altindischen von jeher belegt; vgl. aus dem Rigveda z. B. 
tejate téjamana- vépate sécate. 

Daß aber in diesem Falle der Übergang in die präsentische 
Flexion mit Ersatz von p durch v, also mittelindischer Lautge- 
bung, verbunden war, kann, seitdem Benfey vor langen Jahren 
Prakritismen im Rigveda nachgewiesen hat, nicht mehr befremden. 
Allerdings den hier gerade vorliegenden Lautersatz kann ich aus 
dem ältesten indischen Wortschatz nicht nachweisen, was nicht 
von Belang ist, da ja auch die anerkannten Prakritismen wie 
Oh für kg und die andern Ai. Gramm. 1, S. XVIII Anm. aufge- 
führten‘) nur sporadisch vorkommen. Der späteren Hochsprache 
ist mittelindisches v für p nicht fremd. Als Beispiele mögen 
dienen aus den Sütren upolava- „buschartig“* (Kaus. 18,33 und 
ApSS. 5, 27,11) gegenüber MS. 1, 7, 2 [110, 15] upolapd- id. und 


1) Über Rigvedische Wörter mit u für y auch ebenda S. 21 (kunaru-, 
pünya-), sowie Bartholomae, ZDMG. L 712 (dusd-) und Bloch, Natalic. Schrynen 
369 (muhuh muhürtä-[?]); jängahe stellt Geldner, Glossar 54 sv. gah- wie 
die Inder zu grh- mit a für y. — Gegen die Annahme von Präkritismen im 
RV. nenerdings J. Mansion, Esquisse d’une histoire de la langue Sanscrite (Paris 
1931), S. 56 12: ff. 188, ohne zwingende Gegengründe. Zuzugeben ist allerdings, 
daß Bartholomaes Erklärung der Cerebralen als Präkritismen eben darum un- 
wahrscheinlich ist, weil dadurch eine unverhältnismäßig große Anzahl von Prä- 
kritismen in die alten Texte kämen, vgl. Fortunatov, KZ. XXXVI 10 oben. 


Indoiranica. 203 


v. tlapa- „Busch“; ApDhs. 1, 8, 15 vyupa-jäva- „das Zuflüstern“: 
B. jap- „flüstern“; Mbh. tuvaraka- (Lex. auch tüvara-) „Castrat“: 
VS. tépard- „ungehörnt*; R. 2, 71, 34 (37 Bomb.) und sonst kaväta- 
„Türflügel“: ep.kl. kapäta-. (Nur ganz zögernd erwähne ich noch 
kl. prävayati; P. 1, 3, 86 erwähnt es als aktives Kausativ zum 
Deponens pru-, aber die Kaś. und die Siddhantak. geben ihm die 
Bedeutung prdpnoti, und dem entsprechend wird in Bhattik. 8, 59 
(vanikäm) pravayantim divam „zum Himmel hinreichend“ gesagt. 
Das läßt sich schwer an pru- „aufspringen“ anknüpfen; auch sind 
die r-Formen dieses Verbums sonst auf die vorklassische Sprache 
beschränkt. Steht prävayati für präpayati mit der für das Epos 
bezeugten, nicht kausativen Verwendung dieser Form? Dabei 
wäre streng genommen vorauszusetzen, daß als Verbum des Haupt- 
satzes ursprüngliches prdvayati den Udatta eingebüßt hätte, weil 
man es nicht mehr als Kompositum verstehen konnte.) 

Man könnte die Frage aufwerfen, warum beim Ersatz von 
sap- durch den schwachen Perfektstamm dieser nur in der mittel- 
indischen Form Aufnahme fand, warum also sévate und nicht *sé- 
pate gesagt wurde. Aber dieselbe Frage könnte man bei andern 
alten Prakritismen erheben, ohne daß eine sichere Antwort bereit 
läge. Immerhin darf in unserm Fall gesagt werden, daß sev-, in- 
sofern es Unterordnung in sich schließt, besonders gut auf das 
Tun und in das Sprechen Untergeordneter paßt. Das klassische 
sevaka- bedeutet vorzugsweise „Diener“. 


16. ai. syond-. 

Die Erklärung von syond- „behaglich* aus *su-yond- „guten 
Sitz gewährend* (KZ. XLVI 268ff.) hat Oldenberg, Gött. Nachr. 
1914, 169ff.; 1917, 131f. semasiologisch noch näher begründet. 
Zu der jener Erklärung zugrunde liegenden Annahme eines laut- 
lichen Ersatzes von suy- durch s(i)y- möchte ich nachtragen, daß 
ebenso u vor y unsichtbar geworden ist in anusthyd „dabeistehend, 
sofort“ und mithyd „verkehrt“, die bereits in der vorklassischen 
Prosa belegt sind, gegenüber RV. anusthuyd RV. AV. mithuyd, 
beide schon von BR. richtig erklärt. Ebenso geben BR. die 
richtige Erklärung für TS. TB. sädhyd „geradeswegs, richtig“: im 
RV. und in den Yajus sädhuyd. Im Unterschied von syond- und 
anusthyd kommt allerdings bei mithyd und sädhyd dissimilatorischer 
Einfluß einer Nachbarsilbe mit v-Laut nicht in Betracht. — Mittel- 
stufe zwischen -uy- und -y- ist auch hier natürlich -iy-. Dem 
a. a. O. 269 gegebenen Beispielen des Ersatzes von iy durch y 


204 Jacob Wackernagel 


sei etwa TS. Kath. yavyúdh-: v. yaviyidh- „streitbar“ beigefügt; 
ferner die Schreibungen chandämsyasya und paryäsi für chandamsi 
yasya, pari-yäsi in AV. Paipp. 10, 20, 1°. 3,2,6® und die Variante 
haryojandh für häriy. MS. 1,3,30 (40, 6); vgl. Schröder zu d. St.; 
VSK. hård yaccha für VS. 6, 21 (und Paralleltexte) hdrdi yaccha. 
Auch das Mantra TS. 3, 2,2,2 dpasyantah sétund ’tiyanty anydm 
ist wohl á. sétund ’tyanti anyám zu lesen. 


17. jAw. aipikarsta 

an der Stelle Y. 71, 7 faßt Bartholomae als Infinitiv mit asti ım 
Sinne von „worauf achten“, „eingedenk sein“. Aber das Verbum 
kř- „gedenken“ kommt weder im Awesta noch altindisch mit 
einem Präverb verbunden vor; falsch hat B. gAw. äkaratis (Y. 48, 2) 
als „Botschaft“ gedeutet und es zum obigen kř- gezogen, während 
die Awesta-Erklärer vor ihm es zu kr- „machen“ gestellt und 
Geldner und jetzt wieder Andreas es mit Recht dem vedischen 
d-krti- gleichgesetzt haben. Die richtige Erklärung von aipikarata 
ergibt sich aus dem folgenden Paragraphen Y. 71, 8: vac6 mazdo- 
fraoxta.yöi aipi-karentanti usw., von aipi-kart- ai. aipi-krt- „ent- 
zweischneiden“. Es ist klar, daß, wenn es in dem uns hier be- 
schäftigenden vorausgehenden Paragraphen 71,7 mit gleichem 
Subjekt heißt yoi hanti aipi-karata dusmatahé, dies zu demselben 
aipi-karat- gehören muß (wohl als Nom. PI. eines suffixlosen Nomen 
ag.), und daß in Abweichung von B. zu übersetzen ist: „Die die 
Zerstücker dessen sind, was übel gedacht ist.“ 


18. jAw. aiwistar- 

Ved. 1,10. 17.19 werden (aya) aiwistära und (daivhus-) aiwistara 
genannt, die der böse Geist als Unheil (oder „Landplage“) für 
verschiedene von Ahura Mazda geschaffene Landschaften schuf. 
Bartholomae hatte das Wort zu is- (ai. 3$-) „beherrschen“ gestellt 
und mit „Besitzer“, „Herr“ wiedergegeben. Andreas bei Jacob- 
sohn (KZ. LVI 128) gibt dem Wort die Bedeutung „Eindringling“ ; 
er lehrte mündlich, daß es als eine mit jAw. radaéstar-: „Wagen- 
kimpfer* (auch rudaésta-: ved. rathesthd-) analoge Bildung auf 
stä- (ai. sthä-) zurückzuführen sei. 

Diese sachlich ohne weiteres einleuchtende Erklärung läßt 
sich formal noch näher begründen. Erstens wird im Awesta siä- 
überaus oft mit Präverbien, Yt. 17, 57 gerade auch mit avi (hier 
zugleich mit ava) verbunden, is- und die Ableitungen daraus nie- 
mals. Angesichts der weitreichenden Übereinstimmung zwischen 


Indoiranica. 205 


Iranisch und Altindisch in der Verbindung des Verbums mit Prä- 
verbien, die wohl zum größten Teile auf Ererbung beruht (wofür 
ich auf obige Nr. 17 verweise), ist es nicht ohne Wert festzu- 
stellen, daß fast genau dasselbe für ai. sthä- und is- gilt: sthä- 
ist eines der am häufigsten mit Präverbien verbundenen Verba; 
mit abhi erscheint es fast nur vorklassisch, aber gleich vom Rig- 
veda an; Roth gibt ihm hier unter anderm die Bedeutungen 
„den Fuß worauf setzen“, „bemeistern“, was zu Andreas’ Deutung 
von aiwistär- vorzüglich stimmt. Und umgekehrt ist ai. is- in 
der ganzen alten Sprache, wo es doch so häufig ist, nie mit einem 
Präverbium verbunden. Aus klassischen Texten wird in den 
Wörterbüchern nur das spät (Kasikh. 19, 51) bezeugte pariste „ver- 
mag“, angeführt (vgl. adhisa- usw. unten). — Dazu kommt ein 
zweites: -tr- dient trotz seiner sonst fast allgemeinen Geltung von 
Hause aus bei zé nicht zur Bildung des Nomen agentis, wie auch 
von manch andern Verben, z. B. im Altindischen (und Griechischen) 
von as- „sein“, ās- „sitzen“, si- „liegen“ kein Nomen auf -tr- vor- 
kommt. Ererbtes Nomen ag. ist bei is- gAw. isvan-, welchem ai. 
igvard- ganz nahesteht. Philosophische Neubildung ist zéit. Sv.- 
Up. 6, 9, wo na tasya kas cit patir asli loke na cesitä mit na cäsya kas 
cij janita na cadhipah korrespondiert, und Prabodh. 108,15 Brockh. 
isvarateyam isituh. Eine hochklassische Ausnahme bildet Sig. 13,21 
adhisitr- (auch in den Lex. bezeugt), zu kl. adhisa-, adhisvara-, 
ved. adhiräja- (Ai. Gramm. II, 1,258 § 102 c. A.) hinzugeformt. 


19. gAw. darasat 
übersetzt Bartholomae unter Anschluß an daras- „sehen“ mit 
„sichtbarlich* und bemerkt, es sei eine „vereinzelte Bildung“. 
Aus der Vereinzelung reißt man das Wort heraus, in dem man 
es mit vedisch dhrsdt gleichsetzt, das im Sinne von „herzhaft“ 
auch in Sätzen erscheint, die ein Tun von Göttern aussagen, 
wie darasat hier vom erbetenen Herankommen der Gottheit ge- 
braucht ist. Vgl. altpers. darsam (Bartholomae: „heftig, sehr“; 
Benveniste: frz. „fort“), das allgemein zu ai. dhrs- gezogen wird. 


20. ap. ucasma. 

In der Inschrift von Bisutun 2, 75 (ergänzt auch 2, 89) kommt 
nach wahrscheinlichster, wenn auch nicht ganz sicherer Lesung 
der Satz utäsaiy učašma avajam vor. Die Übersetzung „und ich 
stach ihm die Augen aus“ steht fest. Aber was ist uc(a)sm(@), 
da wir doch gemäß phir. casm gAw. jAw. casman- Auger bloßes 


206 Jacob Wackernagel 


tčašma erwarten? Die heute mafigebende Darstellung der alt- 
persischen Sprache von Meillet-Benveniste (1931) S. 162 ($ 238) 
bemerkt darüber (unter Verweis auf Meillet, M&m.Soc.ling. X1X 348, 
der seinerseits auf Weißbach, ZDMG. LXI 726 fußt), daß der Aus- 
druck buchstäblich „bon oeil“ bedeute. 

Ich kann den ausgezeichneten Gelehrten hier nicht folgen. 
Die Übersetzung „bon oeil“ ist grammatisch allerdings: zulässig. 
Wohl sind nominale Komposita, die mit iran. hu-, ai. su- als 
Vorderglied gebildet sind, meist Adjektive vom Bahuvrihi-Typus, 
und gerade das so zusammengesetzte hucasm „neidlos*, hučašmī 
»Neidlosigkeit* des Pehlewi (Nyberg, Hilfsbuch II 109, vgl. dus- 
casmi „Neid“ II 61) setzt eigentlich ein altes *(h)ucagsman- „mit 
gutem Auge begabt“ voraus. Aber es kommen doch auch sub- 
stantivische Komposita mit hu- bzw. su- als Vorderglied im Alt- 
iranischen und im Altindischen vor. Weißbach a.a.O. hat dafür 
das allerdings kritisch und exegetisch höchst zweifelhafte jAw. 
huxsnodre hupaitistäne (Yt. XIV 13), nach Bartholomae „gute Knie 
und Beine“, verwertet; Kent, Language VI 223f. ap. urada „gute 
Wagen“ in der Darius-Inschrift von Susa 1685 und Weiteres. 
Fürs Altindische verweise ich auf meine Grammatik 2, 1, 261 fin. 
(§ 102 fa). 

Aber mit der substantivischen Ubersetzung kön hier etwas 
dem Sinne nach Unmögliches heraus. Es ist gar nicht auszu- 
denken, wie der Verfasser der Inschrift dazu hätte kommen sollen, 
das Auge eines Widersachers des Darius, das der König erst noch 
ausstechen ließ, als „gutes Auge“ zu bezeichnen. Immerhin das 
u- scheint, da zu stehen, und wir müssen suchen irgendwie damit 
fertig zu werden. Ich schlage vor, a als das indoiranische Prä- 
verbium ud zu verstehen und in u.. avajam ein komponiertes 
Verbum mit Tmesis zu sehen. Im Altpersischen ist ud in dieser 
seiner vollen Form vor Vokal als Präverbium bezeugt in udapa- 
tata. Seine Pausaform war notwendig u. 

ud mit vaj- im Sinne von ,,ausstechen“ entspricht durchaus 
dem indoiranischen Gebrauche von ud. Ganz ähnlich ist im Awesta 
(Vd. 13, 10) yo us va he gaosam Sworasaiti „oder wenn er ihm 
ein Ohr herausschneidet“; im Altindischen ut-krt- in Wendungen 
wie SB. 138,7,1,9 tvdca ut-kärtam „aus der Haut (Stücke) heraus- 
schneidend“, und bes. Ramay. 2,11, 6 Gorr. utkrtya netre sve (2,4, 5 
Bomb. ud-dhrtya) „die eigenen Augen herausschneidend*. — Was 
aber das Verbum avajam betrifft, von dem noch bei Meillet- 
Benveniste, Grammaire du Vieux Perse 261 (unten) gesagt ist, 


Indoiranica. 207 


daß dessen „etymologie et sens propre“ unbekannt seien, so darf 
wohl auf W. Foy, KZ. XXXV 39 [1896] verwiesen werden, wo 
es mit griech. öpvis und altpr. wagnis „Pflugschar“ zusammen- 
gebracht wird. Foy hatte darin einen Vorgänger in Johansson, 
Bezz. Beitr. XVIII 38, der eine Wurzel wegh- „scharf, spitzig 
sein“ konstruiert. — Vielleicht darf vdghä-, AV. 9, 2,22 Bez. 
eines Insekte, auch hierher gestellt werden. Die Stelle AV. 6,50, 3° 
tdrdapate väghäpate führt auf Begriffsverwandtschaft von vagh- 
mit trd- „durchstöchen“, „durchböhren‘*. 

Gegen das hier Vorgebrachte wird man allerdings einige Be- 
denken erheben können. Erstens kommt in dem bisher bekannten 
Altpersischen kein zweiter Fall von Tmesis vor; alle darin sonst 
belegten Verba composita zeigen Kontakt von Präverbium und 
Verbalform; ich verweise auf die Liste bei Meillet-Benveniste 
S. 143f. (§ 245ff.). Im Grunde ist dies höchst verwunderlich, da 
alle verwandten Sprachen in ihrer ältesten Zeit und insbesondere 
auch beide Arten des Awestischen und das vorklassische Altindisch 
in zahllosen Beispielen Tmesis aufweisen; gerade auch solche 
mit ud und dessen Vertretern. Aus der vorklassichen Prosa des 
Indischen seien etwa hierfür auf Grund ganz gelegentlicher Lek- 
türe genannt: SB. 11,5,1,8 dd vā badhnita; 14, 6,2, 12 (= BAU 
3,2,12) úd asmät prändh krämanti; JB. 1,106 ud ita jayeyam, ut 
tatra jayati; 1,111 ud ita ayäva; 1,117 zweimal uc ca grhnati; 
2,393 ud vā vai krntati; PB. 10,12,2 ud eva tenäsrjanta; AB. 2, 25,2 
ud vai jayati (indem ich im übrigen auf die mustergültige Dar- 
stellung der vorklassischen indischen Tmesis durch Renou, Bull. 
de la Soc. de ling. XXXIV 49ff. verweise). Aus dem jüngern 
Awesta sind mir gerade Y. 60,2 us .... jamyät; Yt. 8,29 us ... 
jJasänti; Vo. 13,10 us ... Swarasaiti (oben S. 206) zur Hand. 

Fehlen der Tmesis in gleich alter Zeit wie die der altpersi- 
schen Denkmäler zeigt bloß das klassische Altindisch. Man darf 
getrost annehmen, daß das Altpersische nicht sehr lange vor der 
Zeit der Achaimeniden den Kontakt von Präverbium und Verbum 
durchgeführt hat. Warum soll nun nicht in unserem Falle ein 
letzter Rest des Alten vorliegen können? so gut als in andern 
Sprachen, welche im allgemeinen auf Tmesis verzichtet haben, 
z. B. im Attischen, Reste von Tmesis zu treffen sind. 

Auffällig könnte man es ferner finden, daß das zu avajam 
gehörige u von dem folgenden die Stellung des Objekts ein- 
nehmenden Nomen čašma nicht durch den Wortteiler getrennt 
ist. Aber bei einem bloß aus einem Vokal bestehenden mit einem 


208 F. Specht, Lit. 2muo. 


einzigen Schriftzeichen auszudrtickenden u wäre selbständige 
Schreibung innerhalb des altpersischen Schrifttums unerhört. Da 
u proklitisch zum folgenden Satzrest gehörte, konnte man es gar 
nicht anders als mit dusma zusammenschreiben, zumal wenn mit 
d ein auf Assimilation beruhendes Ai gemeint sein sollte. 

Vielleicht hat das so verstandene učašma sowohl in Rück- 
sicht auf die Tmesis als in Riicksicht auf das Zusammenschreiben 
in den altpersischen Texten eine Parallele. Die Wendung uzm(a)ya- 
p(a)tiy akun(a)v(a)m „ich ließ kreuzigen“ (oder „pfählen“) ist noch 
nicht aufgeklärt. Meillet-Benveniste, Vieux Perse 215, erwägen 
die Möglichkeit, daß ein mit zam- „Erde“ gebildetes Kompositum 
uzma- etwa die Bedeutung „Kreuz“ oder „Pfahl“ gehabt habe, 
ohne das Bedenkliche einer solchen Annahme zu verhehlen. Nun 
wird ein Kompositum uzma- wohl dadurch ausgeschlossen, daß 
das Mittelsttick -zmayd- gemäß seiner Endung genau vedischem 
jmayd (RV. 7, 39,3, wozu Oldenberg zu vergleichen ist) und 
ksmayd „auf der Erde, auf die Erde“ entspricht, während -aya 
als Ausgang eines Nomens uzma- zum mindesten seltsam wäre. 
Sollte u- nicht mit dem Verbum akunavam zusammengehören und 
die ganze Wendung buchstäblich bedeuten „ich hob an der Ober- 
fläche der Erde hin“? 


Basel. Jacob Wackernagel. 


Lit. zmuo. 

Zu der Flexion bei Daukša ob. LIX 214f. Znuo, Akk. Sg. Zmüns 
bemerke ich noch, daß die andern lit. Quellen, die das Wort 
Zmuo kennen, Wolfenbüttler Postille, Bretke, Syrvid, Kniga nobaZn., 
Mosvid, Klein, Handschriftliches Lexikon von 1728, es nicht 
flektieren. Klein, Gram. lit. 55 nennt sogar ausdrücklich den 
Genitiv zu Zmuo žmogaus. Auch von dieser Seite aus wird also die 
Flexion Zmuo, Zmünj als örtliche Neuerung dargetan. Denn wenn 
sie alt wäre, bliebe es unverständlich, daß sie nachträglich auf- 
gegeben worden ist, obwohl sie an sud, sünj einen Anhalt gehabt 
hätte. 


Halle (Saale). F. Specht. 


Erich Hofmann, Impersonale mit Instrumental im Russischen. 209 


_ Impersonale mit Instrumental im Russischen. 


1. Ed. Schwyzer hat RhMus. LXVII 433—439 zur Stützung 
der im Lateinischen singulären Ausdrucksweise si hominem fulminibus 
occisit, wie sie in der durch Festus überlieferten „lex regia“ vorliegt, 
auf die bekannte entsprechende Konstruktion im Russischen ver- 
wiesen, also auf den Typus otca derevom ubilo (Tolstoj, Cém ljudi 
Zivy 10). Dadurch, daß er eine entsprechende Konstruktion im 
Litauischen des Bretke nachweisen zu können glaubte (sie beruht 
aber, wie Specht gezeigt hat, nur auf einem Druckfehler), kam er 
dazu, diesen Typus für baltisch-slavisch, und mit Hilfe des latei- 
nischen Belegs, von dem er ausging, sogar für indogermanisch 
zu halten. Schon IF. XLVII 227 schränkte er seine Schluß- 
folgerungen ein. Dann brach Specht das litauische Beispiel aus der 
Beweiskette; wegen des Russischen schreibt er (oben LVII 280): 
„Außerdem ist mir wiederholt von älteren des Russischen kundigen 
Leuten bestätigt worden, daß diese Instrumentalkonstruktion in 
ihrer Jugend kaum gebräuchlich war, während sie beute in Rußland 
dadurch, daß sich ihrer die besten Schriftsteller bedienen, allent- 
halben verwendet wird. Wenn Schwyzertrotzdem glaubt, daßhier im 
Russischen etwas Altes vorliegt, so tut er es auf Grund des litauischen 
Beispiels.“ So muß Schwyzer auf den litauischen Pseudobeley ver- 
zichten und er stellt IF. LVIII 277 resigniert fest: „So bleiben als 
unbestreitbar nur die russischen Beispiele; sie stammen aus jungen 
Quellen, beruhen nach Specht sogar auf jungem Übergriff der 
literarischen Sprache auf die gesprochene. Volle Klarkeit könnte 
aber nur eine umfassende, auch die Dialekte heranziehende Unter- 
suchung von slavistischer Seite bringen.“ Dagegen hatte Pedersen 
oben XL 136 in seiner grundlegenden Behandlung dieses Typus 
in ihm etwas Uraltes gesehen, und Ed. Hermann schloß sich in 
seinen „Wortarten“ S. 17 auf Grund von Schwyzers erstem Aufsatz 
dieser Meinung an. 

Ich beschränke mich hier auf das Russische und will zunächst 
erweisen, daß der Typus otca derevom ubilo nicht so jung ist, wie 
Specht und dann auch Schwyzer glauben. Specht hat sich sogar 
von des Russischen kundigen Leuten bestätigen lassen, daß diese 
Instrumentalkonstruktion in ihrer Jugend kaum gebräuchlich war. 
Aber das besagt nicht viel; wenn ein gebildeter Deutscher von 
einem Ausländer nach einer selteneren, volkstümlichen Konstruktion 
gefragt wird, so wird er auch bisweilen nicht die richtige Antwort 
geben. Er gebraucht sie selbst nicht, und wenn er sie gehört 

Zeitschrift für vergl. Sprachf. LXI 3/4. 14 


210 Erich Hofmann 


oder gelesen hat, so hat er sie oft nicht beachtet. Das Interesse 
für diese Konstruktion ist vielleicht erst durch die Frage erweckt. 
Das Impersonale mit Instrumental macht einen echt volkstümlichen 
Eindruck; daß es heute weiter verbreitet ist als früher, ist durch 
die soziale Umschichtung in Rußland bedingt. Die meisten ge- 
bildeten Russen haben in ihrer Jugend den 1829 erschienenen 
Roman Jurij Miloslavskij ili Russkie v 1612 godu von Zagoskin 
gelesen. Wie die westeuropäische Jugend etwa Scott las, so ver- 
schlangen die jungen Russen diesen romantischen Geschichtsroman, 
in dem Zagoskin das smutnoe vremja wieder lebendig machte. 
Daher war das Werk in vielen Schulbüchereien vertreten und 
wurde wiederholt aufgelegt. In seinen knapp 500 Seiten finden 
sich fünf Belege für das Impersonale mit Instrumental, davon vier 
mit Akkusativobjekt. Ich zitiere nach der 6. Auflage, Moskau 1840. 

140 u menja morozom vsju pamjat’ otsiblo „es hat mir 
durch den Frost das ganze Gedächtnis abgeschlagen“ (sagt ein 
Kosak). 

II 63 ego kak raz zatrjot l'dinami „es wird ihn gleich mit 
den Eisschollen erdrücken“ (sagt ein alter Fischer). Hier haben 
wir sogar den Instrumental im Plural, während man in dieser 
Konstruktion nur den Singular erwartete. 

II 35 zanosilo menja pogodoju k Busurmanam „es verschlug 
mich durch ein Unwetter zu den Muselmännern“ (sagt derselbe 
Kosak wie vorhin). 

I195 vdrug kak budtob tebja Cem oboZglo, kak vskocis’, da 
udariš sja běžať „plötzlich, wie wenn es Dich mit etwas verbrüht 
hätte, springst Du auf und beginnst zu laufen“ (sagt der Diener 
Alekséj zu seinem Herrn, den er in der Ferne wie von der Tarantel 
gestochen aufspringen und wegstürmen sah). 

Ohne Objekt: 166 a zdés’ tak vétrom naskvoz i prochvatyvaet 
„aber hier dringt es so mit dem Winde durch und durch“ (sagt 
der selbe Alekssej). | 

Es ist bezeichnend, daß an allen fünf Stellen ein Mann aus 
dem einfachen Volke spricht, dessen natürliche Redeweise offenbar 
dargestellt werden soll. 

Wenn diese Belege in ihrer volkstümlichen Verwendung auch 
interessant sind, so führen sie uns im Grunde nicht weiter. Denn 
Belege aus dem ersten Drittel des 19. Jhdts. waren schon hin- 
länglich bekannt. Etwa in Krylovs Fabeln, wo man Volkstüm- 
liches erwarten darf: 


Impersonale mit Instrumental im Russischen. 2it 


Starik i troe molodych (1806) v. 37 no bureju korabl’ razbilo 
„aber durch Sturm zerbrach es das Schiff“. — Orjol 1 krot (1814) 
v. 29f. on vidit: dub ego svalilsja, / i podavilo im orlicui detej 
„er sieht: seine Eiche war herabgestürzt, und es hatte mit ihr 
das Adlerweibchen und die Jungen erschlagen“. — Volk 1 mysjonok 
(1825) v. 10f. Vot, blizkago ego soséda, / mysjonka, zapachom 
piruski priveklo „siehe seinen nahen Nachbar, das Mäuschen, zog 
es durch den Duft des Schmauses herbei“. Kurz danach finden 
wir unsere Konstruktion aus dem Volkstümlichen herausgehoben in 
dem in der carskaja duma spielenden Auftritt von Puskins Boris 
Godunov (1831). Dort sagt der Zar: v prežni gody, / kogda bédoj 
otečestvu grozilo, / otsel niki na bitvu sami sli „in früheren Jahren, 
wenn es mit Unheil dem Vaterlande drohte, gingen sogar die 
Einsiedler in die Schlacht“. Weitere, jüngere Belege bei Pedersen 
oben XL 134ff. und in den Darstellungen der slav. oder russ. Syntax, 
von denen neben Sachmatovs bekanntem Werk nur Peskovskijs 
Russkij sintaksis v naučnom osveséenii (3. Aufl. 1928, bes. S. 396 ff.) 
genannt sei. 
~ 2. Wie steht es aber mit dem Altrussischen? Wenn die hier 
behandelte Konstruktion erst jung sein soll, darf man im alt- 
russischen Schrifttum keine Belege erwarten. Und doch hat bereits 
Jagić’) in seinen Beiträgen zur slavischen Syntax (Denkschr. Akad. 
Wien, phil.-histor. Cl. 46 [1900], 5. Abh.) S. 20 neben verschiedenen 
altrussischen Belegen ohne Objekt einen Fall mit Objekt aus der 
Pskover Chronik beigebracht. Es heiß dort im Jahre 6976 (= 1468): 
naca nachoditi do2dv silen?, ... i napolnisasja réki i rucvi i bolondja 
aki vesné vodoju, a u christijans mnogo po polju versej pognili, a travu 
vodoju po rěkam i po ručojam otnjalo „es begann starker Regen 
aufzukommen, ... und es füllten sich die Flüsse und Bäche und 
Uferwiesen wie im Frühjahr mit Wasser, und bei den Bauern auf 
dem Felde verfaulte viel Getreide, und Gras nahm es durch das 
Wasser auf den Flüssen und Bächen fort“. 

Mehr als dieser eine Beleg des Impersonale mit Instrumental 
und Akkusativobjekt im Altrussischen scheint den Gelehrten, die 
dieser Konstruktion ihre Aufmerksamkeit gewidmet haben, nicht 
bekannt gewesen zu sein. Ohne Zweifel würde er an Bedeutung 
gewinnen, wenn man ihm andere Belege aus der älteren Zeit an 


1) Er hat die Stelle von Miklosich, Subjektlose Sätze (Denkschr. 14, 211); 
in dessen Syntax fehlt sie. Miklosich hat sie aus Buslaevs istoriceskaja grammatika 
russkago jazyka II 159. Buslaev bringt nur dies eine aruss. Beispiel; alle anderen 
stammen aus Volksliedern, Lomonosov, Krylov, Puskin, Zukovskij. 

14* 


212 Erich Hofmann 


die Seite stellen könnte. Wenn man den volkstümlichen Charakter 
solcher Wendungen berücksichtigt, so wird man sie nicht da zu 
suchen haben, wo gelehrte Schriftsprache vorliegt, die in religiösen 
oder profanen Denkmälern aus südslavischen oder griechischen 
Vorlagen heraus sich entwickelt hat. Man wird dort suchen, wo 
wenigstens hie und da die Redeweise des Volkes du:chbricht, 
also in den Städtechroniken, wo die Schilderung von Wohl und 
Wehe des eigenen Gemeinwesens zu schlichter und lebensnaher 
Ausdrucksweise führt. Ich sage mit Vorbedacht: Städtechroniken. 
Denn die Hauptchronik, die Povést’ vremennych Jet, mit ihren 
künstlerischen Absichten und ihrem kirchlich-gelehrten Beiwerk 
sucht die Sprechweise des Werkeltags zu meiden und den Schwung 
kunstvoller Hochsprache zu erreichen. Der Jagiésche Beleg stammt 
ja aus den Quellen, die uns weitere Ausbeute zu versprechen 
scheinen. In der Tat läßt sich noch eine Anzahl Beispiele nach- 
weisen. 

In der gleichen I. Pskover Chronik heißt es zwei Jahre später 
(6978 = 1470): Toja Ze vesné bysts voda velika silna, napolnisasja 
réki i ozera, za mnogo lets ne byvala takova voda; a po Velikoj réké 
leds idudi, christijanoms silno mnogo choroms podralo i zapasovs 
sneslo, 1 zemli, nivy inyja ledoms podralo, a inyja vodoju 
podmylo „in diesem Fıühjahr war starkes Hochwasser, es füllten 
sich Flüsse und Seen, seit vielen Jahren war nicht solches Wasser; 
und als auf dem Großen Fluß Eisgang war, zerriß es den Bauern 
sehr viele Häuser und trug es sehr viele Vorräte fort, und die 
Ländereien, die Äcker zerriß es teils durch das Eis, und teils spülte 
es durch das Wasser fort“. Und einige Zeilen weiter lesen wir: i toju 
molnieju u svjatago Pantelejmona vs monastyri na Krasnoms Dvore 
ne na vséchs ikonachs zoloto poZglo... tukoze toju Ze molnieju, 
togo Ze utra, za&zze cerkovo vě Usitvé drevjanu svjatěj Bogorodicy 
„und durch diesen Blitz verbrannte es beim heiligen Pantaleon 
im Kloster auf dem roten Hof an nicht allen Heiligenbildern das 
Gold... ebenso verbrannte es durch diesen Blitz an diesem Morgen 
die hölzerne Kirche der heiligen Mutter Gottes in Usitvo“*. — Ohne 
Objekt lesen wir im Jahre 7072 (= 1564), wo von einem Hoch- 
wasser (voda velika) berichtet wird: i vs Novégorodé tukze skoty 
mnogo pocinilo na Volchove, posneslo vodoju „und in Novgorod 
tat es auch viel Schaden auf dem Volchov, es trug mit dem 
Wasser fort“. 

Beispiele finden sich auch in der II. Novgoroder Chronik. Im 
Jahre 7060 (= 1552) heißt es: bysto burja silna, velmi doždb veliks.... 


Impersonale mit Instrumental im Russischen. 213 


i groms veliks i mgla, i bureju dralo sady mnogii i choromy, 
da bureju Ze vesv less (es Slavna vydralo, pribilo ke velikomu 
mostu vs Novégorodi; da vě Ontonové manustyré u igumena, bureju, 
u Varluma, séni vydralo „es war ein starker Sturm, sehr großer 
Regen, .. und großes Gewitter und Nebel, und durch den Sturm 
zerschlug es viele Gärten und Häuser, und durch den Sturm riß 
es den ganzen Wald von Slavno heraus, es trieb (ihn?) an die 
große Brücke in Novgorod; und im Antoniuskloster beim Abt 
Barlaam rif es durch den Sturm das Vorhaus los“. — 7063 (= 1555) 
ubilo vtépory vs keint gromoms 3 deloveki, dva Zivy, a tretvego do 
smerti „estraf damals in der Zelle durch ein Gewitter drei Menschen, 
zwei lebendig, und den dritten zu Tode“. Ähnlich 7068 (= 1560) 
bilo ljudej mnogichs, na Troickoj nedéli, gromom2 „es traf viele 
Leute in der Pfingstwoche durch ein Gewitter“. — Dagegen ist 
in der folgenden Stelle der Instrumental nicht Agens und demnach 
nicht als Subjekt der entsprechenden persönlichen Konstruktion 
aufzufassen: 7056 (= 1548) bystoò .. požar, .. a ne vredilo cerkvi 
toj ničim% „es war eine Feuersbrunst, .. aber es beschädigte diese 
Kirche durch nichts“. Wir haben hier allerdings einen unbekannten 
Agens, die Feuersbrunst ist nicht mehr Subjekt. Aber ničim ist 
nicht als Subjekt gedacht. Der Instrumental nicéms oder ničimz 
findet sich nämlich bei vrediti auch in normaler persönlicher Kon- 
struktion im Aktiv wie im Passiv. Sreznevskij führt in seinem Wb. 
aus dem Jarl. Uzb. von 1315 ni ččmz da ne vredjate iche, ni chuljats 
„daß sie weder durch etwas sie schädigen noch sie schmähen“ an 
und I. Novg. Chr. 6705 (= 1197) i vsi pridosa nevreZeni nicims že 
„und alle kamen durch nichts beschädigt an“. 

Auch bei den Beschreibungen wunderbarer Himmelserschei- 
nungen dürfte es sich nicht um unsere Konstruktion handeln, 
sondern es dürfte der Instrumental der Erscheinungsform vorliegen. 
Die Auffassung der Belege wird auch dadurch erschwert, daß es 
unsicher ist, ob überhaupt impersonale Ausdrucksweise vorliegt, da 
zunächst von einem znamenie oder znamja gesprochen wird; und 
dieses neutrale Subjekt könnte weiter gelten, selbst wenn ein 
anderes, männliches oder weibliches, Subjekt in einem Zwischen- 
satz steht. Einige Beispiele mögen das verdeutlichen. II. Novg. 
Chr. 7063 (= 1555) bylo na nebesi znamja: ognb chodils aki molonva 
i zéglo nebo, a chodilo polosami i bélymi i krasnymi i sinimi 
neznaemo „es war am Himmel ein Zeichen: Feuer ging wie ein 
Blitz und es verbrannte den ganzen Himmel, und unbekannt ging 
es mit weißen und roten und blauen Streifen“. 7080 (= 1572) 


214 Erich Hofmann 


hylo znamenie na nebesi: chodilo vsjakimi cvéty po vsemu nebesi 
„es war ein Zeichen am Himmel: es ging mit allerlei Farben über 
den ganzen Himmel“. Vgl. im gleichen Jahr mit persönlicher 
Konstruktion: po vsemu nebesi luči byli, aki voda na more vétroms 
kolebalost, da ti luči po vsemu nebesi chodili, vsjakimi cvéty, i 
do svéta „am ganzen Himmel waren Strahlen, es bewegte sich wie 
Wasser auf dem Meere durch den Wind, und diese Strahlen gingen 
mit allerlei Farben über den ganzen Himmel bis Tagesanbruch“. 
I. Pskov. Chr. 7064 (= 1556) von einem znamenie, dessen Gestalt 
genau beschrieben wird: i spade na zemlju ognems „und es fiel 
auf die Erde mit Feuer“. Auch eine Stelle aus dem Jahre 6669 
(= 1161), die in den verschiedenen Novgoroder Chroniken ver- 
zeichnet ist, kommt bei näherem Zusehen hier nicht in Frage. In der 
IV. und V. Chronik heißt es togda stoa (bzw. stoja) vsjo léto vedroms, 
während die I. Chronik tom 2é lété stoja vsjo léto vedrom% bietet; 
daneben steht die Variante mit dem Nominativ stoja vedro vsjo 
léto. Man könnte zunächst vsjo léto als Akkusativ der Zeiter- 
streckung auffassen, also übersetzen „es hielt den ganzen Sommer 
mit der Hitze an“ oder wegen der Variante mit dem Nominativ 
den Instrumental prädikativ auffassen „es war den ganzen Sommer 
Hitze“. Es besteht aber noch die Möglichkeit, vsjo léto als Nomi- 
nativ zu fassen (und den Instr. prädikativ) „in diesem Sommer 
war der ganze Sommer Hitze“. Daß nur diese letzte Auffassung 
richtig ist, zeigt der Bericht des angeführten Jahres einige Zeilen 
weiter; denn da steht deutlich der Nominativ zima : paky na zimu 
sta (IV. Chr. stoja) (vsja) zima teplom i dségemsi gromoms, wo 
die I. Chr. statt des letzten Instrumentals i grome bysto als Variante 
bietet, „wiederum im Winter war der (ganze) Winter Wärme und 
Regen und Gewitter“. Die Verben stati und s/ojati drücken ein 
Bleiben, ein Dauern, d. h. ein andauerndes Sein aus. Deshalb 
werden sie bei länger andauernder Witterung verwendet. Vgl. 
z. B. I. Novg. Chr. 6651 stojase vsja osenina dszdeva „die ganze 
Herbstzeit war regnerisch“, 6709 i sta vsjo léto dségevo vom Sommer 
oder dem ganzen Jahr, 6642 i sta$a denve zli, mra2%, vojalicja, strašno 
zélo „und es waren die Tage schlecht, Frost, Schneesturm, sehr 
schrecklich“. Der Sinn von stati und stojati entfernt sich in diesen 
Fällen also nicht weit von byti. Und so finden wir in entsprechendem 
Zusammenhang auch byti: I. Pskov. Chr. 6964 togo Ze léta mnogo doéda 
bysto velmi, 1 osend vsja bystv mokra „in diesem Jahre war sehr 
viel Regen, und der ganze Herbst war feucht“, 6811 byst» zima 
tepla bezs snega „der Winter war warm ohne Schnee“. Diese 


Impersonale mit Instrumental im Russischen. 215 


Ausdrucksweise will nur die Tatsache feststellen, die zuerst genannte 
aber legt den Akzent auf die langere Dauer der als Abnormität 
angesehenen Witterungserscheinung. 
i 3. An Stelle des Instrumentals findet beim Impersonale auch 
ote mit dem Genetiv. Drei Beispiele aus der I. Pskov. Chr.: 6967 
(= 1459) vnutro cerkvi ots ognja gromnago popalélo, i pono- 
marja vě cerkvi do smerti zasiblo „im Innern der Kirche setzte 
es durch das Gewitterfeuer in Brand, und es traf den Kirchen- 
diener in. der Kirche zu Tode“. — 6964 (= 1456) ots molnija 
straSnyja mnogo Dudel pobi i kong „durch einen fürchterlichen 
Blitz erschlug es viele Leute und Pferde“. — Mit einer Häufung 
von Genetiven 6941 (= 1433) ots molnija strasenija plameni 
togo mnogo ljudej pobi i konej, i dvorovs zazze „durch dieses 
Feuer des Schreckens des Blitzes erschlug es viele Leute und 
Pferde und steckte Höfe in Brand“. (Vielleicht sind die Genetive 
in der richtigen Reihenfolge zu übersetzen: „durch den Blitz des 
Schreckens dieses Feuers“, vgl. kurz darauf bei persönlicher Kon- 
struktion of gromu Ze i ots molnija stragsnago plameni togo 
zagoresja dva kostra.) Man vergleiche damit ots mit Genetiv in Sätzen 
mit persönlichem Verb, wie V. Novg. Chr. 6625 (= 1017) bystb 
znamenie .. ots gromu, . . edins ots dojakons zaražen bysto ots groma 
„es-war ein Zeichen infolge eines Blitzes, .. einer von den Diakonen 
wurde vom Blitz erschlagen“. IV. Novg. Chr. 6979 (= 1471) 2 cerokvi 
ots gromu sgorésa „zwei Kirchen. verbrannten infolge eines Ge- 
witters“. I. Pskov. Chr. 6979 ois groma i ote molnii ger vs 
Usistvé cerkvi. | 
Anders liegt der Fall an einer Stelle aus Karamzins Pis’ma 
russkago putesestvennika (Brief vom 10. 7. 1789, in der Ausg. der 
Desevaja Biblioteka, Bd. I, S. 88): v prokljatoj Nemeckoj furě 
tak rastrjaslo menja, čto i teper Cuvstvuju bol’ v grudi „in dem 
verfluchten deutschen Wagen hat es mich so durchgerüttelt, daß 
ich. noch jetzt Schmerz in der Brust fühle“. Hier ist nicht gemeint 
„der Wagen hat mich durchgerüttelt (es hat mich durch den 
Wagen durchgerüttelt)*, sondern „ich bin im Wagen durchgeriittelt 
worden“. Der Agens ist nicht bezeichnet. Man könnte sich als 
ihn die schlechten Wege vorstellen, von denen auch die Rede ist 
(dorogi v Saksonii očen durny), oder die mangelhafte Federung des 
Wagens, dem man doch irgendwie eine „Mitschuld“ zuschieben 
möchte, da Karamzin ausdrücklich von einer prokljataja fura spricht. 
4, Wir wenden uns jetzt zu dem Impersonale ohne Instru- 
mental, wie wir es namentlich bei Naturerscheinungen finden, bei 


216 Erich Hofmann 


denen der Urheber nicht bezeichnet wird. Den Typus es regnet, 
es blitzt lassen wir beiseite, nach Ed. Hermann, GGN. 1927, 274 ft. 
ist hier das Impersonale nicht die alte Konstruktion. Zudem ist 
im Russischen die persönliche Ausdrucksweise viel geläufiger, man 
sagt dod’ idjot viel häufiger als do2dit. Vgl. I. Novg. Chr. 6653 
(= 1145) potom% naide dzžgb (Var. : doždo), 6656 bysto dszgb 
85 gradums, und so werden die Witterungsers-heinungen meist mit 
byst» eingeleitet. So lasen wir ja oben S. 212f. aus der II. Novg. 
Chr. bysto burja silna, velmi dozdb veliks, .. i grom% veliks 
i mgla, i bureju dralo sady mnogii usw. Uns interessiert hier 
der zweite Teil des Satzes. Zunächst werden die Witterungs- 
erscheinungen aufgezählt, und dann wird mit dem Impersonale 
fortgefahren: dralo „es zerschlug“. Da aber sowohl Sturm wie 
Gewitter oder Regen Agens sein kann (der Nebel kommt nicht in 
Frage), so wird der Agens durch den Instrumental ausdrücklich 
bezeichnet. Denn ohne diesen Zusatz bliebe es in der Schwebe, 
wodurch der Schaden angerichtet worden ist. Dieses haben wir 
bei verschiedenen voranstehenden Subjekten II. Novg. Chr. 7067 
= 1559) pala tuča velika snéyu, da i morozs byl veliks i v étra: 
i mnogo vs Novégorodé ss choroms krovelb dralo, i lodej razbilo 
ss chléboma na Volchové „es fiel eine große Schneewolke und es 
war großer Frost und Wind, und es riß in Novgorod viele Dächer 
von den Häusern, und es zerschlug Lastkähne mit Getreide auf 
dem Volchov“. I. Novg. Chr. 6927 (= 1419) bystv burja velia 
vetrjanjaa, îi tuča, 1 doédb umnozens .. i mlonii i blistania i 
grome strasens bystb . i vě cerkvi u svjatei Bogorodici, u gorodnichs 
vorots, ubi storoga Andrea, a cépo panikadienuju, čto vs (bé, vsjü 
porvalo .. a pods cerkovpju, vs vorotéchs, dva celovéka ubilo do 
smerti „es war ein großer Windsturm und Gewitterwolke und 
vermehrter Regen und es waren Blitze und Gewitter und furcht- 
barer Donner. Und in der Kirche der hl. Mutter Gottes am Stadttor 
erschlug es den Wächter Andreas, und es zerriß die Kette des 
Kronleuchters an der Decke ganz .. und unter der Kirche im 
Tor erschlug es zwei Menschen zu Tode“ ’). Wie man das Imper- 
sonale nimmt, wenn man nicht weiß, wer der Agens ist, zeigt 
sehr hübsch II. Novg. Chr. 7075 (= 1567) zvonilo vs kolokoléiki 
vs mensii, vě tri nakony, vě nosci; a to Bogs věstb kto zvonils 
„es läutete mit den kleineren Glöckchen dreimal in der Nacht; 
aber das weiß Gott, wer geläutet hat“. 

