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ur a Ar
Zeitſchrift
des Vereins
av für
beffifche Gefchichte und Landeskunde.
LEN
Achter Band.
5 x 3
\g 2 — * =
Raffel, 1860. Nu?
Im Commiffions-Verlage von 9. 9. Bohne.
(August Freyschmidt.)
Kaſſel.
Druck von Döll und Schäffer.
(2. Döll.)
— — —
L
H.
Inhalt.
— t —
Beiträge zur Geſchichte der Ciſtercienſer Nonnenklöſter
Frauenſee und Kreuzberg ꝛc. Dom Pfarrer Büff .
Heinrich, Biſchof von Hildesheim. Bon E. F. Moo yer
III. Heſſen vom 13. Juli 1757 bis zum 21. März 1758.
IV.
Mitgetheilt vom Archivar Dr. Landau . . .
Lateinische Infchriften des Kurfürftenthums Heſſen.
Bufammengeftellt und erllärt von Prof. K. Klein
m Mainz.... ..
V. Der Heiligenberg. Vom Archivar Dr. Sandan.
VI.
Zur Erinnerung an Dr. C. F. Löber. Von Ferd.
Altmüller....
VI. Beiträge zur heſſiſchen Orisgeſchichte. Mitgetheilt bom
VII.
Archivar Dr. Landau.
Borken. nn.
Die Altenburg > 2 0 0 re.
Niberumf 2 2 0 2 nr ee.
Die Sundsbung . 2 2 2 2 2 .
Der Wehrgraben - 2 2 2 2 2 en ne
Der Watbrg 2 2 2 2 2 er. .
Gubdenstag . »
Nachträge zur Reibenfolge derjenigen Perſonen,
welche den Nonnenklöftern Egeſtorf, Fiſchbeck, Möllen-
bed, Obernlirhen und Rinteln vorftanden, Von
€, 3 Mooyer in Minden ... .
Die heſſen-kaſſelſche Kriegsmacht unter dem Land.
grafen Karl bis zum Frieden von Ryswick 1696 .
IX. Subfivienverträge zwifchen Heſſen, den Vereinigten
Niederlanden und England aus den Sahren 1694
bis 1708. Mitgetheilt vom Bibliothefar Dr. Bern
barbi.. [ } ) [2 % ® % ‘ + + 0 + ‘
105
109
216
XII.
ZI.
IV.
AV.
. Die zwei älteften ſchriftlichen Grundlagen ber land⸗
ftändifchen Verfaſſung in dem Yürftentbum Heſſen
und den anhangenden Grafichaften. Mitgetheilt vom
Oberpoftmeifter 5. Nebelthbau . . 2 2 0.
. Bon den alten Heerwagen und Heerwagengeldern.
Vom Ober-Appellationsgerichtsrath Dr. Büff ..
Die Schlacht bei Kalefeld. Mitgetheilt vom Archivar
Dr. Landau. . . . . ..
Altenftüde über die große Bewegung im 1 beutfehen
Adel in den Jahren 1576 x. Mitgetheilt vom
Archivar Dr. Landau. » 2 2 0 ee en.
Die Bevblkerung Kurhefiend und beren Bewegung.
Mitgetbeilt von ber Kurfürftlichen ſtatiſtiſchen Kom⸗
miſſion ... ..
Beiträge zur heſſiſchen Ortsgefeichte, Mitgetheilt
vom Archivar Dr. Landau.
Die Stadt Allenporf, die Soben und die Burg
Weſterbegg. nn
Wigenbaufen . © . . er.
An der Stadt Kaffel wird ein Mordbrand verfucht
Naubeim - 2 2 2 02 rn nenne
Die Kalbeburg » 2 2 0 er 0 00
Die Landung - 2 2 2 2 2 0 0.
Der Edelhof zu Sohaufen -. » 2. .
Die Burg zu Waltau . . » FE
Die Gründung ber Stabt Richtenau le“
Ellingerrdddeee. 0.
I. /
Beiträge zur Gefchichte
der Ciſtercienſer Ronnenklöſter Srauenfee und Breuz-
berg und deren fpätere Scicfale.
Bom Pfarrer Büff zu BVölfershaufen bei Vacha.
Penn noch verfchiedene Ergänzungen zu dem früs
heren Aufjag über Kreuzberg, B. VIL ©. 36. ff. d. DL,
bier nachgebracht werden, fo wird man e8 dem Sammler
jener Nachrichten, der zwar in der Nähe des Ortes, nicht
aber der Quellen, fich befindet, nachjehen, daß er hier noch
nachzubringen fich beftrebt, wa8 ihm dort entgangen war,
Und wenn die Notizen über das Kloſter Frauenfee auch
fein vollftändiges Bild dafiger Verhältniffe bieten können
(die Nachrichten find bier fpärlicher gegeben als dort), ſo
dürften fie Doch des Verſuchs, ihren Inhalt im Zuſammen⸗
hang darzuftellen, nicht unwerth fein.
1) Das Eiftercienfer Klofter zu Frauenfee.
Gegend und Ortsverhältniffe.
Der Ort des fpäteren Klofterd Frauenfee, in die Schen⸗
fung Carls des Großen 1. J. 786 an das Stift Hersfeld
mit eingefchloffen*), gehört zu den bewaldeteften und rauhe⸗
*) Wenck heſſ. Geſch. Urk. B. IL. Abth. 1. ©. 14. — Landau, Ter-
ritorien S. 199.
VEIT. Band. 1
2
. fen der ganzen Umgegend. Der Raum der dazu nöthis
gen Gebäulichkeiten, überall mit Baumwuchs umgeben, und
der dem Walde abgeiwonnene Aderboden befanden fich un—
mittelbar vor einem, über 30 Acer haltenden und mehr
al8 50 Fuß tiefen See, ber jebt noch, nachdem es biß
zum Sabre 1776 gelungen ift, einen Abzugsftollen zu
graben, ihn um 30 Fuß tiefer, und damit den Heinern
nebenliegenden See troden zu legen, mit Grauen in den
Schlund der ehemaligen Waſſermaſſe blicken läßt, die felbft
in fpäterer Zeit den nächſt der Stelle des ehemaligen
Kloſters entitandenen Ort zu verichlingen drohte. Dies
jer, wie es fcheint, in der Urzeit durch Einfenfungen ent—
ftandene See gab dem Klofter und dem fpäteren Orte den
Namen, Sin geringer Entfernung finden fich noch mehrere
zum Theil mit Waffer gefüllte kleinere Einjenfungen, als der
Eifenfee, jetzt troclen gelegt und zu einer Wiefe umgewan—
beit, und der an der Landſtraße von Fulda nach Eifenach
gelegene f. g. Hautjee, welchem ein Abzug nicht hat gege=
ben werden können, Eine darauf befindliche ſchwimmende
Inſel (die Haut), etwa /, Ader groß — der See hält ge=
gen 5 Ader — durch die zufammengewachienen Wurzeln
darauf ftehender Büfche gehalten, gab ihr ben Namen.
Zerflüftungen mancherlei Art in der Nähe der umliegenden
Bergabhänge zeigen, was ſich vielleicht in der Zukunft noch
ergeben könnte.
Entftehung des Kiofters und die Advokatie
über daffelbe,
Es laßt fich freilich über deſſen Gründung kaum et-
was Anderes als Vermuthungen aͤußern. Nach einer ſpätern
Angabe, deren Grundlage jedoch nicht bezeichnet ift, fich
vielmehr faft in die Sage verliert, hätten die Nonnen zum
See zuerſt ihren Sitz am Kohlbach, unterhalb Gerſtungen,
ober in Netra gehabt, und wären von da in bie Eindde
3
zum See übergefiebelt *). Welche Veranlaffung fie dazu
gehabt, und mit weilen Hülfe fie e8 ausgeführt, darüber ift
eine Vermuthung nicht zu äußern. Erft im Jahre 1202 tritt
das Kloſter in lacu urkundlich hervor, wo Hermann, Lands
graf zu Thüringen, fich mit Berthold von Salzungen wegen
der Advokatie über vafjelbe vergleicht und diefem, gegen Abs
tretung berjelben, eine Hufe in Hermandrot übergiebt. Es
wird weiter im Jahre 1222, wo nach Bertholds Tode
deſſen Bruder die abgetretenen Rechte über das Klofter aufs
neue ſich anmaßt, Die Sache mit des Probſtes Elbinus Beiftlim-
mung dahin verglichen, daß derfelbe nicht nur feines vers
meintlihen Rechtes fich begibt, fondern auch gegen Erles
gung von 43 Mark auf die Advokatie über Bertrand, En
gelroth, Seebad) und Tann, welche er zu Lehn gehabt, zum
Beſten des Kloſters verzichtet, und diefelbe an Abt Lud⸗
wig zu Hersfeld und damit der Kirche in lacu übergibt **),
Schutzherrlichkeit.
| Don einem päpftlichen Schubbriefe, wie bei Kreuz⸗
berg, ift zwar nirgends die Rede, deſto häufiger aber
fommt der zu ertheilende Schuß der Landgrafen von Thü⸗
ringen vor. So befennt 1309, dat. Wartberg in die assumpt.
virg. glorios., Sriedrich, Landgraf von Thüringen, als Do-
minus terre, daß er die Jungfrauen-Kirche in lacu, die auf
feinem Grunde und Boden gelegen ſei, in feine Protection
genommen, und diefelbe von allen Laſten und Beſchwerden
befreit habe. Bon feinem Nachfolger deſſelben Namens wird
1334 diejer Schußbrief in feinem ganzen Umfange erneuert,
und vom Herzog Friedrich Wilhelm zu Sachfen 1444 abers
mals beftätigt und ein Privilegium darüber ertheilt. Dies
jelbe Beftätigung erfolgte 1474, und haben die Landgrafen
von Thüringen und Herzöge von Sachſen bis auf fpätere
9 Spalatin und Gottingus. &, Heufinger, Sagen bes Werrathals,
©. 38.
‚#*).Uck im Staatsarchiv zu Kaffel Über Frauenſee. 1%
4
- Beiten die Landeshoheit über das Gebiet des Kloſters ſtets
behauptet und in Geltung erhalten.
Gütererwerb.
Die Gütererwerbungen und Schenkungen kommen
hier in gleicher Art, wie bei Kreuzberg, doch in weit ge—
ringerer Zahl vor. So vermacht Bernhard von Salza
dem Kloſter zum See 1250, zum Heile der Seele ſeines
verftorbenen Bruders, den Ertrag eines Pfundes, das je=
doch mit 6 Mark wieder abgelöft werben könne. Desglei—
chen 1 Hufe zu Schornftete, welche Giejeler von Welsbach,
Bürger zu Eifenadh, und deſſen Ehefrau Bertrade dem
Klofter zum See eingegeben und für den Altar des heil.
Bernhard, den der Vicepleban Theodorich zu ©erftungen
und Gottfried von Lupnitz daſelbſt aufgerichtet haben, ge—
ſchenkt. Davon mußten jedoch jährlih 2 Pfd. Wach! nad)
Fulda entrichtet werden.
Die weitern bedeutendften Erwerbungen, durch Schen-
fung oder Kauf, find folgende:
Ludwig und Albrecht Gebrüder von Crayenberg ver⸗
ehren 1330 dem Klofter zum See 40 Pfd. Pfennige, und
verfprechen diefe Fünftige Oftern ohne Wiederfpruch zu ent-
richten,
Diefelben vermachen dem Kloſter 1338 eine halbe
Pfanne Salz zu Salzungen, die jährlich zu Michaelis 6 Pfd.
Schillinge erträgt.
Hermann von Wildprechtrode befennt 1386 acht Viertel
Korn jährlihe Gülte, um 40 Pfd. Heller wieder ablöglich,
an die Klofterjungfern zum See verkauft zu haben.
Berthold von Vahrenbach verehrt 1404 dem Klofter
zum See 10 Pfd. Heller zu einem ewigen Lichte,
Dietrich Möller und Ehefrau werden 1514 für 10 Guls
ben, die fie zum Slofterbau geliehen, nicht nur aller guten
Werke des Klofter8 theilhaftig gemacht, jondern e8 wird.
5
ihnen auch zugefagt, daß für fie und ihre Eltern Vigilien
und Seelenmefjen im Klofter gehalten werden follen *).
Bahlder Klofterfhhweftern und die Bedingun—
genzur Aufnahme derjelben, [owie Bermehrung
der Kloftereinfünfte.
Daß die Zahl der Bewohnerinnen des Kloſters, im Ver⸗
gleich zu den Einnahmen, gleichiwie zu Kreuzberg, nach und
nach zu groß zu werben drohte, und man daher auf Ein»
ſchränkungen und Vermehrung der Einkünfte Bedacht neh⸗
men mußte, ergiebt ſich bier, wie dort, aus Folgendem:
Der Dechant des Stift8 Petri zu Mainz ſetzte bereit8 1233
die höchſte Zahl der Nonnen, „alt und jung“ , wie e8 in
der Urfunde heißt, auf 66 fell. Würden jedoch, jo wird
in Mebereinftimmung mit Probſt, Aebtiffin und Konvent,
1285 weiter feftgeftellt, Klofterjungfrauen in die Welt wie-
der zurüdgehen, jo follte das Klofter deren beivegliches und
unbewegliche8 Vermögen, Lehengüter allein ausgenommen,
ob fie e8 ſchon hätten verſchenken können, an fi behalten.
Auch wird 1354 dur Johann, Abt zu Hersfeld, befoh-
len, keine Schwefter wieder aufzunehmen, die nicht 12 Mark
Silbers zu ihrem Unterhalte mit ins Klofter bringen Tonne,
Zugleich wird erinnert, daß man Die Waldungen und Ge—
hölze genauer, wie bisher, in Obacht nehmen, überhaupt
künftig mit befferer Delonomie verfahren möge **).
Einnahmen und Gerichtsbarkeit.
Da die ganze Umgebung des Kloſters anfangs aus
Holz und Wald beftand, daher Die urbar zumachenden Län
dereien erſt dieſem abgewonnen werden mußten, jo läßt fich
denken, daß in Zeiten, wo es an Händen noch fehlte, Die Daraus
zu ziehenden Einnahmen nur ſpärlich und langſam wachen
fonnten. Und e8 übte dieß feinen Einfluß auf Das, was
*) Urk. im Staatsarchiv zu Kaflel.
) Daſelbſt.
6
außerhalb : durch. Schenfung oder Kauf erworben wurde,
ebenfalls aus. Da es jedoch an. früheren Zeugniffen dar⸗
über fehlt, fo müſſen hier fpätere zu Hülfe genommen,
und von dieſen rückwärts gejchloffen werden.
Die Aebtijfin des Klofter8 zum See, Margarethe von
Lerbach, übergab zwar 1526, Dienſtags nach Symplieii,
alle brieflichen Urkunden des Kloſters laut beigefügter Spe-
eiftention dem Kloſtervogt Flach, aber außer den. wenigen,
aus welchen das vorftehende gezogen ift — 26 an der Zahl —
findet fich nichtS mehr vor. Auch. die alten Regiſter⸗
lein, welche Flach von 1535, 1536 und 1537 feinem Nach—
folger ‚hinterließ, find zwar im Jahre 1614 in den Erb-
insbüchern noch als vorhanden bezeichnet; allein von ba
an fehlen. fie, der 3Ojährige Krieg hat ſie mit hinweggenom=
men. Die Klofterrechnung von 1594, nebſt denen des fol-
genden - Jahrhunderts, dieſe jedoch nicht ohne bedeutende
Rüden, find es allein, welche fich noch finden, und aus wel-
ben. in Betreff der Einnahmen hat. gejchöpft werben können.
Die Orte au: welchen das Klofter feine Zinsgefälle
bezog, waren: Frauenſee, Dönges, Lindigshof, St. Juft,
Springen, Hof Alberts, Hetzenberg, Wüftendiez, Horfchlitt
und Auenheim, Brems- und Scheuchesmühle, Hußfeld Cbei
Pferdsdorf), Markſuhl, Burkhardiode, Teichmühle, Tiefenort,
Windiſchſula, Breidenbach, Harnrode, Berka, Dippach, Zell,
Hersfeld, Epicheneln, Stadt und Amt Gotha, Tenneberg,
Die zuerft genannten 12 machten die |. g. Vogtei aus, ohne
daß jedoch, wie bei Kreuzberg, je von eigenen Leuten babei
die Rede iſt. Daß indeſſen ein Vogteis oder Kloftergericht
ſchon früher beftanden habe, ergibt ſich aus den Beftim-
mungen eined Vertrag! zwiſchen Sachjen und Heffen von
1540, worin gefagt ift: Das Gericht über Schuld und
Schaden folle bei Landgraf Philipp „als Beſitzer des Erb—
gerichts“ bleiben, die Gerichtsbarkeit über Hals und Hand
aber Sachen gehören, Aehnlich behält ſich Sachſen bei
:entitebenden Bergwerken das Berggericht vor, fowie Die
7
Hälfte der Nutung, fofern die Ausbeute in edlen Metallen,
Gold oder Silber, beftehen würde *).
Die Einnahmen des Klofter8 — man wird annehmen
dürfen, daß dieſe 1594 mindeftens nicht weit von den frü-
bern abwichen — beftanden, außer dem Sloftergute, in 679
Gulden 23 Gnaden an Geld, und 255 Vrtl. an Früchten,
Korn und Hafer, nebft 305 Zinshahnen, 205 Rauchhühnern,
7 Zinsgänfen, und 10 Schod Eier. Das Kloſtergut ent-
bielt 225 Ad. Aderland, und 74 Ad. an Wiefen, ‚Gärten
und Triften und brachte gegen 200 Vrtl. ein, an denen
jedoch für die Bearbeitung beinahe die Hälfte wieder ab»
ging. Don 1602 ab war daffelbe auf eine Reihe von Jah⸗
ren, mit Einichluß der Hand- und Fahrbienfte, für 450
Gulden verpachtet. Ein nicht unbedeutender Theil der weis
tern Einnahmen mußte, wie ſich das denken läßt, aus ben
MWaldungen gezogen werden. Das Jahr 1594 gibt, und
ziemlich gleich die folgenden, 173 Gulven für Holz; und
Schweinemaft an. An Rottädern und Rottwiefen, bie
früheren waren Tängft in Erbleihegüter übergegangen, wer⸗
den in den Rechnungen an 1200 Ad., die größere Hälfte
für den Ort Frauenfee felbft, aufgezählt. Ste brachten,
durchſchnittlich den Ad. zu 2 Gnacken Zins berechnet, 57
Gulden 6 Gn. ein. Die lebten 400 Ad. waren laut Ver⸗
trag von 1540 — jedoch unbejchadet der Wildbahn, Die Sach⸗
fen allein für fih in Anſpruch nahm, und nur die niedere
Jagd auf den Feldern dem Vogt überließ — von Sadı-
jen bewilligt; außer dieſen follte aber fpäterhin feine Ab⸗
gabe von Rottland mehr ftattfinden. Im Sabre 1595,
wo Landgr. Morit 12,000 Gulden auf die Kloſterbeſitzung
dargeliehen erhielt, die mit 600 Gulden jährlich verzinft
werben mußten, wird die Kloftereinnahme, nad Abzug
der Beſoldungen, und Übrigen Ausgaben, auf 1200 Gul⸗
*) Urt, im Rechnungsamt Crayenberg zu Ziefenort,
8
den berechnet, welched auch ber Wirklichkeit ziemlich nahe
kommen mochte.
Gebäulichkeiten.
Dieſe find mit dem Neubau der Kirche (1855 bis 1857)
nunmehr gänzlich verjchwunden, und Nachrichten über die—
jelben aus früherer Zeit nur noch fpärlich vorhanden. Zwar
ift 1602 noch von einem Klofterhaufe die Rede; auch die
Kirche mit der Probſtei beſtand damals noch in früherer
Weiſe; aber über die Lage und innere Einrichtung von
diefer ift jo wenig etwas zu fagen, als von jener e8 ficher
tft, ob fie durch Veränderungen im Laufe der Zeit mehr
oder weniger umgeftaltet worden war. Bon Reparaturen
und Berbefferungen an beiden ift zwar mehrfach die Rebe,
aber ein deutliches Bild der Gebäude ift daraus nicht zu
entnehmen. Schindeln zur Dedung der Probftei werden
1602 angefchafft, ein neues VBorgebäu der Treppe bergeftellt,
die wüfte Kammer am zweiten Thurm nebſt der Stube des
Vogts 1605 ausgebefjert, auch unter der Verwaltung des Abts
Joh. Bernhard zu Fulda, der die katholiſche Konfeffion im
Stift wieder einzuführen ftrebte *), an ber Kirche, die Durch
Brand gelitten hatte, 175 Gulden verbaut. Aber, wie ge—
jagt, ein deutliches Bild der Gebäulichkeiten läßt fich dar—
aus nicht entnehmen. Es jcheint ſelbſt, daß die Ausbeſſe—
rung der Kirche nicht vollftändig geweſen, oder Daß fie fpä-
ter wieder aufd neue verwüftet worden jei; denn 1685 wird
beides, Pfarrhaus und Kirche, an diefer namentlich Der
Thurm, fo baufällig bezeichnet, daß eine Reparatur nicht
Yänger verjchoben werben dürfe. Die fürftliche Kanzlei in
Rotenburg jchlägt indeß das Gefuch ab, indem die Einnahmen
des Klofter8 durch die vergangenen Kriegsläufte fo tief ge=
funfen feien, daß an ſolche Ausgaben zur Zeit nicht gebacht
werben könne **), An die Stelle des Kloſterhauſes, dag
*) Ledderhose, iur. hass. prince. in abb, Hersf. p 111.
°) Acten im Reg. Arch. zu Caſſel über Frauenſee.
9
vieleicht Yänaft fchon zufammengefunfen war, Tieß Landgraf
MWilhelm 1632 bi8 1633 das f. g. ſteinerne Haus, mit
einem Koftenaufwande von 1032 Gulden erbauen. Daffelbe
wurde dem herrichaftlicden Beamten angemwiejen und von
ibm bewohnt, die Probitei, fo viel Davon noch übrig war,
dem Pachter des Kloſtergutes übergeben, deſſen Fruchtboden
fih im Dachgefchoffe Der Kirche befand. Dieſe wurde jo
lange in ihrem dürftigen Zuftande von der Gemeinde be=
nutzt, bis endlich ihre Baufälligfeit dieß nicht länger ges
ftattete. In der Neuzeit trat eine freundliche, durch fürſt⸗
liche Munificenz reichlich verzierte, an ihre Stelle. Der
Heft der Probftei mußte damit ebenfall3 fallen, und feit-
dem ijt fein Stüd von den alten Sloftergebäulichkeiten
mehr zu ſehen.
Ordensperſonen und Geiſtlichkeit.
Auch hier fließen die Quellen ſpärlich. In der Regel
ſprechen die noch vorhandenen Urkunden nur vom Probſt,
Aebtiſſin und Convent, ohne die Namen derſelben zu nennen.
Bon zweien der Pröbſte wird, außer dem oben genannten
Elbinus 1222, noch zweier, des Probfte8 Hermann Hil
(1488 — 1492) und Georg von Weitershaufen (1511— 1527)
gedacht *).
Bon den Aebtiffinnen werden genannt: eine Lucarbis
1315, Hedwinis 1404, Katharina von Benhaufen 1514,
®) Letzterer that fich insbefondere dadurch rühmlich hervor, daß er von
Frauenſee aus der unter Abt Volpert Riedeſel bewirkten Incor⸗
poration des Stifts Hersfeld mit Fulda eifrigft widerfprach, fich
zum Abminiftrator des verwaiſten Stifts erklärte, und dadurch ben
Grund zur Wiederauflöfung diefer dem Stifte nachtheiligen Ber-
bindung legte. Die geharnifchten Neben des Abts Hartmann zu
Fulda (Schannat, Cod. probat. hist. Fuld. p. 348), welche das
Näthliche des Unternehmens für beide Stifter darthun, und zu⸗
gleich Das nicht gerechtfertigte Beſtreben von jenem zeigen will,
erreichten ihren Zweck nicht; Hartmann mußte zuletzt jelbft Die Wie-
berauflöfung ausfprechen. Lebberhofe a. a. O. p. 153.
10
und Margarethe von Lerbach 1526; deögleichen finvet fi
ber Verzichtbrief der. Klofterichweiter Margarethe von. Brei-
denbach, gen. Breidenftein, Die: gegen eine Rente von jähr-
lich 3 Vrtl. Korn auf ihre. Berechtigungen: verzichtete *).
Bon den. Beiftlihen werden nur. zwei vor der Reformation
bezeichnet. Ein Kapları 1506, der. aber von Salzungen
aus, in der Kapelle sieben dem Chor — vielleicht der des
Heil. Bernhards — zu :fungiren hatte; und Joh. Geyſe,
welcher 1327 Kaplan zum See genannt wird **),
Die Dotirung der Pfarrei, welche an Die Stelle ber
früheren Kaplaneien trat, war wahrfcheinlich ſchon Landgraf
Philipps Wert. Es trug diefelbe urjprüglich .nur 15:Qul-
ven an Geld, 12 Vrtl. Korn, 6 Vrtl. Gerfte und 5 Vrtl.
Hafer aus den Kloftereinfünften ein, wozu noch ein Beitrag
von durchſchnittlich 3 Gulden 12 Gn. aus. der Gemeinde
für Haltung der Kommunion kam. Bom ehemaligen Sie=
chenhaus war ferner noch eine gewiſſe nicht näher bezeich-
nete Summe übrig, welche, auf einen Garten oder Lände-
reien geliehen, dem Pfarrer den fonft gänzlichen Mangel
an biefem erjeßen ſollte. Es jcheint, daß die Unzulaͤnglichkeit
9 Die große Verſchiedenheit der Abfindungen von Kloſterperſonen in
Heſſen — oft ſteigen ſie auf mehrere hundert Gulden oder zu einer
bedeutenden Anzahl von Vierteln Früchte, oft ſind ſie viel geringer
als die vorſtehende — gründeten ſich, wie man annehmen muß,
theils auf das mehr oder weniger Eingebrachte — bisweilen wird
dies als Hauptgeld auch ausdrücklich bezeichnet —, theils wohl auch
auf die Kräfte des Kloſters ſelbſt, oder auf die mehr oder mindere Nei⸗
gung in die Welt zurüdzufehren, die Wahrjcheinlichkeit hier befjern
Erwerb und Unterkommen zu finden, oder dort mit mehr Ruhe
und Gemüthlichkeit leben zu können.
Nach v. Rommel, Geſch. von Helfen Bd. II. A. ©. 292, wo
die Aebtiffin von Lauerbach genannt wird, werben noch 4 andere
Klofterjchweftern ‚in Frauenſee abgefunden, und aus dem Klofter
entlafjen, als: Leyfe von L., der Aebtiſſin Schwefter, Agade won
Weitershaufen, Friederide von Buttlar und Katharine Schützemeiſter.
2*) Stephan; Stofflieferungen zur deutſchen Geſchichte S. 100 und
Url, im Staatsarchiv zu Caſſel über Frauenſee.
11
der Beſoldung oder andere Grunde ihre zeitweilige Erhöhung
nothiwendig machten; denn es findet fich, daß dieſe jpäter mit
Sinzunahme des Decems von den Höfen Lindig und Heßen-
berg, auf 29 Gulden und 19 Bril. Korn, 7'/, Metze Wai⸗
zen und 7 Bril. 6 Meben Hafer flieg. Pater Reimerus,
dem unter ber. Berwaltung Abt Bernhards zu Fulda 1629
Die Pfarrei. übertragen war, wurde bereit der Geldbetrag
mit ben zuerft bezeichneten Früchten auf 20 Gulden erhöht,
wobei der Vogt für. deſſen Beföftigung vom 23. Juli 1629
bi8 24. Februar 1630 noch 70 Gulden 11 Gn. in ber
Kloſterrechnung für ihn vergütet erhielt. Im den zunächt
darauf folgenden Jahren 1632 und 1633 iſt dem Pfarrer
der Befoldungsbetrag, vielleicht der damaligen Kriegsläufte
wegen, auf 58 Gulven erhößt, dagegen das Korn auf 15
Bril, geftellt. Jener geht zwar fpäterhin auf 29 Gulden
wieder zurüc, die bezeichneten Früchte aber bleiben, jedoch
wie. ausdrüdlich dabei gejagt wird: „aus Gnaden.“ Es
jcheinen trotz dem verhältnigmäßig nicht eben geringen Be⸗
joldung&betrage Gründe, fich weg zu wünfchen, vorhanden
geweſen zu fein, denn nirgends kömmt wohl ein jo häufiger
Wechſel der Geiftlichen vor, als zu Frauenſee während die—
fer Zeit *). Auch werden einige Mal, vielleicht bei Va⸗
eanzen, Beiolvungsbeträge dem Pfarrer zu Friedewald über-
wieſen, der alſo, obfchon in ziemlicher Entfernung, wie e8
Scheint zur Aushülfe dienen mußte. Der Grab der Sitt-
lichkeit in der Parochie, was indeß vielleicht zum Xheil
der Individualität der Berichterftatter zuzufchreiben iſt,
wird nicht felten als .ein wenig erfreulicher gejchilvert.
*) Johannes Habermann 1594, Bitus Korngiebel 1602, Johannes
Kenner 1612, Johannes Thürmer 1614, Reinhard Matheus 1627,
Pater Reimerus 1629, Nikolaus Meife 1632, Johannes Hoßbach
1685, Chriſtoph Limburg 1639. - Nach diefer Zeit fehlt ein Geift-
ficher auf längere Zeit ganz. Dann: Joh. Friedr. Schlemmer
1671, David Pfaff 1685 u. U. (Meg. Arch.)
12
Beſitzer des Kloſters feit der Reformation.
Berträge mit Trauenfee und den anliegenden
Orten. Schluß.
Landgraf Philipp zu Helfen, dem wegen Unterbrüdung
des Bauernaufruhrs im Stift Hergfeld 1525 und den de8-
bald aufgewendeten Kriegskoſten von 12,000 Goldgulden, die
Hälfte der Etadt Hersfeld, der hersfeldifche Antheil von
Berka, und das Kloſter zum See pfanbweife eingeräumt
war, kam damit zuerjt in den Beſitz deſſelben. Aus einer
Pfandverſchreibung, welche Landgraf Philipp an Ludwig
von Boyneburg 1540 über 4000 Goldgulden ausſtellt, und
ihn damit auf die Kloftereinfünfte anweift, ift erfichtlich, Daß er
e8 zu jener Zeit noch in Beſitz hatte. Abt Michael Land
graf belehnt Heffen 1557 mit der Hälfte von Frauenfee
zu rechtem Mannlehn; und A. Crato Weiffenbach behielt
fih, al8 er 1592 auf das Stift refignirte, unter Anderem
die Einkünfte von Frauenſee, hersfeldiſchen Antheils, vor.
Daß Landgraf Morit 1595 abermald 12,000 Gulden auf
die heififche Hälfte der Kloftereinfünfte Tieh, ift bereitß oben
erwähnt. Und diefe Hälfte blieb, bis Frauenſee zulegt mit
Hersfeld ganz an Heflen fiel 9. Während deſſen beſaß jedoch
Helfen Rotenburg den hersfeldiſchen Antheil vertragsweiſe
mit Petersberg auf Yängere Zeit, und als Abt Bernhard
zu Fulda 1629 im Stift gegenreformirte, nahm diejer Die
Einfünfte von Frauenfee auf die Zeit feined Beſitzes ein.
Im Laufe der Zeiten hatten fich auch mancherlei Sr=
rungen mit den Einwohnern in Betreff der Holzberechtigung
und Hute erhoben. Schon im PVertrage von 1540 wurde
zwar die Viehhute, wie fie hergebracht, in den fächfifchen
Wäldern ferner zu üben zugeftanden, aber genau dabei be=
ſtimmt, in welcher Weife Die zu gefchehen habe, damit ber
Wildbahn nicht Schaden geſchähe. Es wird dies 1562 auch
ben umliegenden Orten, Wünfchenfula, Horfchlitt, Boſſerode,
*) Url, um Reg. Arch. zu Caſſel.
'
13
Berka und Breidenbadh, in herfömmlicher Weife, jetoch mit
Ausichluß der Gehege und ebenmäßiger Schonung der Wild
bahn, geftattet. Mehr Mühe koftete es, die Streitigfeit über die
Holzberechtigung zwijchen den fächfiichen und heffiichen Orten
in den nahen Wäldern zu fehlichten; fie hatten fchon zu fo
manchen und bebauerlichen Exceſſen, Pfündungen und Schlä-
gereien geführt und man lag bereit8 feit längerer Zeit im
Prozeſſe darüber. Endlich gelang auch dieſes, in einem Ver⸗
trage von 1574 *). Bon den Gehölze nämlich, das kalte Fled
genannt, follte da8 Amt Kraienberg zwei Theile, und Frauen
fee einen Theil zur Bebolzigung erhalten, und beiden zuge=
mefjen werden, Ddedgleichen wurde die Feldmark zwilchen
Frauenſee und. Kiefelbach genauer und deutlicher beſtimmt.
Die Wüftung und Holz, das Griffards genannt, worüber
ebenfall8 manche Irrungen vorgefallen waren, jollte dages
gen PBrauenfee allein bleiben. Ebenſo wurde fich wegen
des Waldes Zehnhaufen, zwijchen Frauenſee und Tiefenort,
verglichen und die Fünftige Grenze näher bezeichnet, Ueberall
jollte jedoch dieſe Vereinbarung Teinen Einfluß auf Hut—
und Triftgerechtiame haben, vielmehr Diefe bei dem bishe—
rigen Herfommen jümmtlich bleiben und gelajfen werben,
Im Sabre 1736 wurde Frauenſee mit dem Amte
Landeck an Sachſen, gegen Entjagung der Anfprüche an
Hanau »Münzenberg, abgetreten — wobei jedoch die Be—
ſtimmung feftgefegt war, daß ber evangel. reformirte Got⸗
tesbienft, ohne Einführung einer andern Religion, ober ei-
ned Simultaneums, beibehalten werden müffe —, e8 kam aber
durch Erbkauf 1742 wieder an Heflen zurüd *). Seit
1816 ift das Amt Frauenſee, einfchließlich de8 Orts Go8-
penroda, nach Staatövertrag vom 2. Sept. 1815, von Helen
getrennt, und definitiv mit dem Großherzogthum S,-Wel-
mar-Eifenach vereinigt,
2) Urk. im Nechn.-Amt zu Tiefenort,
**) Ledderhoſe, Kirchenftant ©. 229,
14
2) Das Klofter zu Kreuzberg.
Urfprung und Gründung,
Wenn B. VII ©. 42 ff. d. BL. 1190, als das Jahr
der Erbauung der Kirche und Gründung des Kloſters be—
zeichnet wird, weil im folgenden 1191ften Sahre von Papſt
Cöleſtin II. ein Schutzbrief für dafjelbe ausgeftellt ift, ſo
wird man dies nicht im ſtrengen Sinne des Wortes
zu nehmen haben, da jeven Falles es eines größeren Zeit—
raums zu Errichtung eines folchen Werkes beburfte, auch
die Zeit des Schutzbriefs *) nicht nothwendig mit der fei=
ner Gründung zufammen fällt. Zwar weift der im An-
fang de8 Jahrhunderts in Frankreich entftandene Orden
der Ciſtereienſer bereit8 mehrere in Helfen geftiftete Klöfter
auf, als: Aulesburg, fpäter Haina 1140, und Germe—
rode 1144 **); doch dürfte der Urfprung des Kloſters zu
Kreuzberg als ein fpäterer, der Zeit des Schutzbrie—
fes nahe liegender, gebacht werden müſſen, weil die be—
zeichneten Güter wegen ihrer noch verhältnißmäßig geringen
Zahl und Einnahmen ***), neben dem Ausprud, daß fie
von Königen und Fürſten gefchenft ſeien — (nicht erfauft,
wie doch fpäter fo häufig vorkommt) — eher auf einen An—
fang, als auf eine längere Dauer, fehließen laffen. Und
wenn Darauf hingedeutet wird, daß der Beſitz von Häufern
in Herdfeld der Sammlung, vor ihrem Einzug in Kreuz-
berg, zur Wohnung gebient haben dürfte, fo Tann freilich
auch auf andere Weife und zu anderen Zwecken ihr Er-
*) Er wird irrthümlich ©. 48 und 56 Stiftungsbrief genannt.
*) Zufti, die Vorzeit v. 1821 ©. 7%, und Schminde, Geſch. des Klo⸗
fterg zu Germerode, Bd. VILS.29 DB.
632) Bon den auch noch im fpäterer Zeit mit Zinsbeträgen für das Klo⸗
fter vorfommenden Orte, als Kreuzberg, Salzungen, Hersfeld,
Zella, Oſtheim bei Gotha, ift auf die 1593 in den Zinsregiftern
fehlenden: Ingemarftat, Edftete, Suavehufen, Goltheim und Helin-
gen zu ſchließen. 1 |
15
Erwerb und ihre Benutzung Statt gefunden haben, wenn
auch ſolche Imzüge geiftlicher Genoffenichaften von Klei—
neren zum Größeren, mindeſtens zu jener Zeit, nicht unges
wöhnlich find, wie der Urfprung des Klofter8 zu Frauenſee,
und die Damit verbundene Sage ſchon zeigt, und wie fi
auch bei anderen findet ). ragt man nach dem eigent-
Yichen Gründer, dem Stifter des Klofters, fo tritt eine gleiche
Ungewißheit hervor, und das um fo mehr, da eine
Scupherrlichfeit des ZXerritorialberen, wie bei Frauen-
fee, nirgends genannt if. Doch war daſſelbe auf thü-
ringtihem Boden erbaut, Der Pfalzgraf Ludwig hatte ein
Erbgut dafelbit: es Tiegt alfo nahe, neben dem genannten
Guntherus de .Cruceberc auch diefen, wenn nicht für den
eigentlichen Stifter, doch gewiß als Beförderer und Beſchützer
defielben, fich zu denken.
Gebäude und Räumlichkeiten.
Es wird ftet3 eine jchwere Aufgabe bleiben, Da, wo
Pläne und genaue Bezeichnungen ehemaliger Gebäulich-
feiten und Räume fehlen, fich fpäter diefe noch genau zu
vergegenwärtigen. Auch Benennungen und andere Zei-
chen, die auf diefelben zurüdgehen, finb häufig nur ein
Mittel irre zu leiten; denn man vergißt bei ihnen zu leicht,
daß fie entweder zufällig find, oder daß die Sage nur einen
Kern hat, der in feinen vielfachen Umhüllungen um ſo
ſchwerer fich erfennen Yaht. So auch bei Kreuzberg. Das
nördliche, durch einen Zwiſchenbau weſtwärts mit der Kirche
verbundene Gebäude, und mit berjelben fait ein ‘Dreied
bildend, wird zwar da8 alte Schloß genannt; aber na=
mentlich in feinen unteren Theilen, die mit den oberen,
bei eigenen Ausgängen, nicht in Berbindung ſtehen, all-
gemein. für einen Reft bes Kloſters gehalten. Biswei-
len ſcheint man fi auch an dieſer Stelle die Probftei
2) Die Eiftercienfer in Haina ſ. a. a. O.
16
gedacht zu haben; was um fo Leichter möglich, Aft, da län⸗
‚ger als ein halbes Jahrhundert das Kloſter pr von Pröb⸗
ften noch bewohnt war, oder mindeftens in deren Beſitz fich
befand. Selbſt die vorhandene Sage von’ einem Mönch,
ber fich von Zeit zu Seit darin fehen Yaffe, Dort umgehe,
jcheint nicht undeutlich darauf hinzudeuten *). Betrachtet
man jedoch das Gebäude, namentlich auf der nach ber
Kirche hin gerichteten Seite näher, was wegen des be—
ſchränkten Raumes zwar nicht leicht ift, fo ergibt fich, daß e8
von diefer Seite ehedem frei gewejen fein müſſe, da ver=
mauerte Fenſter⸗ und Thüreingänge fich hier zeigen, die be—
weifen, daß fo nahe ein anderes Gebäude nicht geftanden
haben könne. Es würbe auch dieß ohnedem eine font bei
Kloſtergebäulichkeiten ungewöhnliche Lage und enge Be—
gränzung derſelben andeuten, die mit ben bedeutenden ſpä—
teren‘ Einnahmen und zahlreichen Bewohnerinnen wenig
übereinftimmen würde, Man ift daher gendthigt, ſich nach
einem anderem Raume für die ehemaligen Kloftergebäude
umzufehen, und dieſer fcheint fich auf der Südſeite der Kir-
che nicht undeutlich zu zeigen. Dort, in dem jeßigen |. 9.
Küchengarten, haben fich von Zeit zu Zeit noch bedeutende
Refte von Mauerwerk beim Aufgraben de8 Bodens gefun-
ben; dort zeigen fich ſeitwärts ber Kirche, rechts und links,
noch zwei vermauerte Thüren, welches die Aus- und Ein»
gange des Kreuzganged zur Kirche geweſen jein Tonnen.
Denkt man fi um diefen die Hauptgebäude des Klofterg,
jo dürften fie. einen nicht unbedeutenden Raum des bezeich-
neten Gartentheil® eingenommen haben. Der ſpätere Kreuzs
gangsgarten, Y/, Ad. 15 Rth. groß, welcher fich 1644 in
dieſer Weife noch aufgeführt findet, nebft dem, demſelben
*) Saft follte man ſich hier zu ber Meinung bingeleitet fühlen, es fei
unter demfelben der Mönch Guntram aus der Tölnifchen Diöcele
zu benfen, von Bonifaz IX. 1393 eingejett, aber durch Clemens VII.
bald wieder vertrieben, ber ferne verlorene Probftei ſuche.
17
nahen, noch jett im abgegränzten Raum vorhandenen f. g.
Rebenthal *), war ohne Zweifel, nach Verödung des Klo—
fter8, an feine Stelle getreten unb vom Kloſtervogt zu
ökonomiſchen Sweden benutzt. Was die Lage der Gebäu—
lichkeiten ſelbſt betrifft und beren innere Räume, welche jpäter
nur noch als fürftliche Gemächer, oder Wohnungen für den
Kloſtervogt, namentlich aufgeführt werben, fo ift es ſchwer,
ihren urfprünglichen Zuftand zu ermitteln. Entweder ift über«
haupt in den vorhandenen Schriften nur vom Klojter und
deſſen Gebäuden, feltener von der Probftei, Die Rede; oder
es wird ein langes Hauß, rothed Haus, Kalkhaus, Kemnate,
Bad- und Brauhaus, Meyerei ꝛc. genannt, ohne über ihre
Rage Aufichluß zu geben, Daß fich indeß der Haupteingang
zur Kirche weitwärts durch ein hohes Gewölbe, unterhalb des
Thurms, jebt das fürftliche Erbbegräbniß, hingezogen habe,
iſt noch an den in der äußern Wand befindlichen Zeichen
zu erkennen. Die Kloftergebäude mußten aljo eine folche
Zage haben, um von ihnen leicht zum Haupteingange ges
langen zu fünnen. in gewölbter zweiter Eingang an ber
nördlichen Seite ber Kirche, Dicht am Thurm, jebt eben-
falls vermauert, jcheint ver Eingang für die Dorfbewohner
gewejen zu fein. An feine Stelle ift ein anderer, oberhalb
aus dem Schloßgebäude zur Kirche führend, getreten.
Daß die Kloftergebäude aber noch fpäter, und bis zum
30jährigen Kriege, von Bedeutung gewefen fein müſſen,
zeigt neben dem, was über Reparaturen und fonft in den
Kiofterrechnungen diefer Zeit vorkommt, daß bei Ueber—
nahme des Klofterd Durch Landgraf Morig und Abt Ioa=
Kim 1593 noch über 2000 Vrtl. Trüchte, welche auf den
daſigen Kloftergebäuden Yagernd aufbewahrt wurden, mit
übergeben werden konnten.
*) Der Anbau von Reben war für die damaligen Kloftergemeinfchaften
um fo nöthiger, da der zum Tirchlichen Gebrauche nicht zu ent-
behrende Wein nicht jo leicht wie jet aus ber ferne bezogen wer⸗
ben konnte. Auch in Frauenſee befand fich ein folches Rebenthal,
VI, Band. 2
18
Das Reformationßzeitalter.
So fpärfih auch bier die Quellen ſchon im. Alfge-
meinen zu fließen pflegen, fo mußte Doch dieß bei der Abtei
Hersfeld um fo mehr der Fall fein, da die Aebte bei ihrer
Hinneigung zum Lutherthum, als geiftliche Neichsftände,
um den von der Gegenfeite drohenden Gefahren, dem ſpä—
teren’ geiftlichen Vorbehalt und Anderem was entgegen ftand
zu entgehen, und ihre Würden und Einnahmen nicht zu
verlieren, vorfichtig Dabei zu Werke zu gehen, und Aufjehen
zu vermeiden verbunden waren *); Doch auch das Wenige,
was fich hier in Betreff Kreuzbergs noch findet, wird nicht
ganz ohne Intereſſe jein.
Die Erſchütterungen des Bauernfriege8 i. J. 1525
trafen zuerſt in herber Weiſe auch das Kloſter zu Kreuzberg.
Der im Fuldagrund zuſammengelaufene und bald} bis Vach
vorgedrungene Bauernhaufe lagerte zwar zunächſt vor dem
Schloß in Völkershauſen. Nachdem er aber hier durch
Vergleich mit Hans v. V. feinen Zweck erreicht, oder min-
deſtens zu erreichen geglaubt hatte, erjchien er Montags
nach Quaſim. vor Bach, beraubte und vermwüftete das in
bafiger Vorſtadt gelegene . Servitenflofter und mit: Diefem
‚gleichzeitig. Da8 zu Kreuzberg. Der fchon Freitags vorher
gefchehene Beitritt deffelben zu den 12 ſchwarzwälder Arti-
feln vermochte nicht, e8 vor dieſem Schickſal zu ſchüten **).
=) Dieß war jedoch nicht immer möglich. So ſchreibt (Walch Luth. Schr.
Bd. XXI p. 85 2c.) im Jahre 1523 Luther an Spalatin: „Lefet
bien neue Dinge von Eiſenach und mein neugieriger Wirth fchreibt:
ber Abt von Hersfeld läßt allen freien Ausgang, fowohl München
als Nonnen. Und der Pfarrer in Hersfeld bat nad feiner erften
Frau eine andere genommen.”
*6) Bericht des Amtm. und Stabtraths zu Vach an L. Philipp Mont.
n. Quaſim. 1525 (Reg. Arch.): „Sey finnt aber vonn flunde vor
Vach ins Mönchsclofter gezogen, baffelbige dermaßen verwüſtet mit
fampt dem Cloſter zu Creuzbergf, Bas wir uns vß mitleyden in
biefelbige ſach hynzulegen auch begeben.” Die Urfunbe bes Klo⸗
ſters über deſſen Beitritt zu ben ſchwarzwälder Artikeln |. d. Beil-
19
Das Nächite, was fich jet wieder zeigt, iſt das Jahr
1537, wo Probjt Kremer zu Kreuzberg ein neues Berzeich-
niß der beitehenden Zinsnota und Einnahmen des Kloſters
aufnehmen läßt, und zugleich die Ausgaben befjelben bes
zeichnet *). Nach den Ausgaben ergibt fi, daß damals
noch 3 Ordensperſonen, deren Namen jedoch nicht genannt
werden, aus ben Kloftereinfünften zu unterhalten waren.
Es erhielt eine jede 8 Gulden jährlih in halbjährigen
Raten **) Weiter fommen 6 Gulden für Hrn. Michael,
den Kaplan, „von wegen jeined Lohns“, der im folgenden
Sahre ausprüdlich Michael Landgraf genannt wird, vor.
MWahricheinlich war hier der victus et amictus, der zu jener
Zeit auch bei Eivildienern als ein Hauptbeftandtheil der
Bejoldung fih fand ***), noch außerdem verliehen, Ders
ſelbe fungirte alſo jeit 1524, wo er zum Kaplan dajelbft
ernannt war, noch fortdauernd in dieſer Eigenichaft zu
Kreuzberg, indem von einem andern Geiftlihen nir=
gends die Rede iſt +). Zwar wird ein Georg Wahlfabt
°) Die Namen der Orte ſtimmen, foweit nachzukommen ift, faft genau
mit den jpätern überein, obſchon ein beftimmter Betrag von Gelb»
und Fruchtzinſen nicht angegeben if. Das Negifter bezieht ſich
zum Theil auch auf das folgende Jahr 1538, ift aber leider nicht
vollftändig. (Reg. Arch. zu Caſſel. Repert. 11. coll. 21.)
**) Man darf fi) dieſe Summe jebod nicht zu gering benfen, da ihnen
vielleicht noch freier Tiſch mit andern Bortheilen zufloß, fo lange fie das
Klofter mitbewohnten. Selbft aber ohne dieß ift zu bedenken, daß
nah dem damaligen Münzfuße bie kölniſche Mark zu 7 Gulden
ausgeprägt wurbe, Zieht man dabei den höher ftehenden Werth
bes Geldes in Betracht, jo ift das allein ſchon eine Penfion, bie
nicht unbedeutend erfcheint.
*e+), Bernhardi, Kaffel ums Jahr 1580, im heil. Jahrbuch für 1855, .
©. 26 ff.
» Rur ein Mal kömmt von einem Geſchenke „dem Raid” vor, Ob
dies Balthafar Raid, Pfarrer zu Hersfeld von 1523 bis 1552,
war, ber vielleicht im geiftlichen Geichäften bafelbft geweſen fein
könnte, ift nicht zu entſcheiden. Es ift aber anzunehmen, daß
zwifchen ben Jahren 1538 und 1545 die Feflftellung veränderter
Parochialverhältniffe zu Kreuzberg ftattgefunden habe
l
20
mehrmalß genannt, ohne daß jedoch ein Beſoldungsanſatz —
nur einmal erhält er 6 Önaden Opfergeld — fich fände,
Da er jedoch den noch vorhandenen 3 Klofterjungfirn ftet8
ihre Deputate bringt und auch dem Vogt manche Einnah-
men bejorgt, jo bleibt e8 unentſchieden, ob er der im
Sahre 1545 von Kreuzberg zum Pfarrer nach Vach beru=
fene Georg Wahlfabt, oder ein Anderer dieſes Namens war.
In der Mitte des Jahres 1538 tritt, nach dem Tode
des Probſtes Kremer, Andreas von Kreuzburg als Probft
zu Kreuzberg auf. Das Einnahme= und Ausgabe-Verzeich-
niß des Klofter8 endet aber bald, nachdem noch einige Aus—
gaben für Türfenftener, Arbeiten an einer Mauer des Klo—
fter8 und für Arme angemerkt find, ohne Abfchluß und
Unterfchrift. Ein weitere8 dergleichen Verzeichniß findet
fich, wie bereit8 bemerkt ift, erft 1593, unter Landgr. Mo—
rig und Abt Röll, in den Klofterrechnungen wieder, welche
von da ab bis zur Landgräfin Hedwig Sophie und der
Uebergabe von Kreuzberg an Heſſen-Philippsthal fortge-
führt, und in dem Archive des Amts Vach, wenn auch mit
manchen Lüden, aufbewahrt werben.
Die Pröbſte Michael Landgraf, und Crato
Weiffenbach.
Die Einnahmen der Klöſter fielen, nach deren Säku—
lariſation, allein den Pröbſten zu, ſoweit ihnen nicht Verpflich-
tungen für abgefundene Klofterperfonen und erneuerte geift-
lihe Einrichtungen auferlegt waren, oder die Verwaltung
der Güter und die Erhaltung der Gebäude Verwendungen
nöthig machte. Daffelbe Recht hatten ihre Nachfolger, wenn
man die Stellen wieder zu bejegen für gut fand, was in
der Regel im Stift Hersfeld der Fall war. Sie beburften
aber auch dieſer Erhöhung der Einnahmen, denn neben
dem Aufwand, den fie ihrer Würde gemäß zu machen hat—
ten, kamen noch bebeutende Zahlungen bei ihrer Ernen-
nung zum Dechanten, Coadjutor oder Abt hinzu, Der
21
bei Erhebung zu den beiden Ietten Stellen für päbftliche
und Taiferliche Beftätigung zu machende Aufwand war ins⸗
befondere ſehr bedeutend *).
In der Regel ergäaͤnzte ſich die Abtei aus den Stif-
tern zu Rasdorf und Hünfeld. So war e8 aud bei Mi-
hael Landgraf, der mit dem geringen Kirchendienſte eines
Kaplana zu Kreuzberg den Anfang feines geiftlichen Wir»
kens gemacht, und diejen eine Reihe von Jahren, bei geringer
Einnahme, verjehen hatte. Nach dem Tode von Andreas
von Kreuzburg 1552 bereitS zu der Würde eines. Dechan-
ten des Stift8 und Probſtes zu Petersberg erhoben, er-
hielt er auch die erledigte Probftei zu Kreuzberg. Schon
2 Jahre ſpäter zum Coadjutor erwählt, trat er im Jahre
1556 al8 Abt in die höchfte Würde des Stiftes ein. Seine
Berdienfte um die Abtei find befannt; und daß er deßhalb
feine Sorgfalt für die Probftei Kreuzberg, dem Orte feines
langjährigen früheren Wirkens werde fortgejeßt haben, Yäßt
fih nicht in Zweifel ziehen. Bereit 1557 jchloß er einen
Vertrag mit Landgr. Philipp ab, der die früheren Ver—
pflichtungen des Stiftes, wegen Unterdrüdung des Bauern=-
aufitandes, regelte **). Bon feiner geiftlichen Wirkſamkeit
find die Kirchenvilitationen, welche er 1560 bis 1566 in
den Stiftspfarreien vornehmen ließ, Zeuge ***). Und von
2) Für Michael Landgraf wird die Ausgabe allein fiir bie päbftliche
Eonfirmation feiner Erhebung zum Abt 1556 auf 795 Golbs
kronen und die faiferliche Beftätigung auf 360 Goldgulden berech-
net. A. Weiffenbach gibt 1592 an, daß bloß feine Ernennung zum
Coadjutor ihm an die fünftehalb taufend Gulden gefoftet hat,
**) Aug hierbei ift Kreuzbergs gedacht. Pebderhoje a. a. O. ©. 185:
„tem behalten wir ons, vnſerm Stifft, vnd Elofter Creuzbergk
vor, die Jacht vfm Siucich, auch andre Jachten, was wir deren
herpracht haben.“
er) Reg. Arch. Die Relationen über dieſelben, bie auch Auskunft über
den damaligen Stand der Konfeſſion geben, aus dem Dunkel her⸗
vorgezogen zu ſehen, würde nicht ohne Intereſſe ſein. Die Kloſter⸗
pfarreien find jedoch von ber Viſitation ausgenommen, „weil gnädig⸗
22
feinem im Stifte erworbenen Vermögen gründete er 1570,
mit einem Aufwande von 40,000 Gulden, eine Schule,
das ſpätere Gymnaſium, zur höheren Ausbildung von Dies
nern der Kirche und des Staates. Eine zum Segen be8
Landes wirkende That, die mehr fpricht, als Worte aus—
drücken können.
Ludwig Landau aus Hünfeld, Dechant des Stiftes,
nach dem Tode Landgrafs 1571 zum Abte erwählt, ernannte
mit Einwilligung des Landgrafen Wilhelm, als Erbſchutzherrn,
Crato Weiffenbach zum Dechanten, und zugleich zum Probſte
zu Kreuzberg und Frauenſee. Da derſelbe die Probſtei
Gellingen ſchon beſaß, erhielt er damit 3 der anſehnlichſten
Pfründen des Stifts *). Abt Landau hatte ſich bereits bei
Antritt ſeines Amtes gegen Landgrafen Wilhelm, unter Bei—
ſtimmung des Dechanten Weiffenbach, verpflichten müſſen,
des Landgrafeny Sohn, ſofern derſelbe ins Stift werde ge—
ſetzt werden können, die Abtei gegen hinlängliche Recompenz,
wieder abzutreten und zu überlaſſen; jedoch fügte Weif—
fenbach hinzu, daß er hoffe, man werde in dieſem Fall ihm
den Beſitz der Probſteien Gellingen und Kreuzberg nicht
entziehen. Im Jahre 1588 zum Coadjutor ernannt, mußte
diefer fich ebenfall8 reverfiren, eine befondere Vergütung für
Uebernahme und Belorgung dieſes Amtes nicht zu bean
ſpruchen; auch was er in feinen innehabenvden Klöftern
und Brobfteien erworben, und in fparfamer Haußhaltung
bei feinem Tode zurüd Yaffen würde, follte nach Stifte.
herfommen bei dem Stifte bleiben. Aehnliches wurde
gleichzeitig Dem Erbſchutzherrn verſprochen; wobei zugleich
eine Nefignation auf das Stift, wenn fie erfordert würbe,
fter Herr dieſe ſchon genugfam kennen würde.“ Gin ehrendes
Zeugniß für ihn ſelbſt.
° Das folgende Speziellere über ihn ift aus Acten gefchöpft, bie fich
im Red. Archiv befinden In fpätern Urkunden wird er gewöhn⸗
lich von Weiffenbach genannt, wie das feiner Würde gemäß und
in ähnlichen Fällen auch bei anderen geſchah.
23
und daß er ohne deſſen Zuftimmung feine Orbensperfonen
aufnehmen, und in dafjelbe einführen wolle, ebenfalls und
ausdrücklich hervorgehoben war *).
Da Weiffenbach jedoch die päbftliche und Laiferliche Bes
ftätigung zum Abte des Stifte8 — er war bald nach feiner Er⸗
nennung zum Coadjutor, und nach dem Tode feined Vor⸗
gängers zum Abte erhoben — unter dem Vorwande, er fei
vom Fatholifchen Glauben abgefallen, nicht erlangen Tonnte,
refignirte er 1592 oder, wie man es nannte, ftand ab von
ber Regierung des Stifte, Sein Nachfolger war der biß-
herige Dechant Joachim Röll, welcher ohne Anftand Die
päbitliche und kaiſerliche Beftätigung erhielt, obichon bei
ihm die Verweigerung derjelben, wäre e8 befannt gewe⸗
jen, näher lag als bei Jenem **x). Da bier die Bes
ziehungen Weiffenbachs zu Kreuzberg beſonders hervortreten,
jo wird e8 nicht unangemeſſen fein, dieſe etwas näher ing
Auge zu faflen. .
*) Ledderboſe a. a. O. p. 221. Dabei wurde zugleich muebedungen,
kam jedoch nicht in die Urkunde: „Die Jagd zu Kreuzberg ſolle
gemeinfam und das Wildpret ad mensam frugalem kommen,“
Ferner: jofern ber Coabjutor zur Succeſſion käme, wolle er das
Klofter zu Kreuzberg mit allen feinen Rechten dem Landgrafen und
feinen männlihen Erben zu Lehn geben. Früher war dazu be-
reits ein Herr von Cornberg beftimmt. (eg. Arch.)
”*), Es hatte Joachim Röll, als Canonicus zu KRaßborf, bereits am
12. Rov. 1581 jchriftlich fich gegen Heflen erflärt: „Er babe zwar
in feiner Jugend aus Armuth und weil er die Sache nicht anders
gewußt, die Schule ber Jeſuiten bejucht, jeboch jet er Fein An-
hänger derfelben, feine Meinung jet eine andere.« Werner: „würde
er als Conventuale des Stifts Hersfeld aufgenommen werben, fo
wolle er fi dem im Stift hergebrachten Religions-Eyercitio augs-
burgifcher Konfeifion unterwerfen, bemfelben fich keineswegs wiber-
fegen, ober befördern, daß eine Aenderung damit vorgenommen
werde,” Gleihmäßig geihah dieß von Konftantin Faber und
Berthold Rüdiger bei ihrer Aufnahme ins Stift 1587 (Reg. Arch.)
Und Nikol. Selig war e8, ber 1594 folgte. (Ledderhoſe a. a. O.
©. 239.) Sämmtlich Genanmte kamen ebenfalls aus ben Stiftern
Raßdorf und Hünfeld nach Hersfeld.
24
Crato Weiffenbach, aus Niederaula gebürtig, oder wie
man ihn feit feiner Refignation zu nennen pflegte, „der ab⸗
geftandene Herr”, wur, wie dieß ausdrücklich bezeugt wird,
ein alter ſchwacher Mann, dem e8 an eignem, felbftändigen
Handeln fehlte, und der fih von feinen Verwandten, na=
mentlich feiner Schwefter Tochtermann Michael Edharbt,
welcher, wie e8 feheint, fein fteter Begleiter war, zu jehr leiten
ließ. Woher auch alle daS Uebel, das ihn in feinen letzten
Lebenstagen noch fo hart treffen ſollte, abzuleiten ift.
Man unterhandelte vorerft, da man von beiden Sei-
ten einfah, daß eine Nefignation nicht mehr zu umgehen
war, über die Bedingungen derjelben. Landgraf Morik
hielt — Inſtruct. v. 17. u. 24. Oct. 1592 — nicht dafür,
daß es angemefjen fei, den alten Dann mit den Probfteien.
bie er inne hatte, und deren Verwaltung zu bejchweren.
®r meinte, freie Wohnung und Tiſch zu Hersfeld, mit
nothdürftiger Beholzigung, 4 Pferde nebft den nötbigen
Dienern und 1000 Thaler baar, würde das Befjere für
einen Mann in feinem Alter, der fi} nur noch mit Gott
und feinem feligmachenden Wort zu beichäftigen habe, fein.
Jedoch geftand er ihm, wenn er lieber wollte, auch Kreuz—
berg und zuleßt, da er zugleich auf Gelingen und Frauen
fee beharrte, auch dieſes zu *). Nachdem er hierzu ebenfallg
die nöthige Zuficherung Seitens des Stift erhalten hatte,
Icheint er feinen gewöhnlichen Aufenthalt in Kreuzberg auf-
geichlugen zu haben, wenigften® wird er bei feinen Zwiſtig—
feiten mit dem Abt ROW, die leider fo fehr zu feinem Nach-
theile ausſchlugen, ſtets als dort wohnend genannt.
Schon bei der einzunehmenden Huldigung Abt Jo—
achims zu Kreuzberg, 13. Nov, 1592, fand dieſer es fehr
Man wollte in Gellingen für ihn, als einem entfernten Orte, oder
weil das Gericht von daher ſchon Mancherlei verbreitet hatte, einen
Provifor ſetzen, der die Aufficht führen, und die zu erhebenben
Einnahmen an ihn abfiefern ſoͤllte, mußte aber Darauf verzickten, weil
er auf deu Borfehlag einzugehen in Keiner Weiſe zu bewegen war,
25
auffallend, daß der gerade gegenwärtige Vogt von Gelingen
diefelbe verweigerte. Was zwiſchen beiden Herrn dajelbft
weiter vorgefallen, ift nicht befannt geworden; aber Erjterer
verlangte bald nachher von Lebterem Aufichluß über das
bei Uebernahme der Abtei vorgefundene Geld, und be=
hauptete, von den dahin gehörigen Kleinodien, namentlich
den filbernen und vergoldeten Bechern, fehlten mehrere,
Abt Weiffenbach gab zu, daß er von Letzterem etwas nad)
Kreuzberg mitgenommen habe, nach feinem Tode werde
man e8 fchon finden; und von Jenem müfje Doch vorerft
der bedeutende Aufwand, den er bei feiner Ernennung zum
Coadjutor gehabt habe, Ihm vergütet werden. Abt Joachim
ſandte jetzt zwei Abgefandte nach Kreuzberg, um Weiffenbach
das Conventsfiegel abzufordern; e8 wurde aber verweigert,
weil noch etliche Briefe, um Lehngeld zu empfangen, damit
zu fiegeln feien. Die Sache war nun fo weit, daß fie auf
irgend eine Art zum Ausbruch kommen mußte, — und das
geichahe bald.
Am 27. Dec. 1592 — ſo wird erzählt — als Abt
Meiffenbach Abends eben von Tifch aufgejtanden, fei Michael
Edhardt bei ihm erfchienen und habe ihm etwas ind Ohr
geflüftert, worauf Jener blaß geworben, eilends mit ihm
zur Thüre gegangen, und fich zur Flucht bereitet habe,
Weil jedoch die Schlüffel zum Thore, um die Kutiche her⸗
auszubringen, nicht al8bald zu finden gewejen wären, fo
jeien beide in tiefem Schnee durch den Garten entflohen,
von da fie ſich auf Pferde gejebt und nach Kiefelbach und
Eifenah entlommen wären, Weiffenbach erklärt Dagegen
in feiner Rechtfertigung an den Landgrafen, nicht aus bö—
jem Gewiſſen fei er flüchtig geworden, fondern weil ihm
die gewilfe Nachricht zugegangen fei, 200 Bewaffnete, vom
Abt Joachim abgeſchickt, wären ganz in der Nähe, ihn ge—
fangen weg zu führen; er habe daher Alles feit Yangen
Jahren Erfparte, Hausgeräthe, Kleiner, Geld ıc. verlaffen
und eilends fliehen müfjen, um nur feine Sreiheit, fein
.
26
Leben zu reiten. Wogegen ihm Abt Joachim nachjagt, er
habe eine Kifte, 5 Centner fchwer mit Geld, der Abtei.ges
börig, entwendet und nach Frankfurt weggeſchickt; mit dem
Klofterhof in, Gellingen, welchen er fälſchlich NIS erfauft
und fein Eigenthum angegeben, habe er fich von Sachlen,
mit feinem Bruder Balthafar, — zwei andere Brüder habe
man zur Zeit dort nicht dazu angenommen — belehiten
Yaffen. Er wendet fich zugleich wegen der thüringifchen
Binfen um Hülfe an Sachſen und um Austrag der Sache
an Landgraf Moritz. Von dort wird darauf erwiedert,
man habe die dafigen Zinfen zur Zeit mit Bejchlag belegt,
und werde den zu ihnen geflüchteten Abt außliefern, fofern
es ohne Gefahr für ihn gefchehen könne. Landgraf Morig
erklärt, er glaube, man habe von beiden Seiten etwas zu
viel gethan, und fchlägt, um ein Abkommen zu treffen, eine
Zufammenkunft in Rotenburg vor. Ein Mandat. de Kai-
fer8 Rudolph de non offendendo, während deſſen eingegan=
gen, blieb ohne Erfolg, da e8 ſpäter nach beffer erfannter
Snformation wieter zurüdgenommen wurde, Die Abliefe-
rung Weiffenbach3 gejchahe, ein Jahr nad) feiner Flucht
aus Kreuzberg, zu Bella bei Bach, weil in Bach das Geleit
ftreitig fei. Die Abfindung, auf welche man fich in Roten-
burg verglich, beitand aus 1500 Gulden jährlich aus den
. in Beiig gehabten Kloftergütern, mit dem Wohnfige in Ro—
tenburg und ber. Zuficherung, Die Sache wegen der Belch-
nung mit Gellingen alsbald wieder rüdgängig zu machen.
Abt Weiffenbach überlebte jedoch Das. Abkommen nicht lange,
denn die hinterbliebenen Anverwandten erhielten, nach Ver—
gleich vom 31. Aug. 1595, einen Theil — e8 ergab fich,
daß in Straßburg 15,060 Gulden. auf feinen Namen ver-
zinglich angelegt waren — feines Nachlaſſes. Sein baar
hinterlafjene® Vermögen betrug 11,892 Gulden, die in
Kreuzberg und font von ihm hinterlaſſenen aufgehäuften
Früchte und andere Gutsinventarien bekam das Stift
zugleich mit jenen Ueberſchüſſen.
27
Kreuzberg unter heffifher Adminiftration.
Aufbau des fürftliden Schlofjes zu Philipps—
. tbal. Schluß.
Anfangs fcheinen zwar die Einnahmen nach nach Hers⸗
feld gefloffen zu fein; der Ausdruck „an meinen gnädigiten
Herrn“ läßt dieß zwar zweifelhaft, aber Abt Joachim ftand
Doch, nach Abgang von Abt Weiffenbach, zunächt als Herr
zu Kreuzberg da, und ohne beſonderes Uebereinfommen, von
dem fich nichts findet, hatte ex Diefelben zu ‚beziehen. Auch
finden fich noch fpäter zu Kreuzberg Immobilien, als von
ihm binterlaffen bezeichnet *). Bemerkenswerth bleibt e8 zwar,
daß die Nevenuen-Rechnungen von 1593 und die zunächſt
darauf folgenden weder im Namen des Abtes, noch des Land⸗
grafen aufgeftellt und abgehört find **). Später findet
fih Landgraf Wilhelm, als Adminiftrator des Stiftes, in
denfelben ausbrüdlich genannt. Joachim Röll ftarb 1606,
Prinz Otto folgte in der Verwaltung des Stifts, und nad)
feinem Tode i. J. 1617 Landgraf Wilhelm, veffen Bruder;
doch hatte dieß auf die Verwaltung ber Probftei Kreuzberg
feinen Einfluß. |
Die darauf folgende, und faft das ganze Sahrhundert
andauernde, ſchwere Zeit war für Kreuzberg eine beſonders
harte; denn der 3Ojährige Krieg trat bald darauf mit allen
feinen Schreden ein und dauerte, in feinen Folgen, lange
über jeinen Schluß hinaus. Anfangs zwar fühlte man
deſſen Drud weniger. Das Kloftergut war 1618 auf län⸗
gere Zeit für 912 Gulden jährlich verpachtet; auch gingen
die übrigen Einnahmen noch ziemlich regelmäßig ein. Aber
bie Durch Tilly’ und feiner Söldner Durchmärfche bald
2) Ein Himmelbett, mit Abt Joachims Wappen verjehen, wirb noch
bis nach dem 30jährigen Kriege im Klofterinventarium als vor-
handen aufgeführt.
*0) Es ſcheint, daß die aus Nüdficht gegen Abt Weiffenbach geſchah.
Die zunächft folgenden Rechnungen fehlen; die von 1597 fcheint
in Hersfeld abgebört, ohne Angabe, wohin bie Beträge gefloffen.
' 28
nach Anfang des Krieges fich fteigernden Laſten, die fol-
genden Kämpfe zwiſchen Kaiferlichen und Helfen um ven
Beſitz von Bach, insbeſondere die für ganz Helfen fo ſchwere
Zeit von 163£ — 1637, wo Kroaten und Panduren mwett-
eiferten, da8 wenige übrig Gebliebene noch aufzuzehren und
zu zerftören, konnte auch für Kreuzberg nicht ohne Die
herbften Folgen bleiben. Nach 12 Jahren, in dem Jahre
1649, werden an Zinjen von verbrannten Käufern und ver-
wüſteten Gütern noch 330 Gulden an Geld, 252 Viertel
Korn und 268 Viertel Hafer — beinahe die Hälfte der
ganzen Einnahme — als unbeibringlich aufgezählt. Den
zu Kreuzberg Angeftellten konnten deßhalb ihre Bejoldungen
nur theilweife ausgezahlt werden. Sp gibt Pfarrer Sue-
der zu Bach, der feit 1641 die Pfarrftelle zu Kreuzberg
mit verfehen, 57 Gulden an Geld, 49 PBiertel Korn und
42 Viertel Hafer an, welche ihm bis dahin rüdjtändig und
unausgezahlt geblieben waren. Den übrigen Dienern ging
es nicht beffer. Zur Unterhaltung der Kioftergebäulichkeiten
fonnte wenig gejchehen. Man hört nur zuweilen von Unter-
ziehen eines Balkens, oder Stützen einer Wand, um fie noth—
dürftig aufrecht zu erhalten. Die namentlich bei den Plün—
derungen eingejchlagenen Fenfter mußten fpäter mit bedeu—
tenden Koften wieder erfeßt werden, um nur das innere
gegen die Witterung zu jchügen. Außerhalb des Kloſters
ſah e8 nicht beſſer aus. Zu Heiligenrode war fchon früher
auch der letzte noch aufrecht ftehende Bau zufammengeftürzt.
Die Mühle zu Kreuzberg, die fonft wegen ihren Einnahmen
von Bedeutung war, lag 20 Jahre nach dem. Kriege noch
wüſt; und bie einzelnen Käufer und Gebäude, die an den
Zinsorten des Klofterd verbrannt oder fonft zufammenge-
ftürzt waren und als folche bezeichnet werden, find kaum
zu zählen. Es war Zeit, daß befjere Verhältniffe für
Kreuzberg eintraten, und fie erjchienen.
Schon die Landgräfin Hedwig Sophie hatte Man—
ches zur Verbeſſerung daſiger Zuftände gethan, war hülf-
29
reich eingetreten, wo die Noth e8 verlangte, Doc ber
Zeitpunkt, der entjcheivend für Kreuzberg werben follte,
fam erft da, wo 1685 Landgraf Karl an feinen jüngeren
Bruder, Landgraf Philipp, das ehemalige Klofter abtrat, um
ſich daſelbſt eine fürftliche Wohnung, die unter dem Namen
Philippsthal von da an beftund, einzurichten. Und es
wurde diefe Abtretung duch Hinzufügen der Vogtei und
anderer Gerechtfamen 1733 noch erweitert und ergänzt *),
Alsbald wurden zur Ausführung bed Baues Anftalten
getroffen. Landgraf Philipp, der ſich 1680 mit der Gräfin
Katharine Amalie von Solms vermählt und feinen einft-
weiligen Sit in Hersfeld genommen hatte, war jelbit in
der Nähe, die FSortichritte des Baues zu betreiben. — Eine
Menge Materialien an Bauholz; und Steinen, jened zum
Theil von Nieveraula und andern entfernten Orten her⸗
geihafft, wurde zufammen gehäuft und eine bedeutende
Anzahl von Menichen mit Holzichneiden, Steinbrechen, Kalt
brennen und Hinwegräumen der alten Klofiertrümmer bejchäf=
tigt. Daß ſeitwärs an der Straße von Norden nad Sü-
den laufende, ehemals al8 Probſtei oder zu ökonomiſchen
Zwecken verwendete Gebäude nebſt der Kirche blieb ftehen.
Das ganze von Nordwärts nach Südoſt, von der Straße
bis faft zu Ende der Kirche ſich ausdehnende Schloßgebäude**)
nebit den zur Delonomie nöthigen Räumen mwurbe neu auf-
gerichtet und 6i8 zum Sabre 1692 vollendet. Auch die
Kirche erhielt noch bi8 zum Jahre 1733 mehrfacdhe Ver-
aͤnderungen, die jedoch nicht ſämmtlich zu ihrem Vortheil
9 Da dieſe Zeit mit ihren Folgen bereits ihre Bearbeiter in v. Rom⸗
mel Geſch. v. Helfen Bd. IX. S. 52, und Bach Kirchenftatistit
S. 540 gefunden hat, fo werben hier wenige Andeutungen genügen.
**) Es kann dies daraus mit Gewißheit gefchloffen werben, daß in dem
1686 aufgeftellten Accorde über den Aufbau ber neuen fürftlichen
Nefidenz ſdie Fläche, auf welcher das neue Gebäude zu ftehen
tommen follte, genau mit ber des jet am ber bezeichnete Stelle
beftehenben übereinftinumt,
30
ausfielen. Schon an fi von der Nordfeite um ein Bes
deutendes in Die Erde gejenft, Durch ven Aufbau hoher
Nebenſchiffe, jelbit durch die Nähe des Schloßgebäudes eines
Theil ihres Lichtes beraubt, hat fie etwas düfteres und
fellerartige8, dem auch durch die Umwandlung aus einer
Klofterficche in eine evangelifche nicht abgeholfen werben
fonnte, Sodann traten Durch die auf Befehl der Landgräfin
Hedwig Sophie 1675 gejchehene Hinwegräumung bes katho—
Tiihen Hochaltars und des Nonnenchors, durch die Ver-
ſchließung des früheren KHaupteinganges von der Weftjeite
her und dergleichen mehr Veränderungen ein, welche die Zeit
und die Benutzung derjelben verlangte, obichon fie nicht dem
Plane des Gebäudes in feiner erſten Gründung entiprachen.
Nach dem, was unter früheren Verhältniffen erbaut war,
fonnten fich die jpätern nicht richten, jene mußten fich die⸗
fen fügen.
Auch die firchlichen Verhältniſſe waren hier noch mehr⸗
fachen Veränderungen unterworfen. Landgraf Philipp grün⸗
dete nach Aufbau des Schlofje8 eine beſondere Hofgemeinde,
und berief, mit Einwilligung des Landarafen Karl, ben
Pfarrer zu Herleshaufen zum Hofprediger nach Philipps⸗
tbal. Der Hofgottesdienft wurde Anfangs im Echloffe,
als aber die Gemeinde zu ſtark wurde, nach beendigtem
Gottesdienfte der Dorfgemeinde in der Kirche gehalten. Es
ging indeß der beſondere Hofgottesdienft nah Verſetzung
bes Pfarrers i. %. 1699 wieder ein. Nach dem Jahre 1725
wurde abermals ein befonderer Iutberifcher Hofgottesdienit
in einer dafelbft im Schloffe noch vorhandenen, jet zu an=
deren Zwecken benußten, Kapelle eingerichtet, weil Die Prin=
zeſſin Caroline Chriftine, Herzogin zu Sachſen-Eiſenach,
Gemalin des Landarafen Carl I., dieſer Konfeilion war,
und man nach der Sitte der damaligen Zeit einen bejonberen |
Gottesdienſt deshalb für nöthig hielt, welcher ſpäterhin je—
doch ebenfalls wieder einging. Die früheren Berhältniffe
wurden nun wieder hergeftellt und blieben ſeitdem beſtehen.
31
Beilage.
Das Klofter zu Kreuzberg tritt ben 12 fhwarzmwälber Ar
tifeln bei. Freitag vor Oftern 1525,
Mir Agnes von Reckerodt, Eptiſſyn, und Margareta
bon Haune, privrin, Auch Johann Tremer propft des Klo⸗
ſters Creutzbergk bey Bach, thun Fund vnd befennen öffent-
lich in und mit diefem brive allmenniglid, vor vns vnd
vnßer Nachkommen oder Beſytzer und Innehaber des Klo⸗
fter8 Creuzbergk, das wir mit gutem wieflen vnd willen
gereden vnd geloben Godt vnd feinen Heiligen, das wir
fein göttlich wort hand haben, ſchützen, fchyrmen und ver=
theidigen wollen, vnd nachvolgen feinen worten, vnd bes
fennen nochmals, das wir forthban nach Inhalt der ange»
zeigten zwölffen Artikeln von Chriftlicher Sreyheit, und auch
ob fich zue mehr erfunden, was Inhalts wir begryffen und
betroffen, alße vffrichtig halten wollen, gereben vnd geloben
vnd bekennen hyrmit, alles frey ledig und los zu geben und
zu laſſen, was gefrygt hatt Gott und der Allmechtige durch
und in Chrifto feinem gelybten Sohne, daß wir Sollichs
alge auf gutem wyllen vnd gleubigen Kerken gegen Gobt
alßo befennen, vnd wir forther auch vnßern giauben mit
nachfolgenden werfen beweiffen wollen, ſolliches zu allen
Chriftgleubigen Herken erzeigt, befennen und befannt haben,
vnd zu einer meherbeweyfung vnd beftetigung dem Chrift«
fihen glauben vnd zu vrfundt, haben wir, obgedachte Ep⸗
tiſſyn vnd prigrin, vnßeres Cloſters vnd Convents Inſigill
vnd glaubliche beweyſung vor vns vnd vnßere nach kommen,
an dieß ſchrifft thun hencken, des vorgenannten probſt mit
vnd wegen der probſtey mitgebrauch beſthem, vff freytagk
nach dem heiligen Oſtertage Im Jare tauſent fünff hundertt
vnd fünff vnd zwanzigk.
(L. S.)
32
II.
Heinrich J., Biſchof von Hildesheim
(1247 — 1257).
Bon E. F. Mooyer in Minden.
Auf dem Bilchofsftuhle in Hiltesheim war dem Sieg-
fried I. CH 12. Nov. 1227), welcher am 26. Sanuar 1221
refignirte, zwilchen dem 23. Juli und 1. Sept. defjelben
Jahres Konrad I. v. Riefemberg gefolgt, der, wie
jener, ebenfall® abdankte, und zwar im Jahre 1247 (vgl.
Bert Mon. Germ. hist. IX. 861, Lüntzel die ältere Dip-
zefe Hildesheim 201), aber erſt am 18. Dee. 1248 over
1249 mit Tode abging (daſ.; vgl. Vaterländ. Archiv des
biftor. Vereins für Niederſachſen. Sahrg. 1840 ©. 114).
Die leßteren Urkunden, welhe Konrads IL als
Biſchof gedenken, find aus dem Sabre 1246 (Lüntzel a.
a. D. 266; deſſen Geichichte der Diöcefe und Stadt Sil-
besheim II. 195, 243, 253. Würdtwein Nova subsid.
dipl. IL, 317. v. HSodenberg, Archiv des Kloſters Wül⸗
finghaufen 24. Baring, Beichreibung der Saale II, 254,
[v. Kotze bue] Chronicon Montis Francor. Goslariae 17;
v. Ludewig Relig. Mss. I., 265), und zwar vom 1. Mai
(Lüntzel 315, Baring IL 254), 15. Juni (daſ. 199;
Würbtwein. c. J. 319, 25. Juni w. HSodenberg,
Archiv des Kloſters Wülfinghaufen 24), 27. Aug. (Würbdt-
wein Il. c. 318) und endlih vom 23. December (Eru-
fius Geichichte ver Stadt Goslar 95, jedoch ohne Quel-
lenangabe). Wenn er noch am 15. Mai 1247 (mit Pontif.
XXVL) als Bilchof auftreten ſoll (Heineccius Antigq.
Goslar. 267, Chron. Montis Franc. Goslar. 20), jo bürfte
dabei doch wohl ein Irrthum obwalten, denn fein Nach»
folger, unjer Heinrich L, nennt fich bereit in einer Ur-
funde vom 26. März 1247 erwählter Biſchof von Hildes⸗
33
heim (v. Guben Cod. dipl. Mogunt. I, 597; Urkundliche Ges
ſchichte des Gejchlecht8 der von Hanftein II. 21); e8 wäre
benn, Daß Konrad fi, nach feiner Abdankung, noch
Biſchof genannt Hätte, wie folcher Fälle allerdings mehr⸗
fach vorkommen.
Bon Einigen wird angenommen, Konrad habe be=
reits im Sabre 1245 feine Würde niedergelegt, und Hein
rich fei damals Bischof geworden (Keukfeld Antiq. Wal-
kenred 190; Bucellin I. 18; Brufch Magni operis de
omnibus Germaniae episcopatibus epitomes T. I. p. 207b;
aber mit 1246: Steffens Auszug aus der Gefchichte des
Hauſes Braunfchweig-Tüneburg 191; Origg. Guelf. IV, 67;
Wolf, Gefchichte des Gefchlechts von "Barbenberg I. Url. 6;
Lüntzel Geſch. II, 257), für welche Annahme der Ums
ftand zu fprechen fcheint, daß Heinrich bereit 1245 als
Bischof angeführt wird (Schannat Vindem. lit. I, 205,
wenn Die undatirte Urkunde in dieſes Jahr zu feben ift,
welches nicht anzunehmen ift, da darin bed Konrads als
verjtorben gedacht wird), nicht minder die Angabe, er
fei vom Erzbifchof von Mainz geweiht, und zu dem, vom
Pabſte Innozenz IV. außgefchriebenen, Konzil in Lyon
gereift (Chron. Hillesheim in Paullini Syntagma 95),
welches befanntlih vom 8. Juni bis 17. Juli 1245 ftatt-
fand. Diejer Angabe widerfprechen indeſſen die Pontifi⸗
fatsjahre, welche jüämmtlich auf da8 Jahr 1247 hinweilen.
Der Familienname des in Frage ftehenden Biſchofs
Heinrich ift bisher, fo viel ich weiß, durchaus nicht bes
kannt gewejen; auch find die Nachrichten über die geiftlichen
Würden, welche er bi8 zu der Zeit befleivet hat, als ihn
das hildesheimfche Domkapitel erwählte, nicht minder Dies
jenigen über feinen Gegner, zum Theil fo widerfprechend, daß e8
nicht überflülfig erjcheinen möchte, dieſe etwas näher zu beleuch-
ten. Lüntzel in feiner Gejchichte Hildesheims giebt und
(S. 257 — 261) nur einige wenige Nachrichten über ibn.
Aus zwei Mittheilungen, welche mir mein verehrter
VL. Band. 3
34
Zreund, ber Archivar Dr. Landau in Caſſel, vor einigen
Jahren gemacht hat, glaubte derfelbe entnehmen zu müſſen,
daß Heinrich, feinem Geſchlechte nach, einer von Apolda
geweſen jei, wie ich denn diefe Bermuthung auch im Eor-
reipondenzblatte de8 Gefammtvereing der deutichen Geſchichts⸗
und Altertfumßvereine, Jahrg. V. 1857 Nr. 8, Mai, Sp. 85
veröffentlicht habe. Als mir nun vor Kurzem die ſelbſtgenom⸗
mene Abjchrift des Fragmentd eine alten Kalenders (im
Geh. Staats-Archiv zu Berlin, 2 Blätter auf Pergament,
im Kaften XII. Rr. 17, anfcheinend aus einem Nekrologium
des Stift Friklar) wieder unter die Hände Tam, fand ich
darin folgende Einzeihnung: VII. Kal Jun. Urbani pape
mar. 9. Heinricus Eps. Hild’ de Rusteb’g. Hieraus
ergiebt fih, daß Heinrich zum Gefchlechte der Vitzthume
von Nufteberg gebört hat, deſſen Stammvater allerdings
Dietrich I. Bistum von Apolda war (wel. Falcken⸗
heiner Geichichte ber Heſſiſchen Städte und Stifter II,
173), jo daß Landau’ Bermuthung nicht ohne Grund
war. Sn wiefern aber die Echenfen und Bikthume von
Apolda mit den Vitzthumen von Aufteberg (und von
Hanftein), zur Zeit des hildesheimiichen Biſchofs Hein-
rich I., verwandt waren, wird wohl noch einer weiteren
Ermittelung bedürfen; jo viel erhellt freilich aus Urkunden,
taß Glieder beider Geichlechter jehr häufig zuſammen in
Urfunden auftreten, wobei zu bemerfen ijt, daß dieſelben
Bornamen in beiden gebräuchlich waren. Mögen beffiiche
und thüringifche Hiſtoriker die weiter aufzubellen fuchen,
benn beider Stammbäume fcheinen mir noch mancher Ver⸗
volitändigungen, wie auch einiger Berbeflerungen, zu be=
bürf
en.
Mer der Bater unfer8 Heinrich8 war, bleibt noch
zu ermitteln. Bon den älteren Bistbumen in Xufteberg
erfcheint ein Lambert (deſſen gener 1139 Hartlieb
hieß) von 1126 (Wolf, Gefchichte des Eichsfeldes IL 805
Urt, Geſch. des Geſchlechts der v. Sanftein II, 13) bis
35
1139 Chaf. 82, Urf. Geſch. der v. Hanftein IT, 13, Origg.
Guelf, IV, 545); dann findet fih in ‚ven Jahren 1141,
1148 und 1151 ein Gerlag (Gaſ. 82), dagegen ein
Dietrich 1121 und 1123 (Urk. Geſch. der v. Hanſtein
I, 39), doc fragt es fih, ob dieſer noch identiſch fein
lann mit Dietrich, Vitzthum in Apolda, dbeffen 1171
gedacht wird (daſ. I, Urk. 3, II, 16, 405 Falckenhei—
ner II, 173). Dieſer letztere nun hatte zwei Söhne,
nämlich Heidenreich CIdenricus), der von 1163 — 1193
als Vitzthum in Rufteberg erfcheint, und Helmwig (Helm-
vieus, Hellenwicus), der von 1193 — 1198 diefelbe Würde
beffeidete. Einer von diefen Beiden muß ber Vater uns
jer8 Heinrichs gewejen fein, obgleich fich bis jegt eine
nähere Anbeutung hierüber weder aus Urkunden noch auß
Chroniken hat ergeben wollen, auch fragt es fich, welcher
bon beiden der Vater der beiden Brüder Dietrich (von
1205 — 1239 Vitzthum in NRufteberg) und Heidenreich
von Hanftein (ebenfal8 von 1239 — 1256) War,
auch ob unfer Heinrich für einen Bruder diefer beiden
Iegteren, oder für deren Neffe gelten darf. Da ich wegen
Mangeld an Urkunden nicht in ber Lage bin, dieſe Ver⸗
hältniffe aufzuflären, jo muß ich dies einem Andern über-
Iaffen. |
Den hildesheimiſchen Chroniken zufolge Keibnitz,
Ser. rer. Brunswic. I. 752, 774, 11, 795; Baullini Synt.
95; Bruſch Magni oper. I. 206b; Bueellin I. 18;
Zeuffeld Antig. Walkenred 190; Lüngel Gel. U,
257 u. a.) war Heinrich biß zur Zeit, ald er vom grö-
heren Theile des Domlapitels zum Biſchof erwählt wurde,
Srobfi des Martinsftifte in Heiligenflabt (von 1282
bis 1247, vol. Wolf Eichsfeld. Urkundenbuch 5, beflen
Geſch. ver Stadt Heiligenſtadt 17), nad den beiten No⸗
gm vom Dr. Landau, vorher auch, was nicht befaunt
geweſen zu fein ſcheint, Echolafler in Zriglar. Bon den
übrigen Demherten in Hildesheim war Sermann, bis
36
dahin Probft auf dem Cyriafsberge in Braunfchweig, ers
wählt worden, der erft nach zehnjähriger Gegnerichaft mit
feinen Anfprüchen zurüdgetreten fein fol Vogell Geld.
des Geſchlechts v. Echweicheldt 16), und der fich felbit in
einer Urkunde vom Jahre 1249 erwählten Bilchof von
Hildesheim nennt (Origg. Guelf. IV, 210).
Mas nun zuwörderft diefen Gegner Heinrichs ans
Yangt, fo findet fich allerdings in der von mir auf Grund
von Urkunden aufgeftellten Reihenfolge der Pröbfte des
gedachten Cyriaksſtifts eine Lüde von etwa zwölf Iahren,
welche duch Hermann auszufüllen fein würde, doch müßte
er bei feiner Wahl zum Bilchofe, oder doch bald nachher,
fürmlich jener Würde entjagt haben, da mit dem Sahre
1251 an feiner Statt ein anderer Probft auftritt. Sehen
wir dieſes Verzeichnig näher an, ſo ftoßen wir auf einen
Folkbert CVolpertus) in Urkunden aus den Sahren 1196
(Origg. Guelf. III. 605, Original im Geb, Staatsardjiv
zu Berlin laut Regeften I, 94), 1197 (daS. III, Praef. 66,
Urkundenbuch des hiſtoriſchen Vereins für Niederſachſen II,
38, Leudfeld Antig. Walkenr. 411; Lüntzel Geſch. II,
255), 1198, 1203, 1204 (Lüntzel 255, Origg. Guelf. IIL
773), 1207 (dal. Origg. Guelf. III, 779), 1219 (Svanni
Ser. rer. Mogunt. II, 688, v. Guden Cod. I, 463) un
1226 Origg. Guelf. II. 712, Lüntzel Geſch. II, 255)
dann auf einen Kraft (Crachto, Crahto, Crafto), werte
nicht fchon 1227 (daſ. IV, 106) doch in den Jahren 12. 7
(daf. 136), 1234 (dal. 141), 1235 (dal. 153, II, IT
1236 (v. Hodenberg, Arch. des Kl. Wülfinghaufen —
1237 Origg. Guelf. IV. pr. 65 u. 171; Lüngel Geſch.
256), 1238 (daſ. 178) und 1239 (dal. pr. 68), welc
bald nachher in einem Monat Auguft mit Tode abg,
(Wedekind Noten zu einigen Schrijtitellern des Mil
alters GE, IV, 480), —. der auch wohl der frühere ber
Tiche Geheimſchreiber :Cscriptor) war, deifen bereits
elf. Il, 701, vgl, IV, 223 F
37
von 1244), — wenn nicht ein Probft R. zum 16. Juni
1239 einzufchalten fein möchte (daſ. IV, 178, 180). Das
nad) tritt ein Ditmar (Detmarus) auf, den ich urkundlich
im April 1251 (daſ. 2335 Pfeffinger, Hiſtor. v. Braun
ſchweig⸗Lüneb. I, 255) und am 12. Oftober 1254 (Leuds
feld Antig. Poeldens. 65) angetroffen habe. Hierauf findet
fih in meiner Lifte eine Lüde, worauf ein Heinrich erft
am 2. Aug. 1289, am 1. San. 1293 (Leverkus Urk.
Buch des Bisthums Lübeck I, 343, 349) und am 24.
März 1302 (v. Hodenberg, Archiv Des Kloſters Loccum
339) erſcheint *).
Wollte man annehmen, e8 möchte hierbei hinfichtlich
des Ramens tes Etift ein Irrthum obwalten, und es ſei
dag Blafiusftift in ter Burg zu Braunfchweig gemeint, fo
finden fig Bier in ter Reihenfolge ter Pröbſte nicht blos
MWiderfpräcke, jentern auch augenicheinliche Zehler, denn
nach einem Burchard (1198, 1226) ericheint ein Folk
=) &s ug Tüerbei erwähnt werten, taß fi ein anderes Stift auf
tem Erriafskerge ver tem Brüffertbere bei Erfurt befindet,
wches Tr Rennen tes Benkxtinerorvens eingerichtet wer (von
Selleıteim Ttüring. Ehren. 1129, Thuringia sacra 536) von
Dein Ecabſen an Gerhart, einem hautidriftlichen Kalender
ker Kante ;u Erfurt (Seit een 33 Blättern in die saee. XV.
u Bitrriarz ©i5 sacc. XVIII, im Och. Eiastsarin zu Lerſin
Sur IL %:.16,, iewie einem Liber defunetorum beuelacte-
zum cousentus Erfordiensis veteris {den kert, Aztcı IN.
BE sririze, m 25. Iuzi eines unbelaunten Jabres farb;
em Bırrzr in Url. exe ten Jaszen 1227 (Edartt Iria dipl.
zei Vmsr. 17, vl Eäultes Directer I, 620) nur 1228
® Orirz Cod . IR, Ekaxrızsı Vied Is. I, 19; 2
Gär-:3 Da. I, 65), x da Geizrib ut ber Kactn
Ipeieir er ir Zarı Azrzigzzte 1318 (Ther. sacra
SE: manfict zrnnde werten jerner, teb Si ein Irrisftlicher
m Eikxwrge, im Imitseche u Eurerfiskt, ce auzzre ia
Geszszir, eve see = SimeSızy Seien, zn Ich Die
Mir u Bimuelia:g 22 Aııje va . Exil um
Oieppuure Yanız, H u gefpreigex.
38
bert (Volpertus), welcher zugleich Domherr in Mainz war,
als Probſt des Blaſiusſtifts (wenn er nicht identiſch mit
obigem Folkbert fein ſollte) in Urkunden vom 10. Juni
1223 (v. Guden II, 38) und Mai 1225 (daſ. 43), dann
ein Rudolf (doch nicht etwa zugleich Probit des Cyriaks⸗
ftift8?) in Urkunden vom 14. Mai 1236 (vi Hodenberg
Archiv des Kloſters Wülfinghaufen 2), 1238 (Lüntzel,
Geh. II, 255), 1241 (Hannover. Beiträge von 1762 ©,
52), 13. Nov. 1245 (Origg, Guelf. IV, 204), 1. Oftob,
1248 (dal. Praef. 72, v. Erath Cod. dipl. Quedlinb. 180)
und 1249 (daſ. IV, 230) und in demjelben Jahre am 1.
März ein Heinrich (daſ. 231), der auch im April 1251
(daſ. 232, 233), 1260 (daſ. IN, pr. 88) u. f. genannt
wird, gleichwohl foll am 12, Oktob. 1254 ein Ludwig
v. Horlage Probft gewefen fein. (Leudfeld Ant. Poel-
dens 65). — Sole Widerfprüche, wie ſich oben gezeigt
haben, beweilen zur Genüge, wie jehr Biftoriiche Forſchun⸗
gen erjchwert werden, fo lange ed noch an vollftändigen
und zuverläffigen Serien von Vorftehern der verjchiedenen.
Stifter und Klöfter fehlt,
Bon diefem Hermann wird ferner berichtet, er jet
ein Graf von Gleichen geweſen (Origg. Guelf. IV, 67,
Leibnitz IM, 134; Lüntel Geſch. II, 258). In diefem
Falle hieß fein Vater Lambert (+ 1228), doch jcheint
mir die in der angezogenen Urkunde vom Sahre 1249 von
Dit, Herzog von Braunjchweig (+ 9. Suni 1252) ber=
vorgehobene Verwandtſchaft Cconsanguinitas) etwas fehr ge=
fucht (daſ. IV, 210 vgl. 68), wenn Die VBerwandtichaft nicht
etwa auf eine andere Weiſe zu ermitteln fein möchte (ogl.
v. Spilfer Beitr. II, 273 und Gebhardi in den Han—
nover. gelehrten Anzeigen von 1752 ©, 1271). — Was
aus Hermann geworden, nachdem er zum Bilchof von
Hildesheim erwählt worden war, barüber berichten bie
Chroniken nicht, ich glaube indeſſen annehmen zu dürfen,
daß er nach jener Zeit fih nah Cammin gewandt habe.
39
Es wirb zwar angeführt, ein Hermann, Graf von Glei⸗
hen, ſei Domherr in Cammin gewejen, dort im Sahre
1249 zum Coadjutor des Biſchofs Wilhelm I. erwählt,
und, als dieſer 1252 refignirt habe, in deſſen Stelle als
Biſchof getreten (v. Ludewig Ser. rer. Bamberg II, 589);
biefe Nachrichten müſſen indeſſen irrig fein, denn einmal
habe ich ihn unter den Domherren in Cammin in Urkun—
ben nicht angetroffen, und was die Coadjutorfchaft betrifft,
‚jo fcheint diefe Dadurch vermuthet worden zu fein, daß eine
Urkunde deijelben vom 16. Sept. 1259 (vgl. Baltifche
Studien X. Hft. I, 170) irrthümlich in das Jahr 1249
gejegt worden ift (v. Dreger Cod. Pomer. I, 313, val.
314 Anm. a und 337 Anm, a). Daß er erft 1252, und
jwar vor dem 16, Febr., zum Bilhof von Cammin erhos
ben worden ijt, erhellt unter anderen auch daraus, daß er
biefe Urkunde als in feinem erſten Pontififatsjahre aus⸗
geftellt angiebt (da. I, 337), wie außerdem die Angaben
von feiner Erwählung durch die Bezeichnung der Pontt-
flatsjahre in verſchiedenen fpäteren Urkunden auf jenen
Zeitpunkt zurüdführen.
Alle diefe Angaben flimmen fehr wohl damit überein,
daß, nachdem er zum Beſitz des Biſchofsſtuhls in Hildes-
heim nicht gelangen konnte, er, feiner Würde nach, ein an=
deres Unterfommen in Cammin gefunden haben könne.
Sit meine Vermuthung richtig, dann ift er in Cammin
Biſchof bis an feinen Tod geblieben, welcher im Sabre
1288, nad) dem 19. Nov., erfolgte (vgl. mein Onomastikon
23, wojelbft jedoch das mit einem Fragezeichen in Klam—
mern gelebte Jahr 1251 zu ftreichen ift, weil ich Dazu Durch
eine Urkunde in Liſch' Meclenburgiichen Urt. I, 89, die
in das Jahr 1253 — mit Electionis nostre anno secundo —
gehört, verleitet worben bin, vol. auch Baltiiche Studien
XV. Hit. I, 199). — Wenn unfer Hermann, der in
einer Urkunde vom 28. April 1268 als ein Bruder des
Grafen AlUbrecht Iv. Gleichenftein (+ 24. März 1290)
40
angeführte Hermann fein. follte (Urk. Buch des Hiftor.
Vereins für Niederfachlen Hft. II, 260), dann ift e8 mir
dabei auffallend, daß feine Würde als Bijchof von Cammin
darin nicht erwähnt wird; ebenjo, daß er 1228 (Schan=
nat Vind. lit. I, 10) und 1262 (Schöttgen u. Kreyfig
dipl. I, 724) nicht als Sohn Lamberts bezeichnet wird.
— Sn dem Stammbaume der Grafen von Gleichen fin-
den wir zwar noch einen Hermann ald Sohn eined Bru=
ders unſers Hermanns, entweder Heinrichs (+ 3. Mai
1257) oder Ernft IV. (+ 1287), doch: war dieſer main-
ziicher Domherr, erfcheint als .jolcher im Jahre 1287 (v.
Guden I, 8235 Wolf, Geſch. des Eichsfeldes I, 162),
audy wohl 1290, und ftarb an einem 7. Nov. (Joannis
II, 363; Wolf a. a. O.)
| Doch ehren wir endlich zu Heinrich zurüd, jo lau—
ten die mir von Dr. Landau, wahrjcheinlih aus noch
ungebrucdten Urkunden, mitgetheilten Auszüge. folgender=
maßen: 1247 „Statuimus, ut de obedienciis, quae vacare
ceperunt ad presens ex uenerabilis fratris nostri Hyldese-
mensis episcopi quondam vestri scolastici cessione
deputentur ad scolastriam sex modi annualim siliginis et
auene«, und noch bezeichnender: 1266 IV. Kal. Novb.
(29. Oftob.) »quod bene memorie dominus Henricus
quondam Fritslariensis scolasticus, dum ad epi-
scopatum Hyldenshemensis ecclesie vocatur.« Die erjtere
Urkunde fcheint verfchieden von derjenigen vom 26. März
1247 zu fein, welche dem Herrn Verfaſſer der urfund-
lichen Gefchichte des Gefchlechtd der von Hanſtein vor
gelegen zu haben jcheint, da dieſer diefelbe (Bd. II, 21)
folgendermaßen verzeichnet: „Die Brüder Hermann
und Heinrih von Wolfershaufen in Priklar er-
hielten vom (mainziſchen) Erzbiſchof Siegfried die
Jurisdietion über villa Dyetmelle — oberfte Gerichte
genannt, — als Lehn wiederkäuflich (deren ihre Vater
einſt vom Landgrafen entjegt worden), und überliefen
41
bet einem Wieberfauf dem erwählten Biſchof Heinrich
von Hildesheim, dem Grafen Adolf v. Walded und
dem Vitzthum Heidenreich v. Rufteberg den Verlaufs
preiß zu beftimmen (gebr. in-v. Guden I, 597). Die
zweite Urkunde vom 29. Oktb. 1266 lautet ihrem Inhalte
nach, zufolge derſelben Samiliengejchichte CH, Urk. 7, Nr. 27
und I, 31), fo: „Dietrich genannt v. Appolt und
Züppold, beide Domherren in Sriglar, ftiften aus ber
von ihnen bewohnten Curie dafelbft dem geweſenen Scho⸗
Yafter daſelbſt Heinrich, welcher bei feiner Erhebung zum
Biſchofe von Hildesheim ihnen das Haus geichenkt hatte,
eine Seelenmefje.” Wir finden ferner unfern Heinrich
mehrfach mit Gliedern der Gefchlechter v. Apolda, v.
