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Full text of "Zeitschrift des Vereins für Hessische Geschichte und Landeskunde"

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ur a Ar 


Zeitſchrift 
des Vereins 


av für 


beffifche Gefchichte und Landeskunde. 


LEN 


Achter Band. 


5 x 3 
\g 2 — * = 
Raffel, 1860. Nu? 
Im Commiffions-Verlage von 9. 9. Bohne. 
(August Freyschmidt.) 


Kaſſel. 
Druck von Döll und Schäffer. 
(2. Döll.) 
— — — 





L 


H. 


Inhalt. 


— t — 


Beiträge zur Geſchichte der Ciſtercienſer Nonnenklöſter 
Frauenſee und Kreuzberg ꝛc. Dom Pfarrer Büff . 
Heinrich, Biſchof von Hildesheim. Bon E. F. Moo yer 


III. Heſſen vom 13. Juli 1757 bis zum 21. März 1758. 


IV. 


Mitgetheilt vom Archivar Dr. Landau . . . 
Lateinische Infchriften des Kurfürftenthums Heſſen. 
Bufammengeftellt und erllärt von Prof. K. Klein 
m Mainz.... .. 


V. Der Heiligenberg. Vom Archivar Dr. Sandan. 


VI. 


Zur Erinnerung an Dr. C. F. Löber. Von Ferd. 
Altmüller.... 


VI. Beiträge zur heſſiſchen Orisgeſchichte. Mitgetheilt bom 


VII. 


Archivar Dr. Landau. 
Borken. nn. 
Die Altenburg > 2 0 0 re. 
Niberumf 2 2 0 2 nr ee. 
Die Sundsbung . 2 2 2 2 2 . 
Der Wehrgraben - 2 2 2 2 2 en ne 
Der Watbrg 2 2 2 2 2 er. . 
Gubdenstag . » 

Nachträge zur Reibenfolge derjenigen Perſonen, 
welche den Nonnenklöftern Egeſtorf, Fiſchbeck, Möllen- 
bed, Obernlirhen und Rinteln vorftanden, Von 
€, 3 Mooyer in Minden ... . 

Die heſſen-kaſſelſche Kriegsmacht unter dem Land. 
grafen Karl bis zum Frieden von Ryswick 1696 . 


IX. Subfivienverträge zwifchen Heſſen, den Vereinigten 


Niederlanden und England aus den Sahren 1694 
bis 1708. Mitgetheilt vom Bibliothefar Dr. Bern 
barbi.. [ } ) [2 % ® % ‘ + + 0 + ‘ 


105 


109 


216 


XII. 


ZI. 


IV. 


AV. 


. Die zwei älteften ſchriftlichen Grundlagen ber land⸗ 


ftändifchen Verfaſſung in dem Yürftentbum Heſſen 
und den anhangenden Grafichaften. Mitgetheilt vom 


Oberpoftmeifter 5. Nebelthbau . . 2 2 0. 
. Bon den alten Heerwagen und Heerwagengeldern. 


Vom Ober-Appellationsgerichtsrath Dr. Büff .. 
Die Schlacht bei Kalefeld. Mitgetheilt vom Archivar 
Dr. Landau. . . . . .. 
Altenftüde über die große Bewegung im 1 beutfehen 
Adel in den Jahren 1576 x. Mitgetheilt vom 
Archivar Dr. Landau. » 2 2 0 ee en. 
Die Bevblkerung Kurhefiend und beren Bewegung. 
Mitgetbeilt von ber Kurfürftlichen ſtatiſtiſchen Kom⸗ 
miſſion ... .. 
Beiträge zur heſſiſchen Ortsgefeichte, Mitgetheilt 
vom Archivar Dr. Landau. 
Die Stadt Allenporf, die Soben und die Burg 
Weſterbegg. nn 
Wigenbaufen . © . . er. 
An der Stadt Kaffel wird ein Mordbrand verfucht 
Naubeim - 2 2 2 02 rn nenne 
Die Kalbeburg » 2 2 0 er 0 00 
Die Landung - 2 2 2 2 2 0 0. 
Der Edelhof zu Sohaufen -. » 2. . 
Die Burg zu Waltau . . » FE 
Die Gründung ber Stabt Richtenau le“ 
Ellingerrdddeee. 0. 


I. / 
Beiträge zur Gefchichte 
der Ciſtercienſer Ronnenklöſter Srauenfee und Breuz- 
berg und deren fpätere Scicfale. 


Bom Pfarrer Büff zu BVölfershaufen bei Vacha. 





Penn noch verfchiedene Ergänzungen zu dem früs 
heren Aufjag über Kreuzberg, B. VIL ©. 36. ff. d. DL, 
bier nachgebracht werden, fo wird man e8 dem Sammler 
jener Nachrichten, der zwar in der Nähe des Ortes, nicht 
aber der Quellen, fich befindet, nachjehen, daß er hier noch 
nachzubringen fich beftrebt, wa8 ihm dort entgangen war, 
Und wenn die Notizen über das Kloſter Frauenfee auch 
fein vollftändiges Bild dafiger Verhältniffe bieten können 
(die Nachrichten find bier fpärlicher gegeben als dort), ſo 
dürften fie Doch des Verſuchs, ihren Inhalt im Zuſammen⸗ 
hang darzuftellen, nicht unwerth fein. 


1) Das Eiftercienfer Klofter zu Frauenfee. 


Gegend und Ortsverhältniffe. 
Der Ort des fpäteren Klofterd Frauenfee, in die Schen⸗ 
fung Carls des Großen 1. J. 786 an das Stift Hersfeld 
mit eingefchloffen*), gehört zu den bewaldeteften und rauhe⸗ 


*) Wenck heſſ. Geſch. Urk. B. IL. Abth. 1. ©. 14. — Landau, Ter- 
ritorien S. 199. 
VEIT. Band. 1 


2 


. fen der ganzen Umgegend. Der Raum der dazu nöthis 
gen Gebäulichkeiten, überall mit Baumwuchs umgeben, und 
der dem Walde abgeiwonnene Aderboden befanden fich un— 
mittelbar vor einem, über 30 Acer haltenden und mehr 
al8 50 Fuß tiefen See, ber jebt noch, nachdem es biß 
zum Sabre 1776 gelungen ift, einen Abzugsftollen zu 
graben, ihn um 30 Fuß tiefer, und damit den Heinern 
nebenliegenden See troden zu legen, mit Grauen in den 
Schlund der ehemaligen Waſſermaſſe blicken läßt, die felbft 
in fpäterer Zeit den nächſt der Stelle des ehemaligen 
Kloſters entitandenen Ort zu verichlingen drohte. Dies 
jer, wie es fcheint, in der Urzeit durch Einfenfungen ent— 
ftandene See gab dem Klofter und dem fpäteren Orte den 
Namen, Sin geringer Entfernung finden fich noch mehrere 
zum Theil mit Waffer gefüllte kleinere Einjenfungen, als der 
Eifenfee, jetzt troclen gelegt und zu einer Wiefe umgewan— 
beit, und der an der Landſtraße von Fulda nach Eifenach 
gelegene f. g. Hautjee, welchem ein Abzug nicht hat gege= 
ben werden können, Eine darauf befindliche ſchwimmende 
Inſel (die Haut), etwa /, Ader groß — der See hält ge= 
gen 5 Ader — durch die zufammengewachienen Wurzeln 
darauf ftehender Büfche gehalten, gab ihr ben Namen. 
Zerflüftungen mancherlei Art in der Nähe der umliegenden 
Bergabhänge zeigen, was ſich vielleicht in der Zukunft noch 
ergeben könnte. 


Entftehung des Kiofters und die Advokatie 
über daffelbe, 


Es laßt fich freilich über deſſen Gründung kaum et- 
was Anderes als Vermuthungen aͤußern. Nach einer ſpätern 
Angabe, deren Grundlage jedoch nicht bezeichnet ift, fich 
vielmehr faft in die Sage verliert, hätten die Nonnen zum 
See zuerſt ihren Sitz am Kohlbach, unterhalb Gerſtungen, 
ober in Netra gehabt, und wären von da in bie Eindde 


3 


zum See übergefiebelt *). Welche Veranlaffung fie dazu 
gehabt, und mit weilen Hülfe fie e8 ausgeführt, darüber ift 
eine Vermuthung nicht zu äußern. Erft im Jahre 1202 tritt 
das Kloſter in lacu urkundlich hervor, wo Hermann, Lands 
graf zu Thüringen, fich mit Berthold von Salzungen wegen 
der Advokatie über vafjelbe vergleicht und diefem, gegen Abs 
tretung berjelben, eine Hufe in Hermandrot übergiebt. Es 
wird weiter im Jahre 1222, wo nach Bertholds Tode 
deſſen Bruder die abgetretenen Rechte über das Klofter aufs 
neue ſich anmaßt, Die Sache mit des Probſtes Elbinus Beiftlim- 
mung dahin verglichen, daß derfelbe nicht nur feines vers 
meintlihen Rechtes fich begibt, fondern auch gegen Erles 
gung von 43 Mark auf die Advokatie über Bertrand, En 
gelroth, Seebad) und Tann, welche er zu Lehn gehabt, zum 
Beſten des Kloſters verzichtet, und diefelbe an Abt Lud⸗ 
wig zu Hersfeld und damit der Kirche in lacu übergibt **), 


Schutzherrlichkeit. 
| Don einem päpftlichen Schubbriefe, wie bei Kreuz⸗ 
berg, ift zwar nirgends die Rede, deſto häufiger aber 
fommt der zu ertheilende Schuß der Landgrafen von Thü⸗ 
ringen vor. So befennt 1309, dat. Wartberg in die assumpt. 
virg. glorios., Sriedrich, Landgraf von Thüringen, als Do- 
minus terre, daß er die Jungfrauen-Kirche in lacu, die auf 
feinem Grunde und Boden gelegen ſei, in feine Protection 
genommen, und diefelbe von allen Laſten und Beſchwerden 
befreit habe. Bon feinem Nachfolger deſſelben Namens wird 
1334 diejer Schußbrief in feinem ganzen Umfange erneuert, 
und vom Herzog Friedrich Wilhelm zu Sachfen 1444 abers 
mals beftätigt und ein Privilegium darüber ertheilt. Dies 
jelbe Beftätigung erfolgte 1474, und haben die Landgrafen 
von Thüringen und Herzöge von Sachſen bis auf fpätere 


9 Spalatin und Gottingus. &, Heufinger, Sagen bes Werrathals, 
©. 38. 
‚#*).Uck im Staatsarchiv zu Kaffel Über Frauenſee. 1% 


4 


- Beiten die Landeshoheit über das Gebiet des Kloſters ſtets 
behauptet und in Geltung erhalten. 


Gütererwerb. 


Die Gütererwerbungen und Schenkungen kommen 
hier in gleicher Art, wie bei Kreuzberg, doch in weit ge— 
ringerer Zahl vor. So vermacht Bernhard von Salza 
dem Kloſter zum See 1250, zum Heile der Seele ſeines 
verftorbenen Bruders, den Ertrag eines Pfundes, das je= 
doch mit 6 Mark wieder abgelöft werben könne. Desglei— 
chen 1 Hufe zu Schornftete, welche Giejeler von Welsbach, 
Bürger zu Eifenadh, und deſſen Ehefrau Bertrade dem 
Klofter zum See eingegeben und für den Altar des heil. 
Bernhard, den der Vicepleban Theodorich zu ©erftungen 
und Gottfried von Lupnitz daſelbſt aufgerichtet haben, ge— 
ſchenkt. Davon mußten jedoch jährlih 2 Pfd. Wach! nad) 
Fulda entrichtet werden. 

Die weitern bedeutendften Erwerbungen, durch Schen- 
fung oder Kauf, find folgende: 

Ludwig und Albrecht Gebrüder von Crayenberg ver⸗ 
ehren 1330 dem Klofter zum See 40 Pfd. Pfennige, und 
verfprechen diefe Fünftige Oftern ohne Wiederfpruch zu ent- 
richten, 

Diefelben vermachen dem Kloſter 1338 eine halbe 
Pfanne Salz zu Salzungen, die jährlich zu Michaelis 6 Pfd. 
Schillinge erträgt. 

Hermann von Wildprechtrode befennt 1386 acht Viertel 
Korn jährlihe Gülte, um 40 Pfd. Heller wieder ablöglich, 
an die Klofterjungfern zum See verkauft zu haben. 

Berthold von Vahrenbach verehrt 1404 dem Klofter 
zum See 10 Pfd. Heller zu einem ewigen Lichte, 

Dietrich Möller und Ehefrau werden 1514 für 10 Guls 
ben, die fie zum Slofterbau geliehen, nicht nur aller guten 
Werke des Klofter8 theilhaftig gemacht, jondern e8 wird. 


5 


ihnen auch zugefagt, daß für fie und ihre Eltern Vigilien 
und Seelenmefjen im Klofter gehalten werden follen *). 


Bahlder Klofterfhhweftern und die Bedingun— 
genzur Aufnahme derjelben, [owie Bermehrung 
der Kloftereinfünfte. 


Daß die Zahl der Bewohnerinnen des Kloſters, im Ver⸗ 
gleich zu den Einnahmen, gleichiwie zu Kreuzberg, nach und 
nach zu groß zu werben drohte, und man daher auf Ein» 
ſchränkungen und Vermehrung der Einkünfte Bedacht neh⸗ 
men mußte, ergiebt ſich bier, wie dort, aus Folgendem: 
Der Dechant des Stift8 Petri zu Mainz ſetzte bereit8 1233 
die höchſte Zahl der Nonnen, „alt und jung“ , wie e8 in 
der Urfunde heißt, auf 66 fell. Würden jedoch, jo wird 
in Mebereinftimmung mit Probſt, Aebtiffin und Konvent, 
1285 weiter feftgeftellt, Klofterjungfrauen in die Welt wie- 
der zurüdgehen, jo follte das Klofter deren beivegliches und 
unbewegliche8 Vermögen, Lehengüter allein ausgenommen, 
ob fie e8 ſchon hätten verſchenken können, an fi behalten. 
Auch wird 1354 dur Johann, Abt zu Hersfeld, befoh- 
len, keine Schwefter wieder aufzunehmen, die nicht 12 Mark 
Silbers zu ihrem Unterhalte mit ins Klofter bringen Tonne, 
Zugleich wird erinnert, daß man Die Waldungen und Ge— 
hölze genauer, wie bisher, in Obacht nehmen, überhaupt 
künftig mit befferer Delonomie verfahren möge **). 


Einnahmen und Gerichtsbarkeit. 
Da die ganze Umgebung des Kloſters anfangs aus 
Holz und Wald beftand, daher Die urbar zumachenden Län 
dereien erſt dieſem abgewonnen werden mußten, jo läßt fich 
denken, daß in Zeiten, wo es an Händen noch fehlte, Die Daraus 
zu ziehenden Einnahmen nur ſpärlich und langſam wachen 
fonnten. Und e8 übte dieß feinen Einfluß auf Das, was 


*) Urk. im Staatsarchiv zu Kaflel. 
) Daſelbſt. 


6 


außerhalb : durch. Schenfung oder Kauf erworben wurde, 
ebenfalls aus. Da es jedoch an. früheren Zeugniffen dar⸗ 
über fehlt, fo müſſen hier fpätere zu Hülfe genommen, 
und von dieſen rückwärts gejchloffen werden. 

Die Aebtijfin des Klofter8 zum See, Margarethe von 
Lerbach, übergab zwar 1526, Dienſtags nach Symplieii, 
alle brieflichen Urkunden des Kloſters laut beigefügter Spe- 
eiftention dem Kloſtervogt Flach, aber außer den. wenigen, 
aus welchen das vorftehende gezogen ift — 26 an der Zahl — 
findet fich nichtS mehr vor. Auch. die alten Regiſter⸗ 
lein, welche Flach von 1535, 1536 und 1537 feinem Nach— 
folger ‚hinterließ, find zwar im Jahre 1614 in den Erb- 
insbüchern noch als vorhanden bezeichnet; allein von ba 
an fehlen. fie, der 3Ojährige Krieg hat ſie mit hinweggenom= 
men. Die Klofterrechnung von 1594, nebſt denen des fol- 
genden - Jahrhunderts, dieſe jedoch nicht ohne bedeutende 
Rüden, find es allein, welche fich noch finden, und aus wel- 
ben. in Betreff der Einnahmen hat. gejchöpft werben können. 

Die Orte au: welchen das Klofter feine Zinsgefälle 
bezog, waren: Frauenſee, Dönges, Lindigshof, St. Juft, 
Springen, Hof Alberts, Hetzenberg, Wüftendiez, Horfchlitt 
und Auenheim, Brems- und Scheuchesmühle, Hußfeld Cbei 
Pferdsdorf), Markſuhl, Burkhardiode, Teichmühle, Tiefenort, 
Windiſchſula, Breidenbach, Harnrode, Berka, Dippach, Zell, 
Hersfeld, Epicheneln, Stadt und Amt Gotha, Tenneberg, 
Die zuerft genannten 12 machten die |. g. Vogtei aus, ohne 
daß jedoch, wie bei Kreuzberg, je von eigenen Leuten babei 
die Rede iſt. Daß indeſſen ein Vogteis oder Kloftergericht 
ſchon früher beftanden habe, ergibt ſich aus den Beftim- 
mungen eined Vertrag! zwiſchen Sachjen und Heffen von 
1540, worin gefagt ift: Das Gericht über Schuld und 
Schaden folle bei Landgraf Philipp „als Beſitzer des Erb— 
gerichts“ bleiben, die Gerichtsbarkeit über Hals und Hand 
aber Sachen gehören, Aehnlich behält ſich Sachſen bei 
:entitebenden Bergwerken das Berggericht vor, fowie Die 


7 


Hälfte der Nutung, fofern die Ausbeute in edlen Metallen, 
Gold oder Silber, beftehen würde *). 

Die Einnahmen des Klofter8 — man wird annehmen 
dürfen, daß dieſe 1594 mindeftens nicht weit von den frü- 
bern abwichen — beftanden, außer dem Sloftergute, in 679 
Gulden 23 Gnaden an Geld, und 255 Vrtl. an Früchten, 
Korn und Hafer, nebft 305 Zinshahnen, 205 Rauchhühnern, 
7 Zinsgänfen, und 10 Schod Eier. Das Kloſtergut ent- 
bielt 225 Ad. Aderland, und 74 Ad. an Wiefen, ‚Gärten 
und Triften und brachte gegen 200 Vrtl. ein, an denen 
jedoch für die Bearbeitung beinahe die Hälfte wieder ab» 
ging. Don 1602 ab war daffelbe auf eine Reihe von Jah⸗ 
ren, mit Einichluß der Hand- und Fahrbienfte, für 450 
Gulden verpachtet. Ein nicht unbedeutender Theil der weis 
tern Einnahmen mußte, wie ſich das denken läßt, aus ben 
MWaldungen gezogen werden. Das Jahr 1594 gibt, und 
ziemlich gleich die folgenden, 173 Gulven für Holz; und 
Schweinemaft an. An Rottädern und Rottwiefen, bie 
früheren waren Tängft in Erbleihegüter übergegangen, wer⸗ 
den in den Rechnungen an 1200 Ad., die größere Hälfte 
für den Ort Frauenfee felbft, aufgezählt. Ste brachten, 
durchſchnittlich den Ad. zu 2 Gnacken Zins berechnet, 57 
Gulden 6 Gn. ein. Die lebten 400 Ad. waren laut Ver⸗ 
trag von 1540 — jedoch unbejchadet der Wildbahn, Die Sach⸗ 
fen allein für fih in Anſpruch nahm, und nur die niedere 
Jagd auf den Feldern dem Vogt überließ — von Sadı- 
jen bewilligt; außer dieſen follte aber fpäterhin feine Ab⸗ 
gabe von Rottland mehr ftattfinden. Im Sabre 1595, 
wo Landgr. Morit 12,000 Gulden auf die Kloſterbeſitzung 
dargeliehen erhielt, die mit 600 Gulden jährlich verzinft 
werben mußten, wird die Kloftereinnahme, nad Abzug 
der Beſoldungen, und Übrigen Ausgaben, auf 1200 Gul⸗ 


*) Urt, im Rechnungsamt Crayenberg zu Ziefenort, 


8 


den berechnet, welched auch ber Wirklichkeit ziemlich nahe 
kommen mochte. 


Gebäulichkeiten. 

Dieſe find mit dem Neubau der Kirche (1855 bis 1857) 
nunmehr gänzlich verjchwunden, und Nachrichten über die— 
jelben aus früherer Zeit nur noch fpärlich vorhanden. Zwar 
ift 1602 noch von einem Klofterhaufe die Rede; auch die 
Kirche mit der Probſtei beſtand damals noch in früherer 
Weiſe; aber über die Lage und innere Einrichtung von 
diefer ift jo wenig etwas zu fagen, als von jener e8 ficher 
tft, ob fie durch Veränderungen im Laufe der Zeit mehr 
oder weniger umgeftaltet worden war. Bon Reparaturen 
und Berbefferungen an beiden ift zwar mehrfach die Rebe, 
aber ein deutliches Bild der Gebäude ift daraus nicht zu 
entnehmen. Schindeln zur Dedung der Probftei werden 
1602 angefchafft, ein neues VBorgebäu der Treppe bergeftellt, 
die wüfte Kammer am zweiten Thurm nebſt der Stube des 
Vogts 1605 ausgebefjert, auch unter der Verwaltung des Abts 
Joh. Bernhard zu Fulda, der die katholiſche Konfeffion im 
Stift wieder einzuführen ftrebte *), an ber Kirche, die Durch 
Brand gelitten hatte, 175 Gulden verbaut. Aber, wie ge— 
jagt, ein deutliches Bild der Gebäulichkeiten läßt fich dar— 
aus nicht entnehmen. Es jcheint ſelbſt, daß die Ausbeſſe— 
rung der Kirche nicht vollftändig geweſen, oder Daß fie fpä- 
ter wieder aufd neue verwüftet worden jei; denn 1685 wird 
beides, Pfarrhaus und Kirche, an diefer namentlich Der 
Thurm, fo baufällig bezeichnet, daß eine Reparatur nicht 
Yänger verjchoben werben dürfe. Die fürftliche Kanzlei in 
Rotenburg jchlägt indeß das Gefuch ab, indem die Einnahmen 
des Klofter8 durch die vergangenen Kriegsläufte fo tief ge= 
funfen feien, daß an ſolche Ausgaben zur Zeit nicht gebacht 
werben könne **), An die Stelle des Kloſterhauſes, dag 


*) Ledderhose, iur. hass. prince. in abb, Hersf. p 111. 
°) Acten im Reg. Arch. zu Caſſel über Frauenſee. 


9 

vieleicht Yänaft fchon zufammengefunfen war, Tieß Landgraf 
MWilhelm 1632 bi8 1633 das f. g. ſteinerne Haus, mit 
einem Koftenaufwande von 1032 Gulden erbauen. Daffelbe 
wurde dem herrichaftlicden Beamten angemwiejen und von 
ibm bewohnt, die Probitei, fo viel Davon noch übrig war, 
dem Pachter des Kloſtergutes übergeben, deſſen Fruchtboden 
fih im Dachgefchoffe Der Kirche befand. Dieſe wurde jo 
lange in ihrem dürftigen Zuftande von der Gemeinde be= 
nutzt, bis endlich ihre Baufälligfeit dieß nicht länger ges 
ftattete. In der Neuzeit trat eine freundliche, durch fürſt⸗ 
liche Munificenz reichlich verzierte, an ihre Stelle. Der 
Heft der Probftei mußte damit ebenfall3 fallen, und feit- 
dem ijt fein Stüd von den alten Sloftergebäulichkeiten 
mehr zu ſehen. 


Ordensperſonen und Geiſtlichkeit. 


Auch hier fließen die Quellen ſpärlich. In der Regel 
ſprechen die noch vorhandenen Urkunden nur vom Probſt, 
Aebtiſſin und Convent, ohne die Namen derſelben zu nennen. 
Bon zweien der Pröbſte wird, außer dem oben genannten 
Elbinus 1222, noch zweier, des Probfte8 Hermann Hil 
(1488 — 1492) und Georg von Weitershaufen (1511— 1527) 
gedacht *). 

Bon den Aebtiffinnen werden genannt: eine Lucarbis 
1315, Hedwinis 1404, Katharina von Benhaufen 1514, 


®) Letzterer that fich insbefondere dadurch rühmlich hervor, daß er von 
Frauenſee aus der unter Abt Volpert Riedeſel bewirkten Incor⸗ 
poration des Stifts Hersfeld mit Fulda eifrigft widerfprach, fich 
zum Abminiftrator des verwaiſten Stifts erklärte, und dadurch ben 
Grund zur Wiederauflöfung diefer dem Stifte nachtheiligen Ber- 
bindung legte. Die geharnifchten Neben des Abts Hartmann zu 
Fulda (Schannat, Cod. probat. hist. Fuld. p. 348), welche das 
Näthliche des Unternehmens für beide Stifter darthun, und zu⸗ 
gleich Das nicht gerechtfertigte Beſtreben von jenem zeigen will, 
erreichten ihren Zweck nicht; Hartmann mußte zuletzt jelbft Die Wie- 
berauflöfung ausfprechen. Lebberhofe a. a. O. p. 153. 





10 


und Margarethe von Lerbach 1526; deögleichen finvet fi 
ber Verzichtbrief der. Klofterichweiter Margarethe von. Brei- 
denbach, gen. Breidenftein, Die: gegen eine Rente von jähr- 
lich 3 Vrtl. Korn auf ihre. Berechtigungen: verzichtete *). 

Bon den. Beiftlihen werden nur. zwei vor der Reformation 
bezeichnet. Ein Kapları 1506, der. aber von Salzungen 
aus, in der Kapelle sieben dem Chor — vielleicht der des 
Heil. Bernhards — zu :fungiren hatte; und Joh. Geyſe, 
welcher 1327 Kaplan zum See genannt wird **), 

Die Dotirung der Pfarrei, welche an Die Stelle ber 
früheren Kaplaneien trat, war wahrfcheinlich ſchon Landgraf 
Philipps Wert. Es trug diefelbe urjprüglich .nur 15:Qul- 
ven an Geld, 12 Vrtl. Korn, 6 Vrtl. Gerfte und 5 Vrtl. 
Hafer aus den Kloftereinfünften ein, wozu noch ein Beitrag 
von durchſchnittlich 3 Gulden 12 Gn. aus. der Gemeinde 
für Haltung der Kommunion kam. Bom ehemaligen Sie= 
chenhaus war ferner noch eine gewiſſe nicht näher bezeich- 
nete Summe übrig, welche, auf einen Garten oder Lände- 
reien geliehen, dem Pfarrer den fonft gänzlichen Mangel 
an biefem erjeßen ſollte. Es jcheint, daß die Unzulaͤnglichkeit 


9 Die große Verſchiedenheit der Abfindungen von Kloſterperſonen in 
Heſſen — oft ſteigen ſie auf mehrere hundert Gulden oder zu einer 
bedeutenden Anzahl von Vierteln Früchte, oft ſind ſie viel geringer 
als die vorſtehende — gründeten ſich, wie man annehmen muß, 
theils auf das mehr oder weniger Eingebrachte — bisweilen wird 
dies als Hauptgeld auch ausdrücklich bezeichnet —, theils wohl auch 
auf die Kräfte des Kloſters ſelbſt, oder auf die mehr oder mindere Nei⸗ 
gung in die Welt zurüdzufehren, die Wahrjcheinlichkeit hier befjern 
Erwerb und Unterkommen zu finden, oder dort mit mehr Ruhe 
und Gemüthlichkeit leben zu können. 

Nach v. Rommel, Geſch. von Helfen Bd. II. A. ©. 292, wo 
die Aebtiffin von Lauerbach genannt wird, werben noch 4 andere 
Klofterjchweftern ‚in Frauenſee abgefunden, und aus dem Klofter 
entlafjen, als: Leyfe von L., der Aebtiſſin Schwefter, Agade won 
Weitershaufen, Friederide von Buttlar und Katharine Schützemeiſter. 

2*) Stephan; Stofflieferungen zur deutſchen Geſchichte S. 100 und 
Url, im Staatsarchiv zu Caſſel über Frauenſee. 





11 


der Beſoldung oder andere Grunde ihre zeitweilige Erhöhung 
nothiwendig machten; denn es findet fich, daß dieſe jpäter mit 
Sinzunahme des Decems von den Höfen Lindig und Heßen- 
berg, auf 29 Gulden und 19 Bril. Korn, 7'/, Metze Wai⸗ 
zen und 7 Bril. 6 Meben Hafer flieg. Pater Reimerus, 
dem unter ber. Berwaltung Abt Bernhards zu Fulda 1629 
Die Pfarrei. übertragen war, wurde bereit der Geldbetrag 
mit ben zuerft bezeichneten Früchten auf 20 Gulden erhöht, 
wobei der Vogt für. deſſen Beföftigung vom 23. Juli 1629 
bi8 24. Februar 1630 noch 70 Gulden 11 Gn. in ber 
Kloſterrechnung für ihn vergütet erhielt. Im den zunächt 
darauf folgenden Jahren 1632 und 1633 iſt dem Pfarrer 
der Befoldungsbetrag, vielleicht der damaligen Kriegsläufte 
wegen, auf 58 Gulven erhößt, dagegen das Korn auf 15 
Bril, geftellt. Jener geht zwar fpäterhin auf 29 Gulden 
wieder zurüc, die bezeichneten Früchte aber bleiben, jedoch 
wie. ausdrüdlich dabei gejagt wird: „aus Gnaden.“ Es 
jcheinen trotz dem verhältnigmäßig nicht eben geringen Be⸗ 
joldung&betrage Gründe, fich weg zu wünfchen, vorhanden 
geweſen zu fein, denn nirgends kömmt wohl ein jo häufiger 
Wechſel der Geiftlichen vor, als zu Frauenſee während die— 
fer Zeit *). Auch werden einige Mal, vielleicht bei Va⸗ 
eanzen, Beiolvungsbeträge dem Pfarrer zu Friedewald über- 
wieſen, der alſo, obfchon in ziemlicher Entfernung, wie e8 
Scheint zur Aushülfe dienen mußte. Der Grab der Sitt- 
lichkeit in der Parochie, was indeß vielleicht zum Xheil 
der Individualität der Berichterftatter zuzufchreiben iſt, 
wird nicht felten als .ein wenig erfreulicher gejchilvert. 


*) Johannes Habermann 1594, Bitus Korngiebel 1602, Johannes 
Kenner 1612, Johannes Thürmer 1614, Reinhard Matheus 1627, 
Pater Reimerus 1629, Nikolaus Meife 1632, Johannes Hoßbach 
1685, Chriſtoph Limburg 1639. - Nach diefer Zeit fehlt ein Geift- 
ficher auf längere Zeit ganz. Dann: Joh. Friedr. Schlemmer 
1671, David Pfaff 1685 u. U. (Meg. Arch.) 





12 


Beſitzer des Kloſters feit der Reformation. 
Berträge mit Trauenfee und den anliegenden 
Orten. Schluß. 

Landgraf Philipp zu Helfen, dem wegen Unterbrüdung 
des Bauernaufruhrs im Stift Hergfeld 1525 und den de8- 
bald aufgewendeten Kriegskoſten von 12,000 Goldgulden, die 
Hälfte der Etadt Hersfeld, der hersfeldifche Antheil von 
Berka, und das Kloſter zum See pfanbweife eingeräumt 
war, kam damit zuerjt in den Beſitz deſſelben. Aus einer 
Pfandverſchreibung, welche Landgraf Philipp an Ludwig 
von Boyneburg 1540 über 4000 Goldgulden ausſtellt, und 

ihn damit auf die Kloftereinfünfte anweift, ift erfichtlich, Daß er 
e8 zu jener Zeit noch in Beſitz hatte. Abt Michael Land 
graf belehnt Heffen 1557 mit der Hälfte von Frauenfee 
zu rechtem Mannlehn; und A. Crato Weiffenbach behielt 
fih, al8 er 1592 auf das Stift refignirte, unter Anderem 
die Einkünfte von Frauenſee, hersfeldiſchen Antheils, vor. 
Daß Landgraf Morit 1595 abermald 12,000 Gulden auf 
die heififche Hälfte der Kloftereinfünfte Tieh, ift bereitß oben 
erwähnt. Und diefe Hälfte blieb, bis Frauenſee zulegt mit 
Hersfeld ganz an Heflen fiel 9. Während deſſen beſaß jedoch 
Helfen Rotenburg den hersfeldiſchen Antheil vertragsweiſe 
mit Petersberg auf Yängere Zeit, und als Abt Bernhard 
zu Fulda 1629 im Stift gegenreformirte, nahm diejer Die 
Einfünfte von Frauenfee auf die Zeit feined Beſitzes ein. 

Im Laufe der Zeiten hatten fich auch mancherlei Sr= 
rungen mit den Einwohnern in Betreff der Holzberechtigung 
und Hute erhoben. Schon im PVertrage von 1540 wurde 
zwar die Viehhute, wie fie hergebracht, in den fächfifchen 
Wäldern ferner zu üben zugeftanden, aber genau dabei be= 
ſtimmt, in welcher Weife Die zu gefchehen habe, damit ber 
Wildbahn nicht Schaden geſchähe. Es wird dies 1562 auch 
ben umliegenden Orten, Wünfchenfula, Horfchlitt, Boſſerode, 


*) Url, um Reg. Arch. zu Caſſel. 





' 


13 


Berka und Breidenbadh, in herfömmlicher Weife, jetoch mit 
Ausichluß der Gehege und ebenmäßiger Schonung der Wild 
bahn, geftattet. Mehr Mühe koftete es, die Streitigfeit über die 
Holzberechtigung zwijchen den fächfiichen und heffiichen Orten 
in den nahen Wäldern zu fehlichten; fie hatten fchon zu fo 
manchen und bebauerlichen Exceſſen, Pfündungen und Schlä- 
gereien geführt und man lag bereit8 feit längerer Zeit im 
Prozeſſe darüber. Endlich gelang auch dieſes, in einem Ver⸗ 
trage von 1574 *). Bon den Gehölze nämlich, das kalte Fled 
genannt, follte da8 Amt Kraienberg zwei Theile, und Frauen 
fee einen Theil zur Bebolzigung erhalten, und beiden zuge= 
mefjen werden, Ddedgleichen wurde die Feldmark zwilchen 
Frauenſee und. Kiefelbach genauer und deutlicher beſtimmt. 
Die Wüftung und Holz, das Griffards genannt, worüber 
ebenfall8 manche Irrungen vorgefallen waren, jollte dages 
gen PBrauenfee allein bleiben. Ebenſo wurde fich wegen 
des Waldes Zehnhaufen, zwijchen Frauenſee und Tiefenort, 
verglichen und die Fünftige Grenze näher bezeichnet, Ueberall 
jollte jedoch dieſe Vereinbarung Teinen Einfluß auf Hut— 
und Triftgerechtiame haben, vielmehr Diefe bei dem bishe— 
rigen Herfommen jümmtlich bleiben und gelajfen werben, 

Im Sabre 1736 wurde Frauenſee mit dem Amte 
Landeck an Sachſen, gegen Entjagung der Anfprüche an 
Hanau »Münzenberg, abgetreten — wobei jedoch die Be— 
ſtimmung feftgefegt war, daß ber evangel. reformirte Got⸗ 
tesbienft, ohne Einführung einer andern Religion, ober ei- 
ned Simultaneums, beibehalten werden müffe —, e8 kam aber 
durch Erbkauf 1742 wieder an Heflen zurüd *). Seit 
1816 ift das Amt Frauenſee, einfchließlich de8 Orts Go8- 
penroda, nach Staatövertrag vom 2. Sept. 1815, von Helen 
getrennt, und definitiv mit dem Großherzogthum S,-Wel- 
mar-Eifenach vereinigt, 


2) Urk. im Nechn.-Amt zu Tiefenort, 
**) Ledderhoſe, Kirchenftant ©. 229, 


14 


2) Das Klofter zu Kreuzberg. 
Urfprung und Gründung, 


Wenn B. VII ©. 42 ff. d. BL. 1190, als das Jahr 
der Erbauung der Kirche und Gründung des Kloſters be— 
zeichnet wird, weil im folgenden 1191ften Sahre von Papſt 
Cöleſtin II. ein Schutzbrief für dafjelbe ausgeftellt ift, ſo 
wird man dies nicht im ſtrengen Sinne des Wortes 
zu nehmen haben, da jeven Falles es eines größeren Zeit— 
raums zu Errichtung eines folchen Werkes beburfte, auch 
die Zeit des Schutzbriefs *) nicht nothwendig mit der fei= 
ner Gründung zufammen fällt. Zwar weift der im An- 
fang de8 Jahrhunderts in Frankreich entftandene Orden 
der Ciſtereienſer bereit8 mehrere in Helfen geftiftete Klöfter 
auf, als: Aulesburg, fpäter Haina 1140, und Germe— 
rode 1144 **); doch dürfte der Urfprung des Kloſters zu 
Kreuzberg als ein fpäterer, der Zeit des Schutzbrie— 
fes nahe liegender, gebacht werden müſſen, weil die be— 
zeichneten Güter wegen ihrer noch verhältnißmäßig geringen 
Zahl und Einnahmen ***), neben dem Ausprud, daß fie 
von Königen und Fürſten gefchenft ſeien — (nicht erfauft, 
wie doch fpäter fo häufig vorkommt) — eher auf einen An— 
fang, als auf eine längere Dauer, fehließen laffen. Und 
wenn Darauf hingedeutet wird, daß der Beſitz von Häufern 
in Herdfeld der Sammlung, vor ihrem Einzug in Kreuz- 
berg, zur Wohnung gebient haben dürfte, fo Tann freilich 
auch auf andere Weife und zu anderen Zwecken ihr Er- 


*) Er wird irrthümlich ©. 48 und 56 Stiftungsbrief genannt. 

*) Zufti, die Vorzeit v. 1821 ©. 7%, und Schminde, Geſch. des Klo⸗ 
fterg zu Germerode, Bd. VILS.29 DB. 

632) Bon den auch noch im fpäterer Zeit mit Zinsbeträgen für das Klo⸗ 
fter vorfommenden Orte, als Kreuzberg, Salzungen, Hersfeld, 
Zella, Oſtheim bei Gotha, ift auf die 1593 in den Zinsregiftern 
fehlenden: Ingemarftat, Edftete, Suavehufen, Goltheim und Helin- 
gen zu ſchließen. 1 | 


15 


Erwerb und ihre Benutzung Statt gefunden haben, wenn 
auch ſolche Imzüge geiftlicher Genoffenichaften von Klei— 
neren zum Größeren, mindeſtens zu jener Zeit, nicht unges 
wöhnlich find, wie der Urfprung des Klofter8 zu Frauenſee, 
und die Damit verbundene Sage ſchon zeigt, und wie fi 
auch bei anderen findet ). ragt man nach dem eigent- 
Yichen Gründer, dem Stifter des Klofters, fo tritt eine gleiche 
Ungewißheit hervor, und das um fo mehr, da eine 
Scupherrlichfeit des ZXerritorialberen, wie bei Frauen- 
fee, nirgends genannt if. Doch war daſſelbe auf thü- 
ringtihem Boden erbaut, Der Pfalzgraf Ludwig hatte ein 
Erbgut dafelbit: es Tiegt alfo nahe, neben dem genannten 
Guntherus de .Cruceberc auch diefen, wenn nicht für den 
eigentlichen Stifter, doch gewiß als Beförderer und Beſchützer 
defielben, fich zu denken. 


Gebäude und Räumlichkeiten. 


Es wird ftet3 eine jchwere Aufgabe bleiben, Da, wo 
Pläne und genaue Bezeichnungen ehemaliger Gebäulich- 
feiten und Räume fehlen, fich fpäter diefe noch genau zu 
vergegenwärtigen. Auch Benennungen und andere Zei- 
chen, die auf diefelben zurüdgehen, finb häufig nur ein 
Mittel irre zu leiten; denn man vergißt bei ihnen zu leicht, 
daß fie entweder zufällig find, oder daß die Sage nur einen 
Kern hat, der in feinen vielfachen Umhüllungen um ſo 
ſchwerer fich erfennen Yaht. So auch bei Kreuzberg. Das 
nördliche, durch einen Zwiſchenbau weſtwärts mit der Kirche 
verbundene Gebäude, und mit berjelben fait ein ‘Dreied 
bildend, wird zwar da8 alte Schloß genannt; aber na= 
mentlich in feinen unteren Theilen, die mit den oberen, 
bei eigenen Ausgängen, nicht in Berbindung ſtehen, all- 
gemein. für einen Reft bes Kloſters gehalten. Biswei- 
len ſcheint man fi auch an dieſer Stelle die Probftei 


2) Die Eiftercienfer in Haina ſ. a. a. O. 





16 


gedacht zu haben; was um fo Leichter möglich, Aft, da län⸗ 
‚ger als ein halbes Jahrhundert das Kloſter pr von Pröb⸗ 
ften noch bewohnt war, oder mindeftens in deren Beſitz fich 
befand. Selbſt die vorhandene Sage von’ einem Mönch, 
ber fich von Zeit zu Seit darin fehen Yaffe, Dort umgehe, 
jcheint nicht undeutlich darauf hinzudeuten *). Betrachtet 
man jedoch das Gebäude, namentlich auf der nach ber 
Kirche hin gerichteten Seite näher, was wegen des be— 
ſchränkten Raumes zwar nicht leicht ift, fo ergibt fich, daß e8 
von diefer Seite ehedem frei gewejen fein müſſe, da ver= 
mauerte Fenſter⸗ und Thüreingänge fich hier zeigen, die be— 
weifen, daß fo nahe ein anderes Gebäude nicht geftanden 
haben könne. Es würbe auch dieß ohnedem eine font bei 
Kloſtergebäulichkeiten ungewöhnliche Lage und enge Be— 
gränzung derſelben andeuten, die mit ben bedeutenden ſpä— 
teren‘ Einnahmen und zahlreichen Bewohnerinnen wenig 
übereinftimmen würde, Man ift daher gendthigt, ſich nach 
einem anderem Raume für die ehemaligen Kloftergebäude 
umzufehen, und dieſer fcheint fich auf der Südſeite der Kir- 
che nicht undeutlich zu zeigen. Dort, in dem jeßigen |. 9. 
Küchengarten, haben fich von Zeit zu Zeit noch bedeutende 
Refte von Mauerwerk beim Aufgraben de8 Bodens gefun- 
ben; dort zeigen fich ſeitwärts ber Kirche, rechts und links, 
noch zwei vermauerte Thüren, welches die Aus- und Ein» 
gange des Kreuzganged zur Kirche geweſen jein Tonnen. 
Denkt man fi um diefen die Hauptgebäude des Klofterg, 
jo dürften fie. einen nicht unbedeutenden Raum des bezeich- 
neten Gartentheil® eingenommen haben. Der ſpätere Kreuzs 
gangsgarten, Y/, Ad. 15 Rth. groß, welcher fich 1644 in 
dieſer Weife noch aufgeführt findet, nebft dem, demſelben 


*) Saft follte man ſich hier zu ber Meinung bingeleitet fühlen, es fei 
unter demfelben der Mönch Guntram aus der Tölnifchen Diöcele 
zu benfen, von Bonifaz IX. 1393 eingejett, aber durch Clemens VII. 
bald wieder vertrieben, ber ferne verlorene Probftei ſuche. 


17 


nahen, noch jett im abgegränzten Raum vorhandenen f. g. 
Rebenthal *), war ohne Zweifel, nach Verödung des Klo— 
fter8, an feine Stelle getreten unb vom Kloſtervogt zu 
ökonomiſchen Sweden benutzt. Was die Lage der Gebäu— 
lichkeiten ſelbſt betrifft und beren innere Räume, welche jpäter 
nur noch als fürftliche Gemächer, oder Wohnungen für den 
Kloſtervogt, namentlich aufgeführt werben, fo ift es ſchwer, 
ihren urfprünglichen Zuftand zu ermitteln. Entweder ift über« 
haupt in den vorhandenen Schriften nur vom Klojter und 
deſſen Gebäuden, feltener von der Probftei, Die Rede; oder 
es wird ein langes Hauß, rothed Haus, Kalkhaus, Kemnate, 
Bad- und Brauhaus, Meyerei ꝛc. genannt, ohne über ihre 
Rage Aufichluß zu geben, Daß fich indeß der Haupteingang 
zur Kirche weitwärts durch ein hohes Gewölbe, unterhalb des 
Thurms, jebt das fürftliche Erbbegräbniß, hingezogen habe, 
iſt noch an den in der äußern Wand befindlichen Zeichen 
zu erkennen. Die Kloftergebäude mußten aljo eine folche 
Zage haben, um von ihnen leicht zum Haupteingange ges 
langen zu fünnen. in gewölbter zweiter Eingang an ber 
nördlichen Seite ber Kirche, Dicht am Thurm, jebt eben- 
falls vermauert, jcheint ver Eingang für die Dorfbewohner 
gewejen zu fein. An feine Stelle ift ein anderer, oberhalb 
aus dem Schloßgebäude zur Kirche führend, getreten. 

Daß die Kloftergebäude aber noch fpäter, und bis zum 
30jährigen Kriege, von Bedeutung gewefen fein müſſen, 
zeigt neben dem, was über Reparaturen und fonft in den 
Kiofterrechnungen diefer Zeit vorkommt, daß bei Ueber— 
nahme des Klofterd Durch Landgraf Morig und Abt Ioa= 
Kim 1593 noch über 2000 Vrtl. Trüchte, welche auf den 
daſigen Kloftergebäuden Yagernd aufbewahrt wurden, mit 
übergeben werden konnten. 


*) Der Anbau von Reben war für die damaligen Kloftergemeinfchaften 
um fo nöthiger, da der zum Tirchlichen Gebrauche nicht zu ent- 
behrende Wein nicht jo leicht wie jet aus ber ferne bezogen wer⸗ 
ben konnte. Auch in Frauenſee befand fich ein folches Rebenthal, 

VI, Band. 2 





18 


Das Reformationßzeitalter. 

So fpärfih auch bier die Quellen ſchon im. Alfge- 
meinen zu fließen pflegen, fo mußte Doch dieß bei der Abtei 
Hersfeld um fo mehr der Fall fein, da die Aebte bei ihrer 
Hinneigung zum Lutherthum, als geiftliche Neichsftände, 
um den von der Gegenfeite drohenden Gefahren, dem ſpä— 
teren’ geiftlichen Vorbehalt und Anderem was entgegen ftand 
zu entgehen, und ihre Würden und Einnahmen nicht zu 
verlieren, vorfichtig Dabei zu Werke zu gehen, und Aufjehen 
zu vermeiden verbunden waren *); Doch auch das Wenige, 
was fich hier in Betreff Kreuzbergs noch findet, wird nicht 
ganz ohne Intereſſe jein. 

Die Erſchütterungen des Bauernfriege8 i. J. 1525 
trafen zuerſt in herber Weiſe auch das Kloſter zu Kreuzberg. 
Der im Fuldagrund zuſammengelaufene und bald} bis Vach 
vorgedrungene Bauernhaufe lagerte zwar zunächſt vor dem 
Schloß in Völkershauſen. Nachdem er aber hier durch 
Vergleich mit Hans v. V. feinen Zweck erreicht, oder min- 
deſtens zu erreichen geglaubt hatte, erjchien er Montags 
nach Quaſim. vor Bach, beraubte und vermwüftete das in 
bafiger Vorſtadt gelegene . Servitenflofter und mit: Diefem 
‚gleichzeitig. Da8 zu Kreuzberg. Der fchon Freitags vorher 
gefchehene Beitritt deffelben zu den 12 ſchwarzwälder Arti- 
feln vermochte nicht, e8 vor dieſem Schickſal zu ſchüten **). 


=) Dieß war jedoch nicht immer möglich. So ſchreibt (Walch Luth. Schr. 
Bd. XXI p. 85 2c.) im Jahre 1523 Luther an Spalatin: „Lefet 
bien neue Dinge von Eiſenach und mein neugieriger Wirth fchreibt: 
ber Abt von Hersfeld läßt allen freien Ausgang, fowohl München 
als Nonnen. Und der Pfarrer in Hersfeld bat nad feiner erften 
Frau eine andere genommen.” 

*6) Bericht des Amtm. und Stabtraths zu Vach an L. Philipp Mont. 
n. Quaſim. 1525 (Reg. Arch.): „Sey finnt aber vonn flunde vor 
Vach ins Mönchsclofter gezogen, baffelbige dermaßen verwüſtet mit 
fampt dem Cloſter zu Creuzbergf, Bas wir uns vß mitleyden in 
biefelbige ſach hynzulegen auch begeben.” Die Urfunbe bes Klo⸗ 
ſters über deſſen Beitritt zu ben ſchwarzwälder Artikeln |. d. Beil- 


19 


Das Nächite, was fich jet wieder zeigt, iſt das Jahr 
1537, wo Probjt Kremer zu Kreuzberg ein neues Berzeich- 
niß der beitehenden Zinsnota und Einnahmen des Kloſters 
aufnehmen läßt, und zugleich die Ausgaben befjelben bes 
zeichnet *). Nach den Ausgaben ergibt fi, daß damals 
noch 3 Ordensperſonen, deren Namen jedoch nicht genannt 
werden, aus ben Kloftereinfünften zu unterhalten waren. 
Es erhielt eine jede 8 Gulden jährlih in halbjährigen 
Raten **) Weiter fommen 6 Gulden für Hrn. Michael, 
den Kaplan, „von wegen jeined Lohns“, der im folgenden 
Sahre ausprüdlich Michael Landgraf genannt wird, vor. 
MWahricheinlich war hier der victus et amictus, der zu jener 
Zeit auch bei Eivildienern als ein Hauptbeftandtheil der 


Bejoldung fih fand ***), noch außerdem verliehen, Ders 


ſelbe fungirte alſo jeit 1524, wo er zum Kaplan dajelbft 
ernannt war, noch fortdauernd in dieſer Eigenichaft zu 
Kreuzberg, indem von einem andern Geiftlihen nir= 
gends die Rede iſt +). Zwar wird ein Georg Wahlfabt 


°) Die Namen der Orte ſtimmen, foweit nachzukommen ift, faft genau 
mit den jpätern überein, obſchon ein beftimmter Betrag von Gelb» 
und Fruchtzinſen nicht angegeben if. Das Negifter bezieht ſich 
zum Theil auch auf das folgende Jahr 1538, ift aber leider nicht 
vollftändig. (Reg. Arch. zu Caſſel. Repert. 11. coll. 21.) 

**) Man darf fi) dieſe Summe jebod nicht zu gering benfen, da ihnen 
vielleicht noch freier Tiſch mit andern Bortheilen zufloß, fo lange fie das 
Klofter mitbewohnten. Selbft aber ohne dieß ift zu bedenken, daß 
nah dem damaligen Münzfuße bie kölniſche Mark zu 7 Gulden 
ausgeprägt wurbe, Zieht man dabei den höher ftehenden Werth 
bes Geldes in Betracht, jo ift das allein ſchon eine Penfion, bie 
nicht unbedeutend erfcheint. 


*e+), Bernhardi, Kaffel ums Jahr 1580, im heil. Jahrbuch für 1855, . 


©. 26 ff. 

» Rur ein Mal kömmt von einem Geſchenke „dem Raid” vor, Ob 
dies Balthafar Raid, Pfarrer zu Hersfeld von 1523 bis 1552, 
war, ber vielleicht im geiftlichen Geichäften bafelbft geweſen fein 
könnte, ift nicht zu entſcheiden. Es ift aber anzunehmen, daß 
zwifchen ben Jahren 1538 und 1545 die Feflftellung veränderter 
Parochialverhältniffe zu Kreuzberg ftattgefunden habe 


l 


20 


mehrmalß genannt, ohne daß jedoch ein Beſoldungsanſatz — 
nur einmal erhält er 6 Önaden Opfergeld — fich fände, 
Da er jedoch den noch vorhandenen 3 Klofterjungfirn ftet8 
ihre Deputate bringt und auch dem Vogt manche Einnah- 
men bejorgt, jo bleibt e8 unentſchieden, ob er der im 
Sahre 1545 von Kreuzberg zum Pfarrer nach Vach beru= 
fene Georg Wahlfabt, oder ein Anderer dieſes Namens war. 

In der Mitte des Jahres 1538 tritt, nach dem Tode 
des Probſtes Kremer, Andreas von Kreuzburg als Probft 
zu Kreuzberg auf. Das Einnahme= und Ausgabe-Verzeich- 
niß des Klofter8 endet aber bald, nachdem noch einige Aus— 
gaben für Türfenftener, Arbeiten an einer Mauer des Klo— 
fter8 und für Arme angemerkt find, ohne Abfchluß und 
Unterfchrift. Ein weitere8 dergleichen Verzeichniß findet 
fich, wie bereit8 bemerkt ift, erft 1593, unter Landgr. Mo— 
rig und Abt Röll, in den Klofterrechnungen wieder, welche 
von da ab bis zur Landgräfin Hedwig Sophie und der 
Uebergabe von Kreuzberg an Heſſen-Philippsthal fortge- 
führt, und in dem Archive des Amts Vach, wenn auch mit 
manchen Lüden, aufbewahrt werben. 


Die Pröbſte Michael Landgraf, und Crato 
Weiffenbach. 

Die Einnahmen der Klöſter fielen, nach deren Säku— 
lariſation, allein den Pröbſten zu, ſoweit ihnen nicht Verpflich- 
tungen für abgefundene Klofterperfonen und erneuerte geift- 
lihe Einrichtungen auferlegt waren, oder die Verwaltung 
der Güter und die Erhaltung der Gebäude Verwendungen 
nöthig machte. Daffelbe Recht hatten ihre Nachfolger, wenn 
man die Stellen wieder zu bejegen für gut fand, was in 
der Regel im Stift Hersfeld der Fall war. Sie beburften 
aber auch dieſer Erhöhung der Einnahmen, denn neben 
dem Aufwand, den fie ihrer Würde gemäß zu machen hat— 
ten, kamen noch bebeutende Zahlungen bei ihrer Ernen- 

nung zum Dechanten, Coadjutor oder Abt hinzu, Der 


21 


bei Erhebung zu den beiden Ietten Stellen für päbftliche 
und Taiferliche Beftätigung zu machende Aufwand war ins⸗ 
befondere ſehr bedeutend *). 

In der Regel ergäaͤnzte ſich die Abtei aus den Stif- 
tern zu Rasdorf und Hünfeld. So war e8 aud bei Mi- 
hael Landgraf, der mit dem geringen Kirchendienſte eines 
Kaplana zu Kreuzberg den Anfang feines geiftlichen Wir» 
kens gemacht, und diejen eine Reihe von Jahren, bei geringer 
Einnahme, verjehen hatte. Nach dem Tode von Andreas 
von Kreuzburg 1552 bereitS zu der Würde eines. Dechan- 
ten des Stift8 und Probſtes zu Petersberg erhoben, er- 
hielt er auch die erledigte Probftei zu Kreuzberg. Schon 
2 Jahre ſpäter zum Coadjutor erwählt, trat er im Jahre 
1556 al8 Abt in die höchfte Würde des Stiftes ein. Seine 
Berdienfte um die Abtei find befannt; und daß er deßhalb 
feine Sorgfalt für die Probftei Kreuzberg, dem Orte feines 
langjährigen früheren Wirkens werde fortgejeßt haben, Yäßt 
fih nicht in Zweifel ziehen. Bereit 1557 jchloß er einen 
Vertrag mit Landgr. Philipp ab, der die früheren Ver— 
pflichtungen des Stiftes, wegen Unterdrüdung des Bauern=- 
aufitandes, regelte **). Bon feiner geiftlichen Wirkſamkeit 
find die Kirchenvilitationen, welche er 1560 bis 1566 in 
den Stiftspfarreien vornehmen ließ, Zeuge ***). Und von 


2) Für Michael Landgraf wird die Ausgabe allein fiir bie päbftliche 
Eonfirmation feiner Erhebung zum Abt 1556 auf 795 Golbs 
kronen und die faiferliche Beftätigung auf 360 Goldgulden berech- 
net. A. Weiffenbach gibt 1592 an, daß bloß feine Ernennung zum 
Coadjutor ihm an die fünftehalb taufend Gulden gefoftet hat, 

**) Aug hierbei ift Kreuzbergs gedacht. Pebderhoje a. a. O. ©. 185: 
„tem behalten wir ons, vnſerm Stifft, vnd Elofter Creuzbergk 
vor, die Jacht vfm Siucich, auch andre Jachten, was wir deren 
herpracht haben.“ 

er) Reg. Arch. Die Relationen über dieſelben, bie auch Auskunft über 
den damaligen Stand der Konfeſſion geben, aus dem Dunkel her⸗ 
vorgezogen zu ſehen, würde nicht ohne Intereſſe ſein. Die Kloſter⸗ 
pfarreien find jedoch von ber Viſitation ausgenommen, „weil gnädig⸗ 


22 


feinem im Stifte erworbenen Vermögen gründete er 1570, 
mit einem Aufwande von 40,000 Gulden, eine Schule, 
das ſpätere Gymnaſium, zur höheren Ausbildung von Dies 
nern der Kirche und des Staates. Eine zum Segen be8 
Landes wirkende That, die mehr fpricht, als Worte aus— 
drücken können. 

Ludwig Landau aus Hünfeld, Dechant des Stiftes, 
nach dem Tode Landgrafs 1571 zum Abte erwählt, ernannte 
mit Einwilligung des Landgrafen Wilhelm, als Erbſchutzherrn, 
Crato Weiffenbach zum Dechanten, und zugleich zum Probſte 
zu Kreuzberg und Frauenſee. Da derſelbe die Probſtei 
Gellingen ſchon beſaß, erhielt er damit 3 der anſehnlichſten 
Pfründen des Stifts *). Abt Landau hatte ſich bereits bei 
Antritt ſeines Amtes gegen Landgrafen Wilhelm, unter Bei— 
ſtimmung des Dechanten Weiffenbach, verpflichten müſſen, 
des Landgrafeny Sohn, ſofern derſelbe ins Stift werde ge— 
ſetzt werden können, die Abtei gegen hinlängliche Recompenz, 
wieder abzutreten und zu überlaſſen; jedoch fügte Weif— 
fenbach hinzu, daß er hoffe, man werde in dieſem Fall ihm 
den Beſitz der Probſteien Gellingen und Kreuzberg nicht 
entziehen. Im Jahre 1588 zum Coadjutor ernannt, mußte 
diefer fich ebenfall8 reverfiren, eine befondere Vergütung für 
Uebernahme und Belorgung dieſes Amtes nicht zu bean 
ſpruchen; auch was er in feinen innehabenvden Klöftern 
und Brobfteien erworben, und in fparfamer Haußhaltung 
bei feinem Tode zurüd Yaffen würde, follte nach Stifte. 
herfommen bei dem Stifte bleiben. Aehnliches wurde 
gleichzeitig Dem Erbſchutzherrn verſprochen; wobei zugleich 
eine Nefignation auf das Stift, wenn fie erfordert würbe, 


fter Herr dieſe ſchon genugfam kennen würde.“ Gin ehrendes 
Zeugniß für ihn ſelbſt. 

° Das folgende Speziellere über ihn ift aus Acten gefchöpft, bie fich 
im Red. Archiv befinden In fpätern Urkunden wird er gewöhn⸗ 
lich von Weiffenbach genannt, wie das feiner Würde gemäß und 
in ähnlichen Fällen auch bei anderen geſchah. 


23 


und daß er ohne deſſen Zuftimmung feine Orbensperfonen 
aufnehmen, und in dafjelbe einführen wolle, ebenfalls und 
ausdrücklich hervorgehoben war *). 

Da Weiffenbach jedoch die päbftliche und Laiferliche Bes 
ftätigung zum Abte des Stifte8 — er war bald nach feiner Er⸗ 
nennung zum Coadjutor, und nach dem Tode feined Vor⸗ 
gängers zum Abte erhoben — unter dem Vorwande, er fei 
vom Fatholifchen Glauben abgefallen, nicht erlangen Tonnte, 
refignirte er 1592 oder, wie man es nannte, ftand ab von 
ber Regierung des Stifte, Sein Nachfolger war der biß- 
herige Dechant Joachim Röll, welcher ohne Anftand Die 
päbitliche und kaiſerliche Beftätigung erhielt, obichon bei 
ihm die Verweigerung derjelben, wäre e8 befannt gewe⸗ 
jen, näher lag als bei Jenem **x). Da bier die Bes 
ziehungen Weiffenbachs zu Kreuzberg beſonders hervortreten, 
jo wird e8 nicht unangemeſſen fein, dieſe etwas näher ing 
Auge zu faflen. . 


*) Ledderboſe a. a. O. p. 221. Dabei wurde zugleich muebedungen, 

kam jedoch nicht in die Urkunde: „Die Jagd zu Kreuzberg ſolle 

gemeinfam und das Wildpret ad mensam frugalem kommen,“ 

Ferner: jofern ber Coabjutor zur Succeſſion käme, wolle er das 

Klofter zu Kreuzberg mit allen feinen Rechten dem Landgrafen und 

feinen männlihen Erben zu Lehn geben. Früher war dazu be- 

reits ein Herr von Cornberg beftimmt. (eg. Arch.) 

”*), Es hatte Joachim Röll, als Canonicus zu KRaßborf, bereits am 
12. Rov. 1581 jchriftlich fich gegen Heflen erflärt: „Er babe zwar 
in feiner Jugend aus Armuth und weil er die Sache nicht anders 
gewußt, die Schule ber Jeſuiten bejucht, jeboch jet er Fein An- 
hänger derfelben, feine Meinung jet eine andere.« Werner: „würde 
er als Conventuale des Stifts Hersfeld aufgenommen werben, fo 
wolle er fi dem im Stift hergebrachten Religions-Eyercitio augs- 
burgifcher Konfeifion unterwerfen, bemfelben fich keineswegs wiber- 
fegen, ober befördern, daß eine Aenderung damit vorgenommen 
werde,” Gleihmäßig geihah dieß von Konftantin Faber und 
Berthold Rüdiger bei ihrer Aufnahme ins Stift 1587 (Reg. Arch.) 
Und Nikol. Selig war e8, ber 1594 folgte. (Ledderhoſe a. a. O. 
©. 239.) Sämmtlich Genanmte kamen ebenfalls aus ben Stiftern 
Raßdorf und Hünfeld nach Hersfeld. 


24 


Crato Weiffenbach, aus Niederaula gebürtig, oder wie 
man ihn feit feiner Refignation zu nennen pflegte, „der ab⸗ 
geftandene Herr”, wur, wie dieß ausdrücklich bezeugt wird, 
ein alter ſchwacher Mann, dem e8 an eignem, felbftändigen 
Handeln fehlte, und der fih von feinen Verwandten, na= 
mentlich feiner Schwefter Tochtermann Michael Edharbt, 
welcher, wie e8 feheint, fein fteter Begleiter war, zu jehr leiten 
ließ. Woher auch alle daS Uebel, das ihn in feinen letzten 
Lebenstagen noch fo hart treffen ſollte, abzuleiten ift. 

Man unterhandelte vorerft, da man von beiden Sei- 
ten einfah, daß eine Nefignation nicht mehr zu umgehen 
war, über die Bedingungen derjelben. Landgraf Morik 
hielt — Inſtruct. v. 17. u. 24. Oct. 1592 — nicht dafür, 
daß es angemefjen fei, den alten Dann mit den Probfteien. 
bie er inne hatte, und deren Verwaltung zu bejchweren. 
®r meinte, freie Wohnung und Tiſch zu Hersfeld, mit 
nothdürftiger Beholzigung, 4 Pferde nebft den nötbigen 
Dienern und 1000 Thaler baar, würde das Befjere für 
einen Mann in feinem Alter, der fi} nur noch mit Gott 
und feinem feligmachenden Wort zu beichäftigen habe, fein. 
Jedoch geftand er ihm, wenn er lieber wollte, auch Kreuz— 
berg und zuleßt, da er zugleich auf Gelingen und Frauen 
fee beharrte, auch dieſes zu *). Nachdem er hierzu ebenfallg 
die nöthige Zuficherung Seitens des Stift erhalten hatte, 
Icheint er feinen gewöhnlichen Aufenthalt in Kreuzberg auf- 
geichlugen zu haben, wenigften® wird er bei feinen Zwiſtig— 
feiten mit dem Abt ROW, die leider fo fehr zu feinem Nach- 
theile ausſchlugen, ſtets als dort wohnend genannt. 

Schon bei der einzunehmenden Huldigung Abt Jo— 
achims zu Kreuzberg, 13. Nov, 1592, fand dieſer es fehr 


Man wollte in Gellingen für ihn, als einem entfernten Orte, oder 
weil das Gericht von daher ſchon Mancherlei verbreitet hatte, einen 
Provifor ſetzen, der die Aufficht führen, und die zu erhebenben 
Einnahmen an ihn abfiefern ſoͤllte, mußte aber Darauf verzickten, weil 
er auf deu Borfehlag einzugehen in Keiner Weiſe zu bewegen war, 


25 


auffallend, daß der gerade gegenwärtige Vogt von Gelingen 
diefelbe verweigerte. Was zwiſchen beiden Herrn dajelbft 
weiter vorgefallen, ift nicht befannt geworden; aber Erjterer 
verlangte bald nachher von Lebterem Aufichluß über das 
bei Uebernahme der Abtei vorgefundene Geld, und be= 
hauptete, von den dahin gehörigen Kleinodien, namentlich 
den filbernen und vergoldeten Bechern, fehlten mehrere, 
Abt Weiffenbach gab zu, daß er von Letzterem etwas nad) 
Kreuzberg mitgenommen habe, nach feinem Tode werde 
man e8 fchon finden; und von Jenem müfje Doch vorerft 
der bedeutende Aufwand, den er bei feiner Ernennung zum 
Coadjutor gehabt habe, Ihm vergütet werden. Abt Joachim 
ſandte jetzt zwei Abgefandte nach Kreuzberg, um Weiffenbach 
das Conventsfiegel abzufordern; e8 wurde aber verweigert, 
weil noch etliche Briefe, um Lehngeld zu empfangen, damit 
zu fiegeln feien. Die Sache war nun fo weit, daß fie auf 
irgend eine Art zum Ausbruch kommen mußte, — und das 
geichahe bald. 

Am 27. Dec. 1592 — ſo wird erzählt — als Abt 
Meiffenbach Abends eben von Tifch aufgejtanden, fei Michael 
Edhardt bei ihm erfchienen und habe ihm etwas ind Ohr 
geflüftert, worauf Jener blaß geworben, eilends mit ihm 
zur Thüre gegangen, und fich zur Flucht bereitet habe, 
Weil jedoch die Schlüffel zum Thore, um die Kutiche her⸗ 
auszubringen, nicht al8bald zu finden gewejen wären, fo 
jeien beide in tiefem Schnee durch den Garten entflohen, 
von da fie ſich auf Pferde gejebt und nach Kiefelbach und 
Eifenah entlommen wären, Weiffenbach erklärt Dagegen 
in feiner Rechtfertigung an den Landgrafen, nicht aus bö— 
jem Gewiſſen fei er flüchtig geworden, fondern weil ihm 
die gewilfe Nachricht zugegangen fei, 200 Bewaffnete, vom 
Abt Joachim abgeſchickt, wären ganz in der Nähe, ihn ge— 
fangen weg zu führen; er habe daher Alles feit Yangen 
Jahren Erfparte, Hausgeräthe, Kleiner, Geld ıc. verlaffen 
und eilends fliehen müfjen, um nur feine Sreiheit, fein 


. 


26 


Leben zu reiten. Wogegen ihm Abt Joachim nachjagt, er 
habe eine Kifte, 5 Centner fchwer mit Geld, der Abtei.ges 
börig, entwendet und nach Frankfurt weggeſchickt; mit dem 
Klofterhof in, Gellingen, welchen er fälſchlich NIS erfauft 
und fein Eigenthum angegeben, habe er fich von Sachlen, 
mit feinem Bruder Balthafar, — zwei andere Brüder habe 
man zur Zeit dort nicht dazu angenommen — belehiten 
Yaffen. Er wendet fich zugleich wegen der thüringifchen 
Binfen um Hülfe an Sachſen und um Austrag der Sache 
an Landgraf Moritz. Von dort wird darauf erwiedert, 
man habe die dafigen Zinfen zur Zeit mit Bejchlag belegt, 
und werde den zu ihnen geflüchteten Abt außliefern, fofern 
es ohne Gefahr für ihn gefchehen könne. Landgraf Morig 
erklärt, er glaube, man habe von beiden Seiten etwas zu 
viel gethan, und fchlägt, um ein Abkommen zu treffen, eine 
Zufammenkunft in Rotenburg vor. Ein Mandat. de Kai- 
fer8 Rudolph de non offendendo, während deſſen eingegan= 
gen, blieb ohne Erfolg, da e8 ſpäter nach beffer erfannter 
Snformation wieter zurüdgenommen wurde, Die Abliefe- 
rung Weiffenbach3 gejchahe, ein Jahr nad) feiner Flucht 
aus Kreuzberg, zu Bella bei Bach, weil in Bach das Geleit 
ftreitig fei. Die Abfindung, auf welche man fich in Roten- 
burg verglich, beitand aus 1500 Gulden jährlich aus den 

. in Beiig gehabten Kloftergütern, mit dem Wohnfige in Ro— 
tenburg und ber. Zuficherung, Die Sache wegen der Belch- 
nung mit Gellingen alsbald wieder rüdgängig zu machen. 
Abt Weiffenbach überlebte jedoch Das. Abkommen nicht lange, 
denn die hinterbliebenen Anverwandten erhielten, nach Ver— 
gleich vom 31. Aug. 1595, einen Theil — e8 ergab fich, 
daß in Straßburg 15,060 Gulden. auf feinen Namen ver- 
zinglich angelegt waren — feines Nachlaſſes. Sein baar 
hinterlafjene® Vermögen betrug 11,892 Gulden, die in 
Kreuzberg und font von ihm hinterlaſſenen aufgehäuften 
Früchte und andere Gutsinventarien bekam das Stift 
zugleich mit jenen Ueberſchüſſen. 


27 


Kreuzberg unter heffifher Adminiftration. 
Aufbau des fürftliden Schlofjes zu Philipps— 
. tbal. Schluß. 

Anfangs fcheinen zwar die Einnahmen nach nach Hers⸗ 
feld gefloffen zu fein; der Ausdruck „an meinen gnädigiten 
Herrn“ läßt dieß zwar zweifelhaft, aber Abt Joachim ftand 
Doch, nach Abgang von Abt Weiffenbach, zunächt als Herr 
zu Kreuzberg da, und ohne beſonderes Uebereinfommen, von 
dem fich nichts findet, hatte ex Diefelben zu ‚beziehen. Auch 
finden fich noch fpäter zu Kreuzberg Immobilien, als von 
ihm binterlaffen bezeichnet *). Bemerkenswerth bleibt e8 zwar, 
daß die Nevenuen-Rechnungen von 1593 und die zunächſt 
darauf folgenden weder im Namen des Abtes, noch des Land⸗ 
grafen aufgeftellt und abgehört find **). Später findet 
fih Landgraf Wilhelm, als Adminiftrator des Stiftes, in 
denfelben ausbrüdlich genannt. Joachim Röll ftarb 1606, 
Prinz Otto folgte in der Verwaltung des Stifts, und nad) 
feinem Tode i. J. 1617 Landgraf Wilhelm, veffen Bruder; 
doch hatte dieß auf die Verwaltung ber Probftei Kreuzberg 
feinen Einfluß. | 

Die darauf folgende, und faft das ganze Sahrhundert 
andauernde, ſchwere Zeit war für Kreuzberg eine beſonders 
harte; denn der 3Ojährige Krieg trat bald darauf mit allen 
feinen Schreden ein und dauerte, in feinen Folgen, lange 
über jeinen Schluß hinaus. Anfangs zwar fühlte man 
deſſen Drud weniger. Das Kloftergut war 1618 auf län⸗ 
gere Zeit für 912 Gulden jährlich verpachtet; auch gingen 
die übrigen Einnahmen noch ziemlich regelmäßig ein. Aber 
bie Durch Tilly’ und feiner Söldner Durchmärfche bald 


2) Ein Himmelbett, mit Abt Joachims Wappen verjehen, wirb noch 
bis nach dem 30jährigen Kriege im Klofterinventarium als vor- 
handen aufgeführt. 

*0) Es ſcheint, daß die aus Nüdficht gegen Abt Weiffenbach geſchah. 
Die zunächft folgenden Rechnungen fehlen; die von 1597 fcheint 
in Hersfeld abgebört, ohne Angabe, wohin bie Beträge gefloffen. 


' 28 


nach Anfang des Krieges fich fteigernden Laſten, die fol- 
genden Kämpfe zwiſchen Kaiferlichen und Helfen um ven 
Beſitz von Bach, insbeſondere die für ganz Helfen fo ſchwere 
Zeit von 163£ — 1637, wo Kroaten und Panduren mwett- 
eiferten, da8 wenige übrig Gebliebene noch aufzuzehren und 
zu zerftören, konnte auch für Kreuzberg nicht ohne Die 
herbften Folgen bleiben. Nach 12 Jahren, in dem Jahre 
1649, werden an Zinjen von verbrannten Käufern und ver- 
wüſteten Gütern noch 330 Gulden an Geld, 252 Viertel 
Korn und 268 Viertel Hafer — beinahe die Hälfte der 
ganzen Einnahme — als unbeibringlich aufgezählt. Den 
zu Kreuzberg Angeftellten konnten deßhalb ihre Bejoldungen 
nur theilweife ausgezahlt werden. Sp gibt Pfarrer Sue- 
der zu Bach, der feit 1641 die Pfarrftelle zu Kreuzberg 
mit verfehen, 57 Gulden an Geld, 49 PBiertel Korn und 
42 Viertel Hafer an, welche ihm bis dahin rüdjtändig und 
unausgezahlt geblieben waren. Den übrigen Dienern ging 
es nicht beffer. Zur Unterhaltung der Kioftergebäulichkeiten 
fonnte wenig gejchehen. Man hört nur zuweilen von Unter- 
ziehen eines Balkens, oder Stützen einer Wand, um fie noth— 
dürftig aufrecht zu erhalten. Die namentlich bei den Plün— 
derungen eingejchlagenen Fenfter mußten fpäter mit bedeu— 
tenden Koften wieder erfeßt werden, um nur das innere 
gegen die Witterung zu jchügen. Außerhalb des Kloſters 
ſah e8 nicht beſſer aus. Zu Heiligenrode war fchon früher 
auch der letzte noch aufrecht ftehende Bau zufammengeftürzt. 
Die Mühle zu Kreuzberg, die fonft wegen ihren Einnahmen 
von Bedeutung war, lag 20 Jahre nach dem. Kriege noch 
wüſt; und bie einzelnen Käufer und Gebäude, die an den 
Zinsorten des Klofterd verbrannt oder fonft zufammenge- 
ftürzt waren und als folche bezeichnet werden, find kaum 
zu zählen. Es war Zeit, daß befjere Verhältniffe für 
Kreuzberg eintraten, und fie erjchienen. 

Schon die Landgräfin Hedwig Sophie hatte Man— 
ches zur Verbeſſerung daſiger Zuftände gethan, war hülf- 


29 


reich eingetreten, wo die Noth e8 verlangte, Doc ber 
Zeitpunkt, der entjcheivend für Kreuzberg werben follte, 
fam erft da, wo 1685 Landgraf Karl an feinen jüngeren 
Bruder, Landgraf Philipp, das ehemalige Klofter abtrat, um 
ſich daſelbſt eine fürftliche Wohnung, die unter dem Namen 
Philippsthal von da an beftund, einzurichten. Und es 
wurde diefe Abtretung duch Hinzufügen der Vogtei und 
anderer Gerechtfamen 1733 noch erweitert und ergänzt *), 

Alsbald wurden zur Ausführung bed Baues Anftalten 
getroffen. Landgraf Philipp, der ſich 1680 mit der Gräfin 
Katharine Amalie von Solms vermählt und feinen einft- 
weiligen Sit in Hersfeld genommen hatte, war jelbit in 
der Nähe, die FSortichritte des Baues zu betreiben. — Eine 
Menge Materialien an Bauholz; und Steinen, jened zum 
Theil von Nieveraula und andern entfernten Orten her⸗ 
geihafft, wurde zufammen gehäuft und eine bedeutende 
Anzahl von Menichen mit Holzichneiden, Steinbrechen, Kalt 
brennen und Hinwegräumen der alten Klofiertrümmer bejchäf= 
tigt. Daß ſeitwärs an der Straße von Norden nad Sü- 
den laufende, ehemals al8 Probſtei oder zu ökonomiſchen 
Zwecken verwendete Gebäude nebſt der Kirche blieb ftehen. 
Das ganze von Nordwärts nach Südoſt, von der Straße 
bis faft zu Ende der Kirche ſich ausdehnende Schloßgebäude**) 
nebit den zur Delonomie nöthigen Räumen mwurbe neu auf- 
gerichtet und 6i8 zum Sabre 1692 vollendet. Auch die 
Kirche erhielt noch bi8 zum Jahre 1733 mehrfacdhe Ver- 
aͤnderungen, die jedoch nicht ſämmtlich zu ihrem Vortheil 


9 Da dieſe Zeit mit ihren Folgen bereits ihre Bearbeiter in v. Rom⸗ 
mel Geſch. v. Helfen Bd. IX. S. 52, und Bach Kirchenftatistit 

S. 540 gefunden hat, fo werben hier wenige Andeutungen genügen. 

**) Es kann dies daraus mit Gewißheit gefchloffen werben, daß in dem 
1686 aufgeftellten Accorde über den Aufbau ber neuen fürftlichen 
Nefidenz ſdie Fläche, auf welcher das neue Gebäude zu ftehen 
tommen follte, genau mit ber des jet am ber bezeichnete Stelle 


beftehenben übereinftinumt, 





30 


ausfielen. Schon an fi von der Nordfeite um ein Bes 
deutendes in Die Erde gejenft, Durch ven Aufbau hoher 
Nebenſchiffe, jelbit durch die Nähe des Schloßgebäudes eines 
Theil ihres Lichtes beraubt, hat fie etwas düfteres und 
fellerartige8, dem auch durch die Umwandlung aus einer 
Klofterficche in eine evangelifche nicht abgeholfen werben 
fonnte, Sodann traten Durch die auf Befehl der Landgräfin 
Hedwig Sophie 1675 gejchehene Hinwegräumung bes katho— 
Tiihen Hochaltars und des Nonnenchors, durch die Ver- 
ſchließung des früheren KHaupteinganges von der Weftjeite 
her und dergleichen mehr Veränderungen ein, welche die Zeit 
und die Benutzung derjelben verlangte, obichon fie nicht dem 
Plane des Gebäudes in feiner erſten Gründung entiprachen. 
Nach dem, was unter früheren Verhältniffen erbaut war, 
fonnten fich die jpätern nicht richten, jene mußten fich die⸗ 
fen fügen. 

Auch die firchlichen Verhältniſſe waren hier noch mehr⸗ 
fachen Veränderungen unterworfen. Landgraf Philipp grün⸗ 
dete nach Aufbau des Schlofje8 eine beſondere Hofgemeinde, 
und berief, mit Einwilligung des Landarafen Karl, ben 
Pfarrer zu Herleshaufen zum Hofprediger nach Philipps⸗ 
tbal. Der Hofgottesdienft wurde Anfangs im Echloffe, 
als aber die Gemeinde zu ſtark wurde, nach beendigtem 
Gottesdienfte der Dorfgemeinde in der Kirche gehalten. Es 
ging indeß der beſondere Hofgottesdienft nah Verſetzung 
bes Pfarrers i. %. 1699 wieder ein. Nach dem Jahre 1725 
wurde abermals ein befonderer Iutberifcher Hofgottesdienit 
in einer dafelbft im Schloffe noch vorhandenen, jet zu an= 
deren Zwecken benußten, Kapelle eingerichtet, weil Die Prin= 
zeſſin Caroline Chriftine, Herzogin zu Sachſen-Eiſenach, 
Gemalin des Landarafen Carl I., dieſer Konfeilion war, 
und man nach der Sitte der damaligen Zeit einen bejonberen | 
Gottesdienſt deshalb für nöthig hielt, welcher ſpäterhin je— 
doch ebenfalls wieder einging. Die früheren Berhältniffe 
wurden nun wieder hergeftellt und blieben ſeitdem beſtehen. 


31 


Beilage. 


Das Klofter zu Kreuzberg tritt ben 12 fhwarzmwälber Ar 
tifeln bei. Freitag vor Oftern 1525, 
Mir Agnes von Reckerodt, Eptiſſyn, und Margareta 
bon Haune, privrin, Auch Johann Tremer propft des Klo⸗ 
ſters Creutzbergk bey Bach, thun Fund vnd befennen öffent- 
lich in und mit diefem brive allmenniglid, vor vns vnd 
vnßer Nachkommen oder Beſytzer und Innehaber des Klo⸗ 
fter8 Creuzbergk, das wir mit gutem wieflen vnd willen 
gereden vnd geloben Godt vnd feinen Heiligen, das wir 
fein göttlich wort hand haben, ſchützen, fchyrmen und ver= 
theidigen wollen, vnd nachvolgen feinen worten, vnd bes 
fennen nochmals, das wir forthban nach Inhalt der ange» 
zeigten zwölffen Artikeln von Chriftlicher Sreyheit, und auch 
ob fich zue mehr erfunden, was Inhalts wir begryffen und 
betroffen, alße vffrichtig halten wollen, gereben vnd geloben 
vnd bekennen hyrmit, alles frey ledig und los zu geben und 
zu laſſen, was gefrygt hatt Gott und der Allmechtige durch 
und in Chrifto feinem gelybten Sohne, daß wir Sollichs 
alge auf gutem wyllen vnd gleubigen Kerken gegen Gobt 
alßo befennen, vnd wir forther auch vnßern giauben mit 
nachfolgenden werfen beweiffen wollen, ſolliches zu allen 
Chriftgleubigen Herken erzeigt, befennen und befannt haben, 
vnd zu einer meherbeweyfung vnd beftetigung dem Chrift« 
fihen glauben vnd zu vrfundt, haben wir, obgedachte Ep⸗ 
tiſſyn vnd prigrin, vnßeres Cloſters vnd Convents Inſigill 
vnd glaubliche beweyſung vor vns vnd vnßere nach kommen, 
an dieß ſchrifft thun hencken, des vorgenannten probſt mit 
vnd wegen der probſtey mitgebrauch beſthem, vff freytagk 
nach dem heiligen Oſtertage Im Jare tauſent fünff hundertt 
vnd fünff vnd zwanzigk. 


(L. S.) 


32 


II. 


Heinrich J., Biſchof von Hildesheim 
(1247 — 1257). 
Bon E. F. Mooyer in Minden. 





Auf dem Bilchofsftuhle in Hiltesheim war dem Sieg- 
fried I. CH 12. Nov. 1227), welcher am 26. Sanuar 1221 
refignirte, zwilchen dem 23. Juli und 1. Sept. defjelben 
Jahres Konrad I. v. Riefemberg gefolgt, der, wie 
jener, ebenfall® abdankte, und zwar im Jahre 1247 (vgl. 
Bert Mon. Germ. hist. IX. 861, Lüntzel die ältere Dip- 
zefe Hildesheim 201), aber erſt am 18. Dee. 1248 over 
1249 mit Tode abging (daſ.; vgl. Vaterländ. Archiv des 
biftor. Vereins für Niederſachſen. Sahrg. 1840 ©. 114). 

Die leßteren Urkunden, welhe Konrads IL als 
Biſchof gedenken, find aus dem Sabre 1246 (Lüntzel a. 
a. D. 266; deſſen Geichichte der Diöcefe und Stadt Sil- 
besheim II. 195, 243, 253. Würdtwein Nova subsid. 
dipl. IL, 317. v. HSodenberg, Archiv des Kloſters Wül⸗ 
finghaufen 24. Baring, Beichreibung der Saale II, 254, 
[v. Kotze bue] Chronicon Montis Francor. Goslariae 17; 
v. Ludewig Relig. Mss. I., 265), und zwar vom 1. Mai 
(Lüntzel 315, Baring IL 254), 15. Juni (daſ. 199; 
Würbtwein. c. J. 319, 25. Juni w. HSodenberg, 
Archiv des Kloſters Wülfinghaufen 24), 27. Aug. (Würbdt- 
wein Il. c. 318) und endlih vom 23. December (Eru- 
fius Geichichte ver Stadt Goslar 95, jedoch ohne Quel- 
lenangabe). Wenn er noch am 15. Mai 1247 (mit Pontif. 
XXVL) als Bilchof auftreten ſoll (Heineccius Antigq. 
Goslar. 267, Chron. Montis Franc. Goslar. 20), jo bürfte 
dabei doch wohl ein Irrthum obwalten, denn fein Nach» 
folger, unjer Heinrich L, nennt fich bereit in einer Ur- 
funde vom 26. März 1247 erwählter Biſchof von Hildes⸗ 


33 


heim (v. Guben Cod. dipl. Mogunt. I, 597; Urkundliche Ges 
ſchichte des Gejchlecht8 der von Hanftein II. 21); e8 wäre 
benn, Daß Konrad fi, nach feiner Abdankung, noch 
Biſchof genannt Hätte, wie folcher Fälle allerdings mehr⸗ 
fach vorkommen. 

Bon Einigen wird angenommen, Konrad habe be= 
reits im Sabre 1245 feine Würde niedergelegt, und Hein 
rich fei damals Bischof geworden (Keukfeld Antiq. Wal- 
kenred 190; Bucellin I. 18; Brufch Magni operis de 
omnibus Germaniae episcopatibus epitomes T. I. p. 207b; 
aber mit 1246: Steffens Auszug aus der Gefchichte des 
Hauſes Braunfchweig-Tüneburg 191; Origg. Guelf. IV, 67; 
Wolf, Gefchichte des Gefchlechts von "Barbenberg I. Url. 6; 
Lüntzel Geſch. II, 257), für welche Annahme der Ums 
ftand zu fprechen fcheint, daß Heinrich bereit 1245 als 
Bischof angeführt wird (Schannat Vindem. lit. I, 205, 
wenn Die undatirte Urkunde in dieſes Jahr zu feben ift, 
welches nicht anzunehmen ift, da darin bed Konrads als 
verjtorben gedacht wird), nicht minder die Angabe, er 
fei vom Erzbifchof von Mainz geweiht, und zu dem, vom 
Pabſte Innozenz IV. außgefchriebenen, Konzil in Lyon 
gereift (Chron. Hillesheim in Paullini Syntagma 95), 
welches befanntlih vom 8. Juni bis 17. Juli 1245 ftatt- 
fand. Diejer Angabe widerfprechen indeſſen die Pontifi⸗ 
fatsjahre, welche jüämmtlich auf da8 Jahr 1247 hinweilen. 

Der Familienname des in Frage ftehenden Biſchofs 
Heinrich ift bisher, fo viel ich weiß, durchaus nicht bes 
kannt gewejen; auch find die Nachrichten über die geiftlichen 
Würden, welche er bi8 zu der Zeit befleivet hat, als ihn 
das hildesheimfche Domkapitel erwählte, nicht minder Dies 
jenigen über feinen Gegner, zum Theil fo widerfprechend, daß e8 
nicht überflülfig erjcheinen möchte, dieſe etwas näher zu beleuch- 
ten. Lüntzel in feiner Gejchichte Hildesheims giebt und 
(S. 257 — 261) nur einige wenige Nachrichten über ibn. 


Aus zwei Mittheilungen, welche mir mein verehrter 
VL. Band. 3 


34 


Zreund, ber Archivar Dr. Landau in Caſſel, vor einigen 
Jahren gemacht hat, glaubte derfelbe entnehmen zu müſſen, 
daß Heinrich, feinem Geſchlechte nach, einer von Apolda 
geweſen jei, wie ich denn diefe Bermuthung auch im Eor- 
reipondenzblatte de8 Gefammtvereing der deutichen Geſchichts⸗ 
und Altertfumßvereine, Jahrg. V. 1857 Nr. 8, Mai, Sp. 85 
veröffentlicht habe. Als mir nun vor Kurzem die ſelbſtgenom⸗ 
mene Abjchrift des Fragmentd eine alten Kalenders (im 
Geh. Staats-Archiv zu Berlin, 2 Blätter auf Pergament, 
im Kaften XII. Rr. 17, anfcheinend aus einem Nekrologium 
des Stift Friklar) wieder unter die Hände Tam, fand ich 
darin folgende Einzeihnung: VII. Kal Jun. Urbani pape 
mar. 9. Heinricus Eps. Hild’ de Rusteb’g. Hieraus 
ergiebt fih, daß Heinrich zum Gefchlechte der Vitzthume 
von Nufteberg gebört hat, deſſen Stammvater allerdings 
Dietrich I. Bistum von Apolda war (wel. Falcken⸗ 
heiner Geichichte ber Heſſiſchen Städte und Stifter II, 
173), jo daß Landau’ Bermuthung nicht ohne Grund 
war. Sn wiefern aber die Echenfen und Bikthume von 
Apolda mit den Vitzthumen von Aufteberg (und von 
Hanftein), zur Zeit des hildesheimiichen Biſchofs Hein- 
rich I., verwandt waren, wird wohl noch einer weiteren 
Ermittelung bedürfen; jo viel erhellt freilich aus Urkunden, 
taß Glieder beider Geichlechter jehr häufig zuſammen in 
Urfunden auftreten, wobei zu bemerfen ijt, daß dieſelben 
Bornamen in beiden gebräuchlich waren. Mögen beffiiche 
und thüringifche Hiſtoriker die weiter aufzubellen fuchen, 
benn beider Stammbäume fcheinen mir noch mancher Ver⸗ 
volitändigungen, wie auch einiger Berbeflerungen, zu be= 
bürf 


en. 

Mer der Bater unfer8 Heinrich8 war, bleibt noch 
zu ermitteln. Bon den älteren Bistbumen in Xufteberg 
erfcheint ein Lambert (deſſen gener 1139 Hartlieb 
hieß) von 1126 (Wolf, Gefchichte des Eichsfeldes IL 805 
Urt, Geſch. des Geſchlechts der v. Sanftein II, 13) bis 


35 


1139 Chaf. 82, Urf. Geſch. der v. Hanftein IT, 13, Origg. 
Guelf, IV, 545); dann findet fih in ‚ven Jahren 1141, 
1148 und 1151 ein Gerlag (Gaſ. 82), dagegen ein 
Dietrich 1121 und 1123 (Urk. Geſch. der v. Hanſtein 
I, 39), doc fragt es fih, ob dieſer noch identiſch fein 
lann mit Dietrich, Vitzthum in Apolda, dbeffen 1171 
gedacht wird (daſ. I, Urk. 3, II, 16, 405 Falckenhei— 
ner II, 173). Dieſer letztere nun hatte zwei Söhne, 
nämlich Heidenreich CIdenricus), der von 1163 — 1193 
als Vitzthum in Rufteberg erfcheint, und Helmwig (Helm- 
vieus, Hellenwicus), der von 1193 — 1198 diefelbe Würde 
beffeidete. Einer von diefen Beiden muß ber Vater uns 
jer8 Heinrichs gewejen fein, obgleich fich bis jegt eine 
nähere Anbeutung hierüber weder aus Urkunden noch auß 
Chroniken hat ergeben wollen, auch fragt es fich, welcher 
bon beiden der Vater der beiden Brüder Dietrich (von 
1205 — 1239 Vitzthum in NRufteberg) und Heidenreich 
von Hanftein (ebenfal8 von 1239 — 1256) War, 
auch ob unfer Heinrich für einen Bruder diefer beiden 
Iegteren, oder für deren Neffe gelten darf. Da ich wegen 
Mangeld an Urkunden nicht in ber Lage bin, dieſe Ver⸗ 
hältniffe aufzuflären, jo muß ich dies einem Andern über- 
Iaffen. | 

Den hildesheimiſchen Chroniken zufolge Keibnitz, 
Ser. rer. Brunswic. I. 752, 774, 11, 795; Baullini Synt. 
95; Bruſch Magni oper. I. 206b; Bueellin I. 18; 
Zeuffeld Antig. Walkenred 190; Lüngel Gel. U, 
257 u. a.) war Heinrich biß zur Zeit, ald er vom grö- 
heren Theile des Domlapitels zum Biſchof erwählt wurde, 
Srobfi des Martinsftifte in Heiligenflabt (von 1282 
bis 1247, vol. Wolf Eichsfeld. Urkundenbuch 5, beflen 
Geſch. ver Stadt Heiligenſtadt 17), nad den beiten No⸗ 
gm vom Dr. Landau, vorher auch, was nicht befaunt 
geweſen zu fein ſcheint, Echolafler in Zriglar. Bon den 
übrigen Demherten in Hildesheim war Sermann, bis 


36 


dahin Probft auf dem Cyriafsberge in Braunfchweig, ers 
wählt worden, der erft nach zehnjähriger Gegnerichaft mit 
feinen Anfprüchen zurüdgetreten fein fol Vogell Geld. 
des Geſchlechts v. Echweicheldt 16), und der fich felbit in 
einer Urkunde vom Jahre 1249 erwählten Bilchof von 
Hildesheim nennt (Origg. Guelf. IV, 210). 

Mas nun zuwörderft diefen Gegner Heinrichs ans 
Yangt, fo findet fich allerdings in der von mir auf Grund 
von Urkunden aufgeftellten Reihenfolge der Pröbfte des 
gedachten Cyriaksſtifts eine Lüde von etwa zwölf Iahren, 
welche duch Hermann auszufüllen fein würde, doch müßte 
er bei feiner Wahl zum Bilchofe, oder doch bald nachher, 
fürmlich jener Würde entjagt haben, da mit dem Sahre 
1251 an feiner Statt ein anderer Probft auftritt. Sehen 
wir dieſes Verzeichnig näher an, ſo ftoßen wir auf einen 
Folkbert CVolpertus) in Urkunden aus den Sahren 1196 
(Origg. Guelf. III. 605, Original im Geb, Staatsardjiv 
zu Berlin laut Regeften I, 94), 1197 (daS. III, Praef. 66, 
Urkundenbuch des hiſtoriſchen Vereins für Niederſachſen II, 
38, Leudfeld Antig. Walkenr. 411; Lüntzel Geſch. II, 
255), 1198, 1203, 1204 (Lüntzel 255, Origg. Guelf. IIL 
773), 1207 (dal. Origg. Guelf. III, 779), 1219 (Svanni 
Ser. rer. Mogunt. II, 688, v. Guden Cod. I, 463) un 
1226 Origg. Guelf. II. 712, Lüntzel Geſch. II, 255) 
dann auf einen Kraft (Crachto, Crahto, Crafto), werte 
nicht fchon 1227 (daſ. IV, 106) doch in den Jahren 12. 7 
(daf. 136), 1234 (dal. 141), 1235 (dal. 153, II, IT 
1236 (v. Hodenberg, Arch. des Kl. Wülfinghaufen — 
1237 Origg. Guelf. IV. pr. 65 u. 171; Lüngel Geſch. 
256), 1238 (daſ. 178) und 1239 (dal. pr. 68), welc 
bald nachher in einem Monat Auguft mit Tode abg, 
(Wedekind Noten zu einigen Schrijtitellern des Mil 
alters GE, IV, 480), —. der auch wohl der frühere ber 
Tiche Geheimſchreiber :Cscriptor) war, deifen bereits 

elf. Il, 701, vgl, IV, 223 F 


37 


von 1244), — wenn nicht ein Probft R. zum 16. Juni 
1239 einzufchalten fein möchte (daſ. IV, 178, 180). Das 
nad) tritt ein Ditmar (Detmarus) auf, den ich urkundlich 
im April 1251 (daſ. 2335 Pfeffinger, Hiſtor. v. Braun 
ſchweig⸗Lüneb. I, 255) und am 12. Oftober 1254 (Leuds 
feld Antig. Poeldens. 65) angetroffen habe. Hierauf findet 
fih in meiner Lifte eine Lüde, worauf ein Heinrich erft 
am 2. Aug. 1289, am 1. San. 1293 (Leverkus Urk. 
Buch des Bisthums Lübeck I, 343, 349) und am 24. 
März 1302 (v. Hodenberg, Archiv Des Kloſters Loccum 
339) erſcheint *). 

Wollte man annehmen, e8 möchte hierbei hinfichtlich 
des Ramens tes Etift ein Irrthum obwalten, und es ſei 
dag Blafiusftift in ter Burg zu Braunfchweig gemeint, fo 
finden fig Bier in ter Reihenfolge ter Pröbſte nicht blos 
MWiderfpräcke, jentern auch augenicheinliche Zehler, denn 
nach einem Burchard (1198, 1226) ericheint ein Folk 








=) &s ug Tüerbei erwähnt werten, taß fi ein anderes Stift auf 
tem Erriafskerge ver tem Brüffertbere bei Erfurt befindet, 
wches Tr Rennen tes Benkxtinerorvens eingerichtet wer (von 
Selleıteim Ttüring. Ehren. 1129, Thuringia sacra 536) von 
Dein Ecabſen an Gerhart, einem hautidriftlichen Kalender 
ker Kante ;u Erfurt (Seit een 33 Blättern in die saee. XV. 
u Bitrriarz ©i5 sacc. XVIII, im Och. Eiastsarin zu Lerſin 
Sur IL %:.16,, iewie einem Liber defunetorum beuelacte- 
zum cousentus Erfordiensis veteris {den kert, Aztcı IN. 
BE sririze, m 25. Iuzi eines unbelaunten Jabres farb; 
em Bırrzr in Url. exe ten Jaszen 1227 (Edartt Iria dipl. 
zei Vmsr. 17, vl Eäultes Directer I, 620) nur 1228 
® Orirz Cod . IR, Ekaxrızsı Vied Is. I, 19; 2 
Gär-:3 Da. I, 65), x da Geizrib ut ber Kactn 
Ipeieir er ir Zarı Azrzigzzte 1318 (Ther. sacra 
SE: manfict zrnnde werten jerner, teb Si ein Irrisftlicher 
m Eikxwrge, im Imitseche u Eurerfiskt, ce auzzre ia 
Geszszir, eve see = SimeSızy Seien, zn Ich Die 
Mir u Bimuelia:g 22 Aııje va . Exil um 
Oieppuure Yanız, H u gefpreigex. 


38 


bert (Volpertus), welcher zugleich Domherr in Mainz war, 
als Probſt des Blaſiusſtifts (wenn er nicht identiſch mit 
obigem Folkbert fein ſollte) in Urkunden vom 10. Juni 
1223 (v. Guden II, 38) und Mai 1225 (daſ. 43), dann 
ein Rudolf (doch nicht etwa zugleich Probit des Cyriaks⸗ 
ftift8?) in Urkunden vom 14. Mai 1236 (vi Hodenberg 
Archiv des Kloſters Wülfinghaufen 2), 1238 (Lüntzel, 
Geh. II, 255), 1241 (Hannover. Beiträge von 1762 ©, 
52), 13. Nov. 1245 (Origg, Guelf. IV, 204), 1. Oftob, 
1248 (dal. Praef. 72, v. Erath Cod. dipl. Quedlinb. 180) 
und 1249 (daſ. IV, 230) und in demjelben Jahre am 1. 
März ein Heinrich (daſ. 231), der auch im April 1251 
(daſ. 232, 233), 1260 (daſ. IN, pr. 88) u. f. genannt 
wird, gleichwohl foll am 12, Oktob. 1254 ein Ludwig 
v. Horlage Probft gewefen fein. (Leudfeld Ant. Poel- 
dens 65). — Sole Widerfprüche, wie ſich oben gezeigt 
haben, beweilen zur Genüge, wie jehr Biftoriiche Forſchun⸗ 
gen erjchwert werden, fo lange ed noch an vollftändigen 
und zuverläffigen Serien von Vorftehern der verjchiedenen. 
Stifter und Klöfter fehlt, 

Bon diefem Hermann wird ferner berichtet, er jet 
ein Graf von Gleichen geweſen (Origg. Guelf. IV, 67, 
Leibnitz IM, 134; Lüntel Geſch. II, 258). In diefem 
Falle hieß fein Vater Lambert (+ 1228), doch jcheint 
mir die in der angezogenen Urkunde vom Sahre 1249 von 
Dit, Herzog von Braunjchweig (+ 9. Suni 1252) ber= 
vorgehobene Verwandtſchaft Cconsanguinitas) etwas fehr ge= 
fucht (daſ. IV, 210 vgl. 68), wenn Die VBerwandtichaft nicht 
etwa auf eine andere Weiſe zu ermitteln fein möchte (ogl. 
v. Spilfer Beitr. II, 273 und Gebhardi in den Han— 
nover. gelehrten Anzeigen von 1752 ©, 1271). — Was 
aus Hermann geworden, nachdem er zum Bilchof von 
Hildesheim erwählt worden war, barüber berichten bie 
Chroniken nicht, ich glaube indeſſen annehmen zu dürfen, 
daß er nach jener Zeit fih nah Cammin gewandt habe. 


39 


Es wirb zwar angeführt, ein Hermann, Graf von Glei⸗ 
hen, ſei Domherr in Cammin gewejen, dort im Sahre 
1249 zum Coadjutor des Biſchofs Wilhelm I. erwählt, 
und, als dieſer 1252 refignirt habe, in deſſen Stelle als 
Biſchof getreten (v. Ludewig Ser. rer. Bamberg II, 589); 
biefe Nachrichten müſſen indeſſen irrig fein, denn einmal 
habe ich ihn unter den Domherren in Cammin in Urkun— 
ben nicht angetroffen, und was die Coadjutorfchaft betrifft, 
‚jo fcheint diefe Dadurch vermuthet worden zu fein, daß eine 
Urkunde deijelben vom 16. Sept. 1259 (vgl. Baltifche 
Studien X. Hft. I, 170) irrthümlich in das Jahr 1249 
gejegt worden ift (v. Dreger Cod. Pomer. I, 313, val. 
314 Anm. a und 337 Anm, a). Daß er erft 1252, und 
jwar vor dem 16, Febr., zum Bilhof von Cammin erhos 
ben worden ijt, erhellt unter anderen auch daraus, daß er 
biefe Urkunde als in feinem erſten Pontififatsjahre aus⸗ 
geftellt angiebt (da. I, 337), wie außerdem die Angaben 
von feiner Erwählung durch die Bezeichnung der Pontt- 
flatsjahre in verſchiedenen fpäteren Urkunden auf jenen 
Zeitpunkt zurüdführen. 

Alle diefe Angaben flimmen fehr wohl damit überein, 
daß, nachdem er zum Beſitz des Biſchofsſtuhls in Hildes- 
heim nicht gelangen konnte, er, feiner Würde nach, ein an= 
deres Unterfommen in Cammin gefunden haben könne. 
Sit meine Vermuthung richtig, dann ift er in Cammin 
Biſchof bis an feinen Tod geblieben, welcher im Sabre 
1288, nad) dem 19. Nov., erfolgte (vgl. mein Onomastikon 
23, wojelbft jedoch das mit einem Fragezeichen in Klam— 
mern gelebte Jahr 1251 zu ftreichen ift, weil ich Dazu Durch 
eine Urkunde in Liſch' Meclenburgiichen Urt. I, 89, die 
in das Jahr 1253 — mit Electionis nostre anno secundo — 
gehört, verleitet worben bin, vol. auch Baltiiche Studien 
XV. Hit. I, 199). — Wenn unfer Hermann, der in 
einer Urkunde vom 28. April 1268 als ein Bruder des 
Grafen AlUbrecht Iv. Gleichenftein (+ 24. März 1290) 





40 


angeführte Hermann fein. follte (Urk. Buch des Hiftor. 
Vereins für Niederfachlen Hft. II, 260), dann ift e8 mir 
dabei auffallend, daß feine Würde als Bijchof von Cammin 
darin nicht erwähnt wird; ebenjo, daß er 1228 (Schan= 
nat Vind. lit. I, 10) und 1262 (Schöttgen u. Kreyfig 
dipl. I, 724) nicht als Sohn Lamberts bezeichnet wird. 
— Sn dem Stammbaume der Grafen von Gleichen fin- 
den wir zwar noch einen Hermann ald Sohn eined Bru= 
ders unſers Hermanns, entweder Heinrichs (+ 3. Mai 
1257) oder Ernft IV. (+ 1287), doch: war dieſer main- 
ziicher Domherr, erfcheint als .jolcher im Jahre 1287 (v. 
Guden I, 8235 Wolf, Geſch. des Eichsfeldes I, 162), 
audy wohl 1290, und ftarb an einem 7. Nov. (Joannis 
II, 363; Wolf a. a. O.) 

| Doch ehren wir endlich zu Heinrich zurüd, jo lau— 
ten die mir von Dr. Landau, wahrjcheinlih aus noch 
ungebrucdten Urkunden, mitgetheilten Auszüge. folgender= 
maßen: 1247 „Statuimus, ut de obedienciis, quae vacare 
ceperunt ad presens ex uenerabilis fratris nostri Hyldese- 
mensis episcopi quondam vestri scolastici cessione 
deputentur ad scolastriam sex modi annualim siliginis et 
auene«, und noch bezeichnender: 1266 IV. Kal. Novb. 
(29. Oftob.) »quod bene memorie dominus Henricus 
quondam Fritslariensis scolasticus, dum ad epi- 
scopatum Hyldenshemensis ecclesie vocatur.« Die erjtere 
Urkunde fcheint verfchieden von derjenigen vom 26. März 
1247 zu fein, welche dem Herrn Verfaſſer der urfund- 
lichen Gefchichte des Gefchlechtd der von Hanſtein vor 
gelegen zu haben jcheint, da dieſer diefelbe (Bd. II, 21) 
folgendermaßen verzeichnet: „Die Brüder Hermann 
und Heinrih von Wolfershaufen in Priklar er- 
hielten vom (mainziſchen) Erzbiſchof Siegfried die 
Jurisdietion über villa Dyetmelle — oberfte Gerichte 
genannt, — als Lehn wiederkäuflich (deren ihre Vater 
einſt vom Landgrafen entjegt worden), und überliefen 


41 


bet einem Wieberfauf dem erwählten Biſchof Heinrich 
von Hildesheim, dem Grafen Adolf v. Walded und 
dem Vitzthum Heidenreich v. Rufteberg den Verlaufs 
preiß zu beftimmen (gebr. in-v. Guden I, 597). Die 
zweite Urkunde vom 29. Oktb. 1266 lautet ihrem Inhalte 
nach, zufolge derſelben Samiliengejchichte CH, Urk. 7, Nr. 27 
und I, 31), fo: „Dietrich genannt v. Appolt und 
Züppold, beide Domherren in Sriglar, ftiften aus ber 
von ihnen bewohnten Curie dafelbft dem geweſenen Scho⸗ 
Yafter daſelbſt Heinrich, welcher bei feiner Erhebung zum 
Biſchofe von Hildesheim ihnen das Haus geichenkt hatte, 
eine Seelenmefje.” Wir finden ferner unfern Heinrich 
mehrfach mit Gliedern der Gefchlechter v. Apolda, v. 
Hanftein und Rufteberg in Urkunden zufammen, auch 
andere Glieder derjelben Geſchlechter, 3. B. 1145 (Urk. 
Geſch. der v. Hanftein I, Urk. 3), 1195 (v. Erath Cod. 
106), 1207 (Urk. Buch des hiſt. Vereins für Niederfachlen 
II, 55), 1213 (v. Guden I, 429), 1223 (daſ. I, 487), 
1233 (baf. I, 519, 521, 522 — 524, Origg. Guelf. IV, 
178), 1239 (va. I, 554, Origg. Guelf. IV, 178, 180), 
1243 (Böhmer Electa jur. civ. III, 126), 1247 (vgk. 
oben). 1268 (Origg. Guelf. IV, pr. 11), 1269 (daſ. 
Praef. 11, 12) u. f. 

Da nun die Würde eines Probft eine höhere war, 
als die eines Scholafters, fo ift wohl anzunehmen, daß 
Heinridy die Iehtere früher alS jene, wenn nicht etwa 
beide zufammen zu gleicher Zeit bekleidet haben wird. In 
welhem Stifte Heinrich feine geiftlihe Laufbahn eröffs 
net habe, das ift noch zu ermitteln, da indeffen während 
des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts, namentlich 
im Stifte zu Fritzlar, verfchiedene Perſonen aus den ges 
dachten Gejchlechtern angetroffen werben (in Friklar 3. B. 
1215 Konrad v. Rufteberg vgl. v. Guden I, 433, 
Kucenbeder Analecta Hass. Coll. IN, 350 XI, 126, 
129; der Scholafter Helwig v. NRufteberg, ver am 


42 


3, Mat 1324 Domdechant wurde, vgl. Geſch. der v. Han⸗ 
ftein I. Urk. 14; Dietrich v. Apolda, Domherr 1213 
vgl. v. Guden I, 429, und um 1269 vgl, Geld. ber 
v. Hanſtein I, Urk. 7; ein anderer, der vor 1240 Dechant 
wurde, vgl. Saldenheiner I, 236, I, 178; aber 1260 
al8 Domherr erjeheint, vgl. daſ. I, 1035 Lippoldv. Han 
ſtein, Scholafter 1290 + 3. Apr. 1316, u. a.), fo wird 
nicht fehlgegriffen werden, wenn wir unferen Heinrich 
auch Dort aufzufpüren ſuchen. Leider aber enthalten Die 
pon mir dieſerhalb Durchgefehenen gedrudten Urkunden der 
Andeutungen zu wenige, um einigermaßen zu einem befrie- 
digenden Refultate zu gelangen. Es mag nur erwähnt 
werden, daß er nicht wohl identifch fein kann mit Dem 
gleichnamigen Kirchheren Cplebanus) von Nufteberg, ba 
deffelben im Juni 1244 Erwähnung geſchieht, (Böhmer 
Elect. jur. eiv. II. 126). Ob er für eine Perjon mit 
dem friglarfchen Domfänger Heinrich zu nehmen fet, deſ⸗ 
fen 1196 (Falckenheiner II, 175), 1213 (w. Guden I, 
429) und 1215 (dal. I, 436; Kucdenbeder IV., 350, 
XI, 130) gedacht wird, bleibt zu ermitteln, da dieſer mög- 
licherweiſe Dechant wurde, wie ein ſolcher Cnach dem De— 
chanten Adelold 1215 + 7. Mai) im Jahre 1233 (Ku= 
henbeder XI, 132) und 1238 (Wend heil. Geſch. II, 
Urk. 154) angeführt fteht, dem aber 1241 bereit8 ein Rem- 
boLld gefolgt war (Wolf, Geſch. d. Eichsf. I, Urk. 22), 
überdies, weil 1233 ſchon ein Konrad (doch nicht etwa 
ber 1215 als Domherr angeführte Konrad v. Ruſte— 
berg?) als Domfänger genannt wird (Kuchenbecker 
a. a. O.). Gleichwohl erjcheint ein Domfänger Heinrich 
auch 1235 (Schminde Monim. Hass. IV, 660) und 1237 
(Wenck 11. Urk. 112), der 1241 diefe Würde nicht mehr 
befleidete, indem dann ein Günther urkundlich auftritt, 
Wolf, Geſch. I. Urk. 22.) 
Auch unter den Cuſtoden Friglard wird der Name 
Heinrich angetroffen, z. B. 1196 (Baldenheiner II, 


43 


175), aber 1215, fowie 1235 (Schminde Mon. IV, 660) 
ſchon ein Konrad. 

Wann Heinrich Scholafter wurde, fteht nicht feſt, 
denn nach einem im fahre 1196 erwähnten Ludwig 
(Faldenbeiner II, 175) ftieß mir urkundlich ein Ades- 
Yold in den Jahren 1213 (vw. Guden l, 429) und 1223 
(daſ. 488) auf; erft 1238 findet fich unjer Heinrich, um 
welche Zeit er den Probſt (wohl Burkhard, Graf vom 
Biegenhain) vertrat (Wend II, Urk. 154); fonft habe ich 
ihn in Urkunden nicht auffinden können. Nach ihm fand 
ich erft Lippold v. Hanſtein feit 1290 (+ 3. Apr. 1316), 
wenn nicht vielleicht ein Wilhelm diefe Würbe 1278 be⸗ 
Heivete (Falckenheiner I, 138), 

AI Domberr in Fritzlar wird auch ein Heinrich, 
“welcher zugleih Notar des Erzbiſchofs von Mainz war, im 
Jahre 1213 angeführt (v. Guden I, 429), der vielleicht 
iventifch mar mit dem, welcher 1223 als Protonotar des 
Landgrafen von Thüringen (Kuche nbecker IX, 163), 1227 
als Notar (Thur. sacra 104, Schhannat Vind. I. 119; 
v. FSaldenftein Thür. Chr. 1286, Hahn, Monum. I, 
90) und 1228 als Geheimjchreiber Cscriptor) defjelben 
(daf. 109) vorkommt. j 

Zu bedauern habe ich es, daß ein Verzeichniß der 
Dignitarien des frigluriihen Domftifts, ſoviel ich weiß, 
bis jetzt noch nicht veröffentlicht worden ift *), wenn ich 
würde dadurch der Mühe des Aufſuchens ber betreffenden 
Perſonen wahrfcheinlich zum Theil überhoben worden fein 

Auch im St. Martingftifte in SHeiligenftadt kommen 
Stieder ber obenerwähnten Gefchlechter vor, wie 3.8. ein 
Arnold v. Rufteberg als Domherr 1308 (Böhmer 


*) Ein banbichriftliches nicht ganz vollftändiges Verzeihniß unter bem 
Titel: Series dominorum Praepositorum, Decanorum etc., 
quantum post saecularisationem permisit aetas, von dem ge- 
Iehrten fritglarfchen Scholafter v. Speckmann hinterliegt auf der 
Caffeler Bibliothel. Vgl. Falckenheiner I, 135. 


44 


Elect. jur. eiv. II, 154). Bon den Pröbften habe ich mir 
zwar, größtentheilg auf Grund von Urkunden, ein ehrono⸗ 
Iogifches Verzeichniß angelegt, Doch enthält daſſelbe bei eini= 
gen derfelben nur einzelne Jahrszahlen. Heinrich wird 
indefjen feine geiftlihe Laufbahn nicht in Heiligenſtadt er= 
öffnet haben, wofelbft wir ziwar im fahre 1227 einen Scho— 
Yafter dieſes Namens verzeichnet finden (Wolf, Geſch. d. 
Eichsf. I, Urk. 19), doch ift dieſer mit unferem Heinrich 
um deswillen nicht zu identifiziven, weil beide. Perſonen 
zufammen um 1232 in einer Urkunde namhaft gemacht 
werden (daf. Eichsfeld. Url, Buch 5). Sch glaube ferner 
nicht, daß Heinrich eine und dieſelbe Perſon geweſen ift 
mit einem Magifter Heinrich, den der hildesheimijche 
Biſchof Konrad II. im Jahre 1235 feinen Klerifer nennt 
(Schannat Vind. I, 200), da das Stift in Heiligenftabt 
nicht zu feinem Kirchenfprengel gehörte; ebenfo wenig war 
er der Notar (vgl. oben bei dem braunichweig. Probfte 
Kraft) des Herzogs Otto von Braunjchweig-Tüneburg, 
der urkundlich 1244 (Origg. Guelf. IV, 201), 1245 (daſ. 
205) und 1247 (dal. 216, 219, 223) erwähnt wird, da 
ihon 1251 ein Arnold als deſſen Amtsnachfolger auf- 
tritt (daſ. 233). — Wie lange der oben erwähnte Hein- 
rich das Amt eines Scholafter8 in Heiligenftabt bekleidet, 
weiß ich nicht anzugeben, nach ihm ftieß mir um i260 ein 
©. (Urk. Buch des hiftor, Vereins für Niederfachfen II, 231) 
und im Sabre 1261 ein Helbold auf (Wolf, Geld. 
a. Eichsf. I, Urk. 30, vgl. deſſen Comment. de archidia- 
. conatu Heiligenst. Dipl. 4). 

Ballen wir nun die Pröbfte von Heiligenftabt in dem 
betreffenden Zeitabjchnitte ind Auge, fo kommt ein Phi- 
Yipp als folcher in Urkunden aus den Sabren 1213 (v. 
Guden I, 4295 Wolf, Comm. de archid. Heilig. 12), 
1215 (daſ. 436; Kuchenbecker IV, 354; XI, 129; 
Wolf a. a. O. 12) und 1223 (daſ. 4875 Wolf a. a. O. 
12) vor. Von hier ab zeigt mein Verzeichniß eine Lücke, 


45 


die erft bush unjern Heinrich unterbrochen wird. Es 
mögen bier die Urkunden allegirt werden, worin feiner als 
Probft gedacht wird; dieſe Allegate werben fich aus den 
Urkunden der heffiichen Stifter ficherlich, wie Dies auch für 
Fritzlar der Ball fein wird, noch ſehr vermehren laſſen. 
Daß Heimrich diefe Würde bereitd im fahre 1232 bes 
leidet hat, erhellt au dem Umftande, daß er als folcher 
unter den Gefangenen fich befand, welche der heſſiſche Land⸗ 
graf Konrad am 15. Sept. 1232 in Friglar machte 
(Würdtwein Subsid. dipl. nova VI,18; vgl. v. Guden l, 
517; v. Rommel, Geſch. von Heilen I, 308), wie er 
denn auch damals ſchon in einer undatirten Urkunde zum 
Borfchein kommt (Wolf, Eichsfeld. Urk. Buh 5). So— 
dann wird er angetroffen 1233 (Origg. Guelf. IV, 178), 
1234 (Scheidt’3 Anmerk. zu v. Moſer's Staatsrecht. 
Cod. 776; nad) v. Hodenberg in einer Urk. des Kloſters 
Hilwardshauſen), 1235 (Schminde IV, 660), 1238 
(Schannat Vind. I, 985 Böhmer Fontes’rer. Germ. II, 
400), 1239 (v. Guben I, 552, 564; Origg, Guelf. IV, 
178, 180), 1240 (Bär Beiträge zur mainzifchen Gelchichte 
II, 284) 1241 (Wolf, Geſch. d. Eichsf. I. Urk. 21; v. 
Spilder Beitr. II, Urk. 88), 1243 (Böhmer Elect, 
jur. civ, III, 126) und 1245 (Falke Corp. Trad. Corb. 
867; Harenberg Hist. Ganderh. 1722). Zuletzt ericheint 
fein Name in einer Urkunde vom Jahre 1246 (Origg. 
Guelf. IV, 67); ich weiß jedoch nicht anzugeben, wer fein 
unmittelbarer Amtsnachfolger geweſen ift, denn erft 1260 
finde ich einen Dietrich namhaft gemacht (Falkenhei— 
ner I, 103) und dann einem Arnold, welcher zugleich 
Domſcholaſter und Probft des Viktorsſtifts in Mainz war, 
in den Sahren 1262 und 1264 (Joan nis II, 317; Wolf 
Comm. de archid. Heilig. 33 und dipl. 5), welcher am 17. 
San, 1268 mit Tode abging (daſ. II, 317, 6165 Wolf 
l. c. 12). 

Heinrich's Wahl zum Bilchof erfolgte im Sabre 


‘ 
x 


46 


. 1247, und zwar vor dem 27. Febr.; da er dh am 27. 
Febr. 1252 in feinem fechften Regierungsiahre befand, wie 
ex fich denn auch bereit am 26. März 1247 Erwählter 
(aber noch nicht DBeftätigter) fchrieb (v. Guden I, 597; 
Geſch der v. Sanftein II, 21). Es mag mir, der Voll- 
ſtaͤndigkeit wegen, geftattet jein, auch hier der wenigen Ur- 
kunden zu gebenfen, die ich augenblicdlich nur anzuführen 
weiß, worin fein Name angetroffen wird. Zuerft erwähnen 
feiner, ohne Nennung des Namens, zwei Urkunden aus 
dem Sabre 1249 (Kauenſtein Hist. dipl. Hildesh. I, 3; 
Origg. Guelf. IV, 242; Pufendorf Observ.); dann eine 
vom 23, Juli 1249 (dal. 1,42; Lüngel Geſch. II, 259); 
darauf eine vom 29. Suli 1250 mit Pont. IV. (Origg. 
Guelf. IV, 481; v. Hodenberg Arch. des KL. Loccum 
104, aber 124 irrig zum 1. Aug. 1254), ferner 1251 
(Menden Ser. rer. Germ. Ill, 263); 1252 am 27. Febr. 
mit Pont. VI. (Origg. Guelf. IV, 241; Lüntzel Geſch. II, 
258 Anm. 1) und 8. Dft. mit Pont. VI. (G. Sodenberg 
Arch. des Kl. Wülfinghaufen 25), 1253 mit Pont. VII. 
(daf. 25) und 14. Oktobr. (Origg. Guelf. IV, 490; v. H o⸗ 
denberg Arch. des KL. Loccum 118), 1254 (Crufiug 
Geſch. der Stadt Goslar 97) mit Pont. VII. (v. Hoden- 
berg Arch. des Kl. Wülfinghaufen 27), am 11. März mit 
Pont. VII. (Würdtmwein Subs. dipl. nova I, 328), 19. 
April mit Pont. VII. (daſ. 327), am 1. Mai CChron. Montis 
Franc. Gosl. 24), 1255, Bege, Burgen und Schlöffer im 
(Braunihw. 50); am 15. April mit Pont. IX. (Urk. Buch 
des hiſt. Vereins für Niederſachſen H, 212) und 16. Suli 
(Leudfeld Antig. Walkenrd. 191), und zuletzt 1256 
(Bege 148) am 6. Ian. (Origg. Guelf. IV, 490). Gein 
Tod erfolgte im Jahre 1257, und zwar am 25. Mai (Perg 
Mon. IX, 862; vgl. Vaterländ. Archiv des hit, Vereind 
für Niederfachien Jahrg. 1842. ©. 452 und Jahrg. 1849, 
©, 400; Lüngel Geich. II, 261, Spangenberg’s Vaterl. 
Arch. 1832, Hft.I, 10; vgl. mein Onomastikon 485 Lünig 


⸗ 


47 


Teutſches ReichSarchiv XIX, 538; Chron. Mont. Franc. Gosl. 
29; dagegen Burſch Magni operis I, 207a. mit März, 
und Leudfeld Antig. Walkenr. 191; Vogel 16 und 
Chron. Hillesh. in Baullini Synt. 96 mit 1. Mai.) 

Heinrichs Nachfolger, Johann v. Brakel, noch 
1218 Domherr in Hildesheim, 1228 und 1229 Domkellner 
in Hildesheim, auch Probſt des dortigen Moritzſtifts bis 
1257, und Probſt von Olsburg von 1234 bis 1246, tritt 
urkundlich bereit8 im Sept. 1257 als Bilchof auf (Rüngel 
Geſch. 11. 262; Pertz Mon. IX, 862; Cruſius 108), 
war am 14. März und 26. Aug. 1258 in einen erſten 
Regierungsjahre (u. Hodenberg, Arch. des KL. Loccum 
139, 140, vgl. 134, 137 und 138), in demfelben Sahre 
aber auch im zweiten (daſ. 1335 Grupen Origg. et 
Antiq. Hannover. 47); ebenſo am 3. Juli 1259 (daſ. 141, 
142), am 1. Aug. (Xeudfeld Ant. Pueldens. 107) und 
am 7. Aug. (wohl VII. Jd., nicht VII Non Aug.) 1259 
(v. Hodenberg a. a. O. 110); vgl. Vaterländ. Arc. 
des hift, Vereins für Niederſachſen Jahrg. 1843 ©. 44, 
auch Sahrg. 1849 ©. 403, 

Vorſtehende Erörterungen mögen zeigen, wie wichtig 
uns Nekrologien werden fünnen, wenn man einzelne Ein⸗ 
zeichnungen in ſolchen beachtet, namentlich gilt die im 
Bezug auf die Familiennamen der Bilchöfe, beionders in 
früheren Zeiten. Gerade durch eine folche Notiz ift e8 
mir früherhin gelungen, das Geichlecht des mindenichen 
Biſchofs Werner (1153 + 10. Nov, 1170) zu ermitteln 
(vgl. meine Urkundlichen Nachrichten von den Dynuften 
von der Büdeburg und Arnheim, in der Zeitichrift des 
hiftor. Vereins für Niederfachlen Jahrg. 1853); nicht min- 
der habe ich jet das Gefchlecht des mindenjchen Biſchofs 
Konrad I. aus einer, erft kürzlich Durch den Druck bekannt 
gewordenen, Urkunde ermittelt, der hiernach nicht, wie alle 
Chronilen und Genealogien angeben, und wie ich Danach 
(in meinem Onomastikon 70) anzunehmen gezwungen war, 


48 


ein Evelberr 9. Diepholz mar, fondern zu den Rüden- 
bergern gehörte. Doch hierüber ein andere Mal. 


III. 


Heſſen 
vom 13. Juli 1757 bis zum 21. März 1738. 
Mitzetheilt vom Archivar Dr. Landau. 





Die nachfolgenden Verſe — ein Gedicht iſt's in dop⸗ 
pelter Beziehung nicht zu nennen — fand ich in einem 
Privatarchive und halte fie, der darin erzählten Thatjachen 
wegen, einer Mittheilung nicht für unwertb. Sie geben 
ung ein lebendiges Bild von den fchweren Drangfalen, 
welche unjer Land im Anfange des fiebenjährigen Krieges 
zu ertuften hatte. Iſt tie Erzählung auch in der Form 
ron Berjen gegeben, jo hat die Poeſie doch eben nicht 
darauf eingewirft; und würde auch eine fchlichte Mitthei⸗ 
lung in ungebuntener Rete willkommener fein, fo fchien 
mir eine Umwandelung in eine folche doch nicht rathiam, 
weil Manches dadurch verloren gegangen und insbeſondere 
die Friiche des Gleichyeitigen geichwücht worden wire. Ich 
betrachte das ES chriftitüd Deshalb als eine Urkunde und 
geke e2, wie e3 ver mir liegt. 


„Nun ſchüchtres Hehenland, bift tu in Feindes Händen. 
Ein Böſewicht erichien, dein Heiligthum zu fchünten; 
Dies war ter Unglüd3-Tag, der Tir zu Seren drang: 
O fürdterlicder Ton! ver jchmurgen Drommell Klang 
Erihaltt. Es führt die Schaar, ein Foulloa noller Angfien, 
Gach Yantroli gelbes Bold; wie, mar euch nicht am büngjten ? 
Durch Anfenwerd und Wall, ins offne Thor herein: 

D Kite man gehört: wo wäre eur Gebein? 


49 


Ihr Franken zieht herein, mit tactifch albern Schritten, 
Der Landſoldate weicht betrübt nach feinen Hütten; 

Der Commandant erfüllt, ein höheres Gebot, 

&r übergibt den Platz, weil Foullon pocht und droht. 
Was will dag Räuber-Volck? man kennt e8 an den Säden; 
Egyptern gleicht der Zug: wer folte nicht erjchreden? 
Mit Büren-Fellen war ihr magrer Kopf umhüllt, 

Und aller Bürger Herb von Wehmut angefüll. 

Dem Bortrupp folgeten ſechstauſend gleiche Krieger; 

Es war fein Gegenftand, doch wollten fie wie Sieger, 
Bon männiglich verehrt und hochgepriejen ſeyn, 

Ob nähmen fie das Land durchs Loos der Waffen ein. 
Ein Theil faßt feften Fuß, befeßet Thor und Wälle, 

Der andre ziehet durch. O Zorft du wirft die Stelle, 
Wo man im Winfelmaß ein ſpöttiſch Lager Ichlägt, 

Das dem, ders halb verfteht, Verwunderung erregt. 

Der Anger fchont man nicht; die Garten und die Fluren 
Empfinden nad und nach der Fouragierung Spuren. 
Doch binnen weniger dann furker Zeit Verlauf, 

. Fällt dieſes Blendwerck hin; man hebt das Lager auf. 
Nun Bölder! nun wohin? verlaßt ihr unfre Mauren? 
Doc nein! Ihr zieht ins Land. Wer follte nun nicht trauren ? 
Heißt Das, das Durchzugs- Recht? Ihr aber weichet nicht; 
Nah Marburg, Ziegenhayn ift euer Marſch gericht; 

Auch Rinteln war bejegt. Sind das die Freundichafitsproben ? 
D nein! Kein Heyde kann ein folch Verfahren Ioben, 
Man fieht, was Ludewig für Groll im Herken hegt; 
Ein unerhörtes Joch wird Heßen auffgelegt. 


D Himmel! wie verfehrt ſich nun der Lauff der Zeiten! 
Ein Feldherr fängt nun an, Befehle zu verbreiten. 

Ein Foullon, ein Lucce, find Herren unfrer Stadt; 
Berchini, der noch mehr Gewalt in Händen hat, 
Befiehlt, und folglich wird der Staaten Ruh gefrändet, 


Weil man das Heßenland gank zu verheeren dencket. 
VIE, Band. 4 


50 


Die Forderung bricht aus an Früchten, Heu und Geld, 
Sp unerſchwinglich groß, daß mans nicht möglich hält. 
Nun Viefern Unterthan’und Bürger ihre Waffen; 
Mit Pulver und Geſchütz hat ihre Fauſt zu fchaffen. 
Befehle Schlägt man an, Gejeke fchreibt man aus, 

Sn ihren Händen ift, fo Zeug- als Vorraths-Haus. 

Rath, Bürger, jedermann, muß ſich durch Zwang bequemen 
Das Einquartierungs-Joch in Häußern anzunehmen. 

Der Fürften Häufer find von gleicher Laft nicht freu. 
Der Feinde Vorſchrifft gilt! Es Liegt die Policey. 

Und wie? das Gotteshaus wird felbiten nicht verfchonet: 
Man bebet! weil nun Mars im Heiligthume wohne. . 
Der Tempeld Pforten flehn mit ftarder Macht bejekt ; 
Allein warum? Ihr fprecht: daß ficher ohnverleßt 

(Der Vorwand ift erdachth uns nicht in unfern Lehren 
Wo der Gemeinemann, in Andacht möchte ftören; 
Weſtphalens Friedensſchluß verbände euch Dazu. 

Doch wer verlangt den Schuß? Ihr Störer deutjcher Ruh? 
Gezücdter Schwerter Blig, Splvaten und Mußqueten 
‚Sind vor das Feld gemacht, hier aber nicht von nöthen. 
Der ſchlauen Pfaffen Lift! fteigt ihre Galle ſchon. 
Jedoch es ift umfonft! Greift ihr Religion 

Und die Gewißen an? Habt Ihr euch gar verſchworen? 
Nun find wir umgebracht, ſo ſeyd ihr mit verlohren. 

Weg mit der Vespernacht! Nehmt feine Kirchen ein, 
Leſ't Meſſen wo ihr wolt. Wir werben ftanphaft ſeyn. 


Was kömmt dort von dem Rhein? E8 find Soubisens Heere, 
Bon Völdern, von dem Troß und von der Stüden Schwere 
Sind Straß und Gaßen voll. Man fieht den lautern Wuſt, 
Kein Tag gebieret mehr Ergetzlichkeit und Luſt. 

Vom frühſten Morgen an bis in die finſteren Nächte, 
Zeigt ſich von Mann und Roß ein Auffzug. Doch wie ſchlechte, 
Wie arm, wie nackt und bloß ſchickt Franckreichs Ludewig 
Die Caravanen her? O König! ſchäme dich! | 


51 
Soll Deutichland dieſes Volck, Dies magre Bold ernähren ? 
Und der Genddarmerie fünnt gar die Welt entbehren. 
Ein rother Roc, auff dem ein Rand von Silber fit, 
Prahlt ftaret, allein ber Kerl, der ſchon vor Ängſten ſchwitzt, 
Wird, weil ihn das Gehäus der fteiffen Stiefel drüdet, 
Umfonft ins Feld, zur Schlacht als ein Soldat gejchidet. 
Ein jeder kennt von und der Wildengänfe Flug, 
Und folcher Reihen gleicht der Esquadronen Zug. 
Eie ziehn bald hin bald her, den Landmann blos zu quälen, 
Doch wenn es Schläge gibt, jo wird der Rothrod fehlen. 
Die Zahl der Krieger ift viel fchwächer als ihr Troß; 
Wann man zehn Mäuler zählt, fo fieht man faum ein Roß. 
Mit Ejeln Galliend wird Deutichland überlaben ; 
Das jchellende Getöß thut unfern Ohren Schaben. 
Die Gaßen find jo voll von ſchmutzigem Geſchmeiß, 
Daß man den Herrn vom Knecht nicht zu erkennen weiß. 
Ein jeder Tag gebärt beym Durchmarjch neue Plagen, 
Und wer kann alle LXaft, die wir erlitten, jagen? 
Wie? wann man Vieh und Gaul auf unſre Fluren trieb, 
Daß manden Wiefengrund Fein Gräschen übrig blieb? 
Kein Lächerlicher Zug war täglich anzufehen, 
Als wann ein Officier, wie Doch der Zeit gefchehen, 
Mit Trommel und Piquet, ohn' mindefte Gefahr, 
Biel Hundert Thieren noch zur feltnen Deckung war. 
Ihr Rückzug brachte ſtets viel Trillionen Fliegen, 
Die als ein Bienenſchwarm in alle Häuſer ſtiegen. 


Berchini! nein, es ſchreckt uns noch nicht dein Gebot. 
Die Neuftadt bleibt Doch ftehn, wir fürchten feine Roth. 
Das Schanten wird dich nicht für tapfre Sieger beden; 
Berftör nur das Gebüfch: es find nur Haanfen-Heden. 
Ein Maulwurff hat fürwahr in einer halben Nacht 
Ein befer Außenwerck, als ihr zum Stand gebracht. 
Allein. o dies Gewühl war nur, ihr folt euch fchämen, 
Ein ungerechtes Geld den Bürgern abzunehmen. 

>) 


Am. 


52 


Nicht beßer war einmal der ausgeübte Streich, 

Bor lauter Übermuth, man fah die TIhorheit gleich, 

Die Heerden unjerd Vieh! in unjre Stadt zu. treiben. 
Ein Reuter brach das Bein. Der Kerl ſoll lahm verbleiben! 
Ein Rind ward umgebracht, Durch einen Räuberftich, 

Nur daß man fih mit Euch, um feinen Werth verglich. 
Zürwahr, wollt eur Thun bis auff Die Epite bringen, 
Man würde jeltiam Zeug zu Eurem Schimpif befingen. 


Doch was betäubet mich? man greifft ja zum Gewehr. 
Ein halb geladen Stüd Tracht ja fo ſpöttiſch ber. 

Doc halt, ein Marschall wird gleich feinen Einzug halten. 
Laß, Richellieu, dein Blut in Deutichland nicht erlalten: 
Hannover gleichet nicht Portmahons heikem Brand; 
Dein Feur verraucht vielleicht. Du bift nicht Schuld ! das Land, 
Das Elima bringt e8 mit. Ein Held wird oft zum Lamme. 
Du ſahſt nicht Magdeburg. Dein Ziel gieng nur bis Hamme. 
Du ſahſt die Weſer nur. Sie kam dir böhmiſch vor. 
Drum — wo gerath’ ich Hin? daß ich den Zug verlor, 
Den Richelieu zu Fuß in unfre Thore jebte, 

Der uns voll Höfflichkeit fein Haar am Haupt verlekte. 
Du eiltefl, um dein Heer doch wenigftens zu ſehen. 

Nach Roßbach kommſt du nicht; du Ließeft das geichehn, 
Was dort Soubisens Muth und Hildburghausen thate, 
Mer weiß ob Pompadour dich nicht zu fchonen bathe? 
Sn Braunjchweig war dir wohl; du wareft viel zu Hug, 
Du bliebeft unbefiegt, al8 man die Helden ſchlug. 
D’Estree war fchon fo frech, Die Zorbeeren dir zu rauben; 
Du hubft die Blätter auf, beym Saft der golpnen Trauben. 
Kein Marichall Gallien! war prächtiger als du; 

Dein Feldgeräthe bracht im Durchzug Stunden zu. 

Die Pracht war Königlich bis auff den Hühner-Wagen. 
Bon diefem Wunderbau wird noch die Nachwelt jagen, 
Daß wenn aus Ianger Nacht der Vater Nova käm, 

Er zu der Arche noch, von ihm den Abriß nähm. - 


53 


Dies ſey mir noch erlaubt, von dem Minorca Helden, 

Zu feined Siege Ruhmgeſchichte dir zu melden, 

Daß er und fein Gefolg zum Glüd ung bald verlieh, 
Wann gleich und Monden lang ein Wind von Ambra blies; 
Denn jeder Stuhl auf dem der Feldherr bloß gefeken, 
Hegt noch den Biſams Daft. Wer kann ihn Dann vergeßen ? 


Ein neuer Gegenftand wird plößlich offenbar. 

Der jühe Wall, der fonft mit Hol bebüfchet war, 

Muß um den Fürften Sit, geftümpfft? Nein! bis zur Erden, 
Sp wie dar Gras gemäht, kahl abgehauen werden. 

O jeht! wohin geräth der Frantzen Eigennuß? 

Man Iachet, wenn ihr fprecht: es fordert unſer Schuß, 
Und wie! was ſeh ich noch: o Sonntag, Vierzig Wagen! 
Mo kommen fie dann her? Wer follte nun nicht Hagen? 
Dein Pulver, Gudensberg und Felsberg, führt man fort. 
Verräther! fchlieffft du niht? Ein Bößwicht hat den Ort 
Des Vorraths angezeigt. Die fchwarke That erfchredet. 
Gerächet werde fie! der Galgenſtrick entdecket. 

Mit Schaudern fah ich felbft, die Schwefel Donnerfahrt, 
Daß jedem wer fie ſah, betrübt zu Muthe' ward, 

Ihr Räuber! hättet euch felbft, jo wie uns betrogen, 
Wenn durch ein Bündchen Feur, die Stadt wär aufgeflogen. 


Und faum erholt man fich, fo fieht man feine Ruh 
Auf neue fchon geftört, Duc d’Ayen fährt gar zu, 
Des Fürften edlen Sit gantz unerlaubt zu fchänden. 
Führt Stüd und Mörfer auf, läßt ihren Schlund fo wenden, 
Als ſchöß er, folt die Stadt ihm ungehorfam feyn, 

O Schickſal! auf fie gar mit Feuerkugeln drein. 

Doch heimlich ſpottete man dieſer Frevelthaten. 
Tyrann! wer hat dir doch die Schandthat angerathen? 
Entweiheft du alfo der Freyſtadt Burg und Schloß 
Durch Undbefonnenheit, durch mörberiich Geſchoß? 

O! dörffte Wilhelms Bold nur feine Schwerter züden, 





54 


Die Rache fpaltete dir Kopf und Rumpf in Stüden. 
Nein! wahrlich die Gewalt, die dir der König gab, 
Mißbraucht dein Unverftand. Ein Pair, ein Marſchals⸗Stab, 
Ein Prinz von Gallien muß nichts fo kühnes wagen; 
Ein Fürft des Reichs will mehr ald alle dieſe jagen. 
Und deſſen Heiligthum verjchont der Unfinn nicht? 
Der Eyfer geht zu weit, ver allen Wohlftand bricht. 
Man fchränkt die Freyheit ein; Befehle gibt man aus: 
Geſchloſſen jey nach zehn ein jedes Bürgerhaus, 

Man wage fich hernach nicht in der Stabt zu gehen, 
Beionders ohne Licht, Wo Wacht und Poften ftehen, 
Da weiche man entfernt auf ihren Ruf zurüd. 

So hart und .eifern wird nun Eaffel dein Geſchick. 
Den frechen Officier erfreut ſtets unſer Schaden, 

Des Raſens bunter Klee auf unfrer Eiplanaden, 

Wird fonder Achtfamfeit, aus blofem Übermuth, 
Zertreten und verheert. Sp machts die Natterbrut. 


Allein auf einmal hat das Glücksrad fich gedrehet. 

Der Hochmuth findet bin! der Schwarm, den ihr dort fehet, 
St zaghaft. Ziſchelt fih mit leiſer Stimm ind Ohr. 
Hier fteht ein gleicher Trupp. Man frägt: Was geht dann vor? 
Doch niemand will beftürzt die reine Wahrheit fagen, 
Bis Fama Lermen bläft: Die Franken find gejchlagen! 
Soubisens ganzes Heer iſt Vögeln gleich verjcheucht. 

Und wißt, die Reichs-Armee famt Hildburgshausen fleucht. 
O Roßbach | Friedrich fiegt! Seht! wie Standart und Fahnen 
Sich durch Fuld, Hekenland, den Weg nach Hanau bahnen. 
Der Feldherr vendet jelbft, e8 wird am fernen Mayn 
Vor mich und vor mein Vold noch eine Freyſtadt feyn. 
Paris, Du wirft Diesmal dich nur geduldig faffen; 

Die Reichs-Armee war Schuld! Und Sachien ift verlaffen.- 
Hier ift ein Sammelplat von aller Seltenheit. 

Kaum war Soubisens Heer gejchlagen und zerftreut, 

So kömmt La March der Graf, und Conde burchgezogen, 


55 


Sch weiß nicht, waren fie verjagt und auch verflogen? 
Noch bleibt Die Achtiamkeit für Prinzen vom Geblüt; 

Sie ruhn im Schloß die Nacht, und man war jehr bemüht, 
Nach Hofes Art und Pracht fie höflich zu empfangen, 

Sp daß fie auch vergnügt nach Srandreich abgegangen. 


Sagt! wie, verfündiget hier der Carthaunen Knall” 

Bon Preußens naher Macht wohl einen Üüberfall? 

Wie! was betäubt das Ohr? was für ein neuer Schreden 
Fahrt nun durch Mark und Bein. Eilt, plößlich zu entdecken, 
Was die Bewegung ſagt. Man fieht die Garnifon 

In voller Rüftung ftehen. Iſts glaublich? rüdet ſchon 
Der kühne Feind herein? Nein! Nein! nicht8 von dem allen, 
Prinz Clermont bat uns nur zu plößlich überfallen, 

Er kömmt, der Feldherr kömmt, nur ohnvermuthet an, 
Died macht, daß jeder fich fogleich nicht finden kann. 

Nur dies erregt den Lerm! Ya, ja, wir fehn ihn kommen, 
Den Prinzen, der hernach das Kriegsheer übernommen, 
Was ihm war anvertraut, Wir hatten ihn gefehn, 

Er hat ung nicht gefränkt, ung war fein Leid gejchehn. 
Was hat er dort gethban? Nichts! aus dem Cantoniren 
Den Reit von Galliern zum Rheine hinzuführen. 


Uns fol ein neuer Schuß, nun durch Soubisen blühn. 
Duc d’Ayen ziehet ab, und Ludwig ſchickt dir ihn, 

Den Helden! und vielleicht regiert er Dich mit Güte. 

Sa fein VBermählungs-Band, von Heßiſchem Geblüte, 
Hat, weil er liebreich war, Die Proben dargelegt, 

Daß ihn manch fchmachtend Herz zur Gegenhuld. bewegt. 
Mars Yiebt nicht ftet3 den Krieg. Mit Bällen, Operetten 
Ward nun der Adelſtand, bey Köftlichen Banquetten, 

Den halben Winter durch vergnüget und ergößt, 

Ja mancher Schönen Neik beſtrickt, in Brand gefekt. 
Bellona lermt nicht ſtets; fie will auch bey den Kriegen, 
Spy wie die Venus ruht, in Schmanenbetten liegen. 


56 


Drum, Caffel, war auch dir ein folches Glück befcheert. 
Allein wie mancher rief: Es hat zu kurz gewährt, 
Soubise mußte fort. Und feht viel Seufzer waren, 
Die ihn begleiteten, als er davon gefahren. 

Sein bier zu vielem Ruhm geführtes Regiment 

Hat, weil e8 friedlich war, Paris uns früh entwendt, 
Dort muß er Nechenichaft von Roßbachs Siege geben. 
Er bat ung nicht gedrückt; der gute Prinz foll leben. 


Nun hat hier Broglio da8 Ruder in der Hand: 

Ein Prinz, e8 fehlt ihm nicht an Einficht und Verſtand. 

Die Schärfe Tiebt er nicht, Doch muß er das erfüllen, 

Waß Ludwig ihm gebeut. Er treibt mit Widerwillen 

Die Forderungen ein, die man erprefien foll, 

Doch dabei bleibt fein Herz von Menſchen-Liebe vol. 

Die Ruh ergößet ung, bis allgemach hernach, 

Gleich einem Wolckenbruch, die Noth hernieder brach. 

Nun dorffte Broglio nicht mehr das Land verfchonen; 

Rath, Bürger, jedermann, die wir in Heben wohnen, 

Betrifft ein Donnerfchlag. Man fordert Silber, Gold, 

Was ein Gepräge hat. Der Klang der Glocken rollt 

Sp Häglich in der Lufft, die Drangfal anzudeuten; 

Es muß gelieffert feyn , fonft folgen Ihätlichkeiten, 

Mit jäher Plünderung, die der Soldate dräuet. 

O Schredfen! wer ift wohl der nicht das Übel fcheut. 

Die allgemeine Noth nun eilends abzuwenden, 

Zrägt jeder ungeſäumt, mit jammervollen Hünden, 

Den ſaur erfparten Schweiß, und gibt in der Gefahr 

Des letzten Hellers Werth, zur Landed-Rettung dar. 

Zog Foullon gleich nach Wien, fo fam ein Crance wieder, 

Ein jeder preßt, erzwingt und ftärdet fein Gefieder. 

Milin bereichert fich. Lucee der Intendant 

Weiß, blüht mein Weiten nicht, fo trägt des Nachbars 
| Land. 


57 


Verhängniß! wird dich Bald der Bürger Flehen rühren? 
Sa! doch was fah ich dort vor Laſten von uns führen, 
Iſts Mehl, ifts Weigen, Korn? Bon aller Gattung Frucht 
Wird täglich weggeſchickt. Doch Himmel, wie verflucht, 
Raubt man auch das Gewehr? Das find ja Wilhelms Stüde! 
Die Säbel hören ung! Und was ich dort erblide 

Sind Wagen mit Colletd. Was herricht für eine Zeit? 
Wird jo nah Kriegsgebrauh ein Waffenhaus erbeut? 
Eu’r unbrauchbar Geſchütz vertaufchet ihr mit gutem. 
Tropheen jchont ihr nicht. Das Herke möchte bluten, 
Dann fih o Schimpf! o Epott! e8 gar zu Tage legt, 
Daß man nun zum Verlauf das Kriegsgeräthe trägt, 

Die Grenadirer-Müs, Pallaſche und BPiltolen, 

Sa Stiefeln beut man feil. Die Wacht hat fie geftohlen, 
Die Doch zum fichern Schuß, zum Zeughaus war geftellt.. 
Raub! den fein Türck vor recht, vor höchſt verdammlich hält, 
Der Allerchristlichste! läßt der fein Bold auch plündern? 
Berewigt diefe That! erzählt fie Kindesfindern, 

Vergiß des Pulvers nicht, du aufgebrachter Kiel, 

Der fortzefchafiten Zahl von Fäßer waren viel, 

Gefeßt, man hätt’ e8 auch mit Recht davon gefahren, 
Wie aber follte man dann alle Vorficht ſparen? 

Die Tonnen wiejen ſich mit Stroh und Heu bebedt; 

Ein Bau’r der droben ſaß, wie hat der mich erjchredt! 
Sch ſah ihn Rauch und Dampf aus feinem Munde hauchen, 
Die Pfeiffe glühete, vom frechen Tabad ſchmauchen; 

Ihm war gank wohl dabey: Er Tannte nicht die Fahrt, 
Allein dendt jener Angft, wie mir zu Muthe ward? 


Nun fängt der Himmel an, fich endlich aufzuflären: 

Es fcheint, die bange Qual wird nicht mehr Yange währen. 
Man wählt fich Geißeln aus; der Forderungen Reit, 

Die man im Lande noch an Geld zurüde läſt, 

Hierdurch nach Kriegs-Gebrauch zur Sicherheit zu bringen. 
Sie werden abgeſchickt; Gewalt kann alle8 zwingen. 


58 


Der Wagen fordert man fünfhundert an der Zahl, 

Die täglich ftet3 zum Dienft, zur Ladung allemal, 

Bey Straf ganz ohnverfehlt beorvert, ſollen ftehen. 

Wie, Feinde, wollt ihr nun fo willig von und gehen? 
Was treibt euch hierzu an? Fürwahr fein Selbfi-Eintichluß ! 
Ein Ferdinand rüdt an. Heißt das gewollt? Ich muß! 
Sa eilt! ein mutbig Heer hat euch fonft abgejchnitten; 
Dann feyd ihr ganz befiegt und müßt um Gnade bitten, 
Mein Broglio zieht ab. Wer hätte das gedacht. Ä 
Mit Ordnung 309 er bin. Das hat ihm Ruhm gebracht! 


Nun jauchze, freue Dich, du ganz erlöfted Helfen! 

Du wirft zwar lange Zeit der Drangjal nicht vergeffen, 
Die du erlitten haft. Wünjch’, daß nur dort am Mayn 
- Dein Hanau, ſo wie du, befreyet möchte feyn. 


IV. 


Lateinifche Inſchriften des Kurfürftentbums 
Heſſen. 


Zuſammengeſtellt und erklärt von Prof. K. Klein in Mainz. 





Verzeichniß der angeführten Schriften. 


Appel, F., Hand⸗Katalog der Sammlungen des Kurfürft- 
lihen Muſeums. Kafjel 1849, 

Borghesi, B., sulle iscriz. del Reno in den Annali dell’ 
Inst. archeol. Rom. XI. (1839) ©, 128 ff. 
Dieffenbach, Ph., Urgejchichte der Wetterau (Archiv für 

hefliiche Geſchichte u. ſ. w. Bd. IV. Darmft. 1845.) 
Fuchs, J., Alte Geſchichte von Mainz. 2 Bde. Mainz 1771. 
Gerning, die Heilquellen am Taunus. Leipzig 1813. 
Gruter, J., Inscriptiones antig. 2 Bde. Amstelod. 1707. 
Hanauer Magazin. 8 Bde, Hanau 1779— 85. 


59 


Hefner, J. v., das römifche Bayern. 3. Aufl. Münch. 1852. 

Henzen, G., Inscriptionum Latin. collectio. Turici 1856. 

Klein, K., Ueber die Legionen, welche in Obergermanien 
ftanden. Programm de8 Mainz. Gymn. 1853, 

Zehne, Fr., Die römischen Altertbümer der Gauen des 
Donnerdberg. 2 Bde. Mainz 1836, 

Beitfchrift ded Vereins zur Erforichung der rheiniichen Ge— 
Ihichte und Alterthümer in Mainz I. Band. 1851. 

Annalen des Vereins für Naffauifche Altertbumsfunde und 
Geſchichte. Wiesbaden 1827 ff. 

Orelli, J. C., Inscriptionum Lat. collectio. 2Bde, Turic.1828. 

Ring, M. de, M&moires sur les etablissements Romains du 
Rhin etc. 2 Bde. Paris 1852. 

Schleretb, Die Römer im Kinzigthale. (Arnd, Zeitfchrift 
f. Hanau. Bd. J. ©. 197). 

Steiner, J. v., Codex inscripiionum Romanarum Rheni. 
Darmſtadt 1837. (Stein. I.) 

— — Codex inscriptionum Romanarum Danubii et Rheni. 
Geligenftadt 1851 ff. (Stein. II) 

— — Geſchichte und Alterthümer des Rodgaus. Darm— 
ſtadt 1833. 

— — Geſchichte und Topographie des Maingebiets u. ſ. w. 
Darmſtadt 1834. 

Wagener, P. Th., Handbuch der Alterthümer aus heidni— 
ſcher Zeit. 2 Bde. Weimar 1842, 

Zumpt, De Augustalibus et Seviris Augustalibus Be- 
rolini 1846. 


A. Inſchriften, welde im Aurfürſtenthume gefunden 
worden ſind. 
I. groß&roßendurg. 


1. Gefunden im J. 1835 beim Graben eineg Haus⸗ 
kellers nächft den Wingerten. (Steiner) In Befik des 


Pfarrers Kreisler zu Hofenfeld bei Fulda. 


60 


PRO . SALVTE . VICTORIA . ET 
REDITV . IMPP . CSS .L 
SEPTIMII . SEVERI . PERTINAC 
IS.ET.M.AVRELI. ANTONINI 
5  ET.P.SEPTIMIT. GETAE . PIORVM 

AVGGG .. ET .. IVLIAE . DOMNAE 
AVGVSTAE . MATRIS . AVGG.. ET 
caSTRORYM . Q . AIACIVS 
moDESTVS . CRESCENTIA 

10 ....LEG...G..0IV... p- Ch.208/11. 


“orten scneebe een BE EST ET ERS CD ET - TEST CS 


non bon: Ben E00 LEE LEE TREE ET ET TEE TEL — ER ELF DT TEE FT TE TE CT TE EL ED 


Für das Wohl, den Sieg. und die Rückkehr der Kaifer 
der Cäſaren Lucius Septimius Severus Bertinag und 
Marcus Aurelius Antoninus und Publius Septimius Geta 
der frommen Auguſtus und der Julia Domna Auguſta 
der Mutter der Auguſtus und des Lagers (neikeh Quintus 
Aiacius Modestus Crescentianus Legat . 

Steiner J. 213; U. 618; Borgheſi * a. a. O. 130; 
Henzen 5496. 

2. Im Jahre 209 unferer Beitrechnung unternahm 
Kaifer Septimius Severus mit feinen beiden Söhnen Ca— 
racalla und Geta einen Feldzug nach Britannien. Auf Die= 
fen Feldzug bezieht fich die Inſchrift; fie kann nicht früher 
gejegt werden, weil Geta erſt in diefem Jahre den Titel 
Auguftus erhielt, der ihm hier gegeben wird. Der Kaifer 
fehrte jedoch nicht zurüd, fondern ftarb im $ 211 zu Ebo— 
racum (Bord. Alfo füllt der Altar zwiſchen dieſe Jahre. 

5. Der Name Geta ift theilweife ausgelöjcht, indem 


*), Borghefi jagt: „daß er von feinem thenern Kellermann kurz vor 
befien Tode eine Copie dieſes Steines erhalten habe.” Dlaus 
Kellermann reifte von feiner Heimath Dänemark im J. 1837 nad 
Kom, wo er im Ceptember an der Cholera ftarb. Auf dieſer 
Reiſe jah alſo Kellermann den Stein. 


61 


der Kaifer Caracalla, nachdem er feinen Bruder, den Kaiſer 
Geta, mit eigner Hand in den Armen der Mutter Julia 
Domna ermordet hatte, nach damaliger Sitte den Namen 
Geta's auf den Dentmälern auszulöichen befahl, was hier 
nicht vollitändig geſchehen ift. 

Steiner hat am Anfange nur E, damit ift aber T 
verbunden. 

7. mater castrorum. Mutter des Lagers oder des 
Heeres, ein ehrendes Beimort, welches den Gemalinnen 
der Müttern der Kaifer gegeben wurde; vgl. Hefner Daß 
römische Lager (1852) ©. 48. 

10. Nach den Räumen fcheint bier geftanden zu haben: 
NVS.LEG. AVGVSTORVM.PR.PR. In den folgenden 
zwei Zeilen ftand wahrfcheinlich das Jahr. 


2. Auf dem obern Theile einer Ara, welche, bian 
dieſes Wort in die Erde verfenkt, einem Remifepfoften zur 
Unterlage diente und im Jahre 1833 anderweitig ver- 
wendet wurde (Steiner). 

Krug NEPTVNO Dreizad, 
Dem Neptunus ... 
Stein. II. 619; ebend. Rodgau 9, 

Bon dem Neptunus find am Rheine wenige Dent- 
mäler erhalten. 

3. Auf dem Fragmente einer Bafis, worauf nur noch 
der Yinfe weit auswärts ftehende Fuß eines Kleinen Reliefe 
bildes und ein Theil der Nifche, in welcher e8 angebracht 
war, zu fehen ift, gefunden 1848 heim Ausgraben eine 
Kellerd. (Steiner) In der Sammlung de H. Steiner 
in Kleinkrotzenburg. 

Theile eines Fußes 
..... SAP,ERA 
..... FI. 1IVI 


den ...... Publius Era ....., Sohn des .... 
Viermann. 


62 


Steiner IL 623. 
1. Steiner erflärt matronis; S ſcheint sacrum zu fein, 
A dient flatt eine Punktes. 
2. Die qualluorviri, ein Kollegium von vier Männern, 
übten in den Städten ter Provinzen die Rechtöpflege, bes 
forgten Die Wege u. |. w. 


4. Als im Jahre 1828 die neue Kirche erbaut und 
die Fundamente der alten Kirche ausgebrochen wurden, 
fand man einen Ziegelftein mit der Inſchrift: 

LEG XXII PRPF 
Diefelbe Inſchrift wurde im Jahre 1832 entdedt als der 
dafige Einwohner Auguſtin Krämer in feiner Hofraithe 
nabe an dem Wege, der aus dem Dorfe nach Hanau zieht, 
eine Miftftätte vertiefte. (Steiner.) 


Die zwei und zwanzigfte Legio die erfigemorbene fromme 
getreue, 


Steiner, Maingebiet 165. 


Die zwei und zwanzigſte Legion, von Kaifer Claudius 
errichtet, fam gleich damals nach Mainz und hatte über 
300 Jahre ihr Standquartier daſelbſt; vgl. meine Schrift: 
Ueber die Legionen u. f. w. 12. 


5. Biegelabdrüde, welche in den Fundamenten eines 
römiſchen Gebäudes 1834 gefunden worden find, und auch 
1827 und 1832. (Steiner) Sechs Exemplare in der 
Sammlung des H. Steiner in Kleinkfroßenburg. 

LEG XXI.P.P.F . 
wie Nr. 4, 

Steiner I. 214; II. 620 (wo er das Sahr 1835 an⸗ 

gibt); ebend, Rodgau 9. 


6. Stempel auf einem Fleinen Badfteine, gefunden 
1844 in den Subftructionen eines römijchen Gebäudes in 
ber Nähe des Dorfes auf ber Beune. (Steiner) In deſſen 


63 


Sammlung. 
COH . III 
VINDE 
LICO. 
..V., 
5 AIL..I 


Die vierte Cohorte der Vindelicier ..... 
Steiner II. 621. 

2. Die Vindelici, deren Hauptftadt Augusta Vindeli- 
- corum (Augsburg) war, wohnten zwifchen der Donau und 
Rhätia (Tyrol) im fünlichen Bayern und Württemberg; fie 
bienten in. 4 Cohorten, davon eine, die vierte, lange Zeit 
am Pfahlgraben ftand; vgl, Annalen des Vereins für naff.- 
Aterth. VI. 43. 

7. Stempel auf einer großen Badfteinplatte — ges 
funden 1848 auf der Beune in der Subſtruction eineg 
tömtichen Gebäude, (Steiner) In deſſen Sammlung. 

COH Ill ANGAIIOOV im Seife, 
wie Nr. 6. 
Steiner II. 622, 


II. Hanau. 
8—10. Im Frühjahre 1769 hinter dem Schloß 
von der neuen Brüde an und nad dem Heegwalde zu 


wurde gefunden eine Todtenlampe: 
ATTILIVS F 


ein Teller mit brauner Erde mit dem Töpfernamen 
Occiso figulus 

Sm Jahr 1777 zwiſchen Hanau und Rüdingen am 

Ende des Waldes Stüde zerbrochener Gefäße, auf einem: 
Fictorinus fig. 

Einige diefer Sachen befinden ſich in der fürftlichen 
Sammlung zu Birftein oder zu Hanau in vielerlei Hän— 
den. Steiner Maingebiet 225 nach dem Hanauer Ma- 
gazin I. 186; 11, 212; Steiner J. 215, II. 626 (wo er 


64 


das Jahr 1770 flatt 1769 angibt und citirt: OCCISo F. 
und FICTORINVS FE. 


III. Rückingen. 

11 — 12. Südweſtlich davon heißt eine 40 Morgen 
haltende Stelle die Altenburg, wo eine Römerftätte war; 
hier wurden 1802 Badfteine gefunden mit 

LEG . XXII.. PRPF 
| und COH Il AQ 
Sie kamen auf da8 Schloß zu Birftein. Eteiner II. 6245 
Schlereth, die Römer im Kinzigthale 14 u. 23; Dieffen- 
bach, Urgefchichte der Wetterau 177. 

Meber die zwei und zwanzigfte Legion fiehe Nr. 4. 
Die dritte Cohorte der Aquitani, welche in Gallien zwi⸗ 
chen der Garonne und den Pyrenäen wohnten, lag in 
Germania unter der Regierung des Kaiſers Befpafianus, 
vgl, Arneth zwölf röm. Miltiärdiplom 29. 


IV. Bergen. 
13. Am 27. Oft. 1802 wurden auf den Pfarrädern 
neben dem SKellergraben zwei Biegelfteine gefunden mit der 
Aufſchrift: 
LEG . XXII. PR. PP ' 
am 28. Okt. 1802 ein zerbrochener Biegelftein mit 
| XXll PR 
am 17. Nov. 1802 am Kellergraben zwei Biegelfteine 
XXI.PR.P.F 
am 18. Nov. 1802 dafelbft ein Biegelftein mit der Infchrift: 
LEG . XXll. PR. PF 
am 5. Dee. 1802 dafelbft eine Platte mit der Infchrift: 
LEG XXIII PRPF 
Steiner, Maingeb. 152 bis 154 aus dem Manufcript deg 
Pfarrerd Herrmann, der daſelbſt Nachgrabungen anftellen 
hieß. Steiner 1. 216; Il. 627; Gerning Heilquellen 190 
(nennt Steiner der 22. u. 23 Legion, leßtered ein Verſehen); 
Wagener 121; Dieff. Urgejch. 178. Sie find nicht erhalten, 


65 


B. Inſchriften, welche auswärts gefunden wurden und 
im Aurf. Mufeum zu Raſſel aufbewahrt werden. 


Sn Appel's Hand-Katalog der Sammlungen des 
Kurfürftlichen Muſeums u. |. w. (Kafjel 1849) wird eine 
ziemliche Anzahl von Steinen und Denkmälern mit In— 
Ihriften angeführt, welche letztere jedoch nicht beigefügt find. 
Auf brieflihe Nachfrage hat der Verf. mir im Jahre 1851 
die folgenden Abfchriften überjchict, mit dem Bemerfen: 
„von allen den bier aufgeführten ift mir bis jett fein Fund⸗ 
ort bekannt geworden.” In mehreren erfannte ich fogleich 
alte bekannte, längſt vermißte Inſchriften. Seitdem hat - 
Steiner in feinem codex inscr. etc. (1854) mehrere ver- 
dffentlicht, andere erjcheinen hier zum erjtenmale gedruckt. 
Die Fundorte derſelben find: 


I, Zahlbach. 

Sechs Infchriften des Kaffeler Mufeum find in die- 
ſem zur Stadt Mainz gehörenden Orte gefunden worden 
und wurden, feitdem fie von Fuchs (Mainzer Geichichte 
l. u. 1. Band) veröffentlicht find, von den ſpaͤtern Heraus 
gebern für verloren gehalten, indem bis jeßt Niemand von 
deren Dajein in Kaſſel etmas wußte Wie fie borthin 
famen, weiß man nicht; wahrjcheinlich hat die Sociele des 
Antiquaires de Cassel — wie ſich damals dort ein wiſſen⸗ 
Ichaftlicher Verein nannte! — fie in Mainz acquirirt; vielleicht 
durch Geſchenk von kurfürſtlich Mainzer Seite *), indem 
von diefen Steinen einige, wie Fuchs bemerkt, zur Samm- 
lung vor dem kurfürftl. Schloffe in Mainz gebracht waren; 
von mo fie aljo nach Kaſſel kamen, wie e3 fcheint nach 


*) Um jene Zeit wurden auch viele römiſche Steine von Mainz bem 
kurfürſtlichen Muſeum in Mannheim geſchenkt. Gerden Reiſen III, 
(1786) ©. 62: „WVerſchiedene Steine mit Inſchriften find auch 
von Mainz nach Kaffel gefommen, die ich dort gefehen habe,” 

VIE. Band. 5 


66 


dem Jahre 1780, weil die Societe in diefem Jahre im 
1. Band ihrer Memoires (und mehr erjchten nicht) Teine 
Erwähnung jener Erwerbung thut. 

14. Ein zerbrochenes Stück Stein, welches im 1769 
Jahre in dem Sungfrauenflofter Dalheim bei Mainz unter 
den Trümmern ber bei vem Brand zufammen gebrochenen 
Mauern gefunden worden. (Fu 8.) 

LARIBVS 
COMPETALI 
BVs SIYE 
QVADRIVI 
(Die untere Hälfte ber fünften Zeile fehlt.) 

Den Laren auf den Scheivewegen oder Kreuzwegen ..... 
Fuchs I. 64 mit Abbild.; Lehne 104; Steiner I. 
482, II. 540; Zumpt. de August. I; Klein, Zeitſchr. 
bes Mainz. Ver. I. 484; Orelli 1664 u. 2105; Ring, 
II. 52; Appel, Katal. IX. 87 (ohne die Inſchrift). 
1. Die Laren waren die Schubgdtter des Hauſes 

der Wege u. ſ. w.; vgl. die angeführte Stelle ber 

Mainzer Zeitfchrift, wo die Infchriften der Wegegötter 

gefammtelt find, 


15. Ein Stüd eines zerbrochenen Steines, welches 
ich ohnweit dem Klofter Dalheim am Hipperich habe aus— 
graben laſſen im Jahre 1769, (Huch8,) 

. . . IDIVS 
... TROM 
... MENS 
..O. WII, 
5 .. 1. ADI 
.. AXX STIP 
..E.T.F.{ 
. . idius Clemens (Sohn des . . ) aus der Tribus Tro— 
mentina von Äquum, Krieger der erſten Legion. ber helfen— 


67 


den (alt) 30 Sahre, im Dienfte . . . .$ (der Erbe) ließ 
nach dem Teſtamente Den Stein machen. 
Fuchs I. 122; Lehne 140; Steiner I. 377, IL 535; 
Appel, Kat. 89 Cohne die Inſchrift). 


4. O ift wahrjcheinlich der Ueberreſt von AEOQOVO, 
da Aequum in Dalmatien (Han bei Epalateo) zur tribus 
Tromentina gehörte, und mehrere Krieger diefer Legion 
au8 Aequum waren; vgl. Lehne 138, 142, 


5. Fuchs hat II und auf dem Stein ift vor I noch 
ein Ueberreft, der nicht von der Zahl U, fonvern von 
G in LEG herrühren wird; denn 11 kann nicht fiehen, da 
die leg. 1. niemal® am Rheine war. Die erfte Legion, 
mit dem Beinamen die helfende, wurde in Spanien zuerft 
aufgeftellt, kam um das Jahr 100 unjerer Zeitrechnung nad) 
Mainz, wo fie etwa 50 Jahre ihr Standquartier hatte; 
von da 309 fie nach Pannonien (Theile von Oeſterreich 
und Ungarn); der Stein aljo ift über 1700 Jahre alt. 
Bol. meine Schrift über die Legionen u. |. w. 21. 


7. Der erfte Buchftabe wird wahrfcheinlich E gewefen 
fein, der Fuß deffelben fehlt nämlich. MUeberhaupt Tann 
die ganze Injchrift, außer Zeile 1, ganz leicht reftituirt wer⸗ 
den.... IDIVS|..F. TROM | CLEMENS | ÆOVO MII. 
LEGIADI | ANN. XXX STIP|X.H.E.T.F.L 


16. Ein Stüd Stein — ift im Jahre 1769 nad) 
dem Brand im Klofter Dalheim bei Mainz an der Brands 
ftätte der abgebrannten Scheune ausgebrochen worden. Ich 
habe ſolches zu den anderen alten römiſchen Steinen brin- 
gen lafien. (Fuch 8.) 


DIIEIK ZIELE TELEKES III ER EI II 


IS.T.F..L.CASTVS 
BB. E . cos 
C. VıL .P 


68 


... is Caſtus, des Titus Sohn, Begünftigter des Con⸗ 
ſular (liegt bier); Cajus Villius ſetzte (den Stein). 
Fuchs J. 188 mit Abbild.; Steiner 475, II. 307 
(ſetzt den Stein unrichtig nach Mainz); Appel Katal. 
IX. 92 (ohne die Inſchrift). 
. 1. Steiner nimmt L al$ die tribus Lemonia, was 
unrichtig; FL fteht für FIL. 

2. Beneficiarius ein Begünftigter ift durch feinen 
Vorgeſetzten von manchen Dienften befreit. Die Bezeichnung 
eine folchen mit BE ift felten, daher corrigirt Steiner BF. 
Der mittlere Querftrich in B tritt linf8 hervor und hat vorn . 
einen Querſtrich 

3. Fehlt bei Steiner. 


17. Ein Stein, welcher bei Zahlbach (1770 fügt 
die Yateinifche Ausgabe von Fuchs 1772 bei) ift ausgegra— 
ben worden. Die Buchitaben find jehr unförmlich. — Der 
Stein ift vor das Furfürftlicde Schloß zu Den andern ge= 
bracht worden. (Fuh8) 


ACAEKV 

ESRASI 

ANMPPT 

RPCOS 
Fuchs I, 228; Appel Katal. IX. 90 Cohne die Ins 
ſchrift) 

1— 4. Die Erklärung von Fuchs: Augustus Cae- 
sar Vespasianus imperator tribunitia potestate consul ergibt 
ſich eigentlich nicht aus der Inſchrift, fo wie fie bei Fuchs 
vorliegt und auf dem Stein deutlich zu leſen ift. 


18. Ein Kleiner Steinfarg, gefunden 1759 bei 
dem Klofter Dalbeim. (Buch 8.) Der Dedel hat 
auf der Außeren Seite SNORCF 
auf der innern D’TRPVCOSIIP 


Snor, des Cajus Sohn, in der tribunitiichen Gewalt 


69 


zum fünftenmal Conſul zum zweitenmal Vater (des Vater⸗ 
landes) 
Fuchs I. 232; Steiner 461. II. 305 (verlegt den 
Stein nad Mainz) und Zufäge im II. Theile ©. 370; 
Appel IX. 84. 

2. Die tribunitia potestas V. consul. II. beffeide= 
tn die Kaiſer Commodus, Septimius Severus, Gordianus 
und Aurelianus in den Sahren 165, 197, 242 und 275; 
alfo kann eins dieſer Jahre gemeint fein. Gteiner in den 
Zuſätzen corrigirt in Seile 1 GORDIAN, fo daß die In— 
ſchrift in das Jahr 242 falle. — D am Anfange papt nicht; 
man eriwartet PM (pontifex maximus) oder AVGustus. 


19. Ein Heine Stüd Stein — welches im Klofter 
zu Dalheim im Jahre 1770 ift ausgebrochen worben. (Fu ch 3.) 
L.LIVIVS A 
CAM . ATRIA 
Lucius Livius A......aus der tribuis Camilia, von 
Aria (D .... 
Fuchs 1. 227 mit Abbild.; Lehne 338; Steiner 462, 
11. 457 u. 2427 nebit Zuſätzen IL Theil ©, 371; 
Appel Kat. IX. 86. 


1. A, wie die Abbildung bei Fuchs deutlich bat, 
läßt Lehne aus; noch jet‘ ift der erfte Strih von A er⸗ 
halten, 


geber. Atria ift nach Plin. I. 10 die Ältere Schreibart 
ſtatt Adria oder Hadria (jetzt Adria) in Oberitalien, welche 
nach diejer Infchrift zur tribus Camilia gehört. Hadria in 
Picenum gehörte zu einer andern tribus; vgl. Grotefend 
Zeitſch. für Alt. Wil. 1836 ©. 930.. 

Bon ber dritten Zeile fieht man nur Spuren, 


2. So die Infchrift, nicht AIRIA wie die Heraus- | 





70 
Il. Weifenau bei Mainz. 


20. Ein Grabftein, deffen kleine Giebelfläche mit einer 
Ionnenähnlichen Figur ausgefüllt if. Er ift nur 16 Zoll 
breit, oben rund und der untere Theil abgebrochen. — Diefer 
Stein ift neben der oberen Heerftraße über Weijenau gegen 
Mainz zu heraußgegraben worben; ich habe ihn erjt im 
Jahre 1772 gefunden. (Fuchs.) 