1) Das Mittelstück (die beiden ersten Impersonalien) schon bei Jagić S. 20. 


Ich zitiere überall mit Absicht ausfiihilicher, da es auf den ganzen Zusammen- 
hang ankommt. 


Impersonale mit Instrumental im Russischen. 217 


Soweit mehrere Naturerscheinungen in Frage kommen können, 
ist das Impersonale ohne weiteres verständlich. Es greift das aber 
auf vereinzelte Erscheinungen über, wo nun statt der männlichen 
oder weiblichen Präteritalform die neutrale steht. II. Novg. Chr. 
7063 (= 1555) ognd chodils aki molonva i z¥glo nebo „es ging Feuer 
wie ein Blitz, und es verbrannte den Himmel“. I. Pskov. Chr. 6938 
(= 1430) bysto burja velika po tri dni, i mnogo pakosti učinilo „es 
war drei Tage lang großer Sturm, und es tat viel Schaden“, vgl. 
IV. Novg. Chr. 6968. I. Pskov. Chr. 6945 (= 1437) bysts voda velika 
zélo, i Volchovskogo mostu devjato gorodenv vydralo, i pakosti mnogo 
učinilo „es war starkes Hochwasser, und es riß neun Holme der 
Volchovbrücke aus und tat viel Schaden“. Vgl. I. Novg. Chr. 6651; 
an dieser von Jagić S. 20 beigebrachten Stelle brauchen aber die 
Aoriste nicht impersonal sein, sondern voda könnte als Subjekt 
weiter Geltung behalten. 

Merkwürdig ist aber Suzd. Chr. (Lavr. Lét.) 6808 (= 1300) v 
Torzku tuča na odnom času rove učinilo i choromovs néskolko sneslo 
Zeg osnovanya „in TorZok machte eine Gewitterwolke zur gleichen 
Zeit einen Erdriß und trug einige Häuser aus ihrem Fundament“. 
Entweder steckt darin ein Fehler, indem das Prädikat nicht zum 
Genus des Subjekts stimmt, oder man muß hinter tuča interpungieren. 
Da unmittelbar vorangelıt vétri silni bysa i doždove i gromove, könnte 
das Verbum byti auch noch für tuča gelten. Man müßte dann die 
Stelle so fassen „in TorZok war eine Gewitterwolke; es machte zur 
gleichen Zeit einen Erdriß und trug einige Häuser aus ihrem Funda- 
ment“. Eine Entscheidung ist kaum möglich. Denn einmal kann 
man zum Wechsel des Genus auf das neutrale Relativpronomen 
verweisen, das sich auch in anderen Slavinen findet. Z. B. I. Novg. 
Chr. 6846 (= 1338) delasa most nova, čto bylo vysiblo „sie machten 
die Brücke neu, die es herausgerissen hatte“. An der gleichen 
Stelle in der V. Chr. moste, čto voda vynesla. Zweitens kann aber 
Wechsel zwischen o und a vorliegen, wie wir ihn umgekehrt in 
den Eigennamen der Chroniken nicht selten finden: Ontons neben 
Antons, Ondreevidv neben Andreevičo '). 

Selbstverständlich gibt es statt der Voranstellung der Natur- 
erscheinung, an die dann impersonal angeschlossen wird, auch die 
normale persönliche Konstruktion. I. Novg. Chr. 6656 (= 1148) 
i zažože grom% cerkovod „und der Blitz zündete die Kirche an‘; 
vgl. 6695. — IV. Novg. Chr. 6807 (= 1299) a mosts veliki ognod 

') Vel. auch I. Pskov. Chr. 6978 (= 1470) takože i inudé taja Ze molnija, 


i Bog» vésto skolko pobilo christijand i chramovv i dreves» požglo, poneze 
de velika silno. (K.N) 


218 Erich Hofmann 


zajal% „und die große Brücke ergriff das Feuer“. — I. Novg. 
Chr. 6669 (= 1161) a na osend ubi vgju jaro morozs „und im 
Herbst schlug das ganze Getreide der Frost nieder“. — Doch 
sobald die Naturerscheinung mit bysto vorangestellt ist, und dann 
mit dem Aorist fortgefahren wird, kann man nicht entscheiden, 
ob das Subjekt weiter gilt oder ob mit impersonaler Konstruktion 
fortgefahren wird. Hierher gehören Fälle wie IV.u. V. Novg. Chr. 
6636 (= 1128) bystv voda velika, potopi ljudi i žita, 1 choromy 
snese „es war Hochwasser, es ertränkte Menschen und Getreide 
und trug Häuser fort“. V. Novg. Chr. 6633 (= 1125, ähnlich in der 
IV. Chr.) bysts burja velika s gradome, i choromy razdra, stada 
skotiny vs Vulchovs vogna „es war großer Hagelschlag, und es 
rıß die Häuser auseinander, ieh die Viehherden in den Volchov“. 
In der I. Chr. mit noch einem Zwischenglied. 

Interessant ist es auch, wenn die gleiche Tradition in den 
einzelnen Redaktionen verschiedene Formulierung findet. So 
lesen wir zum Jahre 6759 (= 1251) in der I. Novg. Chr. togo Ze 
léta naidosa deédeve i poimasa vsi rli, i obilija i séng, i mostě 
snese voda na Volchové velikyi „in diesem Jahre kamen Regen- 
güsse auf und sie überschwemmten alle Flußwiesen und das 
Getreide und Heu, und das Wasser trug die große Brücke im 
Volchov fort“. Wir haben hier zwei Subjekte, dagdeve gilt bis 
sena, im letzten Glied ist dann voda Subjekt. In der V. Chr. ist 
voda nach vorn gerückt und gilt schon von rli an: togo 2e léta 
poidosa doždevě, i voda poima rli vsi i obilyja i séna, i mosts velikyi 
snese na Volchové. Hier ist nur zweifelhaft, ob das letzte Glied im- 
personal gestaltet ist, oder ob voda auch da noch Subjekt ist. 
Anders ist es in der IV. Chr. Hier ist im ganzen Nachsatz im- 
personale Ausdrucksweise: togo Ze léta naidosa dogdeve i poima 
vsi rli i obiloja i séng, i mostě snese na Volchove velikü. Jedoch 
bieten nicht alle Handschriften den gleichen Text; eine fiihrt die 
persönliche Konstruktion durch (poimasa und snese voda), während 
zwei weitere ebenfalls an der zweiten Stelle das neue Subjekt 
voda einfügen. 

5. Ich habe die verschiedenen Konstruktionen der drei Chroniken 
nebeneinander gestellt, weil sie uns warnen sollen, das Impersonale 
(oder gar das Impersonale mit Instrumental) ohne weiteres für alt zu 
halten. Gewiß ist Impersonale mit Instrumental älter, als es für das 
Russische zuletzt behauptet wurde. Das haben die Belege aus dem 
Altrussischen bewiesen. Aber aus dem weiteren von mir vorgelegten 
Material wird zugleich deutlich, daß unsere Konstruktion sehr wohl 


nn 


Impersonale mit Instrumental im Russischen. 219 


erst im Russischen entstanden sein kann. Die Vorbedingung für ihr 
Entstehen ist das oben S. 215ff. behandelte Impersonale nach einer 
Witterungserscheinung, deren Auftreten zunächst festgestellt wird. 
Typus bystv burja velika, i mnogo pakosti učinilo (S. 217). Wenn 
aber mehrere Witterungserscheinungen berichtet wurden, an die 
sich die Schilderung von verheerenden Wirkungen anschloß, so 
mußte, wenn man die impersonale Wendung benutzen wollte und 
den Agens aus der Vielheit bezeichnen mußte, der Instrumental zum 
Impersonale treten. Typus bysto burja silna, velmi do2db velike, 
i groms veliks i mgla, i bureju dralo sady (S. 212f.). Vgl. auch 
S. 212, wo von voda velika und leds die Rede ist, und wo beide Unheil 
anrichten, aber jeder fiir sich, so daß geschieden wird ledoms podralo 
und vodoju podmylo. Die Konstruktion breitet sich dann weiter 
aus. Sie findet sich auch da, wo nur von einer Naturerscheinung 
die Rede ist, Typus (voda) .. posneslo vodoju (S. 212), und wo die 
Naturerscheinung vorher überhaupt nicht genannt ist, Typus bilo 
gromoms (S. 213). Die hier skizzierte Entwicklung ist nur eine 
Möglichkeit, beweisen läßt sie sich nicht. Zudem sieht man überall 
da, wo noch der alte Aorist gebraucht wird, nicht klar, da erst beim 
l-Priteritum mit seinen für die Genera verschiedenen Endungen 
das Impersonale eindeutig wird. Aber nicht nur wegen dieses 
formalen Grundes gibt das älteste russische Schrifttum nichts ab; 
es kommt auch für die Quellen mit dem größten volkstümlichen 
Einschlag, die Städtechroniken, noch ein inhaltlicher Grund hinzu: 
in der ältesten Zeit berichten sie nur von Welt- und, wenn man 
so: sagen darf, Reichsgeschichte. Die lokalen Begebenheiten, bei 
denen auch Unwetter, Brände u. ä. einen breiteren Raum ein- 
riehmen, werden erst von einem späteren Zeitpunkt an berück- 
sichtigt. 

Die von mir vermutete Entwicklung schließt nicht aus, daß 
auch passive Wendungen mit Instrumental auf unsere Konstruktion 
eingewirkt haben mögen, wie das schon Zubaty oben XL 519 an- 
gedeutet hat. Z. B. II. Novg. Chr. 7080 aki voda na more vétroms 
kolebalosp „wie Wasser auf dem Meer wurde es vom Winde 
bewegt“. Wenn sich unser Typus erst allmählich im Russischen 
herausgebildet hat, so würde das gut zu all den Erscheinungen 
passen, die Ed. Hermann, Wortarten 17f. unter dem Kennzeichen 
„Scheidung von Wesen- und Sachwörtern im Russischen“ zu- 
sammenstellt. Denn der Genetiv-Akkusativ ist erst im 15. Jhdt. ab- 
schließend durchgedrungen, das Fehlen der Kopula beim Perfekt 
beginnt mit dem 12. Jhdt. und setzt sich nur ganz allmählich durch; 


290 Erich Hofmann, Impersonale mit Instrumental im Russischen. 


ähnlich ist es mit der Kopula im Nominalsatz. All das findet sich 
in Ansätzen schon im Altbulgarischen, aber von der dortigen Möglich- 
keit bis zur festen Regel im Russischen ist es eine lange Entwicklung, 
deren genaue Daten noch ausstehen. 

Mit der indogermanischen Herkunft unserer Konstruktion 
rechnet man nicht mehr so sicher wie früher. Pedersens iranische 
Belege scheiden aus, auch die altnordischen, die Neckel, IF. XXI 
182ff. herausgestrichen hat, liegen bekanntlich anders. Die anderen 
Slavinen bringen Vereinzeltes und vielleicht nur Junges, was das 
Russische nachahmt. Ebenso ist es mit dem Litauischen, vgl. 
E. Fraenkel, Syntax der lit. Kasus $ 181,4. Das besagt aber alles 
nicht, daß diese Konstruktion nun nicht vom Russischen selbständig 
entwickelt worden ist, etwa auf dem Wege, den ich gezeichnet 
habe. Schwyzer verweist RhMus. LXXVI 437 darauf, daß das 
Awarische im Kaukasus eine Parallele bietet. Und IF. XLVIII 277 
berührt er die Möglichkeit fremden Einflusses auf das Russische. 
Ich stehe solchen syntaktischen Einflüssen nichtindogermanischer 
Sprachen aufs Russische sehr skeptisch gegenüber. Den finnischen 
Einfluß beim Schwund der Kopula, den Gauthiot MSL. XV 201 ff. 
behauptet hat, hat neulich Pisani, IF. XLIX 47ff. abgelehnt. Seine 
Tendenz ist gut, seine Beweisführung läßt sich erheblich verbessern. 
Wenn Meillet, MSL. XII 422 für die Ausbreitung des prädikativen 
Instrumentals den finnischen Translativ verantwortlich macht, so 
muß ich bei meiner geringen Kenntnis des Finnischen einwenden, 
daß der prädikative Instrumental nicht nur dem finnischen Trans- 
lativ, sondern auch dem Essiv entspricht, je nachdem, ob ein Verbum 
des Werdens oder eins des Seins dabei steht. 

Pedersen oben XL 136 erwähnt auch Fälle mit pachnut’ „riechen“ 
und fügt hinzu, daß sie vielleicht fernzuhalten sind. Das muß un- 
bedingt geschehen. Denn einmal ist die Konstruktion genau die- 
selbe, ob es sich um impersonale oder um personale Ausdrucksweise 
handelt. Puskin, Kap. Dotk. II dymom pachnulo „es roch nach 
Rauch“, Slov. Ak. Ross. IV (1793) 736 pachnet syrym, gnil’ju „es 
riecht nach Käse, nach Fäulnis“, ibid. II (1790) 847 pochljobka 
pachnet dymom „die Suppe riecht nach Rauch“. Entsprechend 
vonjat „stinken“ ibid. I (1789) 846 u nego izo rta vonjaet „er stinkt 
aus dem Maul“, persönlich schon IV. Novg. Chr. 6938 (= 1430) 
i dyms mnogs velmi, inogda druga ne videti; i s togo dyma mrjachu 
ryby i ptici, a ryba dymom vonjase po dva goda „und es war 
viel Rauch, mitunter konnte man einander nicht sehen; und in- 
folge dieses Rauches starben Fische und Vögel, und der Fisch stank 


O. Grünenthal, Nochmals die „Eltern“. 221 


zwei Jahre lang nach Rauch“. Zweitens ist hierzu zu sagen, daß 
der Instrumental nicht den Agens bezeichnet, sondern daß es sich 
um den Instrumental des Vergleiches handelt: riechen, stinken 
wie etwas. 

Die eben gebotenen Belege veranlassen noch zu einer kurzen 
Schlußbemerkung. Pedersen hat eine Reihe von Beispielen aus 
Makarovs Wörterbuch angeführt; es ließen sich noch weitere 
Belege hinzufügen. Pavlovskijs Wörterbuch bringt ungefähr das- 
selbe (mit einem Mehr oder Weniger hie und da, wie es in der 
Lexikographie üblich ist). Wir sahen aber eben, daß auch schon 
das Slovar’ Akademii Rossijskoj (1789ff.) Ähnliches verzeichnet. 
Drum füge ich aus ihm auch einige Beispiele unseres Typus an. 
I 1104 obilo vetrom „es hat mit dem Wind herabgeschlagen“, 
II 295 gradom ves’ chléb pobilo „es hat mit dem Hagel das ganze 
Getreide zerschlagen“, II 359 gromom oglusilo „es hat mit dem 
Donner betäubt“. 

Göttingen. Erich Hofmann. 


— mn nn 


Nochmals die „Eltern“. 

Ich hatte Vondrák, Vergl. Gr? II 223 vermutet, daß in lit. 
téva? „Eltern“ (neben ¢évai „Väter“) der Plural so zu erklären ist, 
daß damit ursprünglich die Ahnenreihe gemeint war. W. Schulze 
hat nun in Symbolae Danielsson S. 302 nachgewiesen, daß diese 
Auffassung richtig ist, daß in der Tat die Mutter zunächst nicht 
mitgemeint war und daß diese Ausdrucksweise einmal auch im 
Westslav. so aufgefaßt wurde. Ich hatte s. Z. wegen der Kürze 
der verfügbaren Zeit’) eine solche Untersuchung nicht anstellen 
können, sondern nur Parates gegeben, möchte aber nun darauf 
hinweisen, daß in den slav. Sprachen, in denen heute noch der 
Dual richtig gebraucht wird, d. h. sloven., sorb., kaš. (slovinz.), 
hierfür starši (nsorb. starejsr, slov. neben rodit:]ji) im Plur, ge- 
wöhnlich ist und wenn Pleteršnik und Pfuhl in ihren Wörter- 
büchern daneben auch starša (nur ein Beleg) resp. staršej im 
Dual anführen, dies wohl sekundär durch die heutige Auffassung 
bedingt ist. Schließlich sei erwähnt, daß auch im Koptischen 
„Väter“ sote für „Eltern“ gebraucht wird. 


Breslau. O. Grünenthal. 


1) Aus demselben Grunde konnten natürlich auch nicht alle Zitate nach- 
geprüft werden. 


222 Eduard Schwyzer 


Dissimilatorische Geminatenauflösung 
als Folge von Übersteigerung, 
zunächst im Neugriechischen und im Spätaltgriechischen. 


Inhalt. 1. Einleitung. 2. Neugriech. yv statt vv. 3. Neugriech. zo statt 

oo. 4. Neugriech. md statt uu, ld statt 2A; ky th pf statt xx te an. 5. 6. 
7. Neugriech. (n)dz statt 2. 8. Tsakon. md, nd statt Aë dd. 9. 10. Spätalt- 
griech. ur vt yx statt wa tt xx, up usw. statt mp usw., uf usw. statt p8 usw.; 
xp usw. statt zn usw. 11. Parallelen aus idg. und semit. Sprachen. 12. Ver- 
meintliche oder unsichere Analogien. Expressive Nasalierung im Lat. und in 
deutschen Dialekten. 13. 14. Stellungnahme zu den Theorien der Geminaten- 
auflösung von Meillet und Schuchardt. 15. Nachlese (!). 
1. Die Tatsachen, die das Folgende von &inem Gesichtspunkt 
aus zu erklären unternimmt, sind gruppenweise zum Teil recht 
wohl bekannt, aber nur vereinzelt und ohne Entschiedenheit zu 
den Geminaten in Beziehung gesetzt; soweit dies fürs Griechische 
geschehen ist, ist der Parallelismus der verschiedenen Gruppen 
nicht beachtet. Auf einem ganz andern Sprachgebiete ist aller- 
dings der Zusammenhang der dort vorliegenden, ziemlich einheit- 
lichen Einzelerscheinungen erkannt, aus den Bedürfnissen der 
praktischen Grammatik heraus (s. unten unter 11) und ohne Rück- 
sicht auf die von Meillet (s. unten unter 13) gegebene grund- 
sitzliche Deutung und Einordnung. — Die folgende Darlegung 
beginnt mit der bisher dunkeln neugriechischen Sondergruppe, 
deren Erklärung zu den übrigen Fällen führte. 

2. Während altgriech. »» im Neugriechischen sonst nicht 
anders behandelt wird als die übrigen Geminaten des Altgriechi- 
schen — Vereinfachung im allgemeinen, Bewahrung bzw. Neu- 
entwicklung besonders im Südosten des Sprachgebietes (südliche 
Sporaden, Rhodos, Kypros)') — erscheint in wenigen Wörtern 
statt altem »» die Verbindung yv (gesprochen zn) : verbreitet 
&yvoıa (gesprochen den oi) „Sorge“ (altgriech. &vvoıe) mit Eéyvoraotos 
(ksezn’astos) „sorglos“ u.a., odyvepo „Wolke“; vereinzelt neulokr. 
eynid „neun“, in mehreren Dialekten (Epiros, Leukas, Aigina) tvgayrd 
u.ä. (altgriech. tvgavyd); das unetymologische y tritt aber auch 
auf vor altem einfachem v in verbreiteten dyvdvrıa „gegenüber“, 


1) Pernot, Phonétique des parlers de Chio (Paris 1907) 382 nennt Italie 
méridionale, Chio, Ikaria, Kalymnos, Symi, Kasos, Karpathos, Rhodes, Chypre, 
Livisi [in Lykien] et la Cappadoce“. Vgl. auch Dieterich, Sprache und Volks- 
überlieferungen der südlichen Sporaden (Wien 1908) 82ff.; HavteAlédns, Dovr- 
tinh, tov veoeAAnvindy idtwpdtwv Könpov, Awdexavnoov xal ’Inaglas. "Ad. 
1929, 28ff. Nur neues Material bei Dawkins, Modern Greek in Asia Minor. 
Cambridge 1916 (Glossar). 


Dissimilatorische Geminatenauflösung als Folge von Übersteigerung usw. 223 


yvédw „spinne.“ Vereinzelt ist y in der Gruppe yv sekundär 
stimmlos geworden (also x). Kretschmer, Der heutige lesbische 
Dialekt 171ff. und Pernot a. a. O. 526f. haben zu der Erscheinung, 
die freilich weder im heutigen Lesbischen noch im heutigen Chi- 
otischen sich findet, Stellung genommen; beide bezeichnen sie 
als dunkel. Kretschmer hat das verfügbare Material aus dem 
ganzen Sprachgebiet gesammelt. Er trennt die Fälle mit y» für 
einfaches » von den übrigen und erklärt dyvdvrıa vermutungs- 
weise aus einem *&x-vdvrıa als alter Umformung von 2vdvra 
(vgl. altgriech. ZE évavtiac, neugriech. &&yvavıe), für yrédw gilt 
wohl sein Hinweis auf y- aus x- bei Verba wie ylelpw „lecke 
ab“ (vgl. éxdeiyw), yvépw „winke zu“ (: &xvedw), yAvt@rw „be- 
freie“ (: éxddw), pont. dyveorıxa „nüchtern“ (: èxvýpw); yrédo 
wird dann als *dxvndw „zu Ende flechten“ verständlich. Für die 
Fälle mit yv für an lehnt Kretschmer wegen ihrer Vereinzelung 
ebenfalls eine lautgeschichtliche Erklärung ab. Er sieht in odyveqo 
Vermischung von végos „Wolke“ mit yvógpos „Finsternis“ unter 
Berufung auf lesb. snufjd, dessen u auf älteres o deutet (also auf 
eine Grundform ov»vogıd), weiter auf odyvogo „nubes“ (Ducange) 
u.a. Er vermutet die Erklärung der andern Wörter mit yv statt 
vy in gleicher Richtung, ohne positive Vorschläge zu machen. 
Doch bleibt bei dieser Kontaminationshypothese der Unter- 
schied in der geographischen Verbreitung zwischen čyvora ovyveqo 
tvoayvo und Zv(v)oı@ usw. unerklärt. Ein solcher ist aber ganz 
deutlich: y» findet sich fast nur im geminationslosen Gebiet; wo 
es Geminaten gibt, steht vv (nur Kypros hat auch yvora und 
tvodxvıouav neben tvoavvð); sonst erscheint neben yy auch bloßes 
v, gelegentlich auch nur dieses. Darin liegt übrigens eine Be- 
stätigung für Kretschmers Erklärung von dyvavrıa und yvéðw 
aus éx-; der Rest der Präposition erscheint nämlich, wie zu er- 
warten, auch im Geminatengebiet (z. B. kapp. yvévta kypr. dyvdr- 
ttov, Otranto mneto aus yv&dw bei Kretschmer 172). So spärlich 
das Material ist (und, wie sich gleich ergeben wird, auch sein 
muß), der Unterschied zwischen y» (») und »» ist nicht zufällig: 
wer Geminata sprach — n mit ausgeprägter Druckgrenze im Nasal 
— kam nicht in Versuchung, ein y vorzusetzen. Soll nun, wer 
einfaches » sprach, eher zur Aussprache y» geneigt gewesen sein? 
Das ist undenkbar. Wohl aber läßt sich das zusätzliche y ver- 
stehen, wenn man sich klar macht, daß es Leute gegeben haben 
kann, die die in der Schrift erscheinenden Geminaten, die sie für 
gewöhnlich vernachlässigten, doch in einzelnen Fällen zu voller 


224 Eduard Schwyzer 


Deutlichkeit zu bringen sich veranlaßt sahen. Dann konnte z. B. 
für das übertreibend deutlich artikulierte homogene »», das den 
Leuten eben nicht bequem war, leicht ein bequemerer heterogener 
Ersatz eintreten. Der Ersatz von »» mußte nicht yv sein (nd 
hätte den Dienst auch getan), konnte aber doch yv sein. Nach 
dieser Erklärung, die in einem wesentlichen Punkte, der Substitu- 
tion des y für das „erste“ v, schon Kretschmer a. a. O. 170 gegeben 
hat (jedoch nur für die Gruppe Nasal -+ Konsonant an Stelle von 
Geminata; s. u. unter 9), ist y» für »» nicht etwa eine falsche 
Verschriftsprachlichung, wie man z. B. auf Paros fx nanovxta 
statt der allgemein geltenden éra „so“ zanodtaa „Schuhe“ spricht, 
nach dem falschen Vorbild des Verhältnisses von parisch naıuödror 
roepdAı zu gewöhnlichem neugriech. naıddxı xepdlı (Xarbıödaıs, 
Adnva XVII 225), wohl aber hängt auch der Ersatz von an durch 
yv mit dem Streben, möglichst fein zu sprechen, zusammen. Die 
Wörter, die den Ersatz zeigen, sind fast alle als Buchwörter zu 
werten, die allerdings in der Volkssprache heimisch geworden sind; 
man vergleiche z. B. den engen Bedeutungsbereich von 2yvoıa 
mit dem weiten des schriftsprachlichen Zvvoı@. Bei tugayrd, -vvõ 
ist schriftsprachliche Herkunft selbstverständlich und auch für 
odyvepo „Gewölk“ ist sie gut möglich. Selbst für neulokr. eynié 
„neun“ ist diese Betrachtungsweise nicht ausgeschlossen (so 
brauchen die Basler u. A. für 1000 das schriftsprachlich vokali- 
sierte tousig, ursprünglich wohl mit Emphase; vgl. dazu Keßler, 
Beiträge zur Geschichte der d. Sprache und Lit. LV 192f.). Wie 
weit der Ersatz von »» durch y», der heute traditionell geworden 
und auf bestimmte Wörter beschränkt ist, in die Vergangenheit 
zurückreicht, ist nicht genau bekannt; doch führt Kretschmer 
a. a. O. Zyvoı@ und odyvepo aus dem Pentateuch von 1547 an, 
éyvola (so!) und tvgayy@ auch aus einer vulgärgriechischen Be- 
arbeitung von Boccaccios Teseide. Der Ersatz kann aber noch 
bedeutend älter gewesen sein, in eine Zeit zurückreichen, in der 
die Tradition der Schule und der Schriftsprache noch mit Gemi- 
naten rechnete. 

3. Der Ersatz von an durch yy, der nach dem Vorhergehenden 
aus sich selbst heraus verständlich geworden sein dürfte, hat 
` Parallelen. Damit soll nicht behauptet sein, daß sich alle Einzel- 
züge decken; finden sich doch die Vergleichserscheinungen teil- 
weise auch gerade in neugriechischen Mundarten, die Geminaten 
kennen. Da kann es sich nicht um Erreichung eines hochsprach- 
lichen Vorbildes handeln. Aber es gibt auch ein mundartliches 


Dissimilatorische Geminatenauflösung als Folge von Übersteigerung usw. 225 


Deutlichkeits- oder Schönheitsideal. Daß »» in den Geminaten- 
Mundarten bleibt, während andere Geminaten verändert werden, 
ist kein Beweis gegen die Richtigkeit der These, die hier durch- 
geführt werden soll. Nur für die Wirklichkeit blinde Theorie 
kann verlangen, daß sich alle Geminaten, die doch durch die 
verschiedensten Konsonanten gebildet werden, gleich verhalten. 
Da die Vorgänge hier im allgemeinen bekannt und anerkannt 
sind, kann ich mich für das Folgende kürzer fassen. Vorange- 
stellt sei der Ersatz von ss durch ts, den Pernot a a. O. 286ff. aus 
der allgemeinen Volkssprache und aus Dialekten (Tsakonien, Kar- 
pathos, Kypros, Pontos), besonders aber aus Chios belegt’); nach 
anfänglicher Zurückhaltung spricht er sich S. 291 klar für die 
geläufige Annahme aus, zo stehe für oo (und nicht etwa für ein- 
faches o). Allgemein neugriechisch ist x6rovgog für altes xdoovgpog; 
in Chios gilt ts für ss als Schibbolet des Ortes „Saint-Georges“, 
war aber früher viel weiter verbreitet; z. B. tétoeoa Ydiaroa 
yA@toa, sogar dronuı (mit to für einfaches, in Chios verdoppeltes 
0), yodtoa vntod mAovtoos u.ä. für yodora usw. (Astypalaia). Auch 
sekundär in der Wortfuge entstandenes oo ist beteiligt; daraus 
erklärt sich öfter zo für ø im Anlaut, z. B. oxAdßo toov „deinen 
Sklaven“ für oxAdßo» oov, elxe toatttes „er hatte Pfeile“ für elyev 
oaittes. Aber im Anlaut steht zo auch für fremden Laut: kypr. 
todußoa „chambre“, roıöa (nach Pernot aus frz. chaise, gesprochen 
(Ges, nach andern aus frz. siège), allerdings auch für wesentlich 
gleichen (toıxodgı aus lat. securis). Eine letzte Gruppe mit Anlaut 
to für o (bzw. oo) bilden onomatopoetische Wörter u. &.: zorgitw 
roovrooveltw, auch towne für conza (hier kann man, wenn man 
es für nötig hält, noch damit rechnen, daß dem bloßen oona 
„schweig!“ die Interjektion des Schweigens, oo, vortreten konnte). 
Pernot ist geneigt, die Entwicklung ss > ts ın Parallele zu setzen 
mit den bekannten Fällen 0% > or, 99 > ft, weist aber selbst 
darauf hin, daß hier die Änderung beim zweiten Konsonanten 
vollzogen ist (S. 364). Mir scheint bei ¢s für ss rein phonetisch 
das Gleiche vorzuliegen wie bei yv für v»: im Bestreben, die 
Geminata zugleich sehr deutlich und bequem auszusprechen, ist 
an der einen Stelle, und zwar wieder an der ersten, ein Ersatz 
eingetreten °). 


') Dazu kommen noch Astypalaia, Kasos, Patmos; s. Dieterich a.a. QO. 80f ; 
TlavceAléns a. a. O. 30. 

2) Mit der Gemination hat die Erscheinung auch schon Dieterich a.a O. 
80f. zusammengebracht, unter Verweis auf die „Verstärkung von C zu (n)dz 
(ebd. 58); doch ist seine Formulierung „durch starken Stimmeinsatz bewirkte 


Zeitschrift für vergl. Sprachf. LXI 3/4. 15 


226 Eduard Schwyzer 


4. Der Ersatz ist nicht an die erste Stelle gebunden; er kann 
auch nach der Druckgrenze eintreten (bzw. bei Geminata im 
strengsten Sinne, d. h. Vollartikulation von zwei gleichen Kon- 
sonanten, den zweiten betreffen). Pernot (487, 5) zitiert beiläufig 
Otranto crimbidi für xgeuuödı, simberi für onuuegıs „heute“ (jetzt 
bei Rohlfs, Etymologisches Wörterbuch der unteritalienischen Grä- 
zität unter nr. 1160. 1935), wozu, wie er angibt, schon Morosi, 
Studi sui dialetti greci della Terra d’Otranto (Lecce 1870) 110, 1 
auf cambara für cammara in benachbarten italienischen Dialekten 
hingewiesen hat; vgl. dazu auch unten unter 12. Auf Astypalaia 
und Karpathos wird für AA der Mundartgruppe von Ikaria bis 
Kypros lt oder (nach Kretschmer) richtiger ld gesprochen; s. 
Dieterich a. a. O. 81f. (für Astypalaia; D. gibt Zei: I[avtedidns 
a. a. O. 29, z. B. dAtos BaoddnovdAto xaBadtdes ucte; novdAtod 
(für movAdıd), auch in Lehnwörtern: xaßadıdoıs xaocréůte, bei 
sekundärer Dehnung: otragúůtı EAriov (= édiyov) und im Anlaut: 
Atnvés*). Dazu hat Kretschmer o. LVII 254f. auf den karischen 
Wechsel zwischen AA und 2ô°) hingewiesen. Man darf auch 
darauf hinweisen, daß der Effekt der gleiche ist, wenn auf Chios 
und Kypros, und ebenso bei den Tsakonen die Geminaten xx cr 
az zu den Aspiraten E t p` geworden sind, auf Kalymnos zu ky 
th pf; vgl. Pernot a. a. O. 409ff.; Iavtedidng a. a. O. 28ff. Man 
vergleiche die bei Pernot a. a. O. 414 zitierte Beschreibung, die 
Mondry Beaudouin, Etude du dialecte chypriote moderne et mé- 
diéval (Paris 1884) 50 von der kyprischen Aussprache der aspi- 
rierten Geminaten gibt: ,Quand les consonnes doubles sont deux 
explosives fortes, mz, xx, tt, elles sont prononcées séparément, 
comme les autres consonnes, mais avec cette différence qu’elles 
ne sonnent pas toutes deux de la même manière; la seconde prend 
un son tout particulier, distinct de celui de la premiére en ce 
qu’il est suivi d'une sorte d'aspiration.“ Auch hier steht der 
Ersatz von Geminata vereinzelt im Anlaut, in Wirklichkeit in der 
Wortfuge: và m‘éow Chios, méptw 2 o (= Groe Syme. 
Absonderung eines dentalen Verschlußlautes vor dem gedehnten Sibilanten‘ 
weder in sich völlig klar, noch berührt sie den entscheidenden Punkt, weshalb 
auch die Vergleichung mit 4A > Ar (s. hier unter 4) bei Dieterich ganz äußer- 
lich bleibt. 

"Nach Dieterich a. a. O., falls lautlich, „Entwicklung einer Dentalis bei 
Offnung des Verschlusses. “ 
*) Dr. O. Franck erinnert dazu an unteritalien. (auch griech.) dg und dd 


für 22, z. B. Bova und Otranto dddo „ein anderer“ (Rohlfs a. a. O. XLV), die 
wohl die Zwischenstufen Zd und Zd voraussetzen. 


Dissimilatorische Geminatenauflösung als Folge von Übersteigerung usw. 9297 


5. ¢ hat in neugriechischen Dialekten hin und wieder die 
Aussprache dz: dzectalyw „wärme“ Siphnos, wadzd „zusammen“, 
uvoldzw „dufte“, yddadza „Hagel“ Karpathos (bei Pernot a. a. O. 
295). Man schreibt auch tf: uath Betldon „des Wesirs* yuoltles 
„dreht (sich)* Syme (ebd.). Genaueres bei Dieterich a. a. O. 58f.; 
Ilavreilöns a.a.O.41 (cf oder df für Elimbos auf Karpathos, Kos, 
Syme). Daneben gibt Iavtediéng für Ikaria, Karpathos (außer 
Elimbos), Rhodos, Syme die Aussprache ¢¢ (= zz): naifCea 
erfier „träufelt“ Bulli „weibl. Brust“ pwalli va Cp „daß er lebe!“ 
tpw `‘). HTavreilöng hält CC für alt („palveraı Aelpavor dexaiov“). 
Man möchte ja gerne an antike &£, of für ¢ (bzw. ø in ou) denken 
dürfen; man könnte auch Umsetzung des dor. 66, das in den 
geographisch entsprechenden antiken Mundarten galt, in eine 
Koineform CC vermuten, womit man allerdings der Bildung z. B. 
der Rhodier ein so schlechtes Zeugnis ausstellen würde, daß sich 
die Diskussion dieser Hypothese erübrigt. Erst recht darf die 
Aussprache dz nicht als antikes Erbe genommen werden (dagegen 
schon Dieterich a. a. O. 59). Noch ohne die moderne Aussprache 
CC zu kennen, hat Pernot a. a. O. dz als Erscheinungsform von 
zz angesprochen und mit Ge für ss gleichgestellt. dz gilt allerdings 
nur auf einem kleinen Gebiet; auf Chios und Patmos (Pernot), 
auf Astypalaia und Rhodos (I/avreilöng) spricht man ar (= ndz), 
z. B. naivtlw otohivtlw oivtla vıödin. Auch der Nasal ist durch 
den Artikel uapavrdıaou£vog [ital.] moscio [„welk, schlaff“] im 
chiotischen Vocabolario des Girolamo Germano von 1622, dem 
ältesten neugriechischen Wörterbuch, schon für die Zeit unmittel- 
bar nach 1600 bezeugt”). Da das Wort unbeschadet des Anklangs 
an pagaivw paeacuds aus (arab.-)türk. maraz „Krankheit, Aus- 
zehrung“ stammt’), liegt darin unbestreitbar eine sekundäre Ent- 
wicklung von z zu vf vor wie in ßerLvon (s. ol von æ zu tå. 