Hanftein und Rufteberg in Urkunden zufammen, auch
andere Glieder derjelben Geſchlechter, 3. B. 1145 (Urk.
Geſch. der v. Hanftein I, Urk. 3), 1195 (v. Erath Cod.
106), 1207 (Urk. Buch des hiſt. Vereins für Niederfachlen
II, 55), 1213 (v. Guden I, 429), 1223 (daſ. I, 487),
1233 (baf. I, 519, 521, 522 — 524, Origg. Guelf. IV,
178), 1239 (va. I, 554, Origg. Guelf. IV, 178, 180),
1243 (Böhmer Electa jur. civ. III, 126), 1247 (vgk.
oben). 1268 (Origg. Guelf. IV, pr. 11), 1269 (daſ.
Praef. 11, 12) u. f.
Da nun die Würde eines Probft eine höhere war,
als die eines Scholafters, fo ift wohl anzunehmen, daß
Heinridy die Iehtere früher alS jene, wenn nicht etwa
beide zufammen zu gleicher Zeit bekleidet haben wird. In
welhem Stifte Heinrich feine geiftlihe Laufbahn eröffs
net habe, das ift noch zu ermitteln, da indeffen während
des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts, namentlich
im Stifte zu Fritzlar, verfchiedene Perſonen aus den ges
dachten Gejchlechtern angetroffen werben (in Friklar 3. B.
1215 Konrad v. Rufteberg vgl. v. Guden I, 433,
Kucenbeder Analecta Hass. Coll. IN, 350 XI, 126,
129; der Scholafter Helwig v. NRufteberg, ver am
42
3, Mat 1324 Domdechant wurde, vgl. Geſch. der v. Han⸗
ftein I. Urk. 14; Dietrich v. Apolda, Domherr 1213
vgl. v. Guden I, 429, und um 1269 vgl, Geld. ber
v. Hanſtein I, Urk. 7; ein anderer, der vor 1240 Dechant
wurde, vgl. Saldenheiner I, 236, I, 178; aber 1260
al8 Domherr erjeheint, vgl. daſ. I, 1035 Lippoldv. Han
ſtein, Scholafter 1290 + 3. Apr. 1316, u. a.), fo wird
nicht fehlgegriffen werden, wenn wir unferen Heinrich
auch Dort aufzufpüren ſuchen. Leider aber enthalten Die
pon mir dieſerhalb Durchgefehenen gedrudten Urkunden der
Andeutungen zu wenige, um einigermaßen zu einem befrie-
digenden Refultate zu gelangen. Es mag nur erwähnt
werden, daß er nicht wohl identifch fein kann mit Dem
gleichnamigen Kirchheren Cplebanus) von Nufteberg, ba
deffelben im Juni 1244 Erwähnung geſchieht, (Böhmer
Elect. jur. eiv. II. 126). Ob er für eine Perjon mit
dem friglarfchen Domfänger Heinrich zu nehmen fet, deſ⸗
fen 1196 (Falckenheiner II, 175), 1213 (w. Guden I,
429) und 1215 (dal. I, 436; Kucdenbeder IV., 350,
XI, 130) gedacht wird, bleibt zu ermitteln, da dieſer mög-
licherweiſe Dechant wurde, wie ein ſolcher Cnach dem De—
chanten Adelold 1215 + 7. Mai) im Jahre 1233 (Ku=
henbeder XI, 132) und 1238 (Wend heil. Geſch. II,
Urk. 154) angeführt fteht, dem aber 1241 bereit8 ein Rem-
boLld gefolgt war (Wolf, Geſch. d. Eichsf. I, Urk. 22),
überdies, weil 1233 ſchon ein Konrad (doch nicht etwa
ber 1215 als Domherr angeführte Konrad v. Ruſte—
berg?) als Domfänger genannt wird (Kuchenbecker
a. a. O.). Gleichwohl erjcheint ein Domfänger Heinrich
auch 1235 (Schminde Monim. Hass. IV, 660) und 1237
(Wenck 11. Urk. 112), der 1241 diefe Würde nicht mehr
befleidete, indem dann ein Günther urkundlich auftritt,
Wolf, Geſch. I. Urk. 22.)
Auch unter den Cuſtoden Friglard wird der Name
Heinrich angetroffen, z. B. 1196 (Baldenheiner II,
43
175), aber 1215, fowie 1235 (Schminde Mon. IV, 660)
ſchon ein Konrad.
Wann Heinrich Scholafter wurde, fteht nicht feſt,
denn nach einem im fahre 1196 erwähnten Ludwig
(Faldenbeiner II, 175) ftieß mir urkundlich ein Ades-
Yold in den Jahren 1213 (vw. Guden l, 429) und 1223
(daſ. 488) auf; erft 1238 findet fich unjer Heinrich, um
welche Zeit er den Probſt (wohl Burkhard, Graf vom
Biegenhain) vertrat (Wend II, Urk. 154); fonft habe ich
ihn in Urkunden nicht auffinden können. Nach ihm fand
ich erft Lippold v. Hanſtein feit 1290 (+ 3. Apr. 1316),
wenn nicht vielleicht ein Wilhelm diefe Würbe 1278 be⸗
Heivete (Falckenheiner I, 138),
AI Domberr in Fritzlar wird auch ein Heinrich,
“welcher zugleih Notar des Erzbiſchofs von Mainz war, im
Jahre 1213 angeführt (v. Guden I, 429), der vielleicht
iventifch mar mit dem, welcher 1223 als Protonotar des
Landgrafen von Thüringen (Kuche nbecker IX, 163), 1227
als Notar (Thur. sacra 104, Schhannat Vind. I. 119;
v. FSaldenftein Thür. Chr. 1286, Hahn, Monum. I,
90) und 1228 als Geheimjchreiber Cscriptor) defjelben
(daf. 109) vorkommt. j
Zu bedauern habe ich es, daß ein Verzeichniß der
Dignitarien des frigluriihen Domftifts, ſoviel ich weiß,
bis jetzt noch nicht veröffentlicht worden ift *), wenn ich
würde dadurch der Mühe des Aufſuchens ber betreffenden
Perſonen wahrfcheinlich zum Theil überhoben worden fein
Auch im St. Martingftifte in SHeiligenftadt kommen
Stieder ber obenerwähnten Gefchlechter vor, wie 3.8. ein
Arnold v. Rufteberg als Domherr 1308 (Böhmer
*) Ein banbichriftliches nicht ganz vollftändiges Verzeihniß unter bem
Titel: Series dominorum Praepositorum, Decanorum etc.,
quantum post saecularisationem permisit aetas, von dem ge-
Iehrten fritglarfchen Scholafter v. Speckmann hinterliegt auf der
Caffeler Bibliothel. Vgl. Falckenheiner I, 135.
44
Elect. jur. eiv. II, 154). Bon den Pröbften habe ich mir
zwar, größtentheilg auf Grund von Urkunden, ein ehrono⸗
Iogifches Verzeichniß angelegt, Doch enthält daſſelbe bei eini=
gen derfelben nur einzelne Jahrszahlen. Heinrich wird
indefjen feine geiftlihe Laufbahn nicht in Heiligenſtadt er=
öffnet haben, wofelbft wir ziwar im fahre 1227 einen Scho—
Yafter dieſes Namens verzeichnet finden (Wolf, Geſch. d.
Eichsf. I, Urk. 19), doch ift dieſer mit unferem Heinrich
um deswillen nicht zu identifiziven, weil beide. Perſonen
zufammen um 1232 in einer Urkunde namhaft gemacht
werden (daf. Eichsfeld. Url, Buch 5). Sch glaube ferner
nicht, daß Heinrich eine und dieſelbe Perſon geweſen ift
mit einem Magifter Heinrich, den der hildesheimijche
Biſchof Konrad II. im Jahre 1235 feinen Klerifer nennt
(Schannat Vind. I, 200), da das Stift in Heiligenftabt
nicht zu feinem Kirchenfprengel gehörte; ebenfo wenig war
er der Notar (vgl. oben bei dem braunichweig. Probfte
Kraft) des Herzogs Otto von Braunjchweig-Tüneburg,
der urkundlich 1244 (Origg. Guelf. IV, 201), 1245 (daſ.
205) und 1247 (dal. 216, 219, 223) erwähnt wird, da
ihon 1251 ein Arnold als deſſen Amtsnachfolger auf-
tritt (daſ. 233). — Wie lange der oben erwähnte Hein-
rich das Amt eines Scholafter8 in Heiligenftabt bekleidet,
weiß ich nicht anzugeben, nach ihm ftieß mir um i260 ein
©. (Urk. Buch des hiftor, Vereins für Niederfachfen II, 231)
und im Sabre 1261 ein Helbold auf (Wolf, Geld.
a. Eichsf. I, Urk. 30, vgl. deſſen Comment. de archidia-
. conatu Heiligenst. Dipl. 4).
Ballen wir nun die Pröbfte von Heiligenftabt in dem
betreffenden Zeitabjchnitte ind Auge, fo kommt ein Phi-
Yipp als folcher in Urkunden aus den Sabren 1213 (v.
Guden I, 4295 Wolf, Comm. de archid. Heilig. 12),
1215 (daſ. 436; Kuchenbecker IV, 354; XI, 129;
Wolf a. a. O. 12) und 1223 (daſ. 4875 Wolf a. a. O.
12) vor. Von hier ab zeigt mein Verzeichniß eine Lücke,
45
die erft bush unjern Heinrich unterbrochen wird. Es
mögen bier die Urkunden allegirt werden, worin feiner als
Probft gedacht wird; dieſe Allegate werben fich aus den
Urkunden der heffiichen Stifter ficherlich, wie Dies auch für
Fritzlar der Ball fein wird, noch ſehr vermehren laſſen.
Daß Heimrich diefe Würde bereitd im fahre 1232 bes
leidet hat, erhellt au dem Umftande, daß er als folcher
unter den Gefangenen fich befand, welche der heſſiſche Land⸗
graf Konrad am 15. Sept. 1232 in Friglar machte
(Würdtwein Subsid. dipl. nova VI,18; vgl. v. Guden l,
517; v. Rommel, Geſch. von Heilen I, 308), wie er
denn auch damals ſchon in einer undatirten Urkunde zum
Borfchein kommt (Wolf, Eichsfeld. Urk. Buh 5). So—
dann wird er angetroffen 1233 (Origg. Guelf. IV, 178),
1234 (Scheidt’3 Anmerk. zu v. Moſer's Staatsrecht.
Cod. 776; nad) v. Hodenberg in einer Urk. des Kloſters
Hilwardshauſen), 1235 (Schminde IV, 660), 1238
(Schannat Vind. I, 985 Böhmer Fontes’rer. Germ. II,
400), 1239 (v. Guben I, 552, 564; Origg, Guelf. IV,
178, 180), 1240 (Bär Beiträge zur mainzifchen Gelchichte
II, 284) 1241 (Wolf, Geſch. d. Eichsf. I. Urk. 21; v.
Spilder Beitr. II, Urk. 88), 1243 (Böhmer Elect,
jur. civ, III, 126) und 1245 (Falke Corp. Trad. Corb.
867; Harenberg Hist. Ganderh. 1722). Zuletzt ericheint
fein Name in einer Urkunde vom Jahre 1246 (Origg.
Guelf. IV, 67); ich weiß jedoch nicht anzugeben, wer fein
unmittelbarer Amtsnachfolger geweſen ift, denn erft 1260
finde ich einen Dietrich namhaft gemacht (Falkenhei—
ner I, 103) und dann einem Arnold, welcher zugleich
Domſcholaſter und Probft des Viktorsſtifts in Mainz war,
in den Sahren 1262 und 1264 (Joan nis II, 317; Wolf
Comm. de archid. Heilig. 33 und dipl. 5), welcher am 17.
San, 1268 mit Tode abging (daſ. II, 317, 6165 Wolf
l. c. 12).
Heinrich's Wahl zum Bilchof erfolgte im Sabre
‘
x
46
. 1247, und zwar vor dem 27. Febr.; da er dh am 27.
Febr. 1252 in feinem fechften Regierungsiahre befand, wie
ex fich denn auch bereit am 26. März 1247 Erwählter
(aber noch nicht DBeftätigter) fchrieb (v. Guden I, 597;
Geſch der v. Sanftein II, 21). Es mag mir, der Voll-
ſtaͤndigkeit wegen, geftattet jein, auch hier der wenigen Ur-
kunden zu gebenfen, die ich augenblicdlich nur anzuführen
weiß, worin fein Name angetroffen wird. Zuerft erwähnen
feiner, ohne Nennung des Namens, zwei Urkunden aus
dem Sabre 1249 (Kauenſtein Hist. dipl. Hildesh. I, 3;
Origg. Guelf. IV, 242; Pufendorf Observ.); dann eine
vom 23, Juli 1249 (dal. 1,42; Lüngel Geſch. II, 259);
darauf eine vom 29. Suli 1250 mit Pont. IV. (Origg.
Guelf. IV, 481; v. Hodenberg Arch. des KL. Loccum
104, aber 124 irrig zum 1. Aug. 1254), ferner 1251
(Menden Ser. rer. Germ. Ill, 263); 1252 am 27. Febr.
mit Pont. VI. (Origg. Guelf. IV, 241; Lüntzel Geſch. II,
258 Anm. 1) und 8. Dft. mit Pont. VI. (G. Sodenberg
Arch. des Kl. Wülfinghaufen 25), 1253 mit Pont. VII.
(daf. 25) und 14. Oktobr. (Origg. Guelf. IV, 490; v. H o⸗
denberg Arch. des KL. Loccum 118), 1254 (Crufiug
Geſch. der Stadt Goslar 97) mit Pont. VII. (v. Hoden-
berg Arch. des Kl. Wülfinghaufen 27), am 11. März mit
Pont. VII. (Würdtmwein Subs. dipl. nova I, 328), 19.
April mit Pont. VII. (daſ. 327), am 1. Mai CChron. Montis
Franc. Gosl. 24), 1255, Bege, Burgen und Schlöffer im
(Braunihw. 50); am 15. April mit Pont. IX. (Urk. Buch
des hiſt. Vereins für Niederſachſen H, 212) und 16. Suli
(Leudfeld Antig. Walkenrd. 191), und zuletzt 1256
(Bege 148) am 6. Ian. (Origg. Guelf. IV, 490). Gein
Tod erfolgte im Jahre 1257, und zwar am 25. Mai (Perg
Mon. IX, 862; vgl. Vaterländ. Archiv des hit, Vereind
für Niederfachien Jahrg. 1842. ©. 452 und Jahrg. 1849,
©, 400; Lüngel Geich. II, 261, Spangenberg’s Vaterl.
Arch. 1832, Hft.I, 10; vgl. mein Onomastikon 485 Lünig
⸗
47
Teutſches ReichSarchiv XIX, 538; Chron. Mont. Franc. Gosl.
29; dagegen Burſch Magni operis I, 207a. mit März,
und Leudfeld Antig. Walkenr. 191; Vogel 16 und
Chron. Hillesh. in Baullini Synt. 96 mit 1. Mai.)
Heinrichs Nachfolger, Johann v. Brakel, noch
1218 Domherr in Hildesheim, 1228 und 1229 Domkellner
in Hildesheim, auch Probſt des dortigen Moritzſtifts bis
1257, und Probſt von Olsburg von 1234 bis 1246, tritt
urkundlich bereit8 im Sept. 1257 als Bilchof auf (Rüngel
Geſch. 11. 262; Pertz Mon. IX, 862; Cruſius 108),
war am 14. März und 26. Aug. 1258 in einen erſten
Regierungsjahre (u. Hodenberg, Arch. des KL. Loccum
139, 140, vgl. 134, 137 und 138), in demfelben Sahre
aber auch im zweiten (daſ. 1335 Grupen Origg. et
Antiq. Hannover. 47); ebenſo am 3. Juli 1259 (daſ. 141,
142), am 1. Aug. (Xeudfeld Ant. Pueldens. 107) und
am 7. Aug. (wohl VII. Jd., nicht VII Non Aug.) 1259
(v. Hodenberg a. a. O. 110); vgl. Vaterländ. Arc.
des hift, Vereins für Niederſachſen Jahrg. 1843 ©. 44,
auch Sahrg. 1849 ©. 403,
Vorſtehende Erörterungen mögen zeigen, wie wichtig
uns Nekrologien werden fünnen, wenn man einzelne Ein⸗
zeichnungen in ſolchen beachtet, namentlich gilt die im
Bezug auf die Familiennamen der Bilchöfe, beionders in
früheren Zeiten. Gerade durch eine folche Notiz ift e8
mir früherhin gelungen, das Geichlecht des mindenichen
Biſchofs Werner (1153 + 10. Nov, 1170) zu ermitteln
(vgl. meine Urkundlichen Nachrichten von den Dynuften
von der Büdeburg und Arnheim, in der Zeitichrift des
hiftor. Vereins für Niederfachlen Jahrg. 1853); nicht min-
der habe ich jet das Gefchlecht des mindenjchen Biſchofs
Konrad I. aus einer, erft kürzlich Durch den Druck bekannt
gewordenen, Urkunde ermittelt, der hiernach nicht, wie alle
Chronilen und Genealogien angeben, und wie ich Danach
(in meinem Onomastikon 70) anzunehmen gezwungen war,
48
ein Evelberr 9. Diepholz mar, fondern zu den Rüden-
bergern gehörte. Doch hierüber ein andere Mal.
III.
Heſſen
vom 13. Juli 1757 bis zum 21. März 1738.
Mitzetheilt vom Archivar Dr. Landau.
Die nachfolgenden Verſe — ein Gedicht iſt's in dop⸗
pelter Beziehung nicht zu nennen — fand ich in einem
Privatarchive und halte fie, der darin erzählten Thatjachen
wegen, einer Mittheilung nicht für unwertb. Sie geben
ung ein lebendiges Bild von den fchweren Drangfalen,
welche unjer Land im Anfange des fiebenjährigen Krieges
zu ertuften hatte. Iſt tie Erzählung auch in der Form
ron Berjen gegeben, jo hat die Poeſie doch eben nicht
darauf eingewirft; und würde auch eine fchlichte Mitthei⸗
lung in ungebuntener Rete willkommener fein, fo fchien
mir eine Umwandelung in eine folche doch nicht rathiam,
weil Manches dadurch verloren gegangen und insbeſondere
die Friiche des Gleichyeitigen geichwücht worden wire. Ich
betrachte das ES chriftitüd Deshalb als eine Urkunde und
geke e2, wie e3 ver mir liegt.
„Nun ſchüchtres Hehenland, bift tu in Feindes Händen.
Ein Böſewicht erichien, dein Heiligthum zu fchünten;
Dies war ter Unglüd3-Tag, der Tir zu Seren drang:
O fürdterlicder Ton! ver jchmurgen Drommell Klang
Erihaltt. Es führt die Schaar, ein Foulloa noller Angfien,
Gach Yantroli gelbes Bold; wie, mar euch nicht am büngjten ?
Durch Anfenwerd und Wall, ins offne Thor herein:
D Kite man gehört: wo wäre eur Gebein?
49
Ihr Franken zieht herein, mit tactifch albern Schritten,
Der Landſoldate weicht betrübt nach feinen Hütten;
Der Commandant erfüllt, ein höheres Gebot,
&r übergibt den Platz, weil Foullon pocht und droht.
Was will dag Räuber-Volck? man kennt e8 an den Säden;
Egyptern gleicht der Zug: wer folte nicht erjchreden?
Mit Büren-Fellen war ihr magrer Kopf umhüllt,
Und aller Bürger Herb von Wehmut angefüll.
Dem Bortrupp folgeten ſechstauſend gleiche Krieger;
Es war fein Gegenftand, doch wollten fie wie Sieger,
Bon männiglich verehrt und hochgepriejen ſeyn,
Ob nähmen fie das Land durchs Loos der Waffen ein.
Ein Theil faßt feften Fuß, befeßet Thor und Wälle,
Der andre ziehet durch. O Zorft du wirft die Stelle,
Wo man im Winfelmaß ein ſpöttiſch Lager Ichlägt,
Das dem, ders halb verfteht, Verwunderung erregt.
Der Anger fchont man nicht; die Garten und die Fluren
Empfinden nad und nach der Fouragierung Spuren.
Doch binnen weniger dann furker Zeit Verlauf,
. Fällt dieſes Blendwerck hin; man hebt das Lager auf.
Nun Bölder! nun wohin? verlaßt ihr unfre Mauren?
Doc nein! Ihr zieht ins Land. Wer follte nun nicht trauren ?
Heißt Das, das Durchzugs- Recht? Ihr aber weichet nicht;
Nah Marburg, Ziegenhayn ift euer Marſch gericht;
Auch Rinteln war bejegt. Sind das die Freundichafitsproben ?
D nein! Kein Heyde kann ein folch Verfahren Ioben,
Man fieht, was Ludewig für Groll im Herken hegt;
Ein unerhörtes Joch wird Heßen auffgelegt.
D Himmel! wie verfehrt ſich nun der Lauff der Zeiten!
Ein Feldherr fängt nun an, Befehle zu verbreiten.
Ein Foullon, ein Lucce, find Herren unfrer Stadt;
Berchini, der noch mehr Gewalt in Händen hat,
Befiehlt, und folglich wird der Staaten Ruh gefrändet,
Weil man das Heßenland gank zu verheeren dencket.
VIE, Band. 4
50
Die Forderung bricht aus an Früchten, Heu und Geld,
Sp unerſchwinglich groß, daß mans nicht möglich hält.
Nun Viefern Unterthan’und Bürger ihre Waffen;
Mit Pulver und Geſchütz hat ihre Fauſt zu fchaffen.
Befehle Schlägt man an, Gejeke fchreibt man aus,
Sn ihren Händen ift, fo Zeug- als Vorraths-Haus.
Rath, Bürger, jedermann, muß ſich durch Zwang bequemen
Das Einquartierungs-Joch in Häußern anzunehmen.
Der Fürften Häufer find von gleicher Laft nicht freu.
Der Feinde Vorſchrifft gilt! Es Liegt die Policey.
Und wie? das Gotteshaus wird felbiten nicht verfchonet:
Man bebet! weil nun Mars im Heiligthume wohne. .
Der Tempeld Pforten flehn mit ftarder Macht bejekt ;
Allein warum? Ihr fprecht: daß ficher ohnverleßt
(Der Vorwand ift erdachth uns nicht in unfern Lehren
Wo der Gemeinemann, in Andacht möchte ftören;
Weſtphalens Friedensſchluß verbände euch Dazu.
Doch wer verlangt den Schuß? Ihr Störer deutjcher Ruh?
Gezücdter Schwerter Blig, Splvaten und Mußqueten
‚Sind vor das Feld gemacht, hier aber nicht von nöthen.
Der ſchlauen Pfaffen Lift! fteigt ihre Galle ſchon.
Jedoch es ift umfonft! Greift ihr Religion
Und die Gewißen an? Habt Ihr euch gar verſchworen?
Nun find wir umgebracht, ſo ſeyd ihr mit verlohren.
Weg mit der Vespernacht! Nehmt feine Kirchen ein,
Leſ't Meſſen wo ihr wolt. Wir werben ftanphaft ſeyn.
Was kömmt dort von dem Rhein? E8 find Soubisens Heere,
Bon Völdern, von dem Troß und von der Stüden Schwere
Sind Straß und Gaßen voll. Man fieht den lautern Wuſt,
Kein Tag gebieret mehr Ergetzlichkeit und Luſt.
Vom frühſten Morgen an bis in die finſteren Nächte,
Zeigt ſich von Mann und Roß ein Auffzug. Doch wie ſchlechte,
Wie arm, wie nackt und bloß ſchickt Franckreichs Ludewig
Die Caravanen her? O König! ſchäme dich! |
51
Soll Deutichland dieſes Volck, Dies magre Bold ernähren ?
Und der Genddarmerie fünnt gar die Welt entbehren.
Ein rother Roc, auff dem ein Rand von Silber fit,
Prahlt ftaret, allein ber Kerl, der ſchon vor Ängſten ſchwitzt,
Wird, weil ihn das Gehäus der fteiffen Stiefel drüdet,
Umfonft ins Feld, zur Schlacht als ein Soldat gejchidet.
Ein jeder kennt von und der Wildengänfe Flug,
Und folcher Reihen gleicht der Esquadronen Zug.
Eie ziehn bald hin bald her, den Landmann blos zu quälen,
Doch wenn es Schläge gibt, jo wird der Rothrod fehlen.
Die Zahl der Krieger ift viel fchwächer als ihr Troß;
Wann man zehn Mäuler zählt, fo fieht man faum ein Roß.
Mit Ejeln Galliend wird Deutichland überlaben ;
Das jchellende Getöß thut unfern Ohren Schaben.
Die Gaßen find jo voll von ſchmutzigem Geſchmeiß,
Daß man den Herrn vom Knecht nicht zu erkennen weiß.
Ein jeder Tag gebärt beym Durchmarjch neue Plagen,
Und wer kann alle LXaft, die wir erlitten, jagen?
Wie? wann man Vieh und Gaul auf unſre Fluren trieb,
Daß manden Wiefengrund Fein Gräschen übrig blieb?
Kein Lächerlicher Zug war täglich anzufehen,
Als wann ein Officier, wie Doch der Zeit gefchehen,
Mit Trommel und Piquet, ohn' mindefte Gefahr,
Biel Hundert Thieren noch zur feltnen Deckung war.
Ihr Rückzug brachte ſtets viel Trillionen Fliegen,
Die als ein Bienenſchwarm in alle Häuſer ſtiegen.
Berchini! nein, es ſchreckt uns noch nicht dein Gebot.
Die Neuftadt bleibt Doch ftehn, wir fürchten feine Roth.
Das Schanten wird dich nicht für tapfre Sieger beden;
Berftör nur das Gebüfch: es find nur Haanfen-Heden.
Ein Maulwurff hat fürwahr in einer halben Nacht
Ein befer Außenwerck, als ihr zum Stand gebracht.
Allein. o dies Gewühl war nur, ihr folt euch fchämen,
Ein ungerechtes Geld den Bürgern abzunehmen.
>)
Am.
52
Nicht beßer war einmal der ausgeübte Streich,
Bor lauter Übermuth, man fah die TIhorheit gleich,
Die Heerden unjerd Vieh! in unjre Stadt zu. treiben.
Ein Reuter brach das Bein. Der Kerl ſoll lahm verbleiben!
Ein Rind ward umgebracht, Durch einen Räuberftich,
Nur daß man fih mit Euch, um feinen Werth verglich.
Zürwahr, wollt eur Thun bis auff Die Epite bringen,
Man würde jeltiam Zeug zu Eurem Schimpif befingen.
Doch was betäubet mich? man greifft ja zum Gewehr.
Ein halb geladen Stüd Tracht ja fo ſpöttiſch ber.
Doc halt, ein Marschall wird gleich feinen Einzug halten.
Laß, Richellieu, dein Blut in Deutichland nicht erlalten:
Hannover gleichet nicht Portmahons heikem Brand;
Dein Feur verraucht vielleicht. Du bift nicht Schuld ! das Land,
Das Elima bringt e8 mit. Ein Held wird oft zum Lamme.
Du ſahſt nicht Magdeburg. Dein Ziel gieng nur bis Hamme.
Du ſahſt die Weſer nur. Sie kam dir böhmiſch vor.
Drum — wo gerath’ ich Hin? daß ich den Zug verlor,
Den Richelieu zu Fuß in unfre Thore jebte,
Der uns voll Höfflichkeit fein Haar am Haupt verlekte.
Du eiltefl, um dein Heer doch wenigftens zu ſehen.
Nach Roßbach kommſt du nicht; du Ließeft das geichehn,
Was dort Soubisens Muth und Hildburghausen thate,
Mer weiß ob Pompadour dich nicht zu fchonen bathe?
Sn Braunjchweig war dir wohl; du wareft viel zu Hug,
Du bliebeft unbefiegt, al8 man die Helden ſchlug.
D’Estree war fchon fo frech, Die Zorbeeren dir zu rauben;
Du hubft die Blätter auf, beym Saft der golpnen Trauben.
Kein Marichall Gallien! war prächtiger als du;
Dein Feldgeräthe bracht im Durchzug Stunden zu.
Die Pracht war Königlich bis auff den Hühner-Wagen.
Bon diefem Wunderbau wird noch die Nachwelt jagen,
Daß wenn aus Ianger Nacht der Vater Nova käm,
Er zu der Arche noch, von ihm den Abriß nähm. -
53
Dies ſey mir noch erlaubt, von dem Minorca Helden,
Zu feined Siege Ruhmgeſchichte dir zu melden,
Daß er und fein Gefolg zum Glüd ung bald verlieh,
Wann gleich und Monden lang ein Wind von Ambra blies;
Denn jeder Stuhl auf dem der Feldherr bloß gefeken,
Hegt noch den Biſams Daft. Wer kann ihn Dann vergeßen ?
Ein neuer Gegenftand wird plößlich offenbar.
Der jühe Wall, der fonft mit Hol bebüfchet war,
Muß um den Fürften Sit, geftümpfft? Nein! bis zur Erden,
Sp wie dar Gras gemäht, kahl abgehauen werden.
O jeht! wohin geräth der Frantzen Eigennuß?
Man Iachet, wenn ihr fprecht: es fordert unſer Schuß,
Und wie! was ſeh ich noch: o Sonntag, Vierzig Wagen!
Mo kommen fie dann her? Wer follte nun nicht Hagen?
Dein Pulver, Gudensberg und Felsberg, führt man fort.
Verräther! fchlieffft du niht? Ein Bößwicht hat den Ort
Des Vorraths angezeigt. Die fchwarke That erfchredet.
Gerächet werde fie! der Galgenſtrick entdecket.
Mit Schaudern fah ich felbft, die Schwefel Donnerfahrt,
Daß jedem wer fie ſah, betrübt zu Muthe' ward,
Ihr Räuber! hättet euch felbft, jo wie uns betrogen,
Wenn durch ein Bündchen Feur, die Stadt wär aufgeflogen.
Und faum erholt man fich, fo fieht man feine Ruh
Auf neue fchon geftört, Duc d’Ayen fährt gar zu,
Des Fürften edlen Sit gantz unerlaubt zu fchänden.
Führt Stüd und Mörfer auf, läßt ihren Schlund fo wenden,
Als ſchöß er, folt die Stadt ihm ungehorfam feyn,
O Schickſal! auf fie gar mit Feuerkugeln drein.
Doch heimlich ſpottete man dieſer Frevelthaten.
Tyrann! wer hat dir doch die Schandthat angerathen?
Entweiheft du alfo der Freyſtadt Burg und Schloß
Durch Undbefonnenheit, durch mörberiich Geſchoß?
O! dörffte Wilhelms Bold nur feine Schwerter züden,
54
Die Rache fpaltete dir Kopf und Rumpf in Stüden.
Nein! wahrlich die Gewalt, die dir der König gab,
Mißbraucht dein Unverftand. Ein Pair, ein Marſchals⸗Stab,
Ein Prinz von Gallien muß nichts fo kühnes wagen;
Ein Fürft des Reichs will mehr ald alle dieſe jagen.
Und deſſen Heiligthum verjchont der Unfinn nicht?
Der Eyfer geht zu weit, ver allen Wohlftand bricht.
Man fchränkt die Freyheit ein; Befehle gibt man aus:
Geſchloſſen jey nach zehn ein jedes Bürgerhaus,
Man wage fich hernach nicht in der Stabt zu gehen,
Beionders ohne Licht, Wo Wacht und Poften ftehen,
Da weiche man entfernt auf ihren Ruf zurüd.
So hart und .eifern wird nun Eaffel dein Geſchick.
Den frechen Officier erfreut ſtets unſer Schaden,
Des Raſens bunter Klee auf unfrer Eiplanaden,
Wird fonder Achtfamfeit, aus blofem Übermuth,
Zertreten und verheert. Sp machts die Natterbrut.
Allein auf einmal hat das Glücksrad fich gedrehet.
Der Hochmuth findet bin! der Schwarm, den ihr dort fehet,
St zaghaft. Ziſchelt fih mit leiſer Stimm ind Ohr.
Hier fteht ein gleicher Trupp. Man frägt: Was geht dann vor?
Doch niemand will beftürzt die reine Wahrheit fagen,
Bis Fama Lermen bläft: Die Franken find gejchlagen!
Soubisens ganzes Heer iſt Vögeln gleich verjcheucht.
Und wißt, die Reichs-Armee famt Hildburgshausen fleucht.
O Roßbach | Friedrich fiegt! Seht! wie Standart und Fahnen
Sich durch Fuld, Hekenland, den Weg nach Hanau bahnen.
Der Feldherr vendet jelbft, e8 wird am fernen Mayn
Vor mich und vor mein Vold noch eine Freyſtadt feyn.
Paris, Du wirft Diesmal dich nur geduldig faffen;
Die Reichs-Armee war Schuld! Und Sachien ift verlaffen.-
Hier ift ein Sammelplat von aller Seltenheit.
Kaum war Soubisens Heer gejchlagen und zerftreut,
So kömmt La March der Graf, und Conde burchgezogen,
55
Sch weiß nicht, waren fie verjagt und auch verflogen?
Noch bleibt Die Achtiamkeit für Prinzen vom Geblüt;
Sie ruhn im Schloß die Nacht, und man war jehr bemüht,
Nach Hofes Art und Pracht fie höflich zu empfangen,
Sp daß fie auch vergnügt nach Srandreich abgegangen.
Sagt! wie, verfündiget hier der Carthaunen Knall”
Bon Preußens naher Macht wohl einen Üüberfall?
Wie! was betäubt das Ohr? was für ein neuer Schreden
Fahrt nun durch Mark und Bein. Eilt, plößlich zu entdecken,
Was die Bewegung ſagt. Man fieht die Garnifon
In voller Rüftung ftehen. Iſts glaublich? rüdet ſchon
Der kühne Feind herein? Nein! Nein! nicht8 von dem allen,
Prinz Clermont bat uns nur zu plößlich überfallen,
Er kömmt, der Feldherr kömmt, nur ohnvermuthet an,
Died macht, daß jeder fich fogleich nicht finden kann.
Nur dies erregt den Lerm! Ya, ja, wir fehn ihn kommen,
Den Prinzen, der hernach das Kriegsheer übernommen,
Was ihm war anvertraut, Wir hatten ihn gefehn,
Er hat ung nicht gefränkt, ung war fein Leid gejchehn.
Was hat er dort gethban? Nichts! aus dem Cantoniren
Den Reit von Galliern zum Rheine hinzuführen.
Uns fol ein neuer Schuß, nun durch Soubisen blühn.
Duc d’Ayen ziehet ab, und Ludwig ſchickt dir ihn,
Den Helden! und vielleicht regiert er Dich mit Güte.
Sa fein VBermählungs-Band, von Heßiſchem Geblüte,
Hat, weil er liebreich war, Die Proben dargelegt,
Daß ihn manch fchmachtend Herz zur Gegenhuld. bewegt.
Mars Yiebt nicht ftet3 den Krieg. Mit Bällen, Operetten
Ward nun der Adelſtand, bey Köftlichen Banquetten,
Den halben Winter durch vergnüget und ergößt,
Ja mancher Schönen Neik beſtrickt, in Brand gefekt.
Bellona lermt nicht ſtets; fie will auch bey den Kriegen,
Spy wie die Venus ruht, in Schmanenbetten liegen.
56
Drum, Caffel, war auch dir ein folches Glück befcheert.
Allein wie mancher rief: Es hat zu kurz gewährt,
Soubise mußte fort. Und feht viel Seufzer waren,
Die ihn begleiteten, als er davon gefahren.
Sein bier zu vielem Ruhm geführtes Regiment
Hat, weil e8 friedlich war, Paris uns früh entwendt,
Dort muß er Nechenichaft von Roßbachs Siege geben.
Er bat ung nicht gedrückt; der gute Prinz foll leben.
Nun hat hier Broglio da8 Ruder in der Hand:
Ein Prinz, e8 fehlt ihm nicht an Einficht und Verſtand.
Die Schärfe Tiebt er nicht, Doch muß er das erfüllen,
Waß Ludwig ihm gebeut. Er treibt mit Widerwillen
Die Forderungen ein, die man erprefien foll,
Doch dabei bleibt fein Herz von Menſchen-Liebe vol.
Die Ruh ergößet ung, bis allgemach hernach,
Gleich einem Wolckenbruch, die Noth hernieder brach.
Nun dorffte Broglio nicht mehr das Land verfchonen;
Rath, Bürger, jedermann, die wir in Heben wohnen,
Betrifft ein Donnerfchlag. Man fordert Silber, Gold,
Was ein Gepräge hat. Der Klang der Glocken rollt
Sp Häglich in der Lufft, die Drangfal anzudeuten;
Es muß gelieffert feyn , fonft folgen Ihätlichkeiten,
Mit jäher Plünderung, die der Soldate dräuet.
O Schredfen! wer ift wohl der nicht das Übel fcheut.
Die allgemeine Noth nun eilends abzuwenden,
Zrägt jeder ungeſäumt, mit jammervollen Hünden,
Den ſaur erfparten Schweiß, und gibt in der Gefahr
Des letzten Hellers Werth, zur Landed-Rettung dar.
Zog Foullon gleich nach Wien, fo fam ein Crance wieder,
Ein jeder preßt, erzwingt und ftärdet fein Gefieder.
Milin bereichert fich. Lucee der Intendant
Weiß, blüht mein Weiten nicht, fo trägt des Nachbars
| Land.
57
Verhängniß! wird dich Bald der Bürger Flehen rühren?
Sa! doch was fah ich dort vor Laſten von uns führen,
Iſts Mehl, ifts Weigen, Korn? Bon aller Gattung Frucht
Wird täglich weggeſchickt. Doch Himmel, wie verflucht,
Raubt man auch das Gewehr? Das find ja Wilhelms Stüde!
Die Säbel hören ung! Und was ich dort erblide
Sind Wagen mit Colletd. Was herricht für eine Zeit?
Wird jo nah Kriegsgebrauh ein Waffenhaus erbeut?
Eu’r unbrauchbar Geſchütz vertaufchet ihr mit gutem.
Tropheen jchont ihr nicht. Das Herke möchte bluten,
Dann fih o Schimpf! o Epott! e8 gar zu Tage legt,
Daß man nun zum Verlauf das Kriegsgeräthe trägt,
Die Grenadirer-Müs, Pallaſche und BPiltolen,
Sa Stiefeln beut man feil. Die Wacht hat fie geftohlen,
Die Doch zum fichern Schuß, zum Zeughaus war geftellt..
Raub! den fein Türck vor recht, vor höchſt verdammlich hält,
Der Allerchristlichste! läßt der fein Bold auch plündern?
Berewigt diefe That! erzählt fie Kindesfindern,
Vergiß des Pulvers nicht, du aufgebrachter Kiel,
Der fortzefchafiten Zahl von Fäßer waren viel,
Gefeßt, man hätt’ e8 auch mit Recht davon gefahren,
Wie aber follte man dann alle Vorficht ſparen?
Die Tonnen wiejen ſich mit Stroh und Heu bebedt;
Ein Bau’r der droben ſaß, wie hat der mich erjchredt!
Sch ſah ihn Rauch und Dampf aus feinem Munde hauchen,
Die Pfeiffe glühete, vom frechen Tabad ſchmauchen;
Ihm war gank wohl dabey: Er Tannte nicht die Fahrt,
Allein dendt jener Angft, wie mir zu Muthe ward?
Nun fängt der Himmel an, fich endlich aufzuflären:
Es fcheint, die bange Qual wird nicht mehr Yange währen.
Man wählt fich Geißeln aus; der Forderungen Reit,
Die man im Lande noch an Geld zurüde läſt,
Hierdurch nach Kriegs-Gebrauch zur Sicherheit zu bringen.
Sie werden abgeſchickt; Gewalt kann alle8 zwingen.
58
Der Wagen fordert man fünfhundert an der Zahl,
Die täglich ftet3 zum Dienft, zur Ladung allemal,
Bey Straf ganz ohnverfehlt beorvert, ſollen ftehen.
Wie, Feinde, wollt ihr nun fo willig von und gehen?
Was treibt euch hierzu an? Fürwahr fein Selbfi-Eintichluß !
Ein Ferdinand rüdt an. Heißt das gewollt? Ich muß!
Sa eilt! ein mutbig Heer hat euch fonft abgejchnitten;
Dann feyd ihr ganz befiegt und müßt um Gnade bitten,
Mein Broglio zieht ab. Wer hätte das gedacht. Ä
Mit Ordnung 309 er bin. Das hat ihm Ruhm gebracht!
Nun jauchze, freue Dich, du ganz erlöfted Helfen!
Du wirft zwar lange Zeit der Drangjal nicht vergeffen,
Die du erlitten haft. Wünjch’, daß nur dort am Mayn
- Dein Hanau, ſo wie du, befreyet möchte feyn.
IV.
Lateinifche Inſchriften des Kurfürftentbums
Heſſen.
Zuſammengeſtellt und erklärt von Prof. K. Klein in Mainz.
Verzeichniß der angeführten Schriften.
Appel, F., Hand⸗Katalog der Sammlungen des Kurfürft-
lihen Muſeums. Kafjel 1849,
Borghesi, B., sulle iscriz. del Reno in den Annali dell’
Inst. archeol. Rom. XI. (1839) ©, 128 ff.
Dieffenbach, Ph., Urgejchichte der Wetterau (Archiv für
hefliiche Geſchichte u. ſ. w. Bd. IV. Darmft. 1845.)
Fuchs, J., Alte Geſchichte von Mainz. 2 Bde. Mainz 1771.
Gerning, die Heilquellen am Taunus. Leipzig 1813.
Gruter, J., Inscriptiones antig. 2 Bde. Amstelod. 1707.
Hanauer Magazin. 8 Bde, Hanau 1779— 85.
59
Hefner, J. v., das römifche Bayern. 3. Aufl. Münch. 1852.
Henzen, G., Inscriptionum Latin. collectio. Turici 1856.
Klein, K., Ueber die Legionen, welche in Obergermanien
ftanden. Programm de8 Mainz. Gymn. 1853,
Zehne, Fr., Die römischen Altertbümer der Gauen des
Donnerdberg. 2 Bde. Mainz 1836,
Beitfchrift ded Vereins zur Erforichung der rheiniichen Ge—
Ihichte und Alterthümer in Mainz I. Band. 1851.
Annalen des Vereins für Naffauifche Altertbumsfunde und
Geſchichte. Wiesbaden 1827 ff.
Orelli, J. C., Inscriptionum Lat. collectio. 2Bde, Turic.1828.
Ring, M. de, M&moires sur les etablissements Romains du
Rhin etc. 2 Bde. Paris 1852.
Schleretb, Die Römer im Kinzigthale. (Arnd, Zeitfchrift
f. Hanau. Bd. J. ©. 197).
Steiner, J. v., Codex inscripiionum Romanarum Rheni.
Darmſtadt 1837. (Stein. I.)
— — Codex inscriptionum Romanarum Danubii et Rheni.
Geligenftadt 1851 ff. (Stein. II)
— — Geſchichte und Alterthümer des Rodgaus. Darm—
ſtadt 1833.
— — Geſchichte und Topographie des Maingebiets u. ſ. w.
Darmſtadt 1834.
Wagener, P. Th., Handbuch der Alterthümer aus heidni—
ſcher Zeit. 2 Bde. Weimar 1842,
Zumpt, De Augustalibus et Seviris Augustalibus Be-
rolini 1846.
A. Inſchriften, welde im Aurfürſtenthume gefunden
worden ſind.
I. groß&roßendurg.
1. Gefunden im J. 1835 beim Graben eineg Haus⸗
kellers nächft den Wingerten. (Steiner) In Befik des
Pfarrers Kreisler zu Hofenfeld bei Fulda.
60
PRO . SALVTE . VICTORIA . ET
REDITV . IMPP . CSS .L
SEPTIMII . SEVERI . PERTINAC
IS.ET.M.AVRELI. ANTONINI
5 ET.P.SEPTIMIT. GETAE . PIORVM
AVGGG .. ET .. IVLIAE . DOMNAE
AVGVSTAE . MATRIS . AVGG.. ET
caSTRORYM . Q . AIACIVS
moDESTVS . CRESCENTIA
10 ....LEG...G..0IV... p- Ch.208/11.
“orten scneebe een BE EST ET ERS CD ET - TEST CS
non bon: Ben E00 LEE LEE TREE ET ET TEE TEL — ER ELF DT TEE FT TE TE CT TE EL ED
Für das Wohl, den Sieg. und die Rückkehr der Kaifer
der Cäſaren Lucius Septimius Severus Bertinag und
Marcus Aurelius Antoninus und Publius Septimius Geta
der frommen Auguſtus und der Julia Domna Auguſta
der Mutter der Auguſtus und des Lagers (neikeh Quintus
Aiacius Modestus Crescentianus Legat .
Steiner J. 213; U. 618; Borgheſi * a. a. O. 130;
Henzen 5496.
2. Im Jahre 209 unferer Beitrechnung unternahm
Kaifer Septimius Severus mit feinen beiden Söhnen Ca—
racalla und Geta einen Feldzug nach Britannien. Auf Die=
fen Feldzug bezieht fich die Inſchrift; fie kann nicht früher
gejegt werden, weil Geta erſt in diefem Jahre den Titel
Auguftus erhielt, der ihm hier gegeben wird. Der Kaifer
fehrte jedoch nicht zurüd, fondern ftarb im $ 211 zu Ebo—
racum (Bord. Alfo füllt der Altar zwiſchen dieſe Jahre.
5. Der Name Geta ift theilweife ausgelöjcht, indem
*), Borghefi jagt: „daß er von feinem thenern Kellermann kurz vor
befien Tode eine Copie dieſes Steines erhalten habe.” Dlaus
Kellermann reifte von feiner Heimath Dänemark im J. 1837 nad
Kom, wo er im Ceptember an der Cholera ftarb. Auf dieſer
Reiſe jah alſo Kellermann den Stein.
61
der Kaifer Caracalla, nachdem er feinen Bruder, den Kaiſer
Geta, mit eigner Hand in den Armen der Mutter Julia
Domna ermordet hatte, nach damaliger Sitte den Namen
Geta's auf den Dentmälern auszulöichen befahl, was hier
nicht vollitändig geſchehen ift.
Steiner hat am Anfange nur E, damit ift aber T
verbunden.
7. mater castrorum. Mutter des Lagers oder des
Heeres, ein ehrendes Beimort, welches den Gemalinnen
der Müttern der Kaifer gegeben wurde; vgl. Hefner Daß
römische Lager (1852) ©. 48.
10. Nach den Räumen fcheint bier geftanden zu haben:
NVS.LEG. AVGVSTORVM.PR.PR. In den folgenden
zwei Zeilen ftand wahrfcheinlich das Jahr.
2. Auf dem obern Theile einer Ara, welche, bian
dieſes Wort in die Erde verfenkt, einem Remifepfoften zur
Unterlage diente und im Jahre 1833 anderweitig ver-
wendet wurde (Steiner).
Krug NEPTVNO Dreizad,
Dem Neptunus ...
Stein. II. 619; ebend. Rodgau 9,
Bon dem Neptunus find am Rheine wenige Dent-
mäler erhalten.
3. Auf dem Fragmente einer Bafis, worauf nur noch
der Yinfe weit auswärts ftehende Fuß eines Kleinen Reliefe
bildes und ein Theil der Nifche, in welcher e8 angebracht
war, zu fehen ift, gefunden 1848 heim Ausgraben eine
Kellerd. (Steiner) In der Sammlung de H. Steiner
in Kleinkrotzenburg.
Theile eines Fußes
..... SAP,ERA
..... FI. 1IVI
den ...... Publius Era ....., Sohn des ....
Viermann.
62
Steiner IL 623.
1. Steiner erflärt matronis; S ſcheint sacrum zu fein,
A dient flatt eine Punktes.
2. Die qualluorviri, ein Kollegium von vier Männern,
übten in den Städten ter Provinzen die Rechtöpflege, bes
forgten Die Wege u. |. w.
4. Als im Jahre 1828 die neue Kirche erbaut und
die Fundamente der alten Kirche ausgebrochen wurden,
fand man einen Ziegelftein mit der Inſchrift:
LEG XXII PRPF
Diefelbe Inſchrift wurde im Jahre 1832 entdedt als der
dafige Einwohner Auguſtin Krämer in feiner Hofraithe
nabe an dem Wege, der aus dem Dorfe nach Hanau zieht,
eine Miftftätte vertiefte. (Steiner.)
Die zwei und zwanzigfte Legio die erfigemorbene fromme
getreue,
Steiner, Maingebiet 165.
Die zwei und zwanzigſte Legion, von Kaifer Claudius
errichtet, fam gleich damals nach Mainz und hatte über
300 Jahre ihr Standquartier daſelbſt; vgl. meine Schrift:
Ueber die Legionen u. f. w. 12.
5. Biegelabdrüde, welche in den Fundamenten eines
römiſchen Gebäudes 1834 gefunden worden find, und auch
1827 und 1832. (Steiner) Sechs Exemplare in der
Sammlung des H. Steiner in Kleinkfroßenburg.
LEG XXI.P.P.F .
wie Nr. 4,
Steiner I. 214; II. 620 (wo er das Sahr 1835 an⸗
gibt); ebend, Rodgau 9.
6. Stempel auf einem Fleinen Badfteine, gefunden
1844 in den Subftructionen eines römijchen Gebäudes in
ber Nähe des Dorfes auf ber Beune. (Steiner) In deſſen
63
Sammlung.
COH . III
VINDE
LICO.
..V.,
5 AIL..I
Die vierte Cohorte der Vindelicier .....
Steiner II. 621.
2. Die Vindelici, deren Hauptftadt Augusta Vindeli-
- corum (Augsburg) war, wohnten zwifchen der Donau und
Rhätia (Tyrol) im fünlichen Bayern und Württemberg; fie
bienten in. 4 Cohorten, davon eine, die vierte, lange Zeit
am Pfahlgraben ftand; vgl, Annalen des Vereins für naff.-
Aterth. VI. 43.
7. Stempel auf einer großen Badfteinplatte — ges
funden 1848 auf der Beune in der Subſtruction eineg
tömtichen Gebäude, (Steiner) In deſſen Sammlung.
COH Ill ANGAIIOOV im Seife,
wie Nr. 6.
Steiner II. 622,
II. Hanau.
8—10. Im Frühjahre 1769 hinter dem Schloß
von der neuen Brüde an und nad dem Heegwalde zu
wurde gefunden eine Todtenlampe:
ATTILIVS F
ein Teller mit brauner Erde mit dem Töpfernamen
Occiso figulus
Sm Jahr 1777 zwiſchen Hanau und Rüdingen am
Ende des Waldes Stüde zerbrochener Gefäße, auf einem:
Fictorinus fig.
Einige diefer Sachen befinden ſich in der fürftlichen
Sammlung zu Birftein oder zu Hanau in vielerlei Hän—
den. Steiner Maingebiet 225 nach dem Hanauer Ma-
gazin I. 186; 11, 212; Steiner J. 215, II. 626 (wo er
64
das Jahr 1770 flatt 1769 angibt und citirt: OCCISo F.
und FICTORINVS FE.
III. Rückingen.
11 — 12. Südweſtlich davon heißt eine 40 Morgen
haltende Stelle die Altenburg, wo eine Römerftätte war;
hier wurden 1802 Badfteine gefunden mit
LEG . XXII.. PRPF
| und COH Il AQ
Sie kamen auf da8 Schloß zu Birftein. Eteiner II. 6245
Schlereth, die Römer im Kinzigthale 14 u. 23; Dieffen-
bach, Urgefchichte der Wetterau 177.
Meber die zwei und zwanzigfte Legion fiehe Nr. 4.
Die dritte Cohorte der Aquitani, welche in Gallien zwi⸗
chen der Garonne und den Pyrenäen wohnten, lag in
Germania unter der Regierung des Kaiſers Befpafianus,
vgl, Arneth zwölf röm. Miltiärdiplom 29.
IV. Bergen.
13. Am 27. Oft. 1802 wurden auf den Pfarrädern
neben dem SKellergraben zwei Biegelfteine gefunden mit der
Aufſchrift:
LEG . XXII. PR. PP '
am 28. Okt. 1802 ein zerbrochener Biegelftein mit
| XXll PR
am 17. Nov. 1802 am Kellergraben zwei Biegelfteine
XXI.PR.P.F
am 18. Nov. 1802 dafelbft ein Biegelftein mit der Infchrift:
LEG . XXll. PR. PF
am 5. Dee. 1802 dafelbft eine Platte mit der Infchrift:
LEG XXIII PRPF
Steiner, Maingeb. 152 bis 154 aus dem Manufcript deg
Pfarrerd Herrmann, der daſelbſt Nachgrabungen anftellen
hieß. Steiner 1. 216; Il. 627; Gerning Heilquellen 190
(nennt Steiner der 22. u. 23 Legion, leßtered ein Verſehen);
Wagener 121; Dieff. Urgejch. 178. Sie find nicht erhalten,
65
B. Inſchriften, welche auswärts gefunden wurden und
im Aurf. Mufeum zu Raſſel aufbewahrt werden.
Sn Appel's Hand-Katalog der Sammlungen des
Kurfürftlichen Muſeums u. |. w. (Kafjel 1849) wird eine
ziemliche Anzahl von Steinen und Denkmälern mit In—
Ihriften angeführt, welche letztere jedoch nicht beigefügt find.
Auf brieflihe Nachfrage hat der Verf. mir im Jahre 1851
die folgenden Abfchriften überjchict, mit dem Bemerfen:
„von allen den bier aufgeführten ift mir bis jett fein Fund⸗
ort bekannt geworden.” In mehreren erfannte ich fogleich
alte bekannte, längſt vermißte Inſchriften. Seitdem hat -
Steiner in feinem codex inscr. etc. (1854) mehrere ver-
dffentlicht, andere erjcheinen hier zum erjtenmale gedruckt.
Die Fundorte derſelben find:
I, Zahlbach.
Sechs Infchriften des Kaffeler Mufeum find in die-
ſem zur Stadt Mainz gehörenden Orte gefunden worden
und wurden, feitdem fie von Fuchs (Mainzer Geichichte
l. u. 1. Band) veröffentlicht find, von den ſpaͤtern Heraus
gebern für verloren gehalten, indem bis jeßt Niemand von
deren Dajein in Kaſſel etmas wußte Wie fie borthin
famen, weiß man nicht; wahrjcheinlich hat die Sociele des
Antiquaires de Cassel — wie ſich damals dort ein wiſſen⸗
Ichaftlicher Verein nannte! — fie in Mainz acquirirt; vielleicht
durch Geſchenk von kurfürſtlich Mainzer Seite *), indem
von diefen Steinen einige, wie Fuchs bemerkt, zur Samm-
lung vor dem kurfürftl. Schloffe in Mainz gebracht waren;
von mo fie aljo nach Kaſſel kamen, wie e3 fcheint nach
*) Um jene Zeit wurden auch viele römiſche Steine von Mainz bem
kurfürſtlichen Muſeum in Mannheim geſchenkt. Gerden Reiſen III,
(1786) ©. 62: „WVerſchiedene Steine mit Inſchriften find auch
von Mainz nach Kaffel gefommen, die ich dort gefehen habe,”
VIE. Band. 5
66
dem Jahre 1780, weil die Societe in diefem Jahre im
1. Band ihrer Memoires (und mehr erjchten nicht) Teine
Erwähnung jener Erwerbung thut.
14. Ein zerbrochenes Stück Stein, welches im 1769
Jahre in dem Sungfrauenflofter Dalheim bei Mainz unter
den Trümmern ber bei vem Brand zufammen gebrochenen
Mauern gefunden worden. (Fu 8.)
LARIBVS
COMPETALI
BVs SIYE
QVADRIVI
(Die untere Hälfte ber fünften Zeile fehlt.)
Den Laren auf den Scheivewegen oder Kreuzwegen .....
Fuchs I. 64 mit Abbild.; Lehne 104; Steiner I.
482, II. 540; Zumpt. de August. I; Klein, Zeitſchr.
bes Mainz. Ver. I. 484; Orelli 1664 u. 2105; Ring,
II. 52; Appel, Katal. IX. 87 (ohne die Inſchrift).
1. Die Laren waren die Schubgdtter des Hauſes
der Wege u. ſ. w.; vgl. die angeführte Stelle ber
Mainzer Zeitfchrift, wo die Infchriften der Wegegötter
gefammtelt find,
15. Ein Stüd eines zerbrochenen Steines, welches
ich ohnweit dem Klofter Dalheim am Hipperich habe aus—
graben laſſen im Jahre 1769, (Huch8,)
. . . IDIVS
... TROM
... MENS
..O. WII,
5 .. 1. ADI
.. AXX STIP
..E.T.F.{
. . idius Clemens (Sohn des . . ) aus der Tribus Tro—
mentina von Äquum, Krieger der erſten Legion. ber helfen—
67
den (alt) 30 Sahre, im Dienfte . . . .$ (der Erbe) ließ
nach dem Teſtamente Den Stein machen.
Fuchs I. 122; Lehne 140; Steiner I. 377, IL 535;
Appel, Kat. 89 Cohne die Inſchrift).
4. O ift wahrjcheinlich der Ueberreſt von AEOQOVO,
da Aequum in Dalmatien (Han bei Epalateo) zur tribus
Tromentina gehörte, und mehrere Krieger diefer Legion
au8 Aequum waren; vgl. Lehne 138, 142,
5. Fuchs hat II und auf dem Stein ift vor I noch
ein Ueberreft, der nicht von der Zahl U, fonvern von
G in LEG herrühren wird; denn 11 kann nicht fiehen, da
die leg. 1. niemal® am Rheine war. Die erfte Legion,
mit dem Beinamen die helfende, wurde in Spanien zuerft
aufgeftellt, kam um das Jahr 100 unjerer Zeitrechnung nad)
Mainz, wo fie etwa 50 Jahre ihr Standquartier hatte;
von da 309 fie nach Pannonien (Theile von Oeſterreich
und Ungarn); der Stein aljo ift über 1700 Jahre alt.
Bol. meine Schrift über die Legionen u. |. w. 21.
7. Der erfte Buchftabe wird wahrfcheinlich E gewefen
fein, der Fuß deffelben fehlt nämlich. MUeberhaupt Tann
die ganze Injchrift, außer Zeile 1, ganz leicht reftituirt wer⸗
den.... IDIVS|..F. TROM | CLEMENS | ÆOVO MII.
LEGIADI | ANN. XXX STIP|X.H.E.T.F.L
16. Ein Stüd Stein — ift im Jahre 1769 nad)
dem Brand im Klofter Dalheim bei Mainz an der Brands
ftätte der abgebrannten Scheune ausgebrochen worden. Ich
habe ſolches zu den anderen alten römiſchen Steinen brin-
gen lafien. (Fuch 8.)
DIIEIK ZIELE TELEKES III ER EI II
IS.T.F..L.CASTVS
BB. E . cos
C. VıL .P
68
... is Caſtus, des Titus Sohn, Begünftigter des Con⸗
ſular (liegt bier); Cajus Villius ſetzte (den Stein).
Fuchs J. 188 mit Abbild.; Steiner 475, II. 307
(ſetzt den Stein unrichtig nach Mainz); Appel Katal.
IX. 92 (ohne die Inſchrift).
. 1. Steiner nimmt L al$ die tribus Lemonia, was
unrichtig; FL fteht für FIL.
2. Beneficiarius ein Begünftigter ift durch feinen
Vorgeſetzten von manchen Dienften befreit. Die Bezeichnung
eine folchen mit BE ift felten, daher corrigirt Steiner BF.
Der mittlere Querftrich in B tritt linf8 hervor und hat vorn .
einen Querſtrich
3. Fehlt bei Steiner.
17. Ein Stein, welcher bei Zahlbach (1770 fügt
die Yateinifche Ausgabe von Fuchs 1772 bei) ift ausgegra—
ben worden. Die Buchitaben find jehr unförmlich. — Der
Stein ift vor das Furfürftlicde Schloß zu Den andern ge=
bracht worden. (Fuh8)
ACAEKV
ESRASI
ANMPPT
RPCOS
Fuchs I, 228; Appel Katal. IX. 90 Cohne die Ins
ſchrift)
1— 4. Die Erklärung von Fuchs: Augustus Cae-
sar Vespasianus imperator tribunitia potestate consul ergibt
ſich eigentlich nicht aus der Inſchrift, fo wie fie bei Fuchs
vorliegt und auf dem Stein deutlich zu leſen ift.
18. Ein Kleiner Steinfarg, gefunden 1759 bei
dem Klofter Dalbeim. (Buch 8.) Der Dedel hat
auf der Außeren Seite SNORCF
auf der innern D’TRPVCOSIIP
Snor, des Cajus Sohn, in der tribunitiichen Gewalt
69
zum fünftenmal Conſul zum zweitenmal Vater (des Vater⸗
landes)
Fuchs I. 232; Steiner 461. II. 305 (verlegt den
Stein nad Mainz) und Zufäge im II. Theile ©. 370;
Appel IX. 84.
2. Die tribunitia potestas V. consul. II. beffeide=
tn die Kaiſer Commodus, Septimius Severus, Gordianus
und Aurelianus in den Sahren 165, 197, 242 und 275;
alfo kann eins dieſer Jahre gemeint fein. Gteiner in den
Zuſätzen corrigirt in Seile 1 GORDIAN, fo daß die In—
ſchrift in das Jahr 242 falle. — D am Anfange papt nicht;
man eriwartet PM (pontifex maximus) oder AVGustus.
19. Ein Heine Stüd Stein — welches im Klofter
zu Dalheim im Jahre 1770 ift ausgebrochen worben. (Fu ch 3.)
L.LIVIVS A
CAM . ATRIA
Lucius Livius A......aus der tribuis Camilia, von
Aria (D ....
Fuchs 1. 227 mit Abbild.; Lehne 338; Steiner 462,
11. 457 u. 2427 nebit Zuſätzen IL Theil ©, 371;
Appel Kat. IX. 86.
1. A, wie die Abbildung bei Fuchs deutlich bat,
läßt Lehne aus; noch jet‘ ift der erfte Strih von A er⸗
halten,
geber. Atria ift nach Plin. I. 10 die Ältere Schreibart
ſtatt Adria oder Hadria (jetzt Adria) in Oberitalien, welche
nach diejer Infchrift zur tribus Camilia gehört. Hadria in
Picenum gehörte zu einer andern tribus; vgl. Grotefend
Zeitſch. für Alt. Wil. 1836 ©. 930..
Bon ber dritten Zeile fieht man nur Spuren,
2. So die Infchrift, nicht AIRIA wie die Heraus- |
70
Il. Weifenau bei Mainz.
20. Ein Grabftein, deffen kleine Giebelfläche mit einer
Ionnenähnlichen Figur ausgefüllt if. Er ift nur 16 Zoll
breit, oben rund und der untere Theil abgebrochen. — Diefer
Stein ift neben der oberen Heerftraße über Weijenau gegen
Mainz zu heraußgegraben worben; ich habe ihn erjt im
Jahre 1772 gefunden. (Fuchs.)
P.SEPETVMIE
NVSLFFR
ONTOANXXV
DST
Publius GSepetumienus Fronto des Lucius Sohn, alt
fünf und zwanzig Sabre... ..
Fuchs II. 168 u. 260; Lehne 341; Steiner 316, IL.
547 u. 2430; Appel Fatal. IX. 81 (ohne die In—
ſchrift). |
1. Das zweite P jcheint faft ein R zu fein; Steiner
an britter Stelle SEPTVMIENVS, wie auch Lehne mit
Auslafjung von E jchrieb.
4. Der zweite Buchftabe fcheint ein O oder S zu
fein; Steiner lieſt stipenDIORum, aber ber letzte ift T.
Set ift von der vierten Zeile feine Spur mehr zu ſehen.
III. Unbekannter Fundort,
Bon den folgenden Inſchriften ift bi jeßt weder über
den Fundort, noch die Zeit, wann fie nach Kaffel famen,
irgend eine Notiz veröffentlicht. Sie find ohne Zweifel
nach der Mitte des vorigen Jahrhunderts acquirirt worden;
mehrere jcheinen aus Italien zu ſtammen. Einige werben
hier zum erftenmale verdffentlicht; andere hat erſt Steiner
im J. 1854 feiner Sammlung einverleibt,
71
21. Ein größerer Grabftein von Marmor.
D.M
L. AVRELIVS.. TERENTIVS
SIBI. ET
C . TICHERNE . SVAE
zwei Sphinxe
Den Schattengöttern; Lucius Aureliuß Terentius (hat) fich
und der Caia Ticherne feiner (Gattin den Stein gejekt).
Appel Katal.IX.. 65 (ohne Inſchrift); Steiner ll. 2425.
4. So die Inſchrift; Steiner hat SVE.
22. Ein Heiner Grabitein von Marmor mit vier
Feſtons.
CORNELIAE. O. I.,
EPITYCHIAE
Q.CORNELIVS.Q .LIB
NARCISSVS . CONIVGI
SVAE FECIT
Der Eornelia Epitychia Freigelaffenen de8 Quintus (Cor⸗
nelius) bat Quintus Cornelius Nareiffus Breigelaffener
des Quintus feiner Gattin (diefen Stein) machen Iafjen.
Appel Kat. IX. 66 (ohne Inſchrift); Steiner Il. 2426.
23. Eine ſchmale Marmortafel.
ET . MEMORIAE . AET
SEVERINAE. MAT. DVLC
D PIENT.B.M. SEVERI M
5 NA.F.P
Den Schattengöttern und dem ewigen Andenfen an Seve-
rina ber füßeften, frommften und wohlverdienten Mutter hat -
Severina die Tochter (den Stein) ſetzen laſſen.
Appel Kat. IX. 71 (ohne Inſchrift); Steiner.ll. 2429.
3. D.M. ftehen am Anfange und Ende dieſer Beile
| jeder Buchftabe in ein Viereck eingeichloffen.
72 -
24. Auf der innern Seite des Dedels eines Steinfarg3
D.M.
SEX . AVFIDIO . PHITEIO
CONIVGI
IANVARIA.B.M. FECIT
5 ET. SIBI . POSTERISOVE
EORVM
Den Schattengöttern; dem Sextus Aufidius Phiteius dem
wohlverdienten Gatten und ſich und ihren Nachkommen hat
Januaria (dieſes Grabmal) machen laſſen.
Appel Katal. IX. 68 (ohne Inſchrift) Steiner II. 2424.
25. Ein vollitändiges Heineg Grabmal von Marmor.
C_.TANVSI.C.F. BALBINI
\ ANICI
(Den Schattengöttern) des Cajus Tanufius Balbinus Sohnes
des Cajus Anieia.....
Appel Kat. IX. 67 (ohne Inſchrift); Steiner II, 2427.
26. Ein Grabftein, deſſen Anfang und vordere Seite
kit, |
· AFEL . PLACIDINAE . LIBE.
RTIS
v0... ber Placidinga und ihren Kindern und Enfeln
und den Kindern derfelben und der Homonoea feiner Gattin
und dem Marcus Appulejus .... und den männlichen
und weiblichen Zreigelaffenen und den Kindern der Frei—
gelafjenen und den Freigelaffenen der Kinder,
Appel Katal. IX. 88 (ohne Inſchrift); Die Inſchrift
ift hier zum erftenmal edirt.
1. Der Anfang ift nicht zu enträthjeln; es fcheint in
ben einzelnen Zeilen nicht gleich viel zu fehlen.
73
3. Der Zrauennamen Homonoea fteht bei Grut. 470,
3 u. 607, 4. .
4. TRICI Refte eines Cognomen.
27. Fragment eines Grabſteins.
PAVLINVS.....»
14 Zeilen mit noch einigen Tenntlichen Buchitaben.
Appel Katal. IX. 73 (ohne Inschrift); noch nicht ebirt.
28. Fragment eined Grabftein®.
Kopf eineß praefecti militum.
A; L Io vice
Appel Katal. IX, 78 (ohne Inſchrift); noch nicht edirt.
29. Ein hriftlicher Grabftein.
IN HOC SEPVLCHR
rEOIESCIT IN PACE PVILLA
MINEA IBERGA Q VIXIT AN
NIS XXXIX ET MENSES V
ET DIES X
In diefem Grabmal ruhet in Frieden das Mädchen Minen
Iberga, welche lebte neun und zwanzig Sahre und fünf
Monate und zehn Tage,
Appel Katal, IX, 74 (ohne Inſchrift); bisher nicht edirt;
befonder8 bei diefer Inſchrift wäre es intereſſant zu
wißen, mo fie gefunden jei *). Sie ftammt vielleicht
vom Niederrhein.
*) Auf ber rechten Aheinfeite fand man bis jetzt nur eine jolche chriſt⸗
liche Inſchrift: in Wiesbaden und im dortigen Muſeum aufgeftellt;
in Mainz find beren zwei, in Worms 3— 4, in Trier fehr viele
u. ſ. w. Sie gehören in bie ältefte fränkiſche Zeit.
74
2. Born fehlt R puilla für puella.
4. Zwiſchen der Zahl XXXIX und ET ftehen zwei
fenfrechte Striche ||, die nicht zw deuten find.
Die Figur unten enthält die griechiichen Anfangs—
buchitaben vom Namen Christus X und P, umgeben von
A und 2 dem Anfang und Ende; bäufig ift noch auf bei-
den Seiten eine Taube beigefügt.
IV. Aus dem Herzogthum Naſſau.
30. Ein Grabftein um das 1600 bei Praunheim
ohnweit Heddernheim gefunden:
DISMAN
0.FAVONO
VARO . FiL
R.FAVON
VSVÄRVS
COH XXXII
V.PATER
MTD
den Schattengöttern; dem Quintug Favonius Varus feinem
Sohn Chat) der Vater Quintus Severus (Krieger) Der .
zwei und dreißigſten Cohorte der Freiwilligen... .
Grot. 1094, 15 Winkelmann Beichreibung von Helfen
130; Bernhard, Antig. Wetteraviae 665 Schend, Ge⸗
jchichtbejchreibung von Wiesbaden 94; Fuchs 11. 134;
Steiner, Maingebiet 148; Lehne 285; Ebhard, Ge-
fchichte der Stadt Wiesbaden 2085 Appel, Katalag 75
(ohne Inſchrift); Steiner 243, 1. 637; Klein, Nafjan.
Annalen IV. 342: Ring 1, 3135 Inser. Nass. 38.
6. Dorn ift Miles ausgelaſſen.
Die Cohorten der Freiwilligen beftanden aus römi—
ſchen Bürgern, welche nach vollendetem Kriegsdienfte wie—
berum eintraten. Die zwei und breißigfte Cohorte ber
75
Freiwilligen hat mehrere Denkmäler am Rheine zurücge-
lafjen, vgl. Insc. Nass. 25 u. 39. Wann diefelbe bier ftand,
weiß man noch nicht.
8. Die Heraußgeber haben hier verfchievene halbe
und auch ganze Buchftaben, aus denen fich noch Fein Sinn
ergab.
Indices.
I. Nomina. Cognomina. Minea Iberga . . . . 29
Q. Aiacius Modestus Crescen- Modestus . . . .. 1
ianus - < 2.11 Narcissus . 2 2 2.2.22
Anicia »- o 2 2 2...25 | Occiso -. . 2 2: 9
M. Appuleius ....x 26 | Palinus . 2. 2.2.27
Attilius -. - . 2 2.81 Phiteius. 2 2 2.2...26
S. Aufidius Phiteius . . 24 Snor. C. ... . 18
L. Aurelius Terentius „ 21 | Placidina . . oo. .
Balbinus . . “>. 235 | Q-Sepetumienus L. f.Fronto 20
... is T. f. Castus.. .„ 16 | Severina . . 2... .%3
Cornelia Q. 1. Epitychia 22 C. Tanusius C. f. Balbinus 25
Q. Cornelius Q. 1.Nareissus 22 | Terentius ..... . 21
Crescentianus - . 2 . 110°. Tiherne . . . . 21
Epitychia . . 2 ...22 Q. Favonius Varus . . 30
Er... 2 . .. 30. V. Vils... 0. 16
Q. Favonius Varus . . 30 II. Urbes. Populi.
Fietorinäüus . . . . . 10 | ?Airia . ...51
Fronto -. . . 2 2.2820 | Aeuum . ...0.1X5
Homonoea . . . . . 26 | Awitni . . ...12
Januaria . . 2 2.2.24 | Viodlici . -. 2.627
Ib er ga o . . . 0 o 2 9 II. Tribus,
L. Lviuss . -. » : ..91 | Camilia ?Atria . . . 1
76
Tromentina coniux benemerens . . 24
.,.5 .
Aequum dulcissima mater . © . 25
IY. pu. grammalica
Lares competales sive ° pro ae Ticherne 25
quadrvi . .„ . 14 i pro e pulla . 29
Neptunus . . 2.0... 2 in pace. . 0... 29
Quadrivii v. Lares. legatus Augustorum .
1
master Augustorum . . 1 |
V. Imperatores. — casirorum . 1
? Vespasinus . . . 17| _ duleissima pientissima
Septimius Severus Cara- benemerens . . 23
calla et Geta (a. P. nomen erasum . . . 1
Ch. 209/11). . 1 pientissima mater. . - 23
?Gordianus (a. p. Ch. | I vir . ng
2422) . . 0. 18 | gribunitia potestas . „ 18
Julia Domnma . „ .. 1 VII. Notae "
VI. Res militares, AETerne . . . . . 23
Beneficiarius consularis ,„ 16 | ANnorum ANnos . . 20.29
Cohors Ill. Aquitanorum AVGGG Augusii Ires . 1
Badfteine . . » 12 | Bene Merens . . . 23.24
Cohors XXXII Volunt miles 30 | BEneficiarius - - » . 16
Cohors Ill Vindelicorum Diis Manibus . 21.23. 24
Badfteine.. . . 6.7 | Ex TestamentoFieri Iussit 15-
Legio I. adjutrix Figulus . .. 8.9.10
mies . 0.0 Be ee 23
— XZII primigenia pia Fiius . - 2. 18.20.25
fidelis Flius -. -. : 2 20 3
Badftene 4.5. 11.13 | FE Liu. . 222.2 86
mater castrorum © . - 1 | Libeta . 2 2 2 2.92
vn. Varia. LiBerus . . 2....22
Augusta . . x... 11MATe . . 2 0020.23
Augusti res . - . . 1 | Pout - 2 2... 16.23.
benemerens coniux . ; 24 | STIPendiorum. . . . 45
— mater. - « . 23 | Volmtari ©. © << ....80
RK. Fundorte, X. Aufbewahrungsort e.
Bergen . ‘ o. .0. 0 13 ? Birftein . .0 8 — 12. 22
Gtoßlrotzenburg.. 1—7 | ?S5aru . . . . 8—10
Hanau 2.0.8 —10 Hoſenfeld .. 1
Heddernheim ® + f] . 30 _
Rückingen . . . 11 — 1 2 Laſel . . . . 1 4 30
Veifenaun . . . .» 90 | Kleinfrogendbugg . 3.5.6.7
Zahlbach.... 14—19 Nicht mehr erhalten 2.4) 13
V.
Der Seiligenberg.
Vom Ardivar Dr. Landau.
Mer kennt in Niederheffen nicht die kahle weithin
ſichtbare Kuppe des Heiligenbergg? Wenn auch keineswegs,
wie man häufig hört, nächit dem Weißner der höchite der
niederheffiichen Berge, fo überragt er doch alle Höhen des
untern Eder- und Echwalmgeländes und gewährt dadurch
eine der prachtvolliten Ausfichten, um berentwillen er dann
auch alljährlich zahlreich befucht wird,
Seine fonifchgeformte Kuppe zeichnet ihn ſchon aus
der Ferne al eine jener vielen Bafalterhebungen, melde
diefe Gegend in fo charakteriftiicher Weife zieren. Bon ber
Eder, deren rechte Mfer feinen Fuß berührt, fteigt ber
Heiligenberg ziemlich teil 754 Fuß empor. Deftlich ift
der Abfall Dagegen geringer. Hier liegt Hehlar nur 416
Fuß und die Fulda bei Melfungen nur 725 Fuß tiefer.
Kommt man von der Eder, fo bietet fich der bequemfte
Weg zur Höhe von Genfungen aus, wo ein Pfad nach der
Öftlichen Seite führt, von welcher der Gipfel unfchwer zu
erreichen ift. u
Der Berg iſt ganz kahl ober nur mit geringem Ge⸗
80
gegen der Landgraf die Stadt Grünberg *) gründete. Daß
Mainz bier keine weltliche Herrichaft befaß, ergibt fih aus
der einfachen Thatjache, Daß Die Burg, wie wir fpäter zei—
gen werben, ohne alle Zubehörungen war, fo daß das
mainziſche Beſitzthum fich lediglich auf die Burgftätte be—
Ichränfte, weshalb man annehmen muß, daß der Bau erft
nah einem Abfommen mit den Grafen von Feldberg zur
Ausführung gelangte.
Die erften Schickſale der Burg find nicht‘ befannt. Im
Sahre 1193 findet fi ein Comes Heinricus de Heiligen-
berg **), jedenfall8 ein mainziicher Burggraf, dem die Be-
wachung der Burg anvertraut war. Sein Familienname
wird nicht genannt, aber es ift nicht unmwahrjcheinlich, daß
Heinrich den Grafen von Ziegenhain angehörte.
Zu derſelben Zeit begegnet man auch einer Burg-
mannen-Familie, welche auf der Burg wohnte und fich
nach derjelben nannte. Der erfte, welcher davon befannt
wird, tft IS fried vonHeiligenberg und lebte 1196 ***),
Hugo und Werner, wahrfcheinlich feine Söhne, waren.
zu Grüßen bei Rofenthal begütert und finden fi von
1223 bis 1249 +). Beide waren 1256 bereit geftorben
und einer von ihnen hatte zwei Söhne hinterlaffen, Hugo
und Werner, von welchen der Iebtere Geitlicher war.
Die Kirche zu Buchenwerde, an der Zulda, welche fie von
den Grafen von Reichenbach zu Lehn hatten, gaben fie
dem Kloſter Breitenau Fr). Hugo findet fih 1263 auf
*) Die Mist. Landgrav. und Gerftenberger nennen ftatt beffen bie
Bramburg an der oberen Weſer, Joh. Rothe die Burg Braun-
fels. Wenn einige heſſiſche Chroniſten Runeberg fchreiben, fo ift
das nur ein Schreibfehler für Geuneberg
***) Ungedr ˖ Urk.
**8*) Wenck I UB. ©. 129.
+) Ungebr- Urk. Gudenus I, p- 484, Varnhagen, Waldeck. Geld. I.
UB. ©. 82 und 318, Kopp, die Herren v- Itter. UB. S. 189.
tr) Ungedruckte Urk.
81
dem Heiligenberge *) und Werner 1268 zu Alten»
born **). Seitdem verfchwindet Diefe Familie.
Die Burg felbft tritt und nach ihrer Gründung erft
im Sabre 1232 wieder entgegen, als Landgraf Konrad von
Thüringen gegen Fritzlar zog und daſſelbe belagerte. Auch
ber Heiligenberg ***) wurde bei diefer Gelegenheit ums
ſchloſſen und wie es jcheint die Burg erobert und zerſtört.
Wir müffen das letzte aus einer Urkunde von 1247
ihließen, aus welcher hervorgeht, daß die von Wölferb⸗
haufen im Auftrage des Erzftifts Die Burg wieder erbaut,
und die Randgrafen Died zu hindern ſich bemüht hatten,
wobei fomwohl die von Wolfershaujfen, als deren Hinter»
iaffen fchwer geichädigt worden waren. Das Erzitift wies
ihnen deshalb 200 Mark Silber8 und ein Burgmannen-
Iehen auf der Burg an }).
Außerdem wurden den von Wolfershaufen aber auch
noch 20 Mark gezahlt, um dafür Ländereien zur Burg ans
zukaufen ++), ein überzeugender Beleg dafür, daß die Burg
feine _Yubehörungen hatte und der mainziiche Beſitz fich
lediglich auf die Burgftätte beichränfte 7).
Noch 1270 hatten die von Wolfershaufen einen An⸗
fit auf der Burg HP.
* Wenck II. UB- S. 152.
*#) Barnbagen a, a. DO, ©. 10%
®+r) Der Landgraf z0g, wie e8 in einer älteren Nachricht heißt: pro
monte Heiligenberc in llassia sito- Gudenus I. p. 517. ©.
auch die Annales Erphordenses ap, Pertz, Monumenta hist.
Germ. XVI. p- 27-)
}) in restaurum quoque dampnorum nostrorum, que hobis et
nostris hominibus in reedificatione castri Heiligenberg per
suos (sc- Landgr.) homines irrogata fuerunt -
++) Die von Wolfershaufen erflären: Item dedit nobis XX marcäs,
ut inde puremus nobis in castro necessarios mansos.
Trr) Die betreffende Urkunde findet fi bei Gudenus I, p- 596.
frrt) Orig. Url.
VIEL, Bond, 6
82
Damals nahete fich jedoch ſchon ein neuer Sturm
gegen den Heiligenberg. Der Erzbiſchof fam mit dem
Zandarafen Heinrich I. von Heffen in einem Krieg und
heffiiche Truppen erftiegen 1273 die fteile Höhe und zer=
ftörten Die Burg *).
Seitdem blieb Diejelbe in ihren Trümmern Tiegen.
Es wird wenigſtens in den zahlreichen Kriegen, welche Mainz
mit Heffen während des vierzehnten Sahrhunderts hatte,
ihr Name niemald genannt. Erſt in dem Kriege des Land—
grafen Hermann gegen Mainz, welcher in Folge der Er—
mordung des Herzogd Friedrich von DBraunichweig 1401
fih erhob, wird ber. Burg wieder gedacht. Landgraf Her-
mann fette fi damald in den Beſitz der Trümmer und
baute auf denjelben eine neue Feſte **). Auch nach Bes
endigung des Kriege blieb Dieje neue Burg in hejjiichen
Händen und wurde von den Landgrafen mit Amtleuten bejeßt.
Sp erhielten fie nach dem Tode des Landgrafen Hermann
durch deſſen Sohn Ludwig I. 1413 die Gebrüder Henne
und Hermann Niedefel auf ein Jahr Yang amtsweiſe über-.
geben. Im Jahre 1439 verlieh jedoch derfelbe Fürft Die
Burg Heiligenberg mit ihren Zubehörungen an Henne
von Wehren zu Mann= und Burglehen, Der Beliß der
von Wehren war aber nicht von Dauer, denn derjelbe
Henne gab bereit8 1453 die Burg wieder an den Landgrafen
zurüd und erhielt dagegen ben Hof zu Lembach, unfern
Homberg, nebft 6 Hufen Land, Gehölz ꝛe. Schon damals
war die Burg in fchlechtem Zuftande und fiher lag darin
auch Die Urfache, weshalb die heffiichen Fürften fich ihrer
ſpäter wieder entäußerten. Diejelbe gelangte nunmehr jo=
gar in Höfterlichen Beſitz.
Auf dem nördlichen Buße des Heiligenbergs hatte
um’3 Jahr 1223 das Kloſter Ahnaberg zu Kaffel ein Fi⸗
*) ibid. p- 746
**) &, oben S- 78, Anmerkung
83
Tialflofter, das Kloſter Eppenberg gegründet. Dies hatte
fich bis in's fünfzehnte Sahrhundert erhalten, war aber dann
in tiefen Verfall geratben. Der Krieg hatte e8 hart mit»
genommen: nicht nur feine Gebäude waren verfallen,
auch feine Ländereien Tagen unbeftelt und wüſt. Den-
noch hätte es dies bei feinem fonft nicht unanjehnlichen
Befite wohl noch überwinden können, wenn mit dem Außern
Berfalle nicht auch der innere fittliche Verfall feiner Be—
wohnerinnen Hand in Hand gegangen wäre. Der Zufland
erſchien unheilbar H.
Landgraf Ludwig erwirkte beim Papſte eine Kom⸗
miffion zur Unterſuchung, und dieſe bob, geſtützt auf bie
erhaltene päpftliche Vollmacht, das Klofter auf, verjeßte Die
vorbandene Nonnen in andere Klöfter, und übermwied die -
Gebäude des Eppenbergs mit allen Übrigen Gütern und
Gefällen dem Orden der Karthäufer. Dies gefchah 1440
und bald darauf nahmen Mönche dieſes ftrengen Ordens
die Stelle der feitherigen Nonnen ein. Indeß waren bie
Gebäude fo verfallen, daß beinahe ein völliger Neubau vor=
genommen werde mußte.
Diefem SKarthäufer Klofter nun übergab Landgraf
Ludwig II. 1471 fein Schloß den Heiligenberg mit
feinem „Begriffe, Bergk und Zeugehorunge, Hol, Eckern
*) Der Zuſtand wirb wörtlich wie folgt geſchildert; quod monaste-
rium monialium dieti loci — propter guerras terrarum steri-
litates et alios sinistros euentus qui partes illas hactenus
afflixerunt in suis eciam vetustate fere consumptis structurig
et edificiis ac eius possessionibus et bonis plurima dampna
et detrimenta suscepit adeo quod exinde quinque aut sex
ex illius tunc existentibus monialibus inibi remanentibus reli-
que earundem dictum monasterium exeuntes ad seculum
transuolarunt, quarum plures vitam inbonestam ac minus lau-
dabilem in huiusmodi seculo ducere non formidarunt prout
nec formidant eciam de presenti in religionis obprobrium
suarumque animarum pericalum ac peruiciosum exeınplum et
scandalum plurimorum.
6*
84
und die MWiefen im Heldal poben der Moelen vnd vnſer
Gerechtikeid an Derjelben Moelen und jr Zceubehorunge, die
vns jerlich getzinſet haid eyn Phunt, czween Hanen, vnd
drey Eckere Roddelant im Smalbach jn yrer Verſteynunge
vnd Feltmarke gelegen, die vns haben jerlich gegeben nuhne
Mutzſchen Roddegelt.“ Und dann heißt es weiter: „wir
gonnen yne auch ſich des Grundes nach yrem Willen zeu
gebruchen in dem Heldal poben den jtztgenanten Wißen
gelegen, den vnſer Vater ſelich yne gegeben hait zeu eyner
Dichſtede.“ Dagegen ſollte das Kloſter für ihn und die
Seinigen allwöchentlich in der Karthauſe oder „bewylen“
in der Kapelle auf dem Heiligenberg eine Seelenmeſſe
leſen *). Der Werth dieſer Schenkung beſtand allerdings
weniger in der Burg ſelbſt, als in den Zubehörungen der—
felben, die übrigens ebenfalls nur von geringer Bedeutung
waren. Die Burg war ohnehin ſchon damals nur nod
ein Steinbruch. Schon feit Iahren lag fie wüft und uns
bewohnt, Man erkennt da8 aus den Theilungs-Verhands
lungen, zwifchen den beiden Iandgräflihen Brüdern Lud—
wig I. und Heinrich II. von 1468, in welchen e8 wört⸗
lich heißt: „Heiligenberg und Sabbaburg die find beyde
wüfte von langen Jahren by vnſern alden Herrn fees.
ligen“ *), aljo jchon unter Landgraf Ludwig I., welcher be=
fanntlich 1458 ftarb, war fie nicht mehr bewohnt. Sogar
die allen Heiligen geweihte Burglapelle Yag zerfallen und
es wurde deshalb zum Zwecke ihrer Wiederherftelung kaum
fünf Wochen nach der Uebergabe der Burg bei einem in
x) Alles nach ungedrudten Urkunden. Durch dieſe Uebergabe und
die vorhergegangene Aufhebung des Nonnenkloſters wird Die bei
Winkelmann (II. S. 256) fih findende Sage erläutert, wonach
die Mönche wegen ihres unfittlichen Lebens vom Schloffe vertrieben
worben fein. Man erfieht daraus, wie bie Sage die Greigniife
durcheinander wirft.
**) Kopp, Bruchſtücke zur Erläuterung der deutſchen Geſetze und Nechte
l. ©. 59.
‘85
Regensburg vermweilenden päpftlichen Legaten ein Indulgenz⸗
brief erwirft, welcher allen, welche zur Wieberaufrichtung
ber Kapelle beitragen würden, einen hunderttägigen Ablaß
verwilligte. Die Kapelle wird darin capella omnium sanc-
torum in castro monte omnium sanctorum genannt. Sollte
etwa ſchon vor der Burg eine Kapelle auf dem Berge ge-
fanden und dadurch der Name defjelben entftanven fein?
Die oben ausgefprochene Bermuthung, daß der Berg früher
ſchon eine religiöfe Bedeutung gehabt, würde dadurch noch
eher verftärft, als geſchwächt werben.
Damit fchliekt die Gejchichte der Burg,
Die auf dem bei Dilih und Merian fich findenden
Bilde von Feldberg noch ftattlich dargeftellten Mauern find
gänzlich verſchwunden und blos die Grundmauern noch be-
merflih. Bon diefen zeigen fich nicht blos auf dem Gipfel
beutlihe Spuren, fondern auch noch Dicht unter demfelben
befindet fich eine mit Geftrüpp überwachſenen Vertiefung,
welche durch Einfturz der Keller fich gebildet haben mag.
Während des fiebenjährigen Krieges war der Berg
mehrmals Zeuge Kleiner Gefechte und die über dem Mittel-
hofe, unter der Karthaufe, noch fihtbaren Schanzen ent-
ftammen diefer Zeit,
VI.
Zur Erinnerung an Dr. ©. F. Löber,
vorhinnigen Pfarrer zu Wafenberg.
Bon SKard. Altmüller,
Pfarrer zu Ropperhaujen,
Am fünfundzwanzigften Bebruar dieſes Jahres wurde
nach längerem Siehthum ein Mann in ein höheres Leben
abgerufen, welcher durch feine Kenntniffe und Gaben, durch
86
den edlen Sinn und die Reinheit feines Character8 nad)
fo vielen Seiten hin ſich Liebe und Verehrung erworben
hat, daß auch ein fehriftliches hier ihm Öffentlich gewidme⸗
te8 Ehrengebächtniß nur ein gerechter Zoll erjcheint, der
den Manen des Dahingefchiedenen zu gewähren Dankbar—
feit gebietet. Und gerade in diejer unjerm heifiichen Ge—
ſchichtsverein dienenden Zeitſchrift mag dieſer Nachruf nicht
unpaſſender Weiſe Platz finden. Denn Carl Friedrich
Löber, Pfarrer zu Waſenberg und Dr. philos., gehörte
nicht nur dem Namen nach unter die Zahl der Mitglieder
des vaterlaͤndiſchen Vereins, feine Liebe zu unſerer ruhm—
würdigen Vergangenheit trieb ihn an, forſchend und ſam—
melnd thätig zu fein auf einem Gebiete, für welches ber
Berftorbene ganz beſonders befähigt erichien, welche Befä-
higung er in mehrfachen thatfächlichen Erweiſungen fund-
gegeben, fo daß er auch nach dieſer Seite hin fich auf Die
bier öffentlih außzujprechende liebevolle Erinnerung unjerer
Seits gegründete Anfprüche erworben hat.
Er war geboren den 26ften April 1799 in Schmal-
kalden, Sohn des dortigen lutheriſchen Inſpectors Friedr ich
Löber. Zuerſt beſuchte er die Stadtſchule und bezog nad)
tüchtiger ihm fpäter auch Seitens feineg gelehrten Vaters
gewährten Borbildung ſchon im 17ten Jahre die Univer-
fität Leipzig. Hier waren es philofophiiche, theologifche
und hiftoriiche Studien, denen er mit großem Eifer oblag.
Er hörte bei gefeierten Männern der berühmten Leipziger
Hochſchule. So bei Bed Kirchen- und Weltgejchichte, ſo—
wie egegetifche Eollegien, Erflärungen Virgils und griechi-
jcher Idyllendichter. Bei Heinroth hörte er die jenen gro—
gen Piychologen fo beſonders beichäftigende und von ihm
in ſo genialer Weiſe bearbeitete Anthropologie, forwie See—
lengeſundheitskunde. Des Domherrn Tſchirner Zuhörer
war er in der Moral und Religionsphiloſophie. Auch an
Roſenmüllers und namentlich Winers Vorleſungen nahm
er. regen Antheil, wie er des Letztern orientaliſche Varlefun-
87
gen’ bejonvers fleißig befuchte und bei ihm bie Stelle eines
jogenannten famulus verſah. Auch Gottfried Herrmann,
Wendt und Spohn zählten zu feinen Lehrern. Nach drei=
jöhrigem für ihn jehr gejegneten ‚Aufenthalt in Leipzig
ging er nach Marburg zur Landesuniverfität über und hörte
bier Creuzer, Juſti, Beckhaus und vor Allen Arnoldi. Nach
Haufe zurüdgefehrt warb er eine Zeitlang Gehülfe feines
Vaters. Nach einem Jahre aber begab er fich zum zweiten
Male in das ihm gleich einer zweiten Heimath lieb gewor⸗
dene Leipzig und verſah zehn Jahre lang die Stelle eines
Lehrers bei dem Mädcheninftitut des Profeſſor Lindener,
jowie als Lehrer bei der Kirchnerſchen Privatlehranftalt.
Hierauf hielt er fich ein halbes Jahr wieder in feinem
väterlihen Haufe zu Schmalkalden auf, von wo aus er bei
der neuen Organiſation der Gymnafien unſers Vaterlandes
die Stelle eines Lehrers an dem zu Hersfeld übertragen erhielt.
Hier auch war e8 wo er fich verheirathete mit Julie geb. Neu-
ber, in welcher Ehe ihm während ihrer 26jährigen Dauer ein
Sohn und drei Töchter geboren wurden. 1834 ward er als
Pfarrer nach Wafenberg verſetzt und befleivete die Amt big
zu feinem Tode. Er war feinen Kirchlindern ein treuer,
liebevoller Seelforger und Ächter evangelijcher Hirt, der den
Seinen in feiner engern Familie und Der größern Familie
der ftattlihen und ehrbaren Schwalmgemeinde folh ein
reiches, liebevolles Herz entgegentrug, daß fein ganzes
Weſen, ja fchon der ganze Eindruck feiner Außern Erfchei-
- ung ihn al8 wahlverwandt erfennen Tießen jenem Jünger,
der an ber Bruft des Herrn ruhete. Die Theologie des
Herzen? war daher auch die Seinige. Ireniſch durch und
durch vermied er alle excentrifchen Auffaffungen des Chri-
ſtenthums, die ihn einen Parteiftanppunft einzunehmen ge=
nöthigt hätten, eine Stellung von der er allem Repriftina-
tionsweſen, fowie aller Neologie abhold diametral feiner
ganzen Denkweiſe nach verichieden war. Alle confejliona-
liſtiſchen Herbheiten, alle ſcholaſtiſch-ſophiſtiſchen Spitfin-
88
digfeiten und Raiſonements widerftanden ihm, der zu jener
Anzahl von Theologen zählte, deren ganzes Sein und
Weſen getragen und gehoben war von dem milderwärmen=
den und verflärenden Teuer eines in Achter Liebe thätigen
Glaubens.
Loöbers Weſen hatte ganz die Signatur des ächt
Patriarchaliſchen und ihm war wohl in feinem Amt und
hei feiner Heerde. Er genoß hier das ftilfe bejeligende
Süd eines treuen Paſtors und von ihm, in dem auf an=
mutbiger Höhe über dem reizenden Schwalmthale gelegenen
Waſenberg thätigen Geiftlichen konnte man recht eigentlich
Jeſaias Worte ausiprehen „Wie lieblich find auf den Ber⸗
gen die Füße der Boten, die da Frieden verfündigen." a
hier mochte er erfahren von dem, was uns Sean Paul
über die jo anmuthig hingebrachten Tage feine8 unter dem
ftilfen Nordlichtichein Yebenden ſchwediſchen Pfarrers mit-
theift, was Goldſmiths Bilar, in den glüdlichen Stunden
mwenigftens, feine Lebens erfuhr,
Nicht zu überfehen ift bei ihm das Intereſſe, welches
er an den die Verbeſſerung und Vermehrung der Eultus-
formen unferer Kirche betreffenden Fragen nahm, wobei ihm
fein für Mufif und Poeſie gleich empfängliher Sinn zu
Statten fam. Er felbft arbeitete an liturgischen Formula=,
zen mit großer Emſigkeit. Mancher Gottesdienft warb von
ihm mit einem aus feinem für den Erlöfer begeifterten
Herzen fließenden Liede beſchenkt. Nicht wenig erfreute
den Berftorbenen der durch feine Bemühungen herbeigeführte
Beginn des Baues eine andern Gotteshaufes, das in gothi=
chem Styl aufgeführt hoch. fich fchon dem Himmel entgegen
zu wölben begann, als die treuen Augen defjen fich fchloffen,
der ſo ſehnſuchtsvoll der Vollendung entgegen harıte. So
ift der ftattlihe Bau, neben dem er ruhet, für ihm zur
Krypte geworden. Sicher aber wird das bald fertige Bau—
werk als ein lautes Denkmal deſſen daftehn, der überhaupt
piel Gutes gebaut und deſſen Herz jelbit ein Tempel war,
89
weit und geräumig für Die Liebe, welche nur aufbaut und
nicht niederreißt.
Seine Predigten waren einfach und herzlich und re=
beten wie fie aus dem Herzen kamen auch wieder zu ihm,
Bei der regften Sorgfalt, die er feinem Amte wibmete,
vergaß er nicht der mit Liebe auch fpäter noch gepflegten
Studien, Eine ficher werthvolle Arbeit hinterließ er als
Manufeript: „Unterfuchungen auf dem Gebiete thüringifcher
und heffiicher Urgejchichte”, worin es ihm beſonders auf
forgfältige Prüfung altelaffiicher Quellenjchriftfteller ankam,
Mit großer Mühe ſammelte er ferner alle auf die VBergan-
genheit feiner Gemeinde und die auf die firchlihen Alter-
thümer der Ortsfirche und Pfarrei bezüglihen Daten zu
einer genauen und gründlichen Chronik. Eine feiner letzten
Arbeiten war ein Manufeript, worin er den Zufammen-
hang von Sterntunde und überhaupt Naturwifjenichaft mit
ber geoffenbarten Religion umftändlich zu entwickeln be—
müht war.
Dabei hatte er Luft und Neigung zu gefelligem an=
tegenden Gefpräche mit feinen Collegen, die ihn als folche
Zuſammenkünfte belebenden, mild erheiternden Freund ſchätz⸗
tn. Ja man achtete ihn als den Freund alle8 Wahren,
Guten und Schönen!
Bei feiner Leichenfeier führte der ihm eng befreun⸗
bete Pfarrer Gundlach fein Bild der trauernden Gemeinde
und den die empfindliche Lücke fchmerzlich beflagenden Amts⸗
brübern treu und weihevoll vor Augen. Bewegend jchilderte
er die in chrifflicher Weile getragenen letzten Leiden des
Verftorbenen und das Ende, da auch bei ihm etwas dem
Stephanusblid in den aufgethanen Himmel Aehnliches hatte.
As eine Taube fich bei der Beerdigung in der Nähe ber
Gruft nieberließ, mußte ich unwillfürlich des fehönen Hei—
landswortes gevenfen „Seid ohne Falſch wie die Tauben.”
Dieß befolgte er. Und fo mag denn das have pia anima
und Allen ein Wort fein, was wir dieſer anima candida
890
gern, diefem wahren Nathanael ohne Falich, als Friedens⸗
gruß in die Friedensgruft deſſelben nachrufen. Ja, have
pia anima, sit terra ei levis! —
vi.
Beiträge zur beffifchen Ortögefchichte.
Mitgetheilt vom Arhivar Dr. Landau.
1. Borken.
Borken liegt am nörblichen Ende eined von Süden
ber ftreickenden niedern Bergrüdend, Es gehört zu den
am früheften in den Urkunden unſeres Landes genannten
Orten und war der Mittelpunkt eine8 ziemlich umfangreichen
Gerichts. Seine älteften bekannten Befiter waren die von
Borken, denn 1266 nennt einer derjelben die über dem
Dorfe gelegene Burg noch Die feinige (meum castrum).
Dieje Familie findet fi) ſchon frühe zahlreich gegliedert.
Sie war es auch, welche Dicht über tem Dorfe die Burg
gebaut hatte. Durch die Verehelichung einer Erbtochter
Antonie mit Heinrich Kraz von Boineburg kam Mitte des
Dreizehnten Jahrhunderts ein Antheil won Borken auf deren
Sohn Bolpert. Später zeigt fih die Familie jehr herab⸗
gefommen und erlofch gegen Ende des fünfzehnten Jahr⸗
bunderts. Auch war fie ſchon im dreizehnten Jahrhundert
aus dem Befike von Borken gefommen. An ihrer Stelle
finten wir 1297 tie von Löwenftein-Wefterburg, welche die
Burg damals zu heifiichem Lehen machten. Da jedoch auch
die Grafen von Ziegenbain Aniprüche hatten, einigten ſich
diejelben 1317 mit den heſſiſchen Landgrafen dahin, daß
Burg und Gericht beiden zur Hälfte fein follten. Ebenſo
machten keite damals das Dorf zu einer Stadt. Erft mit
dem Augjterben ber Grafen von Ziegenbain ging teren
Hälfte ebenjalld auf Heilen über (1450).
91
Als Landgraf Ludwig 1. Söhne ih in das Land
teilten, fam Borken mit Oberheſſen 1467 an Landaraf
Heinrich II. Aber bald erhob ſich zwilchen den Brüdern
Streit und auch Borken, welches 1468 erjt noch ftärfer be-
felligt worden, wurde von dem Bruderfriege ſchwer heim—
geſucht. Am 7. Januar 1469 wurde daffelbe von Land-
graf Ludwig II. erobert, Doch an demfelben Tage auch wie—
der verloren. Am 12. Januar erſchien derjelbe Fürft von
Neuem vor Borken, aber erit nad) jechstägigem Streite
gelang es ihm, Stadt und Burg zu erftürmen, und beide
wurden dabei in Ajche gelegt.
Wohl wurde die Stadt, nicht aber die Burg wieder
hergeftellt. Dieje blieb in ihren Trümmern liegen.
Diefe Burg lag dicht über der Stabt, nur wenig hd»
ber als diefe, und zwar Hinter dem jetzigen Renterei-&e-
baude, dem alten Renthofe der Burg. Man flieht jetzt von
ihr blos noch die tiefen Gräben, welche fie nach Auffen
umfchlangen, denn daß auch gegen die Stadt ein Graben
bergezogen, ift nicht zu erkennen. In dem Salbuch von
1543 ijt von „der alten Burg“ nur noch in der Weile die
Rebe, daß darunter nichts als die Burgftätte gemeint fein
kann. Auch ift der Burggraben damals ſchon mehrfach be=
baut, denn e8 werden Grundzinfen von Häufern theils „auf“
und „am,“ theils „im Burggraben” Tiegend aufgeführt. Eben
fo wird der „Burgmauer” dabei gedacht, Die demnach we⸗—
nigftens ftüchweife noch vorhanden war.