P.SEPETVMIE 
NVSLFFR 
ONTOANXXV 
DST 
Publius GSepetumienus Fronto des Lucius Sohn, alt 
fünf und zwanzig Sabre... .. 
Fuchs II. 168 u. 260; Lehne 341; Steiner 316, IL. 
547 u. 2430; Appel Fatal. IX. 81 (ohne die In— 
ſchrift). | 
1. Das zweite P jcheint faft ein R zu fein; Steiner 
an britter Stelle SEPTVMIENVS, wie auch Lehne mit 
Auslafjung von E jchrieb. 


4. Der zweite Buchftabe fcheint ein O oder S zu 
fein; Steiner lieſt stipenDIORum, aber ber letzte ift T. 
Set ift von der vierten Zeile feine Spur mehr zu ſehen. 


III. Unbekannter Fundort, 


Bon den folgenden Inſchriften ift bi jeßt weder über 
den Fundort, noch die Zeit, wann fie nach Kaffel famen, 
irgend eine Notiz veröffentlicht. Sie find ohne Zweifel 
nach der Mitte des vorigen Jahrhunderts acquirirt worden; 
mehrere jcheinen aus Italien zu ſtammen. Einige werben 
hier zum erftenmale verdffentlicht; andere hat erſt Steiner 
im J. 1854 feiner Sammlung einverleibt, 


71 


21. Ein größerer Grabftein von Marmor. 


D.M 
L. AVRELIVS.. TERENTIVS 
SIBI. ET 
C . TICHERNE . SVAE 
zwei Sphinxe 
Den Schattengöttern; Lucius Aureliuß Terentius (hat) fich 
und der Caia Ticherne feiner (Gattin den Stein gejekt). 


Appel Katal.IX.. 65 (ohne Inſchrift); Steiner ll. 2425. 
4. So die Inſchrift; Steiner hat SVE. 


22. Ein Heiner Grabitein von Marmor mit vier 
Feſtons. 
CORNELIAE. O. I., 
EPITYCHIAE 
Q.CORNELIVS.Q .LIB 
NARCISSVS . CONIVGI 
SVAE FECIT 
Der Eornelia Epitychia Freigelaffenen de8 Quintus (Cor⸗ 
nelius) bat Quintus Cornelius Nareiffus Breigelaffener 
des Quintus feiner Gattin (diefen Stein) machen Iafjen. 


Appel Kat. IX. 66 (ohne Inſchrift); Steiner Il. 2426. 


23. Eine ſchmale Marmortafel. 
ET . MEMORIAE . AET 
SEVERINAE. MAT. DVLC 
D PIENT.B.M. SEVERI M 

5 NA.F.P 
Den Schattengöttern und dem ewigen Andenfen an Seve- 
rina ber füßeften, frommften und wohlverdienten Mutter hat - 
Severina die Tochter (den Stein) ſetzen laſſen. 


Appel Kat. IX. 71 (ohne Inſchrift); Steiner.ll. 2429. 
3. D.M. ftehen am Anfange und Ende dieſer Beile 
| jeder Buchftabe in ein Viereck eingeichloffen. 


72 - 


24. Auf der innern Seite des Dedels eines Steinfarg3 
D.M. 
SEX . AVFIDIO . PHITEIO 
CONIVGI 
IANVARIA.B.M. FECIT 
5 ET. SIBI . POSTERISOVE 
EORVM 
Den Schattengöttern; dem Sextus Aufidius Phiteius dem 
wohlverdienten Gatten und ſich und ihren Nachkommen hat 
Januaria (dieſes Grabmal) machen laſſen. 
Appel Katal. IX. 68 (ohne Inſchrift) Steiner II. 2424. 


25. Ein vollitändiges Heineg Grabmal von Marmor. 
C_.TANVSI.C.F. BALBINI 
\ ANICI 
(Den Schattengöttern) des Cajus Tanufius Balbinus Sohnes 
des Cajus Anieia..... 
Appel Kat. IX. 67 (ohne Inſchrift); Steiner II, 2427. 


26. Ein Grabftein, deſſen Anfang und vordere Seite 
kit, | 
· AFEL . PLACIDINAE . LIBE. 


RTIS 

v0... ber Placidinga und ihren Kindern und Enfeln 
und den Kindern derfelben und der Homonoea feiner Gattin 
und dem Marcus Appulejus .... und den männlichen 
und weiblichen Zreigelaffenen und den Kindern der Frei— 
gelafjenen und den Freigelaffenen der Kinder, 

Appel Katal. IX. 88 (ohne Inſchrift); Die Inſchrift 
ift hier zum erftenmal edirt. 


1. Der Anfang ift nicht zu enträthjeln; es fcheint in 
ben einzelnen Zeilen nicht gleich viel zu fehlen. 


73 


3. Der Zrauennamen Homonoea fteht bei Grut. 470, 
3 u. 607, 4. . 
4. TRICI Refte eines Cognomen. 


27. Fragment eines Grabſteins. 
PAVLINVS.....» 

14 Zeilen mit noch einigen Tenntlichen Buchitaben. 
Appel Katal. IX. 73 (ohne Inschrift); noch nicht ebirt. 
28. Fragment eined Grabftein®. 

Kopf eineß praefecti militum. 
A; L Io vice 


Appel Katal. IX, 78 (ohne Inſchrift); noch nicht edirt. 


29. Ein hriftlicher Grabftein. 
IN HOC SEPVLCHR 
rEOIESCIT IN PACE PVILLA 
MINEA IBERGA Q VIXIT AN 
NIS XXXIX ET MENSES V 
ET DIES X 





In diefem Grabmal ruhet in Frieden das Mädchen Minen 
Iberga, welche lebte neun und zwanzig Sahre und fünf 
Monate und zehn Tage, 
Appel Katal, IX, 74 (ohne Inſchrift); bisher nicht edirt; 
befonder8 bei diefer Inſchrift wäre es intereſſant zu 
wißen, mo fie gefunden jei *). Sie ftammt vielleicht 
vom Niederrhein. 


*) Auf ber rechten Aheinfeite fand man bis jetzt nur eine jolche chriſt⸗ 
liche Inſchrift: in Wiesbaden und im dortigen Muſeum aufgeftellt; 
in Mainz find beren zwei, in Worms 3— 4, in Trier fehr viele 
u. ſ. w. Sie gehören in bie ältefte fränkiſche Zeit. 


74 


2. Born fehlt R puilla für puella. 

4. Zwiſchen der Zahl XXXIX und ET ftehen zwei 
fenfrechte Striche ||, die nicht zw deuten find. 

Die Figur unten enthält die griechiichen Anfangs— 
buchitaben vom Namen Christus X und P, umgeben von 
A und 2 dem Anfang und Ende; bäufig ift noch auf bei- 
den Seiten eine Taube beigefügt. 


IV. Aus dem Herzogthum Naſſau. 
30. Ein Grabftein um das 1600 bei Praunheim 
ohnweit Heddernheim gefunden: 


DISMAN 

0.FAVONO 

VARO . FiL 

R.FAVON 

VSVÄRVS 

COH XXXII 

V.PATER 

MTD 
den Schattengöttern; dem Quintug Favonius Varus feinem 
Sohn Chat) der Vater Quintus Severus (Krieger) Der . 
zwei und dreißigſten Cohorte der Freiwilligen... . 


Grot. 1094, 15 Winkelmann Beichreibung von Helfen 

130; Bernhard, Antig. Wetteraviae 665 Schend, Ge⸗ 

jchichtbejchreibung von Wiesbaden 94; Fuchs 11. 134; 

Steiner, Maingebiet 148; Lehne 285; Ebhard, Ge- 

fchichte der Stadt Wiesbaden 2085 Appel, Katalag 75 

(ohne Inſchrift); Steiner 243, 1. 637; Klein, Nafjan. 

Annalen IV. 342: Ring 1, 3135 Inser. Nass. 38. 

6. Dorn ift Miles ausgelaſſen. 

Die Cohorten der Freiwilligen beftanden aus römi— 
ſchen Bürgern, welche nach vollendetem Kriegsdienfte wie— 
berum eintraten. Die zwei und breißigfte Cohorte ber 


75 


Freiwilligen hat mehrere Denkmäler am Rheine zurücge- 
lafjen, vgl. Insc. Nass. 25 u. 39. Wann diefelbe bier ftand, 
weiß man noch nicht. 

8. Die Heraußgeber haben hier verfchievene halbe 
und auch ganze Buchftaben, aus denen fich noch Fein Sinn 
ergab. 





Indices. 


I. Nomina. Cognomina. Minea Iberga . . . . 29 
Q. Aiacius Modestus Crescen- Modestus . . . .. 1 
ianus - < 2.11 Narcissus . 2 2 2.2.22 
Anicia »- o 2 2 2...25 | Occiso -. . 2 2: 9 
M. Appuleius ....x 26 | Palinus . 2. 2.2.27 
Attilius -. - . 2 2.81 Phiteius. 2 2 2.2...26 
S. Aufidius Phiteius . . 24 Snor. C. ... . 18 
L. Aurelius Terentius „ 21 | Placidina . . oo. . 
Balbinus . . “>. 235 | Q-Sepetumienus L. f.Fronto 20 


... is T. f. Castus.. .„ 16 | Severina . . 2... .%3 
Cornelia Q. 1. Epitychia 22 C. Tanusius C. f. Balbinus 25 
Q. Cornelius Q. 1.Nareissus 22 | Terentius ..... . 21 


Crescentianus - . 2 . 110°. Tiherne . . . . 21 
Epitychia . . 2 ...22 Q. Favonius Varus . . 30 


Er... 2 . .. 30. V. Vils... 0. 16 
Q. Favonius Varus . . 30 II. Urbes. Populi. 
Fietorinäüus . . . . . 10 | ?Airia . ...51 
Fronto -. . . 2 2.2820 | Aeuum . ...0.1X5 


Homonoea . . . . . 26 | Awitni . . ...12 
Januaria . . 2 2.2.24 | Viodlici . -. 2.627 
Ib er ga o . . . 0 o 2 9 II. Tribus, 


L. Lviuss . -. » : ..91 | Camilia ?Atria . . . 1 


76 


Tromentina coniux benemerens . . 24 
.,.5 . 
Aequum dulcissima mater . © . 25 
IY. pu. grammalica 


Lares competales sive ° pro ae Ticherne 25 
quadrvi . .„ . 14 i pro e pulla . 29 


Neptunus . . 2.0... 2 in pace. . 0... 29 
Quadrivii v. Lares. legatus Augustorum . 


1 
master Augustorum . . 1 | 
V. Imperatores. —  casirorum . 1 


? Vespasinus . . . 17| _ duleissima pientissima 
Septimius Severus Cara- benemerens . . 23 
calla et Geta (a. P. nomen erasum . . . 1 
Ch. 209/11). . 1 pientissima mater. . - 23 
?Gordianus (a. p. Ch. | I vir . ng 
2422) . . 0. 18 | gribunitia potestas . „ 18 
Julia Domnma . „ .. 1 VII. Notae " 
VI. Res militares, AETerne . . . . . 23 
Beneficiarius consularis ,„ 16 | ANnorum ANnos . . 20.29 
Cohors Ill. Aquitanorum AVGGG Augusii Ires . 1 


Badfteine . . » 12 | Bene Merens . . . 23.24 


Cohors XXXII Volunt miles 30 | BEneficiarius - - » . 16 
Cohors Ill Vindelicorum Diis Manibus . 21.23. 24 
Badfteine.. . . 6.7 | Ex TestamentoFieri Iussit 15- 
Legio I. adjutrix Figulus . .. 8.9.10 
mies . 0.0 Be ee 23 
— XZII primigenia pia Fiius . - 2. 18.20.25 
fidelis Flius -. -. : 2 20 3 


Badftene 4.5. 11.13 | FE Liu. . 222.2 86 
mater castrorum © . - 1 | Libeta . 2 2 2 2.92 
vn. Varia. LiBerus . . 2....22 

Augusta . . x... 11MATe . . 2 0020.23 
Augusti res . - . . 1 | Pout - 2 2... 16.23. 
benemerens coniux . ; 24 | STIPendiorum. . . . 45 
— mater. - « . 23 | Volmtari ©. © << ....80 


RK. Fundorte, X. Aufbewahrungsort e. 
Bergen . ‘ o. .0. 0 13 ? Birftein . .0 8 — 12. 22 
Gtoßlrotzenburg.. 1—7 | ?S5aru . . . . 8—10 


Hanau 2.0.8 —10 Hoſenfeld .. 1 


Heddernheim ® + f] . 30 _ 
Rückingen . . . 11 — 1 2 Laſel . . . . 1 4 30 
Veifenaun . . . .» 90 | Kleinfrogendbugg . 3.5.6.7 


Zahlbach.... 14—19 Nicht mehr erhalten 2.4) 13 


V. 
Der Seiligenberg. 
Vom Ardivar Dr. Landau. 





Mer kennt in Niederheffen nicht die kahle weithin 
ſichtbare Kuppe des Heiligenbergg? Wenn auch keineswegs, 
wie man häufig hört, nächit dem Weißner der höchite der 
niederheffiichen Berge, fo überragt er doch alle Höhen des 
untern Eder- und Echwalmgeländes und gewährt dadurch 
eine der prachtvolliten Ausfichten, um berentwillen er dann 
auch alljährlich zahlreich befucht wird, 

Seine fonifchgeformte Kuppe zeichnet ihn ſchon aus 
der Ferne al eine jener vielen Bafalterhebungen, melde 
diefe Gegend in fo charakteriftiicher Weife zieren. Bon ber 
Eder, deren rechte Mfer feinen Fuß berührt, fteigt ber 
Heiligenberg ziemlich teil 754 Fuß empor. Deftlich ift 
der Abfall Dagegen geringer. Hier liegt Hehlar nur 416 
Fuß und die Fulda bei Melfungen nur 725 Fuß tiefer. 

Kommt man von der Eder, fo bietet fich der bequemfte 
Weg zur Höhe von Genfungen aus, wo ein Pfad nach der 
Öftlichen Seite führt, von welcher der Gipfel unfchwer zu 
erreichen ift. u 

Der Berg iſt ganz kahl ober nur mit geringem Ge⸗ 


80 


gegen der Landgraf die Stadt Grünberg *) gründete. Daß 
Mainz bier keine weltliche Herrichaft befaß, ergibt fih aus 
der einfachen Thatjache, Daß Die Burg, wie wir fpäter zei— 
gen werben, ohne alle Zubehörungen war, fo daß das 
mainziſche Beſitzthum fich lediglich auf die Burgftätte be— 
Ichränfte, weshalb man annehmen muß, daß der Bau erft 
nah einem Abfommen mit den Grafen von Feldberg zur 
Ausführung gelangte. 

Die erften Schickſale der Burg find nicht‘ befannt. Im 
Sahre 1193 findet fi ein Comes Heinricus de Heiligen- 
berg **), jedenfall8 ein mainziicher Burggraf, dem die Be- 
wachung der Burg anvertraut war. Sein Familienname 
wird nicht genannt, aber es ift nicht unmwahrjcheinlich, daß 
Heinrich den Grafen von Ziegenhain angehörte. 

Zu derſelben Zeit begegnet man auch einer Burg- 
mannen-Familie, welche auf der Burg wohnte und fich 
nach derjelben nannte. Der erfte, welcher davon befannt 
wird, tft IS fried vonHeiligenberg und lebte 1196 ***), 
Hugo und Werner, wahrfcheinlich feine Söhne, waren. 
zu Grüßen bei Rofenthal begütert und finden fi von 
1223 bis 1249 +). Beide waren 1256 bereit geftorben 
und einer von ihnen hatte zwei Söhne hinterlaffen, Hugo 
und Werner, von welchen der Iebtere Geitlicher war. 
Die Kirche zu Buchenwerde, an der Zulda, welche fie von 
den Grafen von Reichenbach zu Lehn hatten, gaben fie 
dem Kloſter Breitenau Fr). Hugo findet fih 1263 auf 


*) Die Mist. Landgrav. und Gerftenberger nennen ftatt beffen bie 
Bramburg an der oberen Weſer, Joh. Rothe die Burg Braun- 
fels. Wenn einige heſſiſche Chroniſten Runeberg fchreiben, fo ift 
das nur ein Schreibfehler für Geuneberg 

***) Ungedr ˖ Urk. 
**8*) Wenck I UB. ©. 129. 

+) Ungebr- Urk. Gudenus I, p- 484, Varnhagen, Waldeck. Geld. I. 
UB. ©. 82 und 318, Kopp, die Herren v- Itter. UB. S. 189. 

tr) Ungedruckte Urk. 


81 


dem Heiligenberge *) und Werner 1268 zu Alten» 
born **). Seitdem verfchwindet Diefe Familie. 


Die Burg felbft tritt und nach ihrer Gründung erft 
im Sabre 1232 wieder entgegen, als Landgraf Konrad von 
Thüringen gegen Fritzlar zog und daſſelbe belagerte. Auch 
ber Heiligenberg ***) wurde bei diefer Gelegenheit ums 
ſchloſſen und wie es jcheint die Burg erobert und zerſtört. 
Wir müffen das letzte aus einer Urkunde von 1247 
ihließen, aus welcher hervorgeht, daß die von Wölferb⸗ 
haufen im Auftrage des Erzftifts Die Burg wieder erbaut, 
und die Randgrafen Died zu hindern ſich bemüht hatten, 
wobei fomwohl die von Wolfershaujfen, als deren Hinter» 
iaffen fchwer geichädigt worden waren. Das Erzitift wies 
ihnen deshalb 200 Mark Silber8 und ein Burgmannen- 
Iehen auf der Burg an }). 


Außerdem wurden den von Wolfershaufen aber auch 
noch 20 Mark gezahlt, um dafür Ländereien zur Burg ans 
zukaufen ++), ein überzeugender Beleg dafür, daß die Burg 
feine _Yubehörungen hatte und der mainziiche Beſitz fich 
lediglich auf die Burgftätte beichränfte 7). 


Noch 1270 hatten die von Wolfershaufen einen An⸗ 
fit auf der Burg HP. 


* Wenck II. UB- S. 152. 
*#) Barnbagen a, a. DO, ©. 10% 
®+r) Der Landgraf z0g, wie e8 in einer älteren Nachricht heißt: pro 
monte Heiligenberc in llassia sito- Gudenus I. p. 517. ©. 
auch die Annales Erphordenses ap, Pertz, Monumenta hist. 
Germ. XVI. p- 27-) 

}) in restaurum quoque dampnorum nostrorum, que hobis et 
nostris hominibus in reedificatione castri Heiligenberg per 
suos (sc- Landgr.) homines irrogata fuerunt - 

++) Die von Wolfershaufen erflären: Item dedit nobis XX marcäs, 
ut inde puremus nobis in castro necessarios mansos. 

Trr) Die betreffende Urkunde findet fi bei Gudenus I, p- 596. 
frrt) Orig. Url. 

VIEL, Bond, 6 


82 


Damals nahete fich jedoch ſchon ein neuer Sturm 
gegen den Heiligenberg. Der Erzbiſchof fam mit dem 
Zandarafen Heinrich I. von Heffen in einem Krieg und 
heffiiche Truppen erftiegen 1273 die fteile Höhe und zer= 
ftörten Die Burg *). 

Seitdem blieb Diejelbe in ihren Trümmern Tiegen. 
Es wird wenigſtens in den zahlreichen Kriegen, welche Mainz 
mit Heffen während des vierzehnten Sahrhunderts hatte, 
ihr Name niemald genannt. Erſt in dem Kriege des Land— 
grafen Hermann gegen Mainz, welcher in Folge der Er— 
mordung des Herzogd Friedrich von DBraunichweig 1401 
fih erhob, wird ber. Burg wieder gedacht. Landgraf Her- 
mann fette fi damald in den Beſitz der Trümmer und 
baute auf denjelben eine neue Feſte **). Auch nach Bes 
endigung des Kriege blieb Dieje neue Burg in hejjiichen 
Händen und wurde von den Landgrafen mit Amtleuten bejeßt. 
Sp erhielten fie nach dem Tode des Landgrafen Hermann 
durch deſſen Sohn Ludwig I. 1413 die Gebrüder Henne 
und Hermann Niedefel auf ein Jahr Yang amtsweiſe über-. 
geben. Im Jahre 1439 verlieh jedoch derfelbe Fürft Die 
Burg Heiligenberg mit ihren Zubehörungen an Henne 
von Wehren zu Mann= und Burglehen, Der Beliß der 
von Wehren war aber nicht von Dauer, denn derjelbe 
Henne gab bereit8 1453 die Burg wieder an den Landgrafen 
zurüd und erhielt dagegen ben Hof zu Lembach, unfern 
Homberg, nebft 6 Hufen Land, Gehölz ꝛe. Schon damals 
war die Burg in fchlechtem Zuftande und fiher lag darin 
auch Die Urfache, weshalb die heffiichen Fürften fich ihrer 
ſpäter wieder entäußerten. Diejelbe gelangte nunmehr jo= 
gar in Höfterlichen Beſitz. 

Auf dem nördlichen Buße des Heiligenbergs hatte 
um’3 Jahr 1223 das Kloſter Ahnaberg zu Kaffel ein Fi⸗ 


*) ibid. p- 746 
**) &, oben S- 78, Anmerkung 


83 


Tialflofter, das Kloſter Eppenberg gegründet. Dies hatte 
fich bis in's fünfzehnte Sahrhundert erhalten, war aber dann 
in tiefen Verfall geratben. Der Krieg hatte e8 hart mit» 
genommen: nicht nur feine Gebäude waren verfallen, 
auch feine Ländereien Tagen unbeftelt und wüſt. Den- 
noch hätte es dies bei feinem fonft nicht unanjehnlichen 
Befite wohl noch überwinden können, wenn mit dem Außern 
Berfalle nicht auch der innere fittliche Verfall feiner Be— 
wohnerinnen Hand in Hand gegangen wäre. Der Zufland 
erſchien unheilbar H. 

Landgraf Ludwig erwirkte beim Papſte eine Kom⸗ 
miffion zur Unterſuchung, und dieſe bob, geſtützt auf bie 
erhaltene päpftliche Vollmacht, das Klofter auf, verjeßte Die 
vorbandene Nonnen in andere Klöfter, und übermwied die - 
Gebäude des Eppenbergs mit allen Übrigen Gütern und 
Gefällen dem Orden der Karthäufer. Dies gefchah 1440 
und bald darauf nahmen Mönche dieſes ftrengen Ordens 
die Stelle der feitherigen Nonnen ein. Indeß waren bie 
Gebäude fo verfallen, daß beinahe ein völliger Neubau vor= 
genommen werde mußte. 

Diefem SKarthäufer Klofter nun übergab Landgraf 
Ludwig II. 1471 fein Schloß den Heiligenberg mit 
feinem „Begriffe, Bergk und Zeugehorunge, Hol, Eckern 


*) Der Zuſtand wirb wörtlich wie folgt geſchildert; quod monaste- 
rium monialium dieti loci — propter guerras terrarum steri- 
litates et alios sinistros euentus qui partes illas hactenus 
afflixerunt in suis eciam vetustate fere consumptis structurig 
et edificiis ac eius possessionibus et bonis plurima dampna 
et detrimenta suscepit adeo quod exinde quinque aut sex 
ex illius tunc existentibus monialibus inibi remanentibus reli- 
que earundem dictum monasterium exeuntes ad seculum 
transuolarunt, quarum plures vitam inbonestam ac minus lau- 
dabilem in huiusmodi seculo ducere non formidarunt prout 
nec formidant eciam de presenti in religionis obprobrium 
suarumque animarum pericalum ac peruiciosum exeınplum et 
scandalum plurimorum. 


6* 


84 


und die MWiefen im Heldal poben der Moelen vnd vnſer 
Gerechtikeid an Derjelben Moelen und jr Zceubehorunge, die 
vns jerlich getzinſet haid eyn Phunt, czween Hanen, vnd 


drey Eckere Roddelant im Smalbach jn yrer Verſteynunge 


vnd Feltmarke gelegen, die vns haben jerlich gegeben nuhne 
Mutzſchen Roddegelt.“ Und dann heißt es weiter: „wir 
gonnen yne auch ſich des Grundes nach yrem Willen zeu 
gebruchen in dem Heldal poben den jtztgenanten Wißen 


gelegen, den vnſer Vater ſelich yne gegeben hait zeu eyner 


Dichſtede.“ Dagegen ſollte das Kloſter für ihn und die 


Seinigen allwöchentlich in der Karthauſe oder „bewylen“ 
in der Kapelle auf dem Heiligenberg eine Seelenmeſſe 
leſen *). Der Werth dieſer Schenkung beſtand allerdings 
weniger in der Burg ſelbſt, als in den Zubehörungen der— 
felben, die übrigens ebenfalls nur von geringer Bedeutung 
waren. Die Burg war ohnehin ſchon damals nur nod 
ein Steinbruch. Schon feit Iahren lag fie wüft und uns 
bewohnt, Man erkennt da8 aus den Theilungs-Verhands 
lungen, zwifchen den beiden Iandgräflihen Brüdern Lud— 
wig I. und Heinrich II. von 1468, in welchen e8 wört⸗ 
lich heißt: „Heiligenberg und Sabbaburg die find beyde 
wüfte von langen Jahren by vnſern alden Herrn fees. 
ligen“ *), aljo jchon unter Landgraf Ludwig I., welcher be= 
fanntlich 1458 ftarb, war fie nicht mehr bewohnt. Sogar 
die allen Heiligen geweihte Burglapelle Yag zerfallen und 
es wurde deshalb zum Zwecke ihrer Wiederherftelung kaum 
fünf Wochen nach der Uebergabe der Burg bei einem in 


x) Alles nach ungedrudten Urkunden. Durch dieſe Uebergabe und 
die vorhergegangene Aufhebung des Nonnenkloſters wird Die bei 
Winkelmann (II. S. 256) fih findende Sage erläutert, wonach 
die Mönche wegen ihres unfittlichen Lebens vom Schloffe vertrieben 
worben fein. Man erfieht daraus, wie bie Sage die Greigniife 
durcheinander wirft. 

**) Kopp, Bruchſtücke zur Erläuterung der deutſchen Geſetze und Nechte 
l. ©. 59. 


‘85 


Regensburg vermweilenden päpftlichen Legaten ein Indulgenz⸗ 
brief erwirft, welcher allen, welche zur Wieberaufrichtung 
ber Kapelle beitragen würden, einen hunderttägigen Ablaß 
verwilligte. Die Kapelle wird darin capella omnium sanc- 
torum in castro monte omnium sanctorum genannt. Sollte 
etwa ſchon vor der Burg eine Kapelle auf dem Berge ge- 
fanden und dadurch der Name defjelben entftanven fein? 
Die oben ausgefprochene Bermuthung, daß der Berg früher 
ſchon eine religiöfe Bedeutung gehabt, würde dadurch noch 
eher verftärft, als geſchwächt werben. 

Damit fchliekt die Gejchichte der Burg, 

Die auf dem bei Dilih und Merian fich findenden 
Bilde von Feldberg noch ftattlich dargeftellten Mauern find 
gänzlich verſchwunden und blos die Grundmauern noch be- 
merflih. Bon diefen zeigen fich nicht blos auf dem Gipfel 
beutlihe Spuren, fondern auch noch Dicht unter demfelben 
befindet fich eine mit Geftrüpp überwachſenen Vertiefung, 
welche durch Einfturz der Keller fich gebildet haben mag. 

Während des fiebenjährigen Krieges war der Berg 
mehrmals Zeuge Kleiner Gefechte und die über dem Mittel- 
hofe, unter der Karthaufe, noch fihtbaren Schanzen ent- 
ftammen diefer Zeit, 





VI. 
Zur Erinnerung an Dr. ©. F. Löber, 
vorhinnigen Pfarrer zu Wafenberg. 


Bon SKard. Altmüller, 
Pfarrer zu Ropperhaujen, 





Am fünfundzwanzigften Bebruar dieſes Jahres wurde 
nach längerem Siehthum ein Mann in ein höheres Leben 
abgerufen, welcher durch feine Kenntniffe und Gaben, durch 


86 


den edlen Sinn und die Reinheit feines Character8 nad) 
fo vielen Seiten hin ſich Liebe und Verehrung erworben 
hat, daß auch ein fehriftliches hier ihm Öffentlich gewidme⸗ 
te8 Ehrengebächtniß nur ein gerechter Zoll erjcheint, der 
den Manen des Dahingefchiedenen zu gewähren Dankbar— 
feit gebietet. Und gerade in diejer unjerm heifiichen Ge— 
ſchichtsverein dienenden Zeitſchrift mag dieſer Nachruf nicht 
unpaſſender Weiſe Platz finden. Denn Carl Friedrich 
Löber, Pfarrer zu Waſenberg und Dr. philos., gehörte 
nicht nur dem Namen nach unter die Zahl der Mitglieder 
des vaterlaͤndiſchen Vereins, feine Liebe zu unſerer ruhm— 
würdigen Vergangenheit trieb ihn an, forſchend und ſam— 
melnd thätig zu fein auf einem Gebiete, für welches ber 
Berftorbene ganz beſonders befähigt erichien, welche Befä- 
higung er in mehrfachen thatfächlichen Erweiſungen fund- 
gegeben, fo daß er auch nach dieſer Seite hin fich auf Die 
bier öffentlih außzujprechende liebevolle Erinnerung unjerer 
Seits gegründete Anfprüche erworben hat. 

Er war geboren den 26ften April 1799 in Schmal- 
kalden, Sohn des dortigen lutheriſchen Inſpectors Friedr ich 
Löber. Zuerſt beſuchte er die Stadtſchule und bezog nad) 
tüchtiger ihm fpäter auch Seitens feineg gelehrten Vaters 
gewährten Borbildung ſchon im 17ten Jahre die Univer- 
fität Leipzig. Hier waren es philofophiiche, theologifche 
und hiftoriiche Studien, denen er mit großem Eifer oblag. 
Er hörte bei gefeierten Männern der berühmten Leipziger 
Hochſchule. So bei Bed Kirchen- und Weltgejchichte, ſo— 
wie egegetifche Eollegien, Erflärungen Virgils und griechi- 
jcher Idyllendichter. Bei Heinroth hörte er die jenen gro— 
gen Piychologen fo beſonders beichäftigende und von ihm 
in ſo genialer Weiſe bearbeitete Anthropologie, forwie See— 
lengeſundheitskunde. Des Domherrn Tſchirner Zuhörer 
war er in der Moral und Religionsphiloſophie. Auch an 
Roſenmüllers und namentlich Winers Vorleſungen nahm 
er. regen Antheil, wie er des Letztern orientaliſche Varlefun- 


87 
gen’ bejonvers fleißig befuchte und bei ihm bie Stelle eines 
jogenannten famulus verſah. Auch Gottfried Herrmann, 
Wendt und Spohn zählten zu feinen Lehrern. Nach drei= 
jöhrigem für ihn jehr gejegneten ‚Aufenthalt in Leipzig 
ging er nach Marburg zur Landesuniverfität über und hörte 
bier Creuzer, Juſti, Beckhaus und vor Allen Arnoldi. Nach 
Haufe zurüdgefehrt warb er eine Zeitlang Gehülfe feines 
Vaters. Nach einem Jahre aber begab er fich zum zweiten 
Male in das ihm gleich einer zweiten Heimath lieb gewor⸗ 
dene Leipzig und verſah zehn Jahre lang die Stelle eines 
Lehrers bei dem Mädcheninftitut des Profeſſor Lindener, 
jowie als Lehrer bei der Kirchnerſchen Privatlehranftalt. 
Hierauf hielt er fich ein halbes Jahr wieder in feinem 
väterlihen Haufe zu Schmalkalden auf, von wo aus er bei 
der neuen Organiſation der Gymnafien unſers Vaterlandes 
die Stelle eines Lehrers an dem zu Hersfeld übertragen erhielt. 
Hier auch war e8 wo er fich verheirathete mit Julie geb. Neu- 
ber, in welcher Ehe ihm während ihrer 26jährigen Dauer ein 
Sohn und drei Töchter geboren wurden. 1834 ward er als 
Pfarrer nach Wafenberg verſetzt und befleivete die Amt big 
zu feinem Tode. Er war feinen Kirchlindern ein treuer, 
liebevoller Seelforger und Ächter evangelijcher Hirt, der den 
Seinen in feiner engern Familie und Der größern Familie 
der ftattlihen und ehrbaren Schwalmgemeinde folh ein 
reiches, liebevolles Herz entgegentrug, daß fein ganzes 
Weſen, ja fchon der ganze Eindruck feiner Außern Erfchei- 
- ung ihn al8 wahlverwandt erfennen Tießen jenem Jünger, 
der an ber Bruft des Herrn ruhete. Die Theologie des 
Herzen? war daher auch die Seinige. Ireniſch durch und 
durch vermied er alle excentrifchen Auffaffungen des Chri- 
ſtenthums, die ihn einen Parteiftanppunft einzunehmen ge= 
nöthigt hätten, eine Stellung von der er allem Repriftina- 
tionsweſen, fowie aller Neologie abhold diametral feiner 
ganzen Denkweiſe nach verichieden war. Alle confejliona- 
liſtiſchen Herbheiten, alle ſcholaſtiſch-ſophiſtiſchen Spitfin- 


88 


digfeiten und Raiſonements widerftanden ihm, der zu jener 
Anzahl von Theologen zählte, deren ganzes Sein und 
Weſen getragen und gehoben war von dem milderwärmen= 
den und verflärenden Teuer eines in Achter Liebe thätigen 
Glaubens. 

Loöbers Weſen hatte ganz die Signatur des ächt 
Patriarchaliſchen und ihm war wohl in feinem Amt und 
hei feiner Heerde. Er genoß hier das ftilfe bejeligende 
Süd eines treuen Paſtors und von ihm, in dem auf an= 
mutbiger Höhe über dem reizenden Schwalmthale gelegenen 
Waſenberg thätigen Geiftlichen konnte man recht eigentlich 
Jeſaias Worte ausiprehen „Wie lieblich find auf den Ber⸗ 
gen die Füße der Boten, die da Frieden verfündigen." a 
hier mochte er erfahren von dem, was uns Sean Paul 
über die jo anmuthig hingebrachten Tage feine8 unter dem 
ftilfen Nordlichtichein Yebenden ſchwediſchen Pfarrers mit- 
theift, was Goldſmiths Bilar, in den glüdlichen Stunden 
mwenigftens, feine Lebens erfuhr, 

Nicht zu überfehen ift bei ihm das Intereſſe, welches 
er an den die Verbeſſerung und Vermehrung der Eultus- 
formen unferer Kirche betreffenden Fragen nahm, wobei ihm 
fein für Mufif und Poeſie gleich empfängliher Sinn zu 
Statten fam. Er felbft arbeitete an liturgischen Formula=, 
zen mit großer Emſigkeit. Mancher Gottesdienft warb von 
ihm mit einem aus feinem für den Erlöfer begeifterten 
Herzen fließenden Liede beſchenkt. Nicht wenig erfreute 
den Berftorbenen der durch feine Bemühungen herbeigeführte 
Beginn des Baues eine andern Gotteshaufes, das in gothi= 
chem Styl aufgeführt hoch. fich fchon dem Himmel entgegen 
zu wölben begann, als die treuen Augen defjen fich fchloffen, 
der ſo ſehnſuchtsvoll der Vollendung entgegen harıte. So 
ift der ftattlihe Bau, neben dem er ruhet, für ihm zur 
Krypte geworden. Sicher aber wird das bald fertige Bau— 
werk als ein lautes Denkmal deſſen daftehn, der überhaupt 
piel Gutes gebaut und deſſen Herz jelbit ein Tempel war, 


89 


weit und geräumig für Die Liebe, welche nur aufbaut und 
nicht niederreißt. 

Seine Predigten waren einfach und herzlich und re= 
beten wie fie aus dem Herzen kamen auch wieder zu ihm, 
Bei der regften Sorgfalt, die er feinem Amte wibmete, 
vergaß er nicht der mit Liebe auch fpäter noch gepflegten 
Studien, Eine ficher werthvolle Arbeit hinterließ er als 
Manufeript: „Unterfuchungen auf dem Gebiete thüringifcher 
und heffiicher Urgejchichte”, worin es ihm beſonders auf 
forgfältige Prüfung altelaffiicher Quellenjchriftfteller ankam, 
Mit großer Mühe ſammelte er ferner alle auf die VBergan- 
genheit feiner Gemeinde und die auf die firchlihen Alter- 
thümer der Ortsfirche und Pfarrei bezüglihen Daten zu 
einer genauen und gründlichen Chronik. Eine feiner letzten 
Arbeiten war ein Manufeript, worin er den Zufammen- 
hang von Sterntunde und überhaupt Naturwifjenichaft mit 
ber geoffenbarten Religion umftändlich zu entwickeln be— 
müht war. 

Dabei hatte er Luft und Neigung zu gefelligem an= 
tegenden Gefpräche mit feinen Collegen, die ihn als folche 
Zuſammenkünfte belebenden, mild erheiternden Freund ſchätz⸗ 
tn. Ja man achtete ihn als den Freund alle8 Wahren, 
Guten und Schönen! 

Bei feiner Leichenfeier führte der ihm eng befreun⸗ 
bete Pfarrer Gundlach fein Bild der trauernden Gemeinde 
und den die empfindliche Lücke fchmerzlich beflagenden Amts⸗ 
brübern treu und weihevoll vor Augen. Bewegend jchilderte 
er die in chrifflicher Weile getragenen letzten Leiden des 
Verftorbenen und das Ende, da auch bei ihm etwas dem 
Stephanusblid in den aufgethanen Himmel Aehnliches hatte. 
As eine Taube fich bei der Beerdigung in der Nähe ber 
Gruft nieberließ, mußte ich unwillfürlich des fehönen Hei— 
landswortes gevenfen „Seid ohne Falſch wie die Tauben.” 
Dieß befolgte er. Und fo mag denn das have pia anima 
und Allen ein Wort fein, was wir dieſer anima candida 


890 


gern, diefem wahren Nathanael ohne Falich, als Friedens⸗ 
gruß in die Friedensgruft deſſelben nachrufen. Ja, have 
pia anima, sit terra ei levis! — 


vi. 


Beiträge zur beffifchen Ortögefchichte. 
Mitgetheilt vom Arhivar Dr. Landau. 


1. Borken. 


Borken liegt am nörblichen Ende eined von Süden 
ber ftreickenden niedern Bergrüdend, Es gehört zu den 
am früheften in den Urkunden unſeres Landes genannten 
Orten und war der Mittelpunkt eine8 ziemlich umfangreichen 
Gerichts. Seine älteften bekannten Befiter waren die von 
Borken, denn 1266 nennt einer derjelben die über dem 
Dorfe gelegene Burg noch Die feinige (meum castrum). 
Dieje Familie findet fi) ſchon frühe zahlreich gegliedert. 
Sie war es auch, welche Dicht über tem Dorfe die Burg 
gebaut hatte. Durch die Verehelichung einer Erbtochter 
Antonie mit Heinrich Kraz von Boineburg kam Mitte des 
Dreizehnten Jahrhunderts ein Antheil won Borken auf deren 
Sohn Bolpert. Später zeigt fih die Familie jehr herab⸗ 
gefommen und erlofch gegen Ende des fünfzehnten Jahr⸗ 
bunderts. Auch war fie ſchon im dreizehnten Jahrhundert 
aus dem Befike von Borken gefommen. An ihrer Stelle 
finten wir 1297 tie von Löwenftein-Wefterburg, welche die 
Burg damals zu heifiichem Lehen machten. Da jedoch auch 
die Grafen von Ziegenbain Aniprüche hatten, einigten ſich 
diejelben 1317 mit den heſſiſchen Landgrafen dahin, daß 
Burg und Gericht beiden zur Hälfte fein follten. Ebenſo 
machten keite damals das Dorf zu einer Stadt. Erft mit 
dem Augjterben ber Grafen von Ziegenbain ging teren 
Hälfte ebenjalld auf Heilen über (1450). 





91 


Als Landgraf Ludwig 1. Söhne ih in das Land 
teilten, fam Borken mit Oberheſſen 1467 an Landaraf 
Heinrich II. Aber bald erhob ſich zwilchen den Brüdern 
Streit und auch Borken, welches 1468 erjt noch ftärfer be- 
felligt worden, wurde von dem Bruderfriege ſchwer heim— 
geſucht. Am 7. Januar 1469 wurde daffelbe von Land- 
graf Ludwig II. erobert, Doch an demfelben Tage auch wie— 
der verloren. Am 12. Januar erſchien derjelbe Fürft von 
Neuem vor Borken, aber erit nad) jechstägigem Streite 
gelang es ihm, Stadt und Burg zu erftürmen, und beide 
wurden dabei in Ajche gelegt. 

Wohl wurde die Stadt, nicht aber die Burg wieder 
hergeftellt. Dieje blieb in ihren Trümmern liegen. 

Diefe Burg lag dicht über der Stabt, nur wenig hd» 
ber als diefe, und zwar Hinter dem jetzigen Renterei-&e- 
baude, dem alten Renthofe der Burg. Man flieht jetzt von 
ihr blos noch die tiefen Gräben, welche fie nach Auffen 
umfchlangen, denn daß auch gegen die Stadt ein Graben 
bergezogen, ift nicht zu erkennen. In dem Salbuch von 
1543 ijt von „der alten Burg“ nur noch in der Weile die 
Rebe, daß darunter nichts als die Burgftätte gemeint fein 
kann. Auch ift der Burggraben damals ſchon mehrfach be= 
baut, denn e8 werden Grundzinfen von Häufern theils „auf“ 
und „am,“ theils „im Burggraben” Tiegend aufgeführt. Eben 
fo wird der „Burgmauer” dabei gedacht, Die demnach we⸗— 
nigftens ftüchweife noch vorhanden war. 

Den Renthof bezeichnet: das gedachte Salbuch als das 
fürftlihe Haus „nach (wahrſcheinlich „nahe“) der. alten 
Burg am Berge gelegen.” Schon 1584 klagte ber fürft- 
Uche Rentmeifter über deſſen Baufälligfeit, aber noch 1587 
begegnet man benjelben Klagen. Das Holzwerk war von 
der Grundmauer gewichen und die Fruchtböden durchweg 
geſtützt, fo daß man bei jedem heftigern Sturmwinde den 
Zufammenjturz fürchtete. Doch auch 1592 war man noch 
zu feinem Neubau gefchritten und der Rentmeifter wurde 


92 


dadurch genöthigt, fich eine eigene Wohnung in der Stabt 
zu beichaffen. " 
- Die Stadt Borken, deren Uebergang aus einem Dorfe 
zu einer Stadt man deutlich noch in ihrer ganzen Anlage 
erfennt, hat niemals Ningmauern gehabt, fondern wurde 
blos von einem Walle und Graben und einem Hagen um— 
Schloffen. Nur ihre Thore waren mit Thürmen bewehrt und 
diejen Thürmen zunächſt mag auch ein Stüd Mauer fi 
befunden haben. Doch fchon 1543 war der Stabtgraben 
beinahe Durchweg den nächltanliegenden Bürgern überlaffen, 
und von diefen bebaut, theils auch in Gärten verwandelt, 
und Ende deſſelben Jahrhunderts ift. nur noch von dem 
verfallenen Stadtgraben Die Rede. Eben fo war der Ha— 
gen zum Anroden von Gärten (ven |. g. Haingärten) aus— 
gegeben. Jetzt ift vom Graben nur noch wenig fichtbar. 
Derielbe iſt geebnet und eine beträchtliche Strede durch 
neu entjtandene Wohnungen überbaut. Die Zahl der Wohn- 
häuſer betrug Mitte des ſechszehnten Jahrhunderts 146 und 
hat fich feitvem etwa um 50 vermehrt. Um jene Zeit la— 
gen in der Stadt vier abelige Burgfite, welche den von 
Grifte, v. Dalwigk, v. Löwenftein und v. Urf zuftanden *). 


2. Bie Altenburg. 

Die rechte Thalwand des löwenfteiner Grundes wird 
durch eine Bergmafje gebildet, welche, dicht über Dem rech— 
ten Ufer der Schwalm auffteigend, fih von Bilchhaufen 
bis Arnsbach ausdehnt und ihren Stod in der Alten 
burg über Nieberurf, hat, Schroff und fteil erhebt fich 
diefelbe von der Schwalm an 750 Fuß und bietet eine 
ebenjo meite al8 prachtvolle Ausficht, welche nur weftlich 
durch die höhern waldedifchen Berge und den Kellerwald 


*), Was das bei Dilih und Merian neben der Stadt Borken Darge- 
ftellte und fogar mit einem Thurme verjehene große Gebäude fein 
ſoll, ift mir nicht begreiflih. Möglich, daß es den 2 Stunde von 
Borken entfernten Hof Marienrode barftellen fol, Dann aber ift 
derfelbe viel zu nahe gerückt. 


93 . 


bejchränft wird, Der ganze Berg ift mit Wald beffeibet, 
Die Gemeinden Zweiten und Niederurf haben jede etwa 
ein Drittel des Waldes, ein anderer Theil befindet fich im 
Befite der von Baumbach und der Gemeinde Römersberg. 

Was indeß diefem Berge ein beſonderes Intereſſe 
gewährt, find die an ihm fich zeigenden Befeftigungswerfe. 
Derfelbe ift nämlich von Drei ziemlich weit außeinander ge= 
rückten Gräben ringgumgeben. Der oberfte Graben, wel= 
her fich unter dem eben nicht geräumigen Gipfel hinziebt, 
umfchließt einen Raum, deſſen größter Durchmefjer etwa 
300 Rutben mißt. Diefem folgen dann in weitern Abjäben 
die beiden andern. Die Tiefe der Gräben läßt fich durch— 
fchnittlih auf 10 Fuß annehmen. 

Wann und durch wen dieſe Gräben angelegt worden, 
darüber fehlt jede Hiftorische Kunde. Zur Anlage einer 
Burg des Mittelalter erjcheint Die Ausdehnung der Kinien 
zu groß, da folche ſtets mit den immerhin nur geringen 
Bertheidigungsmitteln im Verbältniffe ftehen mußten. 'Treis 
lich ift auch der innere Raum der oberfteri Linie nicht ges 
räumig genug, um ein größeres Heer in fich aufnehmen zu 
fönnen. War der Ort etwa nur zu einer Zufluchtsftätte 
für die umliegenden Orte beftimmt, wenn plötzlich feind- 
lihe Ueberfälle ftatt fanden? Da dieſe Höhe weithin alles 
Land überjchaut, war fie jedenfalls von hoher militairiicher 
Bedeutung. Daß bier nicht Römer gelagert, wie man ge= 
wöhnlich in der Umgegend erzählt, bedarf für den Kundi— 
ger nicht bemerkt zu werden. Die Römer haben in unjerem 
Lande, ich meine im eigentlihen Chattengebiete, nirgends fe= 
fien Fuß gefaßt und dann find jene Linien auch nicht das 
Wert einer Naht. Ohnedem hatten die römifchen Lager 
auch ſtets fehr bejtimmte Formen. Was dieſe Annahme 
hervorgerufen hat, ift ohne Zweifel der Name des auf dem 
ſüdlichen Fuße der Altenburg gelegenen ehemals löwenftein- 
chen Dorfes Römersberg. Aber diefer Name des Dorfes 
hat mit den Römern nicht? zu fchaffen. Sch habe denſel⸗ 





” 94 


ben big jest nicht früher als 1367 gefunden, und damals 
wird er Remmerßhuſen genannt, was auf einen Per— 
fonennamen hinweiſt. Erft im Anfange des vorigen Jahr— 
hundert8 tritt der Name Römmersberg auf und beide 
Namen laufen felbft im Kirchenbuche neben einander fort, bi8 
endlich in ‚neuerer Zeit der letztere ſich im offiziellen Ge— 
brauche eine ausſchließliche Geltung verfchafft hat, während 
im Munde des Volkes auch jener immer noch nicht vers 
geffen ift. Allen Anjcheine nach ift das Dorf erft im Mit- 
telalter angelegt worden, gleich dem auf der nörblichen Ab— 
dachung gegründeten Dorfe Blankenhagen oder Blanken— 
hain, welches Ende des breizehnten Jahrhunderts zuerft 
genannt wird, Eine alte Straße führte ehemals an oder 
burch Römersberg und über die Abdachung der Altenburg 
bin. Die Altenburg lag ganz im lömenfteinifchen Gerichts⸗ 
bezirfe, und die alte, diefen und das Amt Borken fcheidende 
Landwehr ift noch jetzt zwiſchen Römersberg und den beiden 
Dörfern Trocken- und Naffenerfurt fichtbar. Bon der Mark 
des obengenannten Blankenhains gehörten drei Viertel’ zunt 
Löwenſteiner Gerichte und ein Viertel zum Amte Borken. 


3. Hiederurf. 


Obwohl das Dorf Niederurf fchon frühe vorfommt 
und feine Kirche ſogar der Sitz eined Erzprifterd war, fo 
lernen wir die hiefige Burg doch erft 1272 fennen. Diefe 
Burg war der Stammfiß der Familie von Urf, von welcher 
fie. 1309 zu waldedifchen Lehen gemacht wurde. Sie liegt 
auf einer niedrigen Erhebung am füdweftlichen Ende des 
Dorfes, fo daß daffelbe von ihr beherrjcht wurde. Ueber 
den Burggraben, welcher troden, aber tief eingefchnitten ift, 
führt eine Brüde zu den Gebäuden, Bon diejen find jekt 
eigentlich nur noch Refte übrig. Auf der einen Seite reihen 
fich mehrere Gebäude aneinander, die andere nimmt ein 
mit diefen parallel Iaufendes ſchmales Gebäude mit einem 


95 


. jeher hohen fteinernen Sockel ein, deſſen innere in hohem 
Grade wüſten Räume zu ökonomiſchen Zwecken verwendet 
werden. Zwilchen diefen Gebäuden gewiffermaßen eingeflemmt, 
liegt eine wüfte vieredte Steinmaffe. Daß dieſelbe im 
Innern Gemächer birgt, ift wohl kaum zu bezweifeln, doch 
zeigt fich nirgends ein Eingang, und nur Der Darunter 
befindliche Keller, welchen man den „Zodtenfeller" nennt, 
it noch zugänglich. 

Auch die ebenwohl etwas höher als das Dorf gele= 
gene Kirche war befeftigt, wie bie in der Kirchhofsmauer 
befindlichen Schießſcharten zeigen. Sonſt bietet das Gebäude 
nicht8 Bemerkenswerthes dar. Die darin befindlichen Grab— 
fteine find fammtlich zur Blattung des Fußbodens verwendet 
und in Folge deſſen jo zertreten, daß ihre Inſchriften 
unleferlich geworden find. 

Das im Dorfe liegende Rathhaus befteht aus einem 
fleinernen Erdgeſchoß und einem Holsftodwerl, An einem 
Ballen fteht die Jahrszahl: Anno dni. 1577. Außerdem 
find noch zwei neben dem Eingange eingemauerte Steine 
mit Jahrszahlen verjehben. Auf dem einen ift das erfte 
Menichenpaar dargeftellt, wie Eva den Apfel bricht, und 
dies trägt die Jahrszahl 1535. Der andere Stein hat 
bie Jahrszahl 1509 und zwei Wappenfchilder, von denen 
das eine nicht mehr zu erfennen ift. Das andere mir unbe= 
lannte ift ein der Länge nach in zwei Hälften getheilter 
Schild; Die eine Hälfte ift der Länge nach mit Balken 
. belegt; die andere Dagegen quer geſchieden und oben weiß, 
‚ unten aber gleich der andern Seite mit Balfen belegt. 

Die Familie von Urf findet fich feit 1160 in den 
Urkunden, dieſelbe hatte jedoch nicht Die Gerichtsherrſchaft über 
das Dorf, fondern nur einen Hof darin, auf welchem fie 
ihre Burg erbaut hatte, und über den fie nur die gewöhn— 
liche, jedem freien GutSbefiger gebührende Hofgerichtsbar- 
teit über die Gutsangehörigen übte, und erft nach langen 
Streitigkeiten erlangte fie während bes 16. Jabrh. auch 


96 


die Untergerichtsbarkeit über den ihr zuſtändigen noch jett | 
die Freiheit genannten Dorfantheil. 

Die ſämmtlichen Hofraithen des Dorfed find unge . 
wöhnlich verbaut, fo daß die Häufer in feltener Weife 
gedrängt ftehen. Darum find auch nur wenige Bauern 
vorhanden und die meiften Yamilien befigen nichts weiter 
als ihr Wohnhäuschen. Daß dieje Verhältniffe ſchon feit 
ange bejtehen, erfennt man aus einem Berichte über einen 
1692 ftattgehabten großen Brand. 

Nachdem ein Reiter und ein Fußregiment Schweden 
auf ihrem Durchmarſche zwei Nächte im Dorfe gelegen 
und frühe am 30. Mai weiter gezogen waren, brach Nach- 
mittagd euer aus und legte, von einem friichen Winde 
getrieben, ungeachtet der Hülfe der benachbarten Gemeinden, 
einen großen Theil ded Dorfes in Aſche, ohne daß etwas 
gerettet werden fonnte. Verbrannt lagen der Pfarrhof, 
43 Wohnhäufer und 11 Scheunen*). Dies Mißverhältniß 
zwiſchen der Zahl der Wohnhäufer und der Scheunen, zeigt 
zur Genüge, daß auch jchon Damals den heutigen Ähnliche 
Buftände vorhanden waren. | 


4. Bie Hundsburg. 


Gegen Norden wird der löwenfteineer Grund durch 
zwei bewaldete Berge gefchloffen, Durch welche die Schwalm 
hindurchftrömt. Beide find nahe aneinander gerüdt und 
geftalten ſich damit zu einer malerischen Pforte. Der rechts 
ift der Kuhberg, ein Ausläufer der Altenburg. Er gehört 
zum Dorfe Arnsbach und erhebt fih 500 Fuß über Die 
Schwalm. Der diefem gegenüber aufiteigende um 25 Fuß 
geringere Berg hat den Namen die Sundsburg Es 


*) Das Kirhenbud nennt den 30. Mai, ein mir vorliegender 
vom 6. Juni ans Kaffel datirter Bericht den letzten Montag. 
Dies würde der zweite Juni ſeyn. Welches nun der richtige Tag 
if, muß ich dahin geftellt ſeyn Iaffen, 


97 


iR eine im Volle viel verbreitete Meinung, daß bier bie 
Burg der Familie Hund geftanden habe. Diefelbe ift jedoch 
twig. Die Hund haben hier nie eine Beligung gehabt. 
Da Berg gehörte vielmehr von jeher zum löwenfteiniichen 
Gerichte und nur das zum Amte Borken gehörige Keriten- 
kaufen hatte (und zwar ſchon im 16. Jahrhundert) einen 
Intheil von geringem Umfange daran. Man Ipricht zwar 
von Befefligungen auf dem geräuntigen Plateau des Berges, 
ich felbit habe jedoch feine Spur davon zu finden vermocht. 
Auch in frühern Sahrhunderten ift ftet8 nur vom Berge 
die Rede. Im Jahre 1347 heißt es mons Hundisborg, 
1447: „der Berg Hundesborg“ *). 

Das Einzige was man von Gräben weiß, find Land— 
wehren. Sp ſah man noch im Anfange des vorigen Jahr⸗ 
hunderts eine Landwehr, welche fi vom Kuhberge herab | 
und jenfeit3 an ber Hundsburg hinauf zog. Da Kerften- 
haufen noch zum Gerichte Borken gehörte, fo Tonnte Dies 
nicht bie eigentliche, wenigſtens nicht die urjprüngliche Land⸗ 
wehr der Gerichtögränge fein, denn Die Gränze zwiſchen dem 
Gerichte Borken und dem löwenfteiniichen Zweiten 309 fich 
oberhalb Kerftenhaufen am Lorbache hinauf und hier wird 
im Sabre 1543 auch wirklich noch „ver alten Landwehr“ 
gedacht. 

Mebrigend wurden bei der Anlage der Straße von 
Kerſtenhauſen nad Fritzlar im Jahr 1803 und 1804 (da 
wo jet der Chauſſéeſtein Nr. 122 fteht) mehrere Hünen⸗ 
gräber blosgelegt und Urnen gefunden, und noch unberührte 
Tobtenhügel befinden fich unfern davon am Sunfernberge, 
zwiichen Rothelmshauſen und Kleinenglis. 


5. Der Wehrgraben. 


Zwiſchen Merkshaufen und Elm&hagen, und Sand 
und Riedenftein lagern fich über dem linken Ufer des Baches 


*) Landau, Beichreibung bes Heſſengaues S. 185. 
VI. Band. 


98 


Ems mehrere mit einander verbundene Baſaltkuppen, dicht 


bewaldet und reich mit Klippen geſchmückt. Die ſüdlichſte 
iſt der 1301 Fuß Hohe Emſerberg; an dieſen ſchließt 
fich 1450 Fuß hoch die Altenburg, und daran 1469 Fuß 
hoch Der Tallenftein mit den Trümmern feiner 1348 
wenn nicht neu erbauten, Doch erneuten Burg. Die beiden 


| 


| 


Zegtern mit dem weiter nördlich ſich erftredenden Walde *) ° 


werden ſchon im Mittelalter und fo auch noch jegt unter 
dem Namen des Reichenbachs zufammengefaßt, ohne 
daß man einen Bach dieſes Namens nachzuweilen vermag. 

Was zunächt die Aufmerkſamkeit ſeſſelt, find bie ar 
Diefen Bergen fich binziehenden Befeltigungslinien. 

Schon an der Weltjeite des Emſerberges (norböftlich 
von Merföhaufen, und füpöftlich von Sand) begegnet man 
am Fuße des Berges einer in gerader Linie von Süden 
nad Norden ziehenden etwa 600 Schritte langen aus 
zufammengetragenen rohen Bafaltblöden gebildeten Stein 
maner, ohne Daß irgend ein Graben oder ein Aufwurf 
damit verbunden ift. 

Die eigentlichen Gräben Tiegen jedoch an der öſtlichen 
Seite der Berge und laufen mit jener Mauer beinahe 
parallel. "Sie beginnen auf dem fühlichen Fuße des Em- 
ferberg8, ziehen auf dem öftlichen untern Abhange deſſelbeu 
hin, durchichneiden Die Thalbucht zwiſchen diefem Berge 
und der Altenburg, fchlingen fich dann um deren ſüdöſtlichen 
Abhang herum und enden an dem ſüdöſtlichen Fuße des 
Falkenſteins, indem fie bier eine geringe Erhöhung von der 





*) „Bei den ſechs Eichen” ‘genannt, weil dort ſechs ans einer Wurzel 
entjproffene Eichen ftehen. Der Durchmefjer der einzelnen Stämme 
beträgt 6—7 Zoll. Eins andere durch ihr Alter ausgezeichnete 
Eiche befindet ſich "tin Wehrhöfge, rechts an dem Wege von Bal- 
horn nad Merlshanſen. Dieſelbe mißt im Durchmeſſer 11 Fuß 
and hat 33 Füß im Umfange. Sie iſt äußerlich noch geſund 


tb breitet fich in drei gewaltigen Aeſten aus, Beier‘ hatte fie 


beren mehr, aber einige find abgebrochen, 


99 


Öftlichen Seite hadenartig umfchlingen, fo daß dadurch dieſe 
Erhöhung bie Form einer runden Schanze erhält. Zumeift 
beftebt dieſes Werk aus einem 5—6 Fuß tiefen Graben 
web einem 10—12 Fuß breiten Aufmwurfe, und nur bin 
zoh wieder. findet man Die Linie in der Weiſe verdoppelt, 
daß der Wall auf beiden Eeiten von Gräben eingeichloffen 
M. Die ganze Länge des Werkes beträgt über brei Vier— 
glftunden Wege. Sein Name ift der Wehrgraben. 

Da jeder hiftoriiche Anhaltepunkt für die Beitimmung 
der Zeit und des Zweckes der Schaffung dieſes Wehrgrabeng 
fehlt, jo ift natürlich das Feld der Vermuthungen unbe= 
gränzt, und ich finde e8 darum: gerathen, diefe dem Belieben 
eines jeden zu überlaffen. Nur das will ich bemerken, daß 
an einen gewöhnlichen Lantwehrgraben aus dem Grunde 
nicht wohl zu denken ift, weil da8 Werk nirgends mit einer 
Sränze zufammenfällt*). 


). Im J. 1535 wurde nad längeren Ötreitigleiten zwiſchen dem 
Hospital Merkshaufen und ber Stadt Nievenftein eine Walvfcher- 
bung vereinbart: „nemlich und alfo, erftlich ift zwiſchen dem 
Pfoffenhoig und dem Embferberge — eine Schueife und Anwen- 
dung gebogen und gemacht worden, nemlich oben vom Emferberge 
— — ſtraks die Schueife hernidder nad) dem Forth, dadurch der 
Budensberger Wegk geht unten an das Pfaffenholtz, da zwifchen 
ben oben herab bis hernidder in das Pfaffenholk etliche Beume 
getgeichnet fein und follen zu Wettertagen, aljobald man das thun 
Ian, zwiſchen follichen geßeichneten Beumen von oben herab bis 
hernidder vier Vffwurff gemacht werben, bie follihe Schneife zu 
‚ewigen Tagen von einem Vffiworff zum andern zeigen und ausmweifen, 
und follen die Vorfteher zu Merrhaufen dere Vffworff zwene und 
die von Nidenftein auch zwen machen laffen und was dann zwiſchen 
dem Pfaffenholg und follicher neuen Schneife liegt, das fal ver 
von Nidenfteyn erblic und ewiglich gleich dem Pfaffenholt pleiben, 
besgleichen was vff ber andern Seiten ber newen Schneifen gelegen 

1, das fal bei dem Epital und Haufe Merrhaufe erblih und 
ewiglich bleiben. 

Daß dieſe Aufwürfe mit dem Wehrgraben nicht identiſch find, 

ergibt ſich nicht nur daraus, daß die Schneife von ber Höhe bes 

Emjerbergs herab nach bem Fuße des Piaffenbolen i. die Als 


100 


Auch die alte Straße von Gudensberg nach Wolfs 
bagen laͤßt den Wehrgraben unberührt, indem fie - öftlich 
an demſelben vorübergeht. 

Daß die Altenburg, deren Plateau etwa 60 Morgen 
umfaßt, früher befeftigt geiwejen, davon habe ich nirgends 
Spuren zu finden vermocht. 


6. Ber Wartberg 7). 


Zwiſchen den Dörfern Kirchberg und Gleichen, eine 
Stunde weſtlich von Gudensberg, erhebt fich von der feinen 
Fuß beſpülenden Ems eine beinahe regelmäßig geformte 
koniſche Baſaltkuppe etwa 300 Fuß empor, deren glatte 
grüne Nafenflähe nur an einigen Stellen von hervortre= 
tenden Felfen unterbrochen wird. Auch auf dem Gipfel, 
deſſen Fläche übrigens ſehr beſchränkt ift, gebt der Bafalt 
zu Tage. Während die Abhänge des Berges jetzt auch nicht 
einen Strauch) mehr tragen, war dies früher Doch anders. 
Sin einem DBerzeichniffe der heffiichen Waldungen, aus ber 
legten Hälfte des jechSzehnten Sahrhunderts, wird der Wart- 
berg als ein den beiden anliegenden Gemeinden Kirchberg 
und Gleichen zuſtehender |. 9. „Halbergebrauchs-Wald“ aufs 
geführt. Es ift diefer Wald indeß ficher fein Hochwald 
geweſen. Man erfennt dies auch aus einem am Hofgericht 
zu Marburg zwiichen Bernhard Hund, als Gericht&herrn und 
Dertreter der Gemeinde Kirchberg, mit der Gemeinde Glei— 


tenburg (in einem Berzeichniffe der niedenfteiner Walbungen aus 
dem 17. Zahrhundert heißt es: „Die alte Burg genannt das Pfaffen- 
bolg“ und „das Pfaffenholg jampt dem Gehölg vmb die Altenburg“) 
geht, ſondern auch daß vier Aufwürfe gemacht werden follen. Dies 
genügt, um zu zeigen, daß der Wehrgraben mit dieſen Gränz- 
gräben nichts gemein hat, Ya, die vier Gräben jcheinen ver- 
ſchwunden zu jeyn, man hätte mich jonft gewiß darauf aufmerkſam 
gemadit. 

*) Der Ausihuß des Bereins verdankt die Hachrichten über die Aus- 
grabungen an biefen Berge ber gütigen Mittheilung bes Herrn 


101 


dien von 1604—1612 wegen „der Hudtweyd mit Schaffen 
und fonftet“ am Wartberge geführten Rechtöftreite, wobei 
mehrfach „des Bergs und Gehölze“ gedacht wird. Und 
auch noch jebt erinnern fich ältere Leute, daß der Berg mit 
Gehüfch, vorzüglich Wacholder= und Hafelfträuchen, beflei= 
det geweſen iſt. 

Ungeachtet dieſer Berg nicht die geringſte Spur ir⸗ 
gend einer Befeſtigung zeigt, wozu auch der beſchränkte 
Raum ſeines Gipfels ſich kaum geeignet haben würde, ſo fragt 
es ſich doch, ob man aus dem Namen nicht ſchließen dürfe, 
daß einſt auf der Höhe ein Wartthurm geftanden *). Spu⸗ 
ren davon zeigen ſich freilich nicht, auch glaube ich mit 
Sicherheit annehmen zu können, daß gegen Ende des ſechs⸗ 


Ober⸗Forſtmeiſters v. Buttlar zu Riede und des Herrn Landraths 
Weber zu Fritzlar, und er beauftragte den Berichterſtatter, die Sache 
an Ort und Stelle näher zu unterſuchen. 

* Daß nicht etwa eine Burg bier geſtanden, läßt auch eine Urkunde 
von 1344 fchließen, welche die Familie Hund als Befiger von Kirch- 
berg den Landgrafen ausftellten. Darin beißt es: „Daz wir Die 
Kirchen und den Kirchof czu Kirchberg nicht our wert buwen fol- 

len, aljo daz fi der Bu czw burglichem Buwe getzihen muge, ez 
en were ban von Geheiffe und mit gubem Willen des worgenanten 
ones Herin von Heſſin vnd finer Erbin, vnd were ez, daz Yman, 
wer he were, Her adir Man, der bie Kirchin vnd die Kirchhof bu⸗ 
wen wolde, des Vyende follen wir fin mit vnſerm vorgenantin 
Herin von Heſſin vnd mit finen Erbin als werre uns Lib und Gud 
gewerin mag vnd en follen ons nimmer gefunen 1toch gefrieben, 
noch keinerleyge Scaczunge mit dem ane gen an Wißen ond Willen 
des vorgeichribenen vnſes Herin von Heſſin vnd finer Erbin.” 
Alſo auch nicht einmal ben Kirchhof in ber Weife weiter zu be- 
feftigen, daß berjelbe zu einem burglichen Baue fich geftalte, mußte 
fih hierdurch die Familie Hund verpflichten, und begreiflich Tann 
darum noch viel weniger an eine Burg auf dem Wartberg gedacht 
werden. 
Uebrigens war das Dorf ſelbſt befeftigt. Es wurde von einem 
" Graben und Hagen eingefchloffen, welcher aber ſchon im fechszehnten 
i Jahrhundert größtentheils verbaut war, 


102 


zehnten Jahrhunderis, we ter Rame des Berges ſich zuerſt 
findet, ein folcher Thurm nicht mehr vorhanden war. Ä 

Diefer Berg gewinnt em befonteres Intereſſe, indem 
er fich als eine Zundgrube ſehr verichiedenurtiger Gegen- 
flände der Bergangenheit ergibt. 

Schon am 2. Rovember 1818 fand auf dem Gipfel 
beim Steinbredgen ter Borjieher Holzjerfier aus Kirchberg 
ein Banzerhemd, welches isı Mujeum zu Kaſſel auibewahrt 
wird. Daſſelbe it bis auf die ſtark zeriehten Ränder noch 
wohl erhalten Es it einer Jacke ähnlich und beiteht aus 
einzelnen Kleinen eijernen Kingen, welche jämmtlich geuietek 
fine. Ganz und gar allen andern Panzerhemden gleich, 
welche man auch ſonſt in den Waffenſammlungen findet, 
gehört dafjelbe demnach dem Mittelalter an. Aber wie fam 
e3 hier her? &3 gehörten jolche Panzerhemten zu ten theu= 
erſten Rüjtungsftüden, und es läßt fich nicht wohl anneh— 
men, daß man ed hier blos verftedt habe. Sollte dieler 
Fund nicht eben meine oben auf den Ramen de3 Berges 
geftügte Vermuthung von einem bier befindlich gewejenen 
Zhurme zu beftärten geeignet fein? Es ließe ſich nämlich 
annehmen, daß bei einer gewaltiamen Zerſtörung des Thur⸗ 
med das Panzerhemd unter den Trümmern verjchüttet wor= 
den ſei. 

Zu einer fpätern Zeit wurden ebenwohl beim Stein- 
brechen auf dem Gipfel 20 Stüd Goldmünzen von den 
Arbeitern gefunden. Man fagt, e8 feien römiihe Münzen 
geweſen; e8 ift mir indeß nicht gelungen, ein einziges Stüd, 
oder auch nur eine zuverläfige Kunde davon aufzutreiben. 

Ein ander Mal, etwa vor 30 Jahren, fand ein Ar- 
beiter im Zelde bei Kirchberg, beim Ausdrefchen de8 Samens 
eine Goldmünze, welche ich jelbft noch jüngft in der Hand 
gehabt habe. Es ift ein trefflich erhaltenes Stüd, 21 Tara 
tigfein und von 3 Thlr. 12 Sgr. Werth. Der Avers zeigt 
das Taiferlihe Bruftbild mit der Umſchrift: DN Valenti- 
nianus P. F. Aug. Der Reverd das, in ber Linken eine 


103 


Bietoria, in der Rechten das Labarum haltende, Standbild 
des Kaiſers mit der Umſchrift: Restitutor Republicae. 

Sa diefem J. (1859) gaben uns nun, wie fchon oben 
bemerkt, Herr Landrath Weber zu Fritzlar und Herr Ober 
forftmeifter von Buttlar Nachricht von neuen Auffindungen 
om Wartberg. Durch wunderliche Träume veranlaßt, hatte 
ber alte Sattlermeifter Knierim zu Kirchberg im v. I. an 
ven Abhängen zu graben begonnen und war dabei auf zahl- 
Iofe Knochen, Scherben ıc. geftoßen. An den Stellen, wo 
Knierim ‚gegraben, fand fi die 1—2 Fuß über dem Ba- 
laftgerölle gelagerte Erdſchicht mit derartigen Reſten an- 
gefüllt, und daſſelbe ergab fich auch bei einigen weiteren 
Berfuchen, welche ich vornehmen ließ. Gefunden haben fich 
bis jebt: | 

1) 6 Stüd kleine Aexte von Grünftein, von denen daß 
in den Befit des Verein gelangte 4” lang, "/," did 

und faum 1” breit ift. 
2) Achnlich geformte Stüce von Zeuerftein. Beide find 
ſehr roh gearbeitet. 

3) Spitz zugejchliffene Knochen, fo daß ſie Pfeilipiken 
ähnlich find, 3’/,,” Yang. 

4) Ein metallener Stift, in der Stärfe einer Feberfpule, 
mit einem Oehr, wahrſcheinlich ein Zierrath von ei⸗— 
nem Pferdegeſchirre. 

5) Zahlreiche Stüde von unverfenntlich jehr alten Urnen. 
Einzelne Stüde find auf ihren Flächen verziert, an- 
bere haben am obern Rande ?/,” von einander ent⸗ 
fernte, runde '/,” weite Löcher zum Durziehen von 
dünnen Striden. 

6) Hirſch⸗ und Rehgeweihe in Menge, aber ſämmtlich 
zerbrochen; bei einem Stüde bemerkt man deutlich, 
daß es zur Erleichterung des Zerbrechens eingeferbt 
worben ift. 

Hahlloſe Knochen ber verfchtedenften Art. Man er- 
lennt barunter namentlich Knochen von Pferden und 


104 


Rindvieh. Ebenfo finden fich viele Zähne und ins⸗ 
befondere auch Hauer von Schweinen; desgleichen 
ein Horn von einem Ochjen oder einer Kuh. Da= 
zwilchen finden fich auch Scherben von Töpfen, welche 
unzweifelhaft einer fpäten Zeit angehören. 

Vergebens ſucht man nach einer Erflärung, wie dieſe 
heterogenen Dinge, römiſche Münzen, germanijche Ajchen- 
urnen und mittelalterliche8 Rüftzeug, bier zufammen ges 
fommen find. Da zu Valentinians Seiten und fpäter rö- 
mifche Truppen nicht mehr bis in diefe Gegenden vorge— 
drungen find, fo müffen die römischen Münzen wohl durch, 
den Handel oder durch Beute, oder auch Durch germanifche, 
aus dem römiſchen Dienjte in die Heimath zutückkehrende, 
Söldner ins Land gekommen ſein. 

Aber zu was diente in älteſter Zeit dieſer Berg? Zu 
einer Grabſtätte ſchwerlich. Die Abhänge erſcheinen zu ſteil 
dazu. Eher bin ich geneigt, hier eine Opferftätte zu ſuchen. 
Dagegen pricht jedoch, daß ſich an allen bis jetzt gefunde- 
nen Gegenjtänden nicht die geringftien Brandipuren ent- 
deden laſſen. 


T. Gudensberg. 


Die Stadt Gudensberg hatte gleich wie viele andere 
Städte während des Mittelalters eine Erweiterung, eine 
Neuſtadt oder |. g. Freiheit, erhalten. Dieſelbe ſchloß 
fich nördlich an die Stadt und wird 1356 zuerſt genannt und 
in einer Weife, daß man daraus auf eine noch jugendliche 
Anlage jchließen muß. Im Sabre 1361 finden wir diefe 
Neuſtadt bereit mit einem eigenen Bürgermeifter und Rath 
jowie einem eigenen Siegel verfehen, und 1372 den Rath 
aus ſechs Schöpfen gebildet. Noch 1377 wird „Eurb von : 
deme Saleze, Burger vff der Fryheyt zu Gudensberg“ ge⸗ 
nannt und auch 1382 noch eine Urkunde „myb der Stab 


. 105 


Ingeſigil vff der Fryheyt czu Gudinsberg“ befiegelt *). 
Seitdem verjchwindet dieſe Anlage wieder und es ift wohl 
feinem Zweifel unterworfen, daß fie bei der Eroberung der 
Stadt Durch den Erzbiichof von Mainz im Jahre 1387 für 
immer zu Grunde ging. Nur der Name „die Freiheit“ 
blieb an der Stätte haften, welche fchon im ſechszehnten 
Sahrhundert von Gärten eingenommen war. 

Senfeit3 des Burgberge8 am Maderbache wird in den 
Urkunden haufig eines Thiergartend gedacht, Doch ftet8 
nur noch als einer örtlichen Bezeichnung. So ift 1316 
von II. agris cum dimidio sitis prope Tyrgarten die Rede, 
und andere Urkunden reden von Gärten im Thiergarten, 
4 B. 1404 „mynen Gartin, der gelegen iſt vor der Stab 
zu Gudinsberg in dem Tyrgartin.“ 


Nachträge zur Reihenfolge 


derjenigen Perſonen, welche den Nonnenklöſtern 
Egeſtorf, Fiſchbeck, Möllenbeck, Obernkirchen 
und Rinteln vorſtanden. 


Bon E. F. Mooyer in Minden, 


Sm fechften Bande dieſer Zeitichrift Tieferte ich (von 
&.292—305) die obenangeführten Verzeichniffe. Ich würde 
damals auch über da8 eine Zeitlang in Hemaringen be— 
ftandene Nonnenklofter (S. Petri, ord. S. August. dioec. Mind.), 
worüber ich im Mindenſchen Sonntagsblatte Jahrg. 1852, 


*, Das Siegel zeigt einen Helm, beffen Zier links einen Löwen von 
ber Bruft an, doch ohne die Taten, rechts eines ber Tandgräflichen 
mit Kfeeblätter bejetsten Büffelhörner zeigt. Die Umſchrtift ift: S. 


noue ciuitatis Gudensberg. 


106 


S. 29 Nachrichten gegeben, einige Mittheilungen gemacht 
haben, wenn mir bi8 dahin irgend eine Perfon dem Ras 
men nach befannt gewejen wäre, welche dieſem Klofter vor⸗ 
geftanden hätte, Erſt jest jehe ich mich in den Stand ge- 
jeßt, für die Sahre 1451 und 1452 einen Propft Bern- 
hard Blekenoghe nachzuweiſen, deſſen Name auch in 
einer, vor einigen Jahren in Paderborn aufgefundenen, noch 
nicht gebructen Originalurfunde des mindenjchen Domka— 
pitels vom Jahre 1415 vorkommen fol, wobei jedoch, was 
die Sahreszahl anlangt, ein Irrthum (vielleicht ftatt 1451) 
untergelaufen fein Dürfte. 

Im Nachſtehenden gebe ich die, ſeit der erſten Mit⸗ 
theilung aus den feit jener Zeit von mir eingeſehenen un⸗— 
gedructen Urkunden entlehenten, Berichtigungen und Ver— 
vollitändigungen der oben angebeuteten Derzeichniffe, 


E. Egeftorf (au Marienthal, vallis b. Mariae genannt). 
a. Trierinnen. 
©. 292. Eliſabeth v. Alten 1316, 

Zucie v. Wend ericheint jchon 1520 und noch 1528 im 

Amie, Ä 
| b. Pröpfte. 
©. 293. Johann v. Herford wurde 1523 er⸗ 
wählt und kommt noch 1528 vor. 


Eu. Fiſchbeck. 
a. Achtiffinnen. 
Adekheid II. wird auch 1284 erwähnt, 
Margaretbe (1) 1393, 9. Oktbr. 
Matbilde erſcheint auch am 6. Janr. 1428. 
©.294. Kunigunde Lurkundet noch am 10. Ib. 1446. 
Kunigunde II. v. Zerjen wird aud) am 29. Septbr. 
1521 angeführt. 
Marie IL v. Zerſen desgl. am 24. Juni 1540 und 
16. Mai 154 
Katharine II. Rottorf desgl. am 21. Mai 1559. 


107 


Bon den Vißbecker Aebtifiinnen erjcheint die nach 
Hynek in Urkunden noch nicht nachgewiefene (?) Catha- 
rinavonRottorp zweimal in Schulbbriefen der Schaum- 
burger Landichaft, nemlich unter dem 31. Juli 1566 und 
vem 7. April 1572, 


c. Triorinnen. 
©. 295. Adelheid III.v. Heidelbed (Heylbeke) 
1446 10. Febr. 
Margarethel.v. Alten erjcheint noch am 24. Juni 1540. 
Margarethe IL Hadewich desgl. am 21. Mai 1559. 


III. Möllenbedh. 
Die Reihenfolge der Priore, nach Aufhebung des 
Nonnenklofters, ift nicht angegeben, da fie fih in Paulus 
Geichichte des Möllenbeder Kloſters findet. 


a. Aebtiffinnen. 
‚©. 297. Kathbarine von der Lippe. 1440 Aug. 


EV. Obernkirchen. 
a. Triorinnen. 


©. 301. Helenev. Benfen (Bennexen) erſcheint 
auch am 29. Septbr. 1521. 

Mathilde, welche mit dem Propſte Johann in einer 
Urkunde des Klofterd Loccum auftritt (Urk.Archiv des SI. 
Loceum, von v. Hodenberg. S. 344, Nr. 557). 


c. Pröpſte. 
©. 302. Heinrid I. kommt urkundlich ſchon am 
9. Sanuar 1279 vor. 
©. 303. Ludolf Dene erſcheint noch am 27. Juli 
1485, weshalb der in Klammern eingefchloffene Rudolf 
Hogelka wohl ausfallen dürfte, 
Johann IV. Buſſe wird auch am 29. Septbr. 1521 


genannt. 


108 


V. Rinteln. 
a. Aebtiffinnen. 
Gerburg 1324. 8. Apr., vielleicht Aebtijfin. 
Neinhild 1342. 5. Dezbr., 1360 12. Apr. 
Hildegunde v. Gandersheim 1406. 8. Dezbr. 
Kunigunde v. Heejen jchon 1426. 
Salome Krenteler bereit3 25. März 1442. 
Adelheid v. Arnheim erjcheint auch 1476. 29. Novbr. 
und 1503. 3. Mai. 
MWalburg 1506 26. Janr. 
Mathilde II. Platte 1517 10. Iuli, aud 1521. 29. 
Septbr., 1532. 22. Apr., 1543. 12. März und nody 1547. 
21. Septbr. 
b. Priorinnen. 
©. 304. Gertrud Lv. Hameln 1345. 1. Mai, 
auch 1342. 5. Dezbr. 
Katharine Bade 1347. 21. Sept. 
Gertrud (Druda) II. v. Barkthaufen 1552. 14. Novb, 
und 1554. 27. Juni. 
Dorothea Hadewich 1556. 9. Apr. und 1560, 1. DHb. 


c. Pröpſte. 

Heinrich II. v. Bardeleben 1280. 23. Juni und noch 

1282. 19. Septbr. 
Johann II. v. Minden 1324. 8. Apr. 
german 1. 1339. 11. Novbr. 

obann IV. (nit III) v. Rottorf 1344. 8. und 15. 

Septbr., war 1345. 1. Mai verjtorben. 
S$obann V. 1345. 1. Mai. 
german II. (nicht 1.) 1353. 

rnſt Scleper, auch Sleper genannt, 1434. 28. Tebr. 
Heinrich IL. Badetfen noch 1470. 30. Janr. 

S. 305. Heinrich IV., auch Kargher genannt, 

„der noch am 30. San. 1470. Kirchherr in Hattendorf war, 
fommt auch 1476. 29. Octbr. und 1479. 16. Juni vor. 
Hermann II. ſetze II. 


Eine Elifabeth (Ilse) v. Zerner erſcheint 1563. 
21. Apr. als Kelnerin. 


109 


VIII. 
Die heſſen-kaſſelſche Kriegsmacht 


unter dem Tandgrafen Karl bis zum Frieden 
von Ryswick 1697 
in Bezug auf ihre allmählige Entftehung, 
‚Öliederung, Bewaffnung, Bekleidung, Sold- 
und Diseciplinar-Verhältniſſe und tactiſche 
Ausbildung, 


Die nachfolgende Darftellung der allmähligen Errich- 
tung ſtehender Truppen in Helfen und deren Gliederung 
und innere Berhältniffe, bildet eigentlich den I. Abſchnitt 
eines größeren, jedoch aus Mangel an authentiſchen Quellen 
noch nicht vollig ausgearbeiteten Werkes, welches den Titel: 
„Die Hefjen in den Feldzügen von 1688-97“ 
führen würbe. 

Eine Beröffentlihung dieſes Abſchnittes bes genaunten 
Werkes dürfte gleichwohl nicht nur an ſich manches In⸗ 
terefiante darbieten, fondern auch noch in mehrfacher Bezier 
hung als im hoben Grade zeitgemäß fich darſtellen. 
Ber naͤmlich könnte nach ber jüngiten Märzrebe Louis. Na⸗ 


VIIB. Band. 





\ 110 


poleons noch an eine Sphinx auf dem franzöfifchen Kai—⸗ 
ferthrone glauben?, da e8 doch nicht möglich ift,. deutlicher 
zu veritehn zu geben, wie tie Zeiten des Studium der 
blos ideellen Schmerzensichreie vorüber und nunmehr 
das Studium der — natürlichen Grenzen an die 
Reihe gekommen ſei. Was könnte ſomit auch zeitgemäßer 
erſcheinen, als einen Rückblick auf jene Zeit zu werfen, in 
welcher es Ludwig XIV. gelang, in Folge der Uneinigkeit 
und "der dadurch herbeigeführten Schwäche der deutſchen 
Staaten, zunächſt durch das Medium feiner Reunions⸗— 
Kammern, feſten Fuß am Oberrhein zu faſſen, wodurch 
ben eben angekündigten Studien über bie natürlichen Gren⸗ 
zen Frankreichs eine jo vortrefflihe Handhabe dargeboten 
wird? | 

Wer auch wäre fo verblenbet, zu wähnen, daß e8 
diesmal wieder wie vor 20 Sahren mit dem bloßen Sange: 
„Sie follen ihn nit haben den freien (9 deut- 
ſchen (D) Rhein" abgethan fein werde? Damit der Rhein 
Deutichlands Strom bleibe und nicht Doch noch endlich 
Deutſchlands Grenze werde, wird vielmehr, aller menſch⸗ 
Yichen Vorausficht nach, ‚in nicht ferner Zeit viel edles 3 ht 
| vergoſſen werden müſſen. 

Um ſo zeitgemäßer aber auch if eg, nachzuweiſen 
wie unter jenen deutſchen Fürſten und jenen deutſchen 
Staaten, welche zeitig das ihrige gethan haben, um zu 
verhindern, daß es jemals dazu kommen möge, das kleine 
Heſſen und: fein Landgraf Karl mit voran in den Vorder⸗ 
reihen geftanden hatz wie denn überhaupt Heſſen-Kaſſel 
vielleicht der einzige. deutſche Staat ift, der in dieſer Bezie⸗ 
Yfig-ganz rein und: frei vom aller Schuld bafteht und ſo⸗ 





111 


mit auch nur darauf Bedacht zu nehmen haben bürfte, ven 
ülten Ruhm zu bewahren. 

Sn diefem Sinne wolle der freundliche Leſer bie 
nachfolgende Darftellung einiger Beachtung würdigen, 


ie allentbalben im deutichen Vaterlande, fo war 

. be altgermanifche Streitbarfeit auch bei dem altkattiſchen 
Stamme der Heffen erft in den fränfiihen Heerbann ums 
gewandelt worden und dann in dem Nitter- und Lehnsweſen 
bes Mittelalters faft völlig untergegangen; indem das neben 
dem Zuzuge der Bafallen und Lehnsleute und dem Kriegs⸗ 
weien der ftreitbaren Städtebürger, für außerordentliche Fälle 
allerdings immer noch vorbehaltene, allgemeine Aufgebot 
aller fonft noch Streitbaren im Lande mehr und mehr nur 


. noch als ein Zerrbild der einft jo mannbaften Wehrkraft 


— 


der Geſammtheit zu erachten war. 


Gleichwohl hatte Die Weisheit unjerer Fürften doch 
bon frühzeitig erkannt, wie felbft in diefen „legten Neften 
ber einftigen allgemeinen Streitbarkeit, immer noch bie 
Keime einer, die Streitmacht des Adel und das Kriegs— 
weien der Stäbte weit überbietenden Kraft enthalten wären. 


Statt daher dem im Laufe de 15. Jahrhunderts fich 
Immer mehr ausbreitenden Söldnerweſen ſich hinzuneigen, 
wodurch anderwärts fo vielfach jeder nationale Kriegsgeift 
gänzlich verfümmerte, wandten unfere Fürjten vielmehr 
ſchon fehr frühzeitig ihre Sorgfalt darauf, Durch geeignete 
Einrichtungen dieſe letzten Nefte jener früheren allgemei= 
nen. MWehrbarfeit zu neuer Blüthe zu zeitigen, und dieſes 
Bemühen war umfomehr ein erfolgreiches, al8 unfere Für— 
ſten nicht nur allenthalben perfünlich das glänzenpfte Bei— 
fpiel mannhafter Tapferkeit und unerjchütterlicher Stand- 
baftigkeit vor Augen ftellten, ſondern auch, wie Wenige, 


112 


es verftanden, ihrem Heerweſen ſtets eine dem zeitweiligen 
Standpunkt der Kriegsfunft angemeffene Einrichtung zuzu⸗ 
wenben. 

Darin mag denn auch der hauptjächlichfte Grund zu 
finden fein, daß das Heine Heffen, trotz feine langehin 
fo wenig umfangreichen und noch dazu vielfach zerriffenen 
Zandgebietes, feiner geringen Volkszahl und feiner Armuth 
an Geldmitteln, dennoch jehr frühe ſchon unter den weft» 
deutihen Staaten einer der friegsgefürchtetiten zu werden 
vermochte. Darin fand auch nicht minder der von Ge— 
ichlecht zu Gefchlecht fich forterbende, hochgepriefene Kriegs⸗ 
geift des heiliichen Volkes den fruchtbaren Boden feines 
fröhlichen Gedeihens. 

Unter allen heſſiſchen Fürften, die diefen nationalen 
Kriegsgeift zur höchiten Blüthe zu zeitigen fich bemühten, 
muß aber bejonder8 Landgraf Morit gerühmt werben; 
denn Er vor Allen trug fich mit dem Gedanken, durch eine 
für die heſſen-kaſſelſchen und heſſen-darmſtädtiſchen Lande, 
berechnete, auf allgemeine Wehrpflicht fich gründende, ge= 
meinfchaftlicde Wehrorbnung das Söldnerweſen, foweit 
jolches allmählich auch in Heilen Eingang gefunden hatte, 
gänzlich zu befeitigen. Mit großem Scharfiinne das noch 
Anwendbare griechiicher und römijcher Kriegeorbnungen mit 
den Grundſätzen eine® De la Noue, Morig von Naffau, 
Prinzen von Parma und anderer berühmter deuticher, fran⸗ 
zöficher, fpanifcher und italienischer Heerführer verfnüpfend 
und je nach den Landeserforderniffen modifizirend, erjcheint 
der von ihm desfalls außsgearbeitete Entwurf als ein für 
feine Zeit meifter- und muftermäßiger. 

- Manches, was noch heute als Schöpfung Guftav 
Adolphs gilt, ericheint nämlich hiernach als geiftiges Eigen- 
thum des Landgrafen Moritz, und vor Allem erweifen ſich die 
jo hoch belobten Einrichtungen Herzog Georgs von Brauns 
ſchweig⸗Lüneburg lediglich als eine höchſt unvolllommene 
Nachahmung des von jenem in Vorſchlag Gebrachten. Lei⸗ 


113 


ber gelang es aber nachbarlicher Eiferfucht und der eng⸗ 
herzigen Selbftfucht einzelner Claſſen ber eigenen Unter⸗ 
thanen, namentlich der Ritterſchaft, der Ausführung dieſes 
Entwurfes ſo große Schwierigkeiten in den Weg zu legen, 
daß ſolcher im Vaterlande am aller unvollſtändigſten zur 
VLerwirklichung gelangte, indem bie 1600 und 1601: erlaſ⸗ 
ſene Wehrordnung, nur als ein Bruchftüd des eigentlich 
Beabfichtigten fich darftellt. 

Es muß diefes aber auch heute noch um fo mehr 
tief beflagt werben, ba faum zu bezweifeln ift, daß, wäre 
jene Wehrordnung bes Landgrafen Morig in ihrer ganzen 
Ausdehnung zur Ausführung gelommen, folche dem heſſi— 
ſchen Baterlande nicht minder eine Quelle nicht zu ermeſ⸗ 
fender Machtentwickelung hätte werden können, als 212 
Sabre Später die, auf analogen Grundfäßen beruhende, 
Schöpfung Scharnhorſt's es für die Wiederherftel- 
lung der Monarchie Friedrich des Großen wirklich ge= 
worden ift. 

Gleichwohl hat jene Wehrordnung des Landgrafen 
Moritz, auch felbft in ihrer trümmerhaften Verwirklichung, 
doch unendlich viel Dazu beigetragen, dem vaterländiichen 
Kriegämefen den eigenthümlichen nationalen Stempel auf: 
zubrücden, der e8 noch bis zum Anfange dieſes Jahrhun— 
derts unter den Zeitgenoſſen fo vortheilhaft außzeichnete. 

Zunächft beftimmte dieſelbe nämlich, daß alle ftreit- 
bare Mannichaft der Landbevölkerung, die nicht zu wirklichen 
Rehnfolgedienften pflichtig fei, — unter dem Namen Land- 
ausſchuß — zur Landesvertheidigung, beziehungsweife 
zum Landfolgedienfte verpflichtet fein folle. 

Diefer Landausſchuß follte zunächit in 4 Negimenter 
(einem Kaſſelſchen, einem Werra'ſchen, einem Fulda'ſchen 
und einem Biegenhainer Negimente) eingetheilt werben, 
jedes Negiment aus 9 Fähnlein oder Compagnien beftehen 
und jede Corhpagnie 139 Köpfe zählen. Die einzelnen 
Fähnlein follten Sonntags in den Compagnie⸗Bezirken zu- 


114 


fammengezogen und gründlich in den Waffen geübt wer— 
den u. |. w. 

Der Berlauf der Begebenheiten während des 30jähri- 
gen Krieges gab indeſſen jehr bald Anlaß, den Landaus— 
Schuß noch durch ein 5teß-Regiment fowie durch 5 Com— 
pagnien Reuter zu vermehren. 

Später (1622-26) wurde dieſe Organijation dahin 
abgeändert, daß jedes dieſer Regimenter nur ‚noch aus 5 
Faͤhnlein eigentlichen Landausſchuſſes à 200 Köpfen beitehen, 
dagegen jedem derſelben, als ein fefter Kern des Anfchlufjes 
(ahnlich wie bei den 1793 aus Linientruppen und Natio- 
nalgarden zufammengejegten franzöftiichen Halbbrigaden) 2 
Tähnlein geworbener Knechte A 308 Mann einverleibt 
werden follten. Obgleich auch Diefe Organifation im Drange 
der Zeitverhältniffe nicht ganz fo, wie fie beabfichtigt war, 
zur Ausführung gelangte, fo dürfte es doch immerhin von 
Sntereffe fein, nachfolgend einige Einzelheiten über bie 
Abgränzung der Regimentt- und Compagnie-Bezirfe und 
die Anzahl Der in ſolchen zum Landausſchuſſe dienftpflich- 
tigen Mannichaft (den ſ. g. Enrollirten) bier zur Mittheis 
Yung zu bringen. 

Es ward nämlich jenem Organifationg-Projekte gemäß 
a. das |, g. rothe oder Diemelſtrömiſche Regiment aus nach- 
folgenden 5 Landausichuß= Compagnieen: formirt, als: 

1. der Altſtadt Kaffeler Compagnie unter dem Ober- 

ften Riedeſel Ceinjchließli der Aemter Ahne, 
Baune und. Hafungen = 409 Enrollirte), Ä 

2. ber Neuftabt Kafjeler Compagnie unter dem Haupt- 

many Friedrich von Pappenheim (255 Enrollirte), 

3, der Grebenfteiner Compagnie unter dem Amtmann 

von Amelungen zu Grebenftein (einſchließlich Sa— 
baburg und Immenhaufen = 310 Enrollirte), 

. 4. der Geismarſchen Compagnie unter dem Amtmann 
v. Weiler zu Trendelburg Ceinfchlieglich Liebenau 
und Selmarshaufen — 281 Enrollirte), 


115 


5. der Wolfbager Compagnie unter dem Amtmann 
Hyppolit de Caſtiglione (einſchließlich Bierenberg 
— 361 Enrollirte). 
Die geworbenen Compagnieen aber richteten auf 
1) der Hauptmann von Hechtshaufen ud 
2) der Oberſt von Riebejel, 
eine jede zu 308 Mann. 
b. Da8 Blaue oder Werra'ſche Regiment ward formirt: 
1. aus der Allendörfer Compagnie unter Dietrich Rei- 
nide Ceinjchließlich Wißenhaufen — 423 Enrollirte), 
2, der Eichweger Compagnie unter Reinhard Stange 
' (583 Enrollirte), 
8. ber Treffurt-Wannfriedver Compagnie unter Mori 
Ufizial (332 Enrollirte), 
4. der Schmalfalder und 
5. der Vachaer Compagnie; 
diefe beiden konnten jedoch wegen der feindlichen Ofs 
fupation jener Landftriche nicht verfammelt merben. 
Die geworbenen Compagnien richteten auf: 
1) der Land-Vogt von Stodhaufen und 
2) Velten Lucan, 
jede zu 315 Mann, 
c. das grüne oder Fuldaiſche Regiment ward formirt: 
1. aus der Meljfunger Eonipagnie unter Oberft Hille 
(einſchließlich Breitau und Lichtenau — 322 En- 
roflirte), . , 
2. der Spangenberger Compagnie unter Werner Theue⸗ 
rer (276 Enrollirte), ' 
3. ber Rotenburger Compagnie unter Edharb Alchen- 
brenner (einſchließlich Bebra und Breitenbach — 
348 Enrollirte), 
4. der Sontraer Compagnie unter Chriſtoph Gude 
(einſchließlich Ida und Wildeck — 873 Enrollirte), 
. der Hersfelder Compagnie unter Georg Fabritius 
(einſchließl. Landeck und Hauneck 306 Enrollirte). 


— 


116 


Die geworbenen Cmpagnien richteten auf: 
1) der Oberft Hille und 
2) der Hauptmann Andreas, 
jebe zu 312 Mann. an 
d. das ſchwarze oder Schwalmiiche Regiment ward formirt: 
1. au8 der Gudendberger Compagnie Ceinjchließlich 
Niedenftein — 276 Enrollirte), 
2. der Felsberger Compagnie. unter Nikolaus Geile 
(einschlieglih Borken = 412 Enrollitte), . 
8. der Homberger Compagnie unter Simon Srausfaor 
(321 Enrollirte), 
4. der Hiegenhainer Compagnie unter Heinrich An⸗ 
dreas (einſchließlich Treiſa = 324 Enrollirte), 
5. der Neukircher Compagnie unter Valentin Muhly 
(einſchließlich Schwarzenborn — 423 Enrollirte). 
Die beiden geworbenen Compagnien richtete auf der 
Oberſt von Dallwigk, jede zu 378 Mann. 
e. das ſ. g. weiße oder Lahn'ſche Regiment beſtand von 
1622 bis 1624 aus 5 Faͤhnlein nämlich: 
1. der Frankenberger, 
2. der Kirchhainer, 
3. der Rauſchenberger, 
4. der Biedenkopfer und 
5. der Marburger Compagnie, 
wobei fich jedoch Die Zahl ber Entollirten. nicht angege⸗ 
ben findet. 
Die 5 Compagnien Land-Reuter wurden analog wie 
das Fußvolk nach den Strombezirfen, die Diemelftrömifche, 
Werra'ſche u. ſ. w. Land-Reuter-Compagnie benannt, Doch 
ift über ihre Stärke, Aushebungsweiſe u. |. w. nichtg Nä⸗ 
heres befannt und nur fo viel erſichtlich, daß 1622 
1. Rittmeifter v. d. Malsburg die Diemelftrömifche, 
2. Lieutenant Klink die Werra’fche, 
3. Jakob Hillebrandt die Fulda'ſche, 
4, Rittmeifter Georg von Giljä, die Sehwalmſche und 


117 


5. Wilhelm Winter die Lahn'ſche 
Compagnie befehligten und daß außerdem noch 2 Comyag⸗ 
nien Ritterpferde beſtanden, deren eine (jene des Oberfür⸗ 
ſtenthums) der Rittmeiſter Lorenz von Hattenbach, die an⸗ 
‚dere (jene des Unterfürſtenthums) aber der Rittmeiſter 
Karl Daniel von Hattenbach befehligte. 

Die Bezeichnung rothes, blaues u. ſ. w. Regiment 
aber rührte davon her, daß der ergangenen Vorſchrift zu 
Folge, die Mannſchaft eines jeden Regiments Beinkleider von 
gleicher Farbe tragen ſollte, während Stoff und Farbe des 
Rode, Kamiſols oder Kollers einem Jeden nad) feinem Ge- 
ſchmacke zu wählen, völlig freigeftellt blieb. 

Die Gefammtzahl der zum Landausſchuſſe Enrollirten 
mochte fich fonach auf etwa 9—10,000 Köpfe belaufen, 

bon denen, einſchließlich der Reuter⸗Compagnien, jedoch wohl 
böchftens nur circa 5000 Mann wirklich unter die Waffen 
berufen worden zu fein fcheinen, fo daß Die gefammte heifi= 
fche Kriegsmacht in der eriten Periode des 30jährigen Krie⸗ 
ges, einſchließlich 3—4000 geworbener Knechte, etwa 8--9000 
Mann ftarf gewefen fein mag. 

Da indeß die vielfach für die Hinterfaffen des Adels 
in Anſpruch genommenen Befreiungen eine weitere Vermeh⸗ 
zung des Landausſchuſſes nicht zuließen, und anderſeits 
der Zuzug der Vafallen nur ſehr unvollfommen erfolgte, 
aud die jonft noch auf die Lehnseinrichtung fich gründende 
MWehrordnung als bereits ‚gänzlich zerrüttet ſich erwies, fo 
mußten, um die während des Verlaufes des 30jährigen 
Kriegs für nothwendig erachtete Kriegsmacht aufzubringen 
und zu erhalten, zunehmend immer anjehnlichere Werbun- 
gen vorgenommen werden; bergeftalt, daß in den lebten 
Jahren der vormundſchaftlichen Negierung der, durch ihre 
Geiftesgröße und männliche Kraft fich auszeichnenden, Land⸗ 
gräfin Amalie Elifabeth, beim Abjchluffe des Münfteriichen 

Friedens 1648, außer jenem Landausſchuſſe, der fürftlichen 
Leibwache zu Pferde und verfchiebener FSreicompagnien zu 


118 


Roß und zu Fuß, 6 Regimenter Neiterei und 14 Regimenter 
Fußvolk nur allein an geworbenen regulären Solb-Truppen 
vorhanden waren. 

Um dem gänzlich verwüſteten Lande jedoch ſo ſchleunig 
als möglich Erleichterung zu verſchaffen, wurden dieſe 
fammtlichen geworbenen Truppen, mit alleiniger Ausnahme - 
von AO Mann berittener fürftlicher Leibwache und 3 Com— 
pagnien ober circa 400 Mann Fußvolk, noch vor Ablauf 
des Jahrs 1648 entlaſſen. 

Was zur Zeit von dem eigentlichen Landausſchuſſe 
noch vorhanden war, darüber fehlen nähere Nachweiſungen. 
Aller Wahrſcheinlichkeit nach dürfte aber dieſer Landausſchuß 
während der langen Kriegszeit allmählich” ſehr zufammen- 
geichmolzen fein und nur noch in ſchwachen Trümmern eine 
zelner Compagnien fortbeftanden haben, indem bei der mehr- 
mals wiederholten, grauenvollen Verwüſtung des Landes 
und der dadurch veranlaßten ungemeinen Entvölkerung 
deſſelben, der Erſatz des Abgangs offenbar nur ſehr unvoll⸗ 
kommen zu bewirken geweſen ſein konnte. 

So z. B. war im Laufe des 30jährigen Krieges | 
die Zahl. der Bürger des Städtchend Wolfhagen von 371 
auf 81, jene der Wohnftätten dafelbft von 394 auf 90 
der Biehftand auf weniger als .'/, herabgejunten 9 und fo 
in gleichem Berbältnig wohl überall, 
| "Der Oberbefehl über jene übrig behaltenen Sold⸗ 
truppen, ſo wie auch über den geſammten noch übrigen 
Landausſchuß ward nun zunächſt an Den, durch feine rühm- 
lichen Kriegsthaten zu hohen Ehren und Würden empor 
geftiegenen, General-Tieutenant Johann von Geyfo **) über⸗ 


*) Lynker, Beſchreibung der Stabt Wolfhagen, ©. 112. 

**) Johann Seife, warb 1593 zu Borken, wo fein Vater fürftlicher 
Nentmeifter geweſen, geboren. Anfänglich wibmete er fich dem 
Studium der Rechtswiſſenſchaft, entichloß fich jedoch die Friegerifche 
Laufbahn einzufchlagen, und trat, zu bem Ende vom Landgrafen 
Mori empfohlen, 1613 zunächft in Die Kriegsdienfte bes Prinzen 


119 


engen und berjelbe auch noch zugleich zum Gouverneur 
von Bafjel ernannt. 

Zuwei jener in Sold behaltenen Cohpagnien Fußvolk, 
naͤmlich Die Compagnie des General-Lieutenants von Geyſo 
— welches die Leib-⸗Compagnie des 1631 errichteten und 
vormals von demſelben befehligten . g. weißen Regiments 
geweſen zu fein ſcheint — und eine von dem früher im Ahles 





Moritz von Dranien, verließ folche jedoch bald wieder, um als 
Fahnrich im ſchwediſche Dienfte Überzugehn, ans melden er unter 
Graf Thun in böhmifche Dienfte trat, in welchen er der Schlacht 
anf dem weißen Berge bei Prag beiwohnte und fobann in das 
Mannsfeldiiche Heer überging, wo er als Nittmeifter zwei Ge⸗ 
ſchwader befehligte. Nach deſſen Auflöjung nahm er als Major 
bänifche Dienfte, welche er jedoch 1628 gegen Verleihung ber Stelle 
eines fürftlih rothenburgifchen Rathes und Ober-Amtmannes zu 
Eſchwege vertaufchte. 

Auf den thatfräftigen Mann aufmerkſam gemacht, ernannte ihn 
Landgraf Wilhelm V., darauf ausgehend, dem eben wieder an- 
jehnlich vermehrten vaterländifchen Heere, fo viel al8 immer mög⸗ 
lich auch eingeburne Führer vorzufeßen, 1631 unter Verleihung 
bes eben neu errichteten |. g. weißen Regiments zum Oberftlieute- 
nant und bald darauf zum General-Wachtmeifter des heifiichen 
Heeres. Als ſolcher nahm er nicht nur an den meiften Kriegsbe- 
gebenheiten der nächftfolgenden Jahren ſehr thätigen Antheil, ſon⸗ 
dern trug auch durch die trefflihe Führung der ihm unterftellten 
Truppen in mehreren Hauptſchlachten, als namentlich 1633 bei 
Oldendorf, 1645 bei Allersheim und 1648 bei Grevenbroich jehr 
entſchieden zur Erlangung des Sieges bei, in Folge deſſen er 
benn auch ſchon 1647 zum General-Fieutenant befördert worben 
war. Nachdem ihm,. nach erfolgtem Friedensſchluſſe zu Münfter, 

. wie ſchon erwähnt, außer der Stelle eines Gouverneurs zu Caffel 
auch noch der Oberbefehl über die geſammte heifiiche Kriegsmacht 

‘ Übertragen worden war, warb er — in Folge bes Fürwortes meh- 
rerer Fürften auch noch von Seiten des Kaifers unter dem Namen 
von Geyſo in den Reichsabelftand erhoben. Er farb den 1. 
Mai 1661, 68 Jahre alt, an einem Schlagfluffe zu Caſſel. So 
lange ber Schladht- und Siegestage von Oldendorf, Allersheim, 
Hanau und Grevenbroich gedacht werben wird, fo lange wird auch 
fein Name fortleben. 


120 


feldifchen Negimente geftandene, vom Hauptmann Broftrup 
Jakobfon von Schört befehligte, Compagnie bildeten von 
da ab die Befagifhg von Eafjel, «weshalb folche auch vor⸗ 
zugsweiſe als die Kaſſeler Schloßcompagnien bezeichnet 
wurden, während die dritte jener Compagnien, unter dem 
Dberften Suftin Ungefug, nah Biegenhain verlegt ward 
und Kleinere Abtheilungen — wie e8 fcheint zum Theil Halb⸗ 
Smoaliden — die Schlöffer zu Marburg, Spangenberg, . 
Friedewald, Trendelburg und Herzberg bejeßt hielten *). 

Nachdem Landgraf Wilhelm VI. volljährig geworden 
und die Regierung übernommen hatte, bot er alsbald Al- 
les auf um zunächft namentlich den Landausſchuß wieder 
in dienftfähigen Stand zu verfegen, was auch mit ſolchem 
Erfolge geſchah, daß 1655 fchon wieder 17 Compagnien 
zu Fuß für den inneren Dienft verfügbar waren, wozu 
1656 audy noch 2 Compagnien Landausſchuß zu Pferd hin- 
zufamen, und 1664 die Verordnung erlaffen werden Tonnte, 
daß jeder Hofmann oder Hausbefiter in Städten und Dör⸗ 
feren mit einem Feuerrohr (Muskete) und Patrontaſche 
verjeben fein jollte **), 

Ebenſo ward auch von 1659 — 1663 bie Miliz, oder 
die Soldtruppen, durch einige neugeworbene Compaynien 
auf 6 Compagnien vermehrt, wovon 3 Compagnien oder 
500 Mann, unter Oberftlieutnant von Zobel, 1664 zu Lau⸗ 


*) Diefes Verhältniß fcheint ziemlich lange daſſelbe geblieben zu fein, 
indem unter anderm noch in dem Mufterungsberichte des Oberft- 
Lieutenants von Wartensleben vom 8. Oftober 1679 ermähnt wird, 

wie bei der Compagnie des Oberften zur Brüggen zu Ziegenhain 
zwar influfive prima plena — 250 Köpfe, und bei der Schloß- 
Compagnie zu Marburg — 225 Köpfe vorhanden, au zu Span- 
genberg 42, zu Echloß Herzberg 25 und zu Friedewald 17 Mann 
Belatung vorgefunden worden wären, jedoch Darunter viele Mann⸗ 
Ihaft, welche wegen hohen Alters und vielfacher Leibesgebrechen, 
als namentlich Taubheit, kurzen Gefichtes, Lähmung und barten 
Brüchen nicht mehr für dienftfähig zu erachten ſei. 

es) Rommels Nenere Geſchichte von Hefjen. 1 Band. ©. 111. 


121 


terbach mit 350 Mann Durmftädtern, unter Obriff von 
Sreudenberg, in ein heſſiſches Gefammt-Regiment zufanmen- 
fließen, welches, nebft einem Theile der Leib-Garde zu Pferd, 
als heifiiches NeichScontingent nach Ungarn gegen die Türs 
fen zu Felde rüdte, und fich in der Schlacht bei St. Gott- 
hardt und bei den Belagerungen von Zünffirchen und Ka⸗ 
niſcha ſehr auszeichnete, 

Als in Folge der vielfachen Streitigkeiten, zu wel⸗ 
chen die Auslegung des Münſterſchen Friedens Veranlaſſung 
gab, u. a. 1666 durch ein ſchwediſches Heer die Reichs⸗— 
ftadt Bremen bedroht und desfalls ein, aus verjchiedenen 
Sontingenten zuſammengeſetztes Reichsheer aufgeboten 
wurde, wurden 5 jener Compagnien in ein Bataillon for= 
mirt und unter dem Befehl des General-Majors Karl 
Rabenhaupt von Sucha *) dahin abgelendet. Nuchden jes- 
doch jene Irrungen beigelegt und das Bataillon wieder 
in das Land zurüdgefehrt war, wurde -Diefer Bataillons- 
Berband wieder aufgelöft und die Selbftändigkeit der eins 
zelnen Eompagnien wiederhergeſtellt. 

Die im 30jährigen Kriege erlittenen Verwüſtungen 
hatten nämlich die Steuerkraft des Landes allzuſehr erſchöpft, 
als daß ſolches im Stande geweſen wäre, bie durch die 
Zeitverhältniſſe wiederholt erheiſchte Steigerung der Streit⸗ 
träfte nachhaltig zu begründen. Selbſt auch nur eine 
fefte Stiederung der vorhandenen wenigen ftändigen Sold⸗ 


*) Karl Rabenhaupt von Suda, aus einer urſprünglich böhmifchen 
Familie abftammend, hatte fi) ebenwohl im Dreißigjährigen Kriege 
im beifiihen Dienft jehr hervorgethban und war, nachdem der, an 
die Stelle des General-Fientenants von Geyſo 1664 zum Gouver⸗ 
neur von Caſſel ernannte, General-Wachtmeifter Heinrich von Uffeln 
bereits 1665 wieder abgegangen und in braunfchweig-Tüneburgifche 
Dienfte getreten war, dieſem in dem genannten Poſten gefolgt, nahm 
jedoch 1672 ebenwohl feinen Abſchied und trat in niederländiſche 
Dienfte, worin er ſich, obſchon bereits hochbetagt, durch die Ver⸗ 
theibigung von Gröningen gegen die Sranzofen fehr auszeichnete 
und 1675 zu Koverben verſtarb. 


122 


truppen, warb in Folge der zwiſchen Der Nitterfchaft und 
den übrigen Ständen zum Ausbruche gefommenen Streitig⸗ 
feiten über da8 Maas der von folchen zu leiſtenden Bei— 
tragspflicht zur Erhaltung des Kriegsweſens, langehin um 
fo mehr erfchiwert und behindert, al8 die von den Ständen zur 
Unterhaltung der Truppen bewilligten Geldmittel nur im⸗ 
mer auf ganz furze Zeiträume bemeffen waren und, jo zu 
jagen, nur monatöweije bewilligt wurben. Die hieraus ent- 
ipringenden Mifftände machten fich namentlich bei Gelegen- 
heit der 1672 drohenden Invaſion eines franzöfiichen Hee— 
red in Deutſchland fühlbar, indem, als man fich genöthigt fah, 
zum Schute des Landes ein 5000 Mann ftarle8 Corps 
auf die Beine zu bringen, und nun ber größte Theil 
des Landausſchuſſes aufgehoten und mehrere Monate lang 
unter den Waffen behalten: werden mußte, dieſes dem Acker⸗ 
baue und den Gewerben zum größten Nachtheile gereichte 
und allgemeine laute Klagen veranlafte. 

Da fich bei dieſer Gelegenheit auch der gänzliche 
Mangel an NReuterei jeher fühlbar gemacht hatte, jo war 
man veranlaßt worden, zuerft auch wieder 3 Eornetten ges 
worbener regelmäßiger Reuter zu errichten. Ueberhaupt 
fand von da ab eine, wenn auch nur ſehr langſame, 
doch jtetige Vermehrung der Soldtruppen *), ſo wie aud) 
eine, den Zeit- und Landesverhältniffen entiprechende, forg- 
fültige Pflege Des Kriegsweſens überhaupt ftatt, obſchon die 
Regierung langehin nur eine vormundichaftliche und noch 
Dazu von einer Frau geübte war. Denn nach dem frühzei- 
tigen Tode Landgraf Wilhelms VI, war deſſen Wittwe Die 
Landgrafin Hedwig Sophia — Schweſter des Kurfürften - 


*) Dieſelben beftanden 1673 außer der fürftlichen Leibwache zu Pferd, 
und den erwähnten 3 Cornetten Reuterei, aus 11 Compagnien 
Fußvolf, der Spangenberger, Friedewalder. und Trenbelburger 
Garniſon mit den Schmalfaldifchen Erefutanten (wahrſcheinlich In⸗ 
validen) und dem Artillerieftabe; jo wie auch noch ein Theil der 
Stäbe des Landausſchuſſes feften Gehalt bezogen zu haben fcheint. 


123 


Friedrich Wilhelms von Brandenburg — erft Über ihren 
minderjährigen älteften Sohn Landgraf Wilhelm VII und 
sach deſſen frühen Hinjcheiden auch über ihren zweiten Sohn, 
den Landgrafen Karl, Vormünderin geiworden und hat 
als folche mit faum minderm Gefchide und Kraft als 
die Landgrafin Amalie Elifabeth, in Acht brandenburgifchem 
Geifte regiert. Außer emjiger Sorgfalt für die Reorgani« 
fation des Landausichuffes auch in der Grafſchaft Schaum 
burg, durch Refeript vom 1. Auguft 1667, wurden nämlich 
unter andern, durch den allmählich zu höhern Stellen auf- 
geftiegenen ſchon erwähnten Broſtrup Jacobſon von Schört, *) 
fo wie Durch den Obriftlieutnant Sobann Heller und Stüd- 
bauptmann Johann Philipp Heppe **), dem Geſchützweſen 
große und mannigfache Verbefjerungen zugewendet. . So 
ermittelte exiterer eine vollkommnere Miichung des Stüd- 
guts, welche jehr bald unter der Bezeichnung der heſſiſchen 
Reinigung allgemeine Anwendung fand, während Teb- 
terer den heſſiſchen Stücichügen eine jo vortreffliche Aushil- 
dung zumandte, daß namentlih Kurfürſt Friedrich Wils 
beim von Brandenburg feine Schweiter, Die regierende 
Landgräfin Hedwig Sophia, in einem 1676 an folche ge= 
richteten eigenhändigen Schreiben, dringend um zeitweilige 
Mebetlaffung von 12 der verläßigften derſelben erjuchte, 


*) Derjelbe war aus däniſchen in beififche Dienfte übergetreten, warb 
1657 Ober-Wachtmeifter, 1662 Oberft-Lieutenant, ging 1664 wie- 
der in dänische Dienfte zurück, aus welchen er jedoch 1689 als 
General-Fieutenant und Chef der Mtillerie wieder in heſſiſche Dienfte 
übertrat, 1697 das Commando eines Landausnahmsbataillons er- 
hielt und 1703, 81 Sabre alt, verftarb. 

**) Johann Wendel Heller war ſchon unter bem Grafen von Maus- 
feld Stüchhauptmann gewejen und bereits 1645 zum Oberftlien- 
tenant und Commandeur der heſſiſchen Artillerie ernannt worden. 
Ihm war 1678 der Stüdhauptmann Joh. Philipp Heppe gefolgt, 
ber 1680 zum Major, 1683 zum Oberftlieutenant und 1694 zum 
Oberft befördert, 1696 als Ober-Galggrebe zu Allendorf in den 
Civildienft übertrat und bafelbft bald darauf verftarb, 


124 


um fie als Inftrulteure für feine Feldartillerie zu vers 
wenden. 

Eben ſo ward außer Vermehrung und Vervollkomm⸗ 
nung der Feſtungswerke von Kafjel, Ziegenhain und Mars 
burg can legterem Orte namentlih auch durch Anlage 
eines vom Schlofje bi8 zum Spiegel ber Lahn hinabreis 
chenden in Felſen ausgehauenen Brunnens*), bereits 1664 
damit begonnen, zum Schuge der im Münfterfchen Fries 
den gewonnenen Grafichaft Schaumburg die Stadt Rin⸗ 
teln in einen feſten Pla umzuwandeln, 

Reich waren auch die Zeughäufer zu Kaffel und Zies 
genhain mit Kriegsvorräthen aller Art verfehen, indem fich 
in folchen,, außer 200 Gejchügen verjchiedenen Kalibers und 
eined Vorrathes von etwa 3000 Centner Pulver, eine fo 
große Menge von kleinem Yeuergewehr und blanten Waffen 
porfand, daß Damit an 25,000 Mann audgerüftet werben 
fonnten. Da diefelben jedoch größtentheild aus, im Laufe 
des 3Ojährigen Krieges gemachter, Kriegsbeute beftanden, 
jo waren fie freilich meiſt jehr veraltet. 

Nachdem in folder Weile von 1672 — 1674 die 
Zahl der vorhandenen Soldtruppen allmählich fich bis auf 
11 Sompagnien Fußvolk und 3: Cornetten Reuterei vers 
mehrt hatte, gab Die abermalige Bedrohung der Reichs⸗ 
lande durch Ludwig XIV. von Frankreich im Jahre 1676 
Anlaß, noch 5 weitere Compagnien anzuwerben und durch 
Zutheilung von 3 der alten vorhandenen Compagnien zu 
einem Regiment von 8 Compagnien zu formiren, welches 
unter dem Befehl des Oberften zur Brüggen **), in Gemein- 
Schaft mit der ebenwohl zu einem Regiment formirten und 


*), Derfelbe ift, leider — fo viel befannt, ohne genügende Veranlaffung 
erft in den 1840er Jahren — müheſam — mit Schutt u. dgl. 
wieder ausgefüllt worden, 

**) Johann zur Brüggen war 1611 in der Grafſchaft Oberyffel ger 
boren und aus ſchwediſchen in heffifchen Dienft übergetreien, in 
welchem er 1697 als General-Lientenant verftarb, 


125 


auf 4 Cornetten verftärkten Meuterei, unter dem Major 
Wilhelm von Hornumb*), zur Reichdarmee an den Rhein 
abrüdte und der Belagerung von Philippsburg beimohnte, 
Bon da Ende 1676 zurüdgefehrt, ward die geſammte 
Krieggmacht auf 23 Compagnien Fußvolk verſtärkt, wovon 
10 Compagnien, unter dem Oberften Johann Ufm Keller **), 
ju einen Regiment formirt, und nebft dem Reuter-Regiment, 
unter dem Obriftstieutenant von Hornumb, dem Könige 
Ehriftian V. von Dänemark gegen eine anjehnliche Subfidie 
als Hülfsiruppe gegen die Schweden überlafjen wurden; 
während 4 Compagnien, unter der Bezeichnung: die Geis 
fiihe Brigade, gleichſam deren Reſerve bildeten; 1 Com— 
pagnie aber als oberrheiniiches Kreis-Contingent noch forts 
während bei der Rheinarmee verblieb und 4 Compagnien 
bie Beſatzung von Caſſel, 1 die von SBiegenhain, eine 
bie von Marburg und 2 d.e von Rinteln bildeten. 
Nachdem jene Negimenter Ufm Keller und Hornumb 
fih anfänglich bei den Belagerungen von Karlöfrona und 
Helſingborg in Echweden rühmlich ausgezeichnet hatten, 
betraf fie jedoch das Mifgeichid, in die auf dem Markhower 
Felde an der Neufährichanze, auf der Inſel Rügen, den 
8. Januar 1678 dem Heere der Verbündeten unter. dem 
Öeneral von Rumor, durch den ſchwediſchen Feldmarſchall 
Königsmark zugefügte Niederlage mitverwicelt zu werden, 
Gleich den übrigen faiferlichen, dänischen und brandenburs 
giichen Contingenten vermochte auch von jenen heſ—⸗ 
fihen Negimentern fih nur ein ſehr Heiner Theil zu 
Echiffe nach) Wolgaft zu retten, die bei weiten größte Mehr⸗ 
zahl aber (darunter 58 Officiere) ſah fich gezwungen, das 
Gewehr zu ftreden, fo daß auch ſämmtliche Fahnen und 


*) Ward 1680 auf Wartegeld geſetzt und ftarb 1685. 

*8) Johann Ufen Keller, urfprünglicy wahrjcheinlich ſchweizeriſcher Abe 
ſtammung, war aus Braunjhmweig-Yünebingifche in heſſiſche Dienfte 
übergetreten und farb 1706 als Generalstieutenant und Gouvere 
neur von Marburg. 

VEN. Band. 9 


126 


Standarten jener Negimenter in die Hände bes Fein 
des fielen. | 

Obgleich, wie e8 fcheint, bald darauf ein Theil der 
Gefangenen wieder ausgemwechjelt, auch mehrere der im Lande 
gebliebenen Eompagnien zur Ergänzung nachgeichickt wurden, 
worunter ſich namentlich auch Die vormals von dem Haupt 
mann Broftrup Jacobſon von Schört befehligte Caſſeler 
Schloßcompagnie befand, jo ſcheint Dadurch der Etat des 
Regiment? Doc nur wieder auf 9, zum Theil jehr 
ſchwache Compagnien gebracht worden zu fein; wie dann 
auch, nach defien zu Ende 1679 erfolgter Rückkehr, der 
Negimentsverband ebenwohl wieder aufgelöjt und die ein— 
zelnen Compagnien in eine völlig felbjtändige Stellung zue 
rüctverfegt wurden. In den Kriegszahlamts-Rollen findet 
man fie wenigjtend abermal$ nur garnifonsmweije aufgeführt, 
und zwar fo, Daß die urfprünglich von dem General-Lieute— 
nant von Geyſo befefjene Eafjeler Schloßeompagnie, welche 
nach teilen Tode erſt dem General-Wachtmeifter Heinrich 
von Uffeln*), dann aber nach deſſen Abgange dem General- 
Wachtmeiſter von Rabenhaupt verliehen, feit 1672 aber zur 
fürftlihen Leib-Compagnie erfärt worden war, bereit8 in ge= 
wiſſer Beziehung einen Vorrang eingenommen zu haben jcheint, 

Das ReutersRegiment unter dem Oberftlieutnant von 
Hornumb fcheint ebenfall® nur in fehr ſchwachen Zrüm- 
mern aus jenem Feldzug zurüdgefehrt zu fein, weshalb 


1679 zwei neue Compagnien Reuter im Lande aufgerich- 


tet wurden, wovon eine, eine Dragoner-Compagnie bildete, 
Erwähnung verdient auch noch, daß in den Kriegs— 
Rechnungen von 1678-1679 zum erjtenmale eine8 Deta- 





*, Heinrich von Uffeln Hatte fich ebenfalls während bes Verlaufes des 
SOjährigen Krieges wiederholt fehr hervorgethan, fo Daß er, nad 
dem Hintritte Geyfo’s, zum Geheimen Rathe, General-Wachtmeifter 
and Oberbefehlshaber der gefammten vaterländifchen Streitmacht 
ernannt wurde. Deflen "ungeachtet trat er bereits 1665 als General⸗ 
Feld-Zeugmeifter in braunſchweig⸗lüneburgiſche Dienfte. 


127 


ſchements Grenadiere beim Regiment Ufm Keller erwähnt 
wird, das unter dem Befehl des Quartier-Meifterd Retz ge= 
ftelit und aus 1 Dfficier (Fähnrich Leopold), 2 Unterofft« 
deren, 2 Feuerwerkern, 1 Tambour, 7 Gefreiten und 30 
HandgranatensWerfern zufammengefeßt war. 

Inzwifchen hatte Landraf Carl ven 12, Auguft 1677 
den heiliichen Fürſtenthron beftiegen. 

Klaren Blickes die Gefahren erfennend, die dem Bes 
flande des deutſchen Reiches und fomit auch der Sicherheit 
jedes einzelnen Gliedes veffelben, durch die rückſichtsloſe 
Herrſchſucht Ludwig XIV. von Frankreich, immer drobender 
zu werben begannen, bemühte er ſich alsbald, fo viel nur im⸗ 
mer in feinen Kräften lag, die zunächit benachbarten Reichs⸗ 
ftände zu einem engeren Aneinanderjchließen gegen denjelben zu 
beranlafjen. In der That gelang e8 ihm auch. fchon 1679, 
vorerſt Die Wetterauifhen Grafen zum Abfchluffe eines 
Echutzbündniſſes zu veranlaffen. Nachdem aber vollends 
noch Ludwig XIV. 1681, mitten im Yrieden, Straßburg 
hatte hinweg nehmen Yaffen, erwarb ſich Landgraf Carl, 
in feiner. Eigenfchaft als Condirector des Oberrheiniſchen 
Kreiſes, nicht nur ein weſentliches Verdienſt um das end» 
liche Zuſtandekommen einer Reviſion der bisherigen Reichs⸗ 
Heer-Matrifel, wonach das Simplum des geſammten Reichs⸗ 
heeres künftighin aus 10,000 Mann ſchwerer Reuterei, 2000 
Dragoner und 28,000 Mann Fußvolk beſtehen ſollte, ſon⸗ 
dern es trug derſelbe auch noch weſentlich dazu bei, daß 
bie Stände des oberrheiniſchen und fränkiſchen Kreiſes aus 
ßerdem ein befondere8 Separat-Bündniß mit dem Sailer 
Leopold abſchloſſen, demzufolge die hierdurch Verbündeten 
fih verpflichteten, außer jenem ihrem Reichs- und Kreis- 
eontingent zum Schutze der Rheinlande gegen bie räubes 
riſchen Eingriffe Frankreichs, erforderlichen Falles jogar 
bi8 zu 70,000 Mann ins Feld zu ftellen *). 


*) Den Traktat fiehe in Lünigs Deutſchem Reichsarchive und Du- 
monts Corps universel diplomatique. T. ll. Fe pag 23. 





128 


Diefe Thätigkeit des Landgrafen veranlaßte Ludwig 
XIV., einen eignen Gefandten nach Caſſel zu entienten. 
Als diefer jedoch den Landgrafen mit dem, den Dienern 
Ludwigs eigenthümlichen, gränzemlofen Uebermuthe und 
Anmaßung zur Nede zu ftellen verjuchte und ihn zu einer 
Erklärung aufforderte, ob er die Bedingungen, die fein 
König und. Herr den zu Franffurt verfammelten Reich8= 
commiffaren bereit8 gejtellt habe, oder noch zu Stellen belie= 
ben möchte, annehmen und fich ſolchen unterwerfen wolle 
oder nicht, Jol ihm Landgraf Carl mit folcher Hoheit und 
Würde geantwortet haben, Daß, als jener Gejandte dieſe 
Antwort dem König Ludwig hinterbracht, Diefer in die Worte 
ausgebrochen wäre: „Mais ainsi ce Prince lä bas, m’a 
donc repondu comme un Roi!” *) Unter derartigen Ver— 
hältnifjen war eine angemefjene Berftärfung der vaterlän- 
diſchen Kriegsmacht zwar doppelt nothwendig, aber auch 
um ſo ſchwieriger auszuführen, als ſolche, wegen der totalen 
Umwandlung des Kriegsweſens durch die immer mehr her— 
vortretende Entwicklung des Feuergewehrs, als ſolche zu— 
gleich auch eine durchgreifende, ſehr koſtſpielige Umgeſtaltung 
in ſich faßte, während anderſeits die dem Lande durch die 
Gräuel des 30jährigen Krieges geſchlagenen Wunden bei 
weitem noch nicht vollſtändige Heilung gefunden hatten, 
audy überhaupt der Landgraf von den Gelbbewilligungen 
ber Stänhe jehr abhängig war. Aber Landgraf Earl war 
ein Fürft, der die feltenften Negententugenden in hohem 
Grade in fich vereinigte. Bedächtig im Entſchluſſe, feurig 
im Handeln, unerjchütterlih in der Ausdauer, war er wie 
wenige geeigenichaftet, auch Die größten Echwierigfeiten 
zu befeitigen So gelang es ihm daher auch, nachdem er 
die bereits feit 1625 zur Unterhaltung ter Landesverthei— 
Digungs-Anftalten eingeführte Grundfteuer — die |. g. Con= 


*) Sonach hat diefer Prinz ba, mir aljo in ber Weife eines Königs 
geantwortet ? | 
N 


129 


tribution — ſchon 1680 durch ein neues Geſetz, hinfichtlich 
einer gleichmäßigeren und gerechteren Veranlagung, neu 
geregelt hatte und jolche Dadurch bei weit geringerem Drucke 
ungleich ergiebiger geworden war, auf einem 1682 abge= 
haltenen Landtuge die zu einer zeitgemäßen Umformung 
de vaterländifchen Wehrweſens erforderlichen ftändigen Geld— 
mittel bewilligt zu erhalten, indem, außer der Erhöhung 
ber monatlichen Contribution auf 16,000 Thaler, die Rit— 
terichaft fich auch noch zu einem bejonderen, jedoch nur 
auf die nächlten 2 Jahre berechneten, Beitrage von jührlich 
24,000 Thaler verbindlich machte *). 

Sn Folge deffen warb auch alsbald die vaterlän- 
diſche Kriegsmacht nicht nur anfehnlich vermehrt, fondern 
derfelben auch eine den Fortfchritten der Kriegskunſt ent= 
fprechende Gliederung gegeben. Was zunäcft den Land— 
ausſchuß anlangte, fo ward folcher fünftighin vorzugsweiſe 
nur noch zur Verjehung des Bejagungd- und Eicherungs- 
dienfted im Lande beftimmt und auf 2 Compagnien Reuter 
und 20 Compagnien Fußvolk normirt, während die, haupts 
fachlich) Durch inländische Werbung zu ergänzende, ſ. g. 


*) Als Maasftab des Erträgniffes der damaligen Landeseinkünfte mag 
Ermähnung finden, daß die monatliche Contribution ober Grunde 
fteuer der Grafſchaft Ehaumburg 1300 Thlr. eintrug, wozu die 
Stadt Rinteln 170 Thir. contribuirte. Die Zahl der von ber 
Nitterfchaft zu ftellenden f. g. Nitterpferbe belief fich auf 153% und 
da man pro Ritterpfer) 42 Thlr. Gelbbeitrag pro simplum ver» 
einbart hatte, jo würde der von ber Nitterfchaft zu Teiftende Geld⸗ 
beitrag ſich eigentlich auf 6440 Thir. pro simplum belaufen haben, 
Bei dem offenbaren Unvermögen ber Ritterfchaft, dieſe Leiftung - 
präftiren zu können, war man jedoch dahin übereingelommen, das 
von berfelben zu Yeiftende Steuerfimplum auf 2000 Thlr. herab⸗ 
zufegen. Da aber von ber Mehrzahl der Betheiligten gegen bie 
desfalls noch ftattfindende, allerdings vielfach gänzlich veraltete Re⸗ 
partition, Reklamationen erhoben wurden, Tounte auch bieler 
ermäßigte Beitrag nur mit großer Mühe und Zeitverluft und 
vielfach nur auf dem Wege ber Erecution beigetrieben werben. 


‘ 


130 


Miliz, oder fiehenden Soldtruppen bereitd Anfangs 1683, 
außer einigen in der Formation begriffenen |. g. Freicom⸗ 
pagnien zu Roß und zu Zuß, in folgende Abtheilungen ſich 
geſchaart fanden, als: 


I. Die Reuterei. 

1) Die fürftliche Leibwache zu Pferd (die heutige Garde 
du Eorp8) 2 Compagnien, deren Gruntitod die 1648 
übrig gebliebene fürftliche Leibwache zu Pferd biltete. 

2) Das Neuter-Regiment te8 Oberften Adolph Rau zu 
Holzhaufen (1819, im Leib-Euirafjier-Landwehr-Re= 
giment enthalten, eingegangen) 8 Compagnien, deſſen 
Grundftod eine Compagnie ded 1679 reduzirten Reu— 
ter-Regiment8 unter Oberft-Tieutenant von Hornumb 
bildete. 

3) Das rothe oder dad Dragoner-Regiment des Grafen 
Auguft von der Lippe-Brafe, 6 Eompagnien (1697 
wieder reduzirt), deffen Gruntftod eine bereitd 1678 
von dem Rittmeifter von Frieſenhauſen errichtete Dra⸗ 
goner-Sompagnie bildete. 


IL. Das Fußvolt. 


1) Das Regiment zu Fuß des Grafen Auguft von der 
Rippe-Brafe zu 8 Compagnien (heutige 1. Bataillon 
des Leib-Garde-Regiments) deſſen Gruntftod die 1648 
in Sold behaltenen 3 Eompagnien bildeten *). 


2) Diefe urfprünglichen 8 Compagnien bes heutigen Regiments Leib» 
Garde waren 1683 folgende, nämlid: 

Die 1fte ober Leib. Compagnie, welche urfprünglich der General- 
Lieutenant von Geyſo zum Inhaber gebabt hatte. 

Die 2te 1659 errichtete Compagnie des Oberſten Johann Chri- 
flian Mob. 

Die Ste 1674 errichtete Compagnie des Oberfilieutenants Aleran- 
der von Wartensleben. 

Die Ate 1682 errichtete Grenabier-Tompagnie des Hauptmanns 
Peter Touffaint, 


131 


23) Das Regiment zu Fuß des Prinzen Philipp von Heſ⸗ 
fen (1813 Regiment von Biefenrodt, 1816 dem Garde 
Grenadier-Regiment einverleibt und fonady in dem 
heutigen 2. Bataillon des Leib-Garde-Regiments ent- 
halten) zu 8 Compagnien, deflen Grundſtock eine 1672 
von dem Hauptmann Dietrich von Hanftein errichtete, 
bisher zur Befakung von Kaſſel verwendete Com⸗ 
pagnie bildete. 

3) Das Regiment Ufm Keller (1713 al8 Regiment Sames 
reduzirt) zu 11 Conipagnien, deſſen Grundftod theil® 
einige bereit8 1659 und 1660, theild einige 1677 
errichtete Compagnien de8 1679 reduzirten Regiments 
diefe8 Namens bildeten. 

4) Drei in der Niedergrafichaft Katzenellenbogen liegende 
Eompagnien, fo wie 

5) Eine Bejatungd-Compagnie zu Marburg. 

Demnach beitand die geſammte Streitmacht ohne den 
Landausſchuß aus 15 Compagnien Neiterei und 31 Com— 
pagnien Fußvolk. Ob und in welcher Weile gleichzeitig 
auch das Geſchützweſen eine Vermehrung und zeitgemäßere 
Öliederung erhalten habe, darüber ift zur Zeit nicht Nä- 
heres zu ermitteln gemwejen, als daß, nachdem 1689 der 
ſchon früher in heſſiſchen Dienften geftandene Oberftlieute> 
nant Broftrup Jacobſon von Schört wieder al8 General- 
Meutenant aus dänifchen Dienften in befjifche Dienfte übers 
getreten und zum Chef der Artillerie ernannt worden war, 
ſolche von 1684 ab definitiv in eine Feld- und eine Gar- 
niſons⸗Artillerie eingetheilt ward, 


Die 5te 1682 errichtete Compagnie des Hauptmanns Wolf Ehri- 
fttan von Schenk zu Schweinsberg. 

Die 6te 1683 errichtete Compagnie des Majors Mori Homberg. 

Die Tte urfprünglich Ziegenhainer Beſatzungs⸗Tompagnie bes 
Dberften Juſtin Ungefug, jett Rotarius, 

Die Ste 1683 errichtete Compagnie des Hauptmanns Johamtı 
von Schwerzel. 


132 


Bei den vielfachen, "bald mehr bald minder dringen- 
den Anläffen zu einer direkten Betheiligung an den gleich- 
zeitigen KriegSbegebenheiten, ſowie bei dem vielfach noch 
unflaren Ringen nach einer alle beabfichtigten Vortheile in 
fi) vereinigende Organifation, konnte es indeſſen nicht 
fehlen, daß eben fo, lange hin, fowohl der Beftand als auch 
die Gliederung jener Iruppenabtheilungen mehrfachen Wech- 
fel erfuhr, 

So 3. B. ward da8 NRauifche Reuter-Regiment jchon 
1684 wieder auf 3 Compagnien vermindert, Dagegen aus 
der von ſolchem abgegebenen Mannjchaft ein neues Reuter- 
Regiment zu 6 Compagnien unter dem Namen Leib-Regi- 
ment zu Pferd errichtet. Als aber von 1635—1688 ein 
Teil jened wieder auf 6 Compagnien ergänzten Rauiſchen 
Regiments, nebft noch einigen Compagnien Fußvolkes als 
Oberrheiniſches Kreiß- Kontingent in Ungarn gegen Die 
Türken zu Felde ftand, wurde 1689 noch ein neued Reu— 
ter-Regiment, unter dem Namen des Grafen von Naflau= 
Meilburg, und 1687 ein weitered unter dem Namen de$ 
Prinzen Wilhelm von Heffen-Rotenburg errichtet. Beide 
Regimenter jedoch bereit3 1688 wieder in ein Regiment, uns 
ter dem Namen Regiment von Kärffenbruch, verjchmolzen und 
dagegen zwei neue Dragoner-Regimenter, Naſſau-Weilburg 
und Wartensleben, jo wie nocy zwei Compagnien Drago— 
ner und eine Compagnie reitender Jäger mit Pirfchbüchien 
errichtet. Lebtere ward indefjen fchon nach zwei Monaten 
wieder aufgelöft und auch jene 2 Compagnien Dragoner 
blieben — wahrjcheinlich al8 eine Art Depot — bi8 zum 
Sahr 1690 unberitten, von wo an folche zuerſt — eben=- 
wohl unter der Benennung Lippe-Dragoner — aktiven 
Theil am Kriege nahmen. 

Ebenjo wurden 1684 die Infanterie-Regimenter ſämmt⸗ 
lich auf 12 Compagnien verftärkt, welche Formation jedoch 
1690 dahin abgeändert wurde, daß folhe von da ab nur 
noch 10 Compagnien zählten, Außerdem ward im Mai 


133 


1684 da8 Regiment zu Fuß des Grafen zur Kippe noch 
befonderd zum Fürftlichen Leib-Regiment zu Fuß ernannt. 
‘ Gleichzeitig wurten, unter dem Namen des Oberften 
von Hanftein und des Grafen von Leiningen, zwei neue 
Snfanterie-Regimenter, jedes ebenwohl zu 12 Compag- 
nien errichtet, wovon das Regiment von Leiningen aber 
bereit8 1685 wieder aufgelöft und Dagegen 1687 durch Ab— 
gabe von Mannfchaften aus fämmtlichen Infunterie-Regi- 
mentern ein anderes Regiment, unter vem Namen Regiment 
be8 Bringen Karl von Helfen *), zu 10 Compagnien und 
1688 in gleicher Weile ein Regiment Erbpriny Fried» 
rich zu 12 Compagnien,.ein Buttlarifches und ein Stock— 
hauſiſches Bataillon, jedes zu 5 Compagnien, fowie eine 
Compagnie FYukjäger mit Pirfchbüchlen errichtet wurden. 
Indeſſen wurde das Buttlariihe Bataillon bereits im 
im Suli 1689 zur Complettirung des aus Morea zurück— 
gefehrten Regiments Prinz Carl und ebenſo auch ter grö— 
fere Theil des Stodhaufiichen Bataillons nad) und nad 
zu ähnlichen Zweden verwendet, jo daß 1694 von letzterem 
nur noch eine Compagnie übrig war, die 1697 reduzirt 
wurde, jo wie ſchon 1689 die Jäger-Compagnie nach kur— 
zem Beſtande ebenfall® reduzirt worden war. 
Sn gleicher Weife wurd ein 1689 zu 6 Compagnien 
neu errichtete8 — Dernthalſches — Bataillon hauptjächlich als 


*), Hierzu gaben ab: 

1. Das Leib-Regiment 4 Hauptl,, 4 Lieut. 4 Fähnr., 20 Unteroff,, 
8 Tamb., 275 Soldaten = 315 Köpfe. 

2. Reg. Ufm Keller 1 Hauptm., 2 Lient., 2 Fähnr., 12 Unteroff., 
4 Tamb., 234 Soldaten — 255 Köpfe. 

3. Regt. von Hanftein 1 Haupm., 2 Lieut, 2 Fähnr., 8 Unteroff., 
3 Tamb., 159 Soldaten — 175 Köpfe. 

4. Regt. von Wartensleben 2 Hauptl., 2 Lieut., 2 Fähnr., 12 Un« 
teroff., 4 Tamb., 233 Soldaten = 255 Köpfe. 

Summa 8 Hauptl., 10 Lieut., 10 Fähnr., 52 Unteroff., 19 Spiell., 
901 Soldaten = 1000 Köpfe. 





134 


eine Art Deppt= oder Rejerve-Bataillon fucceffive zur Com- 
plettirung der im activen Dienfte befindlichen Regimenter 
verwendet, fo daß ſolches 1693 wieder vollig einging. 


Da indeſſen, troß der bejjeren Ordnung der Landes- 
einkünfte, folche gleichwohl nicht außreichten, dieſe anfehnliche 
Vermehrung der vaterländiichen Mehrfräfte dauernd unter 
halten zu können, vielmehr, als der 1685 gegen die Türfen 
zu führende Reichöfrieg zunehmend immer neue Opfer for= 
derte, während ein baldiger Losbruch der von Franfreich 
drohenden Gefahren täglich wahricheinlicher wurde, Die 
Stände und namentlich die Ritterſchaft aber defjenungeachtet 
die zu den deßfallſigen tractatmäßigen Rüftungen erforder= 
liche Erhöhung der Abgaben geradezu verweigerte, jo ent- 
ſchloß fih Landgraf Carl, um ſich die erforderlichen Geld- 
mittel dennoch zu beichaffen, auf einen ihm von der Re— 
publit Venedig gemachten Antrag einzugehen, berjelben, ge= 
gen Gewährung anjehnlicher Subfidien-Gelder, auf2 Jahre 
1000 Mann in Sold zu geben; wozu da8 Regiment Prinz 
Carl beftimmt wurde, 


Sn ähnlicher Weife ward auch im Jahre 1688 mit den 
boländifchen Generalftaaten ein Gubfivien-Traftat über die 
Stellung von 3400 Mann abgeichloffen, wozu das neufor- 
mitte Kärffenbruchiiche Reuters, fo wie das Lippiiche Dra— 
goner= und das Infanterie-Regiment Erbprinz Friedrich 
beſtimmt wurden und bis zum Ryswicker Frieden in dieſem 
Berhältniffe verblieben *). 


*) Das Nähere ber an bie Republik Venedig erfolgten Soldgebung 
anlangend, vermweifen wir auf Pfiſters — der Krieg in Morea 
— woſelbſt auch der betreffende Subfidientraftat ſich abgedrudt 
findet. 

Den mit den holländiſchen Generalftaaten abgeichloffenen Traftat 
haben wir zur Zeit noch nit aufzufinden vermocht. Dagegen 
‚weit eine aus dem Jahre 1687 herftammende Defignation ber 
monatlihen Ausgaben der Kriegslafle Folgendes nad: 


135 


Diefeß das anfängliche Motiv, der fpäter vorzugs⸗ 
weile fo viel verfchrieenen heffiichen Soldgebungen, melde 


Für das Geheime Riga Conegium, 3 Köpfe, 


1. hir. 
monatlih . . . ... 4714 

2. Für die fürſtüche tiömade zu Pfert, 120 Köpfe, 
besgl.. . . 951 
, Für Das Leib⸗ Regiment au pferd, 199 Köpfe, desgl. 1175 

4, Für das Prinz Wilhelm Regiment zu Pferd, 
144 Köpfe, desgl.. .. . 851 

5. Für das Graf von Nafjau Regiment. zu Pferd, 
100 Köpfe, desgl. 2 0 2 0 0 629 
6. Für die Dragoner, 225 Köpfe, desgl. . . .„ 1325 
7. Für das Leib⸗Regt. zu Fuß, 1213 Köpfe . „ 3824 

8 Für den Neft des Ufm-Kellerihen Regts. zu 
Fuß, 612 Köpfe, desg.. - . 1958 

9. Desgl. des Wartenslebenfchen Regts., 612 Köpfe, 
bel. ... 1958 

10. Für bes Rapitaing Hohmann Compagnie, 100 
Köpfe, desgl. . . 299 
11. Bei den alten tebautsa he Gampage 10 Köpfe 44 
12, Bei den neuen u 4 „ 260 

13, Kaſſelſcher Garnifonsftab anf Artilleie, 28 
Körfe. ... 0.0. 204 
14. Ziegenhainer Garniſonsſiab, 22 Köpfe ... 1890 
15. Marburger Garnifonsftab, 16 Köpfe . . - 76 
16. Bejagung der 4 feften Bergichlöffer, 125 Köpfe, 308 
‚17. Schmalfaldifhe Garnifon, 86 Köpfe. - . » 80 
18. Reeption in Et. Goa. 2 2. 2 2 0 0. 6 
19. Wartegelder an 7 Berfonen . 2 2 2.0 72 
20. Gnabengehalte an 9 Berfnen . - 2... 16 
21. Quartal: Gehalte . , oo oo... 50 
22. Für die in Ungarn ftehenden Truppen e 0. 2500 
23. Zulagen an Offiiere . 2 2 2 0 0 02. 121 
24. Oberrheinifche Kreisfoften . . oo 000. 98 
Eumma monatlid . 17,432 


103 
17 


163 


Die Einnahmen an mionatlihen Kontributionen betrugen da- 
gegen nur 16,000 Thlr. und waren außerdem auch noch Febeu- 
tende unftändige Ausgaben, für bauliche Erbaltung ber Feſtun⸗ 
gen, Anfchaffung und Unterhaltung von Kriegsmaterial, fo wie 
ber Sold ꝛc. der in jener Defignation nicht mit inbegriffenen 





136 


jedoch damals um fo weniger irgendwie gegen die Anfichten 
der Zeitgenofjfen anftiefen, als die hierzu beftimmte Mans 
haft nicht etwa zwangsweiſe außgehoben, ſondern vollig 
frei und zwar auf furze Zeitdauer (meift nur auf 4 Fahre) 
geworben ward, und es nicht nur durch Tandesherrliche 
Edikte auf das Etrengfte unterfagt war, fich bei der An— 
werbung ungehöriger Mittel zu bedienen, fondern auch ber 
Landgraf unabläfliche Sorgfalt übte, daß dieſem Gebote 
die gebührende Folge geleiftet wurde. 

Co u. a. erließ er, ald 1717 das Regiment Prinz 
Maximilian zum Kampfe gegen die Türfen in Ungarn in 
faiferlichen Cold gegeben ward, unter dem 4. Mai d. J. 
ein eigenhändiges Reſkript an die zur Mufterung deſſelben 
beftimmten Kommiffare (ten General=Lieutenant v. Kettler, 
die Kriegsräthe Klauer und Müller und den Kriegspfennig- 
meifter Fuhrhans) worin diefe auf Eid und Pflidt 
angewiefen wurden 

„das Regiment — Mann für Mann nach den vor- 

„geichriebenen Fragftüden genau zu examiniren und 

„lich dabei vor Allem wohl davon zu vergewiſſeren, 

„daß Nichts fehle und namentlich Niemand mit 

„Gewalt und Unluft zum Dienfte gezwun- 

„gen worden fei, und erſt wenn dieſes ge- 

„börig feltgeftellt worden wäre, zur Beei— 

„Digung zu ſchreiten.“ 

Wie auch fonft, trotz dem Barbarismus einzelner 
Beftimmungen der damaligen Kriegögefete, damals 
noch der Soldat als ein Ehrenmann erachtet wurde, der 
freiwillig unter die Fahne getreten fei, und fonach dem— 
gemäß behandelt wurde, wird noch weiter an geeigneter 
Stelle beſonders nachgewiejen werden. 


| Truppen-Abtheilungen zu beftreiten, wozu der won der Kitterfchafl 
bewilligte Extra-Beitrag von monatlich 2000 Thlr. natürlich bei 
weiten nicht binveichte, 


137 


Aber auch das bereits Angeführte dürfte wohl hinrei— 
chend erkennen laſſen, daß eine in folder Weiſe zu- 
kmmen gebrachte Truppe denn doch wohl nicht verdient, 
in demjenigen verächtlichen Sinne als Söldlinge und 
verfaufte Sklaven bezeichnet zu werten, wie dieſes 
jo Häufig und namentlich vorzugsweile durch den Geh. Rath 
Echloffer in feiner Gefchichte des 18. Jahrhunderts, be= 
ſonders in Beziehung auf Heſſen-Caſſel in jo hervorftechen- 
der Weile beliebt wird. 

Ja e8 dürfte fogar füglih in Frage zu ftellen fein, 
ob e8 der Ehre des deutichen Namens, jo wie dem Nuten 
des Gefammtvaterlandes nicht entjchieden fürderlicher ge= 
weſen jein würde, wenn, felbft noch in den Tagen der 
Gegenwart ftatt der von fo vielen Einzelnen geübten Reif» 
lauferei zu der franzöfiichen Fremden= und engliichen Krim— 
Legion, ein deutſcher Fürft die Sache hätte in Die Hand 
nehmen, und die Werbetrommel hätte umfchlagen laffen 
fünnen, um in folcyer Weile dem tief im deutichen Volks— 
charakter liegenden Drange nach Friegeriichen Abenteuern 
einen geregelten Abzug darzubieten ? 

An mannhaften, ebrbaren Gefellen, die Luft getra= 
gen haben würden, ihr zu folgen, würde es heut zu 
Tage eben fo wenig, als in ben Zeiten Herrn George 
Frundsbergers, des Landsknechtsvaters, gemangelt haben, 
Man hätte namentlich auch an Offizieren in Bezug auf 
den Eintritt in eine folche deutiche Legion eine reiche 
Auslefe unter den Beften haben Tonnen. Und was eine 
ſo zufammengefegte Deutiche Legion, gut geführt, un— 
zweifelhaft geleiftet haben würte, das dürfte fich aus dem 
abnehmen laſſen, was die Doch hauptjächlih nur aus deut— 
hen Parias zuſammen gejegten Bataillone der franzöſiſchen 
Fremden-Legion — nad) dem gewiß unverbächtigen Zeugs 
niffe verdienter franzöfiicher Offiziere — vor Eonftantine, 
Miliannab und an fo vielen andern Orten in Afrita auch 
ſchon fo geleitet haben. 





138 


Sft es doch ebenmwohl eine Thatſache, daß jene Ba⸗ 
tailfone der franzöſiſchen Fremden-Legion, ein, das Vers 
hältniß ihrer Stärke weit überfteigende® Contingent zum 
Erſatz der fo hoch gepriefenen Zuaven-Negimenter ftellen, und 
fündet nicht minder das jn ganz unverhältnigmäßiger Weife 
ftattfindende Vorherrſchen deutſcher Namen in den Verzeich- 
niffen der von eben jenen Zuaven-Regimentern in bem 
legten italieniichen Feldzuge mit dem Orden der Ehren-Le⸗ 
gion Dekorirten, fo wie die häufig in die deutichen Hei— 
math-Orte ſolcher Zuaven und Turkos gelangende Todes⸗ 
beſcheinigungen von Seiten der franzöſiſchen Militär-Be— 
hörden *), wie viele tüchtige Kräfte dem deutſchen Vaterlande 
in folcher Weiſe fort und fort verloren gehen. 

Wäre e8 zu ermöglichen gewefen, während der langen 
feit 1815 ftattgehabten Friedensperiode, in folcher Weije 
auch für Deutichland, Die in Franfreich fo lebensvoll ge— 
bliebene Tradition — wie e8 im Kriege wirflid her— 
gehtund was ſonach der Krieg erheiſcht, - ebenfalls 
Iebendig zu erhalten, der deutſche Vaterlandsfreund würde 
der nächſten Zukunft mit minderer Bangigfeit entgegens 
bliden können, und das franzöfiiche Heer un einen wefent- 
lihen Bortheil, Den es leider vor und voraus hat, ärmer 
fein. Ja es fragt fih, ob unter dieſer Vorausſetzung nicht 
vielleicht manche bei Magenta und Solforino gemachte, 
traurige Erfahrung erjpart worden fein dürfte? Seden- 
falls ift fo viel gewiß, daß, als die damals — fo wie auch 
heute wieder — Deutihland von Frankreich drohende Ge— 
fahren endlich zum Ausbruche gelangten, das kleine Heſ— 
jen — Dank jenen Soldgebungen — fich in einer mujter= 
mäßigen Weije gerüftet fand. 

Es war nämlich deffen Krieggmacht, zumal für 


*) Wie 3. B. erft noch unlängft aus ſolchem Anlaſſe in der Dorfzei- 
tung die Todesanzeige eines — irren wir nit — aus Rudolftabt 
oder Reuß-Greit gebürtigen Turkos zu leſen war. 


139 


jene Zeit und im Verhältnig der Größe des Landes, nicht nur 
ver Zahl nach eine jehr anjehnliche (außer dem Landausſchuſſe 
ärca 3000 Mann Neuterei und 7 — 8000 Mann Zußvold), 
ſondern e8 war foldhe auch, was deren Außrüftung, Bes 
naffnung und Waffenfertigkeit anlangte, als an der Spitze 
8 Fortſchrittes der Zeit ftehend zu erachten, und hatten ſo— 
wohl deren Führer als auch die Mannjchaft felber, eben in 
jenen fremden Solddienſten, fich bereits eine nicht geringe 
RKriegserfahrung, vor Allem aber durch ihre bethätigte Tapfer- 
keit einen wohlbegründeten und weit verbreiteten Ruhm erwor⸗ 
ben, jo daß das hejjiiche Corp8 bereit3 überall, wo es aufs 
trat, Achtung und Anerkennung feines Triegerifchen Werthes 
fand, 

Sp und in diefer Weife hat denn auch das heffiiche 
Heer, wie wenige andere der Fleineren deutfchen Contingente, 
ſich faſt lediglich durch fich felbft und aus fich felbft heraus, 
dem brandenburgiichen völlig ebenbürtig herangebilvet *). 

Aber auch noch in jeder anderen Beziehung darf der 
beffiiche Vaterlandsfreund, zumal im Hinblide auf daß, 
was gleichzeitig in anderen deutichen Staaten ſich zutrug, 
mit freudigem Stolze auf das zurüdbliden, wa8 und wie 
jolche8 in jeinem Waterlande erreicht und errungen wurde. 


Sp beſaß 3. B. Würtemberg zwar ebenfall8 fchon 
ſehr frühezeitig ein nicht nur ungleich zahfreicheres, fon= 
dern ſogar auch ein noch beſſer bemwaffnetes und nicht 
minder zwedmäßig gegliedertes allgemeined Landaufgebot 
als Heſſen-Caſſel. Es betrug nämlih bei einer 1603 
über das würtembergiiche Landaufgebot abgehaltenen Ge— 
neral= Mufterung, die Zahl der dazu Dienftverpflichte- 
ten nicht weniger als 66,229 Köpfe, worunter fich allein 


*) Wir werben weiterhin ©elegenheit nehmen, bie bei ber heffilchen 
Kriegsmacht ftattfinnenden Einrichtungen desfalls mit ben gleichzei- 
tig, bei der branbenburgifchen und würtembergifhen Kriegsmacht 
fich vorfindenden, Einrichtungen noch beſonders zu vergleichen. 


140 


6878 mit Feuergeiwehren Bemwaffnete befanden; und war 
diefe Mannfchaft auch jehr zweckmäßig, je nach ben ver- 
Schiedenen Alterflaffen, in verjchiedene Aufgebote, und Diele 
wieder in befondere Fähnlein zu Roß und zu Fuß ges 
gliedert. Auch waren in allen Amt3-Hauptorten, um die 
Mannfchaft ſachgemäß zu drillen (d. h. in den Waffen 
zu üben), eigene bejoldete |. g Drillmeifter angeftellt, und 
auch fonft in den feiten Pläßen anſehnliche Vorräthe von 
Geihüg und Munition %. Dagegen feheint dem Ganzen 
aber doch jener ftrenge, wahre und ächte Kriegsgeiſt ge— 
fehlt zu haben, der die gleichzeitige von Landgraf Mo— 
ri erlaffene Wehrorpnung durchweht, vielmehr jchon da— 
mals in Würtermberg allzuviel Gewicht auf eiteles Schaur. 
gepränge gelegt worden zu fein. — 


Eben fo fuchten auch die gleichzeitig mit Landgraf Karl 
über Würtemberg berrichenden Regenten, in Folge ter bes 
harrlihen Weigerung ihrer Stände die zur Unterhaltung 
ftehender Truppen erforderlichen Gelder zu bewilligen, fich 
dieje Mittel durch fait noch umfünglichere Soldgebungen, 
als die heifiichen, an die Republik Venedig und die hol» 
ländiichen Generalſtaaten zu befchaffen, verjtanden e8 je= 
doch bei weitem nicht, das in folcher Weile Erwortene 
nun auch wieder in dem Geiſte weijer Eparfamfeit, und 
mit jener Einficht für das wahre Befte tes Lantes zu ver— 
wenden, wie diejed von Landgraf Karl mit jo großer Mei— 
ſterſchaft geſchah. 

Vor Allem aber, wenn auch die heſſiſchen Stände, 
kaum minder feſt als die würtembergiſchen, in ächt junker— 
lich engherzigem Geiſte — die Hand auf dem Beu— 
tel zu halten liebten, ſo fiel es ihnen doch niemals 
ein, die Pflicht: das Erforderliche an Mannſchaft 
und Geld zu präſtiren, in Frage zu ſtellen, obſchon, 


*) Stadlinger, Geſchichte des würtemberg. Kriegsweſen, Seite 269. 


141 


ms das Erforderliche fei, freilich oft genug zu ben 
ebitterften Streitigkeiten Anlaß gab. 

Demgemäß gaben ſolche denn auch. bereits 1882, 
im richtigen Verſtaͤndniß des Wandel aller Verhältnifie, 
m an fie geftellten Anfinnen des Landgrafen Karl nach 
md genehmigten e8, daß die zur Unterhaltung des vater- 
Indifhen Wehrweſens bejtimmte Grundfteuer oder ſ. g. 
Esntribution in eine ftändige Steuer umgewandelt wurde. 

Die würtembergifchen Stände dagegen hielten, fort 
nd fort, mit der angeftrengtejten Hartnädigkeit, an den Bes 
finmungen des Tübinger Vertrages von 1514 feft, wonach, 
ſo oft das Landaufgebot zum Kriegspienfte verwendet 
wurde, dafjelbe Lediglich au den Einkünften des herzogs 
lichen Kammergutes erhalten werden follte, die Landſchaft 
aber nur alsdann einen Gelbbeitrag zu leiften ſchuldig war, 
wenn Die Unterthanen vom perjönlichen Kriegsdienfte frei 
blieben, 

Da die perfünliche Kriegsdienſtleiſtung aber haupt⸗ 
ſächlich eine die niederen Vollksklaſſen treffende Laft war, 
jo wiberjegten fi) die Stände daher auch grundjäklich 
Allem und Jedem, was nur immer dahin führen Tonnte, 
die Verwendung des Landaufgebotes außer Anwendung zu 
bringen und flatt deſſen die Einführung einer Geldfteuer 
anzubahnen, da Ießteren Falles hauptfächlich fie — die 
Stände — davon betroffen werben mußten. | 

So verweigerten diefelben unter anderen aud) 1634, 
trotz der dem Lande drohenden feindlichen Invaſion, 
eine monatlich auf 55,000 Gulden bemefjene Kriegsfteuer zu 
bewilligen, um mittelft derjelben die nöthigen Werbuns 
gen vorzunehmen und das zum Schube des Landes her» 
beigerufene Corps des Herzogs Bernhard von Sachſen⸗ 
Weimar angemefjen zu verjtärfen, jondern verlangten, 
daß dieſe Verſtärkung lediglich durch das Landaufgebot ers 
folgen follte, 

Dur die hieraus entitandenen Weiterungen ſah 


VEIT. Band, 





142 - 


fih aber Herzog Bernharb gendthigt, dem einbrechenven 
Feinde mit unzureichenden Streitkräften entgegenzutreten. 
Derjelbe erlitt daher auch am 27. Auguft 1634 bei Nördlingen 
eine totale Niederlage, wobei unter anderen von ben 6000 


Mann des würtembergiichen Landaufgebots, womit ſeit 


Heer verftärkt worden war, über 4000 Mann den Taod 


fanden, Außerdem ward da8 ganze Land dem Feinde zur. - 
Beute. und Herzog Eberhard II. vermochte erft 2 Jahre 
nach Abſchluß des Münfterifchen Friedens wieder in. den. 


vollen Befitz feiner Staaten zu gelangen, während Diefe 
inzwiſchen durch. das unmenfchlichite, von Freund wie 
Feind, in ſolchen geübte Wüthen fait zur Einöde geworben 
waren, J 
Denn es ward nicht nur der während dieſes Zeitraums 


dem Lande durch erpreßte Kriegsſteueren aller Art, ſo wie 
duch Raub, Plünderung und Mordbrand, verurſachte 
Schaden auf die, für die damalige Zeit, ungeheuere Summe 


von 118 Millionen Gulden veranſchlagt, ſondern es war 


auch die Bevölkerung durch Morden, Sengen und Auswan⸗ 
derung von 313,000 auf 48,000 Seelen zuſammengeſchmolzen. 

Nur ein einziger Ort im ganzen Lande war von . 
au dieſem Sammer und Clende. verjchont geblieben, da 
nur von jeiner Zinne herab, während dieſer ganzen Zeit, 
das Banner Würtemberg8 unentweiht und fiegesftolz in : 
den Lüften geflattert hat. Diefer Ort aber war die Feſte 
‚Hohentwiel, wo ein aus Ziegenhayn gebürtiger heſſiſcher 
Biedermann — Conrad Wiederhold — den Befehl führte; - 


und fein dem Herzog geleijtete8 Gelübde: 


„Die Sefte unter feinen Umftänden Semanden anders 


#9... 


„als ihm oder feinem rechtmäßigen Nachlommen per- 


„ſönlich zu öffnen” 
‚ganz und gar in jenem, durch Nichts irre zu machenden, 
Geifte wahrer und ächter Hefjentreue zur Erfüllung brachte, 
mit welchem einft auch Edebrecht von Grifte dem. Kands 
grafen Hermann das Schloß Gudensherg, Heinze von 


143 


Lider aber Wiederholds Vaterſtadt, Ziegenhain, dem Lande 
nafen Philipp dem Gropmüthigen erhalten hatte *). 

Sa e8 ift jehr die Frage, ob e8 heut’ am Tage wohl 
uch ein Würtemberg geben möchte, wenn e8 damals kei⸗ 
war Conrad Wiederhold gegeben hätte, indem der Kaifer 
de Burücdgabe der würtembergifchen Lande an den Herzog 
sfänglich hauptlächlich von dem Verfprechen abhängig machte, 
m den Beſitz dieſer noch unbezwungenen Seite einzu⸗ 
säumen **). | 

Gleichwohl vermochte alles dieſes, in Folge der Nörd⸗ 
finger Schlacht über Würtemberg hereingebrochene, Elend 


*) Die Großthat Heinze's von Lüder ift zu befannt, als daß ihrer 
bier naher zu erwähnen nötbig fein möchte. Die Vertheidigung 
son Budensberg anlangend, mag aber Erwähnung finden, daß, als 
1387 der Erzbifhof von Mainz dieſe Fefte belagerte, und jogar 
bie Gemahlin des Landgrafen Hermann perfönlich vor deren Pfor⸗ 
ten erichien und deren Befehlshaber, Edebrecht von Grifte, aufs 
forderte, diejelbe „des lieben Friedens willen zu räumen“ biefer 
berjeiben entgegnete: 

»Gnädige Frau! Hebet Euch hinweg, ober ich laſſe auf Euch 
„einwerfen wie auf den Feind; denn ich getraue mich zu Gott, 
„dieſes Schloß meinem guädigften Herrn zu erhalten bis es 
„Friede wird, dann will ich e8 wie ein Biedermann, Doch nicht 
„eher, verlaffen.” 

“er In dankbarer Anerkennung dieſer großen Berbienfte ernannte Her- 
zog Eberhard Wieterhold aber auch zum Oberften eines Regiments 
zu Fuß und zum lebenslänglichen Gommandanten der von ihm jo 
treu bewachten Feſte, Jowie zum Ober-Bogte von Kirchhaim and, 
Ted, verlieh ihm anjehnlihe Güter und ließ ihm auch, nad 
feinem 1663 erfolgten Abfterben, zu Kirchhaim ein prächtiges Grab» 
denfmal feßen, das in den 1830er Jahren erneuert und mit 
folgender ehrenvollen Inſchrift verjehen ward: 

Der Kommandant von Hohentwiel 
Feſt wie fein Fels, der niemals fiel, 
Der Feinde Tort 
Der Armen Hort. 
Ein Bürger, Held und Ehrift wie Gold 
So ruht hier Konrab Wiederhold, 
10* 


144 


e8 aber doch nicht zu bewirken, ben ſchwäbiſchen Kreis⸗, To 
wie den würtembergiichen Zand-Ständen zu einer befjeren 
Einfiht in Bezug auf. die Erforderniſſe einer erfolgreichen 
Zandesvertheidigung zu verhelfen. 

Es hatte dieſes jedoch zur Folge, daß während ve 
1674 mit Frankreich ausgebrochenen Reichskrieges dag Land 
nicht nur abermals, faft wehrlos, den Raubzügen der fran⸗ 
zöſiſchen Befagungen in Philippsburg und Freiburg fich 
preißgegeben fah, jondern daß auch die desfalls im Winter 
16°°/,, zu deſſen Schuße daſelbſt in Winterquartiere ver- 
legten Reichsvölker eine fo übele Mannszucht beobachtes 
ten, daß der hierdurch erwachſene Schaden und Koftenaufs 
wand ebenmwohl wieder auf etwa 8 Millionen Gulden ver⸗— 
anichlagt wurde, während für Die Hälfte Diefer Summe, 
die allerbrillantefte Wehrverfafjung hätte eingeführt werben 
fönnen. 

Aber auch felbjt nach dieſer Erfahrung ward von 
Seiten der Stände: die endlich durch Reichstagsbeſchluß 
vom 21. Mai 1681 ind Werk gejegte Verbeſſerung der 
Reichsheer⸗Matrikel nur mit Wehllagen vernommen, und 
vermweigerten jolche, troß der täglich deutlicher hervortretenden 
Anzeihen der Eroberungsgelüfte Ludwig XIV., hartnädig 
die Mittel, eine größere Zahl von Solbtruppen erhalten 
zu Tünnen, als das gegen die Türken ins Teld geftellte 
Kreis-Eontingent erheifchte. 

In Folge deſſen juchte zwar der, über den minderjäh- 
rigen Herzog Eberhard Ludwig die Bormundichaft führende, 
Herzog-Adminiftrator, Friedrich Karl — gleich wie auch 
vom Landgrafen Karl geihah — durch einen 1687 mit 
der Republik Benebig abgejchloffenen Subſidien-Vertrag 
über Soldftellung von 4000 Mann Fußvolk und einen 1688 
mit den holländiſchen Generalftaaten abgefchloffenen Vers 
trag über Solpftellung von 900 Reitern, fich ebenfalls einen 
verfügbaren Kriegsſchatz zu bilden, da jeboch hierdurch auch 


145 


noch die letzten Refte der vorhandenen Solbtruppen außer 
Landes gezogen wurben, fo fand ſich, als endlich im Sep- 
tember 1688 der franzöfiiche Dauphin an der Spibe eine 
Heeres plöklich in die Pfalz einbrach, und mehrere Streif- 
corps plündernd und verwüftend über den Rhein und nach 
dem Schwarzwalde hin entjendete, das Land abermals völlig 
wehrlos. Denn weit entfernt, biergegen wenigſtens das von 
ihm ſonſt bei allen Gelegenheiten jo hochgeprießene Land⸗ 
aufgebot zu den Waffen zu rufen, glaubte ber, den |. g. 
Vormundſchaftsrath bildende, ſtändiſche Ausſchuß nur noch 
in der feigften Unterwürfigfeit das einzige Heil zu finden, 
und Tieß Daher die Unterthanen noch allenthalben beſonders 
ermahnen, die Franzoſen ja nicht etwa durch verjuchten 
Widerftand noch mehr zu reizen. 

. - Demgemäß fanden dieſe denn auch nicht das mindeſte 
Hinberniß, allenthalben die unerjchwinglichften Brandichagun- 
gen und Requifitionen auszufchreiben und jede ihnen belie- 
bige Greuel zu üben. Ja fogar bie Mehrzahl der feiten 
Plätze, als namentlich das Schloß zu Tübingen und die 
Feſte Hohenajperg fielen ihnen, in Folge der Drohung, an- 
beren Falles Stuttgart in Brand fteden zu wollen, ohne 
Schwertftreich zur Beute. 

Nur der Commandant von Schorndorf, Peter Krom⸗ 
ar, weigerte im Geifte Conrad Wiederholds, der ihm 
durch den Bogmundichaftsrath zugefommenen Weiſung, dieſe 
Feſte Dem vor derſelben erfchienenen Marſchall-de⸗Camp 
Melac zu öffnen, Folge zu geben. 

Indeſſen würbe auch er, bei der ſchwankenden Gefin- 
nung des Magiftrates, jchwerlich haben Yange Wiberfiand 
leiften können, wenn nicht die über die Feigheit ihrer Män— 
ner auf das Aeußerſte entrüfteten Weiber (die Gattin des 
Bürgermeifters Kinfele und des Hirfchwirthes und Gerichts⸗ 
Beifigerd Kabenftein an der Spite) in einen fürmlichen 
Aufftand ausgebrochen wären und jeben. mit dem Zope 


146 


bedroht hätten, der e8 wagen würde auf Uebergabe anzu⸗ 
tragen *). 

Ebenfo weigerte fih, gleichfalls zum Theil durch 
ihre Weiber dazu angeregt, die Bürgerjchaft von Göppin⸗ 
gen, den feigen Geboten des Bormundichaftsrathes Folge 
zu geben, wie benn überhaupt niemal® am deutichen Volke, 
fondern lediglich nur immer an defjen Leitern und Lenkern 
- bie Schuld gelegen hat, wenn e8 feinen Bebrängern nicht 
ftet8 und überall den mannhafteften Widerftand entgegen 
geſetzt hat. 

Würde doch felbft in den 1790er Jahren den 
Schaaren der Neufranken ganz füglih die volle Kraft 
und Macht eines Volksaufgebotes haben entgegen geſtellt 
werden fünnen, wenn ander8 die Regierungen dazu nur 
das erforderliche Geſchick und ven Muth beſeſſen hätten. 