6. Pernot stellt die Entwicklungsreihe 2>22>dz>ndz auf, 
die durch die tatsächlich bezeugten Formen mit ¢ EE dz (tf) art 
vollauf bestätigt zu werden scheint. Und es muß dabei bleiben, 


1) Was ist gemeint? Wohl das allgemeinere Léo = Ledyw Ledyvvuı 
(wozu Lépeuo = Leößıs:, nicht das epirot. [Epyw — (6)Lalvw (dw xaxdc); diese 
beiden gibt Hrlıns 

2) Vgl. über Germano Pernot a. a. O. 4 und Gir. Germano, Grammaire et 
vocabulaire du grec vulgaire ... par H. Pernot. Paris 1907. 

3) „All die jungen Mädchen heiraten Helden, doch ich das gefeierte Hanni 
mußte den Serbling nehmen“ (x yò Tvavvotda Eaxovorn neu tov napalıden), 
klagt das junge Weib des kranken Großbauern im Volkslied (I/ayrixov 260 
énuodn kouara. “AF. 1905, 388). 

15* 


2928 Eduard Schwyzer 


wenn auch die chiotischen Formen ygwri’tw yowviviw (= yrwotlaw 
„kenne*), die Pernot nach Psichari anführt, »fayagév0 (= Laxe- 
gémo „zuckern“), das er selbst in N&vnta aufgenommen hat, eine 
andere Entwicklungsreihe begründen könnten: 2>>*z>nz>ndz 
(mit eingeschobenem d wie in darf = (E)xiöv(ı)dev Velvendos 
in Makedonien bei Pernot a a O. 535) bzw. zz (mit Assimilation 
aus nz). Doch sind die Formen mit vi »f so spärlich bezeugt, 
daß man sie durchaus mit Pernot als sekundäre Ableger von ndz 
betrachten muß (vgl. die von Pernot a.a. 0.296 notierten Über- 
gangsformen xald"dzıv pwvä"dzov mit nasaliertem a = goud oun, 
ately). 

7. Man könnte auch die Entwicklung z>*z>>nz nur durch 
Statuierung eines „parasitären“ Nasals erklären. Doch hat gerade 
auf Chios das développement d’une nasale noch einen kleinern 
Bereich als die Darstellung von Pernot a. a. O. 534f. glauben läßt. 
Es beschränkt sich auf mb nd wg als Wiedergabe von b d g in 
Lehnwörtern, häufiger im Anlaut (bzw. in der Wortfuge): tò undi 
to mboi „Wuchs“ (türk. boi), tò vregti to nderti „psych. Schmerz“ 
(türk. derd), 6 unanogıdong o mbaporiaris (zu ital. vapore), doch auch 
im gewöhnlichen Inlaut: dvrlo adio und andio (ital. addio), ondy- 
yos m. „Bindfaden“ (ital. spago). So ist auch fremdes d in der 
Verbindung dz (für dz) behandelt: Manayatrčńs papaxändzis (aus 
arab. hadzdzi „Mekkapilger“, bei den christlichen Griechen als 
Zorte der Pilger zum heiligen Grabe) '). Pernot’s echt griechi- 
sche Beispiele gehen auf altgriech. Formen mit anlautendem é- 
zurück; z. B. unl£xeraı mblétsete aus éumdAéneta, vtónios ndóp% us 
aus vtómios (dagegen entbehrt Chios in krémmisa kremmö die 
Präposition des gewöhnlichen neugriech. gremnizo gremnös = 
= (é)yxoeuvifw mit Postverbale (é)yxgeurds)*). Jedenfalls wird 
durch Fälle wie die genannten auch nur die Möglichkeit eines 
„parasitären* n vor z nicht bewiesen. Dagegen ist wichtig unter- 
italien. -ddzo (Bova) neben -dzo (Otranto), -zo; s. Rohlfs a. a. O. 
nr. 1884. 1870. 1501 u. a. Dadurch verlängert sich vielleicht 
Pernots Reihe um ein Glied: z > zz > dz > ddz > naz. 

8. Den gleichen Ersatz von b und d durch mb und nd wie 
in den Beispielen zu Anfang von 7 sieht Anagnostopulos, Tsako- 

1) Das Wort fehlt z.B. in Unteritalien, geht also erst auf die Tovexoxearia 
zurück. Die oben gegebene etymologische Schreibung des arab. Wortes kommt 
für die griech. Entwicklung nicht in Betracht, da die türk. Aussprache nicht 
einmal kaddz?, sondern einfach kadžť sein dürfte. 


*) Dazu macedorum. grem „Abhang“ bei Meyer-Lübke, Roman. etym. 
WB. nr. 3861. 


Dissimilatorische Geminatenauflösung als Folge von Übersteigerung usw. 229 


nische Grammatik (Berlin-Athen 1926) 19f. in tsakon. oduba (vgl. 
odBBatov); xaubalvov xduba (für xaßßaivw xdBBa aus xar(a)-ß-); 
mbalvov (für *éBBaivw aus &yß- éxB-) und -ndu (Verbalausgang; 
für Zo, z. B. serindu ,ernte“ lak. *oeolödw u.v.a.; yéndu = att. 
zéie), Sinda att. ita; ndiru (aus *éddcigw éyd- Endeow). Der 
griechische Gelehrte nimmt, gewiß mit Recht, an, daß 88 und 66 
im Tsakonischen vom Altertum her zunächst bb und dd blieben, 
sagt aber nicht deutlich, ob er sich den Ersatz durch mb und nd 
auf dieser Stufe bb, dd oder auf einer Stufe b, d denkt. Auf der 
Stufe bb, dd ergäbe sich durch das Eintreten von mb, nd für b, 
d, da mbmb ndnd schwer realisierbar sind, mbb ndd, woraus dann 
mb nd vereinfacht sein müßten; die Stufe b d für bb dd müßte 
recht spät erreicht worden sein, da sonst b und d wohl die Ver- 
änderungen von 8 und d zwischen Vokalen mitgemacht hätten, 
die z.B. tsak. ddisse &ßvooog und io Gäog veranschaulichen. Es 
ist wenig wahrscheinlich, daß bb dd, für die Tsakonen wie für 
die andern Griechen des Mittelalters und der Neuzeit schwer 
sprechbare Komplexe, so lange unverändert bewahrt worden wären. 
Daher ist in diesem Falle sicher die einfache Erklärung Deffners 
die richtige, daß sich nämlich nd aus dd „durch Dissimilation“ 
entwickelt habe (Zakonische Grammatik, Berlin 1881, 66); Deffner 
gibt besonders für die Verba auf -ndu auch reiches Material; über 
die Chronologie von dd > nd äußert er sich nicht, führt aber 
S. 64 mb für 88 schon aufs Altlakonische zurück. Nur für das 
oben zuerst genannte tsakonische Wort mit mb aus $ß hat das 
unteritalienische Griechisch eine Parallele: sámba Corigliano und 
Saleto in der Terra d’Otranto (neben Fortsetzungen von odßßarov 
in Bova; s. Rohlfs a. a. O. nr. 1894); die Komposita mit xata- èx- 
zeigen hier die gewöhnliche Form; über -¢- s. o. unter 7 zu Ende. 

Von den meisten der vorher besprochenen Veränderungen 
von Geminaten im Neugriechischen hebt sich die tsakonisch-unter- 
italische ab. Nur hier und vielleicht auch in ac für £ (s. o. 
unter 4) erscheint ein Nasal an Stelle des ersten Teils der Gemi- 
nata. In Unteritalien erscheint er auch durchgehend bei zu- 
grunde liegendem az: Otranto ampari aus dando: = inndgi(ov) 
Rohlfs a. a. O. nr. 822; das Tsakonische hat dagegen — neben mb, 
ng für un yx — aspirierte Verschlußlaute für aa er, besonders wenn 
diese durch Assimilation entstanden sind. Es ist bezeichnend für 
den sicher nicht absolut zu leugnenden archaischen Charakter 
dieser Mundarten, daß beide Behandlungsweisen im Altertum 
Parallelen haben, besonders deutliche die erste. | 


230 Eduard Schwyzer 


9. Deffners Erklärung von tsakon. nd aus dd (altlak. dd) 
rechnet mit Ersatz des ersten d durch n. Das ist der gleiche 
Grundsatz, der im Vorhergehenden schon auf eine Anzahl von 
Veränderungen von Geminaten angewendet worden ist. Auch 
die Erklärung, die Kretschmer, Der heutige lesbische Dialekt 170 
zunächst für lesb. Samfó für Sangw und epir. Méndus, Kurzform 
für Matdaios, gegeben hat, geht vom gleichen Prinzip aus: „Die 
Doppelkonsonanz ist hier, weil man sie nicht mehr sprechen kann, 
durch Nasal + Konsonanz ersetzt: es handelt sich also um sogen. 
Lautsubstitution, wie sie z. B. im kalabrischen Dialekt des 
Italienischen auftritt: landa < latta, mento < mitto, sumportare 
< supportare (Gröbers Grundriß I 534)“. Der neugriechische Aus- 
gangspunkt dieser Erklärung ist freilich nicht der gleiche wie in 
den italienischen Beispielen, da es sich in letztern um Geminaten, 
dort um die Affrikaten pf, tp handelt, die in der Aussprache Un- 
gebildeter, die die gebildete Aussprache als Affrikaten nicht zu 
erreichen vermögen, zu mf nb werden (vgl. Xatliddxs, Adnva 
XVII 222f. = Meoarwvixà xai Néa ‘EAinvind II 550ff.). Aber der 
Vorgang ist doch wenigstens äußerlich der gleiche. Vollständig 
passen zu den kalabrischen Beispielen Kretschmers, die freilich 
von Schuchardt (s. unten unter 14) sämtlich anders erklärt werden, 
seine altgriechischen: yAwytas für yAwrrag in att. Defixionen, att. 
Bayyxiöns für Baxy- Bazy- (um 135 v. Chr: Ath. Mitt. XXI 438 ff.), 
att. Mvogıvoövre (um Chr. Geburt). Das sind zum Teil Fälle aus 
dem fast überreichen Material, das gleichzeitig G. Meyer, IF. IV 
326ff. und ganz besonders W. Schulze, o XXXIII 366ff. auf 
grund ihrer ausgedehnten Streifzüge in abgelegene und schlecht 
bekannte Gebiete der griechischen Sprach- und Sachüberlieferung 
vorgelegt haben, um den Unterschied zwischen Sabbat und Sams- 
tag, frz. samedi usw. verständlich zu machen. Kretschmer lehnt 
W. Schulzes „parasitären“ Nasal (den G. Meyer, Griech. Grammatik’ 
253 anerkannte) ab und findet die Beurteilung der Erscheinung 
durch Thumb, Die griech. Sprache im Zeitalter des Hellenismus 
135ff. richtiger. Thumb rechnet auch für die antiken Fälle einer- 
seits mit umgekehrter Schreibung (ein IIaupiaya» stünde also 
gleich mit neuparisch Ze s. o. unter 2; in naundiw wäre das u, 
das in ’OAinp = Ofun gefallen war, fälschlich restituiert), 
anderseits mit Schreibungen un vt yx für b d g, die aber auch 
a t x geschrieben werden konnten. 

10. W. Schulze hatte seinerzeit angesichts der „Trümmer- 
haftigkeit* eines doch reichen Materials darauf verzichtet „Gesetz 


Dissimilatorische Geminatenauflösung als Folge von Übersteigerung usw. 231 


und Regel festzustellen“ (a. a. 0.384); die Bezeichnung „parasi- 
tärer Nasal“ drückt diesen Verzicht in einem Schlagwort aus. 
Denn aus dem Nichts kommende oder wenigstens jede Ratio ver- 
leugnende Lautzusätze kann es nicht geben; auch willkürliche 
Einschiebsel wie in der sog. Fliegensprache zeigen eine Ratio. 
Das Näseln bestimmter Sprachen oder Gesellschaftsschichten kommt 
als Erklärung für einzelne zusätzliche Nasale nicht in Frage. 
Wo Nasal zugesetzt erscheint, stammt er (s. Schuchardt unten 
S. 232, Fußnote 6) aus der Nachbarschaft oder aus formeller Über- 
tragung oder aus dem Gegenstück des Nasalschwundes; man ver- 
gleiche d. ,genung“ für „genug“, schweiz. und sonst ,rengen“ 
für „regnen“; schweiz. wo-n-i für „wo ich“; schwäb. 7s für „Eis“, 
alem. „siunfzen“; vgl. Wilmanns, Deutsche Grammatik” I § 107 
Anm.2.3, zum ersten Fall auch die indischen Yama’s (Wacker- 
nagel, Altind. Grammatik 1898 Anm. 163c)'). Ist somit Thumbs 
Zweifel gegenüber dem parasitären Nasal berechtigt, so genügt 
doch seine Erklärung nach der positiven Seite nicht. Vielmehr 
fügen sich ziemlich alle Fälle aus dem Altertum der Auffassung, 
die für einzelne Geminatengruppen von Deffner, von Meillet (s. 
unten unter 13) und von Kretschmer im wesentlichen bereits ver- 
treten ist: Ersatz von Geminata durch Nasal + Konsonant. Völlig 
klar wird so der Wechsel zwischen xz: un, np oder py (= pp): 
gl, „x: yx, xy oder xx (= kk’): y(x)%, tt: vt; BB: ub; z. B. 
(mehr Beispiele und Einzelnachweise bei W. Schulze a. a. O.) 
Kaunadoxla naundfw (ebd. 374), xau pddaga odugpıgos (ebd. 
382)*), mittelalterlich (Unteritalien) éyxdAnoia (ebd. 369), Bayxlöng 
(Kretschmer; sol, spat Boa@yxıdlıov lat. bracchiolum (Schulze 382); 
naduBahe SauBdts = -ıog (ebd. 376ff.). In andern Fällen stehen 
allerdings neben den Formen mit Nasal +- Konsonant Formen mit 
einfachem Konsonanten ohne vorhergehenden Nasal; da es alles 
Fälle sind, in denen die geltende Orthographie Geminata gar nicht 
schreiben konnte, können mit den Einfachschreibungen auch 
Geminaten gemeint sein und kann es schon im Altertum ein 
Gegenstück zu der sekundären Gemination des Neugriechischen 
gegeben haben; vgl. ung :* nno : &unoiaro yaotovnedtns (Schulze 

1) Das umfangreiche Kapitel über nasalizzazione bei Trombetti, Elementi 
di glottologia 511—555, ändert an der vorgetragenen Anschauung nichts; in 
vielen Fällen scheint es sich dabei um Elemente der Formenbildung zu handeln. 

2) Sskr Sanipriya- n., in dem man die Quelle des Edelsteinnamens Sapphir 
sieht (Uhlenbeck, Etym. WB. der ai. Sprache 302), ist so spät bezeugt, daß es 


ebensogut Indianisierung eines westlichen Wortes sein kann; das gleiche Sammel- 
werk erklärt auch Sanivära- m. „Saturni dies, saturday‘. 


232 Eduard Schwyzer 


369) `), uw: *nıp:ovuweliov‘) xauwdeios (ebd. 372), upe:*npe: 
Tvugenorös (ebd. 369), yxt ` *xxt: Beovxtiotov (ebd.), uße ußi 


ußö : * BBE * BBA *BB6: veuBood dußinxoös AduBda (ebd. 368FFf.)?), 
vdo ` *öde : mittelgriech. xevögog (heute toévydgog Aigina) (ebd. 
368)‘). Besonders gut kann man Gemination der Media begreifen; 
sie stellte sich wohl ein aus der Tendenz der Schul- und Hoch- 
sprache, ß als Verschlußlaut (b) möglichst zu wahren). Beispiele, 
für die auch nur entfernt die Möglichkeit besteht, daß der un- 
etymologische Nasal nicht den ersten Teil einer Geminata ersetzt, 
sondern (nach Schuchardt; s. Fußnote 6) durch regressive oder 
progressive nasale Infiltration von einem benachbarten etymolo- 
gischen Nasal aus entstanden ist, sind in die obige L.ste,. die 
übrigens nur alle Typen, nicht alle Einzelfälle geben will, nicht 
aufgenommen; z. B. regressiv Avdgauvs "Alv)dgauvvınvös SuBor- 
uos, progressiv Mevlunns Mouwoveorla Mvogwoörra "Ivcoußeess; 
vgl. lat. semptima Semptumia *numptiae (alle bei Schulze 367. 371f. 
374)°). Solch griech. Formen können auch die meisten Fälle bei 


1) Kaum Hereinspielen der Präposition ër (so G. Meyer, Griech. Gram.? 253).. 

2) Hier steht sicher nicht nach Thumb a. a. O. ur (in w) für lat. 5, da 
dieses vor s als p gesprochen wurde. Anlehnung an od» (so G. Meyer a.a. O.) 
ist für ovuwe£lıov wie für ovuweioinds (lat. subsericus) wenig einleuchtend, 
da man dann auch, was auf die erste Silbe folgt, hätte ausdeuten müssen (auf 
péAcov „Armband“ und pelo „Laus“). 

l 2) Ausführungen, auf die o. LVIII 202 zu verweisen gewesen wäre E 
wegen der lat. Formen lauda, lauta, die ihrerseits durch kopt. Aavda be- 
leuchtet werden. 

4) Russ. Kondratij wird aber eher nach der Doppelheit Kwvozavsivos : 
Kwot. (slav. Kostanvtind, -not- u. &.) fälschlich restituiertes # haben. Daß 
die Mavgoxogddator (auch -yogd-) nicht etwa „schwarze Herzen“ hatten, wohl 
aber „schwarze (d.h. große, bedeutende) Kodoäros“ (= Quadrati) waren, erhellt 
aus chiotisch Mavgoxodedtos (auch schon 1757) bei Pernot a. a. O. 542 (nicht 
die chiotische, wohl aber die geläufige Form -xogd- zeigt darnach Metathese). 

5) Auch in den von Dieterich, Untersuchungen 281 (vgl. 92ff., aber auch 
die kritischen Bemerkungen von Thumb a. a O. 147f.) gesammelten neugriech. 
Beispielen sind viele mit Media, z. B. gayyel zu géyeog (also vielleicht ye > 
ggr > »gr); überall kann man für Nasal + Konsonant als Vorstufe Geminata 
ansetzen, wobei man allerdings auch noch für y als sekundären Einschub mit 
der Aussprache g rechnen muß (so dann éyyodver „Gurke“ aus déggover, dgoder: 
@weos; vgl. zu dem Worte zuletzt Kretschmer, Glotta XX 239f.). 

6) Vgl. auch alb. méndafs „Seide“ aus vërofo, méngi aus magia u. à. 
(G. Meyer bzw. W. Meyer-Lübke, Grundriß der roman. Philol. I? 1051). Auch 
bei Schuchardt, Der Vukalismus des Vulgärlateins I (1866) 112ff. stehen unter 
den Beispielen für Einschub von m und n solche, für nc mg mqu sogar außer 
Angne congnatus singnum u.ä., flunxu keine andern. Zieht man noch die 
entsprechenden Beispiele für nt mp mf und -cendre für -cedere ab, bleibt sehr 


Dissimilatorische Geminatenauflösung als Folge von Übersteigerung usw. 233 


Hübschmann, Armen. Grammatik I 331 (unter 8) voraussetzen, 
z. B. menk’enay unxavn, lambiurintos Aaßögıvdos u. a. (anders 
kindar xlöagıs, knkut xovxodvdAdtor). 

Im Anschluß an G. Meyer, Griech. Grammatik * 288 möchte 
man gerne mit tsakon. kap‘inu (bzw. kak‘inu) aus xar(a)nivo 
zusammenhalten altgriech. dnpya dnpad (mit dnnpaoıov dnnpldıov 
angis) neben dana dnnas. Doch muß der Lallwortcharakter von 
Greg usw. bedenklich stimmen. Aggıavds hat das gleiche pp 
wie "Apgıos Aggia “Agqioy (bzw. Jon Zeen und gehört zu 
einem kleinasiatischen Lallnamen, mit dem lat. Appius wohl nur 
zufällig übereinkommt (vgl. Kretschmer, Einleitung in die Ge- 
schichte der griech. Sprache 346f.); daß ‘Apgıavds auch für lat. 
Appianus, wenn es zum Gentile gehörte, nicht nur, wenn es 
Ethnikon der phryg. Stadt (lat.) Appia war, geschrieben wurde, 
ist darnach einleuchtend. Die tsakon. Aspiraten gehen auch alle 
auf assimilierte Geminaten zurück (vgl. noch akó &xxóg: doxdg 
Hesych, éta „steh auf“ vgl. Groo: dvaorndı ebd.). Doch gibt 
G. Meyer a a O. 287 noch zahlreiche andre Fälle mit np 19 xx 
für 9 3 x, von denen freilich noch einige Lallworte u. dergl. ab- 
gehen. G. Meyer wertet sie als Affrikaten (pf usw.), wofür es 
eine neugriech. Analogie gibt. Man kann aber auch die tsakoni- 
sche geltend machen (s. oben unter 4): hier haben wir E ¢ wohl 
aus ältern E tt‘. Die altgriech. Beispiele zeigen dann teils sekun- 
dire Aspiration (dpa), die wohl mit der Artung dieser Wörter 
zusammenhängt, teils sekundäre Gemination, die teilweise eben- 
falls mit der Wortbedeutung zusammengeht (xaxydCw: vielleicht 
eine schon alte „Steigerungs“form zu xaxydöw, die nur nicht litera- 
risch wurde), teilweise aber davon unabhängig ist (uetnAlaxnydta 
y£Eyoanpa). Der letzte Fall kann in Zusammenhang stehen mit 
der sekundären Gemination des Neugriechischen (s. o. unter 2). 
Bei 9 $ x konnte sie sich einstellen als Reflex des Kampfes 


wenig. Schuchardt hat später selbst für die in Rede stehenden Fälle die richtige 
Erklärung gegeben in seinem Aufsatz „Zum Nasaleinschub“ Zeitschr. für roman. 
Philvlogie XXXV (1911) 71ff, besonders 73ff. Schuchardt geht S. 84—87 auch 
auf den griech. Nasaleinschub ein, den er in der Hauptsache durch Kontamination 
und durch Vor- und Nachklingen eines Nasals erklärt; seine lautliche Erklärung 
wendet Erika Kretschmer „Antizipation des Nasals* Festschrift P. Kretschmer 
(1926), 116M#. auf weitere griech. Fälle an. Parallel dem nasalen Zuwachs geht 
der von Liquida, wenn das Wort bereits r oder Z enthält, worüber neuerdings 
besonders Niedermann, Zur Beurteilung der r-Epenthese im Romanischen. Fest- 
schrift L. Gauchat (Aarau 1926) 40ff. gehandelt hat. Vgl. auch oben zu Anfang 
von 10. 


234 Eduard Schwyzer 


zwischen der volkstümlichen Aussprache als Spiranten und der 
gehobenen als Aspiraten: wer sich bemühte, statt der ihm mund- 
gerechten Spiranten die von der Bildung noch geforderten Aspi- 
raten zu sprechen, konnte sie leicht übertreibend mit zu großer 
Intensität aussprechen; mg ¢ KE konnte sich dies nicht bei " 
auswirken; so wurden pp‘ tt kk’. 

11. Parallelen für den im Vorhergehenden hehaupteten Gemi- 
natenersatz scheinen in den Sprachen nicht allzu häufig zu sein. 
Freilich muß ich das Suchen in die Weite Kundigern überlassen. 
Auf die oben unter 4 genannten Übergänge von mm in mb und 
ll in ld ist neulich Kretschmer o LVII 251ff. zu sprechen ge- 
kommen bei seiner Zurückführung von ai. amba „Mutter“ auf 
kleinasiat. amma; er verweist außer auf kleinasiat. am-mi und 
am-bi (Name einer Stadt) auf den Ersatz von mm ll nn durch 
mb ld nd in lit. und lett. Lehnwörtern aus dem Deutschen (z. B. 
amba staldis spandis)’). J. Schmidts idg. „dissimilation“ von ss 
in ts (0. XXV 345ff. 351) ist bestritten; selbst Wackernagel, Altind. 
Grammatik I § 153 ist fürs Idg. skeptisch (in § 155 im besondern 
auch für das ptc. perf. act., worin ihm folgt Debrunner im III. Bande 
der Altind. Grammatik S. 298). Doch anerkennt Wackernagel an 
der erstgenannten Stelle die ai. Beispiele für ss > ts wie ved. 
avätsis „Au wohntest“ aus *a-vds-sis (zu vdsati) und stützt sie durch 
mittelindische. Durch neugriech. to für oo (s. oben unter 3) ist 
jedenfalls die phonetische Möglichkeit des von J. Schmidt fürs 
Idg. behaupteten Lautwandels zweifellos. Das neugriech. Neben- 
einander von s, ss und ts läßt auch die Annahme unverfänglich 
erscheinen, einerseits sei idg. ss zu s reduziert, anderseits (resti- 
tuierles) ss übertreibend zu ts geworden‘). Die Annahme ur- 
sprünglicher Doppelbildung des Perfektpartizips (we/os ` we/ot) 
schiebt das Problem nur zurück. — Unter dem Gesichtspunkt des 
Geminatenersatzes läßt sich auch eine andere ins Idg. zurück- 
reichende Lautentwicklung betrachten, die im Gegensatz zur eben 
behandelten allgemein anerkannt und deshalb auch gemeinhin als 
durch eine traditionelle Formel erledigt angesehen wird, nämlich 
die Entwicklung der ursprünglichen Verbindungen von Dental -+ 

1) Kretschmers Erklärung (S. 253f) rechnet mit der Gemination (bzw. mit 
deren Fehlen), doch nicht im Sinne einer übertreibenden Wiedergabe derselben 
und ohne Bezug auf die weitern hier als Einheit behandelten Fälle. 

2) Benfeys Erklärung von ai. ¢s statt ss aus /sis, woraus zunächst Ce ge- 
worden sei, beruht auf der unwahrscheinlichen Voraussetzung, ai. s sei bald als 


s, bald als ¢s gesprochen worden (Gött. Abh. XVI (1872) 12; bei Wackernagel 
a. a. 0.). 


Dissimilatorische Geminatenauflösung als Folge von Übersteigerung usw. 235 


Dental in den idg. Sprachen, d. h. der Übergang der ersten 
Dentale der Verbindungen t+ (h), d+ d(h) in Affrikaten: tst(h), 
dzd(h); vgl. Wackernagel, Altind. Grammatik I § 152; Brugmann, 
Grundr.* I 624 (hier und Kurze vergl. Gramm. 179 et usw., mit 
unnötiger Rücksicht auf ai. ¢t); Hirt, Idg. Grammatik I 255f.; 
Meillet et Vendryes, Traité de grammaire comparée des langues 
classiques' 66f. 80. Während im Altind. das s von ist(h) aus- 
gedrängt wurde (so Wackernagel) — im Gegensatz zu dzd(h) > 
zd(h) —, schwand sonst dissimilatorisch der eine Dental, und 
zwar der erste im Iran., Griech., Slav. (aw. vöistö griech. roicda 
u. a.) der zweite im Ital., Kelt., Germ.; in diesen Sprachen wurde 
ts weiter zu ss (lat. -sessus usw.). Vgl. zum ersten Falle außer 
der bekannten slav. Analogie (-st- aus -sis-, z. B. istéliti für isc.) 
die genauere von altschweiz. sast „setzte“, gesast „gesetzt“, bis 
ins XV. Jahrh., und noch in der lebenden Mundart von Alagna 
flekt. Ptz. g’sasste neben unflekt. g’setzt: st steht dissimilatorisch | 
für tst; ahd. sazta gisaztér sind vielleicht nicht die ursprünglichen 
Formen, sondern (wie Wallis Vispert. g’satzt) ausgeglichen nach 
sezzen gisezzit; vgl. Schweiz. Id. VII 1604. 1631. 

Häufiger als die andern Arten ist fraglos Ersatz von Gemi- 
nata durch Nasal-+ Konsonant. Deffner a a O. hat für tsakon. 
dd > nd italien. rendere, frz. rendre angezogen; G. Meyer a. a. O. 
333 hält mit Schuchardt, Romania XVII 419 an phonetischer Er- 
klärung dafür fest *); er gibt nach Schuchardt als Parallelen span. 
zambullir = subb. (abgelehnt von Meyer-Lübke, Rom. etym. WB.’ 
nr. 7827), neapol. embé für ebbene (das also schon einen Nasal 


1) Nach Andern Anbildung an vendere oder prendere (so Meyer-Lübke, 
Rom. etym. WB.! nr. 7141), deren Bedeutung allerdings näher liegt als die von 
pendere und tendere, die rein äußerlich auch herangezogen werden Könnten. 
Aber auch zum vendere oder zum prendere gehört nicht naturnotwendig das 
reddere, das im gegenteiligen Fall allerdings leicht sich angleichen gekonnt 
hätte: bei einem Rückkauf ist die Übergabe, nicht die Rückgabe das Solenne 
und beim reprendere erübrigt sich die letztere. Reachtenswert ist wohl, daß 
neben erhaltenem reddere des Prov. und Kat. auch voll erhaltenes dar steht 
(das allerdings teilweise, nicht aber im Frz., noch neben rendere erscheint). 
Lat. dare ist im Roman. vielfach durch donäre ersetzt, von den Komposita 
addere condere dedere edere indere reddere subdere hat sich auf einem 
gréBern Gebiete nur das vorletzte erhalten, aber so, daß lat. reddere (bzw. 
reddo usw.), um nicht zu allzu schmächtigem *redere (*redo) zu werden, die 
Geminata festhielt bzw. durch md ersetzte; damit wurde das ursprüngliche Kom- 
positum freilich Simplex und losgelöst von dem ohnehin absterbenden dare. 
Vereinzelt wurde dédere zu *dedare rekomponiert (rum. o se dadà „sich hin- 
geben“ Meyer-Lübke a a. 0.8 nr. 2511); von édere kamen als Kulturwörter editio 


236 Eduard Schwyzer 


enthält; vgl. o. unter 10), calabr. ambecce, jimba für gibba; vgl. 
auch ital. mandola, altprov. amendola u. 8. aus *amiddule für 
amygdala (Meyer-Lübke, Rom. etym. WB.’ nr. 436). Eine kala- 
brische Parallele (mintire für ital. mettere aus Meyer-Lübke, Rom. 
Gramm. I 458) bei W. Schulze a. a. O. 375,6, andere bei Kretschmer 
(s. o. unter 9). Die kalabrischen Parallelen sind bei dem durch 
Rohlfs erwiesenen gegenseitigen Abhängigkeits- Verhältnis zwischen 
den italienischen und griechischen Mundarten Unteritaliens nicht 
ohne weiteres als romanisch zu beanspruchen. Doch hat Schuchardt 
alle die von ihm und andern genannten Beispiele später anders 
erklärt (s. hier unter 10 und 14). In den gleichen sprachlichen und 
geographischen Zusammenhang gehören aber auch die im Grund- 
ri der roman. Philologie? I 1050f. als noch der Aufklärung be- 
dürftig bezeichneten alban. Fälle: pengé „Fessel“ zu lat. pedica, 
drangua zu ital. dragone, Fémben „rauben“ zu rubare, zhinkalé 
„Cikade“ erklären sich restlos aus *pecca (vgl. peccare), *dragg-, 
*rubb-, *cicc-. Mit dem oben unter 5—7 besprochenen griech. 
(d)dz> ndz hat Schuchardt a. a. O. 87. 91 ně aus (d)dž im Dia- 
lekt des tessinischen Menzonio verglichen (z. B. manž pené für 
ital. maggio peggio), ohne sich auf eine Erklärung einzulassen; 
die Besprechung der griech. Fälle gilt m. m. auch für den ita- 
lienischen. Viel weitergehend und schlagender ist jedoch die 
Analogie semitischer Sprachen. Darüber hat auf grund älterer 
Äußerungen von Semitisten G. Meyer, IF. IV 332f. berichtet; 
seitdem ist die Zusammenfassung in Brockelmanns Vergleichender 
Grammatik der semitischen Sprachen I 243ff. 890 erschienen. 
Die von Brockelmann gewählte Überschrift „Dissimilation von 
Geminaten“ zeigt im Verlaufe der Darstellung die Zweideutigkeit 
dieser Bezeichnung, die zu der etwas äußerlichen Unterscheidung 
von zwei Reihen von Dissimilationen führt. Bei der zweiten Reihe 
handelt es sich um das, was man äußere (externe) Dissimilation 
von Greminaten nennen könnte (Vereinfachurg der Geminata, wenn 
der gleiche Konsonant in der gleichen Silbe nochmals vorkommt, 
z. B. hebr. *sabbeb > *säbeb und weiter sobéb; vgl. griech. dAAjlwy 
aus *aAA@AA-). Hier geht uns nur Brockelmanns erste Reihe an, 
was man als innere (interne) Dissimilation von Geminaten be- 
zeichnen könnte (hier „dissimilatorische* Geminatenauflösung ge- 


und editor wieder in die roman., daraus auch in andere Sprachen. Die Rendite 
(ital. rendita) und die Rente (frz. rente) sind etymologisch einerlei und gehören 
zu ital. rendire, frz. rendre, sind aber im lebendigen Sprachbewußtsein besondere 
Wörter geworden. 


Dissimilatorische Geminatenauflösuug als Folge von Übersteigerung usw. 237 


heißen). Der Ersatz „des ersten, die Silbe schließenden Teils“ 
einer Geminata durch n, seltener durch re") ist verbreitet im Ara- 
bischen (auch schon im Altarabischen), Äthiopischen (wozu auch 
Dillmann, Äthiop. Grammatik, 2. Aufl. von Bezold, S. 98. 121f. zu 
vergleichen ist), Aramäischen, Akkadischen nicht nur für gemi- 
nierten labialen und dentalen Verschlußlaut, sondern auch für 
Spiranten; z. B. hebr. sibbole „Ähre“ altarab. sunbulai*", arab. 
fanga’a und farga‘a „mit den Fingern knacken“, äthiop. marsasa 
,tasten“*). Im arabischen Dialekt von Dathina kann auch zu 
ni werden. Im Amharischen wird auch sekundäre Verdoppelung 
(an Stelle ursprünglicher Länge und bei ursprünglicher Kürze) 
so behandelt; z.B. 'egr „Fluß“ >"ingr, debr „Grenze“ > dembar. 
Besonders wichtig ist für das Griechische das Vorkommen der 
Erscheinung im Aramäischen. Manches ist nur Aufhebung von 
Assimilationen oder historische Orthographie; aber beweisend sind 
doch wohl aramäische (nordsyrische) Lehnwörter im (Alt-)Arme- 
nischen; z. B. armen. tangar „Kaufmann“ aus syr. *tangära, 
historisch taggara, Zomm we „Bratspieß“ : syr. Sappudä, armen. cnclay 
„Sistrum“ ` syr. gess?lä (äthiop. sansal) u. a. bei Hübschmann, 
Armen. Grammatik I 286f.*). Daß das Prinzip der Geminaten- 


1) Daher wohl portug. marlota aus arab. malluta griech. weAAwry (Grund- 
riß der roman. Pilolol. I? 970); so steht äthiop. g977ldwos? für I'dAAos Gallus 
(Dillmann a. a. 0.99); ob auch Méedeca in Bithynien zu einem bithynischen 
Gegenstück von MöALAos (vgl. Bechtel, Hist. Personennamen 504) oder zu einem 
Namen der kleinasiatischen Namensippen MoAA- MvA- (vgl. Kretschmer, Ein- 
leitung in die Geschichte der griech. Sprache 360) ist, was "Als&dvögsıa zu 
"AAltEavdpos usw.? 

2) Wie hier der anfängliche Lautvorgang oft zu einem regelrechten Ver- 
fahren der Flexion und Wortbildung geworden ist, so auch ein anderer Laut- 
vorgang, der, wenn auch anders aussehend, doch zum Kreise der hier behandelten 
Erscheinungen Beziehungen hat. Die praktische Grammatik des Hebr. lehrt, 
daß bei der Bildung des Hithpa“el das charakteristische ¢ des Präfixes an an- 
lautenden Dental der Wurzel assimiliert wird, z. B. middaber „colloquens* für 
* mitd- zu däbar, bei Zischlaut erfolgt dagegen „Transposition“, z. B. kistammer 
„er hat. sich gehütet“ zu 3ämar. Es wird mit hist- statt *hit-3-, wie die Bil- 
dung lauten sollte, die der Sprache nicht gemäße assimilierte Geminata -33- 
vermieden, deren Vereinfachung die Bildung unkenntlich gemacht hätte. Die 
Metathese gilt als ursemitisch, unterbleibt anderseits in alten und neuen Dia- 
lekten (Brockelmann a a. O. I 268). 

3) Da das Armen. die syr. und griech. Geminaten entweder nach der Schrift 
beibehält oder — das Gewöhnliche — vereinfacht, werden die mg für gg usw. 
bereits aramäisch sein (schwankend Hübschmann a. a. 0.). Aus dem Aram. 
stammt wohl auch der Nasal von neupers. tambasa, tanfasa, des zurückge- 
wanderten griech. zdnns (s. Horn, Grundr. der iran. Philologie I 2, 60); auf den 
aram. status emphaticus deutet auch der Ausgang -a. Auch das a des mittel- 


238 Eduard Schwyzer 


auflösung aus dem Griechischen ins Aramäische gekommen sei, 
ist völlig ausgeschlossen; eher könnte das Umgekehrte der Fall 
sein (man denke z.B. an die soziale Schicht, aus der das älteste 
griech. Beispiel stammt, yAwvrag auf einer in Attika gefundenen 
Fluchtafel). Für notorisch aramäische Wörter wie ’Iaußdxns, 
cauBixn lat. sambuca und lat. ambabäia (Hor. sat. I 2,1) wird man 
volkstümliche aramäische Formen mit mb vorauszusetzen haben, 
die neben den literarisch überlieferten mit bb standen: Jubbuga 
(woher?), bibl.-aram. sabbaka (mit Sin) „der Harfe ähnliches, vier- 
saitiges, dreieckiges Instrument“ '), syr. ’abbuba (bzw. -6) m. 
„tibia“ °; vgl. G. Meyer, Griech. Grammatik’ 253; weitere Bei- 


arm. ansiz aus frz. assise führt Karst, Histor. Gram. des Kilikisch-Armenischen 
37 auf eine syr.-arab. Durchgangsform zurück. Doch erscheint im Mittel- und 
Neuarmen. „epenthetischer“ Nasal auch ohne kenntliche Sonderbedingungen 
(ebd. 104). 

1) Auf der griech. Transkription o@ß&« beruht slav. vo gromé savékové aus 
Vostokovs Wörterbuch bei Miklosich, Lex. palaeoslov. 817. Die Länge von 
griech. gau fäeg ist nach lat. sambaca angesetzt (hier nicht gesichert Plaut. 
Stich. 381 fidicinas, tibicinas, | sambücas advexit secum forma eximia. 
Eugepae, gesichert Pers. 5,95 sambücam citius caloni aptaveris alto; wo 
Jahn: sambucam genus ligni fragilis unde quasi tibiae componuntur [nach 
Isidor: sambuca in musicis, species est symphoniarum. Est enim genus ligni 
usw.]; es wird aber die Sturmbrücke gemeint sein (daher alto). Auch diese zweite 
Bedeutung von lat. samdüca ist schon griechisch (Pol.), und über Griechenland 
wird das Wort nach Rom gekommen sein. So darf man griech. o als durch 
lat. @ gesichert betrachten. Da im Orient (Syrien, Ägypten) v und e verwechselt 
werden, ist der Qualitätsunterschied zwischen v und aram. a nicht auffällig, 
wohl aber die griech.-lat. Lange. Das aram. Wort wird (s. Gesenius!? 925) als 
„Gitter“ gedeutet (hebr. sabaka „Flechtwerk über einer Fanggrube; um die 
Knäufe einer Säule geflochtenes Netz; Fenstergitter“, späthebr. „Haarnetz der 
Frauen‘); oa#ßöxn ist, auch wenn nach Greßmann (ebd.) das aram. Wort daraus 
entlehnt sein sollte, kein ursprünglich griech. Wort; das zeigt der Anlaut, wie 
auch der ungriechische Ausgang (auf oaußdxn reimt von Appellativen nur xagdxm, 
nach Herodian tesser Zug Name einer stark gewürzten Blut-Sauce lydischer 
Provenienz; Baußdxn heißt eine syrische Stadt). Man halte dagegen die ver- 
hältnismäßige Häufigkeit des zweifellos griech. Ausgangs -vy% (duagvyf Zoé 
yapuapvyn goë u.a.). Auch -v -dxog ist selten (xjovg; vgl. Pdußvs „Flöten- 
art“ — ß. „Seidenraupe“ wird fremd sein); in dotévg „Mörserkeule* ist -v& nicht 
suffixal (s. Prellwitz, Etym. Wb.?), aber wohl das zunächst kurze v nach den 
freilich wenigen suffixalen Bildungen gelängt. 