Den Renthof bezeichnet: das gedachte Salbuch als das
fürftlihe Haus „nach (wahrſcheinlich „nahe“) der. alten
Burg am Berge gelegen.” Schon 1584 klagte ber fürft-
Uche Rentmeifter über deſſen Baufälligfeit, aber noch 1587
begegnet man benjelben Klagen. Das Holzwerk war von
der Grundmauer gewichen und die Fruchtböden durchweg
geſtützt, fo daß man bei jedem heftigern Sturmwinde den
Zufammenjturz fürchtete. Doch auch 1592 war man noch
zu feinem Neubau gefchritten und der Rentmeifter wurde
92
dadurch genöthigt, fich eine eigene Wohnung in der Stabt
zu beichaffen. "
- Die Stadt Borken, deren Uebergang aus einem Dorfe
zu einer Stadt man deutlich noch in ihrer ganzen Anlage
erfennt, hat niemals Ningmauern gehabt, fondern wurde
blos von einem Walle und Graben und einem Hagen um—
Schloffen. Nur ihre Thore waren mit Thürmen bewehrt und
diejen Thürmen zunächſt mag auch ein Stüd Mauer fi
befunden haben. Doch fchon 1543 war der Stabtgraben
beinahe Durchweg den nächltanliegenden Bürgern überlaffen,
und von diefen bebaut, theils auch in Gärten verwandelt,
und Ende deſſelben Jahrhunderts ift. nur noch von dem
verfallenen Stadtgraben Die Rede. Eben fo war der Ha—
gen zum Anroden von Gärten (ven |. g. Haingärten) aus—
gegeben. Jetzt ift vom Graben nur noch wenig fichtbar.
Derielbe iſt geebnet und eine beträchtliche Strede durch
neu entjtandene Wohnungen überbaut. Die Zahl der Wohn-
häuſer betrug Mitte des ſechszehnten Jahrhunderts 146 und
hat fich feitvem etwa um 50 vermehrt. Um jene Zeit la—
gen in der Stadt vier abelige Burgfite, welche den von
Grifte, v. Dalwigk, v. Löwenftein und v. Urf zuftanden *).
2. Bie Altenburg.
Die rechte Thalwand des löwenfteiner Grundes wird
durch eine Bergmafje gebildet, welche, dicht über Dem rech—
ten Ufer der Schwalm auffteigend, fih von Bilchhaufen
bis Arnsbach ausdehnt und ihren Stod in der Alten
burg über Nieberurf, hat, Schroff und fteil erhebt fich
diefelbe von der Schwalm an 750 Fuß und bietet eine
ebenjo meite al8 prachtvolle Ausficht, welche nur weftlich
durch die höhern waldedifchen Berge und den Kellerwald
*), Was das bei Dilih und Merian neben der Stadt Borken Darge-
ftellte und fogar mit einem Thurme verjehene große Gebäude fein
ſoll, ift mir nicht begreiflih. Möglich, daß es den 2 Stunde von
Borken entfernten Hof Marienrode barftellen fol, Dann aber ift
derfelbe viel zu nahe gerückt.
93 .
bejchränft wird, Der ganze Berg ift mit Wald beffeibet,
Die Gemeinden Zweiten und Niederurf haben jede etwa
ein Drittel des Waldes, ein anderer Theil befindet fich im
Befite der von Baumbach und der Gemeinde Römersberg.
Was indeß diefem Berge ein beſonderes Intereſſe
gewährt, find die an ihm fich zeigenden Befeftigungswerfe.
Derfelbe ift nämlich von Drei ziemlich weit außeinander ge=
rückten Gräben ringgumgeben. Der oberfte Graben, wel=
her fich unter dem eben nicht geräumigen Gipfel hinziebt,
umfchließt einen Raum, deſſen größter Durchmefjer etwa
300 Rutben mißt. Diefem folgen dann in weitern Abjäben
die beiden andern. Die Tiefe der Gräben läßt fich durch—
fchnittlih auf 10 Fuß annehmen.
Wann und durch wen dieſe Gräben angelegt worden,
darüber fehlt jede Hiftorische Kunde. Zur Anlage einer
Burg des Mittelalter erjcheint Die Ausdehnung der Kinien
zu groß, da folche ſtets mit den immerhin nur geringen
Bertheidigungsmitteln im Verbältniffe ftehen mußten. 'Treis
lich ift auch der innere Raum der oberfteri Linie nicht ges
räumig genug, um ein größeres Heer in fich aufnehmen zu
fönnen. War der Ort etwa nur zu einer Zufluchtsftätte
für die umliegenden Orte beftimmt, wenn plötzlich feind-
lihe Ueberfälle ftatt fanden? Da dieſe Höhe weithin alles
Land überjchaut, war fie jedenfalls von hoher militairiicher
Bedeutung. Daß bier nicht Römer gelagert, wie man ge=
wöhnlich in der Umgegend erzählt, bedarf für den Kundi—
ger nicht bemerkt zu werden. Die Römer haben in unjerem
Lande, ich meine im eigentlihen Chattengebiete, nirgends fe=
fien Fuß gefaßt und dann find jene Linien auch nicht das
Wert einer Naht. Ohnedem hatten die römifchen Lager
auch ſtets fehr bejtimmte Formen. Was dieſe Annahme
hervorgerufen hat, ift ohne Zweifel der Name des auf dem
ſüdlichen Fuße der Altenburg gelegenen ehemals löwenftein-
chen Dorfes Römersberg. Aber diefer Name des Dorfes
hat mit den Römern nicht? zu fchaffen. Sch habe denſel⸗
” 94
ben big jest nicht früher als 1367 gefunden, und damals
wird er Remmerßhuſen genannt, was auf einen Per—
fonennamen hinweiſt. Erft im Anfange des vorigen Jahr—
hundert8 tritt der Name Römmersberg auf und beide
Namen laufen felbft im Kirchenbuche neben einander fort, bi8
endlich in ‚neuerer Zeit der letztere ſich im offiziellen Ge—
brauche eine ausſchließliche Geltung verfchafft hat, während
im Munde des Volkes auch jener immer noch nicht vers
geffen ift. Allen Anjcheine nach ift das Dorf erft im Mit-
telalter angelegt worden, gleich dem auf der nörblichen Ab—
dachung gegründeten Dorfe Blankenhagen oder Blanken—
hain, welches Ende des breizehnten Jahrhunderts zuerft
genannt wird, Eine alte Straße führte ehemals an oder
burch Römersberg und über die Abdachung der Altenburg
bin. Die Altenburg lag ganz im lömenfteinifchen Gerichts⸗
bezirfe, und die alte, diefen und das Amt Borken fcheidende
Landwehr ift noch jetzt zwiſchen Römersberg und den beiden
Dörfern Trocken- und Naffenerfurt fichtbar. Bon der Mark
des obengenannten Blankenhains gehörten drei Viertel’ zunt
Löwenſteiner Gerichte und ein Viertel zum Amte Borken.
3. Hiederurf.
Obwohl das Dorf Niederurf fchon frühe vorfommt
und feine Kirche ſogar der Sitz eined Erzprifterd war, fo
lernen wir die hiefige Burg doch erft 1272 fennen. Diefe
Burg war der Stammfiß der Familie von Urf, von welcher
fie. 1309 zu waldedifchen Lehen gemacht wurde. Sie liegt
auf einer niedrigen Erhebung am füdweftlichen Ende des
Dorfes, fo daß daffelbe von ihr beherrjcht wurde. Ueber
den Burggraben, welcher troden, aber tief eingefchnitten ift,
führt eine Brüde zu den Gebäuden, Bon diejen find jekt
eigentlich nur noch Refte übrig. Auf der einen Seite reihen
fich mehrere Gebäude aneinander, die andere nimmt ein
mit diefen parallel Iaufendes ſchmales Gebäude mit einem
95
. jeher hohen fteinernen Sockel ein, deſſen innere in hohem
Grade wüſten Räume zu ökonomiſchen Zwecken verwendet
werden. Zwilchen diefen Gebäuden gewiffermaßen eingeflemmt,
liegt eine wüfte vieredte Steinmaffe. Daß dieſelbe im
Innern Gemächer birgt, ift wohl kaum zu bezweifeln, doch
zeigt fich nirgends ein Eingang, und nur Der Darunter
befindliche Keller, welchen man den „Zodtenfeller" nennt,
it noch zugänglich.
Auch die ebenwohl etwas höher als das Dorf gele=
gene Kirche war befeftigt, wie bie in der Kirchhofsmauer
befindlichen Schießſcharten zeigen. Sonſt bietet das Gebäude
nicht8 Bemerkenswerthes dar. Die darin befindlichen Grab—
fteine find fammtlich zur Blattung des Fußbodens verwendet
und in Folge deſſen jo zertreten, daß ihre Inſchriften
unleferlich geworden find.
Das im Dorfe liegende Rathhaus befteht aus einem
fleinernen Erdgeſchoß und einem Holsftodwerl, An einem
Ballen fteht die Jahrszahl: Anno dni. 1577. Außerdem
find noch zwei neben dem Eingange eingemauerte Steine
mit Jahrszahlen verjehben. Auf dem einen ift das erfte
Menichenpaar dargeftellt, wie Eva den Apfel bricht, und
dies trägt die Jahrszahl 1535. Der andere Stein hat
bie Jahrszahl 1509 und zwei Wappenfchilder, von denen
das eine nicht mehr zu erfennen ift. Das andere mir unbe=
lannte ift ein der Länge nach in zwei Hälften getheilter
Schild; Die eine Hälfte ift der Länge nach mit Balken
. belegt; die andere Dagegen quer geſchieden und oben weiß,
‚ unten aber gleich der andern Seite mit Balfen belegt.
Die Familie von Urf findet fich feit 1160 in den
Urkunden, dieſelbe hatte jedoch nicht Die Gerichtsherrſchaft über
das Dorf, fondern nur einen Hof darin, auf welchem fie
ihre Burg erbaut hatte, und über den fie nur die gewöhn—
liche, jedem freien GutSbefiger gebührende Hofgerichtsbar-
teit über die Gutsangehörigen übte, und erft nach langen
Streitigkeiten erlangte fie während bes 16. Jabrh. auch
96
die Untergerichtsbarkeit über den ihr zuſtändigen noch jett |
die Freiheit genannten Dorfantheil.
Die ſämmtlichen Hofraithen des Dorfed find unge .
wöhnlich verbaut, fo daß die Häufer in feltener Weife
gedrängt ftehen. Darum find auch nur wenige Bauern
vorhanden und die meiften Yamilien befigen nichts weiter
als ihr Wohnhäuschen. Daß dieje Verhältniffe ſchon feit
ange bejtehen, erfennt man aus einem Berichte über einen
1692 ftattgehabten großen Brand.
Nachdem ein Reiter und ein Fußregiment Schweden
auf ihrem Durchmarſche zwei Nächte im Dorfe gelegen
und frühe am 30. Mai weiter gezogen waren, brach Nach-
mittagd euer aus und legte, von einem friichen Winde
getrieben, ungeachtet der Hülfe der benachbarten Gemeinden,
einen großen Theil ded Dorfes in Aſche, ohne daß etwas
gerettet werden fonnte. Verbrannt lagen der Pfarrhof,
43 Wohnhäufer und 11 Scheunen*). Dies Mißverhältniß
zwiſchen der Zahl der Wohnhäufer und der Scheunen, zeigt
zur Genüge, daß auch jchon Damals den heutigen Ähnliche
Buftände vorhanden waren. |
4. Bie Hundsburg.
Gegen Norden wird der löwenfteineer Grund durch
zwei bewaldete Berge gefchloffen, Durch welche die Schwalm
hindurchftrömt. Beide find nahe aneinander gerüdt und
geftalten ſich damit zu einer malerischen Pforte. Der rechts
ift der Kuhberg, ein Ausläufer der Altenburg. Er gehört
zum Dorfe Arnsbach und erhebt fih 500 Fuß über Die
Schwalm. Der diefem gegenüber aufiteigende um 25 Fuß
geringere Berg hat den Namen die Sundsburg Es
*) Das Kirhenbud nennt den 30. Mai, ein mir vorliegender
vom 6. Juni ans Kaffel datirter Bericht den letzten Montag.
Dies würde der zweite Juni ſeyn. Welches nun der richtige Tag
if, muß ich dahin geftellt ſeyn Iaffen,
97
iR eine im Volle viel verbreitete Meinung, daß bier bie
Burg der Familie Hund geftanden habe. Diefelbe ift jedoch
twig. Die Hund haben hier nie eine Beligung gehabt.
Da Berg gehörte vielmehr von jeher zum löwenfteiniichen
Gerichte und nur das zum Amte Borken gehörige Keriten-
kaufen hatte (und zwar ſchon im 16. Jahrhundert) einen
Intheil von geringem Umfange daran. Man Ipricht zwar
von Befefligungen auf dem geräuntigen Plateau des Berges,
ich felbit habe jedoch feine Spur davon zu finden vermocht.
Auch in frühern Sahrhunderten ift ftet8 nur vom Berge
die Rede. Im Jahre 1347 heißt es mons Hundisborg,
1447: „der Berg Hundesborg“ *).
Das Einzige was man von Gräben weiß, find Land—
wehren. Sp ſah man noch im Anfange des vorigen Jahr⸗
hunderts eine Landwehr, welche fi vom Kuhberge herab |
und jenfeit3 an ber Hundsburg hinauf zog. Da Kerften-
haufen noch zum Gerichte Borken gehörte, fo Tonnte Dies
nicht bie eigentliche, wenigſtens nicht die urjprüngliche Land⸗
wehr der Gerichtögränge fein, denn Die Gränze zwiſchen dem
Gerichte Borken und dem löwenfteiniichen Zweiten 309 fich
oberhalb Kerftenhaufen am Lorbache hinauf und hier wird
im Sabre 1543 auch wirklich noch „ver alten Landwehr“
gedacht.
Mebrigend wurden bei der Anlage der Straße von
Kerſtenhauſen nad Fritzlar im Jahr 1803 und 1804 (da
wo jet der Chauſſéeſtein Nr. 122 fteht) mehrere Hünen⸗
gräber blosgelegt und Urnen gefunden, und noch unberührte
Tobtenhügel befinden fich unfern davon am Sunfernberge,
zwiichen Rothelmshauſen und Kleinenglis.
5. Der Wehrgraben.
Zwiſchen Merkshaufen und Elm&hagen, und Sand
und Riedenftein lagern fich über dem linken Ufer des Baches
*) Landau, Beichreibung bes Heſſengaues S. 185.
VI. Band.
98
Ems mehrere mit einander verbundene Baſaltkuppen, dicht
bewaldet und reich mit Klippen geſchmückt. Die ſüdlichſte
iſt der 1301 Fuß Hohe Emſerberg; an dieſen ſchließt
fich 1450 Fuß hoch die Altenburg, und daran 1469 Fuß
hoch Der Tallenftein mit den Trümmern feiner 1348
wenn nicht neu erbauten, Doch erneuten Burg. Die beiden
|
|
Zegtern mit dem weiter nördlich ſich erftredenden Walde *) °
werden ſchon im Mittelalter und fo auch noch jegt unter
dem Namen des Reichenbachs zufammengefaßt, ohne
daß man einen Bach dieſes Namens nachzuweilen vermag.
Was zunächt die Aufmerkſamkeit ſeſſelt, find bie ar
Diefen Bergen fich binziehenden Befeltigungslinien.
Schon an der Weltjeite des Emſerberges (norböftlich
von Merföhaufen, und füpöftlich von Sand) begegnet man
am Fuße des Berges einer in gerader Linie von Süden
nad Norden ziehenden etwa 600 Schritte langen aus
zufammengetragenen rohen Bafaltblöden gebildeten Stein
maner, ohne Daß irgend ein Graben oder ein Aufwurf
damit verbunden ift.
Die eigentlichen Gräben Tiegen jedoch an der öſtlichen
Seite der Berge und laufen mit jener Mauer beinahe
parallel. "Sie beginnen auf dem fühlichen Fuße des Em-
ferberg8, ziehen auf dem öftlichen untern Abhange deſſelbeu
hin, durchichneiden Die Thalbucht zwiſchen diefem Berge
und der Altenburg, fchlingen fich dann um deren ſüdöſtlichen
Abhang herum und enden an dem ſüdöſtlichen Fuße des
Falkenſteins, indem fie bier eine geringe Erhöhung von der
*) „Bei den ſechs Eichen” ‘genannt, weil dort ſechs ans einer Wurzel
entjproffene Eichen ftehen. Der Durchmefjer der einzelnen Stämme
beträgt 6—7 Zoll. Eins andere durch ihr Alter ausgezeichnete
Eiche befindet ſich "tin Wehrhöfge, rechts an dem Wege von Bal-
horn nad Merlshanſen. Dieſelbe mißt im Durchmeſſer 11 Fuß
and hat 33 Füß im Umfange. Sie iſt äußerlich noch geſund
tb breitet fich in drei gewaltigen Aeſten aus, Beier‘ hatte fie
beren mehr, aber einige find abgebrochen,
99
Öftlichen Seite hadenartig umfchlingen, fo daß dadurch dieſe
Erhöhung bie Form einer runden Schanze erhält. Zumeift
beftebt dieſes Werk aus einem 5—6 Fuß tiefen Graben
web einem 10—12 Fuß breiten Aufmwurfe, und nur bin
zoh wieder. findet man Die Linie in der Weiſe verdoppelt,
daß der Wall auf beiden Eeiten von Gräben eingeichloffen
M. Die ganze Länge des Werkes beträgt über brei Vier—
glftunden Wege. Sein Name ift der Wehrgraben.
Da jeder hiftoriiche Anhaltepunkt für die Beitimmung
der Zeit und des Zweckes der Schaffung dieſes Wehrgrabeng
fehlt, jo ift natürlich das Feld der Vermuthungen unbe=
gränzt, und ich finde e8 darum: gerathen, diefe dem Belieben
eines jeden zu überlaffen. Nur das will ich bemerken, daß
an einen gewöhnlichen Lantwehrgraben aus dem Grunde
nicht wohl zu denken ift, weil da8 Werk nirgends mit einer
Sränze zufammenfällt*).
). Im J. 1535 wurde nad längeren Ötreitigleiten zwiſchen dem
Hospital Merkshaufen und ber Stadt Nievenftein eine Walvfcher-
bung vereinbart: „nemlich und alfo, erftlich ift zwiſchen dem
Pfoffenhoig und dem Embferberge — eine Schueife und Anwen-
dung gebogen und gemacht worden, nemlich oben vom Emferberge
— — ſtraks die Schueife hernidder nad) dem Forth, dadurch der
Budensberger Wegk geht unten an das Pfaffenholtz, da zwifchen
ben oben herab bis hernidder in das Pfaffenholk etliche Beume
getgeichnet fein und follen zu Wettertagen, aljobald man das thun
Ian, zwiſchen follichen geßeichneten Beumen von oben herab bis
hernidder vier Vffwurff gemacht werben, bie follihe Schneife zu
‚ewigen Tagen von einem Vffiworff zum andern zeigen und ausmweifen,
und follen die Vorfteher zu Merrhaufen dere Vffworff zwene und
die von Nidenftein auch zwen machen laffen und was dann zwiſchen
dem Pfaffenholg und follicher neuen Schneife liegt, das fal ver
von Nidenfteyn erblic und ewiglich gleich dem Pfaffenholt pleiben,
besgleichen was vff ber andern Seiten ber newen Schneifen gelegen
1, das fal bei dem Epital und Haufe Merrhaufe erblih und
ewiglich bleiben.
Daß dieſe Aufwürfe mit dem Wehrgraben nicht identiſch find,
ergibt ſich nicht nur daraus, daß die Schneife von ber Höhe bes
Emjerbergs herab nach bem Fuße des Piaffenbolen i. die Als
100
Auch die alte Straße von Gudensberg nach Wolfs
bagen laͤßt den Wehrgraben unberührt, indem fie - öftlich
an demſelben vorübergeht.
Daß die Altenburg, deren Plateau etwa 60 Morgen
umfaßt, früher befeftigt geiwejen, davon habe ich nirgends
Spuren zu finden vermocht.
6. Ber Wartberg 7).
Zwiſchen den Dörfern Kirchberg und Gleichen, eine
Stunde weſtlich von Gudensberg, erhebt fich von der feinen
Fuß beſpülenden Ems eine beinahe regelmäßig geformte
koniſche Baſaltkuppe etwa 300 Fuß empor, deren glatte
grüne Nafenflähe nur an einigen Stellen von hervortre=
tenden Felfen unterbrochen wird. Auch auf dem Gipfel,
deſſen Fläche übrigens ſehr beſchränkt ift, gebt der Bafalt
zu Tage. Während die Abhänge des Berges jetzt auch nicht
einen Strauch) mehr tragen, war dies früher Doch anders.
Sin einem DBerzeichniffe der heffiichen Waldungen, aus ber
legten Hälfte des jechSzehnten Sahrhunderts, wird der Wart-
berg als ein den beiden anliegenden Gemeinden Kirchberg
und Gleichen zuſtehender |. 9. „Halbergebrauchs-Wald“ aufs
geführt. Es ift diefer Wald indeß ficher fein Hochwald
geweſen. Man erfennt dies auch aus einem am Hofgericht
zu Marburg zwiichen Bernhard Hund, als Gericht&herrn und
Dertreter der Gemeinde Kirchberg, mit der Gemeinde Glei—
tenburg (in einem Berzeichniffe der niedenfteiner Walbungen aus
dem 17. Zahrhundert heißt es: „Die alte Burg genannt das Pfaffen-
bolg“ und „das Pfaffenholg jampt dem Gehölg vmb die Altenburg“)
geht, ſondern auch daß vier Aufwürfe gemacht werden follen. Dies
genügt, um zu zeigen, daß der Wehrgraben mit dieſen Gränz-
gräben nichts gemein hat, Ya, die vier Gräben jcheinen ver-
ſchwunden zu jeyn, man hätte mich jonft gewiß darauf aufmerkſam
gemadit.
*) Der Ausihuß des Bereins verdankt die Hachrichten über die Aus-
grabungen an biefen Berge ber gütigen Mittheilung bes Herrn
101
dien von 1604—1612 wegen „der Hudtweyd mit Schaffen
und fonftet“ am Wartberge geführten Rechtöftreite, wobei
mehrfach „des Bergs und Gehölze“ gedacht wird. Und
auch noch jebt erinnern fich ältere Leute, daß der Berg mit
Gehüfch, vorzüglich Wacholder= und Hafelfträuchen, beflei=
det geweſen iſt.
Ungeachtet dieſer Berg nicht die geringſte Spur ir⸗
gend einer Befeſtigung zeigt, wozu auch der beſchränkte
Raum ſeines Gipfels ſich kaum geeignet haben würde, ſo fragt
es ſich doch, ob man aus dem Namen nicht ſchließen dürfe,
daß einſt auf der Höhe ein Wartthurm geftanden *). Spu⸗
ren davon zeigen ſich freilich nicht, auch glaube ich mit
Sicherheit annehmen zu können, daß gegen Ende des ſechs⸗
Ober⸗Forſtmeiſters v. Buttlar zu Riede und des Herrn Landraths
Weber zu Fritzlar, und er beauftragte den Berichterſtatter, die Sache
an Ort und Stelle näher zu unterſuchen.
* Daß nicht etwa eine Burg bier geſtanden, läßt auch eine Urkunde
von 1344 fchließen, welche die Familie Hund als Befiger von Kirch-
berg den Landgrafen ausftellten. Darin beißt es: „Daz wir Die
Kirchen und den Kirchof czu Kirchberg nicht our wert buwen fol-
len, aljo daz fi der Bu czw burglichem Buwe getzihen muge, ez
en were ban von Geheiffe und mit gubem Willen des worgenanten
ones Herin von Heſſin vnd finer Erbin, vnd were ez, daz Yman,
wer he were, Her adir Man, der bie Kirchin vnd die Kirchhof bu⸗
wen wolde, des Vyende follen wir fin mit vnſerm vorgenantin
Herin von Heſſin vnd mit finen Erbin als werre uns Lib und Gud
gewerin mag vnd en follen ons nimmer gefunen 1toch gefrieben,
noch keinerleyge Scaczunge mit dem ane gen an Wißen ond Willen
des vorgeichribenen vnſes Herin von Heſſin vnd finer Erbin.”
Alſo auch nicht einmal ben Kirchhof in ber Weife weiter zu be-
feftigen, daß berjelbe zu einem burglichen Baue fich geftalte, mußte
fih hierdurch die Familie Hund verpflichten, und begreiflich Tann
darum noch viel weniger an eine Burg auf dem Wartberg gedacht
werden.
Uebrigens war das Dorf ſelbſt befeftigt. Es wurde von einem
" Graben und Hagen eingefchloffen, welcher aber ſchon im fechszehnten
i Jahrhundert größtentheils verbaut war,
102
zehnten Jahrhunderis, we ter Rame des Berges ſich zuerſt
findet, ein folcher Thurm nicht mehr vorhanden war. Ä
Diefer Berg gewinnt em befonteres Intereſſe, indem
er fich als eine Zundgrube ſehr verichiedenurtiger Gegen-
flände der Bergangenheit ergibt.
Schon am 2. Rovember 1818 fand auf dem Gipfel
beim Steinbredgen ter Borjieher Holzjerfier aus Kirchberg
ein Banzerhemd, welches isı Mujeum zu Kaſſel auibewahrt
wird. Daſſelbe it bis auf die ſtark zeriehten Ränder noch
wohl erhalten Es it einer Jacke ähnlich und beiteht aus
einzelnen Kleinen eijernen Kingen, welche jämmtlich geuietek
fine. Ganz und gar allen andern Panzerhemden gleich,
welche man auch ſonſt in den Waffenſammlungen findet,
gehört dafjelbe demnach dem Mittelalter an. Aber wie fam
e3 hier her? &3 gehörten jolche Panzerhemten zu ten theu=
erſten Rüjtungsftüden, und es läßt fich nicht wohl anneh—
men, daß man ed hier blos verftedt habe. Sollte dieler
Fund nicht eben meine oben auf den Ramen de3 Berges
geftügte Vermuthung von einem bier befindlich gewejenen
Zhurme zu beftärten geeignet fein? Es ließe ſich nämlich
annehmen, daß bei einer gewaltiamen Zerſtörung des Thur⸗
med das Panzerhemd unter den Trümmern verjchüttet wor=
den ſei.
Zu einer fpätern Zeit wurden ebenwohl beim Stein-
brechen auf dem Gipfel 20 Stüd Goldmünzen von den
Arbeitern gefunden. Man fagt, e8 feien römiihe Münzen
geweſen; e8 ift mir indeß nicht gelungen, ein einziges Stüd,
oder auch nur eine zuverläfige Kunde davon aufzutreiben.
Ein ander Mal, etwa vor 30 Jahren, fand ein Ar-
beiter im Zelde bei Kirchberg, beim Ausdrefchen de8 Samens
eine Goldmünze, welche ich jelbft noch jüngft in der Hand
gehabt habe. Es ift ein trefflich erhaltenes Stüd, 21 Tara
tigfein und von 3 Thlr. 12 Sgr. Werth. Der Avers zeigt
das Taiferlihe Bruftbild mit der Umſchrift: DN Valenti-
nianus P. F. Aug. Der Reverd das, in ber Linken eine
103
Bietoria, in der Rechten das Labarum haltende, Standbild
des Kaiſers mit der Umſchrift: Restitutor Republicae.
Sa diefem J. (1859) gaben uns nun, wie fchon oben
bemerkt, Herr Landrath Weber zu Fritzlar und Herr Ober
forftmeifter von Buttlar Nachricht von neuen Auffindungen
om Wartberg. Durch wunderliche Träume veranlaßt, hatte
ber alte Sattlermeifter Knierim zu Kirchberg im v. I. an
ven Abhängen zu graben begonnen und war dabei auf zahl-
Iofe Knochen, Scherben ıc. geftoßen. An den Stellen, wo
Knierim ‚gegraben, fand fi die 1—2 Fuß über dem Ba-
laftgerölle gelagerte Erdſchicht mit derartigen Reſten an-
gefüllt, und daſſelbe ergab fich auch bei einigen weiteren
Berfuchen, welche ich vornehmen ließ. Gefunden haben fich
bis jebt: |
1) 6 Stüd kleine Aexte von Grünftein, von denen daß
in den Befit des Verein gelangte 4” lang, "/," did
und faum 1” breit ift.
2) Achnlich geformte Stüce von Zeuerftein. Beide find
ſehr roh gearbeitet.
3) Spitz zugejchliffene Knochen, fo daß ſie Pfeilipiken
ähnlich find, 3’/,,” Yang.
4) Ein metallener Stift, in der Stärfe einer Feberfpule,
mit einem Oehr, wahrſcheinlich ein Zierrath von ei⸗—
nem Pferdegeſchirre.
5) Zahlreiche Stüde von unverfenntlich jehr alten Urnen.
Einzelne Stüde find auf ihren Flächen verziert, an-
bere haben am obern Rande ?/,” von einander ent⸗
fernte, runde '/,” weite Löcher zum Durziehen von
dünnen Striden.
6) Hirſch⸗ und Rehgeweihe in Menge, aber ſämmtlich
zerbrochen; bei einem Stüde bemerkt man deutlich,
daß es zur Erleichterung des Zerbrechens eingeferbt
worben ift.
Hahlloſe Knochen ber verfchtedenften Art. Man er-
lennt barunter namentlich Knochen von Pferden und
104
Rindvieh. Ebenfo finden fich viele Zähne und ins⸗
befondere auch Hauer von Schweinen; desgleichen
ein Horn von einem Ochjen oder einer Kuh. Da=
zwilchen finden fich auch Scherben von Töpfen, welche
unzweifelhaft einer fpäten Zeit angehören.
Vergebens ſucht man nach einer Erflärung, wie dieſe
heterogenen Dinge, römiſche Münzen, germanijche Ajchen-
urnen und mittelalterliche8 Rüftzeug, bier zufammen ges
fommen find. Da zu Valentinians Seiten und fpäter rö-
mifche Truppen nicht mehr bis in diefe Gegenden vorge—
drungen find, fo müffen die römischen Münzen wohl durch,
den Handel oder durch Beute, oder auch Durch germanifche,
aus dem römiſchen Dienjte in die Heimath zutückkehrende,
Söldner ins Land gekommen ſein.
Aber zu was diente in älteſter Zeit dieſer Berg? Zu
einer Grabſtätte ſchwerlich. Die Abhänge erſcheinen zu ſteil
dazu. Eher bin ich geneigt, hier eine Opferftätte zu ſuchen.
Dagegen pricht jedoch, daß ſich an allen bis jetzt gefunde-
nen Gegenjtänden nicht die geringftien Brandipuren ent-
deden laſſen.
T. Gudensberg.
Die Stadt Gudensberg hatte gleich wie viele andere
Städte während des Mittelalters eine Erweiterung, eine
Neuſtadt oder |. g. Freiheit, erhalten. Dieſelbe ſchloß
fich nördlich an die Stadt und wird 1356 zuerſt genannt und
in einer Weife, daß man daraus auf eine noch jugendliche
Anlage jchließen muß. Im Sabre 1361 finden wir diefe
Neuſtadt bereit mit einem eigenen Bürgermeifter und Rath
jowie einem eigenen Siegel verfehen, und 1372 den Rath
aus ſechs Schöpfen gebildet. Noch 1377 wird „Eurb von :
deme Saleze, Burger vff der Fryheyt zu Gudensberg“ ge⸗
nannt und auch 1382 noch eine Urkunde „myb der Stab
. 105
Ingeſigil vff der Fryheyt czu Gudinsberg“ befiegelt *).
Seitdem verjchwindet dieſe Anlage wieder und es ift wohl
feinem Zweifel unterworfen, daß fie bei der Eroberung der
Stadt Durch den Erzbiichof von Mainz im Jahre 1387 für
immer zu Grunde ging. Nur der Name „die Freiheit“
blieb an der Stätte haften, welche fchon im ſechszehnten
Sahrhundert von Gärten eingenommen war.
Senfeit3 des Burgberge8 am Maderbache wird in den
Urkunden haufig eines Thiergartend gedacht, Doch ftet8
nur noch als einer örtlichen Bezeichnung. So ift 1316
von II. agris cum dimidio sitis prope Tyrgarten die Rede,
und andere Urkunden reden von Gärten im Thiergarten,
4 B. 1404 „mynen Gartin, der gelegen iſt vor der Stab
zu Gudinsberg in dem Tyrgartin.“
Nachträge zur Reihenfolge
derjenigen Perſonen, welche den Nonnenklöſtern
Egeſtorf, Fiſchbeck, Möllenbeck, Obernkirchen
und Rinteln vorſtanden.
Bon E. F. Mooyer in Minden,
Sm fechften Bande dieſer Zeitichrift Tieferte ich (von
&.292—305) die obenangeführten Verzeichniffe. Ich würde
damals auch über da8 eine Zeitlang in Hemaringen be—
ftandene Nonnenklofter (S. Petri, ord. S. August. dioec. Mind.),
worüber ich im Mindenſchen Sonntagsblatte Jahrg. 1852,
*, Das Siegel zeigt einen Helm, beffen Zier links einen Löwen von
ber Bruft an, doch ohne die Taten, rechts eines ber Tandgräflichen
mit Kfeeblätter bejetsten Büffelhörner zeigt. Die Umſchrtift ift: S.
noue ciuitatis Gudensberg.
106
S. 29 Nachrichten gegeben, einige Mittheilungen gemacht
haben, wenn mir bi8 dahin irgend eine Perfon dem Ras
men nach befannt gewejen wäre, welche dieſem Klofter vor⸗
geftanden hätte, Erſt jest jehe ich mich in den Stand ge-
jeßt, für die Sahre 1451 und 1452 einen Propft Bern-
hard Blekenoghe nachzuweiſen, deſſen Name auch in
einer, vor einigen Jahren in Paderborn aufgefundenen, noch
nicht gebructen Originalurfunde des mindenjchen Domka—
pitels vom Jahre 1415 vorkommen fol, wobei jedoch, was
die Sahreszahl anlangt, ein Irrthum (vielleicht ftatt 1451)
untergelaufen fein Dürfte.
Im Nachſtehenden gebe ich die, ſeit der erſten Mit⸗
theilung aus den feit jener Zeit von mir eingeſehenen un⸗—
gedructen Urkunden entlehenten, Berichtigungen und Ver—
vollitändigungen der oben angebeuteten Derzeichniffe,
E. Egeftorf (au Marienthal, vallis b. Mariae genannt).
a. Trierinnen.
©. 292. Eliſabeth v. Alten 1316,
Zucie v. Wend ericheint jchon 1520 und noch 1528 im
Amie, Ä
| b. Pröpfte.
©. 293. Johann v. Herford wurde 1523 er⸗
wählt und kommt noch 1528 vor.
Eu. Fiſchbeck.
a. Achtiffinnen.
Adekheid II. wird auch 1284 erwähnt,
Margaretbe (1) 1393, 9. Oktbr.
Matbilde erſcheint auch am 6. Janr. 1428.
©.294. Kunigunde Lurkundet noch am 10. Ib. 1446.
Kunigunde II. v. Zerjen wird aud) am 29. Septbr.
1521 angeführt.
Marie IL v. Zerſen desgl. am 24. Juni 1540 und
16. Mai 154
Katharine II. Rottorf desgl. am 21. Mai 1559.
107
Bon den Vißbecker Aebtifiinnen erjcheint die nach
Hynek in Urkunden noch nicht nachgewiefene (?) Catha-
rinavonRottorp zweimal in Schulbbriefen der Schaum-
burger Landichaft, nemlich unter dem 31. Juli 1566 und
vem 7. April 1572,
c. Triorinnen.
©. 295. Adelheid III.v. Heidelbed (Heylbeke)
1446 10. Febr.
Margarethel.v. Alten erjcheint noch am 24. Juni 1540.
Margarethe IL Hadewich desgl. am 21. Mai 1559.
III. Möllenbedh.
Die Reihenfolge der Priore, nach Aufhebung des
Nonnenklofters, ift nicht angegeben, da fie fih in Paulus
Geichichte des Möllenbeder Kloſters findet.
a. Aebtiffinnen.
‚©. 297. Kathbarine von der Lippe. 1440 Aug.
EV. Obernkirchen.
a. Triorinnen.
©. 301. Helenev. Benfen (Bennexen) erſcheint
auch am 29. Septbr. 1521.
Mathilde, welche mit dem Propſte Johann in einer
Urkunde des Klofterd Loccum auftritt (Urk.Archiv des SI.
Loceum, von v. Hodenberg. S. 344, Nr. 557).
c. Pröpſte.
©. 302. Heinrid I. kommt urkundlich ſchon am
9. Sanuar 1279 vor.
©. 303. Ludolf Dene erſcheint noch am 27. Juli
1485, weshalb der in Klammern eingefchloffene Rudolf
Hogelka wohl ausfallen dürfte,
Johann IV. Buſſe wird auch am 29. Septbr. 1521
genannt.
108
V. Rinteln.
a. Aebtiffinnen.
Gerburg 1324. 8. Apr., vielleicht Aebtijfin.
Neinhild 1342. 5. Dezbr., 1360 12. Apr.
Hildegunde v. Gandersheim 1406. 8. Dezbr.
Kunigunde v. Heejen jchon 1426.
Salome Krenteler bereit3 25. März 1442.
Adelheid v. Arnheim erjcheint auch 1476. 29. Novbr.
und 1503. 3. Mai.
MWalburg 1506 26. Janr.
Mathilde II. Platte 1517 10. Iuli, aud 1521. 29.
Septbr., 1532. 22. Apr., 1543. 12. März und nody 1547.
21. Septbr.
b. Priorinnen.
©. 304. Gertrud Lv. Hameln 1345. 1. Mai,
auch 1342. 5. Dezbr.
Katharine Bade 1347. 21. Sept.
Gertrud (Druda) II. v. Barkthaufen 1552. 14. Novb,
und 1554. 27. Juni.
Dorothea Hadewich 1556. 9. Apr. und 1560, 1. DHb.
c. Pröpſte.
Heinrich II. v. Bardeleben 1280. 23. Juni und noch
1282. 19. Septbr.
Johann II. v. Minden 1324. 8. Apr.
german 1. 1339. 11. Novbr.
obann IV. (nit III) v. Rottorf 1344. 8. und 15.
Septbr., war 1345. 1. Mai verjtorben.
S$obann V. 1345. 1. Mai.
german II. (nicht 1.) 1353.
rnſt Scleper, auch Sleper genannt, 1434. 28. Tebr.
Heinrich IL. Badetfen noch 1470. 30. Janr.
S. 305. Heinrich IV., auch Kargher genannt,
„der noch am 30. San. 1470. Kirchherr in Hattendorf war,
fommt auch 1476. 29. Octbr. und 1479. 16. Juni vor.
Hermann II. ſetze II.
Eine Elifabeth (Ilse) v. Zerner erſcheint 1563.
21. Apr. als Kelnerin.
109
VIII.
Die heſſen-kaſſelſche Kriegsmacht
unter dem Tandgrafen Karl bis zum Frieden
von Ryswick 1697
in Bezug auf ihre allmählige Entftehung,
‚Öliederung, Bewaffnung, Bekleidung, Sold-
und Diseciplinar-Verhältniſſe und tactiſche
Ausbildung,
Die nachfolgende Darftellung der allmähligen Errich-
tung ſtehender Truppen in Helfen und deren Gliederung
und innere Berhältniffe, bildet eigentlich den I. Abſchnitt
eines größeren, jedoch aus Mangel an authentiſchen Quellen
noch nicht vollig ausgearbeiteten Werkes, welches den Titel:
„Die Hefjen in den Feldzügen von 1688-97“
führen würbe.
Eine Beröffentlihung dieſes Abſchnittes bes genaunten
Werkes dürfte gleichwohl nicht nur an ſich manches In⸗
terefiante darbieten, fondern auch noch in mehrfacher Bezier
hung als im hoben Grade zeitgemäß fich darſtellen.
Ber naͤmlich könnte nach ber jüngiten Märzrebe Louis. Na⸗
VIIB. Band.
\ 110
poleons noch an eine Sphinx auf dem franzöfifchen Kai—⸗
ferthrone glauben?, da e8 doch nicht möglich ift,. deutlicher
zu veritehn zu geben, wie tie Zeiten des Studium der
blos ideellen Schmerzensichreie vorüber und nunmehr
das Studium der — natürlichen Grenzen an die
Reihe gekommen ſei. Was könnte ſomit auch zeitgemäßer
erſcheinen, als einen Rückblick auf jene Zeit zu werfen, in
welcher es Ludwig XIV. gelang, in Folge der Uneinigkeit
und "der dadurch herbeigeführten Schwäche der deutſchen
Staaten, zunächſt durch das Medium feiner Reunions⸗—
Kammern, feſten Fuß am Oberrhein zu faſſen, wodurch
ben eben angekündigten Studien über bie natürlichen Gren⸗
zen Frankreichs eine jo vortrefflihe Handhabe dargeboten
wird? |
Wer auch wäre fo verblenbet, zu wähnen, daß e8
diesmal wieder wie vor 20 Sahren mit dem bloßen Sange:
„Sie follen ihn nit haben den freien (9 deut-
ſchen (D) Rhein" abgethan fein werde? Damit der Rhein
Deutichlands Strom bleibe und nicht Doch noch endlich
Deutſchlands Grenze werde, wird vielmehr, aller menſch⸗
Yichen Vorausficht nach, ‚in nicht ferner Zeit viel edles 3 ht
| vergoſſen werden müſſen.
Um ſo zeitgemäßer aber auch if eg, nachzuweiſen
wie unter jenen deutſchen Fürſten und jenen deutſchen
Staaten, welche zeitig das ihrige gethan haben, um zu
verhindern, daß es jemals dazu kommen möge, das kleine
Heſſen und: fein Landgraf Karl mit voran in den Vorder⸗
reihen geftanden hatz wie denn überhaupt Heſſen-Kaſſel
vielleicht der einzige. deutſche Staat ift, der in dieſer Bezie⸗
Yfig-ganz rein und: frei vom aller Schuld bafteht und ſo⸗
111
mit auch nur darauf Bedacht zu nehmen haben bürfte, ven
ülten Ruhm zu bewahren.
Sn diefem Sinne wolle der freundliche Leſer bie
nachfolgende Darftellung einiger Beachtung würdigen,
ie allentbalben im deutichen Vaterlande, fo war
. be altgermanifche Streitbarfeit auch bei dem altkattiſchen
Stamme der Heffen erft in den fränfiihen Heerbann ums
gewandelt worden und dann in dem Nitter- und Lehnsweſen
bes Mittelalters faft völlig untergegangen; indem das neben
dem Zuzuge der Bafallen und Lehnsleute und dem Kriegs⸗
weien der ftreitbaren Städtebürger, für außerordentliche Fälle
allerdings immer noch vorbehaltene, allgemeine Aufgebot
aller fonft noch Streitbaren im Lande mehr und mehr nur
. noch als ein Zerrbild der einft jo mannbaften Wehrkraft
—
der Geſammtheit zu erachten war.
Gleichwohl hatte Die Weisheit unjerer Fürften doch
bon frühzeitig erkannt, wie felbft in diefen „legten Neften
ber einftigen allgemeinen Streitbarkeit, immer noch bie
Keime einer, die Streitmacht des Adel und das Kriegs—
weien der Stäbte weit überbietenden Kraft enthalten wären.
Statt daher dem im Laufe de 15. Jahrhunderts fich
Immer mehr ausbreitenden Söldnerweſen ſich hinzuneigen,
wodurch anderwärts fo vielfach jeder nationale Kriegsgeift
gänzlich verfümmerte, wandten unfere Fürjten vielmehr
ſchon fehr frühzeitig ihre Sorgfalt darauf, Durch geeignete
Einrichtungen dieſe letzten Nefte jener früheren allgemei=
nen. MWehrbarfeit zu neuer Blüthe zu zeitigen, und dieſes
Bemühen war umfomehr ein erfolgreiches, al8 unfere Für—
ſten nicht nur allenthalben perfünlich das glänzenpfte Bei—
fpiel mannhafter Tapferkeit und unerjchütterlicher Stand-
baftigkeit vor Augen ftellten, ſondern auch, wie Wenige,
112
es verftanden, ihrem Heerweſen ſtets eine dem zeitweiligen
Standpunkt der Kriegsfunft angemeffene Einrichtung zuzu⸗
wenben.
Darin mag denn auch der hauptjächlichfte Grund zu
finden fein, daß das Heine Heffen, trotz feine langehin
fo wenig umfangreichen und noch dazu vielfach zerriffenen
Zandgebietes, feiner geringen Volkszahl und feiner Armuth
an Geldmitteln, dennoch jehr frühe ſchon unter den weft»
deutihen Staaten einer der friegsgefürchtetiten zu werden
vermochte. Darin fand auch nicht minder der von Ge—
ichlecht zu Gefchlecht fich forterbende, hochgepriefene Kriegs⸗
geift des heiliichen Volkes den fruchtbaren Boden feines
fröhlichen Gedeihens.
Unter allen heſſiſchen Fürften, die diefen nationalen
Kriegsgeift zur höchiten Blüthe zu zeitigen fich bemühten,
muß aber bejonder8 Landgraf Morit gerühmt werben;
denn Er vor Allen trug fich mit dem Gedanken, durch eine
für die heſſen-kaſſelſchen und heſſen-darmſtädtiſchen Lande,
berechnete, auf allgemeine Wehrpflicht fich gründende, ge=
meinfchaftlicde Wehrorbnung das Söldnerweſen, foweit
jolches allmählich auch in Heilen Eingang gefunden hatte,
gänzlich zu befeitigen. Mit großem Scharfiinne das noch
Anwendbare griechiicher und römijcher Kriegeorbnungen mit
den Grundſätzen eine® De la Noue, Morig von Naffau,
Prinzen von Parma und anderer berühmter deuticher, fran⸗
zöficher, fpanifcher und italienischer Heerführer verfnüpfend
und je nach den Landeserforderniffen modifizirend, erjcheint
der von ihm desfalls außsgearbeitete Entwurf als ein für
feine Zeit meifter- und muftermäßiger.
- Manches, was noch heute als Schöpfung Guftav
Adolphs gilt, ericheint nämlich hiernach als geiftiges Eigen-
thum des Landgrafen Moritz, und vor Allem erweifen ſich die
jo hoch belobten Einrichtungen Herzog Georgs von Brauns
ſchweig⸗Lüneburg lediglich als eine höchſt unvolllommene
Nachahmung des von jenem in Vorſchlag Gebrachten. Lei⸗
113
ber gelang es aber nachbarlicher Eiferfucht und der eng⸗
herzigen Selbftfucht einzelner Claſſen ber eigenen Unter⸗
thanen, namentlich der Ritterſchaft, der Ausführung dieſes
Entwurfes ſo große Schwierigkeiten in den Weg zu legen,
daß ſolcher im Vaterlande am aller unvollſtändigſten zur
VLerwirklichung gelangte, indem bie 1600 und 1601: erlaſ⸗
ſene Wehrordnung, nur als ein Bruchftüd des eigentlich
Beabfichtigten fich darftellt.
Es muß diefes aber auch heute noch um fo mehr
tief beflagt werben, ba faum zu bezweifeln ift, daß, wäre
jene Wehrordnung bes Landgrafen Morig in ihrer ganzen
Ausdehnung zur Ausführung gelommen, folche dem heſſi—
ſchen Baterlande nicht minder eine Quelle nicht zu ermeſ⸗
fender Machtentwickelung hätte werden können, als 212
Sabre Später die, auf analogen Grundfäßen beruhende,
Schöpfung Scharnhorſt's es für die Wiederherftel-
lung der Monarchie Friedrich des Großen wirklich ge=
worden ift.
Gleichwohl hat jene Wehrordnung des Landgrafen
Moritz, auch felbft in ihrer trümmerhaften Verwirklichung,
doch unendlich viel Dazu beigetragen, dem vaterländiichen
Kriegämefen den eigenthümlichen nationalen Stempel auf:
zubrücden, der e8 noch bis zum Anfange dieſes Jahrhun—
derts unter den Zeitgenoſſen fo vortheilhaft außzeichnete.
Zunächft beftimmte dieſelbe nämlich, daß alle ftreit-
bare Mannichaft der Landbevölkerung, die nicht zu wirklichen
Rehnfolgedienften pflichtig fei, — unter dem Namen Land-
ausſchuß — zur Landesvertheidigung, beziehungsweife
zum Landfolgedienfte verpflichtet fein folle.
Diefer Landausſchuß follte zunächit in 4 Negimenter
(einem Kaſſelſchen, einem Werra'ſchen, einem Fulda'ſchen
und einem Biegenhainer Negimente) eingetheilt werben,
jedes Negiment aus 9 Fähnlein oder Compagnien beftehen
und jede Corhpagnie 139 Köpfe zählen. Die einzelnen
Fähnlein follten Sonntags in den Compagnie⸗Bezirken zu-
114
fammengezogen und gründlich in den Waffen geübt wer—
den u. |. w.
Der Berlauf der Begebenheiten während des 30jähri-
gen Krieges gab indeſſen jehr bald Anlaß, den Landaus—
Schuß noch durch ein 5teß-Regiment fowie durch 5 Com—
pagnien Reuter zu vermehren.
Später (1622-26) wurde dieſe Organijation dahin
abgeändert, daß jedes dieſer Regimenter nur ‚noch aus 5
Faͤhnlein eigentlichen Landausſchuſſes à 200 Köpfen beitehen,
dagegen jedem derſelben, als ein fefter Kern des Anfchlufjes
(ahnlich wie bei den 1793 aus Linientruppen und Natio-
nalgarden zufammengejegten franzöftiichen Halbbrigaden) 2
Tähnlein geworbener Knechte A 308 Mann einverleibt
werden follten. Obgleich auch Diefe Organifation im Drange
der Zeitverhältniffe nicht ganz fo, wie fie beabfichtigt war,
zur Ausführung gelangte, fo dürfte es doch immerhin von
Sntereffe fein, nachfolgend einige Einzelheiten über bie
Abgränzung der Regimentt- und Compagnie-Bezirfe und
die Anzahl Der in ſolchen zum Landausſchuſſe dienftpflich-
tigen Mannichaft (den ſ. g. Enrollirten) bier zur Mittheis
Yung zu bringen.
Es ward nämlich jenem Organifationg-Projekte gemäß
a. das |, g. rothe oder Diemelſtrömiſche Regiment aus nach-
folgenden 5 Landausichuß= Compagnieen: formirt, als:
1. der Altſtadt Kaffeler Compagnie unter dem Ober-
ften Riedeſel Ceinjchließli der Aemter Ahne,
Baune und. Hafungen = 409 Enrollirte), Ä
2. ber Neuftabt Kafjeler Compagnie unter dem Haupt-
many Friedrich von Pappenheim (255 Enrollirte),
3, der Grebenfteiner Compagnie unter dem Amtmann
von Amelungen zu Grebenftein (einſchließlich Sa—
baburg und Immenhaufen = 310 Enrollirte),
. 4. der Geismarſchen Compagnie unter dem Amtmann
v. Weiler zu Trendelburg Ceinfchlieglich Liebenau
und Selmarshaufen — 281 Enrollirte),
115
5. der Wolfbager Compagnie unter dem Amtmann
Hyppolit de Caſtiglione (einſchließlich Bierenberg
— 361 Enrollirte).
Die geworbenen Compagnieen aber richteten auf
1) der Hauptmann von Hechtshaufen ud
2) der Oberſt von Riebejel,
eine jede zu 308 Mann.
b. Da8 Blaue oder Werra'ſche Regiment ward formirt:
1. aus der Allendörfer Compagnie unter Dietrich Rei-
nide Ceinjchließlich Wißenhaufen — 423 Enrollirte),
2, der Eichweger Compagnie unter Reinhard Stange
' (583 Enrollirte),
8. ber Treffurt-Wannfriedver Compagnie unter Mori
Ufizial (332 Enrollirte),
4. der Schmalfalder und
5. der Vachaer Compagnie;
diefe beiden konnten jedoch wegen der feindlichen Ofs
fupation jener Landftriche nicht verfammelt merben.
Die geworbenen Compagnien richteten auf:
1) der Land-Vogt von Stodhaufen und
2) Velten Lucan,
jede zu 315 Mann,
c. das grüne oder Fuldaiſche Regiment ward formirt:
1. aus der Meljfunger Eonipagnie unter Oberft Hille
(einſchließlich Breitau und Lichtenau — 322 En-
roflirte), . ,
2. der Spangenberger Compagnie unter Werner Theue⸗
rer (276 Enrollirte), '
3. ber Rotenburger Compagnie unter Edharb Alchen-
brenner (einſchließlich Bebra und Breitenbach —
348 Enrollirte),
4. der Sontraer Compagnie unter Chriſtoph Gude
(einſchließlich Ida und Wildeck — 873 Enrollirte),
. der Hersfelder Compagnie unter Georg Fabritius
(einſchließl. Landeck und Hauneck 306 Enrollirte).
—
116
Die geworbenen Cmpagnien richteten auf:
1) der Oberft Hille und
2) der Hauptmann Andreas,
jebe zu 312 Mann. an
d. das ſchwarze oder Schwalmiiche Regiment ward formirt:
1. au8 der Gudendberger Compagnie Ceinjchließlich
Niedenftein — 276 Enrollirte),
2. der Felsberger Compagnie. unter Nikolaus Geile
(einschlieglih Borken = 412 Enrollitte), .
8. der Homberger Compagnie unter Simon Srausfaor
(321 Enrollirte),
4. der Hiegenhainer Compagnie unter Heinrich An⸗
dreas (einſchließlich Treiſa = 324 Enrollirte),
5. der Neukircher Compagnie unter Valentin Muhly
(einſchließlich Schwarzenborn — 423 Enrollirte).
Die beiden geworbenen Compagnien richtete auf der
Oberſt von Dallwigk, jede zu 378 Mann.
e. das ſ. g. weiße oder Lahn'ſche Regiment beſtand von
1622 bis 1624 aus 5 Faͤhnlein nämlich:
1. der Frankenberger,
2. der Kirchhainer,
3. der Rauſchenberger,
4. der Biedenkopfer und
5. der Marburger Compagnie,
wobei fich jedoch Die Zahl ber Entollirten. nicht angege⸗
ben findet.
Die 5 Compagnien Land-Reuter wurden analog wie
das Fußvolk nach den Strombezirfen, die Diemelftrömifche,
Werra'ſche u. ſ. w. Land-Reuter-Compagnie benannt, Doch
ift über ihre Stärke, Aushebungsweiſe u. |. w. nichtg Nä⸗
heres befannt und nur fo viel erſichtlich, daß 1622
1. Rittmeifter v. d. Malsburg die Diemelftrömifche,
2. Lieutenant Klink die Werra’fche,
3. Jakob Hillebrandt die Fulda'ſche,
4, Rittmeifter Georg von Giljä, die Sehwalmſche und
117
5. Wilhelm Winter die Lahn'ſche
Compagnie befehligten und daß außerdem noch 2 Comyag⸗
nien Ritterpferde beſtanden, deren eine (jene des Oberfür⸗
ſtenthums) der Rittmeiſter Lorenz von Hattenbach, die an⸗
‚dere (jene des Unterfürſtenthums) aber der Rittmeiſter
Karl Daniel von Hattenbach befehligte.
Die Bezeichnung rothes, blaues u. ſ. w. Regiment
aber rührte davon her, daß der ergangenen Vorſchrift zu
Folge, die Mannſchaft eines jeden Regiments Beinkleider von
gleicher Farbe tragen ſollte, während Stoff und Farbe des
Rode, Kamiſols oder Kollers einem Jeden nad) feinem Ge-
ſchmacke zu wählen, völlig freigeftellt blieb.
Die Gefammtzahl der zum Landausſchuſſe Enrollirten
mochte fich fonach auf etwa 9—10,000 Köpfe belaufen,
bon denen, einſchließlich der Reuter⸗Compagnien, jedoch wohl
böchftens nur circa 5000 Mann wirklich unter die Waffen
berufen worden zu fein fcheinen, fo daß Die gefammte heifi=
fche Kriegsmacht in der eriten Periode des 30jährigen Krie⸗
ges, einſchließlich 3—4000 geworbener Knechte, etwa 8--9000
Mann ftarf gewefen fein mag.
Da indeß die vielfach für die Hinterfaffen des Adels
in Anſpruch genommenen Befreiungen eine weitere Vermeh⸗
zung des Landausſchuſſes nicht zuließen, und anderſeits
der Zuzug der Vafallen nur ſehr unvollfommen erfolgte,
aud die jonft noch auf die Lehnseinrichtung fich gründende
MWehrordnung als bereits ‚gänzlich zerrüttet ſich erwies, fo
mußten, um die während des Verlaufes des 30jährigen
Kriegs für nothwendig erachtete Kriegsmacht aufzubringen
und zu erhalten, zunehmend immer anjehnlichere Werbun-
gen vorgenommen werden; bergeftalt, daß in den lebten
Jahren der vormundſchaftlichen Negierung der, durch ihre
Geiftesgröße und männliche Kraft fich auszeichnenden, Land⸗
gräfin Amalie Elifabeth, beim Abjchluffe des Münfteriichen
Friedens 1648, außer jenem Landausſchuſſe, der fürftlichen
Leibwache zu Pferde und verfchiebener FSreicompagnien zu
118
Roß und zu Fuß, 6 Regimenter Neiterei und 14 Regimenter
Fußvolk nur allein an geworbenen regulären Solb-Truppen
vorhanden waren.
Um dem gänzlich verwüſteten Lande jedoch ſo ſchleunig
als möglich Erleichterung zu verſchaffen, wurden dieſe
fammtlichen geworbenen Truppen, mit alleiniger Ausnahme -
von AO Mann berittener fürftlicher Leibwache und 3 Com—
pagnien ober circa 400 Mann Fußvolk, noch vor Ablauf
des Jahrs 1648 entlaſſen.
Was zur Zeit von dem eigentlichen Landausſchuſſe
noch vorhanden war, darüber fehlen nähere Nachweiſungen.
Aller Wahrſcheinlichkeit nach dürfte aber dieſer Landausſchuß
während der langen Kriegszeit allmählich” ſehr zufammen-
geichmolzen fein und nur noch in ſchwachen Trümmern eine
zelner Compagnien fortbeftanden haben, indem bei der mehr-
mals wiederholten, grauenvollen Verwüſtung des Landes
und der dadurch veranlaßten ungemeinen Entvölkerung
deſſelben, der Erſatz des Abgangs offenbar nur ſehr unvoll⸗
kommen zu bewirken geweſen ſein konnte.
So z. B. war im Laufe des 30jährigen Krieges |
die Zahl. der Bürger des Städtchend Wolfhagen von 371
auf 81, jene der Wohnftätten dafelbft von 394 auf 90
der Biehftand auf weniger als .'/, herabgejunten 9 und fo
in gleichem Berbältnig wohl überall,
| "Der Oberbefehl über jene übrig behaltenen Sold⸗
truppen, ſo wie auch über den geſammten noch übrigen
Landausſchuß ward nun zunächſt an Den, durch feine rühm-
lichen Kriegsthaten zu hohen Ehren und Würden empor
geftiegenen, General-Tieutenant Johann von Geyfo **) über⸗
*) Lynker, Beſchreibung der Stabt Wolfhagen, ©. 112.
**) Johann Seife, warb 1593 zu Borken, wo fein Vater fürftlicher
Nentmeifter geweſen, geboren. Anfänglich wibmete er fich dem
Studium der Rechtswiſſenſchaft, entichloß fich jedoch die Friegerifche
Laufbahn einzufchlagen, und trat, zu bem Ende vom Landgrafen
Mori empfohlen, 1613 zunächft in Die Kriegsdienfte bes Prinzen
119
engen und berjelbe auch noch zugleich zum Gouverneur
von Bafjel ernannt.
Zuwei jener in Sold behaltenen Cohpagnien Fußvolk,
naͤmlich Die Compagnie des General-Lieutenants von Geyſo
— welches die Leib-⸗Compagnie des 1631 errichteten und
vormals von demſelben befehligten . g. weißen Regiments
geweſen zu fein ſcheint — und eine von dem früher im Ahles
Moritz von Dranien, verließ folche jedoch bald wieder, um als
Fahnrich im ſchwediſche Dienfte Überzugehn, ans melden er unter
Graf Thun in böhmifche Dienfte trat, in welchen er der Schlacht
anf dem weißen Berge bei Prag beiwohnte und fobann in das
Mannsfeldiiche Heer überging, wo er als Nittmeifter zwei Ge⸗
ſchwader befehligte. Nach deſſen Auflöjung nahm er als Major
bänifche Dienfte, welche er jedoch 1628 gegen Verleihung ber Stelle
eines fürftlih rothenburgifchen Rathes und Ober-Amtmannes zu
Eſchwege vertaufchte.
Auf den thatfräftigen Mann aufmerkſam gemacht, ernannte ihn
Landgraf Wilhelm V., darauf ausgehend, dem eben wieder an-
jehnlich vermehrten vaterländifchen Heere, fo viel al8 immer mög⸗
lich auch eingeburne Führer vorzufeßen, 1631 unter Verleihung
bes eben neu errichteten |. g. weißen Regiments zum Oberftlieute-
nant und bald darauf zum General-Wachtmeifter des heifiichen
Heeres. Als ſolcher nahm er nicht nur an den meiften Kriegsbe-
gebenheiten der nächftfolgenden Jahren ſehr thätigen Antheil, ſon⸗
dern trug auch durch die trefflihe Führung der ihm unterftellten
Truppen in mehreren Hauptſchlachten, als namentlich 1633 bei
Oldendorf, 1645 bei Allersheim und 1648 bei Grevenbroich jehr
entſchieden zur Erlangung des Sieges bei, in Folge deſſen er
benn auch ſchon 1647 zum General-Fieutenant befördert worben
war. Nachdem ihm,. nach erfolgtem Friedensſchluſſe zu Münfter,
. wie ſchon erwähnt, außer der Stelle eines Gouverneurs zu Caffel
auch noch der Oberbefehl über die geſammte heifiiche Kriegsmacht
‘ Übertragen worden war, warb er — in Folge bes Fürwortes meh-
rerer Fürften auch noch von Seiten des Kaifers unter dem Namen
von Geyſo in den Reichsabelftand erhoben. Er farb den 1.
Mai 1661, 68 Jahre alt, an einem Schlagfluffe zu Caſſel. So
lange ber Schladht- und Siegestage von Oldendorf, Allersheim,
Hanau und Grevenbroich gedacht werben wird, fo lange wird auch
fein Name fortleben.
120
feldifchen Negimente geftandene, vom Hauptmann Broftrup
Jakobfon von Schört befehligte, Compagnie bildeten von
da ab die Befagifhg von Eafjel, «weshalb folche auch vor⸗
zugsweiſe als die Kaſſeler Schloßcompagnien bezeichnet
wurden, während die dritte jener Compagnien, unter dem
Dberften Suftin Ungefug, nah Biegenhain verlegt ward
und Kleinere Abtheilungen — wie e8 fcheint zum Theil Halb⸗
Smoaliden — die Schlöffer zu Marburg, Spangenberg, .
Friedewald, Trendelburg und Herzberg bejeßt hielten *).
Nachdem Landgraf Wilhelm VI. volljährig geworden
und die Regierung übernommen hatte, bot er alsbald Al-
les auf um zunächft namentlich den Landausſchuß wieder
in dienftfähigen Stand zu verfegen, was auch mit ſolchem
Erfolge geſchah, daß 1655 fchon wieder 17 Compagnien
zu Fuß für den inneren Dienft verfügbar waren, wozu
1656 audy noch 2 Compagnien Landausſchuß zu Pferd hin-
zufamen, und 1664 die Verordnung erlaffen werden Tonnte,
daß jeder Hofmann oder Hausbefiter in Städten und Dör⸗
feren mit einem Feuerrohr (Muskete) und Patrontaſche
verjeben fein jollte **),
Ebenſo ward auch von 1659 — 1663 bie Miliz, oder
die Soldtruppen, durch einige neugeworbene Compaynien
auf 6 Compagnien vermehrt, wovon 3 Compagnien oder
500 Mann, unter Oberftlieutnant von Zobel, 1664 zu Lau⸗
*) Diefes Verhältniß fcheint ziemlich lange daſſelbe geblieben zu fein,
indem unter anderm noch in dem Mufterungsberichte des Oberft-
Lieutenants von Wartensleben vom 8. Oftober 1679 ermähnt wird,
wie bei der Compagnie des Oberften zur Brüggen zu Ziegenhain
zwar influfive prima plena — 250 Köpfe, und bei der Schloß-
Compagnie zu Marburg — 225 Köpfe vorhanden, au zu Span-
genberg 42, zu Echloß Herzberg 25 und zu Friedewald 17 Mann
Belatung vorgefunden worden wären, jedoch Darunter viele Mann⸗
Ihaft, welche wegen hohen Alters und vielfacher Leibesgebrechen,
als namentlich Taubheit, kurzen Gefichtes, Lähmung und barten
Brüchen nicht mehr für dienftfähig zu erachten ſei.
es) Rommels Nenere Geſchichte von Hefjen. 1 Band. ©. 111.
121
terbach mit 350 Mann Durmftädtern, unter Obriff von
Sreudenberg, in ein heſſiſches Gefammt-Regiment zufanmen-
fließen, welches, nebft einem Theile der Leib-Garde zu Pferd,
als heifiiches NeichScontingent nach Ungarn gegen die Türs
fen zu Felde rüdte, und fich in der Schlacht bei St. Gott-
hardt und bei den Belagerungen von Zünffirchen und Ka⸗
niſcha ſehr auszeichnete,
Als in Folge der vielfachen Streitigkeiten, zu wel⸗
chen die Auslegung des Münſterſchen Friedens Veranlaſſung
gab, u. a. 1666 durch ein ſchwediſches Heer die Reichs⸗—
ftadt Bremen bedroht und desfalls ein, aus verjchiedenen
Sontingenten zuſammengeſetztes Reichsheer aufgeboten
wurde, wurden 5 jener Compagnien in ein Bataillon for=
mirt und unter dem Befehl des General-Majors Karl
Rabenhaupt von Sucha *) dahin abgelendet. Nuchden jes-
doch jene Irrungen beigelegt und das Bataillon wieder
in das Land zurüdgefehrt war, wurde -Diefer Bataillons-
Berband wieder aufgelöft und die Selbftändigkeit der eins
zelnen Eompagnien wiederhergeſtellt.
Die im 30jährigen Kriege erlittenen Verwüſtungen
hatten nämlich die Steuerkraft des Landes allzuſehr erſchöpft,
als daß ſolches im Stande geweſen wäre, bie durch die
Zeitverhältniſſe wiederholt erheiſchte Steigerung der Streit⸗
träfte nachhaltig zu begründen. Selbſt auch nur eine
fefte Stiederung der vorhandenen wenigen ftändigen Sold⸗
*) Karl Rabenhaupt von Suda, aus einer urſprünglich böhmifchen
Familie abftammend, hatte fi) ebenwohl im Dreißigjährigen Kriege
im beifiihen Dienft jehr hervorgethban und war, nachdem der, an
die Stelle des General-Fientenants von Geyſo 1664 zum Gouver⸗
neur von Caſſel ernannte, General-Wachtmeifter Heinrich von Uffeln
bereits 1665 wieder abgegangen und in braunfchweig-Tüneburgifche
Dienfte getreten war, dieſem in dem genannten Poſten gefolgt, nahm
jedoch 1672 ebenwohl feinen Abſchied und trat in niederländiſche
Dienfte, worin er ſich, obſchon bereits hochbetagt, durch die Ver⸗
theibigung von Gröningen gegen die Sranzofen fehr auszeichnete
und 1675 zu Koverben verſtarb.
122
truppen, warb in Folge der zwiſchen Der Nitterfchaft und
den übrigen Ständen zum Ausbruche gefommenen Streitig⸗
feiten über da8 Maas der von folchen zu leiſtenden Bei—
tragspflicht zur Erhaltung des Kriegsweſens, langehin um
fo mehr erfchiwert und behindert, al8 die von den Ständen zur
Unterhaltung der Truppen bewilligten Geldmittel nur im⸗
mer auf ganz furze Zeiträume bemeffen waren und, jo zu
jagen, nur monatöweije bewilligt wurben. Die hieraus ent-
ipringenden Mifftände machten fich namentlich bei Gelegen-
heit der 1672 drohenden Invaſion eines franzöfiichen Hee—
red in Deutſchland fühlbar, indem, als man fich genöthigt fah,
zum Schute des Landes ein 5000 Mann ftarle8 Corps
auf die Beine zu bringen, und nun ber größte Theil
des Landausſchuſſes aufgehoten und mehrere Monate lang
unter den Waffen behalten: werden mußte, dieſes dem Acker⸗
baue und den Gewerben zum größten Nachtheile gereichte
und allgemeine laute Klagen veranlafte.
Da fich bei dieſer Gelegenheit auch der gänzliche
Mangel an NReuterei jeher fühlbar gemacht hatte, jo war
man veranlaßt worden, zuerft auch wieder 3 Eornetten ges
worbener regelmäßiger Reuter zu errichten. Ueberhaupt
fand von da ab eine, wenn auch nur ſehr langſame,
doch jtetige Vermehrung der Soldtruppen *), ſo wie aud)
eine, den Zeit- und Landesverhältniffen entiprechende, forg-
fültige Pflege Des Kriegsweſens überhaupt ftatt, obſchon die
Regierung langehin nur eine vormundichaftliche und noch
Dazu von einer Frau geübte war. Denn nach dem frühzei-
tigen Tode Landgraf Wilhelms VI, war deſſen Wittwe Die
Landgrafin Hedwig Sophia — Schweſter des Kurfürften -
*) Dieſelben beftanden 1673 außer der fürftlichen Leibwache zu Pferd,
und den erwähnten 3 Cornetten Reuterei, aus 11 Compagnien
Fußvolf, der Spangenberger, Friedewalder. und Trenbelburger
Garniſon mit den Schmalfaldifchen Erefutanten (wahrſcheinlich In⸗
validen) und dem Artillerieftabe; jo wie auch noch ein Theil der
Stäbe des Landausſchuſſes feften Gehalt bezogen zu haben fcheint.
123
Friedrich Wilhelms von Brandenburg — erft Über ihren
minderjährigen älteften Sohn Landgraf Wilhelm VII und
sach deſſen frühen Hinjcheiden auch über ihren zweiten Sohn,
den Landgrafen Karl, Vormünderin geiworden und hat
als folche mit faum minderm Gefchide und Kraft als
die Landgrafin Amalie Elifabeth, in Acht brandenburgifchem
Geifte regiert. Außer emjiger Sorgfalt für die Reorgani«
fation des Landausichuffes auch in der Grafſchaft Schaum
burg, durch Refeript vom 1. Auguft 1667, wurden nämlich
unter andern, durch den allmählich zu höhern Stellen auf-
geftiegenen ſchon erwähnten Broſtrup Jacobſon von Schört, *)
fo wie Durch den Obriftlieutnant Sobann Heller und Stüd-
bauptmann Johann Philipp Heppe **), dem Geſchützweſen
große und mannigfache Verbefjerungen zugewendet. . So
ermittelte exiterer eine vollkommnere Miichung des Stüd-
guts, welche jehr bald unter der Bezeichnung der heſſiſchen
Reinigung allgemeine Anwendung fand, während Teb-
terer den heſſiſchen Stücichügen eine jo vortreffliche Aushil-
dung zumandte, daß namentlih Kurfürſt Friedrich Wils
beim von Brandenburg feine Schweiter, Die regierende
Landgräfin Hedwig Sophia, in einem 1676 an folche ge=
richteten eigenhändigen Schreiben, dringend um zeitweilige
Mebetlaffung von 12 der verläßigften derſelben erjuchte,
*) Derjelbe war aus däniſchen in beififche Dienfte übergetreten, warb
1657 Ober-Wachtmeifter, 1662 Oberft-Lieutenant, ging 1664 wie-
der in dänische Dienfte zurück, aus welchen er jedoch 1689 als
General-Fieutenant und Chef der Mtillerie wieder in heſſiſche Dienfte
übertrat, 1697 das Commando eines Landausnahmsbataillons er-
hielt und 1703, 81 Sabre alt, verftarb.
**) Johann Wendel Heller war ſchon unter bem Grafen von Maus-
feld Stüchhauptmann gewejen und bereits 1645 zum Oberftlien-
tenant und Commandeur der heſſiſchen Artillerie ernannt worden.
Ihm war 1678 der Stüdhauptmann Joh. Philipp Heppe gefolgt,
ber 1680 zum Major, 1683 zum Oberftlieutenant und 1694 zum
Oberft befördert, 1696 als Ober-Galggrebe zu Allendorf in den
Civildienft übertrat und bafelbft bald darauf verftarb,
124
um fie als Inftrulteure für feine Feldartillerie zu vers
wenden.
Eben ſo ward außer Vermehrung und Vervollkomm⸗
nung der Feſtungswerke von Kafjel, Ziegenhain und Mars
burg can legterem Orte namentlih auch durch Anlage
eines vom Schlofje bi8 zum Spiegel ber Lahn hinabreis
chenden in Felſen ausgehauenen Brunnens*), bereits 1664
damit begonnen, zum Schuge der im Münfterfchen Fries
den gewonnenen Grafichaft Schaumburg die Stadt Rin⸗
teln in einen feſten Pla umzuwandeln,
Reich waren auch die Zeughäufer zu Kaffel und Zies
genhain mit Kriegsvorräthen aller Art verfehen, indem fich
in folchen,, außer 200 Gejchügen verjchiedenen Kalibers und
eined Vorrathes von etwa 3000 Centner Pulver, eine fo
große Menge von kleinem Yeuergewehr und blanten Waffen
porfand, daß Damit an 25,000 Mann audgerüftet werben
fonnten. Da diefelben jedoch größtentheild aus, im Laufe
des 3Ojährigen Krieges gemachter, Kriegsbeute beftanden,
jo waren fie freilich meiſt jehr veraltet.
Nachdem in folder Weile von 1672 — 1674 die
Zahl der vorhandenen Soldtruppen allmählich fich bis auf
11 Sompagnien Fußvolk und 3: Cornetten Reuterei vers
mehrt hatte, gab Die abermalige Bedrohung der Reichs⸗
lande durch Ludwig XIV. von Frankreich im Jahre 1676
Anlaß, noch 5 weitere Compagnien anzuwerben und durch
Zutheilung von 3 der alten vorhandenen Compagnien zu
einem Regiment von 8 Compagnien zu formiren, welches
unter dem Befehl des Oberften zur Brüggen **), in Gemein-
Schaft mit der ebenwohl zu einem Regiment formirten und
*), Derfelbe ift, leider — fo viel befannt, ohne genügende Veranlaffung
erft in den 1840er Jahren — müheſam — mit Schutt u. dgl.
wieder ausgefüllt worden,
**) Johann zur Brüggen war 1611 in der Grafſchaft Oberyffel ger
boren und aus ſchwediſchen in heffifchen Dienft übergetreien, in
welchem er 1697 als General-Lientenant verftarb,
125
auf 4 Cornetten verftärkten Meuterei, unter dem Major
Wilhelm von Hornumb*), zur Reichdarmee an den Rhein
abrüdte und der Belagerung von Philippsburg beimohnte,
Bon da Ende 1676 zurüdgefehrt, ward die geſammte
Krieggmacht auf 23 Compagnien Fußvolk verſtärkt, wovon
10 Compagnien, unter dem Oberften Johann Ufm Keller **),
ju einen Regiment formirt, und nebft dem Reuter-Regiment,
unter dem Obriftstieutenant von Hornumb, dem Könige
Ehriftian V. von Dänemark gegen eine anjehnliche Subfidie
als Hülfsiruppe gegen die Schweden überlafjen wurden;
während 4 Compagnien, unter der Bezeichnung: die Geis
fiihe Brigade, gleichſam deren Reſerve bildeten; 1 Com—
pagnie aber als oberrheiniiches Kreis-Contingent noch forts
während bei der Rheinarmee verblieb und 4 Compagnien
bie Beſatzung von Caſſel, 1 die von SBiegenhain, eine
bie von Marburg und 2 d.e von Rinteln bildeten.
Nachdem jene Negimenter Ufm Keller und Hornumb
fih anfänglich bei den Belagerungen von Karlöfrona und
Helſingborg in Echweden rühmlich ausgezeichnet hatten,
betraf fie jedoch das Mifgeichid, in die auf dem Markhower
Felde an der Neufährichanze, auf der Inſel Rügen, den
8. Januar 1678 dem Heere der Verbündeten unter. dem
Öeneral von Rumor, durch den ſchwediſchen Feldmarſchall
Königsmark zugefügte Niederlage mitverwicelt zu werden,
Gleich den übrigen faiferlichen, dänischen und brandenburs
giichen Contingenten vermochte auch von jenen heſ—⸗
fihen Negimentern fih nur ein ſehr Heiner Theil zu
Echiffe nach) Wolgaft zu retten, die bei weiten größte Mehr⸗
zahl aber (darunter 58 Officiere) ſah fich gezwungen, das
Gewehr zu ftreden, fo daß auch ſämmtliche Fahnen und
*) Ward 1680 auf Wartegeld geſetzt und ftarb 1685.
*8) Johann Ufen Keller, urfprünglicy wahrjcheinlich ſchweizeriſcher Abe
ſtammung, war aus Braunjhmweig-Yünebingifche in heſſiſche Dienfte
übergetreten und farb 1706 als Generalstieutenant und Gouvere
neur von Marburg.
VEN. Band. 9
126
Standarten jener Negimenter in die Hände bes Fein
des fielen. |
Obgleich, wie e8 fcheint, bald darauf ein Theil der
Gefangenen wieder ausgemwechjelt, auch mehrere der im Lande
gebliebenen Eompagnien zur Ergänzung nachgeichickt wurden,
worunter ſich namentlich auch Die vormals von dem Haupt
mann Broftrup Jacobſon von Schört befehligte Caſſeler
Schloßcompagnie befand, jo ſcheint Dadurch der Etat des
Regiment? Doc nur wieder auf 9, zum Theil jehr
ſchwache Compagnien gebracht worden zu fein; wie dann
auch, nach defien zu Ende 1679 erfolgter Rückkehr, der
Negimentsverband ebenwohl wieder aufgelöjt und die ein—
zelnen Compagnien in eine völlig felbjtändige Stellung zue
rüctverfegt wurden. In den Kriegszahlamts-Rollen findet
man fie wenigjtend abermal$ nur garnifonsmweije aufgeführt,
und zwar fo, Daß die urfprünglich von dem General-Lieute—
nant von Geyſo befefjene Eafjeler Schloßeompagnie, welche
nach teilen Tode erſt dem General-Wachtmeifter Heinrich
von Uffeln*), dann aber nach deſſen Abgange dem General-
Wachtmeiſter von Rabenhaupt verliehen, feit 1672 aber zur
fürftlihen Leib-Compagnie erfärt worden war, bereit8 in ge=
wiſſer Beziehung einen Vorrang eingenommen zu haben jcheint,
Das ReutersRegiment unter dem Oberftlieutnant von
Hornumb fcheint ebenfall® nur in fehr ſchwachen Zrüm-
mern aus jenem Feldzug zurüdgefehrt zu fein, weshalb
1679 zwei neue Compagnien Reuter im Lande aufgerich-
tet wurden, wovon eine, eine Dragoner-Compagnie bildete,
Erwähnung verdient auch noch, daß in den Kriegs—
Rechnungen von 1678-1679 zum erjtenmale eine8 Deta-
*, Heinrich von Uffeln Hatte fich ebenfalls während bes Verlaufes des
SOjährigen Krieges wiederholt fehr hervorgethan, fo Daß er, nad
dem Hintritte Geyfo’s, zum Geheimen Rathe, General-Wachtmeifter
and Oberbefehlshaber der gefammten vaterländifchen Streitmacht
ernannt wurde. Deflen "ungeachtet trat er bereits 1665 als General⸗
Feld-Zeugmeifter in braunſchweig⸗lüneburgiſche Dienfte.
127
ſchements Grenadiere beim Regiment Ufm Keller erwähnt
wird, das unter dem Befehl des Quartier-Meifterd Retz ge=
ftelit und aus 1 Dfficier (Fähnrich Leopold), 2 Unterofft«
deren, 2 Feuerwerkern, 1 Tambour, 7 Gefreiten und 30
HandgranatensWerfern zufammengefeßt war.
Inzwifchen hatte Landraf Carl ven 12, Auguft 1677
den heiliichen Fürſtenthron beftiegen.
Klaren Blickes die Gefahren erfennend, die dem Bes
flande des deutſchen Reiches und fomit auch der Sicherheit
jedes einzelnen Gliedes veffelben, durch die rückſichtsloſe
Herrſchſucht Ludwig XIV. von Frankreich, immer drobender
zu werben begannen, bemühte er ſich alsbald, fo viel nur im⸗
mer in feinen Kräften lag, die zunächit benachbarten Reichs⸗
ftände zu einem engeren Aneinanderjchließen gegen denjelben zu
beranlafjen. In der That gelang e8 ihm auch. fchon 1679,
vorerſt Die Wetterauifhen Grafen zum Abfchluffe eines
Echutzbündniſſes zu veranlaffen. Nachdem aber vollends
noch Ludwig XIV. 1681, mitten im Yrieden, Straßburg
hatte hinweg nehmen Yaffen, erwarb ſich Landgraf Carl,
in feiner. Eigenfchaft als Condirector des Oberrheiniſchen
Kreiſes, nicht nur ein weſentliches Verdienſt um das end»
liche Zuſtandekommen einer Reviſion der bisherigen Reichs⸗
Heer-Matrifel, wonach das Simplum des geſammten Reichs⸗
heeres künftighin aus 10,000 Mann ſchwerer Reuterei, 2000
Dragoner und 28,000 Mann Fußvolk beſtehen ſollte, ſon⸗
dern es trug derſelbe auch noch weſentlich dazu bei, daß
bie Stände des oberrheiniſchen und fränkiſchen Kreiſes aus
ßerdem ein befondere8 Separat-Bündniß mit dem Sailer
Leopold abſchloſſen, demzufolge die hierdurch Verbündeten
fih verpflichteten, außer jenem ihrem Reichs- und Kreis-
eontingent zum Schutze der Rheinlande gegen bie räubes
riſchen Eingriffe Frankreichs, erforderlichen Falles jogar
bi8 zu 70,000 Mann ins Feld zu ftellen *).
*) Den Traktat fiehe in Lünigs Deutſchem Reichsarchive und Du-
monts Corps universel diplomatique. T. ll. Fe pag 23.
128
Diefe Thätigkeit des Landgrafen veranlaßte Ludwig
XIV., einen eignen Gefandten nach Caſſel zu entienten.
Als diefer jedoch den Landgrafen mit dem, den Dienern
Ludwigs eigenthümlichen, gränzemlofen Uebermuthe und
Anmaßung zur Nede zu ftellen verjuchte und ihn zu einer
Erklärung aufforderte, ob er die Bedingungen, die fein
König und. Herr den zu Franffurt verfammelten Reich8=
commiffaren bereit8 gejtellt habe, oder noch zu Stellen belie=
ben möchte, annehmen und fich ſolchen unterwerfen wolle
oder nicht, Jol ihm Landgraf Carl mit folcher Hoheit und
Würde geantwortet haben, Daß, als jener Gejandte dieſe
Antwort dem König Ludwig hinterbracht, Diefer in die Worte
ausgebrochen wäre: „Mais ainsi ce Prince lä bas, m’a
donc repondu comme un Roi!” *) Unter derartigen Ver—
hältnifjen war eine angemefjene Berftärfung der vaterlän-
diſchen Kriegsmacht zwar doppelt nothwendig, aber auch
um ſo ſchwieriger auszuführen, als ſolche, wegen der totalen
Umwandlung des Kriegsweſens durch die immer mehr her—
vortretende Entwicklung des Feuergewehrs, als ſolche zu—
gleich auch eine durchgreifende, ſehr koſtſpielige Umgeſtaltung
in ſich faßte, während anderſeits die dem Lande durch die
Gräuel des 30jährigen Krieges geſchlagenen Wunden bei
weitem noch nicht vollſtändige Heilung gefunden hatten,
audy überhaupt der Landgraf von den Gelbbewilligungen
ber Stänhe jehr abhängig war. Aber Landgraf Earl war
ein Fürft, der die feltenften Negententugenden in hohem
Grade in fich vereinigte. Bedächtig im Entſchluſſe, feurig
im Handeln, unerjchütterlih in der Ausdauer, war er wie
wenige geeigenichaftet, auch Die größten Echwierigfeiten
zu befeitigen So gelang es ihm daher auch, nachdem er
die bereits feit 1625 zur Unterhaltung ter Landesverthei—
Digungs-Anftalten eingeführte Grundfteuer — die |. g. Con=
*) Sonach hat diefer Prinz ba, mir aljo in ber Weife eines Königs
geantwortet ? |
N
129
tribution — ſchon 1680 durch ein neues Geſetz, hinfichtlich
einer gleichmäßigeren und gerechteren Veranlagung, neu
geregelt hatte und jolche Dadurch bei weit geringerem Drucke
ungleich ergiebiger geworden war, auf einem 1682 abge=
haltenen Landtuge die zu einer zeitgemäßen Umformung
de vaterländifchen Wehrweſens erforderlichen ftändigen Geld—
mittel bewilligt zu erhalten, indem, außer der Erhöhung
ber monatlichen Contribution auf 16,000 Thaler, die Rit—
terichaft fich auch noch zu einem bejonderen, jedoch nur
auf die nächlten 2 Jahre berechneten, Beitrage von jührlich
24,000 Thaler verbindlich machte *).
Sn Folge deffen warb auch alsbald die vaterlän-
diſche Kriegsmacht nicht nur anfehnlich vermehrt, fondern
derfelben auch eine den Fortfchritten der Kriegskunſt ent=
fprechende Gliederung gegeben. Was zunäcft den Land—
ausſchuß anlangte, fo ward folcher fünftighin vorzugsweiſe
nur noch zur Verjehung des Bejagungd- und Eicherungs-
dienfted im Lande beftimmt und auf 2 Compagnien Reuter
und 20 Compagnien Fußvolk normirt, während die, haupts
fachlich) Durch inländische Werbung zu ergänzende, ſ. g.
*) Als Maasftab des Erträgniffes der damaligen Landeseinkünfte mag
Ermähnung finden, daß die monatliche Contribution ober Grunde
fteuer der Grafſchaft Ehaumburg 1300 Thlr. eintrug, wozu die
Stadt Rinteln 170 Thir. contribuirte. Die Zahl der von ber
Nitterfchaft zu ftellenden f. g. Nitterpferbe belief fich auf 153% und
da man pro Ritterpfer) 42 Thlr. Gelbbeitrag pro simplum ver»
einbart hatte, jo würde der von ber Nitterfchaft zu Teiftende Geld⸗
beitrag ſich eigentlich auf 6440 Thir. pro simplum belaufen haben,
Bei dem offenbaren Unvermögen ber Ritterfchaft, dieſe Leiftung -
präftiren zu können, war man jedoch dahin übereingelommen, das
von berfelben zu Yeiftende Steuerfimplum auf 2000 Thlr. herab⸗
zufegen. Da aber von ber Mehrzahl der Betheiligten gegen bie
desfalls noch ftattfindende, allerdings vielfach gänzlich veraltete Re⸗
partition, Reklamationen erhoben wurden, Tounte auch bieler
ermäßigte Beitrag nur mit großer Mühe und Zeitverluft und
vielfach nur auf dem Wege ber Erecution beigetrieben werben.
‘
130
Miliz, oder fiehenden Soldtruppen bereitd Anfangs 1683,
außer einigen in der Formation begriffenen |. g. Freicom⸗
pagnien zu Roß und zu Zuß, in folgende Abtheilungen ſich
geſchaart fanden, als:
I. Die Reuterei.
1) Die fürftliche Leibwache zu Pferd (die heutige Garde
du Eorp8) 2 Compagnien, deren Gruntitod die 1648
übrig gebliebene fürftliche Leibwache zu Pferd biltete.
2) Das Neuter-Regiment te8 Oberften Adolph Rau zu
Holzhaufen (1819, im Leib-Euirafjier-Landwehr-Re=
giment enthalten, eingegangen) 8 Compagnien, deſſen
Grundftod eine Compagnie ded 1679 reduzirten Reu—
ter-Regiment8 unter Oberft-Tieutenant von Hornumb
bildete.
3) Das rothe oder dad Dragoner-Regiment des Grafen
Auguft von der Lippe-Brafe, 6 Eompagnien (1697
wieder reduzirt), deffen Gruntftod eine bereitd 1678
von dem Rittmeifter von Frieſenhauſen errichtete Dra⸗
goner-Sompagnie bildete.
IL. Das Fußvolt.
1) Das Regiment zu Fuß des Grafen Auguft von der
Rippe-Brafe zu 8 Compagnien (heutige 1. Bataillon
des Leib-Garde-Regiments) deſſen Gruntftod die 1648
in Sold behaltenen 3 Eompagnien bildeten *).
2) Diefe urfprünglichen 8 Compagnien bes heutigen Regiments Leib»
Garde waren 1683 folgende, nämlid:
Die 1fte ober Leib. Compagnie, welche urfprünglich der General-
Lieutenant von Geyſo zum Inhaber gebabt hatte.
Die 2te 1659 errichtete Compagnie des Oberſten Johann Chri-
flian Mob.
Die Ste 1674 errichtete Compagnie des Oberfilieutenants Aleran-
der von Wartensleben.
Die Ate 1682 errichtete Grenabier-Tompagnie des Hauptmanns
Peter Touffaint,
131
23) Das Regiment zu Fuß des Prinzen Philipp von Heſ⸗
fen (1813 Regiment von Biefenrodt, 1816 dem Garde
Grenadier-Regiment einverleibt und fonady in dem
heutigen 2. Bataillon des Leib-Garde-Regiments ent-
halten) zu 8 Compagnien, deflen Grundſtock eine 1672
von dem Hauptmann Dietrich von Hanftein errichtete,
bisher zur Befakung von Kaſſel verwendete Com⸗
pagnie bildete.
3) Das Regiment Ufm Keller (1713 al8 Regiment Sames
reduzirt) zu 11 Conipagnien, deſſen Grundftod theil®
einige bereit8 1659 und 1660, theild einige 1677
errichtete Compagnien de8 1679 reduzirten Regiments
diefe8 Namens bildeten.
4) Drei in der Niedergrafichaft Katzenellenbogen liegende
Eompagnien, fo wie
5) Eine Bejatungd-Compagnie zu Marburg.
Demnach beitand die geſammte Streitmacht ohne den
Landausſchuß aus 15 Compagnien Neiterei und 31 Com—
pagnien Fußvolk. Ob und in welcher Weile gleichzeitig
auch das Geſchützweſen eine Vermehrung und zeitgemäßere
Öliederung erhalten habe, darüber ift zur Zeit nicht Nä-
heres zu ermitteln gemwejen, als daß, nachdem 1689 der
ſchon früher in heſſiſchen Dienften geftandene Oberftlieute>
nant Broftrup Jacobſon von Schört wieder al8 General-
Meutenant aus dänifchen Dienften in befjifche Dienfte übers
getreten und zum Chef der Artillerie ernannt worden war,
ſolche von 1684 ab definitiv in eine Feld- und eine Gar-
niſons⸗Artillerie eingetheilt ward,
Die 5te 1682 errichtete Compagnie des Hauptmanns Wolf Ehri-
fttan von Schenk zu Schweinsberg.
Die 6te 1683 errichtete Compagnie des Majors Mori Homberg.
Die Tte urfprünglich Ziegenhainer Beſatzungs⸗Tompagnie bes
Dberften Juſtin Ungefug, jett Rotarius,
Die Ste 1683 errichtete Compagnie des Hauptmanns Johamtı
von Schwerzel.
132
Bei den vielfachen, "bald mehr bald minder dringen-
den Anläffen zu einer direkten Betheiligung an den gleich-
zeitigen KriegSbegebenheiten, ſowie bei dem vielfach noch
unflaren Ringen nach einer alle beabfichtigten Vortheile in
fi) vereinigende Organifation, konnte es indeſſen nicht
fehlen, daß eben fo, lange hin, fowohl der Beftand als auch
die Gliederung jener Iruppenabtheilungen mehrfachen Wech-
fel erfuhr,
So 3. B. ward da8 NRauifche Reuter-Regiment jchon
1684 wieder auf 3 Compagnien vermindert, Dagegen aus
der von ſolchem abgegebenen Mannjchaft ein neues Reuter-
Regiment zu 6 Compagnien unter dem Namen Leib-Regi-
ment zu Pferd errichtet. Als aber von 1635—1688 ein
Teil jened wieder auf 6 Compagnien ergänzten Rauiſchen
Regiments, nebft noch einigen Compagnien Fußvolkes als
Oberrheiniſches Kreiß- Kontingent in Ungarn gegen Die
Türken zu Felde ftand, wurde 1689 noch ein neued Reu—
ter-Regiment, unter dem Namen des Grafen von Naflau=
Meilburg, und 1687 ein weitered unter dem Namen de$
Prinzen Wilhelm von Heffen-Rotenburg errichtet. Beide
Regimenter jedoch bereit3 1688 wieder in ein Regiment, uns
ter dem Namen Regiment von Kärffenbruch, verjchmolzen und
dagegen zwei neue Dragoner-Regimenter, Naſſau-Weilburg
und Wartensleben, jo wie nocy zwei Compagnien Drago—
ner und eine Compagnie reitender Jäger mit Pirfchbüchien
errichtet. Lebtere ward indefjen fchon nach zwei Monaten
wieder aufgelöft und auch jene 2 Compagnien Dragoner
blieben — wahrjcheinlich al8 eine Art Depot — bi8 zum
Sahr 1690 unberitten, von wo an folche zuerſt — eben=-
wohl unter der Benennung Lippe-Dragoner — aktiven
Theil am Kriege nahmen.
Ebenjo wurden 1684 die Infanterie-Regimenter ſämmt⸗
lich auf 12 Compagnien verftärkt, welche Formation jedoch
1690 dahin abgeändert wurde, daß folhe von da ab nur
noch 10 Compagnien zählten, Außerdem ward im Mai
133
1684 da8 Regiment zu Fuß des Grafen zur Kippe noch
befonderd zum Fürftlichen Leib-Regiment zu Fuß ernannt.
‘ Gleichzeitig wurten, unter dem Namen des Oberften
von Hanftein und des Grafen von Leiningen, zwei neue
Snfanterie-Regimenter, jedes ebenwohl zu 12 Compag-
nien errichtet, wovon das Regiment von Leiningen aber
bereit8 1685 wieder aufgelöft und Dagegen 1687 durch Ab—
gabe von Mannfchaften aus fämmtlichen Infunterie-Regi-
mentern ein anderes Regiment, unter vem Namen Regiment
be8 Bringen Karl von Helfen *), zu 10 Compagnien und
1688 in gleicher Weile ein Regiment Erbpriny Fried»
rich zu 12 Compagnien,.ein Buttlarifches und ein Stock—
hauſiſches Bataillon, jedes zu 5 Compagnien, fowie eine
Compagnie FYukjäger mit Pirfchbüchlen errichtet wurden.
Indeſſen wurde das Buttlariihe Bataillon bereits im
im Suli 1689 zur Complettirung des aus Morea zurück—
gefehrten Regiments Prinz Carl und ebenſo auch ter grö—
fere Theil des Stodhaufiichen Bataillons nad) und nad
zu ähnlichen Zweden verwendet, jo daß 1694 von letzterem
nur noch eine Compagnie übrig war, die 1697 reduzirt
wurde, jo wie ſchon 1689 die Jäger-Compagnie nach kur—
zem Beſtande ebenfall® reduzirt worden war.
Sn gleicher Weife wurd ein 1689 zu 6 Compagnien
neu errichtete8 — Dernthalſches — Bataillon hauptjächlich als
*), Hierzu gaben ab:
1. Das Leib-Regiment 4 Hauptl,, 4 Lieut. 4 Fähnr., 20 Unteroff,,
8 Tamb., 275 Soldaten = 315 Köpfe.
2. Reg. Ufm Keller 1 Hauptm., 2 Lient., 2 Fähnr., 12 Unteroff.,
4 Tamb., 234 Soldaten — 255 Köpfe.
3. Regt. von Hanftein 1 Haupm., 2 Lieut, 2 Fähnr., 8 Unteroff.,
3 Tamb., 159 Soldaten — 175 Köpfe.
4. Regt. von Wartensleben 2 Hauptl., 2 Lieut., 2 Fähnr., 12 Un«
teroff., 4 Tamb., 233 Soldaten = 255 Köpfe.
Summa 8 Hauptl., 10 Lieut., 10 Fähnr., 52 Unteroff., 19 Spiell.,
901 Soldaten = 1000 Köpfe.
134
eine Art Deppt= oder Rejerve-Bataillon fucceffive zur Com-
plettirung der im activen Dienfte befindlichen Regimenter
verwendet, fo daß ſolches 1693 wieder vollig einging.
Da indeſſen, troß der bejjeren Ordnung der Landes-
einkünfte, folche gleichwohl nicht außreichten, dieſe anfehnliche
Vermehrung der vaterländiichen Mehrfräfte dauernd unter
halten zu können, vielmehr, als der 1685 gegen die Türfen
zu führende Reichöfrieg zunehmend immer neue Opfer for=
derte, während ein baldiger Losbruch der von Franfreich
drohenden Gefahren täglich wahricheinlicher wurde, Die
Stände und namentlich die Ritterſchaft aber defjenungeachtet
die zu den deßfallſigen tractatmäßigen Rüftungen erforder=
liche Erhöhung der Abgaben geradezu verweigerte, jo ent-
ſchloß fih Landgraf Carl, um ſich die erforderlichen Geld-
mittel dennoch zu beichaffen, auf einen ihm von der Re—
publit Venedig gemachten Antrag einzugehen, berjelben, ge=
gen Gewährung anjehnlicher Subfidien-Gelder, auf2 Jahre
1000 Mann in Sold zu geben; wozu da8 Regiment Prinz
Carl beftimmt wurde,
Sn ähnlicher Weife ward auch im Jahre 1688 mit den
boländifchen Generalftaaten ein Gubfivien-Traftat über die
Stellung von 3400 Mann abgeichloffen, wozu das neufor-
mitte Kärffenbruchiiche Reuters, fo wie das Lippiiche Dra—
goner= und das Infanterie-Regiment Erbprinz Friedrich
beſtimmt wurden und bis zum Ryswicker Frieden in dieſem
Berhältniffe verblieben *).
*) Das Nähere ber an bie Republik Venedig erfolgten Soldgebung
anlangend, vermweifen wir auf Pfiſters — der Krieg in Morea
— woſelbſt auch der betreffende Subfidientraftat ſich abgedrudt
findet.
Den mit den holländiſchen Generalftaaten abgeichloffenen Traftat
haben wir zur Zeit noch nit aufzufinden vermocht. Dagegen
‚weit eine aus dem Jahre 1687 herftammende Defignation ber
monatlihen Ausgaben der Kriegslafle Folgendes nad:
135
Diefeß das anfängliche Motiv, der fpäter vorzugs⸗
weile fo viel verfchrieenen heffiichen Soldgebungen, melde
Für das Geheime Riga Conegium, 3 Köpfe,
1. hir.
monatlih . . . ... 4714
2. Für die fürſtüche tiömade zu Pfert, 120 Köpfe,
besgl.. . . 951
, Für Das Leib⸗ Regiment au pferd, 199 Köpfe, desgl. 1175
4, Für das Prinz Wilhelm Regiment zu Pferd,
144 Köpfe, desgl.. .. . 851
5. Für das Graf von Nafjau Regiment. zu Pferd,
100 Köpfe, desgl. 2 0 2 0 0 629
6. Für die Dragoner, 225 Köpfe, desgl. . . .„ 1325
7. Für das Leib⸗Regt. zu Fuß, 1213 Köpfe . „ 3824
8 Für den Neft des Ufm-Kellerihen Regts. zu
Fuß, 612 Köpfe, desg.. - . 1958
9. Desgl. des Wartenslebenfchen Regts., 612 Köpfe,
bel. ... 1958
10. Für bes Rapitaing Hohmann Compagnie, 100
Köpfe, desgl. . . 299
11. Bei den alten tebautsa he Gampage 10 Köpfe 44
12, Bei den neuen u 4 „ 260
13, Kaſſelſcher Garnifonsftab anf Artilleie, 28
Körfe. ... 0.0. 204
14. Ziegenhainer Garniſonsſiab, 22 Köpfe ... 1890
15. Marburger Garnifonsftab, 16 Köpfe . . - 76
16. Bejagung der 4 feften Bergichlöffer, 125 Köpfe, 308
‚17. Schmalfaldifhe Garnifon, 86 Köpfe. - . » 80
18. Reeption in Et. Goa. 2 2. 2 2 0 0. 6
19. Wartegelder an 7 Berfonen . 2 2 2.0 72
20. Gnabengehalte an 9 Berfnen . - 2... 16
21. Quartal: Gehalte . , oo oo... 50
22. Für die in Ungarn ftehenden Truppen e 0. 2500
23. Zulagen an Offiiere . 2 2 2 0 0 02. 121
24. Oberrheinifche Kreisfoften . . oo 000. 98
Eumma monatlid . 17,432
103
17
163
Die Einnahmen an mionatlihen Kontributionen betrugen da-
gegen nur 16,000 Thlr. und waren außerdem auch noch Febeu-
tende unftändige Ausgaben, für bauliche Erbaltung ber Feſtun⸗
gen, Anfchaffung und Unterhaltung von Kriegsmaterial, fo wie
ber Sold ꝛc. der in jener Defignation nicht mit inbegriffenen
136
jedoch damals um fo weniger irgendwie gegen die Anfichten
der Zeitgenofjfen anftiefen, als die hierzu beftimmte Mans
haft nicht etwa zwangsweiſe außgehoben, ſondern vollig
frei und zwar auf furze Zeitdauer (meift nur auf 4 Fahre)
geworben ward, und es nicht nur durch Tandesherrliche
Edikte auf das Etrengfte unterfagt war, fich bei der An—
werbung ungehöriger Mittel zu bedienen, fondern auch ber
Landgraf unabläfliche Sorgfalt übte, daß dieſem Gebote
die gebührende Folge geleiftet wurde.