Denn nicht nur der heifiiche Volksftamm und nament⸗ 
lich die Bevölkerung der Grafihaft Hanau zeigte ſich vom 
beiten Geifte befeelt, fondern auch überall andermwärts fehlte 
e8 nicht am erhebenden Beifpielen zur Nacheiferung. Sp 
unter andern zeichneten fich die Bürgerjchügen Freiburg 
durch ihren Muth aus, fehlte ſelbſt dem Mainzer Lands 
ſturm nicht der gute Wille, fondern nur die entiprechende 
Zeitung, um Erfolgreiche8 zu bewirken, wie nicht minder 
auch aus dem kurtrieriſchen Landfturm 1794 durch den 
dfterreichiichen Hauptmann Schulz von Rothacker, ein 500 
Mann ftarkes mobiles Bataillon auserlefen ward, welches 
an den Feldzügen von 1795—96 den rühmlichiten Antheil 
nahm, während ebenſo auch, das Landvolk im Luxembur⸗ 
gifchen, obgleich ohne alle Unterftügung gelaffen, langehin 
den erbittertften Kampf unterhielt, insbeſondere aber faft 
die geſammte männlide Einwohnerichaft von Dudeldingen, 
im Mai 1793, in Folge der heldenmüthigen Vertheidigung 
ihres gegen die Angriffe des Feindes verbarrifadirten Hei- 
maths⸗Ortes, den rühmlichiten Untergang fand. 

*), Stablinger ©, 339 u. ſ. w. . 





147 


Um fo fehmerzlicher dagegen, daß in Deutichland 
zwar noch alle Zeit nur allzuviel blühende Jugendkraft, 
sit um geringer Verirrungen halber, hinter Kerfermauern 
verwelft und verfommen ift, während Zälle, wo wahre 
und wirkliche DVerräther an Ehre, Treue und Vaterland 
mr gebührenvden Strafe gezogen worden find, nur ſehr aus⸗ 
nihmsweiſe vorfommen. 

Möge das in Zukunft ander8 werben, denn es ift 
simmer gut, wenn, während der bloß Irrende keine Ver: 
zeihung zu hoffen, der moraliich Schlechte feine Strafe zu 
fürchten hat. 

Auch in Würtemberg fand das elende Verhalten bes 
Vormundſchaftsrathes Damals nicht die gebührende Ahn— 
bung. Glüdlih genug, daß e8 dem Herzog-Adminiftrator ' 
wenigſtens gelang, an der Spike einiger bei Ulm gejam- 
melten Reichsvölker noch zeitig genug zur Hülfe herbeizu- 
Iommen und die bereit8 von Seiten der franzöfifchen Heer- 
führer beichlofjene Plünderung und Einäfcherung der vor= 
nehmften Orte des Landes zu verhindern, indem folche 
dadurch veranlaßt wurden, eiligft über den Schwarzwald 
zurückzuweichen, zumal da8 Landvolk, durch die erlittenen 
Mißhandlungen in Verzweiflung verfegt, überall in vollem 
Aufruhr ausbrach und mitleidlos alle Franzoſen, welche 
ihm einzeln in die Hände fielen, mafjafrirte, Aber der dem 
Lande durch die feindliche Invaſton verurfachte, abermals 
auf mehrere Millionen fich belaufende, Schaden vermochte 
dadurch doch nicht erfeßt zu werben. 

Gleichwohl wieſen die Stände auch jet wieber einen 
Antrag des Herzogs⸗ Adminiſtrators: 

‚Aus dem, zu einem nachhaltigen Widerſtande offen⸗ 
„bar nicht mehr geeigneten: Zandaufgebote, eine nur 
„aus ledigen Männern zufammengejegte reguläre 

„Land miliz zu formiren und ſolche mit kriegserfah⸗ 
„renen, beſoldeten Offizieren und Unternffizieren zu 
„verjehen.” 





148 


(wer ſollte es wohl glauben?) ausdrücklich um deshalb 
zurück: 

„Weil durch dieſe Einrichtung die Rechte der Un— 

„tertbanen, welche nur in wirflihen Nothfällen 

„auszuziehen verpflichtet wären, auf das Empfindlichfte 

„verlegt und ben Landesverträgen, der Verfafjung und 

„den — unfürdenfliden — Herkommen ftrad8 

„gegen gehandelt werden würde *). 

Sn der That fand, in Folge diefer fortgejegt zwiſchen 
der Regierung und den Ständen ſich fortfpinnenden Strei- 
tigfeiten, in Würtemberg, und zwar auch jelbft da noch nur 
mit halber Gewalt, die Einführung ftehender Truppen erft 

im Sabre 1724 ftatt. 

Aber gleichiwie bis dahin durch die unverftändigen 
Anſchauungen der Stände von den Rechten der Untertha= 
nen, oder vielmehr durch deren Eigenjucht, Tieber das Blut 
des Volkes, als die Befteuerung ihrer Güter zu bewilligen, 
\o viel Elend, Schmach und Schande über das von Gott 
ſonſt jo reich gejegnete Land heraufbeichworen worden war, 
ebenso ward auch, nachdem die ftehente Krieggmacht ein- 
geführt worden war, jolche nunmehr von Seiten der Re— 
gierung mehr denn irgend anderswo — faſt nur miß- 
braucht. So u. a. fand die über den minderjährigen Her- 
309 Karl Eugen niedergefeßte vormundichaftliche Regierung 
nicht das mindefte Bedenken, in den Jahren 1737—42, 
jowohl an Defterreich 1 Reiter- und 2 Infanterie-Regimen⸗ 
ter, als auch an Preußen 1 Dragoner- und 1 Sinfans 
terie-Regiment nicht etwa bloß in Sold zu geben, ſondern 
folhe an diefe Mächte in optima forma ganz ebenfo mit 
Haut und Haar, Montur und Waffen und Sattel und 
Zeug zu verlaufen, wie man nur irgend ein Pferd mit 
Sattel und Zeug verkauft. 

Nicht minder ging Herzog Carl Eugen, nachdem 


*) Stablinger ©. 342. 


| 
| 


149 


er feihft zur Regierung gelangt war, auf ein ihm bereits 

1752 gemachtes Anerbieten, 
gegen Erſatz aller Koſten und anfehnlicher jährlicher 
Subfidien, 6 Jahre Yang ſtets 6000 Mann feiner 
Truppen zum Dienfte für? die Krone Frankreich 
und zwar der Art marjchbereit zu halten, daß dieſe 
berechtigt wäre, folche aus dem Dienfte des einen in 
jenen eined anderen ihrer Verbündeten übertreten zu 
laſſen, 

auf das bereitwilligſte ein. | 

Als aber der 7jährige Krieg ausbrach und ber fran⸗ 
zoͤſiſche Commiſſar Potier in Stuttgart erfchien, um in Folge 
jenes Traftate jene 6000 Mann zum fchleunigften Aus- 
marjche zu mufteren, während gleichzeitig durch Reichdtags- 
beſchluß, das 1728 Mann ftarfe würtembergifche Contin⸗ 
gent zur Reichs-Armee aufgeboten wurde, betrug die wirl- 
lich vorhandene Zahl an Truppen gleichwohl kaum 3000 
Mann, benen ed noch dazu an Allem, ſowohl an Waffen, 
als Ausrüftung und Montirung mangelte, indem Herzog 
Karl, in Folge feiner Verſchwendungsſucht, ſowohl die für 
den Militärftaat beftimmten Landeseinfünfte, al8 auch jene 
franzöfifchen Sold⸗ und Subfiviengelder zu feinen farbana- 
saliichen Bergnügungen verwendet hatte. 

Somit ward denn auch jegt nicht nur die zur Mobil- 
machung jener Truppenzahl erforderlide Mannichaft, Tone 
dern auch das dazu nöthige Geld u. ſ. w. troß alles Pro- 
teflirend und Lamentirens der Stände, mit Äußerfter Härte 
ohne weitere vom Lande erpreßt, Auch wurde i. J. 1758 
jener Vertrag nicht nur abermals auf 6 Jahre erneuert, 
fondern fogar noch weiter auf Die Stellung von 12,000 Mann 
außgebehnt, und von dem mit der desfalliigen Aushebung 
beauftragten Günftling des Herzogs — dem Major Rieger *) 

*) Späterhin als Commandant von Hohenasperg beurfunbete Rieger 
nicht minberen Eifer, wie früher für den Herzog Soldaten, nun⸗ 
mehr, zum Theil mit benjelben Mitteln, für bie orthobore Kir⸗ 


150 


fein Mittel gefcheut, die erforderliche Mannichaft zuſam⸗ 
men zu bringen, fo daß die in Folge deſſen geübten em— 
pörenden Gewaltthätigfeiten bald feine Grenzen mehr fan⸗ 
den *). 

Mährend nun in Folge deifen bei der alſo ausge— 
hobenen Mannichaft nicht nur eine mafjenhafte Deſertion, 
jondern vielfach auch noch offene, nur mit blutigfter Strenge 
niederzufchlagende, Meuterei ftatt fanden, da, wie die Leute 
Hagten, „te nicht bloß wie Stlaven gewaltfam gepreßt und 
mit Schlägen unmenjchlich mißhandelt worden wären, fon 
bern nun auch noch gezwungen fein jollten, für eine 
fremde Macht gegen den Beichüger ihres Glaubend zu - 
fechten“, fo war auch ihre Theilnahme an den Begebenhei- 
ten des 7jährigen Krieges ſelbſt, eine eben jo wenig glück 
liche, als ruhmvolle. Denn gleichwie die bei der öfterreichi- 
ſchen Haupt-Armee eingetheilten 6000 Dann des erften Aus⸗ 
zugs in der Schlacht bei Leuthen faft vernichtet wurden, 


henlehre Gläubige zu refrutiren, in Folge deffen namentlich auch 
der unglüdlihe — als Staatsgefangener zu Hohenafperg eingeler- 
ferte — Dichter Schubarth fo viel zu leiden hatte; wie denn übers 
haupt ein religiös-fanatiicher Soldat wohl zu den jchredlichften 
Geifeln zu rechnen ift, womit bie Menfchheit gepeinigt werben fan, 
Sehr wahr und treffend äußert fih daher auch K. von Rein⸗ 
hardt (Lieyitenant im k. p. 1. Garde⸗Regiment zu Fuß) in feinem 
vortreffliden Schriftehen — Ich dien — in diefer Beziehung dahin: 
„Für die Soldatesfa des Glaubens gibt e8 feinen Halt, keine 
„Schrante, kein Gewiſſen. Sie fehredt wor nichts zurüd 
„geichieht e8 nur unter dem Banner der reinen Lehre ad ma- 
„jorem dei gloriam. Denn wenn jelbft der entartetfte und fila- 
„viſchſte Menſch im Dienfte eines Tyrannen eine Grenze der 
„Schlechtigkeit erreicht, jenſeits welcher fein Gewiſſen fich nicht 
„mehr durch den erhaltenen Befehl hinreichend gegen Die Ber» 
„geltung Gottes ficher fühlt, fo findet die Tyrannei im Bunde 
„mit dem religidjen Fahatismus Dagegen zu jeder Schanbthat 
„Werkzeuge, denn unter dieſem Mantel birgt ſich jede Gier, 
„jede Mache, jede Leidenſchaft und jede Grauſamkeit.“ 
*) Stablinger ©, 429, ur 


151 


fo erlitt auch der zweite, Der Armee unter dem Prinzen 
son Soubiſe zugetheilte, Auszug im Feldzug von 1759, 
unter erfolgreichiter „Mitwirkung einiger heſſiſchen Abthei⸗ 
lungen, als namentlich des Leib-Dragoner-Regiment8 (heus 
figen 1. Sufaren-Regiment8) bei Fulda eine Hägliche Nie— 
berlage. 

. Mm fo mehr muß e8 freilich Wunder nehmen, wie, 
ſolchen Thatſachen gegenüber bezüglich der GSoldges 
dungen deutſcher Truppen in fremde Dienfte, allgemach 
Seen gleichſam als alleiniger Repräfentant dieſes Ver⸗ 
ſahrens hingeſtellt, und wie insbeſondere die von Seiten 
Heſſen⸗Caſſels während des amerikaniſchen Krieges an die 
Krone England erfolgte Stellung von Soldtruppen gerade= 
zu nur als Menichenhandel bezeichnet wird *), 

Wenn nämlich) die von Heflen-Cafjel an Die Krone 
England gewährten Soldgebungen, wie aus jämmtlichen 
Traktaten nachweisbar, in mehrfacher Beziehung als Aus⸗ 
füfje, einer feit den Tagen Landgraf Carls zwiſchen beiden 
Staaten ununterbrochen unterhaltenen Art von DOffenfiv- 
und Defenfiv- Allianz fich barftellen **), jo hatte Dagegen 


*%) Allerdings wirb bin und wieber and Würtemberg, indeſſen haupt» 
fählich Doch nur wegen bes von ihm 1786 den holländifchen Ge⸗ 
neralftaaten in Sold geftellten f. g. Cap-Regiments, ebenfalls heftig 
angegriffen; feltfamer Weife war aber (nach den gewiß volllommen 
begründeten Angaben Stablingerse S. 454) die Werbung für bie- 
ſes Regiment nit nur eine vollftändig freiwillige, ſondern es 
bielt der Herzog Karl Eugen, vor befien Abmarjche, fogar auch 
noch eine perjönliche Anſprache an daffelbe, worin er bie Zufiche- 
rung gab: daß wer nit freiwillig marfchieren wolle, 

‚ zurüdbleiben könne. Indeſſen hätten nur wenige won biefer 
Geftattung Gebrauch gemacht, dagegen fei e8 allerdings vielfach vor- 
gelommen, daß die zahlreich angemworbenen Ausländer, nachdem 

ſolche bas empfangene ziemlich hohe Hanbgelb verfchwelgt, zu de⸗ 
fertiren vwerjucht hätten, was daun zur Berhängung firenger Stra- 
feh Veranlaſſung gegeben habe. 

22) Daß der, während ber Dauer bes Tjährigen Krieges zwiſchen Eng⸗ 


152 


jene Soldgebung würtembergiicher Truppen an die Krone 
Tranfreich fein anderes Motiv, als daß der, nach der Sanb 
gleichwohl als Schöpfer der hohen Karlsſchule zum Theil 
ſo hoch geprießene, Herzog Karl Eugen ſich in keiner ande⸗ 
ren Weiſe die zu ſeinen ſardanapaliſchen Ausſchweifungen 
und Verſchwendungen erforderlichen Geldmittel zu beſchaffen 
wußte. 

Mit welcher Frivolität er dabei übrigens auch ſonſt 
noch zu Werke ging, erhellt unier andern daraus, daß er, ob⸗ 
jchon eigentlich ein enthufiaftiicher Bewunderer Friedrichs, Die 
fonach gleichwohl zur Herbeiführung von deffen Untergang 
hergeliehenen Truppen vor ihrem Abmarfche zugleich auch 
noch — bis auf die geringfte Kleinigkeit herab — genau nad} 
preufifhem Mufter, ganz neu uniformiren ließ. 

Das Gefühl des deutſchen Baterlandsfreundes muß 
fich durch Alles das aber um fo tiefer verlegt finten, als 


land und Heſſen abgefchloffene, Subfivien-Traftat zugleich im We 
fentlihen ein Affefurazions-Sarantie-, reſp. Offenfiv- und Defenfto- 
Traltat war, wird durch die in nenerer Zeit über dieſe Geſchichts⸗ 
Periode veröffentlichten Correfponbenzen des Herzogs von Braum- 
fchweig, Weſtphals u. A. noch vollends unwiderlegbar nachgewiefen. 
Ebenſo erhellt aus dem Subfidientraftate von 1793 (S. v. Ditfurth, 
die Heffen in den Feldzügen von 1733 Bd. J. S.217 ff.) daß der⸗ 
felbe nicht bloß ein folher, fondern eine ausdrüdliche Erneuerung 
jenes |. g. Garantie-Traltates war, fo wie man denn auch heſſi⸗ 
ſcher Seite die der Krone England geftellten Soldtruppen berfelben 
durchaus nicht zur beliebigen Berwendung, fondern zu beftimmt 
ausgeiprocdhenen, im gemeinfamen Intereſſe liegenden Zwecken 
überließ (S. 200 d. 1. B.). Hinfihtlih der Verwenbuug ber 
Subfidiengelder aber vergleiche man das hierüber im 1. B. S. 8 
u. ©. 523 d. 2. 2. jenes Werkes Angeführte, 

Ueber die Soldgebung während des amerifanifchen Krieges wirb 
eine — boffentlih in aller Kürze — von einem hochbegabten va⸗ 
terländifden Schriftfteller veröffentlicht werdende Geſchichte ber 
Teilnahme der Heffen an den Feldzügen in Amerika ausfübhr- 
Jidde, die bisherigen Anſchanungen weſentüch berichtigende · Mitthei- 
lungen erbringen. 


153 


bei dem, den ſchwäbiſch-allemanniſchen Volksſtamm befees 
Inden und nicht zu vertilgenden, wahren und ächten 
Kriegsgeifte, unter anderen Werhältniffen, bei minderer 
faatlicher Zerfplitterung und wenn zur rechten Zeit nur 
immer auch die rechten Männer an der rechten Stelle fich 
- befunden hätten, die Gejchichte gerade eben diejer Land— 
ſchaft vorzugsweiſe reich an den ruhmreichiten Beifpielen 
jur Nachahmung hätte werden mögen. 

Allerdings ift auch die heſſiſche Vaterlandsgefchichte 
nicht frei von Dunkeln Schattenfeiten. Namentlich hat der 
beffiiche Patriot oft genug allen Anlaß, fich von wehmuths⸗ 
voller Trauer ergriffen zu finden, wie fo oft die nahe lie— 
gende Gelegenheiten, wodurch die Mucht und die Blüthe 
des Landes weſentlich hätten gefteigert werden können, 
ſo gänzlich. verfäumt wurden; während der Kosmopolit, 
vielleicht nicht immer ganz mit Unrecht, e8 beflagen mag, 
daß ob des allzu ftreng fpartantichen Gepräges, welches 
eben durch jene Soldgebungen dem ganzen Volkscharakter 
aufgebrädt wurde, mande Blüthe der Kunft und Kultur 
kon im Keime wieder zum Wellen gebracht wurde. 

Aber wie dem auch fein mag, das mwenigftens hat ber 
Forſcher der heifiichen Waterlandsgeichichte vor fo vielen 
Andern voraus, daß er nicht zu fürchten hat, auf Dinge 
zu fioßen, ob deren Enthüllung der Patriot oder ber 
Menichenfreund in Wahrheit erröthen müßte. Jeden 
Falles find ſolche Abfcheulichkeiten und ein folches fcham- 
und ruchloſes Mitfügentreten jeden Menjchenrechtes, wie in 
Folge jener würtembergiichen Solögebung an die Krone 
Frankreich unter den Aufpizien Riegerd Statt gefunden, in 
Seffen niemals vorgefommen. — Und eben fo ift aud 
die heſſiſche Kriegsſchar niemals — wie befonders un- 
ter Karl Eugen in Würtemberg — entweder nur Waare 
sder Spielzeug fürftlicher Laune, fondern ftet8 ein nach 
befter Einficht ihrer Wehrherrn forgfam gehegter und 


154 


gepflegter, Achtung gebietender Wehrkörper, das allezeit 
edelſte Kleinod in der heifiichen Fürſten-Krone geweſen. 

Darum ſo ſehr Heſſen-Caſſel in Bezug auf die Ges 
ſchichte feiner flaatlihen Verhältniſſe auch zu den beſt— 
verläumdeſten Staaten in Europa zu zählen fein mag, 
der Kenner der heifiichen Vaterlandsgeſchichte darf gleich 
wohl aus voller Meberzeugung im Großen und Ganzen 
mit dem freudigften Stolze auf folche hinbliden. 

Se augenfcheinlicher aber folhe Rückblicke auf uns 
ſere ruhmvolle Vergangenheit für den heſſiſchen Patrioten 
täglich mehr zu einem unabmweisbaren Bedürfniſſe fich ges 
ftalten, damit der wahre und Achte alte Hefjfengeift, ſo 
wie überhaupt Muth und Kraft bewahrt bleiben, um fo 
weniger werben e8 und Billigdenfende verargen Tonnen, 
wenn wir feine Gelegenheit vorübergehn laſſen, zwar nicht 
immer wirklich übelwollenden, gleichwohl ihrer Natur nach 
aber doch wefentlich verläumderifchen Traditionen und Des 
Hamationen über die Zuftände diefer unferer Vergangenheit 
mit Energie entgegen zu treten, und durch Anführung 
draftiicher Beiſpiele und Bergleihe an das Sprichwort 
vom Splitter und Balken zu mahnen, 

Ganz bejonder8 aber darf der heifiiche Patriot mit 
freudigftem Stolze auf jene Zeitperiode, welche der Gegen 
ftand diefer Abhandlung ift, hinweilen; denn wo wäre 
damals ſo weit Die deutihe Zunge reichte, mit alleiniger 
Ausnahme Brandenburgs, ein deuticher Staat zu finden 
geweſen, der im Verhältniß feiner Größe und: Einwohner 
zahl mehr zur Wahrung der Ehre und Sicherheit Deutich- 
lands beigetragen hätte, als das Leine Heſſen? 

Es beftand nämlih, als das fo lange ſchon von 
Frankreich aus drohende Unheil endlich im September 1688 
zum Ausbruche gelangte, die vaterländiſche Krieggmacht, 
in Folge der bereits ſchon zum Xheil angedeuteten Vers 
änderungen in derſelben, zunächſt aus folgenden einzelnen 
Abtheilungen als: 





155 


1. Die Reuterei. 


1) Auß der fürftfichen Leibwache zu Pferde (die heutige 
Garde du Corps), 2 Compagnien Harnijchreuter 
zufammen 167 Köpfe flarf, deren eine, von dem 
Oberftlieutenant Heinrich von Baumbach kommandirt, 
mit Schimmeln, die andere, von dem Major Franz 
Dietrich von Ditfurth kommandirt, mit Rappen berit» 
ten war, die jedoch, nachdem 1693 der zum Briga— 
dier beförderte Oberft Friedrich von Kettler zu deren 
Komandeur ernannt worden war, auf einen Etat von 
2 Nittmeiftern, 2 Lieutenantd, 2 Cornet3, 10 Unter- 
offizieren, 1 Pauker, 4 Trompetern und 130 Gemei- 
nen herabgefegt wurde, 

2) Aus dem Leib-Regiment zu Pferde zu 6 Compagnien 
Guiraffiere = 360 Köpfe unter dem Kommando des 
Oberſten Bernd Siemon von Käarſenbruch (ſpäter 
Regiment Gendarmen und 1819, als im Leib— 
Cuiraſſier-Landwehrregiment enthalten, eingegangen.) 

3) Aus dem vormals Rauiſchen jetzt Epiegelichen-Eui- 
raſſier-Regiment zu 3 Compagnien circa 180 Köpfe, 
welche als heſſiſches Eontingent einen Theil des in 
Ungarn zu Felde Ttehenden oberrheiniichen Kreis-Re— 
giments zu Pferde bildeten, nach deren BZurüd- 
funft aber wieder auf 6 Compagnien Tomplettirt 
wurden, (zuletzt Regiment Carabinierd und 1819, 
ebenwohl als im Leib-Euiraffier-Landwehr-Regiment 

e enthalten, eingegangen.) 

4) Aus dem Kärfenbruchiichen Euiraffier-Regiment, wel⸗ 
ches in 10 Compagnien circa 720 Köpfe ſtark war 
und, im Solde der holländischen Generalftaaten ftehend, 
1697 nach Endigung des Kriege reduzirt wurde. 


5) Aus dem Lippiichen oder rothen Dragoner-Regiment 
zu 6 Sompagnien, eitea 424 Pferbe, unter dem Kom⸗ 
mando des Majord Hans Heinrich von Boyneburg; 


1858 


ermitteln war, beichränkt fich darauf, daß den 1690 im 
Felde befindlichen Truppen, nach Ausweis der Kriegs⸗Rech⸗ 
nung, ein |. g. Feld-Artillerjeſtab von 1 Hauptmann 
(Hartmann), 1 Lieutenant, 1 Stüdjunfer, 2 Eorporalen, 
16 Conſtabels, 2 Tambouren und 32 Handlangern, jo wie 
1 Zeugwärter, 1 Wallmeifter, 12 Handwerkern, 6 Fou= 
rieren und Schreibern und 1 Profoß mit 1 Steden- Knecht 
zugetheilt war, und daß im Kriegsjahr 1696 diefer Felb- 
Artillerieftab ebenwohl aus 1 Stüd- Hauptmann (Hart- 
mann), 1° SchanzsHauptmann (Leopold), 1 Stüdjunter 
(Groͤſſel), 5 Feuerwerkern, 1 Brüdenmeifter, 11 Hand- 
werkern, 4 Unteroffizieren, 12 Conftabel8 und 24 Hand- 
Yangern beſtanden hat, gleichzeitig aber auch noch ein Gar- 
niſons⸗Artillerieſtab befand, wovon 1 Oberſtlieutenant 
(Schört), 1 Stüdhauptmann (Conſens), 1 . Stüdjunfer, 
1 Oberfeuerwerfer, 1 Petardierer, 1 Stüdgießer (Köhler), 
5 Unterbediente und Schreiber, 11 Conſtabels und 20 
Handlanger zu Eaffel, 1 Stüdjunfer (Spangenberg), 3 
“ Unteroffiziere, 23 Conſtabels und 11 Handlanger zu Rhein- 
fels, 1 Unteroffizier, 10 Conſtabels und 2 Handlanger zu 
Marburg, und 1 Unteroffizier und 3 Conftabel® zu Bies 
genhain fich befanden, und fomit das gefammte Artillerie 
Corps aus nicht mehr als 7 Offizieren, 14 Feuerwerkern 
und Unterbedienten, 9 Unteroffizieren, 59 Conſtabels und 
57 SHandlangern beftanden zu haben jcheint. | 

Wie viel Geſchütz fich bei dem Feldartillerieſtabe be= 
funden hat und von welchem Kaliber ſolches geweſen iſt, 
darüber fehlen: ebenfall8 alle nähern Angaben. Daß defjen 
Zahl jedoch. nicht ganz unbeträchtlich geweſen fein kann, 
geht daraus hervor, daß jenem Feldartilleriejtabe 1690 ein 
Train von 1 Stallmeifter, 1 Wagenmeifter, 3 Ober= und 
125 Fuhrfnechten, und 1696 ein folcher von 1 Stallmeifter, 
2 Unterofficderen, 4 Ober⸗ und 119 Yuhrfnechten und 250 
Pferden beigegeben war. 

Auch erhellt aus einigen Altenflüden vom Jahr 1727, Daß 


n — WW _.' 17 m 1% | 


159 


de bis dahin gebräuchliche Feldartillerie nachbezeichnete 
Geſchuͤtzklaliber in. fich gefaßt haben dürfte, nämlich an 
Netallgeſchütz: 

2 12 Pfor. oder Biertelfarthaunen zu 28— 30 Gentner 
Rohrgewicht, 4'/, Zoll Kaliber der Seele, 24 Ka⸗ 
fiber Rohrlänge und 1 Kaliber hintere und N, 
Kaliber vordere Metallftärke, 

2) 6 Pfdr. & 18—20 Gentner Rohrgewicht, 3'/, Zoll 
Kaliber, 28 Kaliber Rohrlänge. 

3) 3 Pfor. a 9 Centner Rohrgewicht, 3 Zoll Kaliber und 

26 Kaliber Rohrlänge, fowie auch 

4) dergleichen 4 Pfor. und 2 Por. Kanonen und 

5) auf 12 Pfdr. Steingewicht gebohrte Feldhaubitzen, 
beren gefüllte Granaten jedoch 30 Pfd. wogen. 

Die Kugelladung. der Kanonen feheint durchgängig 
„ Kugelſchwere betragen zu haben, die 4 Pfor. Kanonen 
mit 4 Pferden, die Haubigen mit 3. Pferden, die Pulver⸗ 
larren mit 2 Pferden bejpannt gemweien zu fein*), 

Wie fehr das eine Artilleriecorp — und zwar viels 
kicht gerade eben weil fo Hein — aber bald darauf fich 
als ein an der Spite de8 wahren Fortfchrittes feiner 
Zeit ftehendes beurfundete, dürfte aus Nachfolgendem zu 
entnehmen ftehn. 

Weil nämlich wenig zahlreich, fo fand man fi 


*) In einem 1727 aufgeftellten Anſchlage eines zu 9 Stück 4 Pfhr. 
‚und 7 Stüd 2 Pfor. Kanonen und 4 Etüd Haubiten berechneten 
fe 9. Belbartillerieftabes, wirb die Eumme ber hierzu nöthigen 
Fuhrwerke, Beipannung und Bedienung auf 16 Wagen und LO Kar- 
ren mit 49 Fuhrkuechten umd 144 Zugpferben, fowie auf I Haupts 
mann, 2 Lieutenants, 2 Stüdjunfer, 2 Sergeanten, 4 Feuerwerkern, 
1 Ehirurgus, 1 Tambonr, 36 Kanonieren und 36 Sandlangern mit 
einem Unterftabe von 1 Zeugwärter, 1 Zeugdiener, 3 Schmieben, 
2 Zimmerleuten, 2 Wagnern, 1 Kanonenjchmierer und 1 Profoß 
mit 1 Stedentnecht veranfchlagt, wonach fich fchließen läßt, daß 
bie 1690 ins Feld geftellte Artillerie etwa 8 bis 12 Geigäbe bes 
tragen haben bürfte, 

11* 


160 


häufig. genöthigt, bei rafchen Mobilmachungen ftrebfame 
Snfanterie-Officiere in die Artillerie zu verfegen. Hierdurch 
aber ward dem Kleinen Corps fort und fort, frühzeitiger als 
anderswo, ein wahrhaft foldatiicher Geift eingeimpft und 
vermochte der in den größeren Artilleriecorp8 der damaligen 
Zeit noch vorherrichende ftarre alte Zunftgeift nicht ebenwohl 
jeder Verbeſſerung, als einer Neuerung, hartnädig zu wider 
ſtreben und feine tgrannifche Hertſchaft zu üben. Demgemäß 
war die heſſiſche Artillerie auch eine der erſten, bei welcher 
bereits 1742, unter dem Commando ihres verdienten, ihr 
aus der Infanterie überfommenen Commandeurs, des 
Oberſt-Lieutenants Diede von Fürftenftein, bei einer neuen 
Raffetirung ftatt ber Richtkeile Die Richtſchraube eingeführt 
wurde. 

Einem Berichte ves Oberſten Diede, de dato Lands⸗ 
hut, den 1. Februar 1745, zu Folge wäre es aber haupt- 
ſächlich dieſem Umſtande zuzuſchreiben geweſen, daß die 
1745 bei dem heſſiſchen Corps in Bayern befindliche we—⸗ 
nige heſſiſche Artillerie bei allen Gelegenheiten, durch ihr 
hierdurch bedingtes ebenſo ſicheres als raſches Feuer, ſelbſt 
einer weit zahlreicheren und ihr im Kaliber überlege— 
nen feindlichen Artillerie mit Erfolg habe die Spike bieten 
önnen. Namentlich fei dieſes in der Aktion bei Burghaufen 
der Fall gewejen, wo in Folge der Kühnbeit, mit welcher die 
heſſiſche Artillerie der feindlichen auf den Leib gerückt wäre, 
biefe bei ihrem umftändlichen und zeitraubenden Richten 
mittelft des Richtkeils immer zu hoch gejchofjen habe, mäh- 
rend Die heſſiſche Artillerie ihr Die nambhafteften Verluſte 
zugefügt und folche endlich gänzlich aus dem Felde gefchla= 
gen hätte. Die gefammte Armee habe über folche8 ihre 
freudige Bewunderung zu erfennen gegeben, und der Gene— 
ralfeldmarfchall Prinz von Sachjen-Hildburghaufen derfel- 
ben darob nicht nur feine volle Anerkennung ausgefprochen, 
jondern auch dem jene Geſchütze befehligenden Artillerie 


, 161 


Lieutenant von Gohr die vortheilhafteften Anerbietungen 
gethan, wenn er in deilen Dienfte übertreten wolfe.. 

Welche fehr richtigen Anfichten Oberft Diede von 
Fürftenftein aber überhaupt von dem wahren Wefen einer 
geldartillerie fehon damals gehabt hat, geht aus einem 
anderen feiner an den damaligen Statthalter, Landgrafen 
Bilhelm VII, gerichteten Berichte hervor, in welchem 
efih u. a. wörtlich dahin äußert: 

„Wenn ich auch Fein gelehrter Conftabel bin, fo fagt 
„Mir Doch Die gefunde Vernunft, daß, wenn eine Feldartil- 
„lerie von Nuten fein fol, die Kanons nicht Yeicht müffen 
im Drede ſtecken bleiben und die Artilleriften müffen kön— 
„nen treffen, wohin Die occassiones e8 erforderen, daß 
„man muß hinſchießen. 

„Damit erſteres nicht arrivirt, müſſen daher die Peld- 
‚„lanons wenigftens fo leicht wie möglich und mit guter 
‚Deipannung und Knechten verfehen fein, fo gut zu fuhren 
„verſtehn, und damit letzteres zu effectuiren, muͤſſen die Ar— 
„tlleriften burtig und flint in der Bedienung fein, belle 
„Augen haben und nach ftattfindenden ocassiones nicht ei= 
‚senlinnig fein, in der Richtung und Ladung ab= und zuzu— 
„thun. Sch halte dafür, wie fchon öfters Ew. Hochfürſt⸗ 
„lihe Durchlaucht alferunterthänigjt fürzuftellen mich be= 
„müßigt befunden, daß das mehr werth fei, al3 wenn bie 
„Sonftabel® noch jo gelehrte Discourfe zu führen, aber 
„nichts zu treffen verftehn, und die Kanons noch jo durabel 
„aber nicht vom Blede zu bringen *).“ 

Wie aus Obigem hervorgeht, belief ſich die gefammte 
vaterländifche Streitmacht, außer dem Landausſchuß, der 


9 Diede von Fürſtenſtein, deutſcher Orbensritter, war vom Capitain 
in der Garde 1738 zum Major und Commandeur der Artillerie 
befördert worden. Avancirte ſodann 1744 zum Oberſten, 1747 
zum General-Major, 1754 zum Gouverneur von Kafjel, 1756 
zum General⸗Lieutenant und ftarb 1758, 


162 


zwifchen 2—3000 Mann zählen mochte, zu jener Zeit ſo⸗ 
mit auf etwa 1500 Mann jchwerer Reuterei, 1500 Mann 
Dragoner, etwa 7—8000 Mann Fußvolk und 150 Manz 
Geſchützvolk, in Allem und Allem daher auf etwa 13— 14000 
Mann *), wobei jedoch zu bemerken ift, daß die Felbregi- 
menter biß 1690: meift nur mit 10, und von da ab nur 
mit 8 Compagnien ind Yeld* rüdten, 2 Compagnien per 
Regiment aber zur Verſehung des Beſatzungsdienſtes in ben 
feften Plägen des Landes zurücblieben, oder zur Bildung 
des zu dem f. g Unionsregiment zu ftellenden Contingentes 
verwendet worden zu fein jcheinen. 

Auch der Landausſchuß der altheffiihen Lande war 
übrigens bereit3 1634 in ein Landausjchug-Regiment ver- 
einigt und. folche8 1689 dergeſtalt in 4 Bataillone einge- 
theilt worden, daß das 1. Bataillon die Compagnien Der 
3 Caſſeler Aemter, jo wie die Gudendberger, Wolfhager 
und Zrendelburger Compagnien, das 2. Bataillon die Mel- 
funger, Rothenburger und Hersfelder, das 3. Bataillon 
die Eſchweger, Allendörfer und Stadt und Amt Schmal- 
kalder, das 4. Bataillon aber die Ziegenhainer, Marburger, 
Homberger und Frankenberger Compagnien in fich faßte, 
Der Landausſchuß der Grafſchaft Echaumburg biltete 2 
geichlofjene Compagnien für ih. Ebenſo bildete Die Stadt 
Kafjel von 1690 ab zwei geichloffene Bürger-Compagnien. 
Die Ergänzung des Landausfchuffes erfolgte Dagegen noch 


—— 


*) Wie bedeutend dieſe Kriegsmacht im Verhältniß zu anderen Staa⸗ 
ten war, erhellt unter anderm daraus, daß nach den Angaben 
Stuhrs (S. 218 von deſſen „bie brandenburgifch-preuß. Kriegs⸗ 
Verfaſſung unter Kurfürſt Friedrich Wilhelm dem Großen) 1686 
die geſammte brandenburgiſche Streitmacht nur aus 2837 M. Rei- 
terei, 1152 M. Dragoner, 12,400 M. Infanterie, und 4671 M. 
Sarnifonstruppen, oder in Summa aus 21,060 Mann beſtand, 
welche jedoch (zu Folge Hennerts Beiträgen zur brandenbg. Kriegs- 
geihichte) 165% bis auf einige 80,000 Mann vermehrt wurde, 
wovon 26,858 Mann an den Rhein rückten. 


— 


163 


! 


immer nach Maasgabe der Borjchrift von 1600 durch Aus» 
kebung, reip. durch geeignete Auswahl der in den desfall⸗ 
ſigen Liften verzeichneten Iandfolgedienftpflichtigen, anfäßigen 
Landbewohnern. Jene der Sold- oder Feldtruppen (Milid) 
erfolgte nach lediglich durch freiwillige Anmwerbung. 
Indeſſen follten, nach Borfchrift der Ediete von 1684 und 
1701 über die Art und Weiſe der Anwerbung, Die Werber 
vornehmlich ihr Augenmerk darauf richten, nur folde „Mür 
higgänger“ anzumwerben, die Inländer und, obwohl 
jung und ſtark von Körper, beim Aderbau und 
ben Gewerben aber Doch füglich gemißt werden 
Iinnten*) und auch noch nicht bereit8 beim Landaus- 
ſchuß enrollirt wären, gleichwohl dabei aber fich aller Gewalt⸗ 
thätigleiten und Unmanier ftrengftens enthalten, und zu 
dem Ende bei den jührliden Mufterungen der Truppen 
die Mufterberren fleißig darnach forjchen, ob feine gewalt- 
am Geworbenen unter den Refruten befindlich wären und, 
wenn dies der Fall, folhe alsbald unentgeldlich wieder 
entlaffen, Die Hauptleute aber, die fie eingeftellt, ftrenge 
keftraft werden. Ebenfo follten feine verlaufene Mufi- 
fanten, Diebe, Ehebreder und Leute, die be 
reit8 unter Henlershänden gewefen und Brand- 
markt oder Staupenſchlag erbuldet, angeworben werden. 

Gleichwohl gaben diefe Werbungen, da die Annahme 
ber Nefruten lediglich durch Die Compagnie-Chefs erfolgte, 
doch zu einer großen Menge von Unterfchleifen und 
Unoronungen Anlaß. So 3. B. beftand der Mißbrauch, 
daß jeder, der zu einer höhern Charge aufrüdte, gehalten 
war, für die Charge, in ber er fich befunden hatte, ‚einen 


*) In dem Werbepatente für den Oberfilieutenant Aleranber von War- 
teneleben von 1688, zur Aufrichtung eines Dragoner-Regimentg, 

ward demſelben jedoch auch noch zur beionderen Pflicht gemacht, 
nicht nur überhaupt Mannjchaft von mittelmäßigem Alter, fondern 
wo möglich auch noch foldhe, die bereits in ber Nenterei gebient 
und Feldzüge mitgemacht hätten, anzumwerben. 


164 


Stellvertreter zu ftellen, weshalb dann die Hauptleute 
hauptiächlich nur jolche Gemeine zu Unterofficieren und folche 
Unterofficiere zu Sergeanten beförderten, welche ihnen in 
diefer Beziehung die meiften Verfprechungen machten, und 
auch nur zu häufig diejenigen, die ihre Kapitulation aus— 
gedient hatten, unter allerlei nichtigen Vorwänden fo lange 
bei der Fahne zurückbehielten, bis fich ſolche bequemten, 
einen Stellvertreter zu ftellen oder fich in anderer Weiſe 
förmlich loszukaufen. 

Es erfolgten deßfalls zwar wiederholt ſtrenge Verbote, 
doch ward dieſen nicht enden wollenden Mißbräuchen erſt 
im Laufe der nächſten Feldzüge, zunächſt beim Leib-Regi— 
ment zu Fuß, dadurch ein Ende gemacht, daß, in, Folge 
eined 1696 (wie es fcheint, noch dazu durch eine Art Ue— 
bereinfommen mit den Compagnie-Chef8) enfftandenen und 
bei folchem eingeführten Regulativs, feftgefegt wurde: 

a. daß von nun ab ‚fein Sompagnie-Chef weiter einen 
Mann ohne Vorwiſſen und Genehmigung des Regi— 
ments⸗Commandeurs weder annehmen, noch entlaffen, 
und überhaupt Niemand angenommen werden dürfe, Der 

unter 20 oder über 50 Jahre alt fei, fo wie auch, daß 
alle Abjchiede unter Hand und Siegel des Regiments— 

Commandeurs ausgefertigt, und alle Monate von den 

Eoinpagnien genaue Rapporte erftattet werden follten *). 


») Welch ein buntes Gemiſch von Alter und Nationalitäten wor allge 
meiner Einführung diejes Regulativs bei den Negimentern herrſchte, 
und mie dieſes durch daffelbe verändert wurde, ergibt fih u. a. 
daraus, Daß zu Folge einer Mufterlifte von 1696 fich bei ber 
Leibcompagnie des Regiments Prinz Karl bei einer Effectivftärfe 
von 87 Köpfen 4 Monn befanden, welche iiber 60 Jahre, 8 Mann, 
welche über 50, 12 Mann welche über 40 und 10 Mann, melde 
unter 20 Jahre alt waren, während nad) der Mufterlifte von 1701 
biefelbe Compagnie bei einer Effectivftärfe von 79 Köpfen nur noch 
2 Mann zählte, welche älter als 50, 4 welche älter als 40 und 
4. welche jünger als 20 Jahre waren, Dagegen circa 3 ihrer Stärke 
im Alter zwifchen 20-30 -Sahren ftand, 


165 


: b. Nur ſolche Unterofficiere, welche zu Officieren, Ser⸗ 
geanten oter Fourieren in einer andern Compagnie 
befördert werden würden, ſollten gehalten fein, ihrer 
‚bisherigen Compagnie für fi) einen _ Stelivertreter 
zu ftellen; ebenjo folte, wer vor Ablauf feiner ein 
gegangenen Kapitulationgzeit Ten Abſchied begehren 
möchte, für den noch übrigen Reſt derjelben zwer 
einen Stellvestreter ftellen, Doch follte Diefed nur mit 
Borwiffen und ausdrücklicher Genehmigung des Re— 
giment8-Commandeurs gefchehen; der Mißbrauch, vor= 
zugsweiſe folche Individuen zu Unterofflcieren zu b= 
fördern, welche veriprächen, auf ihre Koften Rekruten 
zu ftellen, aber ſtrengſtens beftraft werden, un iu 
bem Ende follten 

c. künftighin auch alle Beförderungen zu Unterofficiern 
lediglich durch den Regiment3-Commandeur erfolgen, 
und die Compagnie-Chefd desfalld nur noch ein Vor— 
Ichlag8recht zu üben haben. Ebenſo follten 

d. alle Heirathsconſenſe und längere Urlaubsertbeilungen 
nur von dem Regiments-Commandeur ertheilt, und 
von einer Compagnie überhaupt niemald mehr als 
ein Drittel der Officiere und Unterofficiere und höch— 
ftend 10 Gemeine beurlaubt werben. 

Nicht weniger follten, zu Folge eined 1695 an die Dra= 
goner ergangenen Befehld, Die Officiere feinen Soldaten 
aus der Reihe und am alferwenigften die Tambouren zu ihren 


Ebenfo befanden fich 1696 bei derjelben 32 Ausländer, darunter 
3 Stanzofen, 1 Spanier, 1 Griehe, 3 Polen, 2 Ungarn, der 
Neft meift Deutiche, aber faft aus allen möglichen deutihen Etaa- 
ten; wovon die meiften zwar eine 10jährige heiftiche Dienftzeit nach- 
wieſen, nicht wenige aber auch fchon jeit 20 und 30 Jahren allen 
möglichen Potentaten Europa’s gedient hatten; während 1701 Die 
Zahl der Ausländer zwar ebenmohl nod 27 Köpfe betrug, darun⸗ 
ter aber doch nur noch ein einziger Nichtdentfcher — nämlich 1 
Sranzofe, fi) befand, wogegen ber Reſt faft ausfchließlih aus Wal- 
dedern und Münfterländern beftand. 


⁊ 


Zum. 





164 


Stellvertreter zu fielen, weshalb dann die Hauptleute 
hauptjächlich nur ſolche Gemeine zu Unterofficieren und folche 
Unterofficiere zu Sergeanten beförderten, welche ihnen in 
diefer Beziehung die meiften Verfprechungen machten, und 
auch nur zu häufig Diejenigen, die ihre Kapitulation auß- 
gedient hatten, unter allerlei nichtigen Vorwänden jo lange 
bei der Fahne zurückbehielten, bis fich foldhe bequemten, 
einen Stellvertreter zu ftellen oder fich in anderer Weife 
örmlich loszukaufen. 

Es erfolgten deßfalls zwar wiederholt ſtrenge Verbote, 
doch ward dieſen nicht enden wollenden Mißbräuchen erſt 
im: Laufe der nächſten Feldzüge, zunächſt beim Leib-Regi— 
ment zu Fuß, dadurch ein Ende gemacht, daß, in, Folge 
eine8 1696 (wie e& fcheint, noch Dazu Durch eine Art Ue⸗ 
bereinfommen mit den Compagnie-Chef8) enfjtandenen und 
bei ſolchem eingeführten Regulativg, feftgefet wurde: 

a. daß von nun ab ‚fein Compagnie-Chef weiter einen 

Mann, ohne Vorwiffen und Genehmigung des Regi— 

ment8-Commandeurg weder annehmen, noch entlafjen, 

und überhaupt Niemand angenommen werben dürfe, der 
‚ unter 20 oder über 50 Sabre alt fei, jo wie auch, daß 
alle Abjchiede unter Hand und Siegel des Regiments— 

Commandeurs audgefertigt, und alle Monate von den 

Compagnien genaue Rapporte erftattet werden jollten *). 


*) Welch ein buntes Gemiſch von Alter und Nationalitäten vor allge 
meiner Einführung dieſes Regulativs bei den Negimentern herrſchte, 
und wie dieſes durch daffelbe verändert wurde, ergibt fih u. a. 
daraus, daß zu Folge einer Mufterlifte won 1696 fich bei der 
Leibcompagnie des Regiments Prinz Karl bei einer Effectivftärke 
von 87 Köpfen 4 Monn befanden, welche über 60 Jahre, 8 Mann, 
welche über 50, 12 Manır welche über 40 und 10 Mann, welche 
unter 20 Jahre alt waren, während nad) der Mufterlifte von 1701 
diefelbe Compagnie bei einer Effectivftärfe von 79 Köpfen nur nod 
2 Mann zählte, welche älter als 50, 4 welche älter als 40 und 
4 welche jünger als 20 Fahre waren, Dagegen circa + ihrer Stärke 
im Alter zwilchen 20-30 Jahren ftand. 


165 


b. Nur folche Unterofficiere, welche zu Officieren, Ser⸗ 
geanten oder Fourieren in einer andern Compagnie 
befördert werben würden, follten. gehalten fein, ihrer 
bisherigen Compagnie für fi) einen Stellvertreter 
zu ftellen ; ebenfo follte, wer vor Ablauf feiner ein 
gegangenen Kapitulationgzeit ten Abſchied begehren 
möchte, für den noch übrigen Neft derjelben zwer 
einen Stellvestreter ftellen, doch ſollte dieſes nur mit 
Borwiffen und ausdrüdlicher Genehmigung des Re— 
giment3-Commandeurs gefchehen; der Mißbrauch, vor= 
zugsweiſe folche Individuen zu Unterofficieren zu b:= 
fördern, welche veriprächen, auf ihre Koften Refruten 
zu ftellen, aber ſtrengſtens beſtraft werden, und iu 
dem Ende follten 

c. künftighin auch alle Beförderungen zu Unterofficiern 
lediglich durch den Regiments-Commandeur erfolgen, 
und die Compagnie-Chefs desfalld nur noch ein Vor⸗ 
Ichlag8recht zu üben haben. Ebenſo follten 

d. alle Heirathsconſenſe und längere Urlaubsertheilungen 
nur von dem Negimentd-Commandeur ertheilt, und 
von einer Compagnie überhaupt niemald mehr al8 
ein Drittel ter Officiere und Unterofficiere und höch— 
ftend 10 Gemeine beurlaubt werden. 

Nicht weniger jollten, zu Folge eine 1695 an die Dra= 
goner ergangenen Befehls, die Officiere feinen Soldaten 
aus der Reihe und am allerwenigften die Tambouren zu ihren 


Ebenjo befanden ſich 1696 bei derfelben 32 Ansländer, darunter 
3 Sranzofen, 1 Spanier, 1 Griehe, 3- Polen, 2 Ungarn, ber 
Neft meift Deutiche, aber faft aus allen möglichen deutihen Etaa- 
ten; wovon bie meiften zwar eine 1Ojährige heſſiſche Dienftzeit nach» 
wiejen,. nicht wenige aber auch ſchon ſeit 20 und 30 Jahren allen 
möglichen Botentaten Europa’s gedient hatten; während 1701 die 
Zahl der Ausländer zwar ebenwohl noch 27 Köpfe betrug, darun— 
ter aber doch nur noch ein einziger Nichtdenticher — nämlich 1 
Franzoſe, ſich befand, wogegen ber Reſt faft ausſchließlich aus Wal⸗ 
bedern und Miünfterländern beftand. 


Zi... 





166 


Knechten nehmen, fondern dieſe fih aus eignen Mitteln 
halten, | | 

Mas die Gliederung, Bewaffnung, Ausrüſtung und 
Bekleidung anlangte, fo beftand der Stab eine Neuter- 
Regiment? (uiraffiere) aus 1 Oberft, 1Oberſt-Lieutenant, 
1 Major, 1 Adjutant, 1 Auditeur, 1 Regimentd-Quar=- 
termeifter, 1 Regiments-Feldſcheerer, 1 Pauker, 1 Stabs⸗ 
trompeter, 1 Wagenmeifter, 1 Profoß mit 2 Stedenfnechten 
ınd 7 Karrenfnechten mit 14 Wagenpferden. Jede Coms 
- yagnie beftand aus 1 Rittmeifter, 1 Lieutenant, 1 Cornet, 
1 Wachtmeifter, 1 QDuartiermeifter, 3 Corporalen, 1 Trom- 
peter, 1 Mufterfchreiber, 1 Feldicheerer, 1 Sattler, 1 Fab- 
nenſchmied, 50 Einfpännigen (Reuter) und 1 Knecht mit 
2 Zeltpferden. Beim Stabe eined Dragoner-Regiments 
befanden fich ſtatt des Stab8trompeterd und des Paukers 
4 oder 6 Pfeiffer, jowie auch 8 ſ. g. Stabsdragoner und 
bei einer Dragoner-Compagnie noch ein Gefreiter-Corporal . 
und ftatt eine Trompeters 2 Tambouren, und beftand 
ſolche anfänglich aus 65, fpäter aber nur noch aus 58 
Dragonern 9. 

Ein Infanterie-Regiment beftand aus 2 Bataillonen, 
dad Bataillon anfänglich aus 6 —feit 1690 aber aus 5 — 
Compagnien. Der NRegimentäftab beftand aus 1 Oberft, 
1 DOterftlieutenant, 1 Oberftmwachtmeifter oder Major, 1 
Anjutanten, 1 Reginient3-Quartier-Meifter, 1 Auditeur, 
1 Regiments-Feldfcheerer, 1 Negiments-Tambour, 4 — 8 


*) Bei den Brandenburgern zählte eine Reuter⸗Comp. 1 Rittmeifter, 
1 Lieut., 1 Cornett, 1. Feldſcheerer, 2 Trompeter, 1 Fahnenſchmied 
und 1 Sattler, ſowie 1U Unteroffiziere und 45 Reuter, Beim Re⸗ 
gimenteftabe befand fich übrigens außer dem Profoß und Steden- 
Inecht auch noch ein befonderer Scharfrichter. Bei den Dragonern 
zählte bie Comp. 61 Gemeine. (Hennert, Beiträge zur brandenbg. 
Kriegsgeih. S. 6 u. 7). Bei den ſchwäbiſchen Kreistruppen zählte 
eine Reuter- ober Dragoner-Comp. einjähließlich ber |. g. Prima 
plana 75 Köpfe. 


167 


Pfeiffers oder Hautbois *), 1 Wagenmeifter, 1 Profoß und 
- 23 Knchten. Eine Compagnie zu Fuß beitand aus 1 Haupt- 
mann, 1 Lieutenant, 1 Fähnrich, 2 Sergeanten, 1 Ge⸗ 
freiten-Corporal, 1 Fourier, 1 Zeldicheerer, 1 Muſterſchrei⸗ 
ber, 1 Capitain D’armes, 3 Corporalen, 2 Tambouren, 12 
Gefreiten, 74 Soldaten **). 

Bei der Reuterei waren die Euiraffiere mit ſchwar⸗ 
zen Suiraffen mit Bruſt⸗ und Rüdenichild, einem geraden 
Pallaſch Cin einem Gehänge von Büffelleder), langen Reu— 
terpiftolen und Starabinern bewehrt, doch war ftatt bes 
Helms oder der Pidelhaube, bereit der Hut mit einge⸗ 
legtem eifernen Kreuze zur Abwehr von Kopfhieben einge- 
führt. Die Uniformirung beftand, in Nachahmung der 
früheren Leberfoller, in ſ. g. paillefarbigen Tuchröden, le= 
dernen Hoſen und hohen Reitftiefeln, auch wurden in Nach⸗ 
ahmung der einftigen eifernen Panzerhandſchuhe, lederne 
Stulphandihuhe und auferdem noch große weiße |. g. 
Reutermäntel getragen. Die Bewaffnung der Dragoner 
beftand aus Bajonettflinten (von 1695 ab mit Mefjing- 
Garnitur), Degen und 1 Baar Piftolen. Die Belleidung 
aus ZTuchröden und Mänteln (bei dem lippijchen Drago= 
nern roth, den Naffaus-Weilburgifchen Dragonern gelb und 
den Wartenslebenichen Dragsnern blau und roth gefuttert), 
levernen Hofen, Stiefeln, hirſchledernen Handichuhen, weiß 
(füber) bordirten Hüten, da8 Degengehäng und Banbelier 


*) Bei ben Brandenburgern befanden fi außer einem Regiments. 
Pfeiffer und den Tambours in den Compagnien zur Zeit keine 
andern Spielleute, 

*, Bei den Brandenhurgern zählten die Regimenter theils 2, theils 
1 Bataillon a 5 Compagnien, Die Compagnie zu etwa 145 
Mann, darunter 3 Offiziere, 1 Feldwebel, 2 Sergeanten, 1 Ge⸗ 
freiten-Rorporal, 1 Fourier, 1 Feldſcheerer, 1 Capitain b’armes, 3 
Korporale u. 2 Zambouren; bei ben ſchwäbiſchen Kreistruppen aber 
Die Grenadier⸗Comp. 100 und bie Musletier-Comp. 143 Köpfe, 
(Senuert und Stablinger.) 


168 


von Büffelleder. Eben fo waren die Schaberaden von ber 
Farbe der Röcke. Das Pferdegeichirr follte vollftändig mit 
Vorder- und Hinterzeug und Koppelbalfter verſehn jein und 
das Kopfgeftelle aus Trenſe und Kandare von der Art bes 
ftehen, wie der Oberftlieutenant von Cornberg jolche ange 
geben. Die Pferde follten nicht über 8-9 Jahre alt und 
15—16 Hände hoch, und keine Hengſte darunter befindlich 
ſein. 

Bei der Infanterie war noch 1696 ein volles Drit- 
theil, nämlich 1 Corporal, 4 Gefreite und 20 Gemeine, 
per Compagnie mit Piden, die Offictere. aber mit f. g. 
Espontons und Degen und die Sergeanten, der Fourier 
und Capitain d'armes mit |, g. Kurzgewehr (Partiſane) 
bewaffnet. Der Neft war 1683 noch durchgehend nur 
mit Musfeten mit Runtenjhlöffern bewaffnet, und berichtete 
der - Oberitlieutenant von Wartendleben über die von ihm 
bei Kirchhain über das Leib-NRegiment zu Fuß und das 
Regiment des Prinzen Philipp abgehultene Mufterung, unter 
dem 30. Suni 1684, daß die Mehrzahl der Pikenſchäfte 
aus Buchenholz bejtünden und alt und ftodig wären, 
jo daß ſolche gar ſehr zerbrechlich und zum Feldgebrauch 
nicht mehr geeignet erichienen, in Folge deffen Dann auch 
alsbald die Anfertigung von 3000 neuen Pikenſchäften aus 
Eſchen- und andern guten Hölzern angeordnet wurte. 

Eben fo ergab eine am 20. September 1687 abge 
haltene Mufterung des Leib-Regiments zu Fuß, daß über 
100 Musteten als nicht mehr felddienfttüuchtig zu erachten 
wären, wie denn folche überhaupt nach und nach gänzlich 
abgeichafft und durch Flinten (d. h. Steinſchloßgewehre 
mit Bajonet und Dülle) erſetzt wurden. Indeſſen ſcheint 
dieſe Bewaffnung erſt 1698 vollſtändig bewirkt worden und 
auch die Piken gänzlich in Abgang gekommen zu ſein, in⸗ 
dem ſich in der Ordonnanz von 1698 deßfalls bemerkt findet: 

„Alles herrichaftliche Gewehr, ſowie die Picken, welche 

„die Regimenter noch haben möchten, find bis Oftern 


® 


_ 169 


„1699 an das Zeughaus in Kaſſel abzuliefern und 

„nagegen die neuen Gewehre — welche bis ‚dahin nach 

„dem Modell und Kaliber jener des Leib-Regiments 

„vollſtändig angeichafft fein werden — zu empfungen *). 

Bei dem Landausſchuſſe dagegen wurden die alten 
Musketen und Piken erjt 1727 gegen neue Gewehre völlig 
ausgetauſcht. 

Die Stabs⸗Officiere der Infanterie waren ſämmtlich 





®) Bei ben Brandenburgern waren bie Piken jedoch bereits 1689 
und bei den ſchwäbiſchen Kreistruppen 1693 völlig in Abgang ge- 
lommen,. wogegen biefes bei den Franzoſen erft 1703 auf den An- 
trag Vaubauns erfolgte, obgleich ſchon Marſchall Catinat während 
des Feldzugs von 1690 bei der Armee in Italien damit einen An- 
fang gemacht hatte. Dagegen "waren die bei der franzöftichen Ir 
fanterie eingeführten Flinten von Haus aus weit leichter al8 3.8. 
die zuerft bei ber brandenburgifchen Infanterie eingeführten. Wäh—⸗ 
rend nämlich erftere ein Kaliber von 20 Kugeln auf das Pfund 
batten, betrug folches bei den fetten 12—14 Kugeln auf das Pfund, 
weshalb der Mann meift nicht mehr als 24 Patronen bei fich führte, 
wogegen bei den Franzoſen jeder Mann deren 40 bei fih trug. 

Bis 1683 war bei allen Heeren die Bewaffnung überhaupt noch 
eine fehr mangelhafte. So u. a. waren nicht nur die Piken ber 
Brandenburger zum Theil höchſt plump und ungeſchickt geftaltet, 
jondern auch felbft die üblichen Musketen nicht einmal von gleichem 
Kaliber und Fänge, indem ein Theil 2, ein anderer Theil aber 
nur 13 löthige Kugeln ſchoß. Ueberhaupt fehlte zu jener Zeit noch 
viel, daß das Kriegsvolk auch ſelbſt nur im Aeußern einige Gleiche _ 
förmigfeit beurkundet und einen impofanten Anblid gewährt hätte, 
vielmehr heißt e8 u.a. in eineman ben Kurfürften Friedrih Wil 
beim 1683 abgeftatteten Mufterberichte über das brandenburgiſche 
Leibregiment: 

„Wie die Montirung, obwohl erſt vor 3 Fahren ausge⸗ 
mgeben, bereits doch ſchon fehr abgetragen und ſchlecht ausſähe; 
„auch ſelbſt bei den beiden Leibcompagnien ganz unegale Unterklei⸗ 
„ber, als zum Theil blautuchene, zum Theil lederne Höfen, jo wie 
uzum Theil meifingene, zum Theil zinnerne Knöpfe an den Röden 
„getragen würden und ebenjo dieſe zum Theil von ganz dunkelem, 
„zum Theil von lichtblauem Zuche gefertigt wären.“ (Stuhr, ©. 


422. Hennert, ©. 23.) 


170 


beritten, und ſcheinen, gleich Den Generalen, meift noch 
leichte Bruftbärnijche getragen zu haben. 

Die Bekleiduͤng der Infanterie beftand aus tuchenen 
Kamifdleren und darüber zu. ziehenden Waffen- oder ſ. g. 
Regenröcden, kurzen Yedernen Hoſen, wollenen Strümpfen 
und Schnalfenihuhen, Kamifol und Rod ſcheinen ohne 
Kragen, und ftatt deffen, weiße fehr lang gebundene Hald« 
tücher getragen worden zu fein. Die Nodfarbe war meiſt 
blau, bei einigen Regimentern aber auch weiß, mit verſchie⸗ 
denfarbigem (meift gelbem oder rothem) Unterfutter. 

Die Kopfbededung beftand in breiedigten ſchwarzen 
Filzhüten mit Schnur und Duafte, bei den höhern Offt- 
zieren und bei den Spielleuten auch mit Federn ausge= 
Ihmüdt, auch war jeder. Mann mit ein Paar gelblebernen 
Handichuben verjehn. 

Das Haupthaar ward damals noch ziemlich lang und 
frei auf die Schultern herabhängend getragen, während: 
bei den Franzofen das Zufammenbinden deffelben in einen 
Zopf bereitd in Uebung ftand, auch die königlichen Haus- 
truppen, fo wie einige beſonders begünftigte Reuter > Regi- 
menter das Vorrecht genofjen, Stub-Berrüden, die höhern 
Offiziere und vornehmen Freiwilligen aber fogenannte 
Allonge⸗Perücken zu tragen. 

Das bdegenfürmige Seitengewehr warb in einem Kop⸗ 
pel von weißem Büffelleder *) um den Leib, die meift fehr 
große Patrontafche an einem folchen breiten Bandelier über 
die Schulter getragen. Dabei trug der Mann in gleicher 
Weiſe einen Ranzen von Kalbfell, woran auch ein Zeltbeil 
und ein Feldfefjel befeftigt waren, und worin ein zweites Hals⸗ 
tuch, Hemd, Strümpfe, ein Paar Schuhe und feine ſonſtigen 
Bedürfniffe ſich befanden, ſowie an einem Riemen eine blecherne 
Veldflaiche und an einer Schnur ein Pulverhorn, weil bei 


*) Bei dem Regiment des Erbprinzen Friedrich war das Leberzeug 
wie bei dem Landausſchuſſe gelb. 


171 


) ver Ladung bag Pulver auf bie Pfanne, oder das jogenannte 
Zündkraut, noch nicht aus den außerdem bereit3 eingeführten 

r I Papierpatronen, ſondern aus diefem Pulverhorn aufgeſchüt⸗ 
tet wurde. *) — 

Der Landausſchuß war ebenwohl bereits ſeit 1678 
| mit langen grauen Oberröcken (rothen Aermelaufſchlägen 
:| md rothen Halsbinden) und mit grauen Filzhüten gleiche 

maͤßig bekleidet. Das Lederzeug aber mar gelb gefärbt 
und die. Batrontafchen von grauem Filz mit einer krapprothen, 
mit allerlei Zierrath ausgeſchmückten, Quchklappe verjehen, 

Die Schaumburgifchen beiden Landausnahmekompag⸗ 

zen, wozu auch die Aemter Freudenberg, Uchte und Auburg 
gehörten, zählten etwa 120 — 150 Mann per Kompagnie, 
neben eben fo viel per Kompagnie affignirter aber nicht 
bewaffneter Erfagmannichaft (Nebenmänner geheißen.) Big 
1710 ſcheint ſolche aber nicht montirt gewejen zu fein, in« 
Dem durch ein Reſkript des Landgrafen Karl vom 9. Ja— 
nuar 1710 verfügt ward, daß folche, gleich der Landmiliz 
in den übrigen Landen, mit Montirung ebenwohl verjehen 
werben follte, deren Koſtenbetrag pro 244 Köpfe auf 2277 
Thaler veranichlagt, hinfichtlich der Aufbringung dieſes Be— 
trags aber verfügt ward, daß mwührend 6 uhren ',,, oder 
an 380 Thaler Kontributionsbeitrag, als Steuerzujchlag 
erhoben werben jollte. 

Die hierfür angeichaffte Montirung fcheint in weiß⸗ 

grauen Röcden mit grünen Aufichlägen beftanden zu haben. 


®) Bei den Brandenburgern hatten in einigen Negimentern die Offt- 

ciere und Unterofficiere eine, in ber Farbe von der Montirung der 
Mannichaft gänzlich abweichende Kleidung, als 3. B. bei ver Garde 
die Manuſchaft blaue, die Officiere aber rothe Röcke. 

Die Mäntel der Mannichaft wurben von Diefer auf Märfchen 
und im Gefechte en bandouliere gerollt und über die Schulter ge- 
hängt getragen und waren fo gefertigt, Daß folche nach Art der bei 
ben franzöſiſchen Truppen in Afrika eingeführten fogenennten Ten- 
tes d’abri zu mehreren Stüden aneinander geknöpft und baraus 
eine Art Nothzelt gebildet werben Tonnte, Heunert, ©. 11. 


Mm. 





172 


Anderwärts befand die Montirung das Landausſchuß⸗ 
ſoldaten meift nur in. leinenen, gleichfarbigen Kitteln, wie 
3. B. noch 1710: die beiden, von den Grafen von Hanau 
errichteten, Schwarzenfelfeer Landausnahmefompagnien im 


‚grüne Leinenfittel gefleivet waren, und überhaupt mehr Die 


Tendenz einer polizeilichen, als einer. friegsmäßig organifirten. 
Zandesficherheitd-Anftalt hatten. | 

Die Grenadiere trugen eigenthümlich geformte Spike 
fappen von Blech und, außer der übrigen Ausrüftung des 
Snfanteriften, auch noch eine — meift reich verzierte — 


"große Ledertafche, worin eine Anzahl Handgranaten, jowie 


u deren Anzünden, in einem jogenannten Luntenverberger, 
die nöthige Lunte. 

In Folge der allmählig immer mehr Ausbreitung 
gefunden habenden Anwendung der ſogenannten Handgra— 
naten, ſowohl beim Angriffe als bei der Vertheidigung von 
Schanzen u. ſ. w., waren auch bei den heſſiſchen Truppen, 
anfänglich jedoch nur 7—8 Mann, beſonders ausgewählter und 
verläfjiger Leute in jeder Kompagnie zu dieſer Dienftleiftung 
beftimmt worben, welche fodann bei vorfommenden Gele— 
genheiten, unter Zutheilung der erforderlichen Officiere und 
Unterofficiere, in geſchloſſene Detafchements zujammen gezo— 
gen und ihrer Beitimmung gemäß verwendet wurden. Sp 
findet ſich — wie bereit8 erwähnt — auch in heiliichem 
Dienfte ſchon im Jahr 1678 bei dem, dem König Ehrifttan V. 
von Dänemark als Hülfstruppe überlaffene Regiment Ufm 
Keller ein: ſolches Grenadier-Detafchement als eine Art 
jelbftändiger Zruppentheil vor, was einigen Andeutungen 
zu Folge davon .herrührte, Daß jene Grenadiere beiden 
Belagerungen von Karlöfrona und Helfingborg in Schweden 
fih durch ihre Zapferfeit beſonders hervorgethban hatten; 
und wa8 dann auch noch weiter bewirkt zu haben jcheint, 


‚ baß bei der 1683 erfolgenden Formirung gejchloffener Re— 


gimenter, in jedem Regiment auch’ alsbald eine gejchloffene 
Grenadier⸗Compagnie mit errichtet und als eine Elite be— 


173 . 


trachtet wurbe *); weshalb auch bei der Formation bed 
1685 zum Türfenfrieg in Ungarn zu ftellenden Ober-Rheint- 
ſchen Kreisregiments, welches 16 Compagnien zählte, wovon 
Heſſen 4 Sompagnien zu ftellen hatte, und das in 2 Ba⸗ 
taillone getheilt war, heſſiſcher Seits darauf beftanden wurde, 
daß 2 der von ihm zu ftellenden Compagnien, bie beiden 
Grenadier⸗ Sompagnien dieſes Regiments bilden follten **), 

Da fi dieſe Grenadier- Sompagnien in den nächſt 
folgenden Jahren noch weiter Durch ihre Tapferkeit beſonders 
hervorthaten, jo gab dieſes Anlaß, daß nach erfolgtem Frie⸗ 
densſchluſſe zu Ryswick ſolche 1697 in ein beſonderes Bas 
taillon formirt und dem Leib-Negiment zu Fuß als drittes 
Bataillon zugetheilt und ihnen überhaupt ein erhöhter Rang 
und mannichfache Vorzüge verliehen wurden *e). 


*) Beiden Brandenburgern beſtand ungefähr ein Zehntel der Mannſchaft 
ner Compagnie aus Grenadieren, indefjen wurden erft 1698 ba- 
raus jelbftftändige Grenadiercompagnien formirt, wenn ſchon Tolche 
bis dahin häufig in beſondere Detafchements zufammengezogen und 
anf ven beiden Flügeln, ober an die Spitze des Bataillons poftirt 
zu werben pflegten. SHennert, Seite 10. 

*) Bei den Dragonern fcheinen, ber Mufterlifte bes Erbprinj · Friedrich⸗ 
Dragoner⸗Regiments von 1695 zu Folge, ebenwohl Grenadiere, 
und zwar in der Zahl von 7 Mann per Compagnie beſtanden zu 
haben, jeboch hierbei in den Compagnien vertheilt geblieben zu ſein. 

“0, Dagegen aber hatte ein Kriegsjchriftfteller jener Zeit — Michael 
Mieth — nicht ganz Unrecht, bebanernd zu bemerken: 
„In einem rechten Sturm find die Grenadiere zum Todſchie⸗ 
Ben allemal die Erſten, derowegen denn auch nur wenig alte 
Grenadiere zu finden, Auch fprengen ſie fich mit ihren Hand⸗ 
gramaten oft felber die Hände weg und haben jomit mit zwei 
Feinden zu kämpfen.“ 
Paul Flemming — ein anderer zeitgenöſſiſcher Kriegsſchriſtſteller — 
empfiehlt desfalls auch in ſeiner Schrift — der vollkommene deutſche 
Soldat — zu Grenadieren nur ſolche Leute zu nehmen: 
„Die ſchwarzbraunen, haarigten Angeſichts ſind, ſchrecklich aus⸗ 
ſehen und nicht leicht lachen und freundlich thun, 
und das preußiſche Reglement von 1726 ſchreibt vor, dazu: 
„Mur unterſetzte Kerls auszuwählen, welche gt marſchieren 


können und keine fo Heine Naſen und ſchmale eier haben,” 
VII. Bond. 





174 

Die taftifche Gliederung anlangend, fo finden fid 
über jene der vaterlänbifchen Reuterei feine näheren Angaben 
vor, und ſcheint zu vermuthen, daß folche gleich wie in ans 
dern deutichen Heeren noch zu 3 Glieder rangiert, zwiſchen 
den eingelnen Eskadrons ziemlich große Intervallen gehalten 
und vielfache- Anwendung von ber Feuerwaffe gemacht haben 
bürfte Bei den Dragonern verftand fich dieſes ohnehin 
von felber, da man folche als Doppelkämpfer zu Roß und 
zu Fuß verwendete, weshalb fie fleifig geübt wurden, 
raſch abzufikeh, die Pferde zu Toppeln und dann als In— 
fanterie zu agiren 9, Nach der Ordonnanz von 1683 und 
1698 aber follte da8 Infanterie = Batailfon ftets dergeftalt 
formirt werben, daß die Compagnie des Alteften Kapitains 
ben rechten, jene des zweitälteften den linken Flügel und 
jene des jüngjten Kapitains die Mitte bilde. Dabei follte 
jedoch die gefammte Mannjchaft ohne Nüdficht auf den 
.. Compagnie P2erband in 3 egale Divifionen (6 halbe und 
12 PVierteldivifionen) bergeftalt eingetheilt werben, daß in 
jeder Divifion die Pileniere in der Mitte, die Musketiere 
aber auf den Flügeln zu ſtehn kämen und die Grenadiere, 
in zwei gleiche Hälften getheilt, die Flügel des Bataillons 
bildeten. Dieſe fümmtliche Abtheilungen follten in 4 Glie⸗ 
der, jede8 vom vorhergehenden einen Schritt Abftand hal- 
tend, formirt, auch die Stellung im Gliede der Art fein, 
daß auf 2 Glieder eindoublirt werden könne. Sonach bes 
fanden fi} denn in der Froͤnt eines Bataillons, abwechjelnd 
mit 6 Abtheilungen Musketiere, 3 Abtheilungen Pileniere 
eingereiht. 

Sämmtlihe Fahnen, deren ein Bataillon gewöhnlich 
zwei Ceine weiße und eine rothe **) führte, follten in ber 


*) Daß die Dragoner jedenfalls auch zu Pferde in drei Gliedern ran- 
gierten, geht aus einer Inftruction von 1695 hervor, wonach von 
jedem Gliede 3 Mann beim Koppeln ber Pferde als Pferdehal—⸗ 
ter fungieren follten. | 

*) Ben 1685 nach Ungarn in den Türkenfrieg abrüdenden Compag⸗ 


175 


Mitte des Bataillons ſtehen und beim &prerzieren und im 
Gefechte von den beiden jüngften Fähnrichen, font aber auf 
Märichen ꝛc. von zuverläffigen Gefreiten getragen werben. 

Eben jo ſollte dad Spiel — d.h. die Tamboure — in 
drei gleiche Theile getheilt werden, deren einer in der Mitte 
bei den ahnen, die beiden andern aber auf die Flügel zu 
fiehen kamen*). Die Offiziere ſollten vor der Fronte ihrer 
Abtheilungen (ganze, halbe und Bierteldivifionen) ftehn, 
die Unteroffiziere hinter die Züge egal eingetheilt werben, 
und auch auf jedem Batgillons = Flügel eine Unteroffiziers⸗ 
Rotte die Einfaſſung bilden, und eben jo beim Ausſchwenken 
der Abtbeilungen auf dem Flügel, wohin die Richtung ge> 
nommen werben würbe, einer ber jchließenden Unteroffigiere 
als Führer treten. Im Allgemeinen fcheinen die Bewegun- 
gen im Bataillon an ſich zur Zeit noch ziemlich "einfach 
gewejen zu fein und fih hauptiähli auf Eindoublieren 
der Glieder (von 4 auf 2 Glieder), Frontmarſch vorwärts 
und rücdwärts, fowie auf Ausſchwenken und Einſchwenken 
mit Zügen und Rottenaufmärjche und Abmäriche beichränft 
zu haben. Außerdem aber warb auch die Quarreeformation 
vielfach geübt und fcheint ſolches durch Rüdmwärts - Ein- 
ſchwenken der resp. Abtheilungen formirt worden zu fein, 
ſonach alſo in einem fogenannten hohlen Quarree beftanden 
zu haben. Ob auch bereit8 der Gleichichritt üblich geweſen 
it, hat mit Sicherheit nicht ermittelt werben können. Nach) 


nien waren jeboch blau taffente, reich geflidte ahnen verliehen 
worben. 

Die Standarten bes Lippeſchen rothen Dragoner- Regiments 
waren von gelbem Taffet, auf ber einen Seite mit bem heffiichen 
Wappeu unb ber Umſchrift pro Patria, auf der anderen Seite mit 
Trophäen und der Umſchrift Ferret nec flammas verziert. Die 
Leibgarde zu Fuß aber jcheint einen weißen Schwan mit ber Ums 
ſchrift Candide et Constanter (der Devife Landgraf Karls) in 
den Fahnen gehabt zu haben. 

*) Die Trommeln beftanden größtentheils noch aus Holz und hatten 
daher meift nur einen jehr dumpfen Klang. 12* 


176 


einer Angabe Beerenhorft3 (Seite 26 des 2. Bandes von ' 
deſſen Betrachtungen über die Kriegskunſt) ſoll derfelbe aller- 
dings bei den heifiichen Truppen zuerft, jedoch erft im ſpa⸗ 
niichen Erbfolgefriege in Italien (demnach alfo ums Jahr 
1706) vorgelommen fein. Da man nämlich — wie Beeren 
horſt angibt — der Erzählung hiervon in Berlin keinen Glau⸗ 
ben geſchenkt und es hier unmöglich erachtet habe, Daß 
jeder Kerl mit allen anderen Kerls denfelben 
Tritt haben könne, fo habe fih ein Herr von Kaltitein, 
der in heifiihen Dienften Hauptmann geweſen, erboten, 
davon eine Probe abzulegen, wenn man ihm zu dem 
Ende einige Mannichaft untergeben wolle, welche Probe 
denn auch, zur großen Verwunderung zahlreicher Zuſchauer 
aus allen Ständen, völlig geglüdt wäre und worauf ber 
Gleichſchritt bei der gefammten preußiſchen Infanterie eben⸗ 
wohl eingeführt worden jei.*) 

Als Yundamentalftellung des einzelnen Manne8 war 
vorgeichrieben, Daß — bei aufgenommenen Gewehr — deſſen 
Füße einen gewöhnlichen Schritt auseinander, bie 
Ferſen auf einer Linie, die Fußſpitzen auswärts ftehen jollten, 
d.h. alſo, Daß der einzelne Mann mit ausgeſpreitzten Beinen 
ſtehen ſollte. 

Das Gewehr (die Flinte) ſollte dabei auf der linken 
Schulter, das Schloß auswärts, der Kolben gegen die Mitte 
des Leibes mit ſanft gekrümmten linken Arm getragen werden. 

Obgleich der Gebrauch der Papier-Patronen bereits 


·— 


*) Ehen fo auch hatten die Heſſen den Geſchwindſchritt bereits ſchon 
während des amerilanijchen Krieges von ben Englänbern angenom⸗ 
men, während bie Preußen noch 1806 in den Schladhten bei Jena 
und Auerftevt in langſamen Schritte (75 in der Minute) zum 
Bajonetangriff gegen Haffenhaufen und Auerftedt vworgingen, da 
eine 1797 zum Zwede ber Reviſion des Ererzier » Neglements aus 
den nambhafteften Koryphäen ber bamaligen preufßifchen Taktik 
zufammengefetste Kommiſſion den Geſchwindſchritt einſtimmig als (?) 

eine durchaus ſchädliche Neuerung bezeichnet hatte, 


uf 


Nr 


177 


11 allgemein eingeführt war, fo warb doch, wie fchon erwähnt, 
"1 das Zündpulver auf die Pfanne nicht aus der Patrone, 
"1 fmbern aus einem bejonderen Pulverhorn aufgefchüttet. 
ER Auch waren noch allenthalben hölzerne Labeftöde im Ges 
5] brauche *). 

Beim Feuern ſcheinen die 4 Glieder dicht aufgeſchloſſen 
und die beiden vorderen knieend gefeuert, oder auch Durch 

Enmndoubliren aus 4 Glievern in zwei Glieder formirt wor 
den zu fein. 

Sehr im Gegenſatze von den meiſten gleichzeitigen 
Exerzier⸗Vorſchriften in anderen Heeren, waren die Hands 
griffe mit dem Gewehr bei der heſſiſchen Infanterie an und 
Tür fi ebenwohl weder fehr zahlreich, noch fehr komplizirt, 
indem folche. außer der Chargierung, nur in Gewehr auf 
Und ab, Präfentirt das Gewehr, Bajonet auf und ab, fällt 
Das Gewehr und verkehrt trägt das Gewehr hoch, (d. h. 

. Gewehr über auf dem Marſche mit dem Kolben aufwärts) 
Yeilanden, und meift nur in 2 Tempos ausgeführt wurden. 

Die Grenabiere anlangend , jo wurbe von benjelben, 
wenn fie mit Granaten werfen follten, zuvörderſt das Ge⸗ 
wehr am Riemen über die linfe Schulter gehangen, mit 
ber rechten Hand in der Patrontafche die Granate ergriffen, 
die Branvverhüllung mit den Zähnen abgebiffen, die Lunte 
angeblajen und mit folder Die Granate angezündet und 
fodann mit fteifem Arm geworfen, wobei jedoch mit dem 
rudwärts ftehenden Fuße vorgetreten ward, 

Dagegen fehlte e8 aber doch auch nicht an vielfachen 
und dfter8 ziemlich ſeltſamen Ceremoniel. So 3.3. wur⸗ 
den nieht nur alle Kehrtwendungen ftet3 nur mit präfen- 
tirtem Gewehr ausgeführt, fondern es wurde auch, nament- 
lich hei Mufterungen und Heerſchauen vor fürftlichen Per⸗ 

*) Bei den Brandenburgern führten deshalb bei jener Compagnie einige 


Gefreite eiferne Ladeſtöcke, an welche ein Kugelzieher angeſchroben 
werben konnte, um bamit eiuen Schuß aus dem Gewehre ziehen 


zu Können. Hennert, Seite 24. 





178 


fonen, als Begrüßung nach desfalligen Trommelfignalen, 
gleich den Puppen eined Leierlaftens, zwölfmal hinter ei- 
nander mit präjentirtem Gewehr nach allen Himmeldgegenden 
falntirend Front gemacht, nämlich zweimal rechts und 
zweimal links umkehrt euch und viermal rechts und 
viermal links um, und follfe das Salutiren mit Partis 
fanen, Bilen und Fahnen, überhaupt (wie e8 in der Or⸗ 
donnanz von 1686 heißt) jeder Zeit mit befonderer 
Grace bewirkt und deshalb auch fleikig geübt werden. 
Ebenſo fand beim Defiliren in Barade eine von ber 
gewöhnlichen Aufftellungsweife im Bataillon gänzlich ab= 
weichende Yormation ſtatt. 
Nach der Orbonnanz von 1683 follte nämlich hierbei: 
a. zunächft der Oberft den Zug eröffnen und 
b. die Hälfte der nicht. eingetheilten Hauptleute in einem 
Gliede formirt, diefen aber 
c. die Musketiere in zwei Divifionen formirt dergeftalt 
folgen, daß die andere Hälfte der Hauptleute und die 
Hälfte der Lieutenant? den Zug der 1. Divifion ber 
Musketiere ſchlöſſen, die zweite Hälfte der Lieute⸗ 
nant8 aber dem Zuge der 2. Divifidn Mustetiere 
vorausmarſchiren folltee Sodann follte 
d. der Oberftlieutenant, dieſem 
. e. der älteſte Hauptmann mit ben Fahnen und der 
erften Hälfte der Fähnriche und diefen 
f. die Pileniere ebenwohl in 2 Divifionen formirt der⸗ 
geftalt folgen, Daß die zweite Hälfte der Fähnriche 
zwiichen den beiden Divifionen Pileniere marfchirten. 
Bon den Tambouren follte ein Drittel der 1., ein 
Drittel der 2. Divifion Musketiere und ein Drittel der 
Divifion der Pileniere vorausmarfchiren *). 





*) Außer ben Tambonren befanden ſich auch noch bei den Regimentern 
eine Anzahl Pfeiffer, oder ſog. Hautbois, welche die Stelle unferer 
bentigen ſog. Jauitſcharen⸗Muſil vertraten, Bei dem Leib-Regi- 


">. 
n 


179 


Die Officiere follten beim Deflliren die Partifanen 
nederwaͤrts, die Fähntiche die Fahnen auf der. Schulter 


ment zu Fuß befanden ſich namentlich eine Anzahl fog. Schallmey⸗ 
Pfeiffer. Seltfamer Weiſt warb bie erfte Gelegenheit, wobei das 
Leib- Regiment öffentlich paradirte, durch ben Tod feines Oberften 
veranlaßt. Als nämlich bei der 1683 erfolgten Errichtung befelben, 
folches zunächft dem Feldmarſchall Grafen zur Tippe-Brade verlie- 
ben ward, war der Oberft Joh. Chriſtian Mot gleichzeitig zu 
befien zweiten Commandeur beftellt worben, jedoch ſchon wenige 
Zage ſpäter verftorben, fo daß bei beffen Leichenbegängniß zuerſt 
das formirte Regiment öffentlich) paradirte, wobei namentlich deſſen 
Echallmeypfeiffer und Tamboure zur allgemeinen ‚befonberen Er⸗ 
bauung — wie e8 in.ben besfallfigen Mittheilungen heißt — 
wie noch nie bergleichen vor bem bemerkt worden, Tranermärſche 
aufipielten. — Joh. Chriſtian Motz den 11. März 1604 zu Witzen⸗ 
haufen, wo deſſen Bater Bürgermeifter geweien, geboren, war 
ebenfalls ein ſehr verdienter waterländifcher Heerführer bes 30jäh- 
rigen Kriegs geweſen. Nachdem berfelbe nämlich 1620 ale gemeiner 
Mustetier in das im Solde der Republik Venedig ftehende Schwei- 
jer- Regiment des Generals Melander getreten und darin bis zum 
Hauptmann aufgeftiegen war, hatte er 1631 feinen Abſchied genom- 
men und war in das Baterland zurüdgelehrt, wojelbft ihm in dem 
fog. weißen Regiment des Oberftlieutenants Geyße (Geifo) eine 
« Sompagnie verliehen, und er in Folge feines bei mehreren Gelegen⸗ 
heiten, als namentlich bei der Eroberung von Königsftein bethätig- 
ten, rühmlichen Verhaltens bereits 1633 zum Major befördert 
wurde Im Jahr 1637 mit einigen hundert Mann von Caſſel 
ans zur Verſtärkung ber Beſatzung von Lippſtadt entfenbet, ftieß 
er unterwegs unvermutbhet auf eine ihm fehr überlegene kaiferliche 
Abteilung unter General Wahl. Zu ſchwach, ſolche imi freien Felde 
erfolgreich befämpfen zu fönnen und befilichtend, auf den Rückzuge von 
folder eingeholt und gänzlich vernichtet zu werben, wandte fih Mo 
raſch entichlofjen nad Dengeringshaufen, erftürmte, als ihm Einlaß 
verwehrt wurde, deu Ort und leiftete ſodann ben ihm dahin nachge- 
folgten Heerbaufen des Generals Wahl jo hartnädigen Wiberftand, 
daß jolcher nach mehrmaligen vergeblihen Sturmangriffen und er- 
fittenen großen Verluften, die Berennung biefes Ortes aufhob und 
Motz ungehindert nach Lippftabt ziehen ließ. Ebenſo erfocht er auch 
1644 bei Marienmünfter, unweit Hörter, einen glänzenden Sieg. Im 
Jahr 1647 warb er zum Oberften und Commanbeur bes j.g. ſchwar⸗ 


180 


tragen, beim Salutiren aber die Officiere die Partifanen 
auf die Schulter, die Fähnriche die Fahnen vor die Bruft 
nehmen, und die Uinterofficiere die Kurzgewehre auf 
Schulter (die Spige in der Hand) behalten und nur durch 
Abnehmen des Hute8 Reverenz beweijen. 

a8 den eigentlichen Felddienſt betrifft, fo fcheinen 
darüber Damals noch feine reglementarifchen Beflimmungen 
beftanden zu haben, ſondern folcher lediglich nach Herkom⸗ 
men und Gebrauch ausgeübt worden zu fein, doch ſchreibt 
das Regulativ von 1696 vor: 

Auf Märfchen ſollten die Officiere. und Unteroffi> 
ciere ein jeder auf feinem Plage verbleiben, um Ord⸗ 

‚nung zu halten und das Zurüdbleiben Einzelner zu 
verhindern und den Burjchen (23 — das Raifjoniren 
abzugemwöhnen. 

Der Major aber ſollte insbeſondere dafür ſorgen, 
daß der Quartiermeiſter mit den Fourieren zeitig 
vorausginge und das Lager aufſchlagen laſſe (zu wel⸗ 
chem · Ende jedes Regiment die nöthige Anzahl Leinen⸗ 
zelte ſtets bei ſich führte) und darauf ſehn, daß die 
Bagage in Ordnung dem Regiment nachfolge. Beim 
Einrücken in das Lager ſollte der Major die Wachen 
ausfetzen, den Empfang der Lebensmittel regeln und 
überhaupt allen Dienſt beſorgen und nicht eher vom 
Pferde ſteigen, bis Alles in Ordnung, die Bagage pla— 
eirt ſei und jeglicher feine Gebührniß empfangen habe, 


zen Regiments, und nad) eingetretenem Frieden 1662 zum Ober-Amt- 
mann bes Diemelbgzirts und Präfidenten des Kriegsraths, auch zum 
Inſpecteur bes Lanbausichuffes, 1666 aber zum Commandanten von 
Gafjel und 1683 zum zweiten DOberften bes neu errichteten Negi- 
ments bes Feld⸗Marſchalls Grafen von ber Lippe ernannt, als weicher 
er jedoch — wie bereits erwähnt — wenige Tage nachher, 79 
Sahre alt, den 3. Februar 1683 verftarh. Er hinterließ 4 Söhne, 
beren ältefter Vizekanzler, der 2. Oberſt, der 3. Regierungs-Rath 
unb ber 4, Doctor Mebieinae war. (Ans Suftus Valentin's Leis 
chenpredigt extrahirt). 


181 


Ebenſo follte der Major beim Aufbruche aus dem 
Lager Sorge tragen, daß ſämmtliche Wachen und 
Boften ordnungsmaͤßig und zeitig wieder eingerufen, 
nicht8 zurückgelaſſen und namentli, bei ftrenger 

Strafe, das Lagerftroh nicht in Brand geſteckt oder 

fonftiger Muthwille geübt werde. - . 

Die Bagage anlangend, fo ward bei einer 1695 vor- 
genommenen Mufterung des Lippischen Dragoner-Regiments 
gerügt, daß Die Compagnien feine ordentliche Karren hätten, 
und biefelben deshalb angewiefen, fich ebenfalls folche zwei⸗ 
ſpaͤnnige Karren, mie bei den übrigen Regimentern üblich, 
anzuſchaffen und folche roth, weiß und blau anftreichen zu 
laſſen. Auch ergibt fih aus jenem MufterungSberichte, 
daß per Compagnie auch noch für einen Marletenver 1 
Ration Raubfutter gut gethan wurbe *), 

Die Aufrichtung und Erhaltung einer ftrengen Kriegs⸗ 
zucht, dem Geifte der Zeit entiprechend, ebenjo von der 
Menge als von der Strenge der Strafgebote abhängig er- 
achtend, bedrohte der Artitulshrief von 1689 insbeſondere 
zunähft: Schwarzfünftler, Teufeldbanner, Feftmacher und 
Baffenfegner mit Staupenichlag und fchimpflicher Entlaf- 
fung; Gottesläfterer mit Durchbohrung der Zunge mittelft 
eines glühenden Eiſens; Verſäumniß des Gottesdienſtes 
bei Soff und Spiel, mit Bilentragen, hölzernem Pferd 
zeiten und Pfahlichließen. 

Wer gegen den Oberen das GSeitengewehr entblößte, 
jollte die Hand verlieren, und fo e8. unter dem Gewehr 
geihehen, arquebufirt lerſchoſſen werden. Gedungener 
Mord ſollte mit Viertheilen; Zauberei, unnatürliche Laſter 
und Brandſtiftung ſollten mit dem Feuertode; Ehebruch, 





*) Hiermit im Gegenſatze hatte, nach dem BVerpflegungs-Regulativ 
für Das ſchwäbiſche Kreis-Armeecorps, jeber Marquetender an 
ben Oberften monatlich 9 fl., an den Oberftlieut. 3 fl. und an ben 
Hauptmann ber betreffenden Compagnie 6 fl. zur Ergötlichleit 
abzugeben, 


j M 


182 


Bigamie, Nothzucht, Straßenraub, Einbruch und wieder- 
holter Diebftahl mit. Hängen und Köpfen; Mord mit 
Rädern; gewaltthätiger Ueberfal und Mißhandlung mit 
Berluft der Sand beftraft werden. Ebenſo follten Mein» 
eidige, bevor fie fhimpflih vom Regiment weggejagt wür= 
den, zuvor erfi noch Die zwei Schwurfinger von der rechten 
Hand abgehauen befommen *); Deferteure jollten gehängt, 
Meutemacdher ftrangulirt, Berräther geviertheilt werben, 
Berrath von Looſung und Feld geſchrei, Briefwechiel mit 
dem Feinde, fowie Anzettelung von geheimen Berbindungen 
mit Berluft des Kopfes; Schlafen auf Boften und Berlaffen 
der Wache ohne Urlaub auch bei Officieren mit arquebu⸗ 
firen; Widerfeglichkeit gegen Patrouillen mit Verluſt der 
Fauſt; nächtliche Ruheftörungen durch Schießen und Balgen 
mit Ehren= und Lebensftrafe gebüßt werden. . 

Entfernung aus der Garnifon über Nacht ohne Urlaub 
ſollte mit Leibes- und Ehrenftrafe, Entfernung ohne Urlaub 
auf dem Marſche über '/, Meile mit LXeibes- und: über 1 
Meile mit Lebenzftrafe geahndet werben. 


*) Die Strafe der Berflämmelung war überhaupt ziemlich allgemein 
gebräudlih. So z. 2. beftiuumten bie von dem Markgrafen Lud⸗ 
wig von Baden 1695 für die feinen Befehlen unterftellten Reiche» 
truppen erlaffenen f. g. Disciplinar-Punkte, daß: 

fo oft zum Fouragieren wusgerüdt würde, auch der Generak 
©ewaltige mit einer Estorte von 1Offizier und 30 Neutern Dabei 
anwefend fein und jeden Uebertreter der Fouragierordnung als⸗ 
bald beim Kopfe nehmen, und daß einem ſolchen das erfte und 
auch das zweite Mal je ein Ohr abgefchnitten, das britte Mal 
aber derſelbe gehängt werben ſollte. Stablinger S. 77. 
Ebenfo ward auch in einem Edicte König Friedrich 1. von 
Preußen d, 1711 verfügt: 
daß Deferteure Tünftighin nicht mehr gehängt, fonbern ihnen, 
nachdem fie vor verfammeltem Regimente zum Scelm gemacht 
und ihnen vom Henker der Degen zerbrocdhen worden ſei, bie 
Nafe und ein Ohr abgejchnitten und dieſes an den Galgen gena- 
gelt werben, der Deliquent aber zeitlebens zum Feſtungsbau con- 
bemnirt werben follte. Lünig, Corpus juris milit. &, 909. 


183 


Wer den Profoßen in Ergreifung eines Uebelthäters 
hindern würde, dergeſtalt, daß folcher zu entrinnen vermöchte, 
der follte an deſſen Stelle treten *). 

Abzwingen von Trinfgelvern ſeitens der Wache follte 
mit Reibesftrafe, Würfel- und Kartenfpiel bei den Soldaten 
mit Gaffenlaufen, reſpektswidriges Betragen gegen die Civil⸗ 

obrigfeit mit Leibes⸗ Ehren- und Lebensſtrafe, Mißhand⸗ 
lung de8 Quartierwirthes mit Leib- und Lebensſtrafe ge⸗ 
ahndet werden. 

Wer einem andern eine Maulfchelle gab ober ihn mit 
dem Stode geichlagen hatte, der mußte vor verfammeltem 
Gerichte niederknien und dieſelbe Beleidigung von dem von 
ihm Beleidigten zurüd in Empfang nehmen.‘ 

Ber als Befehlshaber ohne die höchite Noth feinen 
Doften verlaffen würde, follte enthauptet und die ihm nach⸗ 

geſetzten DOffictere und Soldaten, die fi} dem nicht wider- 
feßt haben würden, becimirt, die am Leben bleibenden aber 
zu Öffentliden Schelmen gemacht werben. Ebenſo ſollte 
jeder, der den Anfang zur Flucht mache oder ſich zu fechten 
- weigeren würte, ohne Anjehn der Perſon, alsbald nieder- 
gemacht werden. Gejchähe folches Durch geichloffene Trupps, 
fo follte der Befehlshaber enthauptet, die übrigen decimirt 
werden, bie am Leben bleibenden aber jo lange ohne Fahnen 
als Schelme feparat lagern, bis fie durch rühmliche Thaten 
fih wieder zu Ehren gebracht haben würden, 

Mer au8 Feltungen oder verſchanzten Lagern anders 
als durch die gewöhnlichen Pforten ein- und ausgehen würde, 
ber follte an Leib und Leben geftraft werden. - 

Unterfdyleif bei Mufterungen und Vorenthaltung bes 

®) Dagegen verfügte aber auch ber Herzog - Adminiftrator Friedrich 

Karl von Würtemberg unter dem 16. Juli 1690, als bie 

Armeer-Profoßen fih mit Einbringung von Marodeuren fäumig 

erwiejen, daß, wenn ſolche feine Marodeurs einbringen, gleichwohl 

aber begründete Klagen über das Marobiren andauern follten, 
alsdann Die Profoßen untereinander jelber ums Leben fielen follten. 


Stabtlinger ©. 842. 
Zn. 


184 


Soldes der Untergebenen follte am’ Vorgeſetzten mit Verluft 
von Ehre und Amt, Beihülfe hierzu von Seiten der Unter« 
gebenen mit Gaffenlaufen, Beleidigungen und Bedrohungen 
des Mufter-Commiffars aber mit dem Tode beftraft werden. 

Ganz beſonders ftreng waren, bei Leibes⸗ und Lebens⸗ 
ftrafe, Zweifämpfe verboten. Wer einen anderen beleidigte 
und fich weigerte Abbitte und Widerruf zu leiften, der 
ſollte mit fcharfem Gefängniß und ‚harter Geldftrafe anges 
ſehen werben und der Scharfrichter Namens feiner und an 
feiner Stelle jenen Widerruf und Abbitte Leiften. 
| Da jedoch anfänglich die ftrifte Beobachtung dieſer 

Gebote und Verbote nicht In gehöriger Weiſe geübt worden 

zu fein fchien, fo wurben in dem Negulativ von 1696 bie - 
Eompagnie-Chef3 perjönlich verantwortlich gemacht, jeden 
ihrer Untergebenen, der eine dieſen Kriegsartifeln zuwider 
laufende Handlung begehn würde, dem Regiments-⸗Comman⸗ 
deur zur Anzeige zu bringen, dieſer aber verpflichtet, als⸗ 
dann mach Befund der Sache über ven Borfall entweder 
jelbit zu’erfennen, oder durch den Auditeur, unter Beiord⸗ 
nung zweier Officiere als Beifier, ein ordnungsmäßiges 
Berhör und fodann, unter jedesmaligem Vorfit des Majors, 
ein ordnungsmäßiges Kriegsgericht anzuberaumen. Die Volle 
ziehbarfeit der Erfenntnifje dieſer Kriegsgerichte aber ſollte 
von der Beftätigung ded Regimentd-Commandeurs abhängen, 
und wenn auf mehr als Spießruthen erfannt worden, das 
Urtheil dem en Chef fommandirenden Generale oder dem 
Zandesherrn felber zur Beftätigung eingereicht werben. 

Auch ſollten die Kriegsaztifel der Mannſchaft häufig in 
den Quartieren nicht nur vorgelefen, ſondern auch gehörig. 
erklärt und namentlich die Dejerteure jährlich zweimal öffent» 
lich aufgefordert werden, fich zu fiftiren, die Bildniſſe Der 
Ungehorfamen aber alsdann auch unfehlbar an den Galgen 
geſchlagen werden. 

Trotz der Härte vieler jener Strafbeftimmungen fand 
damals im Uebrigen Doch durchaus noch nicht jene barbarijche 


\ 


185 


Dienfiftrenge ftatt, mie jolche fich in der Mitte des 18. Jahr⸗ 
hunderts allenthalben bemerklich machte. Trotz aller Bars 
barei einzelner Strafbeſtimmungen war in den damaligen 
Strafgeſetzen nämlich vor allem ſtrenge Religioſität und 
Liebe und Treue zum Landes- und Kriegsherrn vorangeſtellt, 
und alle Verpflichtungen und Verbindlichkeiten hauptſächlich 
daraus abgeleitet; im Uebrigen aber achtete man im Unter⸗ 
gebenen, ber freiwillig unter die Fahne getreten war 
und jenen Geſetzen fich unteriworfen hatte, wie ſchon erwähnt, 
damals noch allenthalben die Menjchenwürbe, weshalb denn 
auch entehrende Strafen nur bei wirklich entehrenden Ver⸗ 
gehen und. namentlich Gaffenlaufen, außer wegen Spieleng, 
nm wegen Diebftahl8 erkannt wurde, Stodichläge aber 
noch nicht häufig vorfamen und willtürlihe Mißhand— 
lung der Untergebenen Seitens ber Vorgeſetzten durch 
Schläge u. f. w. durchaus unterfagt und ftrenge beitraft 
wurde. Sp 3. B. ließ Landgraf Karl, al8 ein Soldat 
im Leih-Regiment, Namen? Wachsmuth, in einer direkt 
an ihn gerichteten Eingabe 1693 fich darüber beklagte, 
yon dem Lieutenant von Spiegel geringer Urfache halber 
fo übel mit Stodichlägen traktirt worden zu fein, daß er 
dienftunfähig geworden, desfalls eine ftrenge Unterjuchung 
anordnen. Obgleich fich Dabei herausſtellte, Daß der Kläger 
zwar allerdingd von dem Lieutenant von Spiegel Schlüge 
erhalten, jedoch nur in Folge von ihm gegen folchen geübter 
grober Ungebühr, und daß derjelbe jeden Falles auch nicht „ 
in deren Folge, jondern in Zolge ſchon feit längerer Zeit 
geübter Trunkſucht und Ausichweifungen dienftunfählg ge= 
worden fei, wie dieſes namentlich auch noch Durch ein Gut⸗ 
achten der mediciniihen FTacultät in Marburg feitgeftellt 
ward, jo vermochte doch nur die Rüdficht auf die fonftige 
beſonders gute Dienftführung jened Officiers denjelben vor 
Dienftentlaffung zu bewahren *). 


*) Sp erließ auch Kurfürft Friedrich Wilhelm won Brandenburg noch) 


186 


Solche Immediatgeſuche und Beſchwerden der gemel- 
nen Mannichaft an den Landgrafen famen Üiberhaupt häufig . 
por, und fcheint dazumal die Mebergehung der nächſten Vox⸗ 
gefegten mit derartigen Beſchwerden noch nicht unterfagt 
geweſen zu jein. 
Das hiernach noch vielfach vorherrichende patriarcha⸗ 
Yifche Verhältnig des gemeinen Mannes felbft zu dem ohepe | 
ften Kriegsheren fand jedoch bald zunehmend dadurch eine. .ı 
immer größere Trübung, daß bei der anfehnlichen Vermeh⸗ 
rung der Kriegsvölker die inländifche freiwillige Werbung .ı 
nicht mehr außreichte, bie nöthige Mannfchaft zufammen : 
zu bringen, und man fomit beim Erſatze des Abgang® ; 
Immer iveniger wähleriich zu Werke ging, fo daß bald aud | 
in. den heifiihen Negimentern das bunteſte Gemijch von | 
Abenteurern aller Nationen, als Engländer und Staliener, | 
Schweden und Spanier, Bolen und Franzoſen, ja fogar, 
einzelne Ruffen und Griechen anzuireffen waren, " 
Es darf daher nicht befremben, daß in dem Regulatio |, 
von 1696 den Eompagnie-Chef8 nicht nur eingefchärft wurbes N 
„Die Quartiere fleißig vifitiren zu laſſen und darin 
feine lüderlichen Prauensperfonen und feine von der 
Mannſchaft gegen die AQuartierwirthe verjuchte Unge⸗ 


bühr zu dulden, 


A 


unter dem 29. Januar 1688 an ſämmtliche Regiments⸗Befehlshaber \ 
. . RN a * 
ein Rundſchreiben, worin gejagt wird: 

„Es ift, wie Wir vernommen, bei unferer Miliz bisher öfter 8 
„geichehen, daß die Soldaten, wenn fie egcedirten, aljofowtR. 
„zwiſchen die Pilen geführet und won ben Unterofficieren mit y 
„Stockſchlägen und Prügeln gar übel traftirt worben find. Da, g 

* „Wir dergleichen Rigeur jedoch gar nicht billigen, befehlen Wir 
„Eu daber, dahin zu fehn, daß dergleichen im Regiment RE 
„hinfüro abgeftellt und jedermänniglich angemwiefen werde, ſich !ie 
„beffen zu enthalten.“ Lünig, corpus juris militaris. S. 880, Y 
Wie übrigens das zwiſchen die Piken führen ausgeht, 

wurde, ift in Paul Flemmings „Der beutfhe Soldat" Kup 
ferplatte M gar anſchaulich abgebilbet, “ 
’ ’ cu 





187 


fondern daß folche auch noch ganz beſonders ermahnt wurben : 

„vorab ſcharf darauf zu ſehn, daß die Burjchen feine 

„Straßenräuberei trieben. Ä 

Ebenſo konnte e8 nicht fehlen, daß bei der Enrolli⸗ 
sung jo vieler fremder Abenteuerer, obſchon die Kapitula= 
tionszeit meift eine kurz bemefjene, felten über 4 Jahre 
Bauernde war, deſſen ungeachtet die Defertiongfülle fich zu— 
- achmend fteigerten.. So u. a. bejertirten allein vom Leib- 
Regiment von Ende 1693 bis Mitte 1697 123 Mann, 
vorunter jedoch nur 17 Inländer fich befanden. 

Die Sold- und BVerpflegungsverhätltniffe anlangend, 
fo waren ſolche — obichon gegen die Anfäge während bes 
Hjährigen Kriegs bereits anjehnlich ermäßigt — im Allge- 
meinen und bejonder8 im Vergleiche zu der bald darauf 
Immer mehr zunehmenden ſyſtematiſchen Hungerleiderei, noch 
als ziemlich reichliche zu bezeichnen. 

Ebenio war man auch dabei bemüht, jegliche Will- 
Üir der Befehlshaber zu befeitigen und eine fireng geregelte 
Ordnung und rechnungsmäßige Controlle und Meberficht 
berbei zu führen. 

Zu diefem Ende bildete jedes Regiment in Bezug 
auf Die gefammte Adminiſtration bei demſelben einen jelbit- 
fändigen Körper, und waren dem Commandeur zur Aus⸗ 
übung derjelben der Major und der Regimentd-Quartier- 
Meifter als Gehülfen beigeordnet. Demgemäß ward dann 
auch namentlich das Geldrechnungsgeſchäft — in Folge der 
Beftimmungen des Regulativs von 1696 — durch eine, 
aus dem Major und dem Negimentd-Quartiermeifter ge= 
bildeten Kaſſencommiſſion verwaltet, wobei Der Regiments⸗ 
Quartiermeifter alle eingehenden Gelder zu vereinnahmen 
und in die unter Mitverjchluß des Oberften und des Ma- 
jors ſtehende Regimentskaſſe abzuliefern, fowie die daraus 
zu bewirktenvden Auszahlungen, nach den desfalls von dem 
Regiments-Eommanbeur atteftirten Zahlrollen und Anwei⸗ 
ſangen, an die reſp. Compagnie⸗Chefs u. ſ. w. zu vermitteln 


188 


hatte, worüber zwilchen ihm und den Compagnie-Chefs 
alle 6 Monate Spezial⸗Abrechnung ftattfinden follte. Ebenſo 
beftand eine au dem Major, zwei Hauptleuten und bem 
Regimentd-Quartiermeifter zufammen gefeßte Oekonomie⸗ 
Sommiffion, welche die Stoffe der großen Montirung aus⸗ 
zumwählen und im Ganzen anzufaufen und die Probe-Mon=- 
tirungen und Schuhe u. |. w. anfertigen zu laffen hatte; 
wogegen die Anfertigung des Bedarfs der Compagnie, auß . 
bem Hierzu an folche abgegebenen nöthigen Quantum von 
Stoffen, diefer oblag. 

Die Gehaltverhältniffe anlangend, fo erhielt ber 
Oberſt der Infanterie als folcher (außer feinen Emolumen- 
ten als Eompagnie-Chef) an Kriegsjold monatlid 120 fl., 
8 Portionen Brod und 20 Nationen Cd. h. 10 als Oberft, 
6 als Compagnie=Chef,.2 für den Belt und 2 für ben 
Regiments-Kaſſenwagen), der Oberſtlieutenant desgleichen 
52 fl., 6 Portionen, 14 Rationen, der Major 30 fl., 4 Por⸗ 
tionen, 12 Rationen, der Hauptmann 60 fl., 2 Portionen, 
8 Nationen (darunter 2 für die Pferde des Zeltwagens), 
der Lieutenant 34 fl., 2 Portionen, 3 Rationen, der Fähn- 
rich 26 fl., 2 Portionen, 2 Nationen, ein Sergeant 9 fl., 
ein Corporal 5 fl. 15 Kr., ein Tambour und Gefreiter 
4'/, f., der Soldat 4 fl. und außerdem täglich 1 Portion 
Brod A 2 Pd. dergeftalt, daß ein Infanterie = Regiment, 
influfive den Kompetenzen des Mittelftabes täglich 165 
Rationen bedurfte, wofür, wenn folche nicht in Natur geliefert 
wurden, monatlich 4 Thlr. für die Ration vergütet wurden.“) 


*) Nach dem Verpflegungs-Regulativ won 1634 hatte Dagegen ber Unter- 
offizier, außer freiem Duartier und täglicher Naturallieferung won 2 
Pfund Fleifh, 4 Pfund Brod, 2 Maas: Bier, monatlich auch noch 
5 Gulden baar, der Gemeine aufer freiem Quartier und täglich 
1 Pd. Fleiſch, 2 Pſd. Brod, 1 Maas Bier, monatlih no 1 Gul⸗ 
den baar empfangen. Selbſt noch) 1676 hatte fih ber Solb eines 
Hauptmanns auf 97 Gulden, eines Lieutenants auf 392 Gulden, 
eines Fähnriche auf 384 Gulden, eines Sergeanten auf 104 Gulden, 


189 


Der Gehalt eined Oberften der Reuterei oder Dras 
goner belief fich desgleichen auf 185 fl, des Oberftlientenants 
auf 115 fl., des Major auf 98 fl., des Rittmeiſters auf 
75 1, des Lieutenant auf 42 fl., des Cornets auf 36 fl., 
des Wachtmeifter auf 30 fl., des Quartiermeiſters auf 
15 f., des Corporals auf 12- fl., des Trompeters und Feld- 
ſcherers auf 10 fl... des gemeinen Reuterd auf 9 fl., des 
Dragoner8 auf 5 fl. 

Indeſſen fanden an dieſen Soldbezügen bereits fo 
viele Abzüge ſtatt, daß namentlich der gemeine Mann kaum 
die Hälfte des Soldes baar als ſogenanntes Koſtgeld heraus 
befam. 

Zunächſt ward nämlich von Seiten der Kriegskaſſe 


eines Korporals auf 7 Gulden, eines Gefreiten und Spielmanns 
auf 5 Gulden 15 Kreuzer, eines Soldaten auf 44 Gulden belau⸗ 
fen, und war baher binnen jener wenigen Jahre bei ben meiften 
Chargen um ein volles Dritttheil ermäßigt worben. 

Im Frieden fielen auch noch die Portionen ganz, die Nationen 
aber zum größten Theile weg, und warb den Offizieren überhaupt 
flatt freiem Quartier |. g. Service, nämlich dem Oberften monat- 
ih 8 Thaler, dem Oberftlieutenant 4 Thaler, dem Major 3 Tha- 
ler, dem Hauptmann 2 Thlr., dem Lieutenant 13 Thlr., dem Fähn- 
rich 1 Thlr. gewährt, und beftand der Sol überhaupt Des Oberften 
aus monatlih 60 Thaler, des Oberftlieutenants 30 Thaler, bes 
Majors 10 Thaler, (wozu jeder noch als Compagnie⸗Chef 25 Thaler 
bezog), des Hauptmanns 25 Thaler, des Lieutenants 13 Thaler, 
des Fähnrichs 10 Thaler, des Sergeanten 5 Thaler, des Korpo- 
rals 3 Thaler, der Gefreiten uud Spielleute 2 Thaler 20 Albus, 
des Soldaten 24 Thaler. 

Bei den ſchwäbiſchen Kreistruppen bezogen bie höheren Chargen 
bagegen weit höhern Felbfold, indem ein -Oberfi z. B. monatlich 
236 Gulden, 21 Portionen und 12 Nationen, ein Hauptmann 
79 Gulden, 7 Portionen und 3 Nationen, ein Lieutenant 314 
Gulden, 2 Portionen und 2 Nationen, Dagegen ein Sergeant 
monatlich nur 5 Gulden und 2 Portionen, ein Korporal 4 Gulden 
und 14 Portionen, Gefreite und Spielleute 3 fl. und 1% Portio- 
nen, Gemeine 2 fl. und 1 Portion erhielten. Etablinger, Ge⸗ 
ſchichte des würtembergiſchen Kriegsweſens. ©. er 


viti. Band. 


1% 


überhaupt jährlid — feltiamer Weile — nur für 11 Mo» 
nate Sold gewährt, und mußten die Regimenter fomit jähr⸗ 
lid eine Monatslöhnung erjparen, was namentlich dadurch 
geichah, dag auf Märchen und bei Einquartierungen mit 
freier Koft auch die Auszahlung des baaren Soldes ceffirte. 

Dann wurde bei der Infanterie ter Mannichaft aber 
auch noch weiter monatlich abgezogen: für tie große Mon- 
tirung 45 Kr. (Sergeanten 1 Thaler), für Heine Montirung 
(Hoſen, Schuhe, Weißzeug u. |. w.) 50'/, Kr. und für 
Zulage zur Natural-Brobverpflegung 4°/, Kr., zu den Re= 
giments-Untoften 3 Kr., für Bedengeld 3 Kr. und endlid 
unter dem jeltfamen Titel— für Promptete der Bezahlung — 
vom Thaler 5 Ar. — 13°/, Kr. welder Betrag von 
1717 ab wenigftend zum Beten der Invaliden verwenbet 
wurde, in Summa aljo — 2 fl. monatlidy, jo daß alfo dem 
Gemeinen der Infanterie monatlih nur noch 2 fl. von 
feinem Solde übrig blieben, wofür er feine übrige Berpfle- 
gung außer Brod, welches er alle 4 Tage in Natura erhielt, 
felber zu beichaffen hatte. Bis 1696 ward diefer Baarſold 
alle 10 Zage, von da ab alle 5 Tage an die Mannichaft 
ausgezahlt und betrug ſomit eine 5tägige Löhnung für den 
Sergeanten 45 Kr. den Eorporal 30 Kr. und den Gemei- 
nen 20 Kreuzer. *) 

Dagegen follten dem Manne für den Abzug an großer 
und Heiner Montirung alle 2 Jahre ein neuer Regen- und 
‚ein neuer Leibrod, fo wie alle Jahre 2 Paar Schuhe ge— 
liefert ımd eben fo auch Hoſen, Strümpfe, Halsbinden, 
Weißzeug, Hüte und Handſchuhe im Stande erhalten werden, 
wobei der Anſchaffungspreis eines Regenrodes zu 4 Thle.**) 


*) Bei den ſchwäbiſchen Kreistrupren fand ebenfalld pro Mann für 
die große Montirung ein menatliher Abzug ven 45 Kr., für Ne 
giments-Unkoften und Bedengeld von 3 und für Spitalgeld von 3 
Kr. ſtatt. Stablinger, S. 537. | 

*s) Die Elle Montirungstuhd ward mit 30-40 Fr. bezahlt. Als 
Maßſtab der Geldwerthverhältniſſe mag auch noch Ermähnung finden, 


Sn 


191 


eined Leibrockes (a. 5 Ellen blaue Tuch, nebft Zuthaten 
und influfive 12 Alb. Macherlohn) zu 4 Thaler 11 Albus, 
eine Vederne Hofe zu 1 Thlr., eines. Hute8 mit Schnur zu 
18 Alb. eines Halstuches zu 3 Alb. 6 Heller, eines Paar 
Strümpfe zu 16 Alb., eined Hemdes 16 Alb., eined Paar 
Schuhe 1 Thlr., eines Degengehänges 21 Alb., eines Ban- 
deliers mit Patrontafche zu 28 Alb. angeſetzt waren. 

‚Alle drei Monate follte desfalld von dem Regiments⸗ 
Commandeur Mufterung und alle Jahre zwiichen den E.om- 
pagnie⸗Chefs und der Mannſchaft Abrechnung gehalten und 
demjenigen, der gut gemacht hätte, fein Guthaben baar 
berausbezahlt werben, was fpäter, um dadurch die Mann 
Ihaft mehr vom Dejertieren abzuhalten, dahin abgeändert 
wurde, Daß nur dasjenige, was der Mann über 12 Thaler 
gut gemacht hatte, ihm ausbezahlt, und überhaupt getrachtet 
wurde, daß jeder Mann mindeſtens 12 Thaler Guthaben 
in der Kaſſe ftehn habe, welche, wenn er bejertierte, der 
Refrutixungsfaffe zufielen, und ihm nur dann gewährt wur⸗ 
den, wenn er ordnungsmäßig verabichievet ward. 

Da bei den rafch fteigenden Preiſen der Rohjftoffe 
und der Arbeit, die Montirungsftüde jedoch für Die obigen 


daß 1682 das Kafjeler Viertel Waizen 2 Thlr., Korn 14 Thlr., 
Gerfte 14 Thlr., Hafer 1 Thle. alfo ungefähr den britten Theil 
wie gegenwärtig koſtete. | 
Nach dem Verpflegungs-Regulativ für die ſchwäbiſchen Kreis- 
truppen aber ward eine Portion won täglih 2 Pf. Brod und 1 
Bd. Fleiih zu 12 Kreuzern und eine Nation von 6 Pfb. Hei, 
8 Pd. Hafer und das nöthige Streuftroh zu 20 Kr. Geldwerth 
veranichlagt. Letzterer Satz fand auch bei den Brandenburgern 
Anwendung und warb bei folchen einem Oberften 2 Nationen für 
Reitpferbe und 1 Ration fiir ein Knechtepferd, fo wie 4 Nationen für 
ben Küchen-, 4 Nationen für den Rüſtwagen und 2 Rationen für 
bie Packpferde cder überhaupt 13 Nationen gut gethan. Bei der 
Infanterie erhielt der Hauptmann ebenfo 1 Ration fiir ein Reite, 
4 desgl. für 4 Wagen-, 1 Nat. für ein Pad-, desgl. für 1 Fou⸗ 
tiere, 4 desgl. für 4 Komp.-Sarren-Pferbe, re ©. 45). 


192 . 


Anfahe ſchon ſehr bald nicht mehr zu beichaffen waren, auch 
aus diefen Fonds die Zelte erhalten werben follten, wonon 
eined 10 Thlr. 8 Alb. zu fiehen Tam, und daß desfalls ge= 
troffene AusfunftSmittel, die Mannſchaft gegen in die Mon=. 
tirungöfafje zu zahlenden Gebühren auf Privatarbeit auszu⸗ 
ichiffen, zu großen Mißbräuchen Anlaß gegeben hatte, fo 
ſah man fi von 1698 ab genöthigt, einerjeit® zwar bie 
Soldfompetenz an fi, eben fo aber auch die Abzüge an 
folcher zu erhöhen, jo daß nunmehr der Baarbetrag der 
Stägigen Löhnung eines Sergeanten nur noch 30 Kr. jener 
eines Corporals 22'/, Kr. und. jener eined gemeinen Sol⸗ 
daten 15 Kr. betrug, alſo bei Iekterem um ein volles Bier- 
theil herabgefegt warb, wofür jolcher gleichwohl, nach wie 
vor, feinen RebenSunterhalt außer Brod zu beſchaffen hatte. *) 

In ähnlicher Weife wie in Bezug auf Beichaffung 
der Montirung, ward aud in Bezug auf Beichaffung und 
Unterhalt der Waffen, der Remontirung und ver Refrutirung 
verfahren. 

Sp mußten 3. B. die Compagniechef3 der Infanterie, 
gleichſam als Kaution für die gute Unterhaltung der Waffen 
300 Thaler hinterlegen, die ihnen nur in dem Maaße von 
ihrem Amtsnachfolger erftattet wurden, als fie jolhem Wehr 
und Waffen in vorjhriftsmäßigem Stande überlieferten. 

Eben ſo flofjen auch, außer einer gewilfen dafür gut 


*) Bon dem rafchen Steigen der Preife aller Montirungsftüde gibt 
der Umftand einen Fingerzeig, daß 1702 die Elle Montirungstuch 
ftatt mit 30—40 Kreuzern bereits mit 54 Kreuzern, der Macher- 
lohn mit 1 Gulden, ein Halstuch flatt bisher zu 3 Alb. 6 Hlr. zu 
30 Kr., oder die ganze Montirung ftatt bisher zu 18 Guld. zu 24 
Gulden pro Kopf veranjchlagt werben mußte. 

Bei den Brandenburgern aber kam 1704 die Elle Tuch bereits 
auf 15 gGr. und demnad ein Rod 35 Ellen Tuch, 7 Ellen Boye 
zu Unterfutter & 4 gGr., 1 Elle Kronraſch zu Aufſchlägen a 14 
gGr., 20 Stüd meifingene Knöpfe a.6 g6r. 8 Pf., 1 Loth Ka⸗ 
meelhaar und 2 Paar Schleifen 4 I gGr., in Summa auf 5 Thlr. 
12 gGr. 8 Pf. zu ſtehen. Hennert, ©. 12, 


193 


gethanen Quote (anfänglich 4 Tomplette Solde jährlich), 
namentlich in die Rekrutirungskaſſe die vollen Löhnungs⸗ 
und anderen Bezüge, aller an ber fompletten Sollſtärke feh- 
Ienden Mannjchaft, wobei jedoch beftimmt war, daß eine 
Balanz nicht Yänger als 4 Monate unbefegt bleiben dürfte. 
Aus dem auf ſolche Weile fich bildenden Fond wurben dann 
hinwieder die Werbegelber beftritten, welche bei der Infan⸗ 
terie fich für rohe Refruten auf 12 — 16 Thlr., bei der 
Reuterei für gediente und ausgebildete Reuter mitunter aber 
auf 360. Thaler a Kopf beliefen, 

Ehen ſo wird in dem Werbepatent von 1688 des 
Oberfiljeutenants Alegander von Wartenslehen, zur Auf- 
richtung eines Dragoner-Regimentd, eine Dragonermonti⸗ 
tung, einjchließlich der Waffen, zu 40 Thaler, eine voll- 
kommene Dragoner -Außrüftung aber influfive Sattelzeug, 
jedoch ohne Pferd, zu 62 Thaler veranſchlagt. 

In ähnlicher Weiſe wie die Relrutirungskaſſe ward 

Auch die Remontirungskaſſe gebildet, indem außer einer be⸗ 
ſtimmten Duote auch noch ftet3 für die volle Solfftärfe 
Dos Rauhfutter, Beichlaggeld u. f. w. gut gethan, jedoch 
Von dem mankirenden Stande der Remontirungslaffe gut 
geſchrieben wurde; wohin auch der Erlös der ausrangierten 
Pferde zurüdfloß, und wogegen aus folcher die Anſchaffung 
Der Remonte beftritten werden mußte. Als Anſchaffungs⸗ 
Preis für ein Dragonerpferd fcheinen Durchichnittlich 40 Ihlr. 
veranſchlagt geweſen zu ſein. IN 
.Es veranlaßte jedoch Diefe Manipulation mit ihren 
fog. Dekpurtirungen oder Ab- und Gutfchriften immer 
mehr und mehr ein jehr komplizierte Rechnungsweſen und 
führte endlich dahin, dasſelbe lediglich dem rechnungsverſtän⸗ 
digen Regimentsquartiermeifter ganz in Die Hände zu geben, 
fo daß die früher häufig von den EompagniesChefs direkt, 
zum Rachtheil des Aerariums oder der Mannichaft, geübten 
Unterjchleife allerdings fo Yeicht nicht mehr vortommen konn⸗ 
ten, Dagegen aber nunmehr durch die Regimenis-Quartier« 


194 


meifter zum Nachtheile, ja nicht felten zum volligen Ruin, 
ihnen allzuviel Bertrauen ſchenlender Regiments⸗Comman⸗ 
deurs häufige Betrũgereien ſtattianden. 

Am einfachſten war das Rechnungsweſen beim Land⸗ 
Ausſchuſſe, indem hierbei der Sold nur in ter Form von 
Tagegeldern für tie wirklich im Dienfte zugebrachten Tage, 
und zwar dem Hauptmann (jehr fpärlich) mit täglich 5 Alb, 
8*%/, Heller, tem Lieutenant mit 3 Ab. 5'/, Heller, dem 
Unteroffizier mit 2 Alb. 8 Hlr., tem Gemeinen mit 1 Alb, 
6 Heller gewährt wurte, während Waffen- und Rüſtſtücke 
von der Landesherrichaft, die große Montirung von den 
Gemeinden und die kleine Montirung von ven Landaus- 
ſchußſoldaten fich jelber geftellt warb, wofür ten Letzteren 
jetoch ein Entſprechendes an der monatlich von ihnen zu 
zahlenden Eontribution oder Grundſteuer wieder vergütet 
wurde. 

Eine firenge und genaue Regelung aller und jeder 
Berhältniffe Ted Kriegsvolles that übrigens um fo mehr 
Noth, als unter demjelben immer noch — als. ein böfes 
Erbſtück aus dem 30jährigen Kriege — vielfach ein Geift 
tes Uebermuthes fich fund gab und eine Neigung zu Gewalt- 
thätigleiten und Zügellofigfeiten jich bemerkbar machte, die 
einer unter der Aſche fortglinnmenden Lohe vergleichbar ers 
ſchien. — Sind ſolche Neigungen unter allen Umftänden 
ſchwierig zu unterdrüden, fo fiel es damals um fo ſchwerer, 
fie vollig im Zaum zu halten, da — leider — die meiften der _ 
Führer, bis in Die höheren und höchiten Stellen hinauf, 
mehr oder minder fle ebenwohl theilten. Doch Landgraf Carl 
war ganz dazu gemacht, auch das Echwierigfte zu vollbringen. 

Mit zunehmender rudfichtSlojefter Strenge ward daber. 
auch In den, die Verpflegung und das Quartierweſen be= 
treffenden Ebikten vom 3. Sanuar 1684, 14. Auguft 1685 
und 6. Sanuar 1696 alle Seitens von Offizieren und Sol- 
Daten gegen ihre QDuartierwirthe geübte Eigenmacht und 
Bebrhdung verpbnt. 


195 


So 3. 8. beftimmte die Dragoner = Orbonnanz von 
1684 wörtlich Folgendes: Da man vernommen, heißt e8 
darin, daß die Reuters ihr ihnen gereichte® monatliches 
gutes Traktament verföffen und verjplelten, und bann ihre 
Speifung von ihren Quartierwirthen unter Drohungen und 
Sewaltthätigfeiten zu erprefien Bedacht nähmen, fo follten, 
falls die Offiziere fih in Abftellung deſſen Yäftig erweijen 
oder gar. mit daran theilhaftig wären, die Beamten Macht 
haben, die Unterthanen in jeder Weife vagegen zu ſchützen. 
Zu dem Ente follten fie folche Praffer, gleich wie jeden 
anderen leichtfertigen Gefellen der im Quartier over auf 
der Straße oder im Felde rauben oder plündern möchte, 
wie fie nur immer könnten, beim Kopf nehmen und 
gleich anderen Verbrechern an dad General-Eommando 
einliefern. Ebenſo beflimmt das Edikt vom 14. Auguft 
1685, daß — wegen der nicht aufhörenden Erpreffungen — 
das Natural» Service gänzlich abgeichafft und nur. noch in 
Duartierftellung von Dach und Fach für die Gemeinen 
beftehen bleiten jollte. 
Es jollte fih der Soldat mit Bett. und Lager nad) 
Der Hausgewohnheit des Wirthes begnügen. Auch follten 
Alle, in den Quartieren von den Soldaten an ihren Quar— 
tiergebern geübten Diebereien und fonftige ihnen muthwillig 
Zugefügte Schäden tarirt, und deren Werth zum Bortheil 
Des Beichädigten tem fommanpdierenden Offizier an 
Der Gage abgezogen werben, und die Beamten überhaupt 
bei Berluft ihres Amtes die Unterthbanen gegen jegliche 
Plackereien von Offizieren und Soldaten kräftiglih in Schutz 
nehmen. Auch follte bei jedem QDuartierwechjel bei Trom— 
petenfhall und Trommelſchlag dfjentlih bekannt gemacht 
werben, daß leinem Soldaten Etwas geborgt werden folle, 
Derartige Vergehen wurden überhaupt meift mit Geld- 
ftrafen geahndet. Sp z. B. ward noch 1727 ein Hauptmann 
v. d. Red von Erbprinz-Dragoner, welcher wegen bei ber 
Relrutirung verübten Exzeſſe Triegsrechtlich zur Kafjation 


4 


196 


verurtbeilt worden war, gegen Erlegung einer Gelbitrafe 
von 1000 Thalern, welche zum Kaſſeler Feſtungsbau ver⸗ 
wendet werden ſollten, begnadigt. 

Uebrigens ging die Sorgfalt für die bürgerlichen 
Intereſſen fo weit, daß den Soldaten nicht nur jede Be⸗ 
einträchtigung des bürgerlichen Gewerböbetriebes _ fireng 
unterfagt war, fondern daß fogar die für die Truppen noth⸗ 
wendige Montur, Schuhe und Strümpfe nur vor jolchen 
Soldaten follten angefertigt werten dürfen, welche al® 
Meifter oder Gefellen hierzu nach Maaßgabe der Zunftord- 
nungen ohnehin berechtigt wären. 
| Si ward es denn auch allmählig dahin gebracht, 
daß die Belegung eined Orted mit einer fläntigen Garnifon, 
was bisher als eine ter ſchwerſten Laſten bed frieplichen 
Bürgers erachtet worten war, und mogegen die Bewohner- 
Ichaft ſich meiſt aus Leibeskräften zu fträuben pflegte, gar 
bald mit ganz anderen Augen angejehen und als eine, zum 
Beten des Gewerbitandes begehrenswerthe, fürjtliche Gunft 
und Gnade erachtet wurde, 

Während folchergeftalt Landgraf Earl den Ueber- 
griffen der Soldateska fcharfe Zügel anzulegen unermüdlich 
war, erwies er jich aber auch nicht minder unermüdlich in 
der Sorge für das wahre Wohl der Truppen. 

Ramentlich wendete er dem Feltmetizinalwejen große 
Aufmerffamteit zu, indem nicht nur — wie bereit3 bei 
der Organiſation erwähnt — jedes Regiment und jebe 
Compagnie mit einem Feldſcheerer bedacht wurde, Tontern 
auch das gejammte Lazareth- und Feld - Metizinal = Wefen 
einer einheitlichen Zeitung und Cheraufjicht unterjtellt, und 
folche, namentlich im Zeltzuge von 1690, Durch Ten eignen 
fürftlichen. Leib- Arzt, Hofmedikus Dubourg, geübt wurde, 
welchem zu diefem Ende ein Direktor der Zeltjpitäler (Dr- 
Möller), ein Ober-Feld-Medikus (Dr. Kürfchner) und ein 
General = Chirurgu3 (Dr. Markarius) mit ihren Gehülfen 
Cober, wie es weniger jchmeichelhaft in den Krieggrechnungen 


197 


keißt, mit ihren Gefellen), ſowie auch noch ein Ho8pital- 
meifter, ein Felbapotheler und Hospitaloberkoch und eine 
Anzahl Seribenten untergeben : waren, fo daß auch in 
diefer Beziehung Alles geſchah, was nur irgend die Zeit 
zu ermöglichen geftattete. - - 

Das war denn leider, freilich ohne Schuld dieſes 
Fürften, troßdem wenig genug; denn wie niebrig der Stand⸗ 
punkt der ärztlichen Kunft damals noch geweſen fein muß, 
erhellt u. a. aus dem .Beftallungsbriefe des Regimentfeld- 
ſcheerers des Leib⸗ Regiments von 1693. Obſchon der⸗ 
ſelbe ſich als ein, von dem Collegium Medicum zu Mar- 
burg approbirter, wirklicher Dr. medicinae et chirurgiae 
auszuweiſen gehabt hatte, und ihm der verhältnigmäßig nicht 
unerhebliche Gehalt von: monatlich 21 fl. verwilligt und ein 
Knecht und 2 Wagenpferbe geftellt worden, ſo ward dieſer 
Beſtaſlung zu Folge demſelben boch auch noch an weiteren 
Emolumenten zugefiöhert : M 


D Das Eompagnie-Feldfcheerer Gehalt der Leib⸗Com⸗ 
pagnie (monatlich 6 fl.), ſowie das Beckengeld derſelben, 
wofür er jedoch gehalten ſein ſollte, ſolche entweder 

ſelber oder durch einen feiner Geſellen zu bedienen, ſowie 

2) das Brivilegium, fo viele Geſellen und Lehrjungen 
anzunehmen wie, und ein Beden auszuhängen Cd. b. 
eine Baber- und Barbierftuhe einzurichten) wo er 
‘wolle, auch ſonſt Kundichaft zu treiben wa8 er möge, 
Welches ſonach der ärztliche Standpunkt ber, unmittel- 

dar vor den Eorporalen rangirenden, Compagnie-Feldſcheerer 
war, läßt ſich hiernach von felber ermeffen. 

Nicht minder forgfältig, als das Feldmedizinalweſen, 
waren überhaupt auch die übrigen Zweige der allgemeinen 
Feldadminiſtration geregelt. 

Der gefammten Militär-Adminiſtration ftand 5. B. 
im Feldzuge von 1690, als oberfter Chef, der Gene- 
tals Lientenant Broftrup Sacobjon von Schört und ber 


198 


Brigadier Ludwig Sittih von Görz vor, denen der Kriegs⸗ 
Kommiſſar Schönewolf als Geheimfchreiber beigeordnet mar, 
Auch hierbei war das Geldrechnungsweſen von Dee - 
Berwaltung der Natural u. |. w. Berpflegung getrennt, 
indem der Feld-Kriegs-Kaſſe ein befonderer Kriegspfennig- 
meifter ( Hauptmann Hille) vorftand, dem ein Ober-Kriegs⸗ 
Zahlmeiſter und ein Kriegszahlmeifter mit einigen Seriben⸗ 
ten untergeben waren, während alle, was die Naturalver⸗ 
pflegung anlangte, zum Reſſort de8 Feld-Kriegs-Kommiſſa⸗ 
riats gehörte, deſſen Mitglieder, charakteriftifch für die weife 
Einfiht Landgraf Karls in alle Verhättniffe, ſämmtlich 
verhältnigmäßig ziemlich hoch bejoldet waren. 

Daſſelbe beitand nämlich aus einem Präfidenten (Oberft 
von Mannsbach) mit monatlich 180° fl. Gehalt, einem Ober: 
Kriegskommiſſar (Klaute) desgleichen mit 105 fl., 2 Pro 
viant-Kommiſſaren (Göttig und Möller) und einem Zahl- 
meijter (Schirmer), jeder mit 52'/, fl., einem Proviantmeifter 
mit 37'/, fl., fowie 8 Unterbeamten (einem Proviantver- 
walter, einem Quartiermeifter und jech® Scribenten) ‚jeder 
mit 15 fl. monatlichen Gehalts. 

Auch war folchem ein eigener Fuhrwefentrain nler 
ſtellt, weldher aus 1. Stallmeiiter, . 2 Wagenmeiftern, 2 
Schmieden und 45 Knechten beſtand, ſowie nicht minder eine 
Feldbäckerei mit 1 Badmeifter, 34 Feldbäckern und 1 Bad- 
ofen= Maurer, und endlich noch. ein Feldmetzger mit 22 
Ochſenknechten. 

Eben fo war dem Kriegsgerichtsweſen ein Ober-Au- 
diteur (Straßburger), mit dem verhältnifmäßig bedeutendem 

Gehalte von monatlich 90 fl. vorgefeßt, dem der General- 
gewaltige (Schüler) zur Seite ftand, deſſen monatlicher Gehalt 
75 fl. betrug, während 3 Knechte deffelben, fo wie 1 Scharf- 
richter und defjen 2 Knechte ein jeder monatlich 9 fl. bezogen. 

Die geiftliche Seeljorge anlangend, jo ward ſolche Durch 
fünf Feldprediger beſorgt, die jedoch etwas fpärlich, jeder 
nur mit monatlich 21 fl. Gehalt, bedacht waren. | 


Hin... 


199 


Auch die Organifation des Stabes des Kommandiren- 
ben (welches theils der Landgraf felber, theils der General- 
Feldmarſchall Graf von der Lippe war) ließ nichts vermiffen, 
was die damalige Kriegsführung nur irgend bedurfte. 

Außer dem General Feldmarihall Grafen von ber 
Kippe, deſſen Gehalt fich monatlich auf 690 fl. belief, und 
den resp. Truppen= Commanbeuren, weifen nämlich bie 
Srleggrechnungen von 1690 folgenden Beftand des Com⸗ 
mande-Stabe8 nad, als: | 

1, Ein erfter General-Abjutant, welcher, mie es fcheint, 
jo ziemlich die Funktionen eine® heutigen Chefs des 
Generalftabes zu verjehben gehabt haben dürfte. Es 
war dieſes bis Anfangs 1691 der General - Major 
Alexander Hermann von Wartensleben, nach deſſen 
Hebertritt in Sachſen-Gothaiſche Dienfte der General» 
Major Hermann’ Wilhelm von Spiegel. 

2. Ein General- Quartiermeifter, welcher das Marſch⸗, 
Lager- und Quartierwejen zu leiten gehabt zu haben 
ſcheint (Oberſt Smildens). 

3. Zwei General-Adjutanten, welche den gewöhnlichen 
Adjutantendienft verfehen zu haben fcheinen, (Oberft 
Albrecht von Tettau und Major von Bartheld.) 

4. Ein Brigade-Major, wahricheinlich Gehülfe des Ge— 

“ aeral = Quartiermeilterd, für das Detail des Lager- 

und Sicherungsdienfte8 (Major Wagner.) 

Ein Adjutant des Ober-General-Adjutanten (Haupt- 

mann von Offenbach.) 

6. Ein Ingenieur, welcher das Schanzwefen, das Topo⸗ 
graphiiche und wahrfcheinlich auch das Artillerieivejen 
zu beforgen hatte (Hauptmann Joh. Gg. Echleenftein.*) 

7. ein Capitain des Guides, welcher wahrjcheinlich das 


5 


+ 


*) Johann George Schleenftein war 1659 zu Erfurt geboren, wo 
deſſen Bater ein anfehnliches ſtädtiſches Amt begleitet zu haben 
ſcheint. Im die 1662 daſelbſt ftattgefundenen Unruhen mit ver- 
wicelt, fcheint derfelbe jedoch zur Auswanderung gezwungen worden 


200 


Ordonnanz⸗ und Botenweſen zu bejorgen hatte (Haupt- 
mann Biedenfapp) ; 

8. ein ‚Stab8-Quartiermeifter, welcher wahrſcheinlich 
außerdem auch noch die Funktionen eines heutigen 
Kommandanten des Hauptquartiers verſehen mochte 


(Peterſen); 
9. ein Ober⸗ -Wagenmeifter (Frankenberg), welcher baß 
Transportwefen de8 Hauptquartiers zu bejorgen hatte; 


zu fein und fi) an den Hof des Fürften der Wallachei begeben zu 
haben. Hier empfing ber junge Schleeuftein eine jehr ſorgfältige 
Erziehung, wohnte bereits al8 18jähriger Jüngling als Volontaire 
ber Schlacht bei St. Dmer bei, trat dann 1680 in ſchwediſche 
Dienfte, welche er jevoch bald wieder verließ und fih zu Bremen 
mit einer reichen Erbin y einer geborenen Peterfen van Bott, ver- 
mählte. Da ihn jedoch das Unglüd traf in einer flatthabenden 
großen Feuersbrunft die meiften Wertbpapiere und Bermögens- 
Dokumente zu verlieren, bewarb er ch um heifiihe Dienfte und 
warb 1689 von Landgraf Karl zunächſt als Ingenieur. angeftellt, 
in welcher Eigenfchaft er ‚bei ber Belagerung von Mainz, ſowie 
1692 bei der Belagerung von Ebernburg und der Bertheidigung 
von Rheinfels jehr ansgezeichnete Dienfte Teiftete, und in Folge 
befjen auch zum Kompagnie-Chefim Görtziſchen Regimente befördert 
wurde. In Folge feiner auch wieder 1695 bei der Belagerung 
von Namur an ben Tag gelegten ausgezeichneten Kenutniffe im 
Geſchützweſen und in der Fortification, warb er 1701 als Major 
in die Artillerte verfeßt, in welcher Eigenfchaft er 1703 der Bela⸗ 
gerung von Trarbach, 1704 jener von Landau und 1705 der Schlacht 
bei Hochſtädt mit Auszeichnung beiihohnte, und allmählig bis zum 
Oberſten anfftieg, als welcher er 1729 mit SHinterlaffung von 
3 Söhnen zu Caſſel am Schlagfluß verftarb. Bon feinen topo- 
graphifchen Arbeiten wird auf der Planfammer des furfürftlichen 
Generalftabes noch ein von ihm gezeichneter Atlas der damaligen 
. beifiihen Lande aufbewahrt,. ber nicht nur durch die außerordent⸗ 
liche Schönheit und Sauberkeit der Zeihnung an fi, fondern 
auch durch die Anfchaulicgkeit und verhältnigmäßig große Genanig- 
feit merfwürbig ift, mit welcher derſelbe, obgleich nur aus der ſ. g. 
Bogelperjpective projectirt, doch die Terrainbefchaffenheit erkennen 
läßt. (ES ift dieſer Atlas jedoch nur eine Kopie der 1592 von 
‚ Mercator vollendeten Karte von Heſſen. Die Redaktion.) 


201 


10, ein geheimer Secretar des General-Feld-Marſchalls; 

11. mehrere Scribenten und Unterbedienfteten. 

Im Feldzuge von 1696 war der Generalftab ziemlich 
in gleicher Weiſe organifirt, nur befanden fich demſelben 
noch eine Anzahl, theils Adjutanten, theild wohl auch nur 
Drdonnanz-Officierövienfte verfehende Dfficlere zugetheilt, 
ngmentlich der Oberſt Johann von Dernthal, Oberftlieus 
tenant Alexander Rolaz du Rosey *), Oberftlieutenant von 
Uran, Sorftmeifter von Lindau, ein Graf von Wittgen⸗ 
ſtein u. a. 

Demgemäß belief ſich der Perſonalbeſtand des General⸗ 
ſtabes im Feldzuge von 1690 auf etwa 31 Köpfe mit 
‚einem monatlichen Beſoldungs-Etat von 1976 fl., jener 
des Commiſſariats einschließlich des Artillerieſtabs und des 
Zransportwejend auf 272 Köpfe mit einem monatlichen 
Beſoldungs⸗Etat von 1993), fl. 

Der Truppenbeftand belief fich dabei, injoweit folche 
fich nicht in befonderem Solde der holländiſchen General- 
ſtaaten befanden, 

a. an fchwerer Reuterei auf = 635 Köpfe a 8164 fl. 

monatlich, 

b. an Dragsnern auf = 920 Köpfe à 11546 fl., 

c. an Infanterie auf = 4516 Köpfe a 26084 fl., 
was in Summa für etwa 6000: Mann einen monatlichen 
Koftenaufwand von 49713%/, fl. ausmachte **), während 
die hierfür beſtimmten regelmäßigen Landeseinfünfte nur 
ec. 32,000 Gulden betrugen. 

Alle dieſe Einrichtungen, fowie diefer für die Landes⸗ 
einkünfte ſehr beträchtliche Geldaufwand, würden jedoch 
ſchwerlich dazu geführt haben, das junge vaterländiſche Heer 
to raſch zu jo hoher Blüthe zu zeitigen, wenn Landgraf 


*) Derjelbe war eigentlich Hofmeifter des Erbprinzen Friedrich und 
mag als folder dahin gefommen fein. 
**) Aus der Kriegs⸗Rechnung des Ober-Kriegscommiffars Kante de 
“ dato Hanau den 17, Juni 1690 ertrabirt. 


202 


Karl es nicht fo meifterhaft verfianden hätte, auch überall 
die geeigneten Männer an die richtige Stelle zu ftellen 
und, wo fie ihm fehlten, fich foldhe da, wo fie zu finden 
waren, berbei zu holen oder noch lieber, wenn irgend 
thunlich, folche fich felber heranzuziehen. 

E83 war dieſes aber um fo wichtiger, als zur Zeit 
namentlich die Regiments-Inhaber noch jehr bedeutende 
Nechte beanipruchten. So z. B. war noch in dem Werbe⸗ 
patent für den Sberftlieutenant Alexander von Wartens⸗ 
leben vom 9. Detober 1688 zur Aufrichtung des Naſſau⸗ 
Weilburgiſchen Dragoner-Regiments demfelben die Befugniß 
eingeräumt, fänmtliche Offiziere defjelben vom Oberitlieu- 
tenant abmwärtd nach eignem Ermeſſen anzuftellen, injofern 
folche bereit3 im Kriege gedient hätten. Sa diefe Befugniß ward 
fogar, bezüglich ihrer Kompagnie-Dffiziere, auch einzelnen 
Sompagnie-Chef8 ertheilt, indem u. a. noch 1727, feinem 
Beftallungsbrief gemäß, der Hauptmann von Urff im Erb: 
prinz-Dragoner-Regiment feinen Bruder, fo vordem fürft- 
licher Page gewejen, zu feinem Yähnrich beitellte und ber- 
ſelbe von dem Landgrafen, jener dem Haupt 
mann von Urff zufändigen Redtjamen zu 
Folge, auch lediglich nur als jolcher fonfirmirt und an- 
erfannt wurde. J 

Wohl nicht ganz mit Unrecht trachtete übrigens Land⸗ 
graf Carl auch noch dadurch den heſſiſchen Dienſt Glanz und 
Anſehn zuzuwenden, daß er, außer durch ihr kriegeriſches 
Verdienſt, ebenſo auch durch hohe Geburt hervorragende 
Führer für denſelben zu gewinnen ſuchte, und dem⸗ 
gemäß ſchon gleich anfänglich, außer mehreren Prinzen aus 
fürſtlichen Nebenlinien, Heſſen-Rothenburg, Heſſen-Philipps⸗ 
thal und Heſſen-Homburg, auch mehrere Mitglieder gräf- 
licher Geichlechter, als Grafen von Naffau, Leiningen, 
Wittgenftein, Dönhof, Lottum u. |. w. in deſſen Reihen 
vorgefunden wurden. Als vorzugsweiſe Durch ihre Verdienſte 
um die Ausbildung des vaterländiichen Heeres. bervorleuch 


203 


tend aber ift nachfolgende Reihe von Männern zu bezeich- 
sn, als: | 

1. Graf Auguft zur Lippe-Brake. Im Jahre 
1643 geboren und am Hofe Landgraf Wilhelm VI. erzogen, 
verlieh ihm die Landgräfin Hedwig Sophie 1663 eine Com- 
pagnie, welche 1664 das vereinigte hefjiiche Regiment bilden 
half, welches als oberrheinifche8 Kreißcontingent nad Un⸗ 
garn gegen die Türken. marfchirte, wobei fich der junge Graf, 
namentlich in der Schlacht bei St. Gotthardt, jehr hervorthat. 
Im Sabre 1665 trat er jedoch als Oberftlieutenant erft in 
braunjchweigslüneburgiiche, dann in kurzen Zwifchenräumen 
in turkölnifche, lothringiſche uud wieder in Furfölnijche 
Dienfte, zeichnete fich im Reichskriege gegen Frankreich bei 
den Belagerungen von Wefel, Deventer, Gröningen u. |. w. 
abermals aus, ftieg bis zum Oberſten und trat 1674 als 
Generalmajor wieder in braunfchweigslüneburgifche Dienfte, 
in welchen er fi 1675 wiederholt durch feinen kühnen 
Ruth in dem Gefechte bei Trier hervortbat, indem er u. 
4. den franzöfiihen Marſchall de Kamp de Erequi perjün- 
ich gefangen nahm, und fodann unter dem Oberbefehl des 
Brinzen von Oranien auch noch den Felbzügen von 1676 
und 1677 in den Niederlanden beimohnte, wo er hei ter 
Belagerung von Maftricht durch einen Bombeniplitter ver⸗ 
wundet wurde. Als jedoch Landgraf Karl, alsbald nachdem 
er 1677 den heifiichen Fürftenthron beftiegen hatte, ihm 
anbot, als Generalmajor und Gouvernenr jämmtlicher 
Feſtungen in heſſiſche Dienfte zu treten, fo folgte er noch 
vor Ablauf dieſes Jahres freudig dieſem ehrenden Rufe, 
ward 1679 Generallieutenant und 1680 General-Feldmar⸗ 
ſchall⸗Lieutenant der heſſiſch-fränkiſch-oberrheiniſchen und 
weiterwäldiichen Neuterei, 1685 Landfommenthur der deut⸗ 
ſchen Ordens-Ballei Hefjen, und 1694 wirklicher Reichs— 
und hejliicher General-Feldmarihall *) und ftarb, nachdem 


°) Einen 1692 an ihn ergangenen Auf ver Republik Benebig, an ber 


204 


er das hejjiiche Eorp8 in den Feldzügen von 1688—1697 
mit Ruhm befehtigt hatte, 1701 auf der Rüdreife aus 
Holland im 58. Lebensjahre zu Neuwied. Er ift in der 
Elifabether-Kirche zu Marburg begraben. Faſt noch ver- 
dienſtvoller, alS fein Wirken war jenes des 

2. Alexander Hermann von Wartendleben, 
Einem faum minder ebelen, wenn auch weniger glänzenden 
- Gejchlechte als Auguft von ver Lippe-Brake entfproffen, ward 
er 1650 zu Lippſpring in Weftphalen geboren, erhielt, als 
Gefellichafter der jungen fürftlichen Prinzen, an dem Hofe 
der Landgräfin ‚Hedwig Sophie zu Kaſſel ebenwohl feine 
erfte Erziehung, trat dann.aber, auf, deren Empfehlung, als 
Freiwilliger zunächft in das Regiment Elſaß in franzöfiiche 
Dienfte, machte in demjelben den Krieg in den fpanijchen 
Niederlanden mit und warb 1668 wegen feine8 bethätigten 
Mohlverhalteng, obgleich erft 18 Jahre alt, doch ſchon zum 
Regiments-Adjutanten in folchem befördert. In Tolge des 
1673 mit Frankreich ausgebrochenen Reichskrieges kehrte er 
jedoch in heffifche Dienfte zurüc, ward Hauptmann und wurde, 
als die franzöfiiche Armee bis an die Wefer vorrüdte, als 
Abgefandter an den Marſchall Crequi abgeorpnet, um mit 
demfelben einen Vertrag bezüglich der Befreiung der Graf⸗ 
haft Schaumburg von den Kriegsprangfalen zu vereite 
baren, was ihm auch gelang. Hierauf wohnte er in ben 
Sahren 1675 bis 1678 mit dem Regiment Ufm Keller den 
Feldzügen in Schweden bei, ward 1677 zum Major befür= 
bert, jeboch bei Gelegenheit der am 8. Januar 1678 auf 
der Inſel Rügen dem verbündeten Heere von den Schweden 
zugefügte Niederlage verwundet und gefangen. Auf bie 
Nachricht hiervon ſandte Landgraf Karl feinen Flügel-Ad— 
jutanten Rittmeifter von Boyneburg mit der [peziellen Mif- 
fion, defjen Auswechslung zu bewirken, an den ſchwediſchen 


Stelle des Grafen Konigsmark das Obercommando der venetia⸗ 
niſchen Landmacht zu übernehmen, hatte er, abgelehnt 


205 


heerführer, Feldmarſchall Königsmark ab, in Folge deffen 
auch Wartensleben, aus Dankbarkeit, ein ihm von König 
Ehriftian V. von Dänemark geftelltes ſehr vortheilhaftes 
Anerbieten, al8 Kommandeur feiner Leibwache in dänifche 
Dienjte zu treten, ablehnte und nach Helfen zurüdtehrte, 
wo ihn Landgraf Karl feiner Seit 1680 zum Oberftlieu- 
tenant, 1683 aber, nach dem Abfterben des Oberften Mob, 


: zum Commandeur bed Regiments. des Grafen Auguft von 
der Kippe (nachherigen Leib- Regiments zu Fuß), und 1684 


um Chef des bisherigen Negiments des Prinzen Philipp 


von Heffen beförberte, während deſſen Wurtensleben jedoch, 


old Bolontär im Gefolge des Reichdgeneral8 Feldmarſchalls 
Prinzen von Walded, dem Entjage von Wien und ben 
Feldzügen in Ungarn und namentlich der Belagerung 
von Ofen "beiwohnte. Nach feiner Rückkehr von da zum 
General-Adjutanten de8 Landgrafen Karl und 16886 zum 
Dberamtmann und Commandanten zu Ziegenhain ernannt, 
jhloß er 1687 den Subfidientraftat mit der Republik Ve⸗ 
nedig über die Soldgebung des Regiment? Prinz Karl ab, 
geleitete Tolches nach Venedig, kehrte jedoch von da wieder 
nach Heſſen zurüd, wo er 1688 ein Dragoner = Regiment 
errichtete und ſodann den näÄchitfolgenden Feldzügen als 
Dber⸗General⸗Adjutant des Eommandirenden mit Auszeich- 
nung beimohnte, bis er 1690 zum Generalmajor befdrdert, 
au Anfang des Jahres 1691 dem Rufe, in Sachſen-Gothaiſche 
Dienfte zu treten, Folge gab und noch im nämlichen Jahre 
von Kaifer Leopold auch noch zum Reichsgeneral⸗Feldmar⸗ 
Thal ernannt wurde. Einen Ruf der Republit Venedig, 
den Oberbefehl über deren Landmacht zu übernehmen, lehnte 
Bartensleben zwar ab, trat jedoch als GeneralsLientenant 
in töniglich preußiſche Dienfte, in welchen er, nachdem er 
vom Kaiſer Leopold auch noch in den Reichsgrafenſtand 
erhoben worden war, 1734 in bem hohen. Alter von 81 
dahten als Feldmarſchall und Gouverneur von Berlin 
verſtarb. Naͤchſt ihm erwarb ſich auch: 


Viii. Band. 


3) Anton Detlev von Schwerin aus Pommes i 
ein Oheim bes in der Schlacht bei Prag unter Frievrich dem ! 
Großen gefallenen berühmten preußiſchen Felbmarfcheit 
Grafen von Schwerin, große Verdienſte um Heſſen. Er 
trat 1685 als Oberſtlieutenant in das Leib - Regiment in 
heſſijche Dienſte. Welches ſeine Verdienſte waren, wird 
an einem andern Orte erzählt werden. Im Zahr 1088 
zum General- Major und Ober-Amtmann der Grafichef 
Kabenellenbogen befördert, trat er Furz darauf in hollan⸗ 
diſche Dienfte, Die er indeflen bald nachher wieder auf 
gab, indem er ſich wegen Alter und Körperſchwäche auf 
feine Güter in Bommern zurüdzog, woſelbſt er 1707 wer 
flarh, Ausgezeichnet vor Allen war aber 

4) Ludwig Sittih von Görz, gen. v. Schliß 
Er war den 19. Oktober 1655 zu Darmftabt geboren, ſu⸗ 
dirie 1668 — 1672 zu Gießen und Helmftädt, trat 167 
in hollaͤndiſche Dienfte und zeichnete fich 1674 in der Schladt 
bei Senef jo fehr aus, daß er als Fähnrich in die hollän⸗ 
diſche Garde verfeht ward. Auf dem NRüdzuge nach ber 
Schlacht bei Mont Caſſel rettete er durch feine Hingebung 
und Tühnen Muth feinem UOberften, Grafen von Solmk 
Braunfels, das Leben, in Folge deffen er zum Lieutenant 
befördert wurbe, worauf er 1678 als Hauptmann in Sad 
fen-Eifenachifche Dienfte trat, 

Als jenoch 1679 das Regiment, bei welchem er flank, 
in Zolge des Nymwegiſchen Friedens rebuzirt ward, trat 
er mit 3 Compagnien defjelben in heſſen-kaſſelſche Dienfke, 
indem Landgraf Karl dieje 3 Eompagnien zu feinem, beim 
Dberrheinifchen Kreißregiment zu ftellenden, Contingent be⸗ 
fiimmte. Im Sabre 1682 ward er zum Major, 1683 aber 
zum SOberft = Lieutenant befördert und wohnte, gleich dem 
Oberften Alexander Hermann von Wartensleben, als Frei⸗ 
williger im Gefolge des Reichs⸗Feldmarſchalls Prinzen von 
Balved dem Entjake von Wien bei. Im Sabre 1685 
jeboch übernahm er, an ber Stelle des nach feiner Heimath 


207 


mehdberufenen jungen Grafen von Naffau, da8 Commando 
be bei der Reichdarmee in Ungarn befindlichen Oberrhei- 
niſchen Kreisregiments. 

Obgleich dieſes ſchon von Haus aus ein überaus bunt 
mſammen gewürfelter Haufe war, indem von den 16 Com⸗ 
pagnien, aus denen es zufammengefügt war, nur 4 Com⸗ 
zagnien, Darunter die beiden Grenadier = Compagnien, von 
Heſſen⸗Kaſſel*), Dagegen 2 von Heflen-Darmftabt, 2 von 
Frankfurt, 1 von Walded, 1 von Fulda und die übrigen 
6 Eompagnien vollen8 durch 30 bis 40 verfchiebene Herren 
md Städte **) in ganz Keinen Contingenten von 10 und 
ſelbſt von 3 und 2 Mann geftellt worden waren, fo fcheint 
doch trotzdem Görz von Schlitz die Gabe beſeſſen zu 
haben, ſelbſt dieſen bunten Haufen mit dem Heldenfeuer 
zu erwärmen und zu beſeelen, das in feinem eigenen Buſen 
fammte, _ 

Sp u. a. war er nicht nur felbft einer ber Exften, 
bie beim Sturme auf Fünffirchen 1686 an der Spite der 
beiden beffiichen Grenadier-Compagnien ven Wallbruch er⸗ 
fitegen, fondern der von ihm ausgehende Geift hatte bereits 
ſolche Wurzel im Regimente gefchlagen, daß, als während 
ber Belagerung von Copesvar im Dezember d. J. ein 
folder Mangel an Lebensmittel eintrat, daß fall 3 Wochen 
lang Eicheln das einzige Nahrungsmittel darboten, und über 
300 Mann des Regiments hei dem Rückzuge nach Komorn 


*) Es waren ſolches: 1. Die Leibcompagnie des Grafen Ludwig von 
Naſſau⸗Saarbrück unter Hauptmann Hutfilder; 2. die Compagnie 
bes Oberftlieutenants Joh. Edebrecht von Stockhaufen; 3. die Gre⸗ 
nabier-Compagnie des Hauptmanns Wolf Karl von Schenk zu 
Schweinsberg und 4. bie Grenabiercompagnie des Hauptmamıs 
Hartung Yorban-von Eſebeck. 

“*) Nãmlich von den Grafen und Herrn vom Geſammthauſe Naffaı, als 
Raffan-Siegen, Naffau-Saarbrüd, Ottweiler-Dillenburg, Hadamar, 
Die, Schaumburg m. f. w.; von Solme-Laubadh-Braunfels, Lich, 
Greifenſtein, Hohen» Solms, Rödelheim u, f. w., von Yſenburg, 
von Hanau, Wetzlar, Friedberg, Homburg, Bag hein, Sayn ıc. 


der Kälte erlagen, der Reit deſſen ungenchtet unerjchütten 
blieb: Nicht minder glänzend war das Benehmen bes Regb 
ments im Feldzuge von 1687, als Görz, nachtem die ia 
ferlihe Armee fich genothigt geſehen hatte bie Belagerum 


| 


3 


von Eſſeg aufzuheben, und ſich über tie Drau zurüdzuziehen, " 


der Auftrag zu Theil wurve, teren Rudzug zu deden, wel 
ches er mit ſolchem Geichide beiwerfitelligte, daß derſelbe 
obne ten mindeſten Berluft bewirkt ward. Auch in ver ig 
darauf flattfindenden Schlacht am Kartichauer Berge trag 
das Regiment, auf ven äußerten linken Flügel poftirt, buch 
den heldenmũthigen Widerftand, den e8 den feindlichen An⸗ 
griffen entgegen feßte, ſehr entichieben zur Erringung des er⸗ 
folgenden glänzenden Eieges bei. 

Im Feldzuge von 1688, wührend der Belagerung 
von Belgrad zum Zwede einer Diverjion gegen Gaflanoroik 
an ter Unna entjentet, griff Görz ten jehr überlegenen 
Teind mit dem ibm unterftellten Regiment, obgleich er 
zuvor bie Unna burchwathen mußte, und dabei das Waſſer 
der Mannichaft bis unter die Achſeln reichte, doch mit fol- 
chem Ungeſtũm an, daß folcher gänzlich in vie Flucht ges 


fchlagen wurde und mehr ald 100 Türfen, die fidh in einen 


in der Nähe befindlichen feſten Thurm geflüchtet hatten, 
genötigt waren, fih zu Gefangenen zu ergeben. 

In Folge der durch den Einfall ter Franzofen in 
Deutichland erzeugten Geführbung der eigenen Heimalh, 
Ende dieſes Jahres nach Heſſen zurüd berufen, Iangte Gr; 
ben 3. Zebruar 1689 mit dem Regiment bei Amöneburg 
am. In Anerfennung jeiner ausgezeichneten Bervienfte zum 
Chef des Ober⸗Rheiniſchen Kreis-Regiments, welches von 
nun an auch feinen Ramen mitführte, ernannt, warb ber 
Etat des Regiment? nunmehr auf 12 Compagnien gefekt, 
und tie aus gar zu vielen Kontingenten zuſammengeſetzten, 
und doch an Mannihaftszahl ſchwachen, übrigen 4 Compag- 
nien defielben en ateiteil, und überhaupt deſſen Organi⸗ 
fatioa in allen Stüden, ſoviel als bei ven vesfalls obwal⸗ 


ienden, ſehr verwidelten Berhültniffen nur immer irgend 
iunlich war, verbefjert, fo daß baffelbe mit nicht minderen 
Ehren, wie in ben Feldzügen gegen bie Türken, nament- 
lich auch der Belagerung von Mainz und den nächft folgenden 
deldzügen beimohnte, bis es nad) erfolgten Frieden zu 
Rewid endlich wieder rebuzirt wurde. 

Görz felber anlangend, fo ward derſelbe wegen feines 
bei der Belagerung von Mainz bethätigten Wohlverhaltene 
noch 1689 zum Brigadier und im Februar 1092, neben 
dem Commando des Oberrheiniichen Kreisregiments, zugleich 
uch noch zum Chef des früheren Wartenslebenichen Regi⸗ 
ments (urfprünglich Regiment des Prinzen Philipp von 
Helen) befördert, Seine heldenmüthige Vertheibigung von 
Rheinfele, fo wie fein frühes Ende, werden anderswo eine 
ausführliche Darftellung finden. 

. Außer den Genannten verdienen weiter noch Erwähnung: 

5. Johann Friedrih von Kettler, der Sohn 
eines Verwandten des herzogl. urländifchen Hauſes und einer 
gebornen Gräfin Dönhof, war 1655 zu Mietau geboren 
und hatte ſich Anfangs den Wiffenichaften gewidmet, trat 
dann aber als Kammerjunfer in die Dienfte Landgraf Karls, 
worauf er, obichon bereit 30 Jahre alt, fich endlich noch 
dam entſchloß, das Waffenhandwerk zu ergreifen. Er über⸗ 
nahm 1685 das Kommando über eine derjenigen Eom- 
pagnien des CEpiegelihen (vormals Rauiſchen) Reuter⸗ 
Regiments, tie einen Beſtandtheil des gegen tie Türlen in 
Ungars im Felte fiehenten I berrheiniichen Kreisregiments 
zu Pferde ausmachte. Schon 1658 zum Tberftlieutenant 
und Gosimanteur ter Lirriihen, und 1659 zum Chef Leb 
eben erũt als Rınau- Reilkurg errichteten Tragonerregiments 
bejörbert, wert er, feiner ausgezeichneten ĩprach⸗ und ſiaatt⸗ 
wiſſenchaſtlichen Kennıniüe balker, jetch mehr im Kiplemas- 
tichen Fache, als im Kriegkweien verwentet, wähmt cı 
1693 zum Prigarier uxnt Ermmantear ber fürftlidgen Leil- 
Bahe Fiene, 1700 zum General- Major uns 17% 





210 


zum General - Lieutenant, fo wie weiter noch zum erſte 
Minifter, Ober⸗Hof⸗Marſchall und Vorſtand des geſammte 
Krriegsweſens aufitieg, bis er hochbetagt (89 Jahre alt 
1735 zu Caffel verſtarb. Bis an fein Lebensende der Lieb 
ling und ftete Reiſebegleiter Landgraf Karls, ſtand er am 
außerdem, feiner vielfeitigen Bildung, feiner feinen Sitte 
und feines rechtichaffenen, allen Hoflabalen abgeneigten Cha 
ralters halber, allgemein in größter Achtung. 

. 6. Albrecht von Tettau, aus einer in Meißen un 
Brandenburg begüterten Familie abflammend, trat ebenwoh 
erft als Hauptmann im Leib = Regiment zu Fuß 1688 1 
heffiiche Dienfte, warb ſchon nach wenigen Monaten Majo 
bei dem eben errichteten Dragoner-Regiment Nafjaus Weil 
burg, 1690 Oberftlieutenant und General-Abjutant, 160 
Oberſt im Kärkenbruchiichen Reuter-Regiment, 1664 Eh 
des Kettleriichen Dragoner = Regiments, von wo auß « 
1696 wieder in da8 Leib-Regiment zu Zuß als Commanden 
zurüd trat, und 1702 zum General-Major und Commanden 
des von dem Leib = Regiment zu Fuß ſich abzweigende 
Grenadier-Regiments befördert wurde, und als folcher 170 
in der Schlacht am Speyerbache den. Heldentod fand. 

Außer ben genannten gewann der heifiihe Dien 
noch ferner: . 

7. in Leonhard Swildens, der urfprünglich tı 
Waldeckiſchen Dieniten eine Compagnie im Ober-Rheinifche 
Kreiß = Regiment geführt und 1689 als Major in heffifch 
Dienfte übergetreten ‘war, einen ausgezeichneten Dffizie: 
Schon 1690 zum General-Quartiermeifter, ſowie zum Ober 
fien und Commandeur bed Regiments Prinz Wilhelm er 
nannt, leitete er biß zu feinem 1697 erfolgenden Tode i 
feiner Stellung als General-QQuartiermeifter ſehr vorzüglich 
Dienite, 

Nicht minder erwies fich: 

8. Reinhold Ernſt von Saden aus Kurlaml 
als eine Zierbe des heffiichen Dienſtes. Er war anfüng 


211 


4 Major im Leibregiment zu Fuß und flarb 1729 als 
General-Lieutenant und Gouverneur von Ziegenhain. 


Zwar in Staffel geboren und in Heſſen den Grund 

feiner Ausbildung empfangend, jedoch ebenfalls frembländi- 
ſcher Abftammung, ift unter den ausgezeichneten Führern bes 
heſiſchen Heeres jener Zeit auch: 

9. George Dümont zu erwähnen. Sein Vater war 
frühere franzöfiicher Offizier geweſen, hatte fich jedoch 
in Kaffel niedergelaffen und daſelbſt ein Handelsgeſchäft 
begründet, wo George Dümont 1650 geboren ward. Nach⸗ 
km er zu Marburg, Heidelberg u. a. deutſchen Univerfitä« 
in mehrere Iahre dem Studium der Wifjfenichaften obge⸗ 
legen hatte, ging er in gleicher Abficht nach Utrecht, trat 
jedoch, als während feine dortigen Aufenthaltes die Frans 
jofen 1673 Holland mit einer Invaſion bebrohten, in hol⸗ 
 Imdifche Kriegsdienſte, indem er fich die Erlaubniß erwirkte, 

eine |. g. Freiſchwadron errichten zu Dürfen. Da folche 

jedoch bald wieder verabichiedet wurde, nahm Dümont, ber 

Geſchmack an dem Kriegsweſen gefunden hatte, das ihm 

geftelfte Anerbieten des Friegerifchen Fürftbiichof8 von Osna⸗ 

brüd, als Rittmeifter in deſſen Dienſte überzutreten, freudig 

an, und wohnte mit den Münfterfhen Truppen den Feld⸗ 

jügen von 1675 — 77 in ben Niederlanden bei, wobei er 

namenflich während der Belagerung von Maftriht 1676 
bie Funktionen eined Brigade-Majors verfah. Nachdem er 
fi jedoch mit einer reichen Nieberländerin verhetrathet 
hatte, nahm er 1677 feinen Abſchied und kehrte nach. Heffen 
zurück, wo er auf einem in der Nähe von Felsberg von 
ihm erfauften Gute ſich haäuslich nieberlie. 


Auf ihn aufmerkfam geworben, zog ihn Landgraf Karl 
jedoch fchon 1679 in heſſiſche Dienfte, indem er ihn zunächft 
als Major bei dem Landausſchuſſe anftellte, 1684 aber zum 
Oberfilieutenant und Commanbeur des neu errichteten Re⸗ 
giments des Grafen von Leiningen ernannte. Da dieſes 





— — 





212 


Regiment ſchon 1685 wieder aufgelöft, reip. in das 
Hanfteiniiche Regiment umgeformt wurde, jo trat Dümont 
in diefe8 Regiment über, Als 1687 das Regiment Prinz 
Karl errichtet wurde, ward er zum Oberftien und Komman- 
deur befjelben befördert, als welcher er bafjelbe mit Aus— 
zeichnung in Morea tommandirte, und wejentlic Dazu 
mitwirfte, Daß dem jungen Heereöverbande ſchon gleih an= 
fanglich, Durch Die von dieſem Regiment bethätigte glänzende 
Tapferkeit, ein weit verbreiteter Ruf begründet und in dem= 
felben eine Menge tüchtiger Offiziere herangebilvet wurde. 

Aus Morea zurücgelehrt, nahm er an den folgenden 
Seldzügen gegen Frankreich nicht minder ruhmvollen An= 
heil, ward 1697 Kommandant von Kaffel, 1702 Bri- 
gadier, 1704 General-Major, 309 fich jedoch noch im näm— 
lichen Sahre wieder ins Privatleben zurüd und ftarb 1705 
zu Kafjel mit Hinterlaffung von 8 Kindern, von denen dre 
Söhne in heffiiche Kriegspienften ftanden, deren ältefter halt 
darauf als Major im Wilfifchen Regiment vor Toulon einen 
ruhmvollen Tod fand. 

Gleich Dümont, nur noch nachhaltiger ale dieſer, 
trug auch 

10. Hermann Wilhelm von Spiegel zum 
Deſenberge von Dalheim weſentlich zu der raſcher 
Entwickelung des Ruhmes des heſſiſchen Heeres bei. 