3) Neuhebr. (ohne das -@ der aram. bestimmten Form) mit eigentümlicher 
Vokalisierung ’255nd (Levy I5) „Flöte“ (aus Rohr oder Metall), arab. ’andabd, 
’unbab mit Auflösung der Geminata (bzw. Rückkehr zur ursprünglichen Form, 
wenn zu 206 „hohl sein“). Das lat. Wort geht doch wohl auf die aram. Form 
auf -@ zurück; liegt Vermischung des stat. emphat. auf -â mit wortbildendem -d; 
zur Bezeichnung der Zugehörigkeit, in Kosenamen — Brockelmann, Vergl. Gram- 


Dissimilatorische Geminatenauflösung als Folge von Übersteigerung usw. 239 


spiele (Jeodußalog lat. Ierombali hebr. Jarubba‘al, 6eußl = daßpi 
u.a.) bei H. Lewy o. LV 29. LIX 181. So konnte auch der Juden- 
grieche SauBdtwus sein uß statt 88 schon aus seiner aramäischen 
Muttersprache haben. Unbedingt geht mb nach dem Vorher- 
gehenden aufs Aram. zurück in dem armen. Personennamen Sam- 
bat‘') neben Sabat: (Hubschmann, Armenische Grammatik I 295); 
neben hebr. Sabbataj (Esra 10, 15; griech. Saßßaraiog saßßedaios) 
gab es also auch eine nasalierte Form. Im Armen. steht neben 
dem Namen Sa(m)bat‘ mit fakultativem Nasal als Wort für den 
„Samstag“ nur sabat ohne Nasal; griech. Zaußdrıs kann also ein 
griech. *odußerov nicht unbedingt verbürgen. Der slav. Name 
Sav(v)a aus griech. Saßßes (wohl nicht eine Kurzform von Saß- 
Bro, sondern das syr. sabba, Nebenform von sabta „Sabbat“) 
geht weder mit sombota noch mit sobota zusammen; ein Zusammen- 
hang konnte hier tiberhaupt nicht mehr empfunden werden. An 


matik der semit. Sprachen I 397. 402f. — vor?; an Ai trat dann lat. a Die 
Analogie des altarm. -ay für aram. -ä wird fraglich dadurch, daß im Mittelarm. 
ay auch für fremdes ä im Inlaut vor Konsonant steht und ay außer vor Vokal 
überhaupt zu a wird; s. Hübschmann, Armen. Grammatik I 287; Karst, Histor. 
Grammatik des Kilik.-Arm. 22f. Also ist lat. ambiubdia eigentlich die Flöte 
(das Instrument für den, der es spielt; engl. flute — flute-player Murray; so 
steht an der Plautusstelle in der vorhergehenden Fußnote sambucas für sambu- 
cistrias). Die Form ’abdudaj „nomen tibicinis cuiusdam“ (ThlL.), „Name eines 
Flötenspielers® (Walde-Hofmann), beruht nur auf ’5%0dj „nomen viri ex auli- 
cis[!] Abgar“ (Payne-Smith, Lex. Syr.). Das syr. Wort bezeichnet auch ein 
Kraut, fistula pastoricia, offenbar weil man daraus primitive Pfeifen machte 
(vgl. schlesw.-holst. Aleutenkrüt „Kälberkropf“, schweiz. Pfifferdr „Wald- 
angelika“); im Neuhebr. ist diese Pflanze offizinell. Also stammt auch das 
zweite lat. ambubäia aus dem Orient, womit sich die Versuche, die beiden im 
Lat zu vermitteln, erledigen. Schweiz. (Luzern, Zürich) Fl6t(a) „Dirne“ ist 
(trotz Giger 3d Schweiz. Id. Il 149) eine falsche Analogie zum ersten lat. am- 
bubäia; da diese Bedeutung dem Bayr., Schwäb., Elsäss. fehlt, wohl aber im 
Nordwesten Anschluß findet (niederl. membrum virile, ostfries. cunnus, schlesw.- 
holst. Siet cunnus; leichtfertiges Mädchen; membrum virile, Fleuter m leicht- 
sinniges Mädchen), wird das schweiz. Wort zu denen gehören, die aus holländ. 
Solddienst mitgebracht wurden; zur Bedeutungsentwicklung vgl. Mensing, Schlesw.- 
holst. WB. II 147 (fleuten ist = fléten und mit dem Munde pfeifen; ein Fleuter 
ist eig. wer auf Alles pfeift). Dagegen bilden ein wohl etwas derberes Gegen- 
stück zu den Freundinnen des cantor Tigellius die „Lirenfrauen“ (Leierweiber), 
die im XVI. und XVII. Jahrhundert in der Schweiz zum fahrenden, oft fremd- 
ländischen Volk gehörten; sogar obrigkeitliche Erlasse und theologische Schrift- 
steller bezeichnen sie schonungslos als „reverenter [mit Verlaub] Lirenhueren‘ 
(Schweiz. Id. I 1250f. II 1590). 

1) Davon wird der armenische Königsname Smbat getrennt (Hübschmann 
a. a. O. 608; IF. VIII Anz. 46). 


240 Eduard Schwyzer 


dieser Stelle mag das Gesagte genügen; hier auch noch einige 
weitere Beobachtungen zur Geschichte von griech. o@ßßarov und 
Zubehör vorzutragen, würde den Rahmen der vorwürfigen Unter- 
suchung vollends sprengen; s. in Bd. LXII der Zeitschrift. 

Doch verlohnt es sich auf dem Hintergrunde der semitischen 
noch einige arische Erscheinungen zu betrachten. Für die Pra- 
krits stellt Pischel, Grammatik der Prakrit-Sprachen § 74 die Regel 
auf: „Statt gedehntem Vokale tritt vor einem aus einer Conso- 
nantengruppe vereinfachten Consonanten oft kurzer Nasalvocal 
ein“; ähnlich formuliert: Geiger fürs Pali: „Da der Nasalvokal 
zweimorig ist wie die Länge, so tritt nicht selten Nasalvokal 
statt eines Langvokals ein (Pali, Literatur und Sprache 43 
86,3). So wird z.B. pali mamkuna „Wanze“ über *mäk-, *makk- 
auf sskr. matkuna zurückgeführt. Nun ist allerdings kurzer Vokal 
-+ Doppelkonsonant für langen Vokal -+ einfachem Konsonanten 
(Typus lat. bacca für baca) eine gewöhnliche Erscheinung (Pischel 
§ 90; Geiger a a O.). Aber in den Fällen wie mamkuna sind die 
Formen mit langem Vokal fast nur postuliert; man kann sie sich 
sparen, wenn man mk durch dissimilatorische Geminatenauflösung 
unmittelbar aus kk hervorgegangen sein läßt. Die assimilierte 
Stufe ist im Prakrit öfter belegt; so in sukka (sskr. sulka „Preis“) 
: ussumka, sakkuli (sskr. saskuli „Gehörgang“) : samkuli, pilakkhu 
(sskr. plaksa „ficus infectoria*) : pilamkhu. Wie kk, sind auch bb, 
tth behandelt: pali samvarı „Nacht“ aus *sabb-, sskr. garvart; präkr. 
gamthi und gitthi (sskr. grsti „Färse*). Ferner stehen mch, mj 
für erst mittelindische, aber auch für sanskritische cch, jj : prakr. 
vitigimchä dugamchä (sskr. vicikitsa „zweifelnde Überlegung“, ju- 
gupsä „Abscheu*); pumcha (sskr. puccha „Schwanz“), pāli gamchi : 
gacchi „er ging“ (Geiger a a, O. 135 8 167), pr. mimjä (sskr. majjä 
„Mark“). Besonders häufig belegt ist ms für ss (aus verschiedenen 
Gruppen assimiliert); so pr. phamsa (s. sparsa „Berührung“), p. 
ghamsati (s. gharsati „reibt“, pr. vaamsa, vaassa (s. vayasya „Alters- 
genosse*), amsu, assu (s. asru „Träne*), amsa (s. asva ,Pferd*), 
-amsi (s. -asvin, z. B. tejamsi : s. tejasvin „mit tejas begabt“), 
pronominale Lokative wie tamsi tassim, auch tammi (s. tasmin „in 
dem“). Langer Vokal findet sich in Pischels reichhaltigem Material, 
aus dem hier nur wenig angeführt ist, nur in äsattha äsöttha, 
Nebenform von assöttha amsöttha (s. asvattha „ficus religiosa“); 
es handelt sich hier um falsche Restitution, indem kurzer Nasal- 
“vokal vor r, s, h in unnasalierte Länge übergehen kann, z. B. 
visati „zwanzig“ (s. vimsati), siha „Löwe“ (e simha); s. Pischel 


Dissimilatorische Geminatenauflösung als Folge von Übersteigerung usw. 241 


8 76; Geiger a.a.O. Hierher gehören auch die Fälle in Pischels 
§ 86; die Entwicklung war hier z. B. s. mürdhan „Oberstes* > 
pr. murdha (nach § 83 Kürzung in geschlossener Silbe) > muddha, 
mumdha. Pälinamgara (Geiger a.a. O. Anm.3) kann die Nasalierung 
dem Anlaut verdanken. Geiger (a. a. O. 134) gibt nach Trenckner 
JPTS. 1908, 123 zu Aor. gacchi an, daß die nasalierten Formen 
(gafichi usw.) sich „speziell in singhal. Hss.“ finden. Das ist nicht 
gleichgiltig. Das Singhalesische hat die alt- und mittelindischen 
Geminaten aufgegeben (z.B. puta „Sohn“, sahasa „1000*), kennt 
aber sekundäre, durch Ausfall einer Silbe entstandene bzw. er- 
möglichte (z. B. pissu „wahnsinnig“ zu pisas „Dämon“, päli pisaca; 
ibbu „Schildkröte“ aus *idbu und dies aus belegtem idubu); s. 
Geiger, Litteratur und Sprache der Singhalesen (Grundriß der 
indo-ar. Phil. I 10) 39 (8 14, 1). 40 (§ 15). 32f. (§ 7). Gerade Ceylon 
war somit ein geeigneter Boden für übersteigerte Aussprache von 
Geminaten. Daß in diesem Falle nicht etwa einer der dem Singh. 
eigentümlichen Halbnasale erscheint, erklärt sich aus der Regel, 
daß Halbnasal + Geminata zu Vollnasal + einf. Konsonanten wird 
(Geiger an der letztgenannten Stelle). 

12. Es gilt hier noch einige falsche oder doch nicht volle 
Parallelen zurückzuweisen oder in ihrer Verwendbarkeit richtig 
zu begrenzen. Den unter 4 genannten Fällen aus dem griechi- 
schen und dem italienischen Apulien (crimbidi, cambara) scheinen 
auf den ersten Blick gleichzustehen alb. rémp aus lat. ramus, rëm 
rembé aus lat. aerämen. Aber dabei handelt es sich nicht um 
Übergang von sekundärem mm in mb (im Auslaut -mp), sondern 
in römp u. ä. ist -mp Rest von -mps (aus -ms), in remb& (neben 
rëm) u. &. liegt bloße Übertragung vor; s. G. Meyer bzw. W. Meyer- 
Lübke, Grundriß der roman. Philologie* I 1050. Dagegen bilden 
eine genaue Analogie zu crimbidi und cambara die a.a. O. ge- 
nannten alb. shkumbé (neben shkume) aus neapol. skumma, alb. péndé 
aus lat. penna; vgl. ital. bandire „verbannen“, bandito eig. „Ver- 
bannter“ : frz. bannir aus d. bannen. An der genannten Stelle des 
roman. Grundrisses werden die alb. Fälle als „umgekehrte Sprech- 
formen“ gewertet: diese offenbar richtige Deutung kann aber 
auch für crimbidi und cambara gelten. Wo der Wandel mb > mm, 
nd > nn Geltung hat, kann in mb statt mm, nd statt nn lediglich 
falsche Restitution vorliegen. So erklären sich auch Schreibungen 
bzw. Aussprachen wie „Eigentumb, Heiltu(o)mb, koumb* u.ä. im 
ältern Nhd. als „Gegenzug zu der Assimilation des 6 an voran- 
gehendes m“, wie Wilmanns sagt (Deutsche Grammatik I* 198); 

Zeitschrift für vergl. Sprachf. LXI 3/4. 16 


949 Eduard Schwyzer 


vgl. ab > um(m), tumb > dumm usw. Jene Schreibungen sind 
falsche Wiederherstellungen wie lat. admentum statt ammentum 
eine falsche Rekomposition. 

Eine anscheinend vollständige Parallele zu griech. éxxAnoia : 
&yxAnoia (s. o. unter 10) bildet lat. brocc(h)us „hervorstehend, von 
Zähnen; mit hervorstehenden Zähnen“ mit der Nebenform broncus, 
die Nonius sicher an einer Luciliusstelle las, aus der er es noch 
besonders hervorhebt; wenn auch vereinzelt, ist die Form kaum 
bloße Verschreibung, wie allgemein angenommen wird. Doch 
stehen sich kkl und bloßes kk nicht notwendigerweise gleich und 
erst recht nicht ein Wort, das „Kirche“ bedeutet (in „Kirmeß“, 
schweiz. xilbi „Kirchweih“ liegt die besondere Behandlung an dem 
zur Einheit gewordenen Kompositum) und ein Adjektiv, das ein 
nicht geschätztes, jedenfalls auffälliges körperliches Merkmal be- 
zeichnet. Lat. strambus „schielend“ (in Glossen und roman.) neben 
strabus, aus griech. orgaßds, bildet hinsichtlich der Bedeutungs- 
sphäre eine Parallele, wenn auch hier die doch wohl vorauszu- 
setzende Form mit Geminata (*oreaßßds bzw. *strabbus) nicht 
überliefert ist. Vom lediglich lautlichen Standpunkt aus sind ne 
für cc, mb für *bb in den beiden lat. Wörtern nichts Anderes als 
der in diesem Aufsatz behandelte Geminatenersatz. Aber es kommt 
in ihnen ein Moment hinzu, das mit der Bedeutung zusammen- 
hängt: der Geminatenersatz ist in broncus strambus zugleich ex- 
pressiv, und deshalb im Lateinischen im allgemeinen auf Fälle 
beschränkt, die mit Vorliebe gefühlsbetont gebraucht werden. An 
broncus erinnert sabuncus, das in den Bedeutungen saltator (Gll. 
V 330, 27) und dxtéa tò dévdgor (ebd. II 224, 18) Nebenform von 
sabucus ist; -ucus konnte durch -uccus ersetzt, dies weiter -uncus 
werden. Die Wortsippe des fremden Musikinstrumentes und der 
Name des Holunders haben sich berührt’). In der Bedeutung 
saltator ist sambécus ursprünglich, das Maskulin zu dem o. S. 238 
Fußn. 1 besprochenen sambüca in persönlicher Bedeutung. Der 
Pflanzenname wird ursprünglich sabécus gewesen sein*); die rom. 
Formen, die auf diesen Typus zuriickgehen (rum. soc, siz. savuku, 
veron. saugo, obw. suig u. a. bei Meyer-Lübke, Rom. etym. WB.’ 
nr. 7561), kündigen sich an in sambucus id est saucus Gll. III 629, 43 
u.ö. in Definitionen in Glossaren des X. und XI. Jahrhunderts 


1) Nur äußerlich; aus Holunder macht man keine Musikinstrumente (nur 
Blasrohre) und diese würden auch von der samdüuca zu sehr abstehen. 

2) Mit sambicus OU II 224, 18 weiß ich nichts anzufangen; Suffixtausch 
(-Icus für -üucus) ist unwahrscheinlich. 


Dissimilatorische Geminatenauflösung als Folge von Übersteigerung usw. 243 


(zu sprechen sa-äcus, mit Schwund des aus b entstandenen v vor 
u). Die Folge -@c- konnte *-ucc- werden und daraus -unc- her- 
vorgehen; aber sabuncus kann auch Metathese für sambucus sein, 
und dies ist wohl wahrscheinlicher‘). — Von den oben unter 10 
genannten griech. Fällen lassen sich dagegen napndélw Haupa- 
yor, neugriech. dyyodgı u. a. mit der „Nasalierung“ von broncus 
strambus zusammenhalten. — Und villig deutlich ist expressive 
Nasalierung in einigen deutschen Dialektwörtern, in deren Be- 
deutung Geringschätzung oder doch Mißbilligung liegt. So liegt 
neben schweizerd. siaka „beim Gehen die Füße schief aufsetzen“ 
auch eine Form $iaaka (häufiger, aber teilweise an den gleichen 
Orten wie die nicht nasalierte Form)*). Aus der Behandlung der 
Sippe im Schweiz. Id. (Bd. VIII 429 - 31) sei noch angemerkt, daß 
die ältere Sprache (zuerst ackerschieck „Bauerntölpel“ 1476 in 
einem Züricher Gerichtsprotokoll, dann „schieggend, schlemm, 
varus“ in den Wörterbüchern von Fries und von Maler), wie mhd. 
schiec „schief, verkehrt“, den Nasal nicht kennt, der auch im Elsäss. 
und im Bayr.-Österr. auftritt; Sp. 430 heißt es: „Die Form mit 
Nasal .... reiht sich den zahlreichen Fällen an, wo sich beim 
Übergang von den Diphthongen ie ue üe [genauer ia ua Gel zu 
labialem oder gutturalem Verschlußlaut, offenbar durch die physio- 
logischen Verhältnisse begünstigt, ein labialer bzw. gutturaler 
Nasal einstellt wie in chniepe* : chniempe" fiegge* ` fiengge* u. a.m.“ 
Der Nasal ist auch an folgende reine Fortis gebunden (vor Lenis 
oder Affrikata erscheint er so nicht; ein *buamb etwa für buab 
„Knabe“, *luauga für luaga „schauen“ wäre unerhört). Aber auch 
in Fällen wie rüsppa „Rübe“ und dem etymologisch gleichen riappa 
„Pferdeschwanz“ (Schweiz. Id. VI 79. 86), süsppa „Schuppen“, 
suappis „Schuposse* („Bauerngut; Landmaß*) sucht man einen 
nasalen Parasiten vergebens. Die genannten Bedeutungen und 
die von Wörtern wie flia(a)ka m. „mit Kot bespritzter Saum des 
(Frauen-)Kleides“ (a. a. O. 11203) legen es allerdings nahe, in dem 


1) Wohl fremdes Wort im Lat.; vgl. zum Wortausgang die ebenfalls auf 
Pflanzen gehenden alducus „(Stengel der) Asphodillpflanze‘, festuca „Gras- 
halm“, Zactuca „Lattich“ (vielleicht erst volksetymologisch auf Zac bezogen); 
weiter aus dem Tierreich curruca (h)eruca (uruca, -ica) „Kohlraupe*, maruca 
„Schnecke“; anerkannt fremd sind dalluca mastruca sambuca, daneben stehen 
aber auch wohl lat.-idg. Bildungen. Vgl. (Stolz-)M. Leumann, Lat. Grammatik 
230. Die Länge des « in -wc- der genannten Wörter steht nicht durchweg fest. 

?) k ist hier und in den folgenden Beispielen Fortis (wie z. B. Bruk 
„Brücke“, gewöhnlich, so als Ortsname, „Brugg“ geschrieben), nicht Affrikata 
(wie in Buck „Hügel“, gesprochen puky). 

16* 


944 Eduard Schwyzer 


Nasal (m, ol ein expressives Mittel der Wortbildung zu sehen. 
Doch wird auch hier ursprünglich Geminatenauflösung vorliegen: 
z. B. aus einem *siakka mit mißbilligend lange ausgehaltener 
„Geminata“ wurde zunächst rein lautlich siavka; dann wurde aber 
der Nasal als expressiv empfunden und in ähnlichen Fällen ge- 
braucht, ohne daß immer die übergedehnte Geminata vorliegen 
muß. Die gleiche Betrachtungsweise scheint möglich für das 
unetymologische ¢- im Anlaut hergehöriger deutscher Dialektwörter 
(häufig ist neben siaka, $iauka auch tsiaka, tsianka, vielleicht aus *3$-)'). 
Ein weiteres expressives Element des Schweizerdeutschen ist 
wohl die Diphthongierung von i, u zu ia, ua in fliankə (s. 0.) neben 
flivke, Sluawka „sich in schlechter Haltung müssig herumtreiben“ 
neben sluwka u. 4. (Schweiz. Id. IX 606. 607). Hier scheint a an 
den folgenden Nasal gebunden wie in Griaykel m. „mageres, 
schwaches Geschöpf“* neben Grivkal m. „verkümmerter, ver- 
wachsener Mensch“; aber daneben steht auch, in ähnlichen Be- 
deutungen, das Paar Grikal : Griakal; vgl. weiter Griki : Griavki, 
Gunkal : Guawki, aber auch Güski; s. Schweiz. Id. II 726ff. 781. 
369; > tritt nicht nur vor (wk, sondern auch vor Spirant auf 
(vgl. téaytig u. ä. a.a. 0O. IX 79f. 81.82). Es muß hier an diesen 
Andeutungen genügen; jedenfalls verlohnt es sich, die Dinge auch 
einmal (oder besser wieder einmal) von dieser Seite anzusehen. 
Die Lautsymbolik, die, vom Standpunkt der Sprachwissenschaft 
des größten Teils des XIX. Jahrhunderts, auch in den ersten 
Bänden des großen Wörterbuchs des Schweizerdeutschen viel- 
leicht oft in den Erklärungen eine zu große Rolle spielt, hat 
späterhin im Anschluß an die junggrammatische Schule fast allen 
Kredit verloren. Die rückläufige Bewegung, die sich schon um 
die Jahrhundertwende ankündet, zeichnet sich jetzt besonders 
deutlich ab durch das Eintreten von A. Meillet und seiner Schule 
für die lautsymbolischen Elemente der Sprachen. Man vergleiche 
zu den letzten Ausführungen das 6. Kapitel (6-Verba mit gemi- 
niertem Verschlußlaut) der Schrift von W. Wißmann, Nomina 
postverbalia in den altgermanischen Sprachen (Göttingen 1932), 
besonders auch die Literaturangaben ebd. S. 160. 

13. Das Vorstehende war niedergeschrieben, als ich darauf 
aufmerksam wurde, daß die hier besprochene Erscheinung schon 
vor einem Menschenalter, allerdings an spärlichem Material, von 
Meillet beobachtet, gewertet und eingeordnet worden ist, in dem 

1) Wia cha-man auch so (t3io(w)ka (oder sini gua so ver(t)sia~)ka)! 
mag eine Mutter beim Anblick schief getretener Kinderschuhe ausrufen. 


Dissimilatorische Geminatenauflösung als Folge von Übersteigerung usw. 245 


außerhalb seiner Schule wenig beachteten Aufsatze „De la diffe- 
renciation des phonèmes“ (MSL. XII (1903) 14—34)*). Meillet 
unterscheidet von der eigentlichen Dissimilation, der in Fern- 
stellung, grundsätzlich das, was man gewöhnlich „Dissimilation 
in Kontaktstellung“ nennt, als „différenciation“ (z. B. neugriech. 
sh > st, slav. je > ja). Das Prinzip ist im Anschluß an Meillet 
von Sommerfelt, The dialect of Torr Go. Donegal (Vidensskaps- 
selskapets Skrifter II. Hist.-filos. Klasse 1921 Nr. 2, Christiania 
1922) 170 kurz und klar formuliert worden: „If two sounds in 
immediate contact have one or more elements in common, one 
or more of these elements may be suppressed in order to accen- 
tuate the difference between the sounds. The differentiation is 
thus the result of an inconscious fear of assimilation.“ Für die 
Gemination paßt freilich der zweite Satz nicht, aber der erste, 
falls man ,suppressed“ durch „changed“ ersetzt. Sommerfelt 
hatte auf seinem besondern Arbeitsgebiet keine Veranlassung, die 
Geminaten zu berücksichtigen; Meillet hat sie nicht übergangen; 
er spricht auf S. 26 unter 7° vom „Cas d'une continue double“: 
„Les consonnes doubles sont celles dont on fait entendre séparé- 
ment l’implosion et l’explosion ... si l’effort fait pour isoler les 
deux éléments est exagéré, il peut y avoir différenciation. Le 
cas n’est pas très fréquent, mais c’est à cette action, semble -t A. 
qu’il faut rapporter le passage espagnol de nn, mm, ll à nd, md, 
ld.“ Es folgen weiter als Beispiele spätgriech. 88, ax > uß, un 
(mit der Erklärung: „ce curieux changement suppose naturelle- 
ment une prononciation oü le voile du palais était, d’une maniére 
habituelle, mal relevé“) und idg. tt > iran. usw. st (während ai. 
ss > ts, ss > ks nicht als phonetische Übergänge anerkannt werden). 
Der von Meillet behauptete allgemeine Unterschied in der Stelle, 
an der die Veränderung vor sich geht (bei geminierten Liquiden 
und Nasalen an der zweiten, bei VerschluBlauten — und Spiranten 
— an der ersten) wird durch das oben gegebene Material als 
allgemeine Regel bestätigt. Man darf jedoch diese Zweiteilung 


i 1) Brugmann, Das Wesen der lautlichen Dissimilationen (Abh. sächs. Ges 

Wiss. XXVII, V. 1909) 143 (Sonderdruck 5) zitiert Meillets Aufsatz in der Reihe 
der andern, ohne auf Meillets grundsätzliche Unterscheidung einzugehen; wohl 
aber geschieht dies bei Hermann, Lautgesetz und Analogie (Abh. Ges. Wiss. 
Göttingen NF. XXIII 3. 1931) 67; hier wird auch, unter kritischer Betrachtung 
der zu den gegensätzlich-parallelen Erscheinungen der dissimilation und diffé- 
rentiation nicht stimmenden Terminologie, auf Grammonts Scheidung zwischen 
dilation und assimilation (Angleichung getrennter bzw. benachbarter Laute) 
hingewiesen (MSL. XIX 258). 


246 Eduard Schwyzer 


nicht gegen die Erklärung von ag > yy (oben unter 2) geltend 
machen; dafür gilt, was Meillet a. a. O. 17 sagt: „Le terme de 
l'évolution est souvent beaucoup plus éloigné du point de départ 
que ne le ferait attendre la simple différenciation à laquelle est 
dû en principe le changement“. Meillets Unterscheidung zwischen 
„dissimilation“ und „différenciation“, deren Konsequenz eine solche 
zwischen „assimilation“ und „adaptation“ ist, hat nicht allgemeine 
Zustimmung gefunden; Meillet selbst hebt hervor (S. 15), daß sich 
die Vorgänge vom Ergebnis aus oft schwer scheiden lassen. Die 
überdeutliche Aussprache, die ein Übergang z. B. von U in Id 
voraussetzt, entspricht wohl eher dem Vorgang der „dissimilation“ 
als dem der „différenciation“, und so scheint es auch von Meillets 
Standpunkt aus gerechtfertigt, in den oben besprochenen Fällen 
von dissimilatorischer Geminatenauflösung statt von differenzie- 
render zu sprechen. Doch der Zusatz „als Folge von Übersteige- 
rung“ soll nicht nur die Verwechslung mit dem, was oben unter 
11 „externe Geminatendissimilation® genannt ist, ausschließen; 
er hat grundsätzliche Bedeutung; handelt es sich doch wenigstens 
oft nicht um einen spontanen, physiologischen Vorgang, sondern 
um einen bewußten Willensakt, der allerdings in der Sprachüber- 
lieferung gewöhnlich nur dann kenntlich ist, wenn er über sein 
Ziel hinausschießt, oder wenn, um ein anderes Bild zu brauchen, 
der allzu straff gespannte Bogen bricht. 

14. Für den wichtigsten der oben besprochenen Fälle, den 
Übergang von Geminata in Nasal + Konsonant, hat, wie ich zu 
guter Letzt noch sehe, Schuchardt (s. oben S. 232 Fußnote 6) eine 
allgemeine Theorie gegeben (S. 72): „Der die Media kennzeich- 
nende Blählaut kann durch einen Nasal ersetzt werden, besonders 
wenn er gedehnt, aber auch wenn er einfach ist; ebenso die erste 
Hälfte der gedoppelten Tenuis, die Implosion, wobei es sich genau 
genommen um die Ausfüllung einer Lücke handelt. Die Über- 
gänge abba > amba, aba > amba, appa (wpa) > ampa') nehmen 
in ihrer Folge an Wahrscheinlichkeit ab. Ob sie überhaupt selb- 
ständig vorkommen oder etwa nur im Zusammenhang mit andern 
Antrieben zur Nasalierung, das kann erst die Untersuchung der 
einzelnen Fälle entscheiden.“ Schuchardt hat jedoch die ohne 
Belege und zweifelnd vorgetragene theoretische Möglichkeit nur 
spärlich für seine besonders an slavischem, aber auch an grie- 


1) Man wird es nicht tadeln, daß Schuchardts d durch das gewöhnliche > 
ersetzt ist; dies ist auch nur erwähnt, weil Schuchardt solch persönliche Eigen- 
heiten — gewiß nicht aus Pedanterie — nicht gleichgiltig waren. 


Dissimilatorische Geminatenauflösung als Folge von Übersteigerung usw. 9247 


chischem und romanischem Material geübte Praxis herangezogen; 
nur für sloven. Zlemprha „Falltür“ aus mhd. slegebriicke gibt er eine 
Vorstufe mit pp (aus gb) statt mp zu (S. 81); dabei ist interessant, 
daß die dem Slav. fremde Geminata durch eine der Sprache eben- 
falls nicht sehr geläufige, aber doch nicht völlig ungewohnte Laut- 
verbiu.dung ersetzt ist. Ebenfalls nur als theoretische Möglichkeit 
erscheint weiterhin in Schuchardts Besprechung der griech. Fälle 
der Übergang von at-ta > a’-ta > an-ta (S. 86). So ist es begreif- 
lich, daß diese Möglichkeiten kaum Beachtung gefunden haben. 
Um so weniger, als Schuchardt die von Andern als Analogie 
dafür herangezogenen kalabrischen Fälle (s. oben unter 9. 11) 
anders erklärt (S. 88f., vorab mintere aus Einfluß des anlautenden 
Nasals). Die weiter oben dargelegten Beweisstücke dürften ge- 
zeigt haben, daß die Erscheinung nicht auf die Fälle mit Ersatz 
des Anfangs der Geminata durch Nasal beschränkt ist und be- 
deutend häufiger auftritt, als Meillet und Schuchardt anzunehmen 
geneigt waren; wer meinen frühern Ausführungen zustimmt, wird 
auch im klaren sein wenigstens über einen der von Schuchardt 
postulierten besondern „Antriebe“ der dissimilatorischen Gemi- 
natenauflösung. 

15. Nachlese. In der Zeit zwischen Einlieferung des Manu- 
skripts und der Drucklegung ergaben sich noch einige zum Teil 
sehr wichtige Ergänzungen, die im Folgenden in der Reihenfolge 
des vorhergehenden Haupttextes zusammengestellt sind, da eine 
Einschiebung in diesen öfter nicht nur typographische Schwierig- 
keiten verursacht hätte. — Zu S. 222f. Unwahrscheinlich läßt 
G. Meyer, SBer. Wien, phil.-hist. Klasse 132, 12 S. 10 &yvo@ zu 
£vvoia getreten sein nach dem Verhältnis čvora ` dyvorw. — Zu 
S. 227f. vgl. aksl. (Ps. 118, 127) topanvdeie für tondlioy „Topas“ 
Diels, Altkirchenslav. Grammatik I 8 6 Anm. 39 (S. 47), das nach 
Diels auf eine griech. Aussprache ndz deutet. — Zum griech. 
Material S. 231f. einiges neue bei Lademann, De titulis Atticis ... 
Kirchhain 1915 (Diss. Basel) S. 119 zu Meisterhans n. 717, meist 
Fälle mit Nasalinfiltration (Adnvıvnnog Ilavovöina = Davoö., re- 
gressiv Alxnvotiavds Yıaowvrov), doch auch edcerBeias (für -BP- 
mit sekundärer Gemination?); für Mvogivoövre, das ständige Form 
wird, denkt L. mit Recht an Umbildung von M-odtta f. nach 
Mveeivoövta m. Akk. zu Mate, Zur Sache vgl. auch Buturas, Uber 
den irrationalen Nasal im Griechischen. Glotta V 170—90; Meyer- 
Lübke, Wörter und Sachen VIII 9. — Zu S. 232, Fußn. 6 vgl. die 
mit der Schuchardtschen übereinstimmende Erklärung neuarmeni- 


948 Eduard Schwyzer 


scher Dialektformen bei Adjarian, Classification des dialectes ar- 
méniennes 4, 8: „I y a développement de n devant consonne, 
après voyelle précédée de nasale, en syllabe finale: menk‘ „nous“, 
ganand „vert“ [u. a.].“ Nur dem Grade nach ist verschieden von 
dem S. 232, Fußn. 6 berührten „Einschub“ von Nasal oder Liquida 
die velare Färbung eines dentalen Nasals unter dem Einflusse eines 
benachbarten (unmittelbar oder mittelbar vorausgehenden oder auch 
folgenden) Velars in deutschen Mundarten der Schweiz, z. B. 
Wallis (Lötschen) tsukkyv ,Felskopf* für -n (Henzen, Teuthonista 
V 131), in Zürich oft ger» für „gern“ (nicht nur in „es ist gery kse, 
gerne geschehen“ als Ablehnung eines Dankes); eine Reihe von Bei- 
spielen aus dem Zürcher Oberland bei A. Weber in Bachmanns 
Beiträgen zur schweizerd. Grammatik XV 136, z.B. hivayt „heute 
Nacht“, yrivalina „Krinoline*, ewoarg? „Energie“; für die weiter ver- 
breitetsten yäval „Kennel (Dachrinne)“, yivi „Kinn“ kommt freilich in 
gewissen Gebieten für » (bzw. vg) auch Entstehung aus nd in Frage 
(Formen mit nd für nn sind für einzelne der genannten Wörter be- 
zeugt), und wieder anders liegt yiival neben yiin(n)al lat. cuniculus. 
Eine „Umkehrung“ in anhennig für „anhängig* (Schweiz. Id. II 
1313). Die Wirkung des Velars auf den dentalen Nasal in den hier 
besprochenen Beispielen ist ungefähr zu vergleichen der des Nasals 
in Menzeraths Beispielen für „divergent-übergreifende Assimila- 
tion“ (Don. nat. Schrijnen 66). — Zu S. 234f. Über idg. tt: germ. 
ss s. noch Hirt, Urgerman. Grammatik I 120 (Mittelstufe 22); idg. 
tst setzt auch Kent, Lang. VIII 18ff. an (der Sibilant stellte sich 
ein, indem man sich bemühte, ¢¢ nicht wie gewöhnlich als ge- 
dehntes ¢, sondern als zwei vollständige ¢ neben einander zu 
sprechen). — In idg. tt ist nach der o. S. 234f. entwickelten An- 
schauung an der ersten Stelle Affrikata eingetreten (also ts-t); an 
sich hätte dies auch an der zweiten geschehen können. Letztere 
Möglichkeit läßt sich vielleicht, wie hier mit allem Vorbehalt an- 
gedeutet werden mag, in Betracht ziehen für die Entwicklungs- 
stufen der hochdeutschen Lautverschiebung. Ohne weiteres für 
tt pp kk, die darnach unmittelbar zu tts ppf kky (woraus ts usw.) 
geworden wären. Das könnte aber auch für die Verschiebung 
der intervokalischen einfachen ¢ p k gelten; denn es ist nicht 
einzusehen, weshalb die Konsonantendehnung, mit der man ohnehin 
rechnet, erst mit dem Übergang zum Spiranten bzw. dessen Vor- 
stufe hätte erfolgen können (so Wilmanns, Deutsche Gramm. I’ 
8 46), nicht schon auf der Stufe des Verschlußlautes (allerdings so, 
daß die beiden Arten von tt usw. nicht zusammenfielen). Auch 


Dissimilatorische Geminatenauflösung als Folge von Übersteigerung usw. 949 


für den Anlaut wäre dann mit der Stufe der Geminata zu rechnen 
(eingetreten im Satzzusammenhang nach vokalischem Auslaut 
oder als von der Stellung unabnängige Anlautschärfung). Die 
Stufe der Aspirata, die man allgemein zwischen denen des stimm- 
losen Verschlußlautes und der Affrikata annimmt, ist für den 
Inlaut nur vermutet, für den Anlaut durch die jüngere Aspiration 
t usw. im Deutschen, Englischen, Nordischen nicht bewiesen. 
Als Verstärkung der Konsonanten faßte Rask die hochdeutsche 
Lautverschiebung auf; vgl. H. Pedersen in der Einleitung zu 
Rasmus Rask Ausgewählte Abhandlungen hg. von L. Hjelmslev I 
(Kopenhagen 1932) S. XXI. — Zu S. 238 0. Schubart, OLZ. 
1931, 337 zitiert aus ägyptischen Ostraka (Tait) SauBad(aios); 
Buturas, Glotta V 176 gibt neugriech. (Aravanion) Saunas und 
Saunaroravn, allerdings auch ein Verb nagaoaunarei „er ar- 
beitet zu viel“ (eig. wohl „er übertreibt die Samstagsarbeit“). — 
Zu S. 238, Fußn. 2 vgl. noch Zug LXX für hebr. sinaj. — Zu S. 239. 
Nach Meyer-Lübke’s freundlicher Mitteilung gehen auch auf der 
iberischen Halbinsel der Name des Wochentages (span. sabado) 
und der Personenname nicht zusammen; in seinen Romanischen 
Namenstudien II (SBer. Wien, phil.-hist. Kl. Band 184, 4. 1917) 51 
bemerkt er zu Sanbatus (Portugaliae monumenta historica 136; 
Leblant, Inscriptions chretiennes de la Gaule): „Beachtenswert 
ist die n-Form, die so sonst nur dem Griechischen und dem davon 
abhängigen Westdeutschen und dem Slawischen eignet. Das 
könnte darauf hinweisen, daß die Bezeichnung von Kindern nach 
dem Wochentage ihrer Geburt bei den Griechen stärker ausge- 
bildet war als bei den Römern.“ Der Nasal tritt auch in der 
hebräischen Überlieferung in einem Namen auf; der sog. „Sabbat- 
fluß“ heißt neben sabbatjon auch samb-, sanb-. Aber gleich das 
anlautende Samech statt Sin deutet auf (Rtick-)Entlehnung aus 
griech. oaßßareiov bzw. *oauß- (dies setzt dann allerdings ein 
*gdußerov voraus); so Levy, Neuhebr.-chald. WB. IV 493; vgl. 
weiter Krauß, Lehnwörter II 369; Lidzbarski, Zeitschr. für Assy- 
riologie VIII 273 (Literatur). — Zu S. 239, Fußn.1. Zu armen. Smbat 
gehören Svußdrios und Svußariuns bei Psaltes, Grammatik der 
byzantin. Chroniken 78f. 167; vu gibt armen. am wieder; Psaltes 
Annahme von Umbildung von Jauß. durch od» ist so wenig ge- 
rechtfertigt wie inden 0.S.232, Fußn.2 genannten Fällen (wenn auch 
an sich solch partielle Ausdeutungen möglich sind). — Zu S. 241. 
Das Beispiel alb. shkum(b)& hat nach Jokl, Festschrift der 57. Ver- 
sammlung deutscher Philologen und Schulmänner in Salzburg ... 