Co u. a. erließ er, ald 1717 das Regiment Prinz
Maximilian zum Kampfe gegen die Türfen in Ungarn in
faiferlichen Cold gegeben ward, unter dem 4. Mai d. J.
ein eigenhändiges Reſkript an die zur Mufterung deſſelben
beftimmten Kommiffare (ten General=Lieutenant v. Kettler,
die Kriegsräthe Klauer und Müller und den Kriegspfennig-
meifter Fuhrhans) worin diefe auf Eid und Pflidt
angewiefen wurden
„das Regiment — Mann für Mann nach den vor-
„geichriebenen Fragftüden genau zu examiniren und
„lich dabei vor Allem wohl davon zu vergewiſſeren,
„daß Nichts fehle und namentlich Niemand mit
„Gewalt und Unluft zum Dienfte gezwun-
„gen worden fei, und erſt wenn dieſes ge-
„börig feltgeftellt worden wäre, zur Beei—
„Digung zu ſchreiten.“
Wie auch fonft, trotz dem Barbarismus einzelner
Beftimmungen der damaligen Kriegögefete, damals
noch der Soldat als ein Ehrenmann erachtet wurde, der
freiwillig unter die Fahne getreten fei, und fonach dem—
gemäß behandelt wurde, wird noch weiter an geeigneter
Stelle beſonders nachgewiejen werden.
| Truppen-Abtheilungen zu beftreiten, wozu der won der Kitterfchafl
bewilligte Extra-Beitrag von monatlich 2000 Thlr. natürlich bei
weiten nicht binveichte,
137
Aber auch das bereits Angeführte dürfte wohl hinrei—
chend erkennen laſſen, daß eine in folder Weiſe zu-
kmmen gebrachte Truppe denn doch wohl nicht verdient,
in demjenigen verächtlichen Sinne als Söldlinge und
verfaufte Sklaven bezeichnet zu werten, wie dieſes
jo Häufig und namentlich vorzugsweile durch den Geh. Rath
Echloffer in feiner Gefchichte des 18. Jahrhunderts, be=
ſonders in Beziehung auf Heſſen-Caſſel in jo hervorftechen-
der Weile beliebt wird.
Ja e8 dürfte fogar füglih in Frage zu ftellen fein,
ob e8 der Ehre des deutichen Namens, jo wie dem Nuten
des Gefammtvaterlandes nicht entjchieden fürderlicher ge=
weſen jein würde, wenn, felbft noch in den Tagen der
Gegenwart ftatt der von fo vielen Einzelnen geübten Reif»
lauferei zu der franzöfiichen Fremden= und engliichen Krim—
Legion, ein deutſcher Fürft die Sache hätte in Die Hand
nehmen, und die Werbetrommel hätte umfchlagen laffen
fünnen, um in folcyer Weile dem tief im deutichen Volks—
charakter liegenden Drange nach Friegeriichen Abenteuern
einen geregelten Abzug darzubieten ?
An mannhaften, ebrbaren Gefellen, die Luft getra=
gen haben würden, ihr zu folgen, würde es heut zu
Tage eben fo wenig, als in ben Zeiten Herrn George
Frundsbergers, des Landsknechtsvaters, gemangelt haben,
Man hätte namentlich auch an Offizieren in Bezug auf
den Eintritt in eine folche deutiche Legion eine reiche
Auslefe unter den Beften haben Tonnen. Und was eine
ſo zufammengefegte Deutiche Legion, gut geführt, un—
zweifelhaft geleiftet haben würte, das dürfte fich aus dem
abnehmen laſſen, was die Doch hauptjächlih nur aus deut—
hen Parias zuſammen gejegten Bataillone der franzöſiſchen
Fremden-Legion — nad) dem gewiß unverbächtigen Zeugs
niffe verdienter franzöfiicher Offiziere — vor Eonftantine,
Miliannab und an fo vielen andern Orten in Afrita auch
ſchon fo geleitet haben.
138
Sft es doch ebenmwohl eine Thatſache, daß jene Ba⸗
tailfone der franzöſiſchen Fremden-Legion, ein, das Vers
hältniß ihrer Stärke weit überfteigende® Contingent zum
Erſatz der fo hoch gepriefenen Zuaven-Negimenter ftellen, und
fündet nicht minder das jn ganz unverhältnigmäßiger Weife
ftattfindende Vorherrſchen deutſcher Namen in den Verzeich-
niffen der von eben jenen Zuaven-Regimentern in bem
legten italieniichen Feldzuge mit dem Orden der Ehren-Le⸗
gion Dekorirten, fo wie die häufig in die deutichen Hei—
math-Orte ſolcher Zuaven und Turkos gelangende Todes⸗
beſcheinigungen von Seiten der franzöſiſchen Militär-Be—
hörden *), wie viele tüchtige Kräfte dem deutſchen Vaterlande
in folcher Weiſe fort und fort verloren gehen.
Wäre e8 zu ermöglichen gewefen, während der langen
feit 1815 ftattgehabten Friedensperiode, in folcher Weije
auch für Deutichland, Die in Franfreich fo lebensvoll ge—
bliebene Tradition — wie e8 im Kriege wirflid her—
gehtund was ſonach der Krieg erheiſcht, - ebenfalls
Iebendig zu erhalten, der deutſche Vaterlandsfreund würde
der nächſten Zukunft mit minderer Bangigfeit entgegens
bliden können, und das franzöfiiche Heer un einen wefent-
lihen Bortheil, Den es leider vor und voraus hat, ärmer
fein. Ja es fragt fih, ob unter dieſer Vorausſetzung nicht
vielleicht manche bei Magenta und Solforino gemachte,
traurige Erfahrung erjpart worden fein dürfte? Seden-
falls ift fo viel gewiß, daß, als die damals — fo wie auch
heute wieder — Deutihland von Frankreich drohende Ge—
fahren endlich zum Ausbruche gelangten, das kleine Heſ—
jen — Dank jenen Soldgebungen — fich in einer mujter=
mäßigen Weije gerüftet fand.
Es war nämlich deffen Krieggmacht, zumal für
*) Wie 3. B. erft noch unlängft aus ſolchem Anlaſſe in der Dorfzei-
tung die Todesanzeige eines — irren wir nit — aus Rudolftabt
oder Reuß-Greit gebürtigen Turkos zu leſen war.
139
jene Zeit und im Verhältnig der Größe des Landes, nicht nur
ver Zahl nach eine jehr anjehnliche (außer dem Landausſchuſſe
ärca 3000 Mann Neuterei und 7 — 8000 Mann Zußvold),
ſondern e8 war foldhe auch, was deren Außrüftung, Bes
naffnung und Waffenfertigkeit anlangte, als an der Spitze
8 Fortſchrittes der Zeit ftehend zu erachten, und hatten ſo—
wohl deren Führer als auch die Mannjchaft felber, eben in
jenen fremden Solddienſten, fich bereits eine nicht geringe
RKriegserfahrung, vor Allem aber durch ihre bethätigte Tapfer-
keit einen wohlbegründeten und weit verbreiteten Ruhm erwor⸗
ben, jo daß das hejjiiche Corp8 bereit3 überall, wo es aufs
trat, Achtung und Anerkennung feines Triegerifchen Werthes
fand,
Sp und in diefer Weife hat denn auch das heffiiche
Heer, wie wenige andere der Fleineren deutfchen Contingente,
ſich faſt lediglich durch fich felbft und aus fich felbft heraus,
dem brandenburgiichen völlig ebenbürtig herangebilvet *).
Aber auch noch in jeder anderen Beziehung darf der
beffiiche Vaterlandsfreund, zumal im Hinblide auf daß,
was gleichzeitig in anderen deutichen Staaten ſich zutrug,
mit freudigem Stolze auf das zurüdbliden, wa8 und wie
jolche8 in jeinem Waterlande erreicht und errungen wurde.
Sp beſaß 3. B. Würtemberg zwar ebenfall8 fchon
ſehr frühezeitig ein nicht nur ungleich zahfreicheres, fon=
dern ſogar auch ein noch beſſer bemwaffnetes und nicht
minder zwedmäßig gegliedertes allgemeined Landaufgebot
als Heſſen-Caſſel. Es betrug nämlih bei einer 1603
über das würtembergiiche Landaufgebot abgehaltenen Ge—
neral= Mufterung, die Zahl der dazu Dienftverpflichte-
ten nicht weniger als 66,229 Köpfe, worunter fich allein
*) Wir werben weiterhin ©elegenheit nehmen, bie bei ber heffilchen
Kriegsmacht ftattfinnenden Einrichtungen desfalls mit ben gleichzei-
tig, bei der branbenburgifchen und würtembergifhen Kriegsmacht
fich vorfindenden, Einrichtungen noch beſonders zu vergleichen.
140
6878 mit Feuergeiwehren Bemwaffnete befanden; und war
diefe Mannfchaft auch jehr zweckmäßig, je nach ben ver-
Schiedenen Alterflaffen, in verjchiedene Aufgebote, und Diele
wieder in befondere Fähnlein zu Roß und zu Fuß ges
gliedert. Auch waren in allen Amt3-Hauptorten, um die
Mannfchaft ſachgemäß zu drillen (d. h. in den Waffen
zu üben), eigene bejoldete |. g Drillmeifter angeftellt, und
auch fonft in den feiten Pläßen anſehnliche Vorräthe von
Geihüg und Munition %. Dagegen feheint dem Ganzen
aber doch jener ftrenge, wahre und ächte Kriegsgeiſt ge—
fehlt zu haben, der die gleichzeitige von Landgraf Mo—
ri erlaffene Wehrorpnung durchweht, vielmehr jchon da—
mals in Würtermberg allzuviel Gewicht auf eiteles Schaur.
gepränge gelegt worden zu fein. —
Eben fo fuchten auch die gleichzeitig mit Landgraf Karl
über Würtemberg berrichenden Regenten, in Folge ter bes
harrlihen Weigerung ihrer Stände die zur Unterhaltung
ftehender Truppen erforderlichen Gelder zu bewilligen, fich
dieje Mittel durch fait noch umfünglichere Soldgebungen,
als die heifiichen, an die Republik Venedig und die hol»
ländiichen Generalſtaaten zu befchaffen, verjtanden e8 je=
doch bei weitem nicht, das in folcher Weile Erwortene
nun auch wieder in dem Geiſte weijer Eparfamfeit, und
mit jener Einficht für das wahre Befte tes Lantes zu ver—
wenden, wie diejed von Landgraf Karl mit jo großer Mei—
ſterſchaft geſchah.
Vor Allem aber, wenn auch die heſſiſchen Stände,
kaum minder feſt als die würtembergiſchen, in ächt junker—
lich engherzigem Geiſte — die Hand auf dem Beu—
tel zu halten liebten, ſo fiel es ihnen doch niemals
ein, die Pflicht: das Erforderliche an Mannſchaft
und Geld zu präſtiren, in Frage zu ſtellen, obſchon,
*) Stadlinger, Geſchichte des würtemberg. Kriegsweſen, Seite 269.
141
ms das Erforderliche fei, freilich oft genug zu ben
ebitterften Streitigkeiten Anlaß gab.
Demgemäß gaben ſolche denn auch. bereits 1882,
im richtigen Verſtaͤndniß des Wandel aller Verhältnifie,
m an fie geftellten Anfinnen des Landgrafen Karl nach
md genehmigten e8, daß die zur Unterhaltung des vater-
Indifhen Wehrweſens bejtimmte Grundfteuer oder ſ. g.
Esntribution in eine ftändige Steuer umgewandelt wurde.
Die würtembergifchen Stände dagegen hielten, fort
nd fort, mit der angeftrengtejten Hartnädigkeit, an den Bes
finmungen des Tübinger Vertrages von 1514 feft, wonach,
ſo oft das Landaufgebot zum Kriegspienfte verwendet
wurde, dafjelbe Lediglich au den Einkünften des herzogs
lichen Kammergutes erhalten werden follte, die Landſchaft
aber nur alsdann einen Gelbbeitrag zu leiften ſchuldig war,
wenn Die Unterthanen vom perjönlichen Kriegsdienfte frei
blieben,
Da die perfünliche Kriegsdienſtleiſtung aber haupt⸗
ſächlich eine die niederen Vollksklaſſen treffende Laft war,
jo wiberjegten fi) die Stände daher auch grundjäklich
Allem und Jedem, was nur immer dahin führen Tonnte,
die Verwendung des Landaufgebotes außer Anwendung zu
bringen und flatt deſſen die Einführung einer Geldfteuer
anzubahnen, da Ießteren Falles hauptfächlich fie — die
Stände — davon betroffen werben mußten. |
So verweigerten diefelben unter anderen aud) 1634,
trotz der dem Lande drohenden feindlichen Invaſion,
eine monatlich auf 55,000 Gulden bemefjene Kriegsfteuer zu
bewilligen, um mittelft derjelben die nöthigen Werbuns
gen vorzunehmen und das zum Schube des Landes her»
beigerufene Corps des Herzogs Bernhard von Sachſen⸗
Weimar angemefjen zu verjtärfen, jondern verlangten,
daß dieſe Verſtärkung lediglich durch das Landaufgebot ers
folgen follte,
Dur die hieraus entitandenen Weiterungen ſah
VEIT. Band,
142 -
fih aber Herzog Bernharb gendthigt, dem einbrechenven
Feinde mit unzureichenden Streitkräften entgegenzutreten.
Derjelbe erlitt daher auch am 27. Auguft 1634 bei Nördlingen
eine totale Niederlage, wobei unter anderen von ben 6000
Mann des würtembergiichen Landaufgebots, womit ſeit
Heer verftärkt worden war, über 4000 Mann den Taod
fanden, Außerdem ward da8 ganze Land dem Feinde zur. -
Beute. und Herzog Eberhard II. vermochte erft 2 Jahre
nach Abſchluß des Münfterifchen Friedens wieder in. den.
vollen Befitz feiner Staaten zu gelangen, während Diefe
inzwiſchen durch. das unmenfchlichite, von Freund wie
Feind, in ſolchen geübte Wüthen fait zur Einöde geworben
waren, J
Denn es ward nicht nur der während dieſes Zeitraums
dem Lande durch erpreßte Kriegsſteueren aller Art, ſo wie
duch Raub, Plünderung und Mordbrand, verurſachte
Schaden auf die, für die damalige Zeit, ungeheuere Summe
von 118 Millionen Gulden veranſchlagt, ſondern es war
auch die Bevölkerung durch Morden, Sengen und Auswan⸗
derung von 313,000 auf 48,000 Seelen zuſammengeſchmolzen.
Nur ein einziger Ort im ganzen Lande war von .
au dieſem Sammer und Clende. verjchont geblieben, da
nur von jeiner Zinne herab, während dieſer ganzen Zeit,
das Banner Würtemberg8 unentweiht und fiegesftolz in :
den Lüften geflattert hat. Diefer Ort aber war die Feſte
‚Hohentwiel, wo ein aus Ziegenhayn gebürtiger heſſiſcher
Biedermann — Conrad Wiederhold — den Befehl führte; -
und fein dem Herzog geleijtete8 Gelübde:
„Die Sefte unter feinen Umftänden Semanden anders
#9...
„als ihm oder feinem rechtmäßigen Nachlommen per-
„ſönlich zu öffnen”
‚ganz und gar in jenem, durch Nichts irre zu machenden,
Geifte wahrer und ächter Hefjentreue zur Erfüllung brachte,
mit welchem einft auch Edebrecht von Grifte dem. Kands
grafen Hermann das Schloß Gudensherg, Heinze von
143
Lider aber Wiederholds Vaterſtadt, Ziegenhain, dem Lande
nafen Philipp dem Gropmüthigen erhalten hatte *).
Sa e8 ift jehr die Frage, ob e8 heut’ am Tage wohl
uch ein Würtemberg geben möchte, wenn e8 damals kei⸗
war Conrad Wiederhold gegeben hätte, indem der Kaifer
de Burücdgabe der würtembergifchen Lande an den Herzog
sfänglich hauptlächlich von dem Verfprechen abhängig machte,
m den Beſitz dieſer noch unbezwungenen Seite einzu⸗
säumen **). |
Gleichwohl vermochte alles dieſes, in Folge der Nörd⸗
finger Schlacht über Würtemberg hereingebrochene, Elend
*) Die Großthat Heinze's von Lüder ift zu befannt, als daß ihrer
bier naher zu erwähnen nötbig fein möchte. Die Vertheidigung
son Budensberg anlangend, mag aber Erwähnung finden, daß, als
1387 der Erzbifhof von Mainz dieſe Fefte belagerte, und jogar
bie Gemahlin des Landgrafen Hermann perfönlich vor deren Pfor⸗
ten erichien und deren Befehlshaber, Edebrecht von Grifte, aufs
forderte, diejelbe „des lieben Friedens willen zu räumen“ biefer
berjeiben entgegnete:
»Gnädige Frau! Hebet Euch hinweg, ober ich laſſe auf Euch
„einwerfen wie auf den Feind; denn ich getraue mich zu Gott,
„dieſes Schloß meinem guädigften Herrn zu erhalten bis es
„Friede wird, dann will ich e8 wie ein Biedermann, Doch nicht
„eher, verlaffen.”
“er In dankbarer Anerkennung dieſer großen Berbienfte ernannte Her-
zog Eberhard Wieterhold aber auch zum Oberften eines Regiments
zu Fuß und zum lebenslänglichen Gommandanten der von ihm jo
treu bewachten Feſte, Jowie zum Ober-Bogte von Kirchhaim and,
Ted, verlieh ihm anjehnlihe Güter und ließ ihm auch, nad
feinem 1663 erfolgten Abfterben, zu Kirchhaim ein prächtiges Grab»
denfmal feßen, das in den 1830er Jahren erneuert und mit
folgender ehrenvollen Inſchrift verjehen ward:
Der Kommandant von Hohentwiel
Feſt wie fein Fels, der niemals fiel,
Der Feinde Tort
Der Armen Hort.
Ein Bürger, Held und Ehrift wie Gold
So ruht hier Konrab Wiederhold,
10*
144
e8 aber doch nicht zu bewirken, ben ſchwäbiſchen Kreis⸗, To
wie den würtembergiichen Zand-Ständen zu einer befjeren
Einfiht in Bezug auf. die Erforderniſſe einer erfolgreichen
Zandesvertheidigung zu verhelfen.
Es hatte dieſes jedoch zur Folge, daß während ve
1674 mit Frankreich ausgebrochenen Reichskrieges dag Land
nicht nur abermals, faft wehrlos, den Raubzügen der fran⸗
zöſiſchen Befagungen in Philippsburg und Freiburg fich
preißgegeben fah, jondern daß auch die desfalls im Winter
16°°/,, zu deſſen Schuße daſelbſt in Winterquartiere ver-
legten Reichsvölker eine fo übele Mannszucht beobachtes
ten, daß der hierdurch erwachſene Schaden und Koftenaufs
wand ebenmwohl wieder auf etwa 8 Millionen Gulden ver⸗—
anichlagt wurde, während für Die Hälfte Diefer Summe,
die allerbrillantefte Wehrverfafjung hätte eingeführt werben
fönnen.
Aber auch felbjt nach dieſer Erfahrung ward von
Seiten der Stände: die endlich durch Reichstagsbeſchluß
vom 21. Mai 1681 ind Werk gejegte Verbeſſerung der
Reichsheer⸗Matrikel nur mit Wehllagen vernommen, und
vermweigerten jolche, troß der täglich deutlicher hervortretenden
Anzeihen der Eroberungsgelüfte Ludwig XIV., hartnädig
die Mittel, eine größere Zahl von Solbtruppen erhalten
zu Tünnen, als das gegen die Türken ins Teld geftellte
Kreis-Eontingent erheifchte.
In Folge deſſen juchte zwar der, über den minderjäh-
rigen Herzog Eberhard Ludwig die Bormundichaft führende,
Herzog-Adminiftrator, Friedrich Karl — gleich wie auch
vom Landgrafen Karl geihah — durch einen 1687 mit
der Republik Benebig abgejchloffenen Subſidien-Vertrag
über Soldftellung von 4000 Mann Fußvolk und einen 1688
mit den holländiſchen Generalftaaten abgefchloffenen Vers
trag über Solpftellung von 900 Reitern, fich ebenfalls einen
verfügbaren Kriegsſchatz zu bilden, da jeboch hierdurch auch
145
noch die letzten Refte der vorhandenen Solbtruppen außer
Landes gezogen wurben, fo fand ſich, als endlich im Sep-
tember 1688 der franzöfiiche Dauphin an der Spibe eine
Heeres plöklich in die Pfalz einbrach, und mehrere Streif-
corps plündernd und verwüftend über den Rhein und nach
dem Schwarzwalde hin entjendete, das Land abermals völlig
wehrlos. Denn weit entfernt, biergegen wenigſtens das von
ihm ſonſt bei allen Gelegenheiten jo hochgeprießene Land⸗
aufgebot zu den Waffen zu rufen, glaubte ber, den |. g.
Vormundſchaftsrath bildende, ſtändiſche Ausſchuß nur noch
in der feigften Unterwürfigfeit das einzige Heil zu finden,
und Tieß Daher die Unterthanen noch allenthalben beſonders
ermahnen, die Franzoſen ja nicht etwa durch verjuchten
Widerftand noch mehr zu reizen.
. - Demgemäß fanden dieſe denn auch nicht das mindeſte
Hinberniß, allenthalben die unerjchwinglichften Brandichagun-
gen und Requifitionen auszufchreiben und jede ihnen belie-
bige Greuel zu üben. Ja fogar bie Mehrzahl der feiten
Plätze, als namentlich das Schloß zu Tübingen und die
Feſte Hohenajperg fielen ihnen, in Folge der Drohung, an-
beren Falles Stuttgart in Brand fteden zu wollen, ohne
Schwertftreich zur Beute.
Nur der Commandant von Schorndorf, Peter Krom⸗
ar, weigerte im Geifte Conrad Wiederholds, der ihm
durch den Bogmundichaftsrath zugefommenen Weiſung, dieſe
Feſte Dem vor derſelben erfchienenen Marſchall-de⸗Camp
Melac zu öffnen, Folge zu geben.
Indeſſen würbe auch er, bei der ſchwankenden Gefin-
nung des Magiftrates, jchwerlich haben Yange Wiberfiand
leiften können, wenn nicht die über die Feigheit ihrer Män—
ner auf das Aeußerſte entrüfteten Weiber (die Gattin des
Bürgermeifters Kinfele und des Hirfchwirthes und Gerichts⸗
Beifigerd Kabenftein an der Spite) in einen fürmlichen
Aufftand ausgebrochen wären und jeben. mit dem Zope
146
bedroht hätten, der e8 wagen würde auf Uebergabe anzu⸗
tragen *).
Ebenfo weigerte fih, gleichfalls zum Theil durch
ihre Weiber dazu angeregt, die Bürgerjchaft von Göppin⸗
gen, den feigen Geboten des Bormundichaftsrathes Folge
zu geben, wie benn überhaupt niemal® am deutichen Volke,
fondern lediglich nur immer an defjen Leitern und Lenkern
- bie Schuld gelegen hat, wenn e8 feinen Bebrängern nicht
ftet8 und überall den mannhafteften Widerftand entgegen
geſetzt hat.
Würde doch felbft in den 1790er Jahren den
Schaaren der Neufranken ganz füglih die volle Kraft
und Macht eines Volksaufgebotes haben entgegen geſtellt
werden fünnen, wenn ander8 die Regierungen dazu nur
das erforderliche Geſchick und ven Muth beſeſſen hätten.
Denn nicht nur der heifiiche Volksftamm und nament⸗
lich die Bevölkerung der Grafihaft Hanau zeigte ſich vom
beiten Geifte befeelt, fondern auch überall andermwärts fehlte
e8 nicht am erhebenden Beifpielen zur Nacheiferung. Sp
unter andern zeichneten fich die Bürgerjchügen Freiburg
durch ihren Muth aus, fehlte ſelbſt dem Mainzer Lands
ſturm nicht der gute Wille, fondern nur die entiprechende
Zeitung, um Erfolgreiche8 zu bewirken, wie nicht minder
auch aus dem kurtrieriſchen Landfturm 1794 durch den
dfterreichiichen Hauptmann Schulz von Rothacker, ein 500
Mann ftarkes mobiles Bataillon auserlefen ward, welches
an den Feldzügen von 1795—96 den rühmlichiten Antheil
nahm, während ebenſo auch, das Landvolk im Luxembur⸗
gifchen, obgleich ohne alle Unterftügung gelaffen, langehin
den erbittertften Kampf unterhielt, insbeſondere aber faft
die geſammte männlide Einwohnerichaft von Dudeldingen,
im Mai 1793, in Folge der heldenmüthigen Vertheidigung
ihres gegen die Angriffe des Feindes verbarrifadirten Hei-
maths⸗Ortes, den rühmlichiten Untergang fand.
*), Stablinger ©, 339 u. ſ. w. .
147
Um fo fehmerzlicher dagegen, daß in Deutichland
zwar noch alle Zeit nur allzuviel blühende Jugendkraft,
sit um geringer Verirrungen halber, hinter Kerfermauern
verwelft und verfommen ift, während Zälle, wo wahre
und wirkliche DVerräther an Ehre, Treue und Vaterland
mr gebührenvden Strafe gezogen worden find, nur ſehr aus⸗
nihmsweiſe vorfommen.
Möge das in Zukunft ander8 werben, denn es ift
simmer gut, wenn, während der bloß Irrende keine Ver:
zeihung zu hoffen, der moraliich Schlechte feine Strafe zu
fürchten hat.
Auch in Würtemberg fand das elende Verhalten bes
Vormundſchaftsrathes Damals nicht die gebührende Ahn—
bung. Glüdlih genug, daß e8 dem Herzog-Adminiftrator '
wenigſtens gelang, an der Spike einiger bei Ulm gejam-
melten Reichsvölker noch zeitig genug zur Hülfe herbeizu-
Iommen und die bereit8 von Seiten der franzöfifchen Heer-
führer beichlofjene Plünderung und Einäfcherung der vor=
nehmften Orte des Landes zu verhindern, indem folche
dadurch veranlaßt wurden, eiligft über den Schwarzwald
zurückzuweichen, zumal da8 Landvolk, durch die erlittenen
Mißhandlungen in Verzweiflung verfegt, überall in vollem
Aufruhr ausbrach und mitleidlos alle Franzoſen, welche
ihm einzeln in die Hände fielen, mafjafrirte, Aber der dem
Lande durch die feindliche Invaſton verurfachte, abermals
auf mehrere Millionen fich belaufende, Schaden vermochte
dadurch doch nicht erfeßt zu werben.
Gleichwohl wieſen die Stände auch jet wieber einen
Antrag des Herzogs⸗ Adminiſtrators:
‚Aus dem, zu einem nachhaltigen Widerſtande offen⸗
„bar nicht mehr geeigneten: Zandaufgebote, eine nur
„aus ledigen Männern zufammengejegte reguläre
„Land miliz zu formiren und ſolche mit kriegserfah⸗
„renen, beſoldeten Offizieren und Unternffizieren zu
„verjehen.”
148
(wer ſollte es wohl glauben?) ausdrücklich um deshalb
zurück:
„Weil durch dieſe Einrichtung die Rechte der Un—
„tertbanen, welche nur in wirflihen Nothfällen
„auszuziehen verpflichtet wären, auf das Empfindlichfte
„verlegt und ben Landesverträgen, der Verfafjung und
„den — unfürdenfliden — Herkommen ftrad8
„gegen gehandelt werden würde *).
Sn der That fand, in Folge diefer fortgejegt zwiſchen
der Regierung und den Ständen ſich fortfpinnenden Strei-
tigfeiten, in Würtemberg, und zwar auch jelbft da noch nur
mit halber Gewalt, die Einführung ftehender Truppen erft
im Sabre 1724 ftatt.
Aber gleichiwie bis dahin durch die unverftändigen
Anſchauungen der Stände von den Rechten der Untertha=
nen, oder vielmehr durch deren Eigenjucht, Tieber das Blut
des Volkes, als die Befteuerung ihrer Güter zu bewilligen,
\o viel Elend, Schmach und Schande über das von Gott
ſonſt jo reich gejegnete Land heraufbeichworen worden war,
ebenso ward auch, nachdem die ftehente Krieggmacht ein-
geführt worden war, jolche nunmehr von Seiten der Re—
gierung mehr denn irgend anderswo — faſt nur miß-
braucht. So u. a. fand die über den minderjährigen Her-
309 Karl Eugen niedergefeßte vormundichaftliche Regierung
nicht das mindefte Bedenken, in den Jahren 1737—42,
jowohl an Defterreich 1 Reiter- und 2 Infanterie-Regimen⸗
ter, als auch an Preußen 1 Dragoner- und 1 Sinfans
terie-Regiment nicht etwa bloß in Sold zu geben, ſondern
folhe an diefe Mächte in optima forma ganz ebenfo mit
Haut und Haar, Montur und Waffen und Sattel und
Zeug zu verlaufen, wie man nur irgend ein Pferd mit
Sattel und Zeug verkauft.
Nicht minder ging Herzog Carl Eugen, nachdem
*) Stablinger ©. 342.
|
|
149
er feihft zur Regierung gelangt war, auf ein ihm bereits
1752 gemachtes Anerbieten,
gegen Erſatz aller Koſten und anfehnlicher jährlicher
Subfidien, 6 Jahre Yang ſtets 6000 Mann feiner
Truppen zum Dienfte für? die Krone Frankreich
und zwar der Art marjchbereit zu halten, daß dieſe
berechtigt wäre, folche aus dem Dienfte des einen in
jenen eined anderen ihrer Verbündeten übertreten zu
laſſen,
auf das bereitwilligſte ein. |
Als aber der 7jährige Krieg ausbrach und ber fran⸗
zoͤſiſche Commiſſar Potier in Stuttgart erfchien, um in Folge
jenes Traftate jene 6000 Mann zum fchleunigften Aus-
marjche zu mufteren, während gleichzeitig durch Reichdtags-
beſchluß, das 1728 Mann ftarfe würtembergifche Contin⸗
gent zur Reichs-Armee aufgeboten wurde, betrug die wirl-
lich vorhandene Zahl an Truppen gleichwohl kaum 3000
Mann, benen ed noch dazu an Allem, ſowohl an Waffen,
als Ausrüftung und Montirung mangelte, indem Herzog
Karl, in Folge feiner Verſchwendungsſucht, ſowohl die für
den Militärftaat beftimmten Landeseinfünfte, al8 auch jene
franzöfifchen Sold⸗ und Subfiviengelder zu feinen farbana-
saliichen Bergnügungen verwendet hatte.
Somit ward denn auch jegt nicht nur die zur Mobil-
machung jener Truppenzahl erforderlide Mannichaft, Tone
dern auch das dazu nöthige Geld u. ſ. w. troß alles Pro-
teflirend und Lamentirens der Stände, mit Äußerfter Härte
ohne weitere vom Lande erpreßt, Auch wurde i. J. 1758
jener Vertrag nicht nur abermals auf 6 Jahre erneuert,
fondern fogar noch weiter auf Die Stellung von 12,000 Mann
außgebehnt, und von dem mit der desfalliigen Aushebung
beauftragten Günftling des Herzogs — dem Major Rieger *)
*) Späterhin als Commandant von Hohenasperg beurfunbete Rieger
nicht minberen Eifer, wie früher für den Herzog Soldaten, nun⸗
mehr, zum Theil mit benjelben Mitteln, für bie orthobore Kir⸗
150
fein Mittel gefcheut, die erforderliche Mannichaft zuſam⸗
men zu bringen, fo daß die in Folge deſſen geübten em—
pörenden Gewaltthätigfeiten bald feine Grenzen mehr fan⸗
den *).
Mährend nun in Folge deifen bei der alſo ausge—
hobenen Mannichaft nicht nur eine mafjenhafte Deſertion,
jondern vielfach auch noch offene, nur mit blutigfter Strenge
niederzufchlagende, Meuterei ftatt fanden, da, wie die Leute
Hagten, „te nicht bloß wie Stlaven gewaltfam gepreßt und
mit Schlägen unmenjchlich mißhandelt worden wären, fon
bern nun auch noch gezwungen fein jollten, für eine
fremde Macht gegen den Beichüger ihres Glaubend zu -
fechten“, fo war auch ihre Theilnahme an den Begebenhei-
ten des 7jährigen Krieges ſelbſt, eine eben jo wenig glück
liche, als ruhmvolle. Denn gleichwie die bei der öfterreichi-
ſchen Haupt-Armee eingetheilten 6000 Dann des erften Aus⸗
zugs in der Schlacht bei Leuthen faft vernichtet wurden,
henlehre Gläubige zu refrutiren, in Folge deffen namentlich auch
der unglüdlihe — als Staatsgefangener zu Hohenafperg eingeler-
ferte — Dichter Schubarth fo viel zu leiden hatte; wie denn übers
haupt ein religiös-fanatiicher Soldat wohl zu den jchredlichften
Geifeln zu rechnen ift, womit bie Menfchheit gepeinigt werben fan,
Sehr wahr und treffend äußert fih daher auch K. von Rein⸗
hardt (Lieyitenant im k. p. 1. Garde⸗Regiment zu Fuß) in feinem
vortreffliden Schriftehen — Ich dien — in diefer Beziehung dahin:
„Für die Soldatesfa des Glaubens gibt e8 feinen Halt, keine
„Schrante, kein Gewiſſen. Sie fehredt wor nichts zurüd
„geichieht e8 nur unter dem Banner der reinen Lehre ad ma-
„jorem dei gloriam. Denn wenn jelbft der entartetfte und fila-
„viſchſte Menſch im Dienfte eines Tyrannen eine Grenze der
„Schlechtigkeit erreicht, jenſeits welcher fein Gewiſſen fich nicht
„mehr durch den erhaltenen Befehl hinreichend gegen Die Ber»
„geltung Gottes ficher fühlt, fo findet die Tyrannei im Bunde
„mit dem religidjen Fahatismus Dagegen zu jeder Schanbthat
„Werkzeuge, denn unter dieſem Mantel birgt ſich jede Gier,
„jede Mache, jede Leidenſchaft und jede Grauſamkeit.“
*) Stablinger ©, 429, ur
151
fo erlitt auch der zweite, Der Armee unter dem Prinzen
son Soubiſe zugetheilte, Auszug im Feldzug von 1759,
unter erfolgreichiter „Mitwirkung einiger heſſiſchen Abthei⸗
lungen, als namentlich des Leib-Dragoner-Regiment8 (heus
figen 1. Sufaren-Regiment8) bei Fulda eine Hägliche Nie—
berlage.
. Mm fo mehr muß e8 freilich Wunder nehmen, wie,
ſolchen Thatſachen gegenüber bezüglich der GSoldges
dungen deutſcher Truppen in fremde Dienfte, allgemach
Seen gleichſam als alleiniger Repräfentant dieſes Ver⸗
ſahrens hingeſtellt, und wie insbeſondere die von Seiten
Heſſen⸗Caſſels während des amerikaniſchen Krieges an die
Krone England erfolgte Stellung von Soldtruppen gerade=
zu nur als Menichenhandel bezeichnet wird *),
Wenn nämlich) die von Heflen-Cafjel an Die Krone
England gewährten Soldgebungen, wie aus jämmtlichen
Traktaten nachweisbar, in mehrfacher Beziehung als Aus⸗
füfje, einer feit den Tagen Landgraf Carls zwiſchen beiden
Staaten ununterbrochen unterhaltenen Art von DOffenfiv-
und Defenfiv- Allianz fich barftellen **), jo hatte Dagegen
*%) Allerdings wirb bin und wieber and Würtemberg, indeſſen haupt»
fählich Doch nur wegen bes von ihm 1786 den holländifchen Ge⸗
neralftaaten in Sold geftellten f. g. Cap-Regiments, ebenfalls heftig
angegriffen; feltfamer Weife war aber (nach den gewiß volllommen
begründeten Angaben Stablingerse S. 454) die Werbung für bie-
ſes Regiment nit nur eine vollftändig freiwillige, ſondern es
bielt der Herzog Karl Eugen, vor befien Abmarjche, fogar auch
noch eine perjönliche Anſprache an daffelbe, worin er bie Zufiche-
rung gab: daß wer nit freiwillig marfchieren wolle,
‚ zurüdbleiben könne. Indeſſen hätten nur wenige won biefer
Geftattung Gebrauch gemacht, dagegen fei e8 allerdings vielfach vor-
gelommen, daß die zahlreich angemworbenen Ausländer, nachdem
ſolche bas empfangene ziemlich hohe Hanbgelb verfchwelgt, zu de⸗
fertiren vwerjucht hätten, was daun zur Berhängung firenger Stra-
feh Veranlaſſung gegeben habe.
22) Daß der, während ber Dauer bes Tjährigen Krieges zwiſchen Eng⸗
152
jene Soldgebung würtembergiicher Truppen an die Krone
Tranfreich fein anderes Motiv, als daß der, nach der Sanb
gleichwohl als Schöpfer der hohen Karlsſchule zum Theil
ſo hoch geprießene, Herzog Karl Eugen ſich in keiner ande⸗
ren Weiſe die zu ſeinen ſardanapaliſchen Ausſchweifungen
und Verſchwendungen erforderlichen Geldmittel zu beſchaffen
wußte.
Mit welcher Frivolität er dabei übrigens auch ſonſt
noch zu Werke ging, erhellt unier andern daraus, daß er, ob⸗
jchon eigentlich ein enthufiaftiicher Bewunderer Friedrichs, Die
fonach gleichwohl zur Herbeiführung von deffen Untergang
hergeliehenen Truppen vor ihrem Abmarfche zugleich auch
noch — bis auf die geringfte Kleinigkeit herab — genau nad}
preufifhem Mufter, ganz neu uniformiren ließ.
Das Gefühl des deutſchen Baterlandsfreundes muß
fich durch Alles das aber um fo tiefer verlegt finten, als
land und Heſſen abgefchloffene, Subfivien-Traftat zugleich im We
fentlihen ein Affefurazions-Sarantie-, reſp. Offenfiv- und Defenfto-
Traltat war, wird durch die in nenerer Zeit über dieſe Geſchichts⸗
Periode veröffentlichten Correfponbenzen des Herzogs von Braum-
fchweig, Weſtphals u. A. noch vollends unwiderlegbar nachgewiefen.
Ebenſo erhellt aus dem Subfidientraftate von 1793 (S. v. Ditfurth,
die Heffen in den Feldzügen von 1733 Bd. J. S.217 ff.) daß der⸗
felbe nicht bloß ein folher, fondern eine ausdrüdliche Erneuerung
jenes |. g. Garantie-Traltates war, fo wie man denn auch heſſi⸗
ſcher Seite die der Krone England geftellten Soldtruppen berfelben
durchaus nicht zur beliebigen Berwendung, fondern zu beftimmt
ausgeiprocdhenen, im gemeinfamen Intereſſe liegenden Zwecken
überließ (S. 200 d. 1. B.). Hinfihtlih der Verwenbuug ber
Subfidiengelder aber vergleiche man das hierüber im 1. B. S. 8
u. ©. 523 d. 2. 2. jenes Werkes Angeführte,
Ueber die Soldgebung während des amerifanifchen Krieges wirb
eine — boffentlih in aller Kürze — von einem hochbegabten va⸗
terländifden Schriftfteller veröffentlicht werdende Geſchichte ber
Teilnahme der Heffen an den Feldzügen in Amerika ausfübhr-
Jidde, die bisherigen Anſchanungen weſentüch berichtigende · Mitthei-
lungen erbringen.
153
bei dem, den ſchwäbiſch-allemanniſchen Volksſtamm befees
Inden und nicht zu vertilgenden, wahren und ächten
Kriegsgeifte, unter anderen Werhältniffen, bei minderer
faatlicher Zerfplitterung und wenn zur rechten Zeit nur
immer auch die rechten Männer an der rechten Stelle fich
- befunden hätten, die Gejchichte gerade eben diejer Land—
ſchaft vorzugsweiſe reich an den ruhmreichiten Beifpielen
jur Nachahmung hätte werden mögen.
Allerdings ift auch die heſſiſche Vaterlandsgefchichte
nicht frei von Dunkeln Schattenfeiten. Namentlich hat der
beffiiche Patriot oft genug allen Anlaß, fich von wehmuths⸗
voller Trauer ergriffen zu finden, wie fo oft die nahe lie—
gende Gelegenheiten, wodurch die Mucht und die Blüthe
des Landes weſentlich hätten gefteigert werden können,
ſo gänzlich. verfäumt wurden; während der Kosmopolit,
vielleicht nicht immer ganz mit Unrecht, e8 beflagen mag,
daß ob des allzu ftreng fpartantichen Gepräges, welches
eben durch jene Soldgebungen dem ganzen Volkscharakter
aufgebrädt wurde, mande Blüthe der Kunft und Kultur
kon im Keime wieder zum Wellen gebracht wurde.
Aber wie dem auch fein mag, das mwenigftens hat ber
Forſcher der heifiichen Waterlandsgeichichte vor fo vielen
Andern voraus, daß er nicht zu fürchten hat, auf Dinge
zu fioßen, ob deren Enthüllung der Patriot oder ber
Menichenfreund in Wahrheit erröthen müßte. Jeden
Falles find ſolche Abfcheulichkeiten und ein folches fcham-
und ruchloſes Mitfügentreten jeden Menjchenrechtes, wie in
Folge jener würtembergiichen Solögebung an die Krone
Frankreich unter den Aufpizien Riegerd Statt gefunden, in
Seffen niemals vorgefommen. — Und eben fo ift aud
die heſſiſche Kriegsſchar niemals — wie befonders un-
ter Karl Eugen in Würtemberg — entweder nur Waare
sder Spielzeug fürftlicher Laune, fondern ftet8 ein nach
befter Einficht ihrer Wehrherrn forgfam gehegter und
154
gepflegter, Achtung gebietender Wehrkörper, das allezeit
edelſte Kleinod in der heifiichen Fürſten-Krone geweſen.
Darum ſo ſehr Heſſen-Caſſel in Bezug auf die Ges
ſchichte feiner flaatlihen Verhältniſſe auch zu den beſt—
verläumdeſten Staaten in Europa zu zählen fein mag,
der Kenner der heifiichen Vaterlandsgeſchichte darf gleich
wohl aus voller Meberzeugung im Großen und Ganzen
mit dem freudigften Stolze auf folche hinbliden.
Se augenfcheinlicher aber folhe Rückblicke auf uns
ſere ruhmvolle Vergangenheit für den heſſiſchen Patrioten
täglich mehr zu einem unabmweisbaren Bedürfniſſe fich ges
ftalten, damit der wahre und Achte alte Hefjfengeift, ſo
wie überhaupt Muth und Kraft bewahrt bleiben, um fo
weniger werben e8 und Billigdenfende verargen Tonnen,
wenn wir feine Gelegenheit vorübergehn laſſen, zwar nicht
immer wirklich übelwollenden, gleichwohl ihrer Natur nach
aber doch wefentlich verläumderifchen Traditionen und Des
Hamationen über die Zuftände diefer unferer Vergangenheit
mit Energie entgegen zu treten, und durch Anführung
draftiicher Beiſpiele und Bergleihe an das Sprichwort
vom Splitter und Balken zu mahnen,
Ganz bejonder8 aber darf der heifiiche Patriot mit
freudigftem Stolze auf jene Zeitperiode, welche der Gegen
ftand diefer Abhandlung ift, hinweilen; denn wo wäre
damals ſo weit Die deutihe Zunge reichte, mit alleiniger
Ausnahme Brandenburgs, ein deuticher Staat zu finden
geweſen, der im Verhältniß feiner Größe und: Einwohner
zahl mehr zur Wahrung der Ehre und Sicherheit Deutich-
lands beigetragen hätte, als das Leine Heſſen?
Es beftand nämlih, als das fo lange ſchon von
Frankreich aus drohende Unheil endlich im September 1688
zum Ausbruche gelangte, die vaterländiſche Krieggmacht,
in Folge der bereits ſchon zum Xheil angedeuteten Vers
änderungen in derſelben, zunächſt aus folgenden einzelnen
Abtheilungen als:
155
1. Die Reuterei.
1) Auß der fürftfichen Leibwache zu Pferde (die heutige
Garde du Corps), 2 Compagnien Harnijchreuter
zufammen 167 Köpfe flarf, deren eine, von dem
Oberftlieutenant Heinrich von Baumbach kommandirt,
mit Schimmeln, die andere, von dem Major Franz
Dietrich von Ditfurth kommandirt, mit Rappen berit»
ten war, die jedoch, nachdem 1693 der zum Briga—
dier beförderte Oberft Friedrich von Kettler zu deren
Komandeur ernannt worden war, auf einen Etat von
2 Nittmeiftern, 2 Lieutenantd, 2 Cornet3, 10 Unter-
offizieren, 1 Pauker, 4 Trompetern und 130 Gemei-
nen herabgefegt wurde,
2) Aus dem Leib-Regiment zu Pferde zu 6 Compagnien
Guiraffiere = 360 Köpfe unter dem Kommando des
Oberſten Bernd Siemon von Käarſenbruch (ſpäter
Regiment Gendarmen und 1819, als im Leib—
Cuiraſſier-Landwehrregiment enthalten, eingegangen.)
3) Aus dem vormals Rauiſchen jetzt Epiegelichen-Eui-
raſſier-Regiment zu 3 Compagnien circa 180 Köpfe,
welche als heſſiſches Eontingent einen Theil des in
Ungarn zu Felde Ttehenden oberrheiniichen Kreis-Re—
giments zu Pferde bildeten, nach deren BZurüd-
funft aber wieder auf 6 Compagnien Tomplettirt
wurden, (zuletzt Regiment Carabinierd und 1819,
ebenwohl als im Leib-Euiraffier-Landwehr-Regiment
e enthalten, eingegangen.)
4) Aus dem Kärfenbruchiichen Euiraffier-Regiment, wel⸗
ches in 10 Compagnien circa 720 Köpfe ſtark war
und, im Solde der holländischen Generalftaaten ftehend,
1697 nach Endigung des Kriege reduzirt wurde.
5) Aus dem Lippiichen oder rothen Dragoner-Regiment
zu 6 Sompagnien, eitea 424 Pferbe, unter dem Kom⸗
mando des Majord Hans Heinrich von Boyneburg;
1858
ermitteln war, beichränkt fich darauf, daß den 1690 im
Felde befindlichen Truppen, nach Ausweis der Kriegs⸗Rech⸗
nung, ein |. g. Feld-Artillerjeſtab von 1 Hauptmann
(Hartmann), 1 Lieutenant, 1 Stüdjunfer, 2 Eorporalen,
16 Conſtabels, 2 Tambouren und 32 Handlangern, jo wie
1 Zeugwärter, 1 Wallmeifter, 12 Handwerkern, 6 Fou=
rieren und Schreibern und 1 Profoß mit 1 Steden- Knecht
zugetheilt war, und daß im Kriegsjahr 1696 diefer Felb-
Artillerieftab ebenwohl aus 1 Stüd- Hauptmann (Hart-
mann), 1° SchanzsHauptmann (Leopold), 1 Stüdjunter
(Groͤſſel), 5 Feuerwerkern, 1 Brüdenmeifter, 11 Hand-
werkern, 4 Unteroffizieren, 12 Conftabel8 und 24 Hand-
Yangern beſtanden hat, gleichzeitig aber auch noch ein Gar-
niſons⸗Artillerieſtab befand, wovon 1 Oberſtlieutenant
(Schört), 1 Stüdhauptmann (Conſens), 1 . Stüdjunfer,
1 Oberfeuerwerfer, 1 Petardierer, 1 Stüdgießer (Köhler),
5 Unterbediente und Schreiber, 11 Conſtabels und 20
Handlanger zu Eaffel, 1 Stüdjunfer (Spangenberg), 3
“ Unteroffiziere, 23 Conſtabels und 11 Handlanger zu Rhein-
fels, 1 Unteroffizier, 10 Conſtabels und 2 Handlanger zu
Marburg, und 1 Unteroffizier und 3 Conftabel® zu Bies
genhain fich befanden, und fomit das gefammte Artillerie
Corps aus nicht mehr als 7 Offizieren, 14 Feuerwerkern
und Unterbedienten, 9 Unteroffizieren, 59 Conſtabels und
57 SHandlangern beftanden zu haben jcheint. |
Wie viel Geſchütz fich bei dem Feldartillerieſtabe be=
funden hat und von welchem Kaliber ſolches geweſen iſt,
darüber fehlen: ebenfall8 alle nähern Angaben. Daß defjen
Zahl jedoch. nicht ganz unbeträchtlich geweſen fein kann,
geht daraus hervor, daß jenem Feldartilleriejtabe 1690 ein
Train von 1 Stallmeifter, 1 Wagenmeifter, 3 Ober= und
125 Fuhrfnechten, und 1696 ein folcher von 1 Stallmeifter,
2 Unterofficderen, 4 Ober⸗ und 119 Yuhrfnechten und 250
Pferden beigegeben war.
Auch erhellt aus einigen Altenflüden vom Jahr 1727, Daß
n — WW _.' 17 m 1% |
159
de bis dahin gebräuchliche Feldartillerie nachbezeichnete
Geſchuͤtzklaliber in. fich gefaßt haben dürfte, nämlich an
Netallgeſchütz:
2 12 Pfor. oder Biertelfarthaunen zu 28— 30 Gentner
Rohrgewicht, 4'/, Zoll Kaliber der Seele, 24 Ka⸗
fiber Rohrlänge und 1 Kaliber hintere und N,
Kaliber vordere Metallftärke,
2) 6 Pfdr. & 18—20 Gentner Rohrgewicht, 3'/, Zoll
Kaliber, 28 Kaliber Rohrlänge.
3) 3 Pfor. a 9 Centner Rohrgewicht, 3 Zoll Kaliber und
26 Kaliber Rohrlänge, fowie auch
4) dergleichen 4 Pfor. und 2 Por. Kanonen und
5) auf 12 Pfdr. Steingewicht gebohrte Feldhaubitzen,
beren gefüllte Granaten jedoch 30 Pfd. wogen.
Die Kugelladung. der Kanonen feheint durchgängig
„ Kugelſchwere betragen zu haben, die 4 Pfor. Kanonen
mit 4 Pferden, die Haubigen mit 3. Pferden, die Pulver⸗
larren mit 2 Pferden bejpannt gemweien zu fein*),
Wie fehr das eine Artilleriecorp — und zwar viels
kicht gerade eben weil fo Hein — aber bald darauf fich
als ein an der Spite de8 wahren Fortfchrittes feiner
Zeit ftehendes beurfundete, dürfte aus Nachfolgendem zu
entnehmen ftehn.
Weil nämlich wenig zahlreich, fo fand man fi
*) In einem 1727 aufgeftellten Anſchlage eines zu 9 Stück 4 Pfhr.
‚und 7 Stüd 2 Pfor. Kanonen und 4 Etüd Haubiten berechneten
fe 9. Belbartillerieftabes, wirb die Eumme ber hierzu nöthigen
Fuhrwerke, Beipannung und Bedienung auf 16 Wagen und LO Kar-
ren mit 49 Fuhrkuechten umd 144 Zugpferben, fowie auf I Haupts
mann, 2 Lieutenants, 2 Stüdjunfer, 2 Sergeanten, 4 Feuerwerkern,
1 Ehirurgus, 1 Tambonr, 36 Kanonieren und 36 Sandlangern mit
einem Unterftabe von 1 Zeugwärter, 1 Zeugdiener, 3 Schmieben,
2 Zimmerleuten, 2 Wagnern, 1 Kanonenjchmierer und 1 Profoß
mit 1 Stedentnecht veranfchlagt, wonach fich fchließen läßt, daß
bie 1690 ins Feld geftellte Artillerie etwa 8 bis 12 Geigäbe bes
tragen haben bürfte,
11*
160
häufig. genöthigt, bei rafchen Mobilmachungen ftrebfame
Snfanterie-Officiere in die Artillerie zu verfegen. Hierdurch
aber ward dem Kleinen Corps fort und fort, frühzeitiger als
anderswo, ein wahrhaft foldatiicher Geift eingeimpft und
vermochte der in den größeren Artilleriecorp8 der damaligen
Zeit noch vorherrichende ftarre alte Zunftgeift nicht ebenwohl
jeder Verbeſſerung, als einer Neuerung, hartnädig zu wider
ſtreben und feine tgrannifche Hertſchaft zu üben. Demgemäß
war die heſſiſche Artillerie auch eine der erſten, bei welcher
bereits 1742, unter dem Commando ihres verdienten, ihr
aus der Infanterie überfommenen Commandeurs, des
Oberſt-Lieutenants Diede von Fürftenftein, bei einer neuen
Raffetirung ftatt ber Richtkeile Die Richtſchraube eingeführt
wurde.
Einem Berichte ves Oberſten Diede, de dato Lands⸗
hut, den 1. Februar 1745, zu Folge wäre es aber haupt-
ſächlich dieſem Umſtande zuzuſchreiben geweſen, daß die
1745 bei dem heſſiſchen Corps in Bayern befindliche we—⸗
nige heſſiſche Artillerie bei allen Gelegenheiten, durch ihr
hierdurch bedingtes ebenſo ſicheres als raſches Feuer, ſelbſt
einer weit zahlreicheren und ihr im Kaliber überlege—
nen feindlichen Artillerie mit Erfolg habe die Spike bieten
önnen. Namentlich fei dieſes in der Aktion bei Burghaufen
der Fall gewejen, wo in Folge der Kühnbeit, mit welcher die
heſſiſche Artillerie der feindlichen auf den Leib gerückt wäre,
biefe bei ihrem umftändlichen und zeitraubenden Richten
mittelft des Richtkeils immer zu hoch gejchofjen habe, mäh-
rend Die heſſiſche Artillerie ihr Die nambhafteften Verluſte
zugefügt und folche endlich gänzlich aus dem Felde gefchla=
gen hätte. Die gefammte Armee habe über folche8 ihre
freudige Bewunderung zu erfennen gegeben, und der Gene—
ralfeldmarfchall Prinz von Sachjen-Hildburghaufen derfel-
ben darob nicht nur feine volle Anerkennung ausgefprochen,
jondern auch dem jene Geſchütze befehligenden Artillerie
, 161
Lieutenant von Gohr die vortheilhafteften Anerbietungen
gethan, wenn er in deilen Dienfte übertreten wolfe..
Welche fehr richtigen Anfichten Oberft Diede von
Fürftenftein aber überhaupt von dem wahren Wefen einer
geldartillerie fehon damals gehabt hat, geht aus einem
anderen feiner an den damaligen Statthalter, Landgrafen
Bilhelm VII, gerichteten Berichte hervor, in welchem
efih u. a. wörtlich dahin äußert:
„Wenn ich auch Fein gelehrter Conftabel bin, fo fagt
„Mir Doch Die gefunde Vernunft, daß, wenn eine Feldartil-
„lerie von Nuten fein fol, die Kanons nicht Yeicht müffen
im Drede ſtecken bleiben und die Artilleriften müffen kön—
„nen treffen, wohin Die occassiones e8 erforderen, daß
„man muß hinſchießen.
„Damit erſteres nicht arrivirt, müſſen daher die Peld-
‚„lanons wenigftens fo leicht wie möglich und mit guter
‚Deipannung und Knechten verfehen fein, fo gut zu fuhren
„verſtehn, und damit letzteres zu effectuiren, muͤſſen die Ar—
„tlleriften burtig und flint in der Bedienung fein, belle
„Augen haben und nach ftattfindenden ocassiones nicht ei=
‚senlinnig fein, in der Richtung und Ladung ab= und zuzu—
„thun. Sch halte dafür, wie fchon öfters Ew. Hochfürſt⸗
„lihe Durchlaucht alferunterthänigjt fürzuftellen mich be=
„müßigt befunden, daß das mehr werth fei, al3 wenn bie
„Sonftabel® noch jo gelehrte Discourfe zu führen, aber
„nichts zu treffen verftehn, und die Kanons noch jo durabel
„aber nicht vom Blede zu bringen *).“
Wie aus Obigem hervorgeht, belief ſich die gefammte
vaterländifche Streitmacht, außer dem Landausſchuß, der
9 Diede von Fürſtenſtein, deutſcher Orbensritter, war vom Capitain
in der Garde 1738 zum Major und Commandeur der Artillerie
befördert worden. Avancirte ſodann 1744 zum Oberſten, 1747
zum General-Major, 1754 zum Gouverneur von Kafjel, 1756
zum General⸗Lieutenant und ftarb 1758,
162
zwifchen 2—3000 Mann zählen mochte, zu jener Zeit ſo⸗
mit auf etwa 1500 Mann jchwerer Reuterei, 1500 Mann
Dragoner, etwa 7—8000 Mann Fußvolk und 150 Manz
Geſchützvolk, in Allem und Allem daher auf etwa 13— 14000
Mann *), wobei jedoch zu bemerken ift, daß die Felbregi-
menter biß 1690: meift nur mit 10, und von da ab nur
mit 8 Compagnien ind Yeld* rüdten, 2 Compagnien per
Regiment aber zur Verſehung des Beſatzungsdienſtes in ben
feften Plägen des Landes zurücblieben, oder zur Bildung
des zu dem f. g Unionsregiment zu ftellenden Contingentes
verwendet worden zu fein jcheinen.
Auch der Landausſchuß der altheffiihen Lande war
übrigens bereit3 1634 in ein Landausjchug-Regiment ver-
einigt und. folche8 1689 dergeſtalt in 4 Bataillone einge-
theilt worden, daß das 1. Bataillon die Compagnien Der
3 Caſſeler Aemter, jo wie die Gudendberger, Wolfhager
und Zrendelburger Compagnien, das 2. Bataillon die Mel-
funger, Rothenburger und Hersfelder, das 3. Bataillon
die Eſchweger, Allendörfer und Stadt und Amt Schmal-
kalder, das 4. Bataillon aber die Ziegenhainer, Marburger,
Homberger und Frankenberger Compagnien in fich faßte,
Der Landausſchuß der Grafſchaft Echaumburg biltete 2
geichlofjene Compagnien für ih. Ebenſo bildete Die Stadt
Kafjel von 1690 ab zwei geichloffene Bürger-Compagnien.
Die Ergänzung des Landausfchuffes erfolgte Dagegen noch
——
*) Wie bedeutend dieſe Kriegsmacht im Verhältniß zu anderen Staa⸗
ten war, erhellt unter anderm daraus, daß nach den Angaben
Stuhrs (S. 218 von deſſen „bie brandenburgifch-preuß. Kriegs⸗
Verfaſſung unter Kurfürſt Friedrich Wilhelm dem Großen) 1686
die geſammte brandenburgiſche Streitmacht nur aus 2837 M. Rei-
terei, 1152 M. Dragoner, 12,400 M. Infanterie, und 4671 M.
Sarnifonstruppen, oder in Summa aus 21,060 Mann beſtand,
welche jedoch (zu Folge Hennerts Beiträgen zur brandenbg. Kriegs-
geihichte) 165% bis auf einige 80,000 Mann vermehrt wurde,
wovon 26,858 Mann an den Rhein rückten.
—
163
!
immer nach Maasgabe der Borjchrift von 1600 durch Aus»
kebung, reip. durch geeignete Auswahl der in den desfall⸗
ſigen Liften verzeichneten Iandfolgedienftpflichtigen, anfäßigen
Landbewohnern. Jene der Sold- oder Feldtruppen (Milid)
erfolgte nach lediglich durch freiwillige Anmwerbung.
Indeſſen follten, nach Borfchrift der Ediete von 1684 und
1701 über die Art und Weiſe der Anwerbung, Die Werber
vornehmlich ihr Augenmerk darauf richten, nur folde „Mür
higgänger“ anzumwerben, die Inländer und, obwohl
jung und ſtark von Körper, beim Aderbau und
ben Gewerben aber Doch füglich gemißt werden
Iinnten*) und auch noch nicht bereit8 beim Landaus-
ſchuß enrollirt wären, gleichwohl dabei aber fich aller Gewalt⸗
thätigleiten und Unmanier ftrengftens enthalten, und zu
dem Ende bei den jührliden Mufterungen der Truppen
die Mufterberren fleißig darnach forjchen, ob feine gewalt-
am Geworbenen unter den Refruten befindlich wären und,
wenn dies der Fall, folhe alsbald unentgeldlich wieder
entlaffen, Die Hauptleute aber, die fie eingeftellt, ftrenge
keftraft werden. Ebenfo follten feine verlaufene Mufi-
fanten, Diebe, Ehebreder und Leute, die be
reit8 unter Henlershänden gewefen und Brand-
markt oder Staupenſchlag erbuldet, angeworben werden.
Gleichwohl gaben diefe Werbungen, da die Annahme
ber Nefruten lediglich durch Die Compagnie-Chefs erfolgte,
doch zu einer großen Menge von Unterfchleifen und
Unoronungen Anlaß. So 3. B. beftand der Mißbrauch,
daß jeder, der zu einer höhern Charge aufrüdte, gehalten
war, für die Charge, in ber er fich befunden hatte, ‚einen
*) In dem Werbepatente für den Oberfilieutenant Aleranber von War-
teneleben von 1688, zur Aufrichtung eines Dragoner-Regimentg,
ward demſelben jedoch auch noch zur beionderen Pflicht gemacht,
nicht nur überhaupt Mannjchaft von mittelmäßigem Alter, fondern
wo möglich auch noch foldhe, die bereits in ber Nenterei gebient
und Feldzüge mitgemacht hätten, anzumwerben.
164
Stellvertreter zu ftellen, weshalb dann die Hauptleute
hauptiächlich nur jolche Gemeine zu Unterofficieren und folche
Unterofficiere zu Sergeanten beförderten, welche ihnen in
diefer Beziehung die meiften Verfprechungen machten, und
auch nur zu häufig diejenigen, die ihre Kapitulation aus—
gedient hatten, unter allerlei nichtigen Vorwänden fo lange
bei der Fahne zurückbehielten, bis fich ſolche bequemten,
einen Stellvertreter zu ftellen oder fich in anderer Weiſe
förmlich loszukaufen.
Es erfolgten deßfalls zwar wiederholt ſtrenge Verbote,
doch ward dieſen nicht enden wollenden Mißbräuchen erſt
im Laufe der nächſten Feldzüge, zunächſt beim Leib-Regi—
ment zu Fuß, dadurch ein Ende gemacht, daß, in, Folge
eined 1696 (wie es fcheint, noch dazu durch eine Art Ue—
bereinfommen mit den Compagnie-Chef8) enfftandenen und
bei folchem eingeführten Regulativs, feftgefegt wurde:
a. daß von nun ab ‚fein Sompagnie-Chef weiter einen
Mann ohne Vorwiſſen und Genehmigung des Regi—
ments⸗Commandeurs weder annehmen, noch entlaffen,
und überhaupt Niemand angenommen werden dürfe, Der
unter 20 oder über 50 Jahre alt fei, fo wie auch, daß
alle Abjchiede unter Hand und Siegel des Regiments—
Commandeurs ausgefertigt, und alle Monate von den
Eoinpagnien genaue Rapporte erftattet werden follten *).
») Welch ein buntes Gemiſch von Alter und Nationalitäten wor allge
meiner Einführung diejes Regulativs bei den Negimentern herrſchte,
und mie dieſes durch daffelbe verändert wurde, ergibt fih u. a.
daraus, Daß zu Folge einer Mufterlifte von 1696 fich bei ber
Leibcompagnie des Regiments Prinz Karl bei einer Effectivftärfe
von 87 Köpfen 4 Monn befanden, welche iiber 60 Jahre, 8 Mann,
welche über 50, 12 Mann welche über 40 und 10 Mann, melde
unter 20 Jahre alt waren, während nad) der Mufterlifte von 1701
biefelbe Compagnie bei einer Effectivftärfe von 79 Köpfen nur noch
2 Mann zählte, welche älter als 50, 4 welche älter als 40 und
4. welche jünger als 20 Jahre waren, Dagegen circa 3 ihrer Stärke
im Alter zwifchen 20-30 -Sahren ftand,
165
: b. Nur ſolche Unterofficiere, welche zu Officieren, Ser⸗
geanten oter Fourieren in einer andern Compagnie
befördert werden würden, ſollten gehalten fein, ihrer
‚bisherigen Compagnie für fi) einen _ Stelivertreter
zu ftellen; ebenjo folte, wer vor Ablauf feiner ein
gegangenen Kapitulationgzeit Ten Abſchied begehren
möchte, für den noch übrigen Reſt derjelben zwer
einen Stellvestreter ftellen, Doch follte Diefed nur mit
Borwiffen und ausdrücklicher Genehmigung des Re—
giment8-Commandeurs gefchehen; der Mißbrauch, vor=
zugsweiſe folche Individuen zu Unterofflcieren zu b=
fördern, welche veriprächen, auf ihre Koften Rekruten
zu ftellen, aber ſtrengſtens beftraft werden, un iu
bem Ende follten
c. künftighin auch alle Beförderungen zu Unterofficiern
lediglich durch den Regiment3-Commandeur erfolgen,
und die Compagnie-Chefd desfalld nur noch ein Vor—
Ichlag8recht zu üben haben. Ebenſo follten
d. alle Heirathsconſenſe und längere Urlaubsertbeilungen
nur von dem Regiments-Commandeur ertheilt, und
von einer Compagnie überhaupt niemald mehr als
ein Drittel der Officiere und Unterofficiere und höch—
ftend 10 Gemeine beurlaubt werben.
Nicht weniger follten, zu Folge eined 1695 an die Dra=
goner ergangenen Befehld, Die Officiere feinen Soldaten
aus der Reihe und am alferwenigften die Tambouren zu ihren
Ebenfo befanden fich 1696 bei derjelben 32 Ausländer, darunter
3 Stanzofen, 1 Spanier, 1 Griehe, 3 Polen, 2 Ungarn, der
Neft meift Deutiche, aber faft aus allen möglichen deutihen Etaa-
ten; wovon die meiften zwar eine 10jährige heiftiche Dienftzeit nach-
wieſen, nicht wenige aber auch fchon jeit 20 und 30 Jahren allen
möglichen Potentaten Europa’s gedient hatten; während 1701 Die
Zahl der Ausländer zwar ebenmohl nod 27 Köpfe betrug, darun⸗
ter aber doch nur noch ein einziger Nichtdentfcher — nämlich 1
Sranzofe, fi) befand, wogegen ber Reſt faft ausfchließlih aus Wal-
dedern und Münfterländern beftand.
⁊
Zum.
164
Stellvertreter zu fielen, weshalb dann die Hauptleute
hauptjächlich nur ſolche Gemeine zu Unterofficieren und folche
Unterofficiere zu Sergeanten beförderten, welche ihnen in
diefer Beziehung die meiften Verfprechungen machten, und
auch nur zu häufig Diejenigen, die ihre Kapitulation auß-
gedient hatten, unter allerlei nichtigen Vorwänden jo lange
bei der Fahne zurückbehielten, bis fich foldhe bequemten,
einen Stellvertreter zu ftellen oder fich in anderer Weife
örmlich loszukaufen.
Es erfolgten deßfalls zwar wiederholt ſtrenge Verbote,
doch ward dieſen nicht enden wollenden Mißbräuchen erſt
im: Laufe der nächſten Feldzüge, zunächſt beim Leib-Regi—
ment zu Fuß, dadurch ein Ende gemacht, daß, in, Folge
eine8 1696 (wie e& fcheint, noch Dazu Durch eine Art Ue⸗
bereinfommen mit den Compagnie-Chef8) enfjtandenen und
bei ſolchem eingeführten Regulativg, feftgefet wurde:
a. daß von nun ab ‚fein Compagnie-Chef weiter einen
Mann, ohne Vorwiffen und Genehmigung des Regi—
ment8-Commandeurg weder annehmen, noch entlafjen,
und überhaupt Niemand angenommen werben dürfe, der
‚ unter 20 oder über 50 Sabre alt fei, jo wie auch, daß
alle Abjchiede unter Hand und Siegel des Regiments—
Commandeurs audgefertigt, und alle Monate von den
Compagnien genaue Rapporte erftattet werden jollten *).
*) Welch ein buntes Gemiſch von Alter und Nationalitäten vor allge
meiner Einführung dieſes Regulativs bei den Negimentern herrſchte,
und wie dieſes durch daffelbe verändert wurde, ergibt fih u. a.
daraus, daß zu Folge einer Mufterlifte won 1696 fich bei der
Leibcompagnie des Regiments Prinz Karl bei einer Effectivftärke
von 87 Köpfen 4 Monn befanden, welche über 60 Jahre, 8 Mann,
welche über 50, 12 Manır welche über 40 und 10 Mann, welche
unter 20 Jahre alt waren, während nad) der Mufterlifte von 1701
diefelbe Compagnie bei einer Effectivftärfe von 79 Köpfen nur nod
2 Mann zählte, welche älter als 50, 4 welche älter als 40 und
4 welche jünger als 20 Fahre waren, Dagegen circa + ihrer Stärke
im Alter zwilchen 20-30 Jahren ftand.
165
b. Nur folche Unterofficiere, welche zu Officieren, Ser⸗
geanten oder Fourieren in einer andern Compagnie
befördert werben würden, follten. gehalten fein, ihrer
bisherigen Compagnie für fi) einen Stellvertreter
zu ftellen ; ebenfo follte, wer vor Ablauf feiner ein
gegangenen Kapitulationgzeit ten Abſchied begehren
möchte, für den noch übrigen Neft derjelben zwer
einen Stellvestreter ftellen, doch ſollte dieſes nur mit
Borwiffen und ausdrüdlicher Genehmigung des Re—
giment3-Commandeurs gefchehen; der Mißbrauch, vor=
zugsweiſe folche Individuen zu Unterofficieren zu b:=
fördern, welche veriprächen, auf ihre Koften Refruten
zu ftellen, aber ſtrengſtens beſtraft werden, und iu
dem Ende follten
c. künftighin auch alle Beförderungen zu Unterofficiern
lediglich durch den Regiments-Commandeur erfolgen,
und die Compagnie-Chefs desfalld nur noch ein Vor⸗
Ichlag8recht zu üben haben. Ebenſo follten
d. alle Heirathsconſenſe und längere Urlaubsertheilungen
nur von dem Negimentd-Commandeur ertheilt, und
von einer Compagnie überhaupt niemald mehr al8
ein Drittel ter Officiere und Unterofficiere und höch—
ftend 10 Gemeine beurlaubt werden.
Nicht weniger jollten, zu Folge eine 1695 an die Dra=
goner ergangenen Befehls, die Officiere feinen Soldaten
aus der Reihe und am allerwenigften die Tambouren zu ihren
Ebenjo befanden ſich 1696 bei derfelben 32 Ansländer, darunter
3 Sranzofen, 1 Spanier, 1 Griehe, 3- Polen, 2 Ungarn, ber
Neft meift Deutiche, aber faft aus allen möglichen deutihen Etaa-
ten; wovon bie meiften zwar eine 1Ojährige heſſiſche Dienftzeit nach»
wiejen,. nicht wenige aber auch ſchon ſeit 20 und 30 Jahren allen
möglichen Botentaten Europa’s gedient hatten; während 1701 die
Zahl der Ausländer zwar ebenwohl noch 27 Köpfe betrug, darun—
ter aber doch nur noch ein einziger Nichtdenticher — nämlich 1
Franzoſe, ſich befand, wogegen ber Reſt faft ausſchließlich aus Wal⸗
bedern und Miünfterländern beftand.
Zi...
166
Knechten nehmen, fondern dieſe fih aus eignen Mitteln
halten, | |
Mas die Gliederung, Bewaffnung, Ausrüſtung und
Bekleidung anlangte, fo beftand der Stab eine Neuter-
Regiment? (uiraffiere) aus 1 Oberft, 1Oberſt-Lieutenant,
1 Major, 1 Adjutant, 1 Auditeur, 1 Regimentd-Quar=-
termeifter, 1 Regiments-Feldſcheerer, 1 Pauker, 1 Stabs⸗
trompeter, 1 Wagenmeifter, 1 Profoß mit 2 Stedenfnechten
ınd 7 Karrenfnechten mit 14 Wagenpferden. Jede Coms
- yagnie beftand aus 1 Rittmeifter, 1 Lieutenant, 1 Cornet,
1 Wachtmeifter, 1 QDuartiermeifter, 3 Corporalen, 1 Trom-
peter, 1 Mufterfchreiber, 1 Feldicheerer, 1 Sattler, 1 Fab-
nenſchmied, 50 Einfpännigen (Reuter) und 1 Knecht mit
2 Zeltpferden. Beim Stabe eined Dragoner-Regiments
befanden fich ſtatt des Stab8trompeterd und des Paukers
4 oder 6 Pfeiffer, jowie auch 8 ſ. g. Stabsdragoner und
bei einer Dragoner-Compagnie noch ein Gefreiter-Corporal .
und ftatt eine Trompeters 2 Tambouren, und beftand
ſolche anfänglich aus 65, fpäter aber nur noch aus 58
Dragonern 9.
Ein Infanterie-Regiment beftand aus 2 Bataillonen,
dad Bataillon anfänglich aus 6 —feit 1690 aber aus 5 —
Compagnien. Der NRegimentäftab beftand aus 1 Oberft,
1 DOterftlieutenant, 1 Oberftmwachtmeifter oder Major, 1
Anjutanten, 1 Reginient3-Quartier-Meifter, 1 Auditeur,
1 Regiments-Feldfcheerer, 1 Negiments-Tambour, 4 — 8
*) Bei den Brandenburgern zählte eine Reuter⸗Comp. 1 Rittmeifter,
1 Lieut., 1 Cornett, 1. Feldſcheerer, 2 Trompeter, 1 Fahnenſchmied
und 1 Sattler, ſowie 1U Unteroffiziere und 45 Reuter, Beim Re⸗
gimenteftabe befand fich übrigens außer dem Profoß und Steden-
Inecht auch noch ein befonderer Scharfrichter. Bei den Dragonern
zählte bie Comp. 61 Gemeine. (Hennert, Beiträge zur brandenbg.
Kriegsgeih. S. 6 u. 7). Bei den ſchwäbiſchen Kreistruppen zählte
eine Reuter- ober Dragoner-Comp. einjähließlich ber |. g. Prima
plana 75 Köpfe.
167
Pfeiffers oder Hautbois *), 1 Wagenmeifter, 1 Profoß und
- 23 Knchten. Eine Compagnie zu Fuß beitand aus 1 Haupt-
mann, 1 Lieutenant, 1 Fähnrich, 2 Sergeanten, 1 Ge⸗
freiten-Corporal, 1 Fourier, 1 Zeldicheerer, 1 Muſterſchrei⸗
ber, 1 Capitain D’armes, 3 Corporalen, 2 Tambouren, 12
Gefreiten, 74 Soldaten **).
Bei der Reuterei waren die Euiraffiere mit ſchwar⸗
zen Suiraffen mit Bruſt⸗ und Rüdenichild, einem geraden
Pallaſch Cin einem Gehänge von Büffelleder), langen Reu—
terpiftolen und Starabinern bewehrt, doch war ftatt bes
Helms oder der Pidelhaube, bereit der Hut mit einge⸗
legtem eifernen Kreuze zur Abwehr von Kopfhieben einge-
führt. Die Uniformirung beftand, in Nachahmung der
früheren Leberfoller, in ſ. g. paillefarbigen Tuchröden, le=
dernen Hoſen und hohen Reitftiefeln, auch wurden in Nach⸗
ahmung der einftigen eifernen Panzerhandſchuhe, lederne
Stulphandihuhe und auferdem noch große weiße |. g.
Reutermäntel getragen. Die Bewaffnung der Dragoner
beftand aus Bajonettflinten (von 1695 ab mit Mefjing-
Garnitur), Degen und 1 Baar Piftolen. Die Belleidung
aus ZTuchröden und Mänteln (bei dem lippijchen Drago=
nern roth, den Naffaus-Weilburgifchen Dragonern gelb und
den Wartenslebenichen Dragsnern blau und roth gefuttert),
levernen Hofen, Stiefeln, hirſchledernen Handichuhen, weiß
(füber) bordirten Hüten, da8 Degengehäng und Banbelier
*) Bei ben Brandenburgern befanden fi außer einem Regiments.
Pfeiffer und den Tambours in den Compagnien zur Zeit keine
andern Spielleute,
*, Bei den Brandenhurgern zählten die Regimenter theils 2, theils
1 Bataillon a 5 Compagnien, Die Compagnie zu etwa 145
Mann, darunter 3 Offiziere, 1 Feldwebel, 2 Sergeanten, 1 Ge⸗
freiten-Rorporal, 1 Fourier, 1 Feldſcheerer, 1 Capitain b’armes, 3
Korporale u. 2 Zambouren; bei ben ſchwäbiſchen Kreistruppen aber
Die Grenadier⸗Comp. 100 und bie Musletier-Comp. 143 Köpfe,
(Senuert und Stablinger.)
168
von Büffelleder. Eben fo waren die Schaberaden von ber
Farbe der Röcke. Das Pferdegeichirr follte vollftändig mit
Vorder- und Hinterzeug und Koppelbalfter verſehn jein und
das Kopfgeftelle aus Trenſe und Kandare von der Art bes
ftehen, wie der Oberftlieutenant von Cornberg jolche ange
geben. Die Pferde follten nicht über 8-9 Jahre alt und
15—16 Hände hoch, und keine Hengſte darunter befindlich
ſein.
Bei der Infanterie war noch 1696 ein volles Drit-
theil, nämlich 1 Corporal, 4 Gefreite und 20 Gemeine,
per Compagnie mit Piden, die Offictere. aber mit f. g.
Espontons und Degen und die Sergeanten, der Fourier
und Capitain d'armes mit |, g. Kurzgewehr (Partiſane)
bewaffnet. Der Neft war 1683 noch durchgehend nur
mit Musfeten mit Runtenjhlöffern bewaffnet, und berichtete
der - Oberitlieutenant von Wartendleben über die von ihm
bei Kirchhain über das Leib-NRegiment zu Fuß und das
Regiment des Prinzen Philipp abgehultene Mufterung, unter
dem 30. Suni 1684, daß die Mehrzahl der Pikenſchäfte
aus Buchenholz bejtünden und alt und ftodig wären,
jo daß ſolche gar ſehr zerbrechlich und zum Feldgebrauch
nicht mehr geeignet erichienen, in Folge deffen Dann auch
alsbald die Anfertigung von 3000 neuen Pikenſchäften aus
Eſchen- und andern guten Hölzern angeordnet wurte.
Eben fo ergab eine am 20. September 1687 abge
haltene Mufterung des Leib-Regiments zu Fuß, daß über
100 Musteten als nicht mehr felddienfttüuchtig zu erachten
wären, wie denn folche überhaupt nach und nach gänzlich
abgeichafft und durch Flinten (d. h. Steinſchloßgewehre
mit Bajonet und Dülle) erſetzt wurden. Indeſſen ſcheint
dieſe Bewaffnung erſt 1698 vollſtändig bewirkt worden und
auch die Piken gänzlich in Abgang gekommen zu ſein, in⸗
dem ſich in der Ordonnanz von 1698 deßfalls bemerkt findet:
„Alles herrichaftliche Gewehr, ſowie die Picken, welche
„die Regimenter noch haben möchten, find bis Oftern
®
_ 169
„1699 an das Zeughaus in Kaſſel abzuliefern und
„nagegen die neuen Gewehre — welche bis ‚dahin nach
„dem Modell und Kaliber jener des Leib-Regiments
„vollſtändig angeichafft fein werden — zu empfungen *).
Bei dem Landausſchuſſe dagegen wurden die alten
Musketen und Piken erjt 1727 gegen neue Gewehre völlig
ausgetauſcht.
Die Stabs⸗Officiere der Infanterie waren ſämmtlich
®) Bei ben Brandenburgern waren bie Piken jedoch bereits 1689
und bei den ſchwäbiſchen Kreistruppen 1693 völlig in Abgang ge-
lommen,. wogegen biefes bei den Franzoſen erft 1703 auf den An-
trag Vaubauns erfolgte, obgleich ſchon Marſchall Catinat während
des Feldzugs von 1690 bei der Armee in Italien damit einen An-
fang gemacht hatte. Dagegen "waren die bei der franzöftichen Ir
fanterie eingeführten Flinten von Haus aus weit leichter al8 3.8.
die zuerft bei ber brandenburgifchen Infanterie eingeführten. Wäh—⸗
rend nämlich erftere ein Kaliber von 20 Kugeln auf das Pfund
batten, betrug folches bei den fetten 12—14 Kugeln auf das Pfund,
weshalb der Mann meift nicht mehr als 24 Patronen bei fich führte,
wogegen bei den Franzoſen jeder Mann deren 40 bei fih trug.
Bis 1683 war bei allen Heeren die Bewaffnung überhaupt noch
eine fehr mangelhafte. So u. a. waren nicht nur die Piken ber
Brandenburger zum Theil höchſt plump und ungeſchickt geftaltet,
jondern auch felbft die üblichen Musketen nicht einmal von gleichem
Kaliber und Fänge, indem ein Theil 2, ein anderer Theil aber
nur 13 löthige Kugeln ſchoß. Ueberhaupt fehlte zu jener Zeit noch
viel, daß das Kriegsvolk auch ſelbſt nur im Aeußern einige Gleiche _
förmigfeit beurkundet und einen impofanten Anblid gewährt hätte,
vielmehr heißt e8 u.a. in eineman ben Kurfürften Friedrih Wil
beim 1683 abgeftatteten Mufterberichte über das brandenburgiſche
Leibregiment:
„Wie die Montirung, obwohl erſt vor 3 Fahren ausge⸗
mgeben, bereits doch ſchon fehr abgetragen und ſchlecht ausſähe;
„auch ſelbſt bei den beiden Leibcompagnien ganz unegale Unterklei⸗
„ber, als zum Theil blautuchene, zum Theil lederne Höfen, jo wie
uzum Theil meifingene, zum Theil zinnerne Knöpfe an den Röden
„getragen würden und ebenjo dieſe zum Theil von ganz dunkelem,
„zum Theil von lichtblauem Zuche gefertigt wären.“ (Stuhr, ©.
422. Hennert, ©. 23.)
170
beritten, und ſcheinen, gleich Den Generalen, meift noch
leichte Bruftbärnijche getragen zu haben.
Die Bekleiduͤng der Infanterie beftand aus tuchenen
Kamifdleren und darüber zu. ziehenden Waffen- oder ſ. g.
Regenröcden, kurzen Yedernen Hoſen, wollenen Strümpfen
und Schnalfenihuhen, Kamifol und Rod ſcheinen ohne
Kragen, und ftatt deffen, weiße fehr lang gebundene Hald«
tücher getragen worden zu fein. Die Nodfarbe war meiſt
blau, bei einigen Regimentern aber auch weiß, mit verſchie⸗
denfarbigem (meift gelbem oder rothem) Unterfutter.
Die Kopfbededung beftand in breiedigten ſchwarzen
Filzhüten mit Schnur und Duafte, bei den höhern Offt-
zieren und bei den Spielleuten auch mit Federn ausge=
Ihmüdt, auch war jeder. Mann mit ein Paar gelblebernen
Handichuben verjehn.
Das Haupthaar ward damals noch ziemlich lang und
frei auf die Schultern herabhängend getragen, während:
bei den Franzofen das Zufammenbinden deffelben in einen
Zopf bereitd in Uebung ftand, auch die königlichen Haus-
truppen, fo wie einige beſonders begünftigte Reuter > Regi-
menter das Vorrecht genofjen, Stub-Berrüden, die höhern
Offiziere und vornehmen Freiwilligen aber fogenannte
Allonge⸗Perücken zu tragen.
Das bdegenfürmige Seitengewehr warb in einem Kop⸗
pel von weißem Büffelleder *) um den Leib, die meift fehr
große Patrontafche an einem folchen breiten Bandelier über
die Schulter getragen. Dabei trug der Mann in gleicher
Weiſe einen Ranzen von Kalbfell, woran auch ein Zeltbeil
und ein Feldfefjel befeftigt waren, und worin ein zweites Hals⸗
tuch, Hemd, Strümpfe, ein Paar Schuhe und feine ſonſtigen
Bedürfniffe ſich befanden, ſowie an einem Riemen eine blecherne
Veldflaiche und an einer Schnur ein Pulverhorn, weil bei
*) Bei dem Regiment des Erbprinzen Friedrich war das Leberzeug
wie bei dem Landausſchuſſe gelb.
171
) ver Ladung bag Pulver auf bie Pfanne, oder das jogenannte
Zündkraut, noch nicht aus den außerdem bereit3 eingeführten
r I Papierpatronen, ſondern aus diefem Pulverhorn aufgeſchüt⸗
tet wurde. *) —
Der Landausſchuß war ebenwohl bereits ſeit 1678
| mit langen grauen Oberröcken (rothen Aermelaufſchlägen
:| md rothen Halsbinden) und mit grauen Filzhüten gleiche
maͤßig bekleidet. Das Lederzeug aber mar gelb gefärbt
und die. Batrontafchen von grauem Filz mit einer krapprothen,
mit allerlei Zierrath ausgeſchmückten, Quchklappe verjehen,
Die Schaumburgifchen beiden Landausnahmekompag⸗
zen, wozu auch die Aemter Freudenberg, Uchte und Auburg
gehörten, zählten etwa 120 — 150 Mann per Kompagnie,
neben eben fo viel per Kompagnie affignirter aber nicht
bewaffneter Erfagmannichaft (Nebenmänner geheißen.) Big
1710 ſcheint ſolche aber nicht montirt gewejen zu fein, in«
Dem durch ein Reſkript des Landgrafen Karl vom 9. Ja—
nuar 1710 verfügt ward, daß folche, gleich der Landmiliz
in den übrigen Landen, mit Montirung ebenwohl verjehen
werben follte, deren Koſtenbetrag pro 244 Köpfe auf 2277
Thaler veranichlagt, hinfichtlich der Aufbringung dieſes Be—
trags aber verfügt ward, daß mwührend 6 uhren ',,, oder
an 380 Thaler Kontributionsbeitrag, als Steuerzujchlag
erhoben werben jollte.
Die hierfür angeichaffte Montirung fcheint in weiß⸗
grauen Röcden mit grünen Aufichlägen beftanden zu haben.
®) Bei den Brandenburgern hatten in einigen Negimentern die Offt-
ciere und Unterofficiere eine, in ber Farbe von der Montirung der
Mannichaft gänzlich abweichende Kleidung, als 3. B. bei ver Garde
die Manuſchaft blaue, die Officiere aber rothe Röcke.
Die Mäntel der Mannichaft wurben von Diefer auf Märfchen
und im Gefechte en bandouliere gerollt und über die Schulter ge-
hängt getragen und waren fo gefertigt, Daß folche nach Art der bei
ben franzöſiſchen Truppen in Afrika eingeführten fogenennten Ten-
tes d’abri zu mehreren Stüden aneinander geknöpft und baraus
eine Art Nothzelt gebildet werben Tonnte, Heunert, ©. 11.
Mm.
172
Anderwärts befand die Montirung das Landausſchuß⸗
ſoldaten meift nur in. leinenen, gleichfarbigen Kitteln, wie
3. B. noch 1710: die beiden, von den Grafen von Hanau
errichteten, Schwarzenfelfeer Landausnahmefompagnien im
‚grüne Leinenfittel gefleivet waren, und überhaupt mehr Die
Tendenz einer polizeilichen, als einer. friegsmäßig organifirten.
Zandesficherheitd-Anftalt hatten. |
Die Grenadiere trugen eigenthümlich geformte Spike
fappen von Blech und, außer der übrigen Ausrüftung des
Snfanteriften, auch noch eine — meift reich verzierte —
"große Ledertafche, worin eine Anzahl Handgranaten, jowie
u deren Anzünden, in einem jogenannten Luntenverberger,
die nöthige Lunte.
In Folge der allmählig immer mehr Ausbreitung
gefunden habenden Anwendung der ſogenannten Handgra—
naten, ſowohl beim Angriffe als bei der Vertheidigung von
Schanzen u. ſ. w., waren auch bei den heſſiſchen Truppen,
anfänglich jedoch nur 7—8 Mann, beſonders ausgewählter und
verläfjiger Leute in jeder Kompagnie zu dieſer Dienftleiftung
beftimmt worben, welche fodann bei vorfommenden Gele—
genheiten, unter Zutheilung der erforderlichen Officiere und
Unterofficiere, in geſchloſſene Detafchements zujammen gezo—
gen und ihrer Beitimmung gemäß verwendet wurden. Sp
findet ſich — wie bereit8 erwähnt — auch in heiliichem
Dienfte ſchon im Jahr 1678 bei dem, dem König Ehrifttan V.
von Dänemark als Hülfstruppe überlaffene Regiment Ufm
Keller ein: ſolches Grenadier-Detafchement als eine Art
jelbftändiger Zruppentheil vor, was einigen Andeutungen
zu Folge davon .herrührte, Daß jene Grenadiere beiden
Belagerungen von Karlöfrona und Helfingborg in Schweden
fih durch ihre Zapferfeit beſonders hervorgethban hatten;
und wa8 dann auch noch weiter bewirkt zu haben jcheint,
‚ baß bei der 1683 erfolgenden Formirung gejchloffener Re—
gimenter, in jedem Regiment auch’ alsbald eine gejchloffene
Grenadier⸗Compagnie mit errichtet und als eine Elite be—
173 .
trachtet wurbe *); weshalb auch bei der Formation bed
1685 zum Türfenfrieg in Ungarn zu ftellenden Ober-Rheint-
ſchen Kreisregiments, welches 16 Compagnien zählte, wovon
Heſſen 4 Sompagnien zu ftellen hatte, und das in 2 Ba⸗
taillone getheilt war, heſſiſcher Seits darauf beftanden wurde,
daß 2 der von ihm zu ftellenden Compagnien, bie beiden
Grenadier⸗ Sompagnien dieſes Regiments bilden follten **),
Da fi dieſe Grenadier- Sompagnien in den nächſt
folgenden Jahren noch weiter Durch ihre Tapferkeit beſonders
hervorthaten, jo gab dieſes Anlaß, daß nach erfolgtem Frie⸗
densſchluſſe zu Ryswick ſolche 1697 in ein beſonderes Bas
taillon formirt und dem Leib-Negiment zu Fuß als drittes
Bataillon zugetheilt und ihnen überhaupt ein erhöhter Rang
und mannichfache Vorzüge verliehen wurden *e).
*) Beiden Brandenburgern beſtand ungefähr ein Zehntel der Mannſchaft
ner Compagnie aus Grenadieren, indefjen wurden erft 1698 ba-
raus jelbftftändige Grenadiercompagnien formirt, wenn ſchon Tolche
bis dahin häufig in beſondere Detafchements zufammengezogen und
anf ven beiden Flügeln, ober an die Spitze des Bataillons poftirt
zu werben pflegten. SHennert, Seite 10.
*) Bei den Dragonern fcheinen, ber Mufterlifte bes Erbprinj · Friedrich⸗
Dragoner⸗Regiments von 1695 zu Folge, ebenwohl Grenadiere,
und zwar in der Zahl von 7 Mann per Compagnie beſtanden zu
haben, jeboch hierbei in den Compagnien vertheilt geblieben zu ſein.
“0, Dagegen aber hatte ein Kriegsjchriftfteller jener Zeit — Michael
Mieth — nicht ganz Unrecht, bebanernd zu bemerken:
„In einem rechten Sturm find die Grenadiere zum Todſchie⸗
Ben allemal die Erſten, derowegen denn auch nur wenig alte
Grenadiere zu finden, Auch fprengen ſie fich mit ihren Hand⸗
gramaten oft felber die Hände weg und haben jomit mit zwei
Feinden zu kämpfen.“
Paul Flemming — ein anderer zeitgenöſſiſcher Kriegsſchriſtſteller —
empfiehlt desfalls auch in ſeiner Schrift — der vollkommene deutſche
Soldat — zu Grenadieren nur ſolche Leute zu nehmen:
„Die ſchwarzbraunen, haarigten Angeſichts ſind, ſchrecklich aus⸗
ſehen und nicht leicht lachen und freundlich thun,
und das preußiſche Reglement von 1726 ſchreibt vor, dazu:
„Mur unterſetzte Kerls auszuwählen, welche gt marſchieren
können und keine fo Heine Naſen und ſchmale eier haben,”
VII. Bond.
174
Die taftifche Gliederung anlangend, fo finden fid
über jene der vaterlänbifchen Reuterei feine näheren Angaben
vor, und ſcheint zu vermuthen, daß folche gleich wie in ans
dern deutichen Heeren noch zu 3 Glieder rangiert, zwiſchen
den eingelnen Eskadrons ziemlich große Intervallen gehalten
und vielfache- Anwendung von ber Feuerwaffe gemacht haben
bürfte Bei den Dragonern verftand fich dieſes ohnehin
von felber, da man folche als Doppelkämpfer zu Roß und
zu Fuß verwendete, weshalb fie fleifig geübt wurden,
raſch abzufikeh, die Pferde zu Toppeln und dann als In—
fanterie zu agiren 9, Nach der Ordonnanz von 1683 und
1698 aber follte da8 Infanterie = Batailfon ftets dergeftalt
formirt werben, daß die Compagnie des Alteften Kapitains
ben rechten, jene des zweitälteften den linken Flügel und
jene des jüngjten Kapitains die Mitte bilde. Dabei follte
jedoch die gefammte Mannjchaft ohne Nüdficht auf den
.. Compagnie P2erband in 3 egale Divifionen (6 halbe und
12 PVierteldivifionen) bergeftalt eingetheilt werben, daß in
jeder Divifion die Pileniere in der Mitte, die Musketiere
aber auf den Flügeln zu ſtehn kämen und die Grenadiere,
in zwei gleiche Hälften getheilt, die Flügel des Bataillons
bildeten. Dieſe fümmtliche Abtheilungen follten in 4 Glie⸗
der, jede8 vom vorhergehenden einen Schritt Abftand hal-
tend, formirt, auch die Stellung im Gliede der Art fein,
daß auf 2 Glieder eindoublirt werden könne. Sonach bes
fanden fi} denn in der Froͤnt eines Bataillons, abwechjelnd
mit 6 Abtheilungen Musketiere, 3 Abtheilungen Pileniere
eingereiht.
Sämmtlihe Fahnen, deren ein Bataillon gewöhnlich
zwei Ceine weiße und eine rothe **) führte, follten in ber
*) Daß die Dragoner jedenfalls auch zu Pferde in drei Gliedern ran-
gierten, geht aus einer Inftruction von 1695 hervor, wonach von
jedem Gliede 3 Mann beim Koppeln ber Pferde als Pferdehal—⸗
ter fungieren follten. |
*) Ben 1685 nach Ungarn in den Türkenfrieg abrüdenden Compag⸗
175
Mitte des Bataillons ſtehen und beim &prerzieren und im
Gefechte von den beiden jüngften Fähnrichen, font aber auf
Märichen ꝛc. von zuverläffigen Gefreiten getragen werben.
Eben jo ſollte dad Spiel — d.h. die Tamboure — in
drei gleiche Theile getheilt werden, deren einer in der Mitte
bei den ahnen, die beiden andern aber auf die Flügel zu
fiehen kamen*). Die Offiziere ſollten vor der Fronte ihrer
Abtheilungen (ganze, halbe und Bierteldivifionen) ftehn,
die Unteroffiziere hinter die Züge egal eingetheilt werben,
und auch auf jedem Batgillons = Flügel eine Unteroffiziers⸗
Rotte die Einfaſſung bilden, und eben jo beim Ausſchwenken
der Abtbeilungen auf dem Flügel, wohin die Richtung ge>
nommen werben würbe, einer ber jchließenden Unteroffigiere
als Führer treten. Im Allgemeinen fcheinen die Bewegun-
gen im Bataillon an ſich zur Zeit noch ziemlich "einfach
gewejen zu fein und fih hauptiähli auf Eindoublieren
der Glieder (von 4 auf 2 Glieder), Frontmarſch vorwärts
und rücdwärts, fowie auf Ausſchwenken und Einſchwenken
mit Zügen und Rottenaufmärjche und Abmäriche beichränft
zu haben. Außerdem aber warb auch die Quarreeformation
vielfach geübt und fcheint ſolches durch Rüdmwärts - Ein-
ſchwenken der resp. Abtheilungen formirt worden zu fein,
ſonach alſo in einem fogenannten hohlen Quarree beftanden
zu haben. Ob auch bereit8 der Gleichichritt üblich geweſen
it, hat mit Sicherheit nicht ermittelt werben können. Nach)
nien waren jeboch blau taffente, reich geflidte ahnen verliehen
worben.
Die Standarten bes Lippeſchen rothen Dragoner- Regiments
waren von gelbem Taffet, auf ber einen Seite mit bem heffiichen
Wappeu unb ber Umſchrift pro Patria, auf der anderen Seite mit
Trophäen und der Umſchrift Ferret nec flammas verziert. Die
Leibgarde zu Fuß aber jcheint einen weißen Schwan mit ber Ums
ſchrift Candide et Constanter (der Devife Landgraf Karls) in
den Fahnen gehabt zu haben.
*) Die Trommeln beftanden größtentheils noch aus Holz und hatten
daher meift nur einen jehr dumpfen Klang. 12*
176
einer Angabe Beerenhorft3 (Seite 26 des 2. Bandes von '
deſſen Betrachtungen über die Kriegskunſt) ſoll derfelbe aller-
dings bei den heifiichen Truppen zuerft, jedoch erft im ſpa⸗
niichen Erbfolgefriege in Italien (demnach alfo ums Jahr
1706) vorgelommen fein. Da man nämlich — wie Beeren
horſt angibt — der Erzählung hiervon in Berlin keinen Glau⸗
ben geſchenkt und es hier unmöglich erachtet habe, Daß
jeder Kerl mit allen anderen Kerls denfelben
Tritt haben könne, fo habe fih ein Herr von Kaltitein,
der in heifiihen Dienften Hauptmann geweſen, erboten,
davon eine Probe abzulegen, wenn man ihm zu dem
Ende einige Mannichaft untergeben wolle, welche Probe
denn auch, zur großen Verwunderung zahlreicher Zuſchauer
aus allen Ständen, völlig geglüdt wäre und worauf ber
Gleichſchritt bei der gefammten preußiſchen Infanterie eben⸗
wohl eingeführt worden jei.*)
Als Yundamentalftellung des einzelnen Manne8 war
vorgeichrieben, Daß — bei aufgenommenen Gewehr — deſſen
Füße einen gewöhnlichen Schritt auseinander, bie
Ferſen auf einer Linie, die Fußſpitzen auswärts ftehen jollten,
d.h. alſo, Daß der einzelne Mann mit ausgeſpreitzten Beinen
ſtehen ſollte.
Das Gewehr (die Flinte) ſollte dabei auf der linken
Schulter, das Schloß auswärts, der Kolben gegen die Mitte
des Leibes mit ſanft gekrümmten linken Arm getragen werden.
Obgleich der Gebrauch der Papier-Patronen bereits
·—
*) Ehen fo auch hatten die Heſſen den Geſchwindſchritt bereits ſchon
während des amerilanijchen Krieges von ben Englänbern angenom⸗
men, während bie Preußen noch 1806 in den Schladhten bei Jena
und Auerftevt in langſamen Schritte (75 in der Minute) zum
Bajonetangriff gegen Haffenhaufen und Auerftedt vworgingen, da
eine 1797 zum Zwede ber Reviſion des Ererzier » Neglements aus
den nambhafteften Koryphäen ber bamaligen preufßifchen Taktik
zufammengefetste Kommiſſion den Geſchwindſchritt einſtimmig als (?)
eine durchaus ſchädliche Neuerung bezeichnet hatte,
uf
Nr
177
11 allgemein eingeführt war, fo warb doch, wie fchon erwähnt,
"1 das Zündpulver auf die Pfanne nicht aus der Patrone,
"1 fmbern aus einem bejonderen Pulverhorn aufgefchüttet.
ER Auch waren noch allenthalben hölzerne Labeftöde im Ges
5] brauche *).
Beim Feuern ſcheinen die 4 Glieder dicht aufgeſchloſſen
und die beiden vorderen knieend gefeuert, oder auch Durch
Enmndoubliren aus 4 Glievern in zwei Glieder formirt wor
den zu fein.
Sehr im Gegenſatze von den meiſten gleichzeitigen
Exerzier⸗Vorſchriften in anderen Heeren, waren die Hands
griffe mit dem Gewehr bei der heſſiſchen Infanterie an und
Tür fi ebenwohl weder fehr zahlreich, noch fehr komplizirt,
indem folche. außer der Chargierung, nur in Gewehr auf
Und ab, Präfentirt das Gewehr, Bajonet auf und ab, fällt
Das Gewehr und verkehrt trägt das Gewehr hoch, (d. h.
. Gewehr über auf dem Marſche mit dem Kolben aufwärts)
Yeilanden, und meift nur in 2 Tempos ausgeführt wurden.
Die Grenabiere anlangend , jo wurbe von benjelben,
wenn fie mit Granaten werfen follten, zuvörderſt das Ge⸗
wehr am Riemen über die linfe Schulter gehangen, mit
ber rechten Hand in der Patrontafche die Granate ergriffen,
die Branvverhüllung mit den Zähnen abgebiffen, die Lunte
angeblajen und mit folder Die Granate angezündet und
fodann mit fteifem Arm geworfen, wobei jedoch mit dem
rudwärts ftehenden Fuße vorgetreten ward,
Dagegen fehlte e8 aber doch auch nicht an vielfachen
und dfter8 ziemlich ſeltſamen Ceremoniel. So 3.3. wur⸗
den nieht nur alle Kehrtwendungen ftet3 nur mit präfen-
tirtem Gewehr ausgeführt, fondern es wurde auch, nament-
lich hei Mufterungen und Heerſchauen vor fürftlichen Per⸗
*) Bei den Brandenburgern führten deshalb bei jener Compagnie einige
Gefreite eiferne Ladeſtöcke, an welche ein Kugelzieher angeſchroben
werben konnte, um bamit eiuen Schuß aus dem Gewehre ziehen
zu Können. Hennert, Seite 24.
178
fonen, als Begrüßung nach desfalligen Trommelfignalen,
gleich den Puppen eined Leierlaftens, zwölfmal hinter ei-
nander mit präjentirtem Gewehr nach allen Himmeldgegenden
falntirend Front gemacht, nämlich zweimal rechts und
zweimal links umkehrt euch und viermal rechts und
viermal links um, und follfe das Salutiren mit Partis
fanen, Bilen und Fahnen, überhaupt (wie e8 in der Or⸗
donnanz von 1686 heißt) jeder Zeit mit befonderer
Grace bewirkt und deshalb auch fleikig geübt werden.
Ebenſo fand beim Defiliren in Barade eine von ber
gewöhnlichen Aufftellungsweife im Bataillon gänzlich ab=
weichende Yormation ſtatt.
Nach der Orbonnanz von 1683 follte nämlich hierbei:
a. zunächft der Oberft den Zug eröffnen und
b. die Hälfte der nicht. eingetheilten Hauptleute in einem
Gliede formirt, diefen aber
c. die Musketiere in zwei Divifionen formirt dergeftalt
folgen, daß die andere Hälfte der Hauptleute und die
Hälfte der Lieutenant? den Zug der 1. Divifion ber
Musketiere ſchlöſſen, die zweite Hälfte der Lieute⸗
nant8 aber dem Zuge der 2. Divifidn Mustetiere
vorausmarſchiren folltee Sodann follte
d. der Oberftlieutenant, dieſem
. e. der älteſte Hauptmann mit ben Fahnen und der
erften Hälfte der Fähnriche und diefen
f. die Pileniere ebenwohl in 2 Divifionen formirt der⸗
geftalt folgen, Daß die zweite Hälfte der Fähnriche
zwiichen den beiden Divifionen Pileniere marfchirten.