Wann derſelbe geboren, und wann er in den heſſi— 
ſchen Dienſt getreten iſt, war nicht zu ermitteln un! 
nur fo viel ift gewiß, daß er bereit$ 1680 Oberft-Tieute 
nant war und 1685 zum Oberft und Kommandeur det 
zur Reichdarmee in Ungarn .beftimmten Ober-Rheinifchen 
Kreis⸗Regiment zu Pferde befördert wurde, bei welchem fid 
3 Sompagnien ded vordem Rau'ſchen Regiments als heffi 
ſches Eontingent befanden, Nachdem er dafjelbe in den Feld 
zügen gegen die Türken mit Auszeichnung geführt hatte 
warb er, 1688 von da zurüdgelehrt, nach dem Abgange bei 
Generals von Wartendlehen in Sachſen⸗Gothaiſche Dienfte 


213 


am Generals» Major und eriten General » Anjutanten des 
Landgrafen beförbert, welche Stellung er auch dann noch 
beibehielt, als er 1696 zum Generalstieutenant, 1703 
aber zum General der Stavallerie und Inhaber eines Ka⸗ 
vallerie⸗, ſowie eines Infanterie- Regiments ernannt worden 
War, ba fein anderer in gleich hohem Grade wie er das 
volle Vertrauen, erft des Landgrafen und bann eben fo auch 
des Erbprinzen, befaß, denen beiden er als militärijcher 
Rathgeber zur Seite ftand, bis daß fein hohes Alter ihn 
1711 zum NRüdtritte aus dem activen Dienfte nöthigte, 
worauf er fi) auf feine Güter zurückzog und Dafelbft einige 
Jahre fpäter des Todes verblich. 

Doch nicht bloß dem Auslande und fremder Ein- 
wirkung hatte das heſſiſche Heer verdiente Führer zu danken. 
Es wußte fi eine Menge berjelben auch jelbft heran 
zubilben. 

Einer ber verbienftuolliten derfelben war: 

411. WolfChriftoph von Shen! zuSchweins- 
berg. Im Sahre 1653 auf dem väterlichen Edelſitze zu Burg⸗ 
haun geboren, trat er frühzeitig al gemeiner Mußfetier in 
saterländifche Kriegsdienſte und wohnte, Die unteren Chargen 
raſch durchlaufend , 1676 der Belagerung von Philippsburg 
als Fähnrich bei, warb 1677 zum Lieutenant im Regiment 
Ufm Steller beförbert, und nahm mit foldem Theil an den 
Feldzügen in Schweden und auf der Inſel Rügen. | 

Obgleich bei Gelegenheit der am 8. Januar 1678 dem 
verbündeten Heere auf der Inſel Rügen zugefügten Nieder⸗ 
lage verwundet und in ſchwediſche Gefangenichaft gerathen, 
hatte er fich doch hierbei Durch jo glänzende Tapferkeit 
bervorgethan, Daß Landgraf Karl auf ihn aufmerkfam ges 
worden, ihn nicht nur. al8bald zum Hauptmann, fondern 
‚ In rafcher Folge auch noch zum Major und Oberftlieutenant 
beförderte, als welcher er, als Freiwilliger, ven Feldzügen 
von 1685—1688 in Ungarn gegen die Türken mit großer 
Auszeichnung beiwohnte und in Folge deſſen 1688 zum 





214 


Eommandene des Leih-Regimentes zu Fuß ernannt wurbe, 
welches er in den nachfolgenden Feldzügen am Rhein auf 
das ruhmvollfte commandirte und desfalls bereit ſchon 
1689 zum Oberften aufftieg. In Folge feiner Durch ſchwere 
Wunden Außerft geſchwächten Gefundheit fah er fich indefjen 
genöthigt, 1696 um feinen Abſchied einzufommen. Gleich⸗ 
wohl 309 ihn Landgraf Karl im Jahre 1706 aufs Neue in 
den Dienft, indem er ihn zum General-Major und Com⸗ 
mandanten, 1709 aber zum General-Tieutenant und Gou⸗ 
verneur von Marburg ernannte, wo er, feiner glänzen» 
den Berbienfte und ausgezeichneten Tugenden balber all⸗ 
gemein verehrt, 1717 ſtarb. 

Ein ausgezeichneter Reuterführer war 

12. Hans Heinrich v. Boyneburg, der eben⸗ 
falls frühzeitig in heſfiſche Kriegsdienſte getreten und 1689 
zum Major befördert worden war. Nach Abgang des 
Oberſtlieutenants Jakob von Kettler kommandirte er das 
im hollaͤndiſchen Solde bei der Armee in den Nieder⸗ 
landen ftehende Xippifche Dragoner-Regiment während ber 
ganzen Dauer des Krieges bis zum Frieden von Ryswick 
mit großer Auszeichnung, wurde dann zum Brigadier 'be= 
fördert, und ftarb als beutfcher Ordenskommenthur bald 
nach dem Ryswickiſchen Frieden zu Netra. Desgleichen 

13. Karl Heinrih von May, 1663 zu Rin⸗ 
teln geboren, wo fein Vater Landdroſt der Grafichaft 
Schaumburg geweſen. Anfänglih im: Leib-Regiment zu 
Fuß, wohnte er den Feldzügen von 1685-88 in Ungarn 
gegen die Türken als Freiwilliger bei, ward 1692 als Ma- 
jor zu dem Kettleriichen Dragoner-Kegiment verjegt, 1697 
,zum Öberftlieutenant und Commandeur von Erbprinz (früher | 
Wartensleben) Dragoner, 1702 zum Oberft und 1704 zum 
Brigadier befördert, als welcher er 1714 verftarb. 

Ein ſehr verbienter Führer des Fußvolls war auch: 

14, Johann Edebredht von Stodhaujen aus 
Wüllmerſen, welcher 1672 als Fähnrich in heſſiſche Dienfte 


215 


geireten war und von 1685—88 als Major im Ober⸗Rhei⸗ 
nifhen Streißregiment die Feldzüge in Ungarn gegen bie 
Türfen mitgemacht hatte. Im Jahre 1694 führte er als 
Dberft dem Regiment des Erbprinzen Friedrich, welches in 
bolländifchem Solde in den Niederlanden ftand, ein aus 
9 Compagnien verjchievener Regimenter combinirtes, 936 
Mann ftarkes, drittes Bataillon zu, welches er in ben 
darauf folgenden Feldzügen mit Auszeichnung befehligte. 
Noch viele andere wären bier zu nennen, bie dem 
Baterlande Ehre und Ruhm gebracht haben, doch wird 
ſich eine geeignetere Gelegenheit darbieten, der Helden⸗ 
thaten zu erwähnen, die u. a. Goelenius (aus Rinteln 
gebürtig) geübt. Nur foviel fet hier noch bemerkt, daß, 
wenn auch ebenio während der Belagerung von Negro- 
ponte, als während der Feldzüge in Ungarn mande Hoff- 
nung des Vaterlandes, wie z. B. namentlich der kühne 
Erſtürmer des Marabouts, Hauptmann Georg Otto Raabe 
aus Kaſſel, in ein frühes Gräb ſank, doch nicht minder in 
den Feldzügen von 1688—97 die Mehrzahl jener Braven 
fich heranbilbete, die während des darauf folgenden fpani= 
ſchen Erbfolgefriege8 den Ruhm der heffiichen Waffen noch 
vollends zu fchönfter Blüthe zeitigten, worunter vorzugs⸗ 
iweife genannt zu werben verdienen: Ru dolph von Han— 
ftein al8 Commandeur des Leib-Regimentd zu Pferd; 
Prinz Philipp vonHeffen-Homburg*) und Georg 
Friedrich von Auerochs, als Commandeurs de vor- 
mals Kettlerichen Dragoner-Regiments; Karl von doyne- 
burg, al8 Kommandeur des gleichnamigen Dragoner-Re= 
giment; die Oberftlieutenants Curt Blato von Uffeln 
und Wolf Dietrih von Berfhuer, als Comman— 
beurs des Regiments Prinz Anhalt; die Oberftlieutenantd 
Hans Hermann von Wartensleben *H, Melchior 


*, In der Schlacht am Speierbach 1703 als Generalmajor geblieben. 
**) In der Schlacht am Speierbach 1703 geblieben. 


216 


von der Tann *) und Graf Franz Chriſtoph von 
Seyboldsdorf, ald Commandeur de8 Regiments des 
Erbprinzen Sriebrich, Die Oberften Melchior von Schbp⸗ 
ping **), Chriſtoph Ludwig Mob, Wolf Karl 
Schenk zu Shweinsberg**H, Wilhelm Friedrich 
von WartenslebenF), Oberft Ludwig von Thiele- 
mann tr und Hans Ludwig von Baumbad, als 
Commandeure ihrer gleichnamigen Regimenter, | 


*) An der bei Hochftabt 1704 empfangenen Wunde geftorben. 
**, In dem Gefechte am. Schellenberge 1704 geblieben, 
”*) In der Schlacht am Speierbach 1703 geblieben. 

T) Bei der Belagerung von Caftiglione 1706 geblieben. 

+r) In der Schlacht am Speierbady geblieben. 


IX. 


Subfidienverträge zwifchen Seffen, den Ber; 
einigten Niederlanden und England aus den 
Jahren 1694 bis 1708 *). 

Mitgetheilt vom Bibliothefar Dr. Bernharbi. 


I) Vertrag zwifchen den Hochmögenden Herren general 
flaaten der Vereinigten Niederlanden und dem durchl. 
fürften und Heren Carl Landgrafen zu Heſſen, Fürft 
zu Hersfeld, über Die Beibehaltung feiner Truppen 
und das Aeberlaſſen einiger neuen in den Dienft des 
Staates. 


Art. 1. Nachdem S. Hf. Durchl. der gr. Carl, Landgraf 
zu Heſſen, von den Hochmögenden Herren Generalſtaaten der 


*) Dieſe vier erſten Verträge fanden ſich während des Druckes vor⸗ 
ſtehender Abhandlung in einer allerdings uncorrecten holländiſchen 
Abſchrift auf Kurfürſtl. Landesbibliothek (Mss. Hass. fol. 115), 
und werden hier in deutſcher Ueberſetzung gegeben. Die folgenden 
finden ſich eben daſelbſt in franzöſiſcher Sprache. Sie ſind, ſoviel 
uns belannt, noch ſämmtlich ungedruckt. 


217 


Bereinigten Nieberlande erjucht worben ift, Seine Truppen, 
namlich: das Fußregiment von 1248 Köpfen, das Reuter- 
regiment von zehn Compagnien, im Ganzen zu 720 Pfer⸗ 
ven, und da8 Dragonerregiment von ſechs Compagnien, 
474 Pferde ſtark, nicht allein im Dienfte Ihrer Hochmög. 
bleiben zu laſſen; ſondern diefelben, namentlich das Reu— 
terregiment mit noch zwei Compagnien, jede zu 72 Pferben 
und das Dragonerregiment mit drei Compagnien, jede zu 
79 Pferden gerechnet, zu verftärken, fo hat ©. 3. Durchl., 
um Ihren Hochmög. darin zu willfahren, eingewilligt, bie 
benammten Truppen im Dienfte Ihrer Hochmög. bleiben 
zu laſſen und auch die befagten zwei Compagnien Reuteret 
und drei Compagnien Dragoner zu ftellen und zwar unter 
den nachfolgenden Bebingungen: | 


2. Es haben nämlih Ihre Hochmögenden an Seine 
Durchlaucht für jede der genannten Reutercompagnien bes 
reits zehntaufend. achthundert Gulden und demnach für die 
zwei Gompagnien 21,600 Gulden, besgleichen für jede 
Eompagnie Dragoner neuntaufend achthundert fünf und 
zwanzig Gulden und alſo für Die Drei Compagnien 29,625 
Gulden bezahlen Lafjen, und außerdem zwei Monate Solb 
im voraus, fowohl für die zmei NReutercompagnien, als 
für. die drei Dragonereompagnien, im Ganzen 22,418 
Gulden. | 


3. Daß der Monatsſold der befagten 2 Eompagnien 
Reuter und der 3 Eompagnien Dragoner mit dem ''/,.. 
Sanuar 1694 beginnen und mit dem andern alle ſechs 
Wochen pünktlich bezahlt werben fol, wogegen ©. F. Durchl. 
veriprechen, die beſagten 2 Compagnien Reuter und die 
3 Eompagnien Dragoner ſpäteſtens gegen Ende März 1694 
an die Grenze des Staats zu Tiefern, 


4. Daß die Neuter- und die Dragonereompagnien mit 
guten und wohlerfahrenen Officieren und mit Pferden, 15 
bis 16 Fauſt hoch, verfehen fein follen, bekleidet und mit 


| u 218 
gleichem Schieß⸗ und Seitengeivehr ausgerüftet, wie bie 
alten Eompagnien, welche im Dienfte des Staates find,’ 


5. Daß die Officiere diefer Compagnten, fowie auch bie 
Reuter und die Dragoner, bei ihrer Ankunft an der Grenze 
. de8 Kandes den Eid der Treue Sollen ablegen müſſen. 


6. Daß die befagten zwei Compagnien Reuter und bie 
drei Compagnien Dragoner von dem Regiment Sr. Fürſtl. 
Durchlaucht nicht getrennt. und zu anderen rangirt werben 
dürfen, 


‚7. Nachdem Ihre Hochmög. außerdem S. F. Durchl. 
erfucht haben, noch ein Fußregiment von zwölf Compag⸗ 
nien in die Dienjte des Staates treten zu lafjen, jede 
Compagnie mit der Prima plana *) gerechnet zu 74 Köpfen, 
ſowie auch ein Bataillon von neun Compagnien, jede zu 
104 Köpfen mit der Prima plana, nebft einem Oberftlieu- 
tenant, einem Major und einem Regimentd-Feldfcheerer 
bemjenigen Regiment ©. 3. Durchl, beizufügen, welches 
bereit8 im Dienft de8 Staates ift und von dem Oberſten 
Detlef von Schwerin commanbirt wird, fo hat S. 3. 
Durchl., um dem Wunfche Ihrer Hochmögenden zu ent 
forechen, fich verbindlich gemacht, das Regiment und Ba- 
taillon mit guten und wohlerfahrenen Dfficieren verjehen, 
auf einerlei Weife gefleivet und mit guten Schieh- und 
Seitengewehren, ein Drittel mit Pilen, bewaffnet gegen 
Ende März 1694 neuen Styl8 auf den Boden des Staats 
zu liefern. 


8. Und verfprechen Ihre Hochmögenden für Das Regi- 
ment, im Ganzen 720 Köpfe ftart in 12 Compagnien, 
und für das Bataillon, 846. Köpfe ftart ohne die Prima 


*) Unter bem Namen Prima plana.werben bie ſämmtlichen Offi- 
ziere und ben Offiziersrang habende Militairbeamten verſtanden, 
weil diefe auf der erſten Seite ber Compagnie-,. Bataillone- und 
Regimentoliſten verzeichnei find. 


219 


ylona, als Eintrittsgeld 25 Rthl. oder 62 Gulben 10 
Etüber holländiſches Geld für den Kopf nebft zwei lange — 
Monate (lange maanden) Sold für den Transport bis 
auf Den Boden des Staats zu bezahlen, und find bereit, 
die. Hälfte der Gefammtfumme in Eoncurrenz mit den Ein- 
tittögeldern bei der Natification zu fuppliren, und ben 
Betrag des zweimonatlihen Soldes für ben Trangport, 
bei der Ankunft des befagten Regiments und Bataillons 
auf dem Gebiete des Staates. 


9. Bei dieſem Fußregiment ſollen ſich als Unterſtabs⸗ 
vofficiere auch befinden: ein Prediger, Adjutant, Regiments⸗ 
chirurg, Auditeur, Regimentstambour, Profoß, Stodfnecht 
und acht Hautbois. 


10. Der Sold für das befagte Regiment und das Ba⸗ 
taillon fol mit dem nächſtkommenden '°/,,. März beginnen, 
ſofern dafjelbe vor Ende des Monat auf dem Boden des 
Staates anftommen und complet befunden werben mirb, 
und fol derjelbe alsdann, wie bei den alten Truppen, von 
ſechs Wochen zu fech® Wochen bezahlt werben, 


11. Das Beſetzen der Stellen bei diefem neuen Fußregi⸗ 
giment, fowie das Recht der Zurücdberufung Crappel) des- 
ſelben ftellen Ihre Hochmögenden und ©. Fürſtl. Durchl. 
zur Verfügung Sr. Maj. von Großbrittannien, als Gene- 
raleapitain des Staateß. 


12. Sobald dies Regiment und das Bataillon an der 
Grenze des Staats ankommt, ſollen ſowohl Officiere als 
Soldaten den Eid der Treue in die Hände der Bevoll⸗ 
maͤchtigten Ihrer Hochmögenden ablegen. 


13. Sowohl die alten, als auch dieſe neuen Truppen 
werden Ihren Hochmögenden für die Zeit dieſes Krieges 
überlaſſen, es ſei denn, daß S. F. Durchl. durch einen 
wirklichen Einfall dieſe Truppen zurückzurufen (fich genöthigt 
ſähe), für welchen Fall ausdrüdlich bedungen wird, daß 


220 
Ihre Hochmog. zu Gunften Er. 3. Durchl. diefe Truppen 


wollen ziehen lafjen und aus ihrem Dienfte entlafien, fofern 
Sie einen Monat zuvor davon in Kenntniß gefegt worden. 


14. Ihre Hochmögenden verfprechen, bei der Zurück⸗ 
fendung der Truppen allen rüditändigen Sold und Wagen- 
gelder, fie mögen Namen haben wie fie wollen, zu bes 
richtigen. 

15. Wenn Ihre Hochmögenden befchließen würden, Die 
genannten Truppen vor dem Abſchluß des Friedens wieder 
zu entlaffen, jo fol es denſelben freiftehen, fofern Sie 
©. $. Durdl. einen Monat vorher davon in Kenntniß 
fegen, und follen in dieſem Falle denfelben der rüdjtändige 
- Spld und die Wagengelder nebit einem Monatsſold zum 
Zurüdmarjch bezahlt werden. 

16. Ihre Hochmdgenden übernehmen e8, die nöthigen 
Nequifitionsichreiben an des Reichs EChur- und Fürften 
zum Hin⸗ und Zurückmarſch gehörig zu beforgen, 

17. Die Ratification dieſes Vertrags ſoll in Zeit von 
ſechs Wochen im Haag ausgewechielt werden. 


Alſo geſchehen und vereinbart zwilchen den unterzeich⸗ 
neten Deputixten Ihrer Hochmögenden und den Bevoll⸗ 
mädhtigten Sr. F. Durchl. im Haag den 16. Januar 1694. 


(S.) Schimmelpennik van de Oye. (Die Unterfehriften 


(S.) Baron de Weassenser. der heſſiſchen Be⸗ 
(S.) Heinsius. | vollmächtigten feh⸗ 
(S.) Hilcker. - Jen). 


(S.) Van der Does, 
(S.) Ceiper (9. 

(S.) I. I. Wiehers. 
(S.) Van der Heek (?). 


221 


d Bedingungen, über welche Ihre Hochmögenden, die Herrn 
generalftaaten der Wereinigten Riederlande mit Sr. ' 
Hochf. Durchl. dem Herrn Candgrafen von Heffen-Caffel 
wegen des Aeberlaſſens eines Fußregiments von faufend 
Mann, beſtehend in einem Regimentsſtab und zwölf 
Compagnien : und verfehen mit wohlerfaßrnen Ober⸗ 
und ‚Anter=Dffizieren Üübrreingekommen find, wie folgt : 


Erſtens ſoll dieſes Regiment unter dem Commando 
Deſſen geliebten zweiten. Sohnes, St. Durchl. ded Prinzen 
Rarl von Helen, in den Etat Ihrer Hochmögenden aufge= 
nommen werden und ſowohl im Frieden wie im Sriege 
beibehalten werben, auch keiner Auflöfung (Ccassatie) unters 
worfen fein, und e8 joll allezeit durch einen Prinzen bes 
Fürftl. Haufes von Heſſen-Kaſſel kommandirt werben. 
Zweitens fol ſowohl dieſem Hochf. Prinzen, als 
auch allen andern Oberoffizieren bes Regiments ihr Rang 
Nach der Anciennität, gemäß der von Sr. Hodf. Durchl. 
xhaltenen Referipte, gelaffen werben und follen fie, was das 
Frommando betrifft und in Dienftfachen, danach rangiren; 
and wenn es nöthig fein follte, daß Diefelben von dem 
Staate neue Refcripte annehmen müßten, fo follen fie nur 
Ste Hälfte der darauf haftenden Gebühren bezahlen. 


. Drittens, was die Beſetzung der Offizierdftellen bei 
Zukünftigen Vacanzen betrifft, wiewohl dazu nach gewöhn⸗ 
Wichem Gebrauch Se. Kön. Maj. von Großbrittannien als 
General-Kapitain berechtigt iſt, fo will doch Se. Hochf. 
Durchl. ſich in ſolchen Fällen vorbehalten, geeignete Sub⸗ 
jeete oder Perſonen dazu vorzuſchlagen, doch ſollen die neuen 
Offiziere in dieſem Falle wegen ihrer Beſtallung und ihrer 
Patente, wie gewöhnlich, bei Sr. Kön. Maj. und bei dem 
Staate nachſuchen. 


Viertens verſprechen Ihre Hochmögenden, dies ganze 
Regiment vom nächſten ſechſten Mai an in ihren Sold zu 


VIII. Band. 
im 





nehmen, und demfelben vor dem Abmarſch den beſagten 
- erften Monatsſold hier zu übermachen und auszahlen zu laſſen. 

Fünftens werben die Herrn Generalftsaten die Marſch⸗ 
routen, welche das Regiment von hier bis auf den nieber- 
laͤndiſchen Boden nehmen ſoll, reguliren, und auch jo ſchnell 
wie möglich die nöthigen NRequifitionen für den Durchzug 
bei den Fürften, deren Gebiet man betreten muß, bejorgen 
gleihwie S. Hochf. Durchl. der Herr Landgraf von ſeiner 
Seite dabei mitwirken und Sorge tragen will, daß die 
Regimenter (sic) mit voller Montirung nämlich mit gleich— 
mäßiger guter Kleidung und guten Gewehren (snaphanen) 
und Bajonetten verjehen, fpäteftend den 15. des nächſten 
Maimonats ihren Marſch nach den Landen Ihrer Hoch⸗ 
mögenden antreten und beginnen. 

Sechſtens follen, ſobald das Regiment an bie Grenze 
des Staats Tommt, ſowohl die Offiziere als die Soldaten 
den Eid der Treue in die Hände der Bevollmächtigten 
Ihrer Hochmögenven ablegen. 

-  Giebentend. Schließlich ift befchloffen worden, daß 
das Regiment im Kriegsetat auf die Abtheilung der Provinz 
Holland, oder einer andern, welche eben ſo pünktlich und 
gut zahlt, geſetzt werde, damit daſſelbe nicht mit unnöthigen 
oder ſchwereren Koſten und Zinſen, als andere belaſtet werde. 

Died zu Urkunde ꝛc. vorbehaltlich der Ratifikation ꝛc. 

Geichehen Eafjel den 24. April 1701. 

ICacob) Blaron) v. Waffenaer Aclbrecht) v. Tettau 
(Generallientenant der Reiterei und (Major der Infanterie und 
a. o. Gejandte.) Oberſt der Garde zu Fuß.) 
(S.) (S.) 
Die Ratifikation erfolgte unterm 2. Mai 1701. 


„Die nach Holland laut Kapitulation beftinirten zwei 
Regimenter jedes a 1000 Mann follen beftehen, jedes in; 


223 


J Beim Stabe 
4 Oberften, 
1 Oberftlieutenant, 
1 Wajor, 
‚1 Regimentöquartiermeifter, 
1 Seldprediger, 
1 Adjutant, 
1 Regimentö-Felbfcheerer, 
1 Regiments⸗Tambour, 
.6 Hautbois, 
2 Profoß und Steckenknecht, 
Fine Compagnie 


10 Mann 


1 Capitain, 
1 Lieutenant, 
1’ Fühnrich, 
2 Sergeanten, 12 Eompag- 
1 Fourier, nien, jede 82 
41 Cayitain d'armes, Mann, thut 
1 Selvicheerer, 984 Mann, 
8 Corporals, 

2 Tambours, 

69 69 Gefreite und Gemeine, 


82 Köpfe Köpfe 1000 Mann. 


‚Haft ben 24. April 1701. 
J. B. van Waffenner X von Tettau, 


8) Bedingungen unfer welchen Ihre Hochmögenden ꝛc. mit 

5 $5.D. dem Herrn Landgrafen von Heffen-Caffel 

wegen des Ueberfaffens eines Fußregiments von Ein 
faufend Mann, beſtehend in einem Regimentsſtab und 
zwölf Compagnien, übereingekommen find, wie folgt: 


Erſtens übernimmt S, Hochf. Durchl. der Herr Land» 
graf ein Regiment von Eintaufend Mann au Juß, beſtehend 


0 22 


in einem Stab und zwölf Eompagnien, verjehen mit tüchtigen 
Ober» und Unteroffizieren und guter Mannjchaft, mit einer- 
lei Kleidung und guten Schießgewehren mit Bajonetten zu 
liefern, und dazu ein altes Bataillon von fünf Compagnien 
zu verwenden. 


Zweitens, zu Werbgeldern und Bekleidung des ges 
nannten Regiments werden Ihre Hochmögenden für jeden 
Soldat vierundzwanzig holländiiche Reichsthaler bezahlen; 
und zwar die Hälfte bei der Natification dieſes Vertrags 
und bie andere Hälfte bei der Ueberlieferung des Regiments 
auf dem Gebiet des Staats. 


Drittens wird S. Hof. Durchl. dieſes Regiment in 
der vollen Zahl von taufend Mann auf dem Gebiete Ihrer 
Hochmögenden überliefern, und fofern einige derfelben auf 
dem Marſche oder fonft befertiren würden, ſoll S. Sa. 
Durchl. diejelben wieder erjeten. 


Viertend, Dagegen verſprechen Ihre Hochmögenden 
bem Regiment zum Unterhalt und zu den Koften auf bem 
Mariche, daß der Monatsfold vom Tage des Abmarfches 
aus Kaffel nach den Landen der vereinigten Staaten bes 
ginnen ſoll; dieſer Monatsſold fol jedoch nicht eher bezahlt 
zu werden brauchen, bis das genannte Regiment auf dem 
Staatsgebiet angelommen und gemuftert fein wird. 


Fünftens ſoll allen bei Diefem Regiment ſtehenden 
Oberoffizieren ihr Rang nach der Anciennität, gemäß der von. 
©. Hochf. Durchl. erhaltenen Reſeripte, belafjen werden und 
fie in Beziehung auf da8 Commando und in bdienftlichen 
Angelegenheiten darnach rangiren, und wenn e8 nöthig fein 
jollte, daß diefe Offiziere irgendwelche neue Patente von 
dem Staat nehmen müßten, jo follen fie nur die Hälfte 
ber darauf fiehenden Gebühren bezahlen. 


Sechſtens (dieſer $. ift wörtlich gleichlautend mit $. 
3 des vorſtehenden Vertrags won demſelben Tage.) 


—XRXMX 


225 


Siebenteng, die genannten Truppen follen ohne Zu⸗ 
fimmung Sr. Hochf. Durchl. nicht laͤnger als ein Jahr 
im Dienſt behalten werden, und wenn die Herren General⸗ 
ſtaaten dieſelben vor Ablauf des Jahres entlaſſen wollen, 
jo ſollen dieſelben Er. Hochf. Durchl. zwei Monate vorher 
Kenntniß davon geben, um die Truppen wieder in ſeinen 
Dienſt nehmen zu können; und wenn ihm dies beliebt, 
ſollen Ihre Hochmögenden gehalten ſein, dem Regiment in 
dieſem Falle einen Monatsſold zum Rückmarſch auszuzahlen. 


Achtens werben die HH. Generalſtaaten die Marſch⸗ 
route, welche das Regiment von bier bis in deren Gebiete 
Nehmen ſoll reguliren, und auch fo ſchnell wie möglich die. 
nöthigen Requifitionen für den Durchzug bei den Fürften, 

Durch deren Gebiet man paffiren muß, beforgen, gleichwie 
S. Hochf. Durchl. der Herr Landgraf von Seiner Seite 
Dazu mitwirken will. 


Neuntens, fobald das befagte Regiment an den Gren⸗ 
zen des Staates anlangt, follen ſowohl Dffiziere als Sol» 
Daten den Eid der Treue in die Hand der Bevollmächtigten 
Ihrer Hochmögenden ablegen. 

Zehntens hofft S. Hochf. Durchl., daß Ihre Hoch» 
mögenden an die Generale, welche ihre Truppen kommandi⸗ 
ren, den Befehl erlaſſen werden, daß dies Regiment mit 
dem, welches von Sr. Fürſtl. Durchl. dem Prinzen Karl 
kommandirt wird, ſoviel als thunlich in eine Brigade ge⸗ 
ſtellt werden ſoll. 


Deß zu Urkunde ſind von dieſer Capitulation zwei 
gleichlautende Ausfertigungen aufgeſtellt und, bis zu ein⸗ 
treffender Ratification, von den Seitens der hohen Herren 
Vollmachtgeber beiderſeits hierzu Bevollmächtigten, nament⸗ 
lich von Seiten Ihrer Hochmögenden von dem Hrn. Jacob 
Baron von und zu Waſſenaer, Hrn. von Obdam und Ge— 
nerallieutenant der Neiterei des Staats und außerorbentlis 
chem Gejandte veffelben, und von Seiten Sr, Hochf. Durchl. 








226 


Herrn Landgrafen von Heſſen⸗Caſſel von dem Hrn. Albrecht 
von Tettau, Generalmajor der Infanterie und Oberft der 
Garde zu Fuß eigenhändig unterzeichnet und mit unfrem 
gewöhnlichem Bettichaft befiegelt, 

Caſſel am 24. April 1701. 


J. B. von. Waſſenaer. A. von Tettau. 
(S.) C(S.) 
Die Ratification erfolgte ebenfalls am 2. Mai 1701. 


4) Bedingungen , welche die Herren Hroning und Secretar 
Ban Sfingefand, als Lommifläre des Sfaatsraths der 
Vereinigten Niederlande, mit dem Herrn Keinhard von 
Dolwigk Rath 5. F. D. des Hrn. Landgrafen von 
Heffen-Caffel, als dazu fpeciell beauftragt und bevollz 
mächtigt, wegen Errichtung eines zweiten Kataillons 
bei dem Kegiment des Hrn. Prinzen Earl von Heffen 
übereingekommen find: 

1. Das genannte Bataillon Toll beſtehen aus zehn Com⸗ 
pagnien, jede von 82 Mann und namentlich aus zwei 
Compagnien des genannten Regiment? des Herrn Prinzen 
Carl von Helfen, zweien von dem des Prinzen Lebrecht von 
Anhalt, *) und ſechſen, welhe S. Hochf. Durchl. von Heſſen⸗ 
Caſſel hinzufügen wird. 

2. Die genannten Compagnien ſollen fo zuſammengeſetzt, 
gekleidet und bewaffnet ſein, wie die beiden vorbemeldeten 
Regimenter. 

3. Für jeden Gemeinen der ſechs genannten Com— 
pagnien, neunundſiebenzig auf jede Compagnie gerechnet, 
gekleidet und bewaffnet wie oben, wird an S. Hochf. Durchl., 
oder an deſſen Ordre, alsbald nach der Ratification diefes 


*) Prinz Lebrecht zu Anhalt-Bernburg- Hoym war 1689 als Haupt⸗ 
mann in beiftihe Dienfte getreten umb feit 1700 Oberft eines da⸗ 
mals nen errichteten Regiments. 


227 


Vertrags Die Summe von vierundzwanzig Reichsthalern be⸗ 
ablt werben, im Geſammtbetrag von 11,376 Reichsthaler 
für ſechs Compagnien. 

4. Das beiagte Bataillon son dem Negimert bes 
Stinzen Carl beigefügt und nicht davon betajchiert werben, 
ud e8 ſoll bei demſelben nichtS weiter fein, als ein zweiter 
Oberfilieutenant und ein zweiter Sergeant-Major. 


5. Die Offiziere dieſes Bataillons follen den Rang 
ihter Anciennttät oder erften Anftelung durch S. Hochf. 
Durchl. in Gemäßheit der Patente, welche fie darüber haben, 
behalten und follen dieſelben Wortheile genießen, welche 
durch Die Capitulation den Dffizteren des Regiments des 
Prinzen Lebrecht von Anhalt verſprochen find, 

6. Die befagten ſechs Comgagnien follen von der Pro- 
Binz Utrecht bezahlt und mit Teinen größern Koften und 

ZDinſen beſchwert werden, als das Regiment, dem fie bei- 
gegeben werben. 

7. Der Sold diefer vorgenannten ſechs Compagnien und 
der Gehalt des zweiten Oberſt-Lieutenants und Sergennt- 
Major jollen mit dem 1. dieſes Monats beginnen, Infofern 
die Eompagnien am erften April d. J., oder fo viel früher 
als fie fünnen bekleidet und bewaffnet fein, ihren Marſch 
nad) den Grenzen dieſer Lande antreten, wo fie empfangen 
und gemuftert werden follen, 

Die benannten ſechs Sompagnien ſollen hinſichtlich 
der Beſetzung der erledigten Offizierſtellen, der Dienſtzeit 
und der Entlaſſung auf demſelben Fuß behandelt werden, 
wie das Regiment des Prinzen von Anhalt, zu welchem 
Ende die Art. 6 und 7 von deſſen Capitulation als hier 
eingefügt betrachtet werden. 

So geſchehen und kapitulirt im Haag, dieſen fünften 
Januar 1702. 

(S) Marmus Groning 
(S.) S. v. Stingeland (S.) R.v. Dalwigk. 


* 
in 


AED 


Die Ratification im Haag erfolgte am 18. Januar 
1702 mit ber. Unterfchrift: 

(S.) Auf Befehl der Hochmögenden HH. General 
ſtaaten. 
| Fagel. 


5) Copitulation faite entre la Reine de la Grande 
Bretagne et Leurs Hautes Puissances les Seigneurs 
Etats Generaux des Provinces Unies d’une part, 
et de Son Altesse Ser. le Seigneur Landgrave (de 
Hessen-Cassel) d’autre part, touchant un regiment 
d’infanterie de neuf cents hommes *). 


41. Premierement Son Altesse Ser. fournira & la dite 
Reine et aux dits Seigneurs Etats Generaux un vieux ré- 
giment d’infanterie, qui consistera, selon la liste ci-jointe, 
en dix compagnies, chaque compagnie de 87 teles, et 


- . pourvue -oütre cela de son Etat Major. 


2. Ce regiment sera compos6 de bons et de beaux 
hommes, bien exerces, habill&s tt arınes, et ils auront 
tout ce qui leur sera necessaire. 


3. La dite Reine et Leurs H. Puissances payeront en 
argent de levee pour le susdit r&giment 25 ecus, argent 
de Hollande, par tete, ce qui fait en tout 21,000 &cus, 
lequel argent sera. pay& moitie à la ralification de la ca- 
pitulation, et l’autre moiti6 trois mois apres la ralification. 


4. Le dit regiment sera payé regulirement selon la 
susdite liste, moiti& par la dite’Reine, moitie par LL. HH. 
Puissances, sur le pied que l’Etat paye ses propres trou- 
pes Etrangeres des autres Princes, et il ne pourra jamais 
etre plus en arriere que trois mois. 


®) Die Handſchrift jagt zivar „neuf mille”, body hat das urfprüng- 
liche Wort „mille“ wahrfcheinlich in „neuf cents“ follen verändert 
werben, was nur zur Hälfte ansgeführt ift. 


229 


5. La solde du regiment commencera huit semainos 
want Je jour, qu'il sera entre dans les limites de I’Etat 
de LL. HH. Puissances, ou dans l’endroit, ou on le re- 
qerra, soit pour cooperation ou autrement, oü d’abord 
men fera la revue par les Commissaires de la Reine de 
k Gr. Bret. et de l’Etat, et il pr&tera serment de fidelite 
4la dite Reine et aux dits Seigneurs Etats Generaux. 


6. En &gard des recrues du dit regiment, du payement 

de Pargent pour les chariots, equipages et autres douceurs 
de service, du renvoi apres un accomodement ou paix 
faite, du rappel, de la libre disposition, on agira gene- 
ralement et en tout comme on agit avec les aulres six 
mille hommes de Son Altesse Ser. et comme il est ex- 
Prime aux articles 5. 6. 7. 8. 9. 10 et 11 de la conven- 
tion faite à la Haye le 7. Fevr. 1702 entre Sa Maj. la 
Reine de la Gr. Bret. et LL. HH. Puissances d’une part, 
et Son Altesse Ser. le Seigneur Landgrave d'autre part, 
touchant un corps de 9000 hommes, et tout les surnom- 
mes articles auront la m&me force et vigueur, comme s’ils 
€taient inseres ici de mot-&ä-mot, 


7. Son Allesse Ser. le Seigneur Landgrave aura & faire 
les Officiers du dit regiment et & remplacer de meme 
leg charges vacantes par d’aulres sur le pied du premier 
article des’ articles separes de la dite convention, 


8. Al’egard de la jurisdiclion on en usera sur le pied 
des six mille hommes. 


9, Ce regiment servira dans le corps des 9000 hommes 
et il demeurera joint autant que la raison de guerre le 


permeilra. 


10. Les dits Seigneurs Etats Generaux donneront les 
leitres requisitoriales, qui seront necessaires pour le dit 
regiment. . 

11. Cette capitulation sera ratiſiée, et les ratifications. 


230 


seront &echanges ici & la Haye dans trois semaines de 
temps ou plutöt si cela Be peut, 


En for de quoi nous soussighes Envoye warnord 
de la Reine de la Gr. Bret. et Deputes des Seigneurs 
Etats Generaux et Envoyé extr. de S. A. Ser. le- Seigti: 
Landgrave de Hessen-Cassel avons conclu, signe et scell6 
du cachet de nos armes la presente capitulation faite & 
la Haye le 31. de Mars 1703. 

(S.) Alexandre Stanhope. (S.) v. Gent. (©.) v. Dalwig: 

(S.) v. Pleiswyk. 

(S.) Heinsius. 

(S.) de Lassau. 

(S.) v. d. Does. 

(S.) du Tour. 

(S.) Lemker (?). _ 

(S.) de Darsies (?). 


6). Convention enire Sa Maj. Brit. la Reine de la 
Grande Bretagne et Leurs Hautes Puissances les 
Seigneurs Etats Generaus des Provinces Unies 
d’une part, et Son Altesse Ser. le Landgrave de 
Hessen-Cassel d’autre part, au sujet de la marche 
des troupes de S. A. Ser. en lialie et augmentation 
d’icellesg de mille hommes. 


1. Premierement $. A. Ser. s'engage & faire marcher 

son corps de troupes en lItalie incessament apres que 
cette convention sera approuvee de la part de S. Maj. 
Brit. et de LL. HH. Puissances et quelle sera requise 
par les dites Puissances. 

2. Ce corps consistera en dix bataillons et seize esca- 
drons, savoir les neuf mifle hommes selon la convention. 
de 2. fevrier 1702, tun bataillon de 870 hommes selon 
la convention de 31. Mars 1703 et encore un bataillon de 
six compagnies à 80 hommes par compagnie, et quaire 


- 


231 


escadrons faisant 720 chevaux, que Son A, 8. y ajoutera 
& cette heure. 

3. Pour angmentation du dit regiment d’infanterie et 
da.regiment de cavalerie, que S. A. S. fera Clever), il 
sera payôé de la part de S. M. B. et de LL. HH. Puissances 
38, A. Ser. un subside de 72,520 écus et 22 sous par an. 

A. Sa Maj. Brit. et LL. HH. Puissances se chargent 
de bonifier à S. A. Ser. le surplus du prix du pain et du 
füurage, s’il exc&de celui, que les troupes auront dü en 
payer en Brabant, comme aussi des frais extraordinaires 
ou hazards, de quoi on produira des pieces et documens 

Justificatoires. 

5. La perte, qu’il pourrait y avoir sur le change de 
Pargent tombera pareillement sur S. M. Brit. et LL. HH. 
Puissances, ce qu’on prouvera,par les. billets des Banquiers 
uveres. 

6. Et comme S. A. S. juge nessecaire pour la con- 
sservation de ses troupes, que le corps soit pourvü de 
<hariots pour voiturer le pain, sans dependra & cet egard 

du hazard, S. M.B. et LL. HH. P. se chargent & cet eſſet 
de l’entretenir de soixante chariots. 

77. S. M. B. et LL. HH.P. se chargeront pareillement 

de la depense des höpitaux pour les malades du dit corps, 
soit en les erigeant et en faisant fournir & cet effet un 
chariot par regiment pour le transport des malades et ne- 
cessites des höpilaux, ou & donner quatre sous par jour 
pour chaque malade ou blesse, qui entreront dans les hö- 
pitaux eriges par S. A. S., auquel cas cependant les frais 
de seize chariots demeureront & la charge de 8S. M.B. et 
de LL. HH. P. 

8. Comme le dedommagement de S. A. Ser. stipule 
dans les 6. et 7. articles precedents va & une somme in- 
certaine, S. A. Ser. veut bien s’en charger moyennant un 
subside de septante mille ecus monnaye d’Hollande par an, 
mais comme en ceci Elle n’envisage aucun profit, elle 





232 


veut bien aussi, pour donner une marque de Son desinte- 
ressement, et qu’elle n’entre dans cette convention, qu’en 
celle de l’avancement de la cause commune, pour cul- 
tiver de plus en plus l’amitie de S. M. Brit. et de LL: 
HH. Puissances, que les dites Puissances se chargent du 
soin des articles pr&cedents et envoient à cet effet Leurs 
commissaires et ofliciers avec les troupes de S. ‘A. S., au- 
quel cas S. A. S. renoncera au subside stipul& dans cet 
article.- — 

9. Comme S. A. S. le Seigneur Landgrave était en 
droit selon Ja convention du 2. fevr. 1702, de faire reve- 
nir hiverner dans ses etats les trois mille hommes payes 
par subside et que par cette marche elle ne pourra pas 
jouir de ce droit, S. M. Brit. et LL. HH. Puiss. s’engagent 
de dedommager S. A. S. de la perte, qu'il y aura sur 
lagio de l’argent d’Allemagne en celui d’Italie durant les 
six. mois du quartier d’hiver. 

10. L’argent des chariots, recrues et toutes autres 
douceurs, dont les troupes ont joui jusqu’ici, leur seront 
continudes et payees à ces seize regimens sur le pied 
des precedentes conventions et pratiques. 

11. Pour mettre S. A. Ser. d’autant plus en etat de 
faire l’augmentation stipulee et pour animer aussi S. A. 
Ser. à entrer.dans la presente convention, il Sera paye 
incessament et dans trois semaines après l’approbation de 
cette convention le restant du subside de l’annee 1705 
dü par S. M. Brit. et l’annee 1706 payable par avance 
suivant la convention du 7. fevr. 1702, montant ensemble 
& 80,802 florins 11 sous, et par LL. HH. Puiss. pareille 
somme sur les arrierages düs de Leur part. 

12. S. A. Ser. le Seigneur Landgrave ayant insiste 
et insistant encore fermement & ce que les arrierages lui 
restanis de la part de l’Angleterre de la guerre prec&dente 
puissent ôtre payes moitie & cette heure et moitie sur la 
fin de lannee, Mylord, Prince et Duc de Marlborough 


253 


momet de faire les instances ‚les plus pressants aupr&s 
de S. M. Brit.,. afinqgue le payement s’ensuive de la ma- 
nere surmenlionnee. | 
13. Comme on n’est pas informee exactement du 
dt aux ofliciers, tant de recrues, remontes, argent de 
deriots ou autres douceurs, on en formera une liste in- 
cessament et S. M. B. et LL. HH. P. les payeront:le plus 
if possible pour mettro par lä les dits officiers. en etat 
des frais extraordinaires et necessaires dans cette marche. 
. 44. :Leurs HH. Puissances promeitent non seulement,- 
qu'ils continueront Leurs devoirs et instances pressants 
Pour le payement des arrierages du regiment du General 
Spiegel et de l’Etat Major de Rechtern aupres. de la 
Province de Zeelande. Mais comme S. A. Ser. est infor- 
me, que la dite Province a cede, pour. en faire le paye- 
Zwzent des diis arrierages, ce que lui est dü de la part 
dies Provinces :de Gueldres, Utrecht et Overyssel sur les 
Jepenses de la mer, LL. HH: Puiss. promettent, qu’Elles 
®eront de pareils devoirs aupres des dites trois Provinces, 
æt que l’argent, qui en pourra venir, sera affecie à celie 
Sn et qu’ils mettront ordre, que ‘depuis le mois courant 
et dans la suite ces regimens et Etat Major soient payes 
regulierement, : | 
. 15. Conme 'S. A. Ser. se trouvera depourvu par 
la. dite marche de ces troupes, S. M. Brit. et LL. HH. 
Puiss. promettent non seulement d’accourir et d’assister 
S. A. S. de -leurs forces en cas d’allaque des ennemig, 
mais aussi de la garantir de toules les insultes de ses 
voisins, soit de quartiers d’hiver ou autrement sans ex- 
ception. 
16. Le payement du subside stipul&e dans l’article 
3 pour l’augmeniation commencera du jour de la conclu- 
sion de la presente convention, comme aussi celui men- 
tionne dans art. 6, 7 et 8, si S. M. Brit, et LL. HH. 
Puiss. conviennent de dedommager S. A: S. des frais men- 





234 


tionnes dans iceux par voie de subsides payables de trı 
mois en trois mois, 

17. S. M. Brit. entrera dans le payement de to 
les frais, qui resulteront de la presente convention po 
(deux tiers et LL. HH. Puiss. pour le troisieme tiers. 

18. -La presente convention durera pendant le'ter: 
d’une annee. 

En foi de quoi nous soussignes, Adrian van Borse 
len, Seigneur de Geldermalsen, Depute au Conseil d’® 
des Prov. Unies, comme autorise & cet effet de la p: 
de S. M. Brit, et LL, HH. Puiss. et Friederich Baron 
Ketiler, Grand-Marechal et Conseiller prive, autorise 
la part de S. A. Ser. le Seigneur Landgrave de Hesse 
Cassel, avons sign& la présente et scell& de Nos cach 
ordinaires, le tout sous approbation de Nos Seigneurs 
Mattres. Fait & Cassel le 20 Mai 1706. 

(L. S.) Adrian van Borsellen (L. S.) Friederich Baron 
tot Geldermalsen. Kettler. 


Article secret. 


Comme S. M. Brit. et LL. HH. Puiss. en vertu 
3. article secret de la convention precedente de l’am 
1702 se sont dejä engages, d’assister S. A. Ser. le Sei 
Landgrave de Hessen durant cette guerre, afinque la fo 
teresse de Rhinfels avec le petit bailliage du mê ne nc 
lui soit cedee pour toujours moyennant quelqu’ Equivale 
la dite Altesse Ser. veut bien donner ordre pour fai 
marcher le corps d& 9000 hommes et meme de Tau 
menter jusques au nombre de 10400 hommes sans | 
Etats Majors des regimens, pourvü que ces deux Prince 
ordonnent incessament & leur Ministres residens à Vienı 
de faire leur derniers efforts aupres de Sa Maj. Imperia 
afınque, reflechissant mürement sur la faiblesse et l’impu 
sance notoire des Princes de Rotenburg, qui ne sont m 
lement en état de conserver la dite forteresse pour 


235 


bien de la patrie, ni de fournir & l’entretien d’une gar- 
nisoa saffisante, ni aux frais d’artillerie, ammunition, vi- 
es et autres besoins requis A une vigoureuse defense, de 
maniere que les etats de S. A. Ser. et l’Empire möme 
seroient taujours exposes aux insultes des ennemis, il 
paise & Sa dite Maj. Imperiale de faire emaner une telle 
r&solution, qu’& la paix prochaine Elle pretera les mains 
45. A. Ser. et employera son autorite pour lui faire ob- 
ienir la dite forteresse et bailliage de la maniere surmen- 
tonnee, la dite Altesse Ser. se reservant tres expresse- 
ment, qu’en cas de refus, et si entre ici et le temps, que 
‚ies dits 10,400 hommes viendront sur les confins du Tirol 
une pareille declaration sinc&re et equivoque n’arrive pas 
de la part de S. Maj. Imperiale, Elle revoquera ce dit 
corns de troupes et sera en droit de lui faire rebrousser 
chemin sans aller au secours du Prince Eugene. Bien 
esiendu pourtant, qu’en un pareil cas de refus de S. Maj. 
Imperiale S. A. Ser. se contentera et fera poursuivre & 
ses troupes la marche vers le dit Prince de Savoie, si 
8. Maj. Brit. et LL. HH. “Puiss, veulent bien sans perte 
de temps s’engager par Ecrit, à eflectuer, qu’& la paix 
prochaine Rhinfels et son bailliage soit cede irr&vocable- 
ment a S. A. Ser. et & ses Successeurs & la Regence. 
Falt à Cassel le 20 Mai 1706. 


(L.$.) Adrian van Borsellen (L. S.) Friederich Baron de 
tot Geldermalsen. Kettler. 


Elucidatio articulorum 3. 6. 7 et S. 


Sn art. 3. find zwar wegen des Augmenti der drei 
Regimenter verfprochen 72,502 Rthl. 22 St., als aber 
das Reußiſche Regiment zurücihlieben, tft hinc inde wegen 
ber beiden Regimenter zu Roß beliebt worden bie Summa 
von. .. + 50,000 Rthlr. 

. \ ñ —ñ 


236 


In art. 6. find vor 60 Proviantwagen geſetzt 
ash täglichh.. 0. . 26,280 Rthlr. 
In art. 7. für 16 Hoßpitaldwagen. . . 7008 „ 
ltem wegen 2000 Kranken und Bleffirten & 
A. fi. (sols?) täglich in 6 Monaten . 29,200 w 


62,488 ww 





Item vor Beſoldung der Commiff ariats⸗, Pro⸗ | 
viant⸗ und’ Feldhospitals⸗ Bedienten . 7260 ° m 
69,748 

Um aber ein compte rond zu machen, hat Herr von 


Geldermalſen endlich beliebt zu ſetzen. . . 70,000 Rthlr. 
50,000 


120,000 „ 

Davon zahlt England zwei Drittel, nämlich 80,000 
Rthlr. und. Holland ein Drittel, nämlich 40,000 Rthlr, 
und wird beides von drei zu drei Monaten, nämlich von 
England quartaliter 20,000 Rthlr., von Holland aber 
10,000 Rthlr. bezahlt. Der 1. Terminus ift der 20. Aus 
guft 1706, det 2. der 20. November 1706, ber 3. der 20, 
Februar 1707, der 4. der 20. Mai 1707. | 


. 7. Ampliation de la Convention faite ü Cassel enire 
S, M. la Reine de la Grande Bretagne et LL. HH. 
Puissances les Seign. Etats Generaux des Provin- 
ces Unies d’une part, et S. A. S. le Seigneur Land- 
grave de Hessen-Cassel d’auire part. 


Sa Maj. Brit. et LL. HH. Puiss. ayant juge qu'il 
seroit necessairg pour le bien public et pour l’avancement 
‚de la cause eommune des hauts Allies, que le corps de 
‚ troupes de S. A. S. presentement en Italie y restät pour 
la campagne prochaine, et S. A. Ser., suivant les mouvemens 
de son zele ordinaire pour les intérèts de la cause com- 
mune, y ayant donne son consentement pour en venir & 


237 


‚Teffet, la convention du 20. Mai 1706 a eis renouvelee et 
prolongee de la maniere qui suit: 
 Renouvellement ou prolongation de la Convention faite 
le 20. du mois de Mai 1706 entre Sa Maj. la Reine 
de la Grande Bret. et LL. HH. Puiss. les Seign. Etats 

Generaux des Prov. Unies d’une part et S. A. S. le 

Seign. Landgr. de Hessen d’autre part, pour que les 

troupes de la dite, A. Ser., qui en vertu de la susdite 

convenlion se trouvent & cette heure en Italie y restent 
encore jusques au dernier du mois Novembre aux 
eonditions suivantes: 

Art. 1. La convention ici dessus nommee du 20. 
Mai 1706 -demeurera dans son entier et toute sa vigueur, 
<=omme si de mot & mot elle füt inseree dans celle-ci 
n autant que les conditions n'en svient déjà accomplies, 
ti pour ce qui regarde les conditions 'non observdes, ou 
mon accomplies, elle seront observ6es et accomplies & l’&- 
venir de bonne foi et avec toute integrite à moins qu’elles 

fussent changees ou alterees par celle-ci. 

Art. 2. Et comme en vertu de la susdite convention 
du 20. Mai 1706 le corps des troupes de S. A. S. le 
Seign. Landgrave y exprim& se trouve effeclivement en 
Italie, mais que le terme de sa demeure allait expirer au 
20 du mois de Mai qui vient, on est convenu: 

Art. 3. Que le susdit corps de troupes y devra 
encore rester pour tenir la main aux operations & faire 
jusques au dernier du mois de Novembre qui vient, SsS. .A. 
S. s’engageant de faire travailler avec toute la promptitude 
possible aux recrues, afin de remettre le dit corps en 
Etat, ei m&me, pour lo faire autant plus promptement, d’y 
envoyer un vieux bataillon de Rhinfels au lieu de recrues. 

Art. A. Mais comme les officiers ne sont pas en 
€tat de faire leurs recrues sans argent comptant, LL. HH, 
Puissances s’engagent de faire payer l’argent des recrues 
promptement, tant du pass6e que du prösent suivant le 


VIII. Band. 


238 


contenu de la convention de l’annse 1706 en autant que 
cela les regarde, ne doutant nullement, que S. M. Brit. 
ne fasse la m&me chose, et promettant d’employer leurs 
intercessions les plus eflcaces aupres de Sa dite Maj, 
afinque cela se fasse. 

Art. 5. Pour ce qui regarde les arrierages düs aux 
troupes de S. A. S. de la part de LL. HH. Puiss., elles 
s’engagent d’en faire payer deux cent mille livres mon- 
naie de Hollande à l’echange de la ratification de ce pre- 
sent renouvelement de la convention du 20. Mai 1706, 
deux autres cent mille livres de la m&me monnaie deux 
mois apres et ce qui restera encore. deux mois après, 
tellement que toute la dette sera acquitee quatre mois 
apres l’echange de la ratification de ce renouvellement, 

Art. 6. S. A. S. le Seign. Landgrave se pleignant 
non seulement, que non obstant la convention du 7. fe- 
vrier et celle du 20. Mai 1706 Elle ne soit encore payde 
de la part de. !’Angleterre du restant du subside de l’an- 
nee 1705 et 1706 y stipul& et payable I’un par avance 
et l’autre dans trois semaines apres la ratification de la 
dite convention, non plus que des arrierages lui restant 
de la guerre pr&cedente, qui cependant suivant le 12. 
article de la convention du 20. Mai 1706 devraient &tre 
payes moiti6 promptement et moiti6 sur la fin de Pannée 
dans le temps d’alors, mais que S. A. Ser. pretende for- 
tement de suspendre sa ratification sur cette convention, 
a moins qu’Elle n’ait de fermes assurances du payement 
en question, LL. HH. Puiss. les Seign. Etats Generaux 
des Prov. Unies s’engagent de même & cet egard d’em- 
ployer leurs offices les plus pressants aupres de S. M. la 
Reine de la Grande Bretagne, afinque les dits arrierages 
soient payes A moins dans le terme prefix deja dans la 
convention ici dessus alleguee. 

Art. 7 Et comme un des .principaux griefs de S. 
A. Ser. & ne point entrer dans ce nouvel engagement 


d 


2339 


a consiste dans l’apprehension, que, suiyant les pleintes 
criantes lui porlees, ses troupes manqueraient de subsi- 
stance necessaire en Italie, jusque là m&me qu’on n’en 
yurrait avoir pour de l’argent, comme aussi des voitures 
»cössaires pour (en cas qu'il y-eut assez de subsistance) 
h faire transporter partout, oü les troupes en auraient 
kesoin, LL. HH. Puiss. s’engagent, qu’en cas, que contre 
iur attente il y eut une si grande difhiculte pour trouver 
de la subsistance pour les dites troupes, comme aussi 
pour pouvoir être servi des voitures necessaires pour 
@ransporter la dite subsistance & l’endroit des operations, 
©uü les dites troupes pourraient éêtre engagees, Elles ta- 
<heront de pröter la main par toutes sorles de voies & 
Lever cette difficulte et d’avoir soin que les dites troupes 
n’aient manque ni de subsistance ni de voiture, moyen- 
nant neanmoins, qu’en ce cas inopine Elles soient aver- 
ties en temps, soit par le commandant en chef des dites 
troupes, ou par le coımmissariat, pour y pouvoir meltre 
ordre; LL. HH. Puiss. declarent, que leur intention n’est 
aullement, que les dites troupes souffreni, mais au con- 
traire, qu’elles soient conservees en bon etat, le mieux 
possible, et comme Elles sont assurees des m&mes inten- 
tions de S. M. Brit. sur ce sujet, Elles ne douteat nul- 
lement, que Sa dite Majeste n’y donne la main dans toute 
son eiendue. 
Art. 8. Pour ce qui regarde guelques autres points 
allegues de la part de S. A. Ser., lesquels un ministre 
ne peut pas decider, comme n'y ayant pu éêtre autorise 
ä cause, qu’on ne les a pu prevoir, S. A. Ser. se reserve 
. de faire coucher ces points sur un memoire separe, alın 
d’etre envoye&s & la Haye pour y être vuides avec ses mi- 
nistres en toute justice et equite devant Ja ratificalion de 
cette convention, ce qui aura tant’ de force, comme si 
ces points fussent inseres dans celle-ci et seront obser- 


240 


* 
ves et execules exactement aussi bien que les articles 
y compris. 

Art. 9. La presente convenlion sera ralifi&e et les 
ratifications en seront echangees & la Haye dans qualre 
semaines d'ici, ou plutöt s’il se peut. LL. HH. Puiss. s’en- 
gagent de passer Leurs oflices les plus eflicaces aupres 
de S. M. Brit., afinqu’Elle la ratifie aussi dans toute son 
etendue et salisfasse A S. A. S. le Seign. Landgrave aux 
conditions y comprises, en aulant que cela regarde la 
dite Majeste. En foi de quoi nous Soussignes, Envoye 
Extraord. de LL. HH. PP. les Etats Generaux des P. U 
et Depute de S. A. S. le Seign. Landgrave de Hessen- 
Cassel avons conclu, signe et scelle de nos armes, Ile. 
tout sous l’approbation de nos Seigneurs et Maitres. 
Fait A Cassel le 7. Mars 1707. 

Etait signe: - 
Le Comte de Rechteren. Friederich Bar. de Kettler. 

(L. S.) | (6. S.) 

Et comme !’art. 8. de ce renouvellement et de celte 
prolongation porte la reservation de quelques points, pour 
ötre vuides iei & la Haye avant la ratification, apres avoir . 
confere sur ces points on en est tombe d’accord et con- 
venu de la maniere suivante: | 

Art. 1. Le S. Stepney Envoye extraordinaire de S. 
Maj. Brit. au nom et de la part de Sa dite Majeste entre 
dans tous les engagemens, compris dans la convention 
ci-dessus insereg, promettant, que tous et chacun de ces 
articles, d’autant qu’ils ont rapport & S. dite Maj. et qu’ils 
ne sont pas encore accomplis, seront exactement observes 
et accomplis, et que S. Maj satisfera, n’a pas pu promeltre. 
plus que les bons offices de LL. HH. PP., parce qu'il 
n’etait pas assez instruit des intentions de S. Maj. sur ces 
points en particulier et surtout, que les arrierages de la 
guerre presente soient payes, moitie au jour de la rali- 
fication de la presente convention, moitie un mois apres. 


- 


241 


{ 


Art. 2. S. A. S. ayant stipule par l’art. second: de 
la convention du 20. Mai 1706 un subside de 50,000 
ecus pour subvenir & l’entretien de deux regimens de ca- 
valerie, de Boyneburg et de Weissenfels, dans l’attente, 
- que ce ne serait que pour une annee; les 50,000 ecus 
ae suffisant pas & l’entretien de la moitie des gages de 
ces deux regimens et S. A. S. ne puuvant plus continuer 
au-delä de l’annde cet entretien avec un subside si peu 
suffisant,,S. M. Brit. et LL. HH. Puiss. augmenteront ce 
subside et le payeront & l’avenir & raisan de cent mille 
ecus par an, & commencer du 20. mai prochain, terme 
de l’expiration de la pr&cedente convention, ce qui re- 
viendra jusques au dernier Nov. de cette annde pour six 
mois et un liers & cinquante sept mille soixante et dix- 
sept ecus, trente huit sols, payable suivant la convention 
du 20. Mai 1706 de trois mois en trois mois, courant 
regulierement. 

Art. 3. Et puisqu’on se plaint, que les 60 et les 
16 chariots, dont il est fait mention dans les art. 6. et 7. 
de la convention du 20. Mai 1706, ne suffisent point & 
!asage auquel ils sont destines, on est convenu, quils 
seront augmentes jusques & cents chariots, et que le sub» 
side de soixante et dix mille &cus, monnaie d’Hollande, pro- 
mis à S. A.S. dans l’art. 8. de la m&me convention, pour lui 
servir d’un d&dommagement pour l’entretien des dits cha- 
riots et des höpitaux, comme aussi pour l’entretien des 
officiers du commissariat, magazins et höpitaux, dont S. 
A. S. est charge, sera augmente jusques & cent qualre 
mille six cent quatre vingt quatorze écus vingt sols pay- 
able en quatre termes consecutifs par anticipalion, savoir: 
le 4. Avril le premier quatriöme, le 1. Juin le second, 
le 1. d’Aoüt le troisieme et le 1. d’Octobre le dernier 
quairi&me, faisant en tout la somme ici-dessus nomee de 
104,694 ecus 20 sols. * 

Art. 4. L’argent des recrues, chariots et auires 


242 


douceurs sera continue & ces quinze r&gimens sans faire 
distinetion entre eux, qui composent les trois mille hom- 
mes payes par subside, et les auires, qui sont & la solde 
de S. M. Brit. et de l’Etat. 

Art. 5. Le dit argent de recrues et aulres extra- 
ordinaires n’ayant pas et& pay& exactement aux ofliciers 
durant la presente guerre, et iceux pour cette raison mis 
hors d’etat, de completer et de remonter sitöt leurs com- 
pagnies, les dites deux Puissances promettent de tächer 
de porter la Cour Imperiale & fournir un nombre suflisant 
de recrues & un prix raisonable, qui sera paye aux ef- 
ficiers de $. M. Imperiale par ceux de S. A. S. avec les 
soldes ordinaires, lesquelles auront et& livrees et trouvees 
capables de servir. 

Art. 6. La perte sur le change de Vargent, dont 
il est parle dans Part. 5. de la convention de 1706, se 
. montant jusques & la fin du mois de fevrier dernier & la 

somme de 55,365 fl. 17 sols, l!’on est convenu, qu’icelle 
de m&me que le dedommagement & l’egard de l’agio par 
rapport de l’argent d’Allemagne & celui d’Italie stipule 
‚ dans l’art. 9. de la dite convention pour les trois mille 
hommes y mentionnes durant les six mois d’hiver, impor- 
tant la somme de 67,100 fi. d’Hollande‘, seront rembourses 
ä S. A. Ser. au jour de la ratification, comme faisant par- 
tie des premiers deux cent mille francs des arrierages 
stipules dans l’art. 5. de la convention signee par le comie 
de Rechteren, le premier de/ces deux articles restant en 
son entier pour l’avenir. 

Art. 7. Quant & la solde du regiment du General 
Spiegel et de PEtat Major de l’infanterie assignee sur la 
Province de Zeelande I’on est convenu, que comme l'un 
e} Pautre importe jusques & la fin de l'annee derniere la 
somme de 23,709 fl. 16 sols, et quen vertu de la con- 
venfion de 1706 la paye devait s’en suivre regulierement 
depuis le mois de Mai dernier, ce qui pourtant n’a pas 


% 


243 


ete execute, LI. HH. Puiss. mettront ordre & ce que de 
ces soldes depuis le dit mois de Mai jusques & la fin du 
mois de Decembre dernier, important la somme de quatre 
vingt seize mille deux cent quatre vingt huit francs huit 
sols, salvo errore calculi, il soit pay& au jour de la ra- 
tfication de cette conventiou la somme de soixante dix 
sept mille sept cent trente quatre francs trois sols, et le 
residu de dix huit mille sept cent cinquante quatre francs 
ing sols deux mois apres les arrierages comme dessus, 
LL. HH. Puiss. garantissant en outre, que la dite Provinca 
de Zeelande continuera regulierement la paye des dits ré- 
gimens et Etat Major, dont elle s’est chargee depuis le 
"premier Janvier de l’annee courante. 

Art. 8. La remarche des troupes arrivant en temps 
d’hiver S. M. Brit, et LL. HH. Puiss. tächeront de porter 
la Cour Imperiale & leur accorder des «quartiers de re- 
fraichissement en Baviere, et en suite les quartiers d’hiver 
leur seront assignes, selon qu’on le concertera avec le 
Seigneur Landgrave. 

Art. 9. S’il arrive, que la paix se fasse durant 
cette campagne, le contenu des art. 7. 8. 9. et 10. de 
la convention du 7. Fevrier 1702 restera en vigueur, comme 
s’il Etait insere ici de mot & mot, et en consideration de 
la marche plus eloignee, que les troupes devront faire 
alors pour revenir d’Italie, au lieu d’un long mois do 
gages stipulö dans le dit art. 10. S. M. Brit. et LL. HH. . 
Puiss. en ce cas là feront payer deux longs mois de 
gages et feront expedier des leitres r&quisitoriales, pour 
que le passage soit accord6 et que les 6tapes soient reg- 
l&es suivant les constitutions de l’Empire. 

Art. 10. Sa Maj. Brit: suivant la convealion du 
20. Mai 1706 entrera dans le payement de tous les frais 
resultant de la presente convention pour deux tiers et 
LL.. HH. Puiss. pour le troisieme, 

Art, 11. La presente convenlion est eonckue sous 


244 
_Yapprobation de Nos Seigneurs et Maitres et en ce cas 
sera ratifiee en quatre semaines ou plutöt, s’il se peut. 
En foi de quoi les soussignes, Envoye extraurd. de 
Sa Maj. la Reine de la Grande Bretagne et les Deputes 
des Seign. Etats Generaux d’une part et les soussignes, 
Envoy& extraord. et Conseiller de S. A. Ser. le Seign. 
Landgrave de Hesse d’autre part, ont signe et scelle du 
cachet de Leurs armes la pr&sente convention, & savoir 
le S. Stepney & Bruxelles, le (17. mars?) et les Sieurs 
Deputes de LL. HH. Puiss. comme aussi les Sieurs Dal- 
wig et Klaute & la Haye le 25. Mars 1702. 


(S.) Stepney. ($.) F. W. van (8.) J. R. de Dalwig. 
Gent Oldersom. ($.) J. B. Klaute. 
(S.) C. de Lange (?). 
(S.) A. Heinsius. 
(S.) Becker. 
(S.) Quint. 
(S.) G. Coehorn. 
(S.) Gockinga. 


Article secret. 

Sa Maj. Brit. et LL. HH. Puiss., en vertu de l’ar- 
ticle secret de la convention du 20. Mai 1706, s’engagent 
par ces presentes, qu’en cas que Sa Maj. Imp. ne fasse 
pas. &maner une resolution, qu'à la paix prochaine Elle 
pretera les mains & S. A. Ser., et emploira son autorite 
pour lui faire obtenir la forteresse de Rhinfels avec le 
petit bailliage du m&me nom, en sorte quelle lui soit 
cedee pour toujours moyennant quelqu’ Equivalent, qu’en 
co cas l& Sa dite Maj. et LL. HH. Puiss. effectueront qu’& 
la paix prochaine Rhinfels et son bailliage soit cede irre- 
vocablement à S. A. Ser. et à ses successeurs en la re- 
gence moyennant un equivalent, comme il est dit ci-dessus. 
Cet article sera ratifie et les ratifications en seront &chan- 


245 
ges ici & la Haye dans quatre semaines, ou plutöt si faire 
se peut. En foi de quoi les soussignes etc. ont signe 
et scell&E du-cachet de leurs armes le present article se- 
cret, à savoir le S. Stepney & Bruxelles le 17. Mars et 
les Deputes de LL. HH. Puiss. aussi les Sieurs Dalwig 
et Klaute & la Haye le 25. Mars 1701. 
(Folgen Die Unterſchriften wie oben). 


Convention entre Sa Maj. la Reine de la Grande 
Bretagne et LL. HH. Puissances, les Etats Genc- 
rauz des Prov. Unies d’une part et Son Aliesse 


Ser. le Seigneur Landgr. de Hessen-Cassel d’auire 
part. 


Art. 1. Comme S. A. S. le Seign. Landgrave a 
trouré bon de rappeller d’Italie le corps de ses troupes, 
Apres que le terme pour lequel Elle s'éêtait engagee d’y 

isser le dit corps fut expire, et comme par lä les con- 
Ventions du 20. de Mai 1706 et du 25. de Mars 1707 
Cessent, autant que les articles en sont accomplis, et que 
du temps de cette, cessation la convention du 10. d’Avril 
21702 comme aussi la capitulation du 31. de Mars 1703 
à l’&gard des neuf mille hommes et d’un bataillon repren- 
dront leur vigueur, Sa Maj. Brit. et LL. HH. Puissances 
yprometient d’accomplir et d’ex&cuter sans plus de delay, 
ce qui manque encore à l’entier accomplissement et & 
Ventiere ex&cution de quelques uns des articles des dites 
conventions de 1706 et de 1707; et l’on est convenu, que 
dor&navant on se reglera de part et d’autre pre&cisement 
suivant le contenu des articles de la convention du 10. 
d’Avril 1702 et de la capitulation du 31. de Nlars 4703, 
lesquelles sont confirmees par celle-ci autant qu’il en pour- 
rait @tre besoin. j 

Art. 2. Mais comme S. A. Ser. en laissant aller les 
9000 hommes en Italie y a joint deux régimens de cava- 
lerie, et que Sa Maj. Brit. et LL. HH, Puiss. ont promis 


246 


de payer & Sa dite Altesse Ser. un subside de 100,000 
€cus par an pour subvenir aux frais de l’entretien des 
dits deux regimens, payables deux tiers par Sa dito Ma- 
jeste et un tiers par LL. HH. Puissances on est convenu, 
qu’& l’egard de ces deux regimens il ne sera rien innove, 
mais qu’ils continueront de servir arec les dits neuf mille 
hommes partout, oü !’on trouvera bon de les employer, 
et que, le subside de 100,000 ecus continuant sur le 
m&me pied sans interruption depuis l’echeance de la der- 
- niere convention, S. Altesse Ser. ne pourra rien pretendre 
davantage & cet egard. 

L’article secret du 25. Mars 1707, concernant Rhin- 
fels et le bailliage qui en depend, est renouvele, conti- 
nu6 et confirme& dans toutes les formes par la presente 
convention, laquelle est conclue sauf l’approbation de nos 
Seigneurs et Maitres et en, sera raliliee et les actes de 
ratification seront &changes ici & la Haye dans quatre 
semaines ou plutöt s’il se peut. 

En foi de quoi Nous Soussignes etc. avons signe 
et scell&E du cachet de Nos armes celte convention, à 
savoir l’Envoye& extraordinaire de Sa Majeste Britannique 
à Bruxelles le 10. de Mars 1708 et les Deputes de LL. 
HH. Puiss. et PEnvoyé extraordinaire de S. Altesse Ser. 
à la Haye le 17. d’Avril 1708. 


(S.) Cadogan (?). (S) v. Brockhuisen. G) de Dalwig. 
(S.) v. Reden. 
(S.) Heinsius. 
(S.) v. Bassen.: 
(S.) v. Gockinga. 
(S.) Ge vilant (N. 
(S.) Ger Caius (?). 


247 


X. 


Die zwei älteften fcbriftlichen Grundlagen 


_ der landfländifchen Verfaſſung 
\ in dem JFürftentfum Heffen und den andhangenden 
Staffchaften. 


Mitgetbeilt von F. Rebeltban, 


Mit der Meberfchrift find die beiden Einungsurfunden 
von 1509 und 1514 gemeint. Die erjtere iſt von Lünig 
zweimal abgebrudt *); das Orginal, oder genauer gejagt: 
eine Orginalausfertigung wird im Archiv der Stadt Caffel 
aufbewahrt und hat zur Berichtigung des bier folgenden 
Abdruckes gedient. Die andere Urkunde von 1514 iſt den 





Streitfchriften des beutfchen Ordens beigefügt *H, der. 


hier gelieferte Abdruck mit einer andern guten Abjchrift ver- 
glichen. **9 | 

Denjenigen Lejern, welchen der Verlauf unferer 

Zandesgefchichte nicht durchaus gegenwärtig ift, gebe ich 
gern mit folgenden Andeutungen zur Hand. 

Nachdem zu Landgrafen Heinrich8 des Eifernen und 
Hermanns des Gelehrten Zeiten die Landesherrihaft und 
die Landftände ſich mit ven Waffen gegeneinander über ge= 
flanden hatten, weiß die Geſchichte nicht viel von deren 
gegenfeitigem Berhältniß zu erzählen. WIN man fich aber, 
bei allem Mangel an genaueren Nachrichten, einen Begriff 
der damaligen Verfaſſung machen, fo darf man nicht ver= 
geilen, daß, feit den Zeiten Heinrich’8 des Kindes bis 


*) Collect, Nova v. d. mittelbaren Ritterſchaft. Bo. II. S. 799, 
und im Reichs⸗Archiv Bd. IX. S. 769, 
*®) Entbedter Ungrund berj. Einwend. ꝛc. Franckfurt 1753. Bei⸗ 
lage LXXX. 
**) Da der Tert nirgend einem Zweifel unterliegt, und beibe Urkunden 
wejentlich zuſammengehören, habe ich den Abdruck der zweiten bis zur 
Einfigt einer Orginalausfertigung nicht verſchieben wollen. F. N. 


248 


zum Tode Ludwigs des Friedfertigen, von 1265 bis 1458, 
alſo faft zweihundert Jahre Jang, (ver Zeiten ter Land- 
grafen von Thüringen gar nicht zu gedenken), das Fürſten⸗ 
thum Heffen nur während dreier Sahre, nämlich von 1308 
bi8 1311, zwiſchen Landgraf Johann und Otto, getheilt 
geivefen war. Erft die Theilung zwiichen Ludwigs des 
Zriebfertigen Söhnen, Ludwig und Heinrich, entzweite Das 
Zand und flürzte e8 in Bürgerkrieg. Bergebend machte ber 
dritte Bruder, Landgraf Hermann ter nachmalige Erz 
bifhof von Coln, die gemeine Ritterſchaft und Landichaft 
Ritterihaft, Mannſchaft, Bürgermeifter, Räthe und ganze 
Gemein der Städte) des Fürftenthbums zu Helen und an 
der Lahn für den Zwielpalt und allen tem Land daraus 
erwachſenden Schaden verantwortlid. Erft nachdem meh⸗ 
zere gemeine Landiage *) gehalten worden waren, fand 
ih die Einigfeit und der Friede leidlich bergeftellt, aber 
Landgrafen Ludwigs II. vorzeitige8 Ende bedrohete fie aufs 
neue. Nachdem dann auch Landgraf Heinrich II. mit Tod 
abgegangen war, regierten drei Wilhelme zugleid) über Das, 
dur die Erbichaft von Ziegenhain, Nidda und Katzeneln⸗ 
bogen allerdings namhaft vergrößerte Land. Das Gefühl 
der Trennung der immerfort fich noch Eins fühlenden heffi- 
chen Ritterſchaft und Landichaft fcheint nichtE deſto weniger 
fehr lebhaft geblieben zu fein, zumal noch gar manches 
andere Ungemach hinzutrat. | 

Erft hatte der eine Landestheil unter des Landgrafen 
Ludwigs minderjährigen Söhnen eine vormundichaftliche 
Kegierung gehabt. Gleich hernach hatte der andere Landes⸗ 
theil unter de8 Landgrafen Heinrich® minderjährigem Sohn 
dafjelbe Schidjal. Kaum war dann der letztere volljährig 
geworden, als ihn in friiher Jugendkraft der Tod ereilte, 
Bon den zwei verbliebenen Landgrafen aber wurbe ber 


6. Kopp. Bruchſtücke ber dentſchen Geſchichte; zweiter Theil 
©. 3 fi. und befonders ©. 73. 


249 


ältefte Wilhelm geiftesfrant, während der jüngere Sahres 
Yang durch Siechthum ans Zimmer gebannt und zur Uns 
thätigleit gendthigt war: Bei feinem 1509 eintretenden 
Tod hinterließ er einen tieffinnigen Bruder und einen fünf- 
jährigen Sohn (Philipp), eine jugendliche, felbft noch 
minderjährige Gemalin (Anna von Medlenburg) und eine 
ehrgeizige Schwiegerin (Anna von Braunfchweig), welche 
ihreß geifteßfranfen Gemahls (Wilhelms 1) Vorbehalt 
auf einen etwaigen Exrbfall geltend machte, 

Landgraf Wilhelm II. hatte die Regierung ſchon 
größtentheild einigen Günftlingen überlaffen. Diefelben 
Männer waren auch in feinem Teflament zu Executoren, 
Berwefern und Vormündern des jungen Philipps, der land⸗ 
gräflichen Witwe uud des tieffinnigen Wilhelms 1. eingeſetzt. 
Vor vier Prälaten, vier Mitgliedern der Ritterſchaft und 
den Bürgermeiſtern von Kaſſel, Marburg, Eſchwege und 
Gießen ſollten die Executoren und Verweſer alljährlich 
Rechenſchaft ablegen, jene aber verpflichtet fein, wahrge⸗ 

nominene Gebrehen vor Ritterfchaft und Lanpichaft zu 
bringen, und deren Rath dagegen zu gebrauchen. *) 

Sobald aber des Landärafen Tod und fein Teftament 

vekannt geworben war, trat am Spieß, als der Grenze 
zwifchen Ober- und Niederheſſen, ein gemeiner Landtag 
zufammen, um die Wolfahrt des Fürftenthums, fo wie 
der einverleibten und zugewandten Grafichaften zu Herzen 
zu nehmen. Das Ergebniß war eine Einigung aller Land⸗ 
flände. (Urkunde I.) 

Bemerkenswerth ift unter andern die Stellung, welche 
hierbei die Grafen von Waldeck und Sayn Wittgen- 
fein, (fie fiegelten für fi und von wegen ber andern 
Grafen), zwiſchen den Prälaten und: der Ritter- und Land» 
Ichaft einnehmen. 

Bei der darauf folgenden Berathung wurde das 


*) S. Kopp. a. a. O. Erſter Theil S. 169 fi. befonders &. 173. 


250 


Teftament des Landgrafen im Hauptpunkt, der Regentichaft, 
für traftlo8 und unverbindlich erflärt; anſtatt ter beftellten 
Executoren, Bormünder und Berwejer Ludwig von Boyne- 
burgk zum Landhofmeiſter, der Landkomthur nebft fieben 
Mitgliedern der Nitterfchaft aber in die vormundichaftliche 
Regierung gewählt, welche die erbverbrüterten Serzoge von 
Sachſen übernahmen und der Kaiſer beftätigte. *) 
Gleichwol dauerte e8 nicht länger als fünf Sabre bis 
die Regenten im Lande äußerſt mißliebig geworden waren, 
Im Gegenfaß dazu hatte die, inmittelft großjährig gewor⸗ 
dene, Iandgräfliche Witwe eine Menge von Anhängern und 
Freunden gewonnen. Man fand e8 ungerecht und bemit⸗ 
leidete die Mutter, der die Negenten nicht bloß die Er⸗ 
ziehung des Heinen Landgrafen, fondern fogar die Freude 
feine Anblid® entzogen hatten. So geichah es, daß Frei- 
tags nach Appolonientag 1514 die Grafen von Walded, 
von Königsftein und von Solms, vier Aebte, der Karthäufer 
Bater, der Antoniter Präceptor, zweihundert Mitglieder 
der Nitterjchaft, und Die Bürgermeifter von fieben unb 
dreißig Städten fih nach Treyſa begaben, um dort einen 
Zandtag zu halten, welcher bald in ein ſchweres Gericht 
über den Landhofmeifter und die Regenten fich verwandelte. 
Die Landgräfin Anna fand fi daſelbſt ein und vereinigte 
ihre Beſchwerde mit denjenigen der Unzufrievenen. Man 
ſchlug ein höchft merkwürdige Berfahren ein. Die Ent- 
ſcheidung der Beſchwerden und die Rechnungsablage wurde 
auf eine Verhandlung nad) Kaſſel vertagt; bagegen bob 
man die Einung von 1509 (Urk. 1) auf, ftellte fie. aber 
ihrem Weſen nach ſofort wieder her in einer neuen, durch 
ſehr wichtige Sagungen vermehrten Eimung (Urkunde IL), 
an deren Spike nun die verwitweie Landgräfin felbft trat. 


*) v. Rommel Geſch. von Hefſen MI. 208. 


251 


Einigung der heſſiſchen Landſtände anf Sonntag 
nad) Jacobi 1509, 
(Des Original’im Ardio ber Stadt Caſſel.) 
1509 (Sonntag nach Jacobi). 

Im namen der unteilbaren allerheiligften Dreyfaltig- 
keidt amen. Wir Prelaten Graffen Ritterfchafft und Stett 
asitfambt ingeleibten und zuegewandten Grafffchafften des 
löblichen Fürftenthumbs zue Heffen bekennen einhelliglich 

zand unvertheilt, thun auch.kundt allen gegenwertigen und 
Mkünfligen, das wir zu hertzen genommen und betracht, 
“vie auch unsre ältern und forfordern erlich und nützlich 
getan haben, das durch einigkeidt, fridde und hanthabung 
der gerechtigkeidt der allmechtige Godt hochlich geert, 
gelobt, auch landt, leath) ftette, commun, und derfelben. 
zue gemeinem nutz, uffnemen und wolfardt erhöcht und 
gebessert werden, aber durch uneinigkeidt, zwietracht 
und verdruckunge friddens und rechtens landen, leuthen, 
fielten und communen zue abnemen, verberben, erftörung 
wnd unüberwindtlichen fchaden kommen, als wir ettlicher 
mafsen bey des durchleutigen hochgeporenen fürften und 
herrn herrn Wilhelms weilandt landigraffen zue heffen, 
graffen zue katzenelenbogen, zue dietz, zue cziegenhain 
und.nidde &c. unfzers gnedigen herren feliger und löb- 
licher gedechtnus zeitten erfunden und gefpürt haben, 
alfzo das in feiner fürfllichen gnaden dreyjehrigen krang- 
heidt und fwacheidt etlich misgönner und verhinderer der 
wolfart und gemeines nutzes des fürftenthumbs zue heffen 
fein fürftlich gnaden und fonderlich im letzfien jar bewe- 
get und gereizt haben, das friefzlandt und mueglich ander 
Aandtfchafften umb unerfchwinglich geldt zue kauffen und 
deshalben landt und leuthe zue verpfendten, welichs allen 
inwonern und ftenden ehegedachts furftenthumbs zue ewi- 





252 


gen verderben, nachtheil und fchaden, wo follich kauff 
fürgengig were worden, gereicht hette, und wiewol von 
alters her nach löblicher gewonheidt, unfere gnedigen fur- 
ftien und herren von Heffen kein krieg, vehd, oder neuwe 
müntz follen anfahen oder ufrichten an gemeiner ftend 
des furftenthumbs zue heffen rati und verwilligung, ist 
doch folchs mermals unterlaffen worden, und nit gehal- 
ten, dabey auch unterftanden widder löblich herkommen 
und alt gewonheidt unfer voreltern gemeine landtfchaft 
von einander zue teyln und zue trennen, zue dem das 
zue angeregler zeidt feiner fürfilichen gnaden krangheit 
niemand oder gar wenigh gemelts furftenthumbs untertanen 
irer fachen und hendel zue recht oder gepurlicher verhör 
hadt kommen mugen, was aus folchem allem und jedem 
zue nachteil und abbruch gemeinen nutz vermelts furften- 
thumbs gevolgt hetten menniglich abezuenemen und höch- 
lich zue bedencken. In bewachtung der und viel anderer 
urfachen unfer gemüt darzu bewegendt, haben wir Godt 
dem almechtigen, Maria feiner gebenedeyten mutter der 
heiligen, unfer hewbt frauwen fandt Elifabethen zu eren 
und lobe, auch unferen gnedigen herren und fursten zue 
heffen, uns den’ Prelaten, Graffen, Ritterfchafft, Stetten 
und gemeiner Landtfchafft zue eren nutz und allem guten, 
untereinander brüderlich und freuntlich vereinigt, auch 
bey unsern gelübden und eiden zufammen verpflichtiget 
und ein göttliche erliche rechtmeffzige löbliche vereinigung 
und freuntfchafft für uns unfere nachkommen erben und 
erbnemer, gemacht und ufgericht mit dem bedingen und 
offenbarlichen bezeugnus, das wir folch verbrüderunge 
oder einigunge mit nichte und in keiner wegen widder 
unfer gnedigen fürften von heffen, irer gnaden erben 
oder nachkommen zu fchmelerunge oder abbruch irer fürft- 
lichen oberkeiten, herligkeiten, gerechtigkeiten, regalien, 
zinfzen, renthen, rechten oder zue einigem irer fürftlichen 
gnaden zueftandi, wie der geheiffzen magh werden, nit 


253 


wullen gemacht, funder uns und unfere nachkommen wie 
auch unfer voreltern vor uns getan, zue friddelichem wef- 
zen, ftandt, rue und einigkeidt ufgericht haben, in maſſzen 
wd form wie hernach folgt; 

Und erftlich alfzo ob fich begebe, das einer oder 
mehr aus unfern gnedigen fürften von heflen den andern un- 
sern gnedigen fürften oder unfer gnedigen herren die prela- 
ten, graffen, ritterfchafft, fteite und gemein inwoner des für- 
fienthumbs zue heſſen bevehden, befchedigen, vergwel- 
tigen oder unverrechtigen wollte, widder unfer und eines 
iglichen recht gerechtigkeidt billichkeidt freyheidt gnad 
und privilegien, alt herkommen oder löblich gewonheidt, 
durch bebftlich heiligkeidt, remifch keyfzer, königh, lands- 
fürften oder herren gegeben, und wir der fürsten, pre- 
laten, grafen, ritterfchafft, ftette und gemeiner inwoner 
zue recht mechtig fein, fie fich auch uff uns zue recht 
erbotten, fzo follen und wollen wir unfzer nachkommen 
erben und erbnemer für- den oder die also zur tzeit an- 
gefochten würden, unterteniglich dienftlich und nach ei- 
nes iglichen gelegenheidt freuntlich bitten, die zuegefugte 
befchwerung hin und abzueftellen; wolt alsdann fulch bitt 
und erfuchunge kein gnad oder ftat haben, follen wir dar- 
nach für den befchwerten und der wie gemeldt vergwel- 
tigt wurde, das recht bietten. Wo aber daflelbe auch 
nicht wolt angenommen werden, alsdan.follen und wollen 
wir demfelbigen, (wer der zue jeglicher zeidt fein wirdet) 
mit leib, gudt und allem vermogen, hilff, beyftand, vertbei- 
ding, fchutz und fchirm thun, den auch in keinen wegen 
verlaffzen, damit menniglich bey recht und pillicheidt ge- 
hantkabt werde und gebleiben möge, alles uf koften und 
fehaden gemeiner landtfchafft, wie follchs von altter her- 
' kommen und gefcheen ift. 

Ferner ob fich begebe das in kunfftigen zeiten ei- 
ner oder mehr unfer gnedigen herrn die furften zue hef- 
fen-jemandts unther uns, unfern erben and nachkommen 


VI, Band. 


in was welzens, wirden oder fiands diefelbligen weren, 
mit ungnaden anfehen oder fürnekmen wurden, und [ich 
der oder die zur untertenigen verhörungh und recht er- 
bietten und doch daffelb von -unfern guedigen herrn und 
fürften nit angenommen oder geſtadt wolt werden, fzo 
follen und wollen wir prelaten, grafen, ritterfchafft und 
lantfchafftı unfrer freundt unfern gnedigen herrn unterte- 
niglich zuefertigen und für folch fürmenen ufs fleißzigft 
bitten, die befchwerten unferer freundte zue gaediger 
verhör oder recht kommen zue laflzen, und wo das ni 
gefchee, das wir in keinem wege verhoffen, fzo follen 
und wollen wir alsdann unfere freundte nit vergwelligen, 
fondern diefelbigen nach unferem beften vermögen bey 
irem rechtlichen erbietten wie oben gemeldt hanihaben 
fchützen und fchirmen. 

Wo fich auch begebe, das unferer freunde oder 
verwandten einer oder mehr von frembden fürften, grafen 
oder jemandt anderm unpillicher weilze vergweltigen, 
oder angefochten würde, und doch diefelben ire recht 
uff uns -erbietten und erleiden möchten, fzo follen wir 
auch diefelben unfrer freunde nach unferem beiten ver- 
mugen ane enden und orthen fich geburdt, uff recht und 
pillicheit verbietten, wo: die aber nit angenoınmen welt 
werden, fie alsdann zum beften fchützen, fchirmen und 
bey recht hanthaben, 

Were es auch fach das jemandt unther uns aus eig- 
nem muthwillen- und widder recht fich befleilffigt inner 
oder aufler lands und an recht fich nit wolt benugen laß- 
zen, und darüber unterftunde, jemand wer der were 
zue befchedigen oder -gewalt anzuelegen, das follen wir 
alfo zue gefcheen in keinem wege gefiatten, fonder un- 
fers vermögens als liebhaber des rechten und fridens de- 
widder ftatlichen gedencken. 

Würde auch jemand in diefer freuntlichen einigungh 
und verbrüderung begriffen und alfo wie gemeldt unpil- 

Yı 


258. 


licherweifze arigefochten, damit dan derfelbe fein anliggen 
und befchwerungh zue einem austragh füren und bringen 
möge, fzo foll und magh er folch fein befchwerungh und 
anliggen dreyen perfonen der landtfchaffi er in gefelfzen 
ft, clagen und fürbringen, nemlich einem aus den Pre- 
kten, einem aus der ritterfchafft und. einem aus den ftet- 
ten, diefelben follen alsbald und unverhalten, fo ferre fie 
der handell fzo treffenlich anficht, auff gemeiner lantfchafft 
costen und fchaden die prelaten, graffen, ritterfchafft und 
Landtfchafft an den Spiefz, uf einen namhafltigen tagh be- 
fchreiben und den befchwerten furtter nach jnhalt differ 
'einigungh getrewlich verholffen und geratten fein. 

Wir wollen auch das diefze einigungh verbruderungh 
und freuntfchafft einem jeden aus uns wie des namen, 
wefzen und ftandt ift, niemand ausgenommen, an feinen 
eiden , pflichten, gnaden und freyheitten, ob die von re- 
mifchen keyfern koningen fürften oder jemandts andern 
gegeben weren, onfchedlich und fonder nachtheil fein 
und pleiben, alles an geverde. Und dweil wir alfzo auch 
fir uns und unfere ältern und forfordern bey uns felbften 
in tzeitigen vorgcehabtem rath und rechtem wiſſzen erkandt 
haben und hiemit erkennen, das diefze einigungh und 
freuntfchafft göttlich, löblich, erlich und rechimeflig, auch 
unferen gnedigen fürften und herrn zue irer gnaden 
gerechtigkeidt und fürftlicher oberkeidt nit abbruchlich 
oder nachtheilig, funder landen, leutlen, uns und allen 
ftenden gedachts fürftenthumbs gudt, nützlich und erlich 
ift, und in künffligen zceidten fein wirdet, szo haben wir 
fambt und bfunder in unfer und ander der prelaten, graf- 
fen, ritterfchafft und ftette namen auch bevehlch und man- 
dat derfelbigen und aller inwoner des fürftenthumbs zue 
heffen ingeleibter und verwandter gravfchafften, unfer 
nachkommen, erben und erbnemer folch gemeldt eyni- 
gungh und freuntfchafft aus krafft und beftetigung unfer 
voreitern und zuelaffzungk gemeinen rechtens beveftiget, 


256 


ratificirt, bewilliget und angenommen , die alfzo hinfurter 
unverbruchlich und ane allen hindergangh czu ewigen 
zceitten faınbt und bfunder zue halten. 

Daruff einer dem andern in gutten trewen und gla- 
wen handt in handt zuegefagt, globet und zue den hei- 
ligen gefchworen hadt, angetzeigte Eynigung in allen iren 
puncten, inhaltungen und artikeln getrewlich zue halten 
und darvon nit zue weichen . 

Um das alles zue waren urkunde und ficherheidt 
aller vorgefchribenen dinge haben wir Dietrich von Clee 
Landcomptur der baley zue Marpurg und Johann Abt zue 
Breidenawe für uns und ander prelaten, wir Philips der 
eitere graff von Waldeck ftathalter der Graflichafft Ravens- 
berge, und Wilhelm von Seyn grafle zue Wittgenftein, 
herr zue Hachenburg, für uns und von wegen der andern 
graffen, Hermann Schenk, ritter, Ludwig von Boineburg, 
Sitfich von Berlewefchen der elttere, Erbkämmerer zue 
heſſen, Joft von Baumbach‘, Philips von Frankenftein, Jo- 
hann von Reiffenbergh, Caspar von Breidenbach, Wilhelm 
von Doringenberge ,- Philips Meifenbuch aus der ritterfchafft 
und von wegen gemeyner ritterfchafft für uns, unfere nach- 
kommen, erben und erbnemer, und wir die Burgermeifter 
und Rethe der Stette Caffel, Marpurg, Hombergk, Eschwege, 
Treifz und Wetter für uns und unfer nachkommen, auch 
gemeyne Lanifchafft und Inwoner des Fürftenthumbs zue 
Heflen unfer Ingefigel an diefen brieff gehangen, der ge- 
ben ift uff Sonntag nach Jacobi ao, fünfzehnhundert und 
im neunten jare. (Die Siegel). 

BE. 
Waß Landtäraff Philips des Eltern Fraw Mutter mit 
Praelaten, Ritter vud Landtihafft zu Treyße Anno 
1514. vff ©. Apollonien tag ſich verglichen hat. 


Bier Anna von GOtte8 gnaden, Geborne Herkogin 
zue Medienburg, Lanbtgrevin zue Heſſen, Grävin zu Catzen 


257 


Elnbogen, Dietz, Ziegenhain vndt Nidda ıc. MWittibs, vndt 
wir Graven, Praelaten, Ritterſchafft vnd Stätte, deß Löb⸗ 
lichen Fürſtenthumbs zue Heſſen, vnd alle eingeliebten vndt 
megewantben Graffſchafften, deſſelbigen Fürſtenthumbs, und 
alle andere ſo dieſer einigung anhengig vnd verpflichtet ſein, 
beklennen Einhelliglich vndt vnvertheilt vnd thun kundt mit 
dieſem Brieffe allermenniglichen, daß wir zue Hertzen ges 
nommen vndt betrachtet haben, wie auch vnſer Eltern vndt 
vorfahren Ehrlich vndt nutzlich gethan, daß durch einigkeit, 
Freyheit, vnd Handthabung der Gerechtigkeidt der Allmechtige 
GOtt höchlich geehret, gelobet, Auch Landt vnd Leuthe, 
Stätten und Communen, geiſtliches vnd weltliches ſtandes 
in gemeinen nutzen, vffnehmen vndt wohlfahrt erhöcht vndt 
gebeſſert, vnd alle Erbarkeidt Hohes vnd Niedriges ſtandes 
erhalten worden, vndt darumb Gott dem Allmechtigen, 
Marien feiner gebeneveyten Mutter, der Heylie Haubt 
Frauwen ©. Elifabeth, zue Lob vnd Ehren, Auch dem 
Durchleuchtigen Hochgebornen Yurften, vnſerm Schwager 
Sergfrl. Lieben Sohn, vndt gnedigem Hrren, denen Fürften 
m Heſſen, Graven zue Catzen Elnbogen, Vns der Landtgrev. 
Graven, Praelaten, Ritterſchafft, Stätten vnd gemeiner 
Landtſchafft, zue Ehren, nutzen, vfnehmen vnd Gedeyen, 
in allem guten untereinander verbunden, vnd brüderlich vnd 
freundlich vereiniget, Auch bey vnſern Ayden und Gelübben 
zueſammen verpflichtet, vndt ein Göttliche, Ehrliche, recht 
mäfige, Leibliche Bereinigung vndt freundtichafft für vnß ge= 
nannte Landgrävin, onfere Räthe, Diener, vndt Vnderthanen, 
vndt onjere andere nachkommende Erben vnd Erbnehmen 
gemacht vnd vfigericht, mit dem geding, vnd offenbahrlicher 
Dezeugung, dak wir folcher buntnuß vnd Vereinigung, mit 
nichten vnd feinem wege, wider bie gedachten vnſers Lieben 
Schwagers, Sohne, Gn. Fürften vnd Herren von Heſſen, 
Shrer Liebe, vndt Fürftl. Gn. Erben und nachlommen, 
zu Schmälerung oder abbruchicher Liebe, und Sr. G. Fürftl. 

Obrigleidt Herlichkeiten, Regalien, Zinſen, Ränthen, . Rech⸗ 


258 


ten, oder zue engendem Ihrer Kiebe, und 5. ©. Zueſtand, 
wie die möchten gebeiffen werden, nicht wollen gemacht, 
Sondern vnß vnd onfere Nachlommen, wie auch vnſer Vor⸗ 
Eltern, vor vnß gethan, zue merklihem wohlſtandt, vertraw⸗ 
vnd Einigkeit vfgerichtet haben vnd vfrichten, vereinigen, 
verbinden vnß hiermit in macht vnd krafft dieſes Brieffes, 
Inmaſſen vnd form, wie hernach folgett. 

Vndt Erſtlichen, Ob ſichs begebe vber kurtz oder lang, 
daß mehr dan einer regirender Fürſten zue Heſſen wehren, 
vnd derfelbe einer oder mehr, den oder die andern mit 
Bnwillen vnd wiederwertigkeit anjehen, vnd vernehmen wol⸗ 
ten, und ber ober diefe angefochten vnd beſchwerd, vnd fidh 
rechts vff vns erbotien, und wir Seven zue recht mächtig 
fein werden, Alßdan jollen vnd wollen wir, Anna Land⸗ 
grevin zue Helfen, Wittiben, obgenante vnſere Erben, Erb- 
nehmen, vndt Nachlommen, fo daß bey vnſern Zeiten fi 
begeben werbten, gegen vnſerm Herkftl. Lieben Sohne, oder 
webr der von ſolchem Fürftentbumb wehre, Aller Mütter⸗ 
lichſte, Getreuwlichſte und fleifigfte, Vorbitte vnd Necht 
vor den, oder die bieten, vnd wir andern von der Landt⸗ 
ſchafft mit Leib vnd Güteren allem Vermögen Hülff bey⸗ 
ſtandt thun, damit der Vnwille hingelegt, abgelegt, vnd ab⸗ 
geſtellet, männiglich bey Recht vnd billigkeit gehand- habet 
werden, vnd bleiben möge, alles vff Coſten vnd ſchaden, 
Gemeiner Landtſchafft, wie ſolches vor Alters herkommen 
vnd geſchehen iſt. 

Ferner ob ſichs begebe, daß in künftigen Zeiten einer 
oder mehr auß gemeltem Fürſtenthumb zue Heſſen, auß 
vns der Landtgrevin, Graven, Prälaten, Ritterſchaften, 
Stätten, Landtſchafften, oder andere gemeine Inwohner des 
Fürſtenthumbs zue SHeffen, vnd fo dieſer einigung ans 
bengig wehren, mit vngenaden angejehen, beyde beſchä⸗ 
digte, vergeiwaltigte oder Borverachtige wieder vnſer vnd 
Jeglich Recht, Gerechtigkeit, pillichkeit, Freyheybt, Genabe, 
Privilegien, Altherkommen ober. Löhlich gewohnheit, durch 


259 


Baͤpſtliche Heylichkeidt, Roͤmiſchen Keyſer, Könige, Landts⸗ 
Fürſten oder Herren gegeben, beſchweren wolten, vndt ſich 
der oder die zue vntertheniger Verharrung vnd zue recht 
zrie kommen, vff vnſ erbieten vnd ahnnehmen vnd an vnſern 
ar. Fürſten vndt Herren zue verbiehten begehret, So ſollen 
vnd wollen wir Anna Landigrevin obgenant, abermahlg 
fs fleifigſte wie gemelt, den oder die vorbiethen und recht 
erbiethen, und wir andern von der Landtſchafft auf ung, 
wnfern trefflichen freunden vnd verwandten abfertigen, zu 
gemeltem vnſer oder vnſerm Gn. Hn. vnß untertbenigft 
vnd fleifigft bitten, den oder die Beſchwerden vnſerer freundt, 
m Gn. Berhörung oder recht kommen zuelafien, vnd bie 
vngnade bey vnd abzuftellen, und wo daß nicht geſchehe, 
daß wir Doch in feinem weg verhoffen, So wollen vnd 
ſollen wir vnire freundt baruber nicht vergewaltigen, ſon⸗ 
dern den oder dieſelben bey ihren rechtlichen erbiethen wie 
obgemelt vnſers Vermögens mit Leib vnd Gueth handt⸗ 
haben, Schützen vnd beſchirmen vnd nicht verlaſſen. 

Wo ſichs auch begebe, daß vnſere freunde vnd Ver⸗ 
wanthen, dieſer einigung, einer oder mehr, von frembden 
Fürſten, Graven, oder Jemandt anderſt angefochten, be⸗ 
ſchädiget, oder vergewaltiget würden, vnd der oder dieſelben 
vnſere Zugethanen zurecht vff vnß erbotten oder erleiden 
möchten, So ſollen vnd wollen wir dieſelben vnſer Freundte, 
Nach vnſerm beſten Vermögen, an Enden vnd orthen, ſo 
ſich gebühret, vff Recht vnd Billichkeit vorbihten, vnd ſo 
daß vnſer erpithen nicht angenommen wolt werden, Sie 
Als dan zum beſten Schützen vnd beſchirmen, vnd vnſers 
Vermögens bey recht handthaben. 

Wehre es auch ſach, daß Jemand vnder vnß auß 
eygenem muthwillen und widerrecht ſich daß gelüſten Innen 
vnd auſſer Landes, vnd am recht fich nicht begnügen laſſen, 
vnd daruber unterſtünde Jemants wehr der wehre zue be⸗ 
ſchaͤdigen oder Gewalt anzulegen, daß ſollen wir alſo zu 
geſchehen in keinem weg geſtatten, ſondern vnſers Vermö⸗ 


260 


gens als Tiebhaber de rechtens vndt friedens darwider 
ſtattlich gebrauchen vnd thun, damit ſolches abgeſtelt werde. 

Würde auch Jemandts in dießer freundtlichen Eini- 
gung, Verbrüderung, Innen oder auſſer Landes begriffen, 
vnd alßo vnbillicher weiße angegriffen, damit dan derſelbige 
ſein ahnliegen, vnd beſchwerung zu einem Außtrage fordern 
vnd bringen möchte, So ſoll vnd mag er ſolch ſein Be— 
ſchwerung vnd anliegen vorbringen, Nemblich vor die Ehr- 
würdigen, Ehren-Veſten vnd Erſamen Diederich von Cleen 
Landt Compther der Baly Marpurg Teutſches Ordens, Her⸗ 
man RiedEſel ErbMarſchal zu Heſſen, Crafften von Fal⸗ 
ckenſtein, Wilhelm von Dörnbergk. den Bürgermeiſtern der 
Statt Marpurg, vnd der Statt Eſchwege, vnd ſo derſelbe 
einer oder mehr mit Todt abgingen, oder ſonſt wie daß 
zue queme abgeſetzt würden, Sollen alß dan deß, Oder der 
Statt durch Gemeine Landtſchafft vff dem Spieß, ein ander, 
oder mehr erwehlet werden, derſelben Perſohnen oder Stette 
eine, welche einem Jeden gelegen fein wird, dieſelbige Per—⸗ 
fohn oder Stadt wie gemelt, die alſo erfucht wirbt, die fol 
von Ihrer allerwegen Alſo baldt und unverhalten, fo ferne 
fie der Handel fo treffentlichen anficht, off Gemeiner Landte⸗ 
Ichafft Toften ond jchaden, der Graven, Prälaten, Ritter 
Ichafft, Stätte und Landtichafft An dem Spieß, oder durch 
Gelegenheit der Zeit an anderm gelegenen Enden vnd 
Mahl Stadt, wie herfommen vff einen Nahmhafftigen tag 
beichrieben, und Gemeiner Landtſchafft vf denfelbigen tag 
ven bejchwerten fürter nach inhalt dieſer Vereinigung ge— 
rathen fein vnd verhelffen, vndt einem Seven beichrieben 
wirbt, Er jey waß Standts over weſens er wolle, ohne 
alle weigerung den Außgefchriebenen Landtag, bey und. nach 
gemelten pflichten und Enden vff dem Spieß gethan, vnd 
auch alhier zu Treyßa verneumret, befuchen, ond Ihme dan 
Niemandts zue bejuchen, zu verhüten, zue verhindern noch 
benehmen zuelafjen, vnd al8 dan vf demfelben Ausbeſchrie⸗ 
benen tag, ſollen und wollen wie von allen Ständen Ges 


T 


261 


meiner Landtiſchafft, Die dazumahl verfammilet worden, Nach 
verhörter jache des fürbringer8 oder die Notturfft Des Auß⸗ 
ſchreibens erfordert habe; oder nicht vnd deß koſtens halber, 
fo off daß Außſchreiben gangen tft, nach aller Billichteit 
zu erkennen haben. 

Es iſt auch beredt, daß keine Schatzung, Landſteuer, 
oder Beſchwerung genommen oder vf geſetzt werden ſoll, 
Eß geſchehe dan mit zeitlichem Rath vnd Verwilligung 
Gemeiner Landtſchafft. 

Defßßgleichen ſoll auch kein krieg, Fehde, oder Vffruhr 
Im Fürſtenthumb oder anhangender Graffſchafften fürge⸗ 
nommen werden, es geſchehe dan mit einem zeitlichen für⸗ 
gehabten Rath ganter gemeiner Lanbtichafit, vnd nad) 
dem Gemeinen nußen. 

Band nach dem der Gemeine nu merdfich und viel 
an Berenterung der Münb gelegen ift, fo ſoll binfurber 
fein andere Müntz, dan vnjer® Gn. Herrn vnd Landts— 
Fürſtens, Alk igundt mit dem Römiſchen ChurFürſten und 
Sürften eine einige vfrichte gemüngt oder gemacht, nicht 
verendert, höher oder milter gejeßt oder valviret werben, 
Es geichehe dan mit Rath, Wilfen, vnd Bewilligung ge= 
meiner Landtichafft, waß aber von frembter Außlendiſcher 
Müntz ingebrochen wehre, oder in ‚Zeiten inbrechen würde, 
Sp ſollen und mögen die regierende Obrigkeit, mit willen 
vnd zeitlihem Rath der ziveyer Stätte Marpurg vnd Eich- 
wege nach bem beiten vndt bequemblichiten biefer Lande 
ordnen vnd feßen. 

Wan auch hinfurter Junge vnmündige, vnd nicht 
felbft regierende Fürſten wehren, wie ietzundt vorhanden, 
Sp follen die Jenigen, die Gemeiner Regierung, oder aber 
derfelben Vorſtänder fein, oder wehren von benjelbigen, 
vnſers Sohns, Schwagers, Ohmens vnd gn. Herrn Landts 
Fürſten, gefällen einnehmen vnd außgeben, gar gnugſame 
vnd volkommene Rechnung in beyſein etzlicher von Prälaten, 
Ritterſchafften, Stetten, dartzue verordnet, thun vnd zue 


- 
M 


262 


thun ſchuldig fein, Auch von derjelben Regierung vnd Bor» 
mundern aber, wer das Befelch haben wirbt, Onittaetz, 
Recefs, vndt beeräffttgtich Brlundt nehmen, damit Gemeiner 
Landtichafft Gewiſſen haben möge, wie mit 3. On. ſachen 
und gueth, zue einer Geben Zeit umbgangen werde, vndi 
waß von folcher Rechenichafft Jedes Jahrs vom Gelde oder 
ſonſt dergleichen Bberlieff, ſoll in einem kaſten zue ſambt 
alter gethaner Landt-⸗Rechnung, Regiſter vnd Majeſtet Sie- 
gel gelegt vndt zue ſolchem kaſten zum wenigſten drey ſchlüſ⸗ 
fell gemacht, det einem dent Regierenden, andern der Rit⸗ 
terſchafft, den dritten der Stätten, Auff daß keiner allein 
ohn die airdere darzue kommen möge, vberantwortett, und 
ſoll folder kaſten Jehn Marpurg in daß Schloß, in daß 
gewölb oder fonft wo e8 denen zum kaſten Veordneten oder 
BDefehlhabern am bequemblichkten bedundt, gejeget und ver⸗ 
wahret werden. 

Es ſoll auch von dem Senigen, fo: zur Zeit vnſers 
Sohn und andere vnſer Sn. Hn. und onmündigen Fürften 
in Regierung weren, keine wichtige oder grofje ſache ohne 
Gemeiner Landſchafft wiffen vndt willen gehandelt werben, 
vndt wo etwas mangelhafftige8 in berfelbigen Regierung 
funden wirbt, ſoll zu einer Seven Rechenſchafft geendert- 
vnd mit willen vndt willen Gemeiner Lanbtichafft gebefiert 
werbten. | 
ER iſt auch wwiſchen vnß vndt Gemeiner Lanbichafft 
beichloffen, vnd einträchtiglich abgeredt, dak man nun bins 
furter alle Sahr, oder fo Ehehafftige mögliche Verhinde⸗ 
zungen vorhanden: wehren, vber daß andere Jahr nechſt 
hernacher folgent gewißlich allwege, vff Dinftag vnſers 
Heil. Leichnahmbs tag oder vngefehrlich 8. tage darnach 
durch die obgemelte Sechs, oder Je einen von ihnen aller⸗ 
wegen wie gemelt, einen gemeinen Landtag vf dem Spieß 
anpgeichrieben, benent: vndt gehalten werben ſoll, vff wel⸗ 
Ken tag ein Jeder bey. geihaner pflicht, vndt ietz allhier 
zue Treyſa erneuret, perſohnlich zue erfcheitten ſchuldig, ont‘ 


263 


oh ne Ernhaffte rebliche Entſchuldigung nicht aufien bleiben 
fol. . . . 
Eh follen auch zur felbigen Zeit, die Armen vnd 
ulle andere, fo von AmbtsLeuther oder Ambt-Knechten, 
wieder Billichkeit beſchwert, gehört, vndt dem oder denſel⸗ 
Wen alsdan von Gemeiner Berfamblung Rath vndt Hülff 
Deß Rechten mitgetheilt werden. 
Ep ſoll auch feinem Ambtmann, Rentmeiftern, Kel⸗ 
nern, Zöllnern, Schultzen, oder andern Knechten nicht 
geftattet werben, in ihrem Ambts-Befelch Geſchenck, Ver⸗ 
ehrung noch Belöbnuſſe zue nehmen, oder von ihrenwegen 
nehmen zue lafjen, vnd dan biefelbe von den Regenten 
mit Ernft dahin gehalten werden, daß fie die Ambtspflicht 
vndt Hide deß Geſchencks halber thun, wie Die hiebevor 
durch vnſere Gemahl vndt Gn. Herrn Landtgr. Wilhelmen 
Sehl. vndt Löblicher Gedechtnuß zue thun verordtnet iſt, 
vndt ſich allein an ihrer Beſoldigung gnügen laſſen, vndt 
ſo ihr einer dieſelbe vberfahren zue haben befinden werde, 
denſelbigen darumb zue ſtraffen, vndt ferner zue keinem 
Ambts Bevehlich zue leiden, vndt in allen wegen mit Vleiß 
ein inſehen zue haben, damit daß Gemeine Armuth vber 
Billichkeidt nicht beſchwert werde, Vndt nachdem die Aidt 
vndt Pflicht der einigung vf dem Spieß hiebevor geſchehen, 
verneuret vnd vfgericht, vnd alle Articulen die dißmahls 
erneuret ſeind, der Zeit wenig gehalten, vnd in dieſelbe 
einungs Brieffe, ſo datzumahl geſchloſſen, nicht ſo vollkom⸗ 
mentlichen vnd notturftiglichen von Punct zue Punet ein⸗ 
geführet, begriffen vnd geſtalt worden, Auch für Gemeiner 
Laudtſchafft nicht geleſen, wie abgeredt, darumb itzundt der 
vnd anderer beweglicher möglicher Vrſachen halber ſollen 
vorgethane einigung zue declariren im ſchrifften begriffen 
vnd Gemeiner Verſamblung hören laſſen, die alle ſämbtlich 
vnd beſonders, darin zu gehelen vnd zue ſchlieſſen, Auch 
zur ſtundt die mitſiegelung zue verfertigen gebethen. 


264 


Derhalben hinfurter dießer vnſer Gegenwertiger Ver⸗ 
bruederung, Einigung vnd Declaralion gentzlich gelebt wer⸗ 
den, vnd der vorgenante, vermeinte, verſiegelte, vnd vfge⸗ 
richtete Einigungs Brieffe, ſo zue Caſſel liegen, hiermit 
thod, Crafftloß, bey vnd Abe ſein ſollen, Alles vngefehrlich. 


Wir wollen auch, daß dieſe Einigung, Verbruederung, 
und Freundſchaft einem Seven, von waß weßen oder Stan- 
des der ift, Niemandts aufgenommen, an andern feinen 
Aiden, Pflichten, Gnaden vnd Freyheit, Ob der vom 
Römiſchen Pabſt, Kayfern, Königen, Zürften, over er 
mandt ander8 gegeben weren, vnſchädtlich und unnachtheilig 
fein vnd bleiben, alles ohne geferde. 


Dieweil wir alßo auch vor ung, vnd vnfere Eltern 
vnd Vorfahren bey vnß felbft in zeitigem vorgehabten Rahte, 
vnd guetem Gewiſſen erfandt haben, vnd hiemit erfennen, 
daß dieße einigung, Göttlich vnd Löhlich, Ehrlich vnd Recht» 
mäßig, Auch vnſerm Gn. Hn. Ahn ihrer Gnadt, Gerech- 
tigfeidt, vnd Fürſtl. Obrigfeidt nicht abbruchlich, oder nach⸗ 
theilig, fondern Landen vnd Leuthen, vns vnſeren Erben 
vnd nachkommen, vnd allen Ständen gedachtes Furften- 
thumbs gueth, nutzlich und Ehrlich ift, vnd in künfftiger 
Zeit fein wird. 


En haben wir fambt vnd befondern in vnſerer vnd 
anderer der Graven, Brälaten, Nitterjchafft und Stätte 
nahmen, Auch auf Befehlich und Mandat derjelben, vnd 
aller Inwohner def Fürſtenthumbs zu Heſſen einverleibter 
vnd verwanter Graffichafften, und dießer einigung anhengig, 
vnſer Anna Landigr. vor vnß felbft vnd vnjern ans 
dern nachkommen, Erben vnd Erbnehmen ſolch gemelt 
einigung vnd freundichafft vnd befeftigung vnſer VorEltern, 
vnd Zuelaſſung gemeines Rechtens beveſtiget, ratificiret, be— 
williget, vnd angenommen, dieße alßo hinfurter vnverbruch⸗ 
lich, vnd ohne alle Hinderung zue Ewigen Zeiten ſambt 
vnd beſondern zue behalten. 


265 


Darauff wir Anna Landtgr. bey vnſern treuwen ges 
Lwobt und wahren worten zugefagt, und wir andern, hiebenor 
>f dem Spieß, vnd ieh zue Treyßa in guetem treumen vnd 
Slauben, Handt in Handt auch zuegefagt, gelobt zue Gott, 
zen Senligen geichworen haben, dieße Einigung in alfen 
ihren Puncten, inhaltungen vnd Articuln getreumelich zue 
Yalten vnd darvon nicht zue weichen in feine weiße ohne 
alle gefehrde und Argelift. 

Vnd dießes alle zue Vrkundt, vnd ſicherheit aller 
vorgeſchehenen Dingen, So haben wir Anna Landgr. ob⸗ 
genante, vnd wir Philips der Mittler, Graff vnd Herr zue 
Waldeck, vnd wir Graff Georg zue Königſtein vnd Dietz, 
Herr zue Ebſtein, und Müntzenberg, vor vnß vnſere Graffen, 
vnd wir Diederich von Cleen LandtCompther der Balley 
Marpurg Teutſches Ordens vnd Pater zue der Carthuſen 

vor ‚vns vnd vnſere Prälaten, und wihr Herman RiedEſel 
zue Eyſenbach, ErbMarſchalck zue Heſſen, Caſpar von Bou— 
melburg Ritter, Ambtmann zue Wartenburgen, Curt' von 
Wallenſtein LandtVogt an der Werra, Johan von Lömen- 
Stein Soeffmeifter, Johan Schend zue Schweinsburg, Crafft 
von Bodenhausen, Philips von Frandenftein, Hank von 
Walbern zue Ernfthoven; Eberhardt von Heußenftamm, 
Wilhelm von Dörnberg, Adolff Rauwe von Holthaußen, 
Caſpar Menfenbuch der Elter, Sittih von Berlepſch Ambt— 
mann zue Salke, Herman Hundt, Semibrodt von Boine= 
burg, Friederich Diebe, Hein von Eſchwege, Conradt von 
Dernbach, Wilhelm Weihe von Feuerbach, Auß der Ritters 
(haft, vndt von wegen Gemeiner Ritterfchafft, vndt bie, 
jo mit vns in diefer einigung vndt Pflichten ftehen, ober 
aber noch darin kommen werden vor vnß, vnſer vnd ihre 
Erben vndt nachlommen vndt Erbnehmen, vndt wir Burge- 
‚meifter, Raht vnd gante Gemeine der Stätte Marpurg, 
Eichwege, Giefen, Allendorf an der Werra, Wetter, Span- 
genberg, Grunberg, Grebenftein, Treyßa vndt Witzen⸗ 


266 


haußen vor vnß vnd vnſer aller nachkommen, Auch Ges 
meiner Landtſchafft vndt Inwohner des Fürſtenthumbs zu 
Heſſen, vnſer infiegel an dieſen Brieff gehangen, der. Ge 
geben iſt zue Treyßa vff Freytag S. Appollonien der 
heyligen Jungfrauwen, nach Chriſti Geburt 1514. Jahr. 


Bher die Jenige, fo den Abſchiedt verfiegelt Haben, 
fein von Nittern vndt Landichafft damahls zur Etette vnd 
bey Auffrichtung dieſes Abſchiedts geweſen: 


Ebert von Heußenſtamm. Diederich von Linfingen, 
Hanß von Falckenſtein. Jorge von Pappenheim. 
Henrich von Löwenſtein. Johan von Pappenheim. 
Caſpar von Löwenſtein. Friederich von Pappenheim. 


Johan von Löwenſtein Herbolt von Pappenheim. 
Geberth von Löwenftein| gen. Chriſtian won Pappenheim, 
Schweindberg. Dahm von Hartenbadh. *° 
Henrich der Elter Ziele. von Ludwig von Hartenbach. 
Hanſtein. Ludwig von Linſingen. 
Werner der Elter v. Hanſtein. Gilbrecht von Bodenhaußen. 
Ditmar von Hanſtein. Ebert von Bodenhaußen. 
Werner von Hanſtein. Henrich von Baumbach. 
Caſpar von Hanſtein. Reinhardt von Baumbach. 


George von Hanſtein. Otto Hundt. 

Heintz Leſch von Molchen. Herman Hundt. 

Dithardt Leſch von Molchen. Hanß von Falckenberg. 

Hanß von Bodenhaußen. Wilhelm von Dörenberg. 
Ebert von Guedenberg. Hanß von Dörenberg. 

Wolff von Breydenbach. Ludwig von Dörenberg. 
Caſpar von Breydenbach. Ebert Milchling gen. Schön⸗ 


Heintz von Breydenbach. ſtatt. 

Johan der Jünger von Lin- Friederich Milchling gen. 
fingen. Schönftatt. 

Ciliax von Linfingen, Wilhelm Milchling gen. 


Bernhardt von Linfingen. Schoͤnſtatt. 


267 


Curdt von Leerbach. 

dohan von der Rabenauw. 
Yoft non Eſchwege. 

Heing von Eſchwege. 
dohan von Eſchwege. 
Irhan von Eſchwege. 


Reichardt Johan v. Ejchwege. 


Johan von Dalwig. 
Reicharbt von Dalwig. 


Caſpar von Dalmig. 


Friederich von Hertingshaußen. 
Johan von Hertingshaußen. 
George von Reben. 

Erwein von Reben, 


Caſpar d. Fünger Meyſenbuch, Balentin von Biſchofferoda. 


Henrich Meyſenbuch. 


Cuno von Bodenhaußen. 


Georg von Biſchofferoda. 
Eberd von Biſchofferoda. 


Henrich George von Lutzelwig. Philips von Hertingshaußen. 


Friederich Schnabel. 


Philips von Hundelshaußen. 


Zohan von Hundelshaußen. 


Henrich von Hundelshaußen. 


Caſpar von Hundelshaußen. 


Cuntzeman von Rulßhaußen. 
Eberdt von Rulßhaußen. 
Wolff von Kalenberg. 
Friederiw von Kalenberg. 
Engelbrecht von Bodenhaußen. 


Herman von Hundelshaußen. Joſt Ratzenberg. 
Burghardt v. Hundelshaußen. Baltzer von Schartenberg. 


Volbrecht von Schwalbach. 
Henrich von Schwalbach. 
Wolff von Schwalbach. 
Melchior von Schwalbach. 
Ebert Münd von Bußeck. 
Johann Münd von Bußeck. 
Hans von Liederbach. 
Detmar von Liederbach. 
Herman von Liederbach. 
Johan von Liederbach. 
Andreas Fincke. 
Wigant von Bilſen. 
Johan von Bilſen. 
Günther von Bilſen. 
Eckhardt von Bilſen. 
Henrich von Bilſen. 
Bernhardt von Dalwig. 


Philips von Vrff. 

George von Vrff. 

Cuntz RiedEſell von Bellers⸗ 
heim. 

Henrich RiedEſell von Bel⸗ 
lersheim. 

Simon Mehrlauw. 

Johan Dieden. 

Albrecht Dieden. 

Henſell Dieden. 


Ernſt Dieden. 


Georg Dieden. 

Friederich Diedem. 

Helwig Laurbach. 

Chriſtian Laurbach. 

Herman von Ruckershaußen. 
Johan RiedEſell zue Eyſenbach. 


268 
Dahm von Lüũdder. Gerhardt von Weitershaußen. 


Caſpar RiedEſell. Chriſtian von Weiters haußen. 
Gerhardt Boigt. Heintz von Eringshaufen. 
Geberdt von Bruboth. Sitttich von Eringshaufen. 
Otto von Bruboth, Wilhelm Reckeroda. 
Philips von Nordtecken gen. Rabe Rederoda. 

Bruna. Werner von Wallenftein. 


Crafft Raum von Holghaußen. Caſpar Schleue von Leuden. 
Rubrecht Raum von Holtzhau⸗ Johan Schleue von Leuden. 


fen. Wilhelm von Biihaufen. 
Henrich Raum von Holtzhau⸗ Hank von Bilchhaufen, 
Ben. Burghardt von Eram. 


Erhardt von Habfelbt. Diederih von Echachten. 
Ludewig von Hatzfeldt. Henrich von Schachten. 
Hardtmann von Hatzfeldt. Heintz von Derßen. 


Friederich Ganß. Volprecht von Derßen. 
Helffrich Stammer. Ludwig Balthaſar Dauben. 
Philips Mönch. Eckbrecht von der Mahlsburg. 
Werner von Buſeck. Engelbrecht von d. Mahlsburg. 
Henrich von Buſeck. Bernhardt von der Mahlsburg. 


Otto Weiße von Fuhrbach. Reinhardt von der Mahlsburg. 
Calde Weiße von Fuhrbach. Gerhardt von der Mahlsburg. 
Johan Weiße von Fuhrbach. Herman von der Mahlsburg. 

Herman Weiße von Fuhrbach. Ludwig Günterodt. 

Wilhelm Weiße von Fuhrbach. Hanß von Berlepſch. 

Johan Weiße von Echtzel. Günther von Berlepſch. 


Helwig von Drohe. Johan Klüppel zue Elckers⸗ 
Rudolph von Drohe. haußen. 
Philips von Drohe. Diederich Haupt von Elckers⸗ 
Curdt von Völckerhauſen. hauſen. 


Crafft von Völckershaußen. Curt Noding. 

Ludewig HolgApfel von Bernhardt von Habell, 
Bögtsberg. Curdt Grob von Bellersheim. 

Johan Bufed. Melchior von der Dan, 

Johan von Weiterdhaußen. Herman Rumppe. 


269 


Derman Trat. - Wolff von Hebftatt, 

Dito von Kerſtlingeroda. Gurt Treuſch. 
Walter Fiſchborn. Herman Treuſch. 
=Umdt von Vffeln. Eberdt von Winthaußen, 
Zohan Elaur. - - Herman von Winthaußen. 
Blrih Katzenbiß. Hans der Elter vom Berge, 


Senrich von Hagheim. Hanf der Jünger vom Berge. 
Curt Wibelindt von Vlter- Heimbrodt von Boineburg. 


haußen. Curt von Boineburg. 
Caſpar Schufut. Simon von Boineburg. 
Wilhelm von Wern. Philips von Schercken. 
Johan von Wildungen. Joh. von Breidenbach, Arnolts 
Joſt von Wildungen. ſeel. Sohn. 
Philips von Wildungen. Gerlach von Breidenbach, Ger⸗ 
Ciliax von Habell. lachs ſehl. Sohn. 


Die Städte: Marpurg, Grebenſtein, Witzenhaußen, 
Wetter, Treyßa, Franckenberg, Biedencop, Roſenthal, Zie— 
genhain, Kirchhain, Gemünden vf der Wahr, Borcken, 
Schwartzenborn, Lichtenauw, Sontra, Niedenſtein, Melſun⸗ 
gen, Gieſen, Immenhauſen, HoeffGeißmar, Darmſtatt, 
Rheinheimb, Zwingenberg, Gerauw, Vmbſtadt, Eſchwege, 
Allendorff an der Werra, Franckenau, Battenberg, Grone⸗ 
Kerg, Rauſcheberg, Spangenberg, Rotenberg, Velsberg, 
Homberg, Zierenberg, Homberg vff der Höhe. 


Folgende Stätte feindt Beiltender der Regenten ges 
weien: Caſſel, Eifelt, Wolffhain, Neuftabt, Quedensbers, 
Schmalkalden, Vach, Heſterweil. *) 

e) Dieſe Urkunde iſt mit einer beglaubigten Abſchrift verglichen, 
während bie vorhergehende, mit lateiniſchen Lettern gedruckte, nad 
einer Originalausfertigung berichtigt worben if, 


VII. Band. 18 


270 


XL 


Bon den alten Deerwagen und Seerwagen: 
geldern. 


Bom Ober-Appellationsgerichtsrath Dr. Büff. 


Unter den zahlreichen Abgaben, die and dem Mittel- 
alter auf unfere Zeit gefommen waren, ohne daß wir über 
ihre Entjtehung und Bedeutung uns Har zu werden ver- 
mochten, da fie einer längft untergegangenen Recht3ver- 
faffung angehören, befinden fi auch die f. g. Heerwagen 
und SHeeriwagengelver, die innerhalb und außerhalb Heffen 
nicht felten vorfommen. Als Erzeugniffe längſt abgeftor- 
bener Wurzeln hatten fie freilich keinen Anſpruch auf fort 
dauernde Eriftenz. Für uns aber find fie gerade deßhalb, 
weil fie in der Gefchichte angehörenden Urjprüngen wurzeln, 
von beſonderem Intereffe, infofern wir aus dem abgeftors 
benen Holz Schlüffe auf die Bejchaffenheit der Wurzeln, 
welche dieſes herworgetrieben haben, machen dürfen und 
uns fo in Rechtsanſchauungen einer Urzeit verfegen müffen, 
denen wir, Dank der Einführung des römiſchen Recht, 
faft frember geworden find, als den Rechtsbegriffen des 
— Servius Zulliuß, 

Sn den Salbüchern heißt es ſehr gewöhnlich: die 
Stadt, das Gericht, die Dorfſchaft ſei ſchuldig, „wenn u. 
g. F. u. H. zu Felde zeucht“, oder „wann und zu welcher 
Zeit das Land zu Heffen oder aud u. g. F. u. H. feindlich 
überfallen und angegriffen wird”, oder ‚wann der g. F. 
u. 9. zu Felde zeucht oder fonft zu Erhaltung von Land 
und Leuten die Veſtung mit Kriegsvolk bejegen müßte”, 
auf f. f. ©. Erfordern Wagen und Mannichaft fo viel von 
Nöthen darzuthun oder ohne alle Weigerung zu folgen und 
zu ziehen. Die Städte müffen dann ihre Leute ftellen, 
das Amt gibt die Wagen für Proviant und Zelte mit 
Knechten. So heißt e8 z. B. im Somberger Salbuch de 


271 


41537 fol. 376.: Item wann u. g. $. u. 9. zu Selbe zeucht, 
zebührt dem Ampt, nach Gelegenheitt der jachen die wagen 
Darzuthun und bei jedem wagen zwei oder drei Stnechte, 
Bei Caſſel, Salbuc 1582 £. 11. ſteht: Wenn u. g. 3. zu 

Feld zeucht, jo hat f. f. ©. nach derſelbigen Gelegenheitt 

ber Burgerichaft jo viel von nöten zu manen, welche ge= 

horſamlich jederzeit zu folgen fchuldig fein, und beitellet 
bie Stadt die Provianden und zur felben Notturft u. f. ©. 
bie wagen Dazu und werben folche wagen aus dem ampt 
gebraucht. Rotenburg 1538 £. 7.: Wenn u. g. 3. zu Felt 
zieheit, iſt Die ftabt ſchuldig ſ. f. g. ſo viel mann ins felt 
zu ſchicken, als ſ. f. g. fordern, un irer ber ftatt beſoldung. 

Und wenn die ftatt wagen zu iren zelten beburffenn, muß 

daß ambt bie wagen thun, aber die flatt muß fie befolven 

und unterhalten. Vom Amt heißt e8 dann: Wann u. g. 

f. u. h. zu Felt zeucht, fo gebürt dem ampt die wagen _ 

und die knecht darbey nach gelegenheit der ſachen darzuthun. 

Die Stadt Spangenberg muß zum Feltzug eblihe Mann- 

ſchaft, die ihr angefordert, ftellen, wenn fie aber einen 

ober mehrere wagen bebürfen, jo ſoll das Amt fie ftellen, 

Die Stadt GSrebenftein muß, wann m. g. F. u. 9. zu 

Zelde zeucht oder fonft zu Erhaltung Land und Leute bie 

Beftung mit Kriegsvolf befegen müßte, aufs ſtrackſte mit 

der Mannichaft folgen und ihre eignen Proviantwagen thun. 

Ebenſo bei Zierenberg, Wolfhagen (Salbuh 1537 bei 

Lynker Sich. d. St. Wolfhagen ©. 39.). Don Allen- 

borf heißt e8: Sp u. 9. 3. zu felte zieht, feint fie ſchuldig 

mann vor mann (?) nach gelegenheit der fache darzuthun 
oder Söldner zu ſchicken. Die Stadt muß aud) ihre eignen 

Wagen, foviel fie bebürfen, auf ihre Koften verjchaffen. 

Das Salbuch von Sababurg enthält, daß alle Dorfichaften 

auf Begehren i. f. ©. zur Defenfion der Landt und Leuthe, 

wie auch Bejegung ber Feſtungen mit ſoviel Mannichaft, 
als ihnen der Proportion nach erfordert wird, ftünblich zu 
folgen und uffjuwarten ſchuldig fein follen. ’ Sei Franken⸗ 


272 


berg (Salbuch de 1587 fol. 6b.) ift unter „Steur und 
Folge” bemerkt: Item es hat hochermelt m. g. 3. und Herr 
zu Heſſen alle Bolge und Steur in der Stabt und Ambt 
Frankenbergk, aljo daß die Bürger und Unterthban Ihro 
f. ©. jeberzeit uff Ihr Erfordern volgen und uffs ſtrackſt 
bei Tag und Nacht nachziehen, auch zu aller Zeit mit der 
Steuer uf Begernig und Erforderniß nad Vermügen fich 
erzeigen müſſen. Auch die Unterthanen des Amts Hallen- 
berg zu Ober⸗ und Unter-Steinbach, item die Alt-Hallen- 
bergifchen zu Herges, Springftille und Nüherftille find 
ſchuldig uff der Herrichaft Erforbern uff ihre Koften einen 
Heerwagen mit aller Zugehörung jambt Pferden und 
Knechten zu fertigen und nachzuſchicken. 

Diefe Beiſpiele, denen ſich noch viele andere beifügen 
ließen, mögen genügen, um uns in der fraglichen Laſt den 
allgemeinen Kriegsdienſt erfennen zu laffen, joweit nach 
damaliger Verfaſſung dazu Stadt und Land (Amt) dem 
Landesherrn verpflichtet war. Insbeſondere die Verbindung 
mit der Steuer, d. h. der Entihädigung, welche die Be— 
wohner dem Landesherrn für den ReichSdienft und Die Lan- 
desvertheidigung leiſteten (Strippelmann, bemerkenswerthe 
Entſcheidungen des Oberappellationdgerichtß 3a. S. 102), 
&harakterifirt die fragliche Laft als eine gemeine Landeslaſt, 
als eine Laſt, welche der Fürft vermöge des Herzogtums *), 
der ihm von Kaiſer und Weich verliehenen obrigfeit- 
lien Würde, zu fordern hatte, alfo recht eigentlich als 
eine dem öffentlichen Recht, dem Staatsrecht angehörige 
Berbinplichkeit. Daher, fagt Eichhorn a. a. O. Rote 
dd. behält fi Markgraf Albrecht II. von Brandenburg in 
einer Beftätigung der Zreiheiten des Hochſtifts Branden- 
burg a. 1209 die auf das Fürftenamt Bezug habende Heer- 
folge nor: Insuper et homines ecclesiae ab omni servitio 
et exactione hospitiis. seu etiam quibuslibet vexationibus 
a quibuscunque personis liberos esse permittimus, excepta 


») Eichhorn Staats und Rechtsgefchichte 2. 8. 304, 


273 

ædvocatia ct communi aedificatione castri, sub quo bona 
«cclesiae sita sant, et justo bello pro patria *). Waß 
Diefer gemeine Dienft umfaßte, fieht man aus einem ſchieds⸗ 
richterlichen Sprudy von 1455 zwiſchen dem - Markgrafen 
und dem Biſchof von Brandenburg über die Dienfte, welche 
ber erftere in ber dem letzteren zugehörigen Stadt Blum- 
berg anfpradh: „Laß die genannten von Blumberg dem 
Herrn Markgrafen jeglicher yn im are 12 Tage Hofbienft 
tun follten. Und fo ofte, Heerfahrt werde geboten von 
ber Herrſchaft, fo fullen fie alfezeit verpflichtet fein, einen 
guten beichlagenen Heerwagen dazu mit vier pferden ußzu⸗ 
richten, wan in das verfündigt wird," Wir dürfen darum 
auch annehmen, daß diefer Dienft ein allgemeiner war und 
auch da, wo feiner die Salbücher nicht ausprüdlich geden⸗ 
ten, auf Stadt und Land (Amt) rubte. In diefer Allges 
meinheit gevenft der Heerwagen Hoffmann Kriegsftaat 
$. 25.: „Diefelben mußten den Oberherrn und Landes- 
fürften zum Gebrauch bei den Kriegszügen, zur Fortfüh- 
rung allerhand Kriegsnothdurft, Der.-Xebensmittel, zur Schlas 
gung der Wagenburg um das Heer im Luger, al8 auch 
bei den Belagerungen ꝛe. von Städten, Dorfichaften und 
anderen genugfam beipannet, geleiftet werben; gleichwohl 
waren fie ebenfalls aufzubieten.“ 

Um dieſe allgemeine Kriegsdienſtpflicht ganz zu ver- 
ftehen, müffen wir ung der beshalbigen Urverfaſſung des 
‚Heerbannes erinnern, Denken wir ung unter diejer Urver⸗ 
faflung irgend etwas dem, was wir Staatdverfaflung zu 
nennen gewohnt find, Aehnliches, fo wird e8 ung bei nä- 
herer Betrachtung gehen; wie feiner Zeit Caͤſar, der bei 
feinem kurzen Beſuch in Germanien nicht nur feine repu- 
blieaniſche Staatsform, wie in Rom, fondern auch eine 
——— 

*) Ebenſo behielt bei Abtheilung der Quart 1627 Landgraf Wilhelm 

V. die lanbesfürftlihe Obrigkeit und Juriédiction in geift- und 


‘ weltlichen Saden als Bifitationes , Gelcit, Folge, Reichs⸗ und 
Landſteuer vor. 


Alien. 


274 

monarchiſche fand und dem es alfo am merfwürbigften 
ſchien, daß diefe Germanen gar Feine Staateform hätten, 
In pace nullus est communis magistratus. Sch geftehe, 
daß ih mir eine Staatsform ohne, ein entſprechendes Or⸗ 
gan, eine Staatsgewalt ohne einen Träger derſelben nicht 
denken kann, und daß ich folgeweile in der Verneinung der 
Yeßteren auch die Behauptung des Nichtfeind der erften fin- 
den zu müſſen glaube. Die Nothwendigfeit einer nicht dem 
Einzelnen allein überlaffenen Ordnung und einer Schutz— 
anftalt für dieſelbe fehe ich gleichwohl begreiflicher Weiſe 
fo gut ein wie andere, und die Annahme einer folchen bildet 
darum auf feinen Fall irgend einen Diffenspunft. Nur 
über die Natur diefer Ordnung fcheint allerdings noch fein 
Einverftändniß ftattzufinden und ich benuße dieſe Gelegen⸗ 
heit, mich über die Art, wie ich mir jene Ordnung denke, 
näher auszuſprechen. Es ſcheint mir unausweichlich, daß 
wenn eine Ordnung als nothwendig, der Staat d. h. der 
Gejammtwillen über den Einzelnen dagegen als nicht vor= 
handen gefekt werden foll, der Schuß jener Ordnung nur 
einem Berein der Einzelnen anvertraut gedacht werben kann, 
etwa ach dem Sprüchwort: Stark alleine, ftärfer im Ver— 
eine. Dieſes Princip, durch Vereine den Schuß des Nechts 
und der Ordnung zu bewirfen, das Bereind- oder Genoffen- 
Ihaftsprineip ift dann das beutfche Rechtsprincip. Indivi— 
duen, deren jedes ſein beſtimmtes abgeſondertes Rechtsge— 
biet hat, bilden keine Genoſſenſchaft, ſchon der Begriff 
des Genoſſen ſetzt einen gemeinſamen Genuß, etwas ge= 
meinſam Genoſſenes voraus. Nicht erſt die Vereinigung 
zu gemeinſamen Schutz, ſondern die Gemeinſamkeit des zu 
Schützenden, alſo die Gemeinſamkeit des Genuſſes markt 
den Begriff des Genoſſen und der Genoſſenſchaft. Dieſe 
Gemeinſamkeit im Gegenſatz des Individuums muß danach 
das das deutſche Recht beherrſchende Grundprincip ſein. 
Bon’ dieſem Standpunkte aus wollen wir nun einmal- bie 
deutſchen Rechtögeftaltungen ins Auge faljen. 


275 


. Daß, was gemeinfam genofjen und gefchübt wird, 
it das Gut und zwar, da bewegliche Gut nicht geeignet 
uf, einem bleibenden und dauernden Buftand zur Grund- 
Lage zu dienen, das unbewegliche, der Grund und Boden. 
Das Gut, Eigen genannt, gehörte nicht dem Einzelnen, 

dem Individuum, fondern der Familie, die eine Ehe= refp. 
Samiliengenofjenjchaft bildete. Da das, was die Römer 
dominium, wir heute unter Zugrundlegung römiſch recht- 
licher Begriffe Eigentbum nennen, die Herrichaft des In— 
dividuums und inbividualen Willens über eine Sache ift, 
fo leuchtet ein, daß unfere Väter ein Eigenthum im -Sinne 
des dominii nicht kannten. Das Gut gehörte ja der Ge— 
noſſenſchaft, und die einzelnen Genofjen waren injoweit die 
Erben, daS Gut da8 Erbe Das _Necht, welches die 
Erben an dem Gut hatten und das alſo nicht Eigenthum 
in unjferem Sinne war, ift die Gewehre, das Recht die 
Sache inne zu haben und zu den gemeinfamen Sweden 
auszunutzen. Jeder Genofje war in der Gewehre und wer 
in feiner Gewehre war, wer fein Gut hatte, der war — 
rechtlo8, arm. „Der Arme, jagt Möſer Osnab. Geſch.4, 
8.13, der eine Million baares Vermögen beſaß (freilich gab 
es in Wirklichteit folche Beſitzer nicht) Konnte gehangen 
werben, wenn nicht bloße Gnade oder feine eigene Be» 
Dingung ihn ſchützte; der geringfte Wehr Cd. h. in der Ge- 
wehre eined Guts befindliche) aber nicht, weil der Kaijer 
ihn nach dem Rechte behandeln mußte, was er ſich ge- 
wieſen hatte, und niemals hatte er eine Leibesitrafe fich zu 
Recht gewiefen. — Man war arm, wenn man feine 
flimmdaren Gründe zu eigen oder fein Echtwort bejaß”. 
Die Veräußerung des Eigen war damit Aufgeben des Rechts 
und es verftand fi danach, daß bie Erben, d. h. die Ge— 
nofjen ſelbſt, einmwilligen mußten. Bergibt ein Dann fein 
Eigen wider Recht ohne der Erben Urlaub, die Erben 
mögen fich ihres Guts wohl unterwinden (d. h. e8 zurüdfor- 
dern) mit Recht, als ob der tobt ‚wäre, der e8 gab. Sſp. 





m 


276 


I. 52. Aber, wird man fragen, wie Tonnte man über- 
haupt das Eigen: ohne der Erben Urlaub vergeben? Die 
Erben waren ja felbft die Disponenten? Diefe Trage ver- 
räth, daß wir. und von dem Recht der Genofjen doch noch 
feine richtige Vorſtellung machen, daß wir und baffelbe 
immer noch als römifches Eigenthum, wenn auch unter 
verſchiedene Miteigenthümer getheilt, denken. So ift es 
aber nicht. Die einzelnen Genoſſen disponiren gar nicht; 
ſie erhalten ihren Unterhalt vom Gut und arbeiten auf 
demſelben für den gemeinſamen Haushalt als Knechte und 
Mägve, bis fie durch. Theilung des Erbes, Erbtheilung, 
von demſelben abgefunden werden und ihre eigene Fami⸗ 
liengenoſſenſchaft bilden, inſofern ſie ein Gut (Wehre) er⸗ 
werben als Wehrfeſte, außerdem als „Arme⸗. Der Dis⸗ 
ponent, der Verwalter des Guts, der „Mann“ in der 
Familie (die anderen und wenn ſie 40, 50 Jahre alt 


‚wären, verheirathet oder nicht, find „Jungen“) ber „Vogt“ 


der Genoſſenſchaft ift das Familienhaupt. Dieſes Fami— 
lienoberhaupt vertritt die Genoſſen. „Vogtei nämlich iſt 
die Vertretung von Perſonen in Betreff ihrer Rechte, 
wie Gewere die Vertheidigung von Sachen oder eigener 
Rechte deſſen, der die Gewere hat. — Uebrigens kann 
man wohl ſagen, daß, wie die Gewere die Grundlage des 
Sachenrechts, jo die Vogtei die Grundlage des Perſonen— 
rechts iſt. Das ganze Familienrecht beruht auf der Vogtei 
des Vaters, des Ehemanns, des Vormundes und in der 
Geſtaltung der Standesverhältniſſe ſpielt die landesherrliche 
Vogtei inſofern eine wichtige Role, als darauf hauptſäch⸗ 
lich die eigenthümliche Stellung der gemeinen Freien im 
Gegenſatz des Ritterſtandes beruhte.“ Albrecht Gewere 
S. 11 und 12, | 

Diefe Samiltenhäupter, die Männer waren nun zwar 
innerhalb ber Kleinen Genofjenichaft der Familie die Vögte; 
unter einander felbft .aber waren fie wieder Genoſſen des 
Gemeindeguts, reſp. der Mark und bildeten eine Ges 


277 


meinde, reſp. eine Markgenoſſenſchaft, ja das Eigen jeder 
Familie war nur ein aus ber Mark überiviefener Theil 
derjelben. Das unvertheilt gebliebene Markeigen ift bie 
Almende. Es iſt ein befondered Verdienſt unferes Vereins⸗ 
mitglieds, des Hrn. Archivars Dr. Landau, die Entſtehung 
-diefer einzelnen Eigen oder Güter auß der Marf nachge— 
wiefen zu haben. Die Männer nun (nah Sternberg 
Rechtsgewohnheiten S. 6. noch heute mit einem gewiffen 
Stolz Gemeindgmänner genannt) traten zufammen zu einer 
Semeindeverfammlung (concilium, Gericht). „Unter Ge= 
richt, fagt Grimm RA. ©. 745. denfen wir ung heut 
zu Tage vorzugsweife Enticheidung der Rechtsſtreite oder 
Beftrafung der Verbrechen. Urfprünglich aber überwog 
Die Borftelung von Bolfsverfammlung (concilium), in 
welcher alle öffentliche Angelegenheiten der Mark, des 
Gaues und der Landichaft zur Sprache kamen, alle Feier- 
Yichfeiten des unftreitigen Rechts (was wir freiwillige Ges 

chtsbarkeit nennen) vorgenommen, endlih auch Zwiſtig⸗ 
‚feiten beurtheilt und Bußen erfannt wurden“, Namentlich 
\pas Vebertragen de8 Eigen, die Aufnahme eine8 Anderen 
in die Gewere, die Erbtheilung, refp. die Abtretung der 
Herrſchaft oder Vogtei an einen der Söhne, mußte als 
eine die Bedingungen des Rechts ändernde, folglich Die 
Gemeinde höchlich angehende Sache dem Gericht vorbehalten 
werben. Darum ;ift denn zur Uebertragung ber Gewere 
am Eigen auch die Mitwirfung und Zuſtimmung des 
„Gerichts“ nöthig. Ohne Erben laufe und ohne „Gericht" 
mag fein „Mann“ fein Eigen vergeben. Bergibt er «8 
wider Recht ıc. Sip. 1. 52. Der Prüfe des Gerichts oder 
der Gemeinde ift der Richter, Vogt, Grebe und zwar in 
der Dorfgemeinde der Dorfrichter, in der Marfgemeinde 
der Markrichter, in der Gaugemeinde der’ Graf, Land 
graf ec. Diefer Vogt ift augenſcheinlich ein Analogon des 
Vogts der engeren (Familien) Genoffenichaft. „Daß er 
‚wie Hr. Landau annimmt (S. 386 der Heuſer'ſchen Ann. 


u 
. 
. 





278 


Bd. 4) ſtets nur der fei, welcher im Auftrage eines Anderen, 
als deſſen Beamter handelt“, ift nicht der Urverfaſſung und 
dem urſprünglichen Begriff des Worts eigen, ſondern erft 
wahr, feit der deutſche König römischer Kaiſer wurde und bie 
Idee einer flantlichen Obrigkeit, Durch welche die Obliegen- 
beit der Gemeinde, Echirmer des Rechts zu fein, übertra⸗ 
gen ift, eines magistratus, gang und gebe wurde. Yür 
die Urzeit bleiben wir bei Cãſars Wort: In pace nullas 
magistratus, sed principes regionum atque pagorum inter 
suos jus dicunt controversiasque minuunt. 

Ich hoffe jeßt verftanden zu werben, wenn ich ber 
gedachten Urverfaffung Deutichlands einen privatrechtlichen 
Charakter zufchreibe, und insbeſonder in den Marken nicht 
den Anhang einer ftaatlihen Organifation fehen kann, ob⸗ 
wohl auch ich mit Möfer, osnabr. Geſch. 1. 5.39 Note a, 
glaube: Eine Landkarte nah Marken würde vielleicht bie 
befte Nachweifung in der alten Geographie fein. Denn ich 
glaube, was derfelbe a. a. D. im Text vom Stift Osna⸗— 
brüd jagt, von anderen beutjchen Ländern, namentlich 
Helfen, ebenfalls wahr: „Unſer ganzes Stift ift in Marken, 
worin Dörfer und einzelne Wohnungen zerftreuet liegen, 
vertheilt: und bie Grenzen derſelben treffen mit. feiner 
Landes-⸗, Amts-, Gerichts⸗, Kirchipield- oder Bauerſchafts⸗ 
gränze zuſammen“. Ich bezweifele daher, daß eine Land⸗ 
karte der Kirchſpiels⸗, Amts- oder Gerichtsgränzen jemals 
eine Landkarte nah Marken und ſomit die beſte Nach 
weifung in der alten Geographie wird fein fünnen. 

Einen ftaatrechtlichen Charakter nimmt. dagegen Diefe 
Berfafjung im Krieg an: Quum bellum civitas aut inlatum 
defendit aut infert; magistralus, qui ei bello praesint, ut 
vitae necisque habeant potestatem, deliguntur, erzählt 
Gälar (de bello gall. 6, 23). Jetzt wird auß der Ver- 
jammlung der Männer,. der Mannie (Möfer a. a. O. 
I. 8. 20) eine Hermannie over ein Heerbann (taf. $. 21). 
Dieſe Hermania iſt eine Chermania, wie die Heſſen Chatten, 


279 


Die Hermani find Germani, Die Römer, welche die Deut- 
sehen nur Tennen lernten in bello, ſei e8 daß fie aggreifiv 
ober befenfiv auftraten, alfo nur als Heerbann, als Her⸗ 
sruanie oder Chermanie, nannten fie deßhalb fchlechtweg 
Germani. 

Caeterdim Germaniae vocabulum recens et nuper 
additum; quoniam, qui primi Rhenum transgressi Gallos 
expulerint ac nunc Tungri, tunc Germani vocali Sunt. Tac. 
de M. G. c. 2. Die Zungrer haben gewiß immer Tungrer 
gebeißen, auch ehe fie über den Rhein gingen. Ehe fie 
aber Über den Rhein gingen, gehörten fie.dem Herbann, 
ber großen Vollksgenoſſenſchaft an, fie waren Reichsgenoſſen 
und Germania ift dafjelbe, was fpäter. das Reich heißt. 
Möſer a. a. O. 8. 8. 2. 3. Diefelben Hermanie heißen 
ben Römern anderwärts wieder Markomani, und wieder 
Alemani. Allemani find Ehermani oder Hermani, wie 
man Sallebarte für Heerbarte, Hellweg für Heeriveg, Al- 
berge für Herberge, Alfarda für Heerfahrt oder Kriegsfuhr, 
Allode für Arode zu fagen pflegt. Möſer a. a. 0.8.2. 
Note £ — 

Wenn die Römer das deutſche Volk foldhergeftalt als 
eine Genofjenichaft der Mannen oder Männer (Germania) 
bezeichneten, fo ift deutlich genug, was ihnen an befien 
Verfaſſung das Charakteriftifehe fchien. Wir haben oben ge= 
fehen, was man fich unter den Mannen oder Männern zu 

denken hat und in welcher genauen Verbindung fie mit 
Grund und Boden, mit Haus und Hof (Wehre) ftehen. 
Die „Männer“ d.h. die Samilienhäupter find die kriegs⸗, 
dienft» oder herbannpflichtigen, die, welche ten Kriegsbe⸗ 
darf an Mannichaft, wie an Kriegsgeräthe zu ftellen haben, 
"und das von dem Gut oder Eigen der Familiengenoffen, 
dem fie vorftehen. War alfo auch das Gut Freigut, d. }. 
frei von Frohnden und Dienften (frei Mann frei Gud), 
10 lag doch die Laſt der Landesvertheidigung ober Land⸗ 
wehre ganz auf ihm und insbeſondere auch die Steuer zu 





280 


den Koſten der Heerjüge, tie Abgabe von Wagen und 
Pforten. Grimm RA. ©. 297. Wenn aber der eine —— 
Mann oder Freie für fein Gut felbft perfünlich Kriegspienft — 
leiftete (der andere vielleicht feine Söhne vder Brüder vom er: 
Gut ftellte), jo gab wieder ein anderer allein oder mitiiie-t 
anderen zufammen den beipannten Heerwagen mit ben—mmeı 
Knechten zu teffen Bedienung. Wer unter den Männern 
die leßtgedachte Art des Kriegsdienſtes übernahm? da- — 
rüber weiß ich nicht8 zu jagen. Daß ein freied Gut, werner 
es in firchlihe Hand, an ein Kloſter ıc. kam, vorzugsweiſe —⸗ 
in diefer Weife, nicht durch perfönliche Dienftleiftung, der — 
Heerbannpfliht genügte, jcheint mir glaubli und den —m 
Berhältniffen entiprechend. 

Der Heerbanndienft wurde übrigend nur zur Ber- — 
theidigung der unmittelbar bedrohten Provinz von allen Freien 
gefordert. Eihhorn St. und Raid. 1, S. 166. Grimm 
RA. ©. 295. ff. hat eine Reihe von Stellen, aus denen 
hervorgeht, daß die Folge nicht über gewiffe Zeit und 
Grenze hinaus geleiftet zu werden brauchte, 3. B. daß das 
Centvolk nit weiter oder ferner gezogen wäre, denn Daß 
fie defjelben Tags, wo fie ausgezogen wären, in ihre 
. Häufer und Heimath wieder fommen möchten ohngefehrüch 
denn daß fie bei Sonnenſchein wieder heimkaͤmen, daß die 
Sinwohner bei Tag wieder zu Haus kommen möchten. So 
heißt e8 denn auch im Rotenburger Salbuch: Item ob die 
Herrichaft zu Heſſen überfallen oder angegriffen. würde und 
das Gericht Rorbady von m. g. F. u. H. Dienern gefor- 
bert werden, fal das gericht ſonder alle wegerung volgen 
und zu ziehen, fofern ein jeder mit einem Laib Brod zeren 
und fi erhalten kann“. Grimm a. a. O. fchließt feine 
Mittheilungen mit dem Bemerfen: Bei Daritellung ver 
eigentlihen Gerichtöverfaffung werben fich ähnliche Rüd- 
fihten auf die Heimkehr bei Tage ergeben, was den Zu= 
fammenbang zwifchen SHeerbann und Gerichtsbann noch 
‚mehr beftätigt.- Auch des Tacitus Nachricht c. 7. Non 


< asus 'nec fortuita conglobatio turmam aut cuneum facit, 
sed familiae et propinquitates deutet darauf, daß die Fa⸗ 
xmiliengenoſſenſchaften, aus. welchen die Gemeinden x. bes 
Vtanden, bier bewaffnet die Glieder des Heerbanns bildeten. 
Darüber hinausgehende Heerbannspienfte wurden nur auf 
Reichsſchluß und von jolchen geleiftet, die vermögend genug 
waren (per se), oder durch Unterftügung Anderer, welche 
zu ihrer Ausrüſtung beitrugen, dazu in den Stand gejebt 
wurben. | 
. Die Angriffsfriege fielen nicht dem Heerbann, fonbern 
ben Gefolgen zu, von denen Zacitu erzählt, und unter 
bie ſich inSbefondere auch die nachgeborenen Söhne ber 
Freien werden haben einreihen laſſen. Es iſt begreiflich, 
daß nach und nach dieſe Gefolge die allein Kriegsgeübten 
waren und. der Heerbann ihnen gegenüber in den Sinter= 
grund trat. Insbeſondere mochte den Ungarn und ihren 
Reiterfchaaren entgegen der Heerbann nicht mehr anreichen. 
Es war daher bekanntlich Heinrichs I. Hauptjorge, eine 
andere Kriegdverfaflung zu jchaffen, nach welcher der effective 
Kriegsvdienft den Burgenjen und den Rittern zufiel, wäh- 
xenb der Heerbann, die Männer und Heinen Freien, immer 
feltener zum perjönlichen Dienft gelangten und nur noch, 
wie fonft, die Heerwagen ıc. zu ftellen hatten. Dagegen 
wurden fie um jo mehr mit Dienften beladen, anfangs 
Steuern und zu eigentlichen Kriegszwecken, fpäter überhaupt 
zu- Nuß und Frommen der Landed- und Gutöherren. 
Wenn der „Mann“ nun aufhörte im Heerbann zu fein, 
fo verlor er feine politiiche Bedeutung und wurde vertreten 
von dem, der ftatt feiner den Kriegsdienſt leiſtete. „Mit 
dem Austritt aus der Heerfolge wurde der gemeine Freie, 
wenn er nicht einen anderen Stüßpunft feiner Unabhängig- 
keit fand, der Hinterſaſſe ſeines Schugherrn, dem er zum 
Reichsdienſte fteuerte; nur der Heerbannpflichtige und der 
Dienftmann hieß fortan Miles oder von der Weiſe des 
Heerdienſtes Ritter. ALS fich erft pas neue Syſtem ber 


Berfaffung im Laufe von drei Jahrhunderten völlig aus- 
gebildet hatte, war es der fchußpflichtige Landſaſſe nebfl 
tem Leibeigenen "und anderen unfreien Hinterfaffen allein, 
auf den man die Kaften ter bürgerlichen Gejellichaft wälzte“. 
(Eichhorn St. und Reich. 2, $. 223 a. E.) Aur in’ ſehn 
wenigen Gegenden blieb die alte Berfaffung, 3. B. in dem 
Gebürgen von Helvetien, wo fich zu Anfang des vierzehnten 
Jahrhunderts noch die Reſte der alten Berfaffung zeigten, 
und die Verſuche des viterreichiihen Hauſes, die Neil 
vogtei zu- dem zu machen, was fie an antern Orten ges 
worden war, der Schweizer Eitgenojjenichaft ihre Ext- 
ftehung gaben. Derf. daſ. 

Man kann e8 beflagen, daß jene deutſche Urverfaffung 
untergegangen ift, aber man muß m. ©. anerfennen, Daß 
ed die äußeren Berhältniife waren, die ihren. Untergang 
nothiwendig berbeiführten. Noch Heinrih I. mußte den 
Ungarn Tribut zahlen, und wenn uns zu feinem Sieg bei 
Merjeburg und Otto's I. Sieg am Lechfeld die Umgeftals 
tung jener Berfaffung verholfen und unjere nationale Selbſt⸗ 
ftändigfeit erhalten bat, fo wird dieſe Umgeſtaltung bei 
Billigdenkenden wohl nicht bloß Tadel verdienen, wie denn 
überhaupt das geſchichtlich Nothwendige wohl bevauert, 
aber nicht geändert und nicht getatelt werden kann. Der 
Zabel hat überall nur das Willfüuhrliche zu treifen. 

Auch tie neue Kriegsverfaſſung, der Kriegsdienſt ber 
Bürger und der Ritter hat feine Zeit gehabt und ijt wieber 
untergegangen. Kaijer Magimilian war der letzte Ritter umd 
der erite Lanzknecht; feit jeinet Zeit datirt das Syſtem 
des geworbenen Heerd. Auch bier könnte man bebauern 
da8 Ende der „fühen Lehnspflicht, Mannestreue, alter 
Zeiten fichered Licht“, aber nicht anders, dächte ich, alß 
wie man etwa bedauern Tann, daß der Menich nicht immer 
jung bleibt. Er wird eben unwiderſtehlich alt, und eine 
Zhorheit wäre e8, eine ſolche unmwiderfiehliche Nothwendig⸗ 
feit tadeln zu wollen. Seit dem weitphäliichen Frieden 


283 
zund namentlich feit dem vorigen Jahrhundert hat ber für 
Die jedesmalige Kriegszeit geworbene Soldat dem conferis 
Bierten ſtehenden Heere Platz gemacht und felbft in Eng⸗ 
Jand, das noch jetzt das alte Syſtem der Werbung bat, 
Weinen Anzeichen ſeines Schwindens vorzulommen. 
Kehren wir zu unferen Heerwagen zurüd. Sie haben 
ſich Durch alle Veränderungen des Kriegsſyſtems, erhalten, 
umd find noch heute als Landfolgedienſt in den Fuhren, 
Vorſpann, Reitpferden für das kurheſſiſche Militär und 
frembe Truppen, melchen der Durchgang durch bie kurheſ⸗ 
fichen Lande geftattet ift (Gefeg vom 31. Oct. 1833 5.1. 
Rr. 1.), wenn aud) in der heutigen Verfaſſung des Kriegs⸗ 
weſens entiprechender Weife mobiflcirt, wieder zu erfennen. 
In uriprünglicher Weife geleiftet finden wir die Heerwagen 
bei dem Linzer Zug 1474 und dem Zug vor Volkmarſen 
1476. Die einjchlagenven Regifter bat Hr. Dr. Landay 
©. 326 ff des erften Bandes unferer Zeitfchrift mitgetheilt. 
Die Dörfer hatten zu dem Linzer Zug 459 Wagen geftellt, 
das Regilter enthält nur die dem Landgrafen Heinrich zu⸗ 
gehörigen Gerichte in Oberheſſen nebit Iriedewald, Bach, 
Breidenbach und Schmalkalden, da Niederheflen den Söh— 
nen Landgraf Ludwig II. gehörte. Dreißig Jahre fpäter 
Iommt die Naturalleiftung der Heerwagen wieder bei dem 
Zuge Wilhelms II. 1504 gegen den geächteten Kurfürſten 
Rupprecht von ver Pfalz vor. In dem Würtembergifchen 
Geldzuge 1534 ging Landgraf Philipp mit 2000 Wagen 
(Zauje 1, 229.) oder wie e8 bei Eftor (Kuchenbeder annal. 
8, 255) heißt: einer großen Zahl Heerwagen der Bauers⸗ 
leut, cf. Hoffmann Kriegsſtaat S. 248. Achnliches if in 
den Acten des Kammerarchivs über die Feldzüge von 1545 
und 1546 gegen Braunſchweig und ven Kaiſer aufbewahrt, 
dergleichen rücjichtlich der Feldzüge von 1631, 1632 und 
1635 gegen Tilly und die Kaiferliden, 1657, 1662 zu 
Damals flattfindenden Durchmärichen, ebenſo als 1872 bie 
Braudenburgiichen Truppen nach bem Rhein zogen. In 


284. 


1676 zu dem Zug nad Philippsburg wurde flatt der ge⸗ 
forderten Pferde und Heerwagen eine billige Geldtaxe aus⸗ 
gefchrieben, 1677 erhoben und in den Amtsrechnungen be= 


rechnet. Ebenſo 1684. Im Jahr 1741 beantragte Die Rent⸗ 


fammer, ftatt der Damals zum Oeſtereichiſchen Succeffiong- 
friege wieder einzufordernden Pferde und Wagen, gleichtvie 
in 1684 gejchehen, ein Geldäquivalent von den Verpflichteten 
einzuziehen. Seitdem ergeben die Acten über eine Natural 
Yeiftung der Heerwagen nicht mehr und das Gelbäguis 


valent fcheint, da e8 nicht in allen Amtsrechnungen vor⸗ 


fommt, mwenigftens nicht überall den Namen Heerwagengelb 
geführt zu haben. Uebrigens ift die urjprünglich nur zu 
Kriegszwecken beftimmte Leiftung fchon im 16ten Jahrhun⸗ 
dert theilweije in Leiftungen anderer Art umgewandelt, fo 
3. B. 1568 ein Theil der im Oberfürftenthum zu ftellenden 
Heerwagen in Meß- und Wein» und bergleihen Fuhren, 
deren 8 jährlich ſtatt eines Heerwagens geleiftet werben 
ſollten. 

Während ſo die gemeine Laſt der Heerwagen unter 
den Landfolgedienſten überhaupt, reſp. in der Contribution 
und anderen Ähnlichen gemeinen Landeslaſten aufgegangen 
ift, bat fie fich in anderer Form, nämlich als eine auf be= 
flimmten einzelnen Gütern ruhende Reallaft weit länger 
und bis auf die neuefte Zeit *) erhalten. Auf dieſe bezieht 
fih die Grebenorbnung von 1739 Tit. 31 pos. 16: 

„Wo Heerwagen oder Sreipferde gehalten werben, 
feynd folche bei Vorfallenheiten zu ihrem jchuldigen Dienfte 
zu beitellen, und deßhalb eine abjonderliche Defignation 


*) Als ein Heerwagengeld, — In einem Kammerbericht vom 11. Oct. 
1741 iſt geiagt, daß gewiſſe Pferde und Heerwagen won den Unter- 
tbanen in Anjehung ihrer inhabenten Gütern präftirt werden müſſen, 
und daß e8 der Herrfchaft freiftehe, außerdem bie Nothdurft an 
dergleichen Pferden und Wagen auf bie Stäbte und Aemter nach 
Gutfinden zu repartiren und ein billiges Quantum extraordinarie 
zu erheben, 


285 


von den Gütern, jo dergleichen hergeben müſſen, bei den 
Aemtern einzugeben *)r. E 
Wie bereitS oben erwähnt worden, wurde der Heer⸗ 

bannsdienſt unter Die pflichtigen Wehrfeften refo. ihre Güter 
jo vertheilt, daß der eine perjönlich, der andere allein oder 
in Gemeinſchaft mit anderen durch Stellung von Wagen, 
Pferden und Knechten diente. Die Güter, von denen ber 
Dienft perjönlich geleiftet war, wurden, nachbem bei ver⸗ 
änderten Kriegsiyftem der perjönliche Dienft aufgehört hatte, 
dafür mit anderen Dienften und bäuerlichen Laften zuges 
dedt. Die anderen dagegen, welche üblicher Weile den 
Dienft nicht perjönlich, fondern durch Stellung von. Wagen 
und Pferden ıc. gethan hatten, behielten zwar auch jet 
dieſe Laft, aber anderer Seit8 auch ihre feitherige- fonftige 
Dienftfreiheit, und man hatte daher infofern Recht, als 
man in Weftphälifcher Zeit Daß Heerwagengeld als Surs 
rogat der Kriegsfuhren anfah, und die Kammerdeputation 
im Jahre 1815 darin ein Yequivalent für die genießenbe 
Steuer- und Eontributiongfreibeit erblidte. Eine ähnliche 
Anfchauung finden wir ſchon in den Salbüchern. So z. B. 
im Homberger Salbucdhe de 1537 f. 118 heißt e8: „Ges 
melte Wüftung Rückersfeld ift dienftfrei; [ondern müflen, 
jo e8 die Nott erfordert, zum SHeerzuge '/, Wagen oder 
2 gute Pferde an die Büchfen ſpannen sc., ebenſo zwei Hufen 
zu Sipperhaufen, die dem Probft zu Sohannisberg gehör⸗ 
ten und bienftfrei waren. Dagegen foll er (der Hofmann) 
jo oft von Nöten ein Pferd ane Entgeldnus vor die Büch- 
jen fpannen und vor die Weinfuhre 2”. Bon einem Frei⸗ 
hof Der Univerfität Marburg im Gericht Caldern heißt es 
im Salbuch von Caldern de 1592 S. 69b., daß derſelbe 


‚ *) In den Defignationen gejchieht zunächft ber allgemeinen Pflicht 
Erwähnung: Da u. g. 5. u. 9. zu Feld zeucht, gepürt Dem ganz 
zen Amte nach Gelegenheit die Wagen zuthun. Daneben werben 
bann aber die beſonders zur Stellung von Heerwagen unb Pferden 
verpflichteten Güter aufgeführt, 

Band. VIII. 19 





288 


dieſerhalb frei fei, weil er in Seerzligen mit zwei Pfer- 
den vorfpannen muͤſſe. Der Hof Lembach mußte „vor (ftatt) 
feinen Dienft“ einen guten Klepper dem Haus Ziegenhain 
halten, welcher hauptfächlich zur Bolt gebraucht wurde. 
Lennep Landfievelleihe S. 70. jagt daher: »Alio sensu 
feuda franca forsan dieebantur,, welche von gemeinen Frohn⸗ 
dienften frei waren, fondern Heerivagen oder Freipferde hal⸗ 
ten mußten“. 


Schon oben habe ich die Vermuthung geäußert, daß 
bei der Repartition der Heerbannsdienfte vorzugsweiſe den 
geiftlichen Gütern die Heerwagen ftatt des perfönlichen 
Heerdienfteß zugetheilt fein möchten. In der That find eg 
ganz beſonders die bienftfreien Güter der Klöſter, deren 
Hofleute den Heerwagen zu ftellen haben, in dem Maße, 
daß e8 bie Salbüder ausprüdlich zu bemerken für nö— 
thig halten, wenn ein Klofter, wie z. B. Heyda, Weißen- 
fein, Carthaus' Vacha feine Heerwagengelder zahlen oder 
Heerwagen ftellen. Manche Schriftiteller, 3. B. Lang bi- 
ftoriiche Entwidelung der deutichen Steuerverfaffungen ©. 
53., find fogar der Meinung geweſen, e8 ſei eine befon- 
dere Schuldigkeit der geiftlichen Stiftungen und Klöfter ges 
wejen, den Heeriwagen anzujchaffen,. bereit zu halten und 
bei Kriegszügen mit eigenen Pferden und Sinechten trans- 
portiren zu laſſen. Bon Kloftergütern wird in unfern Sal⸗ 
büchern als pflichtig gedacht: das Harbehäufer Gut zu 
Mönchehof *), ferner Hachborn **), Caldern ***), Brei- 


*) Diefer ift „Freidorf“, weil er feine Dienfte, als nur zum berrfchaft- 
lihen Vorwerk, Wegebau, dgl. Kriegsdienfte zu verrichten ſchuldig 
iſt. Kopp Geſch. 1, 316. 

+) Die mit dem Kloſtergut beliehene Familie Scheuernſchloß zahlte jähr⸗ 
lich ein Aequivalent von 40 Efl. a 26 Alb. Ebsdorfer Salbuch 
1592 ©. 142, 


”r) Salbuch des Gerichts Reitzberg. 1592 fol, 12, - 


287 - 


tenau *), Haina **), Safungen **), dag Stift zu Roten- 
burg HD, Hödelheim in der Herrichaft Pleſſe ++) ꝛe. Der 
beutiche Orden ftellte vom Gericht Gosfelden einen Heer- 
wagen, der ftatt wie gewöhnlich vierfpännig, mit ſechs 
Pferden und drei Knechten verjehen war, aber nur zu Heer⸗ 
zügen im Umkreis vun 14 Meilen ++). Auch Pfarrgüter 
3. B.-da8 zu Schachten, zu Schrecksbach, zu Gladenbach 
finden wir heerwagenpflichtig, und der Pfarrer Schleicher 
zu Hofgeiömar ift wegen eineß freien Schafpfirchs der Herr⸗ 
ſchaft ein gerüſtet Pferd und Harniſch auf Erfordern her⸗ 
zugeben ſchuldig. 

Unter den mit Leiſtungen dieſer Art beſchwerten ad⸗ 
lichen Höfen begegnet man ben Höfen’ ver Riedeſel zu 
Wittelsberg, v. Weihe zu Heiligenrode, zehn v. dal⸗ 
wigfihen Hufen zu Niedervorfhüß, eben fo viel Hufen der ' 
Hund zu Mebe u. ſ. w. Bürgerliche Freigüter, welche 
Heerwagen ftellten, waren unter andern das Schefferiche 
Gut zu Hattendorf ohnmweit Marburg, welches Landgraf 


*) Zwei Hofleute zu Büchenwerra ftellen von 4 Hufen 2 Wagen mit 

. 2 Pferden und 1 Knedt. 

**) Nach dem Homberger Salbud de 1535 f. 47b Hat bas Haus ein 
Fürwerk zu Varna, genannt der Zehenthof, davon ſoll das Haus 
Haina laut des alten Regiſters u. g. F. u. H. einen halben Heer⸗ 
wagen, ſo oft von Noiden, einen Gaden uff dem Kirchhoff halten 
und dartzu dem Dorff Verna einen Schelen (Beichäler ?), einen 
Ochſen und einen Beren zum Vieh halten. — Auch zu Lenborf 
müffen 12 Hainifche Hufen einen Heerwagen und dem Dorfe einen 
Ochſen und Behren fiellen. fol. 163. 

*"#) Da u. g. F. u. 9. zu Velde zeucht, geburt ber Vogtei mit mann⸗ 
Ichaft und wagen nach gelegenheit der fach zu volgen. 