250 Eduard Schwyzer 


1929 S. 121ff. zu entfallen. — ZuS. 242f. Eine ganze Menge von 
Beispielen für Wechsel von Geminata und Nasal 4 einfachem 
Konsonanten aus dem Lat. gibt Graur, Les consonnes géminées 
en latin. Paris 1929 S.97 in seinem Kapitel „Nasalisation“ S. 94 ff. 
Ich bedaure lebhaft, daß mir diese wichtige Arbeit erst bei der 
Korrektur meines Aufsatzes zugänglich geworden ist, und stelle 
gerne fest, daß meine Auffassung S. 242f. schon von Graur ge- 
funden ist (übrigens in etwas andrer Weise auch schon von 
Sauvageot, Mél. Vendryes 317ff., mit dessen Ubertreibungen sich 
Graur zu Anfang des Kapitels auseimandersetzt). Graur trennt 
ebenfalls Fälle wie gimbus für gibbus (man füge bei den Fisch- 
namen blendius Plin. aus griech. BA&»vos) von denen wie broncus: 
broccus und zieht für die letztern bereits die semitische Analogie 
heran, die er als reine Dissimilation erklärt, während er für die 
lat. Beispiele mit nachträglicher Umwertung des anfänglich rein 
phonetischen Phänomens rechnet (S. 98f.). Vgl. auch ebd. S. 60 
über sabucus. — Zu S. 243. Zu den schweiz. Beispielen kommt 
weiter Spinggel (bzw. -nk-; s. o. S. 243, Fußn.2) „langer magerer 
Mensch“ neben Spig(g)er (Schweiz. Id. X 367, mit Parallelen); zu 
balluca (Fußn. 1) und ähnlichen iberischen Wörtern s. Bertoldi, 
BLS. XXXII 99. 122f. 138ff. — Zu S. 245. Auf die Auflösung von 
Geminaten kommt Sommerfelt im BSL. XXXII Comptes rendus 
156 zu sprechen unter der Bezeichnung „segmentation“ (= Zer- 
legung in (Kreis-)Segmente, Spaltung?). Er sieht eine solche 
nicht nur in norweg. dial. tender für tenner („il est ici question 
d’une segmentation des plus fréquentes d’une n“), sondern auch 
in -st statt -s in imorgänst „demain“ („il doit y avoir ici aussi un 
fait phonétique, une segmentation qu’on connait par d’autres 
parlers et d’autres langues“); man müßte dann auch für das 
zweite Beispiel als Mittelstufe eine Geminata (also -ss) annehmen. 
Dazu wird auch die deutsche Sprachgeschichte Stellung nehmen 
müssen, die zahlreiche Parallelen bietet (Axt Obst Pallast Damast, 
schweiz. G’frasst n. „schlechtes Fressen“). Aber wenn die Er- 
klärung aus Auflösung von wirklicher oder postulierter Geminata 
in den genannten Fällen und in Beispielen wie jemand (vgl. ısländ. 
prisund aus afrz. prisun u. ä.), schweiz. Sind „Sinn“, Dechant, 
Huft, Saft noch möglich erscheinen könnte, ist dem angetretenen 
Dental in Fällen wie Habicht Dickicht, Sekt, doppelt auf Sommer- 
felts Weg nicht beizukommen. Vgl. Wilmanns, Deutsche Gramm. 
I° 8 152 (für die Adverbien II° § 456); zahlreiche schweiz. Bei- 
spiele in Bachmanns Beiträgen zur schweizerd. Gramm., instar 


Dissimilatorische Geminatenauflösung als Folge von Übersteigerung usw. 251 


omnium bei Vetsch ebd. I § 134. — Zu S. 246 0. Daß trotz der 
hier genannten allgemeinen Regel geminierte Nasale an der ersten 
Stelle verändert werden können, zeigt ein freundlicher Hinweis 
von Thurneysen auf keltische Erscheinungen: neucorn. dn und 
bm stehen im Inlaut für alt- und mittelcorn. nn, mm, übrigens, 
was eine Besonderheit ist, auch im Auslaut für ältere n, m; s. 
Pedersen, Vergl. Grammatik der kelt. Sprachen I 158 und 162 
(genauer 170); z. B. ran „Teil“ : neucorn. radn, lam „Sprung“ : 
neucorn. labmal „springen“; in cam: cabm „crooked“ hat ursprüng- 
liches mb über mm (> m > mm?) zu bm gewechselt. Daneben 
steht die häufigere Behandlungsweise in breton. dialekt. lamp für 
die breton. Normalform lamm „Sprung“ (ebd. I 170f.). Pedersen 
vergleicht zur neucorn. Entwicklung lapp. dn, bm als „Dehnung“ 
oder „Verstärkung“ von n, m und neuisländ. dn aus altisländ. nn. 
Dazu Noreen, Altisländ. und altnorweg. Grammatik’ 195 § 295: 
dal, dan statt ll nn seit dem XV. Jahrh., z. B. faddla für falla 
„fallen“. (Aber ddn für rn ebd. zeigt wohl eher unmittelbaren 
Übergang von r in d, wie rl> dl gewisser Schweizermundarten, 
z.B. bedli „Beerchen“, swidal m. „kleiner Pflock“, zu „Schwiren“; 
s. Schweiz. Id. IX 1755 u.; es ist der Wandel, dessen fälschliche 
Aufhebung in „Arlberg“ für das lokale (und richtige) „Adelberg“ 
allgemeine Geltung erlangt hat.) Angesichts solch sicherer Fälle 
ist es verlockend, die gleiche Betrachtungsweise anzuwenden auf 
Fälle, für die ein geschichtlicher Nachweis nicht möglich ist. 
Lat. carmen und germen, die man jetzt wieder gewöhnlich auf 
* canm- * genm- zurückführt, sind wohl nicht unmittelbar aus diesen 
Formen dissimiliert, sondern aus assimilierten *camm- *gemm- 
(zu r vgl. semit. r neben n bei Auflösung der Geminata o S. 237). 
Arab. dial. 74 > ni (ebd.) gibt vielleicht eine Parallele her für got.- 
nordgerm. ddj bzw. ggj für jj, ggw für ww (unter Annahme der 
Entwicklung jj > dj > ddj bzw. (g)gj, ww > (g)gw). Daß der 
Geminatenersatz nicht immer auf die nächstliegende Weise er- 
folgt, zeigt auch sskr. adbhis statt *abbh-, zu dp- „Wasser“ (bei 
Graur a. a. O. 87). 

Vor Torschluß. In der Parallelisierung der Fälle wie tsak. 
nd für 66, tsak. unterit. mb für 88, sur, unterit. mb für uu bin 
ich, wie sich im Verlaufe einer zunächst Anderes betreffenden 
Korrespondenz ergab, im wesentlichen in erfreulicher Weise zu- 
sammengetroffen mit Prof. Hubert Pernot (Paris), der die ge- 
nannten und andere Erscheinungen (tsak. nd für yd, -engu für 
-evyw, -ndza für -xıa -tıa) demnächst in seiner Introduction a 


252 W. Wissmann, Zum Keronischen Glossar. 


l’etude du dialecte tsakonien unter einen einheitlichen Gesichts- 
punkt stellen wird. Herr Pernot hatte (Dez. 1932) die große 
Liebenswürdigkeit, mir § 8 (Autres consonnes implosives) seines 
unmittelbar vor der Drucklegung stehenden Manuskriptes zugäng- 
lich zu machen; ich weise hiermit die Leser meines Aufsatzes 
zur Ergänzung und auch Kritik desselben ausdrücklich auf die 
genannte Stelle hin. Es ergab sich daraus auch, daß schon 
Morosi, Studi sui dialetti greci della Terra d’Otranto. Lecce 1870, 
108f. mb für 88, an durch Dissimilation erklärt hat. 

Weiteres zum Aufsatz über odßßare in Bd. LXII. 

(Bonn-)Berlin. Eduard Schwyzer. 


Zum Keronischen Glossar. 


In den spätl. Glossaren findet sich mehrfach die Glosse Renidet - 
redolet oder Renidet - olet, s. Thesaurus gloss. emend. II 197. Irre 
ich nicht, so ist sie auch an einer mir sonst unverständlichen Stelle 
des Keronischen Glossars (Ahd. Gl. I 240, 12f.) herzustellen und statt 
Retinet (riuhhit) Renidet zu lesen. Ein ähnlicher Fehler steht im 
Glossar Aa, Glossaria latina ıussu academiae britannicae edita 
V 346, 456 Retinenti (renidenti) : fulgenti. Wir bekämen dann für das 
lat. Original unseres Keronischen Glossars Renidet - olet, worauf renitet 
(-tetur c)-resistit folgt, wie in dem genannten Glossar Aa, a.a.O. 
V 344, 293 Renidet: redolet vel bene olit (-et) . 294 Renitet (-titur) : resistit. 
Wie renidet „olet“ zu deuten ist, zeigt uns Ahd. Gl. II 540, 13 (Renidet) 
smierat. a nidore renidet. renide[o] . uuidirstinco’). Ob renidere in 
dieser Bedeutung auch in der Literatur belegt ist und die lebendige 
Sprache die Ankntipfung an nidor vollzogen hat oder ob sie von den 
Glossatoren um der Etymologie willen erfunden ist, wüßte ich nicht 
auszumachen; in den zahlreichen Arbeiten über die Sprache spät- 
lat. Schriftsteller war darüber nichts aufzutreiben. Auf jeden Fall 
scheint es mir nicht zwingend, wenn man gestützt auf diese eine 
Stelle in Gl. K. dem ahd. riuhhan auch die Bedeutung „riechen“ 


zuschreibt, wo es sonst nur, wie im Nord., Ags., Afries. und Anfrk. ` 


und den obdt. Mundarten bis auf den heutigen Tag, „rauchen“ 
heißt); nidor ist der Dampf, und wenn der Glossator verstand, was 
er übersetzte, paßte sein „raucht“ besser, als das „riecht“, das 
ihm unsere Lexikographen unterschieben, ohne ihn zu verstehen. 
Berlin. W. Wissmann. 
1) Vgl. II 535, 37 Renideo- widerstincho. Beide Glossen gehören zu Pruden- 


tius P. Vinc. 131 Quis vultus iste ... Gaudet, renidet, prouocat. 
2) S. meine Postverbalia 128f. 


R. Thurneysen, Nachträge und Berichtigungen zu KZ. LIX 1ff. 253 


Nachträge und Berichtigungen zu KZ. LIX 1ff. 


Zu S.1') Nr. 2 und S.7. Zur Verstärkung des Beweises — 
wenn es einer solchen bedarf —, daß air. daig, G. dego „Flamme“ 
auf einen Stamm kelt. degi- zurückgeht, ist auf den Artikel von 
J. Lloyd-Jones) zu verweisen, in dem er aus der kymrischen 
Dichtung, die freilich zur genauen Bestimmung eines Wortsinns 
ein sehr unhandliches Werkzeug ist, eine Form de (zunächst aus 
deg-) in zwei- oder dreifacher Bedeutung nachweist. Erstens als 
Adjektiv, etwa „brennend, verzehrend, glühend, hitzig, eifrig“, 
dann als verbale 3. sg. a-m de, etwa „es entflammt, verzehrt 
mich“ (nebst den Komposita cynne, dychynne), vielleicht auch als 
Subst. „Hitze, Feurigkeit“. In demselben Artikel gibt er als „all- 
gemeine“ Ansicht wieder einmal, daß auch kymr. deifio „sengen, 
rösten“ zu derselben Wurzel gehöre. Ich habe meine Bedenken 
dagegen so oft ausgesprochen‘), daß ich mich fast scheue sie zu 
wiederholen. Deifio ist von der Wurzel dau- (gr. daleıv), die in 
mir. doud „sengen“ (atud aus ad-doud „anzünden*) und korn. 
dewy, dyry „anzünden, entflammen“ vorliegt, nicht zu trennen. 
Im Kymrischen ist -y- zunächst nur vor 7 zu v (geschrieben f) 
geworden wie in mky. divyeu nky. difiau aus diw Ieu „Donners- 
tag“, und bret. devi „in Brand setzen“ ist regelmäßig, da hier y 
zwischen palatalen Vokalen zu v wird, vgl. nevez, tevel, win‘). 
Ich komme von dem Gedanken nicht los, daß die — richtig um- 
grenzte — Sippe von got. taujan mit ihrer sehr weiten Bedeu- 
tung ebenfalls hierher gehört und ursprünglich auch irgend eine 
Behandlung mit Feuer bezeichnet hat, woraus dann „zubereiten“ 
usw. erwuchs. | | | 

Zu S.2 Nr.6 und S.8. Daß der D. A.sg. von gaim „Winter“ 
nicht belegt sei, ist nicht richtig; i ngaim „im Winter“ steht Anc. 
Laws IV 322,7 und ist nur aus Versehen im Glossar nicht ver- 
zeichnet; weiter issinn uargaim „im kalten Winter“ ZCP. IX 339 
Str. 2. Der Nom. gaim wird also wirklich aus dieser Form er- 
” wachsen sein. Für den Gen. gam ist ein weiteres Beispiel doch 
gamh (Reim: tan), etwa „das Jubelgeheul des Winters“ Eriu. II 95 
Str. 3, für gem- mit nicht palatalisiertem m: gem-fuacht, G. gem- 
fuachta „Winterkälte* (für älteres gem-wacht) wiederholt in Anc. 


1!) Z. 16 ist der Druckfehler do’ moincthar -muincthar für do’ moinethar 
-muinethar stehen geblieben. 

2) Bulletin of the Board of Celtic Studies IV 51f. 

3) IF., Anz. XXXIII 33f.; ZCP. VIII Git 

*) Richtig Walde-Pokorny I 768. 


254 R. Thurneysen 


Laws (s. Glossar) neben gaim-fuacht'). Vereinzelt ist der N. sg. 
gem, wenn richtig überliefert, in Rumans Lied auf die See, Otia 
Mersciana II 80. 83 Str. 1. 9. 

Zu 8.3 Nr. 13. Die Korrektur von nicheil zu na‘cail ist 
kaum richtig. Bergin, Eriu. XI 137, hat seither zwei Beispiele fiir 
die 1. sg. Präs. -ciul (verschrieben -cil, -cill-sa) nachgewiesen. So 
wird auch ein Imperat. na‘cil gebildet worden sein, der mit tigh 
regelrecht reimt. Bei dieser Präsensklasse findet also ein Wechsel 
von e und a nicht statt (außer in dem besonderen Fall von Nr. 12 
at'raig S. 10). — Statt (Pedersen) § 714 1. 8 678. 

Zu S. 3 Abt. II gehört auch der Name der Wasser-Schwert- 
lilie (iris pseudacorus): ailestar und e(ilestar, Gen. -tair, gleich 
kymr. bret. elestr, akorn. elester, elestren mit gleicher oder ver- 
wandter Bedeutung. Belege aus älteren Handschriften bei K.Meyer, 
Contrib. s. v. ailestar. Später mit den verschiedensten Varianten: 
soilestar O’Dav. 1863 und Stokes, Ir. Glosses Nr. 795, soilestrach 
RC. IX 234, was Stokes und Pedersen zu der falschen Ver- 
gleichung mit lat. salicastrum (mit ganz anderer Bedeutung) ver- 
führt hat; durch Vermengung mit alexandrum (= alexandrea Diosc.) 
auch eileastrom, uileastrom, feileastrom, ferner elestront usw.”). 

Ebd. Nr. 18. Daß Keating die Form eire, pl. eireadha ge- 
braucht habe, war nach der Ausgabe von „The three shafts of 
death“ durch Atkinson (1890) angegeben. Die neue Ausgabe durch 
Bergin (1931) liest nach getreueren Handschriften oire (= altem 
aire), pl.oireadha. Es schwankte also noch im 17. Jh. die Schreibung. 

Zu S. 5 Nr. 29. Ein zweites altes Beispiel für praid- ist 
ro'praidche (so zu lesen) Réi," Prol. 164, wohl 2. sg. Subj., im Reim 
mit saigthe „(die) ihr erstrebt*. Dadurch näherte sich die Prä- 
position dem lat. pro-, schon Wb. 10c 20 ro‘phroidech, und im 
Mittelirischen ist procept, proicept, proiceptöir die gewöhnliche Form 
für air. precept, preceptdir (wohl nicht nur durch p- bedingt). 

Zu S.6. Eine erste Spur des mir. e(i)le zeigt sich schon in 
elithrigmi, Gl. exulamus, MI. 46c 22, eine Ableitung von aili-thir . 
„Pilger“ (Vita Trip. 226,7). Ich möchte in &fi)le eine Ausgleichung 
zwischen ile und dem nur maskulinen öf(i)le sehen. 


1) Eigentümlich ist das Gegenstück sam-fuacht (mehtfach Anc. Laws IV 88), 
wörtlich „Sommerkälte‘, offenbar für ,Sommertemperatur‘. Es stellt sich nahe 
zu den von Sommer, Festschrift Windisch S. 123, besprochenen „Konträr- 
bildungen‘. 

2) Vgl. Stokes, RC. IV 329; Pedersen, Vergl. Gramm. I 192; Winifred Wulff, 
Ir. Texts Soc. XXV 365. 


Elementa. 955 


Zu S.13. Zu meiner Beschämung muß ich bemerken, daß 
mir Cormac in seinem Glossar § 44 mit der Etymologie von ar(a)e 
„Schläfe*“ um ein Jahrtausend zuvorgekommen ist; er erklärt es 
mit ar dui „vor (dem) Ohr“. Das männliche Geschlecht rührt wohl 
daher, daß es ursprünglich ein mit einem Substantiv verbundenes 
Adjektiv war, wie man später von toll arai, jünger toll arach 
„Loch (Höhlung) der Schläfe“ zu sprechen pflegt. 

Zu S. 14. Daß däna mit tonna „Wogen“ verbunden vor- 
komme, war ein Irrtum Meyers. In seiner Belegstelle, die mir 
Dr. Hertz nachgewiesen hat, Cath Catharda (ed. Stokes) 3925 
heißt es: No‘tairmiscctis na tonna dä, wo dä die gewöhnliche Ab- 
kürzung für dano, dana „auch“ ist; also: „sie (die thessalischen 
Hexen) verhinderten auch die Wogen“. Dän(a)e ist also schon 
in der älteren Sprache durchaus auf Lebewesen beschränkt. 

Zu S.17f. Als mein Artikel gedruckt wurde, war die tocha- 
rische Grammatik von Schulze-Sieg-Siegling noch nicht erschienen 
und Hroznys Sammlung der hethitischen Medjal- und Passivformen 
in den Actes du Ier Congrès Internat. de Linguistes à la Haye, 
1928, S. 155ff., mir noch nicht vor Augen gekommen. Daher 
meine Ausdrucksweise. Bei den Hethitern ist die Charakterisierung 
der mediopassivischen Formen durch die r-Endung in mehreren Per- 
sonen nur fakultativ, nicht obligatorisch, also etwa dem Gebrauch 
des Augments im metrischen Veda oder bei Homer entsprechend. 
War ein ähnlicher Zustand urindogermanisch, so versteht sich die 
Spaltung der Einzelsprachen in der Bezeichnung des Mediopassivs 
leicht, ohne daß man zu der immer möglichen, aber immer gefähr- 
lichen Annahme schon ursprachlicher mundartlicher Verschieden- 
heiten greifen muß. 

Bonn. R. Thurneysen. 


Elementa. 

Seitdem Wilh. Schulze nachgewiesen hat, daß die semiuocales, 
in alphabetischer Reihenfolge f— l, m, n — r, s— x, bis ins 4. Jh. 
n. Chr. nicht mit einem vorgeschlagenen Vokal gesprochen, sondern 
lautiert wurden’), gilt die früher manchmal ausgesprochene An- 
sicht, die lateinische Wiedergabe von gr. oroıyeia sei aus den 
Namen der Buchstaben LMN erwachsen, für abgetan, ohne daß 
etwas Einleuchtendes an die Stelle gesetzt worden wire’). Mich 
will immer bedünken, daß im Gegenteil gerade durch Schulzes 


1) Sitz.-Ber. der Preuß. Ak. 1904, S. 760ff. 
2) Die Literatur gut bei Walde, Lat. Etym. Wb.? 251f. 


256 W. Schulze, Zu den grichischen Verbalabstrakten. 


Nachweis jene Ansicht erst eine Grundlage erhalten habe und 
Einwände gegen sie beseitigt worden seien. Die Lautierungs- 
methode ergab bei diesen sieben Buchstaben Laute, die sonst in 
der Sprache so nicht vorkamen und einige Schwierigkeit machten’). 
Wie mögen die lesen lernenden Kinder aufgehorcht und vielleicht 
gelacht haben, wenn sie zuerst diese sonderbaren Zischer und 
Brummer neben ihren viel klangvolleren Kameraden hörten! Und 
an einer Stelle des Alphabets folgten gar ihrer drei unmittelbar 
aufeinander: L mal Die konnten leicht besonders in die Augen 
stechen oder vielmehr beim Aufsagen des Alphabets ins Ohr 
fallen, und es ist nicht sehr wunderbar, wenn gerade sie zu 
Kennzeichen der ganzen Alphabetreihe wurden, erst spielerisch 
scherzhaft, dann gewohnheitsmäßig, Der Anschluß an das häufige 
Suffix -mentum hat nie Bedenken erregt. Aber woher die drei e 
zu einer Zeit, da man noch nicht el, em, en sprach? Nun, auch 
bei der lautierenden Benennung wird vor den stimmhaften Li- 
quidae oft ein kurzer vokalischer Stimmton vorgeklungen haben, 
al, am, an, ar neben reinem |, m, n, r; das kommt, meinem Gehör 
nach, auch in lebenden Sprachen, die sonantische Liquidae ver- 
wenden, als Variante vor. Und bei der Aneinanderreihung der 
Laute und ihrer Verbindung zu einem Wort wird dann der nahe- 
liegende und in der Sprache vorhandene Vokal & an die Stelle 
von a getreten sein. Vielleicht beruht eben auf jener Aussprache, 
daß später el, em, en, er und im Anschluß daran auch ef, es und 
vielleicht zunächst ex (s. Schulze) zur Bezeichnung der semiuo- 
cales gewählt wurde. 
Bonn. R. Thurneysen. 


Zu den griech. Verbalabstrakten. | 

Das Nebeneinander von d4oıpn (seit Homer belegt) und 
naoadigy in derselben Inschrift IG I/II 1672, 203 u. 61 (328 
v. Chr.) erinnert an wuy7 (seit Homer): dvayuyn nagawuyn Euri- 
pid. Suppl. 615 Hec. 280 Or. 62 und öinn (seit Homer): dınd6ipd 
Pratinas 1,17 (Diehl II 125). Offenbar sind nagalıpn dva- naga- 
wuyn Öraddıpa erst später zu den componierten Verben hinzu- 
gebildet worden und zwar im Anschluß an ihre passivischen Aorist- 
formen di Guer wuxivan 6ipnvaı, wie der Vokal- und Konso- 
nantenstand zeigt. Ebenso lehnen sich die dem ältesten Griechisch 
noch fremden zgißn diatoibh an toiBivac an. W. Sch. 


1) Vgl. Terentianus Maurus 222f. (K. VI 332): Septem reliquas hinc tibi 
uoce semiplenas | uix lege solutus pote nominare sermo. 


Ernst Fraenkel, Zu litauischen Mundarten. 257 


Zu litauischen Mundarten. 


1. Wie im Zemaitischen naudd außer der Grundbedeutung 
„Nutzen, Ertrag“ auch die speziellere „Habe, Besitz, Geld“ aufweist, 
letztere in Übereinstimmung mit lett. naüda'), so findet sich der 
letztere Sinn auch in der aukstaitischen Nachbarmundart WS, 
die überhaupt viele Beziehungen zu den niederlitauischen Dialekten 
hat’); daher heißt es bei Gerullis, Lit. Dialektstud. 27 = Specht, 
Lit. Mundart. I 261 àpi ugn, katra dəñg kurtu prarije visa nduda 
bednu gyventoju „über das Feuer, das oft die ganze Habe der 
armen Bewohner verschlang“. Bei Gerullis ist richtig ndudq ak- 
zentuiert, was zum lett. naûda stimmt, während Baranowski bei 
Specht fälschlich na@dg bietet (s. auch Būga, KS. I 162). 

2. Im Dialekt R. 2, S. 62 Ger. ist das Fremdwort asésorius 
zu atsésorius umgestaltet*). Also haben volksetymologische Er- 
wägungen einen Anklang an das Präfix at- herbeigeführt. Wir 
haben es mit einem weiteren Beispiel der Ztschr. f. sl. Phil. VIII 421 ff. 
beleuchteten „Präfixvertauschung“ in Lehnwörtern des Baltischen 
zu tun. Umgekehrt verdankt das bei Valané. ungemein häufige 
maitnastis „Art der Ernährung, Lebensweise“*), das auch bei 
Juškevičius, Svodb. dajn. 695, 5 begegnet, das slavische Suffix an 
der echtlit., „sich nähren“ bedeutenden Wurzel dem von ihm 
wiedergegebenen poln. żywność „Nahrungsmittel, Proviant“, das 
der Dialekt R. 5, S. 412,49 fix und fertig in der Form Zyvnastis 
übernommen hat’). 

Massenhaft verwenden Daukantas und Valanéius das slavische 
Suffix -(n)ica in der lituanisierten Gestalt -(im)ycia zur Lokalitäts- 


') Bezzenberger, Lit. Forsch. 145, zuletzt Verf. FBR. XI 61. Zu den von 
mir aus Daukantas beigebrachten Belegen lassen sich solche aus Valančius fügen: 
vgl. Zemait. Vyskup. I 244 (Lion naudą, von 30000 Gulden’, 251 (nauda neben 
pinigai). 317, Prad 57. ferner aus der Schriftstellerin Zemaite: IV 114 pataksavojo 
visq naudą „schätzten das ganze Besitztum ab“, 163 atimtą naudą „das weg- 
genommene Geld“; dagegen 109 kokia man nauda! liegt die sonst übliche 
Bedeutung vor. 

2) S. über das Verhältnis von Wž. zum Zemaitischen Specht, Lit. Mundart. 
II 414. 443; Gerullis, Lit. Dialektstud. 21. 

*) Baranowski bei Specht a.a.O. 153 bietet die schriftsprachliche Form. 

4) Vgl. etwa Zem. Vysk. 156, wo majtnastis durch poln. spusdd do życia 
glossiert ist, 57 kiek piningu ar kitos majtnastes usw. 

5) Güntert, SHAW. 1932, 28 vermutet ansprechend. daß griech. 2o&ßıv dos 
„Erbse“‘, das mit lat. ervum, ahd. araweiz zusammenhängt, also idg. ist, das 
-vorgriech. Suffix von dem ägäischen synonymen A&ßımdoı' 2oeßımdoı Hesych be- 
zogen habe. Über Anhängung vun got. Formantien an Entlehnungen dieser 
Sprache aus dem Griech. und Lat. s. jetzt Sehrt, Ly. VIII 142. 

Zeitschrift für vergl. Sorachf. LXI 3/4. 17 


258 Ernst Fraenkel 


bezeichnung an einheimischen Wörtern'); daher sagen sie nach 
Lehnwörtern wie moznycia = poln. maznica „Teerfaß, Lagerbüchse*“, 
stalycia = stolica „Hauptstadt, Residenz“, lūčnyčia = tucznica 
„Leuchte, Kerze“ °), melnycia aus wruss. melinyca „Mühle“, plyt- 
nycia „Ziegelbrennerei, Ziegelofen“, das ein wruss. *plytnyca voraus- 
setzt’), zvanycia = wruss. zvonyca „Glockenturm“ usw.: 

Zinycia „Opferstätte“ Daukaut., Bad. 103, druskinydia „Saline“ 230, dir- 
binycia neben pabryka „Fabrik“ 2364), kalinycia = kalejimas „Gefängnis“ 
(cf. kalinys „Gefangener“ und „Gefängnis“) Bid. 239, Cornelübers. 13 u. ö., gink- 
linydcia „Waffenlager“ Cornelübers. 153, bitinycia „Bienennest“ Abėcėlė 46, sehr 
häufiges mokslinycia = mokykläa „Bildungsstätte, Schule“ 5), varpycia ,Glocken- 
turm“ (vgl. o. zvanyčia) Valan¢., Zem. Vysk. I 190. 221. 256, varpinyeia dass. Dauk. 
Daıb. 62, rastinycia „Schreibstube“ ibd 11°), spaudinycia „Druckerei“ Valané., 
Zem. Vysk. II 237. 253°), ratajnicze, körivie rataj, wazej ir rages tajkomas 
buo (also , Wagen- und Schlittenremise‘) Dank Bad. 22, avinycia , Lammerstall* 
und „Lämmerschaft. Lämmer“ (besonders von den Schutzbefuhlenen Christi und 
der christlichen Kirche) sehr oft Valané.*), außerdem Matulevičius in einem Briefe 
an Valančius TiZ. 7, 352 usw. 


Aus poln. maciutki, Demin. von maty „klein“, stammt lit. 
matsitkas (arklükas) „ganz kleines (Pferdchen)“ in Zietela (Wilna- 
gebiet) 47,5 Arumaa. Mit dem gleichen Suffix ist gebildet awk- 
stitkai „in aller Frühe“ ibd. 43/44, 2. Dies ist eine Erweiterung 
des echtlit. anksti, wobei poln. wruss. raniutko „äußerst früh“: 
rano Pate gestanden hat. Zemétskai apsilaide „ließ sich ganz tief 
nieder“ Dieveniskis 25, 1 ist wohl aus Zemétas „mit Erde versehen“ 
nach Analogie von russ. poln. nizko „niedrig“ hervorgegangen; 
vgl. das verstärkende wruss. poln. niziutko „ganz niedrig“. In 
Slonim (Wilnageb.) begegnet noch militkas = poln. milutki „sehr 
lieb* (MLLG. IV 169). 

Über fremde Suffixe bei echtlit. Verben, die mit slavischen, 
die gleichen Formantien aufweisenden bedeutungsverwandt sind, 
habe ich Baltoslav. 53ff., IF. XLVII 346ff. gehandelt. 


1) S. auch Büga, Liet. mokykla 1921, 452; unrichtig Brückner, KZ. L 173 Anm. 

2) Brückner, Fremdw; 104, Skardžius, Slav. Lehnw. im Altlit. 124. 

3) Skardžius a. a. O. 171. 

t) Die puristischen Ersatzwörter für fãbrika(s) sind in der heutigen groß- 
lit. Schriftsprache dirbtùvé und dirbyklà. 

5’) Im amerikanischen Litauisch ist moksldine üblich (Senn, Stud. balt. II 41). 
Über poln. Suffix an enzlischen Lehnwörtern des amerikanischen Litauisch 
s. Senn a.2.0. 54. 

D Heute sagt man für „Kanzelei, Büro“ meist rästine. 

?) Daneben ibd. 9 spaustuvé mit poln. Erklärung drukarnia. Auch heute 
ist spaustüve allgemein üblich. 

e) Žem. Vysk. I 33. 49 u. ö. 


Zu litauischen Mundarten. 959 


Für „Abc-Buch, Fibel“ findet sich statt (e)lementörius aus poln. 
elementarz ım Dial. R. 4, S. 92 Ger. levintörius. Hier hat sich mit 
dem Fremdworte das lit. Verbum /avinti „ausbilden, üben, lehren“ 
gekreuzt’). 

Dem russ. ätot ,(eben)dieser“ entspricht im Vilnagebiete 
itas; vgl. Tverečius, Wolt. 376, 24; 377, 9; 380, 19. 45; 383, 7”); 
Slanimas, MLLG. 4,1, 170. 171; Gervėčiai 10, 11; 12, 1; Lazünai 38, 6; 
Zietela 42, 1; 43, 2 (itsaik Zmagus = itas-aik žmogus) usw.*), dazu 
Adv. itai = štai „siehe“ Dieveniskis 30, 2; iteip = šitaip „so“ 
Lazünai 33, 2; 36, 1; itsa = Sidia „hier“ ibd. 38, 6 usw. 

Auch im Ostlett. kommen itis, ituöds, itaids (= 3äds, Sitäds) 
vor‘). Nach Arumaa 54 soll lit. itas usw. erst durch wruss. (h)dtyt 
usw. ins Leben gerufen worden sein. Büga bringt itas mit dem 
Adj. inas „wahr, echt“ in Verbindung, das im Zemaitischen ge- 
wöhnlich ist und sich oft bei Daukantas und Valanéius’) findet, 
aber auch ostlit. vorkommt (vgl. Sirv. Dict. niepewność incertitudo, 
incertum, ne ina‘), netikribe). inas soll sich nach ihm zu ai. ena- 
„er“ verhalten wie itas zu ai. etd- dieser", Endzelin läßt itas 
dem *is (vgl. lat. got. is) in der gleichen Weise gegenüberstehen 
wie lit. sitas dem sis. Obwohl in allen diesen Ansichten ein 
richtiger Kern steckt, sind sie doch in ihrer Gesamtheit abzulehnen. 
itas ist vielmehr in it tas zu zerlegen; vgl. ittejp „ebenso“ Valané., 
Žem. Vysk. I 82°). it ist eine sowohl in litauischen Dialekten 
als im Lettischen recht häufige Partikel, die, wie Endzelin, Wb. 
richtig annimmt, mit ai. iti, lat. ita „so“ zusammenhängen dürfte. 


1) Vgl. außer den von mir Ztschr. f. sl. Phil. VIII 412ff. gegebenen Parallelen 
noch Brückner, KZ. L 166ff.; Pisani, IF. L 237 über apreuß. picküls (pecols) 
„Teufel“ aus apoln. pkiel, Gen. piekła „Hölle“ (heute Neutr. piekto nach niedo, 
Brückner, Siown. etym. jez. polsk. 407) unter Anlehnung an piktas „schlecht, 
böse“ (s. noch Būga, Aist. stud. 159ff., KS. I 25). | 

2) S. auch Otrebski, Bull. de D acad. polon. 1929, 77; besonders Būga, RIV. 
LXVII 241. 

3) Arumaa, Mundartl. Texte aus der Vilnaer Gegend 54. 

1) Būga a.a.0.; Bezzenberger, Lett. Dialektstud. 15; Endzelin, Lett. Gr. 395. 

5) Die Stellen aus Daukantas zitiert Būga a a 0. 240ff.; aus Valančius 
führe ich an Žem. Vysk. I 134; II 254, Prad. 195. 282. 286. 

6) Das Abstr. ¿na neben dem Adj. inas ist wie poln. można „es ist möglich“ 
(eig. „die Möglichkeit“) neben mozny zu beurteilen (s. auch J. Schmidt, Plural- 
bildg. 32ff.; E. Hermann, GGN. 1926, 291 ff.; Verf. KZ. LIII 43#f.; DLZ. 1932, Sp. 979 
und zum Ganzen noch Lohmann, Genus und Sexus 20ff.). 

7) Uber den Gebrauch von ai. ena- und eta- s. Brugmann, Demonstr. 75ff. 
92H. 113 ff. 

8) Dagegen Val., Prad. 72 ist phonetisch toki geschrieben. 


17* 


260 Ernst Fraenkel 


Während it im Lettischen nur „recht, sehr“ bedeutet und zur 
Verstärkung von Adjektiven und Adverbien (vgl. it labs, it agri, 
it īpaši), seltener anderer Redeteile ’) dient, bedeutet es im Litauischen 
außer „durchaus, geradezu, völlig“ (Jusk.) auch „gleichwie*, wozu 
an den Doppelsinn von russ. rovno und slovno erinnert sei. it ist 
im Zemaitischen ungemein häufig; daher Dauk., Bud. 46 it bitys 
szakémi neszdams „gleichsam Bienen zwischen den Beinen tragend“, 
59 it but (= kaip būtų, russ. kak by, poln. jakoby) to nenumangntys 
„als ob sie dies nicht begriffen“, 149 it artij „ganz nahe“, Valané., 
Prad. 100 pradieje draskiti Maksimą it szunis majtą „sie begannen, 
Maximus zu zerreißen wie Hunde ein Aas“ u. v.a., sehr oft 
Salantai (Scheu-Kursch. 136). Aus anderen Mundarten zitiere ich 
R.12., S. 202 stikta At dwylakos rablu warczös „Fensterscheiben 
etwa im Werte von 12 Rubeln“*). ite nakrjü „gerade zur Nacht- 
zeit“ findet sich in Tverečius, Wolt. 383, 5, itna „gleichwie, 
gleichsam“ in Šiauliai, MLLG. I 883°). icz tejp „genau so“ habe 
ich bei Valanéius*) angetroffen. Es ist wohl an synonymes gpac(iai) 
„besonders“ im Ausgange angeglichen, aus dem es Lalis, natürlich 
mit Unrecht, hervorgehen läßt. Sehr gewöhnlich ist im Lettischen 
die Erweiterung itin (iten). Auch dem Litauischen ist itin „recht, 
ziemlich“ nicht unbekannt’); vgl. Suvalkai, MLLG. 11263 itin apsčiai 
„ziemlich reichlich“ und itin gražioje bei ramioje vietoje „an einem 
recht schönen und ruhigen Orte“, R.12., S. 176 (aus Joniškis) 
lin rétat „rarissime“. 

Wenn sich lit. itas, lett. itis usw. vorwiegend im Osten des 
lit. und lett. Sprachgebiets finden, so hat vielleicht der Anklang 
an wruss. (h)dtyt konservierend gewirkt, wenn auch an sich die 
besprochenen Pronomina echt baltischer Herkunft sind. So ent- 
sprechen sich in Lazünai 36, 1 lit. itéip pragyv’äno ani vasaru und 
wruss. hätak prazyly jani leta; vgl. 33, 2 iteip gwäna = hätak i 
Zyvuci. Von Wichtigkeit ist auf jeden Fall die Übereinstimmung 
zwischen dem Zemaitischen, d. h. dem äußersten Westen, und 
den östlichsten Mundarten des Litauischen im Gebrauch von it 
und den auf ihm basierenden Pronomina und Pronominaladverbia, 

d Vgl. it asaras man spiedäs acıs „geradezu Tränen drangen mir in 
die Augen“. 

*) ót liegt wohl auch vor in Buivydžiai 81 jise¢ als „renforcement de jis“ 
(Gauthiot 96). 

3) ülna baisidusis ve'suls „wie der heftigste Sturm“ und tina griaustikis 
„wie ein Donnerschlag“. 


t) Prad. 251, Žem. Vysk. 2, 115°. 230. 
5) S. auch E. Hermann, Lit. Stud. 388. 


Zu litauischen Mundarten. 961 


ferner das gleichzeitige Auftreten von it(in) im Lettischen, itis 
usw. speziell in dessen östlichem Teile. Diese Gemeinsamkeit fügt 
sich zu ähnlichen bei früherer Gelegenheit *) behandelten Beispielen. 

Lit. inas verhält sich zu jis, das nach Gen. j6 usw. für *is 
eingetreten ist, wie preuß. täns, tans zu preuß. (s)tas*), lit. lett. 
tas; polu. čech. ten zu abg. tu; abg. ond, lit. än(a)s zum „der- 
deiktischen“ o, e-*). Niedermann Wb, verzeichnet neben inas 
noch jnas, das Šlapelis und Ryteris allein aufweisen, während 
Miežinis andererseits nur inas kennt. Die Vokallänge von gnas 
ıst ın derselben Weise zu beurteilen, wie die des ersten Elements 
von lit. ypatus, ýpačiai, lett. Zpass, tpats, tpasi. Im Arischen zeigt 
sich diese, von ai. im, av. (m) abgesehen (s. jetzt Wackernagel- 
Debrunner, Ai. Gr. III 519ff., Benveniste, Stud. Balt. III 126), noch 
in ai. idrs- „so geartet, so aussehend“ (vgl. tadrs-, yadrs-: ta-, ya-) ‘). 

Ist obige Erklärung von ?nas, gnas richtig, so ist seine Grund- 
bedeutung „ebendieser, der nämliche“. Der Sinn „wirklich, wahr- 
haft, echt“ vergleicht sich damit, daß das abg. et „wirklich, 
echt“ entsprechende bulg. ist meist „derselbe“ heißt (vgl. aber 
noch isto zlato „echtes Gold“), ebenso serb. jet „selbst“, Isto „ge- 
rade so“ (: zdisto, -a ,vere“), sloven. îsti „eben derselbe“ °’). 

3. Während lett. näkt „kommen“ bedeutet, heißt lit. nökti 


1) Vgl. IF. XLVI 554, KZ. LVIII 280, FBR. XI 52ff. (mit Literatur); über 
partielle Übereinstimmungen zwischen Ostlitauisch und Lettisch s. noch Endzelin, 
BB. XXIX 191ff. mit Anm. 2, der zugleich über die historischen Gründe belehrt, 
zuletzt Arumaa, Unters. z. Gesch. d. lit. Personalpron. (Dorpat 1933), 101 

2) Über stas als Vermischung der Stämme *so- und *to- s. van Wijk, 
Altpreuß. Stud. 111#. 

3) S. über dies Brugmann, Demonstr. 32ff., über lit. än(a)s als Ersatz von 
jis in einigen ostlit. Dialekten, im Zemaitischen und in dessen aukätaitischer 
Nachbarmundart WS Specht, Lit. Mundart. II 432ff., 478ff.; Doritsch, Beitr. z. 
lit. Dial. CXI. CXXXIff. CLXXIX. CCVII, van Wijk, Altpreuß. Stud. 116ff. Des 
letzteren Deutung (a.a.Q. 125ff.) des auch alit. teilweise jig ersetzenden anys 
als Umbildung des dort „jene, diejenigen“ bedeutenden anig unter dem Einflusse 
eines dereinst vorhanden gewesenen, zum got. eis stimmenden *ys erscheint mir 
plausibler als der Standpunkt Spechts (II 112), es handele sich bei anys um ein 
sekundär in die -i-Deklination übergetretenes konsonantisches Thema. Uber 
die Verbreitung von alit. anys s. noch Bezzenberger, Beitr. 168; van Wijk a. a. 0. 
121ff., Specht, Szyrwidausg. 36; Büga, Zodynas 78. 

t) Bezzenberger, BB. XXVII 162; Brugmann, Demonstr. 110, Grdr. Il? 3, 981. 

5) Uber die Etymologie von det s. jetzt Machek, Studie o tvoření vyraza 
expresivních (Prag 1930), 47ff. Er geht von Sien aus und vergleicht lit. jst 
„fühlen, spüren“. čsźğ bedeutete also ursprünglich „spürbar“. Die Form *istinü 
(cf. poln ¿stny usw.) deckt sich nach ihm genau mit dem lit. Partic. necess. 
(pa)jüstinas und erweist das hohe Alter derartiger Bilduogen. 


962 Ernst Fraenkel 


speziell „zur Reife kommen, reifen“, dazu die punktuellen :s-, 
nu-, prinökti sowie das Kausativ nokinti „reifen machen“. Auch 
im Lettischen kommt diese Bedeutungsspezialisierung vor; daher 
tenäkt „hereinkommen, einholen, erlangen, einfallen, auf etwas 
kommen‘ : „reif werden“, nuondkt „herunter-, hinkommen, ge- 
schehen“ : „reif werden, gedeihen“. Endzelin, KZ. XLIII 25, Wb. 
s. v. näkt, iendkt vergleicht einerseits lett. dagajusu uogu rävu „ich 
pflückte eine reife Beere* (: daiet, Praeter. dagaju „hinzugehen, 
hingelangen, einholen“), andererseits aus dem Lit. Siauliai, MLLG. 
1,370 kad rügei tié par sennkt u&édugty, preity „damit dieser 
Roggen heute Nacht emporwichst und reif wird“’). Ich erinnere 
auch an russ. speti „von statten gehen, reif werden“, dospět 
„heranreifen“, uspetz „fortschreiten“, spech „Eile“, uspech „Erfolg“, 
ähnlich čech. speti „eilen“ : dospeti „herbeieilen, bereit, fertig, reif 
werden“ usw.”). Auch die auswärtigen Verwandten) dieser Sippe 
schwanken zwischen den Bedeutungen „eilen, Erfolg, Kraft, Mute 
haben, zunehmen, fett werden“; vgl. namentlich ai. sphäyate 
„nimmt zu, wird feist“, sphäti- „Gedeihen, Fettmachung“, ahd. 
spuon „gelingen, von statten gehen“, spuot „Schnelligkeit, Ge- 
lingen“, lit. spéti „Muße haben, schnell genug sein“, spétas*) „Muße, 
gelegene Zeit“, lett. spēt „vermögen, können, fähig, in der Lage 
sein“, lit. spékas, spekä, lett. speks „Kraft, Macht“. Zemait. spérus 
bedeutet außer „schnell, eilig, eifrig“ auch „leicht“; Dauk. Büd. 252 
Lijtuwos piningus it spierej gat pazinti nu jü Zymes „das litauische 
Geld kann man ganz schnell (ganz leicht) an seinem Stempel er- 
kennen“ veranschaulicht die von Specht, KZ. LIX 93 auch aus 
anderen idg. Sprachen belegte Bedeutungsverwandtschaft der Be- 
griffe „schnell“ und „leicht“ ^). 