Bon den Tambouren follte ein Drittel der 1., ein
Drittel der 2. Divifion Musketiere und ein Drittel der
Divifion der Pileniere vorausmarfchiren *).
*) Außer ben Tambonren befanden ſich auch noch bei den Regimentern
eine Anzahl Pfeiffer, oder ſog. Hautbois, welche die Stelle unferer
bentigen ſog. Jauitſcharen⸗Muſil vertraten, Bei dem Leib-Regi-
">.
n
179
Die Officiere follten beim Deflliren die Partifanen
nederwaͤrts, die Fähntiche die Fahnen auf der. Schulter
ment zu Fuß befanden ſich namentlich eine Anzahl fog. Schallmey⸗
Pfeiffer. Seltfamer Weiſt warb bie erfte Gelegenheit, wobei das
Leib- Regiment öffentlich paradirte, durch ben Tod feines Oberften
veranlaßt. Als nämlich bei der 1683 erfolgten Errichtung befelben,
folches zunächft dem Feldmarſchall Grafen zur Tippe-Brade verlie-
ben ward, war der Oberft Joh. Chriſtian Mot gleichzeitig zu
befien zweiten Commandeur beftellt worben, jedoch ſchon wenige
Zage ſpäter verftorben, fo daß bei beffen Leichenbegängniß zuerſt
das formirte Regiment öffentlich) paradirte, wobei namentlich deſſen
Echallmeypfeiffer und Tamboure zur allgemeinen ‚befonberen Er⸗
bauung — wie e8 in.ben besfallfigen Mittheilungen heißt —
wie noch nie bergleichen vor bem bemerkt worden, Tranermärſche
aufipielten. — Joh. Chriſtian Motz den 11. März 1604 zu Witzen⸗
haufen, wo deſſen Bater Bürgermeifter geweien, geboren, war
ebenfalls ein ſehr verdienter waterländifcher Heerführer bes 30jäh-
rigen Kriegs geweſen. Nachdem berfelbe nämlich 1620 ale gemeiner
Mustetier in das im Solde der Republik Venedig ftehende Schwei-
jer- Regiment des Generals Melander getreten und darin bis zum
Hauptmann aufgeftiegen war, hatte er 1631 feinen Abſchied genom-
men und war in das Baterland zurüdgelehrt, wojelbft ihm in dem
fog. weißen Regiment des Oberftlieutenants Geyße (Geifo) eine
« Sompagnie verliehen, und er in Folge feines bei mehreren Gelegen⸗
heiten, als namentlich bei der Eroberung von Königsftein bethätig-
ten, rühmlichen Verhaltens bereits 1633 zum Major befördert
wurde Im Jahr 1637 mit einigen hundert Mann von Caſſel
ans zur Verſtärkung ber Beſatzung von Lippſtadt entfenbet, ftieß
er unterwegs unvermutbhet auf eine ihm fehr überlegene kaiferliche
Abteilung unter General Wahl. Zu ſchwach, ſolche imi freien Felde
erfolgreich befämpfen zu fönnen und befilichtend, auf den Rückzuge von
folder eingeholt und gänzlich vernichtet zu werben, wandte fih Mo
raſch entichlofjen nad Dengeringshaufen, erftürmte, als ihm Einlaß
verwehrt wurde, deu Ort und leiftete ſodann ben ihm dahin nachge-
folgten Heerbaufen des Generals Wahl jo hartnädigen Wiberftand,
daß jolcher nach mehrmaligen vergeblihen Sturmangriffen und er-
fittenen großen Verluften, die Berennung biefes Ortes aufhob und
Motz ungehindert nach Lippftabt ziehen ließ. Ebenſo erfocht er auch
1644 bei Marienmünfter, unweit Hörter, einen glänzenden Sieg. Im
Jahr 1647 warb er zum Oberften und Commanbeur bes j.g. ſchwar⸗
180
tragen, beim Salutiren aber die Officiere die Partifanen
auf die Schulter, die Fähnriche die Fahnen vor die Bruft
nehmen, und die Uinterofficiere die Kurzgewehre auf
Schulter (die Spige in der Hand) behalten und nur durch
Abnehmen des Hute8 Reverenz beweijen.
a8 den eigentlichen Felddienſt betrifft, fo fcheinen
darüber Damals noch feine reglementarifchen Beflimmungen
beftanden zu haben, ſondern folcher lediglich nach Herkom⸗
men und Gebrauch ausgeübt worden zu fein, doch ſchreibt
das Regulativ von 1696 vor:
Auf Märfchen ſollten die Officiere. und Unteroffi>
ciere ein jeder auf feinem Plage verbleiben, um Ord⸗
‚nung zu halten und das Zurüdbleiben Einzelner zu
verhindern und den Burjchen (23 — das Raifjoniren
abzugemwöhnen.
Der Major aber ſollte insbeſondere dafür ſorgen,
daß der Quartiermeiſter mit den Fourieren zeitig
vorausginge und das Lager aufſchlagen laſſe (zu wel⸗
chem · Ende jedes Regiment die nöthige Anzahl Leinen⸗
zelte ſtets bei ſich führte) und darauf ſehn, daß die
Bagage in Ordnung dem Regiment nachfolge. Beim
Einrücken in das Lager ſollte der Major die Wachen
ausfetzen, den Empfang der Lebensmittel regeln und
überhaupt allen Dienſt beſorgen und nicht eher vom
Pferde ſteigen, bis Alles in Ordnung, die Bagage pla—
eirt ſei und jeglicher feine Gebührniß empfangen habe,
zen Regiments, und nad) eingetretenem Frieden 1662 zum Ober-Amt-
mann bes Diemelbgzirts und Präfidenten des Kriegsraths, auch zum
Inſpecteur bes Lanbausichuffes, 1666 aber zum Commandanten von
Gafjel und 1683 zum zweiten DOberften bes neu errichteten Negi-
ments bes Feld⸗Marſchalls Grafen von ber Lippe ernannt, als weicher
er jedoch — wie bereits erwähnt — wenige Tage nachher, 79
Sahre alt, den 3. Februar 1683 verftarh. Er hinterließ 4 Söhne,
beren ältefter Vizekanzler, der 2. Oberſt, der 3. Regierungs-Rath
unb ber 4, Doctor Mebieinae war. (Ans Suftus Valentin's Leis
chenpredigt extrahirt).
181
Ebenſo follte der Major beim Aufbruche aus dem
Lager Sorge tragen, daß ſämmtliche Wachen und
Boften ordnungsmaͤßig und zeitig wieder eingerufen,
nicht8 zurückgelaſſen und namentli, bei ftrenger
Strafe, das Lagerftroh nicht in Brand geſteckt oder
fonftiger Muthwille geübt werde. - .
Die Bagage anlangend, fo ward bei einer 1695 vor-
genommenen Mufterung des Lippischen Dragoner-Regiments
gerügt, daß Die Compagnien feine ordentliche Karren hätten,
und biefelben deshalb angewiefen, fich ebenfalls folche zwei⸗
ſpaͤnnige Karren, mie bei den übrigen Regimentern üblich,
anzuſchaffen und folche roth, weiß und blau anftreichen zu
laſſen. Auch ergibt fih aus jenem MufterungSberichte,
daß per Compagnie auch noch für einen Marletenver 1
Ration Raubfutter gut gethan wurbe *),
Die Aufrichtung und Erhaltung einer ftrengen Kriegs⸗
zucht, dem Geifte der Zeit entiprechend, ebenjo von der
Menge als von der Strenge der Strafgebote abhängig er-
achtend, bedrohte der Artitulshrief von 1689 insbeſondere
zunähft: Schwarzfünftler, Teufeldbanner, Feftmacher und
Baffenfegner mit Staupenichlag und fchimpflicher Entlaf-
fung; Gottesläfterer mit Durchbohrung der Zunge mittelft
eines glühenden Eiſens; Verſäumniß des Gottesdienſtes
bei Soff und Spiel, mit Bilentragen, hölzernem Pferd
zeiten und Pfahlichließen.
Wer gegen den Oberen das GSeitengewehr entblößte,
jollte die Hand verlieren, und fo e8. unter dem Gewehr
geihehen, arquebufirt lerſchoſſen werden. Gedungener
Mord ſollte mit Viertheilen; Zauberei, unnatürliche Laſter
und Brandſtiftung ſollten mit dem Feuertode; Ehebruch,
*) Hiermit im Gegenſatze hatte, nach dem BVerpflegungs-Regulativ
für Das ſchwäbiſche Kreis-Armeecorps, jeber Marquetender an
ben Oberften monatlich 9 fl., an den Oberftlieut. 3 fl. und an ben
Hauptmann ber betreffenden Compagnie 6 fl. zur Ergötlichleit
abzugeben,
j M
182
Bigamie, Nothzucht, Straßenraub, Einbruch und wieder-
holter Diebftahl mit. Hängen und Köpfen; Mord mit
Rädern; gewaltthätiger Ueberfal und Mißhandlung mit
Berluft der Sand beftraft werden. Ebenſo follten Mein»
eidige, bevor fie fhimpflih vom Regiment weggejagt wür=
den, zuvor erfi noch Die zwei Schwurfinger von der rechten
Hand abgehauen befommen *); Deferteure jollten gehängt,
Meutemacdher ftrangulirt, Berräther geviertheilt werben,
Berrath von Looſung und Feld geſchrei, Briefwechiel mit
dem Feinde, fowie Anzettelung von geheimen Berbindungen
mit Berluft des Kopfes; Schlafen auf Boften und Berlaffen
der Wache ohne Urlaub auch bei Officieren mit arquebu⸗
firen; Widerfeglichkeit gegen Patrouillen mit Verluſt der
Fauſt; nächtliche Ruheftörungen durch Schießen und Balgen
mit Ehren= und Lebensftrafe gebüßt werden. .
Entfernung aus der Garnifon über Nacht ohne Urlaub
ſollte mit Leibes- und Ehrenftrafe, Entfernung ohne Urlaub
auf dem Marſche über '/, Meile mit LXeibes- und: über 1
Meile mit Lebenzftrafe geahndet werben.
*) Die Strafe der Berflämmelung war überhaupt ziemlich allgemein
gebräudlih. So z. 2. beftiuumten bie von dem Markgrafen Lud⸗
wig von Baden 1695 für die feinen Befehlen unterftellten Reiche»
truppen erlaffenen f. g. Disciplinar-Punkte, daß:
fo oft zum Fouragieren wusgerüdt würde, auch der Generak
©ewaltige mit einer Estorte von 1Offizier und 30 Neutern Dabei
anwefend fein und jeden Uebertreter der Fouragierordnung als⸗
bald beim Kopfe nehmen, und daß einem ſolchen das erfte und
auch das zweite Mal je ein Ohr abgefchnitten, das britte Mal
aber derſelbe gehängt werben ſollte. Stablinger S. 77.
Ebenfo ward auch in einem Edicte König Friedrich 1. von
Preußen d, 1711 verfügt:
daß Deferteure Tünftighin nicht mehr gehängt, fonbern ihnen,
nachdem fie vor verfammeltem Regimente zum Scelm gemacht
und ihnen vom Henker der Degen zerbrocdhen worden ſei, bie
Nafe und ein Ohr abgejchnitten und dieſes an den Galgen gena-
gelt werben, der Deliquent aber zeitlebens zum Feſtungsbau con-
bemnirt werben follte. Lünig, Corpus juris milit. &, 909.
183
Wer den Profoßen in Ergreifung eines Uebelthäters
hindern würde, dergeſtalt, daß folcher zu entrinnen vermöchte,
der follte an deſſen Stelle treten *).
Abzwingen von Trinfgelvern ſeitens der Wache follte
mit Reibesftrafe, Würfel- und Kartenfpiel bei den Soldaten
mit Gaffenlaufen, reſpektswidriges Betragen gegen die Civil⸗
obrigfeit mit Leibes⸗ Ehren- und Lebensſtrafe, Mißhand⸗
lung de8 Quartierwirthes mit Leib- und Lebensſtrafe ge⸗
ahndet werden.
Wer einem andern eine Maulfchelle gab ober ihn mit
dem Stode geichlagen hatte, der mußte vor verfammeltem
Gerichte niederknien und dieſelbe Beleidigung von dem von
ihm Beleidigten zurüd in Empfang nehmen.‘
Ber als Befehlshaber ohne die höchite Noth feinen
Doften verlaffen würde, follte enthauptet und die ihm nach⸗
geſetzten DOffictere und Soldaten, die fi} dem nicht wider-
feßt haben würden, becimirt, die am Leben bleibenden aber
zu Öffentliden Schelmen gemacht werben. Ebenſo ſollte
jeder, der den Anfang zur Flucht mache oder ſich zu fechten
- weigeren würte, ohne Anjehn der Perſon, alsbald nieder-
gemacht werden. Gejchähe folches Durch geichloffene Trupps,
fo follte der Befehlshaber enthauptet, die übrigen decimirt
werden, bie am Leben bleibenden aber jo lange ohne Fahnen
als Schelme feparat lagern, bis fie durch rühmliche Thaten
fih wieder zu Ehren gebracht haben würden,
Mer au8 Feltungen oder verſchanzten Lagern anders
als durch die gewöhnlichen Pforten ein- und ausgehen würde,
ber follte an Leib und Leben geftraft werden. -
Unterfdyleif bei Mufterungen und Vorenthaltung bes
®) Dagegen verfügte aber auch ber Herzog - Adminiftrator Friedrich
Karl von Würtemberg unter dem 16. Juli 1690, als bie
Armeer-Profoßen fih mit Einbringung von Marodeuren fäumig
erwiejen, daß, wenn ſolche feine Marodeurs einbringen, gleichwohl
aber begründete Klagen über das Marobiren andauern follten,
alsdann Die Profoßen untereinander jelber ums Leben fielen follten.
Stabtlinger ©. 842.
Zn.
184
Soldes der Untergebenen follte am’ Vorgeſetzten mit Verluft
von Ehre und Amt, Beihülfe hierzu von Seiten der Unter«
gebenen mit Gaffenlaufen, Beleidigungen und Bedrohungen
des Mufter-Commiffars aber mit dem Tode beftraft werden.
Ganz beſonders ftreng waren, bei Leibes⸗ und Lebens⸗
ftrafe, Zweifämpfe verboten. Wer einen anderen beleidigte
und fich weigerte Abbitte und Widerruf zu leiften, der
ſollte mit fcharfem Gefängniß und ‚harter Geldftrafe anges
ſehen werben und der Scharfrichter Namens feiner und an
feiner Stelle jenen Widerruf und Abbitte Leiften.
| Da jedoch anfänglich die ftrifte Beobachtung dieſer
Gebote und Verbote nicht In gehöriger Weiſe geübt worden
zu fein fchien, fo wurben in dem Negulativ von 1696 bie -
Eompagnie-Chef3 perjönlich verantwortlich gemacht, jeden
ihrer Untergebenen, der eine dieſen Kriegsartifeln zuwider
laufende Handlung begehn würde, dem Regiments-⸗Comman⸗
deur zur Anzeige zu bringen, dieſer aber verpflichtet, als⸗
dann mach Befund der Sache über ven Borfall entweder
jelbit zu’erfennen, oder durch den Auditeur, unter Beiord⸗
nung zweier Officiere als Beifier, ein ordnungsmäßiges
Berhör und fodann, unter jedesmaligem Vorfit des Majors,
ein ordnungsmäßiges Kriegsgericht anzuberaumen. Die Volle
ziehbarfeit der Erfenntnifje dieſer Kriegsgerichte aber ſollte
von der Beftätigung ded Regimentd-Commandeurs abhängen,
und wenn auf mehr als Spießruthen erfannt worden, das
Urtheil dem en Chef fommandirenden Generale oder dem
Zandesherrn felber zur Beftätigung eingereicht werben.
Auch ſollten die Kriegsaztifel der Mannſchaft häufig in
den Quartieren nicht nur vorgelefen, ſondern auch gehörig.
erklärt und namentlich die Dejerteure jährlich zweimal öffent»
lich aufgefordert werden, fich zu fiftiren, die Bildniſſe Der
Ungehorfamen aber alsdann auch unfehlbar an den Galgen
geſchlagen werden.
Trotz der Härte vieler jener Strafbeftimmungen fand
damals im Uebrigen Doch durchaus noch nicht jene barbarijche
\
185
Dienfiftrenge ftatt, mie jolche fich in der Mitte des 18. Jahr⸗
hunderts allenthalben bemerklich machte. Trotz aller Bars
barei einzelner Strafbeſtimmungen war in den damaligen
Strafgeſetzen nämlich vor allem ſtrenge Religioſität und
Liebe und Treue zum Landes- und Kriegsherrn vorangeſtellt,
und alle Verpflichtungen und Verbindlichkeiten hauptſächlich
daraus abgeleitet; im Uebrigen aber achtete man im Unter⸗
gebenen, ber freiwillig unter die Fahne getreten war
und jenen Geſetzen fich unteriworfen hatte, wie ſchon erwähnt,
damals noch allenthalben die Menjchenwürbe, weshalb denn
auch entehrende Strafen nur bei wirklich entehrenden Ver⸗
gehen und. namentlich Gaffenlaufen, außer wegen Spieleng,
nm wegen Diebftahl8 erkannt wurde, Stodichläge aber
noch nicht häufig vorfamen und willtürlihe Mißhand—
lung der Untergebenen Seitens ber Vorgeſetzten durch
Schläge u. f. w. durchaus unterfagt und ftrenge beitraft
wurde. Sp 3. B. ließ Landgraf Karl, al8 ein Soldat
im Leih-Regiment, Namen? Wachsmuth, in einer direkt
an ihn gerichteten Eingabe 1693 fich darüber beklagte,
yon dem Lieutenant von Spiegel geringer Urfache halber
fo übel mit Stodichlägen traktirt worden zu fein, daß er
dienftunfähig geworden, desfalls eine ftrenge Unterjuchung
anordnen. Obgleich fich Dabei herausſtellte, Daß der Kläger
zwar allerdingd von dem Lieutenant von Spiegel Schlüge
erhalten, jedoch nur in Folge von ihm gegen folchen geübter
grober Ungebühr, und daß derjelbe jeden Falles auch nicht „
in deren Folge, jondern in Zolge ſchon feit längerer Zeit
geübter Trunkſucht und Ausichweifungen dienftunfählg ge=
worden fei, wie dieſes namentlich auch noch Durch ein Gut⸗
achten der mediciniihen FTacultät in Marburg feitgeftellt
ward, jo vermochte doch nur die Rüdficht auf die fonftige
beſonders gute Dienftführung jened Officiers denjelben vor
Dienftentlaffung zu bewahren *).
*) Sp erließ auch Kurfürft Friedrich Wilhelm won Brandenburg noch)
186
Solche Immediatgeſuche und Beſchwerden der gemel-
nen Mannichaft an den Landgrafen famen Üiberhaupt häufig .
por, und fcheint dazumal die Mebergehung der nächſten Vox⸗
gefegten mit derartigen Beſchwerden noch nicht unterfagt
geweſen zu jein.
Das hiernach noch vielfach vorherrichende patriarcha⸗
Yifche Verhältnig des gemeinen Mannes felbft zu dem ohepe |
ften Kriegsheren fand jedoch bald zunehmend dadurch eine. .ı
immer größere Trübung, daß bei der anfehnlichen Vermeh⸗
rung der Kriegsvölker die inländifche freiwillige Werbung .ı
nicht mehr außreichte, bie nöthige Mannfchaft zufammen :
zu bringen, und man fomit beim Erſatze des Abgang® ;
Immer iveniger wähleriich zu Werke ging, fo daß bald aud |
in. den heifiihen Negimentern das bunteſte Gemijch von |
Abenteurern aller Nationen, als Engländer und Staliener, |
Schweden und Spanier, Bolen und Franzoſen, ja fogar,
einzelne Ruffen und Griechen anzuireffen waren, "
Es darf daher nicht befremben, daß in dem Regulatio |,
von 1696 den Eompagnie-Chef8 nicht nur eingefchärft wurbes N
„Die Quartiere fleißig vifitiren zu laſſen und darin
feine lüderlichen Prauensperfonen und feine von der
Mannſchaft gegen die AQuartierwirthe verjuchte Unge⸗
bühr zu dulden,
A
unter dem 29. Januar 1688 an ſämmtliche Regiments⸗Befehlshaber \
. . RN a *
ein Rundſchreiben, worin gejagt wird:
„Es ift, wie Wir vernommen, bei unferer Miliz bisher öfter 8
„geichehen, daß die Soldaten, wenn fie egcedirten, aljofowtR.
„zwiſchen die Pilen geführet und won ben Unterofficieren mit y
„Stockſchlägen und Prügeln gar übel traftirt worben find. Da, g
* „Wir dergleichen Rigeur jedoch gar nicht billigen, befehlen Wir
„Eu daber, dahin zu fehn, daß dergleichen im Regiment RE
„hinfüro abgeftellt und jedermänniglich angemwiefen werde, ſich !ie
„beffen zu enthalten.“ Lünig, corpus juris militaris. S. 880, Y
Wie übrigens das zwiſchen die Piken führen ausgeht,
wurde, ift in Paul Flemmings „Der beutfhe Soldat" Kup
ferplatte M gar anſchaulich abgebilbet, “
’ ’ cu
187
fondern daß folche auch noch ganz beſonders ermahnt wurben :
„vorab ſcharf darauf zu ſehn, daß die Burjchen feine
„Straßenräuberei trieben. Ä
Ebenſo konnte e8 nicht fehlen, daß bei der Enrolli⸗
sung jo vieler fremder Abenteuerer, obſchon die Kapitula=
tionszeit meift eine kurz bemefjene, felten über 4 Jahre
Bauernde war, deſſen ungeachtet die Defertiongfülle fich zu—
- achmend fteigerten.. So u. a. bejertirten allein vom Leib-
Regiment von Ende 1693 bis Mitte 1697 123 Mann,
vorunter jedoch nur 17 Inländer fich befanden.
Die Sold- und BVerpflegungsverhätltniffe anlangend,
fo waren ſolche — obichon gegen die Anfäge während bes
Hjährigen Kriegs bereits anjehnlich ermäßigt — im Allge-
meinen und bejonder8 im Vergleiche zu der bald darauf
Immer mehr zunehmenden ſyſtematiſchen Hungerleiderei, noch
als ziemlich reichliche zu bezeichnen.
Ebenio war man auch dabei bemüht, jegliche Will-
Üir der Befehlshaber zu befeitigen und eine fireng geregelte
Ordnung und rechnungsmäßige Controlle und Meberficht
berbei zu führen.
Zu diefem Ende bildete jedes Regiment in Bezug
auf Die gefammte Adminiſtration bei demſelben einen jelbit-
fändigen Körper, und waren dem Commandeur zur Aus⸗
übung derjelben der Major und der Regimentd-Quartier-
Meifter als Gehülfen beigeordnet. Demgemäß ward dann
auch namentlich das Geldrechnungsgeſchäft — in Folge der
Beftimmungen des Regulativs von 1696 — durch eine,
aus dem Major und dem Negimentd-Quartiermeifter ge=
bildeten Kaſſencommiſſion verwaltet, wobei Der Regiments⸗
Quartiermeifter alle eingehenden Gelder zu vereinnahmen
und in die unter Mitverjchluß des Oberften und des Ma-
jors ſtehende Regimentskaſſe abzuliefern, fowie die daraus
zu bewirktenvden Auszahlungen, nach den desfalls von dem
Regiments-Eommanbeur atteftirten Zahlrollen und Anwei⸗
ſangen, an die reſp. Compagnie⸗Chefs u. ſ. w. zu vermitteln
188
hatte, worüber zwilchen ihm und den Compagnie-Chefs
alle 6 Monate Spezial⸗Abrechnung ftattfinden follte. Ebenſo
beftand eine au dem Major, zwei Hauptleuten und bem
Regimentd-Quartiermeifter zufammen gefeßte Oekonomie⸗
Sommiffion, welche die Stoffe der großen Montirung aus⸗
zumwählen und im Ganzen anzufaufen und die Probe-Mon=-
tirungen und Schuhe u. |. w. anfertigen zu laffen hatte;
wogegen die Anfertigung des Bedarfs der Compagnie, auß .
bem Hierzu an folche abgegebenen nöthigen Quantum von
Stoffen, diefer oblag.
Die Gehaltverhältniffe anlangend, fo erhielt ber
Oberſt der Infanterie als folcher (außer feinen Emolumen-
ten als Eompagnie-Chef) an Kriegsjold monatlid 120 fl.,
8 Portionen Brod und 20 Nationen Cd. h. 10 als Oberft,
6 als Compagnie=Chef,.2 für den Belt und 2 für ben
Regiments-Kaſſenwagen), der Oberſtlieutenant desgleichen
52 fl., 6 Portionen, 14 Rationen, der Major 30 fl., 4 Por⸗
tionen, 12 Rationen, der Hauptmann 60 fl., 2 Portionen,
8 Nationen (darunter 2 für die Pferde des Zeltwagens),
der Lieutenant 34 fl., 2 Portionen, 3 Rationen, der Fähn-
rich 26 fl., 2 Portionen, 2 Nationen, ein Sergeant 9 fl.,
ein Corporal 5 fl. 15 Kr., ein Tambour und Gefreiter
4'/, f., der Soldat 4 fl. und außerdem täglich 1 Portion
Brod A 2 Pd. dergeftalt, daß ein Infanterie = Regiment,
influfive den Kompetenzen des Mittelftabes täglich 165
Rationen bedurfte, wofür, wenn folche nicht in Natur geliefert
wurden, monatlich 4 Thlr. für die Ration vergütet wurden.“)
*) Nach dem Verpflegungs-Regulativ won 1634 hatte Dagegen ber Unter-
offizier, außer freiem Duartier und täglicher Naturallieferung won 2
Pfund Fleifh, 4 Pfund Brod, 2 Maas: Bier, monatlich auch noch
5 Gulden baar, der Gemeine aufer freiem Quartier und täglich
1 Pd. Fleiſch, 2 Pſd. Brod, 1 Maas Bier, monatlih no 1 Gul⸗
den baar empfangen. Selbſt noch) 1676 hatte fih ber Solb eines
Hauptmanns auf 97 Gulden, eines Lieutenants auf 392 Gulden,
eines Fähnriche auf 384 Gulden, eines Sergeanten auf 104 Gulden,
189
Der Gehalt eined Oberften der Reuterei oder Dras
goner belief fich desgleichen auf 185 fl, des Oberftlientenants
auf 115 fl., des Major auf 98 fl., des Rittmeiſters auf
75 1, des Lieutenant auf 42 fl., des Cornets auf 36 fl.,
des Wachtmeifter auf 30 fl., des Quartiermeiſters auf
15 f., des Corporals auf 12- fl., des Trompeters und Feld-
ſcherers auf 10 fl... des gemeinen Reuterd auf 9 fl., des
Dragoner8 auf 5 fl.
Indeſſen fanden an dieſen Soldbezügen bereits fo
viele Abzüge ſtatt, daß namentlich der gemeine Mann kaum
die Hälfte des Soldes baar als ſogenanntes Koſtgeld heraus
befam.
Zunächſt ward nämlich von Seiten der Kriegskaſſe
eines Korporals auf 7 Gulden, eines Gefreiten und Spielmanns
auf 5 Gulden 15 Kreuzer, eines Soldaten auf 44 Gulden belau⸗
fen, und war baher binnen jener wenigen Jahre bei ben meiften
Chargen um ein volles Dritttheil ermäßigt worben.
Im Frieden fielen auch noch die Portionen ganz, die Nationen
aber zum größten Theile weg, und warb den Offizieren überhaupt
flatt freiem Quartier |. g. Service, nämlich dem Oberften monat-
ih 8 Thaler, dem Oberftlieutenant 4 Thaler, dem Major 3 Tha-
ler, dem Hauptmann 2 Thlr., dem Lieutenant 13 Thlr., dem Fähn-
rich 1 Thlr. gewährt, und beftand der Sol überhaupt Des Oberften
aus monatlih 60 Thaler, des Oberftlieutenants 30 Thaler, bes
Majors 10 Thaler, (wozu jeder noch als Compagnie⸗Chef 25 Thaler
bezog), des Hauptmanns 25 Thaler, des Lieutenants 13 Thaler,
des Fähnrichs 10 Thaler, des Sergeanten 5 Thaler, des Korpo-
rals 3 Thaler, der Gefreiten uud Spielleute 2 Thaler 20 Albus,
des Soldaten 24 Thaler.
Bei den ſchwäbiſchen Kreistruppen bezogen bie höheren Chargen
bagegen weit höhern Felbfold, indem ein -Oberfi z. B. monatlich
236 Gulden, 21 Portionen und 12 Nationen, ein Hauptmann
79 Gulden, 7 Portionen und 3 Nationen, ein Lieutenant 314
Gulden, 2 Portionen und 2 Nationen, Dagegen ein Sergeant
monatlich nur 5 Gulden und 2 Portionen, ein Korporal 4 Gulden
und 14 Portionen, Gefreite und Spielleute 3 fl. und 1% Portio-
nen, Gemeine 2 fl. und 1 Portion erhielten. Etablinger, Ge⸗
ſchichte des würtembergiſchen Kriegsweſens. ©. er
viti. Band.
1%
überhaupt jährlid — feltiamer Weile — nur für 11 Mo»
nate Sold gewährt, und mußten die Regimenter fomit jähr⸗
lid eine Monatslöhnung erjparen, was namentlich dadurch
geichah, dag auf Märchen und bei Einquartierungen mit
freier Koft auch die Auszahlung des baaren Soldes ceffirte.
Dann wurde bei der Infanterie ter Mannichaft aber
auch noch weiter monatlich abgezogen: für tie große Mon-
tirung 45 Kr. (Sergeanten 1 Thaler), für Heine Montirung
(Hoſen, Schuhe, Weißzeug u. |. w.) 50'/, Kr. und für
Zulage zur Natural-Brobverpflegung 4°/, Kr., zu den Re=
giments-Untoften 3 Kr., für Bedengeld 3 Kr. und endlid
unter dem jeltfamen Titel— für Promptete der Bezahlung —
vom Thaler 5 Ar. — 13°/, Kr. welder Betrag von
1717 ab wenigftend zum Beten der Invaliden verwenbet
wurde, in Summa aljo — 2 fl. monatlidy, jo daß alfo dem
Gemeinen der Infanterie monatlih nur noch 2 fl. von
feinem Solde übrig blieben, wofür er feine übrige Berpfle-
gung außer Brod, welches er alle 4 Tage in Natura erhielt,
felber zu beichaffen hatte. Bis 1696 ward diefer Baarſold
alle 10 Zage, von da ab alle 5 Tage an die Mannichaft
ausgezahlt und betrug ſomit eine 5tägige Löhnung für den
Sergeanten 45 Kr. den Eorporal 30 Kr. und den Gemei-
nen 20 Kreuzer. *)
Dagegen follten dem Manne für den Abzug an großer
und Heiner Montirung alle 2 Jahre ein neuer Regen- und
‚ein neuer Leibrod, fo wie alle Jahre 2 Paar Schuhe ge—
liefert ımd eben fo auch Hoſen, Strümpfe, Halsbinden,
Weißzeug, Hüte und Handſchuhe im Stande erhalten werden,
wobei der Anſchaffungspreis eines Regenrodes zu 4 Thle.**)
*) Bei den ſchwäbiſchen Kreistrupren fand ebenfalld pro Mann für
die große Montirung ein menatliher Abzug ven 45 Kr., für Ne
giments-Unkoften und Bedengeld von 3 und für Spitalgeld von 3
Kr. ſtatt. Stablinger, S. 537. |
*s) Die Elle Montirungstuhd ward mit 30-40 Fr. bezahlt. Als
Maßſtab der Geldwerthverhältniſſe mag auch noch Ermähnung finden,
Sn
191
eined Leibrockes (a. 5 Ellen blaue Tuch, nebft Zuthaten
und influfive 12 Alb. Macherlohn) zu 4 Thaler 11 Albus,
eine Vederne Hofe zu 1 Thlr., eines. Hute8 mit Schnur zu
18 Alb. eines Halstuches zu 3 Alb. 6 Heller, eines Paar
Strümpfe zu 16 Alb., eined Hemdes 16 Alb., eined Paar
Schuhe 1 Thlr., eines Degengehänges 21 Alb., eines Ban-
deliers mit Patrontafche zu 28 Alb. angeſetzt waren.
‚Alle drei Monate follte desfalld von dem Regiments⸗
Commandeur Mufterung und alle Jahre zwiichen den E.om-
pagnie⸗Chefs und der Mannſchaft Abrechnung gehalten und
demjenigen, der gut gemacht hätte, fein Guthaben baar
berausbezahlt werben, was fpäter, um dadurch die Mann
Ihaft mehr vom Dejertieren abzuhalten, dahin abgeändert
wurde, Daß nur dasjenige, was der Mann über 12 Thaler
gut gemacht hatte, ihm ausbezahlt, und überhaupt getrachtet
wurde, daß jeder Mann mindeſtens 12 Thaler Guthaben
in der Kaſſe ftehn habe, welche, wenn er bejertierte, der
Refrutixungsfaffe zufielen, und ihm nur dann gewährt wur⸗
den, wenn er ordnungsmäßig verabichievet ward.
Da bei den rafch fteigenden Preiſen der Rohjftoffe
und der Arbeit, die Montirungsftüde jedoch für Die obigen
daß 1682 das Kafjeler Viertel Waizen 2 Thlr., Korn 14 Thlr.,
Gerfte 14 Thlr., Hafer 1 Thle. alfo ungefähr den britten Theil
wie gegenwärtig koſtete. |
Nach dem Verpflegungs-Regulativ für die ſchwäbiſchen Kreis-
truppen aber ward eine Portion won täglih 2 Pf. Brod und 1
Bd. Fleiih zu 12 Kreuzern und eine Nation von 6 Pfb. Hei,
8 Pd. Hafer und das nöthige Streuftroh zu 20 Kr. Geldwerth
veranichlagt. Letzterer Satz fand auch bei den Brandenburgern
Anwendung und warb bei folchen einem Oberften 2 Nationen für
Reitpferbe und 1 Ration fiir ein Knechtepferd, fo wie 4 Nationen für
ben Küchen-, 4 Nationen für den Rüſtwagen und 2 Rationen für
bie Packpferde cder überhaupt 13 Nationen gut gethan. Bei der
Infanterie erhielt der Hauptmann ebenfo 1 Ration fiir ein Reite,
4 desgl. für 4 Wagen-, 1 Nat. für ein Pad-, desgl. für 1 Fou⸗
tiere, 4 desgl. für 4 Komp.-Sarren-Pferbe, re ©. 45).
192 .
Anfahe ſchon ſehr bald nicht mehr zu beichaffen waren, auch
aus diefen Fonds die Zelte erhalten werben follten, wonon
eined 10 Thlr. 8 Alb. zu fiehen Tam, und daß desfalls ge=
troffene AusfunftSmittel, die Mannſchaft gegen in die Mon=.
tirungöfafje zu zahlenden Gebühren auf Privatarbeit auszu⸗
ichiffen, zu großen Mißbräuchen Anlaß gegeben hatte, fo
ſah man fi von 1698 ab genöthigt, einerjeit® zwar bie
Soldfompetenz an fi, eben fo aber auch die Abzüge an
folcher zu erhöhen, jo daß nunmehr der Baarbetrag der
Stägigen Löhnung eines Sergeanten nur noch 30 Kr. jener
eines Corporals 22'/, Kr. und. jener eined gemeinen Sol⸗
daten 15 Kr. betrug, alſo bei Iekterem um ein volles Bier-
theil herabgefegt warb, wofür jolcher gleichwohl, nach wie
vor, feinen RebenSunterhalt außer Brod zu beſchaffen hatte. *)
In ähnlicher Weife wie in Bezug auf Beichaffung
der Montirung, ward aud in Bezug auf Beichaffung und
Unterhalt der Waffen, der Remontirung und ver Refrutirung
verfahren.
Sp mußten 3. B. die Compagniechef3 der Infanterie,
gleichſam als Kaution für die gute Unterhaltung der Waffen
300 Thaler hinterlegen, die ihnen nur in dem Maaße von
ihrem Amtsnachfolger erftattet wurden, als fie jolhem Wehr
und Waffen in vorjhriftsmäßigem Stande überlieferten.
Eben ſo flofjen auch, außer einer gewilfen dafür gut
*) Bon dem rafchen Steigen der Preife aller Montirungsftüde gibt
der Umftand einen Fingerzeig, daß 1702 die Elle Montirungstuch
ftatt mit 30—40 Kreuzern bereits mit 54 Kreuzern, der Macher-
lohn mit 1 Gulden, ein Halstuch flatt bisher zu 3 Alb. 6 Hlr. zu
30 Kr., oder die ganze Montirung ftatt bisher zu 18 Guld. zu 24
Gulden pro Kopf veranjchlagt werben mußte.
Bei den Brandenburgern aber kam 1704 die Elle Tuch bereits
auf 15 gGr. und demnad ein Rod 35 Ellen Tuch, 7 Ellen Boye
zu Unterfutter & 4 gGr., 1 Elle Kronraſch zu Aufſchlägen a 14
gGr., 20 Stüd meifingene Knöpfe a.6 g6r. 8 Pf., 1 Loth Ka⸗
meelhaar und 2 Paar Schleifen 4 I gGr., in Summa auf 5 Thlr.
12 gGr. 8 Pf. zu ſtehen. Hennert, ©. 12,
193
gethanen Quote (anfänglich 4 Tomplette Solde jährlich),
namentlich in die Rekrutirungskaſſe die vollen Löhnungs⸗
und anderen Bezüge, aller an ber fompletten Sollſtärke feh-
Ienden Mannjchaft, wobei jedoch beftimmt war, daß eine
Balanz nicht Yänger als 4 Monate unbefegt bleiben dürfte.
Aus dem auf ſolche Weile fich bildenden Fond wurben dann
hinwieder die Werbegelber beftritten, welche bei der Infan⸗
terie fich für rohe Refruten auf 12 — 16 Thlr., bei der
Reuterei für gediente und ausgebildete Reuter mitunter aber
auf 360. Thaler a Kopf beliefen,
Ehen ſo wird in dem Werbepatent von 1688 des
Oberfiljeutenants Alegander von Wartenslehen, zur Auf-
richtung eines Dragoner-Regimentd, eine Dragonermonti⸗
tung, einjchließlich der Waffen, zu 40 Thaler, eine voll-
kommene Dragoner -Außrüftung aber influfive Sattelzeug,
jedoch ohne Pferd, zu 62 Thaler veranſchlagt.
In ähnlicher Weiſe wie die Relrutirungskaſſe ward
Auch die Remontirungskaſſe gebildet, indem außer einer be⸗
ſtimmten Duote auch noch ftet3 für die volle Solfftärfe
Dos Rauhfutter, Beichlaggeld u. f. w. gut gethan, jedoch
Von dem mankirenden Stande der Remontirungslaffe gut
geſchrieben wurde; wohin auch der Erlös der ausrangierten
Pferde zurüdfloß, und wogegen aus folcher die Anſchaffung
Der Remonte beftritten werden mußte. Als Anſchaffungs⸗
Preis für ein Dragonerpferd fcheinen Durchichnittlich 40 Ihlr.
veranſchlagt geweſen zu ſein. IN
.Es veranlaßte jedoch Diefe Manipulation mit ihren
fog. Dekpurtirungen oder Ab- und Gutfchriften immer
mehr und mehr ein jehr komplizierte Rechnungsweſen und
führte endlich dahin, dasſelbe lediglich dem rechnungsverſtän⸗
digen Regimentsquartiermeifter ganz in Die Hände zu geben,
fo daß die früher häufig von den EompagniesChefs direkt,
zum Rachtheil des Aerariums oder der Mannichaft, geübten
Unterjchleife allerdings fo Yeicht nicht mehr vortommen konn⸗
ten, Dagegen aber nunmehr durch die Regimenis-Quartier«
194
meifter zum Nachtheile, ja nicht felten zum volligen Ruin,
ihnen allzuviel Bertrauen ſchenlender Regiments⸗Comman⸗
deurs häufige Betrũgereien ſtattianden.
Am einfachſten war das Rechnungsweſen beim Land⸗
Ausſchuſſe, indem hierbei der Sold nur in ter Form von
Tagegeldern für tie wirklich im Dienfte zugebrachten Tage,
und zwar dem Hauptmann (jehr fpärlich) mit täglich 5 Alb,
8*%/, Heller, tem Lieutenant mit 3 Ab. 5'/, Heller, dem
Unteroffizier mit 2 Alb. 8 Hlr., tem Gemeinen mit 1 Alb,
6 Heller gewährt wurte, während Waffen- und Rüſtſtücke
von der Landesherrichaft, die große Montirung von den
Gemeinden und die kleine Montirung von ven Landaus-
ſchußſoldaten fich jelber geftellt warb, wofür ten Letzteren
jetoch ein Entſprechendes an der monatlich von ihnen zu
zahlenden Eontribution oder Grundſteuer wieder vergütet
wurde.
Eine firenge und genaue Regelung aller und jeder
Berhältniffe Ted Kriegsvolles that übrigens um fo mehr
Noth, als unter demjelben immer noch — als. ein böfes
Erbſtück aus dem 30jährigen Kriege — vielfach ein Geift
tes Uebermuthes fich fund gab und eine Neigung zu Gewalt-
thätigleiten und Zügellofigfeiten jich bemerkbar machte, die
einer unter der Aſche fortglinnmenden Lohe vergleichbar ers
ſchien. — Sind ſolche Neigungen unter allen Umftänden
ſchwierig zu unterdrüden, fo fiel es damals um fo ſchwerer,
fie vollig im Zaum zu halten, da — leider — die meiften der _
Führer, bis in Die höheren und höchiten Stellen hinauf,
mehr oder minder fle ebenwohl theilten. Doch Landgraf Carl
war ganz dazu gemacht, auch das Echwierigfte zu vollbringen.
Mit zunehmender rudfichtSlojefter Strenge ward daber.
auch In den, die Verpflegung und das Quartierweſen be=
treffenden Ebikten vom 3. Sanuar 1684, 14. Auguft 1685
und 6. Sanuar 1696 alle Seitens von Offizieren und Sol-
Daten gegen ihre QDuartierwirthe geübte Eigenmacht und
Bebrhdung verpbnt.
195
So 3. 8. beftimmte die Dragoner = Orbonnanz von
1684 wörtlich Folgendes: Da man vernommen, heißt e8
darin, daß die Reuters ihr ihnen gereichte® monatliches
gutes Traktament verföffen und verjplelten, und bann ihre
Speifung von ihren Quartierwirthen unter Drohungen und
Sewaltthätigfeiten zu erprefien Bedacht nähmen, fo follten,
falls die Offiziere fih in Abftellung deſſen Yäftig erweijen
oder gar. mit daran theilhaftig wären, die Beamten Macht
haben, die Unterthanen in jeder Weife vagegen zu ſchützen.
Zu dem Ente follten fie folche Praffer, gleich wie jeden
anderen leichtfertigen Gefellen der im Quartier over auf
der Straße oder im Felde rauben oder plündern möchte,
wie fie nur immer könnten, beim Kopf nehmen und
gleich anderen Verbrechern an dad General-Eommando
einliefern. Ebenſo beflimmt das Edikt vom 14. Auguft
1685, daß — wegen der nicht aufhörenden Erpreffungen —
das Natural» Service gänzlich abgeichafft und nur. noch in
Duartierftellung von Dach und Fach für die Gemeinen
beftehen bleiten jollte.
Es jollte fih der Soldat mit Bett. und Lager nad)
Der Hausgewohnheit des Wirthes begnügen. Auch follten
Alle, in den Quartieren von den Soldaten an ihren Quar—
tiergebern geübten Diebereien und fonftige ihnen muthwillig
Zugefügte Schäden tarirt, und deren Werth zum Bortheil
Des Beichädigten tem fommanpdierenden Offizier an
Der Gage abgezogen werben, und die Beamten überhaupt
bei Berluft ihres Amtes die Unterthbanen gegen jegliche
Plackereien von Offizieren und Soldaten kräftiglih in Schutz
nehmen. Auch follte bei jedem QDuartierwechjel bei Trom—
petenfhall und Trommelſchlag dfjentlih bekannt gemacht
werben, daß leinem Soldaten Etwas geborgt werden folle,
Derartige Vergehen wurden überhaupt meift mit Geld-
ftrafen geahndet. Sp z. B. ward noch 1727 ein Hauptmann
v. d. Red von Erbprinz-Dragoner, welcher wegen bei ber
Relrutirung verübten Exzeſſe Triegsrechtlich zur Kafjation
4
196
verurtbeilt worden war, gegen Erlegung einer Gelbitrafe
von 1000 Thalern, welche zum Kaſſeler Feſtungsbau ver⸗
wendet werden ſollten, begnadigt.
Uebrigens ging die Sorgfalt für die bürgerlichen
Intereſſen fo weit, daß den Soldaten nicht nur jede Be⸗
einträchtigung des bürgerlichen Gewerböbetriebes _ fireng
unterfagt war, fondern daß fogar die für die Truppen noth⸗
wendige Montur, Schuhe und Strümpfe nur vor jolchen
Soldaten follten angefertigt werten dürfen, welche al®
Meifter oder Gefellen hierzu nach Maaßgabe der Zunftord-
nungen ohnehin berechtigt wären.
| Si ward es denn auch allmählig dahin gebracht,
daß die Belegung eined Orted mit einer fläntigen Garnifon,
was bisher als eine ter ſchwerſten Laſten bed frieplichen
Bürgers erachtet worten war, und mogegen die Bewohner-
Ichaft ſich meiſt aus Leibeskräften zu fträuben pflegte, gar
bald mit ganz anderen Augen angejehen und als eine, zum
Beten des Gewerbitandes begehrenswerthe, fürjtliche Gunft
und Gnade erachtet wurde,
Während folchergeftalt Landgraf Earl den Ueber-
griffen der Soldateska fcharfe Zügel anzulegen unermüdlich
war, erwies er jich aber auch nicht minder unermüdlich in
der Sorge für das wahre Wohl der Truppen.
Ramentlich wendete er dem Feltmetizinalwejen große
Aufmerffamteit zu, indem nicht nur — wie bereit3 bei
der Organiſation erwähnt — jedes Regiment und jebe
Compagnie mit einem Feldſcheerer bedacht wurde, Tontern
auch das gejammte Lazareth- und Feld - Metizinal = Wefen
einer einheitlichen Zeitung und Cheraufjicht unterjtellt, und
folche, namentlich im Zeltzuge von 1690, Durch Ten eignen
fürftlichen. Leib- Arzt, Hofmedikus Dubourg, geübt wurde,
welchem zu diefem Ende ein Direktor der Zeltjpitäler (Dr-
Möller), ein Ober-Feld-Medikus (Dr. Kürfchner) und ein
General = Chirurgu3 (Dr. Markarius) mit ihren Gehülfen
Cober, wie es weniger jchmeichelhaft in den Krieggrechnungen
197
keißt, mit ihren Gefellen), ſowie auch noch ein Ho8pital-
meifter, ein Felbapotheler und Hospitaloberkoch und eine
Anzahl Seribenten untergeben : waren, fo daß auch in
diefer Beziehung Alles geſchah, was nur irgend die Zeit
zu ermöglichen geftattete. - -
Das war denn leider, freilich ohne Schuld dieſes
Fürften, troßdem wenig genug; denn wie niebrig der Stand⸗
punkt der ärztlichen Kunft damals noch geweſen fein muß,
erhellt u. a. aus dem .Beftallungsbriefe des Regimentfeld-
ſcheerers des Leib⸗ Regiments von 1693. Obſchon der⸗
ſelbe ſich als ein, von dem Collegium Medicum zu Mar-
burg approbirter, wirklicher Dr. medicinae et chirurgiae
auszuweiſen gehabt hatte, und ihm der verhältnigmäßig nicht
unerhebliche Gehalt von: monatlich 21 fl. verwilligt und ein
Knecht und 2 Wagenpferbe geftellt worden, ſo ward dieſer
Beſtaſlung zu Folge demſelben boch auch noch an weiteren
Emolumenten zugefiöhert : M
D Das Eompagnie-Feldfcheerer Gehalt der Leib⸗Com⸗
pagnie (monatlich 6 fl.), ſowie das Beckengeld derſelben,
wofür er jedoch gehalten ſein ſollte, ſolche entweder
ſelber oder durch einen feiner Geſellen zu bedienen, ſowie
2) das Brivilegium, fo viele Geſellen und Lehrjungen
anzunehmen wie, und ein Beden auszuhängen Cd. b.
eine Baber- und Barbierftuhe einzurichten) wo er
‘wolle, auch ſonſt Kundichaft zu treiben wa8 er möge,
Welches ſonach der ärztliche Standpunkt ber, unmittel-
dar vor den Eorporalen rangirenden, Compagnie-Feldſcheerer
war, läßt ſich hiernach von felber ermeffen.
Nicht minder forgfältig, als das Feldmedizinalweſen,
waren überhaupt auch die übrigen Zweige der allgemeinen
Feldadminiſtration geregelt.
Der gefammten Militär-Adminiſtration ftand 5. B.
im Feldzuge von 1690, als oberfter Chef, der Gene-
tals Lientenant Broftrup Sacobjon von Schört und ber
198
Brigadier Ludwig Sittih von Görz vor, denen der Kriegs⸗
Kommiſſar Schönewolf als Geheimfchreiber beigeordnet mar,
Auch hierbei war das Geldrechnungsweſen von Dee -
Berwaltung der Natural u. |. w. Berpflegung getrennt,
indem der Feld-Kriegs-Kaſſe ein befonderer Kriegspfennig-
meifter ( Hauptmann Hille) vorftand, dem ein Ober-Kriegs⸗
Zahlmeiſter und ein Kriegszahlmeifter mit einigen Seriben⸗
ten untergeben waren, während alle, was die Naturalver⸗
pflegung anlangte, zum Reſſort de8 Feld-Kriegs-Kommiſſa⸗
riats gehörte, deſſen Mitglieder, charakteriftifch für die weife
Einfiht Landgraf Karls in alle Verhättniffe, ſämmtlich
verhältnigmäßig ziemlich hoch bejoldet waren.
Daſſelbe beitand nämlich aus einem Präfidenten (Oberft
von Mannsbach) mit monatlich 180° fl. Gehalt, einem Ober:
Kriegskommiſſar (Klaute) desgleichen mit 105 fl., 2 Pro
viant-Kommiſſaren (Göttig und Möller) und einem Zahl-
meijter (Schirmer), jeder mit 52'/, fl., einem Proviantmeifter
mit 37'/, fl., fowie 8 Unterbeamten (einem Proviantver-
walter, einem Quartiermeifter und jech® Scribenten) ‚jeder
mit 15 fl. monatlichen Gehalts.
Auch war folchem ein eigener Fuhrwefentrain nler
ſtellt, weldher aus 1. Stallmeiiter, . 2 Wagenmeiftern, 2
Schmieden und 45 Knechten beſtand, ſowie nicht minder eine
Feldbäckerei mit 1 Badmeifter, 34 Feldbäckern und 1 Bad-
ofen= Maurer, und endlich noch. ein Feldmetzger mit 22
Ochſenknechten.
Eben fo war dem Kriegsgerichtsweſen ein Ober-Au-
diteur (Straßburger), mit dem verhältnifmäßig bedeutendem
Gehalte von monatlich 90 fl. vorgefeßt, dem der General-
gewaltige (Schüler) zur Seite ftand, deſſen monatlicher Gehalt
75 fl. betrug, während 3 Knechte deffelben, fo wie 1 Scharf-
richter und defjen 2 Knechte ein jeder monatlich 9 fl. bezogen.
Die geiftliche Seeljorge anlangend, jo ward ſolche Durch
fünf Feldprediger beſorgt, die jedoch etwas fpärlich, jeder
nur mit monatlich 21 fl. Gehalt, bedacht waren. |
Hin...
199
Auch die Organifation des Stabes des Kommandiren-
ben (welches theils der Landgraf felber, theils der General-
Feldmarſchall Graf von der Lippe war) ließ nichts vermiffen,
was die damalige Kriegsführung nur irgend bedurfte.
Außer dem General Feldmarihall Grafen von ber
Kippe, deſſen Gehalt fich monatlich auf 690 fl. belief, und
den resp. Truppen= Commanbeuren, weifen nämlich bie
Srleggrechnungen von 1690 folgenden Beftand des Com⸗
mande-Stabe8 nad, als: |
1, Ein erfter General-Abjutant, welcher, mie es fcheint,
jo ziemlich die Funktionen eine® heutigen Chefs des
Generalftabes zu verjehben gehabt haben dürfte. Es
war dieſes bis Anfangs 1691 der General - Major
Alexander Hermann von Wartensleben, nach deſſen
Hebertritt in Sachſen-Gothaiſche Dienfte der General»
Major Hermann’ Wilhelm von Spiegel.
2. Ein General- Quartiermeifter, welcher das Marſch⸗,
Lager- und Quartierwejen zu leiten gehabt zu haben
ſcheint (Oberſt Smildens).
3. Zwei General-Adjutanten, welche den gewöhnlichen
Adjutantendienft verfehen zu haben fcheinen, (Oberft
Albrecht von Tettau und Major von Bartheld.)
4. Ein Brigade-Major, wahricheinlich Gehülfe des Ge—
“ aeral = Quartiermeilterd, für das Detail des Lager-
und Sicherungsdienfte8 (Major Wagner.)
Ein Adjutant des Ober-General-Adjutanten (Haupt-
mann von Offenbach.)
6. Ein Ingenieur, welcher das Schanzwefen, das Topo⸗
graphiiche und wahrfcheinlich auch das Artillerieivejen
zu beforgen hatte (Hauptmann Joh. Gg. Echleenftein.*)
7. ein Capitain des Guides, welcher wahrjcheinlich das
5
+
*) Johann George Schleenftein war 1659 zu Erfurt geboren, wo
deſſen Bater ein anfehnliches ſtädtiſches Amt begleitet zu haben
ſcheint. Im die 1662 daſelbſt ftattgefundenen Unruhen mit ver-
wicelt, fcheint derfelbe jedoch zur Auswanderung gezwungen worden
200
Ordonnanz⸗ und Botenweſen zu bejorgen hatte (Haupt-
mann Biedenfapp) ;
8. ein ‚Stab8-Quartiermeifter, welcher wahrſcheinlich
außerdem auch noch die Funktionen eines heutigen
Kommandanten des Hauptquartiers verſehen mochte
(Peterſen);
9. ein Ober⸗ -Wagenmeifter (Frankenberg), welcher baß
Transportwefen de8 Hauptquartiers zu bejorgen hatte;
zu fein und fi) an den Hof des Fürften der Wallachei begeben zu
haben. Hier empfing ber junge Schleeuftein eine jehr ſorgfältige
Erziehung, wohnte bereits al8 18jähriger Jüngling als Volontaire
ber Schlacht bei St. Dmer bei, trat dann 1680 in ſchwediſche
Dienfte, welche er jevoch bald wieder verließ und fih zu Bremen
mit einer reichen Erbin y einer geborenen Peterfen van Bott, ver-
mählte. Da ihn jedoch das Unglüd traf in einer flatthabenden
großen Feuersbrunft die meiften Wertbpapiere und Bermögens-
Dokumente zu verlieren, bewarb er ch um heifiihe Dienfte und
warb 1689 von Landgraf Karl zunächſt als Ingenieur. angeftellt,
in welcher Eigenfchaft er ‚bei ber Belagerung von Mainz, ſowie
1692 bei der Belagerung von Ebernburg und der Bertheidigung
von Rheinfels jehr ansgezeichnete Dienfte Teiftete, und in Folge
befjen auch zum Kompagnie-Chefim Görtziſchen Regimente befördert
wurde. In Folge feiner auch wieder 1695 bei der Belagerung
von Namur an ben Tag gelegten ausgezeichneten Kenutniffe im
Geſchützweſen und in der Fortification, warb er 1701 als Major
in die Artillerte verfeßt, in welcher Eigenfchaft er 1703 der Bela⸗
gerung von Trarbach, 1704 jener von Landau und 1705 der Schlacht
bei Hochſtädt mit Auszeichnung beiihohnte, und allmählig bis zum
Oberſten anfftieg, als welcher er 1729 mit SHinterlaffung von
3 Söhnen zu Caſſel am Schlagfluß verftarb. Bon feinen topo-
graphifchen Arbeiten wird auf der Planfammer des furfürftlichen
Generalftabes noch ein von ihm gezeichneter Atlas der damaligen
. beifiihen Lande aufbewahrt,. ber nicht nur durch die außerordent⸗
liche Schönheit und Sauberkeit der Zeihnung an fi, fondern
auch durch die Anfchaulicgkeit und verhältnigmäßig große Genanig-
feit merfwürbig ift, mit welcher derſelbe, obgleich nur aus der ſ. g.
Bogelperjpective projectirt, doch die Terrainbefchaffenheit erkennen
läßt. (ES ift dieſer Atlas jedoch nur eine Kopie der 1592 von
‚ Mercator vollendeten Karte von Heſſen. Die Redaktion.)
201
10, ein geheimer Secretar des General-Feld-Marſchalls;
11. mehrere Scribenten und Unterbedienfteten.
Im Feldzuge von 1696 war der Generalftab ziemlich
in gleicher Weiſe organifirt, nur befanden fich demſelben
noch eine Anzahl, theils Adjutanten, theild wohl auch nur
Drdonnanz-Officierövienfte verfehende Dfficlere zugetheilt,
ngmentlich der Oberſt Johann von Dernthal, Oberftlieus
tenant Alexander Rolaz du Rosey *), Oberftlieutenant von
Uran, Sorftmeifter von Lindau, ein Graf von Wittgen⸗
ſtein u. a.
Demgemäß belief ſich der Perſonalbeſtand des General⸗
ſtabes im Feldzuge von 1690 auf etwa 31 Köpfe mit
‚einem monatlichen Beſoldungs-Etat von 1976 fl., jener
des Commiſſariats einschließlich des Artillerieſtabs und des
Zransportwejend auf 272 Köpfe mit einem monatlichen
Beſoldungs⸗Etat von 1993), fl.
Der Truppenbeftand belief fich dabei, injoweit folche
fich nicht in befonderem Solde der holländiſchen General-
ſtaaten befanden,
a. an fchwerer Reuterei auf = 635 Köpfe a 8164 fl.
monatlich,
b. an Dragsnern auf = 920 Köpfe à 11546 fl.,
c. an Infanterie auf = 4516 Köpfe a 26084 fl.,
was in Summa für etwa 6000: Mann einen monatlichen
Koftenaufwand von 49713%/, fl. ausmachte **), während
die hierfür beſtimmten regelmäßigen Landeseinfünfte nur
ec. 32,000 Gulden betrugen.
Alle dieſe Einrichtungen, fowie diefer für die Landes⸗
einkünfte ſehr beträchtliche Geldaufwand, würden jedoch
ſchwerlich dazu geführt haben, das junge vaterländiſche Heer
to raſch zu jo hoher Blüthe zu zeitigen, wenn Landgraf
*) Derjelbe war eigentlich Hofmeifter des Erbprinzen Friedrich und
mag als folder dahin gefommen fein.
**) Aus der Kriegs⸗Rechnung des Ober-Kriegscommiffars Kante de
“ dato Hanau den 17, Juni 1690 ertrabirt.
202
Karl es nicht fo meifterhaft verfianden hätte, auch überall
die geeigneten Männer an die richtige Stelle zu ftellen
und, wo fie ihm fehlten, fich foldhe da, wo fie zu finden
waren, berbei zu holen oder noch lieber, wenn irgend
thunlich, folche fich felber heranzuziehen.
E83 war dieſes aber um fo wichtiger, als zur Zeit
namentlich die Regiments-Inhaber noch jehr bedeutende
Nechte beanipruchten. So z. B. war noch in dem Werbe⸗
patent für den Sberftlieutenant Alexander von Wartens⸗
leben vom 9. Detober 1688 zur Aufrichtung des Naſſau⸗
Weilburgiſchen Dragoner-Regiments demfelben die Befugniß
eingeräumt, fänmtliche Offiziere defjelben vom Oberitlieu-
tenant abmwärtd nach eignem Ermeſſen anzuftellen, injofern
folche bereit3 im Kriege gedient hätten. Sa diefe Befugniß ward
fogar, bezüglich ihrer Kompagnie-Dffiziere, auch einzelnen
Sompagnie-Chef8 ertheilt, indem u. a. noch 1727, feinem
Beftallungsbrief gemäß, der Hauptmann von Urff im Erb:
prinz-Dragoner-Regiment feinen Bruder, fo vordem fürft-
licher Page gewejen, zu feinem Yähnrich beitellte und ber-
ſelbe von dem Landgrafen, jener dem Haupt
mann von Urff zufändigen Redtjamen zu
Folge, auch lediglich nur als jolcher fonfirmirt und an-
erfannt wurde. J
Wohl nicht ganz mit Unrecht trachtete übrigens Land⸗
graf Carl auch noch dadurch den heſſiſchen Dienſt Glanz und
Anſehn zuzuwenden, daß er, außer durch ihr kriegeriſches
Verdienſt, ebenſo auch durch hohe Geburt hervorragende
Führer für denſelben zu gewinnen ſuchte, und dem⸗
gemäß ſchon gleich anfänglich, außer mehreren Prinzen aus
fürſtlichen Nebenlinien, Heſſen-Rothenburg, Heſſen-Philipps⸗
thal und Heſſen-Homburg, auch mehrere Mitglieder gräf-
licher Geichlechter, als Grafen von Naffau, Leiningen,
Wittgenftein, Dönhof, Lottum u. |. w. in deſſen Reihen
vorgefunden wurden. Als vorzugsweiſe Durch ihre Verdienſte
um die Ausbildung des vaterländiichen Heeres. bervorleuch
203
tend aber ift nachfolgende Reihe von Männern zu bezeich-
sn, als: |
1. Graf Auguft zur Lippe-Brake. Im Jahre
1643 geboren und am Hofe Landgraf Wilhelm VI. erzogen,
verlieh ihm die Landgräfin Hedwig Sophie 1663 eine Com-
pagnie, welche 1664 das vereinigte hefjiiche Regiment bilden
half, welches als oberrheinifche8 Kreißcontingent nad Un⸗
garn gegen die Türken. marfchirte, wobei fich der junge Graf,
namentlich in der Schlacht bei St. Gotthardt, jehr hervorthat.
Im Sabre 1665 trat er jedoch als Oberftlieutenant erft in
braunjchweigslüneburgiiche, dann in kurzen Zwifchenräumen
in turkölnifche, lothringiſche uud wieder in Furfölnijche
Dienfte, zeichnete fich im Reichskriege gegen Frankreich bei
den Belagerungen von Wefel, Deventer, Gröningen u. |. w.
abermals aus, ftieg bis zum Oberſten und trat 1674 als
Generalmajor wieder in braunfchweigslüneburgifche Dienfte,
in welchen er fi 1675 wiederholt durch feinen kühnen
Ruth in dem Gefechte bei Trier hervortbat, indem er u.
4. den franzöfiihen Marſchall de Kamp de Erequi perjün-
ich gefangen nahm, und fodann unter dem Oberbefehl des
Brinzen von Oranien auch noch den Felbzügen von 1676
und 1677 in den Niederlanden beimohnte, wo er hei ter
Belagerung von Maftricht durch einen Bombeniplitter ver⸗
wundet wurde. Als jedoch Landgraf Karl, alsbald nachdem
er 1677 den heifiichen Fürftenthron beftiegen hatte, ihm
anbot, als Generalmajor und Gouvernenr jämmtlicher
Feſtungen in heſſiſche Dienfte zu treten, fo folgte er noch
vor Ablauf dieſes Jahres freudig dieſem ehrenden Rufe,
ward 1679 Generallieutenant und 1680 General-Feldmar⸗
ſchall⸗Lieutenant der heſſiſch-fränkiſch-oberrheiniſchen und
weiterwäldiichen Neuterei, 1685 Landfommenthur der deut⸗
ſchen Ordens-Ballei Hefjen, und 1694 wirklicher Reichs—
und hejliicher General-Feldmarihall *) und ftarb, nachdem
°) Einen 1692 an ihn ergangenen Auf ver Republik Benebig, an ber
204
er das hejjiiche Eorp8 in den Feldzügen von 1688—1697
mit Ruhm befehtigt hatte, 1701 auf der Rüdreife aus
Holland im 58. Lebensjahre zu Neuwied. Er ift in der
Elifabether-Kirche zu Marburg begraben. Faſt noch ver-
dienſtvoller, alS fein Wirken war jenes des
2. Alexander Hermann von Wartendleben,
Einem faum minder ebelen, wenn auch weniger glänzenden
- Gejchlechte als Auguft von ver Lippe-Brake entfproffen, ward
er 1650 zu Lippſpring in Weftphalen geboren, erhielt, als
Gefellichafter der jungen fürftlichen Prinzen, an dem Hofe
der Landgräfin ‚Hedwig Sophie zu Kaſſel ebenwohl feine
erfte Erziehung, trat dann.aber, auf, deren Empfehlung, als
Freiwilliger zunächft in das Regiment Elſaß in franzöfiiche
Dienfte, machte in demjelben den Krieg in den fpanijchen
Niederlanden mit und warb 1668 wegen feine8 bethätigten
Mohlverhalteng, obgleich erft 18 Jahre alt, doch ſchon zum
Regiments-Adjutanten in folchem befördert. In Tolge des
1673 mit Frankreich ausgebrochenen Reichskrieges kehrte er
jedoch in heffifche Dienfte zurüc, ward Hauptmann und wurde,
als die franzöfiiche Armee bis an die Wefer vorrüdte, als
Abgefandter an den Marſchall Crequi abgeorpnet, um mit
demfelben einen Vertrag bezüglich der Befreiung der Graf⸗
haft Schaumburg von den Kriegsprangfalen zu vereite
baren, was ihm auch gelang. Hierauf wohnte er in ben
Sahren 1675 bis 1678 mit dem Regiment Ufm Keller den
Feldzügen in Schweden bei, ward 1677 zum Major befür=
bert, jeboch bei Gelegenheit der am 8. Januar 1678 auf
der Inſel Rügen dem verbündeten Heere von den Schweden
zugefügte Niederlage verwundet und gefangen. Auf bie
Nachricht hiervon ſandte Landgraf Karl feinen Flügel-Ad—
jutanten Rittmeifter von Boyneburg mit der [peziellen Mif-
fion, defjen Auswechslung zu bewirken, an den ſchwediſchen
Stelle des Grafen Konigsmark das Obercommando der venetia⸗
niſchen Landmacht zu übernehmen, hatte er, abgelehnt
205
heerführer, Feldmarſchall Königsmark ab, in Folge deffen
auch Wartensleben, aus Dankbarkeit, ein ihm von König
Ehriftian V. von Dänemark geftelltes ſehr vortheilhaftes
Anerbieten, al8 Kommandeur feiner Leibwache in dänifche
Dienjte zu treten, ablehnte und nach Helfen zurüdtehrte,
wo ihn Landgraf Karl feiner Seit 1680 zum Oberftlieu-
tenant, 1683 aber, nach dem Abfterben des Oberften Mob,
: zum Commandeur bed Regiments. des Grafen Auguft von
der Kippe (nachherigen Leib- Regiments zu Fuß), und 1684
um Chef des bisherigen Negiments des Prinzen Philipp
von Heffen beförberte, während deſſen Wurtensleben jedoch,
old Bolontär im Gefolge des Reichdgeneral8 Feldmarſchalls
Prinzen von Walded, dem Entjage von Wien und ben
Feldzügen in Ungarn und namentlich der Belagerung
von Ofen "beiwohnte. Nach feiner Rückkehr von da zum
General-Adjutanten de8 Landgrafen Karl und 16886 zum
Dberamtmann und Commandanten zu Ziegenhain ernannt,
jhloß er 1687 den Subfidientraftat mit der Republik Ve⸗
nedig über die Soldgebung des Regiment? Prinz Karl ab,
geleitete Tolches nach Venedig, kehrte jedoch von da wieder
nach Heſſen zurüd, wo er 1688 ein Dragoner = Regiment
errichtete und ſodann den näÄchitfolgenden Feldzügen als
Dber⸗General⸗Adjutant des Eommandirenden mit Auszeich-
nung beimohnte, bis er 1690 zum Generalmajor befdrdert,
au Anfang des Jahres 1691 dem Rufe, in Sachſen-Gothaiſche
Dienfte zu treten, Folge gab und noch im nämlichen Jahre
von Kaifer Leopold auch noch zum Reichsgeneral⸗Feldmar⸗
Thal ernannt wurde. Einen Ruf der Republit Venedig,
den Oberbefehl über deren Landmacht zu übernehmen, lehnte
Bartensleben zwar ab, trat jedoch als GeneralsLientenant
in töniglich preußiſche Dienfte, in welchen er, nachdem er
vom Kaiſer Leopold auch noch in den Reichsgrafenſtand
erhoben worden war, 1734 in bem hohen. Alter von 81
dahten als Feldmarſchall und Gouverneur von Berlin
verſtarb. Naͤchſt ihm erwarb ſich auch:
Viii. Band.
3) Anton Detlev von Schwerin aus Pommes i
ein Oheim bes in der Schlacht bei Prag unter Frievrich dem !
Großen gefallenen berühmten preußiſchen Felbmarfcheit
Grafen von Schwerin, große Verdienſte um Heſſen. Er
trat 1685 als Oberſtlieutenant in das Leib - Regiment in
heſſijche Dienſte. Welches ſeine Verdienſte waren, wird
an einem andern Orte erzählt werden. Im Zahr 1088
zum General- Major und Ober-Amtmann der Grafichef
Kabenellenbogen befördert, trat er Furz darauf in hollan⸗
diſche Dienfte, Die er indeflen bald nachher wieder auf
gab, indem er ſich wegen Alter und Körperſchwäche auf
feine Güter in Bommern zurüdzog, woſelbſt er 1707 wer
flarh, Ausgezeichnet vor Allen war aber
4) Ludwig Sittih von Görz, gen. v. Schliß
Er war den 19. Oktober 1655 zu Darmftabt geboren, ſu⸗
dirie 1668 — 1672 zu Gießen und Helmftädt, trat 167
in hollaͤndiſche Dienfte und zeichnete fich 1674 in der Schladt
bei Senef jo fehr aus, daß er als Fähnrich in die hollän⸗
diſche Garde verfeht ward. Auf dem NRüdzuge nach ber
Schlacht bei Mont Caſſel rettete er durch feine Hingebung
und Tühnen Muth feinem UOberften, Grafen von Solmk
Braunfels, das Leben, in Folge deffen er zum Lieutenant
befördert wurbe, worauf er 1678 als Hauptmann in Sad
fen-Eifenachifche Dienfte trat,
Als jenoch 1679 das Regiment, bei welchem er flank,
in Zolge des Nymwegiſchen Friedens rebuzirt ward, trat
er mit 3 Compagnien defjelben in heſſen-kaſſelſche Dienfke,
indem Landgraf Karl dieje 3 Eompagnien zu feinem, beim
Dberrheinifchen Kreißregiment zu ftellenden, Contingent be⸗
fiimmte. Im Sabre 1682 ward er zum Major, 1683 aber
zum SOberft = Lieutenant befördert und wohnte, gleich dem
Oberften Alexander Hermann von Wartensleben, als Frei⸗
williger im Gefolge des Reichs⸗Feldmarſchalls Prinzen von
Balved dem Entjake von Wien bei. Im Sabre 1685
jeboch übernahm er, an ber Stelle des nach feiner Heimath
207
mehdberufenen jungen Grafen von Naffau, da8 Commando
be bei der Reichdarmee in Ungarn befindlichen Oberrhei-
niſchen Kreisregiments.
Obgleich dieſes ſchon von Haus aus ein überaus bunt
mſammen gewürfelter Haufe war, indem von den 16 Com⸗
pagnien, aus denen es zufammengefügt war, nur 4 Com⸗
zagnien, Darunter die beiden Grenadier = Compagnien, von
Heſſen⸗Kaſſel*), Dagegen 2 von Heflen-Darmftabt, 2 von
Frankfurt, 1 von Walded, 1 von Fulda und die übrigen
6 Eompagnien vollen8 durch 30 bis 40 verfchiebene Herren
md Städte **) in ganz Keinen Contingenten von 10 und
ſelbſt von 3 und 2 Mann geftellt worden waren, fo fcheint
doch trotzdem Görz von Schlitz die Gabe beſeſſen zu
haben, ſelbſt dieſen bunten Haufen mit dem Heldenfeuer
zu erwärmen und zu beſeelen, das in feinem eigenen Buſen
fammte, _
Sp u. a. war er nicht nur felbft einer ber Exften,
bie beim Sturme auf Fünffirchen 1686 an der Spite der
beiden beffiichen Grenadier-Compagnien ven Wallbruch er⸗
fitegen, fondern der von ihm ausgehende Geift hatte bereits
ſolche Wurzel im Regimente gefchlagen, daß, als während
ber Belagerung von Copesvar im Dezember d. J. ein
folder Mangel an Lebensmittel eintrat, daß fall 3 Wochen
lang Eicheln das einzige Nahrungsmittel darboten, und über
300 Mann des Regiments hei dem Rückzuge nach Komorn
*) Es waren ſolches: 1. Die Leibcompagnie des Grafen Ludwig von
Naſſau⸗Saarbrück unter Hauptmann Hutfilder; 2. die Compagnie
bes Oberftlieutenants Joh. Edebrecht von Stockhaufen; 3. die Gre⸗
nabier-Compagnie des Hauptmanns Wolf Karl von Schenk zu
Schweinsberg und 4. bie Grenabiercompagnie des Hauptmamıs
Hartung Yorban-von Eſebeck.
“*) Nãmlich von den Grafen und Herrn vom Geſammthauſe Naffaı, als
Raffan-Siegen, Naffau-Saarbrüd, Ottweiler-Dillenburg, Hadamar,
Die, Schaumburg m. f. w.; von Solme-Laubadh-Braunfels, Lich,
Greifenſtein, Hohen» Solms, Rödelheim u, f. w., von Yſenburg,
von Hanau, Wetzlar, Friedberg, Homburg, Bag hein, Sayn ıc.
der Kälte erlagen, der Reit deſſen ungenchtet unerjchütten
blieb: Nicht minder glänzend war das Benehmen bes Regb
ments im Feldzuge von 1687, als Görz, nachtem die ia
ferlihe Armee fich genothigt geſehen hatte bie Belagerum
|
3
von Eſſeg aufzuheben, und ſich über tie Drau zurüdzuziehen, "
der Auftrag zu Theil wurve, teren Rudzug zu deden, wel
ches er mit ſolchem Geichide beiwerfitelligte, daß derſelbe
obne ten mindeſten Berluft bewirkt ward. Auch in ver ig
darauf flattfindenden Schlacht am Kartichauer Berge trag
das Regiment, auf ven äußerten linken Flügel poftirt, buch
den heldenmũthigen Widerftand, den e8 den feindlichen An⸗
griffen entgegen feßte, ſehr entichieben zur Erringung des er⸗
folgenden glänzenden Eieges bei.
Im Feldzuge von 1688, wührend der Belagerung
von Belgrad zum Zwede einer Diverjion gegen Gaflanoroik
an ter Unna entjentet, griff Görz ten jehr überlegenen
Teind mit dem ibm unterftellten Regiment, obgleich er
zuvor bie Unna burchwathen mußte, und dabei das Waſſer
der Mannichaft bis unter die Achſeln reichte, doch mit fol-
chem Ungeſtũm an, daß folcher gänzlich in vie Flucht ges
fchlagen wurde und mehr ald 100 Türfen, die fidh in einen
in der Nähe befindlichen feſten Thurm geflüchtet hatten,
genötigt waren, fih zu Gefangenen zu ergeben.
In Folge der durch den Einfall ter Franzofen in
Deutichland erzeugten Geführbung der eigenen Heimalh,
Ende dieſes Jahres nach Heſſen zurüd berufen, Iangte Gr;
ben 3. Zebruar 1689 mit dem Regiment bei Amöneburg
am. In Anerfennung jeiner ausgezeichneten Bervienfte zum
Chef des Ober⸗Rheiniſchen Kreis-Regiments, welches von
nun an auch feinen Ramen mitführte, ernannt, warb ber
Etat des Regiment? nunmehr auf 12 Compagnien gefekt,
und tie aus gar zu vielen Kontingenten zuſammengeſetzten,
und doch an Mannihaftszahl ſchwachen, übrigen 4 Compag-
nien defielben en ateiteil, und überhaupt deſſen Organi⸗
fatioa in allen Stüden, ſoviel als bei ven vesfalls obwal⸗
ienden, ſehr verwidelten Berhültniffen nur immer irgend
iunlich war, verbefjert, fo daß baffelbe mit nicht minderen
Ehren, wie in ben Feldzügen gegen bie Türken, nament-
lich auch der Belagerung von Mainz und den nächft folgenden
deldzügen beimohnte, bis es nad) erfolgten Frieden zu
Rewid endlich wieder rebuzirt wurde.
Görz felber anlangend, fo ward derſelbe wegen feines
bei der Belagerung von Mainz bethätigten Wohlverhaltene
noch 1689 zum Brigadier und im Februar 1092, neben
dem Commando des Oberrheiniichen Kreisregiments, zugleich
uch noch zum Chef des früheren Wartenslebenichen Regi⸗
ments (urfprünglich Regiment des Prinzen Philipp von
Helen) befördert, Seine heldenmüthige Vertheibigung von
Rheinfele, fo wie fein frühes Ende, werden anderswo eine
ausführliche Darftellung finden.
. Außer den Genannten verdienen weiter noch Erwähnung:
5. Johann Friedrih von Kettler, der Sohn
eines Verwandten des herzogl. urländifchen Hauſes und einer
gebornen Gräfin Dönhof, war 1655 zu Mietau geboren
und hatte ſich Anfangs den Wiffenichaften gewidmet, trat
dann aber als Kammerjunfer in die Dienfte Landgraf Karls,
worauf er, obichon bereit 30 Jahre alt, fich endlich noch
dam entſchloß, das Waffenhandwerk zu ergreifen. Er über⸗
nahm 1685 das Kommando über eine derjenigen Eom-
pagnien des CEpiegelihen (vormals Rauiſchen) Reuter⸗
Regiments, tie einen Beſtandtheil des gegen tie Türlen in
Ungars im Felte fiehenten I berrheiniichen Kreisregiments
zu Pferde ausmachte. Schon 1658 zum Tberftlieutenant
und Gosimanteur ter Lirriihen, und 1659 zum Chef Leb
eben erũt als Rınau- Reilkurg errichteten Tragonerregiments
bejörbert, wert er, feiner ausgezeichneten ĩprach⸗ und ſiaatt⸗
wiſſenchaſtlichen Kennıniüe balker, jetch mehr im Kiplemas-
tichen Fache, als im Kriegkweien verwentet, wähmt cı
1693 zum Prigarier uxnt Ermmantear ber fürftlidgen Leil-
Bahe Fiene, 1700 zum General- Major uns 17%
210
zum General - Lieutenant, fo wie weiter noch zum erſte
Minifter, Ober⸗Hof⸗Marſchall und Vorſtand des geſammte
Krriegsweſens aufitieg, bis er hochbetagt (89 Jahre alt
1735 zu Caffel verſtarb. Bis an fein Lebensende der Lieb
ling und ftete Reiſebegleiter Landgraf Karls, ſtand er am
außerdem, feiner vielfeitigen Bildung, feiner feinen Sitte
und feines rechtichaffenen, allen Hoflabalen abgeneigten Cha
ralters halber, allgemein in größter Achtung.
. 6. Albrecht von Tettau, aus einer in Meißen un
Brandenburg begüterten Familie abflammend, trat ebenwoh
erft als Hauptmann im Leib = Regiment zu Fuß 1688 1
heffiiche Dienfte, warb ſchon nach wenigen Monaten Majo
bei dem eben errichteten Dragoner-Regiment Nafjaus Weil
burg, 1690 Oberftlieutenant und General-Abjutant, 160
Oberſt im Kärkenbruchiichen Reuter-Regiment, 1664 Eh
des Kettleriichen Dragoner = Regiments, von wo auß «
1696 wieder in da8 Leib-Regiment zu Zuß als Commanden
zurüd trat, und 1702 zum General-Major und Commanden
des von dem Leib = Regiment zu Fuß ſich abzweigende
Grenadier-Regiments befördert wurde, und als folcher 170
in der Schlacht am Speyerbache den. Heldentod fand.
Außer ben genannten gewann der heifiihe Dien
noch ferner: .
7. in Leonhard Swildens, der urfprünglich tı
Waldeckiſchen Dieniten eine Compagnie im Ober-Rheinifche
Kreiß = Regiment geführt und 1689 als Major in heffifch
Dienfte übergetreten ‘war, einen ausgezeichneten Dffizie:
Schon 1690 zum General-Quartiermeifter, ſowie zum Ober
fien und Commandeur bed Regiments Prinz Wilhelm er
nannt, leitete er biß zu feinem 1697 erfolgenden Tode i
feiner Stellung als General-QQuartiermeifter ſehr vorzüglich
Dienite,
Nicht minder erwies fich:
8. Reinhold Ernſt von Saden aus Kurlaml
als eine Zierbe des heffiichen Dienſtes. Er war anfüng
211
4 Major im Leibregiment zu Fuß und flarb 1729 als
General-Lieutenant und Gouverneur von Ziegenhain.
Zwar in Staffel geboren und in Heſſen den Grund
feiner Ausbildung empfangend, jedoch ebenfalls frembländi-
ſcher Abftammung, ift unter den ausgezeichneten Führern bes
heſiſchen Heeres jener Zeit auch:
9. George Dümont zu erwähnen. Sein Vater war
frühere franzöfiicher Offizier geweſen, hatte fich jedoch
in Kaffel niedergelaffen und daſelbſt ein Handelsgeſchäft
begründet, wo George Dümont 1650 geboren ward. Nach⸗
km er zu Marburg, Heidelberg u. a. deutſchen Univerfitä«
in mehrere Iahre dem Studium der Wifjfenichaften obge⸗
legen hatte, ging er in gleicher Abficht nach Utrecht, trat
jedoch, als während feine dortigen Aufenthaltes die Frans
jofen 1673 Holland mit einer Invaſion bebrohten, in hol⸗
Imdifche Kriegsdienſte, indem er fich die Erlaubniß erwirkte,
eine |. g. Freiſchwadron errichten zu Dürfen. Da folche
jedoch bald wieder verabichiedet wurde, nahm Dümont, ber
Geſchmack an dem Kriegsweſen gefunden hatte, das ihm
geftelfte Anerbieten des Friegerifchen Fürftbiichof8 von Osna⸗
brüd, als Rittmeifter in deſſen Dienſte überzutreten, freudig
an, und wohnte mit den Münfterfhen Truppen den Feld⸗
jügen von 1675 — 77 in ben Niederlanden bei, wobei er
namenflich während der Belagerung von Maftriht 1676
bie Funktionen eined Brigade-Majors verfah. Nachdem er
fi jedoch mit einer reichen Nieberländerin verhetrathet
hatte, nahm er 1677 feinen Abſchied und kehrte nach. Heffen
zurück, wo er auf einem in der Nähe von Felsberg von
ihm erfauften Gute ſich haäuslich nieberlie.
Auf ihn aufmerkfam geworben, zog ihn Landgraf Karl
jedoch fchon 1679 in heſſiſche Dienfte, indem er ihn zunächft
als Major bei dem Landausſchuſſe anftellte, 1684 aber zum
Oberfilieutenant und Commanbeur des neu errichteten Re⸗
giments des Grafen von Leiningen ernannte. Da dieſes
— —
212
Regiment ſchon 1685 wieder aufgelöft, reip. in das
Hanfteiniiche Regiment umgeformt wurde, jo trat Dümont
in diefe8 Regiment über, Als 1687 das Regiment Prinz
Karl errichtet wurde, ward er zum Oberftien und Komman-
deur befjelben befördert, als welcher er bafjelbe mit Aus—
zeichnung in Morea tommandirte, und wejentlic Dazu
mitwirfte, Daß dem jungen Heereöverbande ſchon gleih an=
fanglich, Durch Die von dieſem Regiment bethätigte glänzende
Tapferkeit, ein weit verbreiteter Ruf begründet und in dem=
felben eine Menge tüchtiger Offiziere herangebilvet wurde.
Aus Morea zurücgelehrt, nahm er an den folgenden
Seldzügen gegen Frankreich nicht minder ruhmvollen An=
heil, ward 1697 Kommandant von Kaffel, 1702 Bri-
gadier, 1704 General-Major, 309 fich jedoch noch im näm—
lichen Sahre wieder ins Privatleben zurüd und ftarb 1705
zu Kafjel mit Hinterlaffung von 8 Kindern, von denen dre
Söhne in heffiiche Kriegspienften ftanden, deren ältefter halt
darauf als Major im Wilfifchen Regiment vor Toulon einen
ruhmvollen Tod fand.
Gleich Dümont, nur noch nachhaltiger ale dieſer,
trug auch
10. Hermann Wilhelm von Spiegel zum
Deſenberge von Dalheim weſentlich zu der raſcher
Entwickelung des Ruhmes des heſſiſchen Heeres bei.
Wann derſelbe geboren, und wann er in den heſſi—
ſchen Dienſt getreten iſt, war nicht zu ermitteln un!
nur fo viel ift gewiß, daß er bereit$ 1680 Oberft-Tieute
nant war und 1685 zum Oberft und Kommandeur det
zur Reichdarmee in Ungarn .beftimmten Ober-Rheinifchen
Kreis⸗Regiment zu Pferde befördert wurde, bei welchem fid
3 Sompagnien ded vordem Rau'ſchen Regiments als heffi
ſches Eontingent befanden, Nachdem er dafjelbe in den Feld
zügen gegen die Türken mit Auszeichnung geführt hatte
warb er, 1688 von da zurüdgelehrt, nach dem Abgange bei
Generals von Wartendlehen in Sachſen⸗Gothaiſche Dienfte
213
am Generals» Major und eriten General » Anjutanten des
Landgrafen beförbert, welche Stellung er auch dann noch
beibehielt, als er 1696 zum Generalstieutenant, 1703
aber zum General der Stavallerie und Inhaber eines Ka⸗
vallerie⸗, ſowie eines Infanterie- Regiments ernannt worden
War, ba fein anderer in gleich hohem Grade wie er das
volle Vertrauen, erft des Landgrafen und bann eben fo auch
des Erbprinzen, befaß, denen beiden er als militärijcher
Rathgeber zur Seite ftand, bis daß fein hohes Alter ihn
1711 zum NRüdtritte aus dem activen Dienfte nöthigte,
worauf er fi) auf feine Güter zurückzog und Dafelbft einige
Jahre fpäter des Todes verblich.
Doch nicht bloß dem Auslande und fremder Ein-
wirkung hatte das heſſiſche Heer verdiente Führer zu danken.
Es wußte fi eine Menge berjelben auch jelbft heran
zubilben.
Einer ber verbienftuolliten derfelben war:
411. WolfChriftoph von Shen! zuSchweins-
berg. Im Sahre 1653 auf dem väterlichen Edelſitze zu Burg⸗
haun geboren, trat er frühzeitig al gemeiner Mußfetier in
saterländifche Kriegsdienſte und wohnte, Die unteren Chargen
raſch durchlaufend , 1676 der Belagerung von Philippsburg
als Fähnrich bei, warb 1677 zum Lieutenant im Regiment
Ufm Steller beförbert, und nahm mit foldem Theil an den
Feldzügen in Schweden und auf der Inſel Rügen. |
Obgleich bei Gelegenheit der am 8. Januar 1678 dem
verbündeten Heere auf der Inſel Rügen zugefügten Nieder⸗
lage verwundet und in ſchwediſche Gefangenichaft gerathen,
hatte er fich doch hierbei Durch jo glänzende Tapferkeit
bervorgethan, Daß Landgraf Karl auf ihn aufmerkfam ges
worden, ihn nicht nur. al8bald zum Hauptmann, fondern
‚ In rafcher Folge auch noch zum Major und Oberftlieutenant
beförderte, als welcher er, als Freiwilliger, ven Feldzügen
von 1685—1688 in Ungarn gegen die Türken mit großer
Auszeichnung beiwohnte und in Folge deſſen 1688 zum
214
Eommandene des Leih-Regimentes zu Fuß ernannt wurbe,
welches er in den nachfolgenden Feldzügen am Rhein auf
das ruhmvollfte commandirte und desfalls bereit ſchon
1689 zum Oberften aufftieg. In Folge feiner Durch ſchwere
Wunden Außerft geſchwächten Gefundheit fah er fich indefjen
genöthigt, 1696 um feinen Abſchied einzufommen. Gleich⸗
wohl 309 ihn Landgraf Karl im Jahre 1706 aufs Neue in
den Dienft, indem er ihn zum General-Major und Com⸗
mandanten, 1709 aber zum General-Tieutenant und Gou⸗
verneur von Marburg ernannte, wo er, feiner glänzen»
den Berbienfte und ausgezeichneten Tugenden balber all⸗
gemein verehrt, 1717 ſtarb.
Ein ausgezeichneter Reuterführer war
12. Hans Heinrich v. Boyneburg, der eben⸗
falls frühzeitig in heſfiſche Kriegsdienſte getreten und 1689
zum Major befördert worden war. Nach Abgang des
Oberſtlieutenants Jakob von Kettler kommandirte er das
im hollaͤndiſchen Solde bei der Armee in den Nieder⸗
landen ftehende Xippifche Dragoner-Regiment während ber
ganzen Dauer des Krieges bis zum Frieden von Ryswick
mit großer Auszeichnung, wurde dann zum Brigadier 'be=
fördert, und ftarb als beutfcher Ordenskommenthur bald
nach dem Ryswickiſchen Frieden zu Netra. Desgleichen
13. Karl Heinrih von May, 1663 zu Rin⸗
teln geboren, wo fein Vater Landdroſt der Grafichaft
Schaumburg geweſen. Anfänglih im: Leib-Regiment zu
Fuß, wohnte er den Feldzügen von 1685-88 in Ungarn
gegen die Türken als Freiwilliger bei, ward 1692 als Ma-
jor zu dem Kettleriichen Dragoner-Kegiment verjegt, 1697
,zum Öberftlieutenant und Commandeur von Erbprinz (früher |
Wartensleben) Dragoner, 1702 zum Oberft und 1704 zum
Brigadier befördert, als welcher er 1714 verftarb.
Ein ſehr verbienter Führer des Fußvolls war auch:
14, Johann Edebredht von Stodhaujen aus
Wüllmerſen, welcher 1672 als Fähnrich in heſſiſche Dienfte
215
geireten war und von 1685—88 als Major im Ober⸗Rhei⸗
nifhen Streißregiment die Feldzüge in Ungarn gegen bie
Türfen mitgemacht hatte. Im Jahre 1694 führte er als
Dberft dem Regiment des Erbprinzen Friedrich, welches in
bolländifchem Solde in den Niederlanden ftand, ein aus
9 Compagnien verjchievener Regimenter combinirtes, 936
Mann ftarkes, drittes Bataillon zu, welches er in ben
darauf folgenden Feldzügen mit Auszeichnung befehligte.
Noch viele andere wären bier zu nennen, bie dem
Baterlande Ehre und Ruhm gebracht haben, doch wird
ſich eine geeignetere Gelegenheit darbieten, der Helden⸗
thaten zu erwähnen, die u. a. Goelenius (aus Rinteln
gebürtig) geübt. Nur foviel fet hier noch bemerkt, daß,
wenn auch ebenio während der Belagerung von Negro-
ponte, als während der Feldzüge in Ungarn mande Hoff-
nung des Vaterlandes, wie z. B. namentlich der kühne
Erſtürmer des Marabouts, Hauptmann Georg Otto Raabe
aus Kaſſel, in ein frühes Gräb ſank, doch nicht minder in
den Feldzügen von 1688—97 die Mehrzahl jener Braven
fich heranbilbete, die während des darauf folgenden fpani=
ſchen Erbfolgefriege8 den Ruhm der heffiichen Waffen noch
vollends zu fchönfter Blüthe zeitigten, worunter vorzugs⸗
iweife genannt zu werben verdienen: Ru dolph von Han—
ftein al8 Commandeur des Leib-Regimentd zu Pferd;
Prinz Philipp vonHeffen-Homburg*) und Georg
Friedrich von Auerochs, als Commandeurs de vor-
mals Kettlerichen Dragoner-Regiments; Karl von doyne-
burg, al8 Kommandeur des gleichnamigen Dragoner-Re=
giment; die Oberftlieutenants Curt Blato von Uffeln
und Wolf Dietrih von Berfhuer, als Comman—
beurs des Regiments Prinz Anhalt; die Oberftlieutenantd
Hans Hermann von Wartensleben *H, Melchior
*, In der Schlacht am Speierbach 1703 als Generalmajor geblieben.
**) In der Schlacht am Speierbach 1703 geblieben.
216
von der Tann *) und Graf Franz Chriſtoph von
Seyboldsdorf, ald Commandeur de8 Regiments des
Erbprinzen Sriebrich, Die Oberften Melchior von Schbp⸗
ping **), Chriſtoph Ludwig Mob, Wolf Karl
Schenk zu Shweinsberg**H, Wilhelm Friedrich
von WartenslebenF), Oberft Ludwig von Thiele-
mann tr und Hans Ludwig von Baumbad, als
Commandeure ihrer gleichnamigen Regimenter, |
*) An der bei Hochftabt 1704 empfangenen Wunde geftorben.
**, In dem Gefechte am. Schellenberge 1704 geblieben,
”*) In der Schlacht am Speierbach 1703 geblieben.
T) Bei der Belagerung von Caftiglione 1706 geblieben.
+r) In der Schlacht am Speierbady geblieben.
IX.
Subfidienverträge zwifchen Seffen, den Ber;
einigten Niederlanden und England aus den
Jahren 1694 bis 1708 *).
Mitgetheilt vom Bibliothefar Dr. Bernharbi.
I) Vertrag zwifchen den Hochmögenden Herren general
flaaten der Vereinigten Niederlanden und dem durchl.
fürften und Heren Carl Landgrafen zu Heſſen, Fürft
zu Hersfeld, über Die Beibehaltung feiner Truppen
und das Aeberlaſſen einiger neuen in den Dienft des
Staates.
Art. 1. Nachdem S. Hf. Durchl. der gr. Carl, Landgraf
zu Heſſen, von den Hochmögenden Herren Generalſtaaten der
*) Dieſe vier erſten Verträge fanden ſich während des Druckes vor⸗
ſtehender Abhandlung in einer allerdings uncorrecten holländiſchen
Abſchrift auf Kurfürſtl. Landesbibliothek (Mss. Hass. fol. 115),
und werden hier in deutſcher Ueberſetzung gegeben. Die folgenden
finden ſich eben daſelbſt in franzöſiſcher Sprache. Sie ſind, ſoviel
uns belannt, noch ſämmtlich ungedruckt.
217
Bereinigten Nieberlande erjucht worben ift, Seine Truppen,
namlich: das Fußregiment von 1248 Köpfen, das Reuter-
regiment von zehn Compagnien, im Ganzen zu 720 Pfer⸗
ven, und da8 Dragonerregiment von ſechs Compagnien,
474 Pferde ſtark, nicht allein im Dienfte Ihrer Hochmög.
bleiben zu laſſen; ſondern diefelben, namentlich das Reu—
terregiment mit noch zwei Compagnien, jede zu 72 Pferben
und das Dragonerregiment mit drei Compagnien, jede zu
79 Pferden gerechnet, zu verftärken, fo hat ©. 3. Durchl.,
um Ihren Hochmög. darin zu willfahren, eingewilligt, bie
benammten Truppen im Dienfte Ihrer Hochmög. bleiben
zu laſſen und auch die befagten zwei Compagnien Reuteret
und drei Compagnien Dragoner zu ftellen und zwar unter
den nachfolgenden Bebingungen: |
2. Es haben nämlih Ihre Hochmögenden an Seine
Durchlaucht für jede der genannten Reutercompagnien bes
reits zehntaufend. achthundert Gulden und demnach für die
zwei Gompagnien 21,600 Gulden, besgleichen für jede
Eompagnie Dragoner neuntaufend achthundert fünf und
zwanzig Gulden und alſo für Die Drei Compagnien 29,625
Gulden bezahlen Lafjen, und außerdem zwei Monate Solb
im voraus, fowohl für die zmei NReutercompagnien, als
für. die drei Dragonereompagnien, im Ganzen 22,418
Gulden. |
3. Daß der Monatsſold der befagten 2 Eompagnien
Reuter und der 3 Eompagnien Dragoner mit dem ''/,..
Sanuar 1694 beginnen und mit dem andern alle ſechs
Wochen pünktlich bezahlt werben fol, wogegen ©. F. Durchl.
veriprechen, die beſagten 2 Compagnien Reuter und die
3 Eompagnien Dragoner ſpäteſtens gegen Ende März 1694
an die Grenze des Staats zu Tiefern,
4. Daß die Neuter- und die Dragonereompagnien mit
guten und wohlerfahrenen Officieren und mit Pferden, 15
bis 16 Fauſt hoch, verfehen fein follen, bekleidet und mit
| u 218
gleichem Schieß⸗ und Seitengeivehr ausgerüftet, wie bie
alten Eompagnien, welche im Dienfte des Staates find,’
5. Daß die Officiere diefer Compagnten, fowie auch bie
Reuter und die Dragoner, bei ihrer Ankunft an der Grenze
. de8 Kandes den Eid der Treue Sollen ablegen müſſen.
6. Daß die befagten zwei Compagnien Reuter und bie
drei Compagnien Dragoner von dem Regiment Sr. Fürſtl.
Durchlaucht nicht getrennt. und zu anderen rangirt werben
dürfen,
‚7. Nachdem Ihre Hochmög. außerdem S. F. Durchl.
erfucht haben, noch ein Fußregiment von zwölf Compag⸗
nien in die Dienjte des Staates treten zu lafjen, jede
Compagnie mit der Prima plana *) gerechnet zu 74 Köpfen,
ſowie auch ein Bataillon von neun Compagnien, jede zu
104 Köpfen mit der Prima plana, nebft einem Oberftlieu-
tenant, einem Major und einem Regimentd-Feldfcheerer
bemjenigen Regiment ©. 3. Durchl, beizufügen, welches
bereit8 im Dienft de8 Staates ift und von dem Oberſten
Detlef von Schwerin commanbirt wird, fo hat S. 3.
Durchl., um dem Wunfche Ihrer Hochmögenden zu ent
forechen, fich verbindlich gemacht, das Regiment und Ba-
taillon mit guten und wohlerfahrenen Dfficieren verjehen,
auf einerlei Weife gefleivet und mit guten Schieh- und
Seitengewehren, ein Drittel mit Pilen, bewaffnet gegen
Ende März 1694 neuen Styl8 auf den Boden des Staats
zu liefern.
8. Und verfprechen Ihre Hochmögenden für Das Regi-
ment, im Ganzen 720 Köpfe ftart in 12 Compagnien,
und für das Bataillon, 846. Köpfe ftart ohne die Prima
*) Unter bem Namen Prima plana.werben bie ſämmtlichen Offi-
ziere und ben Offiziersrang habende Militairbeamten verſtanden,
weil diefe auf der erſten Seite ber Compagnie-,. Bataillone- und
Regimentoliſten verzeichnei find.
219
ylona, als Eintrittsgeld 25 Rthl. oder 62 Gulben 10
Etüber holländiſches Geld für den Kopf nebft zwei lange —
Monate (lange maanden) Sold für den Transport bis
auf Den Boden des Staats zu bezahlen, und find bereit,
die. Hälfte der Gefammtfumme in Eoncurrenz mit den Ein-
tittögeldern bei der Natification zu fuppliren, und ben
Betrag des zweimonatlihen Soldes für ben Trangport,
bei der Ankunft des befagten Regiments und Bataillons
auf dem Gebiete des Staates.
9. Bei dieſem Fußregiment ſollen ſich als Unterſtabs⸗
vofficiere auch befinden: ein Prediger, Adjutant, Regiments⸗
chirurg, Auditeur, Regimentstambour, Profoß, Stodfnecht
und acht Hautbois.
10. Der Sold für das befagte Regiment und das Ba⸗
taillon fol mit dem nächſtkommenden '°/,,. März beginnen,
ſofern dafjelbe vor Ende des Monat auf dem Boden des
Staates anftommen und complet befunden werben mirb,
und fol derjelbe alsdann, wie bei den alten Truppen, von
ſechs Wochen zu fech® Wochen bezahlt werben,
11. Das Beſetzen der Stellen bei diefem neuen Fußregi⸗
giment, fowie das Recht der Zurücdberufung Crappel) des-
ſelben ftellen Ihre Hochmögenden und ©. Fürſtl. Durchl.
zur Verfügung Sr. Maj. von Großbrittannien, als Gene-
raleapitain des Staateß.
12. Sobald dies Regiment und das Bataillon an der
Grenze des Staats ankommt, ſollen ſowohl Officiere als
Soldaten den Eid der Treue in die Hände der Bevoll⸗
maͤchtigten Ihrer Hochmögenden ablegen.
13. Sowohl die alten, als auch dieſe neuen Truppen
werden Ihren Hochmögenden für die Zeit dieſes Krieges
überlaſſen, es ſei denn, daß S. F. Durchl. durch einen
wirklichen Einfall dieſe Truppen zurückzurufen (fich genöthigt
ſähe), für welchen Fall ausdrüdlich bedungen wird, daß
220
Ihre Hochmog. zu Gunften Er. 3. Durchl. diefe Truppen
wollen ziehen lafjen und aus ihrem Dienfte entlafien, fofern
Sie einen Monat zuvor davon in Kenntniß gefegt worden.
14. Ihre Hochmögenden verfprechen, bei der Zurück⸗
fendung der Truppen allen rüditändigen Sold und Wagen-
gelder, fie mögen Namen haben wie fie wollen, zu bes
richtigen.
15. Wenn Ihre Hochmögenden befchließen würden, Die
genannten Truppen vor dem Abſchluß des Friedens wieder
zu entlaffen, jo fol es denſelben freiftehen, fofern Sie
©. $. Durdl. einen Monat vorher davon in Kenntniß
fegen, und follen in dieſem Falle denfelben der rüdjtändige
- Spld und die Wagengelder nebit einem Monatsſold zum
Zurüdmarjch bezahlt werden.
16. Ihre Hochmdgenden übernehmen e8, die nöthigen
Nequifitionsichreiben an des Reichs EChur- und Fürften
zum Hin⸗ und Zurückmarſch gehörig zu beforgen,
17. Die Ratification dieſes Vertrags ſoll in Zeit von
ſechs Wochen im Haag ausgewechielt werden.
Alſo geſchehen und vereinbart zwilchen den unterzeich⸗
neten Deputixten Ihrer Hochmögenden und den Bevoll⸗
mädhtigten Sr. F. Durchl. im Haag den 16. Januar 1694.