7) Hat ein Gut zu Mediar, welches bienftfrei gehalten wirb, doch 
nach Bericht der Alten, fo ift ein jeber Hofmann, fo uff ſolchem 
gut wonet, ſchuldig, wenn es von nöten, 4 Heerwagen zu thun. 

74) Zu dem hat das Haus Pleß andere Gerechtigkeit herbradht, und 
fonderlih das Klofter zu Auffarthen und Heerzügen Einen Wagen 
der Herrſchaft thun laſſen. 

tr) Vgl. Rommel, 3, 136. 

19* 





288 


Philipp 1535 zu Gunften feines Kanzler Beige, des da= 
maligen Befiger8, vom Heerdienſt befreite, ſodann das |. 9. 
Eorreariusiche Freilehn zu Velmeden, deſſen Befreiung vom 
Heermagen 1644 die Landgräfin Amalie Elifabeth zu 
Gunſten des Ober-Salzgräfen Elia Eorrearius anordnete. 
Die meiften derartigen Höfe ftanden der Landesherrichaft 
ſelbſt zu und wurden von ihr auf Erbleihe ausgethan und 
in den Erbleihebriefen ift die Laft bis auf Die neueſte Zeit 
vorbehalten woͤrden. Solche Güter waren beiſpielsweiſe 
in Dörnhagen, Guxhagen, Körle, Wollerove, Schwarzen- 
berg, Dagobertshaufen, Obermelfungen, Heydſtadt, Feh— 
renberg, Ludenhaufen und Elwerſen im Amt Grebenftein, 
Berge, Schwerzelförth. Im Amt Raufchenberg mußten 
wegen ihrer Dienftbefreiung 6 Höfe Vorſpann zu Heerwa⸗ 
gen thun. 

Sch bezweifele nicht, Daß wir bier überall folche Güter 
vor und haben, welche mweiland heerbannspflichtig und als 
ſolche dienft- und fteuerfrei waren, die mit Beränderung 
des Heerſyſtems eintretenden Veränderungen der Belaftung 
aber überbauerten und fpäter theilweife aus den Händen 
ihrer urfprünglichen Inhaber in Die des Adels und der Lan 
beöherrichaft gelommen find. 

Ein Eorrelat zu den Heerwagen bilden die Freipferbe. 
Auch fie ruhen auf beftimmten Gütern. Wie fie in noth= 
wendiger Verbindung mit der Dienftfreiheit gedacht werden, 
geht am deutlichſten aus folgendem Eintrag im Gaffeler 
Salbud de 1582 S. 356 herror: 

Bolgenden Greffen im Ampt Caſſel gepurett Jederm, 
Unjerm ©. 3. und Herrn ein Pferbt, Darauf man zu Der 
notturft Koch, Schenken, Beder und Botten, wann u. 9. 
3. u. H. der Bedarff, *) beritten macht, darzuthun. Dar 
gegen feindt Ihre Huben und Gutter des fahrenden Dienfts 


”, „Es haben fi aud zu Zeiten ber Hofmetzger bei der Schafzahl 
ber bedient,” Heißt e8 an einem anberen Ort. 


289 


gefreyet, und fo der Pferbt eins oder mehr verderbet wurke, 
fol man den Greffen folches nach zimblichem Werth be= 
zahlen, und feinbt dies die Grefenn, fo die Pferbt zu thun 
ſchuldigk ꝛe. (folgen 8 Greben). Es fcheint hiernach, als 
ob diefe Pferde nicht von beftimmten Freigütern, fondern 
von den Greben für ihre Perfon geleitet, deren Güter aber 
zeitweile von Fahrdienſten gefreit feien; in einer anderen 
Nachricht heißt es, fie müßten fie „gegen ‚ihre gefreyten 
Suben“ halten. Im Salbadh des Gerichts Lohr v. 1592 
©. 86b fteht: Item e8 muß auch bemeldeter Sud (zu Fron⸗ 
Haufen) neben anderen Jüden im Fürftentfum U. ©. 8. 
u. 9. ein frey Saul halten helfen.” Natürlich war für 
die Juden eine Dienftfreiheit ihrer Güter nicht möglich, 
Da fie keine hatten, und fie find es, an denen man gelernt 
bat, Steuern auf Perfonen zu legen, während ber ganzen 
Grundidee des deutichen Rechts nad) das Gut allein die Le⸗ 
gitimation des Rechts und dem entfprechend auch der Laft 
bildete. Die Juden waren „arme Leute» im Sinne ber 
deutichen Verfaſſung, Knechte, Die man toleriren und halten _ 
durfte. Sin demjelben Gericht müfjen auch die Müller mit 
1 Karren und 2 Pferden für infpannen gewärtigt fein, im 
Jahr 4 oder 5 Mal nad) Ziegenhain, Raufchenberg, Gießen 
oder fonft. Daneben hat das ganze Gericht ein Freipferd 
zu ftellen. 

Diefe Freipferde waren urfprünglih auch Die zum 
Heerbann erforderlichen; im Jahr 1647 wurden ſämmtliche 
Freigreben der 3 Caſſeler Aemter aufgeforbert, „ihre Frei- 
pferde hinwieder wirklich zu fielen" und 1633 als Land- 
graf Wilhelm V. nach Baberborn und Münfter z0g, mußten 
fie vor den Wagen ſpannen, worin des Landgrafen Feld⸗ 
baͤcker nachgeführt wurden. Wo die Freipferde nicht aus⸗ 
reichten, wurben, wie ſich aus einem Reſer. de8 ©. R. 
an die Beamten zu Spangenberg vom 5 Dec, 1703 ergibt, 
aus den Aemtern Pferde zum Kriegsdienft ausgenommen, 
billigmaͤßig taxirt und diefer Preis auf das Amt repartirt, 





290 


mithin damit der Eigenthümer bezahlt. Nachher, wenn die 
Pferde nicht mehr zu Laufen nöthig, wurden fie verfauft 
und der Erlös dem Amt wieher erjekt. 

Sehen wir am Schluffe unferer . Betrachtung noch 
ein Mal zurüd, fo finden wir am E., daß Die ältefte ftaats 
liche Pflicht die Heerbannpflicht und das älteſte ftaatliche 
Element der Heerbann war, daß das deßhalbige Syſtem 
aber durch das das Mittelalter beherrſchende feudale Wehr- 
ioftem und vom 16 Jahrhundert an durch dad Werbiyiten, 
dem erſt feit faft einem Jahrhundert nad) und nad) das 
der Eonfeription gefolgt ift, verdrängt wurde. Ein jedes 
diefer Syfteme bildete fich feine eigene Organifation, Sp 
ift denn unfere heutige Aemter⸗- und Gericht8eintheilung 
auf entichieden flaatliher Grundlage nad) ganz anderen 
Principien geftaltet, als e8 die vor 1821 war, Die eine 
Eintbeilung nad) dem Dienftwejen und zwar nicht nach dem 
Heerdienft-, jondern dem ftatt deſſen eingeführten Bauern 
dienſtweſen war, bei dem die alten Gerichtd- und Greben- 
ftühle, die Theile, Haufen ıc. Unterabtheilungen der fo zu 
fangen Guts-Dienſt-Aemter waren. *) Es fcheint mir 
glaublich, Daß dieſes Product des Gutsdienſtſyſtems nicht 
älter als das Syſtem felbjt und Die Heerdienſt-Aemter, 
wenn e8 deren gab, ganz andere Bezirke waren, für beren 
Reconftruction ung noch der Anhalt fehlt. — 





* Wir brauchen nur in Engelhards Erbbeichreibung zu fehen, um 
den uns auffallenden immer wieber kehrenden Unterſchied zwiſchen 
Stadt und Amt zu bemerken. Das Amt ift ein herrſchaftlicher 
Dienft-, Zins-, Zehnten- 2c. Bezirk, in den die Stabt nicht paßt, 
da fie feinen bäuerlichen Dienft thut. 


6 





291 


XII. J 
Die Schlacht bei Kalefeld. 


Mitgetheilt von Dr. Landau. 





Die Schlacht bei Kalefeld wurde bekanntlich am 21. 
Oktober 1545 zwiſchen dem Landgrafen Philipp von Heſſen 
und dem Kurfürſten Moritz von Sachſen gegen ven. Herzog 
Heinrih d. J. von Braunſchweig geichlagen, und die un- 
mittelbare Folge war: die Ergebung des Yebteren an den 
Zandgrafen Philipp. Einen umftändlichen Bericht über 
die Schlacht und über das, was berjelben unmittelbar 
voraußging, gibt Lauze im Leben Philipp des Grof- 
müthigen (I. Suppl. dieſer Zeitfchrift. Bd. II. ©. 23 ff. ). 
Ich bin nun aber im Stande, auch noch den Bericht 
eines ber angejehenften fächfiichen Befehlshaber mitzuthei> 
len und zwar gerade deſſen, ber einen jehr thätigen An 
theil daran hatte. Es ift Died der Hauptmann des fächft- 
hen Fußvolks Wolf Tiefitetter, derſelbe, der auch bei 
Siever8haufen befehligte und unter denen fich befand, welche 
das Todtenbett ihres Fürften, des Surfürften Moritz, um⸗ 
ftanden. Tiefftetter berichtet nämlich eigenhändig: 


„Erftlichen fendt mir mit vnſers gn. H. Herzog Mo— 
rigen Neittern vnd Knechten bey Göttingen, ain Meyl Wegs 
von der Landgrafen vnd des Churfürften Leger, vber Nacht 
gelegen *), vnd alba auf den Morgen, fo den 17. Dag 
Octobris geweft, fortgerudt, vnd vnſer Leger in ain Dorff 
geichlagen, jo etwan ein Feldtſchuß von der Landgrafen 
Leger geweſt **), vnd auf 18. dito ift Herkog Heinrich mit 

*) Radolphshauſen an der Straße von Gieboldehquiſen nach Göttingen. 
Das ſächſiſche Heer fam über Mühlhaufen. 

*®) Lanze fagt „bis an bie Landwehr zwifchen Nordheim und Wien“. 
Meint er unter leßterem Weende, wie es auch von Rommel ver- 





292 


feinem Kriegsvolckh Tomen, und gewaltig auf den Land— 
grafen und Churfürften tzwgezogen, fein Schlachtorbnung 
gemacht, al8 wolle er vnß fchlagen, fo er an einen Berge *), 
fo tzwiſchen vnßer atn Grund geweit, darinne ain Dorf **) 
gelegen, vnd ain Waffer ***) darinne hingefloſſen, jo nun 
Hertzog Heinrich daffelbig Dorf und den Grundt eingenom- 
men, vnd den ganken Dag inen gehabt, fo nun meins gn. 
Hrn. Hertzog Morigen Rette und ded von Braunjchweig 
Rette, hin und wieder geritten und Sprach gehalten, dan 
jme dem Braunfchweige auf diegmahl mein gn. Hr. Her- 
bog Mori noch nicht abgejagt gehabt; aber gleichwohl 
befalch mir mein gn. Hr. Herkog Moritz, ich folte meine 
Schützen und Lauffer nemen, vnd follte hinundert in das 
Dorf Hiehen, vnd follte fehen, ob ich fie möchte aus dem 
Dorf weghdreiben vnd einnemen, als ich nun thet, tziehe 
hinunder und dreibe fie alle hinwegkh bis an ihr Schlacht- 
ordnung, indem ſich nım ein Geſchwader Reitter von einem 
Derge in Grundt binunder thet, vnd wolte vns vortziehen 
vnd ſchlagen. 
| Indem ſchickte mein gn. Sr. vnd der Landgraf zw 
mir vnd laſſen mir ſollichs anbeigen, das ich abtziehe, dan 
wir weren all erjchlagen worden, indem wurde ich ber 
Reitter gewar, die huben auf mich Bw, indem zoge ich mit 
den Schügen abe, vond name das Dorf vnd die Häufer 
ein, das ich auch ine behielt, und auch etlicher Braun- 
jchweigifchen darüber belieben vnd erfchoffen wurden; da 
ſchickt der Landgraf tzw mir und lies mir anteigen, ich folte 


fteht, fo ift Die Ortsbeftimmung etwas gar zu unflcher, denn zwi⸗ 
jhen beiden Drten Tiegt ein Raum von 2 Meilen. Es ift aber 
unzweifelhaft die Lanbwehr zwiſchen Hillerje und Höckelheim. 
*, Der Eichelberg zwiſchen Hillerfe und Höckelheim. 
“r) Das Klofter und Dorf Höcelheim. 
**0) Wahrſcheinlich ift der nördlich an Höcelheim voriiberfließende und 
in bie Leine fallende Moorbach gemeint, welder von Moringen 
berablommt, Die Leine ſelbſt kann es nicht fein, 


293 


weitter mit jmen nit fcharmugeln, wo fie halten wurden, 
wurden fie aber nit halten, wufte ich mich ber Gebur wol 
gw halten. Darbey e8 auf den Tag aljo belieben vnd zu» 
gen tzw beyder Partheien in die alten Leger vnd der von 
Braunſchweig begert mit meinem gn, Hrn. Herkog Morigen 
Sprach zu halten; auf den 19. dito beſchid mein gn. Hr. 
den von Braunſchweig in ain Klofter*), jo zwiichen beider 
Leger (hey Northeim gelegen) und dem Hertzogen von Munden 
tzwgehoört, alfo befalch mir mein gn. Hr., ich folte (mitziehen) 
mit 200 Schüßen fampt den Schüßenfanen, mit Reittern. 
Alda mein gn. Hr. und der von Braunfchweig dm Hauff 
kamen, vnd mit fampt feinen Retten vnd etlichen Graffen 
vom Hart, und fo mein on. Hr. bey fich hatte, vnd ich 
auch in dag Kloſter hineinrytt und die Schützen und Reitter 
gleichwol auf einem Ort halten blyben. Alfo huelt mein 
gn. Hr. dem von Braunfchweig für, das er die Feftigung, 
fo er dieſen zwg hette eingenommen, jren Genaden wolle 
aufgeben, alsdan wolte der Landgraf vnd der Churfürft 
die Feſtigung und das Land, fo fie noch Innen betten, auch 
jren Gnaden aufgeben, vnd alsdann folte der von Braun⸗ 
ſchweig Derffen komen, vnd alba da8 Land jme vberant> 
worten, vnd einen Fryden alda (wie fich gepürt) gegen 
einander verfchreiben, fo er mit fampt feinen Retten nicht 
bett wollen annemen, vnd Darauf tzwr Antwort gegeben, 
was er mit dem Schwert (jo ja vor Got fein ift) gewun- 
nen babe, Das wolte er behalten, wo aber der Landgraf 
die Feſtigungen, fo er jnen hette, wollen aufgeben vnd 
meinem gn. Hrn. pberantiworten,. da8 er tzwfrieden, jo ſollichs 
ber Landgraf auch nicht bat wollen thun, vnd alfo ift es 
auf den Tag beliben vnd ſendt wider von einander ge- 
tzogen. Auf den 20. dito da ift mein gn. Hr. mit feinem 
Leger in des Landgrafen Leger gerudt, und alda benfel- 
bigen Dag ſtill gelegen. Da ift berabtichlagt worden, das 


*) Wiebrechtshaufen an der Straße von Norbhein nah Seeſen. 





294 


man in der Nacht mit etlichen Schuten vnd Reittern, auf 
were, vnd in der Nacht den von Braunichweige vberfielle, 
dan mir heiten die Kundſchaft, wie das er ein Landwere 
innen hette, vnd wann ihm dieſelbige abgedrungen und ein- 
genommen wurde, jo were er fchon geichlagen. Alſo gebe 
mir der Landgraf 1000 Schügen tzw, deſſelbengleichen Jor⸗ 
gen Wachtmeifter, jo meines gn. Hrn. Diener ift, zwey Ge- 
ſchwader Schüten Bw, vnd befalh uns, Das wir in ber 
Nacht aufmwerert und fehent, das wir die Landivere *) ein- 
nehmen möchten, aljo zuche ich und Wachtmeifter mit den 
Schüten und Neittern den 21. dito in der Nacht fort und 
pberfielen die, und ftechen die von jrer Wacht und auß der 
Landwere hinwegh, vnd wir behalten Die Landwör innen, 
bi8 der Landtgraff mit dem ganten Haufen hernachlame, 
vnd mir auch waydlich mit ainander fcharmußletten, auch 
mein gn. Hr. felb8 darbey war. Indem zeuch ich mit den 
Schützen auf einen Berge **), fo auf der rechten Hand 
vber der Landwöre ligt vnd inn denjelben ein, dan wan 
fie denjeldigen Berge heiten innen behalten, jo hetten fie 
vns aus der Landwöre hinauß Tonnden fchießen, vnd ſich 
auch ain Geſchwader Reitter von dem von Braunſchweige 
hervber thette, vnd mit vns vberaus wol traffen vnd ſich 
erlich hielten, vnd die Vnſern mit dem Schutzenfanen in 
die Landwöre hinein flachen, darvber viel Pferdt, vnd et— 
liche Perſonen erlegt vnd vmbkomen, das nun genueg waren, 
indem entſentzt CD man nun balde, vnd triebe fie wider 
tzwrukhe vnd die Landtwöre nach jnen behielt. Indem nun. 
ber von Braunfchweige fein Schlachtordnung macht, des⸗ 
gleichen ber Landtgraff mit dem Geſchutz und dem gangen 


“ Es iſt dies die eine Viertelſtunde ſüdlich von Kalefeld hinziehende 
Landwehr. Man ging -alfo in der Nacht über Die Leine und Ruhme 
wahrjheinli neben Nordheim hin; man fchlug über die Ruhme, 
alſo jenfeits Norbheim, eine Brüde, auf der das Heer den Fluß 
überſchritt. 

»c) Der Bierberg auf ber öſtlichen Seite der Landwehr. 


295 
Saufen hernachkam, vnd alfo vor ber Landtwer hieldt vndt 
Radt nemen, ob es nicht Bw thun were, das man bie 
Landtwere niederhube und das Geſchütz darein richtet, das 
man mochte hin und vberziehen, dartzw mir dan all ver⸗ 
willigt, die er fraget, das es wol tzw thun were. Indem 
ließ die Bauern die Landtwere niderhawen, vnd an fünf 
Orten gezogen, vnd das Geſchütz gericht, vnd fie in freyem 
Feldt ongeſchantzt aus der Ordnung weghgeſchoſſen, vnd 
die Ordnung getrennt. Indem der Hertzog von Braun⸗ 
ſchweig ſeiner Rette tzwen mit einem Trummeter herfur 
geſchickt, vnd begert mit meins gn. Hrn. Rette Sprach tzw 
halten; jo nun mein gn. Hr. ſollichs dem Landtgraffen ans 
Baigt, Darauff jme ber Landtgraff antwort, er möchte fprechen, 
e8 gienge jn nit an; wie das fie (die Rete) Sprach 
hielten, da zaigten fie an, wie das fie von dem von Braun 
ſchweig hergejchidt weren, vnd er were vrbiettig, daß er 
alle die Artidell, jo tzwiſchen jm vnd Herkog Morigen ven 
19. dito im Klofter gehandelt werendt worden, das wollte 
er annemen, vnd wolle alls dasjenig thun, was der Landt⸗ 
graf begert. Sollichs zaigt mein gn. Hr. dem Landtgrafen 
an, der Iang-nicht wolt und im Handeln jmerfort zoch, 
al8 wolt er mit jm fchlagen. Vnd mein gn. Hr. jme an- 
hielt, darmit da8 er barbey belyben, dan e8 were ain groß 
Blutvergiffen tzwiſchen bayden Parteyen gejchehen, vnd alba 
viel erlicher Leut geweit ſendt. Indem ſich nun der Landt⸗ 
graff demutigett, zeugt meinen gn. Hrn. an, wo er fid 
geben wolte, jo woldt er jnen tzw Genaten aufnemen, er 
were jm fo feindt nicht, ſondern denjenigen, die er bey jm 
hette, die mieften gefchlagen fein. Alfo fehiett mich mein 
gun. Hr. und Hans von Schonburg, fo im Ungerlant mein 
Fendrich ift geweit, tzw Hertzog Heinrich hinvber und zaigten 
im folich8 an; da rudet er aus der Ordnung kw meinem 
gn. Hern herauß vnd zaigt meinem gn. Kern an, er wolte 
fich geben, vnd er wolte gern jelb8 mit dem Landtgraffen re= 
den, Alſo rit mein gn. Hr. tzw dem Landigraffen für die 


296 


Ordnung bin, und Tieß mich vnd den Hanſen von Schon⸗ 
burg bey dem von Braunfchweig halten. Aljo rit der von 
Braunſchweig zum Landgraffen Hin vnd rebet ſelbs mit jme. 
Da wolts der Landtgraff noch immerfort, vnd wolt 
ſein Leut ſchlagen; da war mein gn. Hr. vnd bat den 
Landtgraffen ſo ſeer, das ers nicht thun wölle, vnd der 
erlichen Ritterſchaft daran ſchonen, fo er bey jme hette, 
dan e8 weren vill ehrlicher Leut darunder vnd fchab were, 
das mans folten fehlagen, dan man den Türcken darmit 
ſchlahen fol. Alſo fchielt der Landtgraff mich vnd Jörgen 
von Saltzburg kw ben Reuttern bin vnd Tieß jnen Durch 
vns antzaygen, das fie gedendhen und Die Fendlen von- 
den Stangen herundert reyßen, vnd fich von ainander thuen; 
wurden fie fi) aber wider zwainander thon, vnd er fende 
fie wider beyainander, Dan er wölle jnen nachhiehen, fo 
jolten fie nicht anderft gedencken, dan er wolle ſy jchlagen. 
Sp nun die Knecht, weyl man mit denen Reuttern handlett, 
nad) Gandersheim *) Kiehen vnd das Geſchütz mit fort- 
bringen, fo ift der Landtgraff den 22. dito frue im ber 
Nacht auf und Tumpt fie im Feld an, als wolte er fie. 
ſchlagen; da gaben fie die Fendlin, das Geſchütz vnd al 
Kriegsriftung dem Landtgraffen auf, und die Hauptleut 
vnd andere mer, ſo darbey geweſt, die verſtrickt er in feine 
Hand, und nam fie tzw Gelub auff. Darnach ſchickt der 
Landtgraff' Serkog Heinrich mit fampt feinem Suhn, Her- 
tzog Karle, nach Kaffel. Was weyter daraus will werben, 
das will ich num gern fehen, dan es ift ein Kriegsvolk beyain- 
ander geweft tzw bayden Seytten, deßgleichen ich mein Le— 
benlang nit gefehen habe, vnd fonderlich Hertzog Heinrich, 
ber hatt eytel anßgeklaubte Knecht, bis in 12000 ftarkh, 
beögleichen 3000 iwolgerifter Pferbt, fo ich mein Tage, ſo 
mir vnd er gehabt haben, nit böfter Gunft gefehen habe, 
und ich hette Sorg gehabt, wan mein gn. Hr. mit feinen 


) Gandersheim Tiegt nur 1 Meile nörblih von Kalefeld, 


297 


Reuttern vnd Knechten nit gethon heite, jo were er bem 
Landtgraffen und Churfürften als ftark genug geweft, vnd 
er hette den 18. dito mit vns geichlagen, aber er hatte 
ein Schewen ob meind gnedigen Herrn Reuttern vnd 
Anechten.« 

Wolff Dieffftetter. 


XI. 
Aktenſtücke 
über die große Bewegung im deutſchen Adel 


in den Jahren 1576 ꝛc. 
Mitgetheilt von Dr, Landau, 





Die eigentliche Landeshoheit liegt in der Schaffung 
einer Obergewalt über bi8 dahin unabhängig geweſene Ge— 
walten, in der Gründung eines Rechtes, welches noch über 
dem Grafichaftsrechte fand. Wer alfo am fchwerften das 
durch berührt wurde, war ber Adel aller jolcher Gegenden, 
in welchen ſich ein Landſaſſiat nicht ausgebildet hatte, und 
der darum auch feinen andern Herrn al® nur den Kaiſer 
über fich anerfannte. Wenn auch nad) der Natur der Dinge 
die Landeshoheit fih nur ſehr allmälig, nur Schritt für 
Schritt ausbildete, fo mußte fie Doch, bier früher, dort 
fpäter, je nach den obwaltenden Berhältniffen, auf Wider- 
fand ſtoßen. Dies ergibt auch die Geſchichte des erften 
Bierteld des fechszehnten Jahrhunderts in mannigfachen 
Thatfachen, vor allem in der Erhebung des edlen Franz 
von Sickingen. Es war auch keineswegs fein Untergang, 
welcher die Bewegung des Adels gegen die Fürftengewalt 
hemmte, was dieſelbe ins Stocken brachte, war vielmehr 
der verwüftende Aufftand der Bauern. Bald nach deſſen 
Bewältigung beginnt der Widerſtand der Nitterfchaft von 
Neuem fich zu beleben. Es zeigt fich aber noch Teine Ei- 





298 


nigung ,‚ wenn auch einzelne gewaltige Erjcheinungen, wie 
3. B. in Wilhelm von Grumbach, herwortreten. Eine folche 
Einigung über weite Gebiete, eine wirklich organifirte Ei» 
nigung, man Tann fagen eine Verſchwörung, wird erft 1576 
bemerflih, und erſt da beginnt fich ein über den größeren 
Theil von Deutjchland ſich ausdehnendes Netz zu fpinnen. So 
bedeutungsvoll und jo gefahrbrohend indeß dieſe Verbrüde— 
rung auch erſcheint, ſo iſt dieſelbe auffallender Weiſe doch bis 
jetzt in der Geſchichte gänzlich unbeachtet geblieben. Alles, 
wa8 mir davon befannt geworden, gründet ſich lediglich 
auf die nachfolgenden Altenjtüde H, es ift aber wohl ficher, 
daß viele Archive noch ein reichhaltigeres Licht darüber zu 
geben im Stande find, Ich halte e8 darum für gebo- 
ten, dieſe Aftenftüde zu veröffentlichen, damit. dadurch 
Beranlaffung zu weiteren Nacforfchungen gegeben werde. 
Berrann die Bewegung auch erfolglos in fich felbft, und 
mußte fie auch nothwendig Dies Schidſal haben, weil ſie 
zu fpät kam, fo bleibt fie dennoch eine Thatſache, die für 
die Geſchicht unſerer ſtaatlichen Entwidelung von größter 
Bedeutung iſt. 


D Ausſchreiben der Ritterſchaft. 
7. Januar 1577. 

Vnſer freundtlich vnd gutwillig Dienſt zuuor. Edler, 
ehrnueſter, lieber Vetter, Schwager, vndt gutter Freundt. 
Zu mehrmaln iſt dieſer vnd ihnenſeits von der Ritter- 
ſchaft vnd Adel des Rheinſtrombs vnd der Wederaw vmb 
Abfuigung großer merklicher Grauaminum, vnd hochnadh- 


*) Eine hiſtoriſche Skizze dieſer Bewegung, ſoweit dieſe Aktenſtücke 
mir dazu Stoff boten, habe ich in meinem in der 1858 ftattgehab- 
ten Hauptverfamfmung unferes Vereins gehaltenen Bortrage gegeben. 
Abgedruckt ift diefer Vortrag in der Kölnifchen Zeitung 1859 Nr. 
107. Ich wählte dieſes Blatt, weil ich dadurch in den rheinifchen 
Archiven, wo am erften noch weitere Nachrichten zu erwarten find, 
zu Nachforfchungen anregen wollte, ° 


298 


teylicher Beſchwerdten, fo von Churfürften, Fürften, Grauen, 
Herrn vnd Stetten des Reichs ihnen zu Abgang und Ver⸗ 
berben 'geteichen und wibberfahren, etlich Zeit Daher alfer- 
handt Bedenkens vnd Berathichlagung angeftelt, vnd vor 
die Handt genommen worden, jedoch als nicht gnugſamb 
vnd vollommener, richtiger vnd gewießer jonderbarer Bericht 
hierin zuekommen vnd furbracht, deren Abichaffung bi da= 
hero (obgleichwol zimlicher gutter und vngefparter Vleiß 
angewendt) angeftanden und verplieben. 

Sintemal aber nuhemehr an demjenigen, da8 vieleicht 
in furzem die jtig Röm. Kay. Maift. vnſer allergnedigfter 
Herr ihre Kay. Commiſſarien zu jedem Kreiß vnd Ortt, 
vns Denen von deren Ritterfchaft und Abel die Yang vnd 
vielmals geclagte Grauamina in specie zuuernemen, vnd 
darauf alle kay. Gepür zuerzeigen, inmaßen dan die negſt 
furgehende Röm. Kay. Maift., hochlöblichiter Gedechtnus, 
deswegen allergnedigften Beſcheyd erftverrudtes 1576 Ihars 
den 9. Octobris zu Regenkpurgf allergnebigft mitgetheilt 
alfergnebigft aborbnen und zue fenden werben. 

Als haben wir wegen gemeiner Nitterfchafft dieſes 
Ortts, denen allen vnd jeden zum beften und gebeyelichen 
Vffkommen, nicht vmbgehen, fondern auch hiermit zeitlich 
gnugfam ankündigen vnd vergewießen wollen,’ dahe ir einig 
mehr oder viel Grauamina und Beſchwernus, es were gleich 
von Churfürften, Fürften, Grauen, vnd Herrn, Stetten oder 
andern Reichsitenden, ir dieſelbig alle vnd jede richtig or⸗ 
bentlih, wie fie in ber Substantz der Warheit gejchaffen, 
vndt einen Grundt haben, vleißig vnd verftendiglich in 
Schhrifften begreiffen vnd verfaffen, volgendt hiezwiſchen 
Cathedra Petri den 22, Februarii, oder zum älferlengiten, 
zwifchen dem heiligen Sontag Reminifeere negftlünftig in 
der Burg Friedburg Schreyberet und oder vnſeren Beuehl⸗ 
habern zufügen. vnd ſchicken Yaßen, fol alsdan beshalb zu 
deren Kay, Sommiffarien erſt Ankunft inen furberlichft 





300 


vberantwort, vnd vmb allergnebigft Abfügung ſonderlich 
ſupplieirt vnd angeſucht werden. 

Das haben wir euch zuberichten hiermit nit verhalten 
wollen, vnd ſeyndt euch darbeneben zue annemblichen gutt⸗ 
willigen behaglichen vnd gefelligen Dienſten gneigt vnd 
erputig. 

Datum Friedburg den 7. Januari Anno etc. 77. 
Berordente Haubleute, Räthe und vom Aus- 
ſchuß deren Nitterfchafft und nom Adel in ber 
Wetteraw, vffm Wefter-Walde vnd im Ringgaw. 


2) Kurfürſt Auguſt von Sachſen an Landgraf 
Wilhelm IV. von Heſſen-Caſſel. 
20. März 1577. 

Vnſer freundtlih Dienft und was wir mehr Liebes 
und Gutes vermögen zuuorn. Hochgeborner Fürft, freundt- 
licher lieber Vetter, Schwager, Bruder vnd Geuatter, Eure 
Liebde wiſſen fich zu erinnern, was fie des heimlichen Ber- 
ſtendnuß halbenn, fo Die Kreife oder Otter (Derter) ber 
fregen Frenkiſchen Nitterfchafft mit anderer geiftlicher vnd 
weltliher Chur⸗ vnnd Fürften Vnterſaſſen vom Adel fur- 
habenn follen, zu eßlichenmahlen vertrewlich an vns gejchries 
benn, vnd wir berjelben hierauff wieberumb zur Antivort 
gegebenn. Wiewohl fih nun die Ritterfchaft der zweyer 
Dertter an der Röhn und Werhn in Buchen gegenn vnns 
vnd E. 82. erkleret, Das jr Fürhaben zu feiner Auffwiglung 
oder Rebellion gemeint noch fürgenohmen, wie van die zu 
Hamelburg furgelauffenn Handlung jolches zum Theill auß- 
weijet, Daraus wir aber noch nicht jpüren können, ob der 
jtzige Standt und Regierung des Stieffts Zulda, darzu es 
die Ritterfchaft bracht, E. X. leidlicher vnd zuträglicher als 
der vorigen gemeinen Abte fein werde, jo werben wir Doch 
ferner glaublich bericht, das fich die Nitterfchafft unter den 
geiftlihen Churfürften hin vnd wieder zufammen thuen 
follen, im Zurhaben fich ihrer fürftlichen Hohen Bothmeſſigleit 


301 


oder Landtſaſſerei, wie fie e8 nennen, genklich zu entziehen, 
inmaſſen E. L. aus inliegenden Bericht etwas ausführlicher 
zu vernehmen. Vnd ob wol ſolches jtzo deſto Liverlicher 
geachtet werden möchte, weil e8 den Geiltlichenn begegnet, 
ift Doch darbey zu beforgen, warn die vom Adel jr Fürhaben 
ber Orth ind Werk richten und alfo perford erhalten folten, 
es möchten fich der weltlichen Chur- und Fürften Unter- 
ſaſſen nach folcher Freyheit auch geluftenn laffenn, von inen 
Barzu verhegt vnnd leichtlich mit inen in ein Horn blafen, 
daraus entlih ein Kuchen werben köntte. Weill dan an 
diefem Furhaben allen Chur= vnd Fürften fowohl auch etz⸗ 
lihen Grafen im Reich zum höchften gelegen, das dem⸗ 
jelben in Zeitten fürgetrachtet werde, vnd fih E. L. als 
Die der Orth am negften gefeflen ber Gelegenheit vnuer⸗ 
merkt am. beften erkundigen Tan, als ift vnſer freundlich 
Bitt E. L. wolle ich der Dinge vnnd was ferner furlaufe 
fen möchte, Ir felbft zum beften, in Geheim mit Vleiß 
erkundigen, vnnd was fie gründlich in Erfahrung bringet, 
vnns vmb Nachrichtung willen wicherumb vertreulich zuer⸗ 
fennen geben, dan do man hiermit umgehen jolte, muſte 
man darauf bebacht fein, ‚wie folche Practidenn gebrochen 
vnd wurde heifen principiis obsta gebempt, ehe das Teuer 
vberhand nimbtt und zu gewaltig werde. Hierinne werben 
fh E. L. zu Erhaltung gemeiner Ruhe vnd fehuldigenn 
Gehorſambs fonder Zweifel embfig und gutwillig erzeigen, 
band wir haben es E. L., die wir mit rechten Treuen meinen, 
freundtlich nicht onangezeigt Taffen mögen. Batum Anne 
burgt den 20. Martit Anno etc, 77. 


Von Gottes Gnaden Auguftus, Herzog zu Sachſſen, 
des heiligen Röm. Reiche Ertzmarſchalch und Churfürft, Landt⸗ 
graff in Duringen, Marggraff zu Meiffen vnd Burggraff 
zu Magdeburg. Auguffus Churfurft. 

‚ &eilage.) Ich bin vertraulich berichtet wordenn, das bie 
Rinerichafft im Ertzbißthumb Trier, deren doch nicht viell vber 
and. 


vum, 8 





302 


hundert fein jollen, fich wieder iren Herrn den Ertzbiſchoffenn 
vnd Churfürften expreſſe erfleret haben, da8 fie ime hinfuro 
mit einiger Landtſaͤſſerei nichte8 wollen vnterworffen oder 
zugethan fein, fondern wollenn vnter den reinländifchen 
freien Adell gezehlet fein. Es ſollen auch kurtz verfchiedener 
Zeitt, die Reinländifchenn, die im Stift Meint vnd im 
Wormſer Gaw vom Adel fich gar ftard zufammen verbundenn 
habenn, das fie hinfuro Feinem Chur= oder Fürften oder 
Grafen, er fet geiftlih ober weltlich, feine Landſaſſerei 
mehr leiften wollen, ſondern ſich fo ftard fie jeyen wieder- 
- feßen, wie fie dan albereitt vier Saubtleute unter inen ers 
wehlet, vnndt jdem zween Kriegsrethe zugeordenet, auch 
eine Zuſammenkunfft inn des von Triers Stedte eine Po— 
pheren *) (hab ichs anders recht behaltenn) genent, außge= 
ſchriebenn. Die Ausſchreiben ſeindt gedruckt geweſen, als 
wann der Kaiſer einen Reichstag ausſchreibt, daſelbſt auch 
zuſammenkommen in einer ſtadtlicher Anzahll, eine anfehen- 
liche Sontribution zuſammengeſchoſſen, in eine Truhe ge= 
than, und an ein ficher wohl verwarttes Ortt fuhren laffen, 
vnnd obwohl der Erkbiichoff von Trier zu inen geſchickt, fie 
zum höchftenn ermahnet, von dergleichen Furnehmen abtus 
ftehen, auch darwieder öffentlich proteftirt, fo hat e8 doch 
nicht helffen wollen, ſondern ſeind ftrad8 mit irer Handlung 
vortgefahren, follen auch noch teglich im Werd fein, mehr 
vom Adel vnd Nitterfchafft an ſich zu bringen. 

3) Die von Kronberg an Landgraf Georg von 

Heffen-Darmftadt. 
22. März 1577. 

Durchleuchtiger Hochgebprener Fürſt. © F. ©. 
jetenn vnnſere vnderthenige ſchuldige vnndt willige Diennft 
jederzeit zuuor, gnediger Herr. 

Vonn E. F. G. Lanndſchreiber it Dornbergk, Johann 
Senſenſchmidten, iſt vnnß ein Schreiben vnderm dato denn 
26. February ſchirſt verfloßenn, darinnen inn Nahmen ©. 


*) Boppart. 


303 
F. 6. er vonn vnſerenn inn dero Obrigkeit gelegenen 
Güternn Turckenſteur zu erlegen begehret, zukommen, vff 
welchs ©. 3. ©. wir fo bald vnndertheniglichen zuerſuchenn 
nicht vnnderlaſſenn heiten, jo binn aber ih Johann Eber⸗ 
hardt ettliche Wochen vber nicht inheimifch geweßenn. 

- Ob nun wohl diefe Ding mid) Hartmudtenn prine- 
paliter nicht, fonnder meiner Bruder Philipfenn vnd Walters 
vonn Cronbergk jehligen Söhne (welche doch nicht sui Juris, 
fonndern vervormyndert feinn) mit beruren thut, fo haben 
doh E. F. ©. wir bierunder vnnderthenig zufchreibenn 
teinen Vmbgang habenn kondtenn, dero vnderthenigenn 
Hoffnung vnndt Zuuerfiht E. 3. ©. vnnſerer mit der ge= 
fordertenn Steur, nachgefegter erheblihenn Vrſachen hal- 
benn, gnebiglidh verichonen werben. 

Erſtlich wiewoll wir vonn Cronbergk egliche Guter 
vnnd Gefel inn E. F. ©. Obrigkeit der Oberngrauefchafft 
habenn, welche gleichwohl inn Neuligkeit nicht erfaufft, 
fondernn bey vnnſerenn liebenn Vorelternn fehligenn vonn 
undenflihenn Sahren, auch bey Lebzeitenn der Grauenn 
zu Sabenelnpogenn, herfommen, vnndt alls freie adeliche 
vralte Stammguter je vnnd allmegenn, wann vonn denn 
romiſchen Keyſernn vnd Königenn, löblichſter fehlichiter Ge⸗ 
dechtnis, gemeine Reichſsanlagen suecgessiue vffgeſetzt, nir⸗ 
genndt anderſt hinn, dann inn die reinſche adelliche Ritter 
Truhenn verſteuret worden. 

Zum andernn, das vnſere Vorelternn vnndt wir ſon⸗ 
ſtenn von Chur= vnndt Fürſtenn, Grauen vnndt Herrnn, 
darunter wir nicht allein Guter, ſondernn auch adeliche Wo⸗ 
nung haben, auch E. F. ©. Herrnn Vatter, hochlöblich⸗ 
ſter Gedechtnuß, ſelbſt aller Contributionen vnndt Schatzung 
(derenn doch vonn Jahrnn zu Jahrnn nicht wenig eruolgt) 
biß dahero erlaſſen worden; zuedem wir gehnn Treiſa, oder 
andern heſſiſchen Lanndtagenn nit gehörig, noch daſelbſt je⸗ 
malls erſchienenn, vielweniger ichtwas bewilligt, alſo vnndt 
auß ertzeltenn Vrſachenn E. F. G. gnediglich zuermeſſen, 


9 


| 304 
das vnnß allenn vonn Cronbergk feinen (die wir Doch vnn⸗ 
der E. F. ©. nichts, dann allein inn der Oberngrauejchafft 
Catzenelnpogenn liegen haben) weder poena dupli, oder einig 
Vngehorſamb vffgelegt werbenn kondte. 

Zum Dritenn, fo habenn die Kay. Mayt., wie dann 
dem Reichsabſchiedt außtrudlichenn inferirt, vnndt vonn 
denn Stendenn alſo bewilligt worden, ihr die freie Reichs 
Nitterfchafft zu dieſer mitleidlichenn Hülff, wie biebeuor 
in ao. 66 vnndt 70 mehr beichehenn, zubewegenn vorbehals 
tenn, innmaßen dann die jegige Kay. Manft. denn Adel 
des reinischen vnndt wetterawiſchen Kraißes allbereit zufamenn 
zubefchriebenn allergnedigſts beuohlenn, vnndt ihre Commis- 
sarios dartzu verorbnet, 

Solttenn nun €. $. ©. wir vonn benenn inn Dero 
Obrigkeitt gelegenenn Guternn itzo Schatzung erlegenn, vnndt 

die volgents nichts deſtoweniger Allerhöchſtgedachter Kay. 
Mayſt. auch vor voll zu Erſtattung der gewohnlichenn Haubt⸗ 
anlage verſteurnn müßenn (wie wir dann deßenn erheblicher 
Vrſach halb nicht erlaſſenn werdenn mögen) wie bedencllich, 
ja zum höchſten beſchwerlich vnß allen ſolchs fallen würde, 
das gebenn E. F. G. wir gnedig zu bedenckenn, dieweill 
dann auch der obangeregte Tax, ſo der Lanndtſchreiber zu 
Dornnbergk vnnß zugeſchriebenn, was hoch, vnndt vnnſers 
Erachtens dem Traiſiſchenn Abſchiedt nit gemeß, ſo iſt dem 
allem, an E. F. G. inn Nahmen vnſerer aller vonn Cron⸗ 
bergk vnderthenig Bitten, ſie wollen vnnß auß obangezo— 
genenn vnndt andernn erheblichenn Vrſachenn nicht allein der 
poenae dupli, ſonndern auch angeforderter Steur gnediglichenn 
erlaßenn, vnndt vnnß mehr nicht, dann Dero hochlöbliche 
Vorelternn, vnndt wie vonn E. F. G. bißhero ſelbſt be— 
ſchehenn, beſchweren, ſondernn wie vonn Altters pleibenn 
laſſenn, innmaßen dann zu deroſelben wir das vnderthenig 
Vertrauenn tragen, wollen es auch vmb E. F. G. höchſtes 

Vermögens vndertheniglichenn vnndt willig verdienenn. 
Im Fall aber dießes vnſer Bitten vnndt Flehen vber 





305 


vnnderthenigs Verhoffenn nicht ftabtfifvenn, vnndt wir 
mit derogleichen Neurung beſchwert werbenn follenn, ſeinndt 
wir dero tröftlichen Zuuerſicht, darnebenn vndertheniglich 
bittenndt E. F. G. vonn vnnß in Vngnaden nicht vermerkenn 
ſollenn, da wir dieſer Anforderung halben vnnß allenn 
vonn Cronbergk zu hoch beſchwerlichem Eingangk nichts 
erſtatten köndtenn oder würdenn, ſondernn vnnß ſolchs 
nehmenn laßenn muſtenn, vielweniger Ihrenn Beambtenn 
vnndt Verordtnetenn darinnenn die Vbermaß vorzunehmenn 
verſtattenn. 
Mit nachmaligenn vnderthenigen Bittenn, wie gebet- 
tenn. Das feinndt vmb E. F. ©. wir jeder Seit i inn Vn⸗ 
derthenigkeit zuuerbienenn gang willig vnndt 'befließenn, 
derenn wir vnnß hiermit ondertheniglichem emphelenn thun. 
Datum Cronbergk denn 22. Martii Anno 1577. 
E. F. ©. Bnnderthenige 
Hartmubt ber Elter vnndt Johann Eberhard 
von Cronbergl. 


4) Landgraf Georg von Heſſen— Darmfladt an 
Hurtmuth d. 6. und Johann Eberhard von 
Kronberg 
28. März 1577. 

Bon Gottes Gnadenn George Landgraue zu Helfen, 
Graue zu Sabenelnbogenn ıc. | 

Dnfernn gnedigenn Gruß zuuor. Veſte Tiebe Ge- 
frewen! Wir feindt ewerd Schreibens, darinnen ihr euch 
beſchwert, vns die bewilligte Neichfteur vonn ewernn vn⸗— 
der vns gelegenenn Guternn zureichenn, vndertheniglichenn 
berichtet worden, darauff wir euch gnediglich nicht verhal- 
ten wöllenn, das wir nit gemeint fein, euch ahnn ewer 
berbrachten Sreyheit einichenn Abbruch zu thun, wie es 
auch vonn vnſerm Hernn Vatternn öhriftfehliger Gedechtnus 
nit geſchehenn, vnd mögen derowegenn wohl leidenn, das 
je vnndt andere Freye vom Adell ewere Steur der Kay. Mayſt. 





306 


vnßerm allergnedigften Hernn, vonn eweren außerhalb vn⸗ 
fer Ober- und Botmeßigleit gelegenenn Guternn erlegt. 

Das jr aber vonn dero Guter wegenn, die ohnn 
mittel inn vnſer vnzweiffenlicher Obrigkeit gelegenn, quch 
zum Theil vnſer Eigenthumb vnd ewer Lehnn ſein, mit 
den Steurenn vnd ſonſten vonn vnſer Botmeßigkeit eximirt 
ſein ſöllen, das könnenn wir vns nit erinnern, glaubenn 
auch nit das irs euch mit gutem Grundt anmaßenn werdet, 
ſintemahl das kundlich Herkommen ein viell anders auß⸗ 
weiſet, darumb ſich auch nit befinden wirt, das wir dies⸗ 
fals eiwas widder das Herkommen furnehmen, ſondernn 
viellmehr dasjenige, fo vonn weylandt vnſerm geliebtenn 
Hernn Vatternn löblicher vnnd ſehliger Gedechtnus vff uns 
geerbt vnnd herbracht iſt, eontinuiren. Derowegen wir. 
vns vmb ſouiell deſtoweniger verſehenn, das wir deſſenn 
wedder von euch noch von jemandts mit Fugenn vngutlich 
verdacht werben könnenn. Wie wir. vns dann auch zu endt⸗ 
finnen wißen, das die jüngft verſtorbne Kay. Mayſt. hochſt⸗ 
löblicher Gedechtnus in Anno 66 ahnn ermeltenn vnſernn ge⸗ 
liebtenn Hernn Vatternn, Gottſehligen, vff etzlicher vom Adell 
Anhaltenn, deshalbenn ein kai. Schreibenn, neben Vber— 
ſchickung eines damals gegenn etliche Chur- vnd Fürſtenn 
in una" außbrachten Mandats aufgehen Yaffenn, darauff 
aber irer Kay. Mayſt. derozeit .ein beftendiger vnnd folcher 
Gegenbericht zugefertigt, damit ihre Mayft. gnebigft zufrie- 
denn gewejenn, vnnd e8 dabey bis dahero bewenden laßen, und 
thut vnſers Erachtend was jr fonftenn der heffiichen Lande 
täge halber vorgemwendet, wenig zur Sachen, dann der feindt 
viel vom Adell, auch hohe Stifft, vnnd Clöſter, die hirzu 
nit beichrieben werdenn, vnnd gleichwohl ihr Gepurnuß 
bon ihren Guternn im Land zu Heffenn, vnnd denn darzu= 
gehörigenn Graff- vnnd Herrichafftenn gelegen reichen müs 
Benn, wie e8 Dann vonder allenn Chur- vnnd Zürften ge 
ſchicht. So heiten wir. auch wohl verhofft, was euch da= 
beuor auß Gnaden geichengt vnd nachgelaßenn, würdet ir 


9 
# 


307 


zu Dank angenommen, und nicht für ein Gerechtigfeit ans 
gezogenn habenn. 

Dieweil e8 dann . Gelegenheit hierumb hat, fo ver⸗ 
fehenn wir vns gnediglichen, ir werdet euch inn dem ferner 
nit |perren, fondernn aller pilligen Gebuer felbft bejchei- 
denn, vnnd zu vnnötiger Meiterung fein Vrſach geben. 
Welchs wir euch hinwidder nit verhaltenn woltenn, vnnd 
jeind euch ſonſten mit Gnaden gewogenn. Datum Darm⸗ 
-flabt denn 28. Martij Anno 77. 


5) Landgraf Wilhelm IV von Heſſen-Kaſſel an 
Randgrafen Georg von Heljen-Darmftabt, 
3. April 1577. 

Hochgeborner Fürſt, freundtlicher, Lieber Bruder vnnd 
Geuatter. Was vnſer freundtlicher lieber Vetter der Chur- 
fürft zue Sachen vonn wegen deſſen, Zas fich Die vnder 
denn geiftlichenn Chur⸗ vnnd Fürftenn vnd fonderlih am 
Rhein Gefeffene vom Adel hinn vnndt wieder zufammenn 
thun, vnd fich derfelbigen Chur» vnndt Fürften Bothmeilig- . 
feit zuentziehen vnderſtehenn follenn, ann vnns gejchriebenn, 
wir auch ©. L. darauf geantiwort, ſolchs haben E. L. ob 
inliegenden Copienn freundtlich vnnd vertrewlich zuejehenn, 
welche wir E. L. darayf freunbtlich communciren vnnd vbers 
jhiden, Dieweil wir vnns erinnern das ettliche vom Abel 
inn E. L. Lande vnd fonderlich die vonn Frankennſteinn, 
Walbron vnd andere fich folcher Freyheitt auch gerne ver⸗ 
meintlich. anmaßen vnndt fich der ſchuldigenn Eontributionen 
egimiren wolttenn, das berwegen E. 2. zue Einbringung 
berfelbigenn vnnd fteiffer Tuition vnndt Handhabung irer. 
Obrig- vnndt Bothmeſſigkeit vmb foniell ernfter gegen fie 
verfahren, inenn nicht8 vberall nachlaffen, ſondernn fie inn 
gebuerendem Gehorfamb und Subiection erhalttenn, auch vff 
denn Ball ihrer Wieberfegung, fie bißweilenn nurtenn wenig 
vbernn Zulpell werffenn laſſenn mögenn, inmaßen wir auf 
ann €, 8. biermitt freundtlich begertt haben wollenn, Do 





310. 


E. 2, haben vnns auch hiebeuor etliche Roßmarin⸗ 
Stock zugejagtt. Ob nuhn woll E. L. deren vergeflens, 
ſo ſeinds doch wir noch ingedend, — 


7) Landgraf Philipp von Heffen-Rheinfels an 
Landgraf Wilhelm IV. von Heffen-Raffel, 
16 April 1577. 

Brüderlihe Trew, vnd was wir mehr Liebs vnd 
Gutts vermögen, allezeit zuuor. Hochgeborner Fürſt, freundt⸗ 
licher lieber Bruder vnd Geuatter, E. L. Schreiben vnder 
dem Dato den 3. huius, haben wir zue vnſern ſelbſt Handen 
verwarlich bekhommen, erbrochen, verleſen, vnd daraus not⸗ 
turfftig verſtanden, was vnſer freundtlicher lieber Veiter, 
Schwager, vnd Bruder der Churfürſt zu Sachßen des rein⸗ 
lendiſchen Adells, vnd deſſen jungſten zu Popharten gehal⸗ 
tener Berathſchlagung vnd getroffener Vereinigung halben, 
ann E. L. ſchrifftlich gelangen laſſen, vnd deßwegen dieſel⸗ 
bige ann vns vertrewlich begert. Darauf wir dann alßbaldt 
ein vertrawte Perſon inn geheim abgefertigt, ſich aller Ge⸗ 
legenheit, vnd was in ſollichem allendthalben vorgelauffen, 
und von denen vom Adell beſchloßen, gründtlich zuerfhundigen. 

- Wann uns hun an heudt von der Perfon, fo wir 
abgeorpnet gehabt, fhrifftlige Relation zuefhommen, fo thun 
E. L. wir diefelbige hiermit inn brüderlichem Vertrawen vber⸗ 
ſchickhen (ſ. Nr. 8), onnd laffen wir vns bedunkhen, dag Die Zu⸗ 
fanımenfhunft deren vom Adell, nicht allein zue Pophart, ſon⸗ 
dern an mehr Ortten befchehen, vnd wollen E. 2. wir darneben 
‚nicht verhaltten, das vnſere Vnderſaßen vom Adell, deren 
gleihwohl-ein geringe Anzahl, wie ver jungft zue Treyßa 
gehaltener Landtagk außgefchrieben worden, fi ch vernehmen 
laſſen, was der Adel in der Obern-Graffſchafft bewilligen, 
vnd wie fich biefelbigen verhaltten wurde, dem woltten jie 
auch volgen, welchs und dann nicht ein geringe Nachden⸗ 
khens gemacht, dieweil der frendifch Adel, wie E. 2, bewuſt, 
faft den mehrer Theil deren vom Adell, fo vnder vnſerm 


311 


freundtlichen lieben Bruder vnd Geuattern Landgraff Georgen 
geſeßen, zue ſich ziehen, vnd alfo ire Liebven ber Landts 
fchagung endtweren wollen, wie dann auch faft alle vnſere 
som Adel, fo vndter ung gefeflen, vergleichen diejenigen, fo 
Gutter jnn onferm Ortt Landts liegen haben, die bewilligten 
Steuren hiebeuor, and zum Theil noch jtzo, onferm verordne⸗ 
ten Einnehmern zu liefern ſich geweigert, vnd noch weigern, 
aus denen Vrſachen, Das fie vorwenden, wie jre Boreltern 
vnd fie von Alters ihre Steuren jnn die Rittertruhen gein 
Friedtbergk vnd fonft nirgendts anderfthin geliefert, welches 
wir inen aber nicht alfo vor gutt haben paffieren, ſondern 
ibnen ire Gefelle ond Gutter inn Berbott legen laßen, 
dardurch dann der mehrer Theil zu gepürlihem Gehorfamb 
gebracht, vnd feindt wir mil ven vbrigen auch noch im 
Werkh, der Hoiffnung , fofern wir durch Maing jnn ben 
fünfzehben Dorffen, darin ver Churfürft vber das Blutt zue 
richten, nicht verhindert werden, von allen denen vom Adel, 
fo vnder vns beduetet, ‘die angelegte Steur, wo möglich 
solnfhomblich inzubringen, vnd vns auch nicht das geringfte 
son habender vnd hergebrachter Obrigfheit endtziehen zu laßen. 
Wir oberſchicken E. L. auch hiermit glaubwurdig Copei 
eines Schreibens (ſ. o. Nr. 1), welches der Burggraff zu Friebt- 
burg ann ‚die vom Adel, fo vonder pns gefeßen, vnd aud 
fonften begutet, gethan, daraus dieſelbige alle Gelegenheit ver- 
nehmen werben. Vnd feindt wir auch glaublich bericht, das bie 
ey. Mayſt. dem reinlendifchen Adel vff den 20. May on 
Zweiffel zue Inbringung ver Zürfenfteuer an einen benand- 
ten Ortt befchrieben.. Was nun derendts proponirt vnd 
geichloßen wirdet, fhan bie Zeit geben. Vnd haben E. L. 
wir ſollichs hinwiderumb vertrewlich off ihr Schreiben_nicht 
pergen wollen. Deren wir zue aller bruderlicher Dienfter- 
zeigung ganz bruderlich vnd freundtlich gewogen. Datum 
Rheinfelg ven 16. Aprilis Anno 26.77. 
Philips von Gotts Gnaden Landgraue zu Heffen, Graue 
zu Catzenelnpogen Philips L. z. Heſſen, 





312 


8) Beilage zum Schreiben des Landgrafen' 
Philipp von Heffen-Rheinfeld an Landgraf 
Wilhelm von Heffen-Raffel. 
Angelangt zu Kaffel am 23. April 1577. 
Durchleuchtiger hochgeborener Zürft, gnediger Herr! 
—Vff €. F. ©. Beuel bin ih ver bewußten Sachen halben 
an dem Ortt geweßen, mich bey einem Vertrawten erkundigt, 
wie uolgt. Ä 
| Es hat der Bifchoffe zu Trier im Februario des 
fech8 vnd fiebenzigften Ihars ein Landtag gein Cobleng 
außgefchrieben, darin er proponiren laſſen, welchergeftalt -ver 
Ersftifft in große Schulden geratten, das viel Empter ver- 
fest, ond große Penfion gemacht, durch den Krieg vor Trier, 
Einfuhrung des Keißers Frewlein Carolo nöno König 
zue Sranfreich und fonften, derwegen ein Contribution begert. 
Die Geiftlihen haben in ſechs Sharen zubezahlen be⸗ 
willigt 50,000 Gulden Bagen, die Landtfchafft 15,000 Gulden, 
thuit zufammen zwo Thon Golts. Dieß Gelt heben ſechs 
Derfon uff, follen damit ablöfen, das der Bilchoff Tas Gelt 
nit befompt, vnd muß jeded Hausgefäß ein Gulden geben, 
das vbrige wirbt vff die Guiter gelegt. : Dieweil aber vieß 
Jahr ein groß Mißwachs geweßen, hat man das Gelt nit 
sffpringen fünnen, berowegen Geiftlihe und Landtſchafft 
bie fech8 Ihare die pension erlegen müffen. 
Die Nitterfchafft hat gar nichts bewilligen wollen, 
vnd angezeigt, das fie gefreyet, müflen das re verdienen. zr. 
Die Landtſchafft hat dargegen furbradht, das fie off 
iren Koften auch im Kriege dienen muffen, vnd fauffen die 
vom Adel teglih in dießen theuren Iharen Guiter vmb 
- Burger vnd Bauren; wan die folten gefreyet fein, fo plei- 
ben dan die Onera uff der Landtfchafft, weldyes zum Höch- 
ften beſchwerlich. 
Darauff der Bifchoff beſchloßen, das er die Ritlerſchafft 
mit Recht am Chammergericht anclagen wolte, welchs vor 
damals folgenden Oſtern geſchehen ſolt. Iſt aber verplieben. 


313 


Derhalben fich die Ritterfchafft verglichen, ein gemein 
Belt Fur darnach zue Boppart in ein Kaften zuefammen 
gelegt, fih mit Recht zu wehren, dargegen der Bilchsue 
durch den Fiſcal proteftiren laßen. 

Nachmals ift in Februario des fieben vnd fiebenzigſten 
Ihars der Auſſchuß gein Röchme vff der Muſeln beſchrieben, 
aber im Vſſſchreiben nit vermeldt worden, aus was Vrſachen. 
Daſelbſt hat der Biſchoue furtragen laſſen, das man ſolt 
Mittel vnd Wege furſchlagen, wie die Ritterſchafft am 
Chammergericht anzuclagen. Der Ausſchuß hat ſich zuer⸗ 
cleren beſchwert, aus der Vrſachen, das ſolche Proposition 
im Ausſchreiben nit eingeleibt, vnd wenig von den Geiſtli⸗ 
chen erſchienen, vnd die anweſenden ohne der abweſenden 
Bepſein nichts deliheriren wollen. Alſo iſt ein gemeiner 
Landtage den 14. Martii dieß ſieben vnd ſiebenzigſten Ihars 
wider gein Wittlich außgeſchrieben. Vff dieſem Tage iſt 
- die Türkenſteur proponirt, dieweil aber die Ritterſchaft 
Sngchorfam ausplieben, auch Mißwachs und Theurung 
halben, fo bat man nichts fchließen können. Es haben 
aber die Geſandien bewilligt dem Bifchoff 6000 Gulden vff⸗ 
zubringen vnd zu lieffern, das ire Churf. Gn. den Ref 
vffbringen, bis vff ein andern gemeinen Landtage, welchs 
alſo bewilligt. 


Darauf der Biſchoff die Geiſtlichen, Nittere vnd 
Landtſchafft Dominica Cantate den 5. May zu Wittlich 
einzufommen befchrieben, von obgenannten Sachen zue trac⸗ 
tiren vnd zue beraihfchlagen. 


Was die Fey. Commiffarien verrichten follen, Hab 
ich nicht erfahren können, dan tag zuuermuetten, fie werden 
zwiſchen dem Bifchoue, Geiftlihen und Landfchafft gegen 
bie Ritterſchafft handlen, welchs auch auß beygelegter Copien 
der Burgkleuth zu Friedburgk (Nr. 1) an die vom Adel erscheint. 


Was dan die Burgf vnd Hauptleuth zue Friedburgk 
an bie vom Aosl gefchrieben, haben €, F. ©, aus beyuer⸗ 





314 


wartter Eopien zuefehen, welchs ich felbft aus einem mir 

zugeſchickten Driginali copiirt. 

Auf der Adreſſe ſteht: Zu S. L. ſelbſt eigen Handen vnd 
ſonſt Niemandt zu erbrechen. 


D Landgraf Georg von Heſſen-Darmſtadt an 

Landgraf Wilhelm von Heffen- Kaffel 

17. April 1577. 

Bruperliche Trew, und mas wir mehr Liebe und Gutes 
yermugen  zuuor. Hochgeborner Fürft, freundlicher lieber 
Bruder vnd Geuatterl & 2. Schreiben sub dato vom 
3. huius, darinnen fie vnns in brüderlichem Vertrawen zu 
erfennen geben, was an fie vnſer freundlicher lieber Better 
der Churfürft zu Sachen, wegen einer heimlichen Verſtend⸗ 
nus egliher vnd fonderlichen deren am Rein gejeßenen von 
Adel freundlich haben gelangen laffen, ift vnns verſchienen 
Sontags den 14. dieſes woluerwaret zufommen, und thun 
gegen €. 2. vnns folder vertrawlichen Communication gantz 
brüpverlich bedanden. 


Ob nun wol nicht ohn ift, wie E. L. ſelbſten erwehnen, 
das ſich je bißweilen die vonn Franckenſtein, Walbrun, vnd 
andere von ſchuldiger Contrihution der Reichs Steur zu 
eximiren, vnd als Freye vom Adell vnder den frenckiſchen 
Kreiß zu zelen vnderſtehen, welchs wir ihnen gleichwoll nicht 
gutt fein laſſen, vnd nunmehr vielweniger zuthun gepenken, 
ſo haben wir doch bisdahero dergleichen Ding, immaßen in 
des Churfürſten Schreiben angedeutet wirdt, weiters nicht ver⸗ 
merkt, alß was wir auß Hartmuth des Eltern vndt Johann 
Eberhart von. Cronbergk neherm Süchen, deſſen, wie auch vn⸗ 
fer Wiederantwort Copien (Nr. Z u. 4) E. L. hierbei zuem⸗ 
pfahen abnehmen mögen. Wir ſeindt aber berichtet worden, 
das der frenkiſche Adell jtzo ſtark zuſammen kommen ſeyn, 
vnnd zu Schweinfurt einen Tag haltenn ſoll, dahinn ſich dann 
auch vnſers Vermutens Hans Heinrich von Heuſenſtam, 
Ludwig von Frankenſtein vndt andere verfügt haben, ſinte⸗ 


315  - 


mall fie vor einer Wochen vnnd Ienger albereit abgereifet, 

vnd in noch ſouiel Zeitt nicht wieder anheim Tangen werben. 
Bid wiffen E. L. ſich noch ohne Zweiuel zu entfinnen, was 
wir dero hiebeuor mundlichen angezeigt, das vnns were glaub 
lichen vorfommenn, welcher geftalt ſich die frendifche vnd 
beuorab die im Stifft Fulda gefeßene vom Adel verbün- 
den, aud Belt zufammen gelegt heiten, in Meynung, da 
der Abtt wider eingefeßt folte werben, fich dem entgegen 
zu fegen, vnndt ihre Freyheitt felbft mit Gewalt zu manute⸗ 
niren, wie fie dann ann eplihe vom Adel im Landt zu 
Helfen gefchrieben, und diefelbigen gebetten hetten, vff denn 
Fall fi wider fie nicht beftellen noch gebrauchen zu laſſen. 
Obs aber alßo fey, wiſſen wir nicht eigentlich, E. 2. köntens 
am beften erfahren. Was fonft die Handlung der Tririfchen 
vom Adel belangdt, daruon haben wir gar fein Wiffeng, 
wir haltend aber darfür, E L. folten ſolchs alles jtzo bey 
der Gelegenheit im Badt vom Ergbifchouen und Churfürften 
zu Trier felbften (deſſen L. ohne Zweiuel & L. befuchen 
‘oder zu ihr bitten werden) vnnd im Fall das nicht gefchee, 
von vnſers freundtlichen lieben Bruders Landgraff Philipfen 
Cantzler D. Nordecken leichklich in. gewiße Erfahrung brin⸗ 
gen mögen. 

Woltenn wir E. 2. freundlich nicht verhalten, vnnd 
feind derfelben’ angenehme vnd brüderliche Dienfte zuerzeigen 
geneigt. Dasum Darmbftadt ven 17. Aprilis Ao. ⁊c. 77. 

Don Gotts Gnaden George Landgraue zu Heflen, Graue 
au Cabenelnbogen. 
. George Land. zu Heflen. 


410 Landgraf®ilhelmIV. von Heſſen-Kaſſel an 
den Kurfürften Auguft von Sachſen. 
17. April 1577. 
Vunſer freundtlich Dienft und was wir Liebs vndt 
Gutts vermögen zuuor. Hochgeborner Fürſt, freundtlicher 
lieber Better, Schwager, Bruder vnd Geuatter! E. 2. ver⸗ 








316 


trewlich Schreiben de dato Annaburgf, des Adels heimliche 
Verſtendnuß betreffend, haben wir fampt jngelegten E. L. 
daruon angelangten Bericht entpfangen vnd geleßen. Das 
wir nun E. L. darauff nicht ehr beantwortt, ift dahero 
verplieben, das wir vnſern beyden freundtlichen lieben Brü- 
dern Landgraue Philipßen vnd Landgraue Georgen, als 
deren 2. 2. nehſt am Nein gefeßen, dießer Dinge halben 
gefchrieben, vnd berofelbigen Bericht darauff biß dahero er⸗ 
wartet, welcher ung aber biß noch nicht einfommen, fobald 
er aber vns eruolgtt, fol er €. 2. onuerborgen pleiben. 
Ohne aber it es nicht, wie E. L. daruon fchreiben, das 
jtzo in Newlicheitt etzliche vom Adel, nicht allein diejenigen, 
fo under denn Pfaffen geleßen, fondern die auch in der 
Niedern Grauefhafft Cagenelnbogen wonhafftig, fich jegen 
ihre Oberherrn faft ſchwurig erzeigen, vnd fi) sub titulo 
eines priuilegij, fo Keyfer Wenzellaus, welder darnach vmb 
folher vnd vergleichen Hendell willen vom Reich entſetzt, 
denn frenfifchen vndt reinlendifchen Adell gegeben haben fol, 
vnderſtehen wollen, ſich der Landſaßerey gentzlichen zuentziehen, 
weder Steur oder anders zugeben, ſondern ſtracks freye 
Francken zu fein, wie dan auch ver fuldiſche Adell gleicher⸗ 
geſtalt Crafft eines priuilègij, fo fie von dernehſt abgeftors 
benen key. Mayſt. wollen habenn außbracdht, numehr dem 
Abbtt Feiner Jurisdiction ober fich geftenvig, fonvern fich auch 
vnder die freye Sranden zeblen thuen. 

Mas aber den Adell in vnſerm Fürſtenthumb betrifft, 
ifts nicht ohn, das wir deren egliche hartt darumb befpracht, 
ob ihnen auch jchtwas vonn foldhen Buntnuß wißentlich, 
oder derhalben an fie etzwas gelangtt, fo verneynen fie es 
jegen vns zum hochſten vnd wollen gar vnſchuldig fein, 
erpieten fich großes Gehorſambs. Gleichwoll aber ift nicht 
ohne, das ihrer egliche fih ſchwüriſch gnug erzeigen, wo 
etwo einer ein Hoff im Dorff hatt, den ehr over feine Vorel⸗ 
tern von Bauren erfaufft, der gleich vnſer Lehen nicht ift, 
fondern mit Gericht, auch zum Theil Zins vnd Dienft vns 


317 


verwandt ift, fie auch gemeined Dorffs Beholtzung, Waßer 
ond Weide.gebrauchen, fo underftehen fie fich Doch dießelbigen 
als freye Rittergütter, vnſer Landſteur zu eximiren, aud) 
fonftet allerhändt ongebürliche grauamina, ald das fie befugtt 
fein folfen, fein gulden Zoll, Holg- over Maftgelt zu gebenn, 
item off dem Bnferm an .einptheild Driten zu hetzen vnd 
zu jagen, vorzumwenden, befehweren ſich auch, das man fie 
zu Bezahlung vffrichtiger Schulden, item das fie ihre 
Bauren nicht ihres Gefallens ſchinden vnd ſchaben mögen, 
anhelt, vnd was dergleichen Dinge mehr feindt. Darauf 
wir uns woll laßen bedunfen, das fie Spinnen in ber 
Naben haben, vndt mit allerhandt Practiden vmbgehen, 
darumb mwoll von Nötten bierauff ein wachendes Aug zu 
haben, vnd fich nicht Tleinmütig jegen fie finden zu laßen. 
Dan E. 8. fehen aus den Erempeln beids Nieverlandts vndt 
Franckreichs quid faciat seditio Nobilium. Bitten derhalben 
freundtlih, was E. 2. hieruon infompt vns jeder Zeitt zu 
berichten, inmaßen wir E. L. berjegen was vns baruon 
ferner anlangt, hinfüro zuberichten vnd mit ihro jnn deme 
vertrewliche Correſpondenz zu halten nicht underlaßen wollen. 
Soviel dan betrifft, das E. L. nicht fpüren können, ob ver 
jeßige Standt, darzu es die Ritterfchafft des Stiffts Fulda 
bracht, vns leidtlicher vnd vwortreglicher fey, als der vorige 
gewefen, haben E. 8. leichtlich zu erachten, weil der Stiefft 
Fulda vnd wir Nachparn, vnd allerley nachbarlihe Gebrechen 
mit einander haben, dag wir die leichter jegen einen jchlechten 
Abbtt, als numehr der Fey. Mayft. die den Stiefft jbo Se- 
questers weiß inhatt, oder do fonftet ein Fürft, als etwa 
Beyern, wie man daruon redt, darzu kommen folte, würden 
außfüren können, wiewoll wir noc zur Zeitt an der bo 
angeftellten Regierung fein Mangell haben, Tonte es aber 
mit E. L. DBefurderung, wie wir woll ehr mit derfelbigen 
darvon gergdt, dahin gebracht werden, das vnſer Sohne 
einer zu dem Stiefft mit guttem Gewißen fonnte fommen, 


das wolten wir E. L. gar großen Danck wiffen. Mit freunde 
VIEH, Band. 21 





318 


licher Bitt & 8. wollen danneſt, wo fie konnten, uns in 
deme ein Freundtsſtück beweißen, dan wird darfür hielten, 
es konnte bey dießer Gelegenheit wol etwas erbaltenn 
werben, fintemal wir'nod wol alte. Brieffe haben, das 
vnſere Vorfahrn, von wegen ber Graueſchafft Ziegenhain 
den Schuß vbern Stiefft Fulda, auch Beftellung der peinlichen 
Justitien vnd andere Gerechtigfeitt mehr gehapt haben. 
Wolten wir E. L. hinwieder freundtlich nicht verhalten, 

Vndt feindt verfelbigen zu freundtlicher Dienfterzeigung ger 
neigt. Datum Caſſel am 17. Aprilis Ao. 77. 

Wilhelm von Gottes Gnaden Landgraue zu Heljen Graue 

zu Capenelnpogen. _ 

Wilhelm 2. 3. Heßen. 


11) Simon Bing Hauptmann zu Ziegenhbain ap 

Landgraf Wilhelm von Heffen- Kaffe 

18, April 1577. 

Durdleuchtiger hochgeborner Fürf. €. F. ©. feien 
mein snterthenige, ſchuldig vnd vleißwillige Dienfte jverzeit 
zuuor. Gnediger Fürft ond Herr! Dem Schreiben, ſo 
E. %. ©. mich am nechſten Dienftagf inn gnedigem Ber- 
trauen leſen laſſen, hab ich nachgedacht, und durch ein ge⸗ 
felig Geſprech von einer reifigen Perfon fouiel verftanden, 
daß der Churfürft nit aus einem Hundtsfopff Billet, dann 
das folhe Ding für feien, dauon will numehr was Ge 
rüchts ausprechenn, Brfach, ein Dyner des Mans, der ſich 
neulich fo rein für E. F. ©. inn diefer Sad gebrennet, 
hat zu demfelben reifigen Knecht gefagt : E8 feien inn Bey- 
ern vnd Standen dieſe Ding ſchon im Wergf, man gebe 
damit vmb jnn der Wetteraw, Wefterwalbt ꝛc. e8 auch zu 
Merk zu richtenn, 

Es wurden vnter anberm vier Dortores hierzu vnder⸗ 
haltenn, vnnd es fey an feinen Junkern gefonnen, wann 
er inn was befchweret were, inen den Andern ſolchs zuer- 
offnen ꝛc. 


319 


| Sp merk ih auch, pas etzwas hieruon wiſſendt iſt 
dem Mann, der jbo etzlich Tag meins Abweſens albier 
bat zufchn helffen, dann er zeigt mir an, das er gehoret, 
wie diefe Ding in DBeyern, Francken vnd am Rein furs 
lauffen, vnd mweis fonverlich viel von den Trierifchen zu 
fagen, das ſich die von Alters hero wollen frey gemwirfet 
haben, Wolt E 5. ©. zu einem mereren Nachdenken id 
alfo sndertheniglichen nit pergen. Dero ju Gnaden ich 
mid, damit ynderthenigft .bephele, Datum Biegenhain am 
18, Aprilis Anno dni. 1577. 
E. F. ©. 


vndertheniger, ſchuldiger vnd gleißwilliger 
Hauptman alhier S. Bing. 


12) Landgraf Wilhelm von Heſſen-Kaſſel an 
Landgraf Ludwig von Heffen-Marburg. 
23. April 1577. 

Sreundtlicher lieber Bruder vnd Geuatterl €. L. 
haben nuhmehr zweyffelsohne zu Ankunft vnſers Secretarienn 
Heiperges gelefen, was vnſer freundtlicher lieber Vetter ver 
Churfürft zu Sahfen von wegen des Adels hinn vndt 
wieder treybenden heymlichen Verftenttnus ann vns gefchries 
ben, wir auch ©. 2. darauf geantwortet, desgleichen was 
vnſer freundtlicher lieber Bruder Landgraff Philip vor 
zweyen Tagen deßhalben an ung vor Bericht gelangen laßen. 
Dieweill nun ſolchs einer Vffwiglung, und das man vns 
ben Fürſten den Adell gerne abfpannen, vnndt zur Wiebers 
ſetzung vnd Ensiehung fchuldigen Gehorfambd bewegen 
woltten, gleich fiehett, vnd dahero die Notturfft wol erfor« 
dert, bierauff ein wachendes Aug zu haben, vnd hierauß 
beforgenvden BVnrichttigfheiten in Zeitten sorzutrachtten, fo 
werden E L. ſolchem ires Theylls inn ihrem Lande, 
weniger nicht al von vns derogleichen gefchehen fol, auch 
mit Vleyß inn Acht zu nehmen, und fonderlich off iren im 


Bufederthall gefeßenen Adel eyn ernſtes Vffſzens zu habenn 





N 


320 


vnd Demfelbigen mit Entrichtung der Contributionen vnd 
Leiftung ander vergleichen Schulvigfheiten inn geburender 
Subiection vndt Gehorfamb zuerhalten, vnd ihnen nichts 
nachzulaſſen wiſſen. 

Woltten wir E. L. alß fr, 2. Datum Kaffel. am 23. 
_ Aprilis Anno ⁊c. 77. Wilhelm 8. 3. Heflenn. 


13) Landgraf Wilhelm von Heſſen-Kaſſel an 
den Kurfürſten Auguſt von Sachſen. 
24. April 1577. 

gr. lieber Better, Schwager, Bruder und Geuatter! 
Als wir vorgeftrigem unferm E. L. geihanen Schreiben 
nad, snferm fr. lieben Bruder Landgrauen Philipfen vonn 
des reinländifchen Adels Verbundtnuß und zu Popparten 
jüngft- gehaltener Berfamblung Bericht gethan, vnd ge- 
betten baben,. daß ©. L. diesfalls denn rechten Grundt 
vndt die dafelbft vorgelauffene Tractation vnd bejchehene 
Verabſchiedung erfahrenn, vnd ung daruon hinwieder be= 
richten wolten, fo thuen wir €. L. hierin uerwartt vber⸗ 
ſchicken, was ©. L. deßhalben vor Erfundigung einfommen, 
ihre L. auch darbeneben an ung gefchrieben. Darab dann 
E. L. den rechten Grundt vonn dießen Hendeln, vnd darauß 
vernehmen werden, Daß es faft einer Vffwicklung vnd das 
man vielleicht gerne denn Fürſten den Adell abfpannen, 
und ihres fchuldigen Gehorſambs engiehen wolte gleichfiehet. 
Darumb dann bierauff deito vleißiger Achtung zu geben von 
Nötten if, wie wir dan vnſers Theile zuthun vnd ung am 
gebührenden Gehorfamb weniger nicht al8 wir E.L. gefinnet 
wißen, nichts engiehen zu laßen, gemeint fein, ftellen auch 
zu E. L. rathlichem Gutachten, ob nicht yon dieſen Dingen 
pff vorſtehendem Deputationtag zu renden und die Kay. 
Mayft. ald noch ein angehender junger Herr, bierunter zu 
erjuchen, und vmb gebührlich Einſehens zu bitten fey, dar- 
mit ihre Mayft. fich nicht etwo von denjenigen, vie Feine 
Regirung leidenn Tonnen, verleiten oder verführen laßen. 


321. 


Innmaßen wir dann hierauf E. L. rathlichem Gutachten 
gewertig, vnd uns jnn dem mit E. L. Teichtlih vergleichen 
wollen. Vnd habens E. L. alfo fr. nicht verhalten wollen. 
Der wir ıc. Datum Caſſel am 24. Aprilis Ao. ⁊c. 77. 
Wilhelm L. 3. Heſſen. 


14) Landgraf Wilhelm von Heffen-Raffel an 
Landgraf Georg von Heffen-Darmitadt. 
27. April 1577. \ 

| gr. lieber Bruder vnd Geuatterl Wir haben E. 2. 

Antworttfchreiben de dato Darmbftabt den 17. Aprilis des 
frenckiſchen vnd büchenamwifchen Adels Confoederation betrefs 
fendt fampt darbey gelegten Copien, was die von Eronberg 
an E. L. vonn wegen vermeintliher Nichterlegung der Türs 
Aenfteuren gefrhrieben und E. L. ihnen darauff geantworttet, 
entfangen gelegen, welche Antwort vns dan mwollgefelt, 
wollen vns auch verfehen, fie die vonn Cronberg vnd an⸗ 
bere onder E. 2. geſeßene vom Adel, fo fich folcher Exemp- 
tion etwo gleichergeftalt zur Vngebur anmafßen wollen, 
werben ſich in Betrachtung ſoͤlchs E. 2. wolgegrundtenn, 
aud dem Reichs Abfchient vnd dem Herfommen gemeßen 
Berichts mit ihrer Erlegung ohne weitere Contradiction ges 
horfamblich vnd aller fchuldige Gebühr erzeigen. Do aber 
bie von Cronberg nochmaln vff ihrer Wiederfegung vnd 
angemaften Exemption beharlich beftehen würden, fo Tan 
nicht fchaden, das E. 2. ihnen eben rundt vorwerffen, weil 
onfer Herr Batter ihnen nicht allein das verwirkte, ſondern 
auch das erfauffte Theil am Eronenberg auß lauterer Gnadt 
vnd Feiner Pflicht wieder zufommen laffen, daß fie dero⸗ 
wegen folhe Gnadt und Gutthat billig bevenfen, vnd ſich 
mit Erlegung der Steuren, welchs ſich auch ohne das pil- 
lig geburte, nicht dermaßen beſchwerlich vnd wiederſetzig er⸗ 
zeigen, fonvern ſich vielmehr dargegen danckbarer verhalten 
ſollen. Bndamweil fie die von Eronberg in ihrem an & L. 
gelangten Segenbericht erwehnen, das fie aller bey vnſers 





322 


Herrn Vatters gotifeligen Lebzeitt kewilligter vnd erhabener 
Steuren erlaßen worden, ob wir dan wol vemfelbigen 
nicht durchauß Glauben zuftellen Fünnen, ſondern auß Be⸗ 
richt der Vnſern befinden, das ſolchs jeder Zeitt in Contra- 
dictione geweßen, jeboch bieweil die vomaln vbers Ober⸗ 
fürftentbumb gehaltene Regiſter nicht mehr inn hieriger 
snfer Chammer Regiftratur, fondern gein Marpurg vnſerm 
fr. lieben Brudern Landgr. Ludwigen faft aller zubracht 
worden vnd in S. L. Berwahrung feindt, fo haben wir 
an ©. L. gefchrieben und gebetten, dad ©. L. in denfelbi- 
gen Regifter nachfuchen laßenn wolten, wie e8 zu der Zeitt 
darmit gehalten, und ob vnd wie bie von Cronberg con- 
tribuirt oder nicht, zuuerfihtig ©. L. werben E. %. was 
fie daruon befinden .hierneben zuberichten nicht vnderlaßen. 

Was ſonſtet des frendifchen vnd buchenawiſchen Adels 
Confoederation betrifft, ob wir wol deswegen alle mugliche 
Erfundigung haben laßen, auch egliche unter vns Gefes- 
fene vom Arell des Echreibens halben, fo fie die Srendifche 
vnd Buchenawifhe vom Adell an denn thuringifchen vnd 
befiifhen Adell gethban haben follen, zu ernfter Redt vnd 
Befragung ftelen laßen, fo wollen fie die unfere doch vonn 
foihem Schreiben im geringften nicht wißen, aud wie wir 
vernehmen die Frenckiſchen vnd Buchenawiſchen vom Adell ſol⸗ 
cher Confoederation nicht dermaßen, wie fie außgefprengt, fon= 
dern fo weitt geftenvig fein, vnd vießelbige verdrehen, das 
wo mit felbft thatlicher Restitution des entſetzten Abbts au⸗ 
Berhalb der Key. Mayft. Beuelchs vnd Verordnung, vonn 
einem oder anderm , wie ein Gerucht außgeichollen, etzwas 
wehre vnderſtanden worden, das fie alsdan ſolchs nicht ge= 
ftatten, ſondern darjegen mit einhelliger Zufammenfeßung 
ihr Beftes thun wollen. Dieweil aber nunmehr vorlengft 
bie vff regenspurgifchem Reichsſstage verabfchinte und dem 
Teutjchenmeifter beuohlene Sequestration des Gtiffts Fulda 
ins Werk gerichtet und die Administration, desgleichen die 
Vnderthanen des Stiffts off gutwilligs Nachgeben und ſelbſt 


323 


Anweyfung des würkburgifhen Auch fulbifchen Capittels 
vnd Ritterfchafft in Eidt und Pflicht der Key. Mayſt. bie 
zu Außtragk dießer Sachen angenohmen, fo baltenn wirs 
barfür, das darmit dießenn Dingenn ihr Ausfchlagf gegeben 
vnd dieße Confoederation inn Brunnen gefallen ſey. &leich- 
wol Fan nicht fchaden, fondern will die Notturfft erfordern, 
dag man off der vom Adel Thuen ein gute Dffachtung 
babe, ihnen den Zugell nicht zu weitt laffe, vnd fie mit 
Bermweigrung und Dorenthaltung der Contribution und ders 
gleichen Echuldigfeitt nicht Nemwes, oder uns den Fürften 
Berfenglih& und Nachtheiligs einführen laße, darauf E. 2. 
ihres Theils mit Vleiß zu ſehen wißen werben. 

Wolten wir E. L. alfo hinwieder fr. nicht verhalten 
ond feindt ꝛc. Datum Caſſel am 27. Aprilis Anno ⁊c. 77. 

Wilhelm L. 3. Heſſen. 


15) Landgraf Ludwig von Heffen-Marburg an 

Landgraf Wilhelm von Heffen=Raffel. 

28. April. 1577. 

Bruderliche Trew, und was wir mehr Liebe vnd 
Guts vermögen zuuor, hochgeborner Fürſt, freundtlicher 
lieber Bruder vnd Geuatter! 

Vnns iſt E. L. Schreiben, vom 23. huius, an heudt 
wohll eingeantwortet worden. Nun ſeindt wir durch E. L. 
Secretarium Heinrich Heſpergernn, deßenn ſo vnnſer freundt⸗ 
licher. lieber Better ver Churfürſt zu Sachßen se. der heim⸗ 
lichen Verſtendtnus halber vnder dem Adell an E L. vnd 
E. L. hinwidder ann S. L. geſchriebenn, vmbſtendtlichen 
berichtet worden. Waß auch vnſere beyde freundliche liebe 
Brüder vnd Geuatter Landgraff Philips und Landgraff 
George re. an E. L. deßwegen gelangen laſſen, haben wir 
gleichergeſtalt verleßenn, iſt vnns aber außer deßen, ſo wir 
E. L. durch vnſern Stadthalter hieruonn anmelden laßen, 
nichts bewuſt. Wie aber dem, ſo will ein hohe Notturfft 
ſein, ſolchenn Dingen der Gebür nachzudencken, wollen der⸗ 


M 





324 


halbenn wir ann vnnſerm Orth bierauff ein Aug halltenn, 
vnd ſouiell an vnns ihnen bierein nicht Raum laßen. 

Souiel die Buchſeckerthaler anlangt, haben viefelbe 
gutwillig contribuirt, vnd haben wir fonderlid dieß Orths 
Niemandts vnderm Adell vernommen, die ſich deren verwei⸗ 
gert hetten, außerhalb der Cronberger vnd Brendell, der— 
wegen wir aber vnnſern Beampten ernſten Beuelch thun 
laſſen, vonn ihrenn vnder vnns gelegenen Guttern ihr ge— 
bürendes Antheil dem treyſiſchen Anſchlag nach, vonn ihrenn 
Colonis vnweygerlich einzubringen, vnd iſt unſer freundtlich 
Bitt, E. L. wolle vnbeſchwertt fein, waß ihro deßwegen 
fernner einkommen wirdtet, vnnß gleichergeftalt inn brüber- 
lichem Vertrawenn zuberichtenn, waß dann vnns hiruonn 
anlangt, ſoll E. L. hingegen vnuerhalten pleiben. 

Wolten wir E. L. hinwidder freundtlich nicht verhalten, 
vnd ſeindt deroſelben zu angenehmen bruderlichen Dienſten 
jeder Zeit geneigt. Datum Marpurgk am 28. Aprilis Ao ꝛc. 77. 

Bon Gottes Gnaden Ludwig Landgraue zu Helfen, Graue 
zu Catenelnbogen ꝛc. 
Ludwig L. 3. Heflen. 


Diefem Echreiben ift nachftebende Beifchrift Heinridy 
Hesberg's, Sefretars des Landgrafen Wilhelm, beigefügt: 

Auch gnebiger Fürft ond Herr, hab ich Hefperger allein 
Landgraff Ludwigen die mir mitgegebene Copien des Chur⸗ 
fürften zu Saren Schreiben und E. F ©, darauff gegebene 
Antwort, auch Simon Bingen Schreiben, deren vom Adel 
heimlich vorftehenden Confpiration halber in Vertrawenn 
Iefen laffen. Darauff fein F. G. mir angezeigt, das ©. F. ©. 
deßwegen woll auch allerlei gehort, wolten aber ein vleißig 
Auge darauf haben, und was fie deßwegen in Erfarung 
pringen, €. F. ©. unfeumblich zuerfennen geben. Datum pt 


in Ltris. u 
9. Hefperg. 


325 


16) Kurfürft Auguft von Sachſen an Landgraf 

Wilhelm von Heffen-Raffel, | 

1. Mai 1577, 

Vnſer freundtlih Dienft, und was wir Liebes vnd 
Buttes vermögen zuuor, hochgeborner Fürſt, freunplicher 
lieber Better, Schwager, Bruder vnd Geuatter! .Aug E. 2. 
Schreiben am Dato Caffel den vier vnd zmwanzigften des 
jüngft vorfdsienen Monatstags Aprilis haben wir vors 
nommen, was ed vmb des reinländifchen Adels jungft ges 
haltener Zufammenfunft zu Popparten für eine Gelegenheit 
habe, thun vns derwegen foldher Communication freundtlichen 
bedanden, wie berurter Adel noch zur Zeit nur alleine jnn 
Surhabeng, fich fegen dem, was ihn aufferlegt werven will, 
mit Recht aufzuhalten, auch ihre Grauamina den Feiferlichen 
Commiffarien fürzubringen. Sp feind wir doch mit E. L. 
befien einig, das hierinnen nichts minders ein guttes fleiffig 
Auffachtung zu haben, damit nicht etwan under dem Schein 
ein anders gefucht werde, vnd ferner Weiterung daraus 
erfolgen möge, halten e8 aber gleichwol darfür, wan ein 
jeder Landeßfürſt bei feinen Unterthanen dies geburende 
ernfte Einjehen furwendet, dag alle Gelegenheiten, fich etwas 
wider fchuldigen Gehorfam zu vnderſtehen, vorhütet vnd 
yormiten werte. Es fol hierdurch diefer und anderer bes 
jorglichen Gefhar leicht zubegegnen vnnd zu flewren fein. 
Könnten auch demnad aus allerhand bewegenden Vrſachen 
noch zur Zeit rahtſam nicht erachten, das derowegen auf 
furftehenden Deputationtag fonderlihe Berathichlagung an- 
geftellt werben folte. Das aber auch die Stende, die fi 
etwa von ihren Vnterthanen Wiederwertigfeit zubefahren, 
Die Röm. Key. Mayft. ver Gelegenheit berichteten, und vmb 
ernſtes Einſehen erfucheten, folches Fönte vnſers Erachtens 
füglichen woll gefchehen, weil auch diesfals vmb fouil Defto- 
mehr die Notturfft fein, dieweil wir vormerken, das, wie 
gemelt, die NRitterfchafft ſelbſt folhes an die Key. Mayſt. 
gelangen zulaffen bedacht ſei. Wolten wir E. L. zu begerter 





326 


Antwort freundtlicder Meinung nicht bergen und E. L. freunbt- 
liche Dienfte zuerzeigen feind wir willig. Datum Stolpen, 
den 1. May Ao ıc. 77. 
Bon Gottes Gnaden Auguftus, Herzogk zu Sachſen, des 
heiligen römiſchen Reichs Erzmarfchalch vnd Ehurfürkt, 
Landgraff inn Düringen, Marggraff zu Meiſſen, vnd 


Vurggraf zu Magdeburg. 
Auguftus Churfürſt. 


17 Nachſchrift eines Schreibens des Landgrafen 
Gr tg von Heffen-Darmflabt an Landgraf 
Wilhelm von Heffen-Laffel. 

Angelangt zu Kaffel am 22. Mai 1577, 

Auch freundtlicher lieber Bruder vnnd Geuatter, wir 
wollen E. L. freundtlich nicht verhalten, das wir jnn Er⸗ 
fahrung kommen, das die reinländtichen vnnd zur Burg 
Friedbergk gehörige vom Adel denn 22. huius zu. Meintz 
zufammen fommen werden, vnnd feyenn (wie wir ans 
irem Schreiben verfehenn) vonn einem Feyferlichen Abgeſandten 
bahinn gefordert. Was nun inen proponirt wirbet, bag 
fonnen wir nicht wiffen. Es hat gleichwoll die Burg Fried⸗ 
bergt an Gilbrechten vonn Carben, vnſern gewefenen Hoff: 
meifter, geichrieben, und darneben vermeldet, daß fie ent- 
fchloßenn feyen, die Propofition antuheren, vnd ihre Be⸗ 
fhwerungenn darbey auch angugeigen, derhalben fie begeret, 
do gemelter vonn Carben auch etwas vorzubringen. hette, 
Das ehr folhe Beichwerungen alsdann mit anzeigen folte. 
Mas nun ire Befchwerungen feindt, ift vnns nicht bemuft. 
Wir wollen aber nicht vnderlaßen deßhalben vleißige Nach⸗ 
forfhung zu thun, vndt was wir deßwegen inn Erfahrung 
bringen werden, folhs fol E. 2. vnuerborgen pleiben. 


Datum vi in litr. 
| | George Landg. zu Helfen. 





327 


18) Hartmuth v. 4. von Kronberg an Hans 
von Berlepſch. 


24. Februar 1583. 


Die Korreſpondenz bricht mit dem vorſtehenden Briefe 
ab, oder richtiger: ich habe ihre Fortſetzung nicht gefunden. 
Daß aber die Bewegung im Adel noch fortdauerte, zeigt 
fi in dem nachfolgenden über fünf Sabre fpätern Schreiben 
des mainzifchen Oberamtmanns Hartmüth d. ä. von Krons 
berg an Hand von Berlepſch, geheimen Rath des Land⸗ 
grafen Wilhelm von Heſſen; es zeigt daſſelbe zugleich aber 
auch, daß der Adel bereits geſpalten war. 


Hartmuth ſchreibt: 


Nah Erbietung meiner gantz willigen Dinſte mit 
Vermogen alles Guten bevor, geftrenger edler und ehrnvefter 
freundlicher gelipter Schwager und vertrauter guter Freund. 
Sch habe euch onlangft bey einem eichSfelder Botten aller= 
band vertraulich8 gefchriben vnd den Brieff dem Bogtt 
vff Biſchoffſtein zu Handen vberfchictt, euch folchen zu zu⸗ 
fertigen, jn Hoffnung es folle befcheen fein. Wie ſichs 
anfehen left, ſtehen wahrlich die Sachen gantz geferlich vnd 
ift wahrlich allen vnſern gnedigften und gnedigen Chur⸗ 
vnd Furſten die Ding in gutter Achtt zu haben hoch nötig. 
Werden (wie wir nitt zweifelt) die Ritterfchafft, ſonderlich 
am Reinftrom, Francken und Schwaben aller Gepuer und 
zum Bellen haben. Wer obel und nitt adelich handelt, den 
hole der Teuffel. Was ich meins geringen Bermogens dar 
zu rahten und befordern fan, das thue ich mit allen auffers 
fin Willen. Hinwider verfehen wir uns zu ihren cdur- 
ond fürftlichen Gnaden geifllichen vnd weltlichen aller billichen 
Droteftion. Konten vnſers Teilß die Erg- vnd Stiffte, wie 
aud den geiftlichen Stand nitt lafjen, daran nitt allein vns, 
fondern auch hochgedachten höhern Stenden nitt wenig, 
fondern viel gelegen. Bon dem allen aber wehr baß zu 


A 


328 


reden, Dan zu fchreiben. Bieleicht fett ein andere Maus 
vonder dem Saume. *)« 
Der weitere Brief handelt über mainzifch = heffifche 
Berhältniffe, welche nicht hierher gehören, und fchließt mit 
den Worten: „Ob die jtz in der Welt vmblauffende Hendel 
aus guttem Kiffer vnd nit etwo vnder dem Schein des 
heyligen Euangelii andere Dinge gemeint vnd gefucht, daran 
zweiffeln viel, und ift foldhes dem Almechtigen, dem Erfenner 
aller Hergen, am beften bewuft, der zu feiner Zeit das 
Gute vnbelohnet vnd das Böſe vngeſtrafft nitt leſt, reli- 
qua in presentia, indeſſen gnedigen Schutz vnd Schirm 
ich euch treulich beuele. Datum Aſchaffenburgk jn Eil 
den 24. Februar Anno 83. Diß alles in vnſerm hohen 


Vertrauen. 
Hartmudt von Cronenberg der Elter. 
XIV. 
Die Bevölkerung Kurheſſens und deren 
Bewegung. 


Mitgetheilt von Kurfürſtlicher ſtatiſtiſcher Kommiffien. . 





Die Ergebniffe ver Bolfszählungen in Kurheſſen von 
1827, 1832, 1834, 1837, 1840, 1843, 1846 und 1849 
find in ven ftatiftifchen Mittheilüngen über die volfswirth- 
fchaftlichen Zuftände Kurbeffens von Br. Hildebrand, Berlin 
1853, veröffentlicht worven. Wir laffen hier vie der Zäb- 
lungen von 1852, 1855 und 1858 in gleicher Ausführliche 
feit folgen (Anlage A. B. und C.) und fchließen denfelben 
weiter die Hauptergebniffe einiger älteren Volkszählungen, 
welche in den legten Jahren des vorigen und den erften 
Jahren viefes Jahrhunderts in den Heſſen-Kaſſelſchen Landen 
ſtattgefunden haben, an (Anl. D.). ; 


| *) So fteht e8 deutlich, Doch was es heißen fol, weiß ich nicht. 


x 





8329 \ 


In diefer früheren Zeit fcheinen in Heffen regelmäßig 
in jevem Sahre oder wenigftens in jedem zweiten Sahre 
Zählungen und Zufammenftellungen ihrer Refultate vor⸗ 
genommen worden zu fein, welche Die Bevölferung nach 
ihren verfchiedenen für den Staat beſonders wichtig erfchei- 
nenden Kategorien (nach dem Gefchlechte, Alter der unverhei- 
ratheten Mannsperfonen, ehelihen Verhältniffen, Militair- 
und Civildienſte, gewerblichen, fünftlerifchen ꝛc. Berufe, chrift- 
lichen oder jüdiſchen Religionsbefenntniffe ꝛc) unterfchieven, 
und daneben auch den Biehftand nach den einzelnen Gattungen 
des Viehes darftellten, Die fpeziellen Nachrichten über viefe 
amtlichen Erhebungen haben noch nicht aufgefunden werben 
fünnen. Das, was hier (in Anl,D.) davon mitgetheilt wird, 
ift aud General: Abfchlüffen entnommen worden, welche der 
Kurfürftlichen ftatiftifchen Kommilfion aug einer Privatfamm- 
lung zugefommen find. Nur über die Zählung vom Jahre 
1795 find fpezielle big auf die einzelnen Aemter und Städte, 
Dorfichaften und Höfe herabgehende BVerzeichniffe bei einem 
hiejigen Antiquar zum Vorfchein, und von da in den Befig 
der Kurfürftliden Kommiſſion für landwirthfchaftliche Anz 
gelegenheiten gefommen. Die Nachforfchungen nad den 
Driginal-Aften und Berzeichniffen über jene älteren Zäh— 
lungen, welche ein fehr ſchätzbares Material zur vergleichen- 
den Etatiftif Kurheſſens enthalten, werden noch fortgefegt, 
und behalten wir und vor, auf diefen Gegenfkand in einem 
die älteren Zählungen fpezieller betrachtenden Auffage zurüd- 
zufommen. Hier mögen jene älteren Nachrichten Cin An— 
lage D.) nur dazu dienen, Das Anwachſen ver Benölferung 
während der 12 Jahre 1793 bis 1805 in den größeren 
Gebietstheilen nach deren damaligen Beſtande anfchaulich 
zu machen. Es mußte dabei die ältere Eintheilnng des 2“ 
Landes beibehalten werben, weil in Ermangelung volflän 
diger Angaben über die Bevölkerung der einzelnen Orte in 
jenen Jahren eine Darſtellung nach der dermaligen Einthei⸗ 


lung unausführbar war. | 





330 | 

Die im Detail vorliegenden Nachrichten über die Zah—⸗ 
lung son 1795 haben indeſſen dazu benugt werben fünnen, 
über das Anwachſen der Bevölkerung in ven einzelnen Thei⸗ 
len Kurheſſens nach der dermaligen Landeseintheilung wäh⸗ 
send eines 63jährigen Zeitraums Cvon 1795 bis 1858) 
Aufichluß zu erhalten, welcher aus der weiteren Ueberficht 

(Anlage E.) zu erfehen ift. J 
In dieſer Ueberſicht ſind die ſpeziellen Bevölkerungs⸗ 
angaben von 1795 nach der gegenwärtigen Eintheilung des 
Kurſtaats in Juſtizamtsbezirke, Kreiſe und Provinzen zu⸗ 
fammengeftellt und mit den Ergebniſſen der neueſten Zäh— 
lung von 1858 verglichen worden. Bon den dazwiſchen 
fallenden Zählungen hat man nur 2 berüdfichtigt und bie 
vergleichende Darftelung mit darauf erftredt. Einmal bie 
Zählung von 1849, welche die größte Volfszahl ergab, und 
feit welcher die Bevölferung ſich vermindert. hat, und ſodann 
diejenige Zählung, welche nach Vertreibung der Fremdherr⸗ 
ſchaft und Wieverherftelung des Kurftaats zunächſt fatte 
gefunden hat, und worüber fpeziele Nachrichten vorliegen. 
Es ift dieſes für die Lanvestheile aus dem Bezirfe ber 
früheren Regierungen zu Caſſel und Marburg die Zählung 
von 1819 (angeordnet durch das Negierungs-Ausfchreiben 
som 31. Juli 1819 für den Caffeler.. Regierungsbezirk, 
Geleg- Sammlung ©. 40, und durch ein gleiches Ausſchrei⸗ 
ben vom 28. Auguft 1819 für ven Marburger Regierungs- 
bezirk), da die im. Jahre 1817 im Erfteren und 1818 im 
Kesteren vorgenommene Zählung wegen Webergehung. ber 
Militärperfonen nicht vollſtändig erfchien. Bei den übrigen 
Landestheilen aber ericheinen die im Staatskalender von 
1819 berüdfichtigten Zählungen von 1816 im Hanauifchen 
und Sfenburgifchen, 1817 over 1818 im Großberzogthum 
Fulda, uud 1818 in der Grafihaft Schaumburg als jene 
bier in Betracht gezogenen näcften Zählungen nach ber 

Wiederherſtellung des Kurfürſtenthums *). 

*) Wenn Hildebrand in ſeinen ſtatiſtiſchen Mittheilungen bie. Angaben 


—* 
4 
10} 





331 


Zur vergleichenden Darftelung ber verhaͤltnißmaͤßig 
arößeren oder geringeren Veränderung der Volksmenge iſt 
in der Anlage E. zugleich angegeben worden, wieviel Pros 
zente biefe DVeränverung in dem Zeitraume von einer Zähe 
lung zur anderen und zu der son 1858,- fowohl im 
Ganzen, wie bei .einer Repartition auf bie einzelnen Jahre, 
alfo im Durchſchnitt, betragen bat. 

Da bei diefer Darftellung der gegenwärtige Beftanb 
son Kurheſſen ind Auge gefaßt wurde, mußte aus ven 
älteren Bevölferungsangaben. die Benölferuug ver feitvens 
abgetretenen Gebietstheile ausgefchieden werben. Bon ven 
zugegangenen Gebietstheilen fehlten bie Bevölkerungsan⸗ 
gaben aus 1795. Es fonnten deshalb die hierauf bezüglichen 
Spalten nicht ausgefüllt werden. Wo foldhe Zugänge der⸗ 
malen mit älteren Gebietstheilen zu einem Amtsbezirke ver⸗ 
einigt ſind und demnach nur von einem Theile des letzteren 
bie älteren Bevölkerungsangaben vorliegen, war eine Unte⸗ 
ſcheidung dieſer Theile zum Zwede der Bergleichung ver 
Bevölferung aus den verſchiedenen Zählungsjahren erfor 
derlich. 

Wie die Darſtellung (Anl. E.) ergibt, hat die Bevöl⸗ 
kerung Kurheſſens in dem 63jaͤhrigen Zeitraume von 1795 
bis 1858 und auch in den unterſchiedenen einzelnen Zeit⸗ 
räumen mit Ausnahme des lebten Coon 1849 — 1858) 
erheblich zugenommen. 

* Die Zunahme im ganzen Zeitraume, welche nur für 
biejenigen Theile des Kurſtaats, die ſchon 1795 "zu den 
Heſſen Safjelichen Landen gehörten, beftimmt werden konnte, 
betrug 45.8 alfo durcdichnittlich in einem Jahre 0,8% 
oder nahe ?/, Prozent der Bevölkerung von 1795. 


des Staatslalenders von 1819 als Refultate einer Zählung von 1818 
darſtellt, fo ift diefes nad Obigem, und da auch bei ben Orten aus 
bem Caſſeler Regierungsbezirke bie Bevölferungsangaben in demfel- 
ben aus der Zählung von 1817 entnommen worden find, nicht 
ganz richtig. 





332 

Ä Ungerfcheivet man die Zeit zwifchen ven Zahlungen 
son 1795 und 1819, als vie Zeit der Kriege, von ver 
zwifchen den Zählungen son 1819 und 1858, ald ver Zeit 
des Friedens; fo findet man die durchſchnittliche jährliche 
Zunahme der Bevölferung der altheffifchen Zandestheile - 

‚in den Rriegsjahren . = 0,59%), .. 

in den SFriedengjahren — 0,70 °/, 

Sn diefem legteren Zeitraume (von 1819 bis 1858) 
it die DBevölferung des geſammten Kurftaats um 
jährlid 0,67 °/, geftiegen, aljo 0,03%, weniger, als in 
den altheffiichen Landestheilen. | 

Es rührt diefes hauptfächlich daher, daß die Bevöl⸗ 
ferung der zu Kurheſſen gefommenen vormals Zuldaifchen 
und reichgritterfchaftlihen Gebietstheile in ihrem Anwachſen 
hinter der altheffiichen Bevölferung beträchtlich zurücfgeblieben 
it. Im jährlihen Durchſchnitte bat nämlich Die Bevöl⸗ 
ferung des Kreiles Fulda nur = 0,54 °/, 

” „ Hünfeld „ = 0,23 y/ 
des zum Kreife Schlüdhtern ge - 
hörigen Fuldaiſchen Gebiets = 0,34 °), 
jugenommen. 

Außerdem hat aber auch bei jener Erſcheinung das 
geringe Anwachſen der Bevölkerung der zum Kreiſe Fritzlar 
gehörenden vormals Kurmainziſchen Orte Fritzlar, Roth— 
helmshauſen und Ungedanken (jährliche Zunahme = 0,36°/,), 
der zum Kreiſe Wolfhagen gehörenden ehedem Kurmainziſchen 
Orte Naumburg, Altendorf und Altenſtädt (jährliche Zus 
nahme — 0,35 °/,) und der von Preußen an Kurbeffen ges 
fommenen Stadt Bolfmarfen (jährliche Zunahme = 0,25 °/,), 
und meiter die Abnahme ver-Bevölferung in den "zum 
Kreife Schlüchtern gehörenden 3 Orten des vormals gräflich 
Degenfelvjhen Amts Ramholz Gährlih im Durchſchnitte 
= 0,09 /) mitgewirkt. 

Das Zurückbleiben der Bevölkerung in biefen neu 
zugegangenen Lanbestheilen würde auf das Anwachfen ber 


333 


Bevölkerung des geſammten Kurſtaais einen noch größeren 
Einfluß, als jene Differenz gegen das Anwachſen ver Bes 
völferung im Althelfifchen zeigt, gehabt haben, wenn nicht 
in anderen neu zugegangenen Landestheilen die Bevölkerung 
verhältnißmäßig ftärfer zugenommen hätte, als im Altheffis 
fhen. Es ift dieſes namentlich der Fall geweſen im vors 
mals Jfenburgifchen, wo bie Bevölferung jährlih = 0,92 °/,, 
und in den zum Sreile Hanau gehörenden vormals Kur- 
mainzifchen Orten Grosauheim, Grosfrogenburg und Obers 
rodenbach, wo fie jährlid = 1,56 "/, zugenommen hat. 

Die Zunahme der. Bevölferung des gefammten Kurs 
ftaats während der Friedensjahre betrug, wie erwähnt, im 
jährlihen Durchſchnitte = 0,70 °/, der Bevölferung von 
1819. Statt dieſes allgemeinen Durdfchnitts laffen ſich 
nad ven einzelnen ſeit 1819 vorgefommenen allgemeinen 
Zählungen für die zwiſchen Denfelben liegenden einzelnen 
Zeiträume befondere Jahresdurchſchnitte bilden, wobei bie 
Zunahme ber Bevölferung für jeden Zeitraum in Prozenten 
ihres Beſtandes zu: Anfang defjelben beſtimmt und die in 
den einzelnen Jahren wirklid vorgefommene Beränberung 
ber Volksmenge richtiger dargeftellt wird, als durch jenen 
allgemeinen Durchſchnitt. Ein ſolches Verfahren ergibt bei 
der Bevölferung Kurheſſens 


für den Zeitraum er einer Bevöllerungs eine jäpreliee 
Anzahl KAnfangs)|(am Ende)] Zu⸗ 

vou der von nahme Pe 

Jahre | Perjonen.|Berfonen Y —* 





Ang. 1819 bis Aug. 1827 8 676212 | 639881 _ 

Aug. 1827 „ Wehr. 1834 | 4 639881 | 671864 — 

Febr. 1832 „ Dezbr. 1834 | 23 176778669 700583 — 

Dezbr. 1834 „u — 1837| 3 100683 | 713570 — 
— 137. — 1510| 3 1] 71350 | 728550 — 
— 140. — 1513| 3 128590 | 746705 — 
— 1343, — 1836 3 746705 | 754702 — 
— 1346, — 1949| 3 754702 | 759816 — 
— 155, — 1855| 3 | 755350 | 3632 | — | 0, 
— 565. — 1558| 3 7136392 | 726739 | — | Os 
VII. Band 22 





334 


An die Etelle jener Zunahme son jährlid — 0,70 %, 
für tie gefammten zwifchen ten Zählungen son 1819 und 
1858 liegenden 39 Jahre tritt hiernach 

für vie erften 15'/, Jahre eine weit ftärfere Zu— 
nahme im jährlichen Durdfchnitte = 1,41 °/, 

für tie folgenten 15 Jahre aber eine jenen allge- 
meinen Durdfchnitt nicht erreichente jührliche Zunahme 
von nur — 0,56 °/, und | 

für die legten 9 Jahre, ftatt ter Zunahme, eine 
Abnahme im jährlihen Durchſchnitt von 0,48%), 

Der Gang, welchen tie Bewegung ter Berölferung 
Kurhefiens im ganzen 63jährigen Zeitraume und in deſſen 
in Anlage E. unterfhietenen Abichnitten eingehalten hat, 
ift bis auf wenige gleich zu erwähnente Ausnahmen auch 
bei den einzelnen Landestheilen wahrnehmbar geweſen, 
wenn auch in der Größe der Veränderungen fich Verſchie⸗ 
denheiten zeigten. | 

Die Abweichungen in der Richtung der Bewegung, 
alſo in Beziehung auf Zu⸗ und Abnahme, welche aus- 
nahmsweife vortommen, beftehen in Folgenden: 

Im erften Zeitabfehnitte von 1795—1819 if 
in den Älteren heſſiſchen Landestheilen ſtatt der im Alfge- 
meinen eingetretenen Zunahme eine Abnahme der Bevöl- 
ferung nur im dermaligen Amte | 

Hanau J. und zwar in der Stabt Hanau); 
=) Die Bendfferung ber Stabt Hanau, weldde 1795 == 11775 Ber- 

fonen betrug, muß nad einer in den Hanauer Regierungsaften 

befindlichen „Populations-Tabelle des Departements Hanau“, 
worin das Zählungsjahr (wahrfcheiulich 1811) nicht angegeben ift, 

bis in die Zeit des Großherzogthums Frankfurt auf 12102 

erfonen angewachlen gewefen fein. Im Jahre 1816 war fie auf 

34 Perſonen heraßgefunten. Nach einer Zählung im Jahre 1825 

betrug fie 10888, im Jahre 1827 = 13792 Perſonen und im 

Sebruar 1832 = 13983 Verfonen. Bei den Zählungen von 1816 

und 1825 find Die ausländiſchen Handwerksburſchen, Fabrifarbeiter, 

Dienftboten und Tagelöhner nicht mitgezählt worden, dagegen aber 

die abmwefenden Ortsangehörigen. Im Jahre 1827 wurde der 


“ Aufenthaltsort beachtet, und find jene Perfonen, auch Fremde bei 
längerem als 3monatlichem Aufenthalt, mitgezählt worden, 


335 — 


Bieber, beſonders Im Fleden Bieber mit dem Berg⸗ 
werke, in Flörsbach und Lohrhaupten *); 

Steinau, beſonders in Ahlersbach, Hohenzell und 
Kreſſenbach **8); | 








. 


*) Die Bevölkerung in ben Ortfchaften des Amts Bieber betrug 
——— —— —— — — — — 
nach der Zählung von 














im Orte 1795 18111816 
nn —— —— — — 
Bieber W . oe y . 00.0. © 701 168 
Bergwelt ee ne. 650 | 
Büchelbach RL ee 1 1 . 1. 1136 82 
Gaſſen Pe 0 Pr .. 390 u 169 
Röhrig.. ne | 182 
Kbbh. ee. ZW 315 
Lanzingen . 0 HH 2 0 0. oe.» 160 773 170 
Breitenbom . .. 0.0. 124 

202 
Lüßel .o0.0 0. —_ ee 0 0... 60 


Slörsbah . . « 
Lohrhaupten . . .. 
Kempfenbrum .. 20.0.» 
Mosborn. 


— 
0 . 
. 


) 
® 
) 
L 














| Sa. I 3634 | 3166 | 3002 
**) Die Bevölkerung in den Ortichaften bes Amts Steinau (ohne Mar- 
born) betrug ' 








t nad der Zählung von 
im Orte 1195 | 1811 | 1816 
: — — ——— 
Steinau . . 2... 1863 1453 1855 
Ablersbah . . hl Bl 1688| 107 


Bellingg. . . . 
Sobenel . . . 
Kreffendah. . 
Mario. .. 


Niederzell 0 ‘bh 0 0 3— 0 0 0 267 386 228 
Seidenroth.. 











Summa 3984 | 3837 3601 

Die Benölferungsangaben von 1811 in biefer und der vorher⸗ 

gehenden Note find hier aus Winkopp's Beſchreibung des Großher⸗ 

zogthums Frankfurt entnommen worden, werden fich Danach aber 

auch im Großh. Frankfurter Staatslalender von 1812 vorfinden, 
22 





336 


Schmalkalden, am flärfften in der Stadt Schmal- 
falden und im Orte Floh *); und 
Rodenberg in 20 von den 29 Orten 
vorgefommen **). 


*) In der Stadt Schmalkalden hatte ſich die Bevöllerung don 5197 
auf 4474, alfo um 723 Perfonen (13,95), in Floh von 1037 auf 
2, alfo um 45 Berjonen (4,35) vermindert. 

Außerdem waren Berminderungen vorgefenmen in 

Breitenbach von 82 auf 72 Berionen 

Ane von 173 auf 164 Perſonen 

Mittelſtille vn 172 auf 166 Perfonen 

Haindorf von I11 auf 109 Perjouen. - 

Hu ben übrigen 12 Orten hatte Dagegen die Bevölkerung zugenommen, 
**) Die Bevöl’erungs-Abnahme war am ftärkften in Iddenſermoor 
und Niengraben (225), Apelern (245), Bedeborf (25,55) und 
Bad Nenndorf 1388) geweien; die Zunahme am erheblichften bei 
Horften (195), alteinghaufen (215) und Kleinnenndorf (343). 
Die Bevölferung hatte in den einjelnen Orten betragen: 





Zu- 
nahmelnabm 

® 0 0 — 82 

32 | — 

0 0 0 94 . — 

. . 0 0 5 — . 

o 0 — eo 120 — — 

0 0 — 0 5 — 

eo 0 0 © — 12 

® 0 . 0 4 — 

9a afte . “ ® © “ — 6 
Helfing haufen . . . . . 7|I — 
Ede mit Mit 0 0 . ® 16 — 
orſten oo. . = 47 
Kleinhegesdo 9 . . ... . 17| — 
Kleinnenndbo 0 0 + 0 — 44 
t o [} . “ — 1 

[1 0} 0 ® 4 — 

“ “ 19 — 

0 . 7 — 

J . 2111| — 
Nehren mit Rehriviche und Norbörud . 5 | — 
Neinsdorf . 40 — 
Rheinſen mit Reinebolb und Heibbrint . 16 | — 
" . 08 0604 60 — 5 

epen 0 . eve oe 33 — 
Sachſenhagen mit Quhlen — ı 1 
Shötttingen mit den Eichhöfen u. Eichenbruch 12 | — 
old o 0 0 0 0 0 eo ” oo 0 0 0 29 — 
Waltringhaufen 2-00. — | 





337 


In dem übrigen Theile des 63jährigen Zeitraumes 
(der Friedenszeit), alfo in den beiden unterfchievenen 
Zeitabfchnitten von 1819 bis 1849 und von 
da bi8 1858 zufammengenommen, hat eine Zu- 
nahme in allen Landestheilen Statt gefunden, mit alleini= 
ger Ausnahme des Amts Eiterfeld im Kreile Hün- 
feld, wo die Bevölkerung gegen 1819 (eigentlich 1818) von 
9531 auf 9156 um 3,93°/, ſich verminderte. Sie hatte 
dafelbft im Jahre 1846 ihren höchften Stand (= 9636 
Perſonen), ift aber ſeitdem bi8 1858 ftärfer herabgegangen, 
als fie von 1819 bis 1846 geftiegen war. Gleichwohl 
erfcheint Die Bevölkerung in 19 von 33 Orten dieſes Am- 
te8 im Jahre 1858 höher, als 1819 und ift jene Bermin- 
derung der Bevölkerung im ganzen Amte nur die Folge 
der erheblichen Abnahme ver Sollgmenge in einigen der 
übrigen 14 Orte *). 


*) Die auffälligfte Abnahme der ˖Bevölkerung feit 1819 zeigt fich im 
Amte Eiterfeld bei den Orten Buchenau (238), Mannsbach (198), 
Neukirchen (128), Oberweifenborn (27,65), Bodes (188) und 
Giefenhain (288). Indeſſen erwedt hierbei die Höhe der älteren 
Bevölkerungsangaben Zweifel an ihrer allenthalbigen Nichtigkeit, da 
diefe zwar bei den nächſtfolgenden Zählungen in ähnlicher Höhe 
vorkommen, aber ſchon 1821 -fehr bedeutend ermäßigt erfcheinen, 

. und da auch das Ortsverzeichniß, welches dem Organifations-Edict 
für Das Großherzogthum Fulda vom 28. Dezember 1816 beigefügt 
iſt (Geſ.Samml. ©. 135 ꝛc.) weit geringere Bevölkerungs⸗Anga⸗ 
ben aus einer unmittelbar vorhergegangenen Zeit enthält. Die 


folgende Zufammenftellung wird dieſes näber darthun. 
In dem betrug Die Benölferung nad 
dem 


— — — — —— —— 


* Zahlungsangaben 


wäh 
4 
Orte nit 


1182018 
ang) m im 1821 








‚1824/1827]1846 BUT 


Buchenau mit 

Branders. „| 646 FR 346] 969 106 7164| 764) 8146| 830] 726 
Mannsbach . . | 800] 1232112201226! 826! 851] 871|1012) 9751 947 
Neukirchen . „| 417] 473| 463] 465) 387) 406 387) 4253| 425! dis 
Oberweijenborn | 129) 174| 1381| 133) 108 si 149| 156| 1562| 126 





— 










Bodes. . . . | 199| 245| 245245200194 189) 212] 200] 201 
Giejenhain „ „I 60] 99 86) 87| 81l 76 78) Sl Tal Ta 











338 


Betrachtet man dagegen jene beiten Zeitabjchnitte 
einzeln‘; jo zeigt fih am Echluffe des Erfteren (oon 1819 
bis 1849) in feinem Zanbestheile bis berab zu den 
dermaligen- Juſtizamtsbezirlen eine Abnahme ter Bevöl— 
ferung gegen ihren Beſtand im Jahre 1819. 

In dem zweiten Zeitabjchnitte (von 1849 
bis 1858), worin im Kurftaate im Ganzen die Bevölfe- 
rung abgenommen bat, die Abnahme mithin die Regel 
bildet, bat fih ein ausnahmsmweijes Steigen ter 
Bevölkerung nur in folgenden Landestheilen gezeigt. 

Sn der Provinz Niederheſſen: 
1) bei der Stadt Caſſel, wo 
. die Eivil-Bevölferung um überhaupt — 1,74°/, 
alfo jährlich = 0,19 °/, 
die Militair-Bevölferung um überhaupt = 19,14 °/, 
aljo jährlich = 2,13 °/, 
geftiegen ift *). 

2) im Amte Eſchwege L in 3 von 6 Orten, be= 
jonder8 in der Stadt Eſchwege und in Oberbünze- 
bach **). 

In der Provinz Oberheſſen: 
3) im Amte Fronhauſen, in 12 von 20 Orten , 


*) Die geſammte Benölterung | der Stadt Kaffel (mit Einfluß des 
Militairs) ift fortwährend im Steigen begriffen geblieben. 
oe Die Civil⸗Bevölkerung hat ſich jedoch in der Periode von 1855 
(von 32688 auf 32646 alfo um 42 Berfonen oder 0,139) vermin- 
bert, wogegen aber die Militairbewölferung (von 4161 auf 4414, 
um 253 Perjonen oder 6,088) geſtiegen iſt. 
**) Die Bevölkerung ſtieg 
in der Stadt Eſchwege von 6164 auf 6658 um 494 Perſ., überhaupt 85 
im Oberdünzebach 461,, 44, 43 u n 9,58. 
***) Bon den 20 Orten bes Amts Sronhaufen hat die Bevölkerung 
in 5 abgenommen 
in 3 gleichen Stand behalten C 
in 12 zugenommen. 
Dei Lebteren war die Zunahme am flärkften in 


339 
4) im Amte Treis a. d. L. in 7 von 13 Orten *). 


Im Amte Amöneburg hat die Bendlferung zwar in 
dem altheffiichen Theile, dem Orte Holzbaufen, wie Anlage 
E. zeigt, etwas zugenommen, aber von den 6 vormals 
Mainziihen Orten nur in zweien um eine Kleinigfeit, in 
den übrigen 4 dagegen abgenommen und darunter in der 
Stadt Amöneburg um überhaupt 6,7 °/,, weshalb. fich auch 
fie da8 ganze Amt eine Abnahme von überhaupt — = 1 
oder jährlih —= 0,19°/, ergibt. 

Sn der Broviny Fulda: 
5) im Amte Neuhof in 15 von 23 Orten"), 
Inder Provinz Hanau: 

6) im Amte Hanau I. in 7 von 413 DOrten**), 

7) im Amte Bergen in 5 von 8 Orten), 

8 im Amte Bodenhbeim in4 von 5 Orten 11), 


Rollshauſen von 109 auf130um21 Perſ., überhaupt 19,34 


Holzbaufen „ Bun 8.13 „ „ =1i1138 
Altenvers „ 143 „ 164 „21 „ 14,78 
Stedebach 50 Tu Tun 714,08 
Damm „15.16.21 ». „ =ı35$ 
Rodenhanfen „ 186 „ 205 „19 u „ =102$ 


2) Die Zunahme war am ſtärkſten 
in Wermertshaufen von 169 auf 207 um38 Berf., überhaupt — 22,58 
in Haſſenhauſen „2370 9 u Mu nn. m 98% 
»*) Die Zunahme war am erheblidften in den Orten: 

. Büchenrod von 199 auf 226 um 27 Perf. überhaupt 13,68 
Hattenbof m 401 „ TuS „ n 11,58 
Shweben „ 20T nun U „BB m " 10,78 
Stord „ 158 „ 13 „15 „ „ 9,53 

+90) Die Zunahme war in ben 7 Orten nicht bedeutend, am ſtärkſten 
in Rumpenheim von 544 auf 593, um 49 Berjonen, alfo über« 
haupt = 9- 
) Erheblich zeigte fih die Zunahme nur in Preungeshelm von 635 
auf 734, um 9 Berfonen, überhaupt — 15,68. 
+4) Die Zunahme war nur in der Stadt Bodenheim erheblich, nnd 
zwar von 4002 auf 4620, um 618 Perſonen, überhaupt 15,45. 
Diefe Stadt hat vie ſtärkſte Bevölkerungs-Zunahme in Kurheflen 





340 


9) im Amte Nauheim in fümmtliden 4 Irten 
des Amtes, am flärfften jedoch in der jebigen Stadt 
Nauheim *). 

Im Regierungs-Gommiffions-Bezirte Rin= 
teln: 
10) im Amte Obernkirchen'in 12 von 24 Orten *). 

Sn 10 von 88 Amtöbezirlen ift demnach tie Bevöl⸗ 


erfahren. Bockenheim, bis in das Jahr 1819 noch An Dorf, 
-zäblte 

im Jahre 1795. 938 Einwohner 

„nr Ist = 1858 " 

„rn 1816 = 180 n (Betrifft mehr die angehörige 
" Bevollerung) 
„Cttbr. 1825 — 2207 „ (betrifft mebr tie anweſende 

Deoölferung) 

Ang. 1827 — 2203 ⸗ 
Dibr. 1834 — 275% "m. 

n 1837 = 3262 " 

„ 1840 = 3303 Pr 

„ 1843 = 3480 n 

„ 18346 = 3755 

Bon 17% bis 1858 Kat ſich die Bevöllerung Bockenheims 

um 392,548, im jährlichen Durchſchnitte — 6,25 vergrößert. 

e) In Nauheim hat ſich die Bevölkerung ſeit dem ” Zahıre 1849 von 
1649 auf 2053, um 404 Berfonen, überhaupt — 24,58 vermehrt, 
Diefer Ort, welcher 1854 zur Stabt erhoben wurbe, zählte 

1795 = 922 Einwohner 
1816 = 12322 ° 
1827 = 1419 " 
1840 — 1424 n 
1846 = 1464 „ 

**) Die erheblichſte Zunahme trat ein in bem Orten: 

Kleinholtenfen von 85 auf 104 um 19 Berfonen, überhaupt 23,58 


* 


Beflerwald n Ru 107” 15 n n 16,35 
Berufen „ 205 n 232.27 „ " 13,23 
Ehrmbed „ Bu Un 8 m „1275 
Kreyenhagen ” 23 „ 262 „23 = ” 12,45 
Röhren „ 148 „161,13 u " 8,88 


341 
kerung in jenem lebten Yjährigen Zeitabſchnitte geftiegen 
während fie in den übrigen zurüdgegangen ift. 

Ueber die Größe der Zu⸗ und resp. Abnahme 
der Bevölferung in den einzelnen Landestheilen, im Ber- 
gleiche zu einander und zur Bewegung ber Bevölkerung des 
gefammten Kurſtaats, enthalten Die Anlagen F. und G. 
überfichtlihe Darftellungen *). 

Die Erfte (F) zeigt, bei wieviel und welchen Landes⸗ 
theilen die Bevölkerung in den einzelnen Zeiträumen von 
1795 bis 1819, 1819 bis 1849 nnd 1849 bis 1858 
im jährlichen Durchichnitt "mehr, ebenfoviel oder weniger 
als im gefammten Lande zu= und bezhw. abgenommen hat. 

Die Andere (G.) ftellt dar, in welcher Größe im 
Ganzen die Bendlferungs- Zunahme und Abnahme in dem 
63jährigen Zeitraume von 1795 bi8 1858, dem 3Yjährigen 
- son 1819 bi8 1858 und dem Hfährigen Seitraume von 
1849 bis 1858 bei den einzelnen Landestheilen eingetreten 
ift, wobei gewiſſe Abftufungen unterfchieden worden find, 
und diejenige, mohinein Die Größe der Bevölkerungsbewe— 
gung des gefammten Landes fällt, zwei Abtheilungen, für 
das Mehr und für das Weniger als dieſe Größe, er- 
halten hat. 

Bei diefer Einrichtung ber Ueberficht ift Teicht zu er- 
fehen, in welchem Grade die Bewegung der Bevölkerung 
in den einzelnen Landestheilen von der im gefammten 
‚ Rande in der pofitiven, wie negativen Richtung abgewichen 
und imo dieſe Abweichung am größten geweſen iſt. 

Eine auffällige Erjcheinung ift die Abnahme der Be- 
völferung Kurheſſens m dem Zeitraume von 1849 bis 1858. 
Bei Beurtheilung dieſer Erfcheinung ift übrigend nicht zu 


*) Die Regierungstommiffionebezirfe Echmalfalden und Rinteln find 
darin, weil fie einerfeitS den Provinzen coordinirt find, auch wegen 
ihrer abgejonberten Lage eine bejondere Bedeutung haben, ander⸗ 
feits aber nur. je einen Kreis umfaffen, fowohl bei ben Provin⸗ 
zen als den Kreiſen aufgeführt wordea. 


[4 - 





342 


überjehen, daß bei den Bolkszählungen im Zollvereine nicht 
die den Staaten angehörige, fondern die darin an we— 
ſende Bevölferung gezählt wird, und daß daher die Er- 
gebniffe der Zählungen nicht eine Abnahme der dem Kur— 
ſtaate angehörenden, fondern nur eine Abnahme der 
darin anweſendgeweſenen Bevölkerung beweijen können. 

Wenn über die Zugänge durch Geburten und Ein— 
wanderungen und die Abgänge durch Todesfälle und Aus- 
wanderungen genaue Nachrichten vorliegen, muß ſich, da⸗ 
raus die Bewegung der dem Staate Jugehörigen Bevölferung 
jo genau nachweilen Iaffen, daß eine wirkliche Zählung ber 
zugehörigen Bevölkerung nur geringe Differenzen zeigen 
wird, die eine Folge der nicht ganz zu vermeidenden Män- 
gel bei Aufnahme jener Nachrichten und Ausführung ber 
Zählung jein werben. 

In der Anlage H. find die Nachrichten, welche für | 
den Zeitraum von. 1843 bis 1858 über die Ab- und Zu— 
gänge bei der Bevölkerung Kuchefjens vorliegen, zufammen- 
geftellt worden, | 

An der Richtigkeit dieſer Nachrichten laßt fih im 
Allgemeinen nicht zweifeln, da fie fih auf amtlihe Erhe— 
bungen gründen, und zwar die über die Geburten und 
Todesfälle auf die von den Phyfifsten jährlich aufgeftellten 
Geburtd- und ZTodtenliften, und die über die Ein- und 
Auswanderungen auf amtlihe Angaben der Verwaltungs 
behörden. Nur Dieje leßteren Nachrichten. werden (abgeſehen 
von der in ber Anl. H. angemerften theilweiſen Unvolljtän= 
digkeit) auch deshalb nicht ganz vollitändig erjcheinen, 
weil die Angahen über die Auswanderungen aus den älteren 
Jahren faft ausfchlieflih nur die Ausmwanderungen nad) 
Amerika, und nicht auch die allerdings nicht ſehr erheblichen 
Auswanderungen nach anderen Ländern in und außer Eu— 
ropa begreifen, und weil fowohl die Angaben über bie 
Auswanderungen, wie die über die Einwanderungen die 
Ab und Zugänge in Folge der Verheirathung von Inlän- 


343 


derinnen mit Ausländern, und umgefehrt von Auslände— 
rinnen mit Inländern — Ab- und Zugänge, die ſich in- 
deffen meiftentheils compenfiren iperden — nicht erſchöpfend 
umfaſſen. 

Vergleicht man die Ergebniſſe dieſer vorhandenen 
Nachrichten über die Zu= und Abgänge bei der Bevölkerung 
Kurbefiend während der Zeit von 1843 bi8 1858 mit 
den Ergebniffen der in biefem Beitraume vorgelommenen 
Bolfszählungen, fo zeigen fich jehr wefentliche Verjchieden- 
heiten. Es zeigt ſich nehmlich bei der DBevölferung in 
Kurheſſen 


in ber, nach den Nachrich- nach den Diffe⸗ 
ten über die ey... 
Periode Ab⸗ und Zugänge | Vollszählungen | venz. 


—n 














18°°/,, |emme Sunabme vonleine Zunahme von 
16942 


.7997 | 8945 

18°) , eine Zunahme vwonleine Zunahme von 
9677 5114 | 4563 

. .48"/,, eine Zunahme vonleine Abnahme von 
12455 4466 116921 

18°?/,, eine Abnahme ponleine Abnahme von . 

11747 18958 | 7211 

18°°/,, eine Zunahme vonleine Abnahme von 
8474 9653 [13127 


Diefe Differenzen können begreiflicherweiſe nicht Durch jene, 
im Ganzen geringfügigen Mängel der Nachrichten über bie 
Ab- und Zugänge herbeigeführt worden fein. Sie rühren 
vielmehr ohne Zweifel eben daher, daß bei den Voliszäh- 
lungen nicht die angehörige, ſondern die anweſende Bevöl— 
ferung gezählt worden ift, und erfcheinen als eine Folge 
der Einwirkung, welche Die Veränderung der Zahl der im 
Lande fich aufhaltenden Fremden und der im Auslande 
vertveilenden Inländer von einer Zählung zur Anderen 
auf ben Beftand ber anweſenden Bevölkerung gehabt hat. 


—X 





344 


Da die Zahl der in Kurheſſen ſich aufhaltenden 
Fremden nicht fo groß ift, Daß aus deren Berminderung 
jo erhebliche Beränderungen im Beftande der Bevölferung 
erwachien könnten; jo muß zur Zeit der Zählung von 
1852, 1855 und 1858 die Zahl der im Auslande verwei— 
Ienden Kurheſſen gegen das jedesmal vorhergegangene Zäh— 
lungsjahr ſehr erheblich zugenommen haben, weil fonft nicht 

in 1852, ftatt einer au den Ab- und Zugängen fich 
ergebenden erheblichen, Zunahme eine nicht unbedeutende 
Abnahme, 

in 1855, ftatt einer nach den Ab- und Zugängen 
eingetretenen geringeren, eine erheblich beträchtlichere Ab⸗ 
nahme und 

in 1859, flatt einer aus den Ab- und Zugängen fol- 
genden Zunahme, eine bedeutende Abnahme der Bevölkerung 
fich ergeben Tonnte. . 

Sn Veränderungen der Iehten Art ift deshalb die 
nach den Volkszählungen in neuerer Zeit wahrgenommene 
Abnahme der Bevölkerung Kurheſſens vorzugsweiſe zu juchen. 

Viele Nachrichten weilen denn auch übereinftimmend 
darauf hin, daß die Zahl der Kurheſſen — fowohl unver- 
heiratheter, wie verheiratheter Verjonen und ganzer Fami— 
lien — weldye wegen Mangels genügender oder hinreichend 
Iohnender Beichäftigung im Auslande (Preußen, Fütland ac. ) 
insbeſondere in Fabritjtänten, bei Eifenbahnbauten, Berg- 
werfö-Unternehmungen und dergl. Arbeit und Erwerb juchen, 
in neuerer Zeit fehr beträchtlich zugenommen hat, wie denn 
auch Unternehmungen, die auf Begünftigung ſolchen Erwerb- 
ſuchens gerichtet waren, fich der Unterftügung der Behörden 
erfreuet haben. M 

Der Abgang an der Bevölkerung ift übrigend hiernach 
nur als ein zeitweiliger nicht bleibender Verluft anzufehen, 
da die überwiegende Mehrzahl der auswärts verweilenden 
Inländer in ihr Baterland zurüdtehren wird, wenn ber 
Tall eintritt oder die Heberzeugung entſteht und allgemeiner 
wird, daß das Ausland nicht mehr und günftigere Gelegen— 
heiten zur Arbeit und Erwerb darbietet, als auch im In— 
lande zu finden find, 

| Anlagen 


iej 


‚vo 





B. 1 
| | g nach der Zählung ’ _ 
litaͤrſtand | ebungen über den Civilfs: 

- Sefammt- — — —i 
Perſonen Vevöl- Bauen | Kinder Be _ 
( 3 über- | ferung. durg unter 14 Jahren I 


Jahre mãnnlich weiblich 


















4024 | 36654 j 13497 | 4078 | 3859 






































7 u 
3J| 152] 35611 12259! 5573 | 5533 | |34 - 
B 56 | 4144 14637| 6434 | 6256 | |A_ 
ip 45 | 29193 9823 | 4968 | 4954 | |28 -, 
11 | 894°| 39692 12566 | 6767 | 6427 | |3%.- 
9 28 | 23683 8277| 3629 | 3459 | [23 
% | 180 | 30582 10541 | 4875 | 4712 | |2C_” 
vd 37 | 34290 1153371 5640 | 5314 | |32.- 
vig 37 | 33390 11390 | 5223 | 5107 | |32_1 
D| 44 | 262083 8800 | 4425 | 4279 | |25,.' 
3 | 5497 | 330741° 113327| 51612 | 49900 31: 
5| 439 | 41169 14061 | 6360 | 6220 | |39 |} 
m 23 | 21055 6754| 3606 | 3559 | |20.- 
D 37.1 26889 9220 4594 | 4380 | 26 
RB 82 | 35649 12504 | 5574 | 5465 | |34__ 
B | 581 | 124762 42549 | 20134 | 19624 | |121 ’ 
2 | 539 | 47210 17242 | 7346 | 6769 | |46. 
9 57 | 36040 12094 | 6105 | 5969 | |35 | 
4 24 | 27408 9814| 4344 | 4329 | |27_. 
5| 620 | 110658 | 39150 | 17795 | 17067 | 108 
0 | 785 | 59059 . 20984 | 8390 | 8324 | | 57. 
2 37 | 33116 10749 | 5295 | 5231 | |31. 
9 48 | 32153 10512| 5244 | 5102 | |30-r 
1 | 870 | 124328 42245 | 18929 | 18657 120: 
1 42 | 28027 .9598 | 4062 | 4203 | | 26: 
a ‘61 | 36834 12357 | 5890 | 5804 1 
ß 1671 | 755350 .  »89226|118422 


id. Peſſen⸗ Caſſel 
—vOeſſen) 
cſon 805. 


pe 


oc 1805, 
14 





Bemertungen. 


1 





0599 234740 
16029 55029]/ Die Verminderung ber „genötferung in der Zeit von 179505 
im Amte Heflenflein von 252 auf 179, alſo um 29.0 Bet. 
0415 27945 im Serighte Biermunden von 767 auf 088, alfo um 126 Bet. 
16 . im Amte Frankenberg von 5655 auf 4897, alfo um 13,9 Det. 
5866| 21398 in der Stadt nirchhain von 1808 auf 1635, alfo um 9,6 Pet. 
0dgg| 22102 . 
233 |” 
—36| 36277 
IT , 71430] Bon 1802 an ift die Bevölkerung der Stadt und Burg Geln- 
61 haufen (in 1802 — 3028 Seelen) mitgezählt worden. 
4974 Das Burftenthum Fritzlar gehort erfi feit dem 14 September 
‚3333 1 1802 faktiſch und feit dem 25. Februar 1803 rechtlich au 
Helen: Cafiel, und fehlen davon frunere Zühlungen. , 
4273| 19187] Die Verminderung der Bevöikerung von Eaßenelnboaen in 
96; Beh von Den Aranpoien Defepien Orien = Ctadt ©. 
—41]| 5666 — die Dörfer jenfeits des Rheins — nicht mits 
134 geaäplt war. 
67: 
. 45021508748] mit dem | n 
m lar. 
0769493774 ohne das Fürſtenthu Frigla 
390 
540 
83 
66? | 3905 
8905 |\ Die in der Spatte für 1802 in Klammern eingefchloffenen Zahlen 
0 ftellen fich heraus, wenn man beider Vevölferung von 
0,80 ch in älteren Angaben nicht enthaltene 





1802 Die, au 
Bevölterung von Gelnhauſen (f. oben) abfegt. 


Acmter 
Areife. 
Provinze 


Bemerkungen. 


— — —— — — — — 
1! Caſſel (Stall 
2 L. 


3 
" m isſchließl. (des Orts Wahnhauſen, welcher erſt 
n nſchließl. 1831 an Kurheſſen gelommen ift. 
leſchließl. | des Orts Niefte, deſſen Bevölkerung 


1819 mitgezählt worden ift, während 
ber Dit (als halb hannöverſch) bei der 
Zählung von 1795 übergangen war. 


ne Wahnhaufen und Niefte, 
X. Kr, (ne Wahnhaufen aber mit Niefte, 
it beiden Orten, 





5 Oberfaufung, tief. 


6 Eichwege I. 
7 Eſchwege IL 
8 Abterode 

9 Biſchhauſen 
10 Netra 
11) Wannfried 


II. Sr, € 


isſchließl. ) der früher Kurmainziſchen Orte 
12| Sritlar Fritzlar, Rothhelmshauſen und 

nfchfießt. Ungedanfen, weiche 1803 an Kur 
13| Gudensberg 


14| Sedherg 


| 
zul. Sr. oſchließl. |, i 
h licht, des obigen neueren Zugangs, 


15] Hofgeismar 

16| Carlshafen 

17| Grebenſtein 
18] Sababurg 


IV. Ar. D 


heſſen gefommen find, - 


Ibnahme: ber B 





e. 
1849 | 


ıe I Bunahme. 
riihlüberbpt| jährlid 


sing ling 











erung im ‚Beitabjchnitte 


1819 x. 1795 


858 bis bis —— — 
1858 1858 2 

(bnahme | Zunahme | Bunahme 

Hpt| jährtichlüberhpt] jährlichſüberhptjährlich 











c 
T 


nt Int ns Ina |ius 
0,60] 14,54| 0,371 27, 
0,52[12,70) .0,33[43,19 


0,95115,90| 0,41|16,27 


0,64 14,17 0,36] 29,96 


0,80|18,57| 0,48|46,93 
0,73117,23| 0,44|30,02 
0,93113,42| 0,34137,24 


0,83 16,41 0,42 38,85) 


-1,13[14,48| 0,37] 26,45 
 0,70120,51| 0,53] 31,20 





’1| 0,41] 22,55) 0,58[39,99| 0,63 ohne | Naumburg, Altendorf und Altenttädt, x 
18 0, 58 18, 76 0, 4891 — a —— Rurmainziſche Orte 1803 Kur 

39 0,40| 15 ‚84 0, ‚41 30, 16 0,48 ohne ! Stabt Volkmarſen, welche 1817 von ! 
18 0, 58] 13,06) 0 33] — | — lmit ben an Kurheſſen abgetreten wurde, 


0,54134,93| 0,55 








| 0,67118,75| 0,48|33,62] 0,53] ausſchlielich 
einschließlich 


ohne bie bei ben Kreifen Kaflel, Fritzlar 
Wolipagen erwähnten neueren Zugäng 


mit Dieien Ananas, No yore Wiuigehe: 
— 1 — — \mit denieiben AHA White 


ber vorgebadhten Zugänge. 









Jemerkungen. 


Pr 










1 Mar der früher Kurmainzifchen zum Amte 

‚ Amoneburg gehorig geweſenen Orte 

2 nm , Banerbah und Ginfeldorf, melde 
1 1803 Heffiſch wurden. 


3 Fronh 
4| Treis 
5) Wetter 








1. | obigem Zugang, 





— U mad 





6| Franfı 
7 Rofen 







u. Sr 


8 Kirchhlahr, Niederklein und Stauſebach. 


neburg, Erfurtshauſen, Mardorf, 
I Ambworf, Rüdigheim und Schröd, 


Kadt, Auendorf, Emsdorf, Mombers, 
OÖ Neufter,,. Ruplkirchen, Geibeläborf und 


11| Rauſenelsberg und Sindersfeld. 


: Inannte 19 Orte, welche vormals Kurs 
iſch waren, und erſt ı 
Hu. Ken find, El 


12 Siegel 


Ader bei I und IM erwähnten vor- 
bem Kurmainzischen Orte, 








Zu⸗ und Abnahme 




















1819 «. 

1849 
ne | Wbnahme Zunahme 
yrlich ſüberhpt jährlich [üherhpt jähılid 
v s |» $ * 
- | — — 146026 0,62 
— — | — 121,76 0,70 
- — | — 115,30] 0,48 
_ — — 32,921 1,06 
| _ | — 1235 0,76 
1,301 — — 113,59) 0,4 
),43| — — 134,80) 1,1€ 
9,321 — — 138,96) 1,3( 
0,431 — — 129,70] 0,9 
0,47 — — 144,69| 1,48 
J — | — [9040] 1,01 
— | — — 123,48| 0,7€ 
— — — 430,541 0,8% 
— — — 0,82 0,0: 








ewölterung im Zeitabſchnitte 


von 





1819 ıc. 1795 
bis bis 
1858 1858 
ahme | Abnahme | Zunahme | Zunahme 
tſiãhrlich N überhptjjäbrlich ſüberhpt jährlich 


0 u) 
T T 






1849 vis 1858 





Bemerfung 
















































1488 0,54 13,50) 034) — | — Pete in 1706 an nich he 

— 1174 0.10125.681 064 — | — 

— | 2,13) 0,24112,85| 0,32] — — 

0,12 — | — 134,31) 0,86| — | — 
| — | 1,01 oagja1a0] 04] — — os — — 

— J8,161 0,91} 4,32 15 onılassel 05: 0,59 

— 5,42] 0,60127,501 0,7140,69 0,65 

— 3,97 0,33,45 0,85143,601 0,69 

— 5,09| 0,5723,101 0,59, 35,841 0,57 

— || 2,88| 0,32]40,52| 1,04|56,32| 0,89 

| — | 5. 0,50]23,52 0,60]41,49 0,66 

— | 8,27] 0,9213,27)| 0,33] — | — |Oz2ie Bemertung beim Aret 
mals ritterichaftlichen -@ 
iſt die Bevoölferuug von 
1795 nicht befannt. 

— || 5,82) 0,65[22,94| 0,57) | ne mt 
jegt zum Amte Burghaun 
betrug die Bevoikerung 

Abnahme N Su dem jum Bate Glen 

— | 4,71) 0,52 3,9310,10, — — hörenden alnefliichen Dr 








— 5,27 0,59 23,52| 0,6041 ‚49 0,66Jin_ den, attheffiichen Thei 
rovinz, jedoch ohne di 
erwähnten Ort Fifchbach 
heifitchen Antheil von Rh 
Rothenkirchen, 
in dem geſammten Umfaı 
jegigen Provinz Yuıda. 
Berechnung des jährlichen 
ſchnitts iſt bier, di die ‚Bann 
181 resp. 
—A —E 


— | 400| 04 1882 048| — | — 















Bemerfungen. 








burg und Oberrodenbach, 

weiche ehemals Mainziiche 

Orte erft 1816 au Kurheſſen 
men. 


ta 


‚1 ohne Großauheim, Großkrotzen⸗ 
mit | 


30| ohne Praunheim, weiches früher 
und erit 1816 von Kurheſſen 


mit 


Die Bevöl kerung des vormals Sfen- 
burgifchen Amts Langenfelboid in 
1795 ift nicht bekannt. 


)4lohne das vormals Iſenburgiſche Amt 
Yangenfelboid und obige 4 in 1816 
erworbene Orte. 


mit diefen neueren Zugängen. 


‚Glin_den afthanauifhen Orten des 
Amts, ohne Stadt und Burg Beln- 
haufen, welche Heſſen-CEaſſel als 
NReichspfandfchaft, beſaß und erft 
1803 eigenthumlich erwarb, und 
deren Bevölkerung in 1795 nicht 
‚ aufgenommen worden ift. 
im gefammten jeßigen Amtsbezirke, 
alfo mit Einfchluß von Geinhaufen 
und der vormals Iſenburg⸗Mecr⸗ 
hotzifchen Orte (Gettenbach, Haitz 
Lieblos, Niedergrundau, Roth und 
Rothenbergen) 














im geſammten dermaligen Bezirke 
des Amtes Meerholz. 


deſſelben. 





Zu⸗ und Abnahme bı 


1819 x. 
5 is 1819 ꝛe. bie 
| 1849 
bme | Abnahme Zunahme 
äbrlichlüberhpt| jährlichſüberhptjährlichſü 
nslng Ing ing |in$ 






















0,301 — | — [42,06| 1,2 
— — | — [3622] 11 
— I — | — [3365| 0,72 
— | 9,61) 0,46|55,54| 1,68 
— | — | — [5448| 1,65 
0,35| — | — [4803| 1,46 





0121 — | — |47,70| 1,45 
39,66) 1,20 





52,59] 1,59 


— || 2,22| 0,11|59,95| 1,82 


— | — | — [44,53] 1,35 
— | — | — [25,91] 0,79 
— | — | — ]|58,08| 1,76 


2,93 











Bevölkerung im Zeitabſchnitte 


von . 
1849 vis 1858 


nahme | Abnahme 


ging img jing 





72) 0,521 — | — 


0,47|30,42 
0,91|13,56 
0,97[41,99 


1,13|38,84 
1,12] 33,06 


0,83| 36,70 
0,881 28,56 
0,38| 47,35 


0,28| 55,89 
0,46| 38,55 
1,04] 14,10 
65,55 
0,72|\ 3,69 


1819 ꝛe. 
bis 
1858 


Zunahme 
ypt jährlichläberhpt! jahrlich ſüberhptjaͤhrlich ſüberhpt 
in 8 








Abnahme 





ing 


0,87 
0,68 





0,92 

0,3 

1,5 
0,09 


1795 

bis 
1858 

‚Zunahme 


ing 


0,721 — 


0,32] — 
1,00| 28,34] 0,45 
0,92] — 
0,79142,74| 0,68 


40,27 


113] — 















‚jährlich 


in 8 


3,05] 0,34137,73| 0,90]46,54| 0,7 


name 


1,331 52,43| 0,83 











Bemerkungen. 


ohne 


ohne 


mit 














0135, Hinkelho 
IImers. weich 


Ramh 
und 30 . 
zum vormals Gräflich-Des 
genfeldichen, im Sahr 1806 
Nurheflen unterworfenen 
Amte Ramhol; gehörten, 
und Sannerz, Weiperz 
und —28 welche das 
ai 





Heſſen g 
gericht Sannerz bildeten. 


Marborn aus dem vor- 
mals Zuldaifhen, 1816 am 
Helen, gelommenen Amte 
Salmünſter. 





O, 640usſchließl. der vorgedachten 7 
einſchließl. 


neu uugegan genen 


In dem gefammten Umfang ber 


bermaligen Provinz Hanau, 





Aemter. | 1 175 
bis 




























reife, | 4858 | 
Provinzen. ne | Sumapme Ri} 
tinteln 0,62 4 | 
Ibernfirchen 1,561" 54— 
der 
68 — 16 Einw 
Adendorf re 
tobenberg 
Reg.-Eon.- Bezirk | 4 Dans) 
Ninteln |0,82)42,19| 0,67 
| 
: 10,70] 45, 2] 0, 2 in den älteren Heften u. ‚Sauer. 
| | — en ——— 
uch eſſen | 3,67 — | > Bi: aus 1803, 1816 und Int. 
| mfange | 
—— — ee Aurftaate nit € 


ſchluß von hnhaufen-. 


destheilen mit der Im geſammten Kurſtaate. 





bei den 
Amtsbezirken 


von 
Bezeichnung 


AIi. 2. 3. 4. 5. 6. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15.16. 17. 20. 
22. 24. 27. 32. BI. 2. 4. 5. 6. T. 9. 10. 11. 15. 06. 
D5. E4. F2. 


A 18.34, 


A 7. 8. 19. 21. 23. 25. 26. 28.29.30 31.33. 35. 36 
3 se 07.8.9.10. D2.3.4 


D 1.8.9. 11.15. Et. FA. 


A1.2.3 4 5. 18.31.32. B1.2. 07.83.10. D I. 2. 
3.4.5.6.7.8.9.11.12.13.15.16. E3. F2.4. 





65. 

A6.7 8.9. 10 11.12.13.14 15.16. 17.19 20.21. 
22.23.24. 25.25 27.28.29 30.33 34 35.36. B3. 
4.5.6.7.8.9 10.11.12.13 14.15 01. 2. 3. 4. 6. 9. 
11.12.13. h io ia. E1.2.4 F1.3. 

A2.5.8.9. 12. 13. 14. 15.16. 17.18.19.20.21 22. 
23 24.25 26.27.28. 29.32 33. 34.35.36. B-1.5. 
6.7.8.11 12. 13. 14.15. 61.6.7.9. 11.12.13. D 
6.8.9.10.11.14.15.16. E3. 

A31. Ei. 


A3.4.7.10.11.30. B2.9.10. 02.3,4.8.10. 
D 1.7.12 ı3. E2 A. FI. 3. 4. 


A1.6. B3.4. 65. D2.3.4.5. F2, 





.13. D7.10.12.14), welche neu zugegangene Lanbestheile enthalten, 
n bezeichnet worben, wie in Anlage E. 


nt 


oo 





24,7 
20,8 
171 


16,3. 


11,8 
7,2 


elche 
vicht 
018, 
Er⸗ 


2) In der Zeit von 18 
Die Zunahme ber Bevbll 

25 bis 80 Procent und zwar 
fiber | unter. 


26,07 Brocent 
(der Sunabınc, um ganzen Lande) 






).bi8 75 
Procent 






in den Brovingen und Regierung! 
— Hanau 439 .:. — 
Rinteln ‘ 31,8 | ' 

in ben Kreifen und Regierungs-: 


m 61,9 Caſſel 47,3) Marburg. 25, 
Gelnbaufen 34,1 . 
Rinteln 31,8 


Shlühten 26, 


- in den Aemtı 
Lichtenau 26, 
Herrenbreitungen 25, 
Oberfaufungen 285, 
Sababurg 25, 
Neuſtadt 25, 
Fulda IL 25, 







ſeim 64,5] Langenſelbold 43,25 
m L 62,4] Schenflengsfelb 40,5 
((Stabt- Caſſel II. 401 
HH 8911138 
en 58,11 Großalmerode 37,3 
bog .57,8| Caſſel III. 371 
nkirchen 55,7] Efhwege.L 36,9 
m IL 52,6] Steinau 36,1 
Waͤchtersbach 35, J 

Rodenberg 34,5] 
Neuhof 33,4 
Friedewald 33,45 
—2* 32, 
Fronhauſen 31,8 
Marburg I. 31,7. 


Windecken 30,4 
Brotterode 30,2 


Bei fan un den UI er 
biefe Iegtern vie Srtke Der —— —S ur 


er, ber Beraleidhuna meaen,; eine Yunarinn SR 


9 bis 1858. J 
rung betrug 





unter 25 Procent Eine Abnahme fand 
Statt 


I ö 8 
-Commiſſions-Bezirken 
Niederheſſen 24,11 Oberheſſen 19,3 — 











| Schmalfalden 21,4| Fulda 18,8 

‚ommiffiong=-Bezirten 

I Hersfeld 23,5] Ziegenhain 17,3 — 
Eſchwege 23,0]. Wolfhagen 171 
Witenbaufen 21,5] Meljungen 16,4 

4 Hofgeismar 21,5] Fritzlar 14,8 

1 Schmalfalden 21,4| Homberg 14,2 

I Sulda 20,95] Frankenberg 13,2 
Kirchhain 17,7] Hünfeld 8,96 

Rotenburg 17,6 

rn 
Netra 24,971. Schmalkalden 17,2] Eiterfeld 3,8 
Rinteln . 24,8| ©rebenfteit 16,96 

| Ejchwege II. 24,2] Fritlar . 16,85 


Niederaula 23,1] Biſchhauſen 16,5 
Hofgeismar 22,6 Nentershauſen 16,3 
Carlshafen 22,45] Amöneburg 15,95 
Burghaun 22,4] Raboldshauſen 15, 
Oberaula 22,1] Ziegenhain 15,7 
Marburg J. 21,65) Wolfhagen 15,6 
Roſenthal 21,1| Homberg 14,5 
Zierenberg 20,97) Rotenburg I. 14,5 
"Rotenburg I. 20,5] Neukirchen 13,9 


Sontra 20,5] Abterode 13,7 
Steinb. Hallenb.20,351 Spangenberg 13,4 
Fulda II. 19,81 Fulda J. _ 132 
Witzenhauſen 19,5] Volkmarſen 13,1 
Oldendorf 19,5] Hünfeld 12,9 


Treyſa 19,41 Borken 12,7 
Gudensberg 19,2] Salmünfter 12,6 
| Naumburg 18,8] Großenlüder 12,5 






Melfungen 18,6[ Allennof ° ° 11,5 

Wetter 18,4| Kirchhain 11,05 

Rauſchenberg 17,96] Frankenberg 9,15 

Birftein 17,61 Jesberg 71 
17,2| Sersfelb I. 4,3 
17,2) ° 


Rreifen Fulda, Hünfeld und Rein usb ven gu Walken 
evdlferung von ben beirefienvden Anaahen in Aa 
zu ben Zählungsjäheen 1816 ren. 1818 Hiniııs 
ak. 


Aniutn Rntrtb aaennan 


©. nn nenn pe ins .. 
‘ 


Au 


lm. m sehe und. ae ha m - 


Bewegung der Benölker: 
von 1843 bis 1858 nach den Ab⸗ m 





> | 2661 | 19853 | 2498 


" “= IA — a a Ten, 1. 
. 


erungen aus ber Provinz Hanau im Iahre 
über bie Auswanberungen von 1849 mb: ' 
altungsbezirken Eſchwege, Fritzlar, Hersfeld 


⸗ 





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‘@ " “ 2 
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- ® . 
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a 
. . x 
-. -1 


378 


über das wie? läßt fich nicht jagen. Die heſſiſchen Für- 
ften trugen Allendorf auch nicht mehr von Fulda zu Lehen, 
das Lehen kam vielmehr in gänzliche DVergefjenheit. 

Wenn auch Herzog Rudolf von Sachſen noch 1356 
erflärt, daß er, perjünlich nach Fulda Tommend, aus alten 
Briefen feiner Vorfahren erjehen habe, wie diefe die terra 
Westerniarke, civitas Aldindorf et castrum Westerberg vom 
ur Fulda zu Lehen gehabt, und daß er fih darum von 

Neuem habe belehnen lafjen *), fo ift dies doch ohne alle 
Folgen geweſen. 

Die Burg Weſterberg hatte eine eigne Burgmannen- 
familie, welche fich nach ihr nannte. Echon die Urkunde 
des Herzogs Albert von 1248 bezeugte Reinhard von „We⸗ 
ſterberch“. Seine Wittwe Irntengard lag 1262 mit dem 
Kloſter Germerode wegen des Wendebergd am Weißner in 
Streit, und feine beiden Söhne, Hermann und Reinhard 
von Wejterberg, verkauften 1273 vemfelben Klofter ihre 
Hälften der Dörfer Germerode und Efenhagen. Seitdem 
verjehiwindet dieſe Familie, . 

Wie wir oben gefehen haben, ift von einer terra 
Westermarke die Rede. Es handelte fi alfo um ein 
größeres gejchloffenes Gebiet, um eine Mark im alten 
Sinne, und zu diefer Mark gehörten auch die Burg Wer 
fterberg. und die Stadt Allendorf. Es tritt hierbei Die 
Frage auf, woher dieſe Mark ihren Namen hatte? Zunächſt 
findet man ſich veranlaßt, an einen Gegenſatz von Weſt 


‚und Oft zu denken. Dies findet ſich indeß wohl bei ein- 


zelnen Orten und auch bei Gauen, aber niemals bei Mar— 
fen. Der Name einer Mark jet immer einen einzelnen 


Ort voraus, der den Mittelpunkt der Mark bildet, zu 


dem die Mark gehört und nach dem diefe Darum auch ge= 


nannt wird, ; Es Tann Died aber niemals eine einfache 
Burg fein, es ift vielmehr ſtets ein Dorf oder eine Stabt, 


*) Ibid. Nr. 13. 


879 


welche indeß Immerhin tt. der Burg ii einem‘  Sufomaien- 
hange ſtehen Tonnte; - "Die Weſtermark bebitigt einen Ort 
mit einem ehtfprechenben, Namen und zwar ein Weſtern, 
das allerdings naͤchſt dem Weſterberge gelegen und deſſen 
Barg zu dieſem Orte gehbtt haben muß. 

Nun finden wir, daß Karf ver Große dem Stifte 
Fulda unter. deſſen Abte Sturm, affo zwiſchen den Jahren 
744 und 779, locum proprietatis nostre Westera nun- 
"copätum, in quo loco.offjeinas salis:cum, singulis 
patellis etmanciplis ad hoc officium deputatiskabundantes- 
qüe fontes salis habemaus, zum Sefchent macht. Er beftimmt 
dann audy noch weiter dem Shfte ben Markt und den Zoll 
bafelbft Cipsum forum tribütumgque seu teloneum Ipsids loci) 
und daß jede Woche dem Stifte ein Karren Salz geliefert 
werden ſollte. &8 ſollten auch die einzelnen Höfe und die 
einzelnen Hufenbeſitzer den von ihrem Lande ſchuldigen Zins 
entrichten und die ihnen obliegenden Dienfte Ieiften H. 

Dem entisrechend führt auch das fuldiſche Güterre- 
giſter zu Westera 1 territorium auf und nennt die Abgas 
“ben, melche die darin angefeffenen Lidi, Coloni, "Sclaqui 
(Staven) und Tributarii dem Stifte‘ zu entrichten haben. 
Dann aber ſagt daſſelbe: Da theloneo ECL modii salis et 
insuper carrada debetur. Summa excepto sale, quod de 
domin. sartaginibus (aljo von ben dem Stifte zuſtaͤn⸗ 
digen Salztothen) debetur. ‘Molendine II. III piscatores ”), 

Andere Aufzeichnungen nennen ven Ort auch Westren, 
und Westrun ***) und ebenfo wird berfelbe unter ben zu 
Thüringen gehörigen fulbifchen Beflgungen genamt +). 

Jener Name findet fich fpäter nirgends wieder und 
Doch darf mit Sicherheit angenommen werben, daß ein ſol⸗ 
ches Beſitzthum nicht ſpurlos verichwinden kann. Wo ift 


®) Dronke, Cod. dipl, Fuld, Nr. 69. 
ı **) Dronke, Trad. et antig. Fuld, > 118. 
+) Ibid. p. 55 et 130% | 
1) Ibid. p. 71. 





380 


e8 nun aber zu ſuchen? Daß es in Thüringen lag, ift 
ſchon angeführt. Daß vier Fifcher dort waren, gibt auch 
ben Beleg dafür, daß Weftera an einem gröhern Fluſſe 
lag. Endlich iſt aber auch eine größere Saline am Orte. 
Zu dieſem allem kommt nun auch noch der Name ber Wes— 
termart, d. h. Die Mark des Ortes Weſtera. Kann da 
noch ein Zweifel bleiben, daß wir in dieſem Weftera unfer 
‚Allendorf und Soden zu fuchen haben? Es paßt wenig 
ſtens Alles, was wir angeführt haben, auf feine andere. 
fuldiſche Befigung in ganz Thüringen. Daß, die Wefter- 
mark dem Stifte Fulda war, zeigt ja eben die Belehnung 
von 1248, und. mag auch diefes Lehen unter den heffiichen 
Fürften in Vergeſſenheit gefommen fein, fo behielt das 
Stift Doch noch bis in fpäte Zeit eine Anzahl einzelner 
Lehen daſelbſt. So hatten die v. Hanftein die nahen Dör- 
fer Wahlhaufen und Diekenrode nebft dem Obenberg und 
Höhberg zu fuldiſchem Lehen *), ebenfo war Ahrenberg 
fuldiſches Lehen und auch verjchiedene Alfendörfer Bürger- 
familien, wie die Gauler, die Ruland ze. trugen einzelne 
in der Feldmark von Allentorf liegende Grundftüde vom . 

"Stifte Fulda zu Lehen. Ueberhaupt befaß daſſelbe zahl- 
reiche Güter längs des ganzen untern Laufes der Werra. 
Tragen wir nun aber auf welder Stätte Weſtera gelegen 
habe, fo fehlt für eine beflimmte Antwort darauf allerdings 
jeder jichere Anhaltepunft. Die Saline wird fonft zuerft 
1093 bekannt, indem der mainziiche Erzbiſchof Ruthard 
unter den dem Klofter Bursfeld übergebenen Gütern auch 
Sothen tres salinas nennt **), 

Allendorf hingegen Tommt erft 1229 vor u, Die . 
Stadt Allendorf trägt indeß zu jehr das Gepräge einer von 
Grund aus neu angelegten Stadt, als daß man ihr ein 
höhere® Alter zugeſtehen kann. Wenn auch der Name 
u) Urkundliche Gejchichte bes Geſchlechts der von Hauſtein J. ©. 145, 


*#) Schaten, Annal. Paderborn. ad annum 1093. 
+) Kuchenbeder, bie heſſ. Erbhofämter, Bei, D. 


381 


altes Dorf auf ein fchon dafelbft vorhandenes Dorf hin⸗ 
weift, jo liegt Doch gerade nicht nothwendig darin, daß daß 
neue Dorf nur in den Soden gejucht werden müffe. Es 
kann daffelbe füglih auch ein andere Dorf der Nachbar- 
fchaft fein, und wir glauben dies fogar mit um fo größe— 
rer Zuverficht annehmen zu Dürfen, als wohl vorauszufeßen 
ift, daß, da fiher Die Salzquellen es waren, welche den 
eriten Anbau veranlaßten, dieſer ältefte Anbau auch ben 
Salzquellen zunächſt und nicht am andern Flußufer ftatt« 
gefunden hat. Es möchte fonach alles dafür jprechen, daß 
eben der heutige Ort Soden das alte Weſtera fei. 

EGs iſt aber auch kaum zu bezweifeln, daß die Salz- 
quellen zu Soden diejelben find, um welde die Chatten 
und die Hermunduren ftritten. Ich habe mich darüber 
ſchon anderwärts ausgeſprochen *). 


| Witzenhauſen. 

Daß Witzenhauſen nicht allmählig aus einem Dorfe 
erwachſen, und ebenſowenig eine alte Stadt, vielmehr 
eine jener planmäßig und von Grund auf neu geſchaffenen 
ſtädtiſchen Anlagen iſt, wie dieſe beſonders ſeit dem Beginne 
des dreizehnten Jahrhunderts zahlreich aller Orten gegründet 
wurden, zeigt ſich allein ſchon in der Regelmäßigkeit ſeiner 
Straßen und Quartiere. Wer der Gründer war, iſt jedoch 
ebenjo unbefannt als die Zeit der Gründung. Daß die 
Stadt ſchon 1232 vorhanden war, ergibt fich aus der That- 
jache, daß fie in dem Kriege, welcher in diefem Jahre fich 
zwijchen dem Landgrafen von Thüringen und dem. Erzbi- 
ichofe von Mainz erhob, zerftört wurde. Die Chroniften 
ſchweigen zwar über dieſe Berftörung, fie geht aber um 
jo ficherer aus einer 1247 ausgeftellten Urkunde hervor, 
in welcher über den jenem Kriege folgenden Zrieven und 
dejjen Bedingungen berichtet wird, Diefe Urkunde beginnt 
nämlich mit den Worten: Super - destructione -Frislarie et 


*) Beichreibung des Heſſengaues. S. 20, 
VI, Band. . 23 


8382 


Wicenhusen oppidorum et aliis dampnis, que dominus Si- 
fridus archiepiscopus moguntinus et dominus Conradus 
iunior Lantgravius hinc inde senserunt cum guerram ha- 
berent adinvicem, talis compositio intervenit etc.*). 

Es geht indeß, wie man fieht, auch hieraus nicht 
mit Beftimmtheit hervor, in weſſen Befite fi) die Stadt 
damals befand, Zwar fagt v. Rommel (I. S. 308), daß 
fie unter thüringifcher Hoheit geftanden habe, einen Beleg 
hierfür aber bietet er nicht. Nach jener Urkunde und den 
fonftigen damals obwaltenden Verhältniffen möchte ich mich 
eher für einen mainzifchen Beſitz entjcheiden. Schon bie 
BZufammenftelung von Fritzlar und Wibenhaufen jcheint 
mir dafür zu fprechen. Auch die Ältern Chroniften reden 

-nur von Schäden, welche Mainz durch den Landgrafen er⸗ 
litten. Zu dem allem fommt dann noch, daß zufolge der 
nachfolgenden Urkunde von 1236 der mainziihe Erzbilchof 
Lehnsherr der Zehnten zu Wißenhaufen und dem weftlich 
der Stadt liegenden nunmehr wüften Kormanshauſen war. 
Es ift freilich. auch Died nicht entfcheivend und vermag 
nur allenfalls zur. Unterftügung zu dienen. Dunkel bleibt 
e3 dann aber wieder, wann und unter welchen Umſtänden 
bie. heifiichen Fürften zum Befite von Witenhaujen gelangt 
find, Ich füge die in ihrem Originale außerordentlich 
wohl erhaltene Urkunde von 1236 auch ſchon darum bier 
bei, weil fie das erfte fchriftliche Denkmal il in welchem 
Wihenhauſen genannt wird. 

In nomine sancte ei indiuidue trinitatis. Sifri- 
dus dei gratia sancte Mogunt. sedis archiepiscopus. Di- 
lectis in domino ihesu, tam presentis etatis fidelibus, quam 

_ future in perpeluum. Quoniam elemosina conclusa in sinu 
pauperum precipue illorum, qui Marie officium elegerunt, 
et innocentie puritatem accuratius custodire satagunt, exo- 
rat ei peetatum extinguit, superest ut tanto alacrius ei 
debeamus insistere, quanto ad ipsos prebitores redit cum 


*) Gudenus, Cod, dipl. I, pag, 594. 


383 


fenore mercedis eterne. Hinc est quod nos spiritu con- 
silii salubriter instructi duarum proprietatem decimarum 
tamquam era duo cum miüliere illa euangelica in gazo- 
philacium domini mittere gestientes cenubio campi 
beate Marie *), Cisteriensis ordinis, Monasteriensis dio- 
cesis, benigne contulimus, occasionem ei laudabilem pre- 
bendo, videlicet de maru laicorum decimas transferre at- 
que in usus eorum conuertere, qui sacris mancipati legi- 
bus regi militant sempiterno. Porro ad propulsandum ca- 
Jumnie uel erroris nubilum, utile duximus. Huius rei se- 
riem enucleatius reuoluere ac ueluti de modio ad cande- 
labrum productam noticie transmittere posterorum. Cum 
igitur Thedericus vicedominus de Rusteberg 
_ et Heithenricus de Hanenstene frater eius, deci- 
mam in Wicenhusen de manu Volquini de Svalen- 
berg et Adolfi de Waldecke nobilium in feodo ha- 
.berent, nec non et decimam in Carmanneshusen a 
nobis similiter feodali iure tenerent, acceptalis tandem et 
acceptis ab ecclesia sancle Marie memorata CX. marcis 
puri argenti resignauere distractas illam quidem, que est 
in Wicenhusen dominis suis prefatis et eam, que est 
in Carmanneshusen nobis itemque nobis idem nobiles, 
qui de manu nostra tenuerant eandem. Quibus nobilibus 
ut spiritu libertatis hoc facerent in restaurum decime ip- 
sius dedimus in feodo villam Ecstrod**) cum uniuersis 
pertinentiis suis, decimam in Mackenrode ***) et XXV, 
Moldra siliginis et duos modiolos siliginis in decima uille 
 Nitilrethe 7).  Insuper L. moldra omnis generis 
grani in villa Langenhagen +7), Preterea supradicti 
T-heodericus et Heinthenricus bona sua in Ro- 


*%, Das 1185 geftiftete münſterſche Kloſter Marienfeld. 
55) Eichſtrut, norböftlih won Allendorf. - 
"3%, Madenrode, beim vorigen. - 

FT) Neilelröden, ſüdweſtlich von Duderfiadt. 
TH Langenhagen, nordöſtlich won Duderſtadt. 