Ganz fremd ist auch lit. nökti der Sinn „kommen“ nicht. 
Erstens weisen auf eine derartige Grundbedeutung mehrere seiner 
Komposita; vgl. panókti (= lett. panākt), das nicht selten „ein- 
holen“ heißt‘); in demselben Sinne kommen noch vor danókti 


1) Ibd. 371 rugei latstomi uzduga, pre’ je „da der Roggen begossen wurde, 
wuchs er empor und reifte*. 

*) S. auch Meillet, Et. 361; Trautmann, Blsl. Wb. 274. 

3) Būga, KS. 132ff.; Persson, Beitr. z. idg. Wf. 400ff. 416. 705 ff. 717; Walde- 
Pokorny II 656. 
| t) Zum Intonationswechsel des Abstr. vgl. Baga a. a.0.33, KZ. LI 115. 

5) Daher heißt es denn weiter bei Valanč. Žem. Vysk. I 230 pamokstus 
zmoniems spierej suprantamus „den Leuten leicht verständliche Predigten“, 
85 nespieru buwa antsztikti „es war nicht leicht zu erraten“ usw. 

*) Memel nach Ziegler, MLLG. 118, aber auch sonst im Zemaitischen; 


Zu litauischen Mundarten. 263 


(wie lett. danäkt) Dauk., Darb. 51, antndkti ibd. 91. 92. 99. 123, 
atnökti ibd. 113, prinökti sowohl aukstait. (svietg prinökti „mit der 
Welt mitgehen“ Jurksch. Märch. 55) als auch Zemait. (Dauk., Darb. 
110 ne tajwajs prinokamis') buwa „waren auch nicht mit Schiffen 
einzuholen‘). 

Sehr gewöhnlich ist prandkti „vorangehen, vorhergehen, über- 
holen“. Wir begegnen diesem schon bei Daukša Post. 13, 15, wo 
pranéks = poln. uprzedzq ein pirm’ praeio = poln. uprzedzity auf- 
nimmt. Von beiden hängt atdiimq Wieszpaties = przyscie Pänskie 
ab. Besonders häufig aber ist das Verbum im heutigen Zemaiti- 
schen, wo es auch „überragen, übertreffen“ heißt und gleichfalls 
mit Akk. konstruiert wird (vgl. Daukant. Phaedr. 36°), Valané., 
Zem. Vysk. 1147°). Zu pranökti gehört das Nom. agent. pranol&jas 

„Vorgänger“ (Valané., Zem. Vysk. I 85. 87). 

- Nicht bekannt ist zweitens, daß im Zemait. einfaches nóķti 
im Sinne „bevorstehen“, nöktis als „um die Wette laufen“, über- 
tragen „wetteifern* vorkommt. In diesem Falle ist das Praesens 
nöku bemerkenswert, während sonst nur nökstu üblich ist. Schon 
oben sind uns prinokamis „einholbar“ (Dauk., Darb. 110) und pranoki 
„übertriffst* (Dauk., Phaedr. 36) begegnet. So heißt es auch bei 
Dauk., Phaedr. 23 (= fab. 2, 8, 2) idqnt iszwengtum nokqnte giltine 
mediejü = ut venatorum fugeret instantem necem. nöku usw. stimmt 
auch formal genau zu lett. ndku. nokgnte giltine würde lettisch 
nākošo slepkavību entsprechen. Ebenso deckt sich das Zemait. 
Praeter. nökiau (neben dem ebenfalls belegten, außerhalb des 
Zemaitischen obligatorischen nökau) mit lett. nācu; vgl. Dauk., 
Bud. 149 lidietoje rajti nokies „die Leichenbegleiter ritten um die 
Wette“, Corneliibers. 232 (= Att. 5, 4) szioudu uz wens qntrą 
nokies jį girtt = inter quos tantae laudis esset aemulatio. Die Flexion 
nöku, nokiau legt wieder von den Beziehungen zwischen Zemaitisch 
und Lettisch Zeugnis ab, von denen bereits oben bei iz, itas die 
Rede war. nokieis „Nebenbuhler“ findet sich in Daukantas’ Cornel- 
übers. 31. 134, Abstr. noksinos „um die Wette Reiten“ Dauk. 
Büd. 150. Es enthält mit dem Refl. verbundenes, bei Daukantas, 


daher Dauk., MLLG. III 278, Phaedr. 38, Darb. 45. 66 u. ö., Valanč. Žem. Vysk. 197, 
Prad. 108. 

1) Verdruckt prinokomis. 8. u. 

23) Tù pranoki ie stowilü, pranoki didumü „du überragst sie an Wuchs, 
überragst sie an Größe“. 

3) Kielis atwejus ij pranoka ir sawa uzpakalie palika „sie überholten 
ihn einige Male und ließen ihn hinter sich“. 


264 Ernst Fraenkel 


Valanidius und im Memelgebiete (Bezzenberger, Lit. Forschg. 110) 
übliches Suffix -sina, über dessen Verhältnis zu dem sonstigen 
-sena (aus -siana), preuß. -senna, -seni-, -sanna, lett. Zong Leskien, 
Nom. 379ff. und Endzelin, Lett. Gr. 216ff. zu vergleichen sind. 
Von noksina, Refl. noksinos ist žīrgas noksinis „Rennpferd“ Dau- 
kant., Phaedr. 56 (= fab. app. 19) abgeleitet. noksinis verhält 
sich zu dem ihm zugrunde liegenden Abstraktum wie drepänis 
kromas „Kleiderladen“ zu dräpanos „Kleider“; pleiskanés kandpés 
„schuppiger Hanf“ zu pleiskanos „Schinn, Schuppen“, vasäriai 
java? „Sommergetreide* zu vasard „Sommer“ usw.'). 

nöktis „aum die Wette laufen“ steht pa-, prinökti usw. „ein- 
holen“, pranökti „überholen“ in der gleichen Weise gegenüber 
wie vyti(s) „nachsetzen, verfolgen“ einem pa(si)výti „einholen“; 
siekti „langen, reichen, greifen, streben nach“ einem pasiekti „er- 
reichen“ usw. Das Refl. von nöktis ist reziprok und nach bärtis 
„sich zanken“, kdutis „sich bekämpfen“, péstis, mùštis „sich raufen, 
sich schlagen“, lažintis „miteinander wetten“ zu beurteilen °). 
Ebenso bietet das Lettische nicht nur ar uotru kauties, plösties, 
sisties „mit einem anderen kämpfen, sich prügeln, sich schlagen“, 
sondern auch, genau mit Zemait. noktis vergleichbar, es ar tevi 
skriesuos „ich werde mit dir um die Wette laufen“, iesim abi 
tecéties „wir wollen beide um die Wette laufen“, nāc ar mani(m) 
dziedäties „komm, mit mir um die Wette zu singen!“*) Auch im 
Russ. existiert béyatisja „um die Wette laufen“, im Poln. in dieser 
Bedeutung wyscigad sie z kim, während ścigać „verfolgen, nach- 
laufen, einzuholen suchen“, wyscigad „nachjagen, überholen, über- 
treffen“ heißt. Zu wyscigad sie ist postverbales wyścig „Wettlauf, 
Wettrennen“ gebildet worden. Das Polnische stimmt besonders 
gut zu Zemait. nöktis. 

Die Bedeutungsbeschränkung des Verbums des Kommens auf 
das zur Reife Gelangen gehört in den Kreis der Erscheinungen, 
die zuletzt Havers, Hdb. d. erkl. Synt. 127. 245 (mit Literatur) 
beleuchtet hat. Er zitiert u.a. engl. to strike für to strike work 
„die Arbeit einstellen“, wozu ein Subst. the strike „der Arbeiter- 
ausstand* erwachsen ist. Thierfelder, Glotta XX 173ff., erklärt 

1) Vgl. Leskien, Nom. 282ff. 303ff., besonders Skardžius, Sviet. darb. 1927, 
1232ff., Arch. phil. I 209. 

*) S. auch Zubaty, IF.Anz. XVI 62; Endzelin, Lett. Gr. 766ff.; Senn, Stud. 
Balt. II 57 (letzterer über amerik.-lit. faæitúotis — engl. to fight). Slavische 
Beispiele wie russ. bitisja, dratisja, srazatisja usw. s. bei Marguliés. Verb. 


refl. in den slav. Spr. 159 ff. 16dff. 
3) Endzelin, Lett. Gr. 767. 


Zu litauischen Mundarten. 265 


lat. interficere, interimere algm. „jmd. umbringen, töten“ als ver- 
kürzte Ausdrucksweise für vitam alci., bzw. alqm. vita interficere, 
interimere „jmd. das Leben rauben, ihn des Lebens berauben“ (vgl. 
noch JB Hofmann, IF. XLV1II 180, anders M. Leumann, Gl. XX 282). 
Von lit. Beispielen‘) für den hier geschilderten semasiologischen 
Vorgang lassen sich anführen die Zemait. pastöti, užstóti „schwanger 
werden“ °), die durch volleres ji moteriske pastojo, das Nesselmann, 
Wh. 503 in gleicher Bedeutung belegt, erläutert werden. Arch. 
f.sl. Ph. XXXIX 69ff., Synt. d. lit. Kas. § 139,3 habe ich im An- 
schlusse an Havers Untersuchg. z. Kasussynt. 156'. 303 darauf hin- 
gewiesen, daß öfters in den idg. Sprachen die Bezeichnungen der 
affizierten Teile als selbstverständlich fortgelassen werden und 
als Objekt nur die betroffene Person fungieren kann; vgl. griech. 
éxtéuvery tive für éxtéuvey tivdg ta aidoia „jmd. kastrieren“, 
dvoadeiv tiva ,jmds. Haupt bekränzen*, énoddvery rd „jmd. die 
Schuhe ausziehen“, lat. alqm. securi percutere „jmd. enthaupten‘, 
ebenso poln. ściąć, ścinać kogo, čech. státi, stinati koho neben komu 
hlavu, lit. nukiřsti kd = nukiřsti kenö gdlva. 

In diesen Zusammenhang gehören auch lit. aati, lett. aut”). 
Während im Armen. (s. Hübschmann, Armen. Gramm. I 411, Liden 
a.a.Q. über aganim „ziehe mir etwas an“, aragast „Hülle, Vorhang, 
Segel, Brautgemach“) und im Ital. (umbr. anouihimu Tab.Iguv.6b 49, 
lat. induere, exuere, subucula „Untergewand der Männer“, ömentum 
aus *ovimentum‘) „Netzhaut um die Eingeweide“) der allgemeine 
Sinn „einhüllen, ankleiden“ hervortritt®), bedeutet das baltische 
Verbum „Fußbekleidung anziehen“, lit. avéti „Fußbekleidung 


') Nach Kieckers Act. univers. Dorpat. 27, 4, 3 soll avest. Dat. sg. /Suyente 
„dem Viehzüchter* und fšu- „fett machen, feist werden lassen“ zu ai. dpsu- 
„ohne Lebensmittel“, dkas-, psa- „zermalmen, kauen, verzehren“ gehören, indem 
bei fsuyenté gam „Rind“ zu ergänzen sei. Jedoch hat Kieckers Bloomfields 
einleuchtende Deutung (IF. XXV 185ff.) von av. f3u-, fsimant- „reich an Vieh“, 
ai. ksumdnt-, purukgü- usw. übersehen, durch die Zusammenhang mit av. pasu-, 
ai pasü- „Vieh“ gesichert ist. 

2) Vgl. Valané., Zyv. Jez. Kr. 12 sena Elzbieta nieka netrukusi pastoje, 
16 Wieszpats dalejda tau (Maria) užstoti. 

8) S über diese Sippe besonders Persson, Beitr. z. idg. Wf. 650 mit Anm. 2; 
KZ. XLVIII 127ff.; Hujer, Listy filol. XLVI 340ff ; Trautmann, Biel Wb 21 ff.; 
Endzelin, Lett.-dtsch. Wb. s. v. dut; Walde-Pokorny I 109ff.; Lidén, Armen. 
(Göteborgs högsk. ärssk. 39, 2), 41. 

4) Solmsen, Stud. z. lat. Lautgesch. 18ff. 91. 128; Hujer, LF. XLVI 344. 

5) Persson a.a.Q. setzt eine Grundbedeutung „binden, umwinden‘ an, meines 
Erachtens ohne strikten Beweis (s. auch Walde-Pukorny a a. O., die ebenfalls 
berechtigte Bedenken äußern). Aber selbst wenn Perssons Annahme richtig 


266 Ernst Fraenkel 


tragen“, autüvas, dvalas, dvalyné, lett. apavi „Fußbekleidung, Schuh- 
werk“. Dieselbe Einschränkung zeigen außer av. aora- „Schuh- 
werk, Schuhzeug“ gleichfalls die slavischen Entsprechungen; vgl. 
abg. obuti „Fußbekleidung anziehen“, onusta „Öndönua“, russ. 
onuca „Fußlappen“, obuvi „Fußbekleidung“ usw. Daß aber einst- 
mals auch im Baltischen — und wohl ebenso im Slavischen — 
die allgemeinere Bedeutung des Einhüllens, Ankleidens gegolten 
hat, folgt daraus, daß zwar lit. a@tas nur „Fußlappen“ bezeichnet, 
lett. duts dagegen außer von diesem auch vom Tuch überhaupt 
gebraucht werden kann. Daher heißt es auch komponiert im 
Lettischen galdauts „Tischtuch“, galvauts „Kopftuch“, kaklauts 
„Halstuch*, prieksauts „Schürze“ (vgl. russ. fartuk, poln. furtuch 
dass. aus dtsch. Vortuch). Man findet daher auch kdjauts „Fuß- 
lappen“, obwohl der Zusatz von kdja „Fuß“, wenn àut von vorn- 
herein nur für Fußbekleidung gegolten hätte, ein Pleonasmus 
wäre, ebenso lit. adtakojis in Užpaliai (Būga Asmens vardai 17). 
Auch die baltischen Verwandten von lit. aukl& „Fußbinde“ weisen 
auf eine allgemeine Grundbedeutung der Wurzel; daher lett. aukla 
„Schnur, dünne Leine“, preuß. auclo „Halfter“. 

Die im Avesta und Baltoslavischen erfolgte Spezialisierung 
der Sippe zur Bezeichnung der Fußbekleidung kann in Verbin- 
dungen entstanden sein, wo der Ausdruck der Füße oder ihrer 
Umhiillungen als Objekt fungierte. Außer dem vorher genannten 
lett. kdjauts (vgl. auch kāju apavs bei Endzelin s. v. apavs) lassen 
sich Konstruktionen anführen wie die Synt. d. lit. Kas. § 139, 5 
erwähnten abg. aruss. obuti nozé neben aruss. izuji sapogu să nogu 
svojeju, neuruss. razu(va)ti nogu; sapogi tésny; ne obujesi jich „die 
Stiefel sind zu eng; du wirst sie nicht anziehen können*, nogi 
otekli; tak ne obujest jich „die Füße sind angeschwollen; daher 
wirst du sie nicht mit Schuhwerk versehen können“ '), lit. apsiäves 
kürpes neben köjas sopägais apaŭti, lett. aut kājas neben zäbakus, 
zeķes kājās) u. v.a. Indem die Bezeichnung der Füße oder ihrer 


wäre, würde sich an der im Text gegebenen Darstellung kaum etwas ändern, 
s. noch Hujer a. a O. 343ff., der freilich zweifelhaft ist, ob der engere oder 
weitere Sinn unserer Wurzl das Ursprüngliche darstellt. 

1) Dal’ II 1615; III 1576. Zur doppelten Konstruktion (als Objekt die Fuß- 
oder die Schuhbezeichnung) s. meine Bemerkungen a. a. O. sowie oben über die 
zwiefache Verbindung von interficere, interimere (weiteres aus dem Latein bei 
Thierfelder a. a. O.). 

2) Die letztere Konstruktion ist an sich nicht unlettisch, wie die ähnlichen 
litauischen und slavischen Beispiele lehren; nur das speziell im Lettischen zu 
beobachtende, massenhafte Auftreten von Wendungen wie kājā, mugurā, 


Zu litauischen Mundarten. 267 


Bekleidungen, die anfangs obligatorisch war, durch das Usuell- 
werden derartiger Verbindungen allmählich als selbstverständlich 
fortgelassen wurde, konnte man schlechtweg mit Objekt der Person 
auch sagen: 

russ. on tebja i razujet i obujet (sprichwörtlich mit Bezug auf 
einen durchtriebenen Menschen); molodaja razdévajet i razurajet 
molodogo ,die junge Frau zieht ihrem Mann Kleider und Schuhe 
aus, schröpft ihn nach Strich und Faden“ ’), lit. kám auntesi? AP 
eisi kuř? „warum ziehst du dir Schuhe an? Willst du irgend- 
wohin gehen ?“ 

Interessant ist hier auch ein Blick auf die semasiologischen 
Verhältnisse von lit. ieghkéti, lett. iéskdt, slav. iskati. Während das 
lit. Verbum, seiner Herkunft entsprechend’), meist allgemein 
„suchen“ heißt, bedeutet iskati in denjenigen slavischen Sprachen, 
in denen der Begriff des Suchens durch andere Wörter ausge- 
drückt wird, im besonderen „den Kopf absuchen, lausen“ °); daher 
poln. (w)iskad, slovinz. 2j2xkäc‘) „lausen“, adech. jiskuti „suchen“, 
aber heute mähr. iskut’ „lausen“ ®), ebenso neuéech. viskati, klruss. 
sikaty°); serb. iskati „verlangen, suchen“ : iskati, obiskati „den Kopf 
absuchen, lausen“. Aus dem letzteren ist durch falsche Auflösung 
von dem Sprachgefühle ein neues Simplex biskati abstrahiert 
worden’), das seinerseits wieder ein perfektives pobiskati neben 
älterem poiskati erzeugt hat. Cech. viskati usw. verdanken an- 
dererseits ihr anorganisches v, wie Berneker, Etym.Wb. I 433 an- 
nimmt, der Analogie von Beispielen nach Art von vésiti „hängen“ 


ruoka vilkt, galvā likt, in denen bei unvollendetem Aspekt Simplicia mit 
Lokativen, besonders von Körperteilbezeichnungen gebraucht werden, ahmt bis 
zu einem gewissen Grade livische Spracheigentümlichkeiten nach (s. Endzelin, 
Latyäsk. predl. II 137; Lett. Gr. 742). 

") Dal’ III 1576. 1577. 

2) Vgl. ai. icchdti, av. isaiti „sucht, sucht auf, wünscht (zu gewinnen)“, 
umbr. eiscurent ,arcessierint*, ahd. eiscõn „forschen, fragen, furdern“, abg. iskati 
„suchen“ usw. 

8) Berneker, Etym. Wb. I 433; Trautmann, Blsl. Wb. 67. 

*) Lorentz, Slovinz. Gramm. 152, Slovinz. Wb. 1309. 

5) Bartoš, Dialekt. moravská I 220. 

6) Smal-Stockyj, Gramm. d. ruth. Spr. 319. 344. Großruss. ist für „lausen“ 
nur volles ¿skati všeč na golové möglich. 

7) Parallelen hierzu aus dem Slavischen und anderen idg. Sprachen s. bei 
Gebauer, Hist. mluvn. jaz. českého I 424; Berneker, Jagitfestschr 598ff.; Kurz, 
Mvua, J. Zubatého 434ff.; Machek, Studie o tvoření výrazů expresivních (Prag 
1930), 41 ff.; Endzelin, Slav.-baltuisk. ä'jud. 43ff Anm., Don. Natal. Schrijnen 399 ff. ; 
Hujer, LF. XLVI 342; Smal-Stocky, Ruthen. Gramm. 172; Verf. Stud. balt. IIL114#F. 


268 Erust Fraenkel 


gegenüber obésiti (aus *ob-vesiti) „hängen, henken, erhängen ’). 
Im Bulgarischen heißt „ich lause“ pésta, das aus *poisdg hervor- 
gegangen ist. 

Öfters ist noch die Kopfbezeichnung als Objekt von iskati 
bezeugt; vgl. serb. obiskati glavu neben biskati, pobiskati koga; 
das persönliche Objekt konnte sich bei den beiden letzteren aus 
dem Grunde besonders leicht einstellen, weil ihr ursprünglicher 
Sinn durch den b-Vorschlag verblaßt war. 

In allen genannten Sprachen sind für „suchen“ im allge- 
meinen andere Ausdrücke üblich oder konkurrieren zum mindesten 
scharf mit iskati; vgl. poln. szukać, woraus klruss. sukdty, ent- 
lehnt aus dtsch. suchen und im Poln. seit dem 15. Jahrhundert 
das ältere, nur noch in der Spezialbedeutung erhaltene iskad er- 
setzend*); čech. hledati „suchen“ : hledeti „sehen, schauen, sorgen, 
bedacht sein“, hlidati „hüten, warten, bewachen, pflegen“. Im 
Altéech., wo jiskati „suchen“ noch üblich ist, bedeutet hiddati 
neben „suchen“ noch „sehen, hüten, warten, trachten“‘); heute 
dagegen ist dieser Sinn für hledati, abgesehen vom Kompos. 
ohledati „beschauen, besehen, besichtigen“, nicht mehr üblich. 
Auch im Siidslav. sind für „suchen“ meist andere Ausdrücke als 
iskati im Gebrauch; daher serb. trážiti, eig. „der Spur nachgehen“ 
(vgl. trag „Fußstapfe, Spur“, trážiti se „Spur zurticklassen“), bulg. 
außer tráža noch dirja mit derselben Grundbedeutung (vgl. dirja 
„Spur, Fährte“). Iskam hat bekanntlich im Bulgarischen die 
gleiche Bedeutungsentwicklung durchgemacht wie ai. icchdmi. 
Wie dieses heißt es dort „wollen, wünschen, begehren“; pésta 
bedeutet außer „lausen“ (s. 0.) noch, an den ursprünglichen Sinn 
von iskati gemahnend, „langsam etwas befühlen, betasten, wo 
herumsuchen, durchstöbern, etwas langsam ausführen“ *). 

Auch die baltischen Sprachen fügen sich gut in den Rahmen 
dieser Darlegungen. Da im Lettischen meklét für „suchen“ üb- 
lich ist, das mit lit. meklintis (Zem. mieklintis) „nach etwas suchen, 


1) Nach dem Simplex und nach ovesiti „behängen, umhängen“ ist die mit 
letzterem synonyme, vom lautgesetzlichen obészti semasiologisch geschiedene Neu- 
bildung odvesiti im Cechischen entstanden. 

2) Brückner, Stown. etym. jez. polskiego 193. 557. 

3) Gebauer, Slovn. staročeský I 417ff.; über Aledeti vgl. auch Machek, 
Studie o tvoření výrazů expresivních 92. 

t) Zur Entstehung der letzteren Sinnesnuance vgl. einen Satz wie kakvo 
go postest! Barai pobrüzo! „wie langsam arbeitest du daran! Durchstöbere 
es schneller!“ 


Zu litauischen Mundarten. 269 


sich richten, über etwas nachdenken, etwas erwägen“ ablautet'), 
so ist in dieser Sprache iéskdt auf die Spezialbedeutung „den 
Kopf absuchen, lausen“ beschränkt*). Vergleichbar den geschil- 
derten serb. Verhältnissen, wird lett. iéskét noch öfters mit dem 
Akk. galvu verbunden‘). vistas ieskdjas heißt „die Hühner suchen 
einander die Federn ab“. Im Litauischen hat ieskéti zwar meist 
den allgemeinen Sinn „suchen* bewahrt; aber im Vilnagebiete, 
wo analog dem čech. hledati für „suchen“ meist veizdéti gesagt 
wird*), fungiert iesköti in der Regel wie lett. i2skät für „lausen“. 
Es kann wie das lett. Verbum den Akk. galvu regieren, kommt 
aber daneben auch ohne diesen vor; daher einerseits Gervėčiai 9* 
galvu iieskots, andererseits Dieveniskis 26, 2 pasitieskosin „wir 
wollen uns lausen“ und sedos anos tieskotsi „sie setzten sich zum 
Lausen nieder“. Auch in diesem Ort kann, wie Arumaa a. a. O. 
Anm. 1 bemerkt, galvu hinzugesetzt werden. Nur in Lazünai 
begegnet das Verbum für „suchen“ ohne Bedeutungseinengung; 
daher 39,7 ilgai ani iieskoio io ir visa negaléio rastsi = wruss. 
douga jani sukali jaho dy use ne magli znajci. 

Wieder liefert also das östlichste Litauisch eine wichtige 
Übereinstimmung mit dem Lettischen. 

Eine keltische semasiologische Analogie ist air. aiscid, escaid 
(Abstr. eascaith) „lausen“°). Dies Verbum ist eine Zusammen- 
setzung des mit griech. Ayeiodaı, lat. sägire, got. sokjan verwandten 
saigim „gehe auf etwas zu, suche auf“ mit dem Präfix ad-°). 
Pedersen a. a. O. zitiert auch ein volleres ic aiscid a chind „ihm 
den Kopf absuchend‘*. 


Kiel. Ernst Fraenkel. 


1) §. zuletzt FBR. 11, 54. 

2) Endzelin, Wb. s. v. und Arch. phil. II 44. 

3) Vgl. auch Mancel. Phraseol. Lett. 243 gkallwu eesskaht „den Kopf lausen“. 

4) Vgl. Gervėčiai 9, 7 sau daikt’äl’o veizdédama „sich einen Ort suchend*, 
13, 2 véiédétsie mesos „Fleisch suchen“, 18,1 visa suveizde „suchte alles zu- 
sammen“. Auch in Dieveniskis heißt veizdets (Praes. veimu) „suchen“ (Arumaa, 
Lit. mundarti. Texte aus d. Wun Gegend 26'). 

5) Thurneysen, KZ. LIX 18. 

6) Fick-Stokes II* 288; Brugmann, IF. XXVIII 286ff.; Meillet, BSL. XXIII 
84 ff.; Pedersen, Vgl. Gramm. d. kelt. Spr. II 606. 611; Thurneysen, KZ. LIX 2ff. 8. 


270 Ernst Fraenkel 


Zur Vermischung der -ö- und -«- Stämme im Baltischen. 


Bekanntlich wird im Verlaufe der Entwicklung der slavischen 
Sprachen die -u-Flexion mehr und mehr durch die -d-Deklination 
ersetzt. Dies wurde dadurch begünstigt, daß beide Deklinations- 
klassen im Nom. Akk. sg. masc. die gleiche Endung haben, und 
daß auch der Akk. pl. masc. in ihnen einen identischen Ausgang 
aufweist. Spurlos ist die -w-Flexion freilich im Slavischen nicht 
untergegangen; sie hat, abgesehen von Adverbialbildungen, in 
vielen slavischen Sprachen dem -ö-Paradigma sei es fakultativ, sei 
es unter Verdrängung der älteren Formen eine Reihe von Kasus- 
endungen beigesteuert’). Der Vokativ der -ö-St. auf -ju rührt 
davon her, daß sich unter diese manchmal ehemalige -iu-St. einge- 
schlichen haben °). Aus demselben Grunde endet auch der Vokativ 
der litauischen Nomina agentis auf -tojas (-tojis) auf -tojau. Doch 
wurde das Durchdringen dieser Form noch dadurch begünstigt, daß 
so ein Zusammenfall mit dem Zemaitisch und westaukstaitisch -toje 
gesprochenen fem. -toja vermieden wurde’). Aus dem Bestreben, 
einer Homonymie zu entgehen, erklärt sich, wie Niedermann, 
Festschr. Wackernagel 162 treffend bemerkt, auch der Loc. sg. 
von sienojas „Balken“, sienojuje (Lazdyny Peléda 3,4, neben sienojas, 
-jo, -ją in derselben Erzählung). Die reguläre Form wäre mit 
sienoje, Loc. sg. von siena „Wand, Grenze“, zusammengefallen. 
Über die Homonymenvermeidung im Sprachleben ist in letzter 
Zeit sehr viel gehandelt worden’). Für das Lettische hat dies 
Prinzip ausgiebig Endzelin, FBR. IX 8ff. zur Geltung gebracht. 
Ich erkläre hierdurch auch die Tatsache, daß von den beiden im 
Lit. für „leiden“ existierenden Parallelbildungen kesti und kentéti 


1) S. die Einzelheiten bei Vondrák II? 9ff. 40ff.; Meillet, Slave commun 
357 ff.; van Wijk, Gesch. d aksl. Spr. 170ff. 

2) Vondrák II? 4; Meillet, Slave commun 298. 307ff. 359; besonders MSL. 
XX 95ff.; van Wijk, Gesch. d. aksl. Spr. 169. 170. 

3) Sommer, IF. XLII 3241. | | 

*) Vgl. die Glotta XX 91 zitierte Literatur, dazu noch E. Hermann, Laut- 
ges. und Analogie 38ff. 56. 59ff. 128; für einzelne idg. Sprachen Thurneysen, 
KZ. LIX 13 (lat. Beispiel); Lohmann, ibd. LVI 64 (Beleg aus dem Russischen); 
Skok, Z. f. sl. Phil. VIII 404ff. 411°. 412 (solche aus dem Südslav.); Hujer, List. 
filol. XLVI 184 (über das Verschwinden von atech. sbozny „dives, felix‘, das 
zu acech. sbozie, heute zboží, ehemals „Reichtum, Habe, Besitz“, jetzt „Ware, 
Handelsobjekt‘, abg. bogat „reich“, ubogü „arm“ gehört, wegen Zusammenfalls 
mit sbozny, jetzt zbožný fromm, andächtig“, das zu sbohem „mit Gott“ nach 
Analogie des Gegenteils dezbozny aus bez boka gebildet wurde und an diesem 
eine Stütze fand); Vey, BSL. XXXII 67; Benveniste, ibd. 90 (iran. Beleg). 


Zur Vermischung der -ö- und -«-Stämme im Baltischen. 271 


das Lettische nur zu der ersteren eine Entsprechung bietet (ciešu, 
clest). Eine Formation auf -êt hätte bis auf den Intonations- 
unterschied dem von ciéts „hart“ (= lit. kietas) abgeleiteten ciétét 
„hart werden“ (= lit. kieteti Mosėdis, Salantai, kieteti Kvėdarna) 
geglichen. Im amerikanischen Litauisch wird nach Senn, Stud. 
balt. II 41. 49 nur käre für „Krieg“ gesagt, da das sonst sehr 
häufige käras dort in bedenkliche Nähe des aus engl. car „Wagen, 
Automobil“ entlehnten Homonyms geraten sein würde und so 
dem Mißverständnisse Tür und Tor geöffnet worden wäre. In 
den meisten litauischen Dialekten ist das alte sekti „sagen“, für das 
W. Schulze, KZ. XLV 288 und von der Osten-Sacken, IF. XXXIII 
219ff. 258 Belege geben"), durch das Iterativ sakyti wegen sekti 
„folgen“ ersetzt worden. Genau so kennt das Lettische wegen 
sekt „folgen“ nur sacit „sagen“. 

Vielfach können im Litauischen auch andere Kasus der -ö- 
Flexion außer dem Voc. sg. der -iu-Deklination folgen; daher 
finden sich auch Gen. sg. wie mokytojaus, teveliaus, sandariaus 
use, TL Im einzelnen ist nicht festzustellen, ob der -iö- oder o Dt 
ursprünglich ist. In den Dialekten R. 3, R.12., teilweise auch 
in Wp. wurde die Vermischung beider Stammklassen durch den 
lautlichen Zusammenfall von -ia(s) und -iu(s) in -i(s)*) begünstigt. 

Von brölis lautet nach Jablonskis? 19 der Voc. sg. neben 
bréit noch brolaŭ und bröliau. brolut hat sich im Akzent und 
dem Fehlen der Mouillierung nach snap gerichtet‘). sunaz rief 
dialektisch auch ein duktau hervor’). Es läßt sich nicht entscheiden, 


1) Vgl. noch Lazünai 35, 5 koku säkmi Seki = wruss. chlusict chto ja- 
kuju bajku, Valant., Prad. 28 bus pasakta (= pasekta). 

2) Bezzeuberger, Beitr. z. Gesch. d. lit. Spr. 97. 102; Stang, Sprch. d. lit. 
Katech. v. MaZv. 118; Leskien, Nom. 318. 327ff.; Meillet, MSL. XX 101; Jau- 
nius, Gramm. lit. jaz. 95; Jablonskis? 19; Būga, KS. I 6ff.; Gauthiot, Buividze 
38. 41ff.; Specht, Lit. Mundart. II 167ff. 179. 364. 399ff. 474. 

3) Būga a. a. O.; Specht II 158 ff. 350. 356 ff. 390ff. 419. 

1) Sommers Annahme, IF. XLII 325, eine direkte Einwirkung von sanat 
auf brolaŭ sei unwahrscheinlich, vielmehr sei nach dem Vok. des Deminutivs 
sünyti gegenüber sinat zu brolyti ein brolaŭ gebildet worden, ist mir ebenso 
unverständlich wie E. Hermann, Lautges. und Analg. 143. 

5) KZ. LIV 291‘; Ztschr. f. sl. Phil. IV 271°; IF. L 8°; E. Hermann, Laut- 
ges. und Analg. 141ff. Bei der Gelegenheit sei bemerkt, daß die Betonung moéé, 
mit der Hermann a a. O. operiert, ein falscher Ansatz Kurschats Lit. Gramm. 
3 741. 748 ist. Ihm waren, wie er an der letzten Stelle und im Lit.-dtsch.Wb., 
wo er richtig móté akzentuiert, selbst zugibt, nur die Erweiterungen moterä, 
moteriske aus dem lebendigen Sprachyebrauche bekannt. mdté bestätigen Daukša, 
Ruhig, Mielcke (vgl. auch den Metaplasmus moteris sowie mötyna und s. Būga, 


272 Ernst Fraenkel 


ob bröliau, das gleichfalls existiert (vgl. Wz., S. 251,1; 273,5 und 
Specht I[ 431), ein selbständiger Metaplasmus wie die von Nieder- 
mann, Festschr. Wackernagel 161ff. angeführten Dievuliau usw. 
oder eine Normalisierung von brolaŭ nach dem übrigen Paradigma 
von brélis in lautlicher und akzentueller Beziehung ist (s. auch 
Sommer, IF. XL11325. 326 Anm.). 

Seit alter Zeit flektieren im Litauischen die -u-Stämme im 
Plural nach der -76-Flexion. Die Wolfenbüttler Postille weist noch 
die ursprünglichen Nom. pl. auf -ius wie kryZius, karelius, neprietelius 
usw. auf (Gaigalat, MLLG. V 128).- Auch haben sich bis auf den 
heutigen Tag adverbielle Formen wie krgziumis „kreuzweise“ er- 
halten (Jaunius 107, Jablonskis ° 24). 

Im Lettischen gehen die mask. -u-St. im Plur. jetzt nach 
der -6-Deklination. Plurale auf -us sind nur feminin. Diejenigen 
Mask. auf -us, neben denen es Plurale auf -i gibt, weisen auch 
im Singular Nebenformen nach der -ö-Flexion auf; daher kruög(u)s 
„Krug, Schenke“, tirg(u)s „Markt“ ’). 

Uber die Vermischung von harten -ö- und -w-St. in litauischen 
Mundarten belehrt besonders Specht’). Er gibt Beispiele aus den 
Dialekten R. 3, R. 2, R. 12, Wp., Wz. und den Zemaitischen Zr. 
und Zt. Sehr gewöhnlich ist vielerorts die Ersetzung von Formen 
der -u- durch solche der -ö-Deklination; daher in R. 3 Loc. sg. 
dun’gi, Instr. sg. súni LA = schriftlit. -u), in R. 2 Gen. sg. wie 
sina, Zmöga, liéta, donga neben dofigds (= dangaüs), in Wp. Instr. 
sg. auf -u wie löetü (S. 266, 21) neben -um (wirszum 262, 17), Dat. 
pl. sund@ms (251, 26) usw. Aus dem östlichsten Litauisch mache 
ich auf die Verhältnisse in Buivydžiai aufmerksam, wo die -u-St. 
im Plural ganz, im Singular im Lokativ und fakultativ im Genetiv 
in die -ö-Flexion übertreten®). Auch in Užpaliai (Dial. R. 6) lautet 
der Plural von sznüs etc. sauna? usw.*). In Zietela (Wilnagebiet) 
treffen wir nebeneinander Sg. lietus und Plur. lietai (53, 8), in 
Lazünai (ebenda) Plur. sänai (35, 4, dreimal) an. In den Zemaitischen 
Mundarten ist die -ö-Flexion der -u-St. in der Regel auf den 
Instr. sg. und den gesamten Plural (und Dual, soweit er vorkommt) 
Arch. phil. II 39ff.; Endzelin, FBR. XII 182ff.; Skardžius, Arch. phil. III 197). 
Uber das von E. Hermann unrichtig beurteilte gaidaŭ „mein Lieber“ s. IF. 
XLIX 153; Endzelin, FBR. XII 183. 

1) Endzelin, Lett. Gr. 325ff., a. a. O. 327ff. über mundartlichen Schwund der 
-u-St. im Singular. 

*) Lit. Mundart. II 168. 179. 319. 347. 355. 364. 400. 430. 474. 


3) Gauthiot, Parler de Buividze 41ff. 
4) Doritsch, Beitr. z. lit. Dial. CLXXXIX. 


Zur Vermischung der -ö- und -«-Stämme im Baltischen. 2973 


beschränkt‘). Hier stimmen die Verhältnisse also zum Lettischen; 
vgl. süna?, pietai usw., su dum sungm Valané., Prad. 70, Instr. sg. 
žmogu (Zt., S. 354, 5; 356, 20; 373, 20) usw.*). In adverbialen 
Instr. pl. wie virsumis „oberhalb“, pietumis „zur Mittagszeit“ hat 
sich auch Zemaitisch das Alte erhalten (s. noch o. über das auch 
zemaitisch vorkommende kryZiumis ,kreuzweise“). Ebenso bleibt im 
Lettischen der Instr. sg. auf -wm in adverbialem virsum, während 
er sonst dort nach den Fällen, in denen Akk. und Instr. sg. über- 
einstimmen, auf -u ausgeht (Endzelin, Lett. Gr. 326). Auch im 
Alit. begegnen Instr. sg. wie sänu, žmogu, Instr. pl. wie sänais 
(Bezzenberger, Beitr. 124ff. 141). Nach Specht, KZ. LVII 290 hat 
Bretkun diese aus dem Memeler Zemaitischen. 

In vielen litauischen Dialekten endet der Loc. pl. der -u-St. 
auf -wose neben und anstatt der Endung -use, -use °). 

Seltener ist der Ersatz der -d- durch die -u-Deklination. Aus 
dem Altlit. wären zu erwähnen ponuie, Diewuie, Tiewuie, Sunuie 
ir Tiewuie usw., wissumi bei Bretkun, plibonuie bei Laz. Sengstock, 
Ench. 74 (fehlt bei Willent), Instr. pl. po apekunais ir po priewais- 
dumis Willent, E. E. 55, 28 (= Galat. 4, 2), tuomi ponu vel ponumi 
Univ. Lit. 5; vgl. auch Malch. Pietk. (Arch. XIII 565) ponum gi 
sawo wadinam; Diewumi susimitstanciu; teysumi ir Cıstumi busi. 
Die Bibelübersetzung Chylinskis liefert Voc. sg. wirau (Reinhold, 
MLLG. IV 268). 

Was neuere Texte anbelangt, so zitiert Specht II 400 aus 
der vom Bischof Giedraitis verfaßten Übersetzung des Neuen 
Testaments, um nur die Belege der unmouillierten Nomina zu 
nennen, Dievuje, tévuje, mieguje, pitvuje. Es ist charakteristisch, 
daß die anderen Kasus dieser Wörter von Giedraitis in der ge- 
wöhnlichen Weise gebildet werden; vgl. Matth. 27,43 turdjo viltį 
Dievuje neben esmi sūnumi Dievo, Joh. 10,38; 14,10. 11 Tevas 
manyje yra o aš Tévuje. Aus Jasykiewicz Pamokstaj pagat evan- 


D Jablonskis? 24, Jaunius, Gramm. lit. jaz. 107. 

23) Eine Nachprüfung der von Specht II 474 aus Zr. und Zt. angeführten 
Stellen bestätigt dies Resultat; s. noch Stang, Iit. Katech. v. MaZv. 116; Specht, 
KZ. LVII 290 (über Zemait. bei Bretkun). Auch Daukantas und Valančius zeigen 
denselben Sprachgebrauch. Wenn mir gelegentlich bei Valančius Akk. sg. wie 
dangą Prad. 25. 30, skajtlq 32, zmogq 273, turgq Žem. Vysk. 11234! (: N. sg. 
turgus ibd., N. pl Zurgaj 10355. 116%. 23519) begegnet sind, so ist überall a 
herzustellen, da % und a im Drucke dieser Ausgaben wegen der Ähnlichkeit 
der geschriebenen Zeichen auch sonst oft verwechselt sind. 