(S.) Schimmelpennik van de Oye. (Die Unterfehriften
(S.) Baron de Weassenser. der heſſiſchen Be⸗
(S.) Heinsius. | vollmächtigten feh⸗
(S.) Hilcker. - Jen).
(S.) Van der Does,
(S.) Ceiper (9.
(S.) I. I. Wiehers.
(S.) Van der Heek (?).
221
d Bedingungen, über welche Ihre Hochmögenden, die Herrn
generalftaaten der Wereinigten Riederlande mit Sr. '
Hochf. Durchl. dem Herrn Candgrafen von Heffen-Caffel
wegen des Aeberlaſſens eines Fußregiments von faufend
Mann, beſtehend in einem Regimentsſtab und zwölf
Compagnien : und verfehen mit wohlerfaßrnen Ober⸗
und ‚Anter=Dffizieren Üübrreingekommen find, wie folgt :
Erſtens ſoll dieſes Regiment unter dem Commando
Deſſen geliebten zweiten. Sohnes, St. Durchl. ded Prinzen
Rarl von Helen, in den Etat Ihrer Hochmögenden aufge=
nommen werden und ſowohl im Frieden wie im Sriege
beibehalten werben, auch keiner Auflöfung (Ccassatie) unters
worfen fein, und e8 joll allezeit durch einen Prinzen bes
Fürftl. Haufes von Heſſen-Kaſſel kommandirt werben.
Zweitens fol ſowohl dieſem Hochf. Prinzen, als
auch allen andern Oberoffizieren bes Regiments ihr Rang
Nach der Anciennität, gemäß der von Sr. Hodf. Durchl.
xhaltenen Referipte, gelaffen werben und follen fie, was das
Frommando betrifft und in Dienftfachen, danach rangiren;
and wenn es nöthig fein follte, daß Diefelben von dem
Staate neue Refcripte annehmen müßten, fo follen fie nur
Ste Hälfte der darauf haftenden Gebühren bezahlen.
. Drittens, was die Beſetzung der Offizierdftellen bei
Zukünftigen Vacanzen betrifft, wiewohl dazu nach gewöhn⸗
Wichem Gebrauch Se. Kön. Maj. von Großbrittannien als
General-Kapitain berechtigt iſt, fo will doch Se. Hochf.
Durchl. ſich in ſolchen Fällen vorbehalten, geeignete Sub⸗
jeete oder Perſonen dazu vorzuſchlagen, doch ſollen die neuen
Offiziere in dieſem Falle wegen ihrer Beſtallung und ihrer
Patente, wie gewöhnlich, bei Sr. Kön. Maj. und bei dem
Staate nachſuchen.
Viertens verſprechen Ihre Hochmögenden, dies ganze
Regiment vom nächſten ſechſten Mai an in ihren Sold zu
VIII. Band.
im
nehmen, und demfelben vor dem Abmarſch den beſagten
- erften Monatsſold hier zu übermachen und auszahlen zu laſſen.
Fünftens werben die Herrn Generalftsaten die Marſch⸗
routen, welche das Regiment von hier bis auf den nieber-
laͤndiſchen Boden nehmen ſoll, reguliren, und auch jo ſchnell
wie möglich die nöthigen NRequifitionen für den Durchzug
bei den Fürften, deren Gebiet man betreten muß, bejorgen
gleihwie S. Hochf. Durchl. der Herr Landgraf von ſeiner
Seite dabei mitwirken und Sorge tragen will, daß die
Regimenter (sic) mit voller Montirung nämlich mit gleich—
mäßiger guter Kleidung und guten Gewehren (snaphanen)
und Bajonetten verjehen, fpäteftend den 15. des nächſten
Maimonats ihren Marſch nach den Landen Ihrer Hoch⸗
mögenden antreten und beginnen.
Sechſtens follen, ſobald das Regiment an bie Grenze
des Staats Tommt, ſowohl die Offiziere als die Soldaten
den Eid der Treue in die Hände der Bevollmächtigten
Ihrer Hochmögenven ablegen.
- Giebentend. Schließlich ift befchloffen worden, daß
das Regiment im Kriegsetat auf die Abtheilung der Provinz
Holland, oder einer andern, welche eben ſo pünktlich und
gut zahlt, geſetzt werde, damit daſſelbe nicht mit unnöthigen
oder ſchwereren Koſten und Zinſen, als andere belaſtet werde.
Died zu Urkunde ꝛc. vorbehaltlich der Ratifikation ꝛc.
Geichehen Eafjel den 24. April 1701.
ICacob) Blaron) v. Waffenaer Aclbrecht) v. Tettau
(Generallientenant der Reiterei und (Major der Infanterie und
a. o. Gejandte.) Oberſt der Garde zu Fuß.)
(S.) (S.)
Die Ratifikation erfolgte unterm 2. Mai 1701.
„Die nach Holland laut Kapitulation beftinirten zwei
Regimenter jedes a 1000 Mann follen beftehen, jedes in;
223
J Beim Stabe
4 Oberften,
1 Oberftlieutenant,
1 Wajor,
‚1 Regimentöquartiermeifter,
1 Seldprediger,
1 Adjutant,
1 Regimentö-Felbfcheerer,
1 Regiments⸗Tambour,
.6 Hautbois,
2 Profoß und Steckenknecht,
Fine Compagnie
10 Mann
1 Capitain,
1 Lieutenant,
1’ Fühnrich,
2 Sergeanten, 12 Eompag-
1 Fourier, nien, jede 82
41 Cayitain d'armes, Mann, thut
1 Selvicheerer, 984 Mann,
8 Corporals,
2 Tambours,
69 69 Gefreite und Gemeine,
82 Köpfe Köpfe 1000 Mann.
‚Haft ben 24. April 1701.
J. B. van Waffenner X von Tettau,
8) Bedingungen unfer welchen Ihre Hochmögenden ꝛc. mit
5 $5.D. dem Herrn Landgrafen von Heffen-Caffel
wegen des Ueberfaffens eines Fußregiments von Ein
faufend Mann, beſtehend in einem Regimentsſtab und
zwölf Compagnien, übereingekommen find, wie folgt:
Erſtens übernimmt S, Hochf. Durchl. der Herr Land»
graf ein Regiment von Eintaufend Mann au Juß, beſtehend
0 22
in einem Stab und zwölf Eompagnien, verjehen mit tüchtigen
Ober» und Unteroffizieren und guter Mannjchaft, mit einer-
lei Kleidung und guten Schießgewehren mit Bajonetten zu
liefern, und dazu ein altes Bataillon von fünf Compagnien
zu verwenden.
Zweitens, zu Werbgeldern und Bekleidung des ges
nannten Regiments werden Ihre Hochmögenden für jeden
Soldat vierundzwanzig holländiiche Reichsthaler bezahlen;
und zwar die Hälfte bei der Natification dieſes Vertrags
und bie andere Hälfte bei der Ueberlieferung des Regiments
auf dem Gebiet des Staats.
Drittens wird S. Hof. Durchl. dieſes Regiment in
der vollen Zahl von taufend Mann auf dem Gebiete Ihrer
Hochmögenden überliefern, und fofern einige derfelben auf
dem Marſche oder fonft befertiren würden, ſoll S. Sa.
Durchl. diejelben wieder erjeten.
Viertend, Dagegen verſprechen Ihre Hochmögenden
bem Regiment zum Unterhalt und zu den Koften auf bem
Mariche, daß der Monatsfold vom Tage des Abmarfches
aus Kaffel nach den Landen der vereinigten Staaten bes
ginnen ſoll; dieſer Monatsſold fol jedoch nicht eher bezahlt
zu werden brauchen, bis das genannte Regiment auf dem
Staatsgebiet angelommen und gemuftert fein wird.
Fünftens ſoll allen bei Diefem Regiment ſtehenden
Oberoffizieren ihr Rang nach der Anciennität, gemäß der von.
©. Hochf. Durchl. erhaltenen Reſeripte, belafjen werden und
fie in Beziehung auf da8 Commando und in bdienftlichen
Angelegenheiten darnach rangiren, und wenn e8 nöthig fein
jollte, daß diefe Offiziere irgendwelche neue Patente von
dem Staat nehmen müßten, jo follen fie nur die Hälfte
ber darauf fiehenden Gebühren bezahlen.
Sechſtens (dieſer $. ift wörtlich gleichlautend mit $.
3 des vorſtehenden Vertrags won demſelben Tage.)
—XRXMX
225
Siebenteng, die genannten Truppen follen ohne Zu⸗
fimmung Sr. Hochf. Durchl. nicht laͤnger als ein Jahr
im Dienſt behalten werden, und wenn die Herren General⸗
ſtaaten dieſelben vor Ablauf des Jahres entlaſſen wollen,
jo ſollen dieſelben Er. Hochf. Durchl. zwei Monate vorher
Kenntniß davon geben, um die Truppen wieder in ſeinen
Dienſt nehmen zu können; und wenn ihm dies beliebt,
ſollen Ihre Hochmögenden gehalten ſein, dem Regiment in
dieſem Falle einen Monatsſold zum Rückmarſch auszuzahlen.
Achtens werben die HH. Generalſtaaten die Marſch⸗
route, welche das Regiment von bier bis in deren Gebiete
Nehmen ſoll reguliren, und auch fo ſchnell wie möglich die.
nöthigen Requifitionen für den Durchzug bei den Fürften,
Durch deren Gebiet man paffiren muß, beforgen, gleichwie
S. Hochf. Durchl. der Herr Landgraf von Seiner Seite
Dazu mitwirken will.
Neuntens, fobald das befagte Regiment an den Gren⸗
zen des Staates anlangt, follen ſowohl Dffiziere als Sol»
Daten den Eid der Treue in die Hand der Bevollmächtigten
Ihrer Hochmögenden ablegen.
Zehntens hofft S. Hochf. Durchl., daß Ihre Hoch»
mögenden an die Generale, welche ihre Truppen kommandi⸗
ren, den Befehl erlaſſen werden, daß dies Regiment mit
dem, welches von Sr. Fürſtl. Durchl. dem Prinzen Karl
kommandirt wird, ſoviel als thunlich in eine Brigade ge⸗
ſtellt werden ſoll.
Deß zu Urkunde ſind von dieſer Capitulation zwei
gleichlautende Ausfertigungen aufgeſtellt und, bis zu ein⸗
treffender Ratification, von den Seitens der hohen Herren
Vollmachtgeber beiderſeits hierzu Bevollmächtigten, nament⸗
lich von Seiten Ihrer Hochmögenden von dem Hrn. Jacob
Baron von und zu Waſſenaer, Hrn. von Obdam und Ge—
nerallieutenant der Neiterei des Staats und außerorbentlis
chem Gejandte veffelben, und von Seiten Sr, Hochf. Durchl.
226
Herrn Landgrafen von Heſſen⸗Caſſel von dem Hrn. Albrecht
von Tettau, Generalmajor der Infanterie und Oberft der
Garde zu Fuß eigenhändig unterzeichnet und mit unfrem
gewöhnlichem Bettichaft befiegelt,
Caſſel am 24. April 1701.
J. B. von. Waſſenaer. A. von Tettau.
(S.) C(S.)
Die Ratification erfolgte ebenfalls am 2. Mai 1701.
4) Bedingungen , welche die Herren Hroning und Secretar
Ban Sfingefand, als Lommifläre des Sfaatsraths der
Vereinigten Niederlande, mit dem Herrn Keinhard von
Dolwigk Rath 5. F. D. des Hrn. Landgrafen von
Heffen-Caffel, als dazu fpeciell beauftragt und bevollz
mächtigt, wegen Errichtung eines zweiten Kataillons
bei dem Kegiment des Hrn. Prinzen Earl von Heffen
übereingekommen find:
1. Das genannte Bataillon Toll beſtehen aus zehn Com⸗
pagnien, jede von 82 Mann und namentlich aus zwei
Compagnien des genannten Regiment? des Herrn Prinzen
Carl von Helfen, zweien von dem des Prinzen Lebrecht von
Anhalt, *) und ſechſen, welhe S. Hochf. Durchl. von Heſſen⸗
Caſſel hinzufügen wird.
2. Die genannten Compagnien ſollen fo zuſammengeſetzt,
gekleidet und bewaffnet ſein, wie die beiden vorbemeldeten
Regimenter.
3. Für jeden Gemeinen der ſechs genannten Com—
pagnien, neunundſiebenzig auf jede Compagnie gerechnet,
gekleidet und bewaffnet wie oben, wird an S. Hochf. Durchl.,
oder an deſſen Ordre, alsbald nach der Ratification diefes
*) Prinz Lebrecht zu Anhalt-Bernburg- Hoym war 1689 als Haupt⸗
mann in beiftihe Dienfte getreten umb feit 1700 Oberft eines da⸗
mals nen errichteten Regiments.
227
Vertrags Die Summe von vierundzwanzig Reichsthalern be⸗
ablt werben, im Geſammtbetrag von 11,376 Reichsthaler
für ſechs Compagnien.
4. Das beiagte Bataillon son dem Negimert bes
Stinzen Carl beigefügt und nicht davon betajchiert werben,
ud e8 ſoll bei demſelben nichtS weiter fein, als ein zweiter
Oberfilieutenant und ein zweiter Sergeant-Major.
5. Die Offiziere dieſes Bataillons follen den Rang
ihter Anciennttät oder erften Anftelung durch S. Hochf.
Durchl. in Gemäßheit der Patente, welche fie darüber haben,
behalten und follen dieſelben Wortheile genießen, welche
durch Die Capitulation den Dffizteren des Regiments des
Prinzen Lebrecht von Anhalt verſprochen find,
6. Die befagten ſechs Comgagnien follen von der Pro-
Binz Utrecht bezahlt und mit Teinen größern Koften und
ZDinſen beſchwert werden, als das Regiment, dem fie bei-
gegeben werben.
7. Der Sold diefer vorgenannten ſechs Compagnien und
der Gehalt des zweiten Oberſt-Lieutenants und Sergennt-
Major jollen mit dem 1. dieſes Monats beginnen, Infofern
die Eompagnien am erften April d. J., oder fo viel früher
als fie fünnen bekleidet und bewaffnet fein, ihren Marſch
nad) den Grenzen dieſer Lande antreten, wo fie empfangen
und gemuftert werden follen,
Die benannten ſechs Sompagnien ſollen hinſichtlich
der Beſetzung der erledigten Offizierſtellen, der Dienſtzeit
und der Entlaſſung auf demſelben Fuß behandelt werden,
wie das Regiment des Prinzen von Anhalt, zu welchem
Ende die Art. 6 und 7 von deſſen Capitulation als hier
eingefügt betrachtet werden.
So geſchehen und kapitulirt im Haag, dieſen fünften
Januar 1702.
(S) Marmus Groning
(S.) S. v. Stingeland (S.) R.v. Dalwigk.
*
in
AED
Die Ratification im Haag erfolgte am 18. Januar
1702 mit ber. Unterfchrift:
(S.) Auf Befehl der Hochmögenden HH. General
ſtaaten.
| Fagel.
5) Copitulation faite entre la Reine de la Grande
Bretagne et Leurs Hautes Puissances les Seigneurs
Etats Generaux des Provinces Unies d’une part,
et de Son Altesse Ser. le Seigneur Landgrave (de
Hessen-Cassel) d’autre part, touchant un regiment
d’infanterie de neuf cents hommes *).
41. Premierement Son Altesse Ser. fournira & la dite
Reine et aux dits Seigneurs Etats Generaux un vieux ré-
giment d’infanterie, qui consistera, selon la liste ci-jointe,
en dix compagnies, chaque compagnie de 87 teles, et
- . pourvue -oütre cela de son Etat Major.
2. Ce regiment sera compos6 de bons et de beaux
hommes, bien exerces, habill&s tt arınes, et ils auront
tout ce qui leur sera necessaire.
3. La dite Reine et Leurs H. Puissances payeront en
argent de levee pour le susdit r&giment 25 ecus, argent
de Hollande, par tete, ce qui fait en tout 21,000 &cus,
lequel argent sera. pay& moitie à la ralification de la ca-
pitulation, et l’autre moiti6 trois mois apres la ralification.
4. Le dit regiment sera payé regulirement selon la
susdite liste, moiti& par la dite’Reine, moitie par LL. HH.
Puissances, sur le pied que l’Etat paye ses propres trou-
pes Etrangeres des autres Princes, et il ne pourra jamais
etre plus en arriere que trois mois.
®) Die Handſchrift jagt zivar „neuf mille”, body hat das urfprüng-
liche Wort „mille“ wahrfcheinlich in „neuf cents“ follen verändert
werben, was nur zur Hälfte ansgeführt ift.
229
5. La solde du regiment commencera huit semainos
want Je jour, qu'il sera entre dans les limites de I’Etat
de LL. HH. Puissances, ou dans l’endroit, ou on le re-
qerra, soit pour cooperation ou autrement, oü d’abord
men fera la revue par les Commissaires de la Reine de
k Gr. Bret. et de l’Etat, et il pr&tera serment de fidelite
4la dite Reine et aux dits Seigneurs Etats Generaux.
6. En &gard des recrues du dit regiment, du payement
de Pargent pour les chariots, equipages et autres douceurs
de service, du renvoi apres un accomodement ou paix
faite, du rappel, de la libre disposition, on agira gene-
ralement et en tout comme on agit avec les aulres six
mille hommes de Son Altesse Ser. et comme il est ex-
Prime aux articles 5. 6. 7. 8. 9. 10 et 11 de la conven-
tion faite à la Haye le 7. Fevr. 1702 entre Sa Maj. la
Reine de la Gr. Bret. et LL. HH. Puissances d’une part,
et Son Altesse Ser. le Seigneur Landgrave d'autre part,
touchant un corps de 9000 hommes, et tout les surnom-
mes articles auront la m&me force et vigueur, comme s’ils
€taient inseres ici de mot-&ä-mot,
7. Son Allesse Ser. le Seigneur Landgrave aura & faire
les Officiers du dit regiment et & remplacer de meme
leg charges vacantes par d’aulres sur le pied du premier
article des’ articles separes de la dite convention,
8. Al’egard de la jurisdiclion on en usera sur le pied
des six mille hommes.
9, Ce regiment servira dans le corps des 9000 hommes
et il demeurera joint autant que la raison de guerre le
permeilra.
10. Les dits Seigneurs Etats Generaux donneront les
leitres requisitoriales, qui seront necessaires pour le dit
regiment. .
11. Cette capitulation sera ratiſiée, et les ratifications.
230
seront &echanges ici & la Haye dans trois semaines de
temps ou plutöt si cela Be peut,
En for de quoi nous soussighes Envoye warnord
de la Reine de la Gr. Bret. et Deputes des Seigneurs
Etats Generaux et Envoyé extr. de S. A. Ser. le- Seigti:
Landgrave de Hessen-Cassel avons conclu, signe et scell6
du cachet de nos armes la presente capitulation faite &
la Haye le 31. de Mars 1703.
(S.) Alexandre Stanhope. (S.) v. Gent. (©.) v. Dalwig:
(S.) v. Pleiswyk.
(S.) Heinsius.
(S.) de Lassau.
(S.) v. d. Does.
(S.) du Tour.
(S.) Lemker (?). _
(S.) de Darsies (?).
6). Convention enire Sa Maj. Brit. la Reine de la
Grande Bretagne et Leurs Hautes Puissances les
Seigneurs Etats Generaus des Provinces Unies
d’une part, et Son Altesse Ser. le Landgrave de
Hessen-Cassel d’autre part, au sujet de la marche
des troupes de S. A. Ser. en lialie et augmentation
d’icellesg de mille hommes.
1. Premierement $. A. Ser. s'engage & faire marcher
son corps de troupes en lItalie incessament apres que
cette convention sera approuvee de la part de S. Maj.
Brit. et de LL. HH. Puissances et quelle sera requise
par les dites Puissances.
2. Ce corps consistera en dix bataillons et seize esca-
drons, savoir les neuf mifle hommes selon la convention.
de 2. fevrier 1702, tun bataillon de 870 hommes selon
la convention de 31. Mars 1703 et encore un bataillon de
six compagnies à 80 hommes par compagnie, et quaire
-
231
escadrons faisant 720 chevaux, que Son A, 8. y ajoutera
& cette heure.
3. Pour angmentation du dit regiment d’infanterie et
da.regiment de cavalerie, que S. A. S. fera Clever), il
sera payôé de la part de S. M. B. et de LL. HH. Puissances
38, A. Ser. un subside de 72,520 écus et 22 sous par an.
A. Sa Maj. Brit. et LL. HH. Puissances se chargent
de bonifier à S. A. Ser. le surplus du prix du pain et du
füurage, s’il exc&de celui, que les troupes auront dü en
payer en Brabant, comme aussi des frais extraordinaires
ou hazards, de quoi on produira des pieces et documens
Justificatoires.
5. La perte, qu’il pourrait y avoir sur le change de
Pargent tombera pareillement sur S. M. Brit. et LL. HH.
Puissances, ce qu’on prouvera,par les. billets des Banquiers
uveres.
6. Et comme S. A. S. juge nessecaire pour la con-
sservation de ses troupes, que le corps soit pourvü de
<hariots pour voiturer le pain, sans dependra & cet egard
du hazard, S. M.B. et LL. HH. P. se chargent & cet eſſet
de l’entretenir de soixante chariots.
77. S. M. B. et LL. HH.P. se chargeront pareillement
de la depense des höpitaux pour les malades du dit corps,
soit en les erigeant et en faisant fournir & cet effet un
chariot par regiment pour le transport des malades et ne-
cessites des höpilaux, ou & donner quatre sous par jour
pour chaque malade ou blesse, qui entreront dans les hö-
pitaux eriges par S. A. S., auquel cas cependant les frais
de seize chariots demeureront & la charge de 8S. M.B. et
de LL. HH. P.
8. Comme le dedommagement de S. A. Ser. stipule
dans les 6. et 7. articles precedents va & une somme in-
certaine, S. A. Ser. veut bien s’en charger moyennant un
subside de septante mille ecus monnaye d’Hollande par an,
mais comme en ceci Elle n’envisage aucun profit, elle
232
veut bien aussi, pour donner une marque de Son desinte-
ressement, et qu’elle n’entre dans cette convention, qu’en
celle de l’avancement de la cause commune, pour cul-
tiver de plus en plus l’amitie de S. M. Brit. et de LL:
HH. Puissances, que les dites Puissances se chargent du
soin des articles pr&cedents et envoient à cet effet Leurs
commissaires et ofliciers avec les troupes de S. ‘A. S., au-
quel cas S. A. S. renoncera au subside stipul& dans cet
article.- —
9. Comme S. A. S. le Seigneur Landgrave était en
droit selon Ja convention du 2. fevr. 1702, de faire reve-
nir hiverner dans ses etats les trois mille hommes payes
par subside et que par cette marche elle ne pourra pas
jouir de ce droit, S. M. Brit. et LL. HH. Puiss. s’engagent
de dedommager S. A. S. de la perte, qu'il y aura sur
lagio de l’argent d’Allemagne en celui d’Italie durant les
six. mois du quartier d’hiver.
10. L’argent des chariots, recrues et toutes autres
douceurs, dont les troupes ont joui jusqu’ici, leur seront
continudes et payees à ces seize regimens sur le pied
des precedentes conventions et pratiques.
11. Pour mettre S. A. Ser. d’autant plus en etat de
faire l’augmentation stipulee et pour animer aussi S. A.
Ser. à entrer.dans la presente convention, il Sera paye
incessament et dans trois semaines après l’approbation de
cette convention le restant du subside de l’annee 1705
dü par S. M. Brit. et l’annee 1706 payable par avance
suivant la convention du 7. fevr. 1702, montant ensemble
& 80,802 florins 11 sous, et par LL. HH. Puiss. pareille
somme sur les arrierages düs de Leur part.
12. S. A. Ser. le Seigneur Landgrave ayant insiste
et insistant encore fermement & ce que les arrierages lui
restanis de la part de l’Angleterre de la guerre prec&dente
puissent ôtre payes moitie & cette heure et moitie sur la
fin de lannee, Mylord, Prince et Duc de Marlborough
253
momet de faire les instances ‚les plus pressants aupr&s
de S. M. Brit.,. afinqgue le payement s’ensuive de la ma-
nere surmenlionnee. |
13. Comme on n’est pas informee exactement du
dt aux ofliciers, tant de recrues, remontes, argent de
deriots ou autres douceurs, on en formera une liste in-
cessament et S. M. B. et LL. HH. P. les payeront:le plus
if possible pour mettro par lä les dits officiers. en etat
des frais extraordinaires et necessaires dans cette marche.
. 44. :Leurs HH. Puissances promeitent non seulement,-
qu'ils continueront Leurs devoirs et instances pressants
Pour le payement des arrierages du regiment du General
Spiegel et de l’Etat Major de Rechtern aupres. de la
Province de Zeelande. Mais comme S. A. Ser. est infor-
me, que la dite Province a cede, pour. en faire le paye-
Zwzent des diis arrierages, ce que lui est dü de la part
dies Provinces :de Gueldres, Utrecht et Overyssel sur les
Jepenses de la mer, LL. HH: Puiss. promettent, qu’Elles
®eront de pareils devoirs aupres des dites trois Provinces,
æt que l’argent, qui en pourra venir, sera affecie à celie
Sn et qu’ils mettront ordre, que ‘depuis le mois courant
et dans la suite ces regimens et Etat Major soient payes
regulierement, : |
. 15. Conme 'S. A. Ser. se trouvera depourvu par
la. dite marche de ces troupes, S. M. Brit. et LL. HH.
Puiss. promettent non seulement d’accourir et d’assister
S. A. S. de -leurs forces en cas d’allaque des ennemig,
mais aussi de la garantir de toules les insultes de ses
voisins, soit de quartiers d’hiver ou autrement sans ex-
ception.
16. Le payement du subside stipul&e dans l’article
3 pour l’augmeniation commencera du jour de la conclu-
sion de la presente convention, comme aussi celui men-
tionne dans art. 6, 7 et 8, si S. M. Brit, et LL. HH.
Puiss. conviennent de dedommager S. A: S. des frais men-
234
tionnes dans iceux par voie de subsides payables de trı
mois en trois mois,
17. S. M. Brit. entrera dans le payement de to
les frais, qui resulteront de la presente convention po
(deux tiers et LL. HH. Puiss. pour le troisieme tiers.
18. -La presente convention durera pendant le'ter:
d’une annee.
En foi de quoi nous soussignes, Adrian van Borse
len, Seigneur de Geldermalsen, Depute au Conseil d’®
des Prov. Unies, comme autorise & cet effet de la p:
de S. M. Brit, et LL, HH. Puiss. et Friederich Baron
Ketiler, Grand-Marechal et Conseiller prive, autorise
la part de S. A. Ser. le Seigneur Landgrave de Hesse
Cassel, avons sign& la présente et scell& de Nos cach
ordinaires, le tout sous approbation de Nos Seigneurs
Mattres. Fait & Cassel le 20 Mai 1706.
(L. S.) Adrian van Borsellen (L. S.) Friederich Baron
tot Geldermalsen. Kettler.
Article secret.
Comme S. M. Brit. et LL. HH. Puiss. en vertu
3. article secret de la convention precedente de l’am
1702 se sont dejä engages, d’assister S. A. Ser. le Sei
Landgrave de Hessen durant cette guerre, afinque la fo
teresse de Rhinfels avec le petit bailliage du mê ne nc
lui soit cedee pour toujours moyennant quelqu’ Equivale
la dite Altesse Ser. veut bien donner ordre pour fai
marcher le corps d& 9000 hommes et meme de Tau
menter jusques au nombre de 10400 hommes sans |
Etats Majors des regimens, pourvü que ces deux Prince
ordonnent incessament & leur Ministres residens à Vienı
de faire leur derniers efforts aupres de Sa Maj. Imperia
afınque, reflechissant mürement sur la faiblesse et l’impu
sance notoire des Princes de Rotenburg, qui ne sont m
lement en état de conserver la dite forteresse pour
235
bien de la patrie, ni de fournir & l’entretien d’une gar-
nisoa saffisante, ni aux frais d’artillerie, ammunition, vi-
es et autres besoins requis A une vigoureuse defense, de
maniere que les etats de S. A. Ser. et l’Empire möme
seroient taujours exposes aux insultes des ennemis, il
paise & Sa dite Maj. Imperiale de faire emaner une telle
r&solution, qu’& la paix prochaine Elle pretera les mains
45. A. Ser. et employera son autorite pour lui faire ob-
ienir la dite forteresse et bailliage de la maniere surmen-
tonnee, la dite Altesse Ser. se reservant tres expresse-
ment, qu’en cas de refus, et si entre ici et le temps, que
‚ies dits 10,400 hommes viendront sur les confins du Tirol
une pareille declaration sinc&re et equivoque n’arrive pas
de la part de S. Maj. Imperiale, Elle revoquera ce dit
corns de troupes et sera en droit de lui faire rebrousser
chemin sans aller au secours du Prince Eugene. Bien
esiendu pourtant, qu’en un pareil cas de refus de S. Maj.
Imperiale S. A. Ser. se contentera et fera poursuivre &
ses troupes la marche vers le dit Prince de Savoie, si
8. Maj. Brit. et LL. HH. “Puiss, veulent bien sans perte
de temps s’engager par Ecrit, à eflectuer, qu’& la paix
prochaine Rhinfels et son bailliage soit cede irr&vocable-
ment a S. A. Ser. et & ses Successeurs & la Regence.
Falt à Cassel le 20 Mai 1706.
(L.$.) Adrian van Borsellen (L. S.) Friederich Baron de
tot Geldermalsen. Kettler.
Elucidatio articulorum 3. 6. 7 et S.
Sn art. 3. find zwar wegen des Augmenti der drei
Regimenter verfprochen 72,502 Rthl. 22 St., als aber
das Reußiſche Regiment zurücihlieben, tft hinc inde wegen
ber beiden Regimenter zu Roß beliebt worden bie Summa
von. .. + 50,000 Rthlr.
. \ ñ —ñ
236
In art. 6. find vor 60 Proviantwagen geſetzt
ash täglichh.. 0. . 26,280 Rthlr.
In art. 7. für 16 Hoßpitaldwagen. . . 7008 „
ltem wegen 2000 Kranken und Bleffirten &
A. fi. (sols?) täglich in 6 Monaten . 29,200 w
62,488 ww
Item vor Beſoldung der Commiff ariats⸗, Pro⸗ |
viant⸗ und’ Feldhospitals⸗ Bedienten . 7260 ° m
69,748
Um aber ein compte rond zu machen, hat Herr von
Geldermalſen endlich beliebt zu ſetzen. . . 70,000 Rthlr.
50,000
120,000 „
Davon zahlt England zwei Drittel, nämlich 80,000
Rthlr. und. Holland ein Drittel, nämlich 40,000 Rthlr,
und wird beides von drei zu drei Monaten, nämlich von
England quartaliter 20,000 Rthlr., von Holland aber
10,000 Rthlr. bezahlt. Der 1. Terminus ift der 20. Aus
guft 1706, det 2. der 20. November 1706, ber 3. der 20,
Februar 1707, der 4. der 20. Mai 1707. |
. 7. Ampliation de la Convention faite ü Cassel enire
S, M. la Reine de la Grande Bretagne et LL. HH.
Puissances les Seign. Etats Generaux des Provin-
ces Unies d’une part, et S. A. S. le Seigneur Land-
grave de Hessen-Cassel d’auire part.
Sa Maj. Brit. et LL. HH. Puiss. ayant juge qu'il
seroit necessairg pour le bien public et pour l’avancement
‚de la cause eommune des hauts Allies, que le corps de
‚ troupes de S. A. S. presentement en Italie y restät pour
la campagne prochaine, et S. A. Ser., suivant les mouvemens
de son zele ordinaire pour les intérèts de la cause com-
mune, y ayant donne son consentement pour en venir &
237
‚Teffet, la convention du 20. Mai 1706 a eis renouvelee et
prolongee de la maniere qui suit:
Renouvellement ou prolongation de la Convention faite
le 20. du mois de Mai 1706 entre Sa Maj. la Reine
de la Grande Bret. et LL. HH. Puiss. les Seign. Etats
Generaux des Prov. Unies d’une part et S. A. S. le
Seign. Landgr. de Hessen d’autre part, pour que les
troupes de la dite, A. Ser., qui en vertu de la susdite
convenlion se trouvent & cette heure en Italie y restent
encore jusques au dernier du mois Novembre aux
eonditions suivantes:
Art. 1. La convention ici dessus nommee du 20.
Mai 1706 -demeurera dans son entier et toute sa vigueur,
<=omme si de mot & mot elle füt inseree dans celle-ci
n autant que les conditions n'en svient déjà accomplies,
ti pour ce qui regarde les conditions 'non observdes, ou
mon accomplies, elle seront observ6es et accomplies & l’&-
venir de bonne foi et avec toute integrite à moins qu’elles
fussent changees ou alterees par celle-ci.
Art. 2. Et comme en vertu de la susdite convention
du 20. Mai 1706 le corps des troupes de S. A. S. le
Seign. Landgrave y exprim& se trouve effeclivement en
Italie, mais que le terme de sa demeure allait expirer au
20 du mois de Mai qui vient, on est convenu:
Art. 3. Que le susdit corps de troupes y devra
encore rester pour tenir la main aux operations & faire
jusques au dernier du mois de Novembre qui vient, SsS. .A.
S. s’engageant de faire travailler avec toute la promptitude
possible aux recrues, afin de remettre le dit corps en
Etat, ei m&me, pour lo faire autant plus promptement, d’y
envoyer un vieux bataillon de Rhinfels au lieu de recrues.
Art. A. Mais comme les officiers ne sont pas en
€tat de faire leurs recrues sans argent comptant, LL. HH,
Puissances s’engagent de faire payer l’argent des recrues
promptement, tant du pass6e que du prösent suivant le
VIII. Band.
238
contenu de la convention de l’annse 1706 en autant que
cela les regarde, ne doutant nullement, que S. M. Brit.
ne fasse la m&me chose, et promettant d’employer leurs
intercessions les plus eflcaces aupres de Sa dite Maj,
afinque cela se fasse.
Art. 5. Pour ce qui regarde les arrierages düs aux
troupes de S. A. S. de la part de LL. HH. Puiss., elles
s’engagent d’en faire payer deux cent mille livres mon-
naie de Hollande à l’echange de la ratification de ce pre-
sent renouvelement de la convention du 20. Mai 1706,
deux autres cent mille livres de la m&me monnaie deux
mois apres et ce qui restera encore. deux mois après,
tellement que toute la dette sera acquitee quatre mois
apres l’echange de la ratification de ce renouvellement,
Art. 6. S. A. S. le Seign. Landgrave se pleignant
non seulement, que non obstant la convention du 7. fe-
vrier et celle du 20. Mai 1706 Elle ne soit encore payde
de la part de. !’Angleterre du restant du subside de l’an-
nee 1705 et 1706 y stipul& et payable I’un par avance
et l’autre dans trois semaines apres la ratification de la
dite convention, non plus que des arrierages lui restant
de la guerre pr&cedente, qui cependant suivant le 12.
article de la convention du 20. Mai 1706 devraient &tre
payes moiti6 promptement et moiti6 sur la fin de Pannée
dans le temps d’alors, mais que S. A. Ser. pretende for-
tement de suspendre sa ratification sur cette convention,
a moins qu’Elle n’ait de fermes assurances du payement
en question, LL. HH. Puiss. les Seign. Etats Generaux
des Prov. Unies s’engagent de même & cet egard d’em-
ployer leurs offices les plus pressants aupres de S. M. la
Reine de la Grande Bretagne, afinque les dits arrierages
soient payes A moins dans le terme prefix deja dans la
convention ici dessus alleguee.
Art. 7 Et comme un des .principaux griefs de S.
A. Ser. & ne point entrer dans ce nouvel engagement
d
2339
a consiste dans l’apprehension, que, suiyant les pleintes
criantes lui porlees, ses troupes manqueraient de subsi-
stance necessaire en Italie, jusque là m&me qu’on n’en
yurrait avoir pour de l’argent, comme aussi des voitures
»cössaires pour (en cas qu'il y-eut assez de subsistance)
h faire transporter partout, oü les troupes en auraient
kesoin, LL. HH. Puiss. s’engagent, qu’en cas, que contre
iur attente il y eut une si grande difhiculte pour trouver
de la subsistance pour les dites troupes, comme aussi
pour pouvoir être servi des voitures necessaires pour
@ransporter la dite subsistance & l’endroit des operations,
©uü les dites troupes pourraient éêtre engagees, Elles ta-
<heront de pröter la main par toutes sorles de voies &
Lever cette difficulte et d’avoir soin que les dites troupes
n’aient manque ni de subsistance ni de voiture, moyen-
nant neanmoins, qu’en ce cas inopine Elles soient aver-
ties en temps, soit par le commandant en chef des dites
troupes, ou par le coımmissariat, pour y pouvoir meltre
ordre; LL. HH. Puiss. declarent, que leur intention n’est
aullement, que les dites troupes souffreni, mais au con-
traire, qu’elles soient conservees en bon etat, le mieux
possible, et comme Elles sont assurees des m&mes inten-
tions de S. M. Brit. sur ce sujet, Elles ne douteat nul-
lement, que Sa dite Majeste n’y donne la main dans toute
son eiendue.
Art. 8. Pour ce qui regarde guelques autres points
allegues de la part de S. A. Ser., lesquels un ministre
ne peut pas decider, comme n'y ayant pu éêtre autorise
ä cause, qu’on ne les a pu prevoir, S. A. Ser. se reserve
. de faire coucher ces points sur un memoire separe, alın
d’etre envoye&s & la Haye pour y être vuides avec ses mi-
nistres en toute justice et equite devant Ja ratificalion de
cette convention, ce qui aura tant’ de force, comme si
ces points fussent inseres dans celle-ci et seront obser-
240
*
ves et execules exactement aussi bien que les articles
y compris.
Art. 9. La presente convenlion sera ralifi&e et les
ratifications en seront echangees & la Haye dans qualre
semaines d'ici, ou plutöt s’il se peut. LL. HH. Puiss. s’en-
gagent de passer Leurs oflices les plus eflicaces aupres
de S. M. Brit., afinqu’Elle la ratifie aussi dans toute son
etendue et salisfasse A S. A. S. le Seign. Landgrave aux
conditions y comprises, en aulant que cela regarde la
dite Majeste. En foi de quoi nous Soussignes, Envoye
Extraord. de LL. HH. PP. les Etats Generaux des P. U
et Depute de S. A. S. le Seign. Landgrave de Hessen-
Cassel avons conclu, signe et scelle de nos armes, Ile.
tout sous l’approbation de nos Seigneurs et Maitres.
Fait A Cassel le 7. Mars 1707.
Etait signe: -
Le Comte de Rechteren. Friederich Bar. de Kettler.
(L. S.) | (6. S.)
Et comme !’art. 8. de ce renouvellement et de celte
prolongation porte la reservation de quelques points, pour
ötre vuides iei & la Haye avant la ratification, apres avoir .
confere sur ces points on en est tombe d’accord et con-
venu de la maniere suivante: |
Art. 1. Le S. Stepney Envoye extraordinaire de S.
Maj. Brit. au nom et de la part de Sa dite Majeste entre
dans tous les engagemens, compris dans la convention
ci-dessus insereg, promettant, que tous et chacun de ces
articles, d’autant qu’ils ont rapport & S. dite Maj. et qu’ils
ne sont pas encore accomplis, seront exactement observes
et accomplis, et que S. Maj satisfera, n’a pas pu promeltre.
plus que les bons offices de LL. HH. PP., parce qu'il
n’etait pas assez instruit des intentions de S. Maj. sur ces
points en particulier et surtout, que les arrierages de la
guerre presente soient payes, moitie au jour de la rali-
fication de la presente convention, moitie un mois apres.
-
241
{
Art. 2. S. A. S. ayant stipule par l’art. second: de
la convention du 20. Mai 1706 un subside de 50,000
ecus pour subvenir & l’entretien de deux regimens de ca-
valerie, de Boyneburg et de Weissenfels, dans l’attente,
- que ce ne serait que pour une annee; les 50,000 ecus
ae suffisant pas & l’entretien de la moitie des gages de
ces deux regimens et S. A. S. ne puuvant plus continuer
au-delä de l’annde cet entretien avec un subside si peu
suffisant,,S. M. Brit. et LL. HH. Puiss. augmenteront ce
subside et le payeront & l’avenir & raisan de cent mille
ecus par an, & commencer du 20. mai prochain, terme
de l’expiration de la pr&cedente convention, ce qui re-
viendra jusques au dernier Nov. de cette annde pour six
mois et un liers & cinquante sept mille soixante et dix-
sept ecus, trente huit sols, payable suivant la convention
du 20. Mai 1706 de trois mois en trois mois, courant
regulierement.
Art. 3. Et puisqu’on se plaint, que les 60 et les
16 chariots, dont il est fait mention dans les art. 6. et 7.
de la convention du 20. Mai 1706, ne suffisent point &
!asage auquel ils sont destines, on est convenu, quils
seront augmentes jusques & cents chariots, et que le sub»
side de soixante et dix mille &cus, monnaie d’Hollande, pro-
mis à S. A.S. dans l’art. 8. de la m&me convention, pour lui
servir d’un d&dommagement pour l’entretien des dits cha-
riots et des höpitaux, comme aussi pour l’entretien des
officiers du commissariat, magazins et höpitaux, dont S.
A. S. est charge, sera augmente jusques & cent qualre
mille six cent quatre vingt quatorze écus vingt sols pay-
able en quatre termes consecutifs par anticipalion, savoir:
le 4. Avril le premier quatriöme, le 1. Juin le second,
le 1. d’Aoüt le troisieme et le 1. d’Octobre le dernier
quairi&me, faisant en tout la somme ici-dessus nomee de
104,694 ecus 20 sols. *
Art. 4. L’argent des recrues, chariots et auires
242
douceurs sera continue & ces quinze r&gimens sans faire
distinetion entre eux, qui composent les trois mille hom-
mes payes par subside, et les auires, qui sont & la solde
de S. M. Brit. et de l’Etat.
Art. 5. Le dit argent de recrues et aulres extra-
ordinaires n’ayant pas et& pay& exactement aux ofliciers
durant la presente guerre, et iceux pour cette raison mis
hors d’etat, de completer et de remonter sitöt leurs com-
pagnies, les dites deux Puissances promettent de tächer
de porter la Cour Imperiale & fournir un nombre suflisant
de recrues & un prix raisonable, qui sera paye aux ef-
ficiers de $. M. Imperiale par ceux de S. A. S. avec les
soldes ordinaires, lesquelles auront et& livrees et trouvees
capables de servir.
Art. 6. La perte sur le change de Vargent, dont
il est parle dans Part. 5. de la convention de 1706, se
. montant jusques & la fin du mois de fevrier dernier & la
somme de 55,365 fl. 17 sols, l!’on est convenu, qu’icelle
de m&me que le dedommagement & l’egard de l’agio par
rapport de l’argent d’Allemagne & celui d’Italie stipule
‚ dans l’art. 9. de la dite convention pour les trois mille
hommes y mentionnes durant les six mois d’hiver, impor-
tant la somme de 67,100 fi. d’Hollande‘, seront rembourses
ä S. A. Ser. au jour de la ratification, comme faisant par-
tie des premiers deux cent mille francs des arrierages
stipules dans l’art. 5. de la convention signee par le comie
de Rechteren, le premier de/ces deux articles restant en
son entier pour l’avenir.
Art. 7. Quant & la solde du regiment du General
Spiegel et de PEtat Major de l’infanterie assignee sur la
Province de Zeelande I’on est convenu, que comme l'un
e} Pautre importe jusques & la fin de l'annee derniere la
somme de 23,709 fl. 16 sols, et quen vertu de la con-
venfion de 1706 la paye devait s’en suivre regulierement
depuis le mois de Mai dernier, ce qui pourtant n’a pas
%
243
ete execute, LI. HH. Puiss. mettront ordre & ce que de
ces soldes depuis le dit mois de Mai jusques & la fin du
mois de Decembre dernier, important la somme de quatre
vingt seize mille deux cent quatre vingt huit francs huit
sols, salvo errore calculi, il soit pay& au jour de la ra-
tfication de cette conventiou la somme de soixante dix
sept mille sept cent trente quatre francs trois sols, et le
residu de dix huit mille sept cent cinquante quatre francs
ing sols deux mois apres les arrierages comme dessus,
LL. HH. Puiss. garantissant en outre, que la dite Provinca
de Zeelande continuera regulierement la paye des dits ré-
gimens et Etat Major, dont elle s’est chargee depuis le
"premier Janvier de l’annee courante.
Art. 8. La remarche des troupes arrivant en temps
d’hiver S. M. Brit, et LL. HH. Puiss. tächeront de porter
la Cour Imperiale & leur accorder des «quartiers de re-
fraichissement en Baviere, et en suite les quartiers d’hiver
leur seront assignes, selon qu’on le concertera avec le
Seigneur Landgrave.
Art. 9. S’il arrive, que la paix se fasse durant
cette campagne, le contenu des art. 7. 8. 9. et 10. de
la convention du 7. Fevrier 1702 restera en vigueur, comme
s’il Etait insere ici de mot & mot, et en consideration de
la marche plus eloignee, que les troupes devront faire
alors pour revenir d’Italie, au lieu d’un long mois do
gages stipulö dans le dit art. 10. S. M. Brit. et LL. HH. .
Puiss. en ce cas là feront payer deux longs mois de
gages et feront expedier des leitres r&quisitoriales, pour
que le passage soit accord6 et que les 6tapes soient reg-
l&es suivant les constitutions de l’Empire.
Art. 10. Sa Maj. Brit: suivant la convealion du
20. Mai 1706 entrera dans le payement de tous les frais
resultant de la presente convention pour deux tiers et
LL.. HH. Puiss. pour le troisieme,
Art, 11. La presente convenlion est eonckue sous
244
_Yapprobation de Nos Seigneurs et Maitres et en ce cas
sera ratifiee en quatre semaines ou plutöt, s’il se peut.
En foi de quoi les soussignes, Envoye extraurd. de
Sa Maj. la Reine de la Grande Bretagne et les Deputes
des Seign. Etats Generaux d’une part et les soussignes,
Envoy& extraord. et Conseiller de S. A. Ser. le Seign.
Landgrave de Hesse d’autre part, ont signe et scelle du
cachet de Leurs armes la pr&sente convention, & savoir
le S. Stepney & Bruxelles, le (17. mars?) et les Sieurs
Deputes de LL. HH. Puiss. comme aussi les Sieurs Dal-
wig et Klaute & la Haye le 25. Mars 1702.
(S.) Stepney. ($.) F. W. van (8.) J. R. de Dalwig.
Gent Oldersom. ($.) J. B. Klaute.
(S.) C. de Lange (?).
(S.) A. Heinsius.
(S.) Becker.
(S.) Quint.
(S.) G. Coehorn.
(S.) Gockinga.
Article secret.
Sa Maj. Brit. et LL. HH. Puiss., en vertu de l’ar-
ticle secret de la convention du 20. Mai 1706, s’engagent
par ces presentes, qu’en cas que Sa Maj. Imp. ne fasse
pas. &maner une resolution, qu'à la paix prochaine Elle
pretera les mains & S. A. Ser., et emploira son autorite
pour lui faire obtenir la forteresse de Rhinfels avec le
petit bailliage du m&me nom, en sorte quelle lui soit
cedee pour toujours moyennant quelqu’ Equivalent, qu’en
co cas l& Sa dite Maj. et LL. HH. Puiss. effectueront qu’&
la paix prochaine Rhinfels et son bailliage soit cede irre-
vocablement à S. A. Ser. et à ses successeurs en la re-
gence moyennant un equivalent, comme il est dit ci-dessus.
Cet article sera ratifie et les ratifications en seront &chan-
245
ges ici & la Haye dans quatre semaines, ou plutöt si faire
se peut. En foi de quoi les soussignes etc. ont signe
et scell&E du-cachet de leurs armes le present article se-
cret, à savoir le S. Stepney & Bruxelles le 17. Mars et
les Deputes de LL. HH. Puiss. aussi les Sieurs Dalwig
et Klaute & la Haye le 25. Mars 1701.
(Folgen Die Unterſchriften wie oben).
Convention entre Sa Maj. la Reine de la Grande
Bretagne et LL. HH. Puissances, les Etats Genc-
rauz des Prov. Unies d’une part et Son Aliesse
Ser. le Seigneur Landgr. de Hessen-Cassel d’auire
part.
Art. 1. Comme S. A. S. le Seign. Landgrave a
trouré bon de rappeller d’Italie le corps de ses troupes,
Apres que le terme pour lequel Elle s'éêtait engagee d’y
isser le dit corps fut expire, et comme par lä les con-
Ventions du 20. de Mai 1706 et du 25. de Mars 1707
Cessent, autant que les articles en sont accomplis, et que
du temps de cette, cessation la convention du 10. d’Avril
21702 comme aussi la capitulation du 31. de Mars 1703
à l’&gard des neuf mille hommes et d’un bataillon repren-
dront leur vigueur, Sa Maj. Brit. et LL. HH. Puissances
yprometient d’accomplir et d’ex&cuter sans plus de delay,
ce qui manque encore à l’entier accomplissement et &
Ventiere ex&cution de quelques uns des articles des dites
conventions de 1706 et de 1707; et l’on est convenu, que
dor&navant on se reglera de part et d’autre pre&cisement
suivant le contenu des articles de la convention du 10.
d’Avril 1702 et de la capitulation du 31. de Nlars 4703,
lesquelles sont confirmees par celle-ci autant qu’il en pour-
rait @tre besoin. j
Art. 2. Mais comme S. A. Ser. en laissant aller les
9000 hommes en Italie y a joint deux régimens de cava-
lerie, et que Sa Maj. Brit. et LL. HH, Puiss. ont promis
246
de payer & Sa dite Altesse Ser. un subside de 100,000
€cus par an pour subvenir aux frais de l’entretien des
dits deux regimens, payables deux tiers par Sa dito Ma-
jeste et un tiers par LL. HH. Puissances on est convenu,
qu’& l’egard de ces deux regimens il ne sera rien innove,
mais qu’ils continueront de servir arec les dits neuf mille
hommes partout, oü !’on trouvera bon de les employer,
et que, le subside de 100,000 ecus continuant sur le
m&me pied sans interruption depuis l’echeance de la der-
- niere convention, S. Altesse Ser. ne pourra rien pretendre
davantage & cet egard.
L’article secret du 25. Mars 1707, concernant Rhin-
fels et le bailliage qui en depend, est renouvele, conti-
nu6 et confirme& dans toutes les formes par la presente
convention, laquelle est conclue sauf l’approbation de nos
Seigneurs et Maitres et en, sera raliliee et les actes de
ratification seront &changes ici & la Haye dans quatre
semaines ou plutöt s’il se peut.
En foi de quoi Nous Soussignes etc. avons signe
et scell&E du cachet de Nos armes celte convention, à
savoir l’Envoye& extraordinaire de Sa Majeste Britannique
à Bruxelles le 10. de Mars 1708 et les Deputes de LL.
HH. Puiss. et PEnvoyé extraordinaire de S. Altesse Ser.
à la Haye le 17. d’Avril 1708.
(S.) Cadogan (?). (S) v. Brockhuisen. G) de Dalwig.
(S.) v. Reden.
(S.) Heinsius.
(S.) v. Bassen.:
(S.) v. Gockinga.
(S.) Ge vilant (N.
(S.) Ger Caius (?).
247
X.
Die zwei älteften fcbriftlichen Grundlagen
_ der landfländifchen Verfaſſung
\ in dem JFürftentfum Heffen und den andhangenden
Staffchaften.
Mitgetbeilt von F. Rebeltban,
Mit der Meberfchrift find die beiden Einungsurfunden
von 1509 und 1514 gemeint. Die erjtere iſt von Lünig
zweimal abgebrudt *); das Orginal, oder genauer gejagt:
eine Orginalausfertigung wird im Archiv der Stadt Caffel
aufbewahrt und hat zur Berichtigung des bier folgenden
Abdruckes gedient. Die andere Urkunde von 1514 iſt den
Streitfchriften des beutfchen Ordens beigefügt *H, der.
hier gelieferte Abdruck mit einer andern guten Abjchrift ver-
glichen. **9 |
Denjenigen Lejern, welchen der Verlauf unferer
Zandesgefchichte nicht durchaus gegenwärtig ift, gebe ich
gern mit folgenden Andeutungen zur Hand.
Nachdem zu Landgrafen Heinrich8 des Eifernen und
Hermanns des Gelehrten Zeiten die Landesherrihaft und
die Landftände ſich mit ven Waffen gegeneinander über ge=
flanden hatten, weiß die Geſchichte nicht viel von deren
gegenfeitigem Berhältniß zu erzählen. WIN man fich aber,
bei allem Mangel an genaueren Nachrichten, einen Begriff
der damaligen Verfaſſung machen, fo darf man nicht ver=
geilen, daß, feit den Zeiten Heinrich’8 des Kindes bis
*) Collect, Nova v. d. mittelbaren Ritterſchaft. Bo. II. S. 799,
und im Reichs⸗Archiv Bd. IX. S. 769,
*®) Entbedter Ungrund berj. Einwend. ꝛc. Franckfurt 1753. Bei⸗
lage LXXX.
**) Da der Tert nirgend einem Zweifel unterliegt, und beibe Urkunden
wejentlich zuſammengehören, habe ich den Abdruck der zweiten bis zur
Einfigt einer Orginalausfertigung nicht verſchieben wollen. F. N.
248
zum Tode Ludwigs des Friedfertigen, von 1265 bis 1458,
alſo faft zweihundert Jahre Jang, (ver Zeiten ter Land-
grafen von Thüringen gar nicht zu gedenken), das Fürſten⸗
thum Heffen nur während dreier Sahre, nämlich von 1308
bi8 1311, zwiſchen Landgraf Johann und Otto, getheilt
geivefen war. Erft die Theilung zwiichen Ludwigs des
Zriebfertigen Söhnen, Ludwig und Heinrich, entzweite Das
Zand und flürzte e8 in Bürgerkrieg. Bergebend machte ber
dritte Bruder, Landgraf Hermann ter nachmalige Erz
bifhof von Coln, die gemeine Ritterſchaft und Landichaft
Ritterihaft, Mannſchaft, Bürgermeifter, Räthe und ganze
Gemein der Städte) des Fürftenthbums zu Helen und an
der Lahn für den Zwielpalt und allen tem Land daraus
erwachſenden Schaden verantwortlid. Erft nachdem meh⸗
zere gemeine Landiage *) gehalten worden waren, fand
ih die Einigfeit und der Friede leidlich bergeftellt, aber
Landgrafen Ludwigs II. vorzeitige8 Ende bedrohete fie aufs
neue. Nachdem dann auch Landgraf Heinrich II. mit Tod
abgegangen war, regierten drei Wilhelme zugleid) über Das,
dur die Erbichaft von Ziegenhain, Nidda und Katzeneln⸗
bogen allerdings namhaft vergrößerte Land. Das Gefühl
der Trennung der immerfort fich noch Eins fühlenden heffi-
chen Ritterſchaft und Landichaft fcheint nichtE deſto weniger
fehr lebhaft geblieben zu fein, zumal noch gar manches
andere Ungemach hinzutrat. |
Erft hatte der eine Landestheil unter des Landgrafen
Ludwigs minderjährigen Söhnen eine vormundichaftliche
Kegierung gehabt. Gleich hernach hatte der andere Landes⸗
theil unter de8 Landgrafen Heinrich® minderjährigem Sohn
dafjelbe Schidjal. Kaum war dann der letztere volljährig
geworden, als ihn in friiher Jugendkraft der Tod ereilte,
Bon den zwei verbliebenen Landgrafen aber wurbe ber
6. Kopp. Bruchſtücke ber dentſchen Geſchichte; zweiter Theil
©. 3 fi. und befonders ©. 73.
249
ältefte Wilhelm geiftesfrant, während der jüngere Sahres
Yang durch Siechthum ans Zimmer gebannt und zur Uns
thätigleit gendthigt war: Bei feinem 1509 eintretenden
Tod hinterließ er einen tieffinnigen Bruder und einen fünf-
jährigen Sohn (Philipp), eine jugendliche, felbft noch
minderjährige Gemalin (Anna von Medlenburg) und eine
ehrgeizige Schwiegerin (Anna von Braunfchweig), welche
ihreß geifteßfranfen Gemahls (Wilhelms 1) Vorbehalt
auf einen etwaigen Exrbfall geltend machte,
Landgraf Wilhelm II. hatte die Regierung ſchon
größtentheild einigen Günftlingen überlaffen. Diefelben
Männer waren auch in feinem Teflament zu Executoren,
Berwefern und Vormündern des jungen Philipps, der land⸗
gräflichen Witwe uud des tieffinnigen Wilhelms 1. eingeſetzt.
Vor vier Prälaten, vier Mitgliedern der Ritterſchaft und
den Bürgermeiſtern von Kaſſel, Marburg, Eſchwege und
Gießen ſollten die Executoren und Verweſer alljährlich
Rechenſchaft ablegen, jene aber verpflichtet fein, wahrge⸗
nominene Gebrehen vor Ritterfchaft und Lanpichaft zu
bringen, und deren Rath dagegen zu gebrauchen. *)
Sobald aber des Landärafen Tod und fein Teftament
vekannt geworben war, trat am Spieß, als der Grenze
zwifchen Ober- und Niederheſſen, ein gemeiner Landtag
zufammen, um die Wolfahrt des Fürftenthums, fo wie
der einverleibten und zugewandten Grafichaften zu Herzen
zu nehmen. Das Ergebniß war eine Einigung aller Land⸗
flände. (Urkunde I.)
Bemerkenswerth ift unter andern die Stellung, welche
hierbei die Grafen von Waldeck und Sayn Wittgen-
fein, (fie fiegelten für fi und von wegen ber andern
Grafen), zwiſchen den Prälaten und: der Ritter- und Land»
Ichaft einnehmen.
Bei der darauf folgenden Berathung wurde das
*) S. Kopp. a. a. O. Erſter Theil S. 169 fi. befonders &. 173.
250
Teftament des Landgrafen im Hauptpunkt, der Regentichaft,
für traftlo8 und unverbindlich erflärt; anſtatt ter beftellten
Executoren, Bormünder und Berwejer Ludwig von Boyne-
burgk zum Landhofmeiſter, der Landkomthur nebft fieben
Mitgliedern der Nitterfchaft aber in die vormundichaftliche
Regierung gewählt, welche die erbverbrüterten Serzoge von
Sachſen übernahmen und der Kaiſer beftätigte. *)
Gleichwol dauerte e8 nicht länger als fünf Sabre bis
die Regenten im Lande äußerſt mißliebig geworden waren,
Im Gegenfaß dazu hatte die, inmittelft großjährig gewor⸗
dene, Iandgräfliche Witwe eine Menge von Anhängern und
Freunden gewonnen. Man fand e8 ungerecht und bemit⸗
leidete die Mutter, der die Negenten nicht bloß die Er⸗
ziehung des Heinen Landgrafen, fondern fogar die Freude
feine Anblid® entzogen hatten. So geichah es, daß Frei-
tags nach Appolonientag 1514 die Grafen von Walded,
von Königsftein und von Solms, vier Aebte, der Karthäufer
Bater, der Antoniter Präceptor, zweihundert Mitglieder
der Nitterjchaft, und Die Bürgermeifter von fieben unb
dreißig Städten fih nach Treyſa begaben, um dort einen
Zandtag zu halten, welcher bald in ein ſchweres Gericht
über den Landhofmeifter und die Regenten fich verwandelte.
Die Landgräfin Anna fand fi daſelbſt ein und vereinigte
ihre Beſchwerde mit denjenigen der Unzufrievenen. Man
ſchlug ein höchft merkwürdige Berfahren ein. Die Ent-
ſcheidung der Beſchwerden und die Rechnungsablage wurde
auf eine Verhandlung nad) Kaſſel vertagt; bagegen bob
man die Einung von 1509 (Urk. 1) auf, ftellte fie. aber
ihrem Weſen nach ſofort wieder her in einer neuen, durch
ſehr wichtige Sagungen vermehrten Eimung (Urkunde IL),
an deren Spike nun die verwitweie Landgräfin felbft trat.
*) v. Rommel Geſch. von Hefſen MI. 208.
251
Einigung der heſſiſchen Landſtände anf Sonntag
nad) Jacobi 1509,
(Des Original’im Ardio ber Stadt Caſſel.)
1509 (Sonntag nach Jacobi).
Im namen der unteilbaren allerheiligften Dreyfaltig-
keidt amen. Wir Prelaten Graffen Ritterfchafft und Stett
asitfambt ingeleibten und zuegewandten Grafffchafften des
löblichen Fürftenthumbs zue Heffen bekennen einhelliglich
zand unvertheilt, thun auch.kundt allen gegenwertigen und
Mkünfligen, das wir zu hertzen genommen und betracht,
“vie auch unsre ältern und forfordern erlich und nützlich
getan haben, das durch einigkeidt, fridde und hanthabung
der gerechtigkeidt der allmechtige Godt hochlich geert,
gelobt, auch landt, leath) ftette, commun, und derfelben.
zue gemeinem nutz, uffnemen und wolfardt erhöcht und
gebessert werden, aber durch uneinigkeidt, zwietracht
und verdruckunge friddens und rechtens landen, leuthen,
fielten und communen zue abnemen, verberben, erftörung
wnd unüberwindtlichen fchaden kommen, als wir ettlicher
mafsen bey des durchleutigen hochgeporenen fürften und
herrn herrn Wilhelms weilandt landigraffen zue heffen,
graffen zue katzenelenbogen, zue dietz, zue cziegenhain
und.nidde &c. unfzers gnedigen herren feliger und löb-
licher gedechtnus zeitten erfunden und gefpürt haben,
alfzo das in feiner fürfllichen gnaden dreyjehrigen krang-
heidt und fwacheidt etlich misgönner und verhinderer der
wolfart und gemeines nutzes des fürftenthumbs zue heffen
fein fürftlich gnaden und fonderlich im letzfien jar bewe-
get und gereizt haben, das friefzlandt und mueglich ander
Aandtfchafften umb unerfchwinglich geldt zue kauffen und
deshalben landt und leuthe zue verpfendten, welichs allen
inwonern und ftenden ehegedachts furftenthumbs zue ewi-
252
gen verderben, nachtheil und fchaden, wo follich kauff
fürgengig were worden, gereicht hette, und wiewol von
alters her nach löblicher gewonheidt, unfere gnedigen fur-
ftien und herren von Heffen kein krieg, vehd, oder neuwe
müntz follen anfahen oder ufrichten an gemeiner ftend
des furftenthumbs zue heffen rati und verwilligung, ist
doch folchs mermals unterlaffen worden, und nit gehal-
ten, dabey auch unterftanden widder löblich herkommen
und alt gewonheidt unfer voreltern gemeine landtfchaft
von einander zue teyln und zue trennen, zue dem das
zue angeregler zeidt feiner fürfilichen gnaden krangheit
niemand oder gar wenigh gemelts furftenthumbs untertanen
irer fachen und hendel zue recht oder gepurlicher verhör
hadt kommen mugen, was aus folchem allem und jedem
zue nachteil und abbruch gemeinen nutz vermelts furften-
thumbs gevolgt hetten menniglich abezuenemen und höch-
lich zue bedencken. In bewachtung der und viel anderer
urfachen unfer gemüt darzu bewegendt, haben wir Godt
dem almechtigen, Maria feiner gebenedeyten mutter der
heiligen, unfer hewbt frauwen fandt Elifabethen zu eren
und lobe, auch unferen gnedigen herren und fursten zue
heffen, uns den’ Prelaten, Graffen, Ritterfchafft, Stetten
und gemeiner Landtfchafft zue eren nutz und allem guten,
untereinander brüderlich und freuntlich vereinigt, auch
bey unsern gelübden und eiden zufammen verpflichtiget
und ein göttliche erliche rechtmeffzige löbliche vereinigung
und freuntfchafft für uns unfere nachkommen erben und
erbnemer, gemacht und ufgericht mit dem bedingen und
offenbarlichen bezeugnus, das wir folch verbrüderunge
oder einigunge mit nichte und in keiner wegen widder
unfer gnedigen fürften von heffen, irer gnaden erben
oder nachkommen zu fchmelerunge oder abbruch irer fürft-
lichen oberkeiten, herligkeiten, gerechtigkeiten, regalien,
zinfzen, renthen, rechten oder zue einigem irer fürftlichen
gnaden zueftandi, wie der geheiffzen magh werden, nit
253
wullen gemacht, funder uns und unfere nachkommen wie
auch unfer voreltern vor uns getan, zue friddelichem wef-
zen, ftandt, rue und einigkeidt ufgericht haben, in maſſzen
wd form wie hernach folgt;
Und erftlich alfzo ob fich begebe, das einer oder
mehr aus unfern gnedigen fürften von heflen den andern un-
sern gnedigen fürften oder unfer gnedigen herren die prela-
ten, graffen, ritterfchafft, fteite und gemein inwoner des für-
fienthumbs zue heſſen bevehden, befchedigen, vergwel-
tigen oder unverrechtigen wollte, widder unfer und eines
iglichen recht gerechtigkeidt billichkeidt freyheidt gnad
und privilegien, alt herkommen oder löblich gewonheidt,
durch bebftlich heiligkeidt, remifch keyfzer, königh, lands-
fürften oder herren gegeben, und wir der fürsten, pre-
laten, grafen, ritterfchafft, ftette und gemeiner inwoner
zue recht mechtig fein, fie fich auch uff uns zue recht
erbotten, fzo follen und wollen wir unfzer nachkommen
erben und erbnemer für- den oder die also zur tzeit an-
gefochten würden, unterteniglich dienftlich und nach ei-
nes iglichen gelegenheidt freuntlich bitten, die zuegefugte
befchwerung hin und abzueftellen; wolt alsdann fulch bitt
und erfuchunge kein gnad oder ftat haben, follen wir dar-
nach für den befchwerten und der wie gemeldt vergwel-
tigt wurde, das recht bietten. Wo aber daflelbe auch
nicht wolt angenommen werden, alsdan.follen und wollen
wir demfelbigen, (wer der zue jeglicher zeidt fein wirdet)
mit leib, gudt und allem vermogen, hilff, beyftand, vertbei-
ding, fchutz und fchirm thun, den auch in keinen wegen
verlaffzen, damit menniglich bey recht und pillicheidt ge-
hantkabt werde und gebleiben möge, alles uf koften und
fehaden gemeiner landtfchafft, wie follchs von altter her-
' kommen und gefcheen ift.
Ferner ob fich begebe das in kunfftigen zeiten ei-
ner oder mehr unfer gnedigen herrn die furften zue hef-
fen-jemandts unther uns, unfern erben and nachkommen
VI, Band.
in was welzens, wirden oder fiands diefelbligen weren,
mit ungnaden anfehen oder fürnekmen wurden, und [ich
der oder die zur untertenigen verhörungh und recht er-
bietten und doch daffelb von -unfern guedigen herrn und
fürften nit angenommen oder geſtadt wolt werden, fzo
follen und wollen wir prelaten, grafen, ritterfchafft und
lantfchafftı unfrer freundt unfern gnedigen herrn unterte-
niglich zuefertigen und für folch fürmenen ufs fleißzigft
bitten, die befchwerten unferer freundte zue gaediger
verhör oder recht kommen zue laflzen, und wo das ni
gefchee, das wir in keinem wege verhoffen, fzo follen
und wollen wir alsdann unfere freundte nit vergwelligen,
fondern diefelbigen nach unferem beften vermögen bey
irem rechtlichen erbietten wie oben gemeldt hanihaben
fchützen und fchirmen.
Wo fich auch begebe, das unferer freunde oder
verwandten einer oder mehr von frembden fürften, grafen
oder jemandt anderm unpillicher weilze vergweltigen,
oder angefochten würde, und doch diefelben ire recht
uff uns -erbietten und erleiden möchten, fzo follen wir
auch diefelben unfrer freunde nach unferem beiten ver-
mugen ane enden und orthen fich geburdt, uff recht und
pillicheit verbietten, wo: die aber nit angenoınmen welt
werden, fie alsdann zum beften fchützen, fchirmen und
bey recht hanthaben,
Were es auch fach das jemandt unther uns aus eig-
nem muthwillen- und widder recht fich befleilffigt inner
oder aufler lands und an recht fich nit wolt benugen laß-
zen, und darüber unterftunde, jemand wer der were
zue befchedigen oder -gewalt anzuelegen, das follen wir
alfo zue gefcheen in keinem wege gefiatten, fonder un-
fers vermögens als liebhaber des rechten und fridens de-
widder ftatlichen gedencken.
Würde auch jemand in diefer freuntlichen einigungh
und verbrüderung begriffen und alfo wie gemeldt unpil-
Yı
258.
licherweifze arigefochten, damit dan derfelbe fein anliggen
und befchwerungh zue einem austragh füren und bringen
möge, fzo foll und magh er folch fein befchwerungh und
anliggen dreyen perfonen der landtfchaffi er in gefelfzen
ft, clagen und fürbringen, nemlich einem aus den Pre-
kten, einem aus der ritterfchafft und. einem aus den ftet-
ten, diefelben follen alsbald und unverhalten, fo ferre fie
der handell fzo treffenlich anficht, auff gemeiner lantfchafft
costen und fchaden die prelaten, graffen, ritterfchafft und
Landtfchafft an den Spiefz, uf einen namhafltigen tagh be-
fchreiben und den befchwerten furtter nach jnhalt differ
'einigungh getrewlich verholffen und geratten fein.
Wir wollen auch das diefze einigungh verbruderungh
und freuntfchafft einem jeden aus uns wie des namen,
wefzen und ftandt ift, niemand ausgenommen, an feinen
eiden , pflichten, gnaden und freyheitten, ob die von re-
mifchen keyfern koningen fürften oder jemandts andern
gegeben weren, onfchedlich und fonder nachtheil fein
und pleiben, alles an geverde. Und dweil wir alfzo auch
fir uns und unfere ältern und forfordern bey uns felbften
in tzeitigen vorgcehabtem rath und rechtem wiſſzen erkandt
haben und hiemit erkennen, das diefze einigungh und
freuntfchafft göttlich, löblich, erlich und rechimeflig, auch
unferen gnedigen fürften und herrn zue irer gnaden
gerechtigkeidt und fürftlicher oberkeidt nit abbruchlich
oder nachtheilig, funder landen, leutlen, uns und allen
ftenden gedachts fürftenthumbs gudt, nützlich und erlich
ift, und in künffligen zceidten fein wirdet, szo haben wir
fambt und bfunder in unfer und ander der prelaten, graf-
fen, ritterfchafft und ftette namen auch bevehlch und man-
dat derfelbigen und aller inwoner des fürftenthumbs zue
heffen ingeleibter und verwandter gravfchafften, unfer
nachkommen, erben und erbnemer folch gemeldt eyni-
gungh und freuntfchafft aus krafft und beftetigung unfer
voreitern und zuelaffzungk gemeinen rechtens beveftiget,
256
ratificirt, bewilliget und angenommen , die alfzo hinfurter
unverbruchlich und ane allen hindergangh czu ewigen
zceitten faınbt und bfunder zue halten.
Daruff einer dem andern in gutten trewen und gla-
wen handt in handt zuegefagt, globet und zue den hei-
ligen gefchworen hadt, angetzeigte Eynigung in allen iren
puncten, inhaltungen und artikeln getrewlich zue halten
und darvon nit zue weichen .
Um das alles zue waren urkunde und ficherheidt
aller vorgefchribenen dinge haben wir Dietrich von Clee
Landcomptur der baley zue Marpurg und Johann Abt zue
Breidenawe für uns und ander prelaten, wir Philips der
eitere graff von Waldeck ftathalter der Graflichafft Ravens-
berge, und Wilhelm von Seyn grafle zue Wittgenftein,
herr zue Hachenburg, für uns und von wegen der andern
graffen, Hermann Schenk, ritter, Ludwig von Boineburg,
Sitfich von Berlewefchen der elttere, Erbkämmerer zue
heſſen, Joft von Baumbach‘, Philips von Frankenftein, Jo-
hann von Reiffenbergh, Caspar von Breidenbach, Wilhelm
von Doringenberge ,- Philips Meifenbuch aus der ritterfchafft
und von wegen gemeyner ritterfchafft für uns, unfere nach-
kommen, erben und erbnemer, und wir die Burgermeifter
und Rethe der Stette Caffel, Marpurg, Hombergk, Eschwege,
Treifz und Wetter für uns und unfer nachkommen, auch
gemeyne Lanifchafft und Inwoner des Fürftenthumbs zue
Heflen unfer Ingefigel an diefen brieff gehangen, der ge-
ben ift uff Sonntag nach Jacobi ao, fünfzehnhundert und
im neunten jare. (Die Siegel).
BE.
Waß Landtäraff Philips des Eltern Fraw Mutter mit
Praelaten, Ritter vud Landtihafft zu Treyße Anno
1514. vff ©. Apollonien tag ſich verglichen hat.
Bier Anna von GOtte8 gnaden, Geborne Herkogin
zue Medienburg, Lanbtgrevin zue Heſſen, Grävin zu Catzen
257
Elnbogen, Dietz, Ziegenhain vndt Nidda ıc. MWittibs, vndt
wir Graven, Praelaten, Ritterſchafft vnd Stätte, deß Löb⸗
lichen Fürſtenthumbs zue Heſſen, vnd alle eingeliebten vndt
megewantben Graffſchafften, deſſelbigen Fürſtenthumbs, und
alle andere ſo dieſer einigung anhengig vnd verpflichtet ſein,
beklennen Einhelliglich vndt vnvertheilt vnd thun kundt mit
dieſem Brieffe allermenniglichen, daß wir zue Hertzen ges
nommen vndt betrachtet haben, wie auch vnſer Eltern vndt
vorfahren Ehrlich vndt nutzlich gethan, daß durch einigkeit,
Freyheit, vnd Handthabung der Gerechtigkeidt der Allmechtige
GOtt höchlich geehret, gelobet, Auch Landt vnd Leuthe,
Stätten und Communen, geiſtliches vnd weltliches ſtandes
in gemeinen nutzen, vffnehmen vndt wohlfahrt erhöcht vndt
gebeſſert, vnd alle Erbarkeidt Hohes vnd Niedriges ſtandes
erhalten worden, vndt darumb Gott dem Allmechtigen,
Marien feiner gebeneveyten Mutter, der Heylie Haubt
Frauwen ©. Elifabeth, zue Lob vnd Ehren, Auch dem
Durchleuchtigen Hochgebornen Yurften, vnſerm Schwager
Sergfrl. Lieben Sohn, vndt gnedigem Hrren, denen Fürften
m Heſſen, Graven zue Catzen Elnbogen, Vns der Landtgrev.
Graven, Praelaten, Ritterſchafft, Stätten vnd gemeiner
Landtſchafft, zue Ehren, nutzen, vfnehmen vnd Gedeyen,
in allem guten untereinander verbunden, vnd brüderlich vnd
freundlich vereiniget, Auch bey vnſern Ayden und Gelübben
zueſammen verpflichtet, vndt ein Göttliche, Ehrliche, recht
mäfige, Leibliche Bereinigung vndt freundtichafft für vnß ge=
nannte Landgrävin, onfere Räthe, Diener, vndt Vnderthanen,
vndt onjere andere nachkommende Erben vnd Erbnehmen
gemacht vnd vfigericht, mit dem geding, vnd offenbahrlicher
Dezeugung, dak wir folcher buntnuß vnd Vereinigung, mit
nichten vnd feinem wege, wider bie gedachten vnſers Lieben
Schwagers, Sohne, Gn. Fürften vnd Herren von Heſſen,
Shrer Liebe, vndt Fürftl. Gn. Erben und nachlommen,
zu Schmälerung oder abbruchicher Liebe, und Sr. G. Fürftl.
Obrigleidt Herlichkeiten, Regalien, Zinſen, Ränthen, . Rech⸗
258
ten, oder zue engendem Ihrer Kiebe, und 5. ©. Zueſtand,
wie die möchten gebeiffen werden, nicht wollen gemacht,
Sondern vnß vnd onfere Nachlommen, wie auch vnſer Vor⸗
Eltern, vor vnß gethan, zue merklihem wohlſtandt, vertraw⸗
vnd Einigkeit vfgerichtet haben vnd vfrichten, vereinigen,
verbinden vnß hiermit in macht vnd krafft dieſes Brieffes,
Inmaſſen vnd form, wie hernach folgett.
Vndt Erſtlichen, Ob ſichs begebe vber kurtz oder lang,
daß mehr dan einer regirender Fürſten zue Heſſen wehren,
vnd derfelbe einer oder mehr, den oder die andern mit
Bnwillen vnd wiederwertigkeit anjehen, vnd vernehmen wol⸗
ten, und ber ober diefe angefochten vnd beſchwerd, vnd fidh
rechts vff vns erbotien, und wir Seven zue recht mächtig
fein werden, Alßdan jollen vnd wollen wir, Anna Land⸗
grevin zue Helfen, Wittiben, obgenante vnſere Erben, Erb-
nehmen, vndt Nachlommen, fo daß bey vnſern Zeiten fi
begeben werbten, gegen vnſerm Herkftl. Lieben Sohne, oder
webr der von ſolchem Fürftentbumb wehre, Aller Mütter⸗
lichſte, Getreuwlichſte und fleifigfte, Vorbitte vnd Necht
vor den, oder die bieten, vnd wir andern von der Landt⸗
ſchafft mit Leib vnd Güteren allem Vermögen Hülff bey⸗
ſtandt thun, damit der Vnwille hingelegt, abgelegt, vnd ab⸗
geſtellet, männiglich bey Recht vnd billigkeit gehand- habet
werden, vnd bleiben möge, alles vff Coſten vnd ſchaden,
Gemeiner Landtſchafft, wie ſolches vor Alters herkommen
vnd geſchehen iſt.
Ferner ob ſichs begebe, daß in künftigen Zeiten einer
oder mehr auß gemeltem Fürſtenthumb zue Heſſen, auß
vns der Landtgrevin, Graven, Prälaten, Ritterſchaften,
Stätten, Landtſchafften, oder andere gemeine Inwohner des
Fürſtenthumbs zue SHeffen, vnd fo dieſer einigung ans
bengig wehren, mit vngenaden angejehen, beyde beſchä⸗
digte, vergeiwaltigte oder Borverachtige wieder vnſer vnd
Jeglich Recht, Gerechtigkeit, pillichkeit, Freyheybt, Genabe,
Privilegien, Altherkommen ober. Löhlich gewohnheit, durch
259
Baͤpſtliche Heylichkeidt, Roͤmiſchen Keyſer, Könige, Landts⸗
Fürſten oder Herren gegeben, beſchweren wolten, vndt ſich
der oder die zue vntertheniger Verharrung vnd zue recht
zrie kommen, vff vnſ erbieten vnd ahnnehmen vnd an vnſern
ar. Fürſten vndt Herren zue verbiehten begehret, So ſollen
vnd wollen wir Anna Landigrevin obgenant, abermahlg
fs fleifigſte wie gemelt, den oder die vorbiethen und recht
erbiethen, und wir andern von der Landtſchafft auf ung,
wnfern trefflichen freunden vnd verwandten abfertigen, zu
gemeltem vnſer oder vnſerm Gn. Hn. vnß untertbenigft
vnd fleifigft bitten, den oder die Beſchwerden vnſerer freundt,
m Gn. Berhörung oder recht kommen zuelafien, vnd bie
vngnade bey vnd abzuftellen, und wo daß nicht geſchehe,
daß wir Doch in feinem weg verhoffen, So wollen vnd
ſollen wir vnire freundt baruber nicht vergewaltigen, ſon⸗
dern den oder dieſelben bey ihren rechtlichen erbiethen wie
obgemelt vnſers Vermögens mit Leib vnd Gueth handt⸗
haben, Schützen vnd beſchirmen vnd nicht verlaſſen.
Wo ſichs auch begebe, daß vnſere freunde vnd Ver⸗
wanthen, dieſer einigung, einer oder mehr, von frembden
Fürſten, Graven, oder Jemandt anderſt angefochten, be⸗
ſchädiget, oder vergewaltiget würden, vnd der oder dieſelben
vnſere Zugethanen zurecht vff vnß erbotten oder erleiden
möchten, So ſollen vnd wollen wir dieſelben vnſer Freundte,
Nach vnſerm beſten Vermögen, an Enden vnd orthen, ſo
ſich gebühret, vff Recht vnd Billichkeit vorbihten, vnd ſo
daß vnſer erpithen nicht angenommen wolt werden, Sie
Als dan zum beſten Schützen vnd beſchirmen, vnd vnſers
Vermögens bey recht handthaben.
Wehre es auch ſach, daß Jemand vnder vnß auß
eygenem muthwillen und widerrecht ſich daß gelüſten Innen
vnd auſſer Landes, vnd am recht fich nicht begnügen laſſen,
vnd daruber unterſtünde Jemants wehr der wehre zue be⸗
ſchaͤdigen oder Gewalt anzulegen, daß ſollen wir alſo zu
geſchehen in keinem weg geſtatten, ſondern vnſers Vermö⸗
260
gens als Tiebhaber de rechtens vndt friedens darwider
ſtattlich gebrauchen vnd thun, damit ſolches abgeſtelt werde.
Würde auch Jemandts in dießer freundtlichen Eini-
gung, Verbrüderung, Innen oder auſſer Landes begriffen,
vnd alßo vnbillicher weiße angegriffen, damit dan derſelbige
ſein ahnliegen, vnd beſchwerung zu einem Außtrage fordern
vnd bringen möchte, So ſoll vnd mag er ſolch ſein Be—
ſchwerung vnd anliegen vorbringen, Nemblich vor die Ehr-
würdigen, Ehren-Veſten vnd Erſamen Diederich von Cleen
Landt Compther der Baly Marpurg Teutſches Ordens, Her⸗
man RiedEſel ErbMarſchal zu Heſſen, Crafften von Fal⸗
ckenſtein, Wilhelm von Dörnbergk. den Bürgermeiſtern der
Statt Marpurg, vnd der Statt Eſchwege, vnd ſo derſelbe
einer oder mehr mit Todt abgingen, oder ſonſt wie daß
zue queme abgeſetzt würden, Sollen alß dan deß, Oder der
Statt durch Gemeine Landtſchafft vff dem Spieß, ein ander,
oder mehr erwehlet werden, derſelben Perſohnen oder Stette
eine, welche einem Jeden gelegen fein wird, dieſelbige Per—⸗
fohn oder Stadt wie gemelt, die alſo erfucht wirbt, die fol
von Ihrer allerwegen Alſo baldt und unverhalten, fo ferne
fie der Handel fo treffentlichen anficht, off Gemeiner Landte⸗
Ichafft Toften ond jchaden, der Graven, Prälaten, Ritter
Ichafft, Stätte und Landtichafft An dem Spieß, oder durch
Gelegenheit der Zeit an anderm gelegenen Enden vnd
Mahl Stadt, wie herfommen vff einen Nahmhafftigen tag
beichrieben, und Gemeiner Landtſchafft vf denfelbigen tag
ven bejchwerten fürter nach inhalt dieſer Vereinigung ge—
rathen fein vnd verhelffen, vndt einem Seven beichrieben
wirbt, Er jey waß Standts over weſens er wolle, ohne
alle weigerung den Außgefchriebenen Landtag, bey und. nach
gemelten pflichten und Enden vff dem Spieß gethan, vnd
auch alhier zu Treyßa verneumret, befuchen, ond Ihme dan
Niemandts zue bejuchen, zu verhüten, zue verhindern noch
benehmen zuelafjen, vnd al8 dan vf demfelben Ausbeſchrie⸗
benen tag, ſollen und wollen wie von allen Ständen Ges
T
261
meiner Landtiſchafft, Die dazumahl verfammilet worden, Nach
verhörter jache des fürbringer8 oder die Notturfft Des Auß⸗
ſchreibens erfordert habe; oder nicht vnd deß koſtens halber,
fo off daß Außſchreiben gangen tft, nach aller Billichteit
zu erkennen haben.
Es iſt auch beredt, daß keine Schatzung, Landſteuer,
oder Beſchwerung genommen oder vf geſetzt werden ſoll,
Eß geſchehe dan mit zeitlichem Rath vnd Verwilligung
Gemeiner Landtſchafft.
Defßßgleichen ſoll auch kein krieg, Fehde, oder Vffruhr
Im Fürſtenthumb oder anhangender Graffſchafften fürge⸗
nommen werden, es geſchehe dan mit einem zeitlichen für⸗
gehabten Rath ganter gemeiner Lanbtichafit, vnd nad)
dem Gemeinen nußen.
Band nach dem der Gemeine nu merdfich und viel
an Berenterung der Münb gelegen ift, fo ſoll binfurber
fein andere Müntz, dan vnjer® Gn. Herrn vnd Landts—
Fürſtens, Alk igundt mit dem Römiſchen ChurFürſten und
Sürften eine einige vfrichte gemüngt oder gemacht, nicht
verendert, höher oder milter gejeßt oder valviret werben,
Es geichehe dan mit Rath, Wilfen, vnd Bewilligung ge=
meiner Landtichafft, waß aber von frembter Außlendiſcher
Müntz ingebrochen wehre, oder in ‚Zeiten inbrechen würde,
Sp ſollen und mögen die regierende Obrigkeit, mit willen
vnd zeitlihem Rath der ziveyer Stätte Marpurg vnd Eich-
wege nach bem beiten vndt bequemblichiten biefer Lande
ordnen vnd feßen.
Wan auch hinfurter Junge vnmündige, vnd nicht
felbft regierende Fürſten wehren, wie ietzundt vorhanden,
Sp follen die Jenigen, die Gemeiner Regierung, oder aber
derfelben Vorſtänder fein, oder wehren von benjelbigen,
vnſers Sohns, Schwagers, Ohmens vnd gn. Herrn Landts
Fürſten, gefällen einnehmen vnd außgeben, gar gnugſame
vnd volkommene Rechnung in beyſein etzlicher von Prälaten,
Ritterſchafften, Stetten, dartzue verordnet, thun vnd zue
-
M
262
thun ſchuldig fein, Auch von derjelben Regierung vnd Bor»
mundern aber, wer das Befelch haben wirbt, Onittaetz,
Recefs, vndt beeräffttgtich Brlundt nehmen, damit Gemeiner
Landtichafft Gewiſſen haben möge, wie mit 3. On. ſachen
und gueth, zue einer Geben Zeit umbgangen werde, vndi
waß von folcher Rechenichafft Jedes Jahrs vom Gelde oder
ſonſt dergleichen Bberlieff, ſoll in einem kaſten zue ſambt
alter gethaner Landt-⸗Rechnung, Regiſter vnd Majeſtet Sie-
gel gelegt vndt zue ſolchem kaſten zum wenigſten drey ſchlüſ⸗
fell gemacht, det einem dent Regierenden, andern der Rit⸗
terſchafft, den dritten der Stätten, Auff daß keiner allein
ohn die airdere darzue kommen möge, vberantwortett, und
ſoll folder kaſten Jehn Marpurg in daß Schloß, in daß
gewölb oder fonft wo e8 denen zum kaſten Veordneten oder
BDefehlhabern am bequemblichkten bedundt, gejeget und ver⸗
wahret werden.
Es ſoll auch von dem Senigen, fo: zur Zeit vnſers
Sohn und andere vnſer Sn. Hn. und onmündigen Fürften
in Regierung weren, keine wichtige oder grofje ſache ohne
Gemeiner Landſchafft wiffen vndt willen gehandelt werben,
vndt wo etwas mangelhafftige8 in berfelbigen Regierung
funden wirbt, ſoll zu einer Seven Rechenſchafft geendert-
vnd mit willen vndt willen Gemeiner Lanbtichafft gebefiert
werbten. |
ER iſt auch wwiſchen vnß vndt Gemeiner Lanbichafft
beichloffen, vnd einträchtiglich abgeredt, dak man nun bins
furter alle Sahr, oder fo Ehehafftige mögliche Verhinde⸗
zungen vorhanden: wehren, vber daß andere Jahr nechſt
hernacher folgent gewißlich allwege, vff Dinftag vnſers
Heil. Leichnahmbs tag oder vngefehrlich 8. tage darnach
durch die obgemelte Sechs, oder Je einen von ihnen aller⸗
wegen wie gemelt, einen gemeinen Landtag vf dem Spieß
anpgeichrieben, benent: vndt gehalten werben ſoll, vff wel⸗
Ken tag ein Jeder bey. geihaner pflicht, vndt ietz allhier
zue Treyſa erneuret, perſohnlich zue erfcheitten ſchuldig, ont‘
263
oh ne Ernhaffte rebliche Entſchuldigung nicht aufien bleiben
fol. . . .
Eh follen auch zur felbigen Zeit, die Armen vnd
ulle andere, fo von AmbtsLeuther oder Ambt-Knechten,
wieder Billichkeit beſchwert, gehört, vndt dem oder denſel⸗
Wen alsdan von Gemeiner Berfamblung Rath vndt Hülff
Deß Rechten mitgetheilt werden.
Ep ſoll auch feinem Ambtmann, Rentmeiftern, Kel⸗
nern, Zöllnern, Schultzen, oder andern Knechten nicht
geftattet werben, in ihrem Ambts-Befelch Geſchenck, Ver⸗
ehrung noch Belöbnuſſe zue nehmen, oder von ihrenwegen
nehmen zue lafjen, vnd dan biefelbe von den Regenten
mit Ernft dahin gehalten werden, daß fie die Ambtspflicht
vndt Hide deß Geſchencks halber thun, wie Die hiebevor
durch vnſere Gemahl vndt Gn. Herrn Landtgr. Wilhelmen
Sehl. vndt Löblicher Gedechtnuß zue thun verordtnet iſt,
vndt ſich allein an ihrer Beſoldigung gnügen laſſen, vndt
ſo ihr einer dieſelbe vberfahren zue haben befinden werde,
denſelbigen darumb zue ſtraffen, vndt ferner zue keinem
Ambts Bevehlich zue leiden, vndt in allen wegen mit Vleiß
ein inſehen zue haben, damit daß Gemeine Armuth vber
Billichkeidt nicht beſchwert werde, Vndt nachdem die Aidt
vndt Pflicht der einigung vf dem Spieß hiebevor geſchehen,
verneuret vnd vfgericht, vnd alle Articulen die dißmahls
erneuret ſeind, der Zeit wenig gehalten, vnd in dieſelbe
einungs Brieffe, ſo datzumahl geſchloſſen, nicht ſo vollkom⸗
mentlichen vnd notturftiglichen von Punct zue Punet ein⸗
geführet, begriffen vnd geſtalt worden, Auch für Gemeiner
Laudtſchafft nicht geleſen, wie abgeredt, darumb itzundt der
vnd anderer beweglicher möglicher Vrſachen halber ſollen
vorgethane einigung zue declariren im ſchrifften begriffen
vnd Gemeiner Verſamblung hören laſſen, die alle ſämbtlich
vnd beſonders, darin zu gehelen vnd zue ſchlieſſen, Auch
zur ſtundt die mitſiegelung zue verfertigen gebethen.
264
Derhalben hinfurter dießer vnſer Gegenwertiger Ver⸗
bruederung, Einigung vnd Declaralion gentzlich gelebt wer⸗
den, vnd der vorgenante, vermeinte, verſiegelte, vnd vfge⸗
richtete Einigungs Brieffe, ſo zue Caſſel liegen, hiermit
thod, Crafftloß, bey vnd Abe ſein ſollen, Alles vngefehrlich.
Wir wollen auch, daß dieſe Einigung, Verbruederung,
und Freundſchaft einem Seven, von waß weßen oder Stan-
des der ift, Niemandts aufgenommen, an andern feinen
Aiden, Pflichten, Gnaden vnd Freyheit, Ob der vom
Römiſchen Pabſt, Kayfern, Königen, Zürften, over er
mandt ander8 gegeben weren, vnſchädtlich und unnachtheilig
fein vnd bleiben, alles ohne geferde.
Dieweil wir alßo auch vor ung, vnd vnfere Eltern
vnd Vorfahren bey vnß felbft in zeitigem vorgehabten Rahte,
vnd guetem Gewiſſen erfandt haben, vnd hiemit erfennen,
daß dieße einigung, Göttlich vnd Löhlich, Ehrlich vnd Recht»
mäßig, Auch vnſerm Gn. Hn. Ahn ihrer Gnadt, Gerech-
tigfeidt, vnd Fürſtl. Obrigfeidt nicht abbruchlich, oder nach⸗
theilig, fondern Landen vnd Leuthen, vns vnſeren Erben
vnd nachkommen, vnd allen Ständen gedachtes Furften-
thumbs gueth, nutzlich und Ehrlich ift, vnd in künfftiger
Zeit fein wird.
En haben wir fambt vnd befondern in vnſerer vnd
anderer der Graven, Brälaten, Nitterjchafft und Stätte
nahmen, Auch auf Befehlich und Mandat derjelben, vnd
aller Inwohner def Fürſtenthumbs zu Heſſen einverleibter
vnd verwanter Graffichafften, und dießer einigung anhengig,
vnſer Anna Landigr. vor vnß felbft vnd vnjern ans
dern nachkommen, Erben vnd Erbnehmen ſolch gemelt
einigung vnd freundichafft vnd befeftigung vnſer VorEltern,
vnd Zuelaſſung gemeines Rechtens beveſtiget, ratificiret, be—
williget, vnd angenommen, dieße alßo hinfurter vnverbruch⸗
lich, vnd ohne alle Hinderung zue Ewigen Zeiten ſambt
vnd beſondern zue behalten.
265
Darauff wir Anna Landtgr. bey vnſern treuwen ges
Lwobt und wahren worten zugefagt, und wir andern, hiebenor
>f dem Spieß, vnd ieh zue Treyßa in guetem treumen vnd
Slauben, Handt in Handt auch zuegefagt, gelobt zue Gott,
zen Senligen geichworen haben, dieße Einigung in alfen
ihren Puncten, inhaltungen vnd Articuln getreumelich zue
Yalten vnd darvon nicht zue weichen in feine weiße ohne
alle gefehrde und Argelift.
Vnd dießes alle zue Vrkundt, vnd ſicherheit aller
vorgeſchehenen Dingen, So haben wir Anna Landgr. ob⸗
genante, vnd wir Philips der Mittler, Graff vnd Herr zue
Waldeck, vnd wir Graff Georg zue Königſtein vnd Dietz,
Herr zue Ebſtein, und Müntzenberg, vor vnß vnſere Graffen,
vnd wir Diederich von Cleen LandtCompther der Balley
Marpurg Teutſches Ordens vnd Pater zue der Carthuſen
vor ‚vns vnd vnſere Prälaten, und wihr Herman RiedEſel
zue Eyſenbach, ErbMarſchalck zue Heſſen, Caſpar von Bou—
melburg Ritter, Ambtmann zue Wartenburgen, Curt' von
Wallenſtein LandtVogt an der Werra, Johan von Lömen-
Stein Soeffmeifter, Johan Schend zue Schweinsburg, Crafft
von Bodenhausen, Philips von Frandenftein, Hank von
Walbern zue Ernfthoven; Eberhardt von Heußenftamm,
Wilhelm von Dörnberg, Adolff Rauwe von Holthaußen,
Caſpar Menfenbuch der Elter, Sittih von Berlepſch Ambt—
mann zue Salke, Herman Hundt, Semibrodt von Boine=
burg, Friederich Diebe, Hein von Eſchwege, Conradt von
Dernbach, Wilhelm Weihe von Feuerbach, Auß der Ritters
(haft, vndt von wegen Gemeiner Ritterfchafft, vndt bie,
jo mit vns in diefer einigung vndt Pflichten ftehen, ober
aber noch darin kommen werden vor vnß, vnſer vnd ihre
Erben vndt nachlommen vndt Erbnehmen, vndt wir Burge-
‚meifter, Raht vnd gante Gemeine der Stätte Marpurg,
Eichwege, Giefen, Allendorf an der Werra, Wetter, Span-
genberg, Grunberg, Grebenftein, Treyßa vndt Witzen⸗
266
haußen vor vnß vnd vnſer aller nachkommen, Auch Ges
meiner Landtſchafft vndt Inwohner des Fürſtenthumbs zu
Heſſen, vnſer infiegel an dieſen Brieff gehangen, der. Ge
geben iſt zue Treyßa vff Freytag S. Appollonien der
heyligen Jungfrauwen, nach Chriſti Geburt 1514. Jahr.
Bher die Jenige, fo den Abſchiedt verfiegelt Haben,
fein von Nittern vndt Landichafft damahls zur Etette vnd
bey Auffrichtung dieſes Abſchiedts geweſen:
Ebert von Heußenſtamm. Diederich von Linfingen,
Hanß von Falckenſtein. Jorge von Pappenheim.
Henrich von Löwenſtein. Johan von Pappenheim.
Caſpar von Löwenſtein. Friederich von Pappenheim.
Johan von Löwenſtein Herbolt von Pappenheim.
Geberth von Löwenftein| gen. Chriſtian won Pappenheim,
Schweindberg. Dahm von Hartenbadh. *°
Henrich der Elter Ziele. von Ludwig von Hartenbach.
Hanſtein. Ludwig von Linſingen.
Werner der Elter v. Hanſtein. Gilbrecht von Bodenhaußen.
Ditmar von Hanſtein. Ebert von Bodenhaußen.
Werner von Hanſtein. Henrich von Baumbach.
Caſpar von Hanſtein. Reinhardt von Baumbach.
George von Hanſtein. Otto Hundt.
Heintz Leſch von Molchen. Herman Hundt.
Dithardt Leſch von Molchen. Hanß von Falckenberg.
Hanß von Bodenhaußen. Wilhelm von Dörenberg.
Ebert von Guedenberg. Hanß von Dörenberg.
Wolff von Breydenbach. Ludwig von Dörenberg.
Caſpar von Breydenbach. Ebert Milchling gen. Schön⸗
Heintz von Breydenbach. ſtatt.
Johan der Jünger von Lin- Friederich Milchling gen.
fingen. Schönftatt.
Ciliax von Linfingen, Wilhelm Milchling gen.
Bernhardt von Linfingen. Schoͤnſtatt.
267
Curdt von Leerbach.
dohan von der Rabenauw.
Yoft non Eſchwege.
Heing von Eſchwege.
dohan von Eſchwege.
Irhan von Eſchwege.
Reichardt Johan v. Ejchwege.
Johan von Dalwig.
Reicharbt von Dalwig.
Caſpar von Dalmig.
Friederich von Hertingshaußen.
Johan von Hertingshaußen.
George von Reben.
Erwein von Reben,
Caſpar d. Fünger Meyſenbuch, Balentin von Biſchofferoda.
Henrich Meyſenbuch.
Cuno von Bodenhaußen.
Georg von Biſchofferoda.
Eberd von Biſchofferoda.
Henrich George von Lutzelwig. Philips von Hertingshaußen.
Friederich Schnabel.
Philips von Hundelshaußen.
Zohan von Hundelshaußen.
Henrich von Hundelshaußen.
Caſpar von Hundelshaußen.
Cuntzeman von Rulßhaußen.
Eberdt von Rulßhaußen.
Wolff von Kalenberg.
Friederiw von Kalenberg.
Engelbrecht von Bodenhaußen.
Herman von Hundelshaußen. Joſt Ratzenberg.
Burghardt v. Hundelshaußen. Baltzer von Schartenberg.
Volbrecht von Schwalbach.
Henrich von Schwalbach.
Wolff von Schwalbach.
Melchior von Schwalbach.
Ebert Münd von Bußeck.
Johann Münd von Bußeck.
Hans von Liederbach.
Detmar von Liederbach.
Herman von Liederbach.
Johan von Liederbach.
Andreas Fincke.
Wigant von Bilſen.
Johan von Bilſen.
Günther von Bilſen.
Eckhardt von Bilſen.
Henrich von Bilſen.
Bernhardt von Dalwig.
Philips von Vrff.
George von Vrff.
Cuntz RiedEſell von Bellers⸗
heim.
Henrich RiedEſell von Bel⸗
lersheim.
Simon Mehrlauw.
Johan Dieden.
Albrecht Dieden.
Henſell Dieden.
Ernſt Dieden.
Georg Dieden.
Friederich Diedem.
Helwig Laurbach.
Chriſtian Laurbach.
Herman von Ruckershaußen.
Johan RiedEſell zue Eyſenbach.
268
Dahm von Lüũdder. Gerhardt von Weitershaußen.
Caſpar RiedEſell. Chriſtian von Weiters haußen.
Gerhardt Boigt. Heintz von Eringshaufen.
Geberdt von Bruboth. Sitttich von Eringshaufen.
Otto von Bruboth, Wilhelm Reckeroda.
Philips von Nordtecken gen. Rabe Rederoda.
Bruna. Werner von Wallenftein.
Crafft Raum von Holghaußen. Caſpar Schleue von Leuden.
Rubrecht Raum von Holtzhau⸗ Johan Schleue von Leuden.
fen. Wilhelm von Biihaufen.
Henrich Raum von Holtzhau⸗ Hank von Bilchhaufen,
Ben. Burghardt von Eram.
Erhardt von Habfelbt. Diederih von Echachten.
Ludewig von Hatzfeldt. Henrich von Schachten.
Hardtmann von Hatzfeldt. Heintz von Derßen.
Friederich Ganß. Volprecht von Derßen.
Helffrich Stammer. Ludwig Balthaſar Dauben.
Philips Mönch. Eckbrecht von der Mahlsburg.
Werner von Buſeck. Engelbrecht von d. Mahlsburg.
Henrich von Buſeck. Bernhardt von der Mahlsburg.
Otto Weiße von Fuhrbach. Reinhardt von der Mahlsburg.
Calde Weiße von Fuhrbach. Gerhardt von der Mahlsburg.
Johan Weiße von Fuhrbach. Herman von der Mahlsburg.
Herman Weiße von Fuhrbach. Ludwig Günterodt.
Wilhelm Weiße von Fuhrbach. Hanß von Berlepſch.
Johan Weiße von Echtzel. Günther von Berlepſch.
Helwig von Drohe. Johan Klüppel zue Elckers⸗
Rudolph von Drohe. haußen.
Philips von Drohe. Diederich Haupt von Elckers⸗
Curdt von Völckerhauſen. hauſen.
Crafft von Völckershaußen. Curt Noding.
Ludewig HolgApfel von Bernhardt von Habell,
Bögtsberg. Curdt Grob von Bellersheim.
Johan Bufed. Melchior von der Dan,
Johan von Weiterdhaußen. Herman Rumppe.
269
Derman Trat. - Wolff von Hebftatt,
Dito von Kerſtlingeroda. Gurt Treuſch.
Walter Fiſchborn. Herman Treuſch.
=Umdt von Vffeln. Eberdt von Winthaußen,
Zohan Elaur. - - Herman von Winthaußen.
Blrih Katzenbiß. Hans der Elter vom Berge,
Senrich von Hagheim. Hanf der Jünger vom Berge.