384 


bretteshusen *) VII. mansos, in Rusteberge **) 
IL mansos, in Rabodenrothe ***) IIL mansos et dimi- 
dium, in Simarerothe +) IIII. mansos nobis pro 
iure decimali, quod claustro porreximus titulo equirespon- 
sionis dederunt et eadem a nobis in feodo susceperunt, 
Adjiciendum sane quod sepedictam decimam in Wicen- 
husen tenuerat in feodo Conradus burgensis in 
Gmunden 77T) a prefato Heithenrico, quam ipse Hei- 
thenricus omnino liberam fecit et absolutam, ita quod 
idem Conradus unacum heredibus suis iuri, quod 
habebat in ea fundilus renunciarat antequam illa in do- 
minium claustri transisset. _ Has inquam decimas tan- 
quam per gradus quosdam ad nos unde prodierant ratio- 
nabiliter ac iuste reductas cenobio prefato proprias assig- 
nauimus in nomine dumini ac perpetuo possidendas quem- 
admodum cirographi presentis sigilli nostri munim(in)e 
firmatum intersignum testimoniale declarat subicientes per- 
petuo maledicto omnes, qui huius nostre donationis for- 
mam temptarint infringere. Testes huius rei sunt Gode- . 
fridus abbas de Hersvidehusen, Wigandus Ab- 
bas de Aulisburg, Leo prepositus de Hildwar- 
deshusen, Johannes plebanus de Gmunda, 
Conradus de Sconenberge, Hermannus aduo- 
catus de Cigenberge, Giso, Wilhelmus de Go- 
denburg et alij quam plures. Acta sunt hec in Cenobio 
Hagunge Ti7), abbatibus eiusdem loci et de Helmwor- 
deshusen presentibus. 


Anno gratiie M. CC XXXVI. Kal. Jan. Indictione 


*) unbekannt. 

se) Ruſteberg unter der gleichnamigen Burg. 
°*) unbelannt. 

+) Simeroda, nörbli von Heiligenftabt. 
Fr) Die Stabt Münden, 
trr) fett Hasunge, 


385 


VIII. Datum loco, inense et jüie predictis. Pontificatus 
nostri anno quinto, — 
(L. 8.) J 


An der Stadt Kaſſel wird ein Mordbrand verſucht. 


Die Herren von Rodenſtein hatten ſich, als Erben 
ber Herren von Lisberg, in den Beſitz der Herrſchaft Lis— 
berg geſetzt, während die Landgrafen von Heſſen ‘und bie 
Örafen von Ziegenhain diefelbe als heimgefallene® Lehen 
betrachteten und, die Burg Lisberg deshalb mit der Gewalt 
der Waffen denjelben entriffen. Die Folge war eine, lange 
Jahre andauernde Fehde *) und im Verlaufe dieſer Strei- 
tigteiten fam Engelhard von Rodenftein um’8 Jahr 1436 
auf den Gedanken fich Durch Verbrennung der Stadt Kaffel 
an dem Landgrafen zu rächen. Sein zu dieſem Zwecke 
ausgejendeter Diener wurde jedoch bei Der Ausführung 
ſeines verbrecherifchen Vorhabens überrafcht und gefangen 
genommen. Willig geftand er alles ein, und um feine Aus— 
age durch unparteiiihe Perfonen bezeugen zu fünnen, er- 
ſuchte Landgraf Ludwig den Stadtrath zu Friklar um 
Abordnung einiger feiner Mitglieder zur Vernehmung des 
Gefangenen. Dies gejhah und der Stadtrath ftellte Da= 
rüber die nachfolgende Urkunde aus: 

„Wir Burgermeifter vnd Scheffen qu Fricz 
lar befennen in diefem vffen Brieffe, daz vns der hoechge- 
geborener jrluchtiger Furſte vnd Here Here Ludewig 
Zantgraue zu Heffen, vnſer gnediger lieber Here, vff 
aller heilgen Tag, nehſt vergangen, gutlich geſchreben vnd 
gebeten haid, vier aber funffe vß vnßerm Rate vff Frijtag 
aller Selentag. zeitlichen zu Ca ffil by ſyner Gnade ſchicken 
wulten ond ime derjelben finer gutlichen Bete nicht ver= 
jagen ꝛe. Des han wir gebeten die erfamen Johan Ka— 
ezeman vnd Hennen Knorren iczund Burgermel- 


*) ©. meine heſſ. Ritterburgen IL, S. 79 x. 


“ Y . 
. N 





388 


nunmehr vollftändigen Aufihluß. Es war eine Beſitzung 

‘der Abtet Seligenftabt, die Herren von Hanau aber hatten 

augenſcheinlich Die Vogtei, und dies blieb bis die Abtei 

1477 und 1478 ihr jammtliches Beſitzthum den hanauifchen 

Grafen überließ, welche feitdem alleinige Herren waren. 

Wann Seligenſtadt den Ort erworben, ift jedoch nicht be— 
Tannt, 

„Die fint die Zynße und Rechte, die das Cloiſter 
zu Selgenftad hait zu Nuwheym. 

Stem eyn Aibpt von Selgenitadt hait den Hoiff 
genant der Frone-Hoiff da felbft, da von er hait diße 
nachgejchrieben Rechte, Rendten und Zynßen. 

Stem eyn Aibpte zu Selgenftad hait im Rechten 
von Alters zu Nuwheym, als an andern Enden, eyn 
Schultheißen (scultetum seu villicum) zu machen vner= 
fordert adir gefraget der Naichgeburen ba felbft, zwilffe 
Scheeffen (seabinos) zu ſetzen (constituere et -confir- 
mare) und eyn Huydter adir eyn Schutzen der Samen 
adir der Fellde allenne zu fegeh (custodem satorum 
seu camporum wlgariter eyn Schutzen solus perfi- 
cere); alſo ab, ver erfte der Rutterſchafft vnd den 

Nachgeburen nicht beduychte nublichen zu fon, fo maig 
er dan eynen andern maichen (perficiet), adir den 
drytten ab ber ander nit nußlich were, doich fo ferre, wil- 
chen vnder den bryen den beiten er ſetztzen würde, das den 
Nymant habe zu uerwerffen und verkchmahen. 
gItem eyn Aibpte ſammenthaifft (una) eym Seren von 
- Hanaumwe fullen maichen eyn Sronboydten (pre- 
conem) ba felbjt und wie dicke die Ryttherſchafft vnd die 
Naichgeburen bevundet, da8 der vnnutze ſye, wann fie es 
ban fordern, fo fulen Die obgenannten Hernn eyn an— 
bern geben. 

Item 18 iſt auch Recht zu Nuwheym, als jnn allen 
andern Honffen des Eloifter8 zu Selgenftadt, das der 
Schulteiß vnd die Scheeffen vnd die Gemeyne der Nach 


a. ‘ 
——3 


389 
| \ 


geburen (Cvniuersitas incolarum) und der Subener (mansio- 
rum) da felbft Huldung (fidelitatem) thun geloben vnd 
ſchweeren fullent eym iglihem Hernn zu Selgenjtadt, 
fo er numlings Aibpte wurden if, 

Is ift auch Recht zu Nuwheym, das eyn Aibpte 
von Selgenſtadt jerlichen alle Jare zum Jare eyns ſyn 
Hoyff daſelbſt als an andern Enden ſuychen vnd beſehen 
maig ab er wil, vnd ſail kommen abs yme eben iſt mit 
yertzehen Fpherden uff der heyligen drye Konigen Abent 
zu Vesper, fo fail yne der Hoyffman (colonus) enfphahen 
vnd des Herrn des Fpherde Suter geben eyn Sommern 
Haybern vnd des Morges auch- fo vil, aber den andern 
Spherden iglichem eyn Meefte Habern und des Morges 
auch fo vil, und fail der jelbige Hoiffmann adir Schultheiß 
‚dem Hernn dem Aibpte vnd ſynen Irunden geben bag 
Naicht Immiß (cenam vulgariter eyn Yms) vnd des Mor= 
ges eyn Eſſen (prandium vulgariter eyn Effen), was dar⸗ 
uber vßgegeben wurde von der zweyer Dinſte wegen, hait 
eyn Hoiffman zur Eerrnn, wan man ſchnyedt, von eyner 
Buynden (de una bunda) fierezig Garben Habern vnd 
von der anderen Buynden fierczig Garben (manipulos) 
Weyßs. 

Item vff den zwoilften Taig jn Geinwertigkeit myns 
Hernn des Aibpts vnd aller Naichgebure vnd Buwluete 
Cincolis et cultoribus) der Guter des Cloiſters zu Sel⸗ 
genſtadt, Die da von Rechts wegen geyniwertig fullen fun 
am Gericht die vorgefchriben Tage, den erjten, den andern 
vnd den drytten, bye der nachgefchriben Buße, fail der 
Schulteiß die Scheeffen bye jrm Eyde fragen vmb die Recht 
eyn Hernn vnd des Eloifters, und fullen die Scheeffen mit 
beratem_ vorbedaichtem Mude (deliberatione habita) alle 
Nechte, Zynße und Renndte und eyn iglich® bejundern er= 
fleren vnd erlumwtern fur den allen, wilche Rechte auch fürs ' 
hyn ehlicher maiß oegeicriben ſyn, doch zu merer Luterung 
hernachgeſchriben fulgent: | on 





390 
Zu wiffen das Recht ift zum HSoyff zu Nuwheym 
das eyn iglicher, der das Gericht ſchuldig ift zu ſuychen, 
verfumet den erften Tag als den zwoilfiten dnd fun Zynß 
des felbigen erften Tages nicht breecht, der fal buyfen dem 
dem Hernn dem Aibpte mit eym Phunt Sphenningen vnd 
eym SHelbeling (obulo), wilder abir den anderen Taig 
verfumet vnd fon Zynße nit bezaildt, der fal buyffen mit 
zweyen Fphunt Sphenningen und zweyen Helbelingen, vnd 
wilcher den drytten Tag verjumet, der fail buyſſen mit 
dryen, Sphunde Zphenningen vnd mit dryen Helbelingen. 
Vnd ift zu willen, das alle die Die des Cloiſters Guter 
buwen und darinne wonen vmb Zynße und Nenndten, die 
fun ſchuldig vnd fullen geynwertig fon jnn den Gerich- 
ten zu halten Die drye vorgemelten Tage von dem zwoilff- 
ten Tag, vnd deöglichen jnn aller Wyſe und Mayßen den 
Gerichten zu halten, die da anfahen am Dinftage aller- 
nehft nach dem Sontage Quasi modo zu Diftern vnd jr 
Zynße da begalen und ab fon das nit bieten, fo fullen 
fie die vorgemelten Penen vnd Buyße gelten. 
tem fo ift auch Ortel vnd Recht, das wilder fynen 
Zynße von den Eerpgutern (bonis hereditariis), die vom 
Elvifter rorent, allerdinge mutwilliglichen verfumen wulde, 
alfo vil der Guter weren, die maig man verbietten mit 
der Fronen, aljo Doch Das die felben zufor dryemale ye zu 
fierzehen Tagen im Gericht daſelbſt verfundt vnd verboten 
werben, uberheubt jnn ſehes Woichen, wan die ſehes Woi— 
chen eyn Ende han, als dicke vnd vil der, des die Guter 
geweeſt ſyn, Hand anlehet vnd die Guter angriefft, alſo 
dicke vnd vil ſal er buyſſen vnd gelten eyn Fphundt Phen⸗ 
ninge vnd eyn Helbeling. 
Item werd Saiche, das die Guter, von den man 
inn vorgejchribener Maif die Zynße zu den obgenanten Zy- 
ten, das ift zum zwoilfften vnd zue Oiftern, vile Miteerben 
jammenthaifft vnuerdteylt innhan, fo fullen die felbigen die 
Verſumeniß fulcher Zynße vnd angeieffen der Guter fam- 


391 


mentlichen vnd vnuerſcheydetlichen buyſſen. Synt aber Die 
Guter vndir vile zurdteylt, fo ſal iglicher von ſyme ans 
grieffen eyn Fyhundt Fphenninge und eyn Helbeling buyſſen 
als vnd vil des noydt geſchiet“. 

Das vorſtehende Weisthum gehört ſeiner Schrift nach 
in die letzte Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts. Außer 
dieſem iſt noch eines in lateiniſcher Sprache vorhanden, 
welches in ſeiner Schrift auf das Ende des fünfzehnten 
Jahrhunderts hinweiſt. Daſſelbe ſtimmt mit dem deutſchen 
überein und ich habe einzelne Worte des lateiniſchen Textes 
dem deutſchen in Klammern beigefügt. Die lateiniſche 
Abfaſſung hat jedoch noch folgenden Nachtrag: 

Item isti sunt census in vniuerso cedens in Epipha- 
nia XII tal. denar. Item pasche iiij(3"/,) talenta denar. de 
quibus censibus dat dominus abbas in feudo XXV sol. co- 
lonis Conrado militi dicto Kolbentsell et suis cohe- 
redibus. Item Martini de ortis juxta Fridberg decima 
cedet domino abbati, que quandoque locata fuit duobus 
annis pro VI marcis .... . bene soluisset mag . . . vide- 
licet plusque circa VIII vel IX marcas den, et hoc satis 
ex eo, quod domini de Moguntia suam terliam partem 
locauerit duobus annis pro VI marcis. Item census de 
ortis versus Ocstat cedunt Martini XII solid. den. Item 
due partes decimarum in campis et in agris necnon in 
vineis Nuheym cedunt domino abbati in messe et in au- 
tumpno. Domini magunt. ecclesie majoris tertiam partem 
decimarum habent *) predictorum . . . . parochie in villa 
Nuheym, que olim attinebat monasterio Selgensta- 
densi iure patronatus pro cuius commutatione dominus 
abbas siue monasterium habet conferre vnam vicariam spe- 
cialem in ecclesia mogunt. probatus (!) iure preterea domino . 
abbati Michaelis vsque Martini cedet vnum censuale vide- 





*) Noch Ende des fechszehnten Jahrhunderts beſaß das Domſtift zu 
Mainz nei dritte Theil des Zehntens, 





392 


. licet Manewerckwia quot ame vel qu . . debetur et qui 
soluat census prenominatos, in particulari presentabit. 

Notandum quod dominus habet: infeodare dominum 
de Harauwe in Nuheim ad infrascripta. Primo habet 
de excessibus tam virorum quam mulierum, qui fient in - 
campis vel in terminis ipsius ville V sold. den. Item tria 
hospicia quouis anno duo sub pabulo arido et vnum sub 
viridi. Item pullos carnispriuiales ibidem habet. Item de 
+... patella 1 mltr. salis et sua addramenta. Item no- 
tum, quod preco seu- scutz tenetur custodire horreum 
domini abbatis ibidem a‘tempore messis vsque ad festum 
bti. Michaelis, _pro qua custodia habet idem preco in (1) 
tritici VI sichlinge et IX auene manipulos. 

(Die im Abdrude mit Punkten ausgefüllten Lüden 
bezeichnen Worte, welche nicht zu Iefen waren. Die Hand- 
fegrift ift nämlich ſehr ſchwierig) 

Die Halbsburg. 


Südlich von Friklar, links von der nad. Frankfurt 
führenden Straße, liegt auf flacher Höhe der Hof die 
Kalbsburg genannt. Derſelbe verdankt ſeine Entſtehung 
einer auf der Gränze des heſſiſchen Amts Borken gegen 
Fritzlar erbauten heſſiſchen Warte. Der Bau berjelben 
wurde Ende September 1431 begonnen, wo man ben 
Grundftein dazu legte. Eine Rechnung des Rentmeifters 
zu Borken enthält darüber: „Item III Bemifche uff deu 
erften Steyn, du men den Zorn uff den Bonebache ane 
huep⸗, Nachdem dieſer Thurm vollendet, wurde er mit 
fändigen Wächtern befeßt. So übergab Landgraf Ludwig I, 
„fine Wartte gelegen bij Friezlar uff dem Bonebady mit 
.jrer Zubehorunge“, wie dieſelbe Fiſchbach und dann Henne 
Semenbrogte gehabt, 1448. an Philipp von Borken und 
deſſen Hausfrau auf deren Lebenszeit, wogegen dieſe ver- 
ſprachen: „wann eyne uffinpar Landfhede aber ſuſt merg⸗ 
liche Fhede in jren Landen wer, daz wir alſdan ſolicher 


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393 


Fhede uff alle Zijt Tagk und Nacht eynen Knecht uff dem 

Thorne in der Warte haben vnd die uff daz befte virwaren 

Yaffen foln. Wan aber in jren Landen keyne Fhede fin, 

jo foln wir foliche Warte Doch uff daz beite vurwaren und 

alle Abinde vnd Morgin den SIagt*) an der Warte uff vnd 
zu ſlieſſzen vnd damide uff daz befte zu fehin uff daz jr 
Gnade ond je Lande ond Lute bauon keynen Kinder noch 
Schaden nemen dorffin ꝛc“. 

Wir lernen hieraus die Art und Weiſe Tennen, in 
welcher die Wartthürme benutzt wurden. 

Iſt auch der Name des Bonebaches jetzt nicht mehr 
nachzumweilen, jo kann doch jener Thurm aus dem einfachen 
Grunde nirgend8 anders als nur in der Kalbsburg gejucht 
werden, weil eben feine andere heiliiche Befeftigung auf 
der Gränze des Amts Borken gegen Sriglar vorhanden 
geweſen ift. 

Wie lange jener Philipp von Borken den Thurm 
innegehabt, ift nicht bekannt. Im Jahre 1494 gab Land» 
graf Wilhelm feinem Amtmann zu Borken Philipp von 
Wildungen, der auch heffiicher Erbfüchenmeifter war, um 
ihn für feine Dienfte zu lohnen „den Thorn gelegen by 
Großen Englyes vf vnſer Lantwere mit finer Ringkmuren, 
Vmbgriff, Betzirgk und was darzu gehöret“ für Söhne 
und Töchter zu Mannlehen und geftattete ihm „vf das vun- 
fer Straes vnd die Unjern des Orts deſto ftaetlicher ge— 
banthapt vnd beichirmet werden“ daſelbſt ein Schloß und 
burglichen Bau aufzurichten und denjelben „Hoen Englyes“ 
zu nennen. 

Philipp begann auch wirklich dieſen Bau, als er aber 
ftarb (1505), war derſelbe noch in feinen Anfängen: und 
ift auch fpäter niemals zur vollen Ausführung gelommen. 

Neben dem Namen Hohenenglis tritt feit der 
Mitte des ſechszehnten Jahrhunderts auch der Name Kalb s⸗ 


*) d. h. der Schlag, mittelft deſſen die durch die Landwehr führende 


Straße geichloffen wurde. 


394 


burg hervor, ohne daß ſich jagen läßt, wie diefer ent⸗ 
fanden. Urfundlidy findet man ihn zuerjt 1565. Als näm⸗ 
ih damals die von Wildungen ihre heifiihen Lehngüter 


z Wichdorf verlauften, feßten fie flatt deren 12 Hufen 


Land und 100 Ader Holz „vor und um die Kalbsburg 
gelegen fammt feinen Bäuwen bafelbft*, welches alles ihr 
Eigen war,. zu Lehen ein. 

Die von Wildungen blieben vie zum Jahre 1596 in 
dieſem Befite. In diefem Jahre verpfänvete Burghard 
von Wildungen mit Zuflimmung feiner Familie feinen 
Nitterid „Hohenengelfüß genannt die Kalbsburg“ an feinen 
Schwager Meldior von Hanftein, der. diejen Pfanvbefik 
anf feinen Eohn Kaspar von Hanftein vererbte. Doch 
auch diefen drängten Schulden und veranlaßten ihn 1616 
„das Haus Engelfued die Kalbsburg genannt” dem Land⸗ 
srafen Moriz gegen Uebernahme des Pfandgelds abzutreten. 
Sm Sahre 1626 machte Landgraf Moriz feinem Sohne 
Friedrich mit der Kalbsburg ein Neujahrdgeichent und fo 
kam diejelbe an die Rotenburger Linie des heifiichen Hauſes. 
Doch aud dabei blieb fie nicht lange. Im Jahre 1644 
gaben die Iandgräflichen Brüder Friedrich, Ernft und 
Hermann ihrem Gejammtrath und Hofmeifter Meinand von 
Polhelm die Kalbsburg zu Leben, um ihn für jeine lang- 
jährigen Dienfte und für feine Begleftung in ihren Feldzügen 
" zu lohnen. Nachdem derjelbe zum Geheimerath und Prä- 
fiventen zu Rotenburg emporgeftiegen und das Enbe feines 
Lebens ſich nahen fühlte, ohne daß er Kinder hatte, ſetzte 
er durch letzwillige Verfügung von 1657 feinen Better Wil- 
beim von Polhelm zum Erben feiner Befigungen und na= 
mentlih auch des „Ritterfite® Hohenengeljüs font vie 
Kalbsburg genannt“ ‘ein. Seitvem werben meine Nach—⸗ 
richten lüdenhaft. Schon das vermag ich nicht anzugeben, 
wann und wie der Hof aus dem. Befike der von. Polhelm 
gekommen. Im Jahre 1683 und auch noch 1684 wohnte 
hier Georg Bernhard von Weitershauſen und zivar tief ver⸗ 


395 


ſchuldet. Später war der Hof im Beſitze der Familie 
Schleenſtein und darauf in dem der Familie Kirchmeier, 
von der er 1778 durch eine Erbtochter an die von Porbed 
gelangte, welche ihn bi8 1855 befaßen, wo er von dem 
Dekonomen Wilhelm Met zu Zennern durch Kauf erwor- 
ben wurbe, 


| Die FTandsburg. 

Dicht über dem rechten Ufer der Schwalm erhebt 

fih zwijchen den Dörfern Allendorf, Micheldberg, Dorheim 

und Schlierbach an 550 Fuß ein hoher reichbewalbeter 

Bajaltfegel, an deſſen Fuße die Eifenbahn von Kaffel nad 

Frankfurt vorüberzieht und auf deſſen weithin fichtbarem 

Gipfel ehedem die, jet nur in wenigen Reften noch er= 
fennbare Landsburg lag. 

Als 1344 dem Landgrafen Heinrich II. von Helfen 


eine Fehde mit dem Erzbifchofe von Mainz in Ausficht 


ftand, verband er fich zu diefem Zwecke mit ben. beiden 
Grafen von Biegenhain und veriprach denſelben zugleich 
feine Hülfe bei dem Baue einer Burg auf dem Gerften- 
berge*) Diejer Bau wurde ausgeführt und fo entitand 
die Landsburg, welche wohl wegen ihrer weithin das 
Land überjchauenden Lage diefen Namen erhielt, der ſogar 
den alten Namen des Berges gänzlich auß der Erinnerung 
verdrängte, Als Zubehörungen erhielt die Burg die Dörfer 
Allendorf, Micheldberg, Diemenrode, Holzmanndhaufen 
und das halbe Knechtbach überwiejen, von denen bie brei 
legtern nicht mehr beftehen **). 

Bereits 1345 wurde Hermann von Löwenftein- 
Schweinsberg als Burgmann beftellt, und 1350 finden 
wir in gleicher Eigenfchaft Friedrich von Kalsmunt und 
die Familie Krengel. 


*) S. Biete a oe 1. S. 9. 
**) Daſ. S 


396 


Sm Jahre 1364 waren jener Hermann won Löwen 
ftein-Schweindberg und Wiederhold Meilenbug im Pfand 
befite und zwar, wie Urkunden von 1371 ergeben, der er= 
flere zu zwei und ber legte zu einem Drittel. Beide ver- 
pflichteten fi, an den Muuern, dem Graben und dem 
Hauje 120 Mark Silbers zu verbauen. Wiederhold's Antheil 
vererbte auf jeinen Eidam den Ritter Konrad Spiegel; dann 
fam er auf Andreas von Binsfört und endlich auf teilen Bru— 
Der Ludwig von Binsfört, Dechanten zu Rotenburg, wel= 
her. feine Pfandrechte 1412 dem Erzbiſchoſe von Mainz 
überließ *). Hermann’8 von Lowenftein zwei Drittel waren 
dagegen. auf feine Nachkommen vererbt und befanden fich 
im Anfange des fünfzehnten Sahrhunderts im Beſitze Gott- 
fried’8 von Löwenftein-Schweinsberg.. Wodurch diejer mit 
den Grafen von Ziegenhain in Zwift gerieth, iſt unbekannt. 
Es fam jedoch zu einer Fehde und die Grafen eroberten 
die Landsſsburg. Diefelben fagen in einer Urkunde von 
1404 „dar wyr dye Landsburg myt vnſen Frunden gewun- 
nen” und in einer andern von 1408 „aljo wir Godefrid 
von Swinsberg dij Landisborg angewonnen han“. Es fcheint 
dies fogar auf wiederholte Eroberungen zu deuten, wenn 
auch ohne weitere Nachrichten nicht darüber zu enticheiden it, 
Jedenfalls kamen die von Löwenftein-Schweinsberg damit 
aus dem Beſitze. 

Im Jahre 1425 wohnte Hartmann Schleger auf der 
Landsburg und 1437 wies der letzte Graf von Ziegenhain 
die Burg ſeiner Gemahlin zur Leibzucht an **). Die Pfand⸗ 
Ichafts-Verhältniffe waren demnach gelöfl. Nachdem die 
. Burg mit ihren Zubehörungen 1450 an Helfen übergegan- 
gen war, beftimmte fie Landgraf Heinrich III. zur Mor- 
gengabe für feine Gemahlin Anna von Katzenelnbogen. 
Diefelbe gab darum auch ihre Zuftimmung, als ihr Gemahl 
die Burg 1461 an Kaspar von Roßdorf verichrieb, Don 


*) Gudenus, Cod. dipl. IV pag. 850. 
+ Wend III UB. ©. 236, 


897 


diefem ging fie auf deffen Sohn Johann über, bis fie 1480 
Hans von Dörnberg an fi kaufte. Deſſen Beſitz war 
jedoch nicht von Dauer, denn 1490 fteht fie bereit8 wieder 
unter einem landgräflichen Amtmanne, Hanſens Schwefter« 
Sohne, Appel von Greuffen. Als dieſer ftarb, gab fie Lands 
graf Wilhelm II. feinem natürliden Bruder Wilhelm von 
Heſſen. 

Dieſer Wilhelm von Heſſen war ein natürlicher Sohn 
des Landgrafen Ludwig II. Seine Mutter iſt nicht bekannt, 
cheint aber jene „Sungfrau Margarethe von Holzheim“ *) 
geweſen zu fein, welche in den le&ten Lebensjahren des Land- 
grafen ſtets in deſſen nächjter Umgebung fich findet und 
ihn felbft auf die Jagden begleitete. Im Sabre 1512 
nennt Wilhelm den Droft zu Walded Hildebrand Gau— 
grebe feinen Stiefvater. Seine Mutter hatte fich aljo nach 
des Landgrafen Tode mit diefem verehlicht **), Im Sabre 
1506 hatte Landgraf Wilhelm feinen „natürlichin Bruder 
und Rath”, wie er ihn felbft nennt, Wilhelm von Heflen 
mit den heimgefallenen Lehngütern der von Rinne, nämlich 
dem Dorfe Obermölrih, fünf Achtel vom Dorfe Maden, 
einer Hauſung zu Altenburg, einem Burgfig zu Nieden- 


*) Im Jahre 1470, und zwar gegen befjen Ende, lieft man in einer 
Rehnung: „als Juneffrauwe Margarethe von Holezeheym 
zu Schachten daz Kind hub”. Zu dieſer Reiſe hatte fie die 
Wagen-Pferde des Klofters Haibe verwendet. 

Es findet fi außerdem noch ein Wilhelm von Heffen, welcher zu- 
weilen als der ältere bezeichnet ‚wird und 1508 und 1509 land⸗ 
gräflicher Botenmeifter war. Wahrjcheinlich war derſelbe ebenfalls 
ein Sohn Ludwig IL. Daffelbe war wohl auch mit Johann von 
Heſſen der Fall, melden man von 1507—1514 als Amtmaun zu 
Sranfenberg begegnet, denn in feinem Schilde führte er einen Lö⸗ 
wen und auf dem Helme die bekannten Büffelhörner, Im Jahre 
1480 wurde eine natürliche Tochter Ludwig II. verebelicht, deren Name 
aber nicht genannt wird. Möglich, daß es Anna war, welche Heinz 
Meifjener zur Ehe hatte. Eine andere Tochter war Leuckel Lampaſt. 
Diejelbe war ſchon als Kind in's Klofter Ahnaberg gefommen und 
als daſſelbe 1527 aufgehoben wurde, bereits feit 2 Jahren darin, 


vor. Band. 


x 


— 


398 


ftein:e., fowie dem dur Thimo's von Wiltungen Tod 
beimgefallenen Burgfite zu Meljungen belehnt. Ebenſo 
gab er ihm in temjelben Jahre, wo er ihn als jeinen 
Thorwärter bezeichnet, die Burg Echöneberg bei Hofgeis⸗ 
mar mit tem dazu gehörigen Gerichte. Wenige Sabre 
nachher, 1509, beitimmte er ibm dann audy tie Land & 
burg mit ihrem ZTörferzubehör, und um ihm zugleich eine 
höhere Stellung zu geben, erwirkte er beim Kaiſer tie Er> 
hebung Wilhelm’3 in ten Zreiherrnitand und des Gebiet 
der Landsburg zu einer Herrſchaft. Seitdem nannte 
fih Wilhelm Freiherr oder au Edelherr zur Land 
burg. Er hatte nun bald zu Echöneberg, bald zur 
Zandsburg feine Wohnung *). Nactem im Sabre 
1518 (oder 1520) Schöneberg für die zu diefem Zwecke 
beftimmte Summe von 3000 Gulden wieder abgelöjt wor- 
den, kaufte er mit diefem Gelde die Güter des deutſchen 
Ordens 3.1 Obermölri und einigte jo das ganze Dorf in 
feinem Befite. Er lebte noch 1544. In dieſem Sabre 
gab er an Landgraf Philipp die Landsburg zurüd, behielt 


*) Wilhelm änberte ſeitdem auch fein Wappen. Bis tahiu hatte er 
einen halben Löwen in feinem Schilde und einen Helm mit den 
gewöhnlichen Büfjelhörnern mit auslanfenden Etengeln geführt. 
Später war fen Schild quer geheilt. Die untere Hälfte war 
quadrirt, die obere hatte einen fchreitenden Löwen. Die Helmzier 
Dagegen beftand ebenwohl aus einem jchreitenden Löwen mit einer 
Krone, aus welder drei Pfauenfedern hervorgingen. 

*0) Als er 1511 zu Schöneberg wohnte, kamen feine Diener mit Diet- 
rihd von Scadten, dem Amtmann zu Grebenftem, im Dorfe 
Kalden in Streit und fchoffen auf diefen. In Folge deſſen beſchul⸗ 
digte man Wilhelm eines Mortanfchlags anf Dietrich, er vermochte 
jedoch feine Schulblofigfeit darzuthun und hatte jene Diener auch 
jofort entlafjen. Im Sabre 1513 hatte er in ter Oftermejje zu 
Zrankfurt von einem Kaufmann zu Köln 25 engliiche Tuche, ſchwarz 
und roth, und weiß und grau, für 714 Gulten gefauft, welche 
er in der Herbfimefle zu zahlen verſprach. Da er aber nicht Wort 
hielt, wurde er am SHofgerichte verklagt und wußte bier die Sache 
jo binzuziehen, daß fie 1525 noch nicht erledigt war. 


399 


aber den Bezug fammtlicher Einkünfte aus den zur Lands⸗ 
burg gehörigen Dörfern. Er nahm jebt feine Wohnung 
zu Melfungen und muß bald nachher geftorben fein. Seine 
Gattin, deren Name jedoch unbefannt, lebte noch 1544. 
Kinder hatte er nicht, 

Damit ſchließt auch die Geſchichte der Landsburg. 

Schon 1533 hatte Konrad Diede die Anwartichaft 
auf die Landsburg und andere Lehen Wilhelms von 
Heſſen für den Fall erhalten, Daß derjelbe kinderlos fterben 
werde, doch wurde dieſelbe nicht verwirklicht. 


Der Edelhof zu Bolzhaufen. 


Das vor dem Reinhardswalde und an der von Kaffel 
nach Bederhagen führenden Straße liegende Dorf Holz 
hauſen findet man zuerft im Jahr 1019 als »oppidum, 
quod Holshusen uocatur« genannt*). Daß unter oppidum 
bier an feine Stadt im fpäteren Sinne gedacht werden 
fann, bedarf wohl nicht bejonder8 bemerkt zu werden. Es 
wird dumit vielmehr nur ein befeftigter Ort angebeutet, 
Indeß ift von irgend einer Befeftigung jetzt, fo viel mir 
befannt, feinerlei Spur mehr vorhanden, wohl aber, und 
dies ift jedenfall® bemerfenswertb, warb noch im fieben- 
zehnten Jahrhundert das Dorf abwechlelnd au Bur gholz⸗ 
baufen genannt. 

Nachdem das Dorf fange wüſt gelegen, wurde eg 
gegen die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts wieder an— 
gebaut und hatte 1454 wiederum 16 Häuſer und 1465 
18 Familien, unter denen 6 Köthner fich befanden. Es 
ſtand unter dem Gerichte zu Grebenftein und beſaß 
auch jchon eine Kirche. Unter Landgraf Wilhelm IV, 
(etwa 1580) zählte man bereit? 56 Familien. Im März 
1560 hatte jedoch eine Feuersbrunſt einen großen Theil 
des Dorfes in Afche gelegt. Bon einem größern Hofe ift 


*) Cod, dipl. Wesiph, Nr, 101. Ä * 
24 


400 


bi8 dahin noch feine Rede. Bon einem folchen findet man 
erft im Anfange des fiebenzehnten Jahrhunderts Nachricht, 
Denſelben beſaß damals die Zamilie von Fallenberg zu 
Herftelle, ohne daß fih irgend ein Nachweis über ben 
Erwerb darbietet. 

Widelind von Fallenberg war Bermund über ten nach⸗ 
berigen heijiichen Oberftlieutenant Ehriftian de Wrede geive- 
. fen. Da er ein Out jeined Mündels in Nordheim verkauft 
und außerdem auch noch mit einigen Summen im Rüdjtande 
geblieben war, verflagte ihn de Wrede und Witefind wurde 
zur Zahlung von 1568 Thaler Kapital und 1218 Thaler 
Zinjen verurtheilt, und da dieje nicht erfolgte te Wrede 
in Widelind’3 ſämmtliche Güter eingewieien. Darüber 
ftarb Witelind (1627) und wieber gingen Jahre hin, bi 
endlich Widekind's Schn, Ludolph Chrilteph, und Witefind’s 
Geichwijter mit de Wrede in Berhantlungen traten. Man 
bot dieſem die Abtretung des adeligen Haufe zu Holzhaujen 
an, wenn er 1000 Thlr. zurückzahle. Ta tiefer tarauf 
nicht eingehen wollte, ließ man mit fi} hanteln und be 
gnügte fich endlich mit 200 Thlr. Sp wurde durch Ber 
trag vom 5. Oktober 1638 das Gut an de Wrete abge- 
treten, und dieſer blieb biß gegen 1675 in teilen Befſitze, 
wo ed an den Oberjtlieutenant Hans Meier überging. 

Diejer Hand Meier war 1617 zu Grofenrühten im 
Stift Hiltesheim geboren und ſchon frühe in Kriegsdienite 
getreten. Nachdem er drei Jahre im ſchwediſchen Reiter- 
regiment des Oberſten Rudolph von Birkenfeld getient, 
nahm er 1641 zu Minden feinen Abjchied. Nicht lange 
nachher trat er jetoch wieter in Dienit. Er wurte Quar- 
tiermeifter im ſchwediſchen Neiterregiment von Barjig und 
nad 5 Monaten zum Kornet befürtert. Im Sabre 1643 
nahm er wieter ten Abſchied und vermweilte bis 1654 bei 
ten Eeinigen. Er trat nun als Nittmeifter in das ſchwe⸗ 
diihe Reiterregiment te3 General - Majord Bötteder und 
blieb 4 Jahre in temjelben. Erſt 1658 trat er zu Mel- 


401 


dorf in Holſtein wieder zurüd. Es folgten noch einige 
ähnliche Wechjel. Im Jahr 1672 finden wir ihn im bran⸗ 
denburgiichen Dienfte als Oberſtwachtmeiſter und am 5. 
Oktober 1672 wurde er im Hauptquartier zu Bergen zum 
Oberftlieutenant ernannt, Als folcher brachte er das Gut 
zu Holzhauſen an fih. Indeß hatte er noch feine Ruhe. 
Als 1677 fih in Dänemark Krieg erhob, verpachtete ex 
da8 Gut (gegen jährli 20 Viertel Roggen, 20 Biertel 
- Safer und 10 Viertel Gerfte und Mebernahme aller Laften) 
auf 6 Iahre und eilte dorthin. Im Jahre 1679 kehrte 
er zurüd und da er mit der Wirthichaft des Pachter8 un 
zufrieden war, kündigte er bemfelben, um das Gut wieder 
felbit zu bauen. 

Meier war zweimal verehelicht geweſen. Aus eriter 
Ehe hatte er feine Kinder, aus der zweiten einen Sohn 
und eine Tochter, welche mit der Mutter in Halberſtadt 
lebten, während Meier in Holzhauſen ſaß. 

Nun traten aber auch noch zwei Geſchwiſter, ein Bru⸗ 
der und eine Schweſter, auf, welche behaupteten ſie ſeien 
Kinder aus Meier's erſter Ehe und klagten gegen ihn 
auf Alimentation. Vergebens ſtellte er vor, daß er nicht 
deren Vater der Oberſtlieutenant Andreas Meier ſein könne, 
weil er Hans heiße, vergebens wies er nach, daß ſeine 
erſte Frau anders geheißen habe, als die Mutter der kla— 
genden Geſchwiſter, vergebens traten auch ſeine Kinder 
dazwiſchen, er wurde trotz alledem als Vater anerkannt, 
ſicher nur in Folge zu großer Nachläſſigkeit in der Führung 
ſeines Rechtsſtreits, und das Gericht wies die Alimente auf 
das Gut zu Holzhauſen an. Die angebliche Tochter, welche 
zu beſſerer Betreibung der Sache ſich meiſt zu Kaſſel auf- 
hielt, füumte auch nicht das Erkenntniß auszubeuten. Es 
wurde ihm ein großer Theil des Gutsinventars gepfaändet, 
insbejondere beinahe fämmtliches Vieh. Meier mußte fich 
in Folge deſſen nicht anders zu helfen, als daß er fein Gut 
verpachtete. Er that Dies 1681 auf drei Jahre an Dietrich 


402 


von Schachten, an veffen Statt aber fchon im folgenden 
Sabre der Schwager deſſelben Hans Friedrich von Stod- 
haufen eintrat. Meier behielt fi nur eine befchränfte 
Wohnung aus und lebte, alt und fränflich, in den fümmer- 
lichſten Verhältniſſen. Erft die Noth feheint ihn rühriger 
gemacht zu haben. So ermittelte er, daß ein ſchwediſcher 
Oberftlieutenant Andreas Meier vom Regimente des General 
Wittenberg vor Nienburg auf Fühnen geblieben fei und brachte 
felbft Zeugniffe bei, wonach mit demjelben der Kläger Mut- 
ter, des Bürgermeifterd Salomons zu Schlawe in Pommern 
Tochter, verehelicht geweien fei. Im Jahre 1684 wurde 
noch ein Oberftlieutenant Andreas Meier aufgefunden, der 
zu Büdingen ſaß und ſich mit Herftellung eine8 perpetuum 
mobile beichäftigte. Dieſer war fogar geneigt die Vater— 
fchaft anzuertennen, wa8 jedoch bei der Lage der Sache 
nicht fo Turzer Hand angenommen werben konnte. Das 
Gericht verlangte deshalb, daß beide Meier nach Schlawe 
reifen follten, um den Stabtrath den richtigen auswählen 
zu laſſen. Es fcheint indeß nicht Dazu gefommen zu fein. 
Wohl wurden mehrmals Anläufe gemacht, ohne aber weiter 
zu kommen, Die Reife war weit und Eoftipielig, und beide 
waren alte Burſchen und hatten nichts überflüſſig. Bald 
war der eine bald der andere frank und wenn auch das 
nicht der Tall war, fo fehlten doch die Mittel. Die angebliche 
Tochter war Dagegen zu einem der angelegten Termine nach 
Pommern gereiſt und ließ Die gehabten Koften von dem 
erzwungenen Vater beitreiben. So ſtand's noch 1686, wo 
die Alten abbrechen, ohne Daß man fieht, wie Diejer wunder= 
liche Streit fich fchlieklich erledigt hat. Auch ift mir un— 
befannt, ob Meier dad Gut bi zu feinem Tode behalten 
und an wen ed dann übergegangen ift, 

Sn fpäterer Zeit follen die Meifenbug den Hof be— 
feifen haben. Im Anfange des vorigen Jahrhunderts hat- 
ten ihn die Gebrüder Willius. Diefen folgte die Familie 
Thomas (bi8 etwa 1831), dann Rudolph (1834) und 


403 


ſchließlich Roprecht (ſeit 1836), welche noch jebt im 
Befite ift, 


Die Burg zu Waldau 

bei Kaſſel. 

Das was Windelmann und Engelhard von einem 
Raubſchloſſe und einem Klofter zu Waldau erzählen, ift 
ohne alle gefchichtliche Grundlage, Seit dem Anfange des 
fünfzehnten Jahrhunderts findet man eine landgräfliche 
Burg ober vielmehr Kemnate im Dorfe Waldau, weldye 
als ein Oekonomie-Vorwerk des füritlihen Renthofs zu 
Kafjel betrachtet wurde. Im Jahre 1484 gab Landgraf 
Wilhelm I. feiner natürlichen Schweiter Anna und deren 
Gatten dem Thorfnechte Heinz Miffener „die Kemnate zur 
Walde" mit ihren Aedern, Wiefen und Gärten, nur die 
‚Zehntjcheuer ausgenommen, wie er jagt, für die Dienfte, 
welche beide feiner Mutter der Landgräfin Mechtilde gelei= 
jtet und auß befonderer Zuneigung. Er behielt fich dabei 
vor, dieſe Befitung mit 200 Gulden wieder zurüdfaufen 
zu fünnen. oo 
Sm Jahre 1486 wurde die Kleine Burg erneuert, 
und zwar auf fürftlihe Koſten. Dieſes neue Gebäude 
dauerte bi8 zur Zeit des Landgrafen Moriz, wie e8 jedoch 
ſcheint, nicht mehr in wohnlihem Zuſtande. Landaraf 
Moriz richtete hier eine Förſterwohnung ein*) und noch heute 
dient das daſelbſt ftehende Gebäude dem gleichen Zwecke. 
Bon der alten Burg find noch Mauern und Rondele vor= 
handen, welche jchon Landgraf Moriz zu Hundezwingern 
einrichten ließ. 


*) Es fcheint jedoch, daß die Burg ſchon im fünfzehnten Jahrhundert 
zu einem gleihen Zwecke gebient habe. Es hatte wenigftens ber 
landgräfliche Fägermeifter Henne Fled 1463 zu Waldau feinen 
Wohnſitz. 


- 404 
Die Gründung der Stadt Lichtenau. 


Die Gründung der Stadt Lichtenau gejchah durch 
Zandgraf Heinrich I. von Heſſen und jedenfall! zu dem 
Zwede, um ber aus Thüringen kommenden und nach Kaffel 
führenden Straße eine größere Sicherheit zu gewähren. 
Die Chroniften gedenken ihrer Anlage nicht. Dagegen 
jeben wir aus der nachfolgenden Urkunde, daß fie 1289 
noch eine neue Stadt genannt wird. 

Nos Hermanus dictus comes*) de Eyterhayn, 
Rupertus sacerdos et Sifridus ceterique pueri mei 
in hiis scriptis publice protestamur, quod de omni iure, 
quod habere cognoscebamus in bonis Segehartheshu- 
sen**) sitis, quod nostrum pheodum appellabatur silua- 
rum ***) abrenunciavimus propter deum. Quicquid vero iu- 
ris in bonis super diclis habere uidebamur, domino pre- 
posito sanctimonialium in Germerode et eidem fabrice 
admisimus perpetuo optinendum. Huius rei testes sunt 
dominus de Virbach ordinis theu. domus, Conradus 
de Retrode et Henricus filius suus et alii quam plures 
fide digni. In huius rei testimonium presentem literam 
sigillo burgensium noue ciuilatis Lichtenowe feci- 
mus communiri. Datum et actum in die annunciationis 
virginis anno dni. M. CC. L. XXX. VII. 

Das an diefer Urkunde hängende Siegel belehrt uns 
aber noch weiter, daß die Stadt im Anfang noch nicht 
‚ihren gegenwärtigen Namen führte. Dieſes Siegel, welches 
einen Hauptthurm und zwei Nebenthürme darjtellt, bat 
nämlid die Umſchrift: Sigcllum) civitatis de Walberc. 
Der Name der neuen Stadt war demnach von dem benach- 
barten Dorfe Walburg (früher Walberg) entlehnt. Es ift 
wohl nicht Daraus zu fchließen, daß die neue Stadt in der 


*) Der Grebe oder Ortsvorftand, 
>) Witftung bei Lichtenan. 
x) d. i. zu Waldlehen. 





3 
Tu 


405 

Feldmark von Walburg angelegt worben fei, weil einige 
wüfte Dörfer und namentlich auch das in der Urkunde 
genannte Segeharteßhufen zwifchen beiden liegen, wohl aber 
mag Walburg der neuen Stabt einen großen Theil ber 
Bürger geliefert haben, 

Auch noch 1323 wird Lichtenau eine neue Stadt 
genannt, wie die nachjtehende Urkunde zeigt. 

Nos Conradus dictus Hagemeyster, Sifridus 
de Gribolderode proconsules, Johannes filius Ha- 
gemeisters, Heroldus, JohannesFinke, Woli- 
grabe, Heynricus de Bercheym, Tilo de Holen- 
steyn, Hartmannus de Hülsbach, Hermannus 
de Ymmedeshusen, Conradus de Rodenberg et 
Heynricus de Holensteyn, consules noui oppidi in 
Lichtenowe, recognoscimus publice in hiis scriptis 
nobis constare euidenter, quod Ludewicus de Ho’n- 
rode et Gertrudis sua conthoralis ligittima nostri con- 
ciues in nouo oppido Lichtenowe omnia sua bona et 
singula in campis, areis, nemoribus, pratis, pascuis, qui- 
buscunque locis sita in Ho°menrode pertinentia vendi- 
derunt rite ac rationabiliter venerabili domine Jutie abba- 
tisse et conuentui ecclesie sancte crucis in Coufungen 
pro tribus libris et decem solidis in Casle vsualibus per- 
petue possidenda, renuntiantes dieti conjuges omni jure 
suo, quod habebant in eisdem et repossessionauerunt 
prefatos abbatissam et conuentum per finbriam vesti- 
menti sui bonis de eisdenm cum omni iure sicut ipsi 
ea possederunt. Testes huius rei sunt dominus Degin- 
hardus, dominus Gumpertus, sacerdotes et capellani 


domine abbatisse predicte, Johannes et Ludewicus 
fratres dicii Stoz, Heinricus Scolle et alii quam 
plures fide digni. In cuius rei plenius testimonium has 
literas nostre communitatis sigillo in Lichtenowe ad in- 
stantiam diligentem dictorum coniugum dedimus_ firmiter 
communitas. Datum et actum anno dni. M. CCC. XXI. 


in die Praxedis virginis (21, Juli). 





406 


Ellingerode. 

Dieſen weſtlich von Rotenburg liegenden Hof beſaß in 
der Mitte des vierzehnten Jahrhundert Herman von Bebra. 
Im IJ. 1346 verſchreibt dieſer Herman von „Bybera« 
eine Fruchtrente ex dimidia parte bonorum in Ellinge- 
rode, welche Hälfte er vom Landgrafen von Heſſen zu Lehn 
trage. Eine ähnliche Verſchreibung geſchah auch 1355 von 
demjelben, nämlich „vz myme Gude zue Ellingerode». Ob 
Hermann den Hof ganz bejaß und dann die andere Hälfte 
etwa vom Stifte Hersfeld zu Leben trug, oder überhaupt 
nur eine Hälfte des Hofes hatte, fteht nicht zu ermitteln, 
Diefer Hermann von Bebra’ gehörte nicht nur feinem 
Wappen, fondern auch der Umijchrift feines Siegeld nach 
der Yamilie von Rodenberg (Rotenburg) an, Ob er 
Kinder hatte und auf diefe den Hof vererbte, ift mir un- 
befannt, ſpäter findet fich jedoch der Hof im Beſitze Der 
Zandgrafen und man darf wohl annehmen, daß dieje Durch 
Heimfall zu demfelben gelangt find. Er blieb auch darin big 
1503, wo Landgraf Wilhelm II. feinen Küchenmeifter Soft 
von NRatenberg und deſſen Bruder Konrad damit belehnte, 
deren Großvater Konrad ung zuerjt 1440 al8 Burgmann 
zu Rotenburg begegnet. Später wurde Ellingerode 
von den Landgrafen wieder zurüdgefauft und gelangte 
dann al8 Lehn an die Familie Aitinger. Diefelbe ſtammte 
aus Ulm. Sebaftian Aitinger, Rathsſchreiber daſelbſt, 
verließ in Folge eines Streit8 mit tem Stabtrath wegen 
feine8 dortigen Haufes feine Vaterftadt und trat 1540 als 
Sefretarius in die Dienfte des Landgrafen Philipp, und 
war num bejonderd thätig in den Angelegenheiten bes 
fchmalfalvifchen Bundes, Der unglüdlihe Ausgang des 
Krieges bewog ihn fich wieder in Ulm niebderzulaffen, mit 
deſſen Stadtrathe ihn der Landgraf ausgeföhnt hatte, Da 
er in die Geheimnifje des Bundes eingeweiht war, traute 
er jedoch feiner Sicherheit nit, Er fürchtete, daß eben 


407 
diefer Geheimniſſe wegen ber Kaifer fich feiner bemächtigen 
werde, Als man ihm nun am Abend des 8. November 
1547 mittheilte, daß ein Trupp Reiter dem Dorfe Bur- 
Yoffingen, nahe bei Ulm, fich nähere, wo er fich damals 
wegen der in Ulm herrichenden Seuche aufbielt, war er 
raſch entichloffen. Obwohl nur leicht bekleidet und vom 
Fieber geplagt, eilte er Doch fofort durch die Hinterthür 
feiner Wohnung zur Donau, warf fi in den Strom und 
ſchwamm an das andere Ufer. Diele Flucht fteigerte jedoch 
feinen Krankheitszuftand jo fehr, daß er wenige Tage nach— 
her Ddemfelben erlag. Schon am 12. November erfolgte 
fein Tod. Einer feiner Söhne war Johann Konrad. Als 
derfelbe herangewachſen war, ging er 1563 mit einem Fürs 
johreiben des Ulmer Stadtraths zu Landgraf Philipp und 
fand bei demfelben eine wohlwollende Aufnahme Der 
Landgraf jagte zu feiner Umgebung : „dieſes jungen Mannes 
Bater hat LXeib und Leben für mich gelaffen; wollte Gott 
ich hätte folcher Diener mehr”, Philipp nahm ihn in feine 
Dienfte. Später wurde er Sefretar bei Landgraf Philipp 
zu Rheinfels, welcher ihm 1569 ein Lehngut gab, 1586 
wurde er Amtmann zu Trefurt und 1588 Rentmeifter zu 
Rotenburg. Hier war e8, wo er 1595 den Hof Ellin- 
gerode taufchweile von Landgrafen Moriz erward, Er 
Yegte hierauf feine Stelle nieder und ftarb 1600, Ellin- 
gerode wurde der Stammfig der Familie. Bon den 
Söhnen war Joh. Oswald lange Zeit Stiftsfämmerer zu 
Rotenburg. Doch fchon mit des Yeßtern Sohn dem roten- 
burgiihen Kammerrathe Johann Kaspar erlojch der Manns— 
ftamm 1729. Noch in demfelben Jahre wurde die ſchöne 
Neife-Hofmeifterin Chriftine Bernhold von Eichau mit dem 
heimgefallenen Hofe belehnt, nachdem fie ſchon 1721 bie 
Anwartichaft darauf erhalten hatte, Später wurde Chriftine 
zur Neichsgräfin erhoben und von Landgraf. Wilhelm VIII 
1755 in jeinem Teftament zur Oberhofmeifterin ernannt. 
Ihre drei Schweitern hatten die eventuelle Mitbelehnung er= 






408 


balten, und als EChriftine nun bald nachher (1757) ftarb, tra⸗ 
ten diefe als ihre Erben ein. Da jedoch die Erneuerung ber 
Belehnung einigemal verfaumt worten, wurde Ellinge- 
rode (welches damals 280 Thlr. Pacht ertrug) eingezogen 
und erft 1760 die Belehnung von Neuem gewährt. Eine 
jener Schweftern war die Wittwe des Kammerpräfitenten 
von Frankenberg, Amalie geb. von Bernhold zu Eichau, 
die Stifterin des lutheriſchen Waiſenhauſes zu Kafjel und 
die Gründerin der lutheriſchen Pfarrer-Wittwen-Kafje da= 
ſelbſt. Dieſelbe war die leßte ihrer Echweitern und trat 
den Hof 1768 dem Geh. Kriegsrath Schmerfeld ab, welcher 
fhon 1761 die Anwartihaft darauf erhalten hatte; und 
bald nachher in den Abelftand erhoben wurde. Seine Nach⸗ 
kommen entäußerten fich dieſes Beſitzes erjt 1857, wo El— 
lingerode von der Ehegattin des Obervorjteherd Ferdinand 
Schutzbar genannt Mildhling erlauft wurde. 


T. 


Das ebemalige Gericht Zeftädt. 


Bon Julius Shminde, Metropolitan zu Sontra, früher 
Pfarrer zu Jeſtädt. 


— — 


Das ehemalige Gericht Jeſtädt, ſeinem Umfange nach 
gleich dem heutigen Kirchſpiele Jeſtädt, .erſtreckte ſich von 
den hoben Gebirgen, die Heſſen vom Eichdsfelde ſcheiden, 
namentlich von der Härdtekoppe (auch Hörne genannt), dem 
hoben Steine, der Gohburg und dem Meinhart, bis an's 
rechte Werraufer und umfaßte als ein Theil des ehemaligen 
großen boyneburgiihen Sammtgerichtd die Dörfer Jeſtädt, 
Neuerode und Moterode, die Wültungen Dudenhaufen 
bei Jeſtädt, Dörrenhain bei Neuerode und Bettelsdorf bei 
Moberode, die Lohgerberei am Schambach, die Pletſch— 
und die Pochmühle und das Förſterhaus nebft Vorwerk auf 
dem Berge. Dieſer Begriff des Gericht8 in einem Umfange 
von etwa 4 Wegſtunden figirte fich erft im 15. Jahrhundert. 

Hiftoriich begegnen wir innerhalb dieſes Bezirk, der 
unbeftritten in der alten Germarmarf Tag, zuerft Reichs— 
gütern, die ohne Zweifel zu dem Königshofe in Eſchwege 
gehörten und von denen ein Theil zu der Yundation der 
im Anfange des 11. Jahrhunderts geftifteten Cyriacusabtei 
zu Eſchwege geichlagen, Anderes an das Stift in Speier' 


und fpäter an Mainz kam, Anderes an Erelleute gegeben 
Band X 1 


2 


wurte. Es erinnert nody Taran ter Königsberg zwiſchen 
Grebendorf, Jeſtädt unt Neuerote 9%. Sn alter Mark: 
genoſſenſchaft finten wir Jeſtädt, Neuerote, Mogerote und 
Dutenhaujen mit Eſchwege, Grebentorf, Frieda, Aue, 
Dünzebach, Langenhain, Reichenſachſen unt Hone unt noch 
1436 hatten dieſe Orte gemeinſchaftliche Hute und Weide in 
ihren Feldmarken „vff Bruce, Stuppeln und Tryſche“ **). 
Nachmals ward dieſe Mark durchſchnitten durch die Grenz— 
linien der Bilſteiner und Eſchweger Centen, wonach der 
größte Theil des ſpäteren Gerichts Jeſtädt innerhalb des 
Bilſteiner Blutbanns zu liegen kam. Die Bilſteiner Cent— 
grenze ***) nemlich lief vom Tholsbach (bei Kleinvach) über 
tie Werra, jtieg zur Horne und dann an ten Schambach 
(zwiſchen Grebentorf und Seftätt, an weldem Duden- 
baujen lag) herab, von Ta zog fie über tie Werra an ten 
Diebbach (zwiſchen Ejchwege und Nieterhone), bis gegen 
Reichenſachſen; vie Eſchweger Gränze aber lief über bie 
Kirche tes Eichöfeltiichen Dorfes Hella, über ten Meynert 
zwiihen Stella und Neuerote, über tie Kulfröjfen und 
den Königsberg bei Neuerote unt Ten Kornkajten, unt in den 
Schambach, Tann turch tie Werra und bis auf ven Diebbudh ze. 

Begütert finten wir ſchon frühe in unjerem Gerichts— 
bezirfe das Hocditift Fulda und die Grafen von Northeim, 
ipüter die Grafen von Everjtein und die Herzoge von 
Braunjchweig-Tüneburg und teren Bajallen, dazu die Klöſter 
zu Eichwege, Borsla und Heide. 

Bereit3 unterm 18. Mai 8747) adjudieirt ter König 
Ludwig zur Schlichtung eines Streited zwiihen tem &rz- 
biichof Liuperd von Mainz und tem Abte Sigehard von 
Fulda tem leßteren die Zehnten in 117 Orten Thüringens, 


*) S. meine Geididte von Eſchwege S. 49. 
*+) 5, Zeitihrift des Vereins für heſſiſche Geſchichte und Landeskunde 
11. S. 279 sc. und meine Heichichte von Eſchwege S. 38. 
++#) Seife, Teutſches corpus juris ©, 540. 
7) Dronke, Codex dipl. fuld, Nr. 640. 


3 


unter denen neben mehreren Orten unferer Gegend als 
Heldron CHeldra), Bruslohon (Borsla), Folegereshuſen 
(Völkershauſen) auch genannt wird „Gaheſteti“, worunter 
ich unbedenklich Jeſtädt verftehe, zumal die Ältere Benennung 
und Schreibweife dieſes Dorfes „Geſtede“ ift *). Bon 
fuldifchen Aetivlehen zu Seftädt und Dudenhauſen wird 
ipäter die Rede fein. 

Zahlreihe Güter beſaß das Norbheimer Grafenhaus 
an der Werra und Were, in der Hunethermarf und im 
Netergau, zu deren Schuß das Schloß Boyneburg gebaut 
war, nach welchem fich auch einige Grafen von Nordheim 
nannten. Diele diefer Befigungen, die ſich auch über das 
Gericht Jeſtädt erſtreckten, jchentte der letzte Graf von 
Nordheim Siegfried II. von Bomeneburg 3 Jahre vor feinem 
Tode dem Blafinsftifte zu Nordheim. Die betreffente 
Urkunde, Datirt „Bonmeneburch 6. idus Nov. 1141“, ijt 
mehrmals abgedrudt, aber mit vielen Varianten, namentlich) 
in Betreff der Ortönamen. Darin fchenft Siegfried unter 
andern in Thedenhusen 6 mansos, in Werestide 6 et 
molendinum, in Novali quod est in monte 1, in loco qui 
est ad truncum censum 10 solidorum, ferner Manjen in 
Hatheburghujen CHarmuthshaufen, unter ver DBoyneburg), 
Neter, Ronrethe (Röhrda), Biſchhauſen, Hosbach, Hunethe 
(Hone) u.|.w. Thedenhusen ift die Wüftung Dudenhauſen 
bei Jeſtädt. Unter Werestide erfenne ich Seftädt. Der Name 
muß in der Driginalurfunde jehr unteferlich fein; Scheid **) 
lieſt Werestide, Haremberg ***) Werxstide, Menden 
Wercksstede, Hoffmann Werstide, ein Anderer fogar Were- 
kesen und die Beftätigungsurfunde Heinrich des Löwen vom 
24. November 1162 hat in der einen Abjchrift Vreistede und 
in der anderen Wreestede. Wahrjcheinlich Dürfte man Gestede 





— 


*) Andere benfen dabei an die Wüftung Geidenftadt im Gericht 
Heringen, ſ. Landau, Wüftungen ꝛc. S. 334. 
**) Origines Guelficae IV. p. 523. 
*##) listor. Gandersh. p. 707. 
1* 





4 


+‘ 


oter Geistede zu lejen haben. Das dabei ftehente molen- 
dinum möchte Tann tie bei Jeſtädt gelegene Pletſchmühle 
jein, eine uralte Mühlenanlage, bei ter 5 Wege ſich kreuzen, 
wie tenn in Ten !päteren lümeburgiihen Lebnbriefen über 
Jeſtädt der Mühlſtätte beientere Erwähnung geichieht. 
Das novale in monte wäre wohl das zum Jeſtädter Ritter: 
gute gebörige „Vorwerk unt Förſterhaus auf tem Berge“ 
zwilchen „Seitätt und Motzerode, unterhalb einer Anhöhe, 
welche tie Hahnekrot heißt; eine curia Hahnecrait aber ijt in 
einem Güterverzeichnijje ter Norcheimer Grafen regiitrirt *). 
1144 erlojch dieſes alte Tynaſtengeſchlecht im Mannsſtamm, 
das Schloß Boyneburg fiel an's Reich zurück und in dem 
Beſitze ter meiſten Nordheimer Orte im Honer- und 
Netergau treffen wir ſchon bald tie boyneburgiihen Stämme. 

Der größte Theil des (Berichts Jeſtädt gelangte in 
tie Hände und unter tie Lehnsherrlichkeit der Grafen von 
Everftein. Dad Wann und Wie iit noch nicht aufgellärt. 
Nachdem ſchon Graf Atulvert von Everjtein 1193 vom Erz- 
biihef Konrad von Mainz zum Burggrafen auf Kufteberg 
bejtellt worden war, hatte deſſen Sohn Conrad tiefe Würde 
1239 jogar erblich erhalten, und jowohl hierdurch, als auch 
durch ten Umſtand, Daß ed dem Erzbiichofe von Mainz 
gelungen war, 1235 tie ehemaligen kaiſerlichen Befigungen 
in und um Eſchwege, welche Kaiſer Heinrich IV. an Speier 
geſchenkt hatte, vom Bilchofe von Speier fäufli zu er- 
werben, wurde das everfteiniihe Grafengeichlecht für unfere 
Gegend jehr wichtig. In ,diefe Zeit nun mögen feine Erwer— 
bungen im Gerichte Jeſtädt füllen, jei e8 Durch Uebertragung 
von Mainz oder, was wahricheinlicher ift, durch Lehndauftrag 
von Erelleuten, die bier begütert waren. Mit mainzifchen 
Afterlehen waren auf dem Eich3felde die von Bülzingslöwen 
von ten Grafen von Everftein belieben und von denjelben 
Grafen trugen die von Hanjtein das halbe Dorf Wuhl- 


*) Schrader, Geſchichte der Grafen von Nordheim. 





J 
5 


haufen an der Werra, 2'/, Stunde unterhalb Jeſtädt, zu 
Lehn. Wie das Haus Everftein zu Befigungen an ber 
Merra gelangte, ſucht von Hanftein *) in anderer Weile 
zu erflären. Die von Hanfteln wurden feit alten Zeiten 
von Fulda beliehen mit Wiederoldeshaufen (Werlshaufen), 
Lindenwerra, Mahlhaufen, Diegenrode ꝛc., von den Grafen 
von Everftein aber gleichwohl mit dem halben Dorfe Wahl 
haufen. Wenn nun diefe Grafen in der Germarmarf mitten 
unter: fuldiichen Gütern als Lehnsherren über jolche Güter 
auftreten, welche zugleich in fultiichen Lehnbriefen auf- 
geführt werden, fo fei dies nur dadurch erflärlich, daß dieſen 
mächtigen Grafen vom Stifte Fulda die PVogtei über 
die Befigungen an der Werra übertragen war, wofür fie 
das halbe Dorf Wahlhaufen als dominium utile empfingen, 
während das dominium directum dem Stifte verblieb. Man 
weiß, wie geführlich den geiftlichen Stiftern die Schutzherren 
wurden und wie die Chroniken des Mittelalterd mit Klagen 
über Beeinträchtigungen, Gewaltthätigkeiten und Eingriffe 
der Schußherren angefüllt find und diefe Umftände mochten 
da8 Stift Fulda bewogen haben, mit Uebergehung der 
benachbarten Grafen, 3. B. der von Bilftein, Gleichen, 
Zutternberg, die entfernteren, aber nicht minder mächtigen 
Everfteiner zu wählen. Dennoch konnte e8 nicht verhindern, 
Daß jich fuldifches Stifggut In everfteinifche8 Lehngut ver= 
wantelte. Uebrigens war fchon längere Zeit vor 1170 
Die provincia, que Westere (Soden bei Allendorf) nun- 
cupatur, im Pfandbeſitze des Grafen Albert von Everftein 
und in dieſem Jahre wurde diefer Beſitz von der fuldifchen 
Kirche wieder eingelöft. Wielleicht wären aus diefem ever— 
fteiniichen Pfandbeſitze Die everfteinijchen Lehen an ver 
Werra herzuleiten, was auch Dr. Landau vermuthet **), 
1259 ftarb Graf Conrad al& legter Nufteberger Burgaraf 


— — — — — 


*) Geſchichie der Familie von Hanftein I. S. 153 ff. 
**) vergl. Zeitjchrift des Vereins für heſſiſche Geſchichte und Laudes— 


kunde IX. S. 136 und 137. 








» 6 


aus dem Haufe Everftein. Das everfteinifhe Lehns— 
verhältnißk im Gericht Jeſtädt dauerte aber fort, bis 
Hermann III., der letzte Everjteiner, fich genöthigt jah, feine 
Tochter Elifabeth 1408 dem Herzog Otto von Braunichweig, 
Bernhards Sohne, zu vermühlen und tem braunichweigifch- 
lüneburgiihen Hauſe die Herrichaft Everftein als Braut- 
chat zu überlaſſen 9. Graf Hermann farb ohne Söhne 
und Elijabeth 1445 ohne Kinder. Die everjteiniiche Lehns— 
berrlichfeit über dad Gericht Jeſtädt ging über auf die 
Herzoge von Braumichweig- Lüneburg und als chemals 
everiteiniiche, jegt lüneburgiiche Vaſallen ericheinen dajelbft 
die von Boyneburg-Hoenſtein und die von Ejchwege. 

Mann die von Boyneburg=Hoenftein ihre erften Er— 
werbungen im Gericht Jeſtädt gemacht, ift nicht mehr zu 
ermitteln. 1346 bejaßen jie bereit8 ein Gut zu Dudenhaufen, 
weiched von den von Hundelshauſen erfauft worden war. 
Aber auch zu Jeſtädt und Neuerode waren fie frühe begütert. 
1413 trat Heintih von Boyneburg = Hoenftein feinen 
Brüdern Rabe und Heimbrod Güter und Gefälle an diefen 
Orten ab. Den erjten braunfchweigslüneburgiichen Lehnbrief 
erhielten fie 1414. Er lautet **): „My Bernd von godeß 
gnaden Hertoge to Brunſwich vnd to Luneborch befennet 
in deſſem openen breve dat wy belenet hebbet vnd belenet - 
in macht deſſes breves Henrife von Honften vnd zine broder 
mit dem Torpe to Jeeſtede vnd mit andern gutern de fe 
pon rechte von und to lene hebben fchullet von Der herichapp 
von Everfien wegen to enme rechte erben manlene ꝛe.“ 
Senaner bezeichnet find die Lehnjtüde in dem vier Sabre 
ſpäter, 1418, ertheilten Lehnbriefe **): „Wy Berndt — 
befennet -— Dat wy hebben belenet — Henrike von Hoenftein 
to eynem rechten erwe Manlene alle de goder de he to lene 
ghehat hefft von der hericap to Everftein alle und ve von 

*")o. Spilder, Geſchichte der Grafen von Everftein. 


**) Original im Jeſtädter Archiv. 
**5) Jeſtädter Archiv. 


7 


rechte to lenende boren, in aller wife by namen myt den 
gudern to Jeſtede, Tutenhufen, Nuerote, Mozenrode, gericht 
vnd recht, myt alle tobehoringhe ꝛc.“ ine weitere Aus— 
dehnung enthält ferner der folgende Lehnbrief von 1435, 
vom Herzoge Otto, dem Gemahle der Elifabeth von Everftein, 
ertbeilt *). Darin beißt eg: „Wir Dtto — befennen — 
daß wir — belehnet haben — Raben Boyneburg, anders 
geheißen von Hoenitein, mit diefen nachgefchriebenen Dorffen 
Tutenhauſen, Neueroda und Motenroda, mit allen ihren 
Zubehörungen —, und mit dem Dorffe Jeſtädt, mit Gerichte 
und Rechte in denjelbigen Dorffen, und mit fothanem Guthe 
alß ed Henrich Boyneburg von unferm lieben Vater Her- 
Bogen Bernd feliger — zu lehne gehabt hat.“ 

Schon vor diefer Zeit beginnt die Reihe hartnädiger . 
Streitigkeiten, in welche die von Boyneburg-Hoenftein mit 
ihren Nachbarn, den Dieden zum Fürftenftein, wegen 
des Jeſtädter Gericht8 vermwicelt wurden. Letztere befaßen 
nemlich den vierten Theil des Gerichts und Dorf Jeſtädt 
und hatten denjelben verpfündet an einen mit Namen 
Iſenträger. Bon diefem kam die Pfandichaft an Hans 
von Stodhaufen und von diefem an die Brüder Lamprecht 
und Reinhard von Meter, welche das Gut („gerichte und 
rechte agfer wejen weide huſe hoben in holeze in felde”) 
1427 wiederum an Hermann Diede und deilen Söhne für 
132 Gulden verkauften **). Wegen diejed Niertheils, mit 
weichem die Diede von Lüneburg belehnt wurden, entitand 
Streit zwiſchen ihnen und ihren Sejtädter Ganerben, ven 
Landgraf Ludwig der Friedfertige von Helfen 1435 dahin 
Ichlichtete, daR Lie von Boyneburg-Hoenftein nach Verlauf 
von zwanzig Jahren jenes Viertheil des eftädter Gerichts 
mit 160 rheinischen Gulden wieder einlöjen dürften ***), 
Die Uebung der Gericht3barfeit übertrugen beide Parteien 


*) Abſchriſt im Jeſtädter Archiv, 
**) Urkunde im Staatsardiv. 
**5) Urkunde im Jeſtädter Archiv, 








8 


einſtweilen dem landgräflichen Amtmann zu Bilſtein, der 
jaͤhrlich 3 Gerichtstage in Jeſtädt hielt, nemlich am Montag 
nach St. Martini, am Dienſtag nach St. Andreas und am 
Mittwoch nach St. Lucien ). 1455 lẽſten die von Bovneburg⸗ 
Hoenſtein das diediſche Viertheil wieder ein und es wurde 
in dieſem Jahre ein neues, noch vorbantenes**) Zinsregiſter 
über das Dorf Jeſtädt aufgeſtellt. Uebrigens batten Die 
Diede bis zu ihrem Ausſterben im Anfange dieſes Jahr— 
hunderts noch einige Hinterſaſſen in Jeſtädt (2 Männer) 
und Motzerode (4 Männer.) 

Die von Eſchwege beſaßen ſchon vor dem Schluſſe 
des 15. Jahrhunderts nicht unbedeutende Lebngüter im 
Gericht Jeſtädt, nemlih von Braunjchweig-Lüneburg ein 
Vorwerk, Hinterjajfen, Dienſte, Zinjen, Gericht unt Recht 
zu Jeſtädt und von ten Landgrafen von Heſſen Güter zu 
Betteldtorf, Neuerote, Mokerote, Dörrenhain, tie Härte- 
foppe, ten Eichenberg, Wolfdzaun (Berge zwiichen Jeſtädt 
und Motzerode) und ten Segelbach (bei Mogerote), melde 
legere von Sander von Törnberg Füuflich erworben waren, 
und, nachtem fie allotificirt morten, gleihmwohl Ten Herzogen 
von Braunſchweig-Lüneburg zu Lehn aufgetragen mwurten. 
Soft von Eſchwege verkaufte dieje jümmtlichen Güter 1498 
ten von Bouneburg- Soenftein für 1000 rbeinijche Gulten ***). 
Die von Ejchirege zur Aue beſaßen intep jpäter noch ein Gütchen 
in Jeſtädt, 11"/, Ar. entbaltent, die Auiiche Meierei genannt, 
als freied Allot, jo wie an 3 Häujern das Zins- und Yehnrecht, 
welche Befitung 1738 gleichwohl von Ten von Boyneburg- 
Hoenftein erworben wurde. Dieje al& Die alleinigen Herren 
fat des ganzen Gericht erhielten 1532 ihren erjten volls 
ftändigen lüneburgiſchen Lehnbrief, ter bei Ten ipäteren 
Inveſtituren immer als der erfte erwähnt wird. Er lautet+) 


*) vergl. Grimm, Redtsalterthümer S. 822 - 826. 
**) im Jeſtädter Archiv. 
*rr) Boyneburg-Hoenfteiniches Documentenbuch S. 112, 
T) Jeſtädter Archiv. 


9 


im Auszuge: „Wy Ernft — Herthoch tho Brunswigk vnd 
Luneborch — befenne — dath my belene tho eynem rechten 
Erven Manlene Heimbrode von Boneburgk anders genanth 
von Hoenſtein — mith duffen nachbejchreven Dorppern vnd 
gudern, geiftlid vnd weltlid, alffe nemelifen Zutinhufen, 
Nuwenrode vnd Motzinrode, mith allen ehren thobehoringen 
— ond mith deme Dorppe Geſtedde vnd tem molenjtarte 
darſulveſth, mit gerichte vnd rechte, jn demſulven dorppe, 
vnd mit ſodanen gudern als de von Boneburgk von vnſen 
voreltern tho lehne gehadt hebben, ock allen anderen gudern, 
ſo de von Eſchwe von vnſer Herrſchap Everſtein, von vns 
tho lehene gehatt hebben, vnd vns von ehne uppedragen 
ſinth, vnd wy de von Boneburgk darmede wedderumb 
belehneth hebben.“ Mit dieſem Lehnbriefe ſind alle folgenden 
gleichlautend. Statt „und vns von ehne uppedragen ſinth“ 
heißt es jedoch: die dem Herzoge Ernſt aufgetragen find, 
und feit 1724: „mit Gericht und Recht in benjelbigen 
Dörfern”, um welche leßtere Faffung tie von Boyneburg- 
Hoenftein wegen ihrer Streitigleiten mit den Dieden 
bezüglich der diediſchen Hinterjaffen in Motzerode (4 Männer) 
ausdrüclich . gebeten „hatten, Ta fie doch auch in Neuerode 
und Moterode die GerichtSbarfeit befühen. 

Zu Weihnachten 1792 erlojch ter Boyneburg-Hoen— 
fteinihe Mannsſtamm mit dem heſſen-kaſſeliſchen Ober— 
Hofmarſchall Johann Earl Dieterih und der hannoverjche 
Lehnhof erklärte das Gericht Seftädt für heimgefallen. 
Die Boyneburg-Hoenſteiniſchen Allodialerben aber, nenılich 
die von Eichwege zu Reichenfachien und die von Baumbach 
zu Nentershauſen, Schweſterſöhne des letzten Lehnträgerg, 
machten wegen bedeutender Allode und Meliorationen das 
jus retentionis geltend. Am 6. September 1794 kam darauf 
ein Vergleich zwiſchen beiden Theilen zu Stande, der 26 
Paragraphen enthält und worin unter anderem feſtgeſtellt 
wurde: die von Eſchwege zu Reichenſachen, eventuell die 
von Eſchwege zur Aue und nach deren Ausſterben die von 





10 


Baumbach zu Nenter&haujen werten zu Mannlehn belieben 
mit tem Gericht Jeſtädt, wie jelches Lie von Bevneburg— 
Hoenftein beſeſſen; tie von Eſchwege zu Reichenſachſen, 
welche zuerjt in ten Belig kamen, zahlen an tie bannoveriche 
Lehnkammer 25,000 Thlr. in Fiftolen und ald Erjaß Der 
erftjährigen NRevenue an tie Mititärhogpitalfaffe zu Han— 
nover 1000 Thlr. in Piſtolen; tie Alode und Melicrationen 
bleiben ewig beim Lehngute; wenn alle Lebnäträger im 
Mannsjtamme erloichen find, Dann werten von Ter Lehn— 
fammer an tie Allotialerben des legten 2ajullen für die 
Allove und Meliorationen 17,818 Ihlr. 18 Alb. gezahlt; 
die fuldiihe Hufe zu Dudenhauſen wird gleichfall® zu dem 
hannoverichen Lehngute gejchlagen. So kamen alje die von 
Eſchwege wieder und zwar in Ten völligen Bejig des Gerichts 
Jeſtädt und erhielten unterm 31. Mai 1802 vom Könige 
&eorg III von Großbritannien unt Hannover ihren erjten 
Lehnbrief. 

Bezüglich der zu leiſtenden Ritterdienſte ſchrieb Herzog 
Chriſtian von Lüneburg unterm 12. September 1615 an 
die von Boyneburg-Hoenſtein, daß ſie nach den alten Rollen 
ſechs Ritterpferde zu ſtellen ſchuldig ſeien und daß ſie ihm, 
da er jetzt mit Werben ſtark beſchäftigt ſei, auf drei Monate 
für jedes derſelben monatlich acht Thaler einſenden ſollten. 
Nach einer zu Reichenſachſen gehaltenen Familienconferenz 
ſchickten ſie für nur ein Pferd das Geld. 1623 verlangte 
derſelbe Herzog abermals ſechs Ritterpferde und ein Gleiches 
begehrte Herzog Friedrich unterm 28. October 1639 mit 
dem Hinzufügen, daß ſechs gute, geübte Knechte mit Waffen 
und Gewehr mitzuſenden ſeien. So auch 1665 Herzog 
Georg Wilhelm. 

Vom Hochſtift Fulda waren die von Boyneburg— 
Hoenſtein belehnt mit der „Fiſchbachs großen Hufe“ zu 
Dudenhauſen und auch die Diede beſaßen bier fuldiſche 
Lehngüter, wegen deren ſie mit erſteren in Streit gerathen 
waren. In dem ſchon erwähnten Scheidebriefe des Land— 


11 


grafen Ludwig von 1435 heißt e8 dieferhalb: „und ald tan 
beide partheygen zweigeft fein vmb ehliche werde gelegen 
in dem gerichte zu Gefted, die der Fleminge etivan geweit 
fein ond Herman Diden nuhn in feiner befikung hat, darvmb 
die von Honftein fprechen das folche werde gehören jolltenn 
in die Eberfteiniiche Iehne zu Gefted — darzu Hermann 
vnd feine fohne haben geantwordt fie haben folch werde bei 
den von Honflein in ihren wehren gehegt vnd herbracht — 
vnd haben das her von vnſerm' hern von Fulda, vor dem 
fie darumb zu recht ftehen wollen, ſprechen wir vor. recht: 
brengen die Dieden zu ald recht ift das fie ſolche werde 
von vnſerem her von Fulde zu lehn haben —, jo jollen fie 
die von Honftein bei folcher wehre vnd befigung bleiben vnd 
fiten laſſen bis fo lange fie diefelben Diden mit rechte vor 
dem lehnherrn daraus brengen.“ Zu der Staatsdomäne 
Fürftenftein gehören dermalen noch einige Güter in ber 
Seftädter Gemarkung. 

Die alte Malftätte des Seftidter Gericht war unter 
der Linde auf dem jogenannten Klingen vor dem Dorfe, 
Ipäter unter der Linde auf dem Anger mitten im Dorfe. 
Der Schöppenftuhl war bejegt mit 12 Perſonen, wovon 6 
aus Jeſtädt, 4 aus Neuerode und 2 aus Moterode, Der 
Nichter wohnte meiftend in Jeſtaͤdt; wur Died nicht Der 
Tall, dann mußte er gleichwohl in Jeſtädt die feitgejegten 
Gerichtötage halten. Zuweilen war er zugleich der boyne= 
burgiſche Sammtrichter. Seine Beſoldung beſtand in letter 
Zeit aus 50 Thlr, 8 Mir. Korn, 12 Me. Waizen, 4 
Mitr. Serfte, 6 Viltr. Hafer, 2 ME. Erbien, 2 ME. Linien, 
12 Schod Holz, freier Wohnung, Benußung von 3 Gärten, 
1 Ader Trejeneiland und Hute für 2 Kühe. Der Nutzen 
von der Surißdiction ftand ehedem beiden Linien von 
BoyneburgsHoenftein zu Jeſtädt und Reichenfachjen gemein 
Schaftlich zu, von den Freveln aber, welche auf ven eigen- 
thümlichen Gütern der einzelnen Linien vorfielen, erhielten 
Die Herren des Gutes die Strafen allein, jowie auch die 


> 4 


12 


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entisten 2:3 Gendrsaeiinamt ;u Achcit mir m einem 
Ihurme unt riet Binz Atredı Era, au “tr Narren-⸗ 
eter Ihrrıntten. Wegen dor Enminspameticnez gerieben 
Die ven Bioruturs-Somntein um 1555 in Zureci mu Dem 
Kantarıten. Sie bebauri:ten, mir terreiden ↄer Yirmekura 
belieben ;u iin. Tie Irweren; wurde Tibin verglichen. 
tak fie nunmehr ron ten Zantarafen von Denen mir dem 
Halsſgericht >eienters belichen wurten. Unterm 2%. Jennar 
1556 erticlten ne darũber ibren erien Sehrtriet.e Auch mit 
tem Lantgrafen Merig bekamen ie Ztreit wegen der 
*einlichteit zuf ter Werra, Ver cm 21. Wai It? tabie 
vergliben mwurte: „trüae Wh :u, Tat Jemand taielbit 
vertrenfe eder umfäme unt Ter tedte Kerper on ter Seite 
des Waſſers nah Jeſtädt zu aelange, icle er gegen Jeſſädt, 
jo er ater an ter anteren Seite ergritien würte, neh Hoenda 
zur Erde beitattet werten.” Als 17:60 in Ter Jeſtädter 
Terminei eine Weibsperſon ertranf, lies Ter füritliche Neter- 
vaten⸗Commiſſarius zu Eſchwege, Ter tie Gerichtsbarkeit 
auf der Werra a.3 ein Kegal behauptete, dieſelbe, wiewobl 
unter Proteſt ter Senätter Gerichtähalter, Turh ein Com— 
mando wegnehmen. Das Hechgericht ſtand zwiſchen Seltätt 


13 


und dem Förfterhaufe auf Tem fogenannten Galgenberge; 
in ter Nähe quillt noch der Rabenborn. Bei jedem pein- 
lihen Gerichte, das in Jeſtädt gehalten wurde, mußten 
fammtliche Unterthanen des ganzen boyneburgsboenfteinfchen 
Summtgericht3 die Koften zahlen, ein Hausvater 2 Alb., 
eine Witwe 1 Alb. Cinige Säle, die am Halsgericht zu 
Jeſtädt gerechtfertigt wurden *): 

1403: Wintherbergt hut Hanſe Got8leben mit eyner 
axt uff der fhere in eynem ſcheffe todt geworffen vnd iſt 
fleuchtig worden, da haben de Jungkern von Boyneburg 
genannt von Honſtein den entlybeten in eynen verbichten 
Sarcke uff den kerrhob graben laſſen, fo ſich der theter uffs 
lybzeichen zu ihnen erbieten werde, darnach uber vier Wochen 
haben fie den entiybeten widder langen laffen und uff dem 
clinge uber den theter eyn halsgerichte geſeſſen und ten 
theter in die mordacht erkennen laſſen.“ 

1531: Gorgus Rufe hat zwischen Effewe und Geftedde 
eyne magt genotzoget vnd ift fleuchtigt worden, und die 
Sungfern von BoyneburgsHoenftein haben eyn Haldgerichte 
vber jnen geſeſſen. Es hat fich auch der theter vmb ſolche 
mishandelunge mit den Jungkern vertragen. 

1556 iſt ein Schneider vor Chriſtoffel Eberts Be— 
hauſung erſtochen durch zwei Bürger aus Eſchwege; haben 
ſich die Thäter mit den Jungkern vertragen und 60 Gulden 
zur Buße gegeben. 

Am 13. März 1686 erſchoß der Major: Friediich von 
Boyneburg-Hoenſtein einen ausländiſchen Reiter, Namens 
Krüger, der ſich in Jeſtädt eingemiethet und für einen 
MWachtmeilter ausgegeben hatte, in der Werra bei Jeſtädt. 
Als obrigfeitliche Perſon hatte er ihm einen-Arrejt ankündigen 
Yaffen und Krüger war darauf flüchtig geworden. - Die 
andern Gerichtöherren, Walräbe und Soft Heinrich -von 
Boyneburg-Hoenſtein mußten deshalb inquiriren, begaben 


*) Nach einen Verzeichniſſe vom Jahre 1543 ꝛc. im Jeſtädter Archiv. 


‚14 


fih am 14. März mit einem Chirurg und zwei Gerichts— 
ichöppen zur Wahlftatt und der Chirurg machte die Section 
der Leiche. Es wurde darauf ein hochnothpeinliches Gericht 
in Seftadt conftituwirt. Als Richter wurde bejtellt Klinkerfues 
aus Allendorf, als Fiscalanwalt Ficinus aus Ejchwege, 
als Schöppen der Advocat Gille aus Ejchwege, der Notar 
Frohn und das Rathsglied Rothfuchs aus Allendorf, als 
Aetuar der von feudelfche Verwalter Heine aus Schwebda. 
Am 3. September 1686 wurde nun da8 gegen einen der 
Gerichtöherren beſonders conftituirte Haldgericht angetreten, 
zu dem fich außer den Genannten Walrabe, Hans Heinrich 
und Soft Heinrich von Boyneburg-Hoenſtein, jowie der 
Angeflagte mit feinem Defenfor einfanden. Nach Beeidigung 
ſämmtlicher Gerichtöperfonen übergab Der Fiscal die Anklage 
in 33 Artifeln, worauf Friedrih von Boyneburg-Hoenftein 
fich mündlich vertheidigte. Dem Fiscal wurde aufgegeben, 
jeine Klage beffer zu begründen und darauf dies erfte 
peinliche Haldgericht im Namen Gotte8 geichloffen und 
mit Niederlegung des Gerichtäftabes aufgehoben. Nach 
langen Verhandlungen, nachdem auch Beklagter zwei 
Reſponſa der Suriftenfacultäten zu Straßburg und Gießen 
beigebracht, wonach er von der Todesſtrafe freigeiprochen 
worden, nachdem er ferner eidlich verfichert, daß er den 
Krüger nicht abjichtlich erichoffen habe, wurde im Gericht 
zu Jeſtädt am 24. Mai 1689 erkannt, daß Beflagter von der 
Strafe der Todtichläger ziwar zu abjolviren, jedoch wegen des 
begangenen Exeeſſes in 200 Goldgulden Strafe, dem Fiscus 
zu erlegen, und in bie Gericht8foften zu condemniren ſei; dies 
Urtheil wurde dann auch von Bürgermeifter und Schöppen 
zu Kafjel (als dem Oberhof) ald den Nechten gemäß atteftirt. 

Urtheil gegen eine Diebin: „In peinlihen Sachen 
jammtlicher Herren von Boyneburgf genannt von Hoenftein ıc. 
wider Margarethe Hinderwirtb, reiterirten Diebftahl und 
zum drittenmal violirte Urphede betreffend, wird ıc. vor 
Recht erkannt, daß Beklagte zc., ihr zur mwohlverdienten 


15 


Strafe und andern zum Exempel und Abſcheu, mit dem 
Schwerte vom Leben zum Tode binzurichten fei, inmaßen 
wir peinliche Richter und Schöpfen dieſes hohen peinlichen 
Halsgerichts fie ꝛc. mie vorfteht hiermit condemniren und 
verdammen, von NRechtöwegen. Publicatum Seftet den 19. 
December 1695. Reinliche Richter und Schöpfen daſelbſt.“ 
Un demjelben Tage noch wurde die Verurtheilte, Die lange 
Margarethe genannt, zu Hoheneiche hingerichtet und unter 
dem Galgen begraben. Unter den bei diejer Gelegenheit 
gemadhten Ausgaben kommt vor: 14 Alb. für 1 Maß 
Mein für die Inquifltin, 5 Thlr. 4 Alb, jo die Scharf: 
richter verzehrt, 4 Thlr. 2 Alb. dem Nachrichter für die 
Execution, 2 Thlr. den 2 Herren Geiftlihen, 8 Alb. dem 
Schulmeiiter, 9 Thlr. 4 Alb. für Speiſung und Aufwartung, 
4 Groſchen für den Stuhl, auf dem die Gefungene ge— 
richtet wurde. | 

Am 11. Februar 1791 fielen zwei Bagabunden aus 
dem Cöllnifchen auf dem Wege von Seftänt nach Greben- 
dorf einen Boten an, der von Münden nach Wannfried gieng, 
und beraubten ihn. Sie wurden ergriffen und in Jeſtädt 
wurde ihnen kurzer Proceß gemacht. Sie wurden verurtheilt 
zu vierftündigem Stehen am Pranger und der Gericht8- 
verweijung mittelft Staupenſchlags, melche8 Urtheil, nachdem 
fie die Urphede gejchworen, am 22. Februar 1791 an ihnen 
vollzogen wurde. Der Scharfrichter Joh. Scheer erhielt 
für die Execution 8 Thlr. 21 Alb. 


Siftorifche, topographiſche und ſtatiſtiſche Nahrihten über die einzelnen 
Orte des Gerichts Jeſtädt. 
1. Jeſtädt. 

Sn Älteren Urkunden wird e8 Geftee, auch wohl Je— 
ftede, Geyſtete, Gaheſteti, jpäter Seftett und Jeſtädt genannt. 
Der Sage nach, wohl durch den Namen des Orts veranlaßt, 
wäre Jeftäbt einft eine Stadt *) oder wenigfteng ein blühender 


*) Die Juden der Umgegend fabeln, Jeſtädt habe ehemals Yubenftabt 





16 


Ort geweſen, welcher auf ter Werra, die jonjt Licht 
daran hingefloſſen jei, Handel getrieben habe; die Schiffe 
wären am Kirchrain cine und ausgelaten worden und 
erit als Ejchwege empor gefommen, jei Jeſtädt gejunfen. 
Serenfalls ift das Torf jehr alt, wahricheinlich noch ein altes 
Slavendorf *), worauf tie regelmäßige Torfanlage mit nur 
einem Haupteingange, mit Schußwebren und Befeftigungen, 
auch wohl ter Name jchlieken läßt; zutem befigt Jeftätt eine 
beträchtliche Gemarfung jowie jchöne Huten und bedeutende 
Waldungen, welche Eigentbum der Gemeinde, Ter ehemaligen 


. Marfgenofjen, find, jowie denn audy die geringen, nun ab— 


gelöften Zinjen auf früber freiered Eigenthism deuten. Wehren 
befanden jich ſchon an ten Grenzen ter Jeſtädter Gemarkung 
und beftanden in Heden, Graben, Gehölzen und Gewäſſern. 
In einem alten Weisthume von Jeſtädt aus tem Anfange 
des 15. Jahrhunderts, womit eine Bejchreibung ter Feldmark 
aus der zweiten Hälfte defjelben Jahrhunderts übereinftimmt, 
werden als Jeſtädter Grenzmarken genannt: die Dornhecke 
zwiſchen Jeſtädt und Niederhohne, der Kammerſee links 
der Werra, der Herren Holz, der Weidenſee, der Steingraben, 
die Hardt und das Vachſche Holz, die Kohlgrube, das 
Bettelsdörfer Holz, der Wolfszaun Lein ſteiler Bergrücken), 
der Bettelsdörfer Graben, das Stegeldrod und das Neun— 
röder Feld (beide durch waldige Abhänge begränzt), der 
Diebgraben, die Steinlache und das alte Waſſer, an das ſich 
die Dornhecke wieder anſchloß. Das Dorf ſelbſt war 
geſchloſſen und befeſtigt: ſüdlich war es geſchützt durch die 
Werra, weſtlich durch einen ſumpfigen Werder, öſtlich durch 
einen Waſſergraben, der Klingengraben genannt, und nördlich 
durch ein Verhack, welche Flurgegend noch die Gefitz heißt. 


geheißen, weil e8 nur von Juden fei bewohnt geweſen, wahrjcheintich 
veranlaßt Durch das alte Judeubegräbniß bei Jeſtädt. 

*) vergl. Landau, über den thüringiſchen Hausbau im Korrejpondenz- 
blatt der deutichen Gejchichts- und Alterthumsvereine. 1862, 


17 


Budem war: der Hauptausgang des Dorfed nach Oſten 
durch ein Fällthor verwahrt, deſſen noch im 15. Jahr⸗ 
hundert Erwähnung geichieht und der nördliche Durch eine 
fogenannte Wolfdgrube, welchen Namen die Stelle jegt noch 
führt. Die feitefte Wehre war oben im Dorfe das Schloß 
oder die Burg, wohl verwahrt durch jtarfe mit Nägeln 
beichlagene Thore; daneben ein Thurm und die Kirche, welche 
durch jchroffe Abhänge und Wall und Graben geihügt war *). 
Lang bingeftredt auf einer mäßigen Anhöhe ‚Liegt 

till und friedlich Jeſtädt am rechten Ufer der Werra, durch 
welche e8 vom Verkehr abyeichnitten if. Keine Poſt-, 
feine Kunſtſtraße durchzieht das Dorf; felbft der ftarf be= 
tretene Pfad, der von Ejchwege nach Allendorf führt, berührt 
dafjelbe nicht, fondern ftreift dicht an ihm vorüber. &8 iſt 
ein ſtiller Zujchauer bei dem lebendigen Treiben -in der 
Werralandſchaft. Durchs Dorf fließt ein Bach, der in dem- 
jelben zwei Mühlen treibt und deffen Waller fait in alle 
Gaſſen geleitet werden fann. Der Ort ift reinlich zu nennen, 
nirgend® findet man vor den Häufern auf der Straße 
Düngerftätten. Jeſtädt hat 91 Wohnhäufer. ‘Die jehr alte 
Zahl der Gemeindegerechtigfeiten oder gleichen Antheile 
am alten Gemeindevermögen (Wald, Hute ıc.) ift 685 
diejelben haften auf 68 Gehöften, deren mehrere im 
Laufe der Zeit getheilt worden find. Nach ver alten 
boyneburgifchen Gerichtsordnung und bereit? nad) einem 
Bertrage der von Boyneburg-Hoenftein vom Jahre 1569 
war die Anlage weiterer Wohnungen — über die Zahl 
der 68 hinaus — unterfagt. Die Gebäude des Ritterguts 
*) 1840 fand man beim Ausgraben ber Keller unter bem neuen 
Schulhauſe bei der Kirche 6 Fuß tief Ziegelftüde und verkohltes 

Holz. Sehr häufig waren die maffiven Kirchengebäude, gleichſam 

als des Ortes Palladien, dur Erdhäuſer, Mauern, Graben und 
Wälle geihügt, um dorthin bei feindlichen Weberfällen zu fliehen 

und am Altare und unter dem Schute der Heiligen ſich bis aufs 


äußerfte zu vertheidigen, 
x. Band. 2 








18 


der Kirche, Schule und Gemeinte participiren nit an 
tiefen Gemeintegerechtigleiten. 

Der Edelhof, von ten Einwohnern das Schloß, in 
Urkunden tie Burg genannt, wurte gebaut in ter Mitte 
de3 16. Jahrhunderts, als tie Boyneburge ibr Schloß 
Boyneburg verließen und in ihren Törfern im Thale ihre 
Wohnung nahmen. Nach einem Berirage vom 17. Augufl 
1557 *) verglichen fich die Brüder Friedrich und Walrabe von 
Boyneburg-Hoenftein mit ihren Bettern, den minderjährigen 
Kindern Philipps von Boyneburg-Hoenjtein, wonach letztere 
den Ei zu Netra haben, für eritere aber eine Behaufung 
zu Jeſtädt gemeinjam hergerichtet werden follte. Es heikt 
darin: „Und nachdem Geſtede der plag mit notturfftigen 
gebheuwen nicht verjehen vnd aber darenfegen Netter genugjam 
vnd einem von Adel ziemlich mit hülff vnd frondienften jrer 
beider fiet3 vnderthanen erbhaumwet worden, aljo haben 
gedachte gebruter Friedrich vnd Walrabe jnen bierinne 
vorbehalten, das damit Die jtedt zu Geftede dem fi zu 
Netter glichentmeffigt erbhaumet werben moge, jrer beider 
fietd bhaumwern und vnderthanen den gedachten brudern mit 
ſchuldigen dienſten in glichnis zu Netter gejchen zumb gebhuer 
fronen vnd zu hülffe kommen follen 20.” Hierauf wurde 
das große maſſive Hauptgebäude des Schlofjed erbaut, an 
dem fich die Sahresjzahlen 1561 und 1562 finden und 
Walrabe von Boynehurg-Hoenjtein war der erfte aus dieſer 
Samilie, der nach einem bewegten Leben — er war Kriegs⸗ 
oberft in franzöfiihen Dienften — in demjelben feinen Sig 
nahm, Dur Anlauf mehrerer Gebäude und Gärten er- 
weiterte er die Umgebungen des Schloſſes. Bon gleichem 
Alter mit dem Hauptgebäude ift der linfe Seitenflügel, der 
früher zu öfonomijchen Zwecken benugt wurde. Der rechte 
Seitenflügel ift 1612 von Briedrih Hermann von Boyneburg- 
Hoenftein, Walrabens Sohn, erbaut worden. Durch ein 


*) Boyneburg-Hoenfteinifches Documentenbuh S. 94, 


19 : 


Thor gelangte man von der Straße des Dorf in den 
oberen Oekonomiehof, Durch ein zweites überbautes Thor 
in den inneren, ring von Gebäuden umgebenen und daher 
düfteren und unfreundliden Schloßhof. Im Weiten des 
Schloſſes ftand ein Thurm mit den Gerichtögefängniffen. 
In diefem Schloffe erlojch 1742 der Mannsſtamm der alten 
Jeſtädter Linie des .boyneburg = hoenfteinichen Gefchlechts, 
worauf die Elbersdörfer Seitenlinie Beſitz davon nahm. 
Auch dieſe endete bier mit dem Nittmeifter Carl Auguft 
von Bonneburg-Hoenftein. Die NReichenfächier Linie folgte 
in den Lehen, ihre Glieder aber blieben in Reichenfachien 
und Kafjel. Als auch fie erlofchen war und bie von Eichivege 
in ihre Nechte zu Jeſtädt traten, da verlegte am Ende des 
vorigen Jahrhunderts der Major Ludwig von Eſchwege 
feinen Sig hierher und nahm mit dem Echloffe mande 
Veränderungen vor. Das alte dftliche überbaute Thor 
mit feinem Thurme und der ganze dem Hauptgebäude 
gegenüberliegende Flügel wurde abgebrochen, ver linke 
Geitenflügel zur Wohnung eingerichtet und der rechte ver- 
Ichönert, 1804. 

Zum Rittergute gehören 343 Ar. Land, 48 Ar. Wiefen, 
800 Ar. Wald, 78 Ar. Garten, zufammen mit @infchluß 
der Gebäude ze. 1277’/, Ar. und an Gerechtigfeiten Die Jagd 
(die hohe und niedere im ganzen Gerichte *), Die Fiſcherei in 
der Werra und im Grundbache, die Leberfahrt auf der Werra, 
die Hutes und Weidegerechtigfeit, die alleinige Schäferels 
gerechtigfeit im ganzen Gerichte, die Bierbrauerei, bie 
Wajenmeifterei, die zu Zehn ausgegeben iſt, das Patronat⸗ 
recht mit Inbegriff der Beſetzung der Schullebrerftellen im 
ganzen Kirchipiele, Lehngelder (der 10. Pfennig) und allerlei 
Binsgefölle, weiche nunmehr abgelöft find ꝛe. 


*) 1593 geichieht eines Vogelhaufes auf dem VBogelheerd Erwähnung 
und 1738 wird ein neues Faſanenhaus errichtet. Daß es fonft 
auch Bären und Wölfe bier gab, daran erinnern die Gemarlungs- 
namen „der Wolftzaun, das Bärenloch.“ u 

2 





20 


Ganz oben im Dorfe fteht die Kirche, aus Chor, 
Thurm und Schiff beftehend. Uralt ift der Chor im Often 
mit feinem Kreuzgewölbe; da8 Schiff im Welten wurde 
1588 bi8 1591 gebaut und foftete ohne die Dienfte uud 
Zuthaten der Gemeinde 440 fl. 24 Alb. 5 Hlr. Der 
Thurm ftebt zwifchen Chor und Schiff, eine Eigenthümlichkeit, 
die jich bei vielen angelfüchliichen Kirchen findet *). In der 
Kirche ruhen in mehreren Grabgewölben und zahlreichen 
Grüften viele Glieder des ausgeftorbenen von boyneburg- 
boenfteinifchen Gejchlecht8 und inwendig an der Mauer 
ſteht das Kenotaph des Stammvaterd der alten Seftäbter 
Linie diefer Familie, darftellend den Berftorbenen in voller 
Rüftung, Inieend unter dem Kreuze Ehrifti und umgeben 
von Weib und Kindern, ringsum die Wappen feiner Ahnen 
und mit der Inſchrift: anno (15)72, Sonntag den 27. Juli 
ift der Edle und Ehrenfefte Wallrab von Boineburgf genannt 
von Hohenftein in wahrer Erfenntniß Gottes felig von 
diefer Welt geſchieden, ſeines Alter8 im 43. Jahre. Auf 
der Bühne der Gutöherrichaft, der fogenannten Sunfer- 
Porläube, befindet fi ein aus Holz ſchön gearbeitetes 
Crucifiz. Auf dem Thurme hängen 3 fchöne Gloden : die 
große mit der Umfchrift „a. 1496 Maria Laurentius et 
Anna caro factum est“ (!) wurde vor einigen Jahren um⸗ 
gegofien; die Heine ſehr alte hat die Umjchrift „Ave Maria 
gralia plena dominus tecum.“ Die Gejchichte der Kirche 
ift zum Theil die Gejchichte ded Dorfes. An ein furcht- 
bare Hagelwetter erinnert ein Zeichen an der füdlichen 
Geite des Thurmes, das Die Größe der Hagelförner angiebt. 
Das Ruthenmaß der Aeder war in Die Kirchenmauer ge> 
jchnitten. Im großen deutichen Kriege, wo Brand, Pet 
und Flucht das Dorf verwüftet und die Einwohner verfcheucht 
hatte, bliefte traurig die Mutter, welche von den rohen 


*) Auch zu Bilchofferoda im Eiſenach'jchen, |, Dr. Rein in ber 
Zeitſchriſt für thüringiſche Geſchichte IV. Ebenſo zu Niederdünzebach. 


21 


Kriegshorden nicht unverfchont blieb, auf ihre Kinder Hin. 
1655 fchreibt der Pfarrer Vogelei im SKircheninventare: 
a. 1640, als das ſchwediſche Feld- und Kriegslager hier 
geweſen, bat die franzofiihde Cavallerie in der Kirche ihr 
Quartier genommen, die Geftühle und anderes Holzwerk. 
niedergehauen und verbrannt und aus dem Gotteshaufe 
einen Pferdeftall gemacht; und Reinhard Friedrich, von 
Boyneburg-Hoenftein jchreibt unterm 2. Auguft 1648: im 
30jährigen Kriege ift die Kirche jo ruiniret und verderbet 
gewejen, daß man von unten an bat zum Dache hinaus 
ſehen und die Sterne zühlen können *%). Die Kirche zu 
Jeſtädt ift eine Pfarrkirche und die Mutter der Filialkirchen 
zu Neuerode und Mobenrode. Das Patronatrecht über 
diejelbe fteht den von Eichwege als Inhabern des Jeftädter 
Nittergutes zu. 

Unter den Jeſtädter Pfarrern, von denen früher 
mehrere, zulegt noch Engelhard Wagner (1610-1626) die 
bopneburgiihe Amts- und Revenuenrechnung führten, er- 
wähne ich folgende: Johannes de Sunthra, Präbendar des 
Cyriaxſtiftes zu Eſchwege und plebanus in Gestede 1324 **); 
Heinrih von Suntra („pherner Bu Geſted“, 1357 und 
1363 ***), Johannes Kremmer aus Waldkappel, vorher 
Auguftiner im Klofter zu Eichwege 1530; Bartholomäus 
Schellenberger (1569—1610), das Haupt ter boynebur- 
giihen Pfarrer in der Oppolition gegen den Landgrafen 
Morig bei Einführung der Verbefjerungspunfte, warb deshalb 
von legterem abgejeßt, blieb aber doch in feinem Amte +); 
Jacob Bogeley, der die von der Landgräfin Amalie Eli- 


*) ©. meine Geihichte von Eſchwege S. 249. 

*+) Dem Altare omnium sanctorum in der Eſchweger Stiftskirche 
Theufte er die Einkünfte won einem Haufe und Hofe zu Eichwege. 
Ungedrudte Urkunde im Staatsarchiv. 

*##) In mehreren Urkunden des Eſchweger Cyriarftiftes, 
7) S. meine Gefhichte von Eſchwege S. 219 f und Heppe, Ein⸗ 
führung der Berbefferungspuntlte, 





22 


fabeth befohlenen Berfammlungen zur Belehrung und DBe- 
kehrung der Juden in Ejchwege zu leiten hatte, 1647 *); 
Heinrich Zülch (1656 — 1700), der zur Verbeiferung feines 
Einkommens Bier braute und an die Wirthe verkaufte **) 
und defien Sohn Johann David 1677 zu Marburg Andreas 
Diſſertation „an usquam gentes caudatae reperiantur* 
reſpondirte ***), 
Beſitzungen abeliger Familien zu Jeſtädt. 

Außer den Inhabern des Dorfes, Ten von Boyneburg- 
Hoenftein und von Eſchwege und einigen bereit3 erwähnten, 
waren bier begütert: 

Die von Hundelshauſen hatten 2'/, Hufen zwifchen 
Jeſtädt und Grebenvorf, die bis zum Anfunge des 17. 
Jahrhunderts theild Durch Erbichaft theild Durch Kauf an 
die von Boyneburg-Hoenftein gefommen und von dieſen 
um 1758 vertauft wurden. Die Hofitatt am Grebendörfer 
- Wege und in der Grebendörfer Gemarkung bezeichnet bie 
Stelle, wo das hundeldhaufifhe Gehöft ftand. Außerdem 
bejaßen die von Hundelshauſen eine Hufe zu Jeſtädt, deren 
1359 und 1455, jeit 1548 aber nicht mehr Erwähnung 
geichieht, ſowie eine Filchgerechtigkeit in der Werra (von 
der Pimpelgaffe biß zur Mündung des Schambachs), das 
hundelshauſiſche Waſſer genannt. 

Die von Grothauſen beſaßen an einem Hauſe zu 
Jeſtädt das Zins- und Lehnrecht, das früher dem Stifte 
zu Großenbursla zugeſtanden haben mochte und 1733 mit 
dem Jeſtädter Rittergute vereinigt wurde. 

Die Eſelskopf, an deren Anſitz „der Eſelskopf“ 
zwiſchen Albungen und Wellingerode erinnert, beſaßen zu 
Jeſtädt ein Vorwerk. Helene, Berthold Eſelkopfs Hausfrau, 


*) Archiv von Jeſtädt. Feder Jude mußte bei Strafe von 1 Ducaten 
in diefen Berfammlungen erjcheinen. 
**), Archiv zu Jeſtädt. 
“) S. Strieder, heifiihe Gelehrtengefhichte IX. ©. 343, 


23 


und ihre Kinder hatten daſſelbe an den Altar Mariae Mag- 
dalenae in der Catharinenkirche zu Eichivege verkauft und 
1366 verzichtet Konemund, Helenend Sohn, auf jeine An⸗ 
jprüche daran, nachdem ihm der Inhaber jenes Altars 30 
Scillinge guter Tornoſe bezahlt und einen jährlichen Zins 
von 6 Seller Eſchweger Währung verſprochen. Diejes 
Vorwerk, beftehend in 29°/,, Ar. Land und Wieſen, gehört 
noch jetzt dem Eſchweger Kirchenkaſten *). 

Die von Netra, zuletzt anſäſſig in Kleinvach, hatten 
pfandweiſe bis 1427 den vierten Theil des Jeſtädter Gerichts 
und ein Gut daſelbſt, das Neter'ſche Gut am Kreuz genannt, 
was in den Pfandbeſitz der Diede zum Fürſtenſtein 
überging und in der Mitte des 15. Jahrhunderts mit dem 
Rittergute zu Jeſtädt vereinigt wurde. 

Die Diede zum Fürſtenſtein beſaßen bis au 
ihrem QAußfterben (1807) 2 Häujer. zu Jeſtädt, die ihnen 
lehn⸗, zins⸗ und dienftpflihtig waren; die Bewohner der⸗ 
jelben waren diediſche Unterfafjen (Männer) und ber 
Grundbefig derjelben ftand gleichwohl in diediichem. Zins— 
und Lehnsverband. Sie hatten diefe Bejigung 1449 von 
Keriten Keudel erfauft. 1361 verpfändeten Die Diede dem 
Cyriaxſtifte zu Eichwege 5 Ar. Rand zu „Beiteder **), - 

Die Keudel, 1365 verpfändete Bodo von Boyne⸗ 
burg dem Mitter Reinhard Koydele 4'/, Dart jähr- 
lichen Zinſes an ſeinem Gute zu „Geyſtete“ und an feinem 
„theyzmen“ (Zehnten) „zu Thutinhujen vnd Nuwenrade“ 
für 45 Mark. Auch beſaß um 1370 Reinhgrd Keudel zu 
Burglehn eine Filchweide zu Geſtede vom Landgrafen von 
Heſſen als Mannlehn ***). 

Appel Appe, Amtmann zu Bilſtein, erhielt 1413 
von Heinrich und Boyneburg von Boyneburg-Hoenſtejn deren 
Antbeil am Dorfe Jeſtädt für 60 rheiniſche Gulden in 

*) Urkunde im Jeſtädter Archiv. 


**) Ungedruckte Urkunde des Cyriarſtiftes. 
***) Urkunde im Staatsarchiv. 





24 


Pfandſchaft und 1435 verpfändeten die Brüder Heimbrod, 
Rabe und Reinhard von Boyneburg-Hoenjtein „Geſtede, 
Tutenhuſen und Nuwenrade” an ihren Schwager Hang 
von Bodenhaujen*). 

Dievon Dankelsdorf beſaßen „güter zeu Geyſtete“, 
die ſie von „ern Appel Flemynge“ geerbt hatten und die zu 
Erbe giengen von den von Boyneburg-Hoenſtein und ver— 
kauften diejelben 1412 für 200 rheiniiche Gulten an Jeſtädter 
Bauern **), 

Die von Eſchwege zu Aue bejaken, nachdem die 
von Eichwegiihen Güter zu Jeſtädt längit an die von 
Bonneburg-Hoenftein veräußert waren, daſelbſt noch an 3 
Häufern und 14'/, Ar. Land das Lehns und Zinsrecht, 
fowie ein Gütchen von 11°/, Ar. Land und Wiefen, die 
Auiſche Meierei genannt. Beides wurde von den von 
Boyneburg-Hoenſtein im 18. Jahrhundert erworben, erfteres 
zum Nittergute gejchlagen und letzteres 1767 an Bauern 
verkauft. 

Die von Boyneburg-Hoenſtein zu Reichen— 
ſachſen hatten zu Sejtädt ein Gut von 51 Ar. Land und 
Wieſen, die Reichenjächfer Meierei genannt, welches 1652 
und 1675 mit dem Nittergute vereinigt wurde. Daffelbe 
war 1603 mit dent fogenannten Junker-Hermanns-Gute 
gefchehen, welches von der Reichenfächjer-Geldriichen Linie 
der von Boyneburg-Hoenſtein bejeflen wurde und wozu 
ein Gehöft in der Pimpelgafje gehörte. 

Klöfterlihe Befigungen zu Jeſtädt. 

Daß Kloſter Heida hatte 1427, 1430 ꝛe. Güter 
daſelbſt erworben, welche unter der Verwaltung des heidaifchen 
Kloſterhofs zu Eſchwege ſtanden. Sie waren den von Boyne- 
burgsSgenftein zinsbar, wurden aber von dieſen 1457 unter 
der Bedingung gefreit, daß für fie im Klofter Heida jährlich 
Seelenmeffen gelefen würden. Nach der Saecularifation 


*) Urkunde im Staatsardiv. — **) Desgleichen. 


25 


tes Kloſters Heida wurden mit diefem Gute, das aus 30 
Ar. Land und 10 Ar. Wielen beftand, die Nachlommen des 
Hans Burdhardt, eine Genofjenichaft, von den Landgrafen 
von Heſſen belehnt. Die Vicarie beatae Mariae virginis 
in der Dionylienfiche zu Eſchwege beſaß Ländereien zu 
Schwebda, welhe 1527 Landgraf Philipp den Keudel 
zu Lehn gab. Als der Inhaber jener Bicarie, der Pfarrer 
Joh. Koch zu Langenjalze, jich deshalb 1535 beim Herzog 
Georg von Sachfen bejchwerte, jo wurde die Sache dahin 
verglichen, daß die Einkünfte der Vicarie Unirer lieben Frau 
den beiden Pfurrern zu Eſchwege zuerfannt wurden, dieſen 
aber, ftatt der Schwebduer Revenue das Einfommen von 
der heidaifchen Hufe zu Jeſtädt, nämlich jährlih 9 Mitr. 
Korn, 1 Mitr. Waizen, 2 Mitr. Gerfte und 12 Mitr. 
Hafer, zufallen ſolle*). 1846 wurde dieſer Zins abgelöft. 

Die Ejhweger Klöfter (dad Eyriagftift uud 
da8 Auguftinerklofter) bejaßen zu Jeſtädt und Duden⸗ 
haufen Ländereien und Zindgefäle. Das Ganze waren 3 
Hufen zu Jeſtädt und 1 Hufe zu Dudenhaufen. Nach der 
Saecularijation diejer Klöjter 1527 erhielt dieſe Güter zu 
Zehn Friedrih von Boyneburg- Hoenftein, genannt der 
Geldermann. Nach deifen Tode fielen fie heim und Landgraf 
Morig gab fie wegen treu geleifteter Dienfte dem Oswald 
von Garlowig; feitdem hießen fie die Carlowighufen, 1581. 
Dieſer verkaufte fie aber an den Kanzler Reinhard Scheffer 
für 1500 Thir., der fie nun für fich und feine Nachkommen 
zu rechtem Mannlehn empfing. Es gehören Dazu 73'/, Ar. 
Land, 9'/, Ar. Wiefen und 8 Mitr. 5'/, ME. Partimfrucht 
jührlicden Zinſes. Die von Ejchwege haben das Gut in 
Afterlehen **). 


*) Ungedridte Urkunden des Klofters Heida 2c. 

*5) Jeſtädter Archiv. Rommel, heifiihe Geſchichte V. S, 391. 
Strieder, heffiihe Gelchrtengefchichte X. S. 28%, Urkunden im 
Staatsardiv, 





26 


In der Gemarkung von Jeſtädt beſaßen die Auguftiner 
zu Eſchwege einen Weinberg am Königsberge, mit welchem 
fie 1506 von den von Boyneburg-Hoenftein belehnt wurden 
gegen eine jährliche Abgabe von 1 Stübchen Wein („eyn 
Stobichen wyns des beiten gewechs des berges“). Es ift 
dies der jetzige Herren- (Auguſtiner-Herren) Berg, der im 
Beſitz der heſſiſchen Fürſten blieb und jetzt in Privathänden 
ſich befindet*). Am linken Ufer der Werra oberhalb Jeſtädt 
liegt eine Strecke Landes, aus etwa 46 Ackern beſtehend, 
der Mönchewinkel genannt, früher das Kalbswerd. Heinrich 
und Boyneburg von Boyneburg-Hoenſtein verpfändeten es 
1407 den Auguſtinern zu Eſchwege für 60 rheiniſche Gulden 
und ſchenkten es ihnen noch in demſelben Jahre laut einer 
auf Schloß Boyneburg ausgeſtellten Urkunde zu einem 
Geelengeräthe, fo daß dafür am neuen Altare im Chore 
der Klofterfirche für die boyneburg - hoenfteinifhe Familie 
eine ewige Mefje gehalten werde. Nach der Saecularifution 
des Klofterd verpfänvete Landgraf Philipp das Gut für 
150 Gulden an Claus Schreiber, von dem es für dieſelbe 
Summe Friedrich von Boyneburg=Hoenftein, der Geldermann 
genannt, erftand; von den Erben veffelben fam es an Johann 
von Raßenberg 1569, von dem es die Witwe des Walrabe 
von Boyneburg-Hoenftein zu Jeſtädt 1574 für 1000 Thlr. 
erfaufte; 1747 wurde e8 zu 6900 Thlr. angejchlagen, gelangte 
an die Diede und ift jegt im Befige des W. Bierſchenk **), 

Jeſtädts Zubehörungen. 

Das Förſterhaus auf dem Berge nebit einem 
Vorwerk, Außerft romantisch gelegen, eine Viertelftunde vom 
Dorfe entfernt, gehört zum Nittergute. Hier dürfte die 
Nordheimiſche curia Hanecrait (jiehe oben) zu fuchen fein. 

Die Grund: oder Bohmühle wurde 1754 als 
Eiſenhammer von zwei Seftäbter Einwohnern angelegt und 


*) Ungedrudte Urkunde des Eſchweger Auguftinerklofters. 
**) Urkunden des Auguftinerklofters; Jeſtädter Archiv. 


27 


erft 1782 zu einer Roggenmühle eingerichtet, eine Biertel- 
itunde vom Dorfe entfernt, in der Nähe ter ausgegan⸗ 
genen, aber noch in der Mitte des 15. Jahrhunderts er⸗ 
wähnten Haar- oder Hardtmühle. 

Die Pletſch- oder Steinſtegmühle, in der Nähe 
des Dorfes, da mo ſechs Wege fich Freuzen, ‚eine uralte 
Anlage. In der Nacht vom 12. zum 13. September 1750 
drang eine ftarfe Diebesbande, wohlgekleidet und mit weißen 
Torniftern, die Gefichter gefchwärzt und unter Anführung 
eines Krauskopfs in die Mühle, band und fchlug jämmerlich 
die beiden Sinechte, den Befiger und deſſen Frau, zerichlug 
Kaſten und Schränte, plünderte alles aus und verjchwund im 
mainzifhen EichEfeld, noch ehe der Schulze von. Ieftädt 
mit 20 Mann erihien. Bon Einüringung der ‚Diebe 
Ichweigen die Gerichtsakten. 

Die Lohgerberei am Shambade wurde vor 
etwa 37 Jahren von den Gebrüdern Gebhardt zu Sicwee 
angelegt. 

Noch Einiges aus der Jeſtädter Gemarkung. 

Die Weinberge. Bon Frieda bis Jeſtädt.am 
nördlichen Rande des Werrathales zieht jich ein Berggelände 
hin, im Rücken gejchügt durch höheres Gebirg, gunz hin 
gegeben dem wärmenden Strahle der Mittagsionne. Hier 
ward vor Jahrhunderten Wein gezogen. 786 war jchon 
Weinbau an der Werra, 996 zu Eſchwege. E8 wur aber 
Landwein und fand dem rheinischen und fränkischen Gewächs 
weit nach. In der Mitte des 16. Jahrhunderts liefen bie 
von Boyneburg den Winzer Melchior aus Franken Tommen, 
der in ihrem Gebiete zu Jeſtädt, Reichenjuchlen sc. Weinberge 
anlegte. Als ihn einſt Joachim von Boyneburg-Hoenſtein 
fragte, ob man guten Wein erwarten könne, antwortete er: 
„Ich weiß warlich nicht, Ehrenveſchter lieber Junker, was 
ich ſagen ſoll; es iſcht unſer lieber Gott in dieſem Lande 
gar viel anders geſinnt, als in dem mainem; was er uns 
daſelbſt zaigt und eraigt, das gait er uns auch redlich und 





28 


reichlich, aber wenn er in diefem Lande ſchon gut Wetter 
zu blühen, zu körnen und zu wachen gait, jo läfcht er Doch 
zulegt den Schalf gaufen und ſchickt entweder einen harten 
Keif oder einen unzeitigen Froſcht und ſchnaidet ung den 
Bain, den man vafcht bald Iefen und zu Faffe bringen 
-follte, vorm Maule ab *)." Bis in die zweite Hälfte des 
vorigen Jahrhundert? wurde von den von Boyneburg- 
Hoenſtein der Weinbau zu Jeſtädt ernftlich betrieben. Sie 
hielten einen bejonderen Weinmeijter. 1738 werden außer 
Diefem noch act Winzer erwähnt und zwölf Perſonen, 
welche die Trauben laſen und die Stöde aufichnitten. Zum 
Nittergute gehörten fieben Ader Weinberge, in denen durch⸗ 
fehmittlich jährlich 20 Ohm (A 80 Maas) gezogen wurden. 
Die Ohm wurde gewöhnlich zu 4 Thlr. verkauft. 1738 
wurden nur 72 Maas gewonnen. 1704 Eoftete das Maas 
Zandwein zu Jeſtädt einen Grofchen. Auch von Bauern 
wurden ganze Fuder Wein nach Ejchwege gefahren. Mit 
einem SKrüglein Wein am Pfluge zogen fie vordem an den 
Ader. 1581 werden 14 Bewohner Jeſtädts genannt, Die 
Weinbau trieben. Mit einem Tage begann die Weinlefe 
und als Johannes Hefje jun. früher zu lefen anfing, wurde 
er im Nügegerichte zu Seftädt am 22. November 1748 
um 1 Albus geftraft. Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts 
verließ Bucchus Die Gemarkung. Nur hie und da wuchert 
in den Weinbergen noch eine wilde Rebe; munde ift auch 
ind Dorf hinabgeitiegen und rankt fich unter ihres Herrn 
Pflege zu deffen Giebeldach empor. Bon den Weinbergen 
genießt man eine reizende Ausficht ind Werra und Werethal 
und in die Berggegenden vor dem Weihner. 

Sn den feljigen Abhängen derjelben jpielt die Wichtel- 
jage, noch lebendig im Munde des Volles. So ließen 
fih die Wichtel vor Zeiten zuweilen im Dorfe bliden, 
namentlich im Schloſſe, wo fie in der fogenannten Wichtel- 


*) ©, Melander, joco-seria. 


29 


tube aus den NRiken der Fußbodendielen emporftiegen. 
Zumeilen machten fie weitere &geurfionen. Bei einer 
derfelben nah Eltmanndhaufen, wo in den Steinklüften 
an der Landſtraße gleichwohl ein Wichtelvolk fich aufhielt, 
mußte der Jeſtädter Fährmann in feinem Sahne fie über 
die Werra fegen; derjelbe erhielt als Fährlohn ein Knäuel 
Garn ohne Ende und als er beim Abweifen beffelben 
ermübete und den Knäuel verwünfchte, da war plöklich alles 
Garn verihwunden. In den Weinbergen zeigt man noch 
die MWichtelfirche (oder Küche), eine Feljenhöhle und in 
deren Nübe den Wichtelanger. — Auch eine intereffante 
Flora giebt e8 dort, daher ber Ort häufig von Botanilern 
befucht wird, | 

Der YJudentodtenhof, in der Stille des rundes 
zwiſchen Jeſtädt und Motzerode, zahlreich bejäet mit Leichen 
fteinen, ift uralt und erftreckt fich noch weit in den Wald 
hinein. Grund und Boden defjelben gehört zum Rittergute. 
Bormald wurden die Juden aus der weiten Umgegend 
hier beftattet, ehe noch die Begräbniſſe zu Netra, Neichen- 
ſachſen und Abterode angelegt waren; jebt gehört der 
Gottesacker nur noch der Judenſchaft zu Eſchwege, die indeß 
vor einigen Sahren einen neuen bei der Stadt beichafft 
und den Jeſtädter mit der Beltattung des lebten bier 
wohnenden Juden geichloffen bat. In Jeſtädt haben nie 
mehr als zwei Sudenfamilien gewohnt, früher nur eine, 
welche die Auffiht über den Zodtenhof führte und ver 
Jeſtädter Gerichtäherrichaft Schußgeld zahlte. 

Die Steine beim Lindenhofe vorm Dorfe am 
Eichweger Wege. Jetzt ftehen deren noch drei, früher waren 
e8 fieben. Bon den Aexten, die darauf abgebildet waren, 
bemerkt man nicht8 mehr. Einit, fo geht Die Sage, ftand 
hier eine Linde, daher die Feldlage noch der Lindenhof 
heißt; unter derſelben vertheilten einmal Zimmerleute aus 
Frieda ihren verdienten Lohn und geriethen darüber in 
Streit, der jo heftig wurde, daß fie mit den Aegten drein 


30 


ſchlugen und fiehen Todte auf tem Platze ließen; zur 
&rinnerung hieran jeien die Steine gejekt. 

Erdhauſen. Inder Sitlichen Abſenkung tes Fürften- 
fteiner Berges zwiichen der Poch- und Pietihmühle furcht 
ein Graben ein, der Erthäujer Graben genannt. Es be- 
finden ſich dajelbit noch zwei umzäumte Baumgärten und 
ed mag bier ein vielleicht nur aus wenigen Häuſern 
beftehende8 Dertchen geftanden haben, defjen jedoch nirgends 
urkundliche Erwähnung geichieht. 

Die Wüftung Dubdenhaufen. Beinen in diefer 
Zeitſchrift II. S. 267 und 268 über dieſes audgegangene 
Dorf mitgetheilten Nachrichten füge ich folgende8 hinzu: 
„Dudenhaufen war ein Pfarrdorf; al® Zeugen werden 
urtundlich genannt: dominus Conradus de Salylbertus (2) ple- 
banus in Tutenhusen 1297 *), Conruadus rector ecclesiae in 
Thudenhusen 1299, Hermann plebanus in Tudenhusen 1315 
nd Albertus **). 

1346 und 1378 wird ter Ort als noch beftehend 
angeführt und in dem letzteren Jahre gefchieht einer größeren 
Anzahl Höfe daſelbſt Erwähnung, Die den von Boyneburg- 
Soenjtein, vormal® den von Hundelshauſen zinsbar waren 
(unter andern des Hofes und der Hufe der Visbeche ***), 
wovon jährlid 3 Mitr. Korn, 3 Mitr. Gerfte, 3 Mitr. 
Safer, 6 Schillinge Heller und ein Faſtnachtshuhn gezinft 
wurden +). Das Kloſter Heida war in Dudenhaufen jchon 
1391 begütert und die oben genannten Jeſtädter Befigungen 
defjelben lagen vornehmlich in der Dudenhäufer Gemarkung. 
Brüher noch finden wir die von Hundeldhaujen bier begütert. 
Heinrich von BoyneburgsHoenftein und feine Gemahlin 
Catharine von Eralud kauften von den von Hundel8haujen, 


*) Ungedrudte Urkunde des Eſchweger Cyriarftifts. 
*s) ngebrudte Urkunden des Klofters Germerode. 
6) oder Fiſchbach; wahrjcheinlich die große Hufe, die bis in die neuere 
Zeit vom Fuldaer Lehnhof relevirte. 
7) Ungedruckte Urkunde dos Eſchweger Kugufinertioßere, 


31 


Heinrichs Schweiterföhnen, für 27 Mark ein Gut daſelbſt, 
binfichtlich deifen zwilchen ihm und feinen Schwägern von 
Sralud und von Pferdsdorf Streitigkeiten entftanden, bie 
1346 verglichen wurden. Das ganze Hundelöhäufer Gut 
zu Dudenhaufen kam nachmals an Hermann von Boyne= 
burg-Hoenſtein, Heinrichs Sohn, der e8 als ein Seelgeräthe 
dem Auguftinerflojter zu Eſchwege fchenfte, 1378. Es war 
eine Hufe, die von den Auguftinern gegen neun Malter 
Partimfrucht Zins zu Erbe gegeben wurde und gegenwärtig 
ein Stud des Scheffer’ichen Lehns it *). 1365 verpfändete 
„Bote von Boymenberg Heren Reynhart Koydele Ritter feinen 
theyzmen (BZehnten) zeu Thutinhufen vnd Nuwenrade **).* 
Der Dudenhäufer Kirchhof liegt zwilchen dem Grebendürfer 
Wege und der Stätte der ehemaligen Dudenmühle auf 
einer Eleinen Anhöhe; über denſelben zieht jet der Pflug 
des Nitterguteß und man hat in diefem Jahre (1862) dajelbft 
Gebeine ausgeackert und ein gemauerted Grab gefunden. 
Bruchſtücke aus der Gejhichte von Jeſtädt. 
Der Anfang ded 15. Jahrhunderts war für dieſe 
Gegend eine Zeit wilder Fehde. 1403 verheerte der Erz- 
biichof Johannes von Mainz das Gericht Bilftein, Neuerode 
war ganz verwüftet, Dudenhaufen mag damals feinen 
Untergang gefunden haben und an Jeſtädt die Furie der 
Zerftörung nicht ſpurlos vorübergegangen fein. Nach einer 
Urkunde im Staatdarhiv von 1413 bitten die „altarlude 
der ferchen czu Geftede und dy ganeze gemeyne vnd ſame— 
nunge daſelbis“ den Junker Heinrich von Hoenftein, daß 
er ihnen geftatte, die Glocke des verwüſteten Dorfed Neuerode 
folange in Seftädt zu gebrauchen, bis Neuerode wieder 
aufgebaut worden, da die Glode zu Jeſtädt zerbrochen ſei. 
Am Sonnabend vor St. Urban (25. Mai) 1462 
fielen die SHeiligenftädter in Jeſtädt ein, plünderten daß 


*) Urkunden deg Eichweger Auguſtinerkloſters. 
**) Urkunde im Staatsarchiv, 





32 


Dorf und zündeten e8 an. Die Eichweger im Bunde mit 
den von Boyneburg-Hoenſtein verfolgten den Feind bis 
Kaltenebra und nahmen ihm den Raub wieder ab. Auf 
dem Thurme der Stiftzfirche zu Heiligenftadt ſoll fich aber 
noch eine Glocke befinden, welche die Heiligenftäbter Damals 
von Jeſtaͤdt mitgenommen haben *). Durch die Fürften 
von Sachen und Heilen wurde zu Allendorf die Sühne 
geftiftet. Einige Jahre fpäter erhoben die von Boyneburg- 
Hoenjtein bei dem Oberamtmann des EichSfelted, dem 
Grafen Franz Heinrih von Schwarzburg, noch Aniprüche 
an Heiligenftadt; aber der Rath diefer Stadt verweigerte 
diefelben mit Bezug auf den Allendörfer Friedeipruch **). 

1548 wurde da8 Malter Korn für 20 Albus verkauft. 

Der dreißigjährige Krieg ließ mit jeinen Greueln und 
Schrecken Jeſtädt nicht unverfchont, durch Einquartirung, 
Eontributionen, Plünderung, peftartige Krankheiten, Brand 
wurde der Ort ſehr mitgenommen ***), Als Tilly 1623 
durch die Werragegend 309, hatten fich die von Boyneburg 
von ihm einen Schußbrief verſchafft, wodurch das Gericht 
Jeſtädt vor allzu harter Bebrängniß bewahrt blieb, was 
auch in den nächitfolgenden SIahren der Fall war. Dies 


‚erregte Erbitterung bei anderen, auf denen der Drud um 


fo hürter laſtete. In diefe Zeit fallt, wie es in einem 
Aktenſtücke des Jeſtädter Archivs heißt: „das in Heſſen 
unerhörte landfriedbrüchige und räuberiſche unternehmen 
einiger leichtfertigen Canaillie aus Eſchwege, welche mit 
Zuziehung anderen Ihresgleichen Raubgierigen Land-Pöbels 
das Adelige hauß Seftäbt, in abwejenheit der Edelleute 
gewaltjum überfallen, totaliter fpolyret, offen, thür, fenfter 
und allen haußgerath und mobilien, was fie nicht mit 
fortjchleppen können, zerichlagen und in grund vermwüftet, 


*) Handichriftliche Chronik von Eſchwege. 
**) Urkunde von Mittwoch nach) Matthias 1467. Jeſtädter Archiv. 
ss, S. Eſchwege und die Landichaft an der Werra im 3Ojährigen. 
Kriege in meiner Geſchichte von Eſchwege S. 223 ic. 


33 


kiſten und faften eröffnet, die darin gefundenen briefichaften 
und documenta verbrannt, zeriffen und in den Koth zer- 
jtreuet 20.” Doc die Argften Gräuel brachte das Jahr 
1637. Eichwege, Allendorf und viele Dörfer der Umgegend 
wurden von den Eroaten mit Feuer und Schwert verwüſtet. 
Berheerend kamen diefe Cannibalen auch nach Jeſtädt. 
Ein Theil der Bewohner ergriff die Flucht und jchleppte 
fein Vieh aufs benachbarte Eichsfeld. Eine allgemeine 
Feuersbrunft ergriff dad Dorf und 17 Häufer wurden ein 
Raub der Flammen. Auch die Kirche wurde verwüſtet. 
Neinhard von Boyneburg- Hoenftein verließ mit feiner 
Bamilie fein Schloß und floh nach Göttingen. Wie die 
Croaten damals in Jeſtädt gewüthet, davon zeugte noch 
fange ein an dem Thürgewände eined 1854 abgebrochenen 
Haufes in Holz audgehauener und angemalter Eroate, der 
ein Kind in der Wiege erfticht. 1640 lagerte Banner ſechs 
Wochen bei Ejchwege ; in Jeſtädt nahm franzöfiiche Cavallerie 
Duartier, Die Kirche wurde zum Pferdeftalle gemacht und 
die Einwohner flohen. Neue Leiden brachten die folgenden 
Sahre, namentlich 1641, 1642, 1646 und 1647: Ueberfälle, 
Plünderung, Krankheiten, Ausflüchte, Theuerung. 

1738 fand in Jeſtädt eine Nevolte gegen die Gerichts— 
obrigfeit ftatt; die Tumultuanten zogen ind Gericht&hauß, 
überfielen des Schultheißen Behaufung, entriſſen dem 
Steuerjeribenten die Steuertabellen und dem Gerichtödiener 
einen Arreftanten. Der SHaupträbelsführer erhielt eine 
vierzehntägige Thurmftrafe und die Gemeinde wurde in die 
Koften verurtbeilt (24. März 1738). 

Der fiebenjährige Krieg binterließ auch in Seftädt 
verderbliche Spuren. 1758 wurde eine flarfe Kriegs— 
eontribution durch ein franzöfiiche8 Executionscommando 
beigetrieben. Am 17. Februar 1761 raubten die Franzoſen 
zwei Pferde und am 5. April einen Wagen mit vier Pferden ıc. 

1813 überjchwemmten einmal 5400 Mann ruffijcher 


Cavallerie und am folgenden Tage 1200 Mann Artillerie 
Band X. 3 


34 


das Dorf, welches dadurch hart beichädigt wurde. Eine 
Frau flarb bei dieſer Gelegenheit vor Schreden. 

1640, 1676, 1717 rafften böje Krankheiten, 1784, 
1789 und 1794 die Blattern, 1789 und 1791 die Rubr 
und 1812, 1813, 1818 und 1819 da8 Nervenfieber viele 
Leute weg. 

| 2. Neuerode, 

eine Stunde von Jeſtädt, ebenjomweit von Eichwege entfernt, 
auf der Hochebene des Königsberges, am Meinhbart, an 
der Grenze des Eichsfeldes, 1064 Fuß über dem Meered- 
ipiegel, ift ohne Zweifel eine fpätere Dorfanlage, worauf 
der Name und die auf dem Grund und Boten laſtenden, 
nunmehr abgelöften jchweren Zinsgefälle, ſowie der faft 
gänzlihe Mangel an Gemeindewald und Hute hindeuten, 
Urkundlich finde ih den Ort zuerit 1345, wo Adelheid, die 
Hausfrau des Ritters Appel von der Aue, von Lucie von 
Göttingen Zinsgefälle kauft, welche auf Gütern am „Meyner“ 
haften und von vier „geburen Zu Nuwenrode“ gezahlt 
werden und womit fie ein Seelengeräthe im Cyriaxkloſter 
in Eſchwege ftiftet *). 1365 verpfündet Bodo von Boyneburg 
feinen Zehnten dajelbft an Reinhard Keüdel. 

Das Dorf ift almählig zu feiner jeßigen Größe 
erwachien. In der Mitte des 15. Jahrhunderts zählte eg 
23 Häufer, wozu etwa 14 Hufen Land, Wielen und Wald 
gehörten, 1573 waren dort 32 Käufer und 8 ledige Brands 
jtätten, jet 50 Häufer, aber nur 47 Gemeindegerechtigfeiten. 
1462--1477 wurde viele8 urbar gemacht. So heißt es in 
einem boyneburgijchen Negifter im Jeſtädter Archiv: „Uff 
hude Montag nach ſanet Andreastag in deme 1477 jar 
bat Curt Hille genommen zu Nuwentode '/, hube Landes 
vnd fol darvor geben alle jar '/, malder forn, '/, malver 
habber, eyn fapnachshuhn vnd '/, jchog enger.” „Claus 
Ruße hat 8 ader Landes uff Espe vnd ſal dervone gebe 


*) Ungebrudte Urkunde des Eſchweger Eyriarftifts. 


35 


wan eß treyd von eyme ader eyn mecgen waz ez treyd.“ 
„1462. Hans von Breſſel gibbit von eyner hube landeß 
zeu Nuwenrode, dy had here gerod, 15 hüner.“ ꝛe. Die 
Bevölkerung dort iſt noch immer im Zunehmen begriffen. 
Bon 1720—1729 (in 10 Fahren) wurden geboren 73 und 
begraben 49; von 1820—1829 wurden 100 geboren und 
68 begraben. Das Kirchlein, für die Gemeinde zu Klein, 
wurde wahrjcheinlich erſt 1596 gebaut, welche Jahreszahl 
lich über dem Eingange findet. Ein Schulhaus wurde erft 
1839 beſchafft. Das dortige allodiale Rittergut, die Meierei 
genannt, beftehend aus 84 Ar. Land, 8'/, Ar. Wiefen und 
3 Ar. arten nebſt zugehörigen Gebäuden, gehörte den 
von BoyneburgsHoenftein zu Seftädt und gieng jchon 1767 
füuflih an die Familie Thomas über. 

Die Wüftung Dörrenhain. Nörblich über Neues 
rode auf der hoben Gohburg, an der Eichöfelder Grenze, 
liegt eine Fläche urbaren aber kaum ceulturfähigen Landes 
von 265°/, Ar., die Dürrenhainer Flur genannt. Jeder 
Acker war zinspflichtig mit einem Groſchen halb an's 
Nittergut zu Jeſtädt und halb zur Renterei des Cyriaxſtifts 
zu Eſchwege. Dort lag vorzeiten ein Dörflein, deſſen 
Bewohner höchft wahrjcheinlich nach einer Verwüftung und 
wegen Waſſermangels fih zu Neuerode niederließen. Am 
Ende des 15. Jahrhunderts war dort Wald und ZTrieich. 
Eine Stelle dajelbft heißt der Kirchhof, wo man zumellen 
Knochen und Ziegelftüde findet und in einem Regifter über 
die Dörrenhainer Flur vom Jahre 1670 wird genannt ein 
„Gewand, darauf der Brunnen geftanden“ und ein „Gewand 
uffen Kirchenplatz.“ Auch fol bier die alte Glode auf dem 
Neueröder Kirchthurme ausgegraben worden fein, was auf 
eine plögliche Zerftörung und Verwüftung des Dörfleins 
jchließen läßt. 1498 verkauften die von Ejchwege den 
„Dornhagen” an die von Boyneburg-Hoenftein und damit 
wurde derjelbe eine Pertinenz des Gerichts Jeſtädt und 


3* 








36 


des Nittergutes dajelbft *%). Lange Jahre war der Dürren- 
hain eine Quelle heftiger Streitigkeiten zwiſchen den von 
BoyneburgsHoenftein und den Surmainziichen Beamten, 
welche denjelben zu ſella und dem Schloffe Greifenftein 
ziehen wollten. Bereit um 1522 waren Grenzfteine zwiſchen 
„Mainz und Boineburgf”, wie e8 in den Acten de8 Jeſtädter 
Archivs heißt, geſetzt; aber erft 1584 wurde hier Die Grenze 
des Eichsfeldes berichtigt nach einem Vertrage vom 16. 
Suni 1583 **). 

Bei Neuerode hoch am Meinhart wurde vormals aud 
Weinbau getrieben. In einem Flurbude von 1670 
werden dafelbft erwähnt drei wüſte Weinberge. In der 
Nähe verjelben ftand ein Siehenhauß, defien Mauerwerk 
1673 noch zu fehen war und worin nicht lange vorher 
noch Frau Beata wohnte, die in dem nahen Siechenbrunnen 
ihr Waſſer holte ***). Nicht weit davon auf einer Heinen 
Anhöhe über dem gewaltigen Steinbruche joll eine Capelle 
des Ejchweger Chriagftiftes geftanden haben; urkundlich 
findet fich nicht8 darüber. Der Ort gehört der Pfarrei zu 
Grebendorf und heikt „im Sylvefter“, in alten Acten auch 
„das heilige Vesperchen“ und ein Weg in der Nähe „ber 
Nonnenmeg.“ 

3. Motzerode 
liegt, eine Stunde von Jeſtädt entfernt, romantijch an einer 
Felſenwand des hoben Steines, der 1801 Fuß über die 
Meeresfläche emporragt. Die 40 Häufer des Dorfes find 
planlo8 zu beiden Seiten eines Baches Hingeftreut, daher 
daffelbe auch Feine eigentlihe Cafe hat. Gemeinde 
gerechtigfeiten find 26, die meiftend halbirt find, was auf 


— 


*) 1441 wurden die von Döruberg von den heffiichen Landgrafen 
mit „der Wüftenung halb zu Dörenhain” belehnt, weldhe 1462 
an die von Eſchwege fam, Die mit dem Dornhagen auf der Goh— 
burg belehnt wurden. S. Landau, Wüftungen ©. 299. 

**2) Boyneburg-Hoenfteinfches Documentenbuh S. 336. 

*ee) Acten im Jeſtädter Archiv, 


37 


ſpäteres Wachsthum des Ortes, der 1573 nur 18 Häufer 
zählte, jchließen läßt. Die Gemeinde ift arm. Bedeutende 
MWaldungen befitt hier das Teftädter Rittergut; nur 106 
Acer gehören der Gemeinde. Das Kirchlein it alt. Ein 
Schulhaus wurde erft in neuerer Zeit befchafft. Auf der 
Härbteloppe genießt man eine weite entzüdende Ausficht 
vom Harz bis zum Rhöngebirge und Thüringerwalde, jowie 
man von dort hinabfchaut in den zu Allendorf gehörigen 
Gebirgsfeffel, „zum Hayn“ genannt, worin man die Trümmer 
der Kirche der Wüſtung Immicherode und daS aus den 
Kirchenruinen des Dörfleins Ruprechterode erſtandene Sagd= 
Ichlößchen bemerkt. Die Weinfenfe, eine hoch im Gebirge 
befindliche Feldlage, wo im dreißigjührigen Kriege die Ein— 
wohner mit ihrem Vieh mehrmals eine Zuflucht fuchten, 
Icheint an ehemaligen Weinbau zu erinnern. 

Schon frühe waren in Motenrode begütert die von 
Boyneburg-Hoenſtein und e8 werden ihre Befißungen dafelbft 
als ein Theil ihres Everſteiniſchen Lehns in ihren lüne- 
burgiihen Lehnbriefen feit 1418 namentlid angeführt. 
Ferner hatten hier die von Neter und von Dörnberg als 
heſſiſches Mannlehn Bejitungen, welche 1462 an die von 
Eſchwege und von diefen 1498 Fäuflich an die von Boyne— 
burg-Hoenſtein übergingen und ſeitdem mit dem Nittergute 
zu Jeſtädt als lüneburgiſches Lehn vereinigt waren. In 
dem Kaufbriefe von 1498 *) werden genannt „die Wuſte— 
nunge vnd gütter zu Bettelsdorf, Newenrodt und Motenrodt, 
der Dornhagen auff der Goburgf“ ıc. 1436 ſchenken „Pethe 
von Netir, Hand von Dorneburg **)“ und deſſen Söhne 
dem Augujtinerflofter zu Ejchwege als ein Seelgeräthe 
ihre Gerechtigkeit „an der fleyngruben ezu Moczenrode genant 
an der Kogeln und gelegen under der Horne“ ***). 


*) Bonneburgifchrhoenfteinifches Documentenbuh S. 112. 
**) d. i. Dörnberg. 
***) Urkunden des Eſchweger Auguftinerklofters, 





38 


Seit Sangen Zeiten beiagen tie Tiete zum Yüriten- 
flein, denen auch das benachbarte Torf Hitzelrede ala 
ein Allod zuſtand, einen Theil von Motzenrode — vier 
Männer. Tie Häujer Terjelben lagen im Torfe unt tie 
zinsbaren Länter, die dazu geberten, in ter Gemarfung 
zerftreut.” Die tietiihen Männer mukten an's Gericht auf 
ten Züritenftein gehn und tie Diede hatten in Megerote 
einen bejonteren Schultheißen. Weil aber ihre Gerechtig- 
feiten daſelbſt nicht feit begränzt waren, je gıb dies eine 
Quelle vieler und heftiger Streitigkeiten mit ten von 
Boyneburg-Hoenitein, denen erii am 3. Maui 1757 turd 
einen Vergleich ein Ente gemacht wurte. Mit tem Erlöjchen 
des diediſchen Mannsſtammes fielen tie Gerechtigfeiten 
derjelben zu Moberote tem Kurheſſiſchen Staate anheim. 

Eine Hufe zu Moßerote war tem Kloſter zu Ejchwege 
jindbar, eine antere ter Pfarrei zu Jeſtädt. 

Die Wüſtung Bettel8dorf, eine Heine Biertel- 
ftunde unterhalb Motzerode, an tem Bache, ter nach Jeſtädt 
fliegt, an einer Stelle, die noch „zu Bettelsdorf“ heißt und 
von wo noch durch Die Moteröter Gemarkung der jogenannte 
Marktweg nach Eichwege führt. In einem Flurbuche von 
1670 werden 29 Ader Land „Bettelsdorf“ genannt. Landau 
bemerkt (Wüftungen ©. 298): „wührend 1363 Heinrich 
Eſelskopf jeine hHiejigen fultiichen Lehngüter an Die von 
Hundelshaujen verkaufte, war 1373 Kunemund Eſelskopf 
noch daſelbſt begütert, auch die von Dörnberg hatten dujelbft 
heſſiſche Lehngüter, welche 1462 an die von Eſchwege 
famen.” Dad Ganze fam 1498 an die von Boyneburg- 
Hoenftein, welche es mit ihrem von Lüneburg zu Lehn 
gehenden Gerichte Jeſtädt vereinigten. Wann das Dörfchen 
feinen Untergang fand, ift nicht befannt. Im Anfange des 
15. Jahrhunderts mag es noch geftanten haben; denn in 
einem Weisthbume des Jeſtädter Gerichtd aus dieſer Zeit 
wird erwähnt „der von Bettelsftorff hol.” In einer Grenz= 
beichreibung der Jeſtädter Feldmark etwa aus dem Jahre 


39 


1477 wird aber bereit3 ftatt „Bettelsdorf“ genannt „ber 
von Motzenrode gemeyne.” Ein Reit vom alten Bettelsdorf 
ift da8 noch 1548 erwähnte „Furwergk im Segelbache“ 
und dag Nittergut zu Jeſtädt befitt Dort eine größere Strede 
Landes. Bettelsdorf ift in Motzerode aufgegangen. 


— 


II. 
Geſchichte 
der evangeliſch-reformirten Pfarrei Binterfleinau, 


urkundlich dargeſtellt 
von J. Rullmann, Pfarrer daſelbſt. 





Einleitung. 

Das Benedietiner Kloſter zu Schlüchtern, das in der 
kurheſſiſchen, oberen Grafſchaft Hanau an der Kinzig liegt 
und ehemals zum Bisthum Würzburg gehörte, war eine 
große und reiche Abtei, hatte nah und fern zahlreiche Gefälle, 
Güter, Höfe und Waldungen; eine bedeutende Anzahl von 
Ortſchaften, die meiſtens um daſſelbe herumlagen, nebſt der 
Stadt Schlüchtern, war ihm zins- und lehnspflichtig. Dieſe 
Ortſchaften wurden auch vom Kloſter aus paſtorirt; die 
entfernteren durch Stationarii und Pfarrherrn, d. h. durch 
Prieſter, die im Namen des Abtes, der überall der eigent— 
liche Pfarrherr war und an den fie auch Die empfangenen 
Gebühren u. |. w. abliefern mußten, als feine Vicarit die 
pfarramtlichen Geſchäfte verrichteten und fich zu dem Ende 
längere oder fürzere Zeit außerhalb des Kloſters aufhalten 
durften. An vielen Orten befanden fich zur Abhaltung des 
Gottesdienſtes Kapellen, die theilmeile noch heute fiehen, 
vielfach zu Kirchen vergrößert; Die entfernteren Orte waren 
zu Kirchjpielen vereinigt. Die bedeutendften diefer Kirch— 





40 


fpiele waren Ramholz mit 6 Dirjern, Motiger® mit 5 und 
Hinterfteinau mit 4. Eine Geſchichte des legeren Kirchſpiels, 
oder ter Pfarrei Hinterfteinau, fann ſelbſtrerſtändlich nur 
den Zeitraum umfaljen, wo fie, um mich jo auszudrücken, 
als mündige Tochter vom Kicjterverbante getrennt, als 
Einzelmwejen zur Zeit ter Reformation ins Daſein trat und 
muß tie frühere Zeit ihrer Verbintung mit tem Stloiter 
bier um jo mehr außer Betracht bleiben, al3 tie Quellen 
Tafür jehr Türftig zu Gebote ftehen und tie Geichichte Tiefer 
Tfarrei, wollte man weitere uellen zu Tieren Zwecke 
aufjuchen und benugen, eine Gejchichte tes Kloſters ſelbſt 
werten würte. Die Cuellen ter nachiolgenten Tarſtellung 
des Umfangs und ter Gejchichte ter Pfurrei Sinterjteinau 
find amtliche, vornehmlich die Kirchenbücher von Tiefer und 
einigen benachbarten klöſterlichen Pfurritellen. Der Kreis 
iſt Hein, auf welchem unjere Darſtellung eingejchränft ilt; 
es ijt aber immer ein Stüd vaterländijcher Geichichte, Das ung 
darin entgegentritt und einen Haren Blid in tie Vergangen- 
heit gewährt und — mit der Gegenwart zufriedener madt. 


Umfang der Pfarrei Hinterfteinau. 

Zur Zeit der Reformation und noch lange nachher 
beftand die Pfarrei Hinterjteinau aus 4 Ortjchaften, Die 
ein gleichjeitige8 Dreied bildeten, in deſſen Mittelpunkt 
der Pfarrjig war. Diele Ortjchaften waren 1) Hinterfteinau 
als Pfarrfig, 2) Wallroth, 3) Reinhards, 4) Kleöberg mit 
Uerzell. Da der Zweck des Vereins für heſſiſche Gejchichte 
und Randesfunde eine alljeitige Erforihung und Darftellung 
der Geichichte, Topographie und Statijtit von Heffen ift, 
jo erachte ich eine nähere DBejchreibung Diejer Drte nad) 
diejen Seiten hin für nichts Ueberflüſſiges. 

1) Hinterfteinau führt in alten Urkunden und 
Handichriften ftet3 den Namen „Hungerfteyna”" und ich 
habe nirgends früher, als in dem älteften dafigen Kirchen 
buche, vom Jahre 1596 an, dieſe Umänderung in „Hinter: 


41 


fteinau” gefunden, weshalb e8 wohl kein Sehlichluß fein 
wird, wenn ich geftüßt hierauf behaupte, daß der damalige 
Pfarrer Heyder diefelbe vorgenommen haben werde. Es 
lag ehemals im Gaue Salfeld, nächſt der Grenze der 
Wetterau, und gehörte, wie derganze Klofterbezirt Echlüchtern, 
unter die firchliche Jurisdietion des Biſchofs zu Würzburg. 
Die Landeshoheit über genannten Bezirk wechjelte, bis jolche 
endlich im 14. Jahrhundert unter den Grafen zu Hanau 
bleibend wurde. Das Dorf liegt jetzt mit feiner, eine 
Stunde im Durchmeffer haltenden Gemarfung unter dem 
50. Grad 23°/, bis 26°/, Minuten nördlicher Breite und 
unter dem 27. Grad 6—9 Minuten öſtlicher Länge in 
einer Höhe von 1172 rheinländifchen Fußen über dem Spiegel 
der Nordſee, lehnt fi) an die weftlihe Abdachung des 
Zandrüdd (der vom Diftelrajen an einen mücdtigen Bogen 
nach Welt und Nord bis Reinhards befchreibt, von wo aus 
er wieder weftlich dem Vogelsberge fich zumendet, beziehungs⸗ 
weiſe fich mit demfelben vereinigt) und an einen weitlichen 
Vorſprung defjelben, wodurch das Dorf cine etwas ver- 
borgene, aber gegen Nord» und Oftwinde gut gejchüßte Lage 
bat, wird von einem Bächlein, Füllbach genannt, durchfloffen, 
zum Theil auch von dem etwaß größeren, fiich- und krebs— 
reichen Steinaubach. Das Dorf ift ein wüfte8 Durcheinander 
von Häufern fammt Zubehör ‘ohne erfennbaren . Blan der 
Anlage der Wohnungen und Wege — nad Dr. Landau’ 
Anſicht tie Ältefte Form deutjcher Dorfanlagen. Die Höhe 
ber benachbarten, zur Gemarkung gehörigen Berge beträgt 
1500-1700 Fuß. Nach der legten, im Jahre 1859 gefchehenen 
Bolfszählung hat Hinterfteinau dermalen 822 Seelen. Die 
Einmwohnerichaft theilt fich nach dem Gefchlechte in 407 
männliche und 415 wmeiblihe und nach dem Religions— 
befenntniffe in 740 Berfonen, die der ewangelifch-unirten 
Stirche angehören, 10 Katholiken und 72 Juden. Die dermalige 
10jährige Durchſchnittszahl der Geborenen ift 26, tie der 
Getrauten 6 und die der Geftorbenen 19. Ich führe dies 





42 


deshalb hier an, um danach ten Eeelenftand ter vergan- 
genen Zeiten bemeijen zu fünnen, ta ih am Schluffe der 
Dienftzeit eined jeten Pfarrers eine gleiche Zujammen- 
fteflung liefern werde. Die Bevölkerung lebt mit Einſchluß 
von 7 Mühlen in 130 Häujern und nährt ſich von Aderbau, 
Viehzucht und periodiſchem Tagelohn in der Umgegend 
Hanaus und Frankfurts; die Juden treiben Viehhandel und 
theilweife auch Aderbau. 

Die Kirche liegt frei, hoch und jonnig am Rande des 
Dorfes; der Thurm ijt alt, breit und in jeinem inneren 
befand fich, wie das fehr beftimmt an gewiſſen Zeichen zu 
erfennen ift, in den katholiſchen Zeiten der Hocaltar; das 
Schiff der Kirche ijt neueren Urſprungs. Pfarrer Feilinger, 
der die damals zu einer Pfarrei vereinigten Ortſchaften 
Elm, Breidenbah und Kreſſenbach von Echlüchtern auß, 
wo er wohnte, paftorirte, erwähnt zu Ente des von ihm, 
in den Jahren 1606—1635 geführten, überaus wichtigen, 
in der Pfarramts-Repofitur zu Elm .aufbewahrten Kirchen: 
buch8 (ein gleiches, tie Ortichaften Breidenbach und Kreſſen— 
bach umfaſſendes liegt in der Pfarramts-Repoſitur zu 
Wallroth) einer Renovation der Kirchen zu SHinterfteinau 
und Wallroth und theilt Darin die lateinischen Infchriften 
mit, die er gefertigt und die in die betreffenden Grunditeine 
feien gelegt worben, und wovon eine jede Die Jahreszahl 
1617 trägt. Da man bei NRenovationen feine Grundſteine 
zu legen pflegt, jo vermuthe ich, daß in dem angegebenen 
Sahre eine Vergrößerung der genannten Kirchen vor= 
genommen wurde. 

Das Pfarrhaus Liegt, weit von der Kirche entfernt, 
unten im Thalgrunde an dem Steinau= und Füllbadh; ein 
Beweis, daß beide urfprünglich nicht zujammengehörten und 
daß erſteres ehemals eine andere Beftimmung hatte. Im 
Munde des Volkes lebt Die Sage, es habe in tem jeßigen 
Pfarrhaufe früher ein „Edelmann“ gewohnt, womit eine 
Urkunde, die: mir zu Hand ift, vom Sabre 1480 über- 


43 


einftimmt, worin der „Ant Chriftian in Sluchter“ ven 
„veiten Walter von Mörlav genannt Böhm“ nennt „unferes 
Kloſters amptmann und lieben getreuen Junkher zu Hunger- 
fteyna." Nach fehr alten hiftorifchen Nachrichten war e8 
eine Kemnade des Kloſters. Bereitd 1376 kommt in einer 
Urkunde vor „Unjer Kemnaden und Huz gelegen in dem 
Dorffe Hungerfteyna.” Man wird wohl nicht ‚fehlichließen, 
wenn man annimmt, e8 habe ein weltlicher Beamter bes 
Kloſters in diefem Haufe gewohnt und bei diefem habe der 
zeitweilig den Pfarrdienft verjehende Geiftliche fein Abfteige- 
quartier genommen und es feien in unruhigen Seiten die 
Schätze des Kloſters hier untergebracht worden, und erft 
in den Zeiten der Reformation habe daſſelbe feine jebige 
Beftimmung erhalten. Damit flimmt Lage, Größe und 
Beichaffenheit des jetzigen Pfarrhaufes am beften überein. 
Daffelbe ift ein ftattlihe8 Gebäude, folid von Stein, mit 
4' diden Mauern aufgeführt und hat große und helle Zimmer, 
war ehedem von Wall und Graben umſchloſſen, der von 
dem vorbei fließenden Füllbach mit dem nöthigen Waſſer 
verfehen wurde und deſſen letzte Spuren ich im Jahre 1857 
babe bejeitigen und zu Gurtenland herrichten laſſen. Es 
war natürlich, daß Abt Kotich, ald er im Jahre 1543 den 
eriten reformirten Pfarrer hierher feßte und die Vfarritelle 
botirte, diefe8 Haus nebit dem dazu gehörigen Heinen Gute 
demjelben überwied; von da an ift es Pfarrſitz bis heute. 
Dazu gehörte ald Filial 

2) Wallroth; daſſelbe liegt, drei größere Haufen 
bildend, langeltredt abwärts, an der nördlichen Seite des 
Landrüds, bis in den Thalgrund, an den Quellen der 
Fliede, mithin im Flußgebiete der Fulda und gehört ſomit 
zum nördlichen Deutichland. Bon den umgebenden, nicht 
unbedeutenten Höhen bat man eine prachtvolle Ausficht, 
an der man für Augenblide das Herz laben und die un— 
wirthlihe Nähe darüber vergeffen kann. Das herrliche, 
mafjenhafte Rhöngebirge, den nebelreihen Vogelsberg, Den 





4A - 


⸗ 


blauen Taunus und den reich bewaldeten Speſſart ſieht 
man an einzelnen Punkten vor ſich liegen; aber — Land 
und Leute, Luft und Sitten ſind rauh und wer Beſſeres 
gewohnt iſt, kann da nur ſchwer heimiſch werden und 
lange leben. Planlos iſt des Dorfes Anlage, alt und 
unbekannt ſeine Entſtehung; der jetzige Name kommt wohl 
von „Weſelrode und Wüſtung Weſſelrode“, die in alten 
Urkunden von 1332, 1387 und 1447 fich finden — eine 
Vermuthung, die ich einer Notiz Dr. Landau's verdanke. 
Sn Bach's Kirchenftatiftif für Kurheffen fintet fich die 
Angabe, es jei die dafige Kirche im Fahre 1727 erbaut 
worden; daß ift ein Irrthum, der fich ſchon aus dem ergibt, 
was ich vorftehend bei der Kirche zu Hinterfteinau von 
Pfarrer Feilinger anführte und noch beftimmter daraus, 
daß von 1617 an in hiefigen Kirchenbüchern Die Kirche zu 
Wallroth oft erwähnt wird. Im Jahre 1719 wurde Wallroth 
von der biefigen Pfarrei getrennt, mit Breidenbach und 
Kreffenbach zu einem Kirchjpiel vereinigt und wurde von 
da an Pfarrſitz. 

3) Reinhards gehört feit feinem Urfprung bi8 
heute zur Kirche in Hinterfieinau; e8 hat 34 Häuſer und 
liegt 1295 rheinländifche Fuß hoch auf der füdlichen Seite 
des Landrücks. Reinhards fcheint mir nicht zu einer be— 
ftimmten Zeit angelegt worden zu fein; ich halte es vielmehr 
aus vielen, bier nicht weiter zu erörternden, Gründen für 
einen nad) und nach vergrößerten Ableger von Hinter— 
fteinau, mit dem es bis auf Die Gegenwart auf das engfte 
verfnüpft iftz; das Gemeindevermögen, Waldungen, Huten 
und Triften find gemeinjchaftlich und eine beftimmte Feld— 
grenze ift erft in der neueften Zeit vereinbart und chartirt 
worden. Im Kirchenbuche vom Sahre 1613 wird Reinhards 
„ein Dörflein von 11 Hausgeſäß genannt“ und ftarben in 
dem genannten Jahre an der Peſt „über die 60 Menjchen.“ 

4) Klesberg mit Uerzell, der Schmidtmühle und 
Ullrichsberger Höfen bildete eine Gemeinde, deren Schultheiß 


45 


in Uerzell, deren Lehrer aber in Kledberg wohnte und 
war eheden Beſtandtheil der Pfarrei SHinterfteinau. 
Uerzell, das Urſprung und Namen dem Klofter Schlüchtern 
verdankt, liegt mitten in einer engen Thalichlucht, Die vom 
Buchwaſſer durchfloffen wird, das ehemals die Grenze bildete 
zwifchen den Belitungen der Grafen von Hanau und des 
Fürftabtes zu Fulda und zwiſchen der Wetterau und dem 
Salgau. Dies war die Urfache, daß zur Zeit der Refor- 
mation der Theil der Einwohner, der auf der linken Seite 
des Buchwaſſers wohnte und vom Klofter und Hinterfteinau 
aus paftorirt wurde, das reformirte Bekenntniß annahm, 
der andere fleinere Theil aber, der zur Pfarrei Ulmbach 
gehörte, bei der Tutholifchen Kirche blieb. Zur Zeit, wo 
die hiefigen Kirchenbücher beginnen, 1596, war daher Uerzell 
eine konfeſſionell gejchiedene, aber gleichwohl fehr einige 
Gemeinde, wie da8 aus den Gevatterfchaften und Ehen ſich 
ergiebt; mitunter taufte der biefige Pfarrer in Brivathäufern 
allda Kinder „in praesentia sacrificuli Ulmbaccensis“. In 
der Mitte der Thalfchluht und auf der linfen Seite des 
Buchwaſſers, von dem oberhalb ein Theil zur Füllung der 
MWallgräben abgeleitet war, lag das befeitigte Schloß Der 
freiherrlihen Bamilie von Mörlau, genannt Böhm; e8 
beftand aus einem alten und neuen, hatte eine bejondere 
Kapelle, in der mitunter, 3. B. auf Kirchweih, Gottesdienſt 
gehalten und worin auch in befonderen Fällen andere Firch- 
liche Handlungen vorgenommen wurden. Genannte Familie 
muß eine ſehr angejehene und reiche, dabei fehr populär 
und gut evangelilch gejinnt gewejen jein, wie ſich das aus 
den, in den Kirchenbüchern nambaft gemachten, verwandt- 
ſchaftlichen Verhältniffen zu den Familien von Thüngen, 
von der Tann, von Eberdberg, von Lauter u. a., aus dem 
darin erwähnten Grundbeſitz und aus den vielen Gevatter- 
ſchaften ergiebt, um vie fie, oft von den Ärmften Leuten, 
angeiprochen wurde und deren hier nicht weniger al8 37 
erwähnt find. In oder kurz nach dem dreißigjährigen Kriege 


46 


erlofch Tiejeg atelige Haus; tie Zeit läßt fi aber weder 
aus ten biejigen Kirchenbüchern noch aus tem zu Schlüchtern, 
wo in tem Tortigen Klejter jein Erbbegräbnik wur, genau 
feſtſtellen. An wen die Beſitzungen zunächſt fielen, gebt 
aus den SKirchenbüchern nicht hervor; um tie Mitte bed 
folgenten Jahrhunderts kommt aber ein Freiherr von 
Thüngen, Domherr zu Würzburg, als Befiter vor und wird 
dann Darin kurz berichtet: „1684. NB. diefen Sommer bat 
der Abt von Fulta, Placidus, das Haus Uerzell mit aller 
Zubehör von den Erben für 30 taujend gulten faufft und 
darauf ten Hanauiſchen die Kapell und alle Kirchenbedienung 
verboten.” Es wurde nun ein eigened® Juſtizamt Uerzell 
gebiltet und dad Amtsperſonal bewohnte das Schloß und 
fo blieb e8 bis in die Seiten des Fürften Primas, wo 
dieſes wieder aufgehoben und mit tem Juſtizamt Salmünfter 
vereinigt mwurte. Das Schloß wurde auf den Abbrud) 
verkauft; nur ein Kleiner Theil ſteht noch, freilih um ein 
Stockwerk erniedrigt, als jolite ftattlihe Bauernwohnung. 
Die Zugbrüde ift verſchwunden und tie Wallgräben find 
fruchtbare Gärten geworden. Eine Biertelftunde von Uerzell 
entfernt nach Hinterfteinau zu, hoch auf jonniger Höbe, Tiegt 
Kledberg am jüdlichen Abhange eines emporragenden Berg- 
fegel8, die Kaupe genannt, und gleihwohl in einer Mulde, 
die fih von da ſüdweſtlich thalabwärts zieht, jo Daß man 
da8 Dörfchen ſammt Kapelle nicht eher gewahr wird, bi8 
man ganz nahe davorſteht. Sehr fruchtbarer Bafaltboden 
umgiebt dafjelbe und feine Bewohner wiſſen ihm troß des 
rauhen Klimas recht ergiebige Ernten abzugewinnen und 
find daher wohlhabend. Klesberg bildete den Mittelpunft 
der unter 4 S. 44 genannten Gemeinde feiner alten Kapelle 
halber (einer Stiftung der Familie von Mörlau), in ver 
vom Pfarrer zu Hinterfteinau an beftimmten Tagen regel- 
mäßig Gotteövienft gehalten wurde, in der auch die 
Taufen und Trauungen ftattfanden und die von dem gemein 
ſchaftlichen Todtenhof umgeben war. Hier wohnte zugleich 


47 


der Lehrer der genannten Gemeinde und iſt derſelbe erft zu 
Anfang dieſes Jahrhunderts nach Uerzell verjegt worden. 
Die Schmidtmühle liegt */, Stunde unterhalb Uerzell nahe 
bei Kreffenkach und hatte die Familie von Mörlau, der fie 
gehörte, dafelbit einen „Hofmann“ wohnen, deffen Wohnung 
noch heute ſteht. Ullrichsſsberg find vereinzelte, nahe bei 
einander liegende Höfe‘ in unfreundlicher und rauher Lage, 
An allen Orten diejer Gemeinde hatte die Familie von 
Mörlau, genannt Böhm, anſehnliche Güter, die jegt parcellirt 
find. Die Losreißung diefer ganzen Gemeinde von der 
evangeliichen Mutterfirche zu Hinterfteinau geſchah auf die 
©. 46 angegebene Weile und erfolgte nach dem befannten 
Grundfag: Cujus regio, ejus religio — wem das Land 
gehört, der hat auch über den Glauben zu gebieten! Die 
Gemeinde war um jene Zeit (1684) durch Taujch mit dem 
Grafen von Hanau unter Die Landeshoheit des Fürftabts 
zu Fulda gefommen und diejer handelte hier und bei noch 
einem anderen gleichen Fall, den ich fpäter berichten werde, 
nach dem angegebenen Grundjaße. 

In neuefter Zeit find der Pfarrei Hinterfteinau zu— 
gewiejen worden Durch Allerhöchiten Beichluß vom Jahre 
1848 die evangelifhen Einwohner der katholiſchen Pfarrei 
Hauswurz und im Jahre 1858 Ddiefelben zu Ulmbach und 
Merzel. Auf die Amtsführung hat diefer Zuwachs bis jetzt 
noch wenig Einfluß gehabt und die Pfarrei gehört zu den 
kleineren und leicht zu vermwaltenden. 


Geſchichte der Pfarrei Hinterfteinau, 

Wie die vorftehenden Mittheilungen faft ausſchließlich 
der hiefigen Pfarramt8-Repofitur entnommen find und, neben 
dem Augenjchein, nur wenig urkundliche Nachrichten aus 
nächſter Nähe dabei zu benutzen ſtanden, fo gründet fich 
auch Die nachfolgende Darftellung allein auf die Kirchen— 
bücher zu SHinterfteinau, Walroth und Elm. Und wie fo 
manche Ericheinungen der Gegenwart dem Geſchichtskundigen 





48 


aus ter Vergangenbeit erflärlich find, fo find auch mande, 
ja gar viele unerfreulihe Zuftänte eined Kirchſpiels, einer 
Gemeinte und ihrer Bewohner nur aus den gemejenen 
Zeiten, ten darin hervorragenden Perſonen, geltenden 
Geſetzen und ihrer Handhabung begreiflih. Nur Furzfichtige 
Menſchen reden Da hart und lieblos über augenblidliche 
Vekelftände, ter weile Mann blickt auf dageweſene Zuftände 
zurück und das chriftliche Herz betet: Vater vergieb ihnen, 
denn fie willen nicht, wa3 fie thun! 

Nachſtehend will ich nun auf Grund hiefiger Kirchen: 
bücher verfuchen, die Gejchichte Ter Pfarrei feit der durch 
Abt Lotih in ten Jahren 1542 und 1543 im Slofter 
Schlüchtern durchgeführten Reformation (vergl. die Ab: 
hantlung von dem Verfaſſer dieſes Aufſatzes in Band IX. 
Geite 291—314 diejer Zeitichrift) zu ſchildern. Gleichwie 
aber tie Geichichte jo manchen Landes nicht® anderes 
ilt, ald eine chronologiſche Aufzählung feiner Fürſten und 
ihrer Ihuten oder Unthaten; ähnlich ift es auch bier. 
Denn wie unter einem weijen, gerechten und thätigen 
Fürſten ein Land aufblüht und die Herrichaft Der Geſetze 
Srieden und Wohlitand in großem Kreife erzeugt, fo bat 
auch tie Amtsthätigfeit oder Unthätigkeit eine Pfarrers, 
fein Charakter, jein größeres oder kleineres Geſchick, feine 
Treue und Eifer oter feine Läjfigfeit Ähnliche Folgen in 
moralifcher und religiöjer Beziehung, und dadurch auch in 
materieller, für ein ganzes Kirchipiel. Dieſe Anjchauung 
habe ich durch das Studium ver hiefigen Stirchenbücher 
gewonnen und ich zmeifle nicht, fie wird fich auch anderen 
aufdrängen, wenn fie die Data und Zahlen erwägen, die 
ich anführen werde. Geſtützt auf Die, von ihnen felbft vor- 
hantenen fchriftlichen Beweismittel werte ich daher nicht 
blos ſämmtliche evangelifch-reformirte Pfarrer chronologiſch 
aufführen, ſondern auch ſoviel thunlich ein Bild von jedem 
und von den religiöſen und ſittlichen Verhältniſſen der 
Gemeinde entwerfen und Dabei auch noch andere bemerkens⸗ 


49 


werthe Vorfälle u. vergl. aufzeichnen und zur Vergleichung 
mit der Gegenwart, ohne die Farben did aufzutragen, Licht 
und Schatten jeder Zeit deutlich, ſoweit Material dazu 
vorliegt, hervorheben. Was den jeweiligen Seelenftand 
des Kirchipield anlangt, jo muR ich mich da auf Sinter- 
fteinau beichränfen und die Filiale außer Betracht laſſen, 
weil ich nur da im Stande bin, von Anfang bi8 heute 
eine genaue Nachweiſung zu liefern. 