3) Jaunius 77; Jablonskis? 24; über das Altlit. Bezzenberger, Beitr. 146; 
Specht, Szyrwid-Ausgabe 31. 

Zeitschrift für vergl. Sprachf. LXI 3/4. 18 


274 Ernst Fraenkel 


gelios szwentos žodžių (Wilna 1855. 1857) belegt Specht tiewum(i) 
und Diewum. Aus modernen Mundarten lassen sich anführen 
Gen. stogos (= -aus) R.3, S. 80, 30, pastutytus nam’äle ibd. S. 88, 14, 
téwum Wp. S. 230, 6 sniegus = sniegai „Schneemassen* in Lazünai 
34, 3 Arum. R. 1 Žž., S. 194, 28 begegnet der Direktiv taxkun 
„heraus“. Aus dem Zemaitischen notiere ich Valané., Prad. 10 
sunus Diewa budamas nug qméziu be pradžios Diewumi — uZgimes 
ira kartu Diewu ir žmogumi „der Sohn Gottes, der seit Ewigkeiten 
Gott ohne Anfang ist, — ist zugleich als Gott und Mensch geboren 
worden“, ferner Valané., Zyv. Jez. Krist. 15 o žodis stojosi kunumi = 
soi A Adyos aagé éyéveto (Joh. 1, 14). 

Durch die gleichen Endungen verschiedener Kasus in beiden 
Deklinationsklassen (Dat. Sg., Akk. Plur., Nom. Akk. Du., wozu 
in den östlichen Dialekten wegen des Übergangs von a in -u 
noch der Akk. Sg., in R. 2 wegen der Synkopierungen der Vokale 
von -as, -is, -us °) der Nom. Sg. sich gesellen) war die Vertauschung 
der A. und -u-St. besonders leicht. Dazu kommen Fälle, wo 
vielleicht von jeher beide Flexionen nebeneinander hergingen. 
So ist der -u-St. ledus „Bis“, der in verschiedenen lit. Mundarten 
auftritt, wegen lett. ledus und des sowohl nach der -ö- als nach 
der -u-Deklination gehenden slav. ledi*) genau so alt wie /ödas, 
Plur. ledai. Daß viele Adj. zwischen 3 und -u-Deklination 
schwanken, ist bekannt’). Daß so häufig der Metaplasmus nach 
den -u-St. im Instr. sg. eingetreten ist, mag durch das Neben- 
einander von pronominalen tuom?, Zong), juomi, kuom und tuð, 
Siud, juð, kuö gefördert worden sein. Die Erweiterung der Instr. 
sg. der Pronomina schreibt sich von der Tendenz, einsilbige 
Formen zu meiden, her. Im Loc. sg. wandte man gern -we statt 
-e z. T. wohl aus dem Grunde an, weil so ein den volleren Formen 
der Loc. sg. anderer Stammklassen entsprechender Ausgang her- 
gestellt wurde. Ob alit. paneie, Dieweie, tieweie*), Zemait. Dieveje 
(Memel nach Kurschat $ 502. 528) usw. ebenfalls dem Streben 
nach größerer Klarheit zu verdanken sind, härgt von der Auf- 
fassung ihrer Endung ab, worüber ich mich hier nicht weiter äußern 


1) Specht II 303ff.; Gerullis, Lit Dialektstud. 58 ff. 

2) Berneker, Etym.W». I 699: Gebauer, Mluvn. III, 1, 329; Meillet. Et. 243; 
van Wijk, Gesch. d aksl Spr. 1173. Lit. ledus ist Zemaitisch und ostlitauisch 
(s. Verf., Stud. balt. II 85). 

3) Leskien, Nom. 244if. 556if.; Bezzenberger, Beitr. 97. 101ff., Specht, 
Szyrwid-Ausgabe 31 ff. 

_‘) Bezzenberger, Beitr. 133; Gaigalat, MLLG. V 128; Stang, Lit. Katech. 
v. MaZvyd. 103 ff. 


o= 


Zur Vermischung der -ð- und -«-Stämme im Baltischen. 275 


will‘). Jedenfalls sind die von Jaunius 82 (s. auch Jablonskis * 164) 
zitierten namieje, tolieje aus namié, tolié nach den Loc. sg. auf 
-je erweitert worden (s. auch Būga bei Jaunius a.a.O. Anm. 2). 
Das von Kurschat § 528 aus Papilys (Dial. R. 3) angeführte name 
steht nicht, wie er behauptet, für naméj, sondern für schriftlit. 
namié. Wird doch in dieser Mundart ie unter dem Dehntone im 
Auslaut monophtongisiert (Gerullis, Lit. Dialektstud. 70, Nr. 6, 
wo eigens namae erwähnt ist‘). 

Natürlich spielt auch die Bedeutungsverwandtschaft eine nicht 
zu unterschätzende Rolle bei der Vermischung der -u- und der 
-6-Deklination. So konnten sich tévas und sénus als Verwandtschafts- 
wörter leicht gegenseitig beeinflussen (vgl. auch Endzelin, KZ. L31; 
Specht 11103 über alit. saniep nach teviep). Auch Dievas und 
Zmogus stehen sich oft gegenüber, was besonders schön Valané., 
Prad. 10 (s. 0.) veranschaulicht, wo Diewumi neben älterem Diewu 
und žmogumi kontrastieren. Auch das von Schleicher, Gramm. 293 
erwähnte Dievump dürfte seinen Ausgang von Zmogump (Sirv. 
PS. I 149, 12; 11255, 9) bezogen haben *). Ponas „Herr“, das ständiges 
Beiwort von Dievas ist, zeigt gleichfalls seit alter Zeit Loc. und 
Instr. sg. auch nach der -u-Deklination. wirau bei Chylinski, 
2. Kin. 1, 9. 11. 13 hat sich nach žmogau gerichtet. In der Tat 
hat die Bibelübersetzung des Bischofs Skvireckas (Kaunas 1921) 
an der Stelle in Übereinstimmung mit dv$ow@ne Feoö der Septuaginta, 
homo Dei der Vulgata Dievo žmogau, während Kurschat im Anschlusse 
an Luthers Mann Gottes Dievo vyre bietet. distumi bei Malcher 
Pietk. steht unter dem Einflusse des ihm benachbarten teysumi. 
Dazu kommt das echtlit. Synonymum von čğstas „rein“, $svarüs. 
Wie sniegus entstanden ist, lehrt die aus Lazünai angeführte 
Stelle, wo es heißt: sniegus iau pragaiso, ladus rastoio = poln. 
sniegi już zniknęły, lody stopniaty. sniegus „Schneemassen“ ersetzt 
also sniegai wegen ledus „Eis“ neben ledat (s.0.). taùkuń des 
Dialekts R. 1 2. ist seinem Gegenteil vidun „ins Innere, hinein“ 
gefolgt, genau wie im Lettischen der Loc. sg. la@ka „draußen, 
hinaus“ in Wenden wegen vidă „mitten inne“ einem lauki das 
Feld geräumt hat (Endzelin, Lett. Gramm. 458, Verf., IF. XLV 84). 


1) S. über derartige Formen Zubaty, IF. VI 284. 287ff.; Specht II 103; 
Stang, Lit. Katech. v. MaZvyd. 103#f. 
2) In dem von Specht I 114ff. aus Papilys veröffentlichten Märchen finden 
wir denn auch oe, ¢(i)é, kur(i)e. katrii)e, pre, one, 3ird(i)es. 
3) E. Hermann, Lautges. u. Analg. 83 schreibt weit weniger passend die 
gelegentliche Abirrung vun Dievas in die -#-Flexion dem Einflusse von dangüs zu. 
18* 


276 J. Endzelin, Li. nuo-du „uns beide“ und reflexives -sei „sich“. 


Lautges. u. Analg. 167 bemerkt E. Hermann bei Gelegenheit 
von ele. weds, das zum Gen. unvös nach Zeig zu Znvög erwachsen 
ist '), daß zwar kein semasiologischer Zusammenhang zwischen 
beiden Wörtern zu entdecken ist, die Angleichung sich jedoch 
aus der Isoliertheit des Flexionstypus von Zeds erklärt. 

Wie ich ergänzend bemerke, läßt sich hiermit bis zu einem 
gewissen Grade der im Rgveda beginnende Geschlechtswechsel 
des ursprünglich nur maskulinen dyaus „Himmel“ vergleichen. 
In vedischer Zeit werden nämlich nur die Kasus des Worts feminin 
verwendet, die auf entsprechende von gaus „Kuh“ reimen (daher 
außer dem Nom. sg. noch Akk. sg. dyām, Nom. pl. dydvah), bzw. 
diejenigen vom schwachen Stamme div-, die speziell diese Formen 
ersetzen. Erst in der nachvedischen Epoche ist das Subst. durch- 
gängeg feminin geworden*). Allerdings schien mythologischem 
Denken, das die mätd dyauh als mahi gauk faßte, doch ein ge- 
wisser Bedeutungszusammenhang zwischen beiden Begriffen ob- 
zuwalten. Neben gauh hat natürlich, wie J. Schmidt, Pluralbildg. 207 
und Delbrück, Vergl. Synt. I 122 angenommen haben, auch prthiv? 
„Erde“ das feminine Geschlecht von dyauh gefördert (Wackernagel- 
Debrunner, Ai. Gramm. III 221 ff.). 

Kiel. Ernst Fraenkel. 


Li. nuo-du „uns beide“ und reflexives -sei „sich“. 

In Lietuvių Tauta (Lietuvių Mokslo Draugijos raštai) III 411 
bis 450 sind zwischen 1886 und 1894 im Schaulenschen Gebiet 
aufgeschriebene Hochzeitslieder veröffentlicht, die ein paar sehr 
merkwürdige Formen aufweisen. S. 417 (Nr. 16) sagt ein Mädchen 
zum Geliebten: „teip nuodu jaunus sviets kalbelem dauža“, wo nuodu 
offenbar nur „uns beide* bedeuten kann, vgl. aksl. na, gr. vo, 
av. nd, ai. nau mit der gleichen Bedeutung. 

In meiner Le. Gr. S.707f. habe ich das li.-le. Reflexivum -si-, 
-s(i) auf ein *sei zurückgeführt. In den oben erwähnten Schaulen- 
schen Liedern finden sich nun tatsächlich die verbalen Reflexiv- 
formen rüpinosei „war(en) besorgt“ S. 417 (Nrn. 14 und 15) und 
mainosei (zweimal) „ändert sich“ S. 446 (Nr. 115). 

Als Druckfehler oder Neubildungen sind nuodu und -sei an- 
scheinend nicht zu erklären. [Zu -sei s. jetzt Arumaa, Unters. z. 
Gesch. d. lit. Personalpr. 21. KN.] 

J. Endzelin. 
~~ 4) Solmsen, KZ. XXIX 62. 


*) Wackernagel, Gl XLV 67ff.; Ai. Gramm. ITI 220ff., als Ergänzung und 
Berichtigung der Ausführungen Zimmermanns, Gl. XIII 80ff. Yöff. 


va wë" 


F. Specht, Griechische Miscellen. 277 


Griechische Miscellen. 
1. Kyren. Aeßva». 

In einer der neugefundenen kyrenischen Inschriften (Solmsen- 
Fraenkel 39 A.) erscheint der Name Libyens im Akkusativ als 
AeBiav. Devoto hat in seiner Darstellung des kyren. Dialektes, 
Riv. di fil. (1928) VI 365ff. die Form nicht erwähnt. Der ein- 
zige, der sich meines Wissens damit beschiftigt hat, ist Kretschmer, 
Glo. XVIII 211. Er erinnert an die Schreibung Teß&oros neben 
Tiberius und sieht in der Wiedergabe mit e die einheimische Form 
des Namens, in der offenes i durch e bezeichnet wird. Aber die 
beiden Wörter Teß&orosg und Aeßóav haben nur das eine gemein- 
sam, daß sie einen fremden Namen griechisch wiedergeben. Sie 
liegen jedoch zeitlich und räumlich zu fern, als daß man sie 
unmittelbar vergleichen könnte’). 

Viel näher liegt es, bei der Doppelheit Aıßúņ, Asßva, an die 
gleiche Erscheinung bei dem Wort für die „Gurke“ oxda, olxvos, 
olxvs gegenüber oexova' oda Hes.*), 7 Sixvayv Lexvov naga 
Sixvwviows (Apollonius de adv. 555 = Schn. I 14490) und die in- 
schriftlichen Sexvwrior, Sexvwvi(wy) (Collitz-Bechtel 3162, 3167, 
3169) zu erinnern. 

olxvs hat seinen nächsten Verwandten in altbulg. tyky „Kür- 
bis“, das auf Gm der Wurzel weist. Auch durch lat. cucumis 
und Hesychs xúxvov: tov oteudn ` xvxýiaæ: yhuxeia xoAduvyta wird 
diese Vokalisierung bestätigt (Walde-Hofmann, Lat. etym. Wört. 
299). Dann kann oéxvg nur durch Dissimilation aus *odxvs') 
entstanden sein, da das Griechische die Lautfolge u — u nicht 
liebt, vgl. z. B. Güntert, Ablautprobl. 40. Das hat mich veranlaßt, 
auch Aıßön auf *Avß6n zurückzuführen. H. Bauer, den ich bat, 
sich einmal im Semitischen umzusehen, wie weit dort noch Formen 
mit u in der Wurzelsilbe vorhanden sind, verwies mich auf alt- 
testamentliches mwa% und arabisch Lubi. Wenn ferner H. Lewy 
ob. LIX 183 mit seiner Deutung von AcdvBy, AtAdBaroy im Recht 
ist, so wird auch durch diese Wörter eine ehemalige Form Lub- 
sichergestellt. 

Mit ArBdn, AeBda, oında, oexda steht ferner auf gleicher Linie 
wıdvods und wédvea: widveos Hesych, das wohl auf Aischylos’ 


1) Kretschmer verweist mich brieflich weiter auf die Hesychglosse o#Aro» 
olAgiov. Vgl. Catull VII, lasarpiciferis iacet Cyrenis und Kretschmer, Griech. 
Vas. 14. 2) Ahrens, De Gr. ling. dial. II 120. 

3) Ganz anders über ofxvs Brugmann, IF. XXXIX 141f. 


278 F. Specht 


Hik. 1043 zurückgeht. Dann müßte die Grundform wieder pudv- 
eds sein (Güntert a.a.O.; Prellwitz, Etym. Wört.*518). Wie be- 
reits nach dem Scholion zu Theokrit I 1 im Altertum angenommen 
wurde, liegt dem Worte eine Interjektion zu Grunde: wıYvoiße» 
tıv&s Övouaronoisiodal paoiw, ws tO „xolxe dë Cvydy (= I 470) 
xai tò „ole dë Öpdaiuds“ (= ı 394)"). Auch Schwyzer, ob. 
LVIII 174 geht von einer Interjektion aus, setzt sie aber als 
yitt(a), wutt(a) an, neben denen mit andrer Artikulation des 
Schlußkonsonanten auch yd-, wv- gestanden haben. Aber fast 
alle Ableitungen weisen auf yd. Vgl. die Hesychglossen yw- 
Gouévwv: yoyyvldrvtwrv. wödıos‘ doa, ddlyn, wıdvois. dude: 
ugoe, weddos. wudaves: didBodor. wudvotds: yrdverotds. Das 
letzte hat H. Stephanus der alphabetischen Reihenfolge wegen 
in wudiords korrigiert. Unbedingt nötig ist die Änderung aber 
nicht. Dazu kommt Theognost 26, 20 wúðios: wldvoos: widtueos, 
ferner Scholion zu Theokrit 11 ote yao widve widvoos a> udotve 
ndorvoos ... tò dé widvo nagok tò Witos, 5 onpalver thy Aotdo- 
olav ... und ähnlich Etym. Magn. 818, 56. Vor allem läßt auch 
das bei Aischylos nicht seltne wúðos, das die Alten zu peddoc 
stellen, mit seiner auffälligen Tiefstufe auf Herkunft von einer 
Interjektion schließen.. Das gleiche gilt von dem völlig isolierten 
Präteritum Zen ` éwedoato Hes. Diesen Bildungen mit yvð- 
gegenüber findet sich yı9- in der Regel nur dann, wenn ein v 
in der folgenden Silbe steht. Schließlich hat bereits Ruhnken in 
der Schreibung or der Hesychglossen ooidng‘ widvoos, hator, 
didBodos. afaJoldns‘ dtdBodos, Arrıxoi. AdAos, orwudios. doing: 
Joe - dAdfwy ursprüngliches v erkannt. Dem anlautenden o neben 
y wird man wieder am besten gerecht, wenn man von einer 
Interjektion ausgeht”). Allein auf Grund von qddves: dıdßoloı, 
widveo Hes., wiöwv, wiöwvog Theognost 31, 29 und Suidas wird 
man vielleicht mit Schwyzer mit einer Interjektion yd- neben 
wud- rechnen können”). Die Interjektion oi ist dann im An- 
schluß an Adjektiva, die einen lautlichen Vorgang bezeichnen, 
wie xıvvoös, pivvoeds, Gufuode, Atyveds (vgl. Schwyzer ob. LVIII 
174) zu wdidveos, widveds geworden. 


1) Ähnlich Etymologicum Gudianum 574, 17, auf das C. Wendel verweist. 

?) Uber anlautendes s neben ps bei Interjektionen s. Schwyzer ob. LVIII 
172. und G Meyer, Griech. Gr.? 312. 

3) Auch an die ai. Interjektion phut neben phut und phüt sei dabei er- 
innert, die in der Verbindung phutkaroti „blasen, schreien, kreischen“, pheet- 
kära-, phutkäravant „zischend* im Gebrauch ist. 


Griechische Miscellen. 279 


Eine Erklärung bedarf noch der Gegensatz zwischen 3 in 
widvods usw. und ô in wédvoa, widdves und widwres. Nach dem 
Sprachgefühl der Alten gehören witos und weddos eng zusammen. 
Vgl. z.B. Scholion zu Theokrit 11 tò è oo zò tod weüdos 
anoßoAN tov e xal root Tod 6 eis 3, widosg xal widos und C. 
Wendels weitre Nachweise zu der Stelle. Es liegt daher die An- 
nahme nahe, daß die seltneren Bildungen mit ô durch weödog 
und Verwandte beeinflußt sind’). 

Diesen drei Paaren AsBin, Aeßúa; ota, cexta; wedveds, 
we£övge, in denen die dem griechischen Ohre nicht genehme Silben- 
folge v— u bald zu ı— u, bald zu e — u dissimiliert worden ist, 
kann man vielleicht noch zwei weitre Fälle anschließen. Von dem 
Eigennamen 3iovpog läßt sich das durch Hesych überlieferte øg- 
ovpos: mavoveyos nicht trennen. Brugmann hat in einem nach- 
gelassenen, unvollendeten Aufsatz IF. XXXIX 143 dieses oi- dem 
ai. tuvt- gleichstellen wollen. Mich haben seine Ausführungen 
nicht überzeugt. Jedenfalls könnte dann o7- nicht mehr wie øs- 
in o&ovpos Reduplikationssilbe sein. Zu einer solchen verschie- 
denen Beurteilung dieser ähnlich lautenden Silben wird man sich 
aber nur schwer entschließen. Ich sehe in o in Siovgos und 
in øg- in o&ovpog Reduplikationssilbe. Wer mit Danielsson, Zur 
metrischen Dehnung 13ff. an die Dehnung dreisilbiger Wörter 
mit drei kurzen Vokalen und schließendem Konsonant glaubt — 
und in beschränktem Male wird man damit rechnen müssen —, 
kann Siovpos für Siovpos etwa wie dv&oos für &véoos deuten. 
Die Etymologie des Wortes ist unsicher. Wer es mit Brugmann, 
IF. XVI 499f., XXXIX 143 mit oopds verbindet, könnte auch 
unter Berufung auf &niooopog in Thera (Coll.-Becht. 47061008.) 
annehmen, das lange i in Siovpog sei falsche Schreibung für 
* Sıoovgpos, so daß sich dann * Sicovgos zu o&ovpog verhielte wie 
etwa 2&£oovro zu éeoddn*. In beiden Fällen muß man an ein 
Fortleben der durch das Epos überlieferten Form auch im spätern 
Griechisch glauben. Das gilt selbst für den Dialog in Aristophanes’ 
Ach. 391 ungevas tag Siodqov*). Auch die Dehnung im Genitiv 

1) Ganz anders über e und 6 in wédvea v. Blumenthal, Hesychstudien 13, 
der in beiden Lauterscheinungen messapischen Einfluß sieht. 

3) &&eoödn ist freilich aus metrischen Gründen veranlaßt. 

3) Ganz regelrecht war die Dehnung in dem Adjektiv 2:odvgzos, vgl. das 
Epigramm aus dem 2. Jahrh. a. Chr. n.: 

Neduarı Zıovpins Bovins napa yednarı nnyav 
*PnyiAiav u’Eoogdıs, eixdva owpgeocúrys 
Corinth, Results of excavation, vol. VIII, part I (1931) Nr. 86. 


280 F. Specht 


Siodpov (Theognis 7C2) scheint bei einem dreisilbigen Wort, dessen 
beide erste Silben kurz sind und deren letzte auf langen Vokal 
oder Diphthong auslautende Silbe vor anlautendem Vokal ver- 
kürzt wird, nach den Ausführungen Danielssons a. a. O. 30f. in 
sehr beschränkten Maße möglich zu sein. Demnach könnte auch 
bei dem Paare Stovgoc, oéovgos die Grundform *odovpos ge- 
lautet haben. 

Auf ein u in der Reduplikationssilbe könnte schließlich. auch 
TETÚOXETO: nateonevdbero; tetdonwy éugavitwy Hes. neben son- 
stigem ttéoxeto weisen. An und für sich wäre auch die An- 
nahme denkbar, daß der Reduplikationsvokal im Präsens bald i, 
bald e gelautet habe. Das würde zu Meillets Ausführungen, MSL. 
XII 215 stimmen, der sich dafür auf ai. sisakti neben sdscati oder 
vivasti neben vavdksi beruft. Aber für das Griechische läßt sich 
é in der Reduplikationssilbe nur ganz spärlich nachweisen. éloxey 
hat durch W. Schulze, ob. XLIII 185 seine Erklirung gefunden. 
Ähnlich wird man dedioxouaı beurteilen müssen (Brugmann, IF. 
XXX VII 125). yeywvéw und yeywvioxw sind erst zu dem defek- 
tiven y&ywva neu geschaffen worden. So bleiben nur rereulvo, 
reroaualvw') und versprengte Glossen, wie neplaleı: Bodle Hes., 
néxder’ xadei, xehever (Lobeck, Rhem. 111f.), BeßAeıv: ueileıv; 
Beßileodaı: ueAleıw, qpoovtitew Hes., BeBoevduduevoy: naga “In- 
navaxt 6oyıböusvov Hes. (= frg. 109 Bergk). Andrerseits ist man 
heute nicht sehr geneigt, alten a Vokal in der Reduplikationssilbe 
des Präsens bei u-Wurzeln anzuerkennen. Wenn man aber be- 
denkt, daß das Griechische u als Reduplikaticnsvokal nicht be- 
wahren konnte, da das u der folgenden Silbe zur Dissimilation 
des vorhergehenden Vokals führte, das Arische aber neben dem 
Griechischen für u-Reduplikation im Präsens fast allein in Frage 
kommt, so gewinnt das Zeugnis des Arischen doch erhöhte Be- 
deutung. Jedenfalls ist bei intensiver Reduplikation, wie in zog- 
púgw, lat. murmurare u.a. u als Reduplikationsvokal mit Sicher- 
heit belegt. Die Verwandlung der Gutturale im Ai. zu c und j 

1) Dazu vgl. man tétgouos. Es scheint so, als ob die Herausgeber heute 
teroeualveı bevorzugen, obwohl man doch bei solchen Bildungen Tiefstufe er- 
warten sollte, 80 Kaibel und Kock (II 468 frg. 4) bei Xenarch aus Athenaios 
XII1569¢. Die Überlieferung weist aber bei Athenaios mit Sicherheit auf rerea- 
nalveı. Dasselbe gilt für Hippokrates (Littr. VIII 312 de muliebr. II 139). M. 
Schmidt hat daher auch mit Recht im Hesych retoaualver’ tognet, popeta: 
für tiberliefertes zergauevn hergestellt. Die falsche Schreibung zergeualver ist 


durch das synonyme roguet hervorgerufen. Vgl. noch Moeris: rergeualvew 
"Attinol, toguew “EAAnves. 


Griechische Miscellen. 281 


auch vor u ist deshalb bedeutungslos, da es Nachahmung der 
zahlreichen Fälle ist, in denen ¿ und e Reduplikationsvokal waren. 
Ich glaube daher, daß man bei u-Wurzeln schon im Idg. mit Re- 
duplikationsvokal u im Präsens neben i rechnen muß’). Da ferner 
titvoxeto, tetvoueto die einzige u-Wurzel des Griechischen mit 
Präsensreduplikation zu sein scheint’), so halte ich die Herleitung 
der beiden Formen aus *tutdoxeto für wohl erwägenswert. 

Die vorgeführten Beispiele Aıßönv, Asßvav; ode, Eden ` 
widueds, wédvoos; Ziavpos, o&ovpog und vielleicht auch zirvoxero, 
tetvoxeto stützen sich gegenseitig und zeigen eine verschiedene 
Art der Dissimilation der für das Griechische ungewöhnlichen 
Lautfolge u— u zu i— u oder e— u’). Die beiden ersten Fälle 
mit e— u scheinen für das Dorische charakteristisch zu sein. Bei 
den andern fehlt die Möglichkeit einer Kontrolle. Jedenfalls halte 
ich den Versuch Hirts, IF. II 149 Anm. í € neben ı im Namen 
der Gurke auf phrygischen Einfluß marek EE durch nichts 
fur erwiesen. 

2. *paodw. 

In seinem ausgezeichneten Buche iiber die Nomina postver- 
balia in den altgerm. Sprachen ist Wißmann am Schluß auch auf 
die idg. Grundlage dieser Deverbativa eingegangen und hat S. 203 
auf Grund der Gleichung germ. borön, griech. pagdw angenommen, 
daß die Verba mit Schwundstufe schon vorgermanisch bestanden 
haben müssen. Die Tatsache an sich will ich nicht bezweifeln. 
Aber wenn meine Ausführungen DLZ. 1932, 542ff. zu Recht be- 
stehen, so folgt daraus für die Verwandtschaft der idg. Sprachen, 
daß jede Gleichung, die das Griechische mit irgend einer uns be- 


1) Dahin könnte das von Bartholomae, Grundr. ir. Phil. 11, 53 erwähnte 
av. zizuste „er genießt“ hinweisen. 

2) Außer zırdoxero wüßte ich nur noch das hellenistische, aus einer delph. 
Inschrift Sa. 1899, 13 und aus dem N. Test. bekannte évdiddoxecy und das ganz 
anders geartete nıpadoneı (ob. LIX 62) zu nennen. 

3) Ein weitres, allerdings unsicheres Beispiel möchte ich nicht übergehen. 
Bei Hesych stört xexdun" naund/n die alphabetische Reihenfolge. Man hat es 
daher in xexdvn geändert und mit einer andern Glosse, die als xsıxd»n' ovnd- 
fevos überliefert ist, verbunden. es in xeıxövn ist nun falsche Schreibung für ç, 
wie xlxvva bei Theognost 1017 lebrt. Um die beiden Glossen auch sachlich 
zusammenzubringen, hat man an einen Stock gedacht, der aus dem Holz des 
Maulbeerbaums hergestellt ist. Wir hätten dann also ein Adjektiv x&xvvos 
„krumm“ und ein Substantiv x/xvva, das bei Theognost ausdrücklich als Pro- 
paroxytonon erwähnt wird. Ist die Zusammengehörigkeit beider Glossen richtig, 
so könnte man wieder von *xdxvvos ausgehen, wo u — u in verschiedener Weise 
dissimiliert wurde. 


282 F. Specht 


kannten idg. Sprache teilt, gemeinidg. sein muß, während etwa 
Gleichungen zwischen Germanisch und Italisch einer späteren 
Periode angehören können. Da die Ausbildung der Deverbativa 
auf -@ in den meisten Typen vor allem im Ital., Germ. und Balt.- 
Slav. vor sich gegangen ist, also in denjenigen Sprachen, die 
auch sonst merkwürdige Beziehungen unter sich zeigen, welche 
auf eine spätre Periode der idg. Sprachentwicklung weisen (DLZ. 
1932 a. a. O.), so hat die Gleichung borön — papdw von vorn- 
herein nicht viel Bestechendes. 

In Wirklichkeit gibt es gogo überhaupt nicht, obwohl es 
Handbücher wie Boisags Etymologisches Wörterbuch oder Walde- 
Pokorny, Vergl. Wörterbuch der idg. Sprachen u. a. anführen. 
Der Wortstamm ist uns nur durch die griechischen Lexikographen 
überliefert. Alle sichern Formen weisen auf gagdéw, vgl. aus 
Hesych dydewros‘ dvagoteiactos; gpagody: deoteiay; pagðoaı: 
dodoaı, veoonı, Aapnovy[Ijvjar. Anlaß zu einem gogo hat allein 
die Stelle aus Etym. Magn. 788, 24 gegeben, wo aus Kallimachos 
(Schneider frg. 183) ein gagov pagdwar angeführt wird. Aber auf 
Grund von gagéwo. kann man so wenig ein *papdw erschließen, 
wie aus homerischem gedet ( 108) ein *dedw trotz heracleischen 
dodoovrı und kretischen &gargov. Man wird sogar bei der Eigen- 
art der Kallimacheischen Sprache mit vollem Recht behaupten 
können, daß gagdwor eine bewußte Nachahmung des homerischen 
synonymen und reimenden doedwor ist. 

Noch eine weitre Form desselben Verbums bei Kallimachos 
könnte auf rein äußerlicher Nachahmung einer homerischen Bil- 
dung beruhen. Gaisford zu Etym. Magn. 788,28 hat aus dem 
Etym. Vossianum ') notiert: xai dpdoorov tiv dvaporoiaorov Én 

. xal Kallluaxos dpdooros oiov yuri) dvri tod yovos einev. 
Schneider, Kallim. frg. 82c hat es zwar in dpdewrog verbessert" 
und sich dafür auf die Metrik und Ableitung von gaedw berufen. 
Der erste Gesichtspunkt hat insofern keinen Wert, als die metri- 
sche Wiederherstellung der überlieferten Brocken ganz unsicher 
ist, trotzdem sie Schneider auf Grund einer Notiz im Etym. Gud. 
wohl mit Recht zu den "Iaußo: rechnet. Wesentlicher ist die 
Berufung auf paọów. Aber wenn Kallimachos nach hom. gedet 


1) Uber die Stellung dieser Handschrift innerhalb der Etymologika vgl. 
Reitzenstein, Geschichte der griech. Etymologika 254 ff. Sie übertrifft an Zuver- 
lässigkeit vielfach das sogenannte Etym Magn. und steht dem Genuinum näher. 

*) Andre Konjekturen, wie yvvý zu yön hat Schneider mit Recht abge- 
lehnt; vgl Hesych TAAugis yous’ avri tod IAAveis yovdéa. yeypdperar 62 xal yvvý. 
ô 62 Kaddlotgatos yin, dvri tod yi yomvıaı yao odtas. SopondAijs Toincohéuw. 


Griechische Miscellen. 283 


ein gagéwa wagt, so könnte man ihm auch nach hom. dvrjgoros 
(G 109, 123) eine Nachbildung dedooroc zutrauen. Allerdings durch 
die Nebenüberlieferung bei Heraclit, Quaestiones Homericae *) 875 
thy dpdowrov ó Kaddivayos eine cn dyovov, dpdewtos otov yvvý 
bleibt dpadooros doch unsicher. 

Wenn hiermit die Gleichung gaegdw — borön nicht möglich 
ist, so halte ich im Gegensatz zu Walde-Pokorny — vgl. Wißmann 
a. a. 0.204 Anm. í — an der unmittelbaren Entsprechung borön — 
lat. foräre unbedingt fest. Denn es liegt nicht die geringste Veran- 
lassung vor, foräre von einem unbelegten Substantiv * ford abzuleiten. 


3. xaovnuara und Verwandtes. 

Da die Substantiva auf -ua ursprünglich die Bedeutung von 
Nomina acti haben, die einem Wort wie „Nuß“ nicht zukommt, 
so muß in xaovruara‘ xdova. Adxwves Hesych eine Neubildung 
vorliegen. Durch die Verse aus Klearchos frg. 4 (Kock II 409) 
bei Athen. XIV 642c 

AaB’ Bdwo xarà xeıpös. B. undauws‘ als E£yxeı. 

A. Aap’ duc, obdéy xeigov. A nais énitider 

Eni ınv Todnelav xdova xal toaynuata. 
wird xagujuata als Nachbildung zu teayjuata erwiesen. Auch 
sonst finden sich unter den teayjuata die xdova erwähnt, so 
Athen. XIV 642f aus Ephippos frg. 13 (Kock II 256) unlov, xdovov, 
yada, xavvaBides usw. Daß bei den Lakoniern neben der Neu- 
bildung xaovjuaere auch noch das ursprüngliche xdova üblich 
war, lehrt die Hesychglosse xdoova: xdova Adxwves, Ahrens, De 
Gr. |. dial. II 125. 

M. Schmidt verweist ferner unter xagvnjuare auf die Glosse 
&oıpınuara‘ Zgıpoı: Adxwves. Auch hier kann es sich nur um 
eine Analogiebildung handeln. Wie das ı vor -nuara zeigt, liegt 
dieser Ableitung nicht Zoıpos, sondern das Deminutivum éoigzor 
zu Grunde. Da genügt es an Euripides Kykl. 206 zu erinnern, 

méie po xaT’ dvıoa vedyova Blacthpata; 
wo die véoyva BAaornuara die Zgipıe sind. Von hier aus ist nun 
-nuata als Bezeichnung andrer junger Tiere verwendet worden, 
so in weoßarnuare‘ medBata Hes. Dabei hat aber sicherlich noch 
das Substantiv ßdoxnue mitgewirkt. Vgl. Eurip. Kykl. 188 

idod tad’ uiv noruviwv Boonnuare, 

due ’Oövoosö, unxddwy ovv toopai. 
Auch an Glossierungen wie zodfact: Booxjyact Hes. sei dabei 
erinnert. Weitre antike Erklärungen von nodßara durch Bdéoxnua 
s. bei Lommel, ob. XLVI 49. 


1) Ich zitiere nach der Ausgabe des Bonner philolog. Seminars, Leipzig 1910. 


284 F. Specht 


Auf die gleichen Einflüsse wird man auch die Neubildung 
yotoinua: tò xoroldıov Hes. zurückführen müssen. Daneben lag 
aber auch noch ein yosgopdéenua’ yougidtoy Hes. in gleicher Be- 
deutung. deng kann in dieser Zusammensetzung nur „das 
Junge“ heißen. Eine solche Bedeutung ist zwar für das Grie- 
chische ganz ungewöhnlich, trotzdem aber ist sie uralt. Das wird 
durch die gleiche Wurzel in got. barn erwiesen, vor allem aber 
durch Gebrauchsweisen der Wurzel bher- im Ai. Vgl. RV. 10, 4s 
sigum nd tra jényam vardhdyanti mätd bibharti sacanasydmana „wie 
ein eignes Junges dich mit aufziehend ernährt dich die Mutter, 
sich mitfreuend* oder RV.11155, anyd vatsdm bhärati, kséti mätd 
„eine andre ernährt das Junge, die Mutter sitzt ruhig“'). Wie 
sich also aus der Übereinstimmung dreier idg. Sprachen ergibt, 
hat sich aus dem ursprünglichen Sinn der Wurzel bher „(an der 
Brust) tragen“ "D die Bedeutung „ernähren“ entwickelt, die auch 
in den Ableitungen got. barn‘), griech. dono vorliegt. Vom 
Menschen ist das Wort weiter auch auf Tiere übertragen worden. 

Da Bdaotdyw und demnach BAdornu@ von jeder Art des 
Sprossens gebraucht wird, vgl. Empedokles frg. 21 off. 

èx tovtwy yao náv boa t Tv Soa t ëtt xal Zoran, 
dévdgen t EBidornoe nal véges dé yuvaixes, 
Fois T olwvol te xal bdatodoéeupoves ixdic, 
xai te Jeol dodiyaiwves GO péororor. 
so muß auch nadagınuarae‘ nardo Hes. als Suffixangleichung 
an BAaotjuata angesehen werden. 


4. neiavos‘). 
An einer Stelle wie Euripides’ Orest 219f.: 


1) Vgl. Geldner, Der Rigveda in Auswahl, Kommentar 61. 

2) Daneben wird ker- auch von der Leibesfrucht gebraucht, vgl. peppa 
oder den merkwürdigen Aorist Zpegoev' éxdnoev Hes. Natürlich kommt der 
Wurzel dher- Aoristbedeutung überhaupt nicht zu. Aber wie sich das Imper- 
fektum gégev bei Homer in bloßer Erzählung in rein aoristischem Sinne findet, 
mitunter mit andern Aoristen vermischt, z. B. £ 74, so ist hier umgekehrt zu 
géow in rein imperfektiver Bedeutung „schwanger sein“ ein ingressiver Aorist 
nach sonstigen Vorbildern geschaffen worden. 

3) Die 2. B. von Falk-Torp, Norw.-dän. etym. Wort 51 für barn ange- 
nommene Grundbedeutung „das Geborne* wird durch die griechische und ai. 
Entsprechung nicht empfohlen. Daß sie an und für sich denkbar ist, lehren 
homerische Verbindungen wie téxva rendodaı oder  téxe rexva und mit gleichem 
Verbum Z 58 6vtwe yaorége uńtno .... PEooı. Vgl. dazu auch Plautus Stich. 159 
nam illa [i. e. mater Fames] me in alvo menses gestavit decem. 

4) Nach Herodian (L. I 1789 = Ark. 645) ist wedavds zu betonen. So 
schreibt auch der Herondaspapyrus IV 91. Demnach betonen neuere Heraus- 
geber auch zeAavds. 


Griechische Miscellen 285 


AaBov, AaBod dor, x Ò SuogEov adAlov 

oröuaros dpowön nédavoy') Öuudıov T éuov 
kommt man mit der gewöhnlichen Bedeutung von zédavog „Opfer- 
kuchen“ nicht aus. Man wird dem Sinn am ehesten gerecht, 
wenn man das Wort in das vedische Altindisch transkribiert. 
Das ergibt pdrinas- „Fülle, Masse“, das bis auf den s-Stamm 
genau zu neiavos stimmt. dpowdns n&iavos”) ist also die schaum- 
artige Masse an dem Mund des von den Erinyen gequälten Orestes. 
Auch Aischylos’ Eumeniden 264f. 

GAN avudodva dei o and Eõvtos bopeiv 

Eovdoöv èx wehéwy néhavor. 
läßt sich Zovde0g neiuvos am besten durch 17162 égevyduevar 
póvov aluarog erläutern, wo Fick, BB. VIII 330 in eéuoc die ge- 
naue Entsprechung von ai. ghand- „Menge“ erkannt hat. Der 
Unterschied besteht nur darin, daß Aischylos für alua poetisch 
fovteos gebraucht und dadurch Adjektivum statt des Genitivs 
afuatos einsetzen muß. Der Scholiast hat ganz richtig &gvdgov 
néhavoy durch Yodußov aiuatos wiedergegeben. 

Auch Aischylos’ Perser 816f. 

6005 YE otat nréhavos aluatoopayrs, 

noös yi IlAaraıwv Awelidosg Adyyns Uno. 
wird man übersetzen müssen: „Denn so groß wird die Menge 
sein, die auf Platäas Erde vom dorischen Speer blutig dahin ge- 
schlachtet wird.“ Ähnlich wird man Rhesos 480 

čv? aiwatnods nédavos és yaiav Sxdbdns 

hvtheito Adyyn Gouf te ovuuıyns pdvos. 
wiedergeben müssen. Zweifelhaft kann man bei folgenden Stellen 
sein: Euripides’ Alk. 850ff. 

fv © ody dudorw ticod ayods, xai un uöin 

005 aluarnoov neiavov, elu tov Stro 

Köons dvanıos t eis dyndiovs Öduovs 

airnoouali te. 

Hier käme man zur Not mit der gleichen Bedeutung „Fülle, 
Masse“ aus. Aber näher liegt doch die Annahme, daß nelavos 
für dvoia im allgemeinen steht. Das gleiche gilt für Aisch. Choe. 
92 yéovoa tévde nélavov v téuBq@ nargög und Aisch. Ag. 96 ne- 


1) Eine merkwürdige Lesart steckt in rdAavov dpodv' nennydra dyodv Hes. 

2) Darauf bezieht sich die Hesychglosse n&dAavov' apody und nxédavos ... 
xal tov neginennydıa re ordmarı dpgdv. Ferner stimmt hierzu die Bedeu- 
tungsangabe Etym. Magn. 659, 15 dieser ’Arzınol dë neiavovr Adyovoı nav 
sò xennyds und Suidas rò negınennyös xal Eönpauuevov dnaddes baxgvor. 