Curt Wibelindt von Vlter- Heimbrodt von Boineburg.
haußen. Curt von Boineburg.
Caſpar Schufut. Simon von Boineburg.
Wilhelm von Wern. Philips von Schercken.
Johan von Wildungen. Joh. von Breidenbach, Arnolts
Joſt von Wildungen. ſeel. Sohn.
Philips von Wildungen. Gerlach von Breidenbach, Ger⸗
Ciliax von Habell. lachs ſehl. Sohn.
Die Städte: Marpurg, Grebenſtein, Witzenhaußen,
Wetter, Treyßa, Franckenberg, Biedencop, Roſenthal, Zie—
genhain, Kirchhain, Gemünden vf der Wahr, Borcken,
Schwartzenborn, Lichtenauw, Sontra, Niedenſtein, Melſun⸗
gen, Gieſen, Immenhauſen, HoeffGeißmar, Darmſtatt,
Rheinheimb, Zwingenberg, Gerauw, Vmbſtadt, Eſchwege,
Allendorff an der Werra, Franckenau, Battenberg, Grone⸗
Kerg, Rauſcheberg, Spangenberg, Rotenberg, Velsberg,
Homberg, Zierenberg, Homberg vff der Höhe.
Folgende Stätte feindt Beiltender der Regenten ges
weien: Caſſel, Eifelt, Wolffhain, Neuftabt, Quedensbers,
Schmalkalden, Vach, Heſterweil. *)
e) Dieſe Urkunde iſt mit einer beglaubigten Abſchrift verglichen,
während bie vorhergehende, mit lateiniſchen Lettern gedruckte, nad
einer Originalausfertigung berichtigt worben if,
VII. Band. 18
270
XL
Bon den alten Deerwagen und Seerwagen:
geldern.
Bom Ober-Appellationsgerichtsrath Dr. Büff.
Unter den zahlreichen Abgaben, die and dem Mittel-
alter auf unfere Zeit gefommen waren, ohne daß wir über
ihre Entjtehung und Bedeutung uns Har zu werden ver-
mochten, da fie einer längft untergegangenen Recht3ver-
faffung angehören, befinden fi auch die f. g. Heerwagen
und SHeeriwagengelver, die innerhalb und außerhalb Heffen
nicht felten vorfommen. Als Erzeugniffe längſt abgeftor-
bener Wurzeln hatten fie freilich keinen Anſpruch auf fort
dauernde Eriftenz. Für uns aber find fie gerade deßhalb,
weil fie in der Gefchichte angehörenden Urjprüngen wurzeln,
von beſonderem Intereffe, infofern wir aus dem abgeftors
benen Holz Schlüffe auf die Bejchaffenheit der Wurzeln,
welche dieſes herworgetrieben haben, machen dürfen und
uns fo in Rechtsanſchauungen einer Urzeit verfegen müffen,
denen wir, Dank der Einführung des römiſchen Recht,
faft frember geworden find, als den Rechtsbegriffen des
— Servius Zulliuß,
Sn den Salbüchern heißt es ſehr gewöhnlich: die
Stadt, das Gericht, die Dorfſchaft ſei ſchuldig, „wenn u.
g. F. u. H. zu Felde zeucht“, oder „wann und zu welcher
Zeit das Land zu Heffen oder aud u. g. F. u. H. feindlich
überfallen und angegriffen wird”, oder ‚wann der g. F.
u. 9. zu Felde zeucht oder fonft zu Erhaltung von Land
und Leuten die Veſtung mit Kriegsvolk bejegen müßte”,
auf f. f. ©. Erfordern Wagen und Mannichaft fo viel von
Nöthen darzuthun oder ohne alle Weigerung zu folgen und
zu ziehen. Die Städte müffen dann ihre Leute ftellen,
das Amt gibt die Wagen für Proviant und Zelte mit
Knechten. So heißt e8 z. B. im Somberger Salbuch de
271
41537 fol. 376.: Item wann u. g. $. u. 9. zu Selbe zeucht,
zebührt dem Ampt, nach Gelegenheitt der jachen die wagen
Darzuthun und bei jedem wagen zwei oder drei Stnechte,
Bei Caſſel, Salbuc 1582 £. 11. ſteht: Wenn u. g. 3. zu
Feld zeucht, jo hat f. f. ©. nach derſelbigen Gelegenheitt
ber Burgerichaft jo viel von nöten zu manen, welche ge=
horſamlich jederzeit zu folgen fchuldig fein, und beitellet
bie Stadt die Provianden und zur felben Notturft u. f. ©.
bie wagen Dazu und werben folche wagen aus dem ampt
gebraucht. Rotenburg 1538 £. 7.: Wenn u. g. 3. zu Felt
zieheit, iſt Die ftabt ſchuldig ſ. f. g. ſo viel mann ins felt
zu ſchicken, als ſ. f. g. fordern, un irer ber ftatt beſoldung.
Und wenn die ftatt wagen zu iren zelten beburffenn, muß
daß ambt bie wagen thun, aber die flatt muß fie befolven
und unterhalten. Vom Amt heißt e8 dann: Wann u. g.
f. u. h. zu Felt zeucht, fo gebürt dem ampt die wagen _
und die knecht darbey nach gelegenheit der ſachen darzuthun.
Die Stadt Spangenberg muß zum Feltzug eblihe Mann-
ſchaft, die ihr angefordert, ftellen, wenn fie aber einen
ober mehrere wagen bebürfen, jo ſoll das Amt fie ftellen,
Die Stadt GSrebenftein muß, wann m. g. F. u. 9. zu
Zelde zeucht oder fonft zu Erhaltung Land und Leute bie
Beftung mit Kriegsvolf befegen müßte, aufs ſtrackſte mit
der Mannichaft folgen und ihre eignen Proviantwagen thun.
Ebenſo bei Zierenberg, Wolfhagen (Salbuh 1537 bei
Lynker Sich. d. St. Wolfhagen ©. 39.). Don Allen-
borf heißt e8: Sp u. 9. 3. zu felte zieht, feint fie ſchuldig
mann vor mann (?) nach gelegenheit der fache darzuthun
oder Söldner zu ſchicken. Die Stadt muß aud) ihre eignen
Wagen, foviel fie bebürfen, auf ihre Koften verjchaffen.
Das Salbuch von Sababurg enthält, daß alle Dorfichaften
auf Begehren i. f. ©. zur Defenfion der Landt und Leuthe,
wie auch Bejegung ber Feſtungen mit ſoviel Mannichaft,
als ihnen der Proportion nach erfordert wird, ftünblich zu
folgen und uffjuwarten ſchuldig fein follen. ’ Sei Franken⸗
272
berg (Salbuch de 1587 fol. 6b.) ift unter „Steur und
Folge” bemerkt: Item es hat hochermelt m. g. 3. und Herr
zu Heſſen alle Bolge und Steur in der Stabt und Ambt
Frankenbergk, aljo daß die Bürger und Unterthban Ihro
f. ©. jeberzeit uff Ihr Erfordern volgen und uffs ſtrackſt
bei Tag und Nacht nachziehen, auch zu aller Zeit mit der
Steuer uf Begernig und Erforderniß nad Vermügen fich
erzeigen müſſen. Auch die Unterthanen des Amts Hallen-
berg zu Ober⸗ und Unter-Steinbach, item die Alt-Hallen-
bergifchen zu Herges, Springftille und Nüherftille find
ſchuldig uff der Herrichaft Erforbern uff ihre Koften einen
Heerwagen mit aller Zugehörung jambt Pferden und
Knechten zu fertigen und nachzuſchicken.
Diefe Beiſpiele, denen ſich noch viele andere beifügen
ließen, mögen genügen, um uns in der fraglichen Laſt den
allgemeinen Kriegsdienſt erfennen zu laffen, joweit nach
damaliger Verfaſſung dazu Stadt und Land (Amt) dem
Landesherrn verpflichtet war. Insbeſondere die Verbindung
mit der Steuer, d. h. der Entihädigung, welche die Be—
wohner dem Landesherrn für den ReichSdienft und Die Lan-
desvertheidigung leiſteten (Strippelmann, bemerkenswerthe
Entſcheidungen des Oberappellationdgerichtß 3a. S. 102),
&harakterifirt die fragliche Laft als eine gemeine Landeslaſt,
als eine Laſt, welche der Fürft vermöge des Herzogtums *),
der ihm von Kaiſer und Weich verliehenen obrigfeit-
lien Würde, zu fordern hatte, alfo recht eigentlich als
eine dem öffentlichen Recht, dem Staatsrecht angehörige
Berbinplichkeit. Daher, fagt Eichhorn a. a. O. Rote
dd. behält fi Markgraf Albrecht II. von Brandenburg in
einer Beftätigung der Zreiheiten des Hochſtifts Branden-
burg a. 1209 die auf das Fürftenamt Bezug habende Heer-
folge nor: Insuper et homines ecclesiae ab omni servitio
et exactione hospitiis. seu etiam quibuslibet vexationibus
a quibuscunque personis liberos esse permittimus, excepta
») Eichhorn Staats und Rechtsgefchichte 2. 8. 304,
273
ædvocatia ct communi aedificatione castri, sub quo bona
«cclesiae sita sant, et justo bello pro patria *). Waß
Diefer gemeine Dienft umfaßte, fieht man aus einem ſchieds⸗
richterlichen Sprudy von 1455 zwiſchen dem - Markgrafen
und dem Biſchof von Brandenburg über die Dienfte, welche
ber erftere in ber dem letzteren zugehörigen Stadt Blum-
berg anfpradh: „Laß die genannten von Blumberg dem
Herrn Markgrafen jeglicher yn im are 12 Tage Hofbienft
tun follten. Und fo ofte, Heerfahrt werde geboten von
ber Herrſchaft, fo fullen fie alfezeit verpflichtet fein, einen
guten beichlagenen Heerwagen dazu mit vier pferden ußzu⸗
richten, wan in das verfündigt wird," Wir dürfen darum
auch annehmen, daß diefer Dienft ein allgemeiner war und
auch da, wo feiner die Salbücher nicht ausprüdlich geden⸗
ten, auf Stadt und Land (Amt) rubte. In diefer Allges
meinheit gevenft der Heerwagen Hoffmann Kriegsftaat
$. 25.: „Diefelben mußten den Oberherrn und Landes-
fürften zum Gebrauch bei den Kriegszügen, zur Fortfüh-
rung allerhand Kriegsnothdurft, Der.-Xebensmittel, zur Schlas
gung der Wagenburg um das Heer im Luger, al8 auch
bei den Belagerungen ꝛe. von Städten, Dorfichaften und
anderen genugfam beipannet, geleiftet werben; gleichwohl
waren fie ebenfalls aufzubieten.“
Um dieſe allgemeine Kriegsdienſtpflicht ganz zu ver-
ftehen, müffen wir ung der beshalbigen Urverfaſſung des
‚Heerbannes erinnern, Denken wir ung unter diejer Urver⸗
faflung irgend etwas dem, was wir Staatdverfaflung zu
nennen gewohnt find, Aehnliches, fo wird e8 ung bei nä-
herer Betrachtung gehen; wie feiner Zeit Caͤſar, der bei
feinem kurzen Beſuch in Germanien nicht nur feine repu-
blieaniſche Staatsform, wie in Rom, fondern auch eine
———
*) Ebenſo behielt bei Abtheilung der Quart 1627 Landgraf Wilhelm
V. die lanbesfürftlihe Obrigkeit und Juriédiction in geift- und
‘ weltlichen Saden als Bifitationes , Gelcit, Folge, Reichs⸗ und
Landſteuer vor.
Alien.
274
monarchiſche fand und dem es alfo am merfwürbigften
ſchien, daß diefe Germanen gar Feine Staateform hätten,
In pace nullus est communis magistratus. Sch geftehe,
daß ih mir eine Staatsform ohne, ein entſprechendes Or⸗
gan, eine Staatsgewalt ohne einen Träger derſelben nicht
denken kann, und daß ich folgeweile in der Verneinung der
Yeßteren auch die Behauptung des Nichtfeind der erften fin-
den zu müſſen glaube. Die Nothwendigfeit einer nicht dem
Einzelnen allein überlaffenen Ordnung und einer Schutz—
anftalt für dieſelbe fehe ich gleichwohl begreiflicher Weiſe
fo gut ein wie andere, und die Annahme einer folchen bildet
darum auf feinen Fall irgend einen Diffenspunft. Nur
über die Natur diefer Ordnung fcheint allerdings noch fein
Einverftändniß ftattzufinden und ich benuße dieſe Gelegen⸗
heit, mich über die Art, wie ich mir jene Ordnung denke,
näher auszuſprechen. Es ſcheint mir unausweichlich, daß
wenn eine Ordnung als nothwendig, der Staat d. h. der
Gejammtwillen über den Einzelnen dagegen als nicht vor=
handen gefekt werden foll, der Schuß jener Ordnung nur
einem Berein der Einzelnen anvertraut gedacht werben kann,
etwa ach dem Sprüchwort: Stark alleine, ftärfer im Ver—
eine. Dieſes Princip, durch Vereine den Schuß des Nechts
und der Ordnung zu bewirfen, das Bereind- oder Genoffen-
Ihaftsprineip ift dann das beutfche Rechtsprincip. Indivi—
duen, deren jedes ſein beſtimmtes abgeſondertes Rechtsge—
biet hat, bilden keine Genoſſenſchaft, ſchon der Begriff
des Genoſſen ſetzt einen gemeinſamen Genuß, etwas ge=
meinſam Genoſſenes voraus. Nicht erſt die Vereinigung
zu gemeinſamen Schutz, ſondern die Gemeinſamkeit des zu
Schützenden, alſo die Gemeinſamkeit des Genuſſes markt
den Begriff des Genoſſen und der Genoſſenſchaft. Dieſe
Gemeinſamkeit im Gegenſatz des Individuums muß danach
das das deutſche Recht beherrſchende Grundprincip ſein.
Bon’ dieſem Standpunkte aus wollen wir nun einmal- bie
deutſchen Rechtögeftaltungen ins Auge faljen.
275
. Daß, was gemeinfam genofjen und gefchübt wird,
it das Gut und zwar, da bewegliche Gut nicht geeignet
uf, einem bleibenden und dauernden Buftand zur Grund-
Lage zu dienen, das unbewegliche, der Grund und Boden.
Das Gut, Eigen genannt, gehörte nicht dem Einzelnen,
dem Individuum, fondern der Familie, die eine Ehe= refp.
Samiliengenofjenjchaft bildete. Da das, was die Römer
dominium, wir heute unter Zugrundlegung römiſch recht-
licher Begriffe Eigentbum nennen, die Herrichaft des In—
dividuums und inbividualen Willens über eine Sache ift,
fo leuchtet ein, daß unfere Väter ein Eigenthum im -Sinne
des dominii nicht kannten. Das Gut gehörte ja der Ge—
noſſenſchaft, und die einzelnen Genofjen waren injoweit die
Erben, daS Gut da8 Erbe Das _Necht, welches die
Erben an dem Gut hatten und das alſo nicht Eigenthum
in unjferem Sinne war, ift die Gewehre, das Recht die
Sache inne zu haben und zu den gemeinfamen Sweden
auszunutzen. Jeder Genofje war in der Gewehre und wer
in feiner Gewehre war, wer fein Gut hatte, der war —
rechtlo8, arm. „Der Arme, jagt Möſer Osnab. Geſch.4,
8.13, der eine Million baares Vermögen beſaß (freilich gab
es in Wirklichteit folche Beſitzer nicht) Konnte gehangen
werben, wenn nicht bloße Gnade oder feine eigene Be»
Dingung ihn ſchützte; der geringfte Wehr Cd. h. in der Ge-
wehre eined Guts befindliche) aber nicht, weil der Kaijer
ihn nach dem Rechte behandeln mußte, was er ſich ge-
wieſen hatte, und niemals hatte er eine Leibesitrafe fich zu
Recht gewiefen. — Man war arm, wenn man feine
flimmdaren Gründe zu eigen oder fein Echtwort bejaß”.
Die Veräußerung des Eigen war damit Aufgeben des Rechts
und es verftand fi danach, daß bie Erben, d. h. die Ge—
nofjen ſelbſt, einmwilligen mußten. Bergibt ein Dann fein
Eigen wider Recht ohne der Erben Urlaub, die Erben
mögen fich ihres Guts wohl unterwinden (d. h. e8 zurüdfor-
dern) mit Recht, als ob der tobt ‚wäre, der e8 gab. Sſp.
m
276
I. 52. Aber, wird man fragen, wie Tonnte man über-
haupt das Eigen: ohne der Erben Urlaub vergeben? Die
Erben waren ja felbft die Disponenten? Diefe Trage ver-
räth, daß wir. und von dem Recht der Genofjen doch noch
feine richtige Vorſtellung machen, daß wir und baffelbe
immer noch als römifches Eigenthum, wenn auch unter
verſchiedene Miteigenthümer getheilt, denken. So ift es
aber nicht. Die einzelnen Genoſſen disponiren gar nicht;
ſie erhalten ihren Unterhalt vom Gut und arbeiten auf
demſelben für den gemeinſamen Haushalt als Knechte und
Mägve, bis fie durch. Theilung des Erbes, Erbtheilung,
von demſelben abgefunden werden und ihre eigene Fami⸗
liengenoſſenſchaft bilden, inſofern ſie ein Gut (Wehre) er⸗
werben als Wehrfeſte, außerdem als „Arme⸗. Der Dis⸗
ponent, der Verwalter des Guts, der „Mann“ in der
Familie (die anderen und wenn ſie 40, 50 Jahre alt
‚wären, verheirathet oder nicht, find „Jungen“) ber „Vogt“
der Genoſſenſchaft ift das Familienhaupt. Dieſes Fami—
lienoberhaupt vertritt die Genoſſen. „Vogtei nämlich iſt
die Vertretung von Perſonen in Betreff ihrer Rechte,
wie Gewere die Vertheidigung von Sachen oder eigener
Rechte deſſen, der die Gewere hat. — Uebrigens kann
man wohl ſagen, daß, wie die Gewere die Grundlage des
Sachenrechts, jo die Vogtei die Grundlage des Perſonen—
rechts iſt. Das ganze Familienrecht beruht auf der Vogtei
des Vaters, des Ehemanns, des Vormundes und in der
Geſtaltung der Standesverhältniſſe ſpielt die landesherrliche
Vogtei inſofern eine wichtige Role, als darauf hauptſäch⸗
lich die eigenthümliche Stellung der gemeinen Freien im
Gegenſatz des Ritterſtandes beruhte.“ Albrecht Gewere
S. 11 und 12, |
Diefe Samiltenhäupter, die Männer waren nun zwar
innerhalb ber Kleinen Genofjenichaft der Familie die Vögte;
unter einander felbft .aber waren fie wieder Genoſſen des
Gemeindeguts, reſp. der Mark und bildeten eine Ges
277
meinde, reſp. eine Markgenoſſenſchaft, ja das Eigen jeder
Familie war nur ein aus ber Mark überiviefener Theil
derjelben. Das unvertheilt gebliebene Markeigen ift bie
Almende. Es iſt ein befondered Verdienſt unferes Vereins⸗
mitglieds, des Hrn. Archivars Dr. Landau, die Entſtehung
-diefer einzelnen Eigen oder Güter auß der Marf nachge—
wiefen zu haben. Die Männer nun (nah Sternberg
Rechtsgewohnheiten S. 6. noch heute mit einem gewiffen
Stolz Gemeindgmänner genannt) traten zufammen zu einer
Semeindeverfammlung (concilium, Gericht). „Unter Ge=
richt, fagt Grimm RA. ©. 745. denfen wir ung heut
zu Tage vorzugsweife Enticheidung der Rechtsſtreite oder
Beftrafung der Verbrechen. Urfprünglich aber überwog
Die Borftelung von Bolfsverfammlung (concilium), in
welcher alle öffentliche Angelegenheiten der Mark, des
Gaues und der Landichaft zur Sprache kamen, alle Feier-
Yichfeiten des unftreitigen Rechts (was wir freiwillige Ges
chtsbarkeit nennen) vorgenommen, endlih auch Zwiſtig⸗
‚feiten beurtheilt und Bußen erfannt wurden“, Namentlich
\pas Vebertragen de8 Eigen, die Aufnahme eine8 Anderen
in die Gewere, die Erbtheilung, refp. die Abtretung der
Herrſchaft oder Vogtei an einen der Söhne, mußte als
eine die Bedingungen des Rechts ändernde, folglich Die
Gemeinde höchlich angehende Sache dem Gericht vorbehalten
werben. Darum ;ift denn zur Uebertragung ber Gewere
am Eigen auch die Mitwirfung und Zuſtimmung des
„Gerichts“ nöthig. Ohne Erben laufe und ohne „Gericht"
mag fein „Mann“ fein Eigen vergeben. Bergibt er «8
wider Recht ıc. Sip. 1. 52. Der Prüfe des Gerichts oder
der Gemeinde ift der Richter, Vogt, Grebe und zwar in
der Dorfgemeinde der Dorfrichter, in der Marfgemeinde
der Markrichter, in der Gaugemeinde der’ Graf, Land
graf ec. Diefer Vogt ift augenſcheinlich ein Analogon des
Vogts der engeren (Familien) Genoffenichaft. „Daß er
‚wie Hr. Landau annimmt (S. 386 der Heuſer'ſchen Ann.
u
.
.
278
Bd. 4) ſtets nur der fei, welcher im Auftrage eines Anderen,
als deſſen Beamter handelt“, ift nicht der Urverfaſſung und
dem urſprünglichen Begriff des Worts eigen, ſondern erft
wahr, feit der deutſche König römischer Kaiſer wurde und bie
Idee einer flantlichen Obrigkeit, Durch welche die Obliegen-
beit der Gemeinde, Echirmer des Rechts zu fein, übertra⸗
gen ift, eines magistratus, gang und gebe wurde. Yür
die Urzeit bleiben wir bei Cãſars Wort: In pace nullas
magistratus, sed principes regionum atque pagorum inter
suos jus dicunt controversiasque minuunt.
Ich hoffe jeßt verftanden zu werben, wenn ich ber
gedachten Urverfaffung Deutichlands einen privatrechtlichen
Charakter zufchreibe, und insbeſonder in den Marken nicht
den Anhang einer ftaatlihen Organifation fehen kann, ob⸗
wohl auch ich mit Möfer, osnabr. Geſch. 1. 5.39 Note a,
glaube: Eine Landkarte nah Marken würde vielleicht bie
befte Nachweifung in der alten Geographie fein. Denn ich
glaube, was derfelbe a. a. D. im Text vom Stift Osna⸗—
brüd jagt, von anderen beutjchen Ländern, namentlich
Helfen, ebenfalls wahr: „Unſer ganzes Stift ift in Marken,
worin Dörfer und einzelne Wohnungen zerftreuet liegen,
vertheilt: und bie Grenzen derſelben treffen mit. feiner
Landes-⸗, Amts-, Gerichts⸗, Kirchipield- oder Bauerſchafts⸗
gränze zuſammen“. Ich bezweifele daher, daß eine Land⸗
karte der Kirchſpiels⸗, Amts- oder Gerichtsgränzen jemals
eine Landkarte nah Marken und ſomit die beſte Nach
weifung in der alten Geographie wird fein fünnen.
Einen ftaatrechtlichen Charakter nimmt. dagegen Diefe
Berfafjung im Krieg an: Quum bellum civitas aut inlatum
defendit aut infert; magistralus, qui ei bello praesint, ut
vitae necisque habeant potestatem, deliguntur, erzählt
Gälar (de bello gall. 6, 23). Jetzt wird auß der Ver-
jammlung der Männer,. der Mannie (Möfer a. a. O.
I. 8. 20) eine Hermannie over ein Heerbann (taf. $. 21).
Dieſe Hermania iſt eine Chermania, wie die Heſſen Chatten,
279
Die Hermani find Germani, Die Römer, welche die Deut-
sehen nur Tennen lernten in bello, ſei e8 daß fie aggreifiv
ober befenfiv auftraten, alfo nur als Heerbann, als Her⸗
sruanie oder Chermanie, nannten fie deßhalb fchlechtweg
Germani.
Caeterdim Germaniae vocabulum recens et nuper
additum; quoniam, qui primi Rhenum transgressi Gallos
expulerint ac nunc Tungri, tunc Germani vocali Sunt. Tac.
de M. G. c. 2. Die Zungrer haben gewiß immer Tungrer
gebeißen, auch ehe fie über den Rhein gingen. Ehe fie
aber Über den Rhein gingen, gehörten fie.dem Herbann,
ber großen Vollksgenoſſenſchaft an, fie waren Reichsgenoſſen
und Germania ift dafjelbe, was fpäter. das Reich heißt.
Möſer a. a. O. 8. 8. 2. 3. Diefelben Hermanie heißen
ben Römern anderwärts wieder Markomani, und wieder
Alemani. Allemani find Ehermani oder Hermani, wie
man Sallebarte für Heerbarte, Hellweg für Heeriveg, Al-
berge für Herberge, Alfarda für Heerfahrt oder Kriegsfuhr,
Allode für Arode zu fagen pflegt. Möſer a. a. 0.8.2.
Note £ —
Wenn die Römer das deutſche Volk foldhergeftalt als
eine Genofjenichaft der Mannen oder Männer (Germania)
bezeichneten, fo ift deutlich genug, was ihnen an befien
Verfaſſung das Charakteriftifehe fchien. Wir haben oben ge=
fehen, was man fich unter den Mannen oder Männern zu
denken hat und in welcher genauen Verbindung fie mit
Grund und Boden, mit Haus und Hof (Wehre) ftehen.
Die „Männer“ d.h. die Samilienhäupter find die kriegs⸗,
dienft» oder herbannpflichtigen, die, welche ten Kriegsbe⸗
darf an Mannichaft, wie an Kriegsgeräthe zu ftellen haben,
"und das von dem Gut oder Eigen der Familiengenoffen,
dem fie vorftehen. War alfo auch das Gut Freigut, d. }.
frei von Frohnden und Dienften (frei Mann frei Gud),
10 lag doch die Laſt der Landesvertheidigung ober Land⸗
wehre ganz auf ihm und insbeſondere auch die Steuer zu
280
den Koſten der Heerjüge, tie Abgabe von Wagen und
Pforten. Grimm RA. ©. 297. Wenn aber der eine ——
Mann oder Freie für fein Gut felbft perfünlich Kriegspienft —
leiftete (der andere vielleicht feine Söhne vder Brüder vom er:
Gut ftellte), jo gab wieder ein anderer allein oder mitiiie-t
anderen zufammen den beipannten Heerwagen mit ben—mmeı
Knechten zu teffen Bedienung. Wer unter den Männern
die leßtgedachte Art des Kriegsdienſtes übernahm? da- —
rüber weiß ich nicht8 zu jagen. Daß ein freied Gut, werner
es in firchlihe Hand, an ein Kloſter ıc. kam, vorzugsweiſe —⸗
in diefer Weife, nicht durch perfönliche Dienftleiftung, der —
Heerbannpfliht genügte, jcheint mir glaubli und den —m
Berhältniffen entiprechend.
Der Heerbanndienft wurde übrigend nur zur Ber- —
theidigung der unmittelbar bedrohten Provinz von allen Freien
gefordert. Eihhorn St. und Raid. 1, S. 166. Grimm
RA. ©. 295. ff. hat eine Reihe von Stellen, aus denen
hervorgeht, daß die Folge nicht über gewiffe Zeit und
Grenze hinaus geleiftet zu werden brauchte, 3. B. daß das
Centvolk nit weiter oder ferner gezogen wäre, denn Daß
fie defjelben Tags, wo fie ausgezogen wären, in ihre
. Häufer und Heimath wieder fommen möchten ohngefehrüch
denn daß fie bei Sonnenſchein wieder heimkaͤmen, daß die
Sinwohner bei Tag wieder zu Haus kommen möchten. So
heißt e8 denn auch im Rotenburger Salbuch: Item ob die
Herrichaft zu Heſſen überfallen oder angegriffen. würde und
das Gericht Rorbady von m. g. F. u. H. Dienern gefor-
bert werden, fal das gericht ſonder alle wegerung volgen
und zu ziehen, fofern ein jeder mit einem Laib Brod zeren
und fi erhalten kann“. Grimm a. a. O. fchließt feine
Mittheilungen mit dem Bemerfen: Bei Daritellung ver
eigentlihen Gerichtöverfaffung werben fich ähnliche Rüd-
fihten auf die Heimkehr bei Tage ergeben, was den Zu=
fammenbang zwifchen SHeerbann und Gerichtsbann noch
‚mehr beftätigt.- Auch des Tacitus Nachricht c. 7. Non
< asus 'nec fortuita conglobatio turmam aut cuneum facit,
sed familiae et propinquitates deutet darauf, daß die Fa⸗
xmiliengenoſſenſchaften, aus. welchen die Gemeinden x. bes
Vtanden, bier bewaffnet die Glieder des Heerbanns bildeten.
Darüber hinausgehende Heerbannspienfte wurden nur auf
Reichsſchluß und von jolchen geleiftet, die vermögend genug
waren (per se), oder durch Unterftügung Anderer, welche
zu ihrer Ausrüſtung beitrugen, dazu in den Stand gejebt
wurben. |
. Die Angriffsfriege fielen nicht dem Heerbann, fonbern
ben Gefolgen zu, von denen Zacitu erzählt, und unter
bie ſich inSbefondere auch die nachgeborenen Söhne ber
Freien werden haben einreihen laſſen. Es iſt begreiflich,
daß nach und nach dieſe Gefolge die allein Kriegsgeübten
waren und. der Heerbann ihnen gegenüber in den Sinter=
grund trat. Insbeſondere mochte den Ungarn und ihren
Reiterfchaaren entgegen der Heerbann nicht mehr anreichen.
Es war daher bekanntlich Heinrichs I. Hauptjorge, eine
andere Kriegdverfaflung zu jchaffen, nach welcher der effective
Kriegsvdienft den Burgenjen und den Rittern zufiel, wäh-
xenb der Heerbann, die Männer und Heinen Freien, immer
feltener zum perjönlichen Dienft gelangten und nur noch,
wie fonft, die Heerwagen ıc. zu ftellen hatten. Dagegen
wurden fie um jo mehr mit Dienften beladen, anfangs
Steuern und zu eigentlichen Kriegszwecken, fpäter überhaupt
zu- Nuß und Frommen der Landed- und Gutöherren.
Wenn der „Mann“ nun aufhörte im Heerbann zu fein,
fo verlor er feine politiiche Bedeutung und wurde vertreten
von dem, der ftatt feiner den Kriegsdienſt leiſtete. „Mit
dem Austritt aus der Heerfolge wurde der gemeine Freie,
wenn er nicht einen anderen Stüßpunft feiner Unabhängig-
keit fand, der Hinterſaſſe ſeines Schugherrn, dem er zum
Reichsdienſte fteuerte; nur der Heerbannpflichtige und der
Dienftmann hieß fortan Miles oder von der Weiſe des
Heerdienſtes Ritter. ALS fich erft pas neue Syſtem ber
Berfaffung im Laufe von drei Jahrhunderten völlig aus-
gebildet hatte, war es der fchußpflichtige Landſaſſe nebfl
tem Leibeigenen "und anderen unfreien Hinterfaffen allein,
auf den man die Kaften ter bürgerlichen Gejellichaft wälzte“.
(Eichhorn St. und Reich. 2, $. 223 a. E.) Aur in’ ſehn
wenigen Gegenden blieb die alte Berfaffung, 3. B. in dem
Gebürgen von Helvetien, wo fich zu Anfang des vierzehnten
Jahrhunderts noch die Reſte der alten Berfaffung zeigten,
und die Verſuche des viterreichiihen Hauſes, die Neil
vogtei zu- dem zu machen, was fie an antern Orten ges
worden war, der Schweizer Eitgenojjenichaft ihre Ext-
ftehung gaben. Derf. daſ.
Man kann e8 beflagen, daß jene deutſche Urverfaffung
untergegangen ift, aber man muß m. ©. anerfennen, Daß
ed die äußeren Berhältniife waren, die ihren. Untergang
nothiwendig berbeiführten. Noch Heinrih I. mußte den
Ungarn Tribut zahlen, und wenn uns zu feinem Sieg bei
Merjeburg und Otto's I. Sieg am Lechfeld die Umgeftals
tung jener Berfaffung verholfen und unjere nationale Selbſt⸗
ftändigfeit erhalten bat, fo wird dieſe Umgeſtaltung bei
Billigdenkenden wohl nicht bloß Tadel verdienen, wie denn
überhaupt das geſchichtlich Nothwendige wohl bevauert,
aber nicht geändert und nicht getatelt werden kann. Der
Zabel hat überall nur das Willfüuhrliche zu treifen.
Auch tie neue Kriegsverfaſſung, der Kriegsdienſt ber
Bürger und der Ritter hat feine Zeit gehabt und ijt wieber
untergegangen. Kaijer Magimilian war der letzte Ritter umd
der erite Lanzknecht; feit jeinet Zeit datirt das Syſtem
des geworbenen Heerd. Auch bier könnte man bebauern
da8 Ende der „fühen Lehnspflicht, Mannestreue, alter
Zeiten fichered Licht“, aber nicht anders, dächte ich, alß
wie man etwa bedauern Tann, daß der Menich nicht immer
jung bleibt. Er wird eben unwiderſtehlich alt, und eine
Zhorheit wäre e8, eine ſolche unmwiderfiehliche Nothwendig⸗
feit tadeln zu wollen. Seit dem weitphäliichen Frieden
283
zund namentlich feit dem vorigen Jahrhundert hat ber für
Die jedesmalige Kriegszeit geworbene Soldat dem conferis
Bierten ſtehenden Heere Platz gemacht und felbft in Eng⸗
Jand, das noch jetzt das alte Syſtem der Werbung bat,
Weinen Anzeichen ſeines Schwindens vorzulommen.
Kehren wir zu unferen Heerwagen zurüd. Sie haben
ſich Durch alle Veränderungen des Kriegsſyſtems, erhalten,
umd find noch heute als Landfolgedienſt in den Fuhren,
Vorſpann, Reitpferden für das kurheſſiſche Militär und
frembe Truppen, melchen der Durchgang durch bie kurheſ⸗
fichen Lande geftattet ift (Gefeg vom 31. Oct. 1833 5.1.
Rr. 1.), wenn aud) in der heutigen Verfaſſung des Kriegs⸗
weſens entiprechender Weife mobiflcirt, wieder zu erfennen.
In uriprünglicher Weife geleiftet finden wir die Heerwagen
bei dem Linzer Zug 1474 und dem Zug vor Volkmarſen
1476. Die einjchlagenven Regifter bat Hr. Dr. Landay
©. 326 ff des erften Bandes unferer Zeitfchrift mitgetheilt.
Die Dörfer hatten zu dem Linzer Zug 459 Wagen geftellt,
das Regilter enthält nur die dem Landgrafen Heinrich zu⸗
gehörigen Gerichte in Oberheſſen nebit Iriedewald, Bach,
Breidenbach und Schmalkalden, da Niederheflen den Söh—
nen Landgraf Ludwig II. gehörte. Dreißig Jahre fpäter
Iommt die Naturalleiftung der Heerwagen wieder bei dem
Zuge Wilhelms II. 1504 gegen den geächteten Kurfürſten
Rupprecht von ver Pfalz vor. In dem Würtembergifchen
Geldzuge 1534 ging Landgraf Philipp mit 2000 Wagen
(Zauje 1, 229.) oder wie e8 bei Eftor (Kuchenbeder annal.
8, 255) heißt: einer großen Zahl Heerwagen der Bauers⸗
leut, cf. Hoffmann Kriegsſtaat S. 248. Achnliches if in
den Acten des Kammerarchivs über die Feldzüge von 1545
und 1546 gegen Braunſchweig und ven Kaiſer aufbewahrt,
dergleichen rücjichtlich der Feldzüge von 1631, 1632 und
1635 gegen Tilly und die Kaiferliden, 1657, 1662 zu
Damals flattfindenden Durchmärichen, ebenſo als 1872 bie
Braudenburgiichen Truppen nach bem Rhein zogen. In
284.
1676 zu dem Zug nad Philippsburg wurde flatt der ge⸗
forderten Pferde und Heerwagen eine billige Geldtaxe aus⸗
gefchrieben, 1677 erhoben und in den Amtsrechnungen be=
rechnet. Ebenſo 1684. Im Jahr 1741 beantragte Die Rent⸗
fammer, ftatt der Damals zum Oeſtereichiſchen Succeffiong-
friege wieder einzufordernden Pferde und Wagen, gleichtvie
in 1684 gejchehen, ein Geldäquivalent von den Verpflichteten
einzuziehen. Seitdem ergeben die Acten über eine Natural
Yeiftung der Heerwagen nicht mehr und das Gelbäguis
valent fcheint, da e8 nicht in allen Amtsrechnungen vor⸗
fommt, mwenigftens nicht überall den Namen Heerwagengelb
geführt zu haben. Uebrigens ift die urjprünglich nur zu
Kriegszwecken beftimmte Leiftung fchon im 16ten Jahrhun⸗
dert theilweije in Leiftungen anderer Art umgewandelt, fo
3. B. 1568 ein Theil der im Oberfürftenthum zu ftellenden
Heerwagen in Meß- und Wein» und bergleihen Fuhren,
deren 8 jährlich ſtatt eines Heerwagens geleiftet werben
ſollten.
Während ſo die gemeine Laſt der Heerwagen unter
den Landfolgedienſten überhaupt, reſp. in der Contribution
und anderen Ähnlichen gemeinen Landeslaſten aufgegangen
ift, bat fie fich in anderer Form, nämlich als eine auf be=
flimmten einzelnen Gütern ruhende Reallaft weit länger
und bis auf die neuefte Zeit *) erhalten. Auf dieſe bezieht
fih die Grebenorbnung von 1739 Tit. 31 pos. 16:
„Wo Heerwagen oder Sreipferde gehalten werben,
feynd folche bei Vorfallenheiten zu ihrem jchuldigen Dienfte
zu beitellen, und deßhalb eine abjonderliche Defignation
*) Als ein Heerwagengeld, — In einem Kammerbericht vom 11. Oct.
1741 iſt geiagt, daß gewiſſe Pferde und Heerwagen won den Unter-
tbanen in Anjehung ihrer inhabenten Gütern präftirt werden müſſen,
und daß e8 der Herrfchaft freiftehe, außerdem bie Nothdurft an
dergleichen Pferden und Wagen auf bie Stäbte und Aemter nach
Gutfinden zu repartiren und ein billiges Quantum extraordinarie
zu erheben,
285
von den Gütern, jo dergleichen hergeben müſſen, bei den
Aemtern einzugeben *)r. E
Wie bereitS oben erwähnt worden, wurde der Heer⸗
bannsdienſt unter Die pflichtigen Wehrfeften refo. ihre Güter
jo vertheilt, daß der eine perjönlich, der andere allein oder
in Gemeinſchaft mit anderen durch Stellung von Wagen,
Pferden und Knechten diente. Die Güter, von denen ber
Dienft perjönlich geleiftet war, wurden, nachbem bei ver⸗
änderten Kriegsiyftem der perjönliche Dienft aufgehört hatte,
dafür mit anderen Dienften und bäuerlichen Laften zuges
dedt. Die anderen dagegen, welche üblicher Weile den
Dienft nicht perjönlich, fondern durch Stellung von. Wagen
und Pferden ıc. gethan hatten, behielten zwar auch jet
dieſe Laft, aber anderer Seit8 auch ihre feitherige- fonftige
Dienftfreiheit, und man hatte daher infofern Recht, als
man in Weftphälifcher Zeit Daß Heerwagengeld als Surs
rogat der Kriegsfuhren anfah, und die Kammerdeputation
im Jahre 1815 darin ein Yequivalent für die genießenbe
Steuer- und Eontributiongfreibeit erblidte. Eine ähnliche
Anfchauung finden wir ſchon in den Salbüchern. So z. B.
im Homberger Salbucdhe de 1537 f. 118 heißt e8: „Ges
melte Wüftung Rückersfeld ift dienftfrei; [ondern müflen,
jo e8 die Nott erfordert, zum SHeerzuge '/, Wagen oder
2 gute Pferde an die Büchfen ſpannen sc., ebenſo zwei Hufen
zu Sipperhaufen, die dem Probft zu Sohannisberg gehör⸗
ten und bienftfrei waren. Dagegen foll er (der Hofmann)
jo oft von Nöten ein Pferd ane Entgeldnus vor die Büch-
jen fpannen und vor die Weinfuhre 2”. Bon einem Frei⸗
hof Der Univerfität Marburg im Gericht Caldern heißt es
im Salbuch von Caldern de 1592 S. 69b., daß derſelbe
‚ *) In den Defignationen gejchieht zunächft ber allgemeinen Pflicht
Erwähnung: Da u. g. 5. u. 9. zu Feld zeucht, gepürt Dem ganz
zen Amte nach Gelegenheit die Wagen zuthun. Daneben werben
bann aber die beſonders zur Stellung von Heerwagen unb Pferden
verpflichteten Güter aufgeführt,
Band. VIII. 19
288
dieſerhalb frei fei, weil er in Seerzligen mit zwei Pfer-
den vorfpannen muͤſſe. Der Hof Lembach mußte „vor (ftatt)
feinen Dienft“ einen guten Klepper dem Haus Ziegenhain
halten, welcher hauptfächlich zur Bolt gebraucht wurde.
Lennep Landfievelleihe S. 70. jagt daher: »Alio sensu
feuda franca forsan dieebantur,, welche von gemeinen Frohn⸗
dienften frei waren, fondern Heerivagen oder Freipferde hal⸗
ten mußten“.
Schon oben habe ich die Vermuthung geäußert, daß
bei der Repartition der Heerbannsdienfte vorzugsweiſe den
geiftlichen Gütern die Heerwagen ftatt des perfönlichen
Heerdienfteß zugetheilt fein möchten. In der That find eg
ganz beſonders die bienftfreien Güter der Klöſter, deren
Hofleute den Heerwagen zu ftellen haben, in dem Maße,
daß e8 bie Salbüder ausprüdlich zu bemerken für nö—
thig halten, wenn ein Klofter, wie z. B. Heyda, Weißen-
fein, Carthaus' Vacha feine Heerwagengelder zahlen oder
Heerwagen ftellen. Manche Schriftiteller, 3. B. Lang bi-
ftoriiche Entwidelung der deutichen Steuerverfaffungen ©.
53., find fogar der Meinung geweſen, e8 ſei eine befon-
dere Schuldigkeit der geiftlichen Stiftungen und Klöfter ges
wejen, den Heeriwagen anzujchaffen,. bereit zu halten und
bei Kriegszügen mit eigenen Pferden und Sinechten trans-
portiren zu laſſen. Bon Kloftergütern wird in unfern Sal⸗
büchern als pflichtig gedacht: das Harbehäufer Gut zu
Mönchehof *), ferner Hachborn **), Caldern ***), Brei-
*) Diefer ift „Freidorf“, weil er feine Dienfte, als nur zum berrfchaft-
lihen Vorwerk, Wegebau, dgl. Kriegsdienfte zu verrichten ſchuldig
iſt. Kopp Geſch. 1, 316.
+) Die mit dem Kloſtergut beliehene Familie Scheuernſchloß zahlte jähr⸗
lich ein Aequivalent von 40 Efl. a 26 Alb. Ebsdorfer Salbuch
1592 ©. 142,
”r) Salbuch des Gerichts Reitzberg. 1592 fol, 12, -
287 -
tenau *), Haina **), Safungen **), dag Stift zu Roten-
burg HD, Hödelheim in der Herrichaft Pleſſe ++) ꝛe. Der
beutiche Orden ftellte vom Gericht Gosfelden einen Heer-
wagen, der ftatt wie gewöhnlich vierfpännig, mit ſechs
Pferden und drei Knechten verjehen war, aber nur zu Heer⸗
zügen im Umkreis vun 14 Meilen ++). Auch Pfarrgüter
3. B.-da8 zu Schachten, zu Schrecksbach, zu Gladenbach
finden wir heerwagenpflichtig, und der Pfarrer Schleicher
zu Hofgeiömar ift wegen eineß freien Schafpfirchs der Herr⸗
ſchaft ein gerüſtet Pferd und Harniſch auf Erfordern her⸗
zugeben ſchuldig.
Unter den mit Leiſtungen dieſer Art beſchwerten ad⸗
lichen Höfen begegnet man ben Höfen’ ver Riedeſel zu
Wittelsberg, v. Weihe zu Heiligenrode, zehn v. dal⸗
wigfihen Hufen zu Niedervorfhüß, eben fo viel Hufen der '
Hund zu Mebe u. ſ. w. Bürgerliche Freigüter, welche
Heerwagen ftellten, waren unter andern das Schefferiche
Gut zu Hattendorf ohnmweit Marburg, welches Landgraf
*) Zwei Hofleute zu Büchenwerra ftellen von 4 Hufen 2 Wagen mit
. 2 Pferden und 1 Knedt.
**) Nach dem Homberger Salbud de 1535 f. 47b Hat bas Haus ein
Fürwerk zu Varna, genannt der Zehenthof, davon ſoll das Haus
Haina laut des alten Regiſters u. g. F. u. H. einen halben Heer⸗
wagen, ſo oft von Noiden, einen Gaden uff dem Kirchhoff halten
und dartzu dem Dorff Verna einen Schelen (Beichäler ?), einen
Ochſen und einen Beren zum Vieh halten. — Auch zu Lenborf
müffen 12 Hainifche Hufen einen Heerwagen und dem Dorfe einen
Ochſen und Behren fiellen. fol. 163.
*"#) Da u. g. F. u. 9. zu Velde zeucht, geburt ber Vogtei mit mann⸗
Ichaft und wagen nach gelegenheit der fach zu volgen.
7) Hat ein Gut zu Mediar, welches bienftfrei gehalten wirb, doch
nach Bericht der Alten, fo ift ein jeber Hofmann, fo uff ſolchem
gut wonet, ſchuldig, wenn es von nöten, 4 Heerwagen zu thun.
74) Zu dem hat das Haus Pleß andere Gerechtigkeit herbradht, und
fonderlih das Klofter zu Auffarthen und Heerzügen Einen Wagen
der Herrſchaft thun laſſen.
tr) Vgl. Rommel, 3, 136.
19*
288
Philipp 1535 zu Gunften feines Kanzler Beige, des da=
maligen Befiger8, vom Heerdienſt befreite, ſodann das |. 9.
Eorreariusiche Freilehn zu Velmeden, deſſen Befreiung vom
Heermagen 1644 die Landgräfin Amalie Elifabeth zu
Gunſten des Ober-Salzgräfen Elia Eorrearius anordnete.
Die meiften derartigen Höfe ftanden der Landesherrichaft
ſelbſt zu und wurden von ihr auf Erbleihe ausgethan und
in den Erbleihebriefen ift die Laft bis auf Die neueſte Zeit
vorbehalten woͤrden. Solche Güter waren beiſpielsweiſe
in Dörnhagen, Guxhagen, Körle, Wollerove, Schwarzen-
berg, Dagobertshaufen, Obermelfungen, Heydſtadt, Feh—
renberg, Ludenhaufen und Elwerſen im Amt Grebenftein,
Berge, Schwerzelförth. Im Amt Raufchenberg mußten
wegen ihrer Dienftbefreiung 6 Höfe Vorſpann zu Heerwa⸗
gen thun.
Sch bezweifele nicht, Daß wir bier überall folche Güter
vor und haben, welche mweiland heerbannspflichtig und als
ſolche dienft- und fteuerfrei waren, die mit Beränderung
des Heerſyſtems eintretenden Veränderungen der Belaftung
aber überbauerten und fpäter theilweife aus den Händen
ihrer urfprünglichen Inhaber in Die des Adels und der Lan
beöherrichaft gelommen find.
Ein Eorrelat zu den Heerwagen bilden die Freipferbe.
Auch fie ruhen auf beftimmten Gütern. Wie fie in noth=
wendiger Verbindung mit der Dienftfreiheit gedacht werden,
geht am deutlichſten aus folgendem Eintrag im Gaffeler
Salbud de 1582 S. 356 herror:
Bolgenden Greffen im Ampt Caſſel gepurett Jederm,
Unjerm ©. 3. und Herrn ein Pferbt, Darauf man zu Der
notturft Koch, Schenken, Beder und Botten, wann u. 9.
3. u. H. der Bedarff, *) beritten macht, darzuthun. Dar
gegen feindt Ihre Huben und Gutter des fahrenden Dienfts
”, „Es haben fi aud zu Zeiten ber Hofmetzger bei der Schafzahl
ber bedient,” Heißt e8 an einem anberen Ort.
289
gefreyet, und fo der Pferbt eins oder mehr verderbet wurke,
fol man den Greffen folches nach zimblichem Werth be=
zahlen, und feinbt dies die Grefenn, fo die Pferbt zu thun
ſchuldigk ꝛe. (folgen 8 Greben). Es fcheint hiernach, als
ob diefe Pferde nicht von beftimmten Freigütern, fondern
von den Greben für ihre Perfon geleitet, deren Güter aber
zeitweile von Fahrdienſten gefreit feien; in einer anderen
Nachricht heißt es, fie müßten fie „gegen ‚ihre gefreyten
Suben“ halten. Im Salbadh des Gerichts Lohr v. 1592
©. 86b fteht: Item e8 muß auch bemeldeter Sud (zu Fron⸗
Haufen) neben anderen Jüden im Fürftentfum U. ©. 8.
u. 9. ein frey Saul halten helfen.” Natürlich war für
die Juden eine Dienftfreiheit ihrer Güter nicht möglich,
Da fie keine hatten, und fie find es, an denen man gelernt
bat, Steuern auf Perfonen zu legen, während ber ganzen
Grundidee des deutichen Rechts nad) das Gut allein die Le⸗
gitimation des Rechts und dem entfprechend auch der Laft
bildete. Die Juden waren „arme Leute» im Sinne ber
deutichen Verfaſſung, Knechte, Die man toleriren und halten _
durfte. Sin demjelben Gericht müfjen auch die Müller mit
1 Karren und 2 Pferden für infpannen gewärtigt fein, im
Jahr 4 oder 5 Mal nad) Ziegenhain, Raufchenberg, Gießen
oder fonft. Daneben hat das ganze Gericht ein Freipferd
zu ftellen.
Diefe Freipferde waren urfprünglih auch Die zum
Heerbann erforderlichen; im Jahr 1647 wurden ſämmtliche
Freigreben der 3 Caſſeler Aemter aufgeforbert, „ihre Frei-
pferde hinwieder wirklich zu fielen" und 1633 als Land-
graf Wilhelm V. nach Baberborn und Münfter z0g, mußten
fie vor den Wagen ſpannen, worin des Landgrafen Feld⸗
baͤcker nachgeführt wurden. Wo die Freipferde nicht aus⸗
reichten, wurben, wie ſich aus einem Reſer. de8 ©. R.
an die Beamten zu Spangenberg vom 5 Dec, 1703 ergibt,
aus den Aemtern Pferde zum Kriegsdienft ausgenommen,
billigmaͤßig taxirt und diefer Preis auf das Amt repartirt,
290
mithin damit der Eigenthümer bezahlt. Nachher, wenn die
Pferde nicht mehr zu Laufen nöthig, wurden fie verfauft
und der Erlös dem Amt wieher erjekt.
Sehen wir am Schluffe unferer . Betrachtung noch
ein Mal zurüd, fo finden wir am E., daß Die ältefte ftaats
liche Pflicht die Heerbannpflicht und das älteſte ftaatliche
Element der Heerbann war, daß das deßhalbige Syſtem
aber durch das das Mittelalter beherrſchende feudale Wehr-
ioftem und vom 16 Jahrhundert an durch dad Werbiyiten,
dem erſt feit faft einem Jahrhundert nad) und nad) das
der Eonfeription gefolgt ift, verdrängt wurde. Ein jedes
diefer Syfteme bildete fich feine eigene Organifation, Sp
ift denn unfere heutige Aemter⸗- und Gericht8eintheilung
auf entichieden flaatliher Grundlage nad) ganz anderen
Principien geftaltet, als e8 die vor 1821 war, Die eine
Eintbeilung nad) dem Dienftwejen und zwar nicht nach dem
Heerdienft-, jondern dem ftatt deſſen eingeführten Bauern
dienſtweſen war, bei dem die alten Gerichtd- und Greben-
ftühle, die Theile, Haufen ıc. Unterabtheilungen der fo zu
fangen Guts-Dienſt-Aemter waren. *) Es fcheint mir
glaublich, Daß dieſes Product des Gutsdienſtſyſtems nicht
älter als das Syſtem felbjt und Die Heerdienſt-Aemter,
wenn e8 deren gab, ganz andere Bezirke waren, für beren
Reconftruction ung noch der Anhalt fehlt. —
* Wir brauchen nur in Engelhards Erbbeichreibung zu fehen, um
den uns auffallenden immer wieber kehrenden Unterſchied zwiſchen
Stadt und Amt zu bemerken. Das Amt ift ein herrſchaftlicher
Dienft-, Zins-, Zehnten- 2c. Bezirk, in den die Stabt nicht paßt,
da fie feinen bäuerlichen Dienft thut.
6
291
XII. J
Die Schlacht bei Kalefeld.
Mitgetheilt von Dr. Landau.
Die Schlacht bei Kalefeld wurde bekanntlich am 21.
Oktober 1545 zwiſchen dem Landgrafen Philipp von Heſſen
und dem Kurfürſten Moritz von Sachſen gegen ven. Herzog
Heinrih d. J. von Braunſchweig geichlagen, und die un-
mittelbare Folge war: die Ergebung des Yebteren an den
Zandgrafen Philipp. Einen umftändlichen Bericht über
die Schlacht und über das, was berjelben unmittelbar
voraußging, gibt Lauze im Leben Philipp des Grof-
müthigen (I. Suppl. dieſer Zeitfchrift. Bd. II. ©. 23 ff. ).
Ich bin nun aber im Stande, auch noch den Bericht
eines ber angejehenften fächfiichen Befehlshaber mitzuthei>
len und zwar gerade deſſen, ber einen jehr thätigen An
theil daran hatte. Es ift Died der Hauptmann des fächft-
hen Fußvolks Wolf Tiefitetter, derſelbe, der auch bei
Siever8haufen befehligte und unter denen fich befand, welche
das Todtenbett ihres Fürften, des Surfürften Moritz, um⸗
ftanden. Tiefftetter berichtet nämlich eigenhändig:
„Erftlichen fendt mir mit vnſers gn. H. Herzog Mo—
rigen Neittern vnd Knechten bey Göttingen, ain Meyl Wegs
von der Landgrafen vnd des Churfürften Leger, vber Nacht
gelegen *), vnd alba auf den Morgen, fo den 17. Dag
Octobris geweft, fortgerudt, vnd vnſer Leger in ain Dorff
geichlagen, jo etwan ein Feldtſchuß von der Landgrafen
Leger geweſt **), vnd auf 18. dito ift Herkog Heinrich mit
*) Radolphshauſen an der Straße von Gieboldehquiſen nach Göttingen.
Das ſächſiſche Heer fam über Mühlhaufen.
*®) Lanze fagt „bis an bie Landwehr zwifchen Nordheim und Wien“.
Meint er unter leßterem Weende, wie es auch von Rommel ver-
292
feinem Kriegsvolckh Tomen, und gewaltig auf den Land—
grafen und Churfürften tzwgezogen, fein Schlachtorbnung
gemacht, al8 wolle er vnß fchlagen, fo er an einen Berge *),
fo tzwiſchen vnßer atn Grund geweit, darinne ain Dorf **)
gelegen, vnd ain Waffer ***) darinne hingefloſſen, jo nun
Hertzog Heinrich daffelbig Dorf und den Grundt eingenom-
men, vnd den ganken Dag inen gehabt, fo nun meins gn.
Hrn. Hertzog Morigen Rette und ded von Braunjchweig
Rette, hin und wieder geritten und Sprach gehalten, dan
jme dem Braunfchweige auf diegmahl mein gn. Hr. Her-
bog Mori noch nicht abgejagt gehabt; aber gleichwohl
befalch mir mein gn. Hr. Herkog Moritz, ich folte meine
Schützen und Lauffer nemen, vnd follte hinundert in das
Dorf Hiehen, vnd follte fehen, ob ich fie möchte aus dem
Dorf weghdreiben vnd einnemen, als ich nun thet, tziehe
hinunder und dreibe fie alle hinwegkh bis an ihr Schlacht-
ordnung, indem ſich nım ein Geſchwader Reitter von einem
Derge in Grundt binunder thet, vnd wolte vns vortziehen
vnd ſchlagen.
| Indem ſchickte mein gn. Sr. vnd der Landgraf zw
mir vnd laſſen mir ſollichs anbeigen, das ich abtziehe, dan
wir weren all erjchlagen worden, indem wurde ich ber
Reitter gewar, die huben auf mich Bw, indem zoge ich mit
den Schügen abe, vond name das Dorf vnd die Häufer
ein, das ich auch ine behielt, und auch etlicher Braun-
jchweigifchen darüber belieben vnd erfchoffen wurden; da
ſchickt der Landgraf tzw mir und lies mir anteigen, ich folte
fteht, fo ift Die Ortsbeftimmung etwas gar zu unflcher, denn zwi⸗
jhen beiden Drten Tiegt ein Raum von 2 Meilen. Es ift aber
unzweifelhaft die Lanbwehr zwiſchen Hillerje und Höckelheim.
*, Der Eichelberg zwiſchen Hillerfe und Höckelheim.
“r) Das Klofter und Dorf Höcelheim.
**0) Wahrſcheinlich ift der nördlich an Höcelheim voriiberfließende und
in bie Leine fallende Moorbach gemeint, welder von Moringen
berablommt, Die Leine ſelbſt kann es nicht fein,
293
weitter mit jmen nit fcharmugeln, wo fie halten wurden,
wurden fie aber nit halten, wufte ich mich ber Gebur wol
gw halten. Darbey e8 auf den Tag aljo belieben vnd zu»
gen tzw beyder Partheien in die alten Leger vnd der von
Braunſchweig begert mit meinem gn, Hrn. Herkog Morigen
Sprach zu halten; auf den 19. dito beſchid mein gn. Hr.
den von Braunſchweig in ain Klofter*), jo zwiichen beider
Leger (hey Northeim gelegen) und dem Hertzogen von Munden
tzwgehoört, alfo befalch mir mein gn. Hr., ich folte (mitziehen)
mit 200 Schüßen fampt den Schüßenfanen, mit Reittern.
Alda mein gn. Hr. und der von Braunfchweig dm Hauff
kamen, vnd mit fampt feinen Retten vnd etlichen Graffen
vom Hart, und fo mein on. Hr. bey fich hatte, vnd ich
auch in dag Kloſter hineinrytt und die Schützen und Reitter
gleichwol auf einem Ort halten blyben. Alfo huelt mein
gn. Hr. dem von Braunfchweig für, das er die Feftigung,
fo er dieſen zwg hette eingenommen, jren Genaden wolle
aufgeben, alsdan wolte der Landgraf vnd der Churfürft
die Feſtigung und das Land, fo fie noch Innen betten, auch
jren Gnaden aufgeben, vnd alsdann folte der von Braun⸗
ſchweig Derffen komen, vnd alba da8 Land jme vberant>
worten, vnd einen Fryden alda (wie fich gepürt) gegen
einander verfchreiben, fo er mit fampt feinen Retten nicht
bett wollen annemen, vnd Darauf tzwr Antwort gegeben,
was er mit dem Schwert (jo ja vor Got fein ift) gewun-
nen babe, Das wolte er behalten, wo aber der Landgraf
die Feſtigungen, fo er jnen hette, wollen aufgeben vnd
meinem gn. Hrn. pberantiworten,. da8 er tzwfrieden, jo ſollichs
ber Landgraf auch nicht bat wollen thun, vnd alfo ift es
auf den Tag beliben vnd ſendt wider von einander ge-
tzogen. Auf den 20. dito da ift mein gn. Hr. mit feinem
Leger in des Landgrafen Leger gerudt, und alda benfel-
bigen Dag ſtill gelegen. Da ift berabtichlagt worden, das
*) Wiebrechtshaufen an der Straße von Norbhein nah Seeſen.
294
man in der Nacht mit etlichen Schuten vnd Reittern, auf
were, vnd in der Nacht den von Braunichweige vberfielle,
dan mir heiten die Kundſchaft, wie das er ein Landwere
innen hette, vnd wann ihm dieſelbige abgedrungen und ein-
genommen wurde, jo were er fchon geichlagen. Alſo gebe
mir der Landgraf 1000 Schügen tzw, deſſelbengleichen Jor⸗
gen Wachtmeifter, jo meines gn. Hrn. Diener ift, zwey Ge-
ſchwader Schüten Bw, vnd befalh uns, Das wir in ber
Nacht aufmwerert und fehent, das wir die Landivere *) ein-
nehmen möchten, aljo zuche ich und Wachtmeifter mit den
Schüten und Neittern den 21. dito in der Nacht fort und
pberfielen die, und ftechen die von jrer Wacht und auß der
Landwere hinwegh, vnd wir behalten Die Landwör innen,
bi8 der Landtgraff mit dem ganten Haufen hernachlame,
vnd mir auch waydlich mit ainander fcharmußletten, auch
mein gn. Hr. felb8 darbey war. Indem zeuch ich mit den
Schützen auf einen Berge **), fo auf der rechten Hand
vber der Landwöre ligt vnd inn denjelben ein, dan wan
fie denjeldigen Berge heiten innen behalten, jo hetten fie
vns aus der Landwöre hinauß Tonnden fchießen, vnd ſich
auch ain Geſchwader Reitter von dem von Braunſchweige
hervber thette, vnd mit vns vberaus wol traffen vnd ſich
erlich hielten, vnd die Vnſern mit dem Schutzenfanen in
die Landwöre hinein flachen, darvber viel Pferdt, vnd et—
liche Perſonen erlegt vnd vmbkomen, das nun genueg waren,
indem entſentzt CD man nun balde, vnd triebe fie wider
tzwrukhe vnd die Landtwöre nach jnen behielt. Indem nun.
ber von Braunfchweige fein Schlachtordnung macht, des⸗
gleichen ber Landtgraff mit dem Geſchutz und dem gangen
“ Es iſt dies die eine Viertelſtunde ſüdlich von Kalefeld hinziehende
Landwehr. Man ging -alfo in der Nacht über Die Leine und Ruhme
wahrjheinli neben Nordheim hin; man fchlug über die Ruhme,
alſo jenfeits Norbheim, eine Brüde, auf der das Heer den Fluß
überſchritt.
»c) Der Bierberg auf ber öſtlichen Seite der Landwehr.
295
Saufen hernachkam, vnd alfo vor ber Landtwer hieldt vndt
Radt nemen, ob es nicht Bw thun were, das man bie
Landtwere niederhube und das Geſchütz darein richtet, das
man mochte hin und vberziehen, dartzw mir dan all ver⸗
willigt, die er fraget, das es wol tzw thun were. Indem
ließ die Bauern die Landtwere niderhawen, vnd an fünf
Orten gezogen, vnd das Geſchütz gericht, vnd fie in freyem
Feldt ongeſchantzt aus der Ordnung weghgeſchoſſen, vnd
die Ordnung getrennt. Indem der Hertzog von Braun⸗
ſchweig ſeiner Rette tzwen mit einem Trummeter herfur
geſchickt, vnd begert mit meins gn. Hrn. Rette Sprach tzw
halten; jo nun mein gn. Hr. ſollichs dem Landtgraffen ans
Baigt, Darauff jme ber Landtgraff antwort, er möchte fprechen,
e8 gienge jn nit an; wie das fie (die Rete) Sprach
hielten, da zaigten fie an, wie das fie von dem von Braun
ſchweig hergejchidt weren, vnd er were vrbiettig, daß er
alle die Artidell, jo tzwiſchen jm vnd Herkog Morigen ven
19. dito im Klofter gehandelt werendt worden, das wollte
er annemen, vnd wolle alls dasjenig thun, was der Landt⸗
graf begert. Sollichs zaigt mein gn. Hr. dem Landtgrafen
an, der Iang-nicht wolt und im Handeln jmerfort zoch,
al8 wolt er mit jm fchlagen. Vnd mein gn. Hr. jme an-
hielt, darmit da8 er barbey belyben, dan e8 were ain groß
Blutvergiffen tzwiſchen bayden Parteyen gejchehen, vnd alba
viel erlicher Leut geweit ſendt. Indem ſich nun der Landt⸗
graff demutigett, zeugt meinen gn. Hrn. an, wo er fid
geben wolte, jo woldt er jnen tzw Genaten aufnemen, er
were jm fo feindt nicht, ſondern denjenigen, die er bey jm
hette, die mieften gefchlagen fein. Alfo fehiett mich mein
gun. Hr. und Hans von Schonburg, fo im Ungerlant mein
Fendrich ift geweit, tzw Hertzog Heinrich hinvber und zaigten
im folich8 an; da rudet er aus der Ordnung kw meinem
gn. Hern herauß vnd zaigt meinem gn. Kern an, er wolte
fich geben, vnd er wolte gern jelb8 mit dem Landtgraffen re=
den, Alſo rit mein gn. Hr. tzw dem Landigraffen für die
296
Ordnung bin, und Tieß mich vnd den Hanſen von Schon⸗
burg bey dem von Braunfchweig halten. Aljo rit der von
Braunſchweig zum Landgraffen Hin vnd rebet ſelbs mit jme.
Da wolts der Landtgraff noch immerfort, vnd wolt
ſein Leut ſchlagen; da war mein gn. Hr. vnd bat den
Landtgraffen ſo ſeer, das ers nicht thun wölle, vnd der
erlichen Ritterſchaft daran ſchonen, fo er bey jme hette,
dan e8 weren vill ehrlicher Leut darunder vnd fchab were,
das mans folten fehlagen, dan man den Türcken darmit
ſchlahen fol. Alſo fchielt der Landtgraff mich vnd Jörgen
von Saltzburg kw ben Reuttern bin vnd Tieß jnen Durch
vns antzaygen, das fie gedendhen und Die Fendlen von-
den Stangen herundert reyßen, vnd fich von ainander thuen;
wurden fie fi) aber wider zwainander thon, vnd er fende
fie wider beyainander, Dan er wölle jnen nachhiehen, fo
jolten fie nicht anderft gedencken, dan er wolle ſy jchlagen.
Sp nun die Knecht, weyl man mit denen Reuttern handlett,
nad) Gandersheim *) Kiehen vnd das Geſchütz mit fort-
bringen, fo ift der Landtgraff den 22. dito frue im ber
Nacht auf und Tumpt fie im Feld an, als wolte er fie.
ſchlagen; da gaben fie die Fendlin, das Geſchütz vnd al
Kriegsriftung dem Landtgraffen auf, und die Hauptleut
vnd andere mer, ſo darbey geweſt, die verſtrickt er in feine
Hand, und nam fie tzw Gelub auff. Darnach ſchickt der
Landtgraff' Serkog Heinrich mit fampt feinem Suhn, Her-
tzog Karle, nach Kaffel. Was weyter daraus will werben,
das will ich num gern fehen, dan es ift ein Kriegsvolk beyain-
ander geweft tzw bayden Seytten, deßgleichen ich mein Le—
benlang nit gefehen habe, vnd fonderlich Hertzog Heinrich,
ber hatt eytel anßgeklaubte Knecht, bis in 12000 ftarkh,
beögleichen 3000 iwolgerifter Pferbt, fo ich mein Tage, ſo
mir vnd er gehabt haben, nit böfter Gunft gefehen habe,
und ich hette Sorg gehabt, wan mein gn. Hr. mit feinen
) Gandersheim Tiegt nur 1 Meile nörblih von Kalefeld,
297
Reuttern vnd Knechten nit gethon heite, jo were er bem
Landtgraffen und Churfürften als ftark genug geweft, vnd
er hette den 18. dito mit vns geichlagen, aber er hatte
ein Schewen ob meind gnedigen Herrn Reuttern vnd
Anechten.«
Wolff Dieffftetter.
XI.
Aktenſtücke
über die große Bewegung im deutſchen Adel
in den Jahren 1576 ꝛc.
Mitgetheilt von Dr, Landau,
Die eigentliche Landeshoheit liegt in der Schaffung
einer Obergewalt über bi8 dahin unabhängig geweſene Ge—
walten, in der Gründung eines Rechtes, welches noch über
dem Grafichaftsrechte fand. Wer alfo am fchwerften das
durch berührt wurde, war ber Adel aller jolcher Gegenden,
in welchen ſich ein Landſaſſiat nicht ausgebildet hatte, und
der darum auch feinen andern Herrn al® nur den Kaiſer
über fich anerfannte. Wenn auch nad) der Natur der Dinge
die Landeshoheit fih nur ſehr allmälig, nur Schritt für
Schritt ausbildete, fo mußte fie Doch, bier früher, dort
fpäter, je nach den obwaltenden Berhältniffen, auf Wider-
fand ſtoßen. Dies ergibt auch die Geſchichte des erften
Bierteld des fechszehnten Jahrhunderts in mannigfachen
Thatfachen, vor allem in der Erhebung des edlen Franz
von Sickingen. Es war auch keineswegs fein Untergang,
welcher die Bewegung des Adels gegen die Fürftengewalt
hemmte, was dieſelbe ins Stocken brachte, war vielmehr
der verwüftende Aufftand der Bauern. Bald nach deſſen
Bewältigung beginnt der Widerſtand der Nitterfchaft von
Neuem fich zu beleben. Es zeigt fich aber noch Teine Ei-
298
nigung ,‚ wenn auch einzelne gewaltige Erjcheinungen, wie
3. B. in Wilhelm von Grumbach, herwortreten. Eine folche
Einigung über weite Gebiete, eine wirklich organifirte Ei»
nigung, man Tann fagen eine Verſchwörung, wird erft 1576
bemerflih, und erſt da beginnt fich ein über den größeren
Theil von Deutjchland ſich ausdehnendes Netz zu fpinnen. So
bedeutungsvoll und jo gefahrbrohend indeß dieſe Verbrüde—
rung auch erſcheint, ſo iſt dieſelbe auffallender Weiſe doch bis
jetzt in der Geſchichte gänzlich unbeachtet geblieben. Alles,
wa8 mir davon befannt geworden, gründet ſich lediglich
auf die nachfolgenden Altenjtüde H, es ift aber wohl ficher,
daß viele Archive noch ein reichhaltigeres Licht darüber zu
geben im Stande find, Ich halte e8 darum für gebo-
ten, dieſe Aftenftüde zu veröffentlichen, damit. dadurch
Beranlaffung zu weiteren Nacforfchungen gegeben werde.
Berrann die Bewegung auch erfolglos in fich felbft, und
mußte fie auch nothwendig Dies Schidſal haben, weil ſie
zu fpät kam, fo bleibt fie dennoch eine Thatſache, die für
die Geſchicht unſerer ſtaatlichen Entwidelung von größter
Bedeutung iſt.
D Ausſchreiben der Ritterſchaft.
7. Januar 1577.
Vnſer freundtlich vnd gutwillig Dienſt zuuor. Edler,
ehrnueſter, lieber Vetter, Schwager, vndt gutter Freundt.
Zu mehrmaln iſt dieſer vnd ihnenſeits von der Ritter-
ſchaft vnd Adel des Rheinſtrombs vnd der Wederaw vmb
Abfuigung großer merklicher Grauaminum, vnd hochnadh-
*) Eine hiſtoriſche Skizze dieſer Bewegung, ſoweit dieſe Aktenſtücke
mir dazu Stoff boten, habe ich in meinem in der 1858 ftattgehab-
ten Hauptverfamfmung unferes Vereins gehaltenen Bortrage gegeben.
Abgedruckt ift diefer Vortrag in der Kölnifchen Zeitung 1859 Nr.
107. Ich wählte dieſes Blatt, weil ich dadurch in den rheinifchen
Archiven, wo am erften noch weitere Nachrichten zu erwarten find,
zu Nachforfchungen anregen wollte, °
298
teylicher Beſchwerdten, fo von Churfürften, Fürften, Grauen,
Herrn vnd Stetten des Reichs ihnen zu Abgang und Ver⸗
berben 'geteichen und wibberfahren, etlich Zeit Daher alfer-
handt Bedenkens vnd Berathichlagung angeftelt, vnd vor
die Handt genommen worden, jedoch als nicht gnugſamb
vnd vollommener, richtiger vnd gewießer jonderbarer Bericht
hierin zuekommen vnd furbracht, deren Abichaffung bi da=
hero (obgleichwol zimlicher gutter und vngefparter Vleiß
angewendt) angeftanden und verplieben.
Sintemal aber nuhemehr an demjenigen, da8 vieleicht
in furzem die jtig Röm. Kay. Maift. vnſer allergnedigfter
Herr ihre Kay. Commiſſarien zu jedem Kreiß vnd Ortt,
vns Denen von deren Ritterfchaft und Abel die Yang vnd
vielmals geclagte Grauamina in specie zuuernemen, vnd
darauf alle kay. Gepür zuerzeigen, inmaßen dan die negſt
furgehende Röm. Kay. Maift., hochlöblichiter Gedechtnus,
deswegen allergnedigften Beſcheyd erftverrudtes 1576 Ihars
den 9. Octobris zu Regenkpurgf allergnebigft mitgetheilt
alfergnebigft aborbnen und zue fenden werben.
Als haben wir wegen gemeiner Nitterfchafft dieſes
Ortts, denen allen vnd jeden zum beften und gebeyelichen
Vffkommen, nicht vmbgehen, fondern auch hiermit zeitlich
gnugfam ankündigen vnd vergewießen wollen,’ dahe ir einig
mehr oder viel Grauamina und Beſchwernus, es were gleich
von Churfürften, Fürften, Grauen, vnd Herrn, Stetten oder
andern Reichsitenden, ir dieſelbig alle vnd jede richtig or⸗
bentlih, wie fie in ber Substantz der Warheit gejchaffen,
vndt einen Grundt haben, vleißig vnd verftendiglich in
Schhrifften begreiffen vnd verfaffen, volgendt hiezwiſchen
Cathedra Petri den 22, Februarii, oder zum älferlengiten,
zwifchen dem heiligen Sontag Reminifeere negftlünftig in
der Burg Friedburg Schreyberet und oder vnſeren Beuehl⸗
habern zufügen. vnd ſchicken Yaßen, fol alsdan beshalb zu
deren Kay, Sommiffarien erſt Ankunft inen furberlichft
300
vberantwort, vnd vmb allergnebigft Abfügung ſonderlich
ſupplieirt vnd angeſucht werden.
Das haben wir euch zuberichten hiermit nit verhalten
wollen, vnd ſeyndt euch darbeneben zue annemblichen gutt⸗
willigen behaglichen vnd gefelligen Dienſten gneigt vnd
erputig.
Datum Friedburg den 7. Januari Anno etc. 77.
Berordente Haubleute, Räthe und vom Aus-
ſchuß deren Nitterfchafft und nom Adel in ber
Wetteraw, vffm Wefter-Walde vnd im Ringgaw.
2) Kurfürſt Auguſt von Sachſen an Landgraf
Wilhelm IV. von Heſſen-Caſſel.
20. März 1577.
Vnſer freundtlih Dienft und was wir mehr Liebes
und Gutes vermögen zuuorn. Hochgeborner Fürft, freundt-
licher lieber Vetter, Schwager, Bruder vnd Geuatter, Eure
Liebde wiſſen fich zu erinnern, was fie des heimlichen Ber-
ſtendnuß halbenn, fo Die Kreife oder Otter (Derter) ber
fregen Frenkiſchen Nitterfchafft mit anderer geiftlicher vnd
weltliher Chur⸗ vnnd Fürften Vnterſaſſen vom Adel fur-
habenn follen, zu eßlichenmahlen vertrewlich an vns gejchries
benn, vnd wir berjelben hierauff wieberumb zur Antivort
gegebenn. Wiewohl fih nun die Ritterfchaft der zweyer
Dertter an der Röhn und Werhn in Buchen gegenn vnns
vnd E. 82. erkleret, Das jr Fürhaben zu feiner Auffwiglung
oder Rebellion gemeint noch fürgenohmen, wie van die zu
Hamelburg furgelauffenn Handlung jolches zum Theill auß-
weijet, Daraus wir aber noch nicht jpüren können, ob der
jtzige Standt und Regierung des Stieffts Zulda, darzu es
die Ritterfchaft bracht, E. X. leidlicher vnd zuträglicher als
der vorigen gemeinen Abte fein werde, jo werben wir Doch
ferner glaublich bericht, das fich die Nitterfchafft unter den
geiftlihen Churfürften hin vnd wieder zufammen thuen
follen, im Zurhaben fich ihrer fürftlichen Hohen Bothmeſſigleit
301
oder Landtſaſſerei, wie fie e8 nennen, genklich zu entziehen,
inmaſſen E. L. aus inliegenden Bericht etwas ausführlicher
zu vernehmen. Vnd ob wol ſolches jtzo deſto Liverlicher
geachtet werden möchte, weil e8 den Geiltlichenn begegnet,
ift Doch darbey zu beforgen, warn die vom Adel jr Fürhaben
ber Orth ind Werk richten und alfo perford erhalten folten,
es möchten fich der weltlichen Chur- und Fürften Unter-
ſaſſen nach folcher Freyheit auch geluftenn laffenn, von inen
Barzu verhegt vnnd leichtlich mit inen in ein Horn blafen,
daraus entlih ein Kuchen werben köntte. Weill dan an
diefem Furhaben allen Chur= vnd Fürften fowohl auch etz⸗
lihen Grafen im Reich zum höchften gelegen, das dem⸗
jelben in Zeitten fürgetrachtet werde, vnd fih E. L. als
Die der Orth am negften gefeflen ber Gelegenheit vnuer⸗
merkt am. beften erkundigen Tan, als ift vnſer freundlich
Bitt E. L. wolle ich der Dinge vnnd was ferner furlaufe
fen möchte, Ir felbft zum beften, in Geheim mit Vleiß
erkundigen, vnnd was fie gründlich in Erfahrung bringet,
vnns vmb Nachrichtung willen wicherumb vertreulich zuer⸗
fennen geben, dan do man hiermit umgehen jolte, muſte
man darauf bebacht fein, ‚wie folche Practidenn gebrochen
vnd wurde heifen principiis obsta gebempt, ehe das Teuer
vberhand nimbtt und zu gewaltig werde. Hierinne werben
fh E. L. zu Erhaltung gemeiner Ruhe vnd fehuldigenn
Gehorſambs fonder Zweifel embfig und gutwillig erzeigen,
band wir haben es E. L., die wir mit rechten Treuen meinen,
freundtlich nicht onangezeigt Taffen mögen. Batum Anne
burgt den 20. Martit Anno etc, 77.
Von Gottes Gnaden Auguftus, Herzog zu Sachſſen,
des heiligen Röm. Reiche Ertzmarſchalch und Churfürft, Landt⸗
graff in Duringen, Marggraff zu Meiffen vnd Burggraff
zu Magdeburg. Auguffus Churfurft.
‚ &eilage.) Ich bin vertraulich berichtet wordenn, das bie
Rinerichafft im Ertzbißthumb Trier, deren doch nicht viell vber
and.
vum, 8
302
hundert fein jollen, fich wieder iren Herrn den Ertzbiſchoffenn
vnd Churfürften expreſſe erfleret haben, da8 fie ime hinfuro
mit einiger Landtſaͤſſerei nichte8 wollen vnterworffen oder
zugethan fein, fondern wollenn vnter den reinländifchen
freien Adell gezehlet fein. Es ſollen auch kurtz verfchiedener
Zeitt, die Reinländifchenn, die im Stift Meint vnd im
Wormſer Gaw vom Adel fich gar ftard zufammen verbundenn
habenn, das fie hinfuro Feinem Chur= oder Fürften oder
Grafen, er fet geiftlih ober weltlich, feine Landſaſſerei
mehr leiften wollen, ſondern ſich fo ftard fie jeyen wieder-
- feßen, wie fie dan albereitt vier Saubtleute unter inen ers
wehlet, vnndt jdem zween Kriegsrethe zugeordenet, auch
eine Zuſammenkunfft inn des von Triers Stedte eine Po—
pheren *) (hab ichs anders recht behaltenn) genent, außge=
ſchriebenn. Die Ausſchreiben ſeindt gedruckt geweſen, als
wann der Kaiſer einen Reichstag ausſchreibt, daſelbſt auch
zuſammenkommen in einer ſtadtlicher Anzahll, eine anfehen-
liche Sontribution zuſammengeſchoſſen, in eine Truhe ge=
than, und an ein ficher wohl verwarttes Ortt fuhren laffen,
vnnd obwohl der Erkbiichoff von Trier zu inen geſchickt, fie
zum höchftenn ermahnet, von dergleichen Furnehmen abtus
ftehen, auch darwieder öffentlich proteftirt, fo hat e8 doch
nicht helffen wollen, ſondern ſeind ftrad8 mit irer Handlung
vortgefahren, follen auch noch teglich im Werd fein, mehr
vom Adel vnd Nitterfchafft an ſich zu bringen.
3) Die von Kronberg an Landgraf Georg von
Heffen-Darmftadt.
22. März 1577.
Durchleuchtiger Hochgebprener Fürſt. © F. ©.
jetenn vnnſere vnderthenige ſchuldige vnndt willige Diennft
jederzeit zuuor, gnediger Herr.
Vonn E. F. G. Lanndſchreiber it Dornbergk, Johann
Senſenſchmidten, iſt vnnß ein Schreiben vnderm dato denn
26. February ſchirſt verfloßenn, darinnen inn Nahmen ©.
*) Boppart.
303
F. 6. er vonn vnſerenn inn dero Obrigkeit gelegenen
Güternn Turckenſteur zu erlegen begehret, zukommen, vff
welchs ©. 3. ©. wir fo bald vnndertheniglichen zuerſuchenn
nicht vnnderlaſſenn heiten, jo binn aber ih Johann Eber⸗
hardt ettliche Wochen vber nicht inheimifch geweßenn.
- Ob nun wohl diefe Ding mid) Hartmudtenn prine-
paliter nicht, fonnder meiner Bruder Philipfenn vnd Walters
vonn Cronbergk jehligen Söhne (welche doch nicht sui Juris,
fonndern vervormyndert feinn) mit beruren thut, fo haben
doh E. F. ©. wir bierunder vnnderthenig zufchreibenn
teinen Vmbgang habenn kondtenn, dero vnderthenigenn
Hoffnung vnndt Zuuerfiht E. 3. ©. vnnſerer mit der ge=
fordertenn Steur, nachgefegter erheblihenn Vrſachen hal-
benn, gnebiglidh verichonen werben.
Erſtlich wiewoll wir vonn Cronbergk egliche Guter
vnnd Gefel inn E. F. ©. Obrigkeit der Oberngrauefchafft
habenn, welche gleichwohl inn Neuligkeit nicht erfaufft,
fondernn bey vnnſerenn liebenn Vorelternn fehligenn vonn
undenflihenn Sahren, auch bey Lebzeitenn der Grauenn
zu Sabenelnpogenn, herfommen, vnndt alls freie adeliche
vralte Stammguter je vnnd allmegenn, wann vonn denn
romiſchen Keyſernn vnd Königenn, löblichſter fehlichiter Ge⸗
dechtnis, gemeine Reichſsanlagen suecgessiue vffgeſetzt, nir⸗
genndt anderſt hinn, dann inn die reinſche adelliche Ritter
Truhenn verſteuret worden.
Zum andernn, das vnſere Vorelternn vnndt wir ſon⸗
ſtenn von Chur= vnndt Fürſtenn, Grauen vnndt Herrnn,
darunter wir nicht allein Guter, ſondernn auch adeliche Wo⸗
nung haben, auch E. F. ©. Herrnn Vatter, hochlöblich⸗
ſter Gedechtnuß, ſelbſt aller Contributionen vnndt Schatzung
(derenn doch vonn Jahrnn zu Jahrnn nicht wenig eruolgt)
biß dahero erlaſſen worden; zuedem wir gehnn Treiſa, oder
andern heſſiſchen Lanndtagenn nit gehörig, noch daſelbſt je⸗
malls erſchienenn, vielweniger ichtwas bewilligt, alſo vnndt
auß ertzeltenn Vrſachenn E. F. G. gnediglich zuermeſſen,
9
| 304
das vnnß allenn vonn Cronbergk feinen (die wir Doch vnn⸗
der E. F. ©. nichts, dann allein inn der Oberngrauejchafft
Catzenelnpogenn liegen haben) weder poena dupli, oder einig
Vngehorſamb vffgelegt werbenn kondte.
Zum Dritenn, fo habenn die Kay. Mayt., wie dann
dem Reichsabſchiedt außtrudlichenn inferirt, vnndt vonn
denn Stendenn alſo bewilligt worden, ihr die freie Reichs
Nitterfchafft zu dieſer mitleidlichenn Hülff, wie biebeuor
in ao. 66 vnndt 70 mehr beichehenn, zubewegenn vorbehals
tenn, innmaßen dann die jegige Kay. Manft. denn Adel
des reinischen vnndt wetterawiſchen Kraißes allbereit zufamenn
zubefchriebenn allergnedigſts beuohlenn, vnndt ihre Commis-
sarios dartzu verorbnet,
Solttenn nun €. $. ©. wir vonn benenn inn Dero
Obrigkeitt gelegenenn Guternn itzo Schatzung erlegenn, vnndt
die volgents nichts deſtoweniger Allerhöchſtgedachter Kay.
Mayſt. auch vor voll zu Erſtattung der gewohnlichenn Haubt⸗
anlage verſteurnn müßenn (wie wir dann deßenn erheblicher
Vrſach halb nicht erlaſſenn werdenn mögen) wie bedencllich,
ja zum höchſten beſchwerlich vnß allen ſolchs fallen würde,
das gebenn E. F. G. wir gnedig zu bedenckenn, dieweill
dann auch der obangeregte Tax, ſo der Lanndtſchreiber zu
Dornnbergk vnnß zugeſchriebenn, was hoch, vnndt vnnſers
Erachtens dem Traiſiſchenn Abſchiedt nit gemeß, ſo iſt dem
allem, an E. F. G. inn Nahmen vnſerer aller vonn Cron⸗
bergk vnderthenig Bitten, ſie wollen vnnß auß obangezo—
genenn vnndt andernn erheblichenn Vrſachenn nicht allein der
poenae dupli, ſonndern auch angeforderter Steur gnediglichenn
erlaßenn, vnndt vnnß mehr nicht, dann Dero hochlöbliche
Vorelternn, vnndt wie vonn E. F. G. bißhero ſelbſt be—
ſchehenn, beſchweren, ſondernn wie vonn Altters pleibenn
laſſenn, innmaßen dann zu deroſelben wir das vnderthenig
Vertrauenn tragen, wollen es auch vmb E. F. G. höchſtes
Vermögens vndertheniglichenn vnndt willig verdienenn.
Im Fall aber dießes vnſer Bitten vnndt Flehen vber
305
vnnderthenigs Verhoffenn nicht ftabtfifvenn, vnndt wir
mit derogleichen Neurung beſchwert werbenn follenn, ſeinndt
wir dero tröftlichen Zuuerſicht, darnebenn vndertheniglich
bittenndt E. F. G. vonn vnnß in Vngnaden nicht vermerkenn
ſollenn, da wir dieſer Anforderung halben vnnß allenn
vonn Cronbergk zu hoch beſchwerlichem Eingangk nichts
erſtatten köndtenn oder würdenn, ſondernn vnnß ſolchs
nehmenn laßenn muſtenn, vielweniger Ihrenn Beambtenn
vnndt Verordtnetenn darinnenn die Vbermaß vorzunehmenn
verſtattenn.
Mit nachmaligenn vnderthenigen Bittenn, wie gebet-
tenn. Das feinndt vmb E. F. ©. wir jeder Seit i inn Vn⸗
derthenigkeit zuuerbienenn gang willig vnndt 'befließenn,
derenn wir vnnß hiermit ondertheniglichem emphelenn thun.
Datum Cronbergk denn 22. Martii Anno 1577.
E. F. ©. Bnnderthenige
Hartmubt ber Elter vnndt Johann Eberhard
von Cronbergl.
4) Landgraf Georg von Heſſen— Darmfladt an
Hurtmuth d. 6. und Johann Eberhard von
Kronberg
28. März 1577.
Bon Gottes Gnadenn George Landgraue zu Helfen,
Graue zu Sabenelnbogenn ıc. |
Dnfernn gnedigenn Gruß zuuor. Veſte Tiebe Ge-
frewen! Wir feindt ewerd Schreibens, darinnen ihr euch
beſchwert, vns die bewilligte Neichfteur vonn ewernn vn⸗—
der vns gelegenenn Guternn zureichenn, vndertheniglichenn
berichtet worden, darauff wir euch gnediglich nicht verhal-
ten wöllenn, das wir nit gemeint fein, euch ahnn ewer
berbrachten Sreyheit einichenn Abbruch zu thun, wie es
auch vonn vnſerm Hernn Vatternn öhriftfehliger Gedechtnus
nit geſchehenn, vnd mögen derowegenn wohl leidenn, das
je vnndt andere Freye vom Adell ewere Steur der Kay. Mayſt.
306
vnßerm allergnedigften Hernn, vonn eweren außerhalb vn⸗
fer Ober- und Botmeßigleit gelegenenn Guternn erlegt.
Das jr aber vonn dero Guter wegenn, die ohnn
mittel inn vnſer vnzweiffenlicher Obrigkeit gelegenn, quch
zum Theil vnſer Eigenthumb vnd ewer Lehnn ſein, mit
den Steurenn vnd ſonſten vonn vnſer Botmeßigkeit eximirt
ſein ſöllen, das könnenn wir vns nit erinnern, glaubenn
auch nit das irs euch mit gutem Grundt anmaßenn werdet,
ſintemahl das kundlich Herkommen ein viell anders auß⸗
weiſet, darumb ſich auch nit befinden wirt, das wir dies⸗
fals eiwas widder das Herkommen furnehmen, ſondernn
viellmehr dasjenige, fo vonn weylandt vnſerm geliebtenn
Hernn Vatternn löblicher vnnd ſehliger Gedechtnus vff uns
geerbt vnnd herbracht iſt, eontinuiren. Derowegen wir.
vns vmb ſouiell deſtoweniger verſehenn, das wir deſſenn
wedder von euch noch von jemandts mit Fugenn vngutlich
verdacht werben könnenn. Wie wir. vns dann auch zu endt⸗
finnen wißen, das die jüngft verſtorbne Kay. Mayſt. hochſt⸗
löblicher Gedechtnus in Anno 66 ahnn ermeltenn vnſernn ge⸗
liebtenn Hernn Vatternn, Gottſehligen, vff etzlicher vom Adell
Anhaltenn, deshalbenn ein kai. Schreibenn, neben Vber—
ſchickung eines damals gegenn etliche Chur- vnd Fürſtenn
in una" außbrachten Mandats aufgehen Yaffenn, darauff
aber irer Kay. Mayſt. derozeit .ein beftendiger vnnd folcher
Gegenbericht zugefertigt, damit ihre Mayft. gnebigft zufrie-
denn gewejenn, vnnd e8 dabey bis dahero bewenden laßen, und
thut vnſers Erachtend was jr fonftenn der heffiichen Lande
täge halber vorgemwendet, wenig zur Sachen, dann der feindt
viel vom Adell, auch hohe Stifft, vnnd Clöſter, die hirzu
nit beichrieben werdenn, vnnd gleichwohl ihr Gepurnuß
bon ihren Guternn im Land zu Heffenn, vnnd denn darzu=
gehörigenn Graff- vnnd Herrichafftenn gelegen reichen müs
Benn, wie e8 Dann vonder allenn Chur- vnnd Zürften ge
ſchicht. So heiten wir. auch wohl verhofft, was euch da=
beuor auß Gnaden geichengt vnd nachgelaßenn, würdet ir
9
#
307
zu Dank angenommen, und nicht für ein Gerechtigfeit ans
gezogenn habenn.
Dieweil e8 dann . Gelegenheit hierumb hat, fo ver⸗
fehenn wir vns gnediglichen, ir werdet euch inn dem ferner
nit |perren, fondernn aller pilligen Gebuer felbft bejchei-
denn, vnnd zu vnnötiger Meiterung fein Vrſach geben.
Welchs wir euch hinwidder nit verhaltenn woltenn, vnnd
jeind euch ſonſten mit Gnaden gewogenn. Datum Darm⸗
-flabt denn 28. Martij Anno 77.
5) Landgraf Wilhelm IV von Heſſen-Kaſſel an
Randgrafen Georg von Heljen-Darmftabt,
3. April 1577.
Hochgeborner Fürſt, freundtlicher, Lieber Bruder vnnd
Geuatter. Was vnſer freundtlicher lieber Vetter der Chur-
fürft zue Sachen vonn wegen deſſen, Zas fich Die vnder
denn geiftlichenn Chur⸗ vnnd Fürftenn vnd fonderlih am
Rhein Gefeffene vom Adel hinn vnndt wieder zufammenn
thun, vnd fich derfelbigen Chur» vnndt Fürften Bothmeilig- .
feit zuentziehen vnderſtehenn follenn, ann vnns gejchriebenn,
wir auch ©. L. darauf geantiwort, ſolchs haben E. L. ob
inliegenden Copienn freundtlich vnnd vertrewlich zuejehenn,
welche wir E. L. darayf freunbtlich communciren vnnd vbers
jhiden, Dieweil wir vnns erinnern das ettliche vom Abel
inn E. L. Lande vnd fonderlich die vonn Frankennſteinn,
Walbron vnd andere fich folcher Freyheitt auch gerne ver⸗
meintlich. anmaßen vnndt fich der ſchuldigenn Eontributionen
egimiren wolttenn, das berwegen E. 2. zue Einbringung
berfelbigenn vnnd fteiffer Tuition vnndt Handhabung irer.
Obrig- vnndt Bothmeſſigkeit vmb foniell ernfter gegen fie
verfahren, inenn nicht8 vberall nachlaffen, ſondernn fie inn
gebuerendem Gehorfamb und Subiection erhalttenn, auch vff
denn Ball ihrer Wieberfegung, fie bißweilenn nurtenn wenig
vbernn Zulpell werffenn laſſenn mögenn, inmaßen wir auf
ann €, 8. biermitt freundtlich begertt haben wollenn, Do
310.
E. 2, haben vnns auch hiebeuor etliche Roßmarin⸗
Stock zugejagtt. Ob nuhn woll E. L. deren vergeflens,
ſo ſeinds doch wir noch ingedend, —
7) Landgraf Philipp von Heffen-Rheinfels an
Landgraf Wilhelm IV. von Heffen-Raffel,
16 April 1577.
Brüderlihe Trew, vnd was wir mehr Liebs vnd
Gutts vermögen, allezeit zuuor. Hochgeborner Fürſt, freundt⸗
licher lieber Bruder vnd Geuatter, E. L. Schreiben vnder
dem Dato den 3. huius, haben wir zue vnſern ſelbſt Handen
verwarlich bekhommen, erbrochen, verleſen, vnd daraus not⸗
turfftig verſtanden, was vnſer freundtlicher lieber Veiter,
Schwager, vnd Bruder der Churfürſt zu Sachßen des rein⸗
lendiſchen Adells, vnd deſſen jungſten zu Popharten gehal⸗
tener Berathſchlagung vnd getroffener Vereinigung halben,
ann E. L. ſchrifftlich gelangen laſſen, vnd deßwegen dieſel⸗
bige ann vns vertrewlich begert. Darauf wir dann alßbaldt
ein vertrawte Perſon inn geheim abgefertigt, ſich aller Ge⸗
legenheit, vnd was in ſollichem allendthalben vorgelauffen,
und von denen vom Adell beſchloßen, gründtlich zuerfhundigen.
- Wann uns hun an heudt von der Perfon, fo wir
abgeorpnet gehabt, fhrifftlige Relation zuefhommen, fo thun
E. L. wir diefelbige hiermit inn brüderlichem Vertrawen vber⸗
ſchickhen (ſ. Nr. 8), onnd laffen wir vns bedunkhen, dag Die Zu⸗
fanımenfhunft deren vom Adell, nicht allein zue Pophart, ſon⸗
dern an mehr Ortten befchehen, vnd wollen E. 2. wir darneben
‚nicht verhaltten, das vnſere Vnderſaßen vom Adell, deren
gleihwohl-ein geringe Anzahl, wie ver jungft zue Treyßa
gehaltener Landtagk außgefchrieben worden, fi ch vernehmen
laſſen, was der Adel in der Obern-Graffſchafft bewilligen,
vnd wie fich biefelbigen verhaltten wurde, dem woltten jie
auch volgen, welchs und dann nicht ein geringe Nachden⸗
khens gemacht, dieweil der frendifch Adel, wie E. 2, bewuſt,
faft den mehrer Theil deren vom Adell, fo vnder vnſerm
311
freundtlichen lieben Bruder vnd Geuattern Landgraff Georgen
geſeßen, zue ſich ziehen, vnd alfo ire Liebven ber Landts
fchagung endtweren wollen, wie dann auch faft alle vnſere
som Adel, fo vndter ung gefeflen, vergleichen diejenigen, fo
Gutter jnn onferm Ortt Landts liegen haben, die bewilligten
Steuren hiebeuor, and zum Theil noch jtzo, onferm verordne⸗
ten Einnehmern zu liefern ſich geweigert, vnd noch weigern,
aus denen Vrſachen, Das fie vorwenden, wie jre Boreltern
vnd fie von Alters ihre Steuren jnn die Rittertruhen gein
Friedtbergk vnd fonft nirgendts anderfthin geliefert, welches
wir inen aber nicht alfo vor gutt haben paffieren, ſondern
ibnen ire Gefelle ond Gutter inn Berbott legen laßen,
dardurch dann der mehrer Theil zu gepürlihem Gehorfamb
gebracht, vnd feindt wir mil ven vbrigen auch noch im
Werkh, der Hoiffnung , fofern wir durch Maing jnn ben
fünfzehben Dorffen, darin ver Churfürft vber das Blutt zue
richten, nicht verhindert werden, von allen denen vom Adel,
fo vnder vns beduetet, ‘die angelegte Steur, wo möglich
solnfhomblich inzubringen, vnd vns auch nicht das geringfte
son habender vnd hergebrachter Obrigfheit endtziehen zu laßen.
Wir oberſchicken E. L. auch hiermit glaubwurdig Copei
eines Schreibens (ſ. o. Nr. 1), welches der Burggraff zu Friebt-
burg ann ‚die vom Adel, fo vonder pns gefeßen, vnd aud
fonften begutet, gethan, daraus dieſelbige alle Gelegenheit ver-
nehmen werben. Vnd feindt wir auch glaublich bericht, das bie
ey. Mayſt. dem reinlendifchen Adel vff den 20. May on
Zweiffel zue Inbringung ver Zürfenfteuer an einen benand-
ten Ortt befchrieben.. Was nun derendts proponirt vnd
geichloßen wirdet, fhan bie Zeit geben. Vnd haben E. L.
wir ſollichs hinwiderumb vertrewlich off ihr Schreiben_nicht
pergen wollen. Deren wir zue aller bruderlicher Dienfter-
zeigung ganz bruderlich vnd freundtlich gewogen. Datum
Rheinfelg ven 16. Aprilis Anno 26.77.
Philips von Gotts Gnaden Landgraue zu Heffen, Graue
zu Catzenelnpogen Philips L. z. Heſſen,
312
8) Beilage zum Schreiben des Landgrafen'
Philipp von Heffen-Rheinfeld an Landgraf
Wilhelm von Heffen-Raffel.
Angelangt zu Kaffel am 23. April 1577.
Durchleuchtiger hochgeborener Zürft, gnediger Herr!
—Vff €. F. ©. Beuel bin ih ver bewußten Sachen halben
an dem Ortt geweßen, mich bey einem Vertrawten erkundigt,
wie uolgt. Ä
| Es hat der Bifchoffe zu Trier im Februario des
fech8 vnd fiebenzigften Ihars ein Landtag gein Cobleng
außgefchrieben, darin er proponiren laſſen, welchergeftalt -ver
Ersftifft in große Schulden geratten, das viel Empter ver-
fest, ond große Penfion gemacht, durch den Krieg vor Trier,
Einfuhrung des Keißers Frewlein Carolo nöno König
zue Sranfreich und fonften, derwegen ein Contribution begert.
Die Geiftlihen haben in ſechs Sharen zubezahlen be⸗
willigt 50,000 Gulden Bagen, die Landtfchafft 15,000 Gulden,
thuit zufammen zwo Thon Golts. Dieß Gelt heben ſechs
Derfon uff, follen damit ablöfen, das der Bilchoff Tas Gelt
nit befompt, vnd muß jeded Hausgefäß ein Gulden geben,
das vbrige wirbt vff die Guiter gelegt. : Dieweil aber vieß
Jahr ein groß Mißwachs geweßen, hat man das Gelt nit
sffpringen fünnen, berowegen Geiftlihe und Landtſchafft
bie fech8 Ihare die pension erlegen müffen.
Die Nitterfchafft hat gar nichts bewilligen wollen,
vnd angezeigt, das fie gefreyet, müflen das re verdienen. zr.
Die Landtſchafft hat dargegen furbradht, das fie off
iren Koften auch im Kriege dienen muffen, vnd fauffen die
vom Adel teglih in dießen theuren Iharen Guiter vmb
- Burger vnd Bauren; wan die folten gefreyet fein, fo plei-
ben dan die Onera uff der Landtfchafft, weldyes zum Höch-
ften beſchwerlich.
Darauff der Bifchoff beſchloßen, das er die Ritlerſchafft
mit Recht am Chammergericht anclagen wolte, welchs vor
damals folgenden Oſtern geſchehen ſolt. Iſt aber verplieben.
313
Derhalben fich die Ritterfchafft verglichen, ein gemein
Belt Fur darnach zue Boppart in ein Kaften zuefammen
gelegt, fih mit Recht zu wehren, dargegen der Bilchsue
durch den Fiſcal proteftiren laßen.
Nachmals ift in Februario des fieben vnd fiebenzigſten
Ihars der Auſſchuß gein Röchme vff der Muſeln beſchrieben,
aber im Vſſſchreiben nit vermeldt worden, aus was Vrſachen.
Daſelbſt hat der Biſchoue furtragen laſſen, das man ſolt
Mittel vnd Wege furſchlagen, wie die Ritterſchafft am
Chammergericht anzuclagen. Der Ausſchuß hat ſich zuer⸗
cleren beſchwert, aus der Vrſachen, das ſolche Proposition
im Ausſchreiben nit eingeleibt, vnd wenig von den Geiſtli⸗
chen erſchienen, vnd die anweſenden ohne der abweſenden
Bepſein nichts deliheriren wollen. Alſo iſt ein gemeiner
Landtage den 14. Martii dieß ſieben vnd ſiebenzigſten Ihars
wider gein Wittlich außgeſchrieben. Vff dieſem Tage iſt
- die Türkenſteur proponirt, dieweil aber die Ritterſchaft
Sngchorfam ausplieben, auch Mißwachs und Theurung
halben, fo bat man nichts fchließen können. Es haben
aber die Geſandien bewilligt dem Bifchoff 6000 Gulden vff⸗
zubringen vnd zu lieffern, das ire Churf. Gn. den Ref
vffbringen, bis vff ein andern gemeinen Landtage, welchs
alſo bewilligt.
Darauf der Biſchoff die Geiſtlichen, Nittere vnd
Landtſchafft Dominica Cantate den 5. May zu Wittlich
einzufommen befchrieben, von obgenannten Sachen zue trac⸗
tiren vnd zue beraihfchlagen.
Was die Fey. Commiffarien verrichten follen, Hab
ich nicht erfahren können, dan tag zuuermuetten, fie werden
zwiſchen dem Bifchoue, Geiftlihen und Landfchafft gegen
bie Ritterſchafft handlen, welchs auch auß beygelegter Copien
der Burgkleuth zu Friedburgk (Nr. 1) an die vom Adel erscheint.
Was dan die Burgf vnd Hauptleuth zue Friedburgk
an bie vom Aosl gefchrieben, haben €, F. ©, aus beyuer⸗
314
wartter Eopien zuefehen, welchs ich felbft aus einem mir
zugeſchickten Driginali copiirt.
Auf der Adreſſe ſteht: Zu S. L. ſelbſt eigen Handen vnd
ſonſt Niemandt zu erbrechen.
D Landgraf Georg von Heſſen-Darmſtadt an
Landgraf Wilhelm von Heffen- Kaffel
17. April 1577.
Bruperliche Trew, und mas wir mehr Liebe und Gutes
yermugen zuuor. Hochgeborner Fürft, freundlicher lieber
Bruder vnd Geuatterl & 2. Schreiben sub dato vom
3. huius, darinnen fie vnns in brüderlichem Vertrawen zu
erfennen geben, was an fie vnſer freundlicher lieber Better
der Churfürft zu Sachen, wegen einer heimlichen Verſtend⸗
nus egliher vnd fonderlichen deren am Rein gejeßenen von
Adel freundlich haben gelangen laffen, ift vnns verſchienen
Sontags den 14. dieſes woluerwaret zufommen, und thun
gegen €. 2. vnns folder vertrawlichen Communication gantz
brüpverlich bedanden.
Ob nun wol nicht ohn ift, wie E. L. ſelbſten erwehnen,
das ſich je bißweilen die vonn Franckenſtein, Walbrun, vnd
andere von ſchuldiger Contrihution der Reichs Steur zu
eximiren, vnd als Freye vom Adell vnder den frenckiſchen
Kreiß zu zelen vnderſtehen, welchs wir ihnen gleichwoll nicht
gutt fein laſſen, vnd nunmehr vielweniger zuthun gepenken,
ſo haben wir doch bisdahero dergleichen Ding, immaßen in
des Churfürſten Schreiben angedeutet wirdt, weiters nicht ver⸗
merkt, alß was wir auß Hartmuth des Eltern vndt Johann
Eberhart von. Cronbergk neherm Süchen, deſſen, wie auch vn⸗
fer Wiederantwort Copien (Nr. Z u. 4) E. L. hierbei zuem⸗
pfahen abnehmen mögen. Wir ſeindt aber berichtet worden,
das der frenkiſche Adell jtzo ſtark zuſammen kommen ſeyn,
vnnd zu Schweinfurt einen Tag haltenn ſoll, dahinn ſich dann
auch vnſers Vermutens Hans Heinrich von Heuſenſtam,
Ludwig von Frankenſtein vndt andere verfügt haben, ſinte⸗
315 -
mall fie vor einer Wochen vnnd Ienger albereit abgereifet,
vnd in noch ſouiel Zeitt nicht wieder anheim Tangen werben.
Bid wiffen E. L. ſich noch ohne Zweiuel zu entfinnen, was
wir dero hiebeuor mundlichen angezeigt, das vnns were glaub
lichen vorfommenn, welcher geftalt ſich die frendifche vnd
beuorab die im Stifft Fulda gefeßene vom Adel verbün-
den, aud Belt zufammen gelegt heiten, in Meynung, da
der Abtt wider eingefeßt folte werben, fich dem entgegen
zu fegen, vnndt ihre Freyheitt felbft mit Gewalt zu manute⸗
niren, wie fie dann ann eplihe vom Adel im Landt zu
Helfen gefchrieben, und diefelbigen gebetten hetten, vff denn
Fall fi wider fie nicht beftellen noch gebrauchen zu laſſen.
Obs aber alßo fey, wiſſen wir nicht eigentlich, E. 2. köntens
am beften erfahren. Was fonft die Handlung der Tririfchen
vom Adel belangdt, daruon haben wir gar fein Wiffeng,
wir haltend aber darfür, E L. folten ſolchs alles jtzo bey
der Gelegenheit im Badt vom Ergbifchouen und Churfürften
zu Trier felbften (deſſen L. ohne Zweiuel & L. befuchen
‘oder zu ihr bitten werden) vnnd im Fall das nicht gefchee,
von vnſers freundtlichen lieben Bruders Landgraff Philipfen
Cantzler D. Nordecken leichklich in. gewiße Erfahrung brin⸗
gen mögen.
Woltenn wir E. 2. freundlich nicht verhalten, vnnd
feind derfelben’ angenehme vnd brüderliche Dienfte zuerzeigen
geneigt. Dasum Darmbftadt ven 17. Aprilis Ao. ⁊c. 77.
Don Gotts Gnaden George Landgraue zu Heflen, Graue
au Cabenelnbogen.
. George Land. zu Heflen.
410 Landgraf®ilhelmIV. von Heſſen-Kaſſel an
den Kurfürften Auguft von Sachſen.
17. April 1577.
Vunſer freundtlich Dienft und was wir Liebs vndt
Gutts vermögen zuuor. Hochgeborner Fürſt, freundtlicher
lieber Better, Schwager, Bruder vnd Geuatter! E. 2. ver⸗
316
trewlich Schreiben de dato Annaburgf, des Adels heimliche
Verſtendnuß betreffend, haben wir fampt jngelegten E. L.
daruon angelangten Bericht entpfangen vnd geleßen. Das
wir nun E. L. darauff nicht ehr beantwortt, ift dahero
verplieben, das wir vnſern beyden freundtlichen lieben Brü-
dern Landgraue Philipßen vnd Landgraue Georgen, als
deren 2. 2. nehſt am Nein gefeßen, dießer Dinge halben
gefchrieben, vnd berofelbigen Bericht darauff biß dahero er⸗
wartet, welcher ung aber biß noch nicht einfommen, fobald
er aber vns eruolgtt, fol er €. 2. onuerborgen pleiben.
Ohne aber it es nicht, wie E. L. daruon fchreiben, das
jtzo in Newlicheitt etzliche vom Adel, nicht allein diejenigen,
fo under denn Pfaffen geleßen, fondern die auch in der
Niedern Grauefhafft Cagenelnbogen wonhafftig, fich jegen
ihre Oberherrn faft ſchwurig erzeigen, vnd fi) sub titulo
eines priuilegij, fo Keyfer Wenzellaus, welder darnach vmb
folher vnd vergleichen Hendell willen vom Reich entſetzt,
denn frenfifchen vndt reinlendifchen Adell gegeben haben fol,
vnderſtehen wollen, ſich der Landſaßerey gentzlichen zuentziehen,
weder Steur oder anders zugeben, ſondern ſtracks freye
Francken zu fein, wie dan auch ver fuldiſche Adell gleicher⸗
geſtalt Crafft eines priuilègij, fo fie von dernehſt abgeftors
benen key. Mayſt. wollen habenn außbracdht, numehr dem
Abbtt Feiner Jurisdiction ober fich geftenvig, fonvern fich auch
vnder die freye Sranden zeblen thuen.
Mas aber den Adell in vnſerm Fürſtenthumb betrifft,
ifts nicht ohn, das wir deren egliche hartt darumb befpracht,
ob ihnen auch jchtwas vonn foldhen Buntnuß wißentlich,
oder derhalben an fie etzwas gelangtt, fo verneynen fie es
jegen vns zum hochſten vnd wollen gar vnſchuldig fein,
erpieten fich großes Gehorſambs. Gleichwoll aber ift nicht
ohne, das ihrer egliche fih ſchwüriſch gnug erzeigen, wo
etwo einer ein Hoff im Dorff hatt, den ehr over feine Vorel⸗
tern von Bauren erfaufft, der gleich vnſer Lehen nicht ift,
fondern mit Gericht, auch zum Theil Zins vnd Dienft vns
317
verwandt ift, fie auch gemeined Dorffs Beholtzung, Waßer
ond Weide.gebrauchen, fo underftehen fie fich Doch dießelbigen
als freye Rittergütter, vnſer Landſteur zu eximiren, aud)
fonftet allerhändt ongebürliche grauamina, ald das fie befugtt
fein folfen, fein gulden Zoll, Holg- over Maftgelt zu gebenn,
item off dem Bnferm an .einptheild Driten zu hetzen vnd
zu jagen, vorzumwenden, befehweren ſich auch, das man fie
zu Bezahlung vffrichtiger Schulden, item das fie ihre
Bauren nicht ihres Gefallens ſchinden vnd ſchaben mögen,
anhelt, vnd was dergleichen Dinge mehr feindt. Darauf
wir uns woll laßen bedunfen, das fie Spinnen in ber
Naben haben, vndt mit allerhandt Practiden vmbgehen,
darumb mwoll von Nötten bierauff ein wachendes Aug zu
haben, vnd fich nicht Tleinmütig jegen fie finden zu laßen.
Dan E. 8. fehen aus den Erempeln beids Nieverlandts vndt
Franckreichs quid faciat seditio Nobilium. Bitten derhalben
freundtlih, was E. 2. hieruon infompt vns jeder Zeitt zu
berichten, inmaßen wir E. L. berjegen was vns baruon
ferner anlangt, hinfüro zuberichten vnd mit ihro jnn deme
vertrewliche Correſpondenz zu halten nicht underlaßen wollen.
Soviel dan betrifft, das E. L. nicht fpüren können, ob ver
jeßige Standt, darzu es die Ritterfchafft des Stiffts Fulda
bracht, vns leidtlicher vnd vwortreglicher fey, als der vorige
gewefen, haben E. 8. leichtlich zu erachten, weil der Stiefft
Fulda vnd wir Nachparn, vnd allerley nachbarlihe Gebrechen
mit einander haben, dag wir die leichter jegen einen jchlechten
Abbtt, als numehr der Fey. Mayft. die den Stiefft jbo Se-
questers weiß inhatt, oder do fonftet ein Fürft, als etwa
Beyern, wie man daruon redt, darzu kommen folte, würden
außfüren können, wiewoll wir noc zur Zeitt an der bo
angeftellten Regierung fein Mangell haben, Tonte es aber
mit E. L. DBefurderung, wie wir woll ehr mit derfelbigen
darvon gergdt, dahin gebracht werden, das vnſer Sohne
einer zu dem Stiefft mit guttem Gewißen fonnte fommen,
das wolten wir E. L. gar großen Danck wiffen. Mit freunde
VIEH, Band. 21
318
licher Bitt & 8. wollen danneſt, wo fie konnten, uns in
deme ein Freundtsſtück beweißen, dan wird darfür hielten,
es konnte bey dießer Gelegenheit wol etwas erbaltenn
werben, fintemal wir'nod wol alte. Brieffe haben, das
vnſere Vorfahrn, von wegen ber Graueſchafft Ziegenhain
den Schuß vbern Stiefft Fulda, auch Beftellung der peinlichen
Justitien vnd andere Gerechtigfeitt mehr gehapt haben.
Wolten wir E. L. hinwieder freundtlich nicht verhalten,
Vndt feindt verfelbigen zu freundtlicher Dienfterzeigung ger
neigt. Datum Caſſel am 17. Aprilis Ao. 77.
Wilhelm von Gottes Gnaden Landgraue zu Heljen Graue
zu Capenelnpogen. _
Wilhelm 2. 3. Heßen.
11) Simon Bing Hauptmann zu Ziegenhbain ap
Landgraf Wilhelm von Heffen- Kaffe
18, April 1577.
Durdleuchtiger hochgeborner Fürf. €. F. ©. feien
mein snterthenige, ſchuldig vnd vleißwillige Dienfte jverzeit
zuuor. Gnediger Fürft ond Herr! Dem Schreiben, ſo
E. %. ©. mich am nechſten Dienftagf inn gnedigem Ber-
trauen leſen laſſen, hab ich nachgedacht, und durch ein ge⸗
felig Geſprech von einer reifigen Perfon fouiel verftanden,
daß der Churfürft nit aus einem Hundtsfopff Billet, dann
das folhe Ding für feien, dauon will numehr was Ge
rüchts ausprechenn, Brfach, ein Dyner des Mans, der ſich
neulich fo rein für E. F. ©. inn diefer Sad gebrennet,
hat zu demfelben reifigen Knecht gefagt : E8 feien inn Bey-
ern vnd Standen dieſe Ding ſchon im Wergf, man gebe
damit vmb jnn der Wetteraw, Wefterwalbt ꝛc. e8 auch zu
Merk zu richtenn,
Es wurden vnter anberm vier Dortores hierzu vnder⸗
haltenn, vnnd es fey an feinen Junkern gefonnen, wann
er inn was befchweret were, inen den Andern ſolchs zuer-
offnen ꝛc.
319
| Sp merk ih auch, pas etzwas hieruon wiſſendt iſt
dem Mann, der jbo etzlich Tag meins Abweſens albier
bat zufchn helffen, dann er zeigt mir an, das er gehoret,
wie diefe Ding in DBeyern, Francken vnd am Rein furs
lauffen, vnd mweis fonverlich viel von den Trierifchen zu
fagen, das ſich die von Alters hero wollen frey gemwirfet
haben, Wolt E 5. ©. zu einem mereren Nachdenken id
alfo sndertheniglichen nit pergen. Dero ju Gnaden ich
mid, damit ynderthenigft .bephele, Datum Biegenhain am
18, Aprilis Anno dni. 1577.
E. F. ©.
vndertheniger, ſchuldiger vnd gleißwilliger
Hauptman alhier S. Bing.
12) Landgraf Wilhelm von Heſſen-Kaſſel an
Landgraf Ludwig von Heffen-Marburg.
23. April 1577.
Sreundtlicher lieber Bruder vnd Geuatterl €. L.
haben nuhmehr zweyffelsohne zu Ankunft vnſers Secretarienn
Heiperges gelefen, was vnſer freundtlicher lieber Vetter ver
Churfürft zu Sahfen von wegen des Adels hinn vndt
wieder treybenden heymlichen Verftenttnus ann vns gefchries
ben, wir auch ©. 2. darauf geantwortet, desgleichen was
vnſer freundtlicher lieber Bruder Landgraff Philip vor
zweyen Tagen deßhalben an ung vor Bericht gelangen laßen.
Dieweill nun ſolchs einer Vffwiglung, und das man vns
ben Fürſten den Adell gerne abfpannen, vnndt zur Wiebers
ſetzung vnd Ensiehung fchuldigen Gehorfambd bewegen
woltten, gleich fiehett, vnd dahero die Notturfft wol erfor«
dert, bierauff ein wachendes Aug zu haben, vnd hierauß
beforgenvden BVnrichttigfheiten in Zeitten sorzutrachtten, fo
werden E L. ſolchem ires Theylls inn ihrem Lande,
weniger nicht al von vns derogleichen gefchehen fol, auch
mit Vleyß inn Acht zu nehmen, und fonderlich off iren im
Bufederthall gefeßenen Adel eyn ernſtes Vffſzens zu habenn
N
320
vnd Demfelbigen mit Entrichtung der Contributionen vnd
Leiftung ander vergleichen Schulvigfheiten inn geburender
Subiection vndt Gehorfamb zuerhalten, vnd ihnen nichts
nachzulaſſen wiſſen.
Woltten wir E. L. alß fr, 2. Datum Kaffel. am 23.
_ Aprilis Anno ⁊c. 77. Wilhelm 8. 3. Heflenn.
13) Landgraf Wilhelm von Heſſen-Kaſſel an
den Kurfürſten Auguſt von Sachſen.
24. April 1577.
gr. lieber Better, Schwager, Bruder und Geuatter!
Als wir vorgeftrigem unferm E. L. geihanen Schreiben
nad, snferm fr. lieben Bruder Landgrauen Philipfen vonn
des reinländifchen Adels Verbundtnuß und zu Popparten
jüngft- gehaltener Berfamblung Bericht gethan, vnd ge-
betten baben,. daß ©. L. diesfalls denn rechten Grundt
vndt die dafelbft vorgelauffene Tractation vnd bejchehene
Verabſchiedung erfahrenn, vnd ung daruon hinwieder be=
richten wolten, fo thuen wir €. L. hierin uerwartt vber⸗
ſchicken, was ©. L. deßhalben vor Erfundigung einfommen,
ihre L. auch darbeneben an ung gefchrieben. Darab dann
E. L. den rechten Grundt vonn dießen Hendeln, vnd darauß
vernehmen werden, Daß es faft einer Vffwicklung vnd das
man vielleicht gerne denn Fürſten den Adell abfpannen,
und ihres fchuldigen Gehorſambs engiehen wolte gleichfiehet.
Darumb dann bierauff deito vleißiger Achtung zu geben von
Nötten if, wie wir dan vnſers Theile zuthun vnd ung am
gebührenden Gehorfamb weniger nicht al8 wir E.L. gefinnet
wißen, nichts engiehen zu laßen, gemeint fein, ftellen auch
zu E. L. rathlichem Gutachten, ob nicht yon dieſen Dingen
pff vorſtehendem Deputationtag zu renden und die Kay.
Mayft. ald noch ein angehender junger Herr, bierunter zu
erjuchen, und vmb gebührlich Einſehens zu bitten fey, dar-
mit ihre Mayft. fich nicht etwo von denjenigen, vie Feine
Regirung leidenn Tonnen, verleiten oder verführen laßen.
321.
Innmaßen wir dann hierauf E. L. rathlichem Gutachten
gewertig, vnd uns jnn dem mit E. L. Teichtlih vergleichen
wollen. Vnd habens E. L. alfo fr. nicht verhalten wollen.
Der wir ıc. Datum Caſſel am 24. Aprilis Ao. ⁊c. 77.
Wilhelm L. 3. Heſſen.
14) Landgraf Wilhelm von Heffen-Raffel an
Landgraf Georg von Heffen-Darmitadt.
27. April 1577. \
| gr. lieber Bruder vnd Geuatterl Wir haben E. 2.
Antworttfchreiben de dato Darmbftabt den 17. Aprilis des
frenckiſchen vnd büchenamwifchen Adels Confoederation betrefs
fendt fampt darbey gelegten Copien, was die von Eronberg
an E. L. vonn wegen vermeintliher Nichterlegung der Türs
Aenfteuren gefrhrieben und E. L. ihnen darauff geantworttet,
entfangen gelegen, welche Antwort vns dan mwollgefelt,
wollen vns auch verfehen, fie die vonn Cronberg vnd an⸗
bere onder E. 2. geſeßene vom Adel, fo fich folcher Exemp-
tion etwo gleichergeftalt zur Vngebur anmafßen wollen,
werben ſich in Betrachtung ſoͤlchs E. 2. wolgegrundtenn,
aud dem Reichs Abfchient vnd dem Herfommen gemeßen
Berichts mit ihrer Erlegung ohne weitere Contradiction ges
horfamblich vnd aller fchuldige Gebühr erzeigen. Do aber
bie von Cronberg nochmaln vff ihrer Wiederfegung vnd
angemaften Exemption beharlich beftehen würden, fo Tan
nicht fchaden, das E. 2. ihnen eben rundt vorwerffen, weil
onfer Herr Batter ihnen nicht allein das verwirkte, ſondern
auch das erfauffte Theil am Eronenberg auß lauterer Gnadt
vnd Feiner Pflicht wieder zufommen laffen, daß fie dero⸗
wegen folhe Gnadt und Gutthat billig bevenfen, vnd ſich
mit Erlegung der Steuren, welchs ſich auch ohne das pil-
lig geburte, nicht dermaßen beſchwerlich vnd wiederſetzig er⸗
zeigen, fonvern ſich vielmehr dargegen danckbarer verhalten
ſollen. Bndamweil fie die von Eronberg in ihrem an & L.
gelangten Segenbericht erwehnen, das fie aller bey vnſers
322
Herrn Vatters gotifeligen Lebzeitt kewilligter vnd erhabener
Steuren erlaßen worden, ob wir dan wol vemfelbigen
nicht durchauß Glauben zuftellen Fünnen, ſondern auß Be⸗
richt der Vnſern befinden, das ſolchs jeder Zeitt in Contra-
dictione geweßen, jeboch bieweil die vomaln vbers Ober⸗
fürftentbumb gehaltene Regiſter nicht mehr inn hieriger
snfer Chammer Regiftratur, fondern gein Marpurg vnſerm
fr. lieben Brudern Landgr. Ludwigen faft aller zubracht
worden vnd in S. L. Berwahrung feindt, fo haben wir
an ©. L. gefchrieben und gebetten, dad ©. L. in denfelbi-
gen Regifter nachfuchen laßenn wolten, wie e8 zu der Zeitt
darmit gehalten, und ob vnd wie bie von Cronberg con-
tribuirt oder nicht, zuuerfihtig ©. L. werben E. %. was
fie daruon befinden .hierneben zuberichten nicht vnderlaßen.
Was ſonſtet des frendifchen vnd buchenawiſchen Adels
Confoederation betrifft, ob wir wol deswegen alle mugliche
Erfundigung haben laßen, auch egliche unter vns Gefes-
fene vom Arell des Echreibens halben, fo fie die Srendifche
vnd Buchenawifhe vom Adell an denn thuringifchen vnd
befiifhen Adell gethban haben follen, zu ernfter Redt vnd
Befragung ftelen laßen, fo wollen fie die unfere doch vonn
foihem Schreiben im geringften nicht wißen, aud wie wir
vernehmen die Frenckiſchen vnd Buchenawiſchen vom Adell ſol⸗
cher Confoederation nicht dermaßen, wie fie außgefprengt, fon=
dern fo weitt geftenvig fein, vnd vießelbige verdrehen, das
wo mit felbft thatlicher Restitution des entſetzten Abbts au⸗
Berhalb der Key. Mayft. Beuelchs vnd Verordnung, vonn
einem oder anderm , wie ein Gerucht außgeichollen, etzwas
wehre vnderſtanden worden, das fie alsdan ſolchs nicht ge=
ftatten, ſondern darjegen mit einhelliger Zufammenfeßung
ihr Beftes thun wollen. Dieweil aber nunmehr vorlengft
bie vff regenspurgifchem Reichsſstage verabfchinte und dem
Teutjchenmeifter beuohlene Sequestration des Gtiffts Fulda
ins Werk gerichtet und die Administration, desgleichen die
Vnderthanen des Stiffts off gutwilligs Nachgeben und ſelbſt
323
Anweyfung des würkburgifhen Auch fulbifchen Capittels
vnd Ritterfchafft in Eidt und Pflicht der Key. Mayſt. bie
zu Außtragk dießer Sachen angenohmen, fo baltenn wirs
barfür, das darmit dießenn Dingenn ihr Ausfchlagf gegeben
vnd dieße Confoederation inn Brunnen gefallen ſey. &leich-
wol Fan nicht fchaden, fondern will die Notturfft erfordern,
dag man off der vom Adel Thuen ein gute Dffachtung
babe, ihnen den Zugell nicht zu weitt laffe, vnd fie mit
Bermweigrung und Dorenthaltung der Contribution und ders
gleichen Echuldigfeitt nicht Nemwes, oder uns den Fürften
Berfenglih& und Nachtheiligs einführen laße, darauf E. 2.
ihres Theils mit Vleiß zu ſehen wißen werben.
Wolten wir E. L. alfo hinwieder fr. nicht verhalten
ond feindt ꝛc. Datum Caſſel am 27. Aprilis Anno ⁊c. 77.
Wilhelm L. 3. Heſſen.
15) Landgraf Ludwig von Heffen-Marburg an
Landgraf Wilhelm von Heffen=Raffel.
28. April. 1577.
Bruderliche Trew, und was wir mehr Liebe vnd
Guts vermögen zuuor, hochgeborner Fürſt, freundtlicher
lieber Bruder vnd Geuatter!
Vnns iſt E. L. Schreiben, vom 23. huius, an heudt
wohll eingeantwortet worden. Nun ſeindt wir durch E. L.
Secretarium Heinrich Heſpergernn, deßenn ſo vnnſer freundt⸗
licher. lieber Better ver Churfürſt zu Sachßen se. der heim⸗
lichen Verſtendtnus halber vnder dem Adell an E L. vnd
E. L. hinwidder ann S. L. geſchriebenn, vmbſtendtlichen
berichtet worden. Waß auch vnſere beyde freundliche liebe
Brüder vnd Geuatter Landgraff Philips und Landgraff
George re. an E. L. deßwegen gelangen laſſen, haben wir
gleichergeſtalt verleßenn, iſt vnns aber außer deßen, ſo wir
E. L. durch vnſern Stadthalter hieruonn anmelden laßen,
nichts bewuſt. Wie aber dem, ſo will ein hohe Notturfft
ſein, ſolchenn Dingen der Gebür nachzudencken, wollen der⸗
M
324
halbenn wir ann vnnſerm Orth bierauff ein Aug halltenn,
vnd ſouiell an vnns ihnen bierein nicht Raum laßen.
Souiel die Buchſeckerthaler anlangt, haben viefelbe
gutwillig contribuirt, vnd haben wir fonderlid dieß Orths
Niemandts vnderm Adell vernommen, die ſich deren verwei⸗
gert hetten, außerhalb der Cronberger vnd Brendell, der—
wegen wir aber vnnſern Beampten ernſten Beuelch thun
laſſen, vonn ihrenn vnder vnns gelegenen Guttern ihr ge—
bürendes Antheil dem treyſiſchen Anſchlag nach, vonn ihrenn
Colonis vnweygerlich einzubringen, vnd iſt unſer freundtlich
Bitt, E. L. wolle vnbeſchwertt fein, waß ihro deßwegen
fernner einkommen wirdtet, vnnß gleichergeftalt inn brüber-
lichem Vertrawenn zuberichtenn, waß dann vnns hiruonn
anlangt, ſoll E. L. hingegen vnuerhalten pleiben.
Wolten wir E. L. hinwidder freundtlich nicht verhalten,
vnd ſeindt deroſelben zu angenehmen bruderlichen Dienſten
jeder Zeit geneigt. Datum Marpurgk am 28. Aprilis Ao ꝛc. 77.
Bon Gottes Gnaden Ludwig Landgraue zu Helfen, Graue
zu Catenelnbogen ꝛc.
Ludwig L. 3. Heflen.
Diefem Echreiben ift nachftebende Beifchrift Heinridy
Hesberg's, Sefretars des Landgrafen Wilhelm, beigefügt:
Auch gnebiger Fürft ond Herr, hab ich Hefperger allein
Landgraff Ludwigen die mir mitgegebene Copien des Chur⸗
fürften zu Saren Schreiben und E. F ©, darauff gegebene
Antwort, auch Simon Bingen Schreiben, deren vom Adel
heimlich vorftehenden Confpiration halber in Vertrawenn
Iefen laffen. Darauff fein F. G. mir angezeigt, das ©. F. ©.
deßwegen woll auch allerlei gehort, wolten aber ein vleißig
Auge darauf haben, und was fie deßwegen in Erfarung
pringen, €. F. ©. unfeumblich zuerfennen geben. Datum pt
in Ltris. u
9. Hefperg.
325
16) Kurfürft Auguft von Sachſen an Landgraf
Wilhelm von Heffen-Raffel, |
1. Mai 1577,
Vnſer freundtlih Dienft, und was wir Liebes vnd
Buttes vermögen zuuor, hochgeborner Fürſt, freunplicher
lieber Better, Schwager, Bruder vnd Geuatter! .Aug E. 2.
Schreiben am Dato Caffel den vier vnd zmwanzigften des
jüngft vorfdsienen Monatstags Aprilis haben wir vors
nommen, was ed vmb des reinländifchen Adels jungft ges
haltener Zufammenfunft zu Popparten für eine Gelegenheit
habe, thun vns derwegen foldher Communication freundtlichen
bedanden, wie berurter Adel noch zur Zeit nur alleine jnn
Surhabeng, fich fegen dem, was ihn aufferlegt werven will,
mit Recht aufzuhalten, auch ihre Grauamina den Feiferlichen
Commiffarien fürzubringen. Sp feind wir doch mit E. L.
befien einig, das hierinnen nichts minders ein guttes fleiffig
Auffachtung zu haben, damit nicht etwan under dem Schein
ein anders gefucht werde, vnd ferner Weiterung daraus
erfolgen möge, halten e8 aber gleichwol darfür, wan ein
jeder Landeßfürſt bei feinen Unterthanen dies geburende
ernfte Einjehen furwendet, dag alle Gelegenheiten, fich etwas
wider fchuldigen Gehorfam zu vnderſtehen, vorhütet vnd
yormiten werte. Es fol hierdurch diefer und anderer bes
jorglichen Gefhar leicht zubegegnen vnnd zu flewren fein.
Könnten auch demnad aus allerhand bewegenden Vrſachen
noch zur Zeit rahtſam nicht erachten, das derowegen auf
furftehenden Deputationtag fonderlihe Berathichlagung an-
geftellt werben folte. Das aber auch die Stende, die fi
etwa von ihren Vnterthanen Wiederwertigfeit zubefahren,
Die Röm. Key. Mayft. ver Gelegenheit berichteten, und vmb
ernſtes Einſehen erfucheten, folches Fönte vnſers Erachtens
füglichen woll gefchehen, weil auch diesfals vmb fouil Defto-
mehr die Notturfft fein, dieweil wir vormerken, das, wie
gemelt, die NRitterfchafft ſelbſt folhes an die Key. Mayſt.
gelangen zulaffen bedacht ſei. Wolten wir E. L. zu begerter
326
Antwort freundtlicder Meinung nicht bergen und E. L. freunbt-
liche Dienfte zuerzeigen feind wir willig. Datum Stolpen,
den 1. May Ao ıc. 77.
Bon Gottes Gnaden Auguftus, Herzogk zu Sachſen, des
heiligen römiſchen Reichs Erzmarfchalch vnd Ehurfürkt,
Landgraff inn Düringen, Marggraff zu Meiſſen, vnd
Vurggraf zu Magdeburg.
Auguftus Churfürſt.
17 Nachſchrift eines Schreibens des Landgrafen
Gr tg von Heffen-Darmflabt an Landgraf
Wilhelm von Heffen-Laffel.
Angelangt zu Kaffel am 22. Mai 1577,
Auch freundtlicher lieber Bruder vnnd Geuatter, wir
wollen E. L. freundtlich nicht verhalten, das wir jnn Er⸗
fahrung kommen, das die reinländtichen vnnd zur Burg
Friedbergk gehörige vom Adel denn 22. huius zu. Meintz
zufammen fommen werden, vnnd feyenn (wie wir ans
irem Schreiben verfehenn) vonn einem Feyferlichen Abgeſandten
bahinn gefordert. Was nun inen proponirt wirbet, bag
fonnen wir nicht wiffen. Es hat gleichwoll die Burg Fried⸗
bergt an Gilbrechten vonn Carben, vnſern gewefenen Hoff:
meifter, geichrieben, und darneben vermeldet, daß fie ent-
fchloßenn feyen, die Propofition antuheren, vnd ihre Be⸗
fhwerungenn darbey auch angugeigen, derhalben fie begeret,
do gemelter vonn Carben auch etwas vorzubringen. hette,
Das ehr folhe Beichwerungen alsdann mit anzeigen folte.
Mas nun ire Befchwerungen feindt, ift vnns nicht bemuft.
Wir wollen aber nicht vnderlaßen deßhalben vleißige Nach⸗
forfhung zu thun, vndt was wir deßwegen inn Erfahrung
bringen werden, folhs fol E. 2. vnuerborgen pleiben.
Datum vi in litr.
| | George Landg. zu Helfen.
327
18) Hartmuth v. 4. von Kronberg an Hans
von Berlepſch.
24. Februar 1583.
Die Korreſpondenz bricht mit dem vorſtehenden Briefe
ab, oder richtiger: ich habe ihre Fortſetzung nicht gefunden.
Daß aber die Bewegung im Adel noch fortdauerte, zeigt
fi in dem nachfolgenden über fünf Sabre fpätern Schreiben
des mainzifchen Oberamtmanns Hartmüth d. ä. von Krons
berg an Hand von Berlepſch, geheimen Rath des Land⸗
grafen Wilhelm von Heſſen; es zeigt daſſelbe zugleich aber
auch, daß der Adel bereits geſpalten war.
Hartmuth ſchreibt:
Nah Erbietung meiner gantz willigen Dinſte mit
Vermogen alles Guten bevor, geftrenger edler und ehrnvefter
freundlicher gelipter Schwager und vertrauter guter Freund.
Sch habe euch onlangft bey einem eichSfelder Botten aller=
band vertraulich8 gefchriben vnd den Brieff dem Bogtt
vff Biſchoffſtein zu Handen vberfchictt, euch folchen zu zu⸗
fertigen, jn Hoffnung es folle befcheen fein. Wie ſichs
anfehen left, ſtehen wahrlich die Sachen gantz geferlich vnd
ift wahrlich allen vnſern gnedigften und gnedigen Chur⸗
vnd Furſten die Ding in gutter Achtt zu haben hoch nötig.
Werden (wie wir nitt zweifelt) die Ritterfchafft, ſonderlich
am Reinftrom, Francken und Schwaben aller Gepuer und
zum Bellen haben. Wer obel und nitt adelich handelt, den
hole der Teuffel. Was ich meins geringen Bermogens dar
zu rahten und befordern fan, das thue ich mit allen auffers
fin Willen. Hinwider verfehen wir uns zu ihren cdur-
ond fürftlichen Gnaden geifllichen vnd weltlichen aller billichen
Droteftion. Konten vnſers Teilß die Erg- vnd Stiffte, wie
aud den geiftlichen Stand nitt lafjen, daran nitt allein vns,
fondern auch hochgedachten höhern Stenden nitt wenig,
fondern viel gelegen. Bon dem allen aber wehr baß zu
A
328
reden, Dan zu fchreiben. Bieleicht fett ein andere Maus
vonder dem Saume. *)«
Der weitere Brief handelt über mainzifch = heffifche
Berhältniffe, welche nicht hierher gehören, und fchließt mit
den Worten: „Ob die jtz in der Welt vmblauffende Hendel
aus guttem Kiffer vnd nit etwo vnder dem Schein des
heyligen Euangelii andere Dinge gemeint vnd gefucht, daran
zweiffeln viel, und ift foldhes dem Almechtigen, dem Erfenner
aller Hergen, am beften bewuft, der zu feiner Zeit das
Gute vnbelohnet vnd das Böſe vngeſtrafft nitt leſt, reli-
qua in presentia, indeſſen gnedigen Schutz vnd Schirm
ich euch treulich beuele. Datum Aſchaffenburgk jn Eil
den 24. Februar Anno 83. Diß alles in vnſerm hohen
Vertrauen.
Hartmudt von Cronenberg der Elter.
XIV.
Die Bevölkerung Kurheſſens und deren
Bewegung.
Mitgetheilt von Kurfürſtlicher ſtatiſtiſcher Kommiffien. .
Die Ergebniffe ver Bolfszählungen in Kurheſſen von
1827, 1832, 1834, 1837, 1840, 1843, 1846 und 1849
find in ven ftatiftifchen Mittheilüngen über die volfswirth-
fchaftlichen Zuftände Kurbeffens von Br. Hildebrand, Berlin
1853, veröffentlicht worven. Wir laffen hier vie der Zäb-
lungen von 1852, 1855 und 1858 in gleicher Ausführliche
feit folgen (Anlage A. B. und C.) und fchließen denfelben
weiter die Hauptergebniffe einiger älteren Volkszählungen,
welche in den legten Jahren des vorigen und den erften
Jahren viefes Jahrhunderts in den Heſſen-Kaſſelſchen Landen
ſtattgefunden haben, an (Anl. D.). ;
| *) So fteht e8 deutlich, Doch was es heißen fol, weiß ich nicht.
x
8329 \
In diefer früheren Zeit fcheinen in Heffen regelmäßig
in jevem Sahre oder wenigftens in jedem zweiten Sahre
Zählungen und Zufammenftellungen ihrer Refultate vor⸗
genommen worden zu fein, welche Die Bevölferung nach
ihren verfchiedenen für den Staat beſonders wichtig erfchei-
nenden Kategorien (nach dem Gefchlechte, Alter der unverhei-
ratheten Mannsperfonen, ehelihen Verhältniffen, Militair-
und Civildienſte, gewerblichen, fünftlerifchen ꝛc. Berufe, chrift-
lichen oder jüdiſchen Religionsbefenntniffe ꝛc) unterfchieven,
und daneben auch den Biehftand nach den einzelnen Gattungen
des Viehes darftellten, Die fpeziellen Nachrichten über viefe
amtlichen Erhebungen haben noch nicht aufgefunden werben
fünnen. Das, was hier (in Anl,D.) davon mitgetheilt wird,
ift aud General: Abfchlüffen entnommen worden, welche der
Kurfürftlichen ftatiftifchen Kommilfion aug einer Privatfamm-
lung zugefommen find. Nur über die Zählung vom Jahre
1795 find fpezielle big auf die einzelnen Aemter und Städte,
Dorfichaften und Höfe herabgehende BVerzeichniffe bei einem
hiejigen Antiquar zum Vorfchein, und von da in den Befig
der Kurfürftliden Kommiſſion für landwirthfchaftliche Anz
gelegenheiten gefommen. Die Nachforfchungen nad den
Driginal-Aften und Berzeichniffen über jene älteren Zäh—
lungen, welche ein fehr ſchätzbares Material zur vergleichen-
den Etatiftif Kurheſſens enthalten, werden noch fortgefegt,
und behalten wir und vor, auf diefen Gegenfkand in einem
die älteren Zählungen fpezieller betrachtenden Auffage zurüd-
zufommen. Hier mögen jene älteren Nachrichten Cin An—
lage D.) nur dazu dienen, Das Anwachſen ver Benölferung
während der 12 Jahre 1793 bis 1805 in den größeren
Gebietstheilen nach deren damaligen Beſtande anfchaulich
zu machen. Es mußte dabei die ältere Eintheilnng des 2“
Landes beibehalten werben, weil in Ermangelung volflän
diger Angaben über die Bevölkerung der einzelnen Orte in
jenen Jahren eine Darſtellung nach der dermaligen Einthei⸗
lung unausführbar war. |
330 |
Die im Detail vorliegenden Nachrichten über die Zah—⸗
lung son 1795 haben indeſſen dazu benugt werben fünnen,
über das Anwachſen der Bevölkerung in ven einzelnen Thei⸗
len Kurheſſens nach der dermaligen Landeseintheilung wäh⸗
send eines 63jährigen Zeitraums Cvon 1795 bis 1858)
Aufichluß zu erhalten, welcher aus der weiteren Ueberficht
(Anlage E.) zu erfehen ift. J
In dieſer Ueberſicht ſind die ſpeziellen Bevölkerungs⸗
angaben von 1795 nach der gegenwärtigen Eintheilung des
Kurſtaats in Juſtizamtsbezirke, Kreiſe und Provinzen zu⸗
fammengeftellt und mit den Ergebniſſen der neueſten Zäh—
lung von 1858 verglichen worden. Bon den dazwiſchen
fallenden Zählungen hat man nur 2 berüdfichtigt und bie
vergleichende Darftelung mit darauf erftredt. Einmal bie
Zählung von 1849, welche die größte Volfszahl ergab, und
feit welcher die Bevölferung ſich vermindert. hat, und ſodann
diejenige Zählung, welche nach Vertreibung der Fremdherr⸗
ſchaft und Wieverherftelung des Kurftaats zunächſt fatte
gefunden hat, und worüber fpeziele Nachrichten vorliegen.
Es ift dieſes für die Lanvestheile aus dem Bezirfe ber
früheren Regierungen zu Caſſel und Marburg die Zählung
von 1819 (angeordnet durch das Negierungs-Ausfchreiben
som 31. Juli 1819 für den Caffeler.. Regierungsbezirk,
Geleg- Sammlung ©. 40, und durch ein gleiches Ausſchrei⸗
ben vom 28. Auguft 1819 für ven Marburger Regierungs-
bezirk), da die im. Jahre 1817 im Erfteren und 1818 im
Kesteren vorgenommene Zählung wegen Webergehung. ber
Militärperfonen nicht vollſtändig erfchien. Bei den übrigen
Landestheilen aber ericheinen die im Staatskalender von
1819 berüdfichtigten Zählungen von 1816 im Hanauifchen
und Sfenburgifchen, 1817 over 1818 im Großberzogthum
Fulda, uud 1818 in der Grafihaft Schaumburg als jene
bier in Betracht gezogenen näcften Zählungen nach ber
Wiederherſtellung des Kurfürſtenthums *).
*) Wenn Hildebrand in ſeinen ſtatiſtiſchen Mittheilungen bie. Angaben
—*
4
10}
331
Zur vergleichenden Darftelung ber verhaͤltnißmaͤßig
arößeren oder geringeren Veränderung der Volksmenge iſt
in der Anlage E. zugleich angegeben worden, wieviel Pros
zente biefe DVeränverung in dem Zeitraume von einer Zähe
lung zur anderen und zu der son 1858,- fowohl im
Ganzen, wie bei .einer Repartition auf bie einzelnen Jahre,
alfo im Durchſchnitt, betragen bat.
Da bei diefer Darftellung der gegenwärtige Beftanb
son Kurheſſen ind Auge gefaßt wurde, mußte aus ven
älteren Bevölferungsangaben. die Benölferuug ver feitvens
abgetretenen Gebietstheile ausgefchieden werben. Bon ven
zugegangenen Gebietstheilen fehlten bie Bevölkerungsan⸗
gaben aus 1795. Es fonnten deshalb die hierauf bezüglichen
Spalten nicht ausgefüllt werden. Wo foldhe Zugänge der⸗
malen mit älteren Gebietstheilen zu einem Amtsbezirke ver⸗
einigt ſind und demnach nur von einem Theile des letzteren
bie älteren Bevölkerungsangaben vorliegen, war eine Unte⸗
ſcheidung dieſer Theile zum Zwede der Bergleichung ver
Bevölferung aus den verſchiedenen Zählungsjahren erfor
derlich.
Wie die Darſtellung (Anl. E.) ergibt, hat die Bevöl⸗
kerung Kurheſſens in dem 63jaͤhrigen Zeitraume von 1795
bis 1858 und auch in den unterſchiedenen einzelnen Zeit⸗
räumen mit Ausnahme des lebten Coon 1849 — 1858)
erheblich zugenommen.
* Die Zunahme im ganzen Zeitraume, welche nur für
biejenigen Theile des Kurſtaats, die ſchon 1795 "zu den
Heſſen Safjelichen Landen gehörten, beftimmt werden konnte,
betrug 45.8 alfo durcdichnittlich in einem Jahre 0,8%
oder nahe ?/, Prozent der Bevölkerung von 1795.
des Staatslalenders von 1819 als Refultate einer Zählung von 1818
darſtellt, fo ift diefes nad Obigem, und da auch bei ben Orten aus
bem Caſſeler Regierungsbezirke bie Bevölferungsangaben in demfel-
ben aus der Zählung von 1817 entnommen worden find, nicht
ganz richtig.
332
Ä Ungerfcheivet man die Zeit zwifchen ven Zahlungen
son 1795 und 1819, als vie Zeit der Kriege, von ver
zwifchen den Zählungen son 1819 und 1858, ald ver Zeit
des Friedens; fo findet man die durchſchnittliche jährliche
Zunahme der Bevölferung der altheffifchen Zandestheile -
‚in den Rriegsjahren . = 0,59%), ..
in den SFriedengjahren — 0,70 °/,
Sn diefem legteren Zeitraume (von 1819 bis 1858)
it die DBevölferung des geſammten Kurftaats um
jährlid 0,67 °/, geftiegen, aljo 0,03%, weniger, als in
den altheffiichen Landestheilen. |
Es rührt diefes hauptfächlich daher, daß die Bevöl⸗
ferung der zu Kurheſſen gefommenen vormals Zuldaifchen
und reichgritterfchaftlihen Gebietstheile in ihrem Anwachſen
hinter der altheffiichen Bevölferung beträchtlich zurücfgeblieben
it. Im jährlihen Durchſchnitte bat nämlich Die Bevöl⸗
ferung des Kreiles Fulda nur = 0,54 °/,
” „ Hünfeld „ = 0,23 y/
des zum Kreife Schlüdhtern ge -
hörigen Fuldaiſchen Gebiets = 0,34 °),
jugenommen.
Außerdem hat aber auch bei jener Erſcheinung das
geringe Anwachſen der Bevölkerung der zum Kreiſe Fritzlar
gehörenden vormals Kurmainziſchen Orte Fritzlar, Roth—
helmshauſen und Ungedanken (jährliche Zunahme = 0,36°/,),
der zum Kreiſe Wolfhagen gehörenden ehedem Kurmainziſchen
Orte Naumburg, Altendorf und Altenſtädt (jährliche Zus
nahme — 0,35 °/,) und der von Preußen an Kurbeffen ges
fommenen Stadt Bolfmarfen (jährliche Zunahme = 0,25 °/,),
und meiter die Abnahme ver-Bevölferung in den "zum
Kreife Schlüchtern gehörenden 3 Orten des vormals gräflich
Degenfelvjhen Amts Ramholz Gährlih im Durchſchnitte
= 0,09 /) mitgewirkt.
Das Zurückbleiben der Bevölkerung in biefen neu
zugegangenen Lanbestheilen würde auf das Anwachfen ber
333
Bevölkerung des geſammten Kurſtaais einen noch größeren
Einfluß, als jene Differenz gegen das Anwachſen ver Bes
völferung im Althelfifchen zeigt, gehabt haben, wenn nicht
in anderen neu zugegangenen Landestheilen die Bevölkerung
verhältnißmäßig ftärfer zugenommen hätte, als im Altheffis
fhen. Es ift dieſes namentlich der Fall geweſen im vors
mals Jfenburgifchen, wo bie Bevölferung jährlih = 0,92 °/,,
und in den zum Sreile Hanau gehörenden vormals Kur-
mainzifchen Orten Grosauheim, Grosfrogenburg und Obers
rodenbach, wo fie jährlid = 1,56 "/, zugenommen hat.
Die Zunahme der. Bevölferung des gefammten Kurs
ftaats während der Friedensjahre betrug, wie erwähnt, im
jährlihen Durchſchnitte = 0,70 °/, der Bevölferung von
1819. Statt dieſes allgemeinen Durdfchnitts laffen ſich
nad ven einzelnen ſeit 1819 vorgefommenen allgemeinen
Zählungen für die zwiſchen Denfelben liegenden einzelnen
Zeiträume befondere Jahresdurchſchnitte bilden, wobei bie
Zunahme ber Bevölferung für jeden Zeitraum in Prozenten
ihres Beſtandes zu: Anfang defjelben beſtimmt und die in
den einzelnen Jahren wirklid vorgefommene Beränberung
ber Volksmenge richtiger dargeftellt wird, als durch jenen
allgemeinen Durchſchnitt. Ein ſolches Verfahren ergibt bei
der Bevölferung Kurheſſens
für den Zeitraum er einer Bevöllerungs eine jäpreliee
Anzahl KAnfangs)|(am Ende)] Zu⸗
vou der von nahme Pe
Jahre | Perjonen.|Berfonen Y —*
Ang. 1819 bis Aug. 1827 8 676212 | 639881 _
Aug. 1827 „ Wehr. 1834 | 4 639881 | 671864 —
Febr. 1832 „ Dezbr. 1834 | 23 176778669 700583 —
Dezbr. 1834 „u — 1837| 3 100683 | 713570 —
— 137. — 1510| 3 1] 71350 | 728550 —
— 140. — 1513| 3 128590 | 746705 —
— 1343, — 1836 3 746705 | 754702 —
— 1346, — 1949| 3 754702 | 759816 —
— 155, — 1855| 3 | 755350 | 3632 | — | 0,
— 565. — 1558| 3 7136392 | 726739 | — | Os
VII. Band 22
334
An die Etelle jener Zunahme son jährlid — 0,70 %,
für tie gefammten zwifchen ten Zählungen son 1819 und
1858 liegenden 39 Jahre tritt hiernach
für vie erften 15'/, Jahre eine weit ftärfere Zu—
nahme im jährlichen Durdfchnitte = 1,41 °/,
für tie folgenten 15 Jahre aber eine jenen allge-
meinen Durdfchnitt nicht erreichente jührliche Zunahme
von nur — 0,56 °/, und |
für die legten 9 Jahre, ftatt ter Zunahme, eine
Abnahme im jährlihen Durchſchnitt von 0,48%),
Der Gang, welchen tie Bewegung ter Berölferung
Kurhefiens im ganzen 63jährigen Zeitraume und in deſſen
in Anlage E. unterfhietenen Abichnitten eingehalten hat,
ift bis auf wenige gleich zu erwähnente Ausnahmen auch
bei den einzelnen Landestheilen wahrnehmbar geweſen,
wenn auch in der Größe der Veränderungen fich Verſchie⸗
denheiten zeigten. |
Die Abweichungen in der Richtung der Bewegung,
alſo in Beziehung auf Zu⸗ und Abnahme, welche aus-
nahmsweife vortommen, beftehen in Folgenden:
Im erften Zeitabfehnitte von 1795—1819 if
in den Älteren heſſiſchen Landestheilen ſtatt der im Alfge-
meinen eingetretenen Zunahme eine Abnahme der Bevöl-
ferung nur im dermaligen Amte |
Hanau J. und zwar in der Stabt Hanau);
=) Die Bendfferung ber Stabt Hanau, weldde 1795 == 11775 Ber-
fonen betrug, muß nad einer in den Hanauer Regierungsaften
befindlichen „Populations-Tabelle des Departements Hanau“,
worin das Zählungsjahr (wahrfcheiulich 1811) nicht angegeben ift,
bis in die Zeit des Großherzogthums Frankfurt auf 12102
erfonen angewachlen gewefen fein. Im Jahre 1816 war fie auf
34 Perſonen heraßgefunten. Nach einer Zählung im Jahre 1825
betrug fie 10888, im Jahre 1827 = 13792 Perſonen und im
Sebruar 1832 = 13983 Verfonen. Bei den Zählungen von 1816
und 1825 find Die ausländiſchen Handwerksburſchen, Fabrifarbeiter,
Dienftboten und Tagelöhner nicht mitgezählt worden, dagegen aber
die abmwefenden Ortsangehörigen. Im Jahre 1827 wurde der
“ Aufenthaltsort beachtet, und find jene Perfonen, auch Fremde bei
längerem als 3monatlichem Aufenthalt, mitgezählt worden,
335 —
Bieber, beſonders Im Fleden Bieber mit dem Berg⸗
werke, in Flörsbach und Lohrhaupten *);
Steinau, beſonders in Ahlersbach, Hohenzell und
Kreſſenbach **8); |
.
*) Die Bevölkerung in ben Ortfchaften des Amts Bieber betrug
——— —— —— — — — —
nach der Zählung von
im Orte 1795 18111816
nn —— —— — —
Bieber W . oe y . 00.0. © 701 168
Bergwelt ee ne. 650 |
Büchelbach RL ee 1 1 . 1. 1136 82
Gaſſen Pe 0 Pr .. 390 u 169
Röhrig.. ne | 182
Kbbh. ee. ZW 315
Lanzingen . 0 HH 2 0 0. oe.» 160 773 170
Breitenbom . .. 0.0. 124
202
Lüßel .o0.0 0. —_ ee 0 0... 60
Slörsbah . . «
Lohrhaupten . . ..
Kempfenbrum .. 20.0.»
Mosborn.
—
0 .
.
)
®
)
L
| Sa. I 3634 | 3166 | 3002
**) Die Bevölkerung in den Ortichaften bes Amts Steinau (ohne Mar-
born) betrug '
t nad der Zählung von
im Orte 1195 | 1811 | 1816
: — — ———
Steinau . . 2... 1863 1453 1855
Ablersbah . . hl Bl 1688| 107
Bellingg. . . .
Sobenel . . .
Kreffendah. .
Mario. ..
Niederzell 0 ‘bh 0 0 3— 0 0 0 267 386 228
Seidenroth..
Summa 3984 | 3837 3601
Die Benölferungsangaben von 1811 in biefer und der vorher⸗
gehenden Note find hier aus Winkopp's Beſchreibung des Großher⸗
zogthums Frankfurt entnommen worden, werden fich Danach aber
auch im Großh. Frankfurter Staatslalender von 1812 vorfinden,
22
336
Schmalkalden, am flärfften in der Stadt Schmal-
falden und im Orte Floh *); und
Rodenberg in 20 von den 29 Orten
vorgefommen **).
*) In der Stadt Schmalkalden hatte ſich die Bevöllerung don 5197
auf 4474, alfo um 723 Perfonen (13,95), in Floh von 1037 auf
2, alfo um 45 Berjonen (4,35) vermindert.
Außerdem waren Berminderungen vorgefenmen in
Breitenbach von 82 auf 72 Berionen
Ane von 173 auf 164 Perſonen
Mittelſtille vn 172 auf 166 Perfonen
Haindorf von I11 auf 109 Perjouen. -
Hu ben übrigen 12 Orten hatte Dagegen die Bevölkerung zugenommen,
**) Die Bevöl’erungs-Abnahme war am ftärkften in Iddenſermoor
und Niengraben (225), Apelern (245), Bedeborf (25,55) und
Bad Nenndorf 1388) geweien; die Zunahme am erheblichften bei
Horften (195), alteinghaufen (215) und Kleinnenndorf (343).
Die Bevölferung hatte in den einjelnen Orten betragen:
Zu-
nahmelnabm
® 0 0 — 82
32 | —
0 0 0 94 . —
. . 0 0 5 — .
o 0 — eo 120 — —
0 0 — 0 5 —
eo 0 0 © — 12
® 0 . 0 4 —
9a afte . “ ® © “ — 6
Helfing haufen . . . . . 7|I —
Ede mit Mit 0 0 . ® 16 —
orſten oo. . = 47
Kleinhegesdo 9 . . ... . 17| —
Kleinnenndbo 0 0 + 0 — 44
t o [} . “ — 1
[1 0} 0 ® 4 —
“ “ 19 —
0 . 7 —
J . 2111| —
Nehren mit Rehriviche und Norbörud . 5 | —
Neinsdorf . 40 —
Rheinſen mit Reinebolb und Heibbrint . 16 | —
" . 08 0604 60 — 5
epen 0 . eve oe 33 —
Sachſenhagen mit Quhlen — ı 1
Shötttingen mit den Eichhöfen u. Eichenbruch 12 | —
old o 0 0 0 0 0 eo ” oo 0 0 0 29 —
Waltringhaufen 2-00. — |
337
In dem übrigen Theile des 63jährigen Zeitraumes
(der Friedenszeit), alfo in den beiden unterfchievenen
Zeitabfchnitten von 1819 bis 1849 und von
da bi8 1858 zufammengenommen, hat eine Zu-
nahme in allen Landestheilen Statt gefunden, mit alleini=
ger Ausnahme des Amts Eiterfeld im Kreile Hün-
feld, wo die Bevölkerung gegen 1819 (eigentlich 1818) von
9531 auf 9156 um 3,93°/, ſich verminderte. Sie hatte
dafelbft im Jahre 1846 ihren höchften Stand (= 9636
Perſonen), ift aber ſeitdem bi8 1858 ftärfer herabgegangen,
als fie von 1819 bis 1846 geftiegen war. Gleichwohl
erfcheint Die Bevölkerung in 19 von 33 Orten dieſes Am-
te8 im Jahre 1858 höher, als 1819 und ift jene Bermin-
derung der Bevölkerung im ganzen Amte nur die Folge
der erheblichen Abnahme ver Sollgmenge in einigen der
übrigen 14 Orte *).
*) Die auffälligfte Abnahme der ˖Bevölkerung feit 1819 zeigt fich im
Amte Eiterfeld bei den Orten Buchenau (238), Mannsbach (198),
Neukirchen (128), Oberweifenborn (27,65), Bodes (188) und
Giefenhain (288). Indeſſen erwedt hierbei die Höhe der älteren
Bevölkerungsangaben Zweifel an ihrer allenthalbigen Nichtigkeit, da
diefe zwar bei den nächſtfolgenden Zählungen in ähnlicher Höhe
vorkommen, aber ſchon 1821 -fehr bedeutend ermäßigt erfcheinen,
. und da auch das Ortsverzeichniß, welches dem Organifations-Edict
für Das Großherzogthum Fulda vom 28. Dezember 1816 beigefügt
iſt (Geſ.Samml. ©. 135 ꝛc.) weit geringere Bevölkerungs⸗Anga⸗
ben aus einer unmittelbar vorhergegangenen Zeit enthält. Die
folgende Zufammenftellung wird dieſes näber darthun.
In dem betrug Die Benölferung nad
dem
— — — — —— ——
* Zahlungsangaben
wäh
4
Orte nit
1182018
ang) m im 1821
‚1824/1827]1846 BUT
Buchenau mit
Branders. „| 646 FR 346] 969 106 7164| 764) 8146| 830] 726
Mannsbach . . | 800] 1232112201226! 826! 851] 871|1012) 9751 947
Neukirchen . „| 417] 473| 463] 465) 387) 406 387) 4253| 425! dis
Oberweijenborn | 129) 174| 1381| 133) 108 si 149| 156| 1562| 126
—
Bodes. . . . | 199| 245| 245245200194 189) 212] 200] 201
Giejenhain „ „I 60] 99 86) 87| 81l 76 78) Sl Tal Ta
338
Betrachtet man dagegen jene beiten Zeitabjchnitte
einzeln‘; jo zeigt fih am Echluffe des Erfteren (oon 1819
bis 1849) in feinem Zanbestheile bis berab zu den
dermaligen- Juſtizamtsbezirlen eine Abnahme ter Bevöl—
ferung gegen ihren Beſtand im Jahre 1819.
In dem zweiten Zeitabjchnitte (von 1849
bis 1858), worin im Kurftaate im Ganzen die Bevölfe-
rung abgenommen bat, die Abnahme mithin die Regel
bildet, bat fih ein ausnahmsmweijes Steigen ter
Bevölkerung nur in folgenden Landestheilen gezeigt.
Sn der Provinz Niederheſſen:
1) bei der Stadt Caſſel, wo
. die Eivil-Bevölferung um überhaupt — 1,74°/,
alfo jährlich = 0,19 °/,
die Militair-Bevölferung um überhaupt = 19,14 °/,
aljo jährlich = 2,13 °/,
geftiegen ift *).
2) im Amte Eſchwege L in 3 von 6 Orten, be=
jonder8 in der Stadt Eſchwege und in Oberbünze-
bach **).
In der Provinz Oberheſſen:
3) im Amte Fronhauſen, in 12 von 20 Orten ,
*) Die geſammte Benölterung | der Stadt Kaffel (mit Einfluß des
Militairs) ift fortwährend im Steigen begriffen geblieben.
oe Die Civil⸗Bevölkerung hat ſich jedoch in der Periode von 1855
(von 32688 auf 32646 alfo um 42 Berfonen oder 0,139) vermin-
bert, wogegen aber die Militairbewölferung (von 4161 auf 4414,
um 253 Perjonen oder 6,088) geſtiegen iſt.
**) Die Bevölkerung ſtieg
in der Stadt Eſchwege von 6164 auf 6658 um 494 Perſ., überhaupt 85
im Oberdünzebach 461,, 44, 43 u n 9,58.
***) Bon den 20 Orten bes Amts Sronhaufen hat die Bevölkerung
in 5 abgenommen
in 3 gleichen Stand behalten C
in 12 zugenommen.
Dei Lebteren war die Zunahme am flärkften in
339
4) im Amte Treis a. d. L. in 7 von 13 Orten *).
Im Amte Amöneburg hat die Bendlferung zwar in
dem altheffiichen Theile, dem Orte Holzbaufen, wie Anlage
E. zeigt, etwas zugenommen, aber von den 6 vormals
Mainziihen Orten nur in zweien um eine Kleinigfeit, in
den übrigen 4 dagegen abgenommen und darunter in der
Stadt Amöneburg um überhaupt 6,7 °/,, weshalb. fich auch
fie da8 ganze Amt eine Abnahme von überhaupt — = 1
oder jährlih —= 0,19°/, ergibt.
Sn der Broviny Fulda:
5) im Amte Neuhof in 15 von 23 Orten"),
Inder Provinz Hanau:
6) im Amte Hanau I. in 7 von 413 DOrten**),
7) im Amte Bergen in 5 von 8 Orten),
8 im Amte Bodenhbeim in4 von 5 Orten 11),
Rollshauſen von 109 auf130um21 Perſ., überhaupt 19,34
Holzbaufen „ Bun 8.13 „ „ =1i1138
Altenvers „ 143 „ 164 „21 „ 14,78
Stedebach 50 Tu Tun 714,08
Damm „15.16.21 ». „ =ı35$
Rodenhanfen „ 186 „ 205 „19 u „ =102$
2) Die Zunahme war am ſtärkſten
in Wermertshaufen von 169 auf 207 um38 Berf., überhaupt — 22,58
in Haſſenhauſen „2370 9 u Mu nn. m 98%
»*) Die Zunahme war am erheblidften in den Orten:
. Büchenrod von 199 auf 226 um 27 Perf. überhaupt 13,68
Hattenbof m 401 „ TuS „ n 11,58
Shweben „ 20T nun U „BB m " 10,78
Stord „ 158 „ 13 „15 „ „ 9,53
+90) Die Zunahme war in ben 7 Orten nicht bedeutend, am ſtärkſten
in Rumpenheim von 544 auf 593, um 49 Berjonen, alfo über«
haupt = 9-
) Erheblich zeigte fih die Zunahme nur in Preungeshelm von 635
auf 734, um 9 Berfonen, überhaupt — 15,68.
+4) Die Zunahme war nur in der Stadt Bodenheim erheblich, nnd
zwar von 4002 auf 4620, um 618 Perſonen, überhaupt 15,45.
Diefe Stadt hat vie ſtärkſte Bevölkerungs-Zunahme in Kurheflen
340
9) im Amte Nauheim in fümmtliden 4 Irten
des Amtes, am flärfften jedoch in der jebigen Stadt
Nauheim *).
Im Regierungs-Gommiffions-Bezirte Rin=
teln:
10) im Amte Obernkirchen'in 12 von 24 Orten *).
Sn 10 von 88 Amtöbezirlen ift demnach tie Bevöl⸗
erfahren. Bockenheim, bis in das Jahr 1819 noch An Dorf,
-zäblte
im Jahre 1795. 938 Einwohner
„nr Ist = 1858 "
„rn 1816 = 180 n (Betrifft mehr die angehörige
" Bevollerung)
„Cttbr. 1825 — 2207 „ (betrifft mebr tie anweſende
Deoölferung)
Ang. 1827 — 2203 ⸗
Dibr. 1834 — 275% "m.
n 1837 = 3262 "
„ 1840 = 3303 Pr
„ 1843 = 3480 n
„ 18346 = 3755
Bon 17% bis 1858 Kat ſich die Bevöllerung Bockenheims
um 392,548, im jährlichen Durchſchnitte — 6,25 vergrößert.
e) In Nauheim hat ſich die Bevölkerung ſeit dem ” Zahıre 1849 von
1649 auf 2053, um 404 Berfonen, überhaupt — 24,58 vermehrt,
Diefer Ort, welcher 1854 zur Stabt erhoben wurbe, zählte
1795 = 922 Einwohner
1816 = 12322 °
1827 = 1419 "
1840 — 1424 n
1846 = 1464 „
**) Die erheblichſte Zunahme trat ein in bem Orten:
Kleinholtenfen von 85 auf 104 um 19 Berfonen, überhaupt 23,58
*
Beflerwald n Ru 107” 15 n n 16,35
Berufen „ 205 n 232.27 „ " 13,23
Ehrmbed „ Bu Un 8 m „1275
Kreyenhagen ” 23 „ 262 „23 = ” 12,45
Röhren „ 148 „161,13 u " 8,88
341
kerung in jenem lebten Yjährigen Zeitabſchnitte geftiegen
während fie in den übrigen zurüdgegangen ift.
Ueber die Größe der Zu⸗ und resp. Abnahme
der Bevölferung in den einzelnen Landestheilen, im Ber-
gleiche zu einander und zur Bewegung ber Bevölkerung des
gefammten Kurſtaats, enthalten Die Anlagen F. und G.
überfichtlihe Darftellungen *).
Die Erfte (F) zeigt, bei wieviel und welchen Landes⸗
theilen die Bevölkerung in den einzelnen Zeiträumen von
1795 bis 1819, 1819 bis 1849 nnd 1849 bis 1858
im jährlichen Durchichnitt "mehr, ebenfoviel oder weniger
als im gefammten Lande zu= und bezhw. abgenommen hat.
Die Andere (G.) ftellt dar, in welcher Größe im
Ganzen die Bendlferungs- Zunahme und Abnahme in dem
63jährigen Zeitraume von 1795 bi8 1858, dem 3Yjährigen
- son 1819 bi8 1858 und dem Hfährigen Seitraume von
1849 bis 1858 bei den einzelnen Landestheilen eingetreten
ift, wobei gewiſſe Abftufungen unterfchieden worden find,
und diejenige, mohinein Die Größe der Bevölkerungsbewe—
gung des gefammten Landes fällt, zwei Abtheilungen, für
das Mehr und für das Weniger als dieſe Größe, er-
halten hat.
Bei diefer Einrichtung ber Ueberficht ift Teicht zu er-
fehen, in welchem Grade die Bewegung der Bevölkerung
in den einzelnen Landestheilen von der im gefammten
‚ Rande in der pofitiven, wie negativen Richtung abgewichen
und imo dieſe Abweichung am größten geweſen iſt.
Eine auffällige Erjcheinung ift die Abnahme der Be-
völferung Kurheſſens m dem Zeitraume von 1849 bis 1858.
Bei Beurtheilung dieſer Erfcheinung ift übrigend nicht zu
*) Die Regierungstommiffionebezirfe Echmalfalden und Rinteln find
darin, weil fie einerfeitS den Provinzen coordinirt find, auch wegen
ihrer abgejonberten Lage eine bejondere Bedeutung haben, ander⸗
feits aber nur. je einen Kreis umfaffen, fowohl bei ben Provin⸗
zen als den Kreiſen aufgeführt wordea.
[4 -
342
überjehen, daß bei den Bolkszählungen im Zollvereine nicht
die den Staaten angehörige, fondern die darin an we—
ſende Bevölferung gezählt wird, und daß daher die Er-
gebniffe der Zählungen nicht eine Abnahme der dem Kur—
ſtaate angehörenden, fondern nur eine Abnahme der
darin anweſendgeweſenen Bevölkerung beweijen können.
Wenn über die Zugänge durch Geburten und Ein—
wanderungen und die Abgänge durch Todesfälle und Aus-
wanderungen genaue Nachrichten vorliegen, muß ſich, da⸗
raus die Bewegung der dem Staate Jugehörigen Bevölferung
jo genau nachweilen Iaffen, daß eine wirkliche Zählung ber
zugehörigen Bevölkerung nur geringe Differenzen zeigen
wird, die eine Folge der nicht ganz zu vermeidenden Män-
gel bei Aufnahme jener Nachrichten und Ausführung ber
Zählung jein werben.
In der Anlage H. find die Nachrichten, welche für |
den Zeitraum von. 1843 bis 1858 über die Ab- und Zu—
gänge bei der Bevölkerung Kuchefjens vorliegen, zufammen-
geftellt worden, |
An der Richtigkeit dieſer Nachrichten laßt fih im
Allgemeinen nicht zweifeln, da fie fih auf amtlihe Erhe—
bungen gründen, und zwar die über die Geburten und
Todesfälle auf die von den Phyfifsten jährlich aufgeftellten
Geburtd- und ZTodtenliften, und die über die Ein- und
Auswanderungen auf amtlihe Angaben der Verwaltungs
behörden. Nur Dieje leßteren Nachrichten. werden (abgeſehen
von der in ber Anl. H. angemerften theilweiſen Unvolljtän=
digkeit) auch deshalb nicht ganz vollitändig erjcheinen,
weil die Angahen über die Auswanderungen aus den älteren
Jahren faft ausfchlieflih nur die Ausmwanderungen nad)
Amerika, und nicht auch die allerdings nicht ſehr erheblichen
Auswanderungen nach anderen Ländern in und außer Eu—
ropa begreifen, und weil fowohl die Angaben über bie
Auswanderungen, wie die über die Einwanderungen die
Ab und Zugänge in Folge der Verheirathung von Inlän-
343
derinnen mit Ausländern, und umgefehrt von Auslände—
rinnen mit Inländern — Ab- und Zugänge, die ſich in-
deffen meiftentheils compenfiren iperden — nicht erſchöpfend
umfaſſen.
Vergleicht man die Ergebniſſe dieſer vorhandenen
Nachrichten über die Zu= und Abgänge bei der Bevölkerung
Kurbefiend während der Zeit von 1843 bi8 1858 mit
den Ergebniffen der in biefem Beitraume vorgelommenen
Bolfszählungen, fo zeigen fich jehr wefentliche Verjchieden-
heiten. Es zeigt ſich nehmlich bei der DBevölferung in
Kurheſſen
in ber, nach den Nachrich- nach den Diffe⸗
ten über die ey...
Periode Ab⸗ und Zugänge | Vollszählungen | venz.
—n
18°°/,, |emme Sunabme vonleine Zunahme von
16942
.7997 | 8945
18°) , eine Zunahme vwonleine Zunahme von
9677 5114 | 4563
. .48"/,, eine Zunahme vonleine Abnahme von
12455 4466 116921
18°?/,, eine Abnahme ponleine Abnahme von .
11747 18958 | 7211
18°°/,, eine Zunahme vonleine Abnahme von
8474 9653 [13127
Diefe Differenzen können begreiflicherweiſe nicht Durch jene,
im Ganzen geringfügigen Mängel der Nachrichten über bie
Ab- und Zugänge herbeigeführt worden fein. Sie rühren
vielmehr ohne Zweifel eben daher, daß bei den Voliszäh-
lungen nicht die angehörige, ſondern die anweſende Bevöl—
ferung gezählt worden ift, und erfcheinen als eine Folge
der Einwirkung, welche Die Veränderung der Zahl der im
Lande fich aufhaltenden Fremden und der im Auslande
vertveilenden Inländer von einer Zählung zur Anderen
auf ben Beftand ber anweſenden Bevölkerung gehabt hat.
—X
344
Da die Zahl der in Kurheſſen ſich aufhaltenden
Fremden nicht fo groß ift, Daß aus deren Berminderung
jo erhebliche Beränderungen im Beftande der Bevölferung
erwachien könnten; jo muß zur Zeit der Zählung von
1852, 1855 und 1858 die Zahl der im Auslande verwei—
Ienden Kurheſſen gegen das jedesmal vorhergegangene Zäh—
lungsjahr ſehr erheblich zugenommen haben, weil fonft nicht
in 1852, ftatt einer au den Ab- und Zugängen fich
ergebenden erheblichen, Zunahme eine nicht unbedeutende
Abnahme,
in 1855, ftatt einer nach den Ab- und Zugängen
eingetretenen geringeren, eine erheblich beträchtlichere Ab⸗
nahme und
in 1859, flatt einer aus den Ab- und Zugängen fol-
genden Zunahme, eine bedeutende Abnahme der Bevölkerung
fich ergeben Tonnte. .
Sn Veränderungen der Iehten Art ift deshalb die
nach den Volkszählungen in neuerer Zeit wahrgenommene
Abnahme der Bevölkerung Kurheſſens vorzugsweiſe zu juchen.
Viele Nachrichten weilen denn auch übereinftimmend
darauf hin, daß die Zahl der Kurheſſen — fowohl unver-
heiratheter, wie verheiratheter Verjonen und ganzer Fami—
lien — weldye wegen Mangels genügender oder hinreichend
Iohnender Beichäftigung im Auslande (Preußen, Fütland ac. )
insbeſondere in Fabritjtänten, bei Eifenbahnbauten, Berg-
werfö-Unternehmungen und dergl. Arbeit und Erwerb juchen,
in neuerer Zeit fehr beträchtlich zugenommen hat, wie denn
auch Unternehmungen, die auf Begünftigung ſolchen Erwerb-
ſuchens gerichtet waren, fich der Unterftügung der Behörden
erfreuet haben. M
Der Abgang an der Bevölkerung ift übrigend hiernach
nur als ein zeitweiliger nicht bleibender Verluft anzufehen,
da die überwiegende Mehrzahl der auswärts verweilenden
Inländer in ihr Baterland zurüdtehren wird, wenn ber
Tall eintritt oder die Heberzeugung entſteht und allgemeiner
wird, daß das Ausland nicht mehr und günftigere Gelegen—
heiten zur Arbeit und Erwerb darbietet, als auch im In—
lande zu finden find,
| Anlagen
iej
‚vo
B. 1
| | g nach der Zählung ’ _
litaͤrſtand | ebungen über den Civilfs:
- Sefammt- — — —i
Perſonen Vevöl- Bauen | Kinder Be _
( 3 über- | ferung. durg unter 14 Jahren I
Jahre mãnnlich weiblich
4024 | 36654 j 13497 | 4078 | 3859
7 u
3J| 152] 35611 12259! 5573 | 5533 | |34 -
B 56 | 4144 14637| 6434 | 6256 | |A_
ip 45 | 29193 9823 | 4968 | 4954 | |28 -,
11 | 894°| 39692 12566 | 6767 | 6427 | |3%.-
9 28 | 23683 8277| 3629 | 3459 | [23
% | 180 | 30582 10541 | 4875 | 4712 | |2C_”
vd 37 | 34290 1153371 5640 | 5314 | |32.-
vig 37 | 33390 11390 | 5223 | 5107 | |32_1
D| 44 | 262083 8800 | 4425 | 4279 | |25,.'
3 | 5497 | 330741° 113327| 51612 | 49900 31:
5| 439 | 41169 14061 | 6360 | 6220 | |39 |}
m 23 | 21055 6754| 3606 | 3559 | |20.-
D 37.1 26889 9220 4594 | 4380 | 26
RB 82 | 35649 12504 | 5574 | 5465 | |34__
B | 581 | 124762 42549 | 20134 | 19624 | |121 ’
2 | 539 | 47210 17242 | 7346 | 6769 | |46.
9 57 | 36040 12094 | 6105 | 5969 | |35 |
4 24 | 27408 9814| 4344 | 4329 | |27_.
5| 620 | 110658 | 39150 | 17795 | 17067 | 108
0 | 785 | 59059 . 20984 | 8390 | 8324 | | 57.
2 37 | 33116 10749 | 5295 | 5231 | |31.
9 48 | 32153 10512| 5244 | 5102 | |30-r
1 | 870 | 124328 42245 | 18929 | 18657 120:
1 42 | 28027 .9598 | 4062 | 4203 | | 26:
a ‘61 | 36834 12357 | 5890 | 5804 1
ß 1671 | 755350 . »89226|118422
id. Peſſen⸗ Caſſel
—vOeſſen)
cſon 805.
pe
oc 1805,
14
Bemertungen.
1
0599 234740
16029 55029]/ Die Verminderung ber „genötferung in der Zeit von 179505
im Amte Heflenflein von 252 auf 179, alſo um 29.0 Bet.
0415 27945 im Serighte Biermunden von 767 auf 088, alfo um 126 Bet.
16 . im Amte Frankenberg von 5655 auf 4897, alfo um 13,9 Det.
5866| 21398 in der Stadt nirchhain von 1808 auf 1635, alfo um 9,6 Pet.
0dgg| 22102 .
233 |”
—36| 36277
IT , 71430] Bon 1802 an ift die Bevölkerung der Stadt und Burg Geln-
61 haufen (in 1802 — 3028 Seelen) mitgezählt worden.
4974 Das Burftenthum Fritzlar gehort erfi feit dem 14 September
‚3333 1 1802 faktiſch und feit dem 25. Februar 1803 rechtlich au
Helen: Cafiel, und fehlen davon frunere Zühlungen. ,
4273| 19187] Die Verminderung der Bevöikerung von Eaßenelnboaen in
96; Beh von Den Aranpoien Defepien Orien = Ctadt ©.
—41]| 5666 — die Dörfer jenfeits des Rheins — nicht mits
134 geaäplt war.
67:
. 45021508748] mit dem | n
m lar.
0769493774 ohne das Fürſtenthu Frigla
390
540
83
66? | 3905
8905 |\ Die in der Spatte für 1802 in Klammern eingefchloffenen Zahlen
0 ftellen fich heraus, wenn man beider Vevölferung von
0,80 ch in älteren Angaben nicht enthaltene
1802 Die, au
Bevölterung von Gelnhauſen (f. oben) abfegt.
Acmter
Areife.
Provinze
Bemerkungen.
— — —— — — — —
1! Caſſel (Stall
2 L.
3
" m isſchließl. (des Orts Wahnhauſen, welcher erſt
n nſchließl. 1831 an Kurheſſen gelommen ift.
leſchließl. | des Orts Niefte, deſſen Bevölkerung
1819 mitgezählt worden ift, während
ber Dit (als halb hannöverſch) bei der
Zählung von 1795 übergangen war.
ne Wahnhaufen und Niefte,
X. Kr, (ne Wahnhaufen aber mit Niefte,
it beiden Orten,
5 Oberfaufung, tief.
6 Eichwege I.
7 Eſchwege IL
8 Abterode
9 Biſchhauſen
10 Netra
11) Wannfried
II. Sr, €
isſchließl. ) der früher Kurmainziſchen Orte
12| Sritlar Fritzlar, Rothhelmshauſen und
nfchfießt. Ungedanfen, weiche 1803 an Kur
13| Gudensberg
14| Sedherg
|
zul. Sr. oſchließl. |, i
h licht, des obigen neueren Zugangs,
15] Hofgeismar
16| Carlshafen
17| Grebenſtein
18] Sababurg
IV. Ar. D
heſſen gefommen find, -
Ibnahme: ber B
e.
1849 |
ıe I Bunahme.
riihlüberbpt| jährlid
sing ling
erung im ‚Beitabjchnitte
1819 x. 1795
858 bis bis —— —
1858 1858 2
(bnahme | Zunahme | Bunahme
Hpt| jährtichlüberhpt] jährlichſüberhptjährlich
c
T
nt Int ns Ina |ius
0,60] 14,54| 0,371 27,
0,52[12,70) .0,33[43,19
0,95115,90| 0,41|16,27
0,64 14,17 0,36] 29,96
0,80|18,57| 0,48|46,93
0,73117,23| 0,44|30,02
0,93113,42| 0,34137,24
0,83 16,41 0,42 38,85)
-1,13[14,48| 0,37] 26,45
0,70120,51| 0,53] 31,20
’1| 0,41] 22,55) 0,58[39,99| 0,63 ohne | Naumburg, Altendorf und Altenttädt, x
18 0, 58 18, 76 0, 4891 — a —— Rurmainziſche Orte 1803 Kur
39 0,40| 15 ‚84 0, ‚41 30, 16 0,48 ohne ! Stabt Volkmarſen, welche 1817 von !
18 0, 58] 13,06) 0 33] — | — lmit ben an Kurheſſen abgetreten wurde,
0,54134,93| 0,55
| 0,67118,75| 0,48|33,62] 0,53] ausſchlielich
einschließlich
ohne bie bei ben Kreifen Kaflel, Fritzlar
Wolipagen erwähnten neueren Zugäng
mit Dieien Ananas, No yore Wiuigehe:
— 1 — — \mit denieiben AHA White
ber vorgebadhten Zugänge.
Jemerkungen.
Pr
1 Mar der früher Kurmainzifchen zum Amte
‚ Amoneburg gehorig geweſenen Orte
2 nm , Banerbah und Ginfeldorf, melde
1 1803 Heffiſch wurden.
3 Fronh
4| Treis
5) Wetter
1. | obigem Zugang,
— U mad
6| Franfı
7 Rofen
u. Sr
8 Kirchhlahr, Niederklein und Stauſebach.
neburg, Erfurtshauſen, Mardorf,
I Ambworf, Rüdigheim und Schröd,
Kadt, Auendorf, Emsdorf, Mombers,
OÖ Neufter,,. Ruplkirchen, Geibeläborf und
11| Rauſenelsberg und Sindersfeld.
: Inannte 19 Orte, welche vormals Kurs
iſch waren, und erſt ı
Hu. Ken find, El
12 Siegel
Ader bei I und IM erwähnten vor-
bem Kurmainzischen Orte,
Zu⸗ und Abnahme
1819 «.
1849
ne | Wbnahme Zunahme
yrlich ſüberhpt jährlich [üherhpt jähılid
v s |» $ *
- | — — 146026 0,62
— — | — 121,76 0,70
- — | — 115,30] 0,48
_ — — 32,921 1,06
| _ | — 1235 0,76
1,301 — — 113,59) 0,4
),43| — — 134,80) 1,1€
9,321 — — 138,96) 1,3(
0,431 — — 129,70] 0,9
0,47 — — 144,69| 1,48
J — | — [9040] 1,01
— | — — 123,48| 0,7€
— — — 430,541 0,8%
— — — 0,82 0,0:
ewölterung im Zeitabſchnitte
von
1819 ıc. 1795
bis bis
1858 1858
ahme | Abnahme | Zunahme | Zunahme
tſiãhrlich N überhptjjäbrlich ſüberhpt jährlich
0 u)
T T
1849 vis 1858
Bemerfung
1488 0,54 13,50) 034) — | — Pete in 1706 an nich he
— 1174 0.10125.681 064 — | —
— | 2,13) 0,24112,85| 0,32] — —
0,12 — | — 134,31) 0,86| — | —
| — | 1,01 oagja1a0] 04] — — os — —
— J8,161 0,91} 4,32 15 onılassel 05: 0,59
— 5,42] 0,60127,501 0,7140,69 0,65
— 3,97 0,33,45 0,85143,601 0,69
— 5,09| 0,5723,101 0,59, 35,841 0,57
— || 2,88| 0,32]40,52| 1,04|56,32| 0,89
| — | 5. 0,50]23,52 0,60]41,49 0,66
— | 8,27] 0,9213,27)| 0,33] — | — |Oz2ie Bemertung beim Aret
mals ritterichaftlichen -@
iſt die Bevoölferuug von
1795 nicht befannt.
— || 5,82) 0,65[22,94| 0,57) | ne mt
jegt zum Amte Burghaun
betrug die Bevoikerung
Abnahme N Su dem jum Bate Glen
— | 4,71) 0,52 3,9310,10, — — hörenden alnefliichen Dr
— 5,27 0,59 23,52| 0,6041 ‚49 0,66Jin_ den, attheffiichen Thei
rovinz, jedoch ohne di
erwähnten Ort Fifchbach
heifitchen Antheil von Rh
Rothenkirchen,
in dem geſammten Umfaı
jegigen Provinz Yuıda.
Berechnung des jährlichen
ſchnitts iſt bier, di die ‚Bann
181 resp.
—A —E
— | 400| 04 1882 048| — | —
Bemerfungen.
burg und Oberrodenbach,
weiche ehemals Mainziiche
Orte erft 1816 au Kurheſſen
men.
ta
‚1 ohne Großauheim, Großkrotzen⸗
mit |
30| ohne Praunheim, weiches früher
und erit 1816 von Kurheſſen
mit
Die Bevöl kerung des vormals Sfen-
burgifchen Amts Langenfelboid in
1795 ift nicht bekannt.
)4lohne das vormals Iſenburgiſche Amt
Yangenfelboid und obige 4 in 1816
erworbene Orte.
mit diefen neueren Zugängen.
‚Glin_den afthanauifhen Orten des
Amts, ohne Stadt und Burg Beln-
haufen, welche Heſſen-CEaſſel als
NReichspfandfchaft, beſaß und erft
1803 eigenthumlich erwarb, und
deren Bevölkerung in 1795 nicht
‚ aufgenommen worden ift.
im gefammten jeßigen Amtsbezirke,
alfo mit Einfchluß von Geinhaufen
und der vormals Iſenburg⸗Mecr⸗
hotzifchen Orte (Gettenbach, Haitz
Lieblos, Niedergrundau, Roth und
Rothenbergen)
im geſammten dermaligen Bezirke
des Amtes Meerholz.
deſſelben.
Zu⸗ und Abnahme bı
1819 x.
5 is 1819 ꝛe. bie
| 1849
bme | Abnahme Zunahme
äbrlichlüberhpt| jährlichſüberhptjährlichſü
nslng Ing ing |in$
0,301 — | — [42,06| 1,2
— — | — [3622] 11
— I — | — [3365| 0,72
— | 9,61) 0,46|55,54| 1,68
— | — | — [5448| 1,65
0,35| — | — [4803| 1,46
0121 — | — |47,70| 1,45
39,66) 1,20
52,59] 1,59
— || 2,22| 0,11|59,95| 1,82
— | — | — [44,53] 1,35
— | — | — [25,91] 0,79
— | — | — ]|58,08| 1,76
2,93
Bevölkerung im Zeitabſchnitte
von .
1849 vis 1858
nahme | Abnahme
ging img jing
72) 0,521 — | —
0,47|30,42
0,91|13,56
0,97[41,99
1,13|38,84
1,12] 33,06
0,83| 36,70
0,881 28,56
0,38| 47,35
0,28| 55,89
0,46| 38,55
1,04] 14,10
65,55
0,72|\ 3,69
1819 ꝛe.
bis
1858
Zunahme
ypt jährlichläberhpt! jahrlich ſüberhptjaͤhrlich ſüberhpt
in 8
Abnahme
ing
0,87
0,68
0,92
0,3
1,5
0,09
1795
bis
1858
‚Zunahme
ing
0,721 —
0,32] —
1,00| 28,34] 0,45
0,92] —
0,79142,74| 0,68
40,27
113] —
‚jährlich
in 8
3,05] 0,34137,73| 0,90]46,54| 0,7
name
1,331 52,43| 0,83
Bemerkungen.
ohne
ohne
mit
0135, Hinkelho
IImers. weich
Ramh
und 30 .
zum vormals Gräflich-Des
genfeldichen, im Sahr 1806
Nurheflen unterworfenen
Amte Ramhol; gehörten,
und Sannerz, Weiperz
und —28 welche das
ai
Heſſen g
gericht Sannerz bildeten.
Marborn aus dem vor-
mals Zuldaifhen, 1816 am
Helen, gelommenen Amte
Salmünſter.
O, 640usſchließl. der vorgedachten 7
einſchließl.
neu uugegan genen
In dem gefammten Umfang ber
bermaligen Provinz Hanau,
Aemter. | 1 175
bis
reife, | 4858 |
Provinzen. ne | Sumapme Ri}
tinteln 0,62 4 |
Ibernfirchen 1,561" 54—
der
68 — 16 Einw
Adendorf re
tobenberg
Reg.-Eon.- Bezirk | 4 Dans)
Ninteln |0,82)42,19| 0,67
|
: 10,70] 45, 2] 0, 2 in den älteren Heften u. ‚Sauer.
| | — en ———
uch eſſen | 3,67 — | > Bi: aus 1803, 1816 und Int.
| mfange |
—— — ee Aurftaate nit €
ſchluß von hnhaufen-.
destheilen mit der Im geſammten Kurſtaate.
bei den
Amtsbezirken
von
Bezeichnung
AIi. 2. 3. 4. 5. 6. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15.16. 17. 20.
22. 24. 27. 32. BI. 2. 4. 5. 6. T. 9. 10. 11. 15. 06.
D5. E4. F2.
A 18.34,
A 7. 8. 19. 21. 23. 25. 26. 28.29.30 31.33. 35. 36
3 se 07.8.9.10. D2.3.4
D 1.8.9. 11.15. Et. FA.
A1.2.3 4 5. 18.31.32. B1.2. 07.83.10. D I. 2.
3.4.5.6.7.8.9.11.12.13.15.16. E3. F2.4.
65.
A6.7 8.9. 10 11.12.13.14 15.16. 17.19 20.21.
22.23.24. 25.25 27.28.29 30.33 34 35.36. B3.
4.5.6.7.8.9 10.11.12.13 14.15 01. 2. 3. 4. 6. 9.
11.12.13. h io ia. E1.2.4 F1.3.
A2.5.8.9. 12. 13. 14. 15.16. 17.18.19.20.21 22.
23 24.25 26.27.28. 29.32 33. 34.35.36. B-1.5.
6.7.8.11 12. 13. 14.15. 61.6.7.9. 11.12.13. D
6.8.9.10.11.14.15.16. E3.
A31. Ei.
A3.4.7.10.11.30. B2.9.10. 02.3,4.8.10.
D 1.7.12 ı3. E2 A. FI. 3. 4.
A1.6. B3.4. 65. D2.3.4.5. F2,
.13. D7.10.12.14), welche neu zugegangene Lanbestheile enthalten,
n bezeichnet worben, wie in Anlage E.
nt
oo
24,7
20,8
171
16,3.
11,8
7,2
elche
vicht
018,
Er⸗
2) In der Zeit von 18
Die Zunahme ber Bevbll
25 bis 80 Procent und zwar
fiber | unter.
26,07 Brocent
(der Sunabınc, um ganzen Lande)
).bi8 75
Procent
in den Brovingen und Regierung!
— Hanau 439 .:. —
Rinteln ‘ 31,8 | '
in ben Kreifen und Regierungs-:
m 61,9 Caſſel 47,3) Marburg. 25,
Gelnbaufen 34,1 .
Rinteln 31,8
Shlühten 26,
- in den Aemtı
Lichtenau 26,
Herrenbreitungen 25,
Oberfaufungen 285,
Sababurg 25,
Neuſtadt 25,
Fulda IL 25,
ſeim 64,5] Langenſelbold 43,25
m L 62,4] Schenflengsfelb 40,5
((Stabt- Caſſel II. 401
HH 8911138
en 58,11 Großalmerode 37,3
bog .57,8| Caſſel III. 371
nkirchen 55,7] Efhwege.L 36,9
m IL 52,6] Steinau 36,1
Waͤchtersbach 35, J
Rodenberg 34,5]
Neuhof 33,4
Friedewald 33,45
—2* 32,
Fronhauſen 31,8
Marburg I. 31,7.
Windecken 30,4
Brotterode 30,2
Bei fan un den UI er
biefe Iegtern vie Srtke Der —— —S ur
er, ber Beraleidhuna meaen,; eine Yunarinn SR
9 bis 1858. J
rung betrug
unter 25 Procent Eine Abnahme fand
Statt
I ö 8
-Commiſſions-Bezirken
Niederheſſen 24,11 Oberheſſen 19,3 —
| Schmalfalden 21,4| Fulda 18,8
‚ommiffiong=-Bezirten
I Hersfeld 23,5] Ziegenhain 17,3 —
Eſchwege 23,0]. Wolfhagen 171
Witenbaufen 21,5] Meljungen 16,4
4 Hofgeismar 21,5] Fritzlar 14,8
1 Schmalfalden 21,4| Homberg 14,2
I Sulda 20,95] Frankenberg 13,2
Kirchhain 17,7] Hünfeld 8,96
Rotenburg 17,6
rn
Netra 24,971. Schmalkalden 17,2] Eiterfeld 3,8
Rinteln . 24,8| ©rebenfteit 16,96
| Ejchwege II. 24,2] Fritlar . 16,85
Niederaula 23,1] Biſchhauſen 16,5
Hofgeismar 22,6 Nentershauſen 16,3
Carlshafen 22,45] Amöneburg 15,95
Burghaun 22,4] Raboldshauſen 15,
Oberaula 22,1] Ziegenhain 15,7
Marburg J. 21,65) Wolfhagen 15,6
Roſenthal 21,1| Homberg 14,5
Zierenberg 20,97) Rotenburg I. 14,5
"Rotenburg I. 20,5] Neukirchen 13,9
Sontra 20,5] Abterode 13,7
Steinb. Hallenb.20,351 Spangenberg 13,4
Fulda II. 19,81 Fulda J. _ 132
Witzenhauſen 19,5] Volkmarſen 13,1
Oldendorf 19,5] Hünfeld 12,9
Treyſa 19,41 Borken 12,7
Gudensberg 19,2] Salmünfter 12,6
| Naumburg 18,8] Großenlüder 12,5
Melfungen 18,6[ Allennof ° ° 11,5
Wetter 18,4| Kirchhain 11,05
Rauſchenberg 17,96] Frankenberg 9,15
Birftein 17,61 Jesberg 71
17,2| Sersfelb I. 4,3
17,2) °
Rreifen Fulda, Hünfeld und Rein usb ven gu Walken
evdlferung von ben beirefienvden Anaahen in Aa
zu ben Zählungsjäheen 1816 ren. 1818 Hiniııs
ak.
Aniutn Rntrtb aaennan
©. nn nenn pe ins ..
‘
Au
lm. m sehe und. ae ha m -
Bewegung der Benölker:
von 1843 bis 1858 nach den Ab⸗ m
> | 2661 | 19853 | 2498
" “= IA — a a Ten, 1.
.
erungen aus ber Provinz Hanau im Iahre
über bie Auswanberungen von 1849 mb: '
altungsbezirken Eſchwege, Fritzlar, Hersfeld
⸗
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a
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-. -1
378
über das wie? läßt fich nicht jagen. Die heſſiſchen Für-
ften trugen Allendorf auch nicht mehr von Fulda zu Lehen,
das Lehen kam vielmehr in gänzliche DVergefjenheit.
Wenn auch Herzog Rudolf von Sachſen noch 1356
erflärt, daß er, perjünlich nach Fulda Tommend, aus alten
Briefen feiner Vorfahren erjehen habe, wie diefe die terra
Westerniarke, civitas Aldindorf et castrum Westerberg vom
ur Fulda zu Lehen gehabt, und daß er fih darum von
Neuem habe belehnen lafjen *), fo ift dies doch ohne alle
Folgen geweſen.
Die Burg Weſterberg hatte eine eigne Burgmannen-
familie, welche fich nach ihr nannte. Echon die Urkunde
des Herzogs Albert von 1248 bezeugte Reinhard von „We⸗
ſterberch“. Seine Wittwe Irntengard lag 1262 mit dem
Kloſter Germerode wegen des Wendebergd am Weißner in
Streit, und feine beiden Söhne, Hermann und Reinhard
von Wejterberg, verkauften 1273 vemfelben Klofter ihre
Hälften der Dörfer Germerode und Efenhagen. Seitdem
verjehiwindet dieſe Familie, .
Wie wir oben gefehen haben, ift von einer terra
Westermarke die Rede. Es handelte fi alfo um ein
größeres gejchloffenes Gebiet, um eine Mark im alten
Sinne, und zu diefer Mark gehörten auch die Burg Wer
fterberg. und die Stadt Allendorf. Es tritt hierbei Die
Frage auf, woher dieſe Mark ihren Namen hatte? Zunächſt
findet man ſich veranlaßt, an einen Gegenſatz von Weſt
‚und Oft zu denken. Dies findet ſich indeß wohl bei ein-
zelnen Orten und auch bei Gauen, aber niemals bei Mar—
fen. Der Name einer Mark jet immer einen einzelnen
Ort voraus, der den Mittelpunkt der Mark bildet, zu
dem die Mark gehört und nach dem diefe Darum auch ge=
nannt wird, ; Es Tann Died aber niemals eine einfache
Burg fein, es ift vielmehr ſtets ein Dorf oder eine Stabt,
*) Ibid. Nr. 13.
879
welche indeß Immerhin tt. der Burg ii einem‘ Sufomaien-
hange ſtehen Tonnte; - "Die Weſtermark bebitigt einen Ort
mit einem ehtfprechenben, Namen und zwar ein Weſtern,
das allerdings naͤchſt dem Weſterberge gelegen und deſſen
Barg zu dieſem Orte gehbtt haben muß.
Nun finden wir, daß Karf ver Große dem Stifte
Fulda unter. deſſen Abte Sturm, affo zwiſchen den Jahren
744 und 779, locum proprietatis nostre Westera nun-
"copätum, in quo loco.offjeinas salis:cum, singulis
patellis etmanciplis ad hoc officium deputatiskabundantes-
qüe fontes salis habemaus, zum Sefchent macht. Er beftimmt
dann audy noch weiter dem Shfte ben Markt und den Zoll
bafelbft Cipsum forum tribütumgque seu teloneum Ipsids loci)
und daß jede Woche dem Stifte ein Karren Salz geliefert
werden ſollte. &8 ſollten auch die einzelnen Höfe und die
einzelnen Hufenbeſitzer den von ihrem Lande ſchuldigen Zins
entrichten und die ihnen obliegenden Dienfte Ieiften H.
Dem entisrechend führt auch das fuldiſche Güterre-
giſter zu Westera 1 territorium auf und nennt die Abgas
“ben, melche die darin angefeffenen Lidi, Coloni, "Sclaqui
(Staven) und Tributarii dem Stifte‘ zu entrichten haben.
Dann aber ſagt daſſelbe: Da theloneo ECL modii salis et
insuper carrada debetur. Summa excepto sale, quod de
domin. sartaginibus (aljo von ben dem Stifte zuſtaͤn⸗
digen Salztothen) debetur. ‘Molendine II. III piscatores ”),
Andere Aufzeichnungen nennen ven Ort auch Westren,
und Westrun ***) und ebenfo wird berfelbe unter ben zu
Thüringen gehörigen fulbifchen Beflgungen genamt +).
Jener Name findet fich fpäter nirgends wieder und
Doch darf mit Sicherheit angenommen werben, daß ein ſol⸗
ches Beſitzthum nicht ſpurlos verichwinden kann. Wo ift
®) Dronke, Cod. dipl, Fuld, Nr. 69.
ı **) Dronke, Trad. et antig. Fuld, > 118.
+) Ibid. p. 55 et 130% |
1) Ibid. p. 71.
380
e8 nun aber zu ſuchen? Daß es in Thüringen lag, ift
ſchon angeführt. Daß vier Fifcher dort waren, gibt auch
ben Beleg dafür, daß Weftera an einem gröhern Fluſſe
lag. Endlich iſt aber auch eine größere Saline am Orte.
Zu dieſem allem kommt nun auch noch der Name ber Wes—
termart, d. h. Die Mark des Ortes Weſtera. Kann da
noch ein Zweifel bleiben, daß wir in dieſem Weftera unfer
‚Allendorf und Soden zu fuchen haben? Es paßt wenig
ſtens Alles, was wir angeführt haben, auf feine andere.
fuldiſche Befigung in ganz Thüringen. Daß, die Wefter-
mark dem Stifte Fulda war, zeigt ja eben die Belehnung
von 1248, und. mag auch diefes Lehen unter den heffiichen
Fürften in Vergeſſenheit gefommen fein, fo behielt das
Stift Doch noch bis in fpäte Zeit eine Anzahl einzelner
Lehen daſelbſt. So hatten die v. Hanftein die nahen Dör-
fer Wahlhaufen und Diekenrode nebft dem Obenberg und
Höhberg zu fuldiſchem Lehen *), ebenfo war Ahrenberg
fuldiſches Lehen und auch verjchiedene Alfendörfer Bürger-
familien, wie die Gauler, die Ruland ze. trugen einzelne
in der Feldmark von Allentorf liegende Grundftüde vom .
"Stifte Fulda zu Lehen. Ueberhaupt befaß daſſelbe zahl-
reiche Güter längs des ganzen untern Laufes der Werra.
Tragen wir nun aber auf welder Stätte Weſtera gelegen
habe, fo fehlt für eine beflimmte Antwort darauf allerdings
jeder jichere Anhaltepunft. Die Saline wird fonft zuerft
1093 bekannt, indem der mainziiche Erzbiſchof Ruthard
unter den dem Klofter Bursfeld übergebenen Gütern auch
Sothen tres salinas nennt **),
Allendorf hingegen Tommt erft 1229 vor u, Die .
Stadt Allendorf trägt indeß zu jehr das Gepräge einer von
Grund aus neu angelegten Stadt, als daß man ihr ein
höhere® Alter zugeſtehen kann. Wenn auch der Name
u) Urkundliche Gejchichte bes Geſchlechts der von Hauſtein J. ©. 145,
*#) Schaten, Annal. Paderborn. ad annum 1093.
+) Kuchenbeder, bie heſſ. Erbhofämter, Bei, D.
381
altes Dorf auf ein fchon dafelbft vorhandenes Dorf hin⸗
weift, jo liegt Doch gerade nicht nothwendig darin, daß daß
neue Dorf nur in den Soden gejucht werden müffe. Es
kann daffelbe füglih auch ein andere Dorf der Nachbar-
fchaft fein, und wir glauben dies fogar mit um fo größe—
rer Zuverficht annehmen zu Dürfen, als wohl vorauszufeßen
ift, daß, da fiher Die Salzquellen es waren, welche den
eriten Anbau veranlaßten, dieſer ältefte Anbau auch ben
Salzquellen zunächſt und nicht am andern Flußufer ftatt«
gefunden hat. Es möchte fonach alles dafür jprechen, daß
eben der heutige Ort Soden das alte Weſtera fei.
EGs iſt aber auch kaum zu bezweifeln, daß die Salz-
quellen zu Soden diejelben find, um welde die Chatten
und die Hermunduren ftritten. Ich habe mich darüber
ſchon anderwärts ausgeſprochen *).
| Witzenhauſen.
Daß Witzenhauſen nicht allmählig aus einem Dorfe
erwachſen, und ebenſowenig eine alte Stadt, vielmehr
eine jener planmäßig und von Grund auf neu geſchaffenen
ſtädtiſchen Anlagen iſt, wie dieſe beſonders ſeit dem Beginne
des dreizehnten Jahrhunderts zahlreich aller Orten gegründet
wurden, zeigt ſich allein ſchon in der Regelmäßigkeit ſeiner
Straßen und Quartiere. Wer der Gründer war, iſt jedoch
ebenjo unbefannt als die Zeit der Gründung. Daß die
Stadt ſchon 1232 vorhanden war, ergibt fich aus der That-
jache, daß fie in dem Kriege, welcher in diefem Jahre fich
zwijchen dem Landgrafen von Thüringen und dem. Erzbi-
ichofe von Mainz erhob, zerftört wurde. Die Chroniften
ſchweigen zwar über dieſe Berftörung, fie geht aber um
jo ficherer aus einer 1247 ausgeftellten Urkunde hervor,
in welcher über den jenem Kriege folgenden Zrieven und
dejjen Bedingungen berichtet wird, Diefe Urkunde beginnt
nämlich mit den Worten: Super - destructione -Frislarie et
*) Beichreibung des Heſſengaues. S. 20,
VI, Band. . 23
8382
Wicenhusen oppidorum et aliis dampnis, que dominus Si-
fridus archiepiscopus moguntinus et dominus Conradus
iunior Lantgravius hinc inde senserunt cum guerram