1) Der erfte evangelifch-reformirte Pfarrer zu Sinter- 
fteinau war Hiob Stein. Der Abt Lotih erzählt in 
feiner „Anzeige, was vor gelehrte Leute im Klofter Schlüch- 
tern erzogen und zu Pfarrer verordnet worden find ıc.“ 
1565 „daß er ihn in feinem Klofter erzogen und 1543 als 
Pfarrer hierher beftelt habe.” Schriftliche ift weder von 
ihm, noch von feinen beiden Nachfolgern, in der Pfarramts- 
Repofitur vorhanden, Ob und wann er etwa hier geftorben 
oder mo andershin verjegt worden fei, habe ich nicht 
ermitteln können. 

2) Im Jahre 1565 erwähnt Lotich als Pfarrherrn 
„zu Hungerfteyna” den Sebaftian Pauli. Auch diejen 
hatte derjelbe im Klofter erzogen, dann nebft ſechs anderen 
jungen Theologen 1544 in Marburg ftudiren laffen, hierauf 
felbft ordinirt und als Kaplan in Schlüchtern verwendet. 
Wegen diejer und anderer Orbinationen wurde Lotich von 
feinem Bilchofe zur Verantwortung gezogen; er fuchte fie, 
gleih der Nothtaufe, als einen Act der Nothwendigkeit 
darzuftellen, bewies die Nechtmäßigfeit und Gültigkeit der= 
felben und lehnte alle Verantwortlichkeit ab. Das Yahr, in 
welchem Lotich ihn hierher zum Pfarrer, beftellt, bat er 
nicht angegeben, bezeichnet ihn aber als einen frommen und 
fleißigen Dann, „wohnt in unſeres Klofter8 Behaufung und 
Kirchen.“ — Ihm folgte 

3) Benedict Helferidh. In einem Verzeichniß 
ber dem Klofter Handlohnpflichtigen vom Jahre 1593 fteht 


die Anmerkung „e8 habe Benediet Helferich feinem Vater, 
x. Band. 4 





50 


dem Pfarrer zu Hinterfteinau, ein Haus abgekauft für 
175 fl. davon gehe ihm fein Zug ab, als nehmlich 71 fi. 
fol zu Handlohn geben 5 fl. weil der Herr Abt für ihn 
gebeten habe und in Anjehung feines Vaters treuen Dienſt.“ 
Sm 1. hieſigen Kirchenbuche wird S. 427 bemerkt, „es 
habe der frühere Pfarrer Benediet Helferich, als er ab- 
gedankt und beurlaubt worden (wahrſcheinlich megen Sins 
neigung zur lutherijchen Kirche, denn er wird geradezu 
„lutheriſch“‘“ genannt), zu Uerzell beim alten Böhm Auf- 
nahme und Unterhalt bi8 an fein Lebendende gefunden.“ 
Meitered von ihm anzuführen, bin ich außer Stande. 

4) Mit dem vierten evangelifchereformirten Pfarrer 
dabier, Eberhard Geyder, beginnen ten 1. Sanuar 1596 
die biefigen Kirchenbücher. Die gunze Anlage und Ein- 
richtung des von ihm geführten Kirchenbuches, Die faubere 
Veichtleferlihe Fracturhandſchrift, Pie bündige Art feiner 
Einträge, die furzen eingeflochtenen Bemerkungen und deren 
Inhalt, die Öfteren Gevatterjchaften, um die er und die 
Seinigen angejprochen wurde, geben die große Wahrfchein- 
lichleit an die Hand, Daß er ein gebilveter Mann, ein 
würdiger, praftiicher und beliebter Geiftlicher und achtungs— 
werther Charakter war. Das Kirchenbudy ift, mit Aus» 
nahme des erften Blattes ver Taufen von bier, ganz gut 
erhalten, umfaht den Zeitraum vom 1. Januar 1596 bi8 
7. April 1635, ift nach den 4 Ortichaften des Kirchſpiels 
in 4 Theile gefondert und jeder derſelben ift wieder gefchieden 
in „Neue Eheleute in N. N.” „Getaufte Kinder in N. N.“ 
und „Abgeftorbene Geifter in N. N“ Wenig Kirchenbücher 
mögen aus jener Zeit vorhanden fein, Die fo überfichtlich 
abgefaßt und fo deutlich gejchrieben find, wie Diejed. Seine 
Amtsnachfolger haben fich leider dieſes ſchöne Vorbild nicht 
zur Nachahmung dienen laffen, fondern fie haben bi8 zum 
Sabre 1848 die Getauften, Getrauten und Geftorbenen aus 
allen Orten der Pfarrei nach dieſen Klaſſen untereinander 
gemengt und mitunter fo erbärmlich fchlecht geſchrieben, Daß 


51 


man von der Bildung, Ortnungsliebe, Amtseifer und 
Tüchtigfeit von mehreren derjelben feine hohen Begriffe 
befommt. Wahrjcheinlich rührt von ihm die Veränderung 
des Namens „Hungerſteynau“ in „Hinterfteinau”, wie er 
ftet3 gejchrieben hat, her. 

Meber yerfüönlihe Leiden und Freuden hat Pfarrer 
Gender, außer dem nothwendigen Eintrag der Geburt, Ver— 
heiratbung und Tod von Kindern, keinerlei Bemerkungen 
feinem SKirchenbuche eingeflochten. Er ſcheint in ftiller 
Abgeichiedenheit von der Welt nur feinem Berufe gelebt 
zu haben; felbjt die wichtigen Begebenheiten feiner Zeit 
berührt. er nicht, objchon er gegen das Ende feined Lebens 
fo jchwer davon betroffen wurde, ja dieſes felbit wahr 
Icheinlich die Folge davon war. Die einzige perjönliche 
Unbilde, bie er auß dem 30jährigen Krieg mit zitternder, 
ſchwer zu leſender Handſchrift eingetragen hat, datirt vom 
16. October 1631, den 18. Sonntag nad) Trinitatis, wo 
er zu Klesberg eine Taufe verrichtet hatte und nun von da 
„von zwei franzöfiichen Neutern wie ein armer Sünder gen 
Hinterfteinau in den Wald gefchleppt, won ihnen beraubt, 
ftrangulirt und fonft jämmerlich gepeinigt wurde." Das 
ift der einzige Eintrag von ihm, woraus man einen Schluß 
auf jene Zeiten machen fann. Um fo freundlicher aber ift 
das Bild und um [po lieblicher find deſſen einzelne Züge, 
das uns aus einzelnen Bemerkungen vor dem 30jährigen 
Kriege entgegentritt. Die junge reformirte Kirche ftand da, 
wie Die rechte Braut des Herrn, in heiterer Unjchuld und 
fittliher Würde und übte eine mächtige Anziehungskraft 
und hohe Begeifterung auf alle Angehörigen aus. Die 
Kirchenzucht wurde, wie das im Weſen der reformirten 
Kirche lag, ftreng gehandhabt und felbft ver Arm der welt- 
Yichen Obrigkeit in Anſpruch genommen, wenn die geiftliche 
Zucht einige Halsftarrige oder Unfittliche nicht zur Buße 
bringen konnte; der „Arreft” bewirkte das Gewünſchte, 
wenigften® äußerlich. Man würde aber fehlſchließen, wenn 





52 


wenn man glauben wollte, ein finfterer Ernſt babe auf 
dem Leben von der Kirche aus gelagert; im Gegentheil 
finden wir unjchuldige Vergnügen und heitere Luſt bei jeder 
Gelegenheit und die Anmwejenheit des Pfarrer8 genügte 
um eben fo fiher Exceſſe zu verhüten, wie die Gegenwart 
des Vaters im fröhlichen Kinderkreis. Ein jeder Ort, an 
welchem eine Kapelle oder Kirche ftand, feierte auch fein 
Kirchmweihfelt, das von der Nachbarichaft befucht wurte, 
Es finden ſich die Kirchweihen von Schlüchtern, Steinau 
und faft fümmtlihen Dörfern der Umgegend gelegentlich 
erwähnt; aber nirgends deutet die leifefte Bemerfung darauf 
hin, daß Unzucht und Rohheiten dadurch feien befördert 
oder hervorgerufen worden; bie ftellten fich erft ein, als 
man nach dem 30jährigen Kriege anfing flatt des überall 
üblichen Obft- und Traubenweind — Schnaps zu trinken. 
Zwiſchen dem Pfarrer und feinen Pfarrfindern beftand ein 
vertrauliche® Familienleben, wie das aus vielen, in bie 
Kirchenbücher niedergelegten, Bemerkungen und aus den 
öfteren gegenfeitigen Gevatterichaften erfichtlich ift. Die 
Kinder der Armen wurden durch die angefehenften Perfonen 
des betreffenden Ortes oder der Umgegend zur h. Taufe 
gebracht; bei unehelichen traten in der Regel mehrere Pathen, 
bald „10 unterschiedliche Weibsperſonen“, „8 Knechte“, 
bald bejtimmt genannte wohlhabende Gemeindeangehörige 
auf, die dann die übliche „Zeche“ ftellten. Die Gevatter- 
Ihaften wurden häufig zur Schauftellung des guten Willens 
und großen Reichthums benutzt. So hatte noch im 
Sahre 1630 „eine ledige Gevatterin 25 ledige Perfonen 
bei fich zur Kirche und Tiih” und im Jahre 1632 erfchien 
der Pathe „Schultheiß Schönlamb von Hutten zu einer 
Zaufe in Elm mit einem Comitat von 45 Mannsperfonen 
und 15 Weibern.” Uneheliche Geburten waren höchft felten 
und die Mütter folcher Kinder gehörten nicht immer ber 
reformirten Kirche oder der betreffenten Gemeinde an. 
Das f. g. Unterlandgehen, d. h. das Arbeitsfuchen in der 


53 


Umgegend Hanaus und Frankfurts war auch damals üblich, 
und wie heute noch ein Anlaß zu Unjittlichkeiten und unehe— 
lichen Geburten. Derlei Fülle finten fich ausdrücklich in 
den Kirchenbüchern erwähnt. Won 1596 bis 1636 wurden 
zu Hinterfteinau 5, zu Wallroth 8, zu Klesberg mit 
Merzel 7 und zu Reinhards 1 unehelihe8 Kind geboren, 
eine Zahl, die jetzt jährlich erreicht, ja noch übertroffen 
wird, Mit welcher jittlihen Entrüftung Pfarrer Gender 
derlei Fälle eingetragen, will ich an einem Beifpiele, dem 
einzigen zu Reinharts zu feiner Zeit geborenen, unehelichen 
Kinde, zeigen. „1614 den 30. März ift Marien, Hand Gerich8 
feligen binterlafjenen Tochter ein Hurenfind getauft worden, 
defien Vater fich dazu befannt Klaus Herd, ein junger 
Maulaff zu Hofjenfeld, weicher zur Zeit der Pet zum Rein 
hards gedient. Vermuthlich ift der rechte Vater einer auß 
den Nachbarn dajelbfl. Tempus docebit.“ Solchen, die 
in vielen Jahren die Kirche nicht befucht hatten, wurde das 
firchliche Begräbniß verfagt. Würde dieſe Strenge jekt 
gehandhabt, jo würden in den Städten die Pfarrer nur 
jelten den Zodtenhof zu betreten haben. Wo Verdacht 
eines unfittlichen Verhältniffes vorlag, da wurden die Be— 
treffenden nicht eher getraut, bis fie zuvor die „Kirchen 
dißciplin ausgeſtanden.“ Obſchon die medieiniſche Wilfen- 
haft Damals noch in Kinderjchuhen ging und man von 
Apothefen ſo gut wie gar nichtd wußte, an deren Stelle 
„Theriakskrämer“ herumzogen und ihre Waaren feilboten, 
erreichten Die Leute Doch, oder vielleicht gerade deshalb, ein 
hohes, kräftiges Alter. Sp ließ im Jahre 1608 Peter 
Scleih von SHinterfteinau, nachdem er ſich erft ein paar 
Jahre vorher verheirathet hatte, ein Ehemann von 80 
Fahren, ein Kind taufen. Sch werde fpäter noch einen 
ſolchen Fall erwähnen. 

Da Pfarrer Gender dahier ziemlich fern von der 
Heerftraße lebte, jo ift wohl darin der Grund zu ſuchen, 


54 


daß er wenig von den Leiden des 30jährigen Kriegs in 
deffen erfter Hälfte zu fühlen befam und taher, ta er fi 
bei feinen Einträgen in tie Kirchenbücher ſtreng an bie 
Sade hielt, auch keinen Anlap fand, Darüber Bemerkungen 
niederzulegen. Aber auch er mußte ten Becher ter Trübjal 
bi8 auf die Nagelprobe leeren; mit zerftörender Gewalt 
brachen die Leiden dieſes Krieges in jeine friedliche Ab- 
geichiedenheit herein und vernichteten fein häusliche Glück 
für immer. Die am 14. September 1634 in Schlüchtern 
und der ganzen Umgegend durch die Kaiſerlichen, namentlich 
Kroaten und Spanier ausgeführte Landesplünderung, die 
Pfarrer Beilinger (vergl. S. 42) berichtet und deſſen Eintrag 
ich ſpaͤter mittheilen werde, zerftörte fein ganzes häusliches 
Glück, beraubte ihn einer Tochter, die von den genannten 
Räubern als Beute mitgenommen wurde, und er 309 fi 
im folgenden Frühjahr nah Schlüchtern zurüd, wo fein 
Bruder Valentin Stadtichultheiß war und ift dafelbft, ohne 
von da aus weitere Einträge in die Kirchenbücher vollzogen 
zu haben, gejtorben. Der betreffende Eintrag im Kirchen- 
buche zu Schlüchtern lautet: „Den 15. Februar 1636 Herr 
Eberhard Gender, gewejener Pfarrer zu Hinterfteinau. Iſt 
auf dem Hoßpitalgader für dem Oberthor begraben worden.“ 
Wunderbarer Wechjel der Dinge! Die kojtbaren Grab— 
denkmäler in der Klofterkirche, von denen theilweife noch 
ein Berzeichniß aus dem vorigen Jahrhundert vorhanden 
ift, und in der Pfarrfirche find verjchwunden; aber ver 
einfache Stein auf feinem und feine Bruder gemeinjchafts 
lihem Grabe, über das alljährlih der Pflug gebt, fteht 
noch aufrecht und gut erhalten, und verfündet beider Namen 
Stand und Alter; ihre fterblihen Hüllen ruhen in ftiller 
Einſamkeit und erfreuen fich einer ungeftörteren Ruhe, als 
die Gebeine der Aebte des Klojter8 und der Adeligen aus 
der Umgegend in ihren Erbbegräbniffen. So ift vor 
Kurzem wieder ein ſolches Gewölb erbrochen und ein s. v. 





* 


55 


Abtritt hineingeleitet worden und habe ich mit eigenen Augen 
die Todtengebeine zerſtreut umher liegen geſehen. 

Um ein getreues Bild der Zeitverhältniſſe zu liefern, 
will ich nachftehend aus Pfarrer Feilinger8 Kirchenbuche 
(vergl. S. 42) einige wortgetreue Auszüge liefern. Faſt 
jeder Eintrag in eins feiner Kirchenbücher gab dem reich- 
begabten Manne Anlaß zu einer Bemerkung, die fich in 
unferer Zeit freilich oft jonderbar genug ausnimmt. — In der 
Zeit des 30jährigen Krieges, die er verlebie Citarb 1635 
an der Peſt) find feine Bemerkungen bald Wehklagen über 
die Noth der Beit, bald Gebete un Frieden, oft in den 
ſchönſten Iateiniichen Berjen, bald fromme Wünſche für 
Guſtav Adolph und den Sieg der evangeliſchen Reichsſtände 
und der reinen reformirten Lehre, bald kurze Berichte über 
örtliche Borfüle und perſönliche Erlittenheiten. Im Anfange 
des 30jährigen Kriege klagt Feilinger beſonders über 
Theuerung. Nur einige wenige Auszüge will ich mittheilen. 
1621, den 16. Maui: „Wein Eoft die Maaß 12 gute Baten. 
1 Malter Korn Eoftet anderthalb Reichsthaler, der Thaler 
aber gilt 9 auch 10 fl. (ſ. g. DOrtögulden a 15 Fr.) 
1621 Juni: „Die Jungen, welche in dem Ausichuß, haben 
mit ihrer Rüftung zu Hanau müſſen erjcheinen und Die 
Wacht verjehen.” 1622: „Gar forgliche, fchwere, theuere 
und gefährliche Zeit vorhanden.” „Die Zech ill zu Kreſſen⸗ 
bach gehalten worten in Hund Stafen Haus. 1 Eimer 
Mein 32 fl. Alles gar theuer in allen Saucen. Korn, 
Wein, Schmälzel, Geld und Münz gar hoch und heuer.“ 
Welche Anforderungen an-die Gemeinden gemacht wurden, 
zeigt u. a. folgenden Eintrag: „1623, 16. Januar. Neben 
anderen Sachen und Bictualien bat zu der Zeit Breidenbady 
wöchentlich nach Steinau geben müſſen 18 Malter Safer 
und Kreſſenbach auch jo viel.” Bon da an. war faft jeder 
Gang nach einem feiner Filiale mit Lebensgefahr für ihn 
verbunden geweſen. Die firchlihen Handlungen wurden 
heimlich in den Wohnungen der. Angehörigen verrichtet, 


4 





56 


wobei Wachen ausgeſtellt wurden, um fich vor Ueberfällen 
zu fichern, und doch mußte er. oft eiligft entfliehen, wurde 
von feindlichen Truppen verfolgt, irrte im Felde umher, 
verbarg fich hinter Heden und Sträuchern und ſchlief unter 
freiem Simmel, fo gut es gehen wollte. In hiefiger Gegend 
und gewiß auch anderwärts, wurde nach und nad) ſämmt— 
liche friegstaugliche Mannjchaft, ledig und verheirathet, theils 
zum Kriegsdienſt gezwungen, theild erwählte man folchen 
als Nahrungszweig; die Weiber der verheiratheten Männer 
begleiteten dieſe gewöhnlich ind Feld. Die Taufbücher 
geben dafür viele Belege an die Hand. Es lag duher für 
Beilinger der Gedanke jehr nahe, vom geiftlichen Stande 
zu fügen: „Die Prediger find geiftlihe Werber zur Ver— 
mehrung des Reichs Gottes unter dem hochlöhlichen Panier 
Jeſu Ehrifti.” Die immer allgemeiner werdende Notb- und 
Theuerung legte den Wunſch, ja die Nothwendigfeit fehr 
nahe, die überflüjfigen und höchit Eoftfpieligen „Kindszechen“ 
abzuichaffen Schon unterm 16. Januar 1623 fchreibt 
Zeilinger: „In Schlüchtern find die Zechen bei den Kind— 
taufen eingeftellt und aljo auch durch meine Anordnung 
außerhalb, weil der Wein gar theuer und die Traurigkeit 
gar groß”; man ift aber offenbar mit diefen Anordnungen 
nicht durchgedrungen, da eilinger bis zu der Landes— 
plünderung aus allen Orten feiner Pfarrei folche Zechen 
noch erwähnt und fich öfters gegen bie üble Nachrede der 
Bauern beichwert, als thue er dabei des Guten zuviel. 
Sehr naiv jagt er einmal bei einer folcher Veranlaſſung: 
„Sollt ein Minister Dei, welcher feinen Wed oftmals nit 
vetzehret, nicht Macht haben irgend ein Viertel zu nehmen, 
Damit er feine Kinder erfreuen möge? Was über Land 
getragen wird, ift immer annehmlicher, al8 was man zu Haufe 
ißt.“, und jpricht verjchiedene Male den Vorſatz aus, an 
ben Zechen fich gar nicht mehr zu betheiligen, „feine Gebühr 
müßten fie ihm ja doch geben.” Man fieht hieraus, wie 
die DBetheiligung eines Geiftlichen an Kindtaufs- und 


57 


Hochzeitsihmäußen feine großen Bedenken und Gefahren 
für denfelben hat, bejonder8 wenn er ein Anfünger oder 
in feiner Gemeinde noch nicht heimiſch iſt. Eine Unfitte 
it übrigens fo leicht nicht eingejtellt. Wie lange find die 
Trauermahle bei uns jchon verboten und doch finden jolche, 
zum wehigiten in biefiger Gegend, noch regelmäßig ftatt, 
Die Unfitte zwingt die unfelbitftändige ländliche Bevölkerung 
etwas zu thun, was zweifellos mit der Trauer im Herzen 
nur ungern geſchieht. Ich habe das in diefen Tagen wieder 
erlebt, wo ein unglüdliches Elternpaar fein letztes, das 
zehnte Kind jammernd zu Grabe geleitet hatte, und nun 
mit Thränen in den Augen vor dem Kirchhofsthore die 
Sreunde und Verwandten aus der Schaar der Kirchengänger 
herausbitien und Duzentweile in das Trauerhaus führen 
und bewirthen mußte. 

Beſonders hoch flieg Die Noth jener Tage für die 
Evangeliichen nach dem Tode Guftav Adolph, wie überall, 
fo auch in hieſige Gegend. Das Land lag größentheil® 
wüfte; die unaufhörlichen Lieferungen und Einquartirungen 
erpreßten und verzehrten den Einwohnern Die letzte Habe; 
die Bevölkerung nahm, wie die Stirchenbücher darthun, ſchnell 
ab und endlich führte die „bolackiſche Blünderung“ am 14. 
Geptember 1634 und das unmittelbar darauf folgende 
Landſterben einen Zuftand herbei, von deſſen Elend wir 
in unfern Tagen ung gar feinen Begriff machen können. 
Noch am 13. October 1634 lag Pfurrer Peilinger an den 
Folgen der bei der Landesplünderung erlittenen Mißhand- 
lungen Trank zu Bette und taufte jo ein Kind, „weil ich, 
wie er wörtlich fagt, aus Mattigfeit und Berwuntung 
von den Kroaten und Kriegsvolk bei der Ausblünderung 
jämmerlich bin betrübt worden mit 7 Wunden, 5 auf dem 
Haupt, 2 am linken Schenkel, ſammt tödtlichen Schlägen 
mit Hämmern und Schwertern, alſo daß ich wegen todtes 
Geblüt lang im Bett habe bleiben müfjfen in der Wärme, 
weil ich nicht konnt auf dem rechten Schenfel treten, jäm= 








58 


merlid am Knöchel verleht. Das Geld und was Geldes 
werth ift aus dem Land an Silber und Gold und Kleidung 
und Zug- und Zuchtvieh an allen Orten. Ein Sammer 
und Landichaden! Wo wird der Aderbau bleiben? D Land, 
Land, Land! Gott wolle und in Gnaden wieder anjehen 
und jein Wort der Seligfeit erhalten, auch zum täglichen 
Brod Beförderung geben. Amen!" Sn April des folgenden 
Jahres Elagt er wiederholt über das allgemeine Landfterben 
(Bei) und jagt: „Seht gehen drei Ruthen mit einander: 
bellum, fames, pestis.“ Er jelbft ftarb daran im Juni 1635. 
Seine Kirchenbücher jchliegen mit der Anmerkung feines 

Sohnes: „Weil.anno 1635 Hunger und Lanpfterben ein- 
gefallen und der Leut im Amt wenig worden, wurden die 
Pfarrgeſchäft vom Pfarrer in Schlüchtern beſorgt.“ 

Eine zweite Ausplünderung der Stadt Schlüchtern 
berichtet daS Dafige Kirchenbuch im Jahre 1646, gibt aber 
nit an, vom. wen folcdye verübt worden iſt. Zu jener 
Zeit waren in Schlüchtern die Strohdächer noch allgemein; 
ſelbſt das von Pfarrer Feilinger bewohnte Pfarrhaus in 
der Pfarrgaſſe war damit gedeckt; auch berichtet derſelbe, 
es ſeien in eine ſeiner Stuben Scheibenfenſter eingeſetzt 
worden. Kirchenuhren waren ſchon damals ſehr allgemein. 

Dieſe wenigen Auszüge aus Feilingers Kirchenbuch 
mögen genügen, um ſowohl ein Bild von den Zeiten des 
30jährigen Krieges in hieſiger Gegend zu geben, als auch, 
um auf dieſe Bücher aufmerkſam zu machen, die für die 
Lokalgeſchichte überaus wichtig ſind. 

Was nun die Bevölkerungsverhältniſſe des hieſigen 
Ortes zur Zeit Pfarrer Geyders anlangt, ſo wurden in der 
Zeit vom 1. Januar 1596 bis dahin 1635 durchſchnittlich 
im Jahre geboren 16 Kinder, getraut vor dem 30jährigen 
Kriege 4 Paare und in der eriten Hälfte defjelben 2 und 
begraben 8-9 Perſonen. Die Geſammtzahl der unehe— 
lichen Geburten ift aus dem angegebenen Zeitraum, wie 
bereit8 bemerft, 5. 


59 


Nah Pfarrer Geyders Abzug von SHinterfteinau und 
Tod wurde die Pfarrei nach Schlüchtern eingepfarrt; von 
dem nachfolgenden Pfarrer find dann die Getauften und 
Getrauten aus den dafigen Kirchenbüchern in die biefigen 
übertragen worden; ein Berzeichniß der Geftorbenen liegt 
aber nicht vor. Es ergiebt ſich aus der Zljährigen Vacanz⸗ 
zeit der biefigen Pfarrftelle, daß turchichnittlich im Jahre 
1 Puar getraut und 4 Kinder find getauft worden. Aus 
diefem Nachtrage erführt man auch, daß die geraubte Tochter 
Pfarrer Geyders (©. 54) fich als Witwe 1639 mit „Henn 
Frölich von der Kaiferlichen Reuterei“ trauen ließ. Auffallend 
ift e8, wie gerade in der letzten Hälfte dieſes ſ. g. Religions- 
friege8 fo viele gemijchte Ehen mit Katholiken aus benach- 
barten Orten geſchloſſen wurden; nicht auffallend aber kann 

es fein, Daß gewöhnlich der eine Theil, oft beide, dem 
Witwenſtande angehörten. 

5) Am 3. Januar 1655 bezog Wolfgang Wilhelm 
Werner, aus Weppersdorf in der oberen Pfalz gebürtig, 
die biefige Pfarrjtele. Seine Einträge in die Kirchen 
bücher kennzeichnen ihn als einen frommen, gewiffenhaften 
und pünftlihen Mann. Er jchrieb die jegige Currentichrift 
zwar jchnörfelreich, aber leicht leſerlich. Zur Suche nicht 
gehörige Bemerkungen hat er nicht in den Kirchenbüchern 
niedergelegt. Mit den Gemeindegliedern lebte Pfarrer 
Werner in freundlichem Verkehr; mehrere derſelben haben 
Pathenftelle bei feinen Kindern übernonmen. Auch zu 
jeiner Zeit wurden viele gemiſchte Ehen dahier gejchloffen; 
neue Namen kamen dadurch in Die Gemeinde; katholiſche 
Zaufpathen werden zum dfteren namhaft gemacht; eine 
dahier verftorbene Katholifin vermachte jogar der Kirche 5 fl. 
Dies find Beweiſe genug, daß von eigentlichen Religions- 
haß damals feine Rede mehr kann gewejen fein; der liegt 
überhaupt nicht im Wefen des deutſchen Volkes, das ftet8 
geneigt war, perfönliche Freiheit anzuerkennen, fondern ift 
von außen her eingeführt und genährt und gepflegt worden. 


60 


Ehen wurden leicht geichloffen, das Zeugniß der ehelichen 
Geburt war das einzige Erforderniß. Unter den Geſtor— 
benen werden 3 Frauen aufgeführt, die begraben wurden 
„mit dem Kinde im Leibe unter großer Betrübniß.“ Für 
ſchwer Gebärende gab e8 Damals auf den Lande feine 
Hülfe, fie mußten fterben! Die damals gültige Convents— 
und Sabbathsordnung, von feiner Hand gefchrieben, ift noch 
vorhanden und ein Zeugniß, wie man von Obrigkeit? wegen 
nicht blos das fpecielle Firchliche Belenntuiß heben und 
beleben, fondern auch durch Außerliche Zucht und Strenge 
den früheren firchlihen Sinn wieder hervorrufen wolle. 
Die Strenge mag damals ganz an ihrem Orte gewefen 
fein und trug auch gute Früchte. Ein Full von Kirchen 
buße liegt aus jener Zeit nicht vor und ein uneheliches 
Kind wurde nicht geboren. Während feiner hiefigen Amts- 
führung wurde den 17. Auguft 1660 die erfte Kirchenvifitation 
zu Hinterfteinau gehalten, leider ift aber über den Befund 
nicht8 angemerft. Vor dem 30jährigen Kriege war ein 
conventus classicus im Gange, eigentliche Kirchenvifitationen 
aber nicht. — Die Durchſchnittszahl der Geborenen über- 
haupt ift jührlih 5--6. Zu Ende des Jahres 1664 309 
Pfarrer Werner von bier ab und im Oetober defjelben 
Sahres folgte ihm im Amte 

6) Hermann Kircher und blieb dahier big Sep— 
tember 1669. Ueber perfünliche Verhältniffe giebt das von 
ihm geführte Kirchenbuch weiter feinen Aufichluß, als daß 
ihm im zweiten Jahre feines Hierſeins, wie er bemerft, 
ein jechfter Sohn geboren worden fei. Seine Handichrift 
ift gedrängt, abgekürzt, ineinanderhängend; feine Einträge 
find kurz, ungenau und unvollitändig; es läßt fich Daraus 
nur das Eine erkennen, daß er weder Amtseifer noch) 
Drdnungsliebe in bemerfbarem Grade gehabt habe. Unehe- 
liche Kinder find zu jeiner Zeit in der ganzen Pfarrei nicht 
geboren worden und Fülle von Kirchenbuße, in Gemäßbeit 
der Convents- und Sabbathsordnung, liegen nicht vor. 


61 


Die Durchſchnittszahl der Geborenen ift 6, der Getrauten 
und Geſtorbenen 2. 

7) Nach dem Abzuge Kircher8 wurde Pfarrer dahier 
$acob Jeckel, er bezog die hiejige Stelle im Detuber 
1669 und blieb bis November 1677. An Bildung kann 
derfelbe nicht hoch geftanden haben, wie feine Handichrift 
und die Art feiner Einträge in die Kirchenbücher darthun; 
aber unerjchrodener Amtseifer Tann ihm nicht abgefprochen 
werden. Er legte ein neue Kirchenbuch an und fchrieb 
auch die Verhandlungen des Presbyteriumd nieder und 
wenn er auch in erftere8 keinerlei Bemerfungen, feine Zeit 
oder Gemeinde oder Wetter betreffend, niedergelegt bat, fo 
läßt fih aus dem letzteren um fo mehr Aufihluß und 
Gewißheit über die fittlichen Zuftände des Kirchſpiels fchöpfen 
und man kann da vom Slleinen einen Schluß aufs Große 
ziehen. Die Sabbathordnung wurde ftreng gehandhabt 
und SKirchenzucht ohne Anſehen der Perfon geübt. Wer 
an Sonn- und Felttagen ohne Erlaubniß des Pfarrer 
über Feld ging, wer die Kirche verfäumte, in bderjelben 
Schlief, der wurte vor's Presbyterium geladen, verwarnt 
und im Wiederholungsfalle auch um Geld geftraft. Furchtbar 
roh und wüft muß das Leben Damals im. Allgemeinen, aber 
befonder8 auf dem Rande gewefen fein; e8 kommen Ausdrücke 
und Redensarten von jo entjeglicher Gemeinheit vor, daß 
mir es die Achtung vor den Lefern dieſer Zeitfchrift unmöglich 
macht, fie wieder zu geben. Pfarrer edel rügte fireng 
jede Unziemlichkeit in Wort und That, fand aber ſelbſt bei 
denen, die ihn in feinem Amte hätten unterftügen follen, 
den Schultheißen, folchen Widerftand und Widerjpruch gegen 
feine und des Presbyteriums Anordnungen und Rügen, daß 
das Landgericht zu Schlüchtern angerufen werden mußte. 
Das NRechtiprechen und die Verwaltung lag damals in den 
Händen eines Fränzojen, der zum öfteren im Kirchenbuche 
erwähnt wird und Amtmann in Steinau war, eines franzöſi⸗ 
ſchen Edelmannes, Monsieur de Palis de la Moliere. Beſonders 





62 


halzftarrig zeigte fih der Schultheiß von Walroth „ein 
Atheift, führt ein gottlojeß, ärgerliche8 und epicuräifches 
Leben”, der immer dem Pfarrer den Gehorfam mit ten 
Morten verweigert: „ich bin euer Bote nicht!“, der aber 
doch endlich durch Antrohung eines unehrlichen Begräbniffeg, 
wenigftend Außerlich, zum Gehorfam und Sinnesänderung 
gebradyt wurde. Der Schultheiß von Hinterfteinau wird 
verklagt, daß er „blutjungen Frauen, die leichtlich zu ver- 
führen‘, nachftelle und werden auch Fülle namhaft gemadit, 
wo ihm dies gelungen fei. Wenn aber der Ortsvorſtand 
zweier Gemeinden durch unfittliched Verhalten Anftoß und 
Aergerniß giebt, fo daß vom geiftlichen Amte gegen venjelben 
eingejchritten werden muß, wie mag da das Leben der 
Gemeindeangehörigen beichaffen gewejen fein? Ein ficherer 
Schluß ift da freilich nicht zu ziehen, da Die Erfahrung 
lehrt, daß Die „Spitzen“ oft faul find, während Der übrige 
Körper gefund if. So jcheint ed auch hier der Fall geweſen 
zu fein. Denn dag wegen Unzucht und Ehebruch Stirchen- 
buße fei verhängt und abgelegt worden, darüber befagt das 
Presbyterial-Protokoll nichtd. Nur ein Fall it angeführt, 
der fo aufgefaßt werden fann und den ich ald Beweis bier 
mittheilen will, wie ſcharf in jenen Zeiten der Einzelne 
von allen Augen bewacht wurde. „Den 1. Yber (1677) 
iſt Johannes Schedel, Hand Scheveld zu Weydenau im 
ftift Fulda gelegen, ehelicher john undt Maria, Michel 
Reichen gewejenen Mitnachbard alhie relicta filia cop. 
worden, ijt Die braut ohne jchoppel und geläut in die 
Kirche gangen, weil fie der gemeinen jage nuch ſchwanger 
fein fol, will aber nicht® geftehen, welches dann Die Zeit 
geben wird, Doch ift der frühzeitig beyichlaf offenbar, deß— 
wegen fie gemelten Schadens halb heyrathen müſſen.“ 
Späterer Nachtrag: „Hat den 8. April in Steinau taufen 
laffen und alfo beynah 4 Monat zu früb kommen; ift 
Mir Pfarrer und Kirchenälteften abbitte geſchehen.“ Bemer— 
kenswerth ift, daß die Schulmeifterin zu Wallroth, der 


63 


Zauberei beichuldigt, zur Kirchenbuße verurtheilt wurde. 
Uneheliche Kinder wurden zur Zeit Pfarrer Jeckels dahier 
nicht geboren, außerdem aber durchjchnittlich im Sahre 10 
Kinder; getraut wurden 2 Paare und geftorben ind 7 
Perſonen im Jahre, 

Im Sahre 1677 wurde die Benölferung der Pfarrei 
Schlüchtern, wozu damald nach Ausweis des betreffenden 
Kirchenbudh8 außer der Stadt noch 9 Ortichaften und 2 
Hofgüter gehörten, von dem zeitigen Pfarrer, der dieferhalb 
von Haus zu Haus gieng, gezählt und weiſen diefelben 
nah 30jährigem Frieden nur eine Bevölferung nach von 
826 Seelen, wobei, den damaligen Beltand mit der Gegen— 
wart verglichen, der Umftand bemerkbar ift, daß inziwiichen 
die Bevölkerung der Stadt Schlüchtern fich nur verfünffacht 
hat, die der Ortichaften aber verzehn- und zmwölffacht. 

8) Auf Pfarrer edel folgte im November 1677 
Johannes Petri aus dem Fürſtenthum Anhalt und 
wurde nach vierjährigem Aufenthalte dahier, wo er nur 
Pfarrvermwefer gewejen zu fein feheint, wieder dahin im 
December 1681 berufen. Die von ihm geführten Kirchen 
bücher würden feinen Blick in jene Seiten gewähren, da 
er gewöhnlich nur die heilige Handlung ohne alle Bezeichnung 
der Perjonen eingetragen bat, wären die Presbyterial- 
Protokolle nicht deſto gewiljenhufter und umftündlicher von 
ihm geführt worden. Aus ihnen erhellt, daß er ein treuer 
Diener der reformirten Kirche war und ſtrenge Kirchenzucht 
handhabte. Er padte das Landvolk an feiner empfindlichiten 
Seite, am Geltbeutel an, und bewirkte, Daß von Seiten 
des Presbyteriums hohe Gelditrafen gegen Diejenigen erkannt 
wurden, die den beftehenden oder feitgejeßten Ordnungen 
fich nicht fügen wollten. Verſäumniß der Schule wurde 
mit 5 Alb., Verſäumniß der Kirche mil '/, bis 1 fl. beftraft. 
welcher Strafe ſelbſt ter Schulmeifter einmal: verfiel. Weber 
den Unfug in den Spinnftuben führte. er- wiederholt Be— 
jchwerde, weniger wegen Anlaß und Gelehenheit zu fittlichen 





64 


Vergehen, als vielmebr wegen tem darin üblichen „Brant- 
weiniaufen unt Kartenſpielen“ Petri ermäbnt zuerſt des 
Brantweins, Ter bis auf dieſe Stunde das Verderben gar 
vieler Bauern ift; in Betreff Tes Kartenipielens jei bemerft, 
Lak es, wie aus einem Eintrage ind Presbyterial-Protokoll 
aus Tem felgenden Jahrhundert berrergeht, üblich war, um 
Schuhnägel zu ipielen. Ter Emit jeiner Amtsfüuhrung 
war nicht chne Segen; er hatte tie Genugtbuung, daß 
ter Schultheiß ron Hinterjteinau (S. 62) fi Temüthigte 
unt Kirchenbuße ablegte. In ten 4 Jahren jeiner 
- bhiefigen Rirfjamfeit wurde ein unehelihes Kind geboren 
und tie auf fie fallente Schande beraubte tie Mutter 
tejjelben ihres Verſtandes. „Ten 30. April (1678) ver 
Stollen Katrin ein Hurenfint getauft, einer jo häßlichen 
Tirne, alö man eine weit und breit finten fann, und weil 
tie Dirne aberwikig worden, hat man ten rechten Bater 
noch nicht erfahren.” Kine Bemerfung im Todtenregiiter 
iſt auch von allgemeinerem Intereſſe: „Den 9. Nov. (1679) 
Hand Legen hinterlafjene Wittib zu Wullrodt begraben 
worten aet 79 ann. Nondum duodecim nata annos malri- 
monium prima via iniit anno scil. seculi hujusdem duo- 
decimo.” Eo frühe Ehen, obſchon nach römiſchem Rechte 
und SKlirchenrechte zuläifig, mögen in ten deutihen Landen 
noch wenige geichlojjen worden jein. 

9) Am 15. Februar 1682 wurde tie Pfarritelle bezogen 
von Georg Lotz. Derſelbe war vordem Pfarrer in Alten- 
haßlau gewejen, fam als alter Mann hierher, wo der Reſt 
feiner Kräfte von dem Vogelsberger Klima raich aufgerieben 
wurde; er ftarb bereit? am 15. Mai defielben Jahres. 
Seine wenigen Einträge, mit alter zitternter Hand geichrieben, 
bieten nicht von Intereſſe. 

10) Auf Lotz folgte im Amte Pfarrer Heinrid 
Appel, bereit ein bejahrter Mann; er war von 1653 
bi8 1658 Pfarrer in Gunphelm und Oberkalbach gewefen, 
übernahm. hierauf das Rectorat des Gymnafiumd in 


65 


Schlüchtern und im Juni 1682 die hiefige Pfurrftelle. Trotz 
ſeines Alter8 legte dieſer Pfarrer vielen Amtgeifer an den 
Tag und fuchte den ftarfen Ansprüchen feines neuen Dienftes 
möglicht gerecht zu werden; leider griff aber das unges 
wohnte Klima und die nothwendig veränderte Lebensweiſe 
feine Konftitution, wie er zum öfteren beklagt, allzuſtark an und 
die Mühen des damals ſehr befchwerlichen Pfarramtes rieben 
feine Kräfte jchnell auf; er ftarb bereit$ den 13. Juli 1685. 
Die Handichrift und Schreibweile dieſes Mannes ift 
gedrängt, abgefürzt, Flein und ganz eigenthümlich und da— 
nach zu urtheilen muß er viel Bildung befeffen haben, aber 
ein Pedant geweſen fein. Seine Einträge find genau und 
ausführlich und er gab fich die Mühe fehlerhafte oder mans 
gelbafte Einträge feiner Vorgänger zu berichtigen. Faſt 
immer findet er Anlaß, feinen Einträgen eine Bemerkung 
einzuflechten, die zum Theil von lokal-hiſtoriſcher Wichtigfeit 
find, meiften® aber das Klima und Wetter betreffen. Der 
Winter ijt „zu graufam kalt“, noch im März ift „die Kälte 
jo groß, wie mitten im Winter”; im Frühjahr „Liegt der 
Schnee ellenhoch auf den Gebirgen, in Schlüchtern und 
Steinau ift er ſchon vor 3 Wochen weg”, oder „es ift 
wieder ein dürrer, trodener, kalter Frühling, wie vorm Jahr“. 
Im Eommer flagt er mitten in der Heuärnte: „Seit drei 
Wochen regnet e8 faft täglih und leidet das Heu große 
Gefahr wegen Fäulniß. Wenige Tage vor Johanni hat 
ed gefroren und ift der Haiden fehr erfroren und der zarte 
Waizen“; im Herbite kommt ihm der Winter zu früh und 
er beflagt im November, daß „der Schnee jehr tief und 
viele Külte fei, faft ftärfer al8 vorm Jahr“. Diefer Schil- 
derung des Vogeldberger Klima's entjpricht auch Die Gegen— 
wart noch. Im Winter feufzet er über Zuttermangel; „das 
Vieh leidet große Noth und ift fein Stroh zu befommen; 
da8 halte Schock koſtet 4 fl." In dieſer Jahreszeit 
fonnte er mehr wie ein Mal wegen großer Külte und tiefem 
Schnee nicht nach Wallroth, um Berftorbene zu beerdigen, 





66 


„und ob fie wohl ale Pferde haben, jo haben fie doch 
Niemand herüber geſchickt, um die Urfache des Ausbleibeng zu 
vernehmen“. Land und Leute find noch diefelben! Die Todten 
wurden im Winter auf Schlitten aufden Todtenhof gefahren, 
wenn man fie „wegen tiefem Schnee nicht tragen Tonnte”; 
Kinder „im zurten Alter” geftorben, wurden „alter Gewohn= 
beit nach ohne Gefang und Predigt, ohne Beifein des Pfarr⸗ 
herrn's und Schulmeiſters begraben”. Neben diefen örtlich- 
Himatiichen Notizen bat Pfarrer Appel feinen Kirchenbüchern 
auch Iofal=hiftoriiche von Bedeutung eingeflocdhten. Gele— 
gentlich einer Taufe, wo die Mutter des zu taufenden Kindes 
aus dem benachbarten Hauswurz war, das damals zu ber 
Jutberifchen Pfarrei. Freienfteinau gehörte, bemerkte derfelbe 
unterm 4. Dezember 1684, e8 jei „dieſes Dorf Durch gütige 
Transaction unter Fuldiſche Botmäßigkeit vollkömmlich, 
doch die Religion vorbehalten, gekommen“. Dieſer Vorbehalt 
war ohne Wirkung. Die neuen Unterthanen des Fürſtabtes 
zu Fulda, die vordem unter „Freiherrlich von Riedeſel'ſcher 
Botmäßigkeit“ geſtanden, mußten alsbald Die Religion wech— 
ſeln, und das ging damals ſo leicht von ſtatten, wie heutiges 
Tages der Wechſel in der Uniformirung eines Regimentes. 
Hauswurz iſt dermalen ein ganz katholiſches Pfarrdorf; es 
iſt aber die Erinnerung an den früheren evangeliſchen Glau— 
ben darin noch nicht erlofchen. Um dieſelbe Zeit, und auf 
diefelbe Weile, erfolgte die Lostrennung und Katholifirung 
eines Filial8 von der Mutterficche dahier, nämlich Klesbergs 
(vergl. ©. 45) ſammt Zubehör, die Pfarrer Appel fo nahe 
berührte. Die Preudigkeit, für feinen Glauben zu leben 
und zu fterben, war durch die Leiden des 3Ojährigen Krieges 
gebrochen und vernichtet; man 309 e8 vor „zu leben" und 
fügte fich in da8 Unvermeidliche Damals eben fo widerſtands⸗ 
108, wie in unferen Tagen in die politiichen Windftrömungen. 
Man rühmt mitunter das ftarfe Glaubensleben der Vergan⸗ 
genheit; allein Vorgänge, wie die berichteten, wären in unjeren 
Tagen auf diefem Gebiete ein Ding der Unmöglichkeit. 


67 


Pfarrer Appel hat in feinem Kirchenbuche auch ein 
Beiſpiel von der Zeugungsfähigkeit des höchſten Alters ver- 
zeichnet, das, wenn er es gefannt hätte, der verftorbene 
geheime Medizinalrath Schneider in Fulda gewiß in feine 
Abhandlung über dieſes Thema, nebft dem ©. 53 berichteten, 
würde aufgenommen haben. Am 12. Februar 1684 wurde 
„dem Unterfchultheiß Hartmann Henkel vahier, 80 Jahre 
alt, eine Tochter getauft”. 

Die fittlichen Verhältniffe des Kirchipield waren, für 
jene Zeit, gut; die ftrenge Handhabung der Kirchenzucht 
durch jeine Vorgänger und durch Pfarrer Appel bewirkte, 
wenn auch zunächft nur Außerlich, Daß der Sinn für Ord— 
nung und Gefeßlichkeit gewedt und dieſe zum gemeinen 
Beiten für nothwendig erkannt wurden, Kein Verbrechen 
ift von Pfarrer Appel erwähnt, kein uneheliches Kind zu 
feiner Zeit geboren; jedoch find 3 Kirchenbußen vor der 
Gemeinde nambaft gemacht, die eine von hier, wegen „Ehe— 
Bruch mit einer fuldifchen Dirne”, die anderen von Filialen 
wegen unehelichem Beilchlaf vor der Hochzeit und bemerkt 
derjelbe beim Eintrag der Kopulation von dem einen 
Paare: „Nach der Cop. reichten fie eine feine, gemügliche 
Mahlzeit, ihrem Stande gemäs“. 

11) Nach dem Tode des Pfurrerd Appel functionirte 
dahier als Pfarreivermweier bi8 zum Jahre 1687 Johann 
Edard Kerften. Seine Einträge in die Kirchenbücher 
find höchſt dürftig und hören leider nach kurzer Zeit ganz 
auf; ein Presbyterial-Protofol hat er gar nicht geführt. 
Der junge Dann jcheint ſehr ungern gejchrieben zu haben 
und bat darin bedauerlicher Weije viele Nuchfolger unter 
den Pfarrern. In der Führung der Kirchenbücher hat er 
fih jelbit ein Armuthszeugniß ausgeftellt. 

12) Zu Ende des Jahres 1688 kam gleichfalls als 
Pfarreiverwefer Johann Benjamin Schaffnidt 
bierher, 309 1690 wieder ab und wurde Lehrer am Gym- 
naflum zu Schlüchtern. Auch feine Einträge a die Kirchen⸗ 





68 


bücher find äußerſt flüchtig und dürftig und wegen jchlechter 
Schrift und Dinte oft geradezu, jelbjt mit der Loupe, un— 
lejerlih. Zwei Beifpiele mögen genügen, da alle in ähn— 
liher Weife lauten: „Cop. 1689 den 12. Februar der 
Pfarrherr mit feiner Liebfien.” „Begraben Klaus Koeler 
zu Hinterjteinau den 14. September.” Daß jolche Einträge 
feinen erniten Charakter verrathen, leuchtet Sedem ein und 
ebenjo, dag wenn zwei junge Männer nacheinander 5 Jahre 
lang mit gleicher Nachläjligfeit die Gefchäfte des Pfarramts 
erledigen, die Gemeinde darunter leidet und die Zucht und 
die gute Eitte verloren geht. Wer im Kleinen nicht treu 
ilt, der ift e8 im Großen aud nicht. 

13) AS wirklicher Pfarrherr zog im Juni 1690 
Johannes Frank auf und blieb bis zu feinem, am 16. 
Februar 1724, erfolgten Tode dahier. Die von ihm geführten 
Kirchenbücher und Protokolle zeigen von Anfıng bis zu 
Ende eine ſtets gleiche jaubere und nette Handſchrift, in 
der fich aber ein weichlicher und weibiſcher Churufter aus— 
\pricht; feine Einträge find furz, enthalten das Nöthigite, 
aber auch fein Jota mehr. Die wenigen, aus den erjten 
zwanzig Jahren feiner hiejigen Dienjtzeit vorhundenen, Pres— 
byterial-Protofolle enthalten weiter nichts, als die jährliche 
Neuwahl der Kirchenrüger; erjt von 1711 an enthalten fie 
mehr, obichon auch nicht viel. Der gute Mann liebte 
offenbar die Ruhe und ließ der Welt ihren Lauf. Keiner 
feiner Einträge verräth den mindeſten Antheil an den Er— 
eigniffen und Zuſtänden feiner Zeit von Nah und Fern, 
wie folcher doch an Beilpielen vor ihm und nad) ihm wahr— 
zunehmen ift, und ten fundzugeben die zwangloje Führung 
der Kirchenbücher Damals jo leicht und natürlich geftattete, 
Sp mager aber auch die Kirchenbuchführung Durch Pfarrer 
Trank ift, jo giebt fie doch hinreichende Merfmale an die 
Hand, ebenſowohl zur VBeurtheilung jener Zeit und der 
fittlihen Verhältniffe in biefigeer Gemeinde, als fie auch 
deutlich darthut, wie die Schlaffheit des Hirten, bei aller 


69 


ſonſtigen Gutmüthigfeit, der Heerde zum Nachtheil gereicht, 
und wie Vermwilderung gar bald da einreikt, wo die Zucht 
aufhört, die nun einmal tie „Kinder an Verſtändniß“ nicht 
entbehren können, ohne ſich jelbft Schuten zu thun. Ein 
feindliche3 Gegenüberftchen ter Confeſſionen kann zu feiner 
Zeit in hiefiger Gegend nicht jtattgefunden haben; es muß 
vielmehr ein freundlicherer Verkehr obgemaltet haben als 
heutigen Tages, wo nur Ter Handel tie Leute verschiedener 
Gemeinden und Kirchen mit einanter in Beziehungen bringt; 
man erſieht Das aus den öfteren gemijchten Chen, ten 
fatholiichen Gevatterfchaften und aus dem DBefuche ver 
Kirchweihen an Eutholiihen Orten durch biefige Burſchen. 
Mit den Verheirathungen muß e8 auch damals noch leicht ge= 
sangen fein; Pfurrer Frank erwähnt einige Fälle, in denen 
Paare „wegen überwiejenen unehelichen Beyjchlaf alsbald 
mit Zuftimmung der Aeltern‘ getraut wurden. Kirchenbußen 
wurden in der eriten Zeit feiner biefigen Wirkſamkeit noch 
vor ter ganzen Gemeinde abgelegt, am Ende derſelben 
gejchah jolches vor dem Presbyterium; Widerſpenſtige wurden 
„durch Amtsbeſcheide“ zum Gehorſam gegen die Kirche ge— 
bracht. Schlägereien mit tödtlichem Erfolge, namentlich 
auf Neujahr, erwähnt verjelbe mehrere. 

Pfarrer Frank berichtet 1693 die erfte Rirchenvifitatio, 
die von da an alle paar Jahre regelmäßig bis in daß dritte 
Decennium dieſes Jahrhunderts ftattfand; über die Refultate 
derfelben findet fich von feiner Hand nichtE bemerkt. Don 
1711 an hat aber der jeweilige, vijitirende, reformirte 
Inſpector die nöthigen Notabened und Nefolutionen ſtets 
eigenhändig in das Presbyterial-Protokoll eingetragen, In 
dem genannten Sabre führte der damalige nfpeetor der 
reformirten Kirchen und Schulen Friedrich Grimm zu 
Hanau (ter Großvater der Gebrüder Grimm) ein neueß 
Kirchenprotofoll ein „in welches alle vorfallende Kirchen>, 
Schul- und Almoſenſachen künftig ordentlich vom Pfarrer 
im Beifein der Melteften eingefchrieben werden follen.“ 


70 


Bon da an mehren fi} daher hier Die Quellen zur richtigen 

Würdigung der Zeiten und Berfonen und ich hoffe nichts 
Ueberflüffige8 zu thun, wenn ich zu dem Ende einige Einträge 
daraus veröffentlicde. Infpector Grimm machte eigenhändig 
den erjten Eintrag mit folgendem Actum Wallroth und 
Hinterfteinau den 6. September 1711. „Nachdem von 
Hochgräflicher Regierung mir Commiſſion gegeben worden, 
eine ſcharfe firaf und überzeugungspredigt gegen ben ein— 
reißenden abergläubiichen Segeniprechen und Mißbrauch des 
Namens Gottes in den jo genanndten Gichtbrieffen zu halten 
und dabei einige Unterthanen, welche bisher mit jolchen 
Gichtbrieffen abergläubifcher Weiß den Nahmen Gottes 
gemißbraucht, mit Namen Michael Bertold, bisher Schul- 
meifter, Hermann Fehl und Melchior NRüffer, öffentlich zu 
cenjuriren und Kirchenbuße thun zu laffen, So habe ſolches 
anheuth verricht und obgebachte Perſonen öffentlich Kirchen 
buße ablegen laffen. Gott gebe, daß der großen Unwiſſenheit 
gefteuert und der Nahme Gottes Fünftig mit folchen und 
anderen Dingen nicht fo jchändlich verunehrt werden möge.“ 
Aus den Ermahnungen und Weilungen, die er darauf 
folgen läßt, erfiehbt man, daß er mit dem ganzen Slirchen- 
weſen dahier nicht zufrieden war, Kirchen, Kirchenrechnungen 
und Stirchenzucht im Verfall und Unordnung fand und daher 
privatim den Pfarrer Frank zu „grüßerem- eifer und fleiß 
im Öffentlichen und häuslichen Gottesdienſt, in specie dem 
Catechismo‘ ermahnte. Auch das reformirte Confiftorium 
nahm Anlaß, demjelben eine ſehr fpecielle Dienſtanweiſung 
zu überjenden, die mehr wie einen Tadel enthielt; aber es 
Icheint, al8 fei der Mann aus der gewohnten Schlaffheit 
nicht zu erweden gewefen. Zwar finden ſich von da an 
die, an den monatlichen Bettagen abzuhaltenden, Presbyterial- 
figungen regelmäßig verzeichnet, aber faft ftet3 mit dem 
Zuſatz ‚wußte feiner was anzuzeigen” oder „es fiel nichts 
vor.” Die Haußvifitationen und die Punkte, worauf er 
babei zu jehen babe, waren ihm ftrenge vorgejchrieben, 





7 


nirgends findet fich aber ein NRefultat bemerkt. Einige wört- 
lihe Einträge aus dem Presbyterial-Protofolle will ich 
zum Schluße bier folgen laſſen. 1695. „Hierbei ift auch 
zu merfen, daß in diefem Jahr auf angeben des Schul- 
theißen eine Orgel, welche von Johannes Beten, einem 
Bürger und Handeldmann in Steinau an der firaßen um 
40 Reichsthaler oder 60 fl. erfauft und baar bezahlt, in 
unjere Kirche gebracht worten, und hat man damals einige 
capitalien, fo Die Kirche ausſtehen gehabt, erhoben". 

1712 den 7. Dezember. „Mittmoh Monatlicher 
Bettag wurde proponirt, daß die jungen Weiber, wie an 
andern Orten, in ihren Stühlen, welche des Leſens erfahren, 
fingen und Gott loben möchten, worauf aber nicht8 erfolgt“. 
(Wurde ſpäter noch oft von demſelben vorgefchlagen und 
von der Kanzel dazu aufgefordert, aber ſtets ohne Erfolg.) 

„1714 den 26. Dezember wurde Presbyterium gehalten 
und auf berrichaftlichen Befehl Joſt Lob und A. Marg. 
Zirfelin copulirt. Zugleih auch wegen verübtem Muth- 
willen unterjchiedlihe junge Leut um 7 alb. 4 Hlr. ab= 
geftraft, machet zufammen 3 fl." 

1716 den 2. Dezember am monatlichen Bettag wurde 
erinnert die Spinnftuben abzuftellen und biergegen ben 
catechisnum einem Jeden von der Jugend vielmehr durch⸗ 
zugehen“. (Beſtehen heute noch!) 

„1718 den 5. Januar war monatlicher Bettgg, thate 
eine Vermahnung an die Eiteften, es folle ein Jeder feine 
Pflicht beobachten und etwa ftrafbare Dinge vorfielen, an- 
bringen, wo auff aber nicht8 erfolgt“. 

„1732 den 3. April am monatlichen Bettage wurde 
erinnert auf die Juden, welche zumahl mit dem erhandelten 
Vieh bin und her auf den Sonntag führen, gute Achtung 
zu geben”. (Machen e8 heutige Tages noch gerade fo.) 

Dies find Die einzigen erheblichen Einträge des Pfarrerd 
Frank; und wie leiſe ift er danach aufgetreten ! 

Während jeiner biefigen Dienftzeit, vom 1. Sanuar 1690 





72 


bis dahin 1724 gerechnet, wurten turdichnittlih im Jahre 
7—8 inter, und im Ganzen 7 unebeliche, geboren; da 
tie Durchſchnittszahl Der Geſtorbenen 6 ijt, fo hut in Tieler 
langen Zeit nur eine unbeteutente Vermehrung Ter Be— 
rolferung jtattgefunten. 

Pfarrer Trank bat offenbar jein Amt nicht Ten Tama= 
ligen Inttitutionen der reformirten Kirche gemäs verwaltet. 
Die refermirte Kirche legt großes Gewicht auf tie „Zucht“ 
und hat fich Durch dieſe von ter lutherijchen, tie hauptſächlich 
„das Wort“ und „ten Glauben“ betonet, vortheilhaft aus- 
gezeichnet; eben jo aber auch durch Ten fittlichen Ernit ihrer 
Angehörigen und fie hat dadurch tem Gemeinwehl überall 
die eriprieglichiten Dienfte geleijtet. Man Hagt in unjeren 
Ichlaffen Zeiten viel über Herrichjucht und vergleichen, wenn 
ein Geiftlicher, den Sabungen feiner Kirche gemäs, Kirchen 
zucht handhaben und dem Sittenverterben und der Verar— 
mung nad Kräften in feinem Wirfunggfreije jteuern will; aber 
man klagt da über Etwas, worüber die Wenigften noch 
nachgedacht oder Erfahrungen gefammelt haben. Der Geiit- 
lihe muß nicht blos, will er ganz feiner hohen Aufgabe 
genügen, Lehrer, Tröſter, Suframentenfpenter u |. w., wie 
Manche meinen, fein, fondern auch Erzieher. Erziehung 
ohne Zucht ift ein Unting. Sch behaupte, Die Handhabung 
einer angemefjenen Kirchenzucht liegt im Intereſſe Der öffent- 
lichen Wohlfahrt. Wo, und Dieje Ueberzeugung habe ich 
durch das Studium der hiefigen Kirchenbücher gewonnen, 
von einem ernften und würdigen Geijtlihen in Kreifen, 
die noch erzogen werden müjjen, eine, den Verhält- 
niffen angemefjene Zucht gehandhabt wird, nimmt Rohheit 
und Unfittlichfeit nach und nach ab und Der Wohlftand zu; 
wo aber aus träger Gutmüthigfeit oder citler Menjchens 
gefälligkeit Alles gehen gelufjen wird, wie ed will, da ver— 
faulen die Grundpfeiler, auf Denen das Wohl einer Ge— 
meinde und eined® Landes beruhet. Möge die Geſchichte 
der Pfarrei Hinterfteinau, mit den urkundlichen Refultaten, 


⸗ 


13 


die fie in diefer HSinfiht an die Hand gibt, etwas dazu 
beitragen, da8 Vorurtheil gegen Kirchenzucht im Allgemeinen 
zu vermindern. 

14) Auf Pfarrer Franf folgte, und war ihm fchon zu 
Lebzeiten cum spe succedenıli beigegeben gemweien, Konrad 
Thomas NRepp und verjahb die biefige Pfarrſtelle von 
Ende 1723 an bis in die Mitte des Jahres 1729, wo er 
von bier ab und nah Marioß zog. Bald nach dem Tode 
ſeines Vorgängers verbeirttbete er fi, hatte aber das 
Unglüd, daß ihm feine fümmtlichen Kinder bier in frühefter 
Jugend ftarben, wodurch ihm der Aufenthalt dahier verleidet 
und er dadurch beitimmt wurde, bald eine andere Stelle 
zu fuchen. Die Sterblichkeit unter den Kindern war Damals 
eine ungemein große Als Urfache des Todes findet fich 
dabei faft regelmäßig angegeben „die Blattern” oder „ein 
engbrüftiger Huften mit Stickfluß“, wahricheinlich Die Hals— 
bräune, an der auch jett noch dahier viele Kinder fterben. 

Die Handfchrift Repp's ift eilig, abgekürzt und fo, 
daß es fcheint, als habe er Damit den rafchen Flug feiner 
Gedanken nicht ſchnell genug feizziren können; feine Einträge 
in die Kirchenbücher entbehren daher öfters der nüthigen 
Beftimmtheit und Bollftändigfeit. Alles Schriftliche aber, 
was von ihn vorhanden ift, bezeugt, daR er ein eifriger, 
pflichtgetreuer und furchtlojer Diener des Evangelium war. 
Ihm bot fih Stoff zu Verhandlungen in den Sigungen 
des Presbyteriums genug Gleich nach feinem Amtsantritt 
wurden ſämmtliche gefallene Berfonen nebit ihren Verführern, 
und darunter der eigene Eohn des Pfarrers Frank, vor 
das Presbyterium gefordert und bier im Beiſein des alten 
Pfarrers zum Geſtändniß ihrer Schuld gebracht und Kirchen- 
buße ihnen zuerkannt. Er überwachte die gefegliche Subbath8= 
ordnung aufs genauefte und hielt die Kirchenälteften und Rüger 
\charf zur Erfüllung ihrer Pflichten an. Gegen „dag gott- 
Iofe Kegeln, Würfeln und Kartenfpielen“ und gegen „das 
Veberfeldgeben an Sonntagen” eiferte er nachdrücklich, ließ 


74 


unter dem Gottesdienit die „Saufbhäujer“ und die Privat- 
wohnungen von den Slirchenälteften nach ten „jaumjeligen 
Kirchengängern“ durchſuchen und handhabte alle Kirchen- 
ordnungen „als Zuchtmeilter auf Chriſtum“. Dabei war 
er auch Friedengrichter, legte Streitigkeiten bei und verjöhnte 
Zeinte. Er fand, und tarüber enthalten feine Protokolle 
viele Klagen, eine große Unwiſſenheit und Rohheit unter 
der Tugend und arge8 „Saufen und heidniiche Bachanalien“ 
unter den Alten, was jchwarze Schatten auf die vieljährige 
Dienftzeit feine Vorgängers wirft. Die Kirchenrüger be- 
famen von ihm die Weijung „der Jugend ihren Muthwillen 
in den Kirchen mit Stodjichlägen auszutreiben“. Zur Cha— 
rafteriftif jener Tage will ich bier einen Full anführen, der 
unterm 3. Suli 1726 protofollirt it, wo ein Mann von 
bier, wegen Ehebruch de8 Landes verwiefen, nad 
22 Jahren zurückkehrte und ibm nun „aus bejonderer hoher 
Gnade” geftattet wurde, „Kirchenbuße zu thun und fich mit 
der Kirche auszuſöhnen“. 

Die Kirchenrechnungen find aus jener Zeit bis heute 
volftändig vorhanden; aus ihnen will ich denn auch fortan 
bemerfenswerthbe Bälle mittheilen. So betrug 5. B. 1723 
dag Kirchenvermögen an Kapitalien 127 fl. und heute 1170; 
an Grundzind und Handlehn hatte die Kirchenfafje eine 
jährlide Einnahme von 7 fl. 5'/, Kr. Heute von den 
Ablöfungskapitalien nur 5 fl. 15'/, Kr. Durch den Klingel- 
beutel famen jährlich ein etwa 10 fl., heute 20. Brod und 
Mein beim b. Abendmahle (damals wie heute diejelbe Quan= 
tität).koftete 4 fl., heutiged Tages 25 — 30 fl. 

Trotz feiner Strenge war Pfarrer Repp in der Ge- 
meinde beliebt, wie man, wa8 nur noch bei Pfarrer Gender 
(S. 52) der Fall war, aus den Gevatterichaften erjehen 
fann, um die er von Gemeindegliedern angelprochen wurde. 
Durchichnittlich wurden zu feiner Zeit dahier jührlich getauft 
14 Kinder, fopulirt 2—3 Paare und begraben 6 Perſonen. 
Uneheliche Geburten im Ganzen 3. 


75 

15) Johann Mauritius Kochendörfer war 
fein Nachfolger und bezog vie hieſige Pfarritelle im Auguft 
1730, verwaltete diejelbe bi8 Juni 1743, wo er nach Win— 
deden fam. Er fcheint fi feinen Amtsvorgänger zum 
Mufter genommen zu haben und ftand ihm in Nicht! nach. 
Seine Handſchrift und ganze Buchführung ift der von Pfarrer 
Repp zum Verwechſeln ähnlih; an Eifer und Treue ftand 
er demfelben, wie die Presbyterial-Protokolle darthun, nicht 
im mindeften nach, und hatte auch daſſelbe Unglüd, daß 
ihm feine Kinder in zartefter Jugend an denlelben Kranf- 
heiten ftarben Seine und feined Vorgängerd unnadficht- 
liche Strenge gegen alle Sünden des Fleiſches bewirkte aber 
auch, Daß von 1736 an bi8 zu Ende jeiner hiefigen Wirf- 
ſamkeit nicht ein uneheliches Kind mehr dahier geboren 
wurde. In den Predbyterial- Sigungen rügte er uner- 
müdlich „da8 Kegeln auf Sonntage” und das „Brandiwein- 
laufen bis in den Sonntag hinein“ und drohte dagegen 
mit Excommunication. Da die Bettagsgottesdienfte wenig 
befucht wurden, befamen die Kirchenälteften die Weiſung 
„von Haus zu Haus zu gehen und nach den Urfachen 
zu forſchen“. Durch ſolche Mittel fuchte Pfarrer Kochen 
dörfer, dem Geifte jener Zeit gemäß, einen chriftlicheren 
Sinn bier heimisch zu machen, was aber erjt feinem Nach» 
folger gelang. 

Aus den Kirchen-Pilitationd-Protofollen hebe ich fol= 
gende Punkte heraus, die am büntigiten die fittlichen Ge— 
brechen der Gemeinde charafterifiren. Den 18. Oftober 1733 
„Segen das ftarfe Brandweintrinfen, das unzüchtige Leben 
und das Auslaufen an Sonn= und Feiertagen, iſt auch mit 
Amtshülfe zu arbeiten“. Den 16. Oftober 1740 „1) Dem 
Auslaufen der Tugend auf die benachbarten Kirchmefjen 
und Märkte ift ernftlich zu fteuern, auch mit Amtshülfe“. 
„3) Der großen Unwifjenheit der erwachjenen Jugend ift 
mit den nöthigen SKatechifationen zu feuern.” Aus den 
Kirchenrechnungen ziehe ich nur den einen Poſten aus: 





76 


„1738 eine Kollecte zur Ranzionirung des in der Sclaverei 
zu Algier figenden Johannes Wiegel zu Roßdorf 1 fl. 30 Kr.” 

Während der 14jührigen Dienitzeit Kochendörfers 
wurden jährlih 13, und im Ganzen 6 unehliche, Kinder 
getauft, 3 Puare kopulirt und 9 Perſonen, darunter auch 
einmal eine 100jährige Frau, begraben. 

16) „Auf ihn folgte”, wie er fich ſelbſt eingetragen 
bat, „fo ange Gott will, Johann Daniel Kent, aus 
der Alt-Stadt Hanau, vom 25. Juli 1743 an, nachdem 
fieben ganzen Jahr lung am dafigen gyınfasiv quartam 
classem als Prüceptor verſehen. Der Herr verleyhe mir 
nach feiner Gnade treue, willige Zuhörer und Thäter feines 
Wortes, gefundheit, feegen und ftärfe in meinem Amte“. 
Sein Öebet fand Erhörung und feine Wirkſamkeit war die 
gejegnetfte von allen Pfurrern dabier. 

Lentz verheirathete fih mit einer gebornen Schlemmer 
aus Hanau und hatte, gleich feinen Vorgängern das Un— 
glüd, daß ihm 6 Kinder „an einer ftarfen Bruſtkrankheit“ 
dahinſtarben. (Die Kinder machen noch immer ein Drittel 
unter den Geftorbenen aus.) Wie aus der Art feiner Ein— 
träge in tie Kirchenbücher erbellet, war Lentz ein gebildeter 
Mann, der feines Berufes mit Ernft, Liebe und Treue 
wartete, Dabei aber in dem engen Kreiſe jeined Berufes 
nicht verbauerte und für die übrige Melt, ihre Leiten und 
Freuden, nicht abjtarb, fontern den, regſten Antheil an ten Er— 
jcheinungen feiner Zeit nahm, wie man Ta8 von einem 
gebildeten Manne nicht wohl anders erwarten kann. Lentz 
bejchränfte fich in feiner Wirffamfeit nicht, wie jo Viele in 
unjeren Tagen, in trauriger Rath- und Thatloſigkeit, auf 
„das Wort“ allein; er haſchte auch nicht, wie Andere, nach 
eitler Beliebtheit und überfah oder dultete Unfug, Rohheit 
und Sittenlofigfeit, um fich feinen Verdruß oder feine Arbeit 
zu machen; furchtlo8 und unermüdlich kämpfte er für chrift: 
liche Zucht, Sitte und Ordnung und Drang auf Abſtellung 
eingeriffener Mebelftände und landesüblicher Wildheit. Mit 


77 


der Schule fing er an und nahm Fehrer und Schüler unter 
ftvenge Aufficht und bielt darauf, Daß die Sommers und 
Winterſchule regelmäßig bejucht wurde. Die Sabbaths— 
ordnung wurde ftreng gehandhabt. Die Spinnftuben waren 
auch ihm ein Gräuel,- weil notorifch eine Quelle der Unfitt- 
lichkeit, damals wie heute no! Seitdem das Brantweins 
trinfen immer allgemeiner geworden, hatten mehrmals auf 
Neujahr und Kirchweihen Schlügereien ftattgefunden; 
denn der Brantwein regt alle thierifchen Leidenjchaften auf 
und erzeugt eine unbändige Wildheit. Lentz beantragte daher 
bei dem reformirten Eonfiftorium die Abftelung der Kirch- 
weih, befam aber unterm 19. Suni 1748 den Beſcheid, 
„daß man dies zur Zeit noch nicht für dienlich erachte; er 
ſolle aber jedesmal von der Kanzel den Sonntag vorher 
vor allen Ueppigkeiten und Exceſſen durch nachdrücklich zu 
thuende, auf Vernunft und Chriftenthum fich gründende 
Borftellung verwarnen und bei unterbleibender Remedur die 
Sache wieder einberichten”. Natürlich unterblieb „die Re— 
medur“! Wie wenig fennt man den Bauerncharafter, wenn 
man meint, der große Haufe ließe fich Durch „Vernunft 
und Ehriftenthbum“ leiten und regieren, Der Einzelne wohl, 
aber nicht die Menge; kommt Dieje bei irgend einer Veran 
lafjung zujammen, fo werden gewöhnlich ftille und Yaute, 
heimliche und offenbare Variationen über das alte Thema 
gefpielt: „Freuet euch des Lebens u. ſ. w.” oder es bricht 
Hader, Zank und Streit 108 und Die Meijer werden 
gezogen. Man wird da8 überall finden, wo der Brant- 
wein ein, alle Zeit willfommener, Saft ift. Auf wieder 
holten Bericht des Pfarrerd Lentz wurden daher die Kirch- 
weihen in Hinterfteinau und auch in Wallroth abgeichafft 
und find e8 biß heute. Es ijt damit wohl ein herkömm— 
licher Anlaß zu „Weppigfeiten und Exceſſen“ bejeitigt und 
für den Augenblid gewiß eine heilfame Strenge, wie ber 
nächfte Erfolg zeigte, geübt worden; aber die Brantweinpeft 
blieb und wo die einmal in einer Gemeinde allgemeinen 


78 


Eingang gefunden, erlahmt bei den Bewohnern nad) und nad) 
alles fittliche Gefühl und alle Willenskraft. ine bleibende, 
heilfame Wirkung äußerte Daher tie Abjchaffung der Kirch- 
weih, fo gut gemeint fie war, dahier um jo weniger, weil 
nach Pfurrer Leng ein gar fanited Regiment einzog und 
weil ed nun Brauch wurde, zu jeder Zeit des Jahres Tanz⸗ 
beluftigungen zu halten und das Uebel aljo nicht ver- 
mindert, jondern vervielfältigt wurde. 

Im BVerfehr mit den Einzelnen war Pfarrer Lenk 
zwar ernft, aber dabei freundlich und fanft; ftreitende Par— 
teien juchte er zu verjühnen und wo ihm dies nicht jo gleich 
gelang, ermahnte er, fich fo lange des h. Abendmahls zu 
enthalten. Für die Rechte der Pfründe kämpfte er ritterlich 
und hat manden Sieg erjochten, der feinen Nachfolgern 
noch heute zu gute fommt. Don allen Pfurrern ift er bis 
auf die Gegenwart der einzige, von dem noch Eoncepte jeiner 
Berichte vorhanden find. Zu bedauern ijt nur, daß feine 
Handſchrift Durch ungehörige Abkürzungen, blaſſe Dinte 
und allzu enges Aneinanderrüden der Zeilen haufig geradezu 
unleferlih iſt. Er Hat viele, freilich nur Iofalsintereffante, 
Notizen über die ſog. jchlefiichen Kriege, Truppendurchzüge, 
ftattgefundene Scharmüßel u. |. w. in die Kirchenbücher 
niedergelegt und auch Beinerfungen über Wetter und Ernten 
und dergl. eingejtreut. 

Aus den Presbyterial-Protokollen, fo wie aus ten 
Kirchenrechnungen will ich bier einige Auszüge folgen laffen ; 
die Licht- und Schattenfeiten jener und unjerer Zeiten treten 
ung daraus am erfennbarjten entgegen Unterm 28. Auguft 
1743 hatte der reformirte Infpector Grimm „in Erwägung, 
daß auf dem Lande durchgehends bei den Alten eine gar 
Schlechte Kinverzucht ift" eine ernfte Mahnung an die Pfarrer 
gerichtet „die Lehrer, Schulen und Tugend jcharf zu beauf- 
fichtigen und in chriftlihe Zucht zu nehmen“ und kommt 
darin unter anderen auch folgende Vorſchrift vor: „5) Unter 
dem Gebet fol Alles ſtill und andächtig, ohne Geräuſch 


79 


und mit entblößtem Haupte mitbeten und nicht lachen, 
plaudern oder Muthwillen treiben‘. Wenn auch in Betreff 
ber Kinderzucht beim Landvolk noch dieſelbe Klage geführt 
werden muß, jo find Doch in Beziehung auf dieſe Vorjchrift 
unfere Zeiten goldene gegen jene. Je weniger die geijtigen 
Fähigkeiten eined Menfchen, namentlich das religioje Gefühl 
und der fittliche Wille, entwidelt und zum deutlichen Be— 
wußtjein gebracht find, um ſo, weniger verfolgt er bei Er⸗ 
ziehung feiner Kinder irgend einen vernünftigen Zweck; es 
ift ihm genug, wenn dieſe recht arbeiten und zum materiellen 
Mohle der Familie beitragen können. Die allgemeiner gewor⸗ 
dene Bildung und die daraus entipringende öffentliche Wohl- 
anftändigfeit nöthigt aber auch den roheften Bauern in unferen 
Tagen an den Orten, die der öffentlichen Andacht geweiht 
und bejtimmt find, ſich anftändig und gefittet zu benehmen, 


Den 7. Suli 1745: „Nidelaus Jöckel, ſchneider dahier, | 


hat die Orgelbalfen bißhero, jedoch nur wechjelömweiße, einen 
Vers um den anderen, gezogen. Weilen nun ich, der 
Pfarrer, jeder Zeit erinnert, daß Die orgel, wie auch aller 
ortben gebräuchlich an einem Stüd mögte gefpielet werden, 
ſo ftund Nikolaus Jöckel gänzlich davon ab, indem er von 
feiner Bemühung weiter nicht8 als die Freiheit vom Brief> 
tragen hätte von der Gemeinde.” 

1750 unterm 18. März wurden „auf Smi. durchl. 
gnäd. Refolution die Ehrenzechen auf Kindtaufen für gänzlich 
abgeſchafft und verboten erklärt”, bejtehen aber noch heute, 
jedoch in unfchädlicher Weile. 

Aus Den Verhandlungen des Presbyteriums erbellet 
auch, daß damals in ten Kirchen viel Streit und Zank 
um die Plüge war, die der Pfarrer zwar gewöhnlich gütlich 
beilegte, daß aber Doch auch zum öfteren, in Gemäßheit 
der Sabbathdordnung, Strafen mußten erkannt werden. 
Sit heutige Tages auch nicht mehr nöthig. Die Ausgaben 
für Arme aus der Kirchenkaffe nahmen unter Pfarrer Leng 
fortwährend ab und hören endlich ganz auf, während bie 


80 


Einnahme durch den Klingelbeutel, bei einer halb ſo großen 
Bevölkerung wie heute, ſich zu demſelben Betrag wie jetzt, 
erhob, was Alles eine erfreuliche Zunahme des Wohlſtandes 
darthut und dieſe erkenne ich als die natürliche Folge der 
Zucht, Ordnung und Geſetzmäßigkeit, die zu ſeiner Zeit 
im Kirchſpiele herrſchend wurde. 

Unter den Kollecten ſind nur folgende von allgemei— 
nerem Intereſſe: 

1757. Für die Garniſonskirche in Kaſſel 2 fl. 
1759. Zur Reparatur der bei der Bataille zu Bergen 
ruinirten Kirchen-, Pfarr- und Schulgebäude 1 fl. 30 Kr. 

Sodann hebe ich aus den Kirchenrechnungen noch 
folgende Poſten heraus: | 

1763. Zur Mufif beim Friedengfeft, wozu die Ge— 
meinte tie Hälfte Keften gegeben 2 fl. 1764. Zu Smi. 
hochf. durchl. glücdl. Ankunft und Regierungsantritt zu 
Hanau verwentete Koſten 1 fl. 

Ich übergehe der Kürze halber hier vieled, jenen 
Zeiten Eigenthümliche, aus dem man erfehen kann, daß 
ed, troß aller Schwarzjeherei, Loch in gar vielen Stüden 
ſchöner und befjer in der Welt geworden ijt, und will bier 
nur ncch Etwa aud dem Presbyterial-Protokoll nachtragen, 
was fich nicht wiederholt hut. 1776. „Auch muß zum 
immerwährenden Antenten merken, daß Ihro Hocfürftl. 
Durchl. der Herr Landgraf Wilhelm, Erbpring von Hefjen- 
Caſſel, unßer durchl. Landesfürit, ven 2. Juni morgens 
nach 9 Uhr von Wallroth hier angekommen. Höchittiejelben 
wurden vom Pfarrer mit einer Anrede und Darauff erfolgten 
Bivatrufen von ter ganten gemeinde unter Dem geläuth 
der gloden freudigft empfangen, und nachdem Sie vor dem 
Forſthaus ein wenig abgejtiegen, ritten Sie nach Reinhards 
und famen nach etwa 1 jtunde ebenfalls unter dem geläuth 
der glocken wieder hier Durch nach Kreſſenbach, Breidenbad) 
und Steinau.“ 

Pfarrer Lenk ftarb dahier im 53. Lebensjahre, den 


\ 


81 


10. Dezember 1765, menſchlichem Urtheile nach zu früh 
für's Wohl feiner Familie und der Gemeinde. Zu felnem 
Lobe fei bier noch bemerkt, daß fich unter ven Rejolutionen 
bei den Kirchenvilitationen nicht eine findet, au8 ber 
hervorgienge, daß die Herren Bifitatoreß bei ihm irgend 
etwas nicht in Ordnung gefunden hätten. Vom 1. Januar 
1744 bi8 dahin 1766 war die Durchſchnittszahl der Getauften 
13. In den zehn erften Jahren feiner hiefigen Wirkjamteit 
wurden 5 uneheliche Kinder geboren, in den zwölf folgenden 
und den zehn erften feines Nachfolger feine mehr. Kopulirt 
wurden jährlich 3 bis 4 Paare, darunter war einmal ein 
Pärchen, das bereits Enkel hatte, ein.andermal ein Bräutigam 
von noch nicht 17 Jahren. Begraben wurden durchſchnittlich 
10 Berjonen. 

47) Auf Pfarrer Kent folgte im Juni 1766, nachdem 
er zuvor 17 Jahre in Wallroth geſtanden, Johann Peter 
Sufnagel. Er ift der einzige biefige Pfarrer, der in 
Bolge eines allgemeinen, und zwar allerhöchften, Beſchluſſes, 
nicht durch den Guperintendenten in der Kirche, jondern 
durch den Amtmann auf dem Kirchhofe, der Gemeinde 
vorgeftellt wurde. Die Schultheißen wurden, altem Brauche 
nach, der Gemeinde ebenfalls Durch den Amtmann unter der 
noch ftehenden Linde vorgejtellt. 

Eine ſaubere, Iejerliche, ſehr feite und ſtets gleiche 
Handſchrift, die auf eine kräftige Konititution und große 
Ordnungsliebe hinweilt, aber zugleich auch Hinneigung zur 
Bequemlichkeit und Ruhe verräth, zeichnet Hufnagel aus; 
feine Einträge in die Kirchenbücher find leer an allen 
Bemerkungen und ermangeln fogar, befonder8 im Todten⸗ 
buche, der nötbigen Vollſtändigkeit und Beftimmtheit. Nach 
Allem, was von ihm vorliegt, jcheint ich dieſer Pfarrer 
auf die Lehrthätigfeit, wobei ihm doch vielleicht daß treffende 
Wort und der fittliche Nachdrud abging, beſchränkt und bie 
Erziehung verfäumt zu haben. Unter ihm famen die Privat- 
Genfuren auf, die feit Ente der 70r Sahre häufig (1782 


x. Band. & 


82 


jogar 13mal) erwähnt werden. Bei den Slirchenvifitationen 
wurden ihn die Haußvifitationen dringend empfohlen und 
ftet3 aufgegeben, auf Lehrer und Schulen ein wachſames 
Auge zu haben. Predbyterialiigungen wurden von Hufnagel 
jelten gehalten und der gewöhnliche Gegenftand der Ver— 
bandlungen war das Ab- und Zujchreiben von Kirchenſtühlen 
und lagen über Unordnung und Gebräng in den Kirchen 
wegen der Plätze — Dinge, womit man fich jet nicht 
mehr zu befafjen braucht. Der fittlihe Zuftand der Gemeinde 
war zur Zeit Hufnageld nicht der befte, namentlich als 
er älter wurde. Linehelicher Gefchlechtöverfehr war ziemlich 
allgemein und Fälle von Ehebruch find namhaft gemacht; 
Ruhe und Andacht fehlte in der Kirche während des Gottes⸗ 
dienfted; Kirchenrüger und Xelteften thaten ihre Schulvigfeit 
nicht, „ihr Amt war ihnen weiter nichts, denn ein bloßer 
Schein”; der Beſuch der Kirchen, namentlih an Bettagen, 
war ſchlecht und er klagte (1785) „Daß die Feier dieſer 
Zage nit mehr wie vordem“, und „vier Männer und 
einige Weiber” waren an folchen Tagen oft feine ganze 
Zuhörerſchaft; ein fcheinheiliger und betrügerifcher Sinn 
fing an in der Gemeinde herrfchend zu werden, jo daß fich 
jelbft große Bauern nicht ſchämten, dem Lehrer unter die 
zu liefernde Beſoldungsfrucht „gedörrte Kartoffeln und 
Hafer” zu miſchen. In manden Stüden ift ed inzwijchen 
viel befjer geworden, und ift Hoffnung vorhanden, daß e8 bei 
den anderen auch nicht jo bleibt, wie e8 dermalen noch ift. 

Die von den vilitirenden Herrn Superintendenten in 
dag Presbyterial-Protofol eigenhändig eingetragenen Reſo— 
Iutionen betreffen faft ſämmtlich die Hebung der Schulen und 
beffere Handhabung der Kirchenzudt. In Verwaltung des 
Kirchenvermögens zeigte ſich Hufnagel als jehr treu und 
tüchtig; e8 hoben fich die Kapitalzinjen von 30 auf 44 fl. 
und wenn er al8 Pfarrer nicht gleich erfolgreich gewirkt bat, 
jo mag das weniger an feinem guten Willen, als an feiner 
Begabung, den Zeitverhältniffen und dem höheren Alter 


N 83 


gelegen haben, in welchem er fein hieſiges Amt antrat. Zwei 
Einträge Hufnageld will ich bier zum Schluffe mittheilen, 
Die vielleicht manchem Leſer ein Lächeln abgewinnen, jeden 
falls aber charakteriftiich für die Zeit find. 

„1793. Wurde (auf höheren Befehl) bei verfammeltem 
Presbyterio gefragt: ob folche Leute in der Gemeinde wären, 
welche die irrige Meinung hegten, man hätte feine Obrigfeit 
nöthig, ſondern könnte als ein freied Volk leben? Antwort: 
Sie wühten Niemand.“ | 

„In diefem 1793ten Fahr, und zwar .den 22. Juli 
iſt die Stadt Mainz, nebſt dem gegenüberliegenden Städtchen 
Kaſtel und Veſtung, welche die Franzoſen 9 Monate lang 
mit Bewilligung vieler det Mainzer Bürgerſchaft, welche 
fie hereingelaſſen, beſeſſen und auf Veranſtaltung des fran⸗ 
zöſiſchen Generals Cuſtine ringsherum mit vielen Schanzen 
und Gräben ſehr wohl befeſtigt hatten, von der kombinirten 
deutſchen Armee, worüber der König von Preußen, Friedrich 
Wilhelm II. das Hauptkommando geführt, mit Akkord erobert 
worden, nachdem vorher dieſe beiden Orte durch ihr ſtarkes 
Bombardement größten Theils über den Haufen geſchoſſen 
und verbrannt worden, wobei die Garniſon, welche aus 
12,000 Mann beſtanden, den freien Abzug erhalten und 
mit dieſer Condition in ihr Land bis nach Metz eskortirt 
worden, daß ſie in einem Jahr nicht wieder gegen Deutſchland 
und die kombinirte Armee dienen ſollte. Ehe aber dies 
geſchehen, hatten die tapferen Heſſen die Franzoſen aus den 
Dorfſchaften der Unter-Grafſchaft Hanau und auch aus der 
Stadt Frankfurt, die ſie eine Zeit lang beſetzt und übel 
Darin gehauſt hatten, mit unerjchrodenem Muthe und großem 
Ruhm herausgeichlagen und alfo das Laud von diefem 
Unkraut wiederum gefäubert, weswegen hernach auch ein 
dffentliche® Dankfeft im ganzen Lande gehalten und über 
die Worte 1. Sam. 6, 12: „Bis hierher hat uns der 
Herr geholfen" gepredigt wurde.” 

Pfarrer Hufnagel fturb dahier in feinem 82. Lebens⸗ 

6* 





84 


jahre den 8. November 1796. Während jeiner 31jährigen 
Dienftzeit wurden turchichnittlich im Jahre 13—14 Kinder 
(und im Ganzen 23 uneheliche) geboren, 3 Paare getraut 
und 8 Rerjonen begraben. 

18) Nah ihm bezog Georg Wilhelm Rari- 
milian Schlemmer von Wallrotb aus, wo er längere 
Zeit fegensreich gewirkt, die hiefige Pfurriielle. Die Hand 
ſchrift Pfarrer Schlemmerß ift rein, gleichmäßig, feit und 
ſcharf; fie weijet zwar durch unnöthige Schnörkel auf jovialen 
Sinn und einige Eitelkeit hin, verräth aber zugleich einen 
treuen und feften Charakter, der getrojt feinem geitedten 
Ziele zumwandert. Seine Einträge in die Kirchenbücher find 
genau, vollftändig und lafjen nicht? zu wünjchen übrig, 
ebenjo die Presbyterial-PBrotofolle, aus dieſen erjiebt man 
die Art feiner Amtsführung und den Geiſt der Gemeinde 
jehr deutlih. Die Kirchenrüger verjahen ihr Amt fchlecht, 
eigentlich gar nicht, die Kirchenälteften waren faumjelig. im 
Beſuch der Sikungen, die oft aus Mangel an Theilnahme 
gar nicht gehalten werden konnten: beide führte Schlemmer 
durch ernite und wiederholte Mahnungen zu ihrer Pflicht 
zurüd. In der Gemeinde war der frühere, zügellofe 
und audjchweifende Sinn, wogegen Pfarrer Lentz fu erfolge 
reich angekämpft hatte, wieder in voller Blüthe; nächtlicher 
Straßenlärm, bejonder8® Samjtag und Sonntag Abends, 
verbunden mit dem Abfingen unzüchtiger Lieder, war an 
ber Tagesordnung; unehelihe Schwängerungen waren nicht 
jelten: gegen al’ dieſen Unfug jchritt Schlemmer, troß 
der unruhigen und gefahrvollen Zeiten, in die feine hiefige 
Wirkſamkeit fiel und mo er mehr wie ein Mal perfünlichen 
Unbilden ausgejegt war, durch Wort und That nachdrüdtich 
ein und jcheute ſich nicht, den firafenden Arm ter..welts 
lichen Obrigkeit zu Hülfe zu rufen, wo feine ſeelſorgerliche 
Zhätigkeit verachtet wurde. Er befolgte den Grundjag: 
wer nicht hören will, muß fühlen! und zeigte fich darin 
ebenſoſehr als Menjchenfenner wie al8 Menfchenfreund, 





85 


Der große Haufe, zumeilt auf dem Lande, ftellt: große 
Kinder vor, die nicht nach Weberlegung und: Bernunft, 
ſondern nach finnlichen Eindrüden handeln, und fo lange 
man Kindererziehung noch für nöthig findet (und die iſt 
leider nirgends fchlechter al8 gerade beim Landvolk), wird 
man auch der Zucht in Diejen Kreifen nicht entbehren 
fönnen. Sein Hauptaugenmerk richtete Pfarrer Schleminer 
auf Lehrer und Schulen und führte über feine Schulbefuche 
ein eigened, noch vorhandenes, Protokoll, woraus man fieht, 
wie angelegen er diefen Theil feine Amtes fich fein ließ. 
In Abwartung des Gsttesdienftes, in Handhabung - der 
Sabbathsordnung und Kirchenzucht, bei Verwaltung des 
Kirchenvermögens, war er pünktlich, fireng und gewiſſenhaft! 
und wirfte, wie die Kirchenviitationen: und die auf feine 
Amtsführung zunächſt folgenden Jahre beweiſen, . höchft: 
erfolgreich Duhier, Bei drei auf einander folgenden Bifitae: 
tionen brüdte der Herr Superintendent feine Zufriedenheit, 
was vorher noch nie gejchehen wur, in erhöhten. Mae. 
und mit gefteigerfem Wohlwollen aus und fagte bei der: 
legten 1805: „Sch habe hier, ſowohl in. Kirchen- als 
Schulfachen, Alles jo befunden, daß ich Urfache habe, wohl 
zufrieden zu fein und wünjche dem Herrn Pfarrer Echlemmer 
zu ferner gejegneier Amtsführung allen göttlichen Segen,“ 
Gegen das Ende von defjen hiefiger Wirkſamkeit fing ein: 
bejjerer Geift an heimisch zu werden; die Zahl der un⸗ 
ehelichen Geburten verminderte fich, und noch unter feinem. 
Nachfolger kommen zu Anfang ein paar Jahrgänge ohne: 
lolhe vor; troß der Kriegsunruhen nahm, wie man das 
an der erhöhten Einnahme durch den Klingelbeutel und. 
an den verminderten Anfprüchen der Armen an die Kirchen 
kaſſe deutlich wahrnehmen kann, der Wohlftand zu. Einen. 
engherzigen confejlionellen Standpunkt hutte Schlemmer 
nicht, wie das aus der DBerwilligung von 1 fl. aus der: 
Kicchenkaffe an eine Jüdin zu Kleidern für ihre Kinder‘ 
hervorgeht, Bon, zu feiner Zeit erhobenen, Kollecten .ift. 


86 


nur eine von bejonterem Sintereffe: „1806 Stollecte für 
die bei Ulm verunglücte Familie von Berges auf Erlaubniß 
fürftlicder Regierung erhoben, in Betrag von 1 fl. 26 Hr.“ 

Schlemmer wurde von bier nah Steinau befördert 
und fiedelte dahin über im October 1808. Während feiner 
zwölfjährigen Anıtsführung wurden jährlich 4 Paare getraut, 
21 Kinder getauft (und im Ganzen 12 uneheliche) und 
15 Todte begraben. 

19) Johann Adolph Horft bezog hierauf alsbald 
die hiefige Pfurrftele. Was von ihm Schriftliche vorhan- 
den ift, wirft fein rofenfarbiges Licht auf feine Bildungsftufe 
und Amtswirkfamfeit. Seine Einträge in die Kirchen- 
bücher enthalten manches Ueberflüſſige, das Nöthigſte 
fehlt aber Häufig und find vft jo beichaffen, daß damit 
gar nichts zu beweiſen ift; erft vom jahre 1843, wo er 
einen Vikar befam, find fie in gehöriger Weile bewirft. 
Die Ordnung, die fein Vorgänger in Die ganzen pfarr⸗ 
amtlichen Gefchäfte gebracht, wurde von ihm. nicht weiter 
gehandhabt, Ueber Einwirkung auf Lehrer und Schulen 
findet fih nicht die geringfte Andeutung. Presbyterial⸗ 
Sitzungen fanden nur bei außerordentlihen Fällen ftatt 
und hörten endlih ganz auf; eben fo die Bußprotokolle. 
Leider! fanden auch nicht mehr, wie früher, die worjchriftg- 
mäßigen Sirchenvifitationen ftatt und fo gibt das Vor⸗ 
hundene, wie daS Fehlende, Zeugniß, daß ein Menfchen- 
alter hindurch bier nicht im Geifte der reformirten Kirche 
das Pfarramt ift verwaltet worden. Mit Zahlen läßt fi 
bemeifen, daß der fittlihe Zuftand der Gemeinde Hinter: 
fteinau bei dem Amtsantritt Des Pfarrers Horft ein weit 
bejjerer war, als bei feinem Austritt, und wenn ich irgend 
welche Zweifel über die Heilſamkeit der Kirchenzucht in 
gewiſſen Kreifen hätte haben und hegen können, jo 
wäre ich Durch Die Reſultate, welche die biefigen Kirchenbücher 
nachweijen, gründlich eines Beſſeren belehrt worden. Im 
Berfehre mit feinen Pfarrkindern ftellte fich Horft fd ziemlich 


87 


denjelben gleich, er tft Daher noch heute eine populäre 
PVerjönlichkeit und wird gelobt al8 ein „guter Mann”, 
Die Bauern lieben e8, wenn man fidy zu ihnen erniedrigt, 
da brauchen fie fich nicht zu erheben. 

Unter den Nachtheilen des Krieges betont man haupt- 
jächlich auch den, daß er jo demoralifirend auf das Volk 
einwirfe und ich will vemielben damit feine Lobrede halten, 
wenn ich behaupte, daß er den außerehelichen Gejchlechts- 
verfehr nicht begünftige. Die hiefigen Kirchenbücher beweijen 
far und unwiderleglich, daß fo wohl die Zeiten des 30jäh— 
rigen wie des Tjährigen Kriegs eine Zunahme der unehelichen 
Geburten nicht zur Folge hatten. Und vergleiche ich vollends . 
bie 25 Jahre der franzöjiichen Kriege (1790-1816) mit 
den 25 Jahren des darauf folgenden Friedens, jo tritt ein 
Ergebniß zu Tage, was keineswegs zu Gunften der Sitt- 
lichkeit während des Friedens ſpricht. Im erfigenannten 
Zeitraum war das achtzehnte Kind ein unehelicheß, im letzteren 
(1816 —1841) daß fünfte. Der Ueberſchuß der Gebornen 
gegen die Gejtorbenen in dieſer Zeit ift hauptfächlich den : 
unehelichen Geburten zuzufchreiben; daß Diefe aber zum Flor 
einer Gemeinde beitrügen, wird Niemand behaupten wollen. 
Meine Erfahrungen belehren mich, daß der außereheliche 
Gejchlechtöverfehr auf dem Lande hauptjächlich durch den 
DBrantweingenuß befördert wird; berjelbe ift ein geführliche8 
Neizmittel für den Mann, in erhöhteren Maße aber noch 
für das Weib. Die Brantweinpeft hat hier arg gewüthet 
und Alle angeftedt, auch folche, welche Jungen und Alten 
Beiſpiele der Nüchternheit und Mäßigkeit hätten abgeben 
ſollen, und fie hat mehr zur DVerarmung beigetragen, als 
Krieg und Theuerung. Seit mehreren Jahren fängt ed an, 
auch nach dieſer Seite hin hier beffer zu werden und wird 
nicht der vierte Theil des verderblichen Startoffelfujels 
mehr getrunfen, wie vor 15 und 20 Jahren. Pfarrer Horft 
ftarb,, zurüdgezogen vom Amte, in feinem 81. Lebens— 
jahre, den 7. September 1847, 





88 


Den Zeitraum von da bi8 heute muß ich übergehen, da tie 
darin auftretenden Berfönlichkeiten ter Gegenwart angehören 
und will zum Schluſſe eine ftatiftifde Weberficht folgen 
laffen, ten „Seelenftand der Gemeinde -Hinterfteinau von 1596 
bi8 1847 betreffend.” 
































— Zeittraum Gehorene Getrtaute Geftordene 

Pr ihres „Amtes. 

Pfarrer, |ihtes A enetich, | ame |jänr-| im Jiäne-| im Jiänr. 
* ehldch.| Tich Ganj.) ih Ganzen | lich 











— — 























Geyder. 1596—1636| 630 5 16116 31542 13 
Vakanz-Zeit. [1636—1656| 75 | >35! 11 —| - 
Werner. 1656—1665| 52 12| 1] 14| 1 
Kircher. 1665 - 1670 12 | 2 711 
Jeckel. 1670 - 1678 15! 2| 55| 7 
Petri, 1678 —1682 4| 1| 15| 4 
Appel. 1682 — 1686 13| 3| 511 5 
Kerften. 1686— 1688 ae ein 
Scaffnicht. |1688—1690 J ———— 
Frant. 16901724 so alıoo| 6 
Repp. 1724—1730| 15| 2] 36| 6 
Kochendörfer. 11730— 1744 141 31 126| 9 
Lenk. 1744 - 1766 79| 3] 220 | 10 
Hufnagel. 1706 -1797 971 3127518 
Schlemmer. |1797—1809 51| 4| 186 | 15 
Horſt. 1809 — 1847 | 6] 612 | 16 
250 Sabre. 2310 








89 


NAachtrag 


von Dr. G. Landau. 


Dem Vorſtehenden füge ich noch einige ältere Nach: 
richten über Hinterfteinau zu. Daſſelbe lag im Salgau, 
welcher fich auch noch über die Mark von Flieden ausdehnte, 
und bildete mit feiner weftlichen Gemarfungsgränze zugleid) 
die Gaugränze gegen die Wetterau, die in der Steinau- 
hinab zur Kinzig 309. Den Namen finden wir zuerft in 
einer Grängbefchreibung vom Jahre 900. Darin heißt es: 
usque in'Cressenbach indequoque in Steinaha et de 
Steinaha usque in Kincicha*). Indeß fcheint hier nur vom 
Bache die Rede zu fein; jedenfalls bleibt es zweifelhaft, 
ob auch das Dorf fhon vorhanden war. Dieſes lernen 
wir ficher erft 1118 fennen, als die Abtei Schlüchtern darin 
einige Güter erwarb. Bei diefer Gelegenheit wird es 
Steinahoa genannt. (S. Beil. 1). Im Jahre 1144 
findet e8 fich unter dem Namen Stennaha (Beil 2) und‘ 
1167 hatte e8 bereits eine Kirche. Als damals der. Bilchof 
Gerold von Würzburg, unter deffen Diözeſangewalt Hintere. 
fteinau fand, die Befigungen der Abtei Schlüchtern be> 
ftätigte, werben Darunter auch aufgezählt Parochia adiacens 
claustro, cum basilicis, quarum nomina sunt Steinaha, 
Elmaha, Cressenbach et decimis **). Wir erfennen Daraus, 
daß damals die Kirchen zu Hinterfteinau, Elm und Krefjen« 
bach noch eine Pfarrei bildeten, weiche bereit der Abtei 
Schlüchtern zuftand, 

Wie die Pfarreien, fo beſaß die Abtei Schlüchtern 
auch die Gerichtöbarkeit im Gebiete von Schlüchtern und 
namentlicy auch in dem dazu gehörigen Gebiete von Hinter- 


*) Dronke, Cod. dipl. Fuld. Nr. 647. Bergl. Yandau, Be- 
Ichreibung des Gaues Wettereiba S. 130, 

**) Wench, Heſſ. Kaudesgefchichte I. Urk,-®b. ©. 289, berichtigt nach 
einer beſſeren Abjchrift. 





90 


fteinau. Die höhere Gerichtsbarkeit übte fie jedoch durch 
ihre Schirmvögte aus. Died waren in ältefter Zeit die 
Grafen von Grumbach, welche wuhriheinlid auch Die 
Stifter des Klofterd geweſen find. Doch findet ſich fpäter 
nur die Linie zu Rothenfels im Befite der Bogtei, welche 
fie von den Biſchöfen von Würzburg zu Xehen trug. Als 
diefe umd Jahr 1243 im Mannsjtamme mit Albert aus⸗ 
farb, 'ging nur die Hälfte der Vogtei auf deſſen Tochter 
Adelheid über, die andere Hälfte gelangte Dagegen an Würz⸗ 
burg, wie? ift indeffen unbelaunnt. Biſchof Hermann über- 
trug dieſelbe 1243 jür 200 Mark an Albert Herrn von 
Zrimberg, welchem er dieſe Summe für Kriegsdienſte ſchul⸗ 
dete, Die derjelbe ihm gegen Fulda geleijtet hatte*). Alberts 
Entel Konrad gab in Gemeinjchaft mit feinem Schwager 
dem Grafen Hermann d. j. von Henneberg 1284 Güter 
zu „Hungerſteynau“, weldye fie erfauft und von Würzburg 
zu Lehn hätten, dem Klofter Schlüchtern**). Worin dieſe 
Güter beftanten, wird nicht gefagt. Derjelbe Konrad 
verkaufte 1304 ebenwohl tem Klofter für 100 Pfund Heller 
advocatiaım super villam Hohencelle et homines ibideın, 
cum iurisdiclionibus, iudiciis, orlis, pratis etc. welche Eigen 
thum des Kloſters feien und er von Würzburg zu Lehen 
trage. Im nächſten Jahre geihah daſſelbe auch mit tem Hof 
(curia) und ter Vogtei zu „Hungerſteynaha“ oder wie jich 
die Iehnsherrliche Bewilligung des Biſchofs von Würzburg 
ausdrückt: advocalia super villam Hungersteina et homi- 
nes ibidem cum iurisdictionibus, iudiciis etc. und feiner curia 
daſelbſt. Für die Vogtei erhielt er 279 und für den Hof 
30 fund Heller ***). E8 waren dies jedoch feine wirklichen 
Verkäufe, fondern nur Verpfändungen, und eben fo wenig 
umfaßten fie den ganzen trimbergijchen Beſitz, Darum finden 
wir auch fpäter Des Verkäufers gleichnamigen Sohn nod) 
*) riefen, Würzburg. Chron. ©. 571 b. 


++) Orig.Urk. 
*##) Ungedr. Urk. 


91 


hier begütert. Derſelbe gab 1369 dem Knappen Heinrich 
von Mörle gen. Böhm für feine ihm geleifteten Dienfte 
zu Mannleben „zu Brezel was da in unjerm Gericht ge= 
legen iſt als der Mulngrabe uß der alden Bach vff die 
Moin geet vnd als der Ezune vnd Grabe fürbaß vmb 
Brezel gehet vnd daz he geweßelt hait vmb dem Stift zu 
Sluchter und vmb Voude (D vnd daz in daz Dorff Kleß⸗ 
pergk gehort hait mit Gericht vnd mit Buße, mit Gebote 
vnd mit allen Nugen, Gewohnheyden und Rechten ).“ Es 
iſt dies derjenige zu Urzel gehörige Theil, welcher im 
Salgaue lag. Als nun im Jahre 1376 mit dem letzten 
von Trimberg das Geſchlecht ausſtarb, fiel das Lehen von 
Hinterſteinau dem Stifte Würzburg heim. 

Was die andere Hälfte betrifft, welche auf Albert's 
von Grumbach Tochter Adelheid übergegangen war, ſo 
hatte dieſe dieſelbe ihrem Gatten dem Grafen Ludwig 
von Rieneck zugebracht. Von beiden erbte ſie auf ihre 
Tochter Eliſabeth, verehelicht an Ulrich Herrn von Hanau, 
bei deſſen Nachkommen dieſelbe dann auch blieb. Uebrigens 
hatte ſchon Ulrichs Vater Reinhard Herr von Hanau 
Erwerbungen zu Schlüchtern gemacht. Er hatte vom 
Klofter 1274 daſelbſt capellam s. Laurencii et domum, 
que domus hospitum nuncupatur, cum area circa ipsas 
sita erhalten **). Daß Eliſabeth allein in den Belig der 
Vogtei gelangt war, berubte ficher auf einem Theilungs- 
vertrage mit ihren Geſchwiſtern. Doch auch ihr Bruder 
der Graf Ludwig von Riened gelangte wieder zu Belikuns 
gen in Schlüchtern und deffen Umgebung. Nachdem näm— 
lich Die Edelherren von Brandenftein ausgeftorben waren, 
gab ihm der Bilchof von Würzburg 1307 deren Leben in 
Drandenftein, Schlüchtern und anderwärts ***), Er behielt 
dieje Lehen jedoch nicht lange, vielmehr verfuufte er biefel- 

*) Alte Abjchrift. 


**) MWend, Heſſ. Landesgeſchichte 27. Bd. II. S. 207. 
*s*) Archiv des hiſt. Vereins für den Untermainkreis II S. 28. 








92 


ben fchon 1316 feinem Echweiterjohne Ulrih Herrn von 
Hanau *). Als dann 1376 auch die Trimberger ausſtar⸗ 
ben, trat Ulrichs Sohn Ulrich mit Würzburg in Unter- 
handlungen, um deren heimgefallenes Lehen zu Schlüchtern 
zu erwerben. Dies führte 1379 dahin, daß er dem Stifte 
Würzburg das Schloß Buttert abtrat und er Dagegen mit 
den Schlüchtern'ſchen Gütern der Trimberge belehnt wurde, 
Es wurde jedoch dabei beftimmt, daß dem Klofter Schlüch— 
tern fein Nachtheil an dem Dorfe „Hungerfteina” daraus 
erwachſen follte, vielmehr daſſelbe dieſes Dorf auch ferner 
in der gleichen. Weife befigen folle, wie e8 ihm von Würz⸗ 
burg und den von Trimberg verfchrieben worten ſei. Nur’ 
jollten ftetS zwei Schöpfen von „Hungerfteina” mit in dem- 
Gerichte zu Schlüchtern fiten *9. Auch verfchrieb zu gleicher 
Zeit der Abt von Schlüchtern dem Herrn von Hanau 
die Oeffnung an feiner „Kemenaden und Huz gelegin in 
dem Dorffe Hungerfteyna.” Dabei wurde jene Beſtim— 
mung in Bezug auf die Gerichtöverhältniffe wiederholt. 
Es heißt nämlich in der betreffenden Urkunde wörtlich: 
„Auch ſollen alle wege nit mehir dan tzwene Scheffen 
uß dem Dorffe Hungerfieyna zeu Gerichte ‚gehen geyn 
Sluchter alle Gerichte und wan esß Noydt ijt, die de 
jollen helffen Vrteyle teylen vnd ſprechen an Gericht 
als ander Echeffen zeu Sluchter. Auch en jollen diejelben 
Sceffen von Hungerftegn nydt anders vorbrengen vnd 
rügen an Gerichte zeu Sluchter, daß Hungerftegn angeht, 
dan daß flyßgende Wunden und Hals vnd Heubt anreimret, 
Darvber Der genante vnſer Herre vnd Ion Erben han zu 
richten vnd anders nyt ++). 


2) Daſ. S. 29 u. 30. Kopp, Proben bes deutſchen Lehnrechts 11 ©. 83, 
Mittheilungen des Hanauer Bezirksvereins für heſſiſche Geſchichte 
und Landeskunde 1. u. 2. S. 106. 
**) Alte Abſchrift. 
+#*) Alte Adichrift, 


93 


Hinterfteinau bildete, wie wir ſehen, ein mit feiner 
Pfarrei’ zufammenfallendes .Untergericht, in welchem ver 
Abt die Gerichtsbarkeit hatte, das aber in allen peinlichen 
Sachen an das Vogtgericht zu Schlüchtern gehörte *). 

Später verpfündete das Klofter Dorf und Kemnade 
Hungerfteina an die Brüder Reinhard und Johann Herren 
von Hanau für 600 Gulden. Nachdem aber Reinharb's 
Gemahlin und auch fein Bruder geftorben waren, gab 
Reinhard 1411 die Pfandichaft zurüd und beſtimmte Die 
Pfandſumme zu einem Seelgeräthe für beide im Kloſter 
zu Schlüchtern **). Ä 

Die Zuftände des Kloſters waren indeß immer mehr 
herabgefommen und ſchon waren viele feiner. Befitungen 
dadurch verloren gegangen. Auch 1480. ſah es ih _ 
gendthigt, wiederum „das Dorffe Hungerftegna und die 
Moftenunge zum. Reynharts“ zu verfeßen. Es geſchah dies 
an Walter von Mörle genannt Böhm, und. zwar mit 
Zuftimmung de8 Grafen Philipp d. j. von Hanau. Der 
leßtere bemerft dabei, da beide in feinem „Gerichte, Lande, 
Schutze und Schirme gelegen” follten ftet3 zwei Schöpfen 
aus Hungerfteina dem Gerichte zu Schlüchtern beitvohnen 
und Recht fprechen, und zwar in derſelben Weiſe, wie dies 
Ihon oben angegeben worden if. Er will auch feine 
Deffnung zu Hungerjteinga haben, als nur im alle der 
Noth, und aud dann nicht? „daraus oder Darin” thun ***), 
Während des Pfandbefiges der von Mörle. ftiftete. eine 
Tochter derjelben, verehelicht mit Georg Brendel. nor 
Homburg, Die Kapelle zu Klesberg +). Wie lange. nie 
Verſatz dauerte, ift mir nicht befannt. 

Beigte ſich ſchon in der vorbin gedachten Urtune 
des Grafen Philipp von 1480, daß der Vogt bereits zum 


*) Ueber die bei feiigen Berechtigungen zu Schluchtern ſ. ®. \2 
diefer Zeitſchrift S. 479 ıc. 

**) Orig.⸗Urkunde. — —8 Desgleichen. 

7) Urkundliche Nachricht, 





94 


Landesherrn geworden, fo tritt dies noch fchärfer in dem 
Bertrage hervor, den die hanauiihen Grafen 1496 mit 
dem Kloſter abſchloſſen. Das Kloſter gab das ihm verjeßte 
trimbergifche Gericht zurück, ohne auf .die Zahlung der 
Pfandſumme Anſpruch zu machen. Die Wälder follen 
gemeinjam fein und die Grafen einen Knecht zu Hunger- 
fteina zur Erhebung des Zolles halten. Dann wird bemerkt, 
daß Hungerfteina nicht ins trimbergijche Gericht gehöre 
und daß die Grafen daſelbſt bei der Obrigkeit und der 
Jagd bleiben follten. Auch wird die Verpflichtung des 
Dorfes zur Mitbefegung des Gerichts zu Schlüchtern wieder⸗ 
holt, Doch mit der Beſchränkung, daß died nur bei zwei von 
den vier Gerichten gefchehen ſollte. 

Der Uebergang zur vollen Landeshoheit war ſonach 
Schon mehr als angebahnt. Die Kirchenreformation vollendete 
dieſelbe. Erſt jpüt ging der Name Hungerjteinau in 
Hinterfteinau über. | 


1. 
Vezecha macht mit Hüfern zu Hinterfleinau und Rlesberg 
der Abtei Schlüchtern eine Schenkung. 
1118. 


Universis longe lateque congregatis in Christo fide- 
libus pateat radix- firma tradicionis huius, quam matrona 
quedam Bezecha nuncupata post defunctorum exegit 
lameuta parentum, patris quoque Ebbonis ac matris 
Gnanne fratris vero Adeberti, celerorum . quoque 
posteritate sibi relicta. Ea que ab eis suscepit pro animabus 
eorum sollicita continua pietate commota quicquid in vicis 
istis Steinnahoa*), Clefesberge**) dietis ad se 
predii dono pertinuit cum agris et pratis, saltibus fructibusque 
ex his germinantibus ad sacram beate semper virginis Marie 


*) Hinterſteinau. — **) Klesberg. 


95 


Siutherin obtulit devota mente aram. Insuper et servum 
tradidit nomine Adelwardum, ut tantum annis singulis 
solvat se duobus numis. Sed hec plenissime excipienda, 
quia quam diu in hoc ipsa exstiterit viva vita, nullatenus 
horum privetur qualicunque de causa exceplo censu supra- 
dicto, quin libere ei absolute ex his solatia suppeditentur 
vite. Nec. de condictu silendum est nequaquam licitum esse 
cuiuscunque potestatis et ipsius loci abbatis cuiquam ex 
his aliqua tribuenda vel accomodanda, nisi fratribus sub- 
sidia tantum largienda. Facta sunt hec MCXVIII regnante 
Heinrico IIII. romano imperatore. Sub Erbingo presule 
Wirciburg., Vuortwino abbate presente Solitariensibus 
presidente .ubi hec fucta memorantur. Hi testes astant 
fratres eiusdem monasterii Ebbo, Wicen, Sigifrid, 
Alarh, Walter, Hildibrant, Heinricus, Ebbe- 
linus. Clientes loci ipsius Aleginh,, Diemo, Gerbunc, 
Benno, Vudlrad, Bumolf, Helphob et cives plurimi. 
Adebraht, Dumolf, Eberhard, Azeman, Almar 
aliique plures. (Nach einer Abichrift.) 


VIII 





Il, 
Dos Rloſter Schlüchtern thut eine Hufe zu JHinferfleinau 
auf 3ins aus. 
1144, 


Memoriis omnium, qui cognoscere queunt, tradere 
curamus qualiter a fratribus huius congregationis per 
manum domini Walteri prioris assensu donini Mance- 
goldi abbatis miles quidam nomine Hugo, unus mini- 
sterialium huius ecclesie, mansun unum in pago Sten- 
naha *) situm possidendum suscepit pro quo, ut singulis 


*) Es ift dies nicht die Stadt Steinau an der Kinzig, welche Damals 
noch nicht beftand, fjondern das der Abtei Schlüchtern zuftehende 
Dorf Hungerfteinau, jegt Hinterfteinan genannt. 


96 


annis in fesliuitate sancli Andree apostoli decem solidos 
decimationesgue persoluat firmissima paccione adhibitis 
suhnotatis testibus. in presentia fratrum etiam iuramento 
confirmauit. Si autem predictum censum infra epiphaniam 
.domini et designatam festiuitatem persoluere distulerit 
omnis conuentio huius tradilionis cassata erit ipseque 
fundus ab eius ditione liber in usu monaslerio remanebit. 
Liberi quoque eius post obitum ipsius, si obtinere ipsum 
mansuın uolunt, omnia secundum hanc descriptionem ad- 
implebunt, Ad confirmationem uero huius paccionis II 
ministeriales huius loci se ipsos uades partesyue suorum 
beneficiorum dederunt predictamque pecuniam si prefalus 
homo infra condictum tempus dare neglexerit pro sui 
absolutione spoponderunt. Horum primus nomine Gozu- 
uinus dimidium ınansuın in prescripta uilla designauit, 
secundns Rabinoldus etiam dimidium in pago qui 
wocatur Gumprahtdis *), tertius quoque Walterus 
medietatem ınansi in üilla que Hundisrucge **) dicitur, 
quartus uero Grifro nominatus in uilla que Zeimrodo***) 
est dicta dimidium mansum ut prefati ob istam confir- 
mationem constituit. Huius eliam paccionis plures testes 
affuerunt scilicet fratres onınes huius congregationis seniores 
cam iunioribus: simulgue cuncti ministeriales cum plerisque 
mansionariis F) in eadem uilla conslitutis. Acta sunt hec anno 
dominice incarnationis MCXLIIH indictione VII, temporibus 
Cunradi gloriosi regis, sub Embrichone uenerabili- Erbi- 
polensi episcopo, in presentia domini Manegoldi abbatis. 


*) Der Hof Gomfritz bei Schlüchtern. 

*#) Der Hof Hundrüd bei ber Stabt Steinau. 
*+*) Iſt mir unbefannt, 

:+) Weber dem Worte mansionariis ſteht colonis. 


97 


III. 


Leben und Thaten des Johann Winter 
von Güldenborn und ſeine Verdienſte um die 
gräflichen Häuſer von Yfenburg: Büdingen 

| und SanauMünzenberg. 





Fin edles Mannesbild und Zeitenfpiegel 
aus der Periode des dreißigjäßrigen Krieges 
von 


® W. Roeder 
in Hanau. 





Borwort, 


„Sin Sefchlecht vergeht, das andere fommt; 
aber Recht und Wahrheit bleiben ewig.“ 


Wenn die Geſchichtsforſchung und ihre allgemeine oder 
biographiiche Darftellung fich vorzugsweile mit den Leben 
und der ZThatengejchichte großartiger Geifter und Helden 
befaßt und dafür zunächft und am meiften lebhafte Theil- 
“nahme findet, jo ift das ebenfo natürlich als das Wohlgefallen 
daran erfreulich, weil Beides für den Sinn der Schriftiteller 
und Lefer zugleich zeugt, und das Vertrauen auf die Werth- 
Ichägung des Guten und fittlih Großen aufrecht hält. 

Doc unjere warme Theilnahbme und Hochſchätzung 
verdienen nicht minder die hiftorischen Bildniſſe ausgezeichnet 
wackerer Bürger, die ohne Kriegshelden, Staatenlenfer oder 
geiftige Weltleuchten zu fein, nur in engeren Lebenskreiſen 
und bier in ftiller und anfpruchSlofer, aber verbienftooller 
Thätigfeit als treue Diener des öffentlichen Gemeinwejeng, 
als aufopfernde Freunde verlaffener Hülfsbedürftigen und 
Schwachen, als unerjchütterliche, tbateifrige Vertreter des 


Band X. 7 


98 


bedrohten oder gefränkten Rechts gegen Willfür und Gewalt- 
triebe fich in guten Thaten ein Denfmal gejegt und den 
Lohn ihres Wirkens und Kämpfens in dem rein menichlichen 
Sinne für treue Pflichterfüllung gejucht und gefunden haben. 

Beide zum Zwed für Vorbild und Nachfolge 
aufgeftellt, jcheinen mir nicht gleichinäßig vom Bedürfniß 
gefordert zu werden. Das Genie und der eingeborene 
Heldengeift fuchen und finden auch ohne Äußere Vorbilder 
die Bahn und die Strebeziele ihre8 Ruhms; aber bei der 
Mehrzahl der Menſchen bedürfen die Erfenntniß und die 
Pflichttreue für edle Bürgertugenden weit mehr der Medung 
und Aufmunterung durch aneifernde Vorbilder, um in den 
Zeitgenofjen und Nachlommenden den Sinn und Muth zur | 
Nachfolge zu weden und zu flärfen und dadurch das Beſte 
in der Menjchennatur: die Treue gegen Das innere Geſetz 
der fittlicden Natur, was wir im Menjchen den Charakter 
nennen, zu beleben und fruchtbar zu bethätigen. 

Unfere Skizze will in dem Lebensbilde des Oberſt— 
lieutenant® Fohann Winter von Öüldenborn einen 
folhen waderen deutſchen Charakter, einen Kleinen bürger= 
lichen Helden und Kämpfer für zwei erlauchte Örafenfamilien 
unſeres Landes als Beilpiel eines aufopfernden und fittlich 
ftarfen Streiters für Necht und Freiheit feiner Mitbürger 
biftorijch vorführen und zwar aus einer Zeitperiode, wo die 
Begriffe von Necht und Unrecht in ihrem innerften Wejen 
ſo tief erfehüttert und veriworren waren, daß bei Mächtigen 
und Schwachen eine wüjte Verwilderung im Leben des 
Staat und der Kirche, in bürgerlichen, vaterländiichen 
und militäriichen Berufskreiſen faft alle beſſeren Gefühle 
überwuchert und das Menjchene und Volksrecht in die 
Gewalt fittenlofer Selbftiucht und frevelbufter Sigenmadt 
aufgelöft hatte, — 

Die Weltgefchichte, welche jo manche Periode wilder 
Stürmerei menjchlicher Leidenschaften und willfürlicher Ver- 
leugnung gejeglicher und fittlicher Rechtsverhältniſſe uns 


99 


porzuführen vermag, kann ung jchiverlich eine ähnliche Periode 
allgemeiner Zerfahrenheit im öffentlichen Leben des Staates, 
der Bamilie und der gejelligen Bande nachweijen, die in 
ihrem allgemeinen Grundton mit dem wüften Zeitcharafter 
des dreißigjührigen Krieges in der Entfeſſellung faft thies 
riſcher Gewaltstriebe verglichen werden könnte. Wohl zeigte 
und auch die franzöfiihe Revolution ähnliche Ausbrüche 
frevelhafter Leidenſchaft und Wütherei,, bier unter der Fahne 
der Freiheit und Gleichheit, wie dort unter der Firma für 
Glaubenseinheit und Kaiferrecht; aber fie hat neben ihren 
Verirrungen und ihrer Parteiwuth auch viele Glanzbilder 
von Begeifterung und Opferfinn für Vaterland und Freiheit; 
fie hat auch da8 Streben nach allgemeinem Fortjchritte zu 
neuen Geftaltungen des Staatslebens und Menſchenrechts 
auf ihrer Seite, während der dreißigjährige Krieg unter 
der Fahne des Religionseifers die Grundlagen der Gewiſſens— 
freiheit und des Glaubensrechts und damit die Fortdauer 
der unſichtbaren Kirche Gottes auszurotten und eine alls 
gemeine Menſchenknechtung herrſchend zu machen ſuchte, und 
den Frevel der Gewalt im Namen des Himmels aus einem 
göttlichen Auftrage zu rechtfertigen die kecke Stirne oder 
das geblendete Auge hatte. 

Es iſt eine wohlthuende Erſcheinung, daß wir in dem 
großen wehevollen Trauerſpiel jener Zeit das Lebensbild 
eines wackeren, in tugendhafter Geſinnung felſenfeſten Mannes 
herausheben können, der als Gegenbild jener ſchlimmen 
Zeitmoral dem Zuge ſeines biederen Herzens gehorſam, 
ſich in edlen Tugenden und ſtillem Heldenſinn der Treue 
und Pflichtnatur bewährte und in dieſer Thätigkeit, wiewohl 
im Kleinen, doch unverkennbar im allgemeinen Intereſſe der 
Menſchheit handelte. 

Schon einmal iſt unſerm Johann Winter von Gülden⸗ 
born von einem ſeiner Nachkommen ein öffentliches Denkmal 
geſetzt worden, als aus Pietät ſein Urenkel Philipp 
Chriſtian Ludwig Rößler im dahre 1751 in einer 





100 


ſchönen Dentrede deſſen Verdienſte um die Befreiung Ter 
Statt und de8 Grafen von Hanau feierte; da aber jene 
Rede nicht das ganze Feld feiner PVerdienfte umfaßte, fo 
finden wir darin den Antrieb, ein umfaſſendes Lebensbild 
zu verfuhen und dem waderen Manne faſt zweihundert 
Johre nach feinem Tode einen neuen Denkſtein auf leinen 
Namen und fein Grab zu feßen, nicht um feinem Andenken 
zu ſchmeicheln, ſondern um daffelbe bei ter Nachkommenſchaft 
neu zu eriveden. 

Mas unjerm Verſuche einen faft feltenen Beiwerth 
geben dürfte, ift der Umftand, daß wir zugleich feinen be= 
beutendften perjönlichen Gegner, den Ritter Jacob von 
Ramjay, zum Zweck einer gerechteren Beurtheilung in 
unjeren Kreis ziehen Dürfen, ohne dadurch die Verdienfte 
Johann Winter’8 zu jchmälern; wir hoffen -vielmehr den 
Werth beider Männer dadurch zu erhöhen. 

Beite Männer, fowohl Johann Winter als Nitter 
Ramjay, haben gleichzeitig auf unjerm hanauijchen Gebiet, 
jeder in anderer Art und zum Theil ald Gegner, in ruhm-= 
voller Weile fich ausgezeichnet. Wenn nach unferer Anſicht 
dag Verdienſt des Erfteren bisher nicht die volle verdiente 
Anerkennung in ter Gejchichte gefunden hat, Dagegen bie 
Handlungsmweije de8 Anderen zu viel unbedingten Tadel 
fich zuzog, und diefe Miffennung noch immer fich fortzieht 
turh Sage und Geichichte: jo ift e8 wohl gerechtfertigt, 
beide von einem neuen Standpunkte aus näher zu beleuchten, 
damit einem Seden fein gebührende8 Recht zu Theil werde. 

Den hiſtoriſchen Stoff und die Belege zu unferem 
Urtheil fchöpfen wir theils aus ber Gejchichte der beiden 
Grafenhäujer derer von Bjenburg-Büdingen und von 
HanauMünzenberg, tbeild aus den bhinterlaffenen 
Schriften des Johann Winter und anderen Papieren und 
Urkunden im Hausarchiv der von ihm in weiblicher Linie 
abitammenten Bamilie Rößler dahier. In Betreff des 
Ritter von Ramfay fügen wir ung, neben Pufendorf's 


101 


größerer Zeitgefchichte, mit Vertrauen auf die vortreffliche 
Arbeit des würdigen Kirchenraths Keller zu Sulzbach bei 
Soden „die Drangfale des naffauifhen Volkes 
und der angrenzenden Nachbarländer in den 
Zeiten Des 30jährigen Krieges ıc.“, welcher meift 
aus Archivalquellen und anderen Gejchichtichreibern jener 
Zeit viel Neues und Gediegeneß zu einer richtigeren Be— 
urtheilung des fchwediichen Eonımandanten von Hunau und 
dargeboten hut. 

Es kann nicht als Weitichmeifigfeit getadelt werden, 
daß wir umftändlic in Die Gejchichte von Hanau und 
Dienburg eintreten, weil ohne dieſe Zeichnung der Lage 
und Erlebniffe jener beiden Grafenhäufer weder Johann 
Winter noch Jacob von Ramſay anſchaulich geichilvert 
werden könnte. Es ift und hierbei auch nicht blos um den 
einzelnen Mann zu thun; wir wollen auch ein Zeit- 
bild darbieten, worin Johann Winter allerdingd den 
Vordergrund einnehmen, Doch rings um und mit ihm die 
Geichichte des hiefigen Landes zugleich auftreten fol. Die 
Delege über die Hauptpunfte werben wir in wenigen Noten 
anfügen, um nicht in allzu Äängftlicher Beweisführung über 
Gebühr weitichweifig zu werden. 


Herkunft und Gefchlecht des Johann Winter 
von Güldenborn. 

Die Altere Geſchichte des um die beiden gräflichen 
Dynaftenhäufer von Wienburg = Büdingen und Hanau— 
Münzenberg hbochverdienten Winter von Güldenborn 
führt und rückwärts auf urfundlidem Boden kaum über fein 
Geburtsjahr mit einiger Sicherheit hinaus, ſodaß er einerfeitg 
als homo novus d. h. als Begründer und andererſeits faft 
als Schlußpunkt de8 Familiennamens erſcheint, weil kurz 
nach ihm ſein Geſchlecht in der männlichen Linie erloſch. 








102 


Sowohl in handſchriftlichen Zamilienichriften als im 
tem Kailerlihen Adelsdiplom vom 13. Tecember 1638, 
ausgefertigt und vollzogen ren Kailer Ferdinand III., wird 
als Berfjabr ein Cunz Winter genannt, Tejjen wie jeiner 
Nachkommen Name abweihent balt „Winter“, tann aber 
auh „Winther- geichrieben wirt. Außerdem iſt ebenio- 
wenig jeilgeftellt und jegt nicht mehr zu ermitteln, ob dieſer 
Gun; ter Bater oter Grofvater der beiten Brüter Joham 
Winter gemwejen, und find und auch jenjt nähere Angaben 
über weitere Herkunft, Berwanttichaft und Stantesverbält- 
nifje der Vorfahren in hiſtoriſchen Aftenjtuden nicht über- 
liefert worden. Alle diefe Fragen fallen noch in tie Zeiten, 
wo nur freie Zeute im Bürgerſtand einen Familiennamen 
führten, der aus allerlei Zufälligfeiten zu einer bleibenden 
Bezeichnung neben den altüubliden Taufnamen wurde. 

MWahriheinliid war Cunz Winter ein freier und 
begüterter Mann bürgerliden Standes zu Birftein in 
der Grafichuft Yienburg, denn daß er dort ſeßhaft geweſen, 
geht jowohl aud älteren Notizen in Yamilienpapieren als 
auch daraus hervor, daß jpäter in den Jahren 1634 und 
1668 Johann Winter der Aeltere dort liegende Hausgüter 
um 1180 Gulden aus freier Hand an verichiedene Yien- 
burgiiche Untertbanen verkaufte. Bei dem damaligen Güter: 
und Geltwertb deutet dieje Verfaufsjumme auf Wohl- 
habenheit ter Yamilie und auf einen größeren Umfang des 
Beſitzes, ald man nad) heutigem Maßſtabe dafür einkaufen 
oder erlöjen könnte. 

Gegen Ende, des ſechszehnten Jahrhunderts Hatte der 
obengenannte Cunz Winter in zwei Feldzügen in Ungarn 
gegen die Türken gefochten und ſoll ſich dabei rühmlich 
ausgezeichnet, auch in einem Treffen daſelbſt ſeinen Tod 
gefunden haben. Dieſer Verdienſte erwähnt die Kaiſerliche 
Urkunde von 1638, wodurch Johann Winter der Aeltere 
und ſein Bruder Johann Winter der Jüngere mit dem 
Prädikat „von Güldenborn“ in den Adelſtand erhoben 


- 


‘ 


108 


und in allen ihren rechtmäßigen Nachkommen nobilitirt 
wurden (fiehe Anhang Anmerf. 1). 

Bon jenem Cunz als Enkel oter Söhne abſtammend, 
erftere Annahme ift die wahrjcheinlichere, werden Die beiten 
Brüder wegen ihres gleichen Vornamens durch den Zuſatz 
„des Älteren” und „jüngern“ unterfchieden, Doch finden 
wir etliche Mal bei dem Aelteren noch einen zweiten Vor— 
namen, fodaß er demgemäß auh „Johann Philipp“ 
genannt wird, Selten jedoh kommt die Bezeichnung 
„Philipp“ vor. Eine ähnliche Verſchiedenheit der Be— 
nennung fommt aber audy in dem verliehenen Adelsprädifat 
vor. In dem Adelsdiplom von Kaifer Ferdinand I. ijt 
der Ausdrud „Güldenborn“ allein gebraucht; aber in 
andern Schriftftüden wird faft vorherrſchend in Folge einer 
Zautverichtebung „Güldenbronn“ gejchrieben; beide End- 
ſylben bedeuten aber befanntlich daſſelbe, eine natürliche 
oder gegrabene Wafjerquelle. 

Wie dann fpäter der Altere Bruder Johann Philipp 
Winter Durch feine Vermählung mit Anna Elijabetha 
Bahrd von Dreieichenhain fein Geſchlecht in zwei Söhnen 
und ebenfovielen Töchtern fortgepflanzt, dann in eine zweite 
finderlofe Ehe mit Elifabetb Sejemann getreten, 
dagegen fein Bruder Johann Winter der jüngere unvermählt 
geblieben, wie ferner männlicher Seit8 der Name der 
Güldenborn mit dem am 10. Suli 1743 kinderlos zu 
Florſtadt verftorbenen Enkel Friedrich Philipp von 
Güldenborn ausgeltorben ift, werden wir fpäter um— 
ftändlich berichten, bieten aber eine Ueberficht des Geſchlechts 
in folgendem Stammbaum dar. 

Meiblicher Seits verzweigte fi das Winter’iche 
Geſchlecht in Familien, die noch jetzt in zahlreicher Nach- 
fommenjchaft in der Familie der Rößler zu Hanau und 
Wiesbaden fortbeftehen. Ueber einen anderen Zweig der 
Rößler zu Rottenburg an ver Zauber fehlen uns alle 


Nachrichten. 


104 


- 


Stammbaum. 
(S. Anhang, Ann. 2.) 


Cunz Winter. 
U — 





FIohann Winter, d. ä. Johann Winter d. j. 
ux. 1) Anna Eliſabetha Bahrd. ftarb 1650 kinderlos als Hauptmann 
2) Eliſabetha | Sefemann, im Dienfte der Republik Venedig. 





niit ——— ___ — — — — 
Johann Maximilian. Johann Conrad. Marta Eliſabeth. Margaretha Felieitas. 


Generallieutenant im Dienſte der geb. den 4. Aug. 1642 zu geb. ben 1. Juli 1646, ftarb vermäbhlt mit Amtmann 
vereinigten Niederlande, Starb am Sriebberg, ftarb zu Frankfurt am 1. Nov. 1726, 





v. Götken zu Gelnhaufen. 
21. Juni 1673 ohne ebeliche Nach⸗ am19. Nov. 1708 ale Obrift- zweimal vermählt: 
fommen zu Leyen. lieutenant von Lotharingen 1) mit Johann Chriſtoph Sulzer, 
und ale Mitglied der Ritter- 2) mit Johann Georg Rößler 
Ihaft in der Wetterau, feit 1669. 
TE — —— — — ————— gibs 
Tochter? Friedrich Philipp 


qh P Aus der zweiten Vermählung 1) Jo hann Andreas 
vermählt mit Herrn Preußiſcher Rittmeifter. Starb fammen 3 Söhne und eine v. Götken, geb. den 30. März 
v. Beuft, 2 lern em Er Su 1743 —* , deren Kamen und 1684 und geft. 20. April 1710, 

zu Florſta eine Gattin Fortpflanzung im Stammbaum 2) Eine t 

- war einev. Hesperg. Mit ihm der —** Rößler auf⸗ F Yor woher na 

erlofch die männliche Linie geführt find. vermählt an Yacab Aanker" 

bes Gefchlechts von Güldenborn. Berlichingifehen —E 

Rechenberg. 


105 


Sohann Philipp Winters erftes Auftreten umd 
perfünliche Geltung. 

Johann Philipp Winter, der Aeltere genannt, 
mit dem fpäter verliehenen Adelsprädikat „v. Güldenborn“, 
wurde vermuthlih 1595 zu Birftein am Dogelöberge 
geboren. Er muß eine höhere Bildung im Sugendunterricht 
oder jpäter in der Schule des Lebend empfangen haben. 
Dafür zeugt feine vielfeitige Brauchbarfeit und Verwendung in 
gefandtichaftlichen, ftaatSrechtlichen und militärischen Dienften 
und Berwaltungsämtern. Sowohl aus feinen hinterlaffenen 
Briefen und anterartigen Schriftftüden, als aus feinem 
Lebensgange und Wirken erkennen wir feinen . eifrigen 
Thätigfeitötrieb, feine treue Befliffenheit in Geſchäften jehr 
verjchiedener Art, feinen hoben militäriihen Muth, feine 
kluge Anjchlägigfeit, und einen in allen Verhältniſſen und 
Handlungen aufopfernden und ehrenfeften Charafter. 

Viele8 und Schwierige8 wurde ihm anvertraut und 
er bewährte fich in diefen Aufträgen. Hohe Herren gingen 
mit ibm um und er verfehrte mit ihnen in Gejchäften und 
Unternehmungen, wie jolche einem gewöhnlichen Manne 
weder anvertraut noch gelingen werten. Aus treuer 
Ergebenheit für die Notbhlage der gräflichen Häufer von 
Vſenburg und Hanau brachte er jein Vermögen zum Opfer 
und wurde erft ſpät, zum Theil niemals, dafür entiprechend 
belohnt, Durch folche Gefinnung und Thatkraft machte 
er fich hochverdient um dieſe beiden Grafenhäujer und 
um die Stadt Hanau, die er aus jchwerer Beträngniß 
und fremder Willfür durch eine von ihm eingeleitete und 
ausgeführte Krieggunternehmung befreite. Er überrajchte 
und bezwang einen ftarfen und jchlauen Gegner, den er 
jedoch, als er in feine Hand gefallen, menſchlich und edel 
behandelte, was eben jo für ihn als für den Gegner, darum 
aber auch wider die gewöhnlichen Verdammungsurtheile 
über diejen Feind zu zeugen jcheint, 

Dadurch hob Joh. Winter in der Periode des wehe- 


@ 





106 


vollen Kriegsdramas ſowohl fi als feine Familie aus 
bürgerlicher Stellung in ten erblichen, mwapperführenden 
Adelftand empor, wurde bei feinen Herren wie bei anderen 
weltlichen und geiftlichen Fürſten ein geachteter Mann und 
felbft vom Kaifer für feine Verdienfte um dag Reich belohnt. 
Faßt man dieſes Mannes Emporfommen, feine Geltung 
und feine mannichfaltige Thatengejchichte unter dem Geſichts⸗ 
punkte ihrer Entwicklung zuſammen, fo ftellt ſich und das 
Bild eined Mannes dar, welcher, wie unzweideutig hervor- 
leuchtet, nicht8 einer unverdienten Gunft, dagegen alles, 
was er war und galt, feiner vieljeitigen Züchtigfeit und 
unerjchütterlichen Rechtichaffenheit verdankte. 

Vermuthlich ift Johann Winter jchon frühe in gräflic 
vienburgifchen Dienften werfthätig aufgetreten, als er 1617 
und 1618 mit feinem Berwandten, dem NRechtögelehrten 
Dr. Carl Cäſar, an den Kaiferiihen Hof nah Wien 
ging, um in dem Streithundel der Grafen von PYſenburg 
mit dem Landgrafen Ludwig V. von Heſſen-Darmſtadt 
wegen der entzogenen Kelſterbachiſchen Beligungen in der 
Dreieich die Nechte feine Grafenhauſes zu vertreten und 
überhaupt die Rettung ſeines Herrn und deſſen Sohnes 
aus großer Bedrängnig zu betreiben. 

Während uns feine ganze jugendlihde Vorzeit un— 
befannt bleibt, erfahren wir dieſes erfte Auftreten aus 
Kotizen, die er felbft aufgefegt und in feinen Papieren 
hinterlafien bat. In mehreren Aftenftüden von 1650 und 
1665 nennt er fich jelbjt „einen alten Diener des yſen— 
burgiichen Grafenhaufes, der feit 1617 in Yienburgijchen 
Verſchickungen an den Kaijerlihen Hof und jonft in vor- 
nehmen Dienften thätig geweſen.“ In erfterer Eingabe 
an feinen Herren redet er von 33 Dienftjahren, in der 
zweiten „von faft in die 50 Jahre geleifteten anjebhnlichen 
Dienften.” — Er muß demnach etwa in feinem 22. Alters⸗ 
jahre ein brauchbarer und zuverläjfiger junger Mann gewejen 
fein, den man zu jo wichtigen Gejchäften verwenden fonnte. 


107 


Um nun allgemein feine verdienftvolle Thätigfeit vers 
ftändlich zu machen, müſſen wir tiefer in die damalige 
leidenvolle Hausgefchichte der Vſenburger Grafen in poli— 
tifcher und Eirchlicher Beziehung eintreten, weil ohne dieſe 
Meberjicht, die wie eine Epijode fonft fremdartig erjcheinen 
würde, der Stand der Dinge unklar bliebe und wir ber 
Weitichweifigkeit verdächtig würden. Es gehört übrigens 
dieſe Erörterung zur allgemeineren Geſchichte der politijchen 
und firchlihen Strömungen jener Periode. 


Kurze Gefchichte des Uſenburger Hauſes bis zum 
dreißigjährigen Kriege. 

Das Dynaſtenhaus der jetigen Fürften und Grafen 
von Vjenburg- Büdingen ftammt auß dem Nieder- 
labngau, wozu in engeren Grenzen auch der Engerdgau 
gehörte. Dort lag am Zufammenfluß des Saynbaches 
und Pſer- over Iſerbaches ihr Stammſchloß auf einem 
hohen Felſenkopf, jegt nur noch in Trümmern erkennbar. 
Bon diefem Vierbah haben wahrjcheinlich ſowohl die 
Stammburg als das Herrengefchlecht ihren bleibenden 
Namen erhalten. 

Die Herren von Pfenburg werden fchon feit 919 
genannt, beftimmter in Urkunden feit 1093 und 1095 unter 
diefem Namen. Als vorherrichende Perfonennamen treten 
in dieſem Familienverband die Vornamen Rembold oder 
Reginbolo und Gerlach auf, daher dieſes Haus in zwei 
Hauptſtämmen al8 Remboldiſcher und Öerlachifcher 
Etamm vorfomnit, die beide in den Lahngegenden, aber 
auch zu beiden Seiten des Rheins in zerftreuten Befigungen 
fich ausbreiteten. Schon frühe erhielten fie den Grafentitel 
und wahricheinlich auch dag Grafenamt in jenen Gegenden ; 
fie fcheinen übrigen? mit dem Saliſch-Konradiniſchen Haufe 
deutjcher Könige verwandt geweſen zu fein. 

Heinrich 1, Herr zu Vienburg-Grenfau (von 1179 
bis 1220), war Stammovater derjenigen Linie, aus welcher 


108 


die Vſenburger am Vogelsberg abftammen. Sein Entel 
Ludwig (von 1258 bis 1305) hatte ſich mit Heilberg 
von Büdingen, der jüngften Tochter des Dynaften 
Gerlach's von Büdingen, des lebten Herrn aus dem 
uralten Gejchlecht der Edlen von Büdingen (ftarb 1247), 
vermählt und wurde dadurch, fowie durch Erwerb anderer 
Erbtheile, der Stifter des jegt noch in mehreren Zweigen 
blühenden fürftlihen und gräflichen Hauſes Pſenburg— 
Büdingen am Dogelöberg und in den Maingegenden, 
hauptfählih im Thale der Kinzig und im Umkreiſe des 
alten Reichsforfte8 bei Büdingen und Gelnhaufen. Der 
Unterjcheidung wegen wird dieſes Beſitzthum häufig aud 
die Grafſchaft Ober-Yſenburg genannt. Die Befigungen 
und das Anjehen dieſes Haufe waren jo bedeutend, Daß 
fie unter Einwirkung günjtiger Einflüffe fo gut wie mehrere 
ihrer Nachbarn zu höherer Macht und Ranggröße hätten 
emporfteigen können. Das Geſchick und insbeſondere Die Miß— 
geſchicke zur Zeit des 30jährigen Krieges traten ihnen ſtörend 
in den Weg und hinterließen ſie unſerer Zeit als media— 
tiſirte Standesherren der beiden heſſiſchen Nachbarſtaaten. 

Zu Anfang des 16. Jahrhunderts war die Grafſchaft 
Vſenburg am Vogelsberg und Main nach dem Syſtem des 
gleichen Erbrechts aller Söhne des Hauſes in mehrere 
Linien und dieſe wieder, je nach den zeitweiligen Verhält— 
niffen, in zwei, Drei und vier Zweige getheilt, Doch durch 
das Hausgeſetz der Erbeinigung- oder des 1517 errichteten 
und darauf noch viernal unter Brüdern und Agnaten 
erneuerten Erbbrüdervertrags die Vertheilung und 
Veräußerung ver Yienburger Hausgüter in fremde Hänte, 
fei e8 durch Vermächtniß oder Verfauf, gänzlich unterfagt. 
Eine Zeit lang tbeilte ſich das Haus in die Nonne 
burgifche und Birfteinifche Linie, welche im Stammort 
Büdingen gemeinfchaftliche Rechte bejaßen, dann unter 
dem Grafen Wolfgang Ernjt 1601 vereinigt, bald aber 
wieder verzweigt wurden. Dieje Epaltung war ein weient- 


109 


Yiche8 Hinderniß ihres dunaftiichen Emporkommens zu größerer 
ftaatlicher Bedeutſamkeit. Oefters ftörten Reibungen und 
ftreitige Anfprüche über gemeinfchaftliche oder eigene Rechte 
den Frieden unter den zeitweiligen Dynaften dieſes Haufe. 
Diele Störungen gingen zur Zeit und in Folge der dort 
eindringenden Reformation in eine feindliche Zwietracht 
und die Einheit und Untheilbarfeit des Landes verleßende 
Handlungen über, als zu weltlichen Streitigkeiten fich 
ſowohl bei den Herren alß bei Predigern und Gemeinden 
noch feindlihe Glaubensſpaltung gefellte und in Fragen der 
eonfelfionellen Kirchenangelegenheiten den Yunfen des 
Streite8 zur Flamme anblies. 


Der kirchlich⸗confeſſionelle Hausſtreit. 


Seit 1533 war die lutheriſche Lehre bei den 
Grafen und ihrem Volke eingedrungen, wurde von beiden 
Theilen eifrig erfaßt und allgemein auch kirchlich eingeführt. 
Bald aber wendeten ſich einige Grafen derjenigen theo— 
logiſchen Anſchauung und Kircheneinrichtung zu, welche im 
Gegenſatz gegen das lutheriſche Bekenntniß gewöhnlich die 
reformirte Kirche genannt wurde. Man kann bei 
ſtrengerer Auffaſſung des Weſens in dieſem Syſtem weder 
die ſpeciell Zwingliſche noch Calviniſche Glaubenslehre 
auffinden; es war vielmehr die melanchthoniſch-luthe— 
riſche Confeſſion in Lehre und Cultus, wie ſie vom 
Landgrafen Philipp dem Großmüthigen von Heſſen begünſtigt 
und vom Kurfürſten Friedrich IN. in Kurpfalz eingeführt, und 
in ihrem Lehrſyſtem durch den Heidelberger Katechismus 
ausgeprägt war. Mit beiten benachbarten Fürjten ftanden 
die Vienburger in Verwandtichaft und lebhaften Verkehr. 

Nach der damals herrichenden Anficht von Fürftenrecht 
und obrigfeitlicher Gewalt wollten die Landesherren auch 
über die Gewiffen und den Glauben ihrer Untertbanen 
herrſchen und verfügen, obgleich Gott fich dieſe Macht als 
jein Vorrecht vorbehalten hat. Sie zwangen daher Bolt 





110 


und Prediger, die Einen zum Uebertritt in die |. g. refor- 
mirte, die Antern zur Rückkehr zur ſtreng lutheriſchen 
Confeffion, je nachdem in ihrer Aufeinanderfolge Die Herren 
jelbft dem einen oder dem andern Syſtem zugethan waren, 
Nicht fo dachten die Prediger und viele Leute im Bolf; 
fie fahen dies für einen Ball an, wo um Gottes und ihres 
Gewiſſens willen „Ungehborfam der befte Gehorſam“ 
fei und widerſtanden hartnädig dem anbefohlenen Glaubens⸗ 
wechſel. Dies nun wurde die Veranlaffung, daß eine nicht 
geringe Zahl von Predigern als Märtyrer ihrer Glaubens: 
treue von Haus, Kanzel und Pfründen verjagt und mit 
fchreiender Härte in Noth und Elend vertrieben wurden. 
Da im Wechfel der Landesherren fich mehrmald auch der 
Wechſel in der theologiſch-kirchlichen Anſchauung erneuerte, 
jo wiederholte fich auch mehrmals diejelbe Verfolgung und 
Härte in Slaubendzwang, Pfründenbejegung und Prediger: 
vertreibung. 

Sp hatte in der Ronneburgiihen Linie Graf Wolf- 
gang feit 1560 mit Vertreibung der lutheriſchen Prediger 
die reformirte Lehr- und Glaubensform in feinem 
Gebiet gewaltiam eingeführt; als aber bei feinem Tode 
fein Bruder Graf Heinrich 1597 in der Regierung ihm 
folgte, führte er mit unerbittliher Strenge wieder das 
lutheriſche Lehrſyſtem in feinem Lande ein, berief 
dafür ftrenggläubige Lutheraner, ſetzte alle widerftrebenden 
reformirten Prediger ab und trieb fie in Die Verbannung. 
Sp wiederholte ſich bier, wie in Sachſen und einigen 
anderen Ländern, der fcheußliche Confeſſionsſtreit zwifchen 
dem ftarrgläubigen Luthertbum und dem milderen Krypto⸗ 
Calvinismus, wie damals das melanchthoniſche Syſtem 
genannt wurde, und alles dies angeblich oder vermeintlich 
im Namen des Himmels und aus Gewiſſensbedenken. In 
dieſer Form von Glaubenszwang iſt wenig Unterſchied 
zwiſchen dem Zelotenweſen der Katholiken und Proteſtanten. 
Die Mächtigen der Zeit gaben fi den Schein, als glaubten 


111 


fie an die Göttlichkeit ihres Auftrages, und glaubten in 
Wahrheit nur an fich felbft und an die Vortheile einer 
Uniformität de8 Gehorſams. 

Diefer Kampf zweier Zeitſyſteme blieb aber keineswegs 
blos auf die Tirchlichen Verhältniſſe beſchränkt; er führte 
bei dem zelotiihen Grafen Heinrich zu Schritten, welche 
noch lange nach feinem Tode das Haus Vſenburg in 
feinem Beftand gefährdeten und feine Zukunft bi8 auf 
unjere Tage beeinträchtigten. 

Da fein Vetter und demnächſtiger Erbfolger zu Birftein, 
Graf Wolfgang Ernit, ftreng an der reformirten Lehre 
bing, fo ſah der kinderlofe Graf Heinrih von Ronne— 
burg mit tiefem Glaubenshaß die Zeit herannahen, wo 
nach feinem Tode fein Gebiet an die Birfteiner Agnaten 
übergehen und dann unfehlbar zur Wieberannahme des 
reformirten SKirchenglaubeng gezwungen würde. Diefent 
Unglüd der Zukunft wollte er zuvorkommen, und nody bei 
Lebzeiten den Fortbeitand des lutheriſchen Glaubens und 
Sottesdienftes in feinem Gebietötheile dadurch fichern, daß 
er fein Land in treue Iutheriiche Hände bringe. Zu dent 
Zweck machte er, zuwider der auch von ihm anerkannten 
Erbeinigung im Brübdervertrage, im Jahre 1599 zum 
Schaden feiner Bettern in Birftein ein Teftament, worin 
er den einen Theil feined Landes, die Gerichte Meerholz, 
Spielberg, Wächtersbach und Kleeberg, an feiner Schweſter 
Kinder, die Srafen von Kirchberg und Salm, al 
Erbgut mit allen Herrichaftsrechten vermachte, und ben 
anderen Theil jenjeit® de8 Mains in der Drei-Eich, 
fech8 anfehnliche reich8lehnbare Dörfer, namentlih Langen, 
Mörfelden, Egelsbach, Nauheim, Ginsheim und 
Kelfterbach mit dem Scloffe daſelbſt, an den ftreng 
Xutherifch gefinnten Landgrafen Ludwig V. von SHeffen- 
Darmſtadt zuerft verpfändete, dann unterm 15. Mai 1600 
um die Pfand- und Kauffjumme von 356,177 Gulvden als 
Eigenthum verlaufte Anm, 4). 


112 


Die Birfteinifche Linie, damals Graf Wolfgang Emmft, 
in ihrem Erbrecht betroht, erhob Widerſpruch, unterbantelte, 
ſuchte Vermittler, rief die Kaiſer Rudolf IH. und. Matthias, 
dad Kummergeriht um Recht und Hülfe auf; aber alle 
Eingaben, Klagen, gerichtliche Urtheile und kaiſerliche 
Sprüche hatten weter beim Grafen Heinrich, noch beim 
Zandgrafen Ludwig irgend einen Erfolg, Tenn der Landgraf 
glaubte aus Selbitiuht und Gewiſſensbedenken den neuen 
Erwerb um ded wahren Glaubens willen behaupten zu 
Dürfen, daher wurten die kaiſerlichen Citationen und die 
ſchiedsrichterlichen Eprüche anderer Stünde nicht befolgt, viel- 
mehr mit einer Menge jophiftiicher Rechtsausflüchte umgangen. 

Wenn man die umfangreiche Summlung von Staats 
fchriften und Rechtsdeductionen über diejen Alienationsftreit 
(1618 zu Frankfurt im Drud erjchienen) durchgeht, fo 
erwedt es ein peinliche8 Gefühl, daraus zu erfennen, wie 
Selbſtſucht und kirchlicher Parteigeift unter dem Banner 
des Scheinrecht8 und der jelbftjüchtigen Verdrehung der 
Rechtsfrage hartnädig kümpften und im Befiß ber Beute 
ſich hielten, objchon damals die beiden Kaiſer fich nicht 
feindfelig gegen Vſenburg zeigten. (Anm. 5.) 

Sp lange Graf Heinrich lebte, mußte Graf Wolfgang 
Ernjt das Gejchehene gelten laſſen; ald aber am 31. Mai 
1601 diejer legte Ronneburger kinderlos jtarb, überfiel ſchon 
am folgenden Tage Graf Wolfgang Ernft mit bereit- 
gehaltener Mannjıhaft unter bewaffneter Beihülfe des Grafen 
von Naſſau-Catzenelnbogen und einiger anderer Wetterauer 
Herren das Schloß Ronneburg, nahm die Burg, alle 
Urkunden und Documente weg, vertrieb die von Kirchberg 
und Salm aus dem ihnen widerrechtlich geſchenkten Gebiet, 
ließ jich al8 rechtmäßigem Landesherrn von den Unterthanen 
huldigen und führte, nach der Rechtdanjchauung jener Zeit, 
in allen Gemeinden die reformirte Stirchenlehre wieder ein, 
und abermals mit Vertreibung der vom Grafen Heinrich 
gewaltfam eingeführten Iutherifchen Prediger. In 14 Dorfes 


113 


Ichaften mußte das Volk fich beugen, doch fand der Graf wenig 
Hindernijje beim Volke, weil eg mehrentheil® der Glaubens⸗ 
anjchauung der reformirten Kirche treu geblieben war. 

Was gegen die Schwachen gelang, wollte nicht alſo 
gegen den. mächtigeren Landgrafen ſich erreichen laffen. 
Gegen ihn Hagte der Wienburger bei Kaifer und Reich, 
beim Kammergericht und bei der Wetterauer ReichBritter- 
Ichaft, bei den benachbarten Fürſten und Freunden; aber 
der Landgraf behielt unter einer verneinenden Sophiſtik 
feine Beute. Damit wurde der langwierige Streit zwilchen 
dem Haufe Vienburg und den Landgrafen von Heſſen— 
Darmftadt entiponnen, der fich faft durch Die ganze Dauer 
des 30jährigen Krieges fortjeßte und in Folge neuhinzu— 
tretender politiſcher Verwicklungen eine für Vſenburg gefährs 
liche, faft vernichtende Wendung nahm. 


Die politifche Gefährdung des Haufes Yſenburg. 

Landgraf Ludwig V. von Heffen-Darmftadt war 
ein eifriger Anhänger der ftrengslutheriichen Kirchenlehre 
und befjenungeachtet ein jo ergebener Parteimann für die 
kaiſerliche Politik, daß er wegen feiner reich8mäßigen 
Gelinnung den Beinamen „des Getreuen” erhielt. Stoiz 
auf dieſen Ruhm ließ er felbit auf fein Todtenhemd fein 
Motto ftiden: „Deo et Caesari fidelis* — ein empfehlender 
Reiſebrief für die andere Welt! 

Aus Politik, um ſich und ſein proteſtantiſches Land 
gegen kaiſerliche Machtgebote und Gewaltmaßregeln in jener 
rechtloſen Zeit zu wahren, aber auch, um mit Hülfe der 
faiferliben Gunjt fein Land aus dem Heimfall und der 
Konfisfation geächteter und vertriebener Herren der Nachbar 
länder zu vergrößern, verhielt er fich in allen Fragen der vom 
Kaiſer und der katholiſchen Ligue damals betriebenen Gegen— 
reformation nicht allein lau und neutral, fondern arbeitete 
auch in Verbindung mit dem Kurfürften von Mainz an 
der Auflöjung der proteftantijchen Union und an Errichtung 


X. Band. 





114 


eines Waffenftillftandes zwiichen dem ſpaniſchen Truppen⸗ 
führer Marquis von Spinola und ten neutralen prote- 
ftantijchen Zürften, um Taturd tie Kriegsmacht des evan- 
geliihen Buntes zu lähmen. Es gelang ihm und ten 
Jejuiten, daß die Union am 24. April 1621 ih aufleite 
und Tamit Der gewaltiumen Untertrüdung tes Protejlun- 
tiemus die Bahn geöffnet wurde. Die Welt ruhte Damals 
auf der Spike des Schwerted,; wer nit Hummer fein 
wollte oder Eonnte, muhte Ambo3 werden. Das Haus 
Vſenburg gerieth zwiichen beide und wurde fajt zermalmt. 

Der ichon bejahrte Graf Wolfgang Ernjt von 
Dienburg hatte als Direktor der „ritterjchaftlichen 
Eorrefpondenz” in der Wetterau d. h. der Reichs⸗ 
ritterfchaft jene® Gaues, ſowohl fih als feine Verbündeten 
von der Theilnahme an der böhmiſchen Königewahl und 
pfülziichen „Verduellion” fern zu halten gejuht und war 
teshalb am Kaiſerhofe nicht übel angefchrieben, werlor aber 
dieſe Gunſt durch Schuld feines Alteften Sohnes Wolj- 
gang Henrich, der weniger Klug als fein Vater, fich auf 
die Seite des Kurfürften Friedrich von der Pfalz ziehen 
ließ und gegen Kaiſer und Ligue ind Feld rüdte. 

Damals durchftreiften kaiſerliche, ſpaniſche und mit- 
unter andere liguiftiiche Truppencorps Die Länder der prote= 
ftantifchen Herren am Mittelrhein und in der Wetterau, 
und verübten allentbalben Räubereien und zum Theil gräuel- 
volle Gewaltthätigfeiten. Gegen dieſe Heerbanden, befonders 
gegen die aus den Niederlanten heranziehenden Spanier 
unter Spinola, hatte Graf Wolfgang Ernſt 1620 die 
FZürften, Grafen und Ritter der Wetterauer Correfpondenz 
zu einer Verſammlung nach Friedberg einberufen; hier legte 
er ſelbſt das Direktorium nieder, veranlaßte jedoch, daß 
zum Schutz des Landes und wehrlojen Volkes bie Auf- 
ftelung eines Fähnleins Fußſoldaten beichloffen wurde. 
Es geſchah aber gegen ſeinen Willen, daß die Hauptmann⸗ 
ſchaft darüber ſeinem Sohne Wolfgang Henrich übertragen 


115 


wurde, welcher auch, aller Warnungen:: ſeines Vaters un- 
geachtet, die Führerjtelle annahm und den Haufen auf 400 
Mann verftärkte. Anftatt damit blos Die Metterau zu 
Ichügen, führte er im Ungeſtüm feiner. Kriegsluft diefe Manns 
Ichaft nach Worms zu dem Streithaufen der 'evangeliichen 
Union und nahm als Obrift, fpäter als Generalzeugmeiiter an 
den Kriegdzügen der damaligen -proteftantiichen Barteigänger, 
des Herzogs Ehriftian von Braunſchweig ünd des Grafen. 
Ernft von Mansfeld fo thätigen Antheil, Daß er am 10/20. 
Sunt 1622 die Schlacht bei Höchft gegen. Tilly und die, 
Spanier mitmachte, aber am 6. Auguft 1623 in dem Treffen 
bei Etadtloo gefangen, nach Wien abgeführt, dort in einen 
peinlichen Prozeß verwidelt, zuleßt auf Fürbitte der Kaiferin 
und gegen dag eidliche Gelübde, ferner nicht mehr gegen 
den Kaijer und defien Partei in Krieg ziehen zu wollen, 
zwar perfönlich entlafjen, jedoch bezüglich anderer Klagen 
wegen Plünderung und Erpreffung gerichtlich belangbar 
erklärt und für allen Schaden verantwortlich gemacht wurde, 

Damit begann die politifche Gefährdung des Haufe 
Bienburg, denn nicht nur gegen den fchuldigen Grafen 
Wolfgang Henrich und feinen Bruder Philipp Ernft, 
fondern auch gegen den ganz unfchuldigen alten Vater 
Wolfgang Ernft wurden bei kaiſerlichem Hoſgericht 
einerfeit3 vom fTaiferlichen Fiskal ſchwere Klagen wegen 
Landfriedenbruch, Aufruhr und Majeftätsbeleibigung erhoben 
und fie ſämmtlich von den Gerichten verfolgt, andererjeits 
vom Landgrafen Ludwig von HelleneDarmftadt wegen aller 
Beſchädigungen und Erprefjungen, welche die braunfchweis 
giſchen, mansfeldiichen und anderen Unionsteuppen im 
Darmftädter Gebiet verübt hatten, fo hohe Forderungen 
auf Schudenerjaß an das Haus Vienburg im Betrag von 
anderthalb Millionen geftellt, daß es Durch den verurtheilenden 
Spruch de8 Kurfürften-Eollegiums vom 9. Rovember 1630 
in eine Strafſumme geftürzt wurde, Die es nur mit Hingabe 
aßer feiner Herrichaften tilgen Tonnte. 


g* 


116 


Das eben fchien der Landgraf zu wollen und ſchwerlich 
dürfte man zu weit gehen, wenn man mit dem yienburgiichen 
Schriftitellern argwöhnt oder ſelbſt behauptet, daß auch die 
Fistalklage fein Werk gewejen, um in jener rechtSunficheren 
Zeit, wo der Kuiler ſelbſt Partei und Richter war, alle 
yienburgiichen Belihungen an fein Haus zu bringen. Er 
that ähnliche kühne Griffe nach ten Läntern aller feiner 
Nachbarn; die Grafen von Naſſau, die Landgrafen von 
Heſſen-Kaſſel, die Pfalz und einige fleinere Herren erfuhren 
von ihm ähnliche Berjuche tes liftigen und gewaltiamen 
Rändererwerb3 (Anm. 6). Sein weiteres Benehmen fpricht 
für vorfiehente Annahme ſehr unzweideutig. 

Er ſelbſt ließ fich die Execution des Kurfürſtenſpruchs 
übertragen, fiel dann an der Spige darmjtädtifcher, kur⸗ 
mainzer, bayeriicher und anderer Executionstruppen in das 
gienburgiiche Gebiet auf tem linken Mainufer ein, bejebte 
in der Dreieich alle Ortichaften und haujte darin wie in 
erobertem Yeindesland. 

Nach yienburgiihen Berichten und SKlageichriften, 
weiche nach der damaligen Art ver Kriegführung wohl 
glaublich und durch hiſtoriſche Belege unterjtügt werben, 
jchaltete die liguiftiiche Soldateska, verſtärkt von Kroaten, 
Ungarn und Spaniern, mit Wuth, Plünderung und Fana⸗ 
tismus wider Wehrlofe und Witerfirebende. Graf Wolfgang 
Henrich Hoh aus feinem Schlofje zu Offenbach und übers 
haupt auß feinem Lande, und juchte für fih und feine 
Zumilie ſchützenden Aufenthalt zu Frankfurt, während ver 
Landgrtaf ohne Verzug zu dem Aeußerſten jchritt, daß er 
die bejeßten Ortichaften zwang, ihm als ihrem rechtmäßigen 
Oberheren zu huldigen. 

Das Haus BVienburg jchien vernichtet und nirgends 
Recht, auch bei den verbündeten Nachbarn feine Hülfe zu 
finden, da ringsherum die evangeliichen Reichsſtände, na= 
mentlich die Grafen von Naffau, Hanau und andere Herren 
in der Wetterau nicht allein in gleicher Bedrängnip, jondesn 


117 
zum {Theil ebenfall® auf der Flucht waren. Aus dieſer 
argen Nothlage rettete die Ankunft des Könige Guftav 
Adolfvon Schweden, damals der einzige und legte Hoffnungs⸗ 
ftern der Evangeliſchen gegen Jeſuitenmacht und Kaijere 
bespotismus. Nachdem derjetde am 17. September 1631 
auf dem Breitenfeide bei Leipzig über den liguiſtiſchen 
Feldherrn Tilly gefiegt, rücdte er plöglih durch Franken 
am Mainjtrom herab, kam nach Seligenftadt und Hanau 
und des Abends am 15/25. November 1631 nach Offenbach, 
wo er von dem hberbeieilenden Grafen von Wienburg in 
feinem Scloffe empfangen und gaftlich bewirthet wurde. 
Noch bevor der Helfer herankam, hatten die liguiftiichen 
und darmſtädtiſchen Executionstruppen eilig das yſenbur⸗ 
giſche Gebiet verlaſſen und Graf Wolfgang Henrich wurde 
von ſeinem Volke als rechtmäßiger Landesherr freudig begrüßt, 

Der Graf ſuchte nun bei Guſtav Adolf ſowohl Schutz 
gegen den Spruch des Kurfürſten-Collegiums vom 9. No⸗ 
vember 1630, als überhaupt: fein Recht gegen vie fisfalifche 
Execution, Demzufolge auch Wiedereinfegung In feine Dreieicher 
Befißungen. Der König übertrug die Suche womöglich zu 
einer gütlichen Ausgleichung, nöthigenfalls die Betretung " 
des Rechtswegs, feinem Kanzler Ogenftierna, der jedoch nach 
bein Tode Ted Königs dieſe Angelegenheit mit auffallender 
Lauheit betrieb. 

Uneingebent des zu Wien gegebenen Berfprecheng 
hatten aber die Grafen Wolfgang Henrich. und Philipp 
Ernft und mit ihnen viele Grafen der Wetterau und des 
Weſterwaldes, auch Graf Ludwig Heinrich: von Naffaus 
Dillenburg, am 1. Dezember 1631 zu Frankfurt mit Guftav 
Adolf eine Uebereinkunft gefehloffen, demgemäß ſie entichieden 
auf die Seite der ſchwediſch-proteſtantiſchen Allianz. gegen 
Kaifer und Ligue traten. Wolfgang Henrich erhielt vom 
König Auftrag und Vollmacht ſowohl in der: Wetterau als 
im Nafjauifchen Gebiet zwei Regimenter Kriegstruppen für 
die ſchwediſche Sache anzuwerben; noch mehr, zu Anfang 





118 


Februar 1632 erweiterte ſich daB Frankfurter Bündniß 
dahin, daß die Grafen von Nienburg und alle Grafen und 
evangeliihen Herren der Wetterau gegen ten Echweren- 
König fich verpflichteten, mit Xeib, Gut und Blut zur Unter- 
ftügung der ſchwediſchen Kriegsmacht für Die evangelifche 
Sache Eriegeriich in den immer mehr ſich erweiternden 
Kampf gegen Das katholiſche Bündniß einzutreten. Die 
Pflicht Der Selbiterhaltung hob dieſe Herren über alle 
anderen Bedenken hinaus; der Kaiſer war ihr Feind, nicht 
mehr das jhügende Haupt und der Schirmherr des Nechtß, 
(Ann. 7). | 
Mit den geworbenen Truppen diente nun Graf Wolf- 

gang. Henrich als ſchwediſcher Generalmajor für die Sache 
bes Königs; fein Regiment fand bis 1634 im Feld, und 
der Bienburger genoß die Gunft des König in dem Maße, 
daß defjen Gemahlin Maria Eleonore bei der dem Grafen 
geborenen Tochter Die Stelle einer Taufpathin annahm, — 
Berhältniffe, wodurd das gräflich «yfenburgiiche Haus in 
immer tiefere Schuld beim Kailer und deſſen Partei fünf. 
Als darauf nad Guſtav Adolfs frühzeitigem Tode 

und in den Schwankungen des Kriegsglücks der Kurfürſt 
von Sachſen hauptſächlich durch Vermittlung des Landgrafen 
Georg Il. von Heſſen-Darmſtadt, der die gleiche zwei— 
deutige Politik befolgte, wie fein Vorgänger Ludwig V., 
am 10. Mai 1635 mit Kaijer Ferdinand I. den Prager 
Separatfrieden ſchloß und Dadurch die .proteftantiiche Sache 
in. großen Nachtheil brachte, wurde unter vielen ‚anderen 
proteftantiichen Reichsftänden auch Wolfgang ‚Henrich mit 
allen feinen Brüdern und Bettern von dieſem Frieden aus- 
geichloffen und. die ganze Grafichaft. Vienburg .nebjt allen 
Rechten und Zugebörungen unterm 7. Juli 1635 an ven 
Zandgrafen Georg von Heſſen geichenft und dieſer auch 
fofort in den wirklichen Befit der Länder und Herrichafte- 
echte eingelegt... Das. war der Lohn .für feine Neutralität 
in einer Zeit und Sachlage, wo biefe Politik ein Verrath 


119 


an der gemeinichaftlichen. evangeliihen Rechtsſache mar. 
(Lünig's Reichsarchiv Pars spee. I. ©. 124—126.) 
Mührend diejer unheilvollen Wendung des Streit- 
handels ftarb fowohl Graf Wolfgang Henrich im Februar 
1635 als fein Bruder Philipp Ernſt im Auguft defjelben 
Jahres, und die yienburgiihe Grafenfamilie, damals aus 
vierzehn Perſonen beſtehend, war al’ ihrer Länder und 
Einkünfte beraubt, ohne Schutz und männliches Haupt, 
jo verlaffen und arm, daß fie ficben Jahre lang mit der 
gräflihen Witwe Maria Magdalena, einer geborenen 
Gräfin von Naſſau-Wiesbaden und Idſtein, troftlos in die 
Verbannung wandern mußte. Während die vertriebene 
Witwe mit ihren 13 Kindern bald zu Frankfurt, bald in 
Weſtphalen in großer Dürftigfeit lebte, verfügte der Landgraf 
Georg von Heflen in der neuen Eroberung mit großer 
Willkür. Er verichenkte anfehnliche Güter an feine Diener 
oder vergab fie ald Lehen, ließ maffenhaft alles Stammholz 
in den Wäldern füllen und verkaufen, traf überhaupt folche 
Veränderungen im Lande, daß auch int Falle einer Reſti— 
tuirung das yienburgiihe Haus große Nachtheile und be— 
trächtliche Berlufte an Rechten und Einkünften erleiden mußte. 
- Die Drangfale nabınen eine günftigere Wendung, 
ald die Wetterauer Grafen, bejonder8 Graf Ludwig 
Heintih von Nafjfau- Dillenburg und Graf 
Georg Albrecht von Erbach al8 Vermittler auftraten. 
Durch Deren Bemühungen wurde am 24. November 1642 
zwiichen Heſſen-Darmſtadt und dem Hauje Vienburg ein 
Vergleich abgefchloffen, demzufolge eritend der Landgraf 
für jih und feine Nachkommen die Anwartichaft auf den 
völligen Befig aller yienburgifchen Länder nebſt Titel und 
Wappen für den Fall des Außfterben des gräflihen Manns— 
ſtammes, jofort auch die Ortichaften in der Dreieich und 
Rechte auf andere yſenburgiſche Beſitzungen nebft einer 
großen Summe Geldes in Obligationen und Forderungen ıc. 
auf ewige Zeiten erhielt, dagegen zweitens die übrigen 








120 


GSebietötheile wieder an das Grafenhaus zurüdgeftellt und 
alle weiteren in der Fiskalklage erhobenen oter erworbenen 
Entſchädigungsanſprüche für aufgehoben erklärt wurten; 
Dagegen mußten brittend Lie Grafen von Bienburg tie 
Gültigkeit der inzwiichen von Landgrafen vergebenen Leben 
und getroffenen Einrichtungen anerkennen, wodurch das Haus 
Vſenburg nebft vem Berlujt an Land und Leuten eine nicht 
geringe Zahl anderer Rechte und Befikungen einbüßte. 

Nachdem dieſer Alienationgftreit fait ein halbes Jahr- 
hundert gedauert, wurde er durch obigen Vertrag beigelegt; 
der weitphäliiche Friedensſchluß 1648 und Die damit erfolgte 
Generals-Amneftie bat dann auch die fisfaliichen und darm— 
ſtädtiſchen WVerfolgungen für immer volljtändig nieber- 
geichlagen. 


Johaun Philipp Winter der Aeltere als Vertreter des 
Hanfes Yfenburg. | 

In diefer langen Leidensperiode des gräflich yſen— 
burgiihen Haufes hat Johann Winter der Xeltere als 
treuer und gewandter Diener, Unterhändler und Anwalt 
diefem Haufe die erfprießlichjten Dienjte geleijtet und fich 
einen Ehrenkranz erworben, der in der .gienburgifchen Haus— 
gejchichte fein Andenken. für alle Zeiten aufrecht halten ſollte. 

Wenn wir feine Thätigkeit und Verdienſte in diefer 
ſtürmiſchen Periode der großen Rechtsumwälzungen in’8 Auge 
faffen, jo Fönnen wir weniger auf den Ruhm von Helten- 
thaten, auf wifjenjchaftlihe und geiftige Größe in feinem 
Mejen und Wirken, als auf feine gefchäftlichen, treuen 
Dienfte für das Haus feine Herrn, auf fittliche Bürger- 
tugenden und auf feine anſpruchsloſe Bejcheidenheit hinweiſen, 
womit er in feinen binterlaffenen Papieren nicht gegen die 
Melt, jondern zu feinen Herrn und ihren Nachfomnen in 
Bittichriften und Vorſtellungen ſich ausſpricht. Wie bereits 
oben erwähnt worden, hat Johann Winter feit 1617 in 
den Rechtöftreitigkeiten mit Heſſen⸗-Darmſtadt abwechjelnd 


121 

am Kaiſerlichen Hofe zu Wien, dann jeit 1628—32 In der 
Fiskalklage wegen Landfriedenbruch8 und Majeftät3beleidigung 
fowie in der vom Landgrafen erhobenen Entſchädigungs— 
forderung, Die von demjelben auf anderthalb Millionen 
berechnet worden, bald zu Wien beim Kaiſer und Hofgericht, 
bald auf Collegialtagen der Kurfürften zu Regensburg, bald 
zu Cöln beim dortigen Kurfürjten als Vertreter, Fürſprecher, 
Bittiteller, unermüdlich, meiften? aus eigenen Mitteln und 
ohne Gehalt, mit einer Koftenauslage von mehreren taufend 
Thalern, das yſenburgiſche Herrenhaus wider alle Anklagen, 
Forderungen, Urtheilsſprüche und Bedrüdungen fo eifrig 
vertheitigt, daß Durch Spruch des Neich&hofrath8 die Unfchuld 
des damals hochbetugten Grafen Wolfgang Ernit von dem 
auch ihm aufgebürdeten Verbrechen des Landfriedenbruchs 
und Aufruhrs anerfannt und er vollig freigeiprochen wurde, 
Sp ftarb wenigftens fein alter Herr im Jahre 1633 vollig 
entlaftet von einer Schuld, die feiner treuen Anhänglichkeit 
am Gehorſam gegen den Kaiſer von Natur und Lebens— 
anichauung durchaus fremd war. 

War auch Johann Winter in der Periode, wo die 
MWogen des politischen und Tirchlichen Haſſes noch hoch 
gingen und die eine Ölaubenspartei Der anderen fein Recht 
zugeftand, in Betreff jeines jüngeren Herrn und deſſen vier 
Geſchwiſter minder glüdlich, weil Graf Wolfgang Henrich 
allerdings durch feine Betheiligung an der |. 9. „Pfäl— 
ziſchen Berduellion” fowohl in dem unheilvollen Griff 
auf die böhmiſche Krone als in offenbaren Kriegsthaten 
wider den Kaijer unter den ahnen der damaligen Partei— 
gänger, bejonder8 aber durch den Bruch jeined zu Wien 
gegebenen Verſprechens, eine größere Schuld und den Zorn 
des Kaiſers und der Tatholifchen Ligue auf jich geladen 
hatte: jo fcheint Doh Johann Winter, der in binterbliebenen 
Schriftſtücken damals gewöhnlich „Kapitain“, aber auch 
abwechſelnd „Pſenburgiſcher Secretarius“ oder 
„Abgeordneter“ genannt wird, in ununterbrochener 





122 


Rührigkeit und an allen dienlihen Orten fowohl für feinen 
Herrn gekämpft als nad deſſen Tode jeit 1635 für die 
verlajjene, in Dürftigkeit lebente und lantesflüchtig getvortene 
Gräfin und ihre dreizehn Kinter auf’ eifrigfte bejorgt und 
die einzige helfende Hauptſtütze des Hauſes geweſen zu jein. 
Wahrſcheinlich iſt auch das Einſchreiten der Wetterauer 
Grafenbank zu Gunſten des widerrechtlich unterdrückten 
Hauſes ſein Werk geweſen, denn Winter ſtand, wie aus der 
Befreiungsgeſchichte von Hanau hervorgeht, beim Grafen 
Ludwig Heinrich von Naſſau-Dillenburg, den übrigen Grafen 
von Naſſau und mehreren anderen Herren der Umgegend 
in hohem Vertrauen und Anſehen. 

In Anerkennung ſeiner Verdienſte ſowie zur Ent— 
ſchädigung der großen aus eignen Mitteln vorgeſtreckten 
Summen für Reiſen und andere Unkoſten wurde er mit 
dem „Riediſchen Gute“ im Gründauer Gebiet belehnt; 
als ſich jedoch herausſtellte, daß daſſelbe noch nicht völlig 
eröffnet ſei, ward ihm beim Ausſterben des adeligen Geſchlechts 
der Reiprechte von Büdingen, welches 1629 mit dem 
Tode des kinderloſen Hans Georg Reiprecht erloſch, am 
23. April 1634 das vakant gewordene Reiprecht'ſche Lehngut 
zu Bauernheim mit allen angehörigen Rechten und 
Einkünften verliehen. Im Belehnungsbriefe wird als Geber 
Graf Wolfgang Henrich zu Vienburg-Büdingen in ſeinem, 
feinee Brüder und Bettern Namen genannt, Im Sabre 
1649 unterm 8. Mai erfolgte nochmal® eine Beftätigung 
diejeß Lehens.“ Diefe8 Gut beftand aus einem Frohnhof 
und Gaden nebſt Schaafhof, Schäferei, Drei Hofitätten und 
dem Filchrecht in den dortigen Gewäſſern, in Ackerland, 
Gartenfeld, zwei Weinbergen jammt den niederen Herren- 
rechten in der Terminei Bauernheim. Dafür leiftete er 
den Lehnseid: „Was ein Mann feinem Herrn vou 
ſolchen Lehen wegen ſchuldig und pflichtig jei“, 
getreulich erfüllen zu wollen. 

Als der Kaifer'nach dem Prager Sepnratvertrag von 


N 


123 ’ 


1635, wie oben erzählt wurde, alle yſenburgiſchen Be— 
figungen an den Landgrafen von Heſſen-Darmſtadt verfchenkt 
hatte, wurde, wie alle Lehnsträger in dem neuen Gebietstheil, 
auch Johann Winter aufgefordert, fein Lehn vom neuen 
Landesherrn confirmiren zu laffen. Er fügte fich in das 
Unabwendbare und erhielt auch die Beitätigung. 

Schon früher war ihm unterm 1. Juni 1630 „für 
feine zu Wien und ander8wo auf eigene Kojten geleifteten 
Dienfte” von den Vienburger Grafen ein Gefchent von 
500 Gulden zuerkannt, aber aus Mangel an Geld nicht 
ausbezahlt, jondern mit Zuficherung von 5 Proc. Zinfen 
einftweilen auf Die Kellerei Hain in der Dreieich angewiejen 
worden. Weil aber — „wegen der bejhmwerliden 
Zeiten” — auch diefer Zins nicht bezahlt wurde, jo gab 
ihm unterm 20. Auguft 1650 die verwitwete Gräfin Maria 
Mugdalena als Vormünderin ihrer jüngeren Söhne dafür 
in anlichresin, d. h. als Nubpfand, eine Hufe (= 30 
Morgen) Landes zu Ofryfftel, wo bereit? Johann Winter 
eine von den Herren von Reiffenberg verfaufte Hofraithe 
eigenthümlich befaß. 

Als nach hergeftelltem Frieden das gräfliche Gejchlecht 
wieder in den Genuß feined Landes und deſſen Einfünfte 
gekommen, forderte Winter fein fett 20 Jahren ausſtehendes 
Sularium und die vorgefchoffenen Gelder. Die Grafen, 
“ von allen Mitteln entblößt, gaben ihm ſechs Huben Landes 
nebft Zugehör zu Nieder-Florſtadt als Mannlehen. 
Er hatte eine eigenthümliche Uebergabe dieſes Gute 
erwartet, mußte fich aber begnügen und bis zur förmlichen 
Beſitznahme des Lehens noch volle zmei Jahre zumwarten, 
weil Graf Wilhelm Otto mehrere Bormjchwierigfeiten 
machte, fo daß er erft mit faiferlicher Hülfe am 23. No= 
vember 1652 in Befit und Genuß dieſes Mannleheng 
eintreten Tonnte. Noch lange mußte überhaupt Sohann 
Minter um den vollen Erſatz feiner Auslagen und um 
Vergütung feiner vwieljeitigen und treuen Dienfte beim 


124 


gräflichen Hauje in Vorjtellungen und Bittichriften anſuchen. 
In einem Briefe vom 12. Januar 1665 un den gräftichen 
Amtmann zu Difenbach äußert er jeine Unzufriedenheit 
tarüber in ven Worten: „Es jcheine, jeine Dienfle in der 
Fiskalſache ſeien vergeſſen.“ Im gleichen Jahre jchreibt er: 
„Er habe bei ſeinem jetzigen Privatleben ſein Pfand verkauft.“ 
Damals in ten Jahren 1665 und 1666 ſcheint er zu Frank— 
furt im Privatjtante gelebt zu haben, mehrere jeiner hinter- 
lafjenen Briefe datiren daher. (Rößlers Familien-Archiv.) 
Es wirft einen beleuchtenden Strahl auf den Muth 
dieſes Mannes, daß er mitten in ten erſchütternden Kriegs— 
ſtürmen ſich am 7. September 1635 mit jeiner erſten Gattin 
Anna Elijabethba Bahrd, ter nachgelaifenen Tochter 
des yſenburgiſchen Amtmanns Heinrich Bahrd zu Trei— 
eichenhain zu verehelichen wagte. Unterm 16. Auguſt lud 
er brieflich den Grafen feinen Herrn nebſt Gemahlin zur 
Zrauung und Hochzeitfeier mit den Morten ein: „Seine 
Gnaden möchten jelbjt oder durch einen Abgeordneten bei— 
wohnen und in Fröhlichkeit und Gnaden geniegen, was der 
liebe Gott nach jegiger SZeitgelegenheit an Eſſen und 
Trinken bejcheeren werde.” (Frankfurt, datirt 16/26. Augujt 
1635.) Wir wifjen aus anderen urkundlichen Berichten, 
daß guf den ungewöhnlich ftrengen Winter und unter dem 
unbejchreiblichen Drud der Kriegslajten damals eine all 
gemeine Noth in den Main= und Nheingegenten herrjchte, 
und auf dieſe Zuftände deutete. wohl der Briefiteller in 
obigen Worten bin. Nach dem Tode feiner erften Guttin 
ſchritt Johann Winter im Sabre 1665 mit Etijabetha 
Sejemann, Tochter des Chriſtoph Sefemann. zu Lübeck, 
damals DObervogt zu Travemünde, abermal® zur Ehe und 
errichtete danıald Pacta dotalia unterm 6. Februar 1665, 
wovon die Samilienjchriften ein Exemplar enthalten, 
Zwiſchen feine Dienftleiltungen für das bedrängte 
Haus Yienburg und feine ſpätere Altersperiode fallt ſowohl 
feine thatenvolle Lebensperiode und fein ruhmvolles Wirken 


125 


für das hochgräfliche Haus der Grafen von Hanau, 
als feine Führung von Verwaltungsämtern im Sturmain- 
ziichen und anderen Dienften, worüber wir in folgenden 
Abjichnitten Das Wefentliche darbieten. Hier wie dort geht. 
unzweideutig klar hervor, daß Johann Winter an inniger 
Kraft des Gemüths, an veritändiger Geiſtesgegenwart und 
treuer Freundeshülfe überall ein biederer und thatent- 
ſchloſſener Manu gewejen, wo die Lage der Dinge einen 
ganzen ächten Mann erforderte. Es leuchtet aus feinem 
Weſen ein ftetiger Feuereifer für Recht .und Pflicht hervor, 
der bi? in jein Alter einen höheren, tft jugendlichen Schwung 
des Geiſtes beurkfundet. 


Die Bedrängung der Stadt Hanau in den Stürmen 
des Dreißigjährigen Krieges. 

Nicht minder löblich, wohl noch größer und ent=- 
ſcheidender, als was Johann Winter für das yſenburgiſche 
Grafenhaus geleiſtet, ſind ſeine Verdienſte ſowohl um das 
in ſeinen Rechten und ſeinem Fortbeſtand höchſt bedrängte 
Dynaſtenhaus der Grafen von Hanau-Münzenberg, 
als um die Rettung der Stadt Hanau aus der beſchwer— 
lichen Gewalt des Ritters Jacob Ramſay, der aus 
einem Retter und Beſchützer nach der Zeitmoral jener 
Periode allmälig ein Dränger und ſelbſtſtändiger Gewalt⸗ 
herr geworden war. 

Die Drangſale des großen Parteienkampfes zwiſchen 
dem kirchlich-politiſchen Syſtem einer angemaßten abſoluten 
Fürſten- und Prieſtermacht einerſeits, und andererſeits dem 
als göttliches Vermächtniß an den Menſchengeiſt verliehenen 
und im Evangelium verkündeten Rechte der Gewiſſensfreiheit 
in Glaubensſachen, goſſen zwar eine unermeßliche Summe 
von Leiden auf die Zeitgenoſſen des dreißigjährigen Krieges, 
waren aber, wie es unſerer Einſicht erſcheinen will, ein 
nöthiges Opfer- und Löſegeld, um dem Uebergang des 
neuen Glaubens- und Wiſſenſchaftsrechts aus den Banden 


126 


mittelalterlicher Geiftesunterbrüdung für immer kine offene 
Bahn zu breden. Die Stürme der Reformationdperiode, 
dad biutige Drama des Dreikigjährigen Krieges und die 
große Kataftrophe der franzöjiihen Revolution find ſolche 
Bahnbrecher für die Entwidlung der Welt geweſen; auf 
das Dunfel der Stürme ift dann jededmal wieder Tageslicht 
und Sonnenjchein gefolgt und die Menichheit zu neuen 
Geftaltungen de8 Lebens in allen Gebieten des Geiftes 
vorwärts gejchritten. „Auf diefem Wege werden, wie Johann 
von Müller jagt, Nationen und Herricher zu Zweden bin- 
gelenkt, wovon fie nichts willen, auf daß die Völker 
gewahr werden, die Wage ihres Glüd8 werde 
nicht gehalten von einer fterbliden Hand.“ 


Der dreißigjährige Kampf und das zügelloſe Würfel- 
jpiel der eifernen Gewalt trafen die deutſchen Gaue am 
Main und Rhein mit verheerender Macht und in der 
Eigenthümlichkeit der Wechſelfälle, daß Freund und Feind 
gleich drücend und räuberifch ihre anarchiſchen Gräuel über 
Fürften und Völker unſeres Gebietd ausgoſſen. 

Diefe Landitrihe zwiſchen Main, Rhein und Lahn, 
namentlich die Beſitzungen der Grafen von Nafjau, die 
Metterau und die Grafihaft Hanau, durh Natur umd 
Anbau fruchtbar und wohlhabend, waren feit 1620 der 
Tummelplatz der wilden, raubfüchtigen und in ihren Aus— 
fchweifungen vielfach unmenjchlichen Kriegerbanden. Hier, 
wo ber Befiß des Landes in eine große Menge von Ober- 
herren getheilt und durcheinander gewürfelt war, fließen die 
wilden Schaaren felten auf eine vereinigte Gegenwehr. 
Da bei den Kriegern faſt alle Manngzucht fehlte, bei ihren 
Führern der Grundſatz herrfchte: „der Krieg müſſe den 
Krieg ernähren”, Da Freundſchaft und Feindſchaft beſtändig 
wechjelten und ſowohl Die faiferlichen, Yiguiftiichen und 
Ipanifchen Truppen, als die Schaaren der proteitantiichen 
Varteigänger des Herzogs von Braunſchweig, des Grafen 


127 


Ernſt von Mangfeld und Herzogs Bernhard von Weimar 
gleich verheerend und räuberiih dieſe Gegenden durch— 
jchweiften, jo wurden diefe mit Raub, Brand, Mord und 
Greuelthaten erfüllt und faft alle geiellige und politijche 
Drdnung aufgelöft. 

Es bat bei den kirchlichen Wirren und dem Zwangs— 
ſyſtem der Herren gegen ihr Volk in Glaubengjachen einen 
inneren. Zufammenhang, daß daſſelbe weder friegeriich aus— 
gebildet, noch mit Herz und Gemüth für feinen Herrn zu 
kämpfen geneigt war. Wohl war der wehrhafte Theil des 
Volkes in dem |. g. Landesausſchuß militäriich ein> 
getheilt, theild mit Schießgewehr, theild mit Schlagwaffen, 
Heltebarden und Piken bewaffnet und unter Hauptleuten 
und Rottmeijtern in Fähnlein geordnet; aber eine folche 
Volksmiliz fonnte den um Sold und Beute dienenden 
Heerbanden des Tilly, Wallenftein, Joh. von Werth und 
Spinola nicht widerftehen, war ſchwer zu verfammeln, noch 
ſchwerer in Disciplin zu halten und weder von der Fahnen— 
ehre noch von der Treue für Führer und Fürften zu Hingabe 
von Blut und Leben begeiitert. (Anm. 8.) 

Sn der Grafihaft Hanau waren Damals noch beſonders 
ungünjtige Yandesverhältnifje. Der damals regierende Herr 
von Hanau, Graf Philipp Morisg, der Sohn und 
Nachfolger des Grafen Philipp Ludwig Il, des Gründers 
der Neuftadt Hanau, war noch unmündig und jchipächlich; 
bi8 1629 ftand er unter der Bormundichaft feiner Mutter, 
der Gräfin Catharine Belgica, einer Tochter des 
berühmten Dranierd Wilhelm des Verſchwiegenen in den 
Niederlanden. War auch Catharine eine geijtvolle und 
tüchtige rau, jo war fie Doh der Wuth der Drungiale 
um fo weniger gewachjen, als dieſe jammervolle Zeit fein 
Ende nehmen wollte, und Freund und Feind gleich ver- 
derblich auf dem Lande lafteten. Da geriethen die Menjchen 
in DVerzweifelung und flohen in Wald und Gebirg; fie 
wollten das Leben retten und gingen boch dem Hungertod 


= 


128 


in der Einöte entgegen. Aber nicht blos das wehrlofe 
Bolt floh aus ven verheerten Wohnfigen, auch die betrüngten 
zum Theil in die Reichsacht gefallenen Grafen und Fürjten 
jogen gezwungen oder freiwillig in tie Berbannung. 

Nachdem Kailer Ferdinand I. durch Tilly, Wallenftein 
und Epinola mit ihren wilten Miethlingsjchaaren zuerjt das 
fürliche, dann durch feinen Eohn Ferdinand auch das nürd- 
liche Deutjchland jeiner Willfür unterworfen und auch ten 
Dünenkönig in fein Land zurüdgetrieben hatte, glaubte er 
feine Uebermacht und den Abſolutismus des Cäſaropapismus 
Dadurch ſichern zu können, daß er 1629 alle proteſtantiſchen 
Stände aufforderte, kaiſerliche Bejagungen in ihre feſten 
Städte aufzunehmen und feinen Befehlöhabern zu Handen 
Kaijerlicher Majeſtät Gehorfam zu fchwören. So hoffte er 
jeden Widerftand bis zur gänzlichen Vernichtung zu brechen 
und die evangelijche Ketzerei in ihren Hauptfigen auszurotten. 

Die Grafen und Herrn in der Wetterau und am Rhein 
weigerten fich und beriefen jich hierbei auf ältere Eaijerliche 
Privilegien. Landgraf Wilhelm von Heffen-Kuffel, ein 
unerjchrocdener Verfechter der proteitantiihen Sache, batte 
feine Nachbarn zur Ablehnung der Eaijerlihen Willkür 
ermuthigt. Auh Graf Philipp Morig widerſtand dem 
Befehl bezüglich feiner feften Stadt und Reſidenz Hanau, 
welche zu jener Zeit durch ihre Feſtungswerke und Lage 
von bejonderer Wichtigkeit für den Kaiſer und die Unter 
drückungspläne der katholiſchen Ligue war. Deshalb erjchien 
ein fuijerlich=liguiltiiched Heer von 40 Compagnieen Eroaten, 
Ungarn, Polafen und anderen Volksſtämmen unter Obrift 
von Wigleben und jchlop Die Stadt ein, brandfchagte 
das Gebiet und zwang Dadurch den Grafen zur Nuchgiebigfeit. 
In Folge eined Vergleich® zogen etwa 1000 Mann kaiſerliche 
Befagung unter dem Oberbefehl des Obriften Brandis 
in die Stadt und Feſtungswerke ein, und ſowohl der Graf 
als feine Untertbanen zu Stadt und Land mußten dem 
Kaijer Treue und Gehorjam geloben. . 


129 


Etwa anderthalb Sahre fchaltete nun die Eaiferliche 
Soldatesfa mit Strenge und mißtrauiicher Wachjamfeit in 
dem durch die langdauernden Kriegswehen audgejogenen 
Rande. . Da kam, wie fchon oben gejagt wurde, Hülfe aus 
dem hohen Norden. Guftav Adolph mit feinen Schweden, 
Finnen und Lappen 309 nach dem Siege auf dem Breiten 
felde bei Leipzig durch Franken herab in Die Gegenden des 
untern Main und an den Mittelrhein. "Sein Bortrab 
unter Obrift Chriſtoph Hubald überrumpelte am 1/11, 
November 1631 die Stadt Hanau und nahm den Eommans 
danten und die Bejagung gefangen. Bald Darauf, am 
15/25. November erjchien auch der fiegreiche Schwedenkönig 
feldit. Nachdem er Würzburg und Afchaffenburg wegge— 
nommen und am 25. November Morgens frühe zu Seligen- 
ftadt vor dem dortigen Oberthore an der Stelle, wo jet 
die neue evangelifche Guſtav⸗Adolph-Vereinskirche fteht, Die 
Schlüfjfel der Etadt in Empfang genommen, ging er fofort 
über den Muin, nahm im Schloſſe zu Hanau bei dem 
Grafen da8 Mittagsmahl ein und zog gegen Abend nach 
Offenbach ab, um auch den vienburger Grafen Wolfgang 
Henrich wieder in fein Land und feine Reſidenz einzujegen. 
Er hatte unter dem Commandanten Hubald zum Schuß des 
Grafen eine ſchwediſche Befagung in Hanau zurüdgelaffen. 
Hubald machte ſich Durch gute Mannszucht, Herbeilchaffung 
von Proviant und durch Wachfamfeit gegen feindliche Streif- 
corp8 allgemein beliebt; durch glücliche Ausfälle in benach- 
barte Orte, wo die Feinde fich eingeniftet hatten, fäuberte 
er die Umgegend von Raubichaaren. 

Die Rolle wendete fich in den Wechſelfällen des Krieges. 
Aengftlicher wurde wieder die Lage der kleineren proteftan= 
tiichen Reichsſtände, als Guftan Adolf am 6. November 
1632 bei Lügen gefallen war. Die Nachricht feines Todes 
erhielt der ſchwediſche Reichskanzler Oxenſtierna unter 
dem Bogen des jegigen Frankfurter Thores zu Hanau in 


dem Moment, wo er von Würzburg Tommend eben aus 
Band X 9 


130 


Hanau gen Frankfurt abreifen wollte. Noch mehr wuchs 
die Gefahr der evangeliihen Stände nach ter Niederlage 
der Schweden bei Nördlingen 1634; die kaiſerlichen For⸗ 
derungen wurten allenthalbten trohenter und trüdenter. 
Reue kaijerliche Heerhaufen erichienen wieter in der Gegend 
von Hanau und muchten Anftalten zu einer neuen Bes 
lagerung. Dadurch erfchredt, überdies fränktich, verließ der 
Graf Philipp Morig mit feiner Zumilie das Land, empfahl 
e8 dem Echuße des damald in Mainz flehenden Herzog? 
Bernhard von Weimar und ging über Metz nach Holland, 
wo er bei feinem Oheim Friedrich Heinrih von Oranien 
fern von ten Kriegäftürmen etwa drei Jahre lang fich aufhielt. 
Herzog Bernhard übertrug das Commando über Stadt und 
Feſtung Hanau einem bewährten SKrieggmanne, dem 
fhwerischen Generalmajor, Freiberrn, Ritter Jacob von 
Ramfay, einem Echotten von Geburt, damals etwa 
45—47 Jahre alt, der unter Guſtav Adolf gedient und 
fhon in der Schladht gegen Tilly und bei Würzburg fi 
ausgezeichnet hatte. Dieſer zog ſchwediſche und heifiiche 
Truppen heran, verftärkte die Feſtung durch Anlegung neuer 
Vertheidigungswerke, belebte Durch feine Vorſorge für Lebens⸗ 
mittel und durch gute Mannszucht den Muth der Einwohner, 
während er durch kühne, immer glüdliche Streifzüge den 
Zeinden ringeumber fich furchtbar machte. Bekannt ift der 
Ueberfall, den er in Verbindung mit dem Grafen Wilhelm 
Ludwig von Naffau-Saarbrüden gegen die in Michelbacdh 
und Alzenau liegenden faiferliden Truppen in der Nacht 
vom 24. Dezember 1634 ausführte, wobei er eine beträcht- 
liche Beute an Kriegsleuten, Fahnen und Pferden machte. 

Dieſer kühne, den Laiferlihen Operationen in unjerer 
Gegend fo überaus ſchädliche Mann, war der Fatholifchen 
Kriegspartei und ihren Anhängern, befonderd dem Kurfüriten 
von Mainz und dem Landarafen von Hellen-Darmftadt 
ein verhaßter Dorn im Auge Er follte aus feiner Pofition 
vertrieben und wo möglich vernichtet werden. Schon im 


131 


Sommer 1635 erfolgte deshalb eine neue Bedrohung ber 
Stadt und im September erjchien der Failerliche Feld⸗ 
marihall Götz mit zehn Negimentern und ſchloß die Feſtung 
Hanau ein. Bald folgte auf ihn der befannte General 
Lamboy, der mit 3000 Mann ringe um die Stadt durch 
Anlegung neuer Schanzen und Brüden, durch Abjchneidung 
jeglicher Zufuhr, durch bejtändige Angriffe und zündende 
Wurfgeichoffe die Stadt jo hart bevrängte, daß man ihre 
Erhaltung nur den Eugen Gegenanftalten und dem tapferen 
MWiderftande des Eommandanten Ramjay verdantte. 

Sndeffen nahmen Hungersnoth, Seuchen und Leiden 
aller Art in der Stadt und noc mehr in der Landichaft. in 
erjchredlicher Weife zu. Der Mangel, die Theuerung und die 
Hungersnoth, ſowie die Sterbfälle und der Menichenverluft 
\ollen, nad) den vorhandenen Schilderungen, eine Höhe erreicht 
haben, daß mun faft den Berichten darüber den Glauben ver⸗ 
lagen möchte, wenn man nicht aus anderweiten Berichten wüßte, 
wie feit mehreren Jahren durch Mißwachs, Verheerung und 
barbarifche Verwüſtung der Dörfer alle Borräthe verzehrt 
und zerſtört, wie der Aderbau unterbrochen und ganze 
Dorfgemeinden durch Seuchen und Hunger vernichtet oder 
in die Wälder getrieben, wie die Herbeiichaffung der Lebens⸗ 
mittel gehindert oder Durch die räuberifchen Scharen fremder 
Kriegsvülfer unmöglick gemacht und Ärztliche Hülfe gegen 
die Seuchen nicht mehr gefunden wurde. In diefer Nothlage 
lebte das Volk von Laubblättern ohne Brod und nahrhafte 
Zufpeile, von Hunden, Kaben, Ratten, Pferdefleiich, jelbft 
von herausgewühlten Leichnamen, von den Leberbleibjeln 
an Gerippen auf Schindgruben, von den Leibern an Galgen 
aufgehentt, jelbjt vom Fleiſche ihrer getödeten Kinder (Anm. 9), 
Die Ortihaften auf dem Lande entleerten fich durch Krank⸗ 
beiten oder Flucht. Die ganze Gemeinde des Dorfes 
Roßdorf hatte ſich mit ihrer noch übrigen Habe nad 
der feiten Stadt Hanau geflüchtet und genoß bier Pflege 
und religidje Erbauung in dem Hospital der Altſtadt, daher 
9 





132 


Mäter dieſem Armenhauſe bedeutende Fonts und Stiftungen 
von dem reihen Torfe zurüdblichen. Antere T origemeinten 
folgten tem Beitpiel ver Roßdorfer. Tadurch mehrte ſich 
in Hanau tie Vollsmenge, aber auch ter Hunger unt tie 
Menge ter Sterbjälle. Es iollen damals 20,000 Menichen 
während ter Einichliefung durch Hunger und Kranfbeiten 
mweggerafit worten ſein. Taraus wird verſtändlich, wie nad 
bergeitelltem Frieden auch von ter Roßdorfer Bevüiterung 
zujammen nur 59 Köpfe in ihr Torf zurüdfehren Fonnten; 
wie in vielen Gegenten eine nit Heine Anzahl ven 
Törfern gänzlich verfhwand, und viele nur nech in 
Müftungen einzelne Epuren und ihren Namen fortpflanzten; 
wie zum Schutz ter Ortichaften damals die Ringmauern 
und Thürme um Dörfer im banıuilchen Gebiet erbaut 
wurden, welde ihnen daB Ausjehen von ehemals feſten 
Plätzen gaben, — Mauern, die um manche Dörfer nod 
jest vorhanden find.. Aber auch in ven Wältern fand man 
ehemals noh Epuren. von Hütten und lebendige Wälle 
von Waldbäumen und Geſträuch, die ineinander geflochten 
und verwacfen hin und wieter unter tem Namen „Des 
Gebückes“ als Bertheivigungsmittel des in die Wälder 
geflüchteten Volkes dienten. 

Echon damals, im Februar 1636, ſuchte Ritter von - 
Ramſay mit Lamboy einen Vergleich zu Gunſten des Grafen 
Philipp Morig und feiner Wiedereinjegung wie zur Auf⸗ 
bebung der Belagerung abzujchließen; aber bei ten hody= 
geipannten Forderungen der Kaijerlichen zerichlugen fich die 
Unterbandlungen. Weitere Bermittlungsverjuche unter Bei- 
hilfe des Landgrafen Georg von Hellen-Darmftadt brach 
Ramjay ab, weil .er fi und feine Bejagung auf Koften des 
Grafen Philipp Morig nicht retten wollte. Ein Beweis, daß 
der Landgraf auch auf Hanau fein begehrliche8 Auge geworfen 
und daß Ramjay für ded Grafen Rechte treu bejorgt war. 
Es ift zur Beurtheilung des Ritters Ramſay wichtig, Diele 
uneigennügige Handlungsweije vorzumerlen. (Anm. 10.) 


133 


So dauerte denn die furchtbare Sriegsbebrängniß 
und menſchenmörderiſche Hungersnoth fort. Es gehört in 
ſeinen Schaaren von Kroaten, Spaniern und Ungarn gegen 
das proteftantiiche Land und Volk, als gegen Ungläubige 
und Nebellen, mit rober Gewalt und Glaubendzwang 
wüthete; daß rachefchnaubende Mönche für jeden Frevel 
gegen Keber himmlischen Lohn verhießen und Daß Kaiſer 
Ferdinand felbit die Loſung zu ſolchen Greuelthaten in dem 
befannten Ausjpruche gab: „Lieber eine Wülte als 
ein Land voll Ketzer!“ Man fieht, das war fein 
gewöhnlicher Krieg, es wur die fanatiſche Furie des 
Religionskrieges! 

Gegen ſolche Drangſale richteten Ramſay und die 
Bewohner von Hanau ihre Augen und Bitten zu dem 
Landgrafen Wilhelm V. von Heſſen-Kaſſel, der mit 
Schweden im Bunde einer der tapferſten Kämpfer für die 
evangeliihe Suche war. Derjelbe war mit dem Grafenhaufe 
Hanau nahe verwandt; feine Gemahlin war eine Schwefter 
des geflüchteten Grafen Philipp Moritz. Von Franfreich 
mit Geld unterftügt, von feiner Gemahlin dringend zur 
Befreiung Hanaus aufgemuntert, vertröjtete er Durch geheime 
Boten die bedrängte Stadt auf nahe Hülfe, verband fich 
mit dem ſchwediſchen Anführer Leßle und verabredete einen 
Meberfall des kaiſerlichen Belagerungsheeres. Bon einem 
Schwedischen Hülfscorpo von 5000 Mann unter Anführung 
des Seneralmajord Eberhard DBellermann verjtärft, rückte 
er mit 3000 hefjiichen Neitern und 500 Mann zu Fuß 
rajch und indgeheim zum Erjaß heran, gab der hurrenden 
Stadt Hanau auf der Anhöhe bei Windeden an dent f. 6. 
Wartbaum Durch zwei Feuerjignale und Karthaunenſchüſſe 
die Nähe feiner Ankunft fund und überfiel am Morgen 
des 13. Juni 1636 das Ffaiferliche Heer, warf, unterftügt 
durch einen Ausfall der ſchwediſchen Befagung, die damals 
noch aus 300 Mann: beftand, den General Lamboy aus 





134 


allen Pofitionen und zwang ihn nad einem Berlufte von 
800 Torten und 500 Gefangenen zum eiligen Rüdzuge 
nach Steinheim, wo ihm eine ſchon vorher erbaute Brüde 
den llebergang über den Main erleichterte. 

Darauf hielt der fieghajte Landgraf, nachdem er bie 
20 kailerlihen Schanzen um die Stadt erobert hatte, jeinen 
Einzug in Hanau, wo er vom Jubel der Bevolferung 
empfangen wurde. Sein erfter Schritt ging mit Heer und 
Einwohnerichaft zur Kirche St. Maria Magdalena, um 
Gott feinen Dank darzubringen; dann erfreute er Die Durch 
eine neunmonatlihe Einſchließung ausgehungerte Bevöl⸗ 
ferung mit Lebensmitteln. Während der Belagerung Eojtete 
eine Kuh in der Stadt 100 Thlr., nachher nur 5—6 Thlr. 
Ein Biertel Korn koftete damals zu Frankfurt 10 Thlr., 
in Hanau nur 6 Gulden. So hatte Ramſay für Proviant 
geforgt. Es wird berichtet, daß er während der engen 
Einihließung einmal dem General Lamboy zwei Centner 
Karpfen aus der Etadt in das Laiferlihe Lager gejendet 
babe, um den feindlichen General zu täufchen und zugleich 
zu veripotten. 

Zum Andenken an jene Rettung und Speifung wurde 
fortan und wird noch jetzt alljährlich der Tag des 13. Juni 
mit einer Firchlihen Dankſagung und einem freudigem 
Boltsfefte im ſ. g. Lamboiwalde gefeiert; doch ift das 
Lamboifeſt mehr dem weltlichen Genuffe al® der kirch⸗ 
lichen Dankſagung gewidmet, aber ein Waldfeft, an dem 
die gejammte Bevölkerung aus Hanau und der Umgegend 
freudigen Antheil zu nehmen pflegt. 


Unterhbandlung und Vertrag mit dem Commandanten 
Jacob von Namſay. 

Bisher hatte ſich der ſchwediſche Generalmajor von 
Ramſay als Commandant der Stadt und Feſtung Hanau 
unter den ſchwierigſten Zeitverhältniſſen und Kriegsope— 
rationen ſo große Verdienſte erworben, daß ihm auch 





135 


Landgraf Wilhelm da8 Commando in Hanau überließ und 
eine friihe Mannichaft von vier Compagnieen hefflicher 
Truppen unter dem Oberftlieutenant Mot zum Schutz der 
Stadt und Feſtung übergab. 

Es iſt ſchwer zu ſagen, in welchem Sinne der Fort⸗ 
beſtand des Feſtunggeommando damals zwiſchen Ramſay 
und dem Landgrafen aufgefaßt und ſowohl gegeben als 
angenommen worden; doch geht aus mehreren Punkten der 
ſpäteren Traktate und Unterhandlungen hervor, daß Ritter 
Ramſay ſich fort und fort als ſchwediſcher Bevollmächtigtet 
zur Behauptung der Feſtung, und zwar von hanauiſchen 
Räthen ganz unabhängig betrachtete, und deshalb auch den 
bald darauf folgenden Vertrag über Hanau im Mamen- der 
„Schwediſchen Krone” abſchloß und in der Stellung 
feine8 früheren Auftrags verblieb, (Anm. 10.) 

In der zweiten Hälfte des Jahres 1636 und noch zu 
Anfang des folgenden Jahres rechtfertigte Ramſay wie 
früber das in ihn gefegte Vertrauen. Durch Huge, manchmal 
weithin reichende Unternehmungen, Ueberfülle und Streifzüge 
that er aufwärts und abwärts am Main und Mittelrhein . 
den Feinden foviel Abbruch und Schaden, daß der kaiſerliche 
Hof und die ganze kriegführende Partei, zumal die nächften 
Nachbarn, die feine fchwere und rajch zugreifende Sand 
fühlen mußten, mit Zorn und Grimm auf den verwegenen 
ſchwediſchen Parteigänger und feine Pofition in der wichtigen 
Feſtung hinblidten. Insbeſondere niachte er fih dem Kur⸗ 
fürften von Mainz furchtbar. Er nahm Afchaffenburg weg, 
bejette Seligenftadt, plünderte das auf dem Main gehende 
Mainzer Marktichiff ꝛc. und fuchte jogar bie weit entfernte 
trierifche, Damals von ſchwediſchen Truppen bejette, von den 
Kaiferlichen belagerte Feftung Hammerftein, welche unter 
Ehrenbreitftein lag, mit mehreren Schiffen voll 
Proviant zu unterftügen Wenn diefed mit großer Lift 
unternommene Wagniß aud nur theilweife gelang, fo 
Ichredte er doch damit die Feinde und lieh fie weitergehende 





136 


Anfchläge beſorgen. Er jcheint überhaupt weithinaus reichente 
Berbintungen bis nad Franken, Wejtphalen, Sachſen und 
Baris im Intereſſe ter ſchwediſchen Sache unterhalten und 
fich dadurch Geld und Lebensmittel verjchafft zu baten. 

Alle tiefe Beweiſe jeiner Energie und Schlauheit 
nöthigten die Gegner, bejonterd die Fürſten von Mainz und 
Durmitatt, zu Unterhantlungen mit ihm; Waffenitilijtand 
und Xieferungen von Lebensmitteln oter freien Ankauf in 
der Umgegend murten fie ihm mehrmals zugeftehen, jo 
bejonter® im April 1637. (Anm. 11.) 

Der politiihe Haß gegen diefen unangreiflihen Feind 
traf aber nicht allein den jchwediichen Kriegsmann, jondern 
auch den weit Davon lebenden Grafen Philipp Morik, weil 
man ihn mit Ramſay's Thätigkeit und Feintjeligfeiten gegen 
Kaijer und Ligue einverjtanden glaubte, obſchon derſelbe 
auf den ſchwediſchen Parteigänger wenig oder feinen Einfluß 
ausübte, ja jelbft Darunter fehmerzlich litt. Graf Philipp 
Mori war überhaupt fein Mann von Energie und jchon 
längjt des Widerftandes gegen die kaiſerlichen Befehle über- 
drüſſig. Er wünichte nicht3 fehnlicher, als die Gnade des 
Kaiſers und Die Aufnahme in die Neutralität und die Vortheile 
ded Prager Separatfriedend, um jobald als möglidy in fein 
Land zurücfehren zu können. Was kümmerten ihn die 
übermüthigen Feldherren der Schiveden, die Guſtav Adolfs 
Wert mit viel Geſchick, aber nicht mit feinem Geifte und 
Wohlwollen fortjegten, und wa8 turfte er erwarten von den 
verbedten Planen tes franzöfiichen Kabinets, welches Damals 
thätig wirtjam, wenn auch unfichtbar, hinter ven Schweden 
ftand?® Der fühne Geift des Kardinald Richelieu, Frank: 
reichs Staatdlenfer und des Haufed Habsburg nie verjühnter 
Feind, leitete den deutichen Widerftand wider Kaiſer und 
Ligue mit feinem Gelde und Einfluffe. Der Dänenkönig und 
jpäter Guftav Adolf waren durch ihn zur Einmifchung auf- 
gerufen, Herzog Bernhard von Weimar feit dem Heilbronner 
Vertrag wie ein franzöfifcher Telpherr von ihm angefeuert 


137 


und unterffüßt worden; mittelbar oder direft fcheint auch 
Ramfay mit dem franzöftiihen Kabinet in Berbindung 
gemwejen zu fein. 

Graf Philipp Morig Hatte ſchon früher mit dem 
Burggrafen von Dohna über die Entfernung Ramſay's und 
feine eigene Rückkehr in fein Land unterhantelt. Da er 
fich in den Niederlanden von allen Subjiftenzmitteln entblößt 
ſah, wünichte er in die Gnade des Kaiſers aufgenommen 
zu werden. Um fo nöthiger mochte e8 ihm erjcheinen, Die 
Sache Schwedens thatfächlich zu verlaffen, den ſchwediſchen 
Commandanten von Hanau um jeden Preis aus feiner 
Vofition zu entfernen und mit deſſen nächſten Gegnern, 
mit Kurfürft Anfelm Cafimir von Mainz und Lundgraf 
Georg von Darmftadt gemeinschaftlich auf dieſes Ziel hinzu 
arbeiten. Der Kurfürft bot ſich als Vermittler zwijchen 
ibm und dem failerlihen Hofe an. 

In Folge deſſen beauftragte Kailer Ferdinand If. den 
Kurfürften zu Unterhandlungen und Abjchluß eined Accord 
mit Ramſay. 8 trat auch im Herbit 1636, wahrſcheinlich 
zu Mainz, eine Konferenz zwilchen mainziichen Abgeordneten, 
worunter Obrift Henrich, Burggraf von Dohna, und Johann 
Chriftoph von Hegnenberg genannt werden, mit den Bevoll- 
mädhtigten Ramſay's zufammen, welche unter Vorbehalt 
faijerlicher Ratififation eine Anzahl Vergleichspunkte ſowohl 
über die Begnadigung des Grafen Philipp Mori und feine 
Neftituirung, als über eine demnächftige Räumung ber 
Stadt und Feftung Hanau aufitellten, worin dem Com— 
mandanten Ramſay gewiffe Stipulationen zu feiner Ent- 
ſchädigung und perfünlichen Sicherftelung zugelichert wurden 
und er Dagegen feinen Abzug verfprach, wenn dieje ihn 
betreffenden Accordspunfte erfüllt morden. 

Diefer Vertrag wurde unterm 5. Dezember 1636 
von Kaijer Ferdinand I, zu Regensburg ratificirt, kam aber 
damals wegen ded am 15. Februar 1037 erfolgten Todes 
dieſes Kaiſers nicht zur Vollziehung. 


138 


+ 


Aus tiejer Urkunde, die und in einer gefchriebenen, 
formgerecht mit allen Ritualien verjehenen, vom 21. Auguft 
datirten und von Kaiſer Ferdinand Il. ausgeftellten Copia 
vorliegt, erfieht man, daß Ritter von Ramjay in ten Unter 
handiungen und Stipulationen, wie bereit früher, jo aud 
jest für die Ausſöhnung und Wievereinjegung des Grafen 
von Hanau in eifriger Weiſe thätig geweſen, Doch feinen 
eignen Ausmarſch aus der Feſtung an Betingungen knüpfte, 
welche ſowohl die thatjüchliche Auslieferung der Stadt und 
Feſtung an den rechtmäßigen Grafen, als feine eigenen 
perjünlichen Intereſſen fichern jellten. 

Durch den ganzen Gang aller Verhandlungen leuchtet 
bei Ramjay, wie auch jpäter beim Grafen Philipp Meorig, 
der Verdacht hervor, daß die Fuijerlihe Partei es mit der 
Reftituirung des Grafen nicht ehrlich meine, daß man 
vielmehr damit umgebe, nach Entfernung des jchivedijchen 
Commandanten zunächſt nur die Feſtung und vielleicht aud) 
die Örafichaft in aiferliche Gewalt und Bejig zu bringen, — 
ein Miftrauen, das in Ramſay durch muncherlei Ränke 
feiner Gegner erwedt und auch thatjüchlich verjtärkt wurde. 
Doch Ramjay war nicht blos Soldat, er war auch ein Fluger 
Diplomat und den Intriguen jeiner Gegner gewachjen. 

Als Ferdinand IM. jeinem Vater in der Kaiſerwürde 
nachfolgte, erwirkte Kurfürft Anjelm Cafimir aud bei ihm 
die Ermächtigung, in den früher gepflogenen und feitgejegten 
Unterhandlungen mit Ramſay Die hanauiſche Suche zu 
einem endgültigen Abjchluffe zu bringen. Er erhielt dazu 
Auftrag und Vollmacht. Sofort berief er im Auguft 1637 
die Parteien zu abermaligen Unterhandlungen zujammen. 
Zu Mainz erjhienen wiederum die Abgeordneten des Kurs 
fürften, de3 Lantgrafen Georg von Darmitadt und des 
Raths der Stadt Frankfurt. Für den Grafen Philipp 
Moritz erſchien als Vertreter fein Schwager Graf Albrecht 
Dito von Solmd-Laubady, und für Hanau und Namjay 
ber gräflich hanauiſche Rath Dr. Haßmann und Stabts 


139 


fchreiber Nothichied, um auf dem früher gelegten Grundſtein 
weiter zu bauen. 

Es ift uns unbekannt, wie viel Neues und Altes 
bei diefer Unterhandlung in die Vertragspunkte aufgenommen 
wurte. Am 21. Auguft 1637 wurde unter Vorbehalt faifer- 
licher Genehmigung der Vergleich zu Stande gebracht. Als 
jedoch die fchriftliche Urkunde darüber dem Commandanten 
Ramſay zur Unterzeichnung vorgelegt wurde, bemerfte er 
darin eine abgeänderte Faſſung, befonders in den Punkten, 
die feine Entichädigung und Sicherftelung betrafen. Er 
erflärte die Urkunde für ein verfülichtes Inſtrument und 
fuhr die Gefandten zornig an: „Suget Euerm Kurfürften, 
wofern der rechte Abjchied nicht genehmigt werden je, 
jo werde ich mit einem Heere fommen und fein ganzes 
Land verwüſten. Was würdet Ihr jagen, wenn ih Euch 
bier behielte ' 

Nun wurde, wie Röſe im Leben Bernhards von 
Weimar berichtet, zwar die vollftindige Nedaktion des 
Vergleichd vorgelegt und von Ramſay unterzeichnet, dieſer 
aber dadurch beftimmit, aus Hanau nicht zu weichen, aud) 
die. Stadt und Regierung des Landes nicht eher an den 
Grafen Philipp Morig zurücdzugeben, bis alle Vor— 
bedingungen buchſtäblich erfüllt und feine perjönlichen 
Öarantieen gelichert wären. (Anm. 11.) Bei diefem Anlaß 
fcheint er über die Ausführung des Vertrags einige nähere 
Beitimmungen und Mafregeln der Sicherung gefordert oder 
aufgeftelt zu haben, Die zwar nicht? Neues, jedoch jchärfere 
Formen der Erledigung beifügten. 

Mir geben nun aus dem uns vorliegenden Aftenftüd 
aus Rößlers Archiv mit der Aufichrift: „Copia Confirmationis 
Accordis“* einen Auszug und theilweile den wörtlichen Text. 

Nah den Eingangeworten: „Wir Ferdinand der 
Dritte, von Gotte8 Gnaden erwählter römifcher Kaifer ꝛc.“, 
wird der Vollmacht des Erzbiſchofs und Kurfürften 
Anjelm Eafimir gedacht, dann auf die früher aufgejtellten 


140 


„Accordirte Puncta““ unt ihre Genebmigung durch Kaifer 
Ferdinand II. vom Jahre 1636 hingewieſen, unt ebenſo 
die tamaligen Berellmäctigten Obriſt Henrich, Burggraf 
zu Zohna, und Johann Chriftoph von Hegnenberg aufs 
geführt, welche nachjtehente Accortöpunfte mit tem von ter 
Krone Schweten und teren evangeliihen Buntesgenojjen 
bejtellten Generalmajor und Commandanten Ter Stadt und 
Feſtung Hanau, „Sucoben, Freiherrn von Ramſay, Nittern, 
ſowohl wegen Parbonir= und Ausjühnung Graf Philipps 
Morigen zu Hanau-Müntzenberg, ald auch wegen Accomo— 
dation derjelben Stadt und Zeitung Hanau zu Pupier 
gebracht und von beiden Theilen unterjchrieben zur Rati— 
filation Kaiſerlicher Majeftät überreicht haben.” Es wird 
ebenjo auf die von Kaifer Ferdinand II. ertheilte Ratifikation 
unter dato Regensburg den 5. Dezember 1636 und die durch 
deſſen Abfterben gehinderte Vollziehung ter Iraftute, ferner 
auf die neue Berollmäctigung des Kurfürften zu Mainz 
„zu deren fernern Tractation und Disposition” hingewiejen 
und ſowohl der Zujtimmung als der Vertrerung ded Grafen 
von Hanau dur feinen Plenipotentarius den Grafen 
Albrecht Dtto von Solms-Laubach erwähnt, jowie aud 
der Ramſayſchen Vertreter Dr. Haßmann und Rothſchied, 
und dann in folgende 6 Hauptpunfte mit ihren Unter- 
punftationen des Wejentlichen aljo eingetreten: 


„l. Daß alte Vertrauen und friedliebende Nachbarſchaft 
zwifhen Mainz ſammt benachbarten Ständen und ber 
Srafihaft Hanau wird wieder hergeftellt, und ſoll von 
feinem Theil wieder Urjach oder Anlap zum Bruch gegeben 
und alles bisher Vorgefallene aufgehoben werden. 

Il. Sollen alle und jede vor diefem verglichenen und 
aceordirten Punkte richtig verbleiben und von beiden Theilen 
nunmehr wirflich und aufs lüngjte innerhalb. drei und vier 
Wochen erften Tags vollzogen werten und find ſolche Dieje 
gewejen, wie hierbei ordentlich hernach folget: 


141 


1) daß Herr Philipp Morig Graf zu Hanau für fh — 
und dag ganze gräflihe Haus Hanau und alle recht- 
mäßige Nachfolger des mit dem Kurfürften ven Sachen 
zu Prag geichloffenen Frieden? genieken, deswegen 
in die General: Amneitie eingejchloffen und in den Beſitz 
von allen Landen und Leuten ꝛc. —, wie er und 
feine Vorfahren bejeifen, unentgeldlich und ohne Verzug 
reſtituirt werden ſoll. 

2) Sollten alle Städte, Dörfer und Flecken der Graf— 
haft Hanau bei ihren Freiheiten, Rechten und 
Gewohnheiten ungeftört verbleiben, auch um ihrer 
Religion willen von dem Pragiſchen Briedengichluf 
weder unter den Worten der Augdburgiichen Religiong- 
verwandten noch unter anderm Schein außgeichloffen, 
ſondern darin aufs und angenommen fein, und defjen 
ſowohl als alle anderen in gemeldeten Frieden auf- 
genommenen Stände der Augsburgifchen Confeſſion 
genießen und dem entgegen nicht beichwert werden. 

3) Sollen auch alle Räthe, Diener, Geiftlihe und 

Meltliche, Bürger, Untertbanen, Beiſaſſen, Echuß- 

und Scirmverwandten und Angehörige der Grafichaft 

Hanau, vom Höchiten bis zum Niedrigften, fie haben 

Namen wie fie wollen, in vollflommener Amneftie 

begriffen und Eräftig mit eingejchloffen, und demnach 

deren Keiner dejjen, was in den biöherigen Kriegs— 
unruben vorgegangen und entweder gegen die Römifch 

Kaijerlihe Majejtät oder ſonſt Anderen etwas gethan 

worten, in feiner Weile an ihrem Leib, Habe und 

Gütern, Stand und Amt, Leben und Eigen zu. 

entgelten haben. 

Nachdem in obgedachtem Prager Friedensſchluß vor= 

gejehen ift, Daß der Kurfürjten und Stände Refidenzen 

und Feltungen wie auch die Reichsitädte mit aller 

Einquartirung verjchont bleiben follen, demgemäß ſoll 

auch die Alt» und Neuftadt Hanau als Reſidenzort 


4 


— 





142 


mit Einquartirung und anderer als de8 Herrn Grafen 

Garniſon nicht bejchwert, ſondern verſchont bleiben; 

jedoch fol der Herr Graf die gedachten beiden Städte 

wider alle Feinde Kaiferlicher Majeftät und des Reich 
nach Außerfiem Vermögen vertheitigen und zu dem 

Ende jowohl Bürger al8 Soldaten zum Gehorjum 

gegen Kaiſerliche Majeftät verpflichten. 

5) Sollen alle Brandichagungen, Kontributionen und 
andere Exactionen fowohl in Städten ald auf dem 
Zande gänzlich unterbleiben. 

II. Soll Herr Graf Philipp Morit zu Hanau feine 
Bardonirung bei Kaiferlicher Majeftät jehriftlich oder mündlich 
ſuchen. Sofern der Herr Graf von Solms als Bevollmäd- 
tigter und demnächft der Herr von Hanau felbft bittend ein- 
kommen werden, erklärt fich der Kurfürft von Mainz bereit, 
ſolche Echreiben mit feiner Recommendation an den Kaifer 
einfenden und unterftüßen zu wollen, damit fowohl der voll- 
ftändige Kuijerlihe Pardon als auch endliche Genehmigung 
aller Punkte dieſes Vertragd erfolge, und der Herr Graf 
zu Kaiferlicher Huld und Gnade wieder aufgenommen und 
zu jeinen Land und Leuten nad Anleitung Ver Kaiferlichen 
Erklärung von Lagenburg am 8. Mai 1637 zugelaffen und 
bei diejem Accord gefchügt werde, 

IV. Sof von Kailerliher Majejtät ein Recommen- 
bationgjchreiben an den Herzog von Mecklenburg erlafjen 
werden, damit der Generalmajor von Ramſay in den Bejig 
der ihm von der Krone Schweden gejchenften Güter im 
Medlenburgiichen (nebſt Zugehör und Rechten) jofort nad 
erfüllten Vertrage gelange und ihm Die Schenfung von 
Land und Leuten (20 Bauern und 20 Caſſates) von 
gedachten Herzog confirmirt und überliefert werde, 

V. „Sollen dem Generalmajor Ramjay die allbereits 
„eingewilligten fünfzig Taufend Thaler (für feine zur Be— 
„hauptung der Feſtung gemachten Auslagen 2c.) gleich auf 
„die eingelangte Kaiſerliche Confirmation und feinen darauf 


143 


„erfolgenden Abzug, den er auch alsdann aufs allerförderlichfte 
„zu Werk zu richten und gedachte Feltung nach) Ausweis 
„der verglichenen Punkte abzutreten hätte, baar und wirklich 
„zu Frankfurt ausbezahlt und entrichtet, auch dabei dieſe 
„Vorſehung geichehen, daß Niemanden, wer der auch immer 
„\ein und unter wad Vorwand, Prätext und Namen er fi 
„auch angeben müchte, einiger Arreft und Hemmung auf 
„jolche Gelder oder einen Theil derjelben verjtattet, ſondern 
„er deren, bis diefelben an Ort und Ende e8 ihm beliebig 
„und anftändig, der Wechſel überbracht fein werde, aller- 
„dings verjichert jein und bleiben joll.“ 

VI. Sollen jett jogleich alle Feindfeligkeiten beiderſeits 
aufgehoben und bis zu dieſes Accords gänzlicher Volziehung, 
wozu auf Mittwoch, den 26. dieſes, neuen Kalenders, eine 
weitere Zujammenfunft nah Mainz beſtellt und angeſetzt 
worben, ein armislitium außgeblafen, gleichwohl aber die 
Völker noch zur Zeit in ihren inhabenden Poften gelaffen 
nach geichehbenem Schluß aber mit guter Ordre und ohne 
Schaden und Verderben des Landes wirklich abgeführt, 
Jedermann aber freier Paß und Commerz, freier unge- 
binderter Lauf zu Wafler und zu Land wieder verftattet, 
darauf auch über diefen Accord zwei oder mehrere gleich» 
lautende Receß in beftändigfter Form aufgerichtet, von Ihrer 
Kurfürftlicden Gnaden von Mainz einestheild, anderentheilg 
aber von dem Generalmajor Ramfay mit eigenhändiger 
Unterfchrift und Sieglung vollzogen werben. Signatum 
Mainz den 21. Auguit 1637.” 

An Diefe BVertragspunfte jchließt fich die Kaiferliche 
Confirmation mit ber ausdrüdlichen Erklärung an: daß 
er obgemeldete Punkte aus Römiſch-Kaiſerlicher Machts 
vollfommenbeit von Wort zu Wort „Kraft Ddiejed in der 
beiten Form gnäbigft rutifiziren, acceptiren, confirmiren und 
betätigen thue“, und gebietet ſodann ſchließlich alten 
Gewalten, Obrigfeiten, Befehlshabern, Unterthbanen und 
Getreuen, daß fie gegen dieſen beftätigten Accord nichte 


144 


vornehmen oder Andern gejtatten jollen bei höchiter Kaiſer— 
licher Ungnade 20.” 
Gegeben im Schloffe zu Ebersdorf 
am 14. September 1637. 
Ferdinand, 


vd. P. H. v. Stralendorf. ad mandatum aacrae Caes. 
maiestatis proprium 


Johann Söldtner Dr. 


Wenn auf Grund abgeſchloſſener Verträge unter den 
Kontrahenten, wie häufig vorfommt, Meinungsverſchiedenheit 
oder Streit ausbricht, jo handelt es ſich gewöhnlih um 
den Sinn und die Deutung einzelner Worte oder Ausdrüde 
der Vertragspunkte; daher jchien ed und wichtig, die legteren 
Punkte obigen Compromiſſes möglichſt ausführlid und 
Punft V. wörtlihd bier aufzunehmen. Was jedoch hier 
auffällt, ift der Umftand, daß gerade diejenigen Puntte, 
worüber nachher der Streit ausbrah, in vorſtehendem 
Bertrageinftrument gar nicht vorlommen, namentlich vermiffen 
wir drei Nebenpunfte, ohne deren vorausgehende Erfüllung 
v. Ramſay weder von Hanau abziehen, noch die Vollmacht 
in der Stadt und Feſtung an den rechtmäßigen Yandesherrn 
abgeben wollte. (Anm. 11.) Er jcheint erft nachträglich 
dieje Vertragspunfte beigefügt und dafür Zuficherung erlangt 
zu haben und beruft fich deshalb auf die Nothwendigkeit 
alljeitige Garantieen zu fordern, da feine Gegner ihn ſchon 
einmal zu tüufchen gejucht hätten, wie Pufendorf anführt: 
„Er wollte den Vergleich allerdings halten, wenn der Feind 
nur bei feinen Worten bliebe, daran er aber ſehr zmeifelte, 
weil er ihn nicht das erſtemal betrogen.” — Dieje Garantieen 
zu feinem Schuß waren: 

1) daß zu feiner perjönlihen Sicherftellung beim 
Abzuge aus feiner Pofition mehrere adelige Perjonen 
fatholiicher Religion als Geißel in das Lager des ſchwe— 
diſchen Generallieutenant3 King nach Weftphalen gefendet 
und daſelbſt jolange verbleiben müßten, bis er ſelbſt an 


143 


einen ficheren Ort zu den Seinigen gekommen jein würde, 
worauf die Bürgen dann in Freiheit geſetzt werden follten. 

2) Sollten ihm von Eeiten de8 Herzogs von Medlen- 
. burg die Güter Teutenwinfel, Weſſelsdorf und Wenikel nebft 
Zubehör durch Vermittlung des Kaiſers fürmlich überliefert 
oder ihm dafür andere Güter von gleihem Werthe im 
Reich überwiejen und zugefichert werden. 

3) Sollte er erfi dann zum Abzuge au8 Hanau vers 
pflichtet fein, wenn die ihm zugeflandenen 50,000 Rchsthlr. 
an dem Orte ihm zur Verfügung geſtellt, den er felbft 
bezeichnen würde, und über die richtige Dispofltionsftellung 
der Summe ihm zuvor eine jchriftliche Bejcheinigung beis 
gebracht worden. (Anm. 11.) 

Noch war keine einzige Bedingung erfüllt worden, da 
erivartete und forderte man ſchon feinen Abzug aus Stadt 
und Zeitung Hanau, und Kurfürft Anfelm Cafimir von 
Mainz berief fofort den Grafen Philipp Mori, der damals 
m Holland frank lag, um fchleuntgft herbei zu eilen und in 
feine Refidenz und die Regierung feiner Grafſchaft wieder 
einzutreten. Es wird dabei berichtet, daß der Graf in 
Holland aus. Mangel an Subfiftenzmitteln fich nicht länger 
babe halten fünnen, Sobald jedoch die Abficht feiner Rüd- 
kehr bekannt wurde, fuchte nicht nur der franzöſiſche Geſandt⸗ 
ſchaftsſeeretär Brafet ihm davon abzurathen und fol ihm 
dufür eine Geldunterftügung von Seiten feined® Hofes an— 
geboten haben, fondern auch Ramfay fol ihm die. Warnung 
haben zugehen laffen, er möchte biß zur Erfüllung der 
Vertragspunkte unterwegs, etwa in Köln oder St. Goar, ver= 
bleiben, verniuthlich, weil er die unausbleiblichen Collifionen 
zwijchen feinem Commandanten-Recht und dem Recht des 
Grafen ald Landesherrn voraus ſah und vermeiden-mollte. 

Der Straf ließ fich aber nicht abhalten und feßte feine 
Reife fort. Zu Frankfurt angelangt, mag er felbft zu Bor 
fichtämaßregein beftimmt worden fein. Dazu bedurfte. er 


eines treuergebenen und unternehmenten Mannes; den ſuchte 
x. Band 10 





146 


und fund er in Major Winter, der damald zu Frankfurt 
- im SBrivatflande lebte. Denſelben nahm ter Graf als 
Shrijtwachtmeifter in feine Dienfte und gab ihm den Auf- 
trag, zweihuntert Mann anzuwerben, angeblih um nad 
Ramſays Abzug die fünftige Befakung von Hanau unter 
Johann Winterd Befehl zu bilten. 

Damit beginnt die antere Hälfte ver ruhmvollen 
Zaufbahn de Johann Winter, der fortan mit gleicher 
Ergebenheit und Energie das Grafenhaus von Hanau aus 
tiefer Nothlage zu retten ſuchte und wirklich rettete, wie er 
früher als einen treuen und wirfjamen Helfer für daß 
Haus Bienburg ſich bewährt hatte. 


Die Thaten uud Verdieuſte des Zohaun inter zur 
Befreinug der Stadt uud des Grafen von Hauan and 
Namſay's drückender Obergewalt. 


Die Colliſion, welche Ritter von Ramſay hatte ver⸗ 
meiden wollen, konnte nicht ausbleiben, als der Graf Philipp 
Moritz am 25. November 1637 ſeinen Einzug in Hanau 
hielt. Seine Räihe und Unterthanen empfingen ihn mit 
Jubel, doch Ramſay nahm an dieſem Empfang keinen An⸗ 
theil, ſtellte fich auch zu Gruß oder Ordres beim Grafen 
nicht ein, vielmehr benahm er ſich als unabhängigen Befehls⸗ 
haber und Regenten in einer Feſtung, die er für feine krieg— 
führende Partei dem erhaltenen Auftrage gemäß zu behaupten 
fuchte. Er wollte fie auch im eignen Intereſſe unter feinem 
Oberbefehl halten, bis Die vertraggmäßigen Punkte von 
feinen Gegnern erfüllt und damit die Zeit gelommen wäre, 
wo Stadt, Feitung und Landſchaft in die Hänte und Gewalt 
de3 eigentlichen Landesherrn übergehen müßten. 

Der Graf bezog mit jeiner Familie das Schloß in 
der Altftabt und Ramſay ließ es geſchehen; als aber Philipp 
Morik ohne des Commandanten Zuftimmung einige Re⸗ 
gierungshandlungen vornahm, namentlich die eingeführte 
öffentliche Fürbitte für die Sirone Schweden und Königin 


147 


Chriftine aus dem Kirchengebet wegzulaffen befahl und in 
Betreff der Bürger und über die Soldaten der Belakung 
mancherlei anordnete, da erflärte Ramſay dieſes Vorgehen als 
einen zur Zeit noch unbefugten Eingriff in fein Commando 
und als Treubruch gegen den Mainzer Vertrag, denn nad) 
Kriegsgebrauch betrachtete ſich Ramſay als alleinigen Ober: 
befehlshaber in einer Feſtung, die er für die ſchwediſche 
Kriegsmacht zu behaupten und nicht eher in andere Hünde 
oder Befehle abgeben dürfe, bevor fie nicht laut des 
Vertrags übergeben worden. (Anm. 12.) 

Wie man auch fein Urtheil über die Handlungsweiſe 
fowohl des Grafen als des Kommandanten feftftellen mag, 
jo bleibt doch das unzweifelhaft, daß Graf Philipp Morig 
ſchon durch jeinen Einzug in eine bewaffnete und von einer 
fremden Militärgewalt beherrichte, beſtändig von der feind- 
lichen Gegenpartei durch Lift und Gewalt bedrohte Feſtung 
einen Fehler begangen und daß er diefen Miſſchritt noch 
vergrößerte, al8 er im Rayon des fremden Commandanten 
ungeitig und unflug nicht allein als Herr befehlen, jondern 
auch einen Gegenſatz gegen die ſchwediſche Macht Fund 
thun wollte, 

Ramſay glaubte in feiner unbeugjumen Anficht von 
Militärgewalt einem Beginnen, das feiner Sicherheit ge⸗ 
fährlich werden Eönnte, fofort ohne Schonung entgegen treten 
zu jollen, und er that ed in Der Weile eines ebenjo wach» 
ſamen als mißtrauiſchen und rauhen Soldaten des dreißig 
jährigen Kriege. Er bejeßte ſogleich das Schloß in der 
Altftadt, wo der Graf fich aufhielt, mit einem Trupp Sol⸗ 
daten, nahm ten Grafen mit Familie gefangen, entfernte 
deſſen Räthe und Diener, ſetzte auch den einige Tage jpäter 
von Mainz ber anfommenden Grafen Albrecht von Solms 
gefungen und fol gegen ihn, den er mit bejonderem Miß— 
trauen als Nathgeber des Grafen und mit feiuen Beinden 
verbündeten Gegner betrachtete, mit rober Härte verfahren 


huben. 
10 * 





148 


Bon tiefem Moment an, etwa feit Mitte Tezember 
1637, bantelte er, nach hanauiſchen Berichten, als offener 
Sein? und thatſächlich als Uiurpater, benahm fich gegen 
Rath und Bürgerichaft balt als fireng gebietenter Herr, 
bald mit jhmeichelnter Milte unt mit Beriprechungen eines 
fräftigen gütigen Regiments, nahm auch alle Regierungs- ' 
geichäfte in jeine Hand, ließ tie Soldaten nochmals Ge— 
horſam und Treue jchwören, jorgte für eine neue Verpro⸗ 
viantirung ter Feſtung, gleich al3 bereite er ſich auf eine 
bevorftehente neue Belagerung vor, verfügte im Innern 
und nad) Außen wie ein Landesherr, ohne fich hierbei um 
den Grafen zu kümmern, ja er ſoll, wie hanauiſche Berichte 
und Meberlieferungen erzählen, offen gegen die Bürger: 
ſchaft erklärt haben: der Graf fei zur Regierung unfähig, 
dagegen werde die Stadt an ihm einen fräjtigen Herrn 
und Schuß haben. 

Es ift unmöglich jett noch die wahren Abfichten und 
Handlungen des Ritter von Ramſay gegenüber ten Rad- 
richten zu ermitteln, Die im Munde des Bolfs und von den 
Gegnern wohl abjichtlich mit planmäßiger Uebertreibung oder 
Verdrehung wider ihn umbergetragen und geglaubt wurden; 
aber das fteht feſt, daß er dad Recht und die Perſon de 
Landesherrn als rauher Krieger den politifchen und militä- 
riſchen Intereſſen der Friegführenden Allianz nachjegte und 
mit beiden Mächten des Auslandes, welche wider Kaiſer 
und Ligue verbunden waren, in fortwährendem Berfehr 
ftand. Es ift aber fchwer zu fügen, ob er nur zur Erfüllung 
des Mainzer Bertragd einen Stüßpunft bei Frankreich ge- 
fucht habe, weil jchon Damals der ſchwediſche Einfluß fehr 
geſchwächt war, oder ob er, wie ihm Schuld gegeben wird, 
felbftjüchtigen Verrath zu Gunften franzöfiicher Politif und 
Vergrößerungsplane und zu Dem Zwed eine Webergabe der 
Stadt und Grafihaft Hanau an Frankreich beabfichtigt und 
in diefem Sinne die Feſtung nicht herausgegeben habe. 

Will man gegen ihn möglichjt gerecht fein, fo muß 


149 


man auf feinen brieflihen Verkehr mit Herzog Bernhard 
von Weimar hinmeijen, der zwar mit Franfreich im Bunde, 
aber fein Verräther teuticher Ehre und Reichsintereſſen 
geweien. Der Herzog hatte ihn wiederholt aufgefordert, 
die Feftung Hanau muthig zu behaupten und ihm dabei 
das Gerücht über ihn mitgetheilt, „als beabfichtige er eine 
Uebergabe von Hanau an Frankreich, was er jedoch zu 
feiner Ehre nicht glauben wolle.” Es wied aber Ramjay 
ſolche Beichuldigung mit Entrüftung zurüd, und es muß 
ihm darin Glauben gejchenft werben,“ da er bißher in allen 
Unterhandlungen mit dem Kurfürften von Mainz und Ges. 
nofjen fo eifrig die Reftituirung des rechtmäßigen Landesherrn 
betrieben, jedoch ftet8 in der Richtung thätig geweſen war, 
Stadt und Land allein in die Hand des Grafen unter: den 
vertraggmäßigen Bejtimmungen zu übergeben, um fie nicht 
in die entjchieten Euiferlihe Gewalt füllen zu laffen. Immer 
benahnı er fich hierbei allerdings als ſchwediſcher Partei- 
gänger und Bevollmächtigter, da er den abgeichlofjenen 
Mainzer Vertrag jowohl an die Krone Schweden zur Geneh— 
migung einfenvete, ald auch dem Herzog - Bernhard von 
Weimar mittheilte, der wohl Die Uebergabe billigte, jedoch 
ihm die ftrengfte Einhaltung der Accordsbedingungen zur 
Pflicht machte und nicht eher die wichtige Pofition auf- 
zugeben anrieth. Man darf hierbei nicht überjehen, daß 
Ramſay feine Vollmacht bezüglich der Feſtung Hanau allein 
vom Herzog Bernhard empfangen hatte und demfelben dafür 
verantwortlih war. (Anm. 13.) 

Aus allen Umftänden und Berichten über diefen Punkt 
fühlt man fich daher zu der Annahme beftimmt, als habe 
ſowohl der Herzog Bernhard als Ramſay die. Bejorgnif 
gehegt, Die Euiferliche Partei und ihre Vertreter in Mainz 
und Darmftadt, und felbjt die Freunde und Näthe des 
Grafen Philipp Morit hätten unter dem Vorwande der 
Reſtituirung der gräflichen Regierung doch nur die Eirwers 
bung der wichtigen Feſtung für ihre Anterefjen: betrieben, 





150 


zumal mit dem Tode des fchwächlichen und fortwährend 
fränklichen Grafen Philipp Morik, der nur ein ſechsjähriges 
und ebenfall® fchwächliches Söhnchen hinterließ, Die Linie 
des Grafenhauſes Hanau - Münzenberg zu erlöjchen jchien, 
und nach dem Hinſchied ſowohl des Grafen 1638 als feines 
Sohne? 1641 und de8 Grafen Johann Ernft 1642 aud 
wirklich erlojh. Hanau war aber damals um der Glaubens— 
ſache willen und wegen feiner Lage und Feftigfeit, wie auch 
als ein werthvolles Austaufchobjeft bei einem Fünftigen 
Briedensichluß eine fo bedeutiame Pofition, daß Freund 
„und Yeind an ihrem Befig einen wichtigen Stügpunft 
haben konnten, | | 
Die Erwägung dieſer Verhältniſſe, unterftüßt von 
manichfachen brieflihen Belegen, macht Vieles in vieler 
Auffafjung Der verdedten Motive verftändlih. Daher er- 
Härt fich auch, Daß Ramfay, während die Gegner auf feinen 
Abzug binarbeiteten und rechneten, neue jchwedilche Truppen 
aus der Wejergegend, Gelder von Frankreich und größere 
Getreidevorrütbe aus Franken herbeizufchaffen bemüht war. 
Das machte denn doch feine Gegner bejorgt und überdieß 
drängte Die Gefangenjchaft der gräflichen Tamilie zu einem 
Entgegenfommen, da fein andere Mittel gegen ten un 
beugfamen Willen des Kommandanten anjchlagen wollte, 
Alfo meldete ihm der Kurfürft von Mainz: „die ihm bes 
willigten 50,000 Thlr. lägen in Amfterdam zu feiner Ber- 
fügung bereit." Ramſay erklärte diefed Verfahren für ver: 
tragswidrig „ba das Geld nach dem 5. Artikel des Mainzer 
Accords an ihn felbft oder an die von ihm gu bezeichnende 
Perjon abgeliefert werden müſſe.“ Er fügte jenen Vertrags⸗ 
punkten nun Die genauere Forderung bei, daß Die fragliche 
Geldjumme mit den inzwifchen aufgelaufenen Zinſen an 
feine Frau zu Edinburg gejendet und vor feinem Abzuge 
die geforderten Geißeln bei Generallieutenant King in Wells 
phalen angelangt fein müßten. Bei diefem Anlaß forderte 
er die Stellung adeliger Geißeln von feinem Range und 


151 


katholiſcher Religion, um fich eine ebenbürtige Bürgichaft 
zu feiner Sicherheit zu verichaffen. 

Unter ſolchen Verhandlungen und, was nicht zu ver⸗ 
Sennen ift, beiderſeitigen Praftifen zog fich die definitive 
Ausführung des Vertrags in die Länge und ed war nod) 
fein Ende diefer Zerwürfniffe abzujehen, da Kommandant 
Ramſay, in Folge einiger günftigen Mechjelfülle für feine 
Bartei, mit jedem Tage hartnädiger und in feinen Forde— 
rungen begehrlicher wurde. Darum war jegt der Moment 
gegeben, wo da8 Unterhandeln als ſachgemäßes Rettungs- 
mittel aufhören, wo man gegen ihn den Weg der rettenden 
Liſt und Gewalt betreten mußte. 

Schon im Februar (unterm 7/17.) 1638 aite Kur⸗ 
fürſt Anſelm Cafimir den Grafen Ludwig Heinrich 
von Naſſau-Dillenburg, kaiſerlichen Generalmacht: 
meiſter und nahen Verwandten des Grafen von Hanan, 
zu einem friegerifchen Unternehmen gegen Ramfay aufge= 
fordert und denjelben dazu geneigt befunden ; Doch ergiebt jich 
aus den und vorliegenden Papieren im Rößler'ſchen Archie, 
daß die Seele des Anſchlags unfer Sohann Winter 
gewejen, der bereits in Hanauiſchen Dienften ftand und 
dafür Truppen anzuwerben unternommen hatte. Nach den 
älteren Erzählungen über die Vorbereitungen des Unter- 
nehmens zum heimlichen Ueberfall des Kommandanten von 
Hanau jollen zu Mainz und im Mainziichen Dorfe Neuen- 
bain am Taunus Unterhandlungen und Eonferenzen ftatt> 
gehabt haben; wenn man dieſe Ortsangabe auch kann gelten 
laffen, da wahrjcheinlich mehrere Zuſammenkünfte gehalten 
wurden, jo ergiebt fich Doch auß unfern Quellen, das wenig⸗ 
ſtens der Hauptoperationsplan zu Frankfurt und zwar in 
Johann Winters Wohnung entiworfen und feitgeftellt worden. 

Sofort begann auch Johann Winter fein Werk damit, 
Daß er zunächſt dem Ritter Ramſay fowohl die Ankunft 
ſchwediſcher Verftärfungen und dag Eintreffen der beflellten 
Getreidezufuhr durch Yiftige Abteftellungen abfchnitt, als 


152 


auch die erwarteten Geldmittel aus Paris dadurch entzog, 
duß er mit Hülfe des Rath8 der Studt Frankfurt den bereits 
mit 20,000 Kronen Goldes daſelbſt angefommenen franzö— 
fiichen Agenten Rofjeau arretirte und in Gewahrfaum brachte, 
wodurch er den Kommandanten jchon halb entwaffnete, als 
er ihm den Zufluß neuer Kräfte abſchnitt. 

Inzwiſchen leitete er auch wirkſamere Schritte zur 
Befreiung der Stadt und des Grafen von Hanau ein, der 
bereits feit dreizehn Wochen nebſt den Seinigen in dem 
Wohnſitz feiner Väter in drücdender Gefangenſchaft ſchmachtete. 
Dei der erwähnten geheimen Zufammenfunft der Verbün— 
deten in Winter8 Wohnung legte diejer jeinen Plan zu einem 
Handftreih auf Ramfay’8 Pofition vor und vertheidigte 
feine Borjchläge gegen alle ihm vorgehaltenen Bedenken fo 
fräftig, daß fein Plan alffeitig angenommen und ihm felbft 
die Ausführung übertragen wurde. Diejer Anichlag ging 
dahin; Durch einen nächtlichen Ueberfall die Statt und 
Feſtung Hanau wegzunehmen, den Grafen zu befreien; 
den Kommandanten gefangen zu nehmen oder ihn zur 
VBolziehung des Vertragd und Mebergabe der Feſtung zu 
zwingen. (Anm. 14.) 

Es gehört zum Bilde jener Zeitbegebenheit und Moral 
bier zu erwähnen, mit welcher Treue man damals gegebene 
Verjprechen zu umgeben juchte. Unter den Verhandlungen 
der gegen Ramſay verbündeten Nachbarn ſprach fich ganz 
offen Die Abjicht aus, den abgejchlojlenen Vertrag ränkevoll 
zu brechen, jobald der Schwede aus feiner Pojition ver— 
trieben fei. Der Kurfürft von Mainz fol den Antrag 
gejtellt haben, nah Einnahme der Stadt Hanau gegen 
Ramſay und feine Garnifon, jo wie gegen Die unter ihm 
dienenden Schotten nach Kriegsgebrauch zu verfahren. Auch 
Landgraf Georg Außerte gegen ven Grafen von Dillenburg, 
welcher die dem Kommandanten zugeſagten 50,000 Thlr. 
für fich und das Befreiungsunternehmen forderte, „vie Hälfte 
jet auch genug.” Es ftellt fich überdieß heraus, daß die 


158 


Geltjumme, welche nach. ter Meldung de8 Kurfürſten an= 
geblich in Amſterdam bereit liegen ſollte, damals noch in 
ten Händen des Landgrafen von Heſſen-Darmſtadt war. — 
Bußt man diefe Punkte ins Auge, jo wird um fo mehr 
das Mißtrauen und die Hurtnädigfeit ded Kommandanten 
Ramſay gerechtfertigt, da aus allen feinen Handlungen und 
Nachforderungen hervorleuchtet, daß er die treulofen Abfichten 
feiner Gegner durchichaute und dagegen fich ficherte, auch 
- darum wohl den Grafen von. Hanau in Gefangenfchaft 
bielt, um in deſſen Perfon nebjt Genoſſen ein Unterpfand 
für die vollftändige ſtets hinausgeſchobene Erfüllung des 
Bertragd zu haben. Mit diejer Anficht fallen viele andere 
Anſchuldigungen gegen Ramjay, insbejondere der Verdacht 
einer Ujurpation ter Grafenfrone, als erdichtet zu Boden! 
Nach Feſtſtellung des Operationsplanes hatte Johann 
Winter vorichußmweile aus eigenem Vermögen ein Corps 
von 180 Mann Miethtruppen heimlich angeworben; Kur— 
mainz verjprach feinerjeit8 200 Mann, ebenfoviel der Rath 
von Frankfurt zu geben, und der Graf von Naffau=-Dillen- 
burg ftellte einen Zuzug von 60 Mann Hülfstruppen .in 
Auzficht, jo daß etwa 640 Mann auf das Unternehmen 
verwendet werden ſollten. Die Oberleitung des Handſtreichs 
wurde in die Hand des Grafen von Dillenburg, die eigent- 
lihe Vorbereitung und operative Ausführung in Winterd 
Hände gegeben, und er entledigte fich dieſer Aufgabe mit 
eben joviel Klugheit als Thatfraft, jo daß ihm vorzugsweiſe 
das Gelingen zuerkannt werden muß, was auch fänımtliche 
Derbündete in.den Belohnungen feiner Verdienſte aner— 
fannten ,. die jie ihm nach der Befreiung von Hanau ge— 
währten, und die auch der Kaifer Durch Die Stundeserhöhung 
noch verftürkte, und in dem Adelsdiplom mit Hinmeijung 
auf die erjprießlichen und tapferen Dienfte, die er Kaiſer— 
licher Majeftät und dem Neich erwiejen, noch befonderd in 
den Worten der Urkunde anerkannte: „Daß derfelbe bie dem 
Neich nachtheiligen und gefährlichen Eonftlia des ſchwediſchen 





154 


Gommandanten anfüngli unterbrechen, zu den auf tie 
Zeitung unternommenen Anſchlägen eifrigft gerathen umd 
hernach als beftellter Obriſt-Wachtmeiſter mit feinen Truppen 
den erſten Angrifj ſelbſt gethan, fich ter Altſtadt Hanau, 
des Hauptpoſtens, bemächtigt und mit Wagniß von Leib, 
eben, Habe und Gut den Grafen Philipp Moritz gerettet 
und tie Feftung in des Reichs Hänte und Gewalt zurüd- 
gebracht habe.” — (Anm. 15.) 

Der beichlofjene Hantitreih auf Statt und Feftung 
Hanau wurde durch eine Reihe geheimer Berhantlungen 
und Berabredungen einerſeits zwifchen dem Grafen von 
Naſſau-Dillenburg und Obrit-Wachtmeifter Johann Winter, 
andrerjeit8 mit dem gefangenen Grafen Philipp Morig umd 
feinen Räthen eingeleitet, um ſich ſowohl über die militäri- 
chen Zuftände und Echugmapregeln in der Stadt Hanau 
zu informiren, als auc ein planmäßiges Zujammenwirfen 
abfeiten der Anhänger des Grafen in der Statt mit den 
zu feiner Entfegung heranziehenden Zruppen zu verunitalten. 

Im Hanauer Magazin (1. Band vom Sahre 
1779) finden wir eine Reihe von geheimen Eorrejpontenzen 
in Briefen und Informationen, jeit Mitte Sanuar bi8 
gegen Mitte Februar 1638 zur Verftändigung theil® über 
Zeit, Ort und Ausführungsweife des Anjchlags zwiſchen 
tem Grafen von Hanau und Johann Winter, theild zwiichen 
dem Grafen Lutwig Henrich zu Nafjau und ebendenjelben, 
wobei im Hintergrunde auch der Kurfürft von Mainz und 
fein Rath Dr. Möden fleißig betheiligt erjcheint. (Anm. 16.) 

Ungeachtet feiner großen Schlauheit und vorjehenden 
Wachſamkeit fcheint Doch der Kommandant Ramjay weder von 
ven Zufammenfünften zu Mainz, Königftein, Neuenhain und 
Srankfurt und den geheimen Truppenzufammenziehungen 
feiner Gegner, noch von der Flug verdedten Correſpondenz 
derjelben mit feinem Gefangenen irgend etwas gemerkt zu 
haben. Graf Philipp Mori mit dem Plane vollkommen 
einverftanden, rieth Doch wiederholt zur größten Vorficht und 


155 


Verſchwiegenheit; er fürchtete nach mehreren Seiten hin, 
einestheild: „wenn die Grafen davon wüßten, jo wollten 
fie auch die Hand darin haben,” — anderntheild der Graf 
von Naſſau möchte als Kaiferlicher Generalwachtmeifter fich 
in feine landesherrlichen Nechte ungebührend einmilchen, 
deshalb verlangte er die Verficherung, „daß man wie ein 
Freund kommen möge und nicht wie ein faiferlicher Offizier, 
und darnach ihn in Allem fchalten und walten lafjen.” 
Dagegen fehte er all fein Vertrauen auf Johann Winter 
„als feinen vertrauten geheimften Offizier und Freund, der 
nicht8 ohne ihn verjuchen, ihn von Allem unterrichten und 
in der gefährlichen Suche caute verfahren werde.” Darauf 
gab Johann Winter die Zuficherung, daß er alle Borficht 
auch gegen die Genofjen de3 geheimen Bundes anwenden 
werde und: „wenn ich willen oder merken jollte, daß auch 
die geringfte Geführlichkeit, Falſchheit oder Betrug bei den— 
jenigen, fo das Werk diesmal in Händen, zu befahren fein 
ſollte, fo wollte ich lieber mein Blut ftürzen, als unter- 
lafjen Ew. Gnaden bei Zeiten zu warnen, geftalten von 
Ihro Kurfürſtl. Gnaden zu Mainz den bewußten Verfiche- 
rungsſcheins ich alfo originaliter in Hänten habe, wie Ew. 
Gnaden ſolchen jelbft begehret.“ 

Man erfieht hieraus, daß Graf Philipp Morig ſtets 
Gründe hatte, die Ränke der kaiferlihen Partei zu fürchten, 
ber es mehr um die Belikergreifung der Feftung und 
Negierung des Landes als um feine Nettung zu thun- fein 
möchte. Er fcheint beſonders dem geiftlihen Herrn zu 
Mainz, aber auch dem Grafen von Nafjau mißtraut zu 
haben aus Beforgniß, er möchte auß einer fremden Gewalt 
in eine andere fallen und die Untreue der Zeitmoral dann 
von Taijerlich=pfäffiicher Seite erfahren, 

Indefjen gab e8 auch Vorfälle im Innern der Feſtung, 
welche zu Vorſicht und Verſchiebung des Unternehmens 
riethen. Am 8. Februar ſchreibt der Graf von ſeinem 
Krankenlager aus an Major Winter: „der argliftig ſchlaue 


156 


Kopf habe vier Stud auf dem Neuftadter Markt auffahren, 
die Gewehre der Soldaten, wie aud die Stüde auf dem 
Wal beiehen laſſen. Er fcheine Wind von.ter Sade zu 
haben, darum müſſe man ihn wieter zahm werten lafjen,“ 
— d. h. den Ueberfall noch aufichieben. — 

Da Graf Philipp Morig mehrmald ten Termin des 
Unternehmens binausjchob, jo brachte Major Winter endlich 
unterm 10. Februar die Zweifel und Bedenken deſſelben 
zum Schweigen durch Vorſtellung der wachſenden Gefahr 
eines Verraths und weil das Landvolk feine zujammen- 
gezogenen Truppen nicht mehr ernühren könne. Darauf 
beitimmte tann der Graf die Zeit der Ausführung und 
ſchrieb an Winter: 

„Lieber Monlieur Winter, die Sache iſt richtig, kommet 
im Namen Gotte8 und ter heiligen Dreifaltigfeit; tie 
Stund it um 4 Uhr gegen Tag, (in ter Naht vom 
11/21. auf ten 12,22. Februar) daß ihr außen angehet: 
das Mort it „Sanauiich,” das Zeichen iſt ein weiß 
Schnupftuh oder meißer Lappen, e8 ilt bier nod) 
till, machts ſo geheim als ihr Fünnet, und kommet gewiß 
um die Stunte, daß ihr in voller Arbeit feid, verhütet 
doch, daß fein Blut ohne Noth vergoſſen werde. Vale, 
Herr Jeſu Ehrijte jteh und bei. 

Samſtag um Mittag. Philipp Morik." — 

An demjelben Tage Nachmittags 3 Uhr jchreibt der 
Graf nochmals: 

„Lieber Major, es iſt alles richtig, die Schiff find 
ba und man kann durchbaden. Der Hof-Fiiher wartet an 
der Kinzig. Fritz mein gewejener Sattelknecht ift in der 
Mühl mit bekannten Bürgern, ter weiß alle und kann 
gute Information geben; auf den Herrn ſolls geitellt werten, 
fommet im Namen Gottes; das Licht auf tem Thurm wird 
fih zur beſtimmten Stunde jehen lajlen, wonach ihr euch 
zu richten, nad) Dreien. 

Philipp Morig.“ 


157 


Auf dieſen Endbeſchluß zogen fich die bereit gehaltenen 
Truppen des Befreiungskorps, noch durch 100 Mann von 
Koblenz verftärkt, jedoch ohne die Frankfurter Mithülfe, 
am jpäten Abend des 11/21. Februar bei Bergen zufammen 
und rüdten in aller Stille, unterwegd von der jchlechten 
Beichaffenheit des Wegs aufgehalten, bei Dunkler Nacht und 
Regenwetter gegen Hanau vor, wo fie ſpäter, als verab- 
redet worden, nemlidh erjt um 6 Uhr Morgens anlangten. 
Der Graf von Naffau führte da8 Haupteorpe, Johann 
Winter Die Vorhut; er hatte die nachgemachten Schlüffel 
zu den Thoren und Brücden der Altjtadt und der Mühl 
Ichanze bei fih. Bevor die Hauptmacht anlangte; ging 
Major Winter mit feinem 60 Mann ftarfen Vortrab ohne 
Schiffe und Brüde dur die angefchiwollene Kinzig unter- 
halb des heutigen Wehrs bei der jetzigen Papiermühle, 
überrumpelte die Mühlichanze, worin vertraute Bürger und 
etwa 8-8 Soldaten die Garnifon bildeten, drang aus ber 
Schanze dur das feinen Schlüffeln zugängliche Thor beim 
rothen Haus in die Altitadt ein, überfiel die 50 Mann 
ftarfe ſchwediſche Beſatzung im Schügenhaufe und zugleich 
die Wache am Schloß, befreite den. Grafen aus jeinem 
Arreft und nahm Befiß von der ganzen Altjtadt. 

So wur aljo die Altitadt, der Hauptpoften der Feſtung, 
bereit8 in den Händen Johann Winters, bevor der Graf 
von Naſſau mit einem Theil de8 Haupteorps anlangte und 
nun jchon vermittelft eined ihm geöffneten Thores feinen 
Einzug halten konnte, während die andere Hälfte Der 
Mannjchaft unter der Führung der Mainziichen Obriften 
von Metternih und Bettendorf erſt gegen Mittag vor 
Hanau eintrafen, weil fie in der Nacht ſich verirrt umd 
zurüdgeblieben waren. Ohne Winter NRajchheit und vor- 
fihtige Führung wäre wahricheinlich Dad ganze Unternehmen 
mißglückt, Ritter Ramjay gewarnt, deshalb vorjichtiger und 
gegen Die gräfliche Familie härter geworden. 

Sobald Ramjay die Altitabt verloren ſah, zog er 


158 


alle feine Truppen aus den Borpoiten in die Neuftaddt zu⸗ 
ſammen; er hatte etwa noch 300 Dann, in einer Lage, 
die in Mitte einer feindlichen Bevölkerung gegen die Ueber- 
macht feiner Gegner ihn die Gefahr feiner unfichern Poli- 
tion erfennen ließ. Er bot feine apitulation an, wenn 
man freien Abzug und die Aufrechthaltung der Vertrags⸗ 
beftimmungen ibm zulihern wolle. Sein Anerbieten wurde 
‚abgelehnt und ein Sturm auf die Feſtungswälle vorbereitet, 
welche die Neuſtadt von der Altftadt trennten. Bevor e8 
zu einem Sturmangriff fom, bejchofjen fich beide Streit- 
haufen, und hierbei wurde Ritter Ramjay vor jeiner Woh⸗ 
nung, da wo heutigen Tagd der „weiße Löwe“ ſteht, Durch 
eine Mußfetenkugel gefährlich verwundet und zur Ergebung 
mit ftetem Vorbehalt der Aufrechthaltung des Mainzer 
Accords gezwungen. Es fcheint, daß der Graf von Nafjaus 
Dillenburg, edler als feine anderen Berbündeten, als er 
den Berwundeten auf feinem Schmerzenslager befuchte, ihn 
der Erfüllung des Vertrags nochmald verfidyert habe. 

| Sn Folge dieſer Wendung der Dinge wurde aud 
Graf Philipp Morig in alle feine Rechte als Herr ber 
Stadt und Feſtung ſowie des Landes wieder eingejeßt und 
gelobte nun jammt der Bürgerichaft dem Kaifer und Reid 
den jchuldigen Gehorfam. Durch dieſe Rettungsthat wurde 
gleichzeitig die Bürgerjchaft nicht allein von der Willfür 
einer fremden Militärgewalt, fondern auch von Der Gefahr 
einer neuen Belagerung befreit, die von kaiſerlicher Seite 
bereit8 im Werfe und Anzug war. 

Das Alles war mehr oder weniger, jedenfall® haupt⸗ 
ſächlich das Verdienft des treuen, entichloffenen und Flugen 
Majord Winter, welcher fich in Verbindung mit dem Grafen 
von Naſſau ein neued Denfmal ſeines Ruhmes ſetzte, das 
noch dadurch erhöht wurde, daß er fich gegen den befiegten, in 
feine Hände gefallenen Feind redlich und menjchlich benahm. 

Durch folche Tugenden erwarb er fih in der recht- 
loſen, beſonders in Erfüllung geichloffener Verträge nicht 


159 


ſehr gewilfenhaften Zeitmoral einen unbefledten Ruhm, wie 
ihn nur wenige unter den Kriegshelden und Staatsmännern 
jener Periode aufweifen können, mögen fie auch ſonſt 
Größeres geleiftet haben. 

Der gefangene und an feinen Wunden leidende Ritter 
Ramſay wurde einige Zeit in Hanau zwar jtreng bewacht, 
aber gut behandelt, fodann mit aller Rückſicht auf feinen 
Bultand nach dem Scloffe Dillenburg gebracht, wo er 
eine forgfältige Ärztliche Pflege und freundliche Behandlung 
fand. Der Graf verweigerte auch die Befolgung der von 
Wien ausgehenden Forderung feiner Auslieferung, hütete 
ihn gegen die Anichläge feiner Feinde und trug fogar auf 
feine. Freilaſſung an, da bderjelbe nicht anders als nad 
feinen Befehlen gehandelt habe. Doc der Gefangene ftarb 
dort am 29. Juni 1639 und wurde in der Stadtlirche zu 
Dillenburg mit militäriichen Ehren beigejegt. (Anm. 17.) 

Diefe Handlungsweile des Grafen von Naſſau ift 
allein an fih ein Stüd geichichtlichen Beweiſes, daß er 
die Anfchuldigungen der Feinde Ramſays entweder für er— 
dichtet oder doch für zweifelhaft und übertrieben anſah, und 
den Feind um fo mehr achtete, je treuer derſelbe feine 
Pflicht erfüllt hatte. Ihm mußte es vollftändig bekannt - 
fein, was von den Anklagen der Gegner wahr. und wie 
wenig lauter deren Abfichten und Redlichkeit gewejen. 

Aus arhivaliichen und anderen Quellen hat Seller 
in feiner fchon mehrmals erwähnten Schrift: „Die Drang- 
ſale des nafjauischen Volks“ ꝛe. in Kapitel VI. Abfchnitt II. 
aus dem Echuldregifter Ramſays manche Nummern zu tilgen 
gejucht und auf genügende Weile dargethan, daß Vieles in 
den befannten Anjchuldigungen zweifelhaft oder übertrieben 
und Manches auch ganz faljch fein müffe Wir verweilen 
auf feine gediegene Arbeit und befennen gern, daß wir ihm 
und feinen Belegen mit Vertrauen in unferer Auffaffung 
gefolgt find, wenn wir aud in einzelnen Punkten nach 
unjern Quellen von ihm abweichen mußten. 


160 


.  Sobann Winter wurde nun Kommandant von Hanau. 
Unter feinen binterlaffenen Echriften findet fich datirt vom 
14. Mai.1639 da8 Concept eines Berichts an die Gräfin 
Sybilla Ehriftina, Gemahlin’ ded Franken Grafen 
Philipp Morig, worin er unter Hinweijung „auf die immer 
gefährlicher werdenden Zeiten” in 27 Ipezifizirten Punkten 
die Feſtungswerke von. Hanau theild zu erweitern, theils 
auszubefjern und mit ten nöthigen Bedürfniffen zu 'ver- 
ſehen beantragt. | 

Graf Philipp Morig überlebte feine. Befreiung . und 
MWiedereinjegung nur kurze Zeit. Seine letzten Briefe aus 
der Öefangenichaft an Major Winter hatte er, wie er felbit 
darin jagt, vom Krankenbette aus gejchrieben. Er ftarb 
noch in demfelben. Jahre am 3. Auguft 1638 mit Sinter- 
lafjung feines einzigen Kindes, des erſt jechsjährigen Sohnes 
Philipp Ludwig UIl. für den fein Better Graf Johann 
Ernſt von Schwarzenfelß zuerft die Bormundichaft 
führte, und dann nach deffen Tod am 12. November 1641 
als Nachfolger Die Regierung übernahm. Diefer war der 
legte Graf aus dem Haufe Hanau = Münzenberg und als 
auch er am 12: Sanuar 1642. mit Tod abging, war bie 
Münzenberger Linie erloſchen. In Folge einer 1610 ges 
ſchloſſenen Erbeinigung folgte nun die Linie der Grafen 
aus dem Haufe Hanau-Lichtenberg, die faum 100 
Sahre lang über Hanau herrſcht und Dann 1736 ebenfalls 
außftirbt. Diejer Wechiel des Herrſcherhauſes beim Abfterben 
des Philipp Mori war nicht ohne nachtheiligen Einfluß 
für Johann Winter. 


Die Belohnung und die Alterstage des Johann Winter. 

Wir haben in vorftehenden Abjchnitten nur Bruch— 
ftüde von dem wehevollen allgemeinen Kampfe zweier großer 
Prinzipe injoweit aufgeführt, als fie die Thatengejchichte 
des Johann Winter und die Erlebnifje der beiden Grafen- 
häufer Vienburg und Hanau berührten. Wie allgemein in 


161 


Deutichland, war auch in unferer Gegend diefer deutiche 
Krieg der Kampf des Cäfaro-Papismus gegen das Prineip 
der Reformation für Glaubensrecht und Glaubenszwang 
mit vielen Elementen ſelbſtſüchtiger Politik vermijcht, fo 
daß man kaum unterjcheiden Tann, imo das kirchlich-religidfe 
oder das politiich-territoriale Suftem das Hauptmotiv und 
ben Kern der Streitigkeiten gebildet habe. Defterd hatten 
wir Gelegenheit, auf eine große Untreue und unredlichen 
Parteihaß hinzuweiſen und hielten e8 darum umjomehr der 
Mühe wertb und für lehrreich, in der Geiftedarbeit und 
Gefinnungstreue des Johann Winter das Lichtbild eines 
deutfchen Mannes emporzuheben, dem Freund und Feind 
ihre Anerkennung zollen mußten, weil feine Treue und 
Mannhaftigkeit neben fo vielen Schattenbildern unbefledt 
bervorleuchteten. Das haben denn auch alle diejenigen 
Großen und Kleinen anerkannt und hochgeachtet, für die 
und wider die er gearbeitet und geftritten bat. Daher 
flofjen denn auch die Belohnungen, welche ihm zu Theil 
wurden. (Unm. 18.) 

Zuerft war e8 der Kaiſer, welcher den wadern Dann 
durch das höchite Ehrenzeichen jener Zeit zu belohnen 
fuchte, obgleich derfelbe weniger für als gegen die politifchen 
Sntereffen des damaligen SKaiferhaufes gefämpft hatte. 
Schon Kaiſer Ferdinand II, der in feiner jefuitifchen 
Richtung nicht leicht einen Proteftanten mit Ehren bedachte, 
hatte ihm eine Standederhöhung zugeiprochen, die dann 
fein Sohn und Reichsnachfolger Kaiſer Ferdinand II. 
erneuerte, vermehrte und bis zur Aufnahme in den erblichen 
wappenführenden Adelsſtand fteigerte. 

Die und vorliegende Abichrift ver Entjerlichen Urkunde, 
Datirt Wien den 13. December 1638, ift ein fehr weit- 
läuftiges Aktenftüc in dem Curialſtyl der Älteren Zeit ab— 
gefaßt, worin nach Aufführung aller Verdienfte des Johann 
Winter und feines Großvater8 Cunz Winter ganz beſon— 


ders die Befreiung des Grafen, der Stadt und Feltung 
Band X 11 


162 

Hanau aus Ramſays Gewalt und geführlichen Anjchlägen, 
dann das Adelsprädieat von Güldenborn, das ihm 
gewährte Wappen und Siegelrecht, die Privilegien, Im— 
munitäten und ſowohl perjünlichen als dinglichen und recht- 
lichen Freiheiten aufgezählt und die Adeldrechte für ihn 
und feinen Bruder Johann Winter den Jüngeren, für alle ihre 
rechtmäßigen, männlichen und weiblichen Nachkommen, Kin- 
der und deren Kinder verliehen werten. Auch weitere Be— 
lohnungen der kaiſerlichen Huld und Gnade ſind ſchließlich 
in Ausſicht geſtellt. 

Bezüglich des geſammten Inhalts in Form und 
Faſſung der Sprache und der einzelnen Punkte müſſen wir 
auf das Aktenſtück in Rößlers Archiv verweiſen, heben jedoch 
den einen Punkt wörtlich heraus, der als Beleg für feine 
obenerzählten Thaten und DVerdienjte dienen fann. 

Es wird im Eingang der Urkunde die Stundeserhöhung 
darin motivirt: 

„daß er — Johann Winter ver Aeltere — nicht allein 
des ſchwediſchen Commandanten daſelbſt vorgehubte böſe, 
Uns und dem heiligen Reich nachtheilige gefährliche Conſilia 
anfänglich unterbrochen, zu dem auf ſolche Feſtung ge— 
machten Anſchlag und Impreſſa eifrig gerathen und dazu 
die erſten ſonderlichen Vorſchläge gethan, ſo wie er auch 
hernach als beſtellter Obriſt-Wachtmeiſter mit feinen unter— 
habenden Truppen den erſten Angriff ſelbſt gethan, der 
Alten-Stadt Hanau als des Hauptpoſtens ſich bemächtigt, 
ſelbige bis zu Ankunft des Succurs gegen den Feind tapfer 
mantenirt, folgents mehrbemeldete ganze Feſtung aus des 
Feindes- und in unſere und des heil. Reichs Gewalt bringen 
und alſo hierdurch die dem heil. Reich bevorſtehende Gefahr 
mit willigſter Darſetzung Leibes, Lebens, Haus und Guts, 
getreueſten Fleißes abwenden helfen, wie nicht weniger das 
ihm anvertraute Commando in mehrbeſagter Stadt und 
Feſtung Hanau zu Unſer und des heil. Reichs erſprießlich 
nützliche Dienſte bis dato fürſichtig führen und dadurch ſeine 


163 


beharrliche Treue gegen Uns und das heil. Reich rühmlich 
und beftändig erzeigen thut- ꝛ. — — — 

Auh Kurfürft Anfelm Caſimir, Erzbiihof von 
Mainz und des heil. Römiſchen Reich Erzfanzler in Ger- 
manien 2c. wollte den verdienfivollen Mann belohnen, ber 
duch Rath und That das zu Stande gebracht, was er 
mit allen Ränken oder liftig gepflogenen Unterhandlungen 
nicht hatte erreichen können, um ich und fein Land von 
des verhaßten Ramjay Anjchlägen und Bebrüdungen zu 
befreien. Er fchenfte dafür dem Johann Winter als Erb- 
(eben den.g. „Münhshof wi Bruchköbel“, der nod 
jetzt als Familiengut der Rößler in deren Beſitz ift und 
dermalen der Wiesbadner Linie angehört. 

Die Stadt Frankfurt, welche gleich hohen Werth 
auf die Entfernung des fühnen, um fich greifenden ſchwe— 
diichen Parteiganger® und der fieten Belagerungen von 
Hanau feste, weil fie unter dieſen Operationen empfindlich 
mitleiden mußte, hatte zwar im Moment der Ausführung 
des verabredeten Handftreich® fich in faft untreuer Weile 
von der thätlichen Mitwirkung zurückgezogen, doch Die Vor- 
theile jchäßend, ihre Anerkennung dadurch beurfundet, daß 
fie dem Obrift-Wachtmeifter einen großen Garten im 
Fiſcherfeld zum Geſchenk machte. 

Auch Landgraf Georg von Heifen-Darm- 
ſtadt, welcher von Ramfay viel zu leiden hatte, ben bed= 
halb und vielleicht auch aus befondern und geheimen 
Grünten der Landgraf bitter haßte, wollte nicht zurüd- 
bleiben und fchenfte dem Obrift-Wachtmeifter und kaiſer— 
lichen Commandanten zu Hanau ein Gut zu Okryfftel. 

E3 war in den Verdienften Johann Winter um 
Stadt und Grafihaft Hanau ganz bejonder8 begründet, 
Daß ihm ter Graf eine ehrende Belohnung zugedacht und 
verjprochen hatte, Doch der bald nach der Befreiung erfolgte 
Hinſchied des Grafen Philipp Moritz fcheint die Vollziehung 
des Verſprechens gehindert zu haben. Auch ‚veilen Sohn | 

11° 


164 


und der legte Herr vom Haufe Hanau-Münzenberg kamen 
nicht zur Erfüllung diefer Pflicht. Die Gräfin Catharina 
Belgica lebte damals im Haag bei ihrem Stiefbruder und 
hatte felbft Diangel, da das Hanauer Land in Folge der 
langdauernden Verheerungen ihr nicht einmal den Witwen- 
gehalt auszahlen konnte. So fchoben die Eterbefälle und 
die Noth der Zeit und das Erldichen des älteren Grafen- 
ftammes das Werk einer wohlverdienten Vergeltung hinaus, 
Als nun die bisher im Elfaß angefeffene Linie der Grafen 
von Hanau:Lichtenberg zur Succeſſion in der hierſeitigen 
Grafichaft gelangte, wurde Die fchuldige Belohnung des fo 
hochverdienten Mannes vergeffen, zumal er ſelbſt inzwifchen 
in Kaiferliche Dienfte getreten und zuerft als Oberftlieute- 
nant und Kommandant nah Oberlahnftein, darauf in 
den Sahren 1642 —44 als Kaiferlicher Kommandant auf 
der Burg Briedberg aus den Augen gerüdt war, 
Johann Winter von Güldenborn fcheint auch feine An- 
fprüche erhoben zu haben, wenigſtens findet fich darüber 
feine Epur in feinen Aufzeichnungen und hinterlaffenen ' 
Papieren vor; aber die Gräfin Eybilla Chriftine, melche 
als Witwe fich ſpaͤter mit dem Grafen Friedrich Caſimir von 
Hanauskichtenberg vermählte und al8 deſſen Gemahlin wieder 
tegierende Gräfin in Hanau wurde, fonnte die Verdienfte Win- 
ter8 um fie ſelbſt und das ganze gräfliche Haus nicht vergeffen 
haben, doch geichah nichts in dieſer Angelegenheit. 

Sm Sabre 1653 finden wir Johann Winter von 
Güldenborn in Kurmainziichen Dienften als gemeinichaft- 
ih Kurmainziicher und Kurpfälziicher Rath und Anıt- 
mann zu Neuenhain am Taunus. In Zufchriften aus 
der Kurfürftlihen Kanzlei wird er öfter mit den merf- 
würdigen Titel: „Kurfürftlih Mainzifher anheim- 
gelajjener Statthalter, Rath ꝛc.“ angeredet und bald 
zu einer Conferenz zum Kurfürften nach Mainz berufen, 
bald mit allerlei Dienftaufträgen belaftet, fo 3. B. unterm 
10. Sanuar 1657 ihm der Befehl gegeben, die zu Neuen- 


165 


hain wohnenden Juden zur Zahlung des feftgejeßten Accis 
vom Verlauf geichlachteten Viehs an die Kämmerei anzu 
halten, von einem Ochſen einen Reichöthaler, von jedem 
andern Stück Rindvieh einen halben Thaler, unter der Strafs 
androbung, daß ihnen ſonſt das Cchlachtrecht und der 
Fleiſchverkauf gänzlich entzogen werde. Ein anderes Mal, 
jo unterm 23. April 1660 wurde ihm aufgegeben, gegen 
berumftreihende8 Gefjindelund Zigeuner, welche 
die Straße unficher machten und allerlei Exceffe verübten, 
durch Erlaffe, Plakate, Streifzüge und gemeinjchaftliches 
Einſchreiten mit den Nachbarbehörden fein Beſtes zu thun, 
da ſolchem Volk ſchon im Landfrieden des h. römiſchen 
Reichs jeder Durchzug, Unterſchleif und Aufenthalt verboten 
ſei. Die Gegenden am Taunus, wo vielherriges Gebiet 
und geiſtliches Regiment dem herumziehenden Geſindel und 
Diebsvolke günſtig war, waren lange Zeiten hindurch in 
ihren Waldgegenden (in den ſ. g. „Heden") die Aufent- 
haltsorte fremden Geſindels. 

Zu Neuenhain ſtarb ſeine Gattin Anna Eliſabetha 
Bahrd am 17. Det. (n. St.) 1661 und wurde daſelbſt 
begraben. In ihren Perfonalien ift rührend zu Iejen, mit 
welcher Liebe und Geduld Herr Johann Winter von 
Güldenborn die kranke Gattin bi8 an ihr Ende gepflegt, 
fie getröftet, mit ihr gebetet und auf das ewige Leben vor- 
bereitet habe. Die Leichenrede nebit Perſonalien, ausgehend 
vom Kurpfälziichen Prediger Gregorius Thomjon zu Neuen 
hain, findet fich in den Alten des Rößler'ſchen Archiv. 

Vier Jahre fpäter trat er mit feiner zweiten Gattin 
Elijabetb Sejemann in die Ehe, welche kinderlos 
blieb. Die mit ihr am 16. Februar 1665 errichteten Pacta 
dotalia find in ihrer weitläufigen und vetaillirten Aufs 
ftelung vollftändig in Abjchrift bei den hinterlaffenen 
Papieren. 

Im Jahre 1667 wohnte er als Mainziſcher Abge- 
orbneter dem reichöftändiichen Kongreß zu Hildesheim 





166 


bei, um einen gemeinjchaftlihen Kriegszug gegen tie Türlen 
zu beraten — ein Allianzplar, Ter wie gewöhnlich in ten 
meiften Reichdangelegenheiten nicht zur Ausführung kam. 

Bei zunehmendem Alter wünichte er fich eine ſtillere 
Etellung und wurde Teshalb von Hanau und Kurpfalz als 
Reichsſchultheiß in tie reichspfandfchaftlicde Amtsſtelle nad 
Gelnbaufen verjegt, wo er am 2. Mai 1668 in einem 
Alter von 73 Jahren im Herrn entiählief. 

Außer ten Lebengütern und eigenthümlichen Höfen 
und Häujern ließ er fein großes Vermögen zurüd. Unter 
tem 19. Sunuar 1672 wurde von jeinen vier Kindern 
(vier andere waren in jungen Jahren geftorben) tie Erb 
theilung ſeines Nachlaſſes vorgenommen, feftgeftellt und 
befiegelt, wobei Johann Marimilian, Johann 
Conrad, Johann Georg Rößler, als Gautte ter 
älteften Tcchter, und tie jüngere Tochter Margaretha 
Felicitas fih freundlich verglichen und in Die Hinter: 
lajjenichaft theilten. Die Urkunde darüber fintet ſich in 
Driginal im Archiv der Yamilie Rößler. 

Wir haben in unferem Vorworte ausgeſprochen, daß 
wir in der LebenSjkizze des Tohann Winter von Gülden— 
born das Bild eines edlen deutihen Mannes voll Treue 
und Mannhaftigkeit, der fi in den jchlimmften Zeiten 
unjerer Volksgeſchichte als ein Heiner Held in bürgerlicher 
Eittenreinheit, edler Gemüthskraft und aufopfernder Ge— 
iinnung bewährt hat, aufführen und zeichnen wollten 
Johann Winter war mehr ein bürgerlicher als politische 
Charakter; aber wie wir gejehen haben, ein vieljeitig brauch — 
barer und auch gebrauchter Mann. Nicht ein Diener ode - 
Werkzeug in aufgezwungenem Serrendienft, jondern eig 
freiwilliger Diener und Helfer, wo Dienft und Hülfsleifturen « 
ihm Pflicht und Zugend erjchien, hat er gegen Große urn 
Gewaltige feinen Kampf für da8 Recht und die Frei i 
der unterdrüdten Schwachen mit eigener Aufopferung, me %ı 
al8 Freund und Freundesanwalt: benn als bezahlter Diese: 


103 

gefiritten umt jtegreich binausaeführt. Das baben denn 
anch Freund unt Feind, Kleine und Große leddaft aner⸗ 
kannt und dafür ibm Achtung, Edre und Beweiſe der 
Tankbarkeit dargebracht. Was Tem Leben des einzelnen 
Menſchen Würde und ſeiner Müde und ſeinem Streben 
einen Werth gibt, ter wie ein Samenkorn des Guten im 
Boden ter Zukunft aufgedt, das finden wir im Lebens⸗ 
bilde eines ſelchen Mannes, der in ſeinem feſten und ges 
willen Geiſte in Rurb und That für das gemeine Weſen, 
für das öffentliche und perjöntiche Recht, und darin für die 
Grundlage einer allgemeinen Freiheit Ten Antrieb und Die 
Thatkraft jchöpfte, al? ein Mann zu wirfen, deſſen Beilpiel 
und Bildniß noch jetzt jegensreih werten lann. Sein 
Adel ijt demnach einer zwiefachen Quelle entiprungen: aus 
eigener Gejinnungätugend und aud öffentlicher 
Anerfennung jeiner Bertienite! 


Die weitere Hausgefchichte der Familie Winter 
von Güldenborn. 


Die Familie ter beiten Brüder Johann Winter 
jollte nach kurzer aber jchöner Blüthezeit in ihrem Mannes— 
ſtamm bald dahimwelfen und untergehen. Wir geben darüber 
eine furze Ueberficht, obgleich ung theilweiſe ein unfang- 
reicher Stoff vorliegt, deſſen Veröffentlihung und hier ver= 
jagt wird. 

Schon fein Bruder Johann Winter der 
Jüngere ftarb 1651 finderlo8 als Venetianijcher Haupt: 
mann im Auslande und e8 ruhbte demnach die Erhaltung 
des Winter’fchen Gefchlechts allein auf dem älteren Bruder 
Johann Philipp Winter, welcer bei feinem Tode 
von acht Kindern, die ihm in ver erften Ehe mit Unna 
Eliſabetha Bahrd geboren worden, nur zwei Söhne und 
zwei Töchter hinterließ, nämlich 1) Sobann Magimilian 
und 2) Johann Conrad, 3) Maria Eltfabetha 


168 


und 4) Margaretha Zelicitag, welde alle ten 
Bater überlebten und fich in jeine Hinterlafjenichaft theilten. 

Bezüglich Tiejer vier Kinter geben wir zu ten Tafeln 
des oben vorgelegten Stammbaumes folgente kurze Rotizen: 

Der ältefle Eohn Johann Maximilian Winter 
von Büldenborn ſtarb als Generalatjutant im Dienſte der 
vereinigten NRieterlante am 21. Juni 1673 zu Leyden 
ohne SHinterlafjung eheliher Nachkommen. Er war bei 
tem damaligen ipaniihen Statthalter der in Aufruhr 
fiehenden Niederlande, dem befannten Don Juan Domingo 
de Zuniga y NRequejend, mit einem Patent vom 20. Januar 
1672 zu Anwerbung neuer Miethtruppen nady Deutjchland 
ausgejendet und zu dem Zwed allen Fürften, Städten und 
Ständen im teutihen Neid zu Schutz und Förderung 
feined Auftragd empfohlen. Diejed Patent findet fi auf 
ftarfem Papier mit dem Siegel verjehen im Original im 
Archiv der Familie Röpler wohlbehalten vor. Bei ſeinem Tote 
hinterließ er ein Hofgut zu Nieder-Florſtadt, welches ald 
Mannlehen wahricheinlih von feinem Vater aus der Vſen⸗ 
burgiichen Belehnung auf ihn übergegangen war; auch ein 
eigenthümlich ihm angehörige8 Gut zu Dfryfftel, jowie 
mancherlei Hausgerätb, Silberfachen und baare8 Geld fiel 
aus feiner SHinterlaffenichaft den drei Gejchwiltern als 
Erbe zu. 

Der zweite Sohn Johann Conrad Winter 
von Büldenborn, zu Friedberg 1642 geboren, hatte 
die Rechtöwifjenichaft ftudirt, ging 1662 mit dem Gräflich 
Solmd- Waldediihen Reichscontingent als Cornet nad 
Ungarn und machte alle Feldzüge, Belagerungen und 
Schlachten gegen die Türfen mit und wurde Lieutenant in 
feiner Compagnie. Darauf diente er unter den Braun- 
ſchweig-Lüneburgiſchen Fahnen als Nittmeifter. Im Jahr 
1669 trat er in den Lothringiſchen Kriegsdienſt, zeichnete 
fih durch eine tapfere That gegen die Frangofen aus, 
wurde Major und Oberftlieutenant. Er war au Mit- 


169 


glied der etterauifchen Ritterſchaft und ſtarb 1708 zu 
Frankfurt a. M. 

Er war zweimal verehelicht, zuerſt mit Anna Catha⸗ 
rina Probſt, darauf ſeit 1698 mit Eliſabetha Sybilla Neſtel 
von Löwenfeld und hinterließ aus dieſer Ehe zwei Söhne 
und ebenſoviele Töchter. Mit ſeinem Sohne Friedrich 
Philipp, PVreußiſchem Rittmeiſter, erloſch zu Florſtadt 
am 10. Juli 1743 das Mannesgeſchlecht der Winter von 
Güldenborn und fielen damit auch die Mannlehen weg. 

Die älteſte Tochter des Obriftlieutenants Winter von 
Güldenborn war Maria Elifabethba. Zuerſt mit 
Johann Chriſtoph Sulzer, Amtmann zu Gelnhaufen, ver- 
mählt, trat fie nach deſſen frühem Tode 1669 in die zweite 
Ehe mit dem gräflich hanauiſchen Stallmeifter Johann 
Georg Rößler und wurde Stammmutter der noch be= 
ftehenden Familie Rößler, die zu Hanau, Wiesbaden ıc. noch 
jest in zahlreicher Nachlommenjchaft blüht. Das Nähere dar- 
über ift im Stammbaum und Archive der Rößler zu finden, 

Die jüngere Tochter Margaretha Felicitas 
wurde an den hanauifchen Amtmann v. Götken zu Geln- 
baujen vermählt; aus diefer Ehe ftammten ein Sohn und 
eine Tochter ab, worüber in unjern Quellen aber weitere 
Angaben fehlen. 

Mir Schließen mit einem alterthümlichen Dentverfe 
auf Johann Winter v. Güldenborn aus einer alten Samm- 
lung des vorigen Jahrhunderts: 

Dein Name grünt und blüht in vollem Segensftanibe, 

Du bieneteft in Treu und Liebe Stadt und Lande; 


Im Wint'— und Sommer foll derfelbe nie vergehn 
Und als ein goldner Brunn von Lieb und Lobe flehn! 





170 


Anhang. 


Hinweifung auf die Quellen. 


Anm. 1. Siehe: Kaiferliches Adelsdiplom in Abfchrift 
im Hausardiv der Familie Rößler zu Hanau. Dieſes Ardiv 
beftebt aus mehreren Bänten von Aufzeichnungen, Briefen, 
Urkunden, Stammbäumen und Drudichriften über die Winterfche, 
Nöplerfche und verwandte Familien und Berjonen, worin mandherlei 
wichtige Notizen niedergelegt find. 

Anm. 2. Die Data zum Stammbaum finten fich nebft 
Entwürfen tazu, fowie ein von mir neu audgearbeiteter Stamm- 
baum über vie Familie Rößler bis auf unfere Tage im tor- 
tigen Archiv. 

Anm 3. Die Notizen über das Haus Wienburg find 
theilweije dem „Anzeiger des Germanifchen Mufeums für Kunte 
ber deutjchen Vorzeit”, theils ver Chronik des Haufes PYſenburg 
von Kopp, „das rothe Buch” genannt, entnommen. Siehe aud 
bie werthvolle Abhandlung von Herrn Metropolitan Salaminud 
in der Zeitfchrift des Vereins für beffifche Geſchichte und Landes- 
funde 1861 Band IX Heft 1. 

Anm. 4. Die verpfünteten ſechs PYſenburgiſchen Ort⸗ 
haften Kangen, Mörfelden, Egelsbach, Nauheim, 
Ginsheim und Kelfterbach liegen in ver Drei-Eich ober 
dem Dreieihenhain, wo vor Alter ein NReichöforft vie 
ganze Gegend bedte Diefe Gegend hieß vor Alter: „Die 
Dbergraffhaft Catzenelnbogen.“ 

Anm. 5. Siebe: Summarifcher Bericht der zwifchen dem 
durchlauchtigen bochgebornen Fürſten und Herrn Ludwigen Land 


171 


grafen zu Heſſen ze. und dem Wohlgebornen Grafen und Herrn 
Wolfgang Ernit Grafen zu Vfenburg und Büdingen, ftreitigen 
Alienationd-Sacen, jech8 in der Drei-Eich gelegene Reichslehnbare 
Dorfichaften ſammt dem Schlofje Kelfterbah und Anderes be- 
treffend ꝛc. Frankfurt bei Aubri 1619 in kl. Folio. 

Anm. 6. Wegen Raffau xx. ſiehe Keller: Drangfale 
des Nafjauifchen Volls und der angrenzenten Nachbarländer in 
ben ‚Zeiten des breißigjährigen Kriege 20. Gotha 1854. Seite 
253, 274, 314 ꝛc. Wegen Kurpfalz: Dafelbft Seite 257. 

Anm. 7. Das Bündniß der Wetterauer und Weſterwalder 
Grafen mit Guftao Adolph enthielt die Verpflichtung: „daß fie 
mit Leib, Gut und Blut, äufßerfiem Vermögen nach, wie bes 
guten Chriften, Gottes und der Ehrbarfeit wegen geziemet, beim 
Könige für Einen Mann ftehen, auch zur Unterhaltung der 
Armee, fo lange die Kriegsverfafjung währe, monatlic) eine be- 
fiimmte Summe Geldes an den angeoroneten Königlichen Com- 
miſſär in Frankfurt erlegen laſſen wollten.” Seller a. a. ©. 
Seite 167, wo auf Chemnig Seite 233 hingewieſen ift. 

Anm. 8. Welche Kriegshelden die Mannfchaften im da⸗ 
maligen Lanvesausfhuß gewefen, davon Beilpiele bei Keller 
a. a. O. Seite 186 und 187. 

Anm. 9. Die Zuftände der Noth und die Lebensweife 
bes Volks ꝛc. fiehe Keller a. a. O. Seite 265—66 ı. Bufen- 
borf Vi, 44. Ueber die hanauiſche Geſchichte: Rommel, heſſ 
Geſchichte im 8. Bd 

Anm. 10. Die Unterbandlungen zwiſchen Ramfay und 
Lamboy und bie Anträge des Landgrafen zum Nachtheil des 
Grafen Philipp Morig fiehe Pufendorf, ſchwediſch-deutſche Kriegs- 
geſchichte ꝛc. Buch VIII. $. 39, 40, 71 und Bud) IX. $. 35. 

Anm. 11. Keller a. a. DO. Seite 342 und 43. Lünig 
Reihdarchiv Pars spec 1. Bufenvorf a. a. O. Bud IX. $. 36. 
„Ramsaeo quinquaginta uacialium millia promittuntur et ut 
. praedia, quae in Meckleunburgica ipsi donata erant, commen- 
datione Üaesaris relineat aut aliis pari pretio donetur. Quibus 
re ipsa praeslilis et post transactionem hanc a Caesare rali- 





172 


habitam oppido se cessurum promiltebat, missis tamen ad 
Kingium obsidibus tantisper pertinendis, quoad ipse ad suos 
salvus perductus esset.“ 

Anm. 12. Keller a. a. D. Seite 341 u. Auch Bufen- 
borf IX., 36. 

Anm, 13. Keller a. a. D. Seite 345 ıc., wo auch Aus⸗ 
züge aus Röſe über Herzog Bernhard von Weimar. 

Anm. 14. Rößlers Familienarchiv. 

Anm. 15. Stelle im Adelsdiplom von 1638. 

Anm. 16. Siehe Hanauer Magazin Band 1 von 1779 
von Seite 260 bis Seite 273. 

Anm. 17. Siehe Keller a. a. D. von Seite 352 —369. 

Anm. 18. Ueber die Belohnungen von Seite des Kaifers, 
bes Kurfürflen von Mainz, des Landgrafen von Darmftabt, ber 
Stadt Frankfurt find umftändliche Notizen in Rößler® Yamilien- 
archiv. Ebenſo über feine Alterstage und Aemter, über feinen 
Tod und die Hinterlafienfchaft und deren Theilung ebenvafelbft. 
Ueber feine Verheirathung ebenfalls, fowie über Abfterben und 
Leichenfeierlichfeiten der erften Gattin, geborenen von Gülvenborn 
nebit Leichenrebe. 


173 


IV. 


Nachtrag zu der Abhandlung über die Schlacht 


auf dem Campus Adiltavifus. 
Bon dem Regierungs-Afjefjor Kröger. 





Als im IX. Bande diefer Zeitichrift (S. 240 ff.) 
meine Abhandlung über die Schlacht auf Dem Campus 
Spiftavifus im Drucke erfchienen war, wurde mir mehrfüch 
und theilweife von ſehr Tompetenter Seite der Einwurf 
entgegengehalten, daß, wenn auch Manches, jogar Vieles 
für die Wahrfcheinlichleit meiner Argumentationen ſpräche, 
die Richtigkeit derfelben doch durch den Umſtand wieder 
ſehr zweifelhaft gemacht werde, daß niemals in der von 
mir ald Kampfplatz unterftellten Gegend römiſche Waffen 
oder fonftige Altertbümer römischen Urſprungs gefunden 
worden feien. | 

Sc legte zwar, zumal mir noch nachträglich mehrere 
Feldbenennungen aus dem mittleren Weferthale befannt 
geworden waren, welche ihren Urjprung von einem erft 
ſpät ausgegangenen See herleiteten, den eigentlichen Haupt— 
punkt meiner Unterftellungen aljo wejentlich unterftügten, 
auf dieſen Einwand fein große Gewicht, weil er fich mit 
demjelben Rechte allen übrigen Muthmaßungen über den 
Ort der Schlacht entgegenhalten Tieß, indem in allen bezüg- 
lichen Gegenden meines Wiſſens keine Funde von römischen 
Waffen oder Alterthümern gemacht worden find. Auch 
erklärte fich diefer Umstand unfchwer. Die Römer verließen 
nad Tacitus Die Schlachtfelder alsbald und nahmen als 





174 


Sieger wahrjcheinlich alle Gegenftände, welche transportabel 
und von Werth waren, mit. Sogleick nach ihren Abzuge 
wurden die betreffenden Lokalitäten aber ficherlich von den 
Deutihen, welche nad der Erzählung des Tacitug mit 
Meib und Kind in der Nähe de8 Schlachtfeldes gemeilt 
hatten, überſchwemmt und jchmwerlich Tieken dieſe irgend 
welche Gegenftünde liegen, welche fie al3 Andenfen an den 
furhtbaren Kampf mit nach Haufe nehmen konnten, fo Daß 
diefe Verhältniffe allein jchon eine genügende Erklärung 
dafür abgeben würden, daß man feine Waffen der Römer 
auf dem Kampfplake fund. Wenn aber wirklich eine oder 
die andere Sache ten Augen der Deutſchen entging, jo 
durfte man fich über deren Nichtauffinden in neuerer Zeit 
nicht jehr wundern, da feit den 18 Jahrhunderten, welche 
ſeit jener Schlacht verfloffen find, die Wefer in den Niederungen 
beträchtliche Maſſen Erde u. |. w. abgelagert hat. und aud 
die höher gelegenen Stellen durch den Regen mit dem von den 
nahen Bergen herabgeftrömten Erdreiche in erheblichem 
Maaße bedeckt fein werden. 

Allerdings hätte man nun wohl annehmen fünnen, 
daß bei tem Graben von Kellern und Brunnen möglicher: 
weile ein Yund obiger Art gemacht worden wäre, aber 
einige Entdeckungen, welche ich in neuerer Zeit in Erfah— 
rung brachte, erklären auch dieſen Umſtand vollkommen und 
geben vielleicht jogar einen direkten, wenn auch jchwuchen 
Beweis für die Richtigkeit meiner Vermuthungen ab, und 
es ift den Lejern vielleicht nicht uninterefjant, mit denſelben 
- befannt zu werten. 

Daß die Ablagerungen der Wejer im Laufe der Fahr 
hunderte nicht unbedeutend waren, davon kann man fidh 
bier in Rinteln auf jedem Schritte überzeugen. Häuſer, 
welche kaum ein Sahrhundert ſtehen, liegen ſchon jo tief, 
daß man von der Straße in diejelben hinabſteigt, und in 
die Iutherijche Kirche, welhe um das jahr 1228 - 1250 
erbaut wurde, fteigt man jegt drei Stufen hinab, während 


175 


der ganze Bau, wenn er einigermaßen nach den Grunds 
fügen der Symmetrie aufgeführt worden ift, deutlich zeugt, 
daß man ehedem zu ber Kirche hinaufftieg. Auch findet 
man bei dem Graben neuer Brunnen in der Stadt mehrere 
Straßenpflafter in der Entfernung etwa eines Fußes über— 
einander. Bor Kurzem erfuhr ich aber, daß die Maurer 
bei dem Baue eined neuen Hauſes 10 Fuß tief unter dem 
Straßenpflafter einen abgefägten eichenen Balken und neben 
demfelben eine Quantität verbrannter Frucht vorfanden. 
Läßt diefer Umftand nun ſchon darauf fehließen, daß jeit 
Erbauung der Stadt, um da8 Jahr 1230, eine Erhöhung 
der Thalfohle um etwa 10 Fuß ftattgefunden hat, da jene 
-Segenftände fchwerlich in dem Erbboden vergraben, fonvdern 
vermuthlich bei einem Brande verjchüttet worden waren, 
jo fteigt unjere Vermuthung zur Gewißheit durch folgende 
Entdeckung. 

Vor einigen Jahren wurden in einem Hauſe mitten 
in der Stadt bei dem Baue eines Stallgebäudes, beziehungs— 
weiſe eines Kellers 12 Fuß tief unter dem Niveau der 
Straße eine gemauerte 4 Fuß tiefe Düngergrube entdeckt, 
in welcher ſich noch ſehr deutlich der Kuhdünger von dem 
Pferdedünger unterſcheiden ließ. Dieſe Grube kann aber 
unmöglich in einem Keller aus damaliger Zeit gelegen 
haben und es iſt alſo beſtimmt anzunehmen, daß die Weſer 
jeit jech8 Jahrhunderten 10 bis 12 Fuß Erdboden auf— 
geſetzt hat. 

Nach demſelben Verhältniß muß fie aber ſeit 18 Jahr⸗ 
hunderten mindeſtens 30 Fuß aufgeſetzt haben, zumal ehe— 
dem bie Ueberſchwemmungen gewiß noch weit heftiger wa= 
ren, als jegt, und die Höhe des Aufſatzes mit den Jahren 
auch verbältnikmäßig abnehmen mußte, da die Thalwan— 
dungen, je höher, immer weiter auseinander gingen. 

Sp tief aber (30 Fuß) ift in der ganzen Sohle des 
mittleren Wejerthales kein einziger Brunnen, indem man ſchon 
bei viel geringeren Tiefen wegen des fteinreichen Bodens 


176 


binlünglicheg Waſſer fintet und e8 ift alfo anzunehmen, 
daß in diefem Jahrtauſend weder ein. Brunnen noch ein 
Keller die Oberfläche de8 Bodens aus dem erften Sahr- 
hundert erreichte. Ä 

Soweit haben die neugemachten Erfahrungen nur ein 
negative Refultat. Aber auch eine zu einem pofitiven Be— 
weile geeignete Thatſache ift mir inmittelft bekannt 
geworden. 

Vor etwa 12 Jahren wurde die Straße von Rinteln 
nach Todenmann verlegt und bekam eine Richtung, welche 
das von mir unterſtellte Terrain des dritten Schlachttages 
quer durchſchneidet. Da nun, wo die neue Straße die erſten An— 
höhen erreicht, etwa in der Mitte zwiſchen der Weſer und dem' 
Gebirge, durchſchneidet ſie eine derſelben etwa 15 Fuß tief 
und bier fanden die Arbeiter tief im Grunde eine fteinerne 
Streitagt. Der Maurermeifter Schwarz von hier über- 
gab dieſelbe an den verftorbenen Staatsrath Wippermann, 
welcher fie als ein altgermaniiche8 Altertbum erfannte und 
fpäter an das Mufeum zu Nürnberg abgegeben haben fol. 
Da wir nun von fpäteren Schlachten in hiefiger Gegend 
Nichts willen, auch nicht unterftellt werden kann, daß eine 
ſolche Waffe zufällig an diefen Ort gekommen fei, fich aber 
der Fund gut erflärt, wenn man ihn mit unferer Schlacht 
in Verbindung bringt, und e8 auch viel wahricheinlicher ift, 
daß Die das Schlachtfeld durchſuchenden Deutichen einen 
‚Theil der faft werthlojen deutichen Waffen, als die werth- 
vollen ehernen Waffen der Römer, liegen gelaffen haben, 
ſa meine ich, daß diefer Fund ein nicht unwichtiges Zeug— 
niß für die Wahrfcheinlichleit meiner Argumentationen ab— 
geben möchte. 

Endlich ift mir noch mitgetheilt worden, daß mehrere 
Gymnaſiaſten vor etwa 10 Tahren unter der Luhdener 
Klippe, gerade Rinteln gegenüber, im Walde Münzen ge— 
funden haben, welche bei ihrer Ablieferung an dad Gym⸗ 
naftum als römiſche erfannt worden, Sie find aber den 


177 


Schülern zurüdgegeben worden und ich habe nicht erfahren 
fönnen, wohin fie ſchließlich gerathen find. | 


V. 


Beiträge zur Ortsgeſchichte. 
Bon Dr. ©. Landau, 





Ber Hof Hangen. 


| Nördlich von Zierenberg liegt am weſtlichen Fuße 
der Burg Schärtenberg, dicht am linken Ufer des Flüßchens 
Warme, der Hof Rangen. In älteſter Zeit ſtand an deſſen 
Stelle ein Kirchdorf, welches zu der Burg und dem Ge— 
richte Schartenberg gehörte. Als die Abtei Helmarshauſen 
ihre von der Edelfrau Fridurun in der Wetterau erhaltenen 
Güter bem Grafen Volkold von Malsburg und Nidda ver- 
taufchte, erhielt fie dagegen unter anderm auch, 4. Hufen mit 
ihren Höfen in Saxoniam in villam, que dicitur Rangun*). 
Obwohl diefelbe auch noch andere Güter in villa Rangun 
erwarb**), ſo zeigt, fich doch fpäter Keine Spur dieſes Be- 
ſitzes mehr. Im Anfange des Dreizehnten Jahrhunderts 
war Thesderich Groppe von Gudenburg, der fich bet Diejer 
Gelegenheit von Schartenberg nennt, hier begütert, Ders 
jelbe hatte dem Klofter Halungen einen Zins von einer Hufe In 
Rangen angewiefen (1226). Aus dem Jahre 1374 finbef 
fih eine Urkunde, in welcher Ritter Stebe und fein Better 
Hermann von Schartenberg, fowie „Heinrich Hun czu bifer 
Czid Pherner czu Rangen“ erklaͤren, daß das Kloſter Has 
jungen das Geld für eine Glocke, welche daſſelbe von „deme 
Godibhuſe des heligen Crucis czu Rangen“ erhalten, be— 
zahlt habe. Die von Schartenberg erſcheinen bei dieſer 

©) Wenck, Heſſ. Landesgeſchicht, II. U. ‚8. ©. 62. 


**) Daſ. S, 64 und 75, 
x. Band. | 12 


178 , 


Gelegenheit unzweifelhaft als Patrone der Kirche. Der- 
jelbe Pfarrer (Heinricus plebanus in Rangen) begegnet und 
1375 nochmals. Im Iahre 1377 verjchrieb der Sinappe Hein 
ri von Uſchlacht für 100 Mark fchwerer warburger Pfen- 
nige an Hermann d. j. von der Malsburg „alle unje Gude 
gelegen in deme Dorpe und in der Marke to Rangen, da 
to duſſer Tyd buwet Cord Kefeberg und eyn geheyten 
Wetzel, und alle unfe Wejen gelegen in verjelben Marke 
und alle unfe Steve gelegen uppe deme Kirchofe darſelbis 
mit aller jlachter Nut, Upkomen und mid aller Tobehorungen 
in Holte, in Velde, in Watere, in Wefen, in Weyde in 
beme Dorpe und buten deme Dorpe, wor de gelegen fint,“ 

Nach dem Außfterben der von Schartenberg (ce. 1383) 
gelangte Rangen al8 Zubehör der Burg Schartenberg in 
den unmittelbaren Befit der heſſiſchen Fürften. Schon 
damals Hatten die von Gudenburg und die Wolfe von 
Gudenburg den Zehnten dafelbft nebft einer Hufe Land zu 
mainziihem Lehen,*) und nicht Iange nachher finden fi 
die von der Malsburg im Befite des Kirchlehens daſelbſt. 
Mährend des heifiich-mainziichen Kriege im Jahre 1424 
riß daffelbe jedoch Landgraf Lutwig an fih und da Mainz 
darüber fich befchwerte, jo ift e8 nicht unwahrjcheinlich, daß 
dafjelbe ebenwohl mainzijcheß Lehen mar. 

Es iſt nicht zu erfennen, ob damals da8 Dorf al 
folche8 noch beitand. War dies der Fall, dann ging e8 
jedenfalls In diefem Kriege zu Grunde. Derſelbe berührte 
bie Umgebung des Schartenberg8 wenigften® einigemale, 
So erjihienen einmal die Bürger von Hofgeidmar in einer 
Nacht vor dem Schartenberge und hieben alle Zäune und 
Schläge um die Burg herum nieder und verbrannten dies 
felben und Tegten auch zugleich da8 Dorf Fürftenwalb 
in Aſche. 


*) Die Hälfte der von Gudenburg lam bei dem Außsfterben der⸗ 
felben an bie von der Malsburg, 


179 


Später findet fich feine Spur mehr vom Dorfe und 
ſchon in dem Verzeichniffe der zur Probſtei Hofgeismar gehö— 
rigen Kirchen von 1464 fucht man nach feiner Kirche ver- 
gebeng.*) 

Sn dem Salbuche von 1572 heißt e8 von Rangen, 
„diefe Wüftung, zwiichen dem Schartenberge und dem 
Falfenberge gelegen, gehört dem Fürſten zu Heffen.” Die 
Kirche**) beftand damals noch und wird ald „auf einem 
geringen Bühell” Yiegend bezeichnet. Sie diente als Woh— 
nung eine® „Hohmanns“, der den dazu gehörigen °/, Ader 
großen Garten (wahrfcheinlich den ehemaligen Kirchhof) als 
Beioldungsftüd hatte Auf der etwa 1 Ader haltenden 
„Hofrede” aber ftand eine Wohnung für einen Schafmeifter 
nebjt zwei Schafftällen. Es war alfo ein Echafhof hier 
und der Hohmann ftellte für Iandgräfliche Rechnung das 
Zand aus. Nachher findet fich daffelbe jedoch meift in 
Pacht ausgethan und erft Landgraf Moriz entichloß fih, an 
die Stelle des Dorfes wieder einen Oekonomiehof zu bauen 
und mit diefem die ſämmtliche herrichaftliche Länderei zu 
vereinigen. Dieſes geichah 1596. 

Später wurde der neuerftandene Hof zu einem Unter- 
pfande verwendet. Im Jahre 1599 Heß Landgraf Moriz 
die Stadt Kaſſel ftärfer befeftigen und lieh zu diefen Bauten 


“) Fallenheiner, Gefchichte der heſſiſchen Städte und Stifter 
2. U.B. Nr. 43. | | 

**) Diejelbe wird bier als bem h. Mareus gebeiligt angegeben, 
während fie doch, wie man oben gejehen hat, dem 5, Kreuze gewidmet 
war. Die von Martin in feinen topograppifch-ftatiftifchen Nachrichten 
von Niederheffen Ob. IN. S. 62 mitgetheilte urkundliche Stelle über bie 
Kirche zu Rangen ift gänzlich verunftaltet. Sie befindet fi auf einem 
Heinen Stückchen Papier, gehört der Reformationszeit an nnd lautet: 
Rangen est cura (nämlich der Kirchendienft) mortua, habet aliquos 
agros, de quibus colonus dat annuatim dua maldra partim. Dar 
unter ſteht Wernerus Maus, und weiter Collator Marschalk. Wahr» 
ſcheinlich ift unter dem Lebteren ber Marfchall Hermann von ber Male 
burg zu verſtehen. " 

12 * 





* 


180 


4000 Thlr. von dem damaligen Sheramtmann der Nieder- 
grafihaft Kabenelnbogen Burghard von Kalenberg zu 
Rothweſten. Für die Zinſen wurden tie Gefülle des 
Amtes Neichenberg verjchrieben, nachtem aber tiefes Amt 
1627 an bie rotenburger Linie abgetreten, wurde tie Pfand— 
Ichaft auf ten Hof Rangen übertragen. Als dies geſchah, 
war Burghard bereits todt und die Forderung auf deſſen 
beide Kinter Johann Heidenreich und Agnes, verwitwete 
von Mühlenbed, je zur Hälfte übergegangen. Die Zinjen 
waren feit länger rückſtändig. Unter den obwaltenden 
Berhältnifien war auch für die Zulunft an eine Zins- 
zahlung faum zu denfen. Das durch den Krieg verarmte 
Land. fonnte nur mit größter Anitrengung die allernoth- 
wentigften Mittel zur Regierung aufbringen. Johann 
Heidenreich verglich ſich deshalb 1644, er ließ alle Zinjen 
ſchwinden und begnügte fih damit, flatt 2000 Thaler 
4300, Zhlr. zu nehmen, weiche ihm innerhalb dreier Jahre 
auc; ftückweije gezahlt wurden, , Schlimmer noch erging es 
jedoch feiner. Schweſter. Sie war. zwar erbötig, eins für 
alles 1200 Thlr. zu nehmen, man wollte ihr aber nur 
1000 Thlr. bewilligen und ald fie endlich aud) ‚darauf 
unter der Bedingung einging, Daß ihr dieſe Summe auf 
einmal jofort ausgezahlt würde, zerihlug fi daran die 
Verhandlung, weil bei den traurigen finanziellen Zuftänden 
des Landes die fofortige Zahlung eine Unmöglichleit war. 
Agnes befand fich jedoch felbit in den traurigfien Verhält- 
niffen. Ihr Gatte hatte ihr nur Schulden hinterlaffen und 
der Krieg die Güter wüſt gelegt, jo Daß dieſe nichts er— 
trugen. Jenes Kapital umfaßte ihr ganzes Vermögen. 
Als fie dies 1643 vorſtellte und um Zahlung nur einer 
Sahreszinje bat, erhielt fie darauf den Beſcheid: „Obwohl 
unfer jebiger Zuſtand nicht erleiden will, ſolche und ders 


gleichen Penfiones abzuftatten, and ſolches auch wegen 


ermangeinder "Mittel nicht allein beſchwerlich, ſondern aus 
verſchiedenen erheblichen Urſachen an ſich ſelbſt bedenklich 


181 


fällt, woher aber die fupplisirende Witwe e8 am Kapital 
abgehen Iaffen wird, find wir zufrieden, daß ihr alsdann 
in Abfchlag defjelben etwa. 100 Thlr. für diesmal ſobald 
möglich und die Mittel vorhanden, entrichtet werden mögen; 
geftalt dann die Rentlammer ſolchen Falls darauf bedacht 
zu feyn und ihr damit nad) thun — und möglichen Dingen; 
jo bald e8 nur gefchehen kann, wo nicht auf- einmal, dann 
doch auf gewilfe Ziele-an Hand zu gehen — wifjen wird.“ 
Es blieb ihr natürlich nichts übrig, als das Anerbieten 
anzunehmen. Ihre Noth fteigerte fich indeß noch ‚höher. 
Im Jahre 1644 legte ein von Düren ausgegangener ſchwe⸗ 
diſcher Kriegshaufe ihres verſtorbenen Gatten Haus Hildes⸗ 
heim, unfern Siegburg, in Aſche und beraubte fle-Daburch 
ihrer Wohnung. Eie: ging darauf nad Rothweſten zu 
ihrem Bruder und bat 1645 dringend um weitere 100 Thle;; j 
erhielt aber nur 50-Thle.-- Audi 1646 und 1647 wurden 
ihr gleiche Abfchlagszahlüngen bewilligt. : Von Rothweſten 
hatte fie ſich inzwiſchen nach Warburg überſiedelt ind es 
bot fi ihr dafelbft ein -Haus zum Anfaufe, für welches 
150 Thlr. gefordert wurden, Sie kat deshalb. um deren 
Auszahlung, erhielt aber in Betracht „der allenthatben er- 
mangelnden Mittel- und „bei dem jeßigen fchlechten und 
verderbten Zuftande” nur 100 Thlr. (1648) In folchen 
einen Beträgen wurde allmälig die Schuld getilgt. An 
die Zuhlung der Zinſen aber wurde nicht gedacht. Ich 
habe dies mitgetheilt, weit es mehr al8 anderes einen Eins 
blick in die traurigen Berhältniffe gewährt, in welche ber 
breigigjährige Krieg unfer Land geführt hatte. Inzwiſchen 
war der Hof Rangen 'ſchon zu einer andern Vfanbſchaft 
auserſehen. Landgraf Möriz war feinem Stallmelſter 
Gabriel. von Donopp 11,812'/, Thlr. ſchuldig geworden’ 
und hatte ihm: dafür das Kloſter Lippoldsberg zu Lehen 
gegeben, doch unter der Bedingung, daß wenn derſelbe 
kinderlos ſterben werde, jene Summe an ſeine Erben. aus⸗ 
gezahlt werden ſollte. Außer dieſer Summe war Landgraf 





182 


Moriz aber noch weitere anſehnliche Beträge Ichultig ge- 
worden, meift für Vieh, welches Gabriel an Hof geliefert 
hatte, fo tab die Schuld bei Gabriel’® Tede zuijammen 
24,818 Tahler betrug Dieſer erjelgte in LZübed am 
17. Suli 1629 und ta Gabriel wirfiih ohne Kinter ge 
blieben war, fiel Lippoldsberg wieder heim, wegegen tie 
genannte Summe auf feinen Bruder Lerin überging. 
Mit diefem verglich ſich 1634 Landgraf Wilhelm. Bar 
auch Lippoltsberg 1629 Keimgefallen und damit wieter in 
die fürftlihen Hänte übergegangen, jo war es doch Unter⸗ 
pfand geblieben und die Zinjen der Schuld mußten aus 
feinen Gefällen entrichtet werden. In Folge des Krieges 
waren dieſe aber ind Etoden gerathen und Levin forterte 
3443 Thlr. Rüdfland. Dagegen erhob jedoch tie Kammer 
eine Entichädigungsforderung, weil Gabriel fowohl bie 
Laͤnderei verfchlehtert, als auch die Gebäude verfallen 
lofien. Der Bergleih ging dahin: daß fobald ter Hof 
Rangen von tem SKalenbergiichen Pfandrecht befreit fein 
werte, terjelbe nebjt mehreren Zehnten an Levin als Pfand⸗ 
ſchaft übergeben werden follte, wobei der Hof auf jährlich 
950 Gulden (ce. 797 Täler.) Pacht angeichlagen wurde. 
Ungeachtet das SKalenbergiiche Pfantrecht noch leineswegs 
befeitigt war, wurde ter Hof Rangen dennoch bald nach⸗ 
ber an 2evin übergeben. Derjelbe verpachtete den Hof 
und ba deſſen Ausftellung ꝛc. den Amtsunterthanen oblag, 
jo war die Wirthichaft ſehr einfad. Der Pächter brauchte 
nicht einmal einen Knecht zu halten, denn alles geſchah ihm 
zu Dienſte. 

Zevin, der feinen Sik auf Wöbbeln im Lippiichen 
hatte, ließ fich fpäter, um den Gefahren des Krieges auß- 
zuweichen, mit Frau und Tochter in Kaflel nieder und 
kaufte dafelbft 1641 von dem Bürgermeifter Licentiaten 
Nikolaus Chriftopg Müldner ein Haus. Als er jedoch, 
Damit er dieſes bezahlen könne, eine Abfchlagszahlung vers 
langte, mußte er, um dazu zu gelangen, fich ebenfalls zu 


183 


einer bedeutenden Herabfegung feiner Forderung bequemen. 
In einer 1641 außgeftelten Urkunde verzichtete er nicht 
nur auf den ihm verfprochenen Erſatz deſſen, wa8 der Hof 
Nangen in Folge des Krieged weniger ertragen, als man 
angenommen, auf die ihm in dem Lippoldsberger Vertrage 
ebenwohl zu zahlen verjprochenen 3443 Thlr., jowie auch 
auf alle Ausftände, welche er noch im Gericht Lippoldsberg 
zu fortern hatte, jondern er mußte auch an der Haupt⸗ 
jumme ber 24,418 Thlr. nicht weniger al8 6000 Thlr. 
ſchwinden laffen, wobei er fich nur die fernere Berzinfung 
der beiden Summen, auf welche er verzichtet, auf die Zeit 
ſeines Lebens vorbebielt. 

Levin ftarb kurz darauf, noch bevor die Abldfung des 
Hofes Rangen erfolgte, und hinterließ außer feiner Witwe 
nur eine unmündige Tochter. Jene hatte er mit 3000, 
Diefe mit 6000 XThlr. auf die ranger Pfandſumme anges 
wieſen. Außer diefen rubten aber auch noch 5000 Thlr. 
andere Echulden darauf. Erft nach langen Streiten ging 
der Hof 1669 wieder in fürjtlichen Befig über. 

Auf die auf dem Hofe laftende Pfandjumme waren 
auch zwei Stipendien für Studirende angewiejen, welche 
die Univerfität Marburg bejuchen würden und von denen 
eined die Yamilie von Donopp, das andere die Landes⸗ 
herrichaft vergeben folltee Gabriel von Donopp hatte 
nämlich in feinem letzten Willen den Armen 2000 Thlr. 
vermacht. Diefe Stiftung hatte aber fein Bruder nicht aners 
fannt und fich erjt 1635 Dazu verftanden, diefelbe in der an 
gegebenen Weije zur Ausführung zu bringen, wobei 1000 
Thaler rüdjtändiger Zinfen zum Kapitale geichlagen wurden, 
jo Daß dieſes nun 3000 Thlr. betrug. Diejed Kapital 
übernahm jetzt bei der Ablöfung des Hofes die Landes⸗ 
herrſchaft. 

Seitdem iſt der Hof Rangen nicht wieder verpfändet, 
fondern fortwährend und bis heute al8 Pachtung ausgethan 
worden, 


184 


VI. 


Breularlum saneti Lvili archiepiscopi ). 
Mitgetheilt durch Dr. ©. Lantan. 





Breue compendium de illis rebus que perlinent ad 
monsasterium quod dicitur Herolfesfeli, quod construxit 
sanctus Lollos Archiepiscopus Moguntinus in marca Has- 
sorum in Buchonia, in ripa fluminis Fulda, et tradidit 
domino Imperatori Karolo, et sunt in eodem loco hube 
XX, et dedit idem Imperator Karolvs ad reliquias sanctorum 
Apostolorum Simonis et Jude, et ad monasterium : illud, 
In Thuringia uillam que dicitur Gebise') et sunt in illa 
kubun LXX, mansus XLilll. Villam que dieiter Wehmare’) 
et sunt in illa hube XL, mansus XXXIII. Villam que dicitur 
Biscofeskusun *), et sunt ibi hube XXX, et manent Sclaui. 
Villam que dicitur Dorndorf Y), et sunt ibi bube XIIII, mansus 
XL In villa que dicitur Milinge®) hube VIII, mansus XII. 
In uilla Salzungun °) hube X, mansus X. In uilla Lupentia’) 
hube X, m. V. In uilla Mehderstede*) huba I. In uilla 
Sunnebrunnun’) hube X, m. VL. In uilla Erphohs '*) hube Il, 


*) Daffelbe tft zwar bereits in Wenck's II. Urf.-Bante zu feiner 
Heli. Landesgeſchichte S. 15—17 abgedrudt, aber mit vielen Entftellun- 
gen, fo daß ein nicht geringer Theil der Ortsnamen gar nicht wieber zu 
erfennen if. Es jhien mir tarum ftatt einer bloßen Berichtigung ein 
vollſtändiger Abdruck vorzuziehen, welchen ich biermit im jergfältiger 
Treue gebe. Derfelbe iſt einer aus dem zwölften Jahrhundert ſtammenden 
Abſchrift entnommen. Zugleich habe ich es verſucht, ſoweit wie möglich 
die vorlemmenden Namen nachzuweiſen. 

H Gebefee an ber Unſtrut. — 2) Wechmar zwiſchen 
Gotha und Mühlberg. — 3) Ob Bifhhaufen bei Waldkappel 
im Kurheſſiſchen? Auf thüringiſchem Boren.benne ich nur dies 
und das bei Witenhaujen. — 4) Dorndorf an ter. Werra, 
- zwiſchen Bach und Salzungen. — 5) Mellingen ſüdößlich 

von Weimar. — 6) Salzungen an der Werra. — 7) Großen⸗ 
und Werigenlupnig. — 8) Mechterſtedt zwifchen Eiſenach 
und Gotha. — 9) Sonnenborn nordweſtlich von Gotha. 
— 10) Erfa, wüft in der Gegend von Großenbehringen. — 


185 


m. Il. In uilla Rimistede '") hube II. In uilla Gothaha !3) huhe 
VI,m. VI. Inuilla Sunthusun'?) hube III, m. III. In Linaka '*) 
hube II, m. Il. In Wolfduze'’) hube V, m III. In.Cimbro®) 
et Vfhusun'”) hube VI, m. XII. In Hagoifeslebo'*) hubelll. In 
Apflosta!?) et in Guricheslebo?) et Rutibah?') et Friesened- 
stal??) et Hohheim??) hube XV, m. XV. In Mulnhusun?‘) et 
Remmidi?’) et Rudolfestat?‘) hube VII, et Sclaui manent in 
illis. In Dennistede?') et Brutstede”®) hube XII, m. VII. In 
Suebada?’) et Westari?°) hube X, m. Vi. In:;Suegerstede?") eh 
Crutheim??) et Botalastat??) et Tasiesdorf?*) hube XII, m. VII. 
In Butesstat?’) et Dungede”) et Suabehusun?") hube All, ei 


11) Remſtädt nordweſtlich von Both. — 12) Die ſedihe 
Stadt Gotha. — 13) Sundhauſen nordöſtlich von Thamsbrück, 
ein anderes zwiſchen Gotha und Waltershauſen. — 14) Leina 
öſtlich von Waltershauſen. — 15) Im Jahre 778 kommt ein Uul- 
. feasti vor (Wend Ill. Urk⸗B. S. 12), während ein älterer aus einer 
Abfchrift gegebener Abprud (daſ. II. Urk⸗B. ST) Wolfduzze 
lieft. Die Lage ift unbefannt.e — 16) Zimmern: weitlih von 
Erfurt. — 17) wüft in der Gegend nörblih von: Gotha: — 
18) Molſchleben norböftlih von Gotha. — 19) Ob das 
heutige Apfelſtädtt bei Wanversleben? Eine Urk. von. 775 nennt 
ben Ort Aplast, Wendt. Urk-B. S. 10. — 20) Gorſchleben 
füpdftli von Heltrungen. — 21) O6 Rothenbach im ſchwarz⸗ 
burgifchen Amte Blanfenburg? — 22) Etwa Frienſtädt NSW. 
von Erfurt. — 23) Hochheim ſüdweſtlich von Erfurt, body 
iwiederholt fi) ver Name. Ja Eberhard monach ſagt: villa Farga- 
laha (Vargul), quae prius Hochheim vocabatur, ‚Dranke, 'Tr. et 
Ant. Fuld p. 69. — 24) Mühlhauſen noerdbſilich von Erfurt« 
— 25) Remda norbiweitlid von Rudolſtadt. — 26) Rudolftapt 
bie Stadt. — 27) Die heutige Stadt Tennftebtj:— 28: Bruce 
Hädt nordweſtlich von Tennſtedt. — 29) Schmwebhn..an ver 
Werra, zwiſchen Eſchwege und Wanfried. — 303: Das heutige. 
Soden bei Allendorf an ver Werra. S. dieſe Zeitſchr. VIIS. 377. 
31) Schwerſtedt nörbli von Weimar. — 32) Krautheim 
daſelbſt. — 33) Buttelftent norbdfllih. von Weimar, — 
34) Daas dorf bei Buttelftent oder Daasdorf weſtlich von 
Weimar. — 35) Buttftedt nörblid von Weimar. — 36) Tün⸗ 
geda ſüdweſtlich von Langenſalza. — 30 Schwabhauf en 


186 


Sclaui habitast ibi. In Cornere?") kobe XV, m. XXI. In 6Griffe- 
stat’’) et Kindelbraccun“”) hube VII, m II. In Helabraktes- 
dorf *'") et Rönkelebe"?) et Vocstat“”) hobe VII, m. Vil. In Ara- 
tora**) et Edieslebo*') ei Casstas*“) hube VI, m. V. In Bur- 
eheslebo"' ) ei Trizzebruccun‘') et Dullide*”) hube VI, m. V. 
In Breialako'”) et Reginhardesdorf*") ei Eberhardesdorf"”) 
ei Hofunꝰꝰ) ei Erinesleboꝰ ) et Dundorf*") et Heckendorf”") et 
Wihe‘’) et Alarestede’”) et Wolmerstede’’) ei Mimelebo“") 
et Heselere“') et Scidinge"”) et Bibraho"?”) hobe XXXVII, et 
colonos habitantes in illis Inpago Wetreibun. Inuilla 
que dicilur Houngun“‘) hubeXL, mansus XXVIll. In page 
Wormaciense. In uilla que dicitur Scorneskeim*’) 
capellam unam, bob. VIll, u. X. In Inglinkeim**) superiori 
capellam unam, h. U, m. II. In Andersacho“') et in Ribe- 
sahcho"’) et in Gulse“’) et in Heinesfelde’”) capelle HI, hube 


fünlich von Gotha. — 38) Körner, nordoſtlich von Nühlhaufen. 
— 239) Griffſtedt an der Unſtrut. — 40) Kindelbrüden 
an der Wipper. - 41) IR mir unbelannt geblieben. — 42) Ning- 
leben wehtli von Artern, ein zweites bei Gebefee, ein brittes 
iM wüf und lag bei Herbsleben. — 43) Boigſtedt nördlich 
von Artern. — 44) Artern an der Unftrut. — 45) Egleben 
dflih von Kindelbrücken. — 46) Kahftedt bei Arten. — 
47) Burg sleben zwiſchen Artern u. Brüden. — 48) Unbelannt. 
— 49) Tüngeda, füpwehli von Langenſalza. — 50) Bretb- 
leben nörblih von Heldrungen. — 51) Reinstorf zwilchen 
Artern und Heldrungen. — 52) Richt nachweisbar. — 53) Desgl. 
— 54) Ermsleben, nördlich von Eisleben. — 55) Don- 
Dorf morbiweflli von Wiehe. — 56) Hechendorf zwiſchen 
Donborf und Wiehe. — 57) Die heutige Start Wiehe. — 
58) Allftedt lints der Heime — 59) Wolmerſtedt bſtlich 
von Wiehe. — 60) Memleben bei dem vorigen. — 61) 
Hefeler nördlich von Edartöberge. — 62) Scheibingen an 
der Unftrut. — 63) Die heutige Stadt Bibra, nörblich von 
Eckartsberge — 64) Hungen in der Wetterau. S. Landau, 
Beſchr. des Gaues Wettereiba S. 62. — 65) Schornsheim bei 
Worrſtadt in Rheinheſſen. — 66) Ingelheim zw. Mainz u. 
Bingen — 67) Diejetige Stabt AUndernad. — 68) Rübenach 
nordweſtl. von Koblenz. — 69) Güls weſtlich von Koblenz. — 
70) Münftermeienfeld jenfeit$ des Rheins. — 


187 


V, m. X. In Orlake’'!) h. VIII m. X. In Jasako"?) hobe III, 
m. IlIL In Berisciza'”) hube IL, m. Ill. Io Hoksegowe’*) capelle 
Ill, bube X, m. X. Per totum hube CCCCXX, mansi CCXC. 
Hvc usque traditio Domni Karoli Imperatoris. In isto breue 
continetur quicquid beatus Lvilvs Archiepiscopus acquisiuit, 
et ei liberi bomines iradiderunt in elemosinam illorum 
tradere ad monasterium Herolfesfelt quod ille construxit 
in Buchonia in marca Hassorum, et tradidit Karolo Im- 
peratori, hoc est in eodem loco hubas XX. In Thuringia 
cellulam unam nomine Ordorf’*), Villhub. Villa que uocater 
Sulzebruggun’‘) hube XLII, m. XXXIII. In Suabahusun’') hub, 
XX, m. XIIII. In Sibilebo”®) h. VIII, m. III. In Weberessat'’) 
hub, XII, m. 11. In Holzkusun®°) et Bizzesstat®") h. III, m. IIII. In 
Horkusun®?) hobelll, m.I. In Ermenstat’’) hub. III, m. 1. In 
Pertikeslebo°*) h. Il, m U. In Alehirichessiat’’) h. VIII, 
m. Ill. In Midilhusun"®) h.illl, m U. In Gellinge‘”) h. XII, m. 
XII. In Eslebesstat?®) h. XI, m. VI. In Goricheslebo®’) h. 1, 
m X. In Nihusun”) h. XIIII, m. Vil. In Suzare’') hubas XIIII, 


71) Niederaula unfern Hersfeld. — 72) NiederJoſſa im 
Gericht Nieveraula. Landau, Heffengau S. 147. — 73) Das 
heutige Allendorf am Bärenſchuſſe zmwifchen Neuſtadt und 
Kirchhain. — 74) Der tbüringifhe Haffegau — 75) Orb 
ruf. — 76) Sulgenbrüden zwiſchen Ichtershauſen und 
Mühlberg. — 77) Schwabhauſen. S. Anm. 37. — 78) 
Siebeleben öſtlich von Gotha. — 79) Weberſtedt wüſt in 
ber Gegend von Langenſalza. — 80) Holzhauſen weſtlich 
von Arnſtadt, doch kommen mehr Orte deſſelben Namens vor. — 
81) Bittſtedt weſtlich von Arnſtadt. — 82) Harhaufen 
nordweſtlich von Arnſtadt. — 83) Ermſtedt weſtlich von Er⸗ 
furt. — 84) Pfertingsleben norböftlih von Gotha. — 85) 
Mechterſtädt zwifchen Eifenach und Gotha. — 86) Mittels 
haufen nörblih von Erfurt. — 87) Göllingen, ber che 
mals hersfeldiſche Probſtei, weftl. von Frankenhauſen. — 88) Nicht 
nachzuweiſen. — 89) Gorſchleben fünlich von Heldrungen. — 
ht mit Sicherheit zu beſtimmen. — 91) Süßra bei 
eleben. — 





188 


m VL In Heilingun”) h. Il, m Hill In Bysako””) hob. xII, 
m. In Ringelebo’') h Ill, m. IH In Fanre”) &. Ill, m. IN. 
In Asgore’‘) h. 1lll, m. IN. In Friomare’’) h.Dil,m.Il In Sel- 
saka”’) Hh. II, m. Il. In Rodostein”) hube Xilll, ei Sclasi 
masuent ibi In Lengesfeld'’’) hub XUH, m. XX. In Gomare- 
stat'’') et Mutesfelf'””) h Ill, m. Ill. In Berchako'*) hub. ZI, 
w. XII. in Olfenaho'**) hub VIll, m. XVIII In Reinede'*) 
kb. XII, m. IIL In Beringe‘**) ei Ascrohe'”') ei in Grifi- 
stiede'"’), et in Brantbah'”’) et in Collide''’) et in Wo- 
daneskusun'‘') et in Niwihusun'‘?) et in Seheshobite''?), 
ia Dribure''*‘), in Gehunstete''’) et in Zotanesstede''‘) 
bub. XXX In pago Wetreibe. In uilla Bigenheim''') 


92) Heilingen, mehrere Orte dieſes Namens, zwiſchen Schlot- 
beim u. Thamsbrück. — 923) Peiſel, zwei Höfe. jütlid) von 
Körner. — 94) Ringleben vergl. Rr. 42. — 95) Tchnern 
zwijchen Erfurt und Gräfentonna. — 96) yf chara, ſüdweſt⸗ 
Hd) von Gräfentonna. — 97) Friemar nordöſtlich von Gotha. 
— 95) Kangenfalza kie Start. — 99) Rothenjtein 
an der Saale zwifchen Siena und Kahla. — 100) Schenk— 
tengsfeld bei Arierewale. Daöfelbe gehörte zwar zum Grab» 
felre, doch war es hersfeldiſch. Schwerlich ijt Lengsfeld an der 
Fulda darunter gemeint, obwohl dies. noch zu Thüringen ge 
hörte. — 101) Unbelannt. Bei Dronke, Tr. et- Ant. Fuld. p. 69 
wird es Gumerstat genannt. — 102) Motu feld bei Schenfleng8- 
feld. — 103) Burghofen zwifhen Walofappel und Spangen- 
berg. — 104) Ulfen bei Sontra. — 105) Renda, ber 
alte Gerichtsort des Werichts Brandenfels. 106) Beringen 
norböftlih von Eifenad. — 107) Unbefannt. — 108) Sriff- 
Bedi S. Nr. 39. — 109) 874 tommt derfelbe Ort vor. :Schan- . 
nst, Dioee. et Hierarch. Fuld. 139. Brembad). bei Weimar ift 
wohl nicht darunter zu verftehen.. — 110) Kblleda die Stadt. 
— 111) Gutmannshauſen an ber.:2offe, nordweſtlich von 
Buttſtedt. — 112) Reubaufen ſüddſtlich von Kölleda. — 
113) Mir unbelannt. — 114) Trebra  füböftlidh von 
Sulza. — 115) Gebftedt zwiſchen Suka und Buttelftept. — 
116) Zettelſtedt an der Sim, nordweſtlich von Apolda. — 
117) Beienheim norvöftli von Frichberg. Landau, Wettereiba 


189 


hub.. X, m. .V.: In Loubahe''?) hub. X. m: Ill. In pago 
Loyanense. In Bubenheim''?) hub. Ill, m. Il. In ciuitafe 
Mögontia'”°) areas VII, m. Ill. In villa Bizzenheim'?!) 
etin Botenheim'??), et in Suaboheim!??), etin Ascmundes- 
heim"*) et in Spioaesheim'”’) bh. 1, m. 11. Inpago Loga- 
ninse. In ailla Eihloha'”°), et. in Ewilisdorf"”"), et in 
Lundorf'?®), et in Amana'?’), Crisenbuhel'?’) et in 
Bucheswiccun'?') 'h. XII, m. Ill. - In pago Hassorum. 
In uılla Martdorf'??), et in Holzhusun'??), et in Firne'’*), 
et in Burcun'’°), et in Sungsule'?°), et in Angelgise'’’), 
et in Waltunniu'”?), et in Juffelze'?’), et in Nielahc'*’), 
et in Balahorna'*'), et in Harabirge'*”), et in Rittahe'*?), 
et in Stochusun'‘*), et in Mathanon'**), et in Hebilide'*°), 


©. 14. — 118) Laubach, vergl. daſ. S. 174. — 119) Buben 
heim, wüſt im Nieverlahnggu bei Kirberg. Vergl. Vogel, Beft: 
bes Herzogth. Naſſau. S.: 787. — 120) Die Stat Mainz 
— 121) Wahrfheinlid Bregenheim bei Mainz In ber 
Handſchrift ftcht zwar deutlich Bizzenbeim. — 122) Bodenheim 
norbieftlich von Oppenheim. — 123) Sauersfhmwabenheim 
1.Stunde nor: Oberingelheim. — 124) Unbekannt. "Derfelbe 
Nante findet‘ ſich unter 783 aueh in Cod. Trad. Lauresh. u, 
p: 188 ' Nr. 1357 und p. 156 Nr. 1226. — 125) Spice 
heim füplich bon Wörrftabt. — 126) Eiloh Wüſtung bei 
Kleinfelheim. Landau, wüfte Ortfchaften S. 280. — 127) Eb & 
dorf füpöftlich von Marburg. — 128) Londorf unter Norded, 
— 129) Ohmen, Ober: und Nieder⸗, zwifchen Grünberg und 
Romrod. — 130) mwüft. — 131) Eines der Dörfer Bufed. — 
132) Mardorf nörblich bei Homberg. — 133) Holzbaufen 
fübdftlich bei Homberg. — 134) Verne zwifchen Homberg und 
Biegenhain. — 135) Borken, diejegige Stadt. — 136) Singlis 
in ber Nähe von Borken. — 137) Großen und Kleinen 
englis zwiſchen Borken und Frigfar. — 138) Wellen unfern 
Wildungen. — 139) Giflig nördlich von Wildungen: — 
140) Nielady, Wüſtung im Gerichte Waldek. — 141) Bak 
born nordbſtlich von Naumburg: — 142) Herberge Wuͤſtung 
bei Naumburg. Landau, wüfte Ortſchaften S. 103. — 143) Alten: 
und Großenritte ziwifchen Gudensberg und Kaffe. — 144) 
Stodhaufen, Wüſtung unfern Gubensberg. Landau a. a. DO; 
©. 158. — 145) Maden bei: Gudensberg. — 146) Hebel