286 F. Specht 


Aaner uvx6dev Baoıleip. Stengel’), Opferbräuche der Griechen 67 ff. 
muß zugeben, daß diese Stellen mit dem sonstigen Gebrauch von 
méAavos im griechischen Opferritual nicht in Einklang zu bringen 
sind. Er nimmt daher für die Sprache der Tragiker eine Be- 
deutung „Blut, Flüssigkeit“ an. Aber damit setzt er sich in 
Gegensatz zu der Auffassung der antiken Erklärer. 

Da nédavog bei den Tragikern seiner Bedeutung nach genau 
zu ai. pdrinas- stimmt und beide Wörter sich auch lautlich fast 
genau decken, so kann an ihrer Verwandtschaft kein Zweifel sein. 
Eine weitre Frage ist allerdings, ob man dieses nédavog von 
néhavos ,Opferkuchen“ zu trennen hat. Ich neige nicht dazu, 
sondern ich würde annehmen, daß sich aus der primitiven Vor- 
stellung heraus, daß das Opfer an die Götter nur dann wirkungs- 
voll sein kann, wenn es reichlich ist, der Gedanke entwickelt 
hat, „Opfer“ und „Fülle“ müßten identisch sein. Dann würde 
die Bedeutungsentwicklung derart vor sich gegangen sein, daß 
aus „Fülle“ zunächst „Opfer“ im allgemeinen entstanden und je 
nach den örtlichen und klimatischen Verhältnissen weiter daraus 
„Opferkuchen“ im besondern geworden ist. Die oben angeführten 
Stellen aus Eur. Alk. 851, Aischyl. Choe. 92, Ag. 96 könnten den 
Übergang von „Opfer“ im allgemeinen zu n&iavog „Opferkuchen“ 
gut veranschaulichen. 

Aus dem vedischen Indisch läßt sich dieser Bedeutungswandel 
„Fülle“ zu „Opfer“ gut begreiflich machen. Hier herrscht viel- 
fach noch die primitive Vorstellung des „do, ut des“. Vgl. die 
Nachweise bei Oldenberg, Religion des Veda’ 313ff. Daher müssen 
die Gaben an die Gottheit reichlich sein, wenn sie ıhrerseits reich- 
lich spenden soll. Der Reiche, der wenig gibt, findet kein Gehör, 
nur mit des Armen Opfergabe hat der Gott Nachsicht. Vgl. Ber- 
gaigne, La religion védique II 227. Daher verlangt der vedische 
Inder für sein reiches Opfer auch reiche Belohnung: RN. IN 32,0 
bhirida, bhüri dehi no må dabhrám bhüry d bhara „Vielspender, 
viel gib uns, nicht wenig, viel schaff herbei!“ So ist es auch 
begreiflich, daß pdrinas- in Verbindung mit rai- vom Opfer ge- 
braucht werden kann. — RV. VIII 97. heißt es von dem Soma- 
opfer an Indra: mäddyasva rädhasa sunrtävatendra räyd, pdrinasa 
„Tu dir gütlich, Indra, an der herrlichen Spende, dem Reichtum, 
der Fülle!“ In der Regel wird allerdings pdrinas- mit rai- im 

1) Stengel aa O. 66f. hat z&iavos zu maĝóvw gestellt. Aber diese Ver- 


bindung ist schwerlich richtig. Das zu zaldvw gehörige Substantiv heißt bei 
Hesych adAvvıga' dire, 


Griechische Miscellen. 287 


umgekehrten Sinne von der Gottheit gebraucht, die für reichliche 
Opfer ihrerseits reichlich spendet, z.B. RV.1129, tvdm na indra 
riyd pärinasä yähi pathdn „Komm du, Indra, zu uns mit Reich- 
tum und Fülle den Pfad!“ IV 3lıs asmdn aviddhi visvdhendra, 
räyd pärinasä „uns begünstige immerdar, mit Reichtum und Fülle!“ 
V 10, prá no räyd pärinasä rätsi vdjäya pantham „Furch uns zum 
Sieg den Pfad durch Reichtum und Fülle!“ Es ist nach alledem 
nur selbstverständlich, wenn sich die Wurzel pari- mit yajña- 
verbunden in der Bedeutung „reichlich opfern“ findet. RV. V 5s 
präpra yajidm prnitana „weiter und weiter füllet das Opfer!“ d. i. 
„opfert reichlich“. Auch an Verbindungen wie RV. VI, 282 indro 
ydjvane prnaté ca Siksati „Indra hilft dem Frommen und Opfern- 
den“ oder RV. VI, 4715 ká im stavat, káh prnät, kó yajäte „wer 
wird ihn preisen, wer ihm spenden, wer ihm opfern?* sei er- 
innert. Für die weit fortgeschrittnere griechische Religion läßt 
sich ein Übergang von „Fülle“ zu „Opfer“ zu „Opferkuchen“ 
nicht mehr nachweisen. Daß aber auch hier ursprünglich der 
Gedanke verbreitet war, daß die Opfer an die Götter reichlich 
sein müßten, geht aus den Bemerkungen O. Kerns, Religion der 
Griechen 157 hervor‘). Schließlich sei noch auf die Bemerkungen 
Wackernagels, IF. XLV 314ff. über Altertümliches im sakralen 
Wortschatz verwiesen. 

Man wird weiter n&iavog als Ableitung eines men-Stammes, 
der in ai. pdriman- vorliegt, ansehen können. Dann geht es auf 
*nelomnos zurück. Es ist vielleicht wieder nicht zufällig, daß 
dieses pdriman- an der einzigen Stelle, in der es sich im Ai. findet, 
RV. IX 71s in der Verbindung ydjıte pdrimani erscheint, also 
wieder mit dem Begriff „opfern* verbunden wird. Dann liegt 
aber die Erwägung nahe, auch umbr. pelmner, das gleichfalls einem 
sakralen Text angehört, mit pdriman- unmittelbar gleichzusetzen. 
Die Bedeutung des Wortes hat Bücheler, Umbr. 38, 121 einwand- 
frei bestimmt und es lat. pulmentum gleichgesetzt, hat aber dabei 
darauf hingewiesen, daß es sich nicht nur auf Fleisch, sondern 
auf alles Eßbare bezieht. Da sich nun pulmentum dem Sinne 
nach mit pulpamentum deckt‘) und dieses zu pulpa gehört, so hat 
man auch pulmentum weiter auf *pulpmentum zurückgeführt. Da 

) Vgl. z. B. y 178 Ilooeıddavı è tavewv ndéAX nl uno’ Edemev, y 273 
woAdAd è unol’ ënne Hedy leoois nl Bwmpois oder 1466 2166 noAla 62 Ipıa 
pada xal eidinodas Lixas Boos (gopalov) u. a. 

?) J. B. Hofmann hat mir mit gewohnter Gefälligkeit das Thesaurusmaterial 


hierzu mitgeteilt. Darnach scheint ein Bedeutungsunterschied zwischen pul- 
mentum und pulpamentum nicht vorhanden zu sein. 


288 F Specht, Griechische Miscellen. 


dieses *pulpmentum eine Weiterbildung von *pulpmen ist, so müßte 
umbr. pelmner ebenfalls auf einen Nom. *pelpmen, G. Sg. *pelpmnes 
zurückgehen. Aber dagegen erhebt sich ein lautliches Bedenken. 
Bekanntlich ist die Lautgruppe mn in den wenigsten Fällen er- 
halten, sie ist entweder zu m oder n erleichtert worden. Das galt 
besonders in der unmittelbaren Nachbarschaft von mehreren Kon- 
sonanten. Es ist daher wahrscheinlich, daß ein ursprünglicher 
Genitiv *pelpmnés nach Ersetzung der Endung der konsonantischen 
Stämme durch die der i-Stämme nur zu *pelpneis oder *pelpmeis 
geführt hätte, woraus dann weiter *pelner oder *pelmer entstanden 
wäre. Die Erhaltung von mn weist eher darauf hin, daß davor 
ein Vokal synkopiert ist. Dann würde eine solche Grundform 
genau zu ai. pdriman- stimmen. 

Ist also eine lautliche Zurückführung von umbr. pelmner auf 
*nelpmneis und entsprechend von lat. pulmentum auf *pulpmentum 
nicht sehr empfehlenswert, so wird man andrerseits die in der 
Bedeutung völlig übereinstimmenden pulmentum und pulpamentum 
nur ungern trennen wollen. Ich sehe nur eine Möglichkeit. Das 
nach pulmentum aus pulpa umgebildete pulpamentum weicht in 
seiner Bedeutung von dem Grundwort pulpa ab. Pulpa heißt, 
was auch J. B. Hofmann hervorhebt, überall nur das „Fleisch“, 
allerdings auch gelegentlich übertragen auf das Obst, pulpamentum 
hingegen die „Zukost“, die mit Fleisch nichts zu tun zu haben 
braucht, vgl. z. B. Plautus, Curc. 90 voltisne olivas, pulpamentum, 
capparim? Die Bedeutungsverengung von pulpa gegenüber pul- 
pamentum könnte sekundär sein, aber viel wahrscheinlicher ist 
mir das Umgekehrte, daß das nach pulmentum aus pulpa umge- 
bildete pulpamentum auch die weitere Bedeutung von pulmentum 
angenommen hat. Die Verwendung von umbr. pelmner ist sicher 
sakral gewesen. Für pulmentum läßt sich das nicht mehr nach- 
weisen. Aber wenn die Neubildung pulpamentum sakralen Be- 
griffen wie libamentum, lustramentum, piamentum, purgamentum'), 
sacramentum nachgeschaffen sein sollte, so ließe sich auch auf 
ehemalige sakrale Verwendung von pulmentum schließen. 

Man wird nach alledem in griech zédavoc, ai. pdrinas-, pdriman-, 
wahrscheinlich auch in umbr. pelmner und lat. pulmentum ein idg. 
sakrales Wort für das „Opfer“ sehen müssen, das aus der Grund- 
bedeutung „Fülle“ hervorgegangen ist. Lat. pulpa hat dann mit 
pulmentum ursprünglich nichts zu tun. 

Halle (Saale). F. Specht. 


1) Vgl. Festus (ed. Lindsay) 234s. 


Fritz Mezger, Ahd. galstar — ae. gealdor; ahd. lastar — ae. leahtor. 289 


Ahd. galstar — ae. gealdor; ahd. lastar — ae. leahtor. 


Es stehen nebeneinander ahd. galstar, calstar „Zauberlied“, 
mhd. galster „Zauberlied“ — ae. gealdor „Zauberlied, Zauber- 
spruch, Lied, Spruch, Kunde“, aisl. galdr „das Singen, Zauber- 
lied“ zu aisl. gala „Zaubersang singen, singen“, as. galan „singen, 
rufen“, ae. galan „singen, tönen“, begalan „bezaubern*“, ahd. galan 
„(Zaubersang) singen“, got. goljan „grüßen“ und in derselben 
Weise aisl. lostr (-tu-Stamm) „Fehler, Gebrechen, Tadel“, as. lastar 
„Lästerung“, afries. laster „Verletzung, Beschädigung“, ahd. lastar, 
mhd. mnd. luster „Schmähung, Schmach, Fehler, Laster“ zu ahd. 
as. lahan, ae. léan. 

Wie ist die -s-Bildung neben der -s-losen zu erklären? Stehen 
neben Verben ohne -s-Bildung solche mit -s-Bildung, von denen 
galstar und lastar abgeleitet sein können oder gibt es wenigstens 
Verben mit -s-Bildung, die eine ähnliche Bedeutung wie lahan 
und galan haben und so für die Entstehung der -s-Bildung neben 
der -s-losen eine Erklärung bieten? 

In der Bedeutung „beschwören, weissagen“ gibt es ein(e) 
Wort(sippe) mit -s-Bildung: ae. hdlsian (<< *hailsojan) hélsian 
(<< *hailisojan) „durch Beschwörung Geister austreiben“, hdlsere 
„exorcista“ (exorcista, Jet is halsere Ancient Laws and Institutes 
of England, ed. B. Thorpe 1840, II 166, 21; exorcista is on Englisc 
se be mid ade halsad þa awyrdegan gästas a. a. O. II 348, 1), hdlsung 
„Austreibung von Geistern“, ae. hélsian „auspicari, augurari“, 
helsere, hélsend „Augur, Weissager“, wyrm-hélsere „Schlangen- 
beschwörer“, helsung „Weissagung, Wahrsagung, Zauber“; ahd. 
heilisön, mhd. heilsen „bezaubern, behexen“, heilisärı „augur“, 
heilisära ,auguratrix“, heilisöd „augurium“; aisl. heilla (vielleicht 
<< *hails-) ,bezaubern“ neben aisl. heilsa „begrüßen“ zu ae. háls 
(neben hdlor n. -s-Stamm) „Heil, Errettung“, halswurpung „Dank- 
gebet für Sicherheit“ zu ae. béi, aal heill, ahd. heil „gute Vor- 
bedeutung, Glück, Omen, auspicia“. 

s-Bildung findet sich auch in ae. sidsa (wi) elfe and wip 
uncupum sidsan, gnid myrran on win, Leechdoms Wortcunning 
and Starcraft of early England ed. O. Cockayne II 296, 10; vgl. 
Jente, Angl. Forsch. LVI 281), das wohl zu aisl. seidr „Zauberei“, 
seidgaldr „Verzaubern mit einem Zauber“, seida „zaubern“ — dazu 
seidsla, seizla mit -s- (-s-J-)Bildung - sida „zaubern“ gestellt werden 
darf (zu lit. saitas „Zauberei“, cymr. hud „Zauber“, corn. hus, 
bret. hud, acorn. hudol gl. „magus“). 

Zeitschrift für vergl. Sprachf. LXI 3/4. 19 


290 Fritz Mezyer 


In der Bedeutung „tönen, singen“ ist -s-Bildung nicht selten °`): 
ae. geswin „Melodie“, swinsian „melodisch tönen“, swinsung „Melodie, 
Harmonie“, swinsungereft „Musik“, dream-swinsung „Harmonie“; 
ae. hlynn „Geräusch, Widerhall“, hlynnan neben hlynsian „lautes 
Geräusch machen“; ae. cnyll „Glockenton*, enyllan neben cnyllsan 
(Sweet spät nordh.); clipian „rufen“, geclibs, geclysp „Geschrei“; 
ahd. klingisön „klingen“ neben klingan, st. V.; ahd. winisén, winsön 
„winseln“ (wohl zu aisl. hvina „rauschen, sausen, zischen“, ae. 
hwinan „stridere*); (ae. hwiscettan < *hwinscettan? „pfeifen“, 
hwiscettung „Pfeifen von Mäusen“, hwistlian „pfeifen“, hwisprian 
„murmeln“, aisl. hwisla < *hwinsil-?, hwiskra < * hwinsik-? könnten 
zu ae. hwinan, ahd. winisön gehören; allerdings müßte man dann 
für ahd. (h)wispalon Ausfall des n vor der schweren Konsonanten- 
gruppe -sp- annehmen); ae. gehrüsl (Sweet) „Geräusch“ ist wohl 
eine -s-/-Weiterbildung zu ae. hritan „schnarchen, Geräusch 
machen, widerhallen“, afries. (h)rüta« „schnarchen, brummen, 
sausen“, ahd. rfizzan, rüzön „rasseln, schnarchen, summen“ (und 
aisl. hriöta „knurren, brummen, schnarchen“), während ae. gehrizl 
„Geräusch, Tumult“, wozu auch ae. hrijscan, hriscan (mit Meta- 
these aus *hrük(i)s-) gehört, wohl zu got. hrūk „das Krähen‘, 
hrükian „krähen* zu stellen ist. 

Auch für die Bedeutung „schmähen, Schande usw.“ lassen 
sich -s-Bildung nachweisen: nordh. (geefolsiga „blasphemare“, 
efolsung ,blasphemia“*), ahd. refsan, mhd. refsen neben reffen 
„tadeln, züchtigen, mit Worten strafen“, ahd. rafsunga, raphsunga 
(Schade, Alt. W.), mhd. refsunge, rafsalunge „Tadel, Strafe, Züchti- 
gung“, ahd. rafslicho ,scheltend“, aisl. refsa „strafen, züchtigen“, 
as. respian „strafen, züchtigen*, ae. refsan, repsan, respan „tadeln“ ; 
ae. ger@f (vgl. mhd. reffen) = geresp „Anklage, Tadel“; zu ai. 
rdpas n. „Gebrechen, Körperlicher, Schaden, Verletzung“; aisl. 
harmr „Betrübnis, Schaden, Schimpf“, as. harm „Leid, Schmerz, 
verletzend“, afrıes. herm-, ae. hearm „Schmerz, Betrübnis, Schaden“, 
mhd. harm „Leid, Schimpf, Harm“, ahd. harmisén „schmähen“, 
harmisal „aerumna“, aisl. hormsl „Ärger“; ahd. truobisal „Trübsal“ 
zu truobi „trübe“, aisl. hneyxl, hneyxli „Schande“ zu hneykia „be- 
schämen, verwirren“; aisl. meidsl „Beleidigung“ zu meida „(sich) 

1) Mhd. gellsen wird wohl eine € Bildung sein: vgl. aisl. gelta „bellen“, 
ahd. gelzön „aufschreien“. 

3) Nordhumbrisch efolsiga (ebol-, ebal-) ist wohl als *@f-hdlsian zu er- 
klären (Bosworth-Toller); wenn daneben ein yfelsian erscheint, so ist das viel- 
leicht eine späte Bildung nach efolsian in Anlehnung an yfel. yfelian. 


Sachregister. 


291 


verletzen, zerstören, beschädigen“; aisl. rögsia „Verleumdung“ zu 
régia „verleumden“, róg „Streit, Zank, Verleumdung“, got. wrohs 


„Klage, Anklage“. 


Im Altfriesischen, wo das Wort „laster“ die 


Bedeutung „Verletzung, Beschädigung“ angenommen hat, sind 
gerade in dieser Bedeutung die -s-/-Bildungen häufig. 

Nach all diesem ist es nicht unwahrscheinlich, daß die Er- 
klärung für die Doppelbildung von galstar und lastar in dem 
Nebeneinander von Formen mit -s- und ohne -s- in Wörtern 
gleicher oder ähnlicher Bedeutung zu suchen ist. 


Bryn Mawr College, Penna, USA. 


Fritz Mezger. 


Sachregister. 


Ablautdifferenz: gleichbed. Wörter 189. | 


Altersangabe: auf lat. Inschr. 36. 

Analogie: der Zahlwörter 185. 

Bedeutung: Eltern 221. — menschliche 
Schönheit durch die eines Körperteils 
bezeichnet 194ff. — ind. Jahreszeit- 
namen 198. — Herz (? Magen) >Ärger, 
Zorn 198 u. A. 1. — Nabel > Bauch 
18. — Umschreibung von ‘links’ (= 
Süden) 186f. — süß 183. — sich drehen 
> gerinnen 8. — bersten, brechen > 
sauer werden 5. — schneidend > sauer, 
bitter 3. — gären und sauer werden 1. 

Dissimilation: griech. v— u >eii — u 
277 ff. — und Differentiation 245f. 

Flexion: Praes.-Redupl.-Vokal u bei -u- 
Wurzeln 280f. — -r-Medio-Passiv 255- 
— armen. Gen. pl. -¢ < -söm 187f. — 
Mischung von o- und «-Stämmen im 
Balt. 270ff. 

Fremdwörter: nicht mehr als solche 
empfunden 136. 

Geminatenersatz: 222ff. — im Pali und 
Prakrit 240f. — Griech. vv > yv 222 ff. 
— oo > to 225. — uu > uß 226. — 
AA > AB 226. — xx > xy 226. — 
an > un, np; BB > uß; pp > up 
230ff. — im Semitischen 236ff. — vgl. 
auch: Lautlehre. 

Impersonale: bei Naturerscheinungen 
215ff. -- mit Instrumental 209ff. 

Infixe: griech. o 142. — -vı- 142. — 

-E- 144. 
Lautlehre: idg. ss > s. ts 234. — tt > 


tst 235. — Nasalzusatz 231. — Alt 
ind. dor (wy) >y 203f. — Palatalisie- 
rung von s durch 4 199. — Mittelind. 
p> v 202f. — Armen. j < gi, di 182. 
— k, EI < du, tu 185. — g-< u- 
185. — lg, lg’ 182. — Metathese von 
Muta cum Liquida 184f. — 7z-Epen- 
these 184. — Griech.: Labiovelar 182 
A.1.— Neugriech. ¢ > (n)dz 227f. — 
parasitärer Nasal 228. — Lat. coa- > 
spätlat. gua- 144. — e-Vorschlag bei 
der lautierenden Aussprache von / m, n 
256. — Karibisch: Wechsel k'g 52. — 
Schwand von k- 53. 

Lautsymbolik: 244. 

Lautverschiebnng: hochdeutsche 248f. 

Schreibung: Vorwegnahme von Z 141. — 
Zusammenschreibung im Altpers. 208. 
— Verwechslung von a und oa in li- 
tauischen Drucken 273 A. 1. 

Sehen: und Ansprechen 36. 

Tmesis: 207. 

Wortbiidung: Suffixe für Nom. ag. 205. 
— Altind.: Nom. ag. auf d 190. — 
Griech. und Got. Nominalkomposita 
145ff. — Verbaladj. auf -zds mit d- 
priv. komponiert 158. — Tatpurusas 
auf -rós 163. — Verbalabstrakta von 
komponierten Verben 256. — Armen. 
-ak 186. — -aci 188. — -anoc 188. — 
-oc 187. — Got. privative Part. praes. 
als Tatpurusas 165. — Privativ-Bahu- 
vrihis 169. — Lit. -(in)yeia 257f. — 
Brahui: -wk 31. 

19* 


292 Wortregister. 


Wortregister. 

Altindisch. 'srira- 197 | gazian An A. 2 
adhīsitr- 205 slond- 191 igirda 30 
arpipat 144 sap- 201 ‚zöd 29 
avatkd- 190 sdmä- 198 tambasa 237 A.3 
ava-dhavati 190 subahu- 197 daran 32 
asitah 187 sevuka- 203 han: darsam 205 
änt- 192 sévate 199 ff. ‚dazu 196 
ved. a-skra- 10 |syond- 203f. ‚wasq 35 
idfs- 261 srävayati 30 rü 32 
isitr- 205 hi 18) A. rüd 35 
upolava- 202 irda 14. 29 
kalya- 191 Prakrit. Irödak 35 
kalyäana- 191 ff. dsattha 210 lrodang 36 
grigmd- 1971. | phamsa 240 ‚röda 31 
Jujyüsati 200 murdha 241 ‘ap. zmaya 208 
ved. jmaya 208 vitigimchä 240 sudan 199 


ved. jyotir-dnika- |visati 240 
197 sukka 240 
tak 190 | 
tavaraka- 203 
ved. dirgha-jih- 
vyam 193 
dyaus 216 
dhrsät 205 
ni-sepivah 201 | 
pacakati 144 Awestisch. 


Pali. 


ganchi 241 
namgara 241 
mamkuna 240 
samvari 240 


| 


parinas- 2851. äkərətiš 204 
päriman- 287 a-skattim 190 
pariste 205 isvan- 205 
prthu-jaghane 193.|udara- 32f. 
195 A 1 (196) aiptkarata 204 


pratankam 190 aiwistär- 204f. 
pravayati 203 xovarazista- 182 


phut 218 A.3 tülri- 9 
manusa- 199 darayubazu- 196 
yavyüdh- 204 le 205 


ropayati 139 fsu- 265 A.1 

. lavand- 191 radvaestar- 204 
lapayate 137 ff. sta- 204 
vághā- 207 zizuste 281 A.1 
ved. vanisthü- 22 
vilapya 141 Persisch. 
sanipriya- 231 A.2!aran 193 
sar- 5 ap. ucasma 20dff. 
sara- d ‚ap u-akunavam 208 
sdras- 6 | ap. u(d) 206 
savati 198f. ‚ap. ud-caj- 206 


| 


' Andere iranische 


' Sprachen. 

| (Ossetisch un- 
bezeichnet.) 
‚änyezun 1 
‚äntaun 9 u. Al 


yezämard 2 A.2 


ıyizun 2 
zurx I 
xurxäg % 


tavag-tafä T A.4 


itaväg 9 
naloA 3 
kurd. rad 34 
rid 17. 31 
bal. »özag 34 
kurd. lera 33 
| past. larat 32 
‚stk 4 


| Armenisch. 


aheak 186f. 
ahi- 180f. 
alik“ 24 u. A a 
oul 184 


anurj 180f. 
boyn 186 
bun 186 
'giser 181 A.2 


‘etbayr 184 
lerkayn 184 
erku 185 
ambost 184 
ampem 184 A.1 
ankalay 184 
tangar 23% 
layn 184 
lk‘anem 185 
cnclay 23% 
kamurj 181 A. 2 
kic 4 AL 
kcanem 3 
krkin 185 

mëi 181 A.2. 184 
munj 182 

nirh 181 A.2 
Sambat* 239 
samp*ur 237 
otori: 184 

ot; 180 ff. 

port 18 
sartnum 189 
sirt 189 

! Smbat 249 
'surb 184 
'k‘alert‘ 24 A. A 
k‘atird 24 
k‘atcr 182f. 
k‘e- 185 


H 


| 


Griechisch. 
GANS S 147 A.3. 167 
ahoipy 256 
\aAvndg 183 
i'duogpéstatos 189 
adupénerv 201 
advdnnoos 158 
dvclavteov 148 A. 4 
‚dnag 14% 
laneAeddeoos 158 A.2 
länga 233 


ansiz 237 A.3 (238)|&eyveis 136 


‘docotoy 155 A.9. 164 
‚dos 187 

'adrdonns 147A.3.173 
'åpágoroç 2821. 


Aogyıavds 233 
Bidornua 284 
BouBvé 238 A.1 
Béoxnpa 283 

Bei 198 

ydilıa 221. 
yeyaveo 280 
yAwvtas 230 
yopäcdaı 142 A.3 
gë 282 A.2 
eldevaılldeiv 141 
Ernpoßos 170 A.1 
EALE 23 

éunotato 231.232 A.1 
Evöiddoneıw 281 A.2 
Evroodldıa 23 
2Esoddn 279 A. 2 
20éBivFos 257 A.5 
Eoıyınuara 283 
ebetdéategos 189 A.2 
eönebos 195 
Epeooev 284 A. 2 
jvinane 144 

wig 19 A.3 
Ñvvorgov 19. 21. 
hoduane 144 
nacntas 187 
nanyalw 233 
xaAldsia 23 
xaditegos 192 
xahAt- 192 

ndova 283 
napviuara 283 
xaovn(%)y 238 A.1 
xéxvvos 281 A.3 
ninvva 281 A. 3 
xloeos 7 

nvıneiv 142 

xó 23 A 3 
ndAov 23 

séien 127 
xowolerw 127 
„vven 136 
Adußda 232 u. A.3 
Aeßva 277 
Miodeca 237 A.1 
Mvogwvoövra 247 
GABtos 182 
Supaids 18 


Wortregister. 


|dvecoata 181 A. 1 
vivui 144 

öods 7 
radagınuara 284 
ndiavos 285 A.1 
naoadhipy 256 
néAavos 284f. 
nıpadorsı 281 A. 2 
néAvetea 286 A. 
nodownov 146 
ndos DA A 
6ıfınddera 144 
Gododdutvdos 195f. 
oaßen 238 A.1 
Saupates 239 
caußóxnņn 238 u. A. 1 
venoda 277 
oeAnov 277 A. 1 
oeovpos 279 

oixvs 277 

Stovgos 27 
oxdntw 142 
oxapipäaodaı 142 
oxaopaotar 143 
Leger 142 
oxnointouaı 142 
onvintew 142 
oxvdownds 146 
oxvsipoy 144 
ouoxnogdoöv 143 
ooldns 278 

| cvyxoivwvós 158 A.2 
Zvußarıos 249 


ovuue£toxos 158 A.2 
-\ovupvÄeıns 148 


‚ovmpeiıov 232u.A 2 


i A.B 


zduıcog 11 

tapıyos 143 

terdonero 220) 

tutvonero 280 

ton 256 

tveds Y 

dbreonegLooös 158 
A.2 

gaedw 281 fi. 

patos 184 


poonua 284 
pvróv 186 
yetuagoos 146 
yorotnua 284 
yoeoperrérns 148 
wédvea 277. 279 
pidveds 277. 
widos 278 
ahévy 192 
@AASY 192 


Neugriechisch. 
ayyodoı 232 A.5 
ayvavrıa 2221. 
ampari 229 
droit 225 
yvéĝw 223 
'eyniá 222. 224 
| Zyvora 222. 224 
Clépw 227 u. A.1 
kap’inu 233 
|xótovpoç 225 
‘krémmisa 228 
napavslıaoudvos 

227 
Mavpoxopödro: 232 

A.4 
ropaoaunarei 249 
oduba 229 
ovyvepo 2221. 
toréla 225 
tona 225 
tvoayva 222. 224 
pwvändzov 228 
yars 228 u. A. Ll 


Albanesisch. 


‚ovvaıyudioros 163| drangua 236 


gize 2 


ovvendnuos 158 A.2| hife 9 


penge 236 

rémp 241 

rémben 236 
shkumbe 241. 249f. 
zhinkale 236 


Altitalisch. 
(Lateinisch unbe- 
zeichnet.) 


293 


amicus 186 

aquilo 187 
blendius 250 
brucc(h)us 242 
broncus 242 
carmen 251 
colostra 6 
crassundia 25 A.1 
i dulcis 183 
elementum 255f. 
Elysium 36 
forare 283 

germen 251 
grandis 184 
lactuca 243 A. 1 
nidor 252 

umbr. pelmner 287 f. 
pulmentum 2811. 
pulpa 2871. 
pulpamentum 287f. 
renidere 252 
lsa(bJucus 2421. 
sabuncus 242. 
sambicus 242 A.2 
sambüca 238 
sambücus 242 
stomachari 189 A.1 
strambus 242 

| olea 15 A.3 


Romanisch. 
(Spanisch unbe- 
zeichnet.) 


port. banana 112 
it. bandire 241 
it. bumba 184 A.1 
ee 122 
cacagual 8% 
‘cacahuat 87 
hme vas 86. 92f. 
cacao 84 
| port. cacaveiro Tu. 
A. l 
fr. cacatois 121 
port. cacatu(a) 121 
port. cameleão 10 A.1 
altfr. cane 55 A. 2 
canibal 39H. 


|ambabdia 238u. A.2|canoa 54 


294 


fr. canot 54 

caoba 13 

chocolate 931. 

cigarro 65 A. 1 

it. cioccolata 94 

fr. colibri 77. 

port. furucäo 50 

fr. hamac 57 

hamaca 5% 

huracán 481. 

iguana VU 

fr. iguane 10 

it. maice 69 

fr. maïs 68 

maiz 67 

port. marlota 237 
A.1 

it. mogano 73 

fr. ouragan 481. 


W ortregister. 


oire 254 

'pro- 254 

jcorn. radn 251 
iro'phroidech 254 
ro: praidche 254 

| sam-fuacht 254 A.1 
|sotlestar 254 


| Gotisch. 
‚afhugs 110 
aihatundi 175u.A.4 
airknis 158 A.3 
latzzasmipa 151 
alamannam 150 
paneer gins 149 
aljakonjai 173 


‚gajuko 171 u. A.4  stldaleik 151.174 A.2 
'skaut 152 


galigri 172 A.2 

galiugapraufetus 
149 

gaman 151. 13d. 156. 

| 172 

gamarko lll u. A a 

garathts 163 

gardila-waddjus 

' 150. 151 A.3 

| gapagki 172 A.2 

gaujans 152 

gawaurstwa 155 

gawaurts 170 

gilstrameleins 148. 
150 


analaugns 110 A.2|gistradagis 150 
anasiuns 170 A.2 |gudblostreis 145 


anawiljis 170 A.2 


gudja 155 A.5 


it. rendere 235 u. A. andalauni 152. 154| Gutbiuda 149 


it. rendire 235 A. 
(236) 

fr. tabac 61 

tabaco 61 

port. tambaca 136 

tomate 95 

tomineja 18 

tumbaga 134 

fr. zébre 114 


Keltisch. 
(Irisch unbezeichnet.) 


ailestar 254 
aiscid 269 

are 255 

binit 11 

dana 255 

de 253 

cymr. deifio 253 ` 
e(ijle 254 
eileastrom 254 
elithrigmi 254 
gaile 23 A.2 
gaim 253 

gem 254 

ger 3 

corn. cabm 251 
corn. Zabmal 251 
na‘cil 254 ` 


| u.A.d. 155 
andawairpi 151 
arbinumja 146 
asilugairnus 153. 
154 A.1 
awiliuda 154 
'awiliub 151. 156 
balsagga 150 
balwawes 147 
brupfaps 150 
dulgahaitja 145 
eisarnabandi 149 
faihugawaurki 149 
Vater 154 
i 


(i 


fauragagga 146 
‚fauratani 151 A.4 
flligri 172 A. 1 
filu- 161 A.1. 162 
| filuwaurds 113 
'fotubandi 149 

| framwairps 141 
\fullafahs 161 A.2 
gabaurjaba 162 

| gadauka 171 A.2 
gadrauhts 172 
gafrapjis 170 
gageigan 2 A.3 
gahlaiba 171 A.3 
gajuk UL A.4 


haimopli 151 
haubip-wundan 161 
helbrastakeins 148. 
150 
hundafaps 153. 155 
hunslastaps 149 
ibdalja 151 
ibdaljin 154 
inkilpo 171 A. 1 
inkunja 170 
inwitops 170 
Juggalaups 1131. 
kunawidom 150 
-laus 162f. 168 
lausqiprs 175 
lausawaurds 174. 
175 A.5 
-leik 174 
liugnawaurds 175 
u. A.2, A.d 
manamaurprja 
146. 150 
manaulja 150 
marisaiws 149 
midjasweipains 
148. 150 
nahtamats 149 
naudipaurft 157 
samalaups 173 


smakkabagms 153 
swnagogafaps 155 
swultawairbja 14% 
tains 156 A.6 
taujan 253 

timrja 141 

tuzwers 171 
pbrutsfills 175u.A.3 
pusundi 151 
ufar-flu 161 A A 
ufargudja 155 
ufar-mikil 161 A.4 
ufarswara 146 
ufwaira 170 
unairkns 158 
unandsoks 147 
unbiarja 151 A.5 
unbimait 154 


'undarleija 170 


unfreideins 151 
ungalaubeins 154 


unhulba 160 


unkaureins 151 
unleds 169 


iunmilds 159 


unnuts 159 ` 
ungenips 164 
ungeps 147 
unrodjands 165 A.2 
unsahtaba 164 
unsibjis 159 
unsutis 109u. A. 
unsweibands 166 u. 
A.l 
untals 159 u. A. 2 
unpiup 156 
unwahs 159 
unwamms 159 
unweis 159 
unweniggo 169 
unwers 169 
unwita 159 
unwunands 165 
usdaups 169 
wadjabokos 149 
wailaandanems 
161A.3 


wwailadephs 147 
eoailagaleikaips 
164. 165 
ewwatlawizns 148 
wamba 22 
zoeinabasi 156 
wweinagards 149 
weinatains 156 
weinatriu 149 


weinadrugkja 145 |fries. fülsel 27 
wigadeinom150.153| galstar 289 


winpiskauro 150 


Nordgermanisch. 


(Norwegisch unbe- oe, ze-dweor 9 


zeichnet.) 


bembel 18 

bil 13 

schwed. brista d 
an. eski 136 
schwed. haild 26 
heil 26 

an. hljomr 189 

isl. hyldir 26 u. AV 
kjake 4 A.2 
schwed. ldtte 28 
schwed. rensning 27 
rjome Du A 3 
schwed. rudda 16 
dan. skarn 27 

isl. skera-st 10 

isl. skyr 10 
sprengja 5 

an. vil 23 

vinstr 17. 20 ff. 


Westgermanisch. 
(Hochdeutsch un- 
bezeichnet.) 


ambon 17 
ame 17 
Arlberg 251 
Banane 112 
ae. bil 12 

ae. bile 12 
bila 12 

e. boast 184 
Butter 6 

e. Caliban 47 


| ae. gehrüsl 290 
| 


ind]. huyue 16 


Wortregister. 


e. canue a4 e mandrill 112 
ndl. chocolate 93 |e. mohogeney 12 
ae. cildhama 26 A.2| Opossum 9% 


|e. cockatoo 122 Orkan 48 

le. cocoa 88f. Rahm 6 u. A. 2 
e drill 107ff. 111 je. read 14 

sich fegen 2% ae. réada 15 
flia(w)ka 243 Rein 27% 


| Flöt(o) 238 A.2(239)|riuhhan 252 


Roden 16 
ndl. roode 15 
ae gealdor 289 Rum 16 
ae. gealdorgalend e. rumbullion 17 
189 | sazta 235 
'Stawka 243 


Schokolade 93 
ae. sidsa 289 
Spinggel 250 
fries sund-els 27 
ae. swinsian 290 
e. tabac(c)o 61 


ae. gehruxl 290 
gequahlit 144 
ger» 248 

ae. geswin 290 
ae. giccan 2A.3 


e. gnu 119 Tabak 61 

ndl. haal 26 e. tobacco 61 
ae. halan 25 Tomate 95 

ae. hdlsian 289 ndl. tombac 131 
Hängematte 5% Tombak 130 
ndl. hangmat 57 =| t8ukkw 248 


ndl. heel 26 
ndl. he(ejling 26 
fries. hialing 26 


ndd. tymbron 141 
untariauhta 189 
| Wanst 21f. 
Wigwam 99 
ae. hwiscettan 290 


(h)wispalon 290 Zebra 114 


ydwal 248 zimbrio 141 
yünel 248 
Kakadu 122 Litauisch. 


Kakaobohne 88 
ndl. kakatoe 121 
Kannibale 43 


anys 261 A.3 
atsesorius 257 
atitakojis 266 


Kanoe 54 aŭti 265 

Kolibri 77 bdmba 19 A.1 
lastar 289 brolau 271 
Leguan 10 Dievump 2715 
lehtar 28 duktau 271 

ndl. Zicht 27 gaidaŭ 271 A. 5 
e. light 28 (272) 

Mais 68 gizti 1 
Mahagoni 13 ieškóti 267 ff. 
'(Man)drill 1021. ‘ina 259 A.6 


ae. wudu-bil 12 A 2 


295 


ynas 261 
it(as) 259 
laüukun 275 
ledus 274 
levintörius 259 
liepine 136 
maitnastis 257 
matsitkas 258 
militkas 258 
mote 271 A.5 
name 275 
namieje 275 
nauda 257 
noksina 264 
nokti 261 ff. 
nukirsti 265 
nuodu 276 
pagieza 2 
pajustinas 261 
A. 5 
pastéti 265 
ıprandkti 263 
'-sei 276 
sèkti 271 
| skildndis 24 
| skilvis 24 
smieje 275 
sperus 262 u. A.5 
‚sukrüs 8 
| sunkalai 8 
Go? 221 
zemétskat 258 
Zmuo 208 


Lettisch. 


auts 266 
cietet 271 
näkt 261f. 
priek3auts 266 
rügt 6 

sukt 8 u. A 3 
sükties 8 


Südslawisch. 
(Altbulgarisch un- 
bezeichnet.) 
serb. diskati 267 
ist» 261l u. A.5 
| Zože 28 


296 Wortregister. 


pops 19 A.1 ‘hebr. sabbatjon 249 | tupi cacau 89 |Aalipina 46 
Sav(v)a 239 amhar. zecora 119 |guarani iguana 72 |kulidla 57 

slov. starsi 221 taino mahiz 61ff 
slov. ziemprha 247 Koptisch. ‘Karibische Gruppe. ouragan 48f. dlf. 

sıore 221 | (Karibisch un- tabaco 66 
Russisch. bezeichnet.) 

Kondratij 232 A.4 Algonkin, akat 58. 60 Kongo. 
rovno 260 R oson 91 calinago Ai 'banam 112f. 
serdce 189 wikwahemunk 101) o ngoa Haff. zebra (SP 


spet 262 wikwam Jat. cub. Caniba 45 |zerba 1158 


Mexikanisch. hait. caoban 73 | 


Westslawisch. hait. Carib 45 | Bulom. 
(Cechisch unbe- tet SE 84 cub. Caribna 45 | boggoe 109 
. nicar. cacao Et 
een) chocolat! 94 galib. colibri 79 ff. Kaffir. 
hledati 268 — |coztomatl 96 jmacor. furacan 498 Tou Nor 119 
Se SN N kakanotl 84 gi on 49 | l 
sbožný 2i A4 alcacahuatl 921. galib. ibari 8: Indonesische 
poln. wyscigad sie toma 96 ougoutti 53 A. 1 Sprachen. 
264 tomatl 95 géng e | a = 
omas Ob a ago l ezeichnet.) 
Die | galib. /Zukusi 82 dangdang 128 
VAER e Sé 4 Maya. | į iisa kaka 124 ff. 
aioe = ) icacá 91 pale sche kakatua 120 
jardagat 30 | rappe: kakatīwa 122. 129 
Lubi 277 Coroado (Arowakisch un- | ; 
° : : tembaga 131 
qadim 34u.A.8 |boke 66 bezeichnet.) sagal: tumbaga 134 
rauéaq 29 ‘ tabaco 66 amaiha 61 tiwa 129 
raudaqgah 34 f hamaca 58i. 
raut 34 | Tapi-Gruppe. taino iguana Tl i Siamesisch. 


syr. rauta 34 omagua acdo 89 taino tuana 71 tambac 133 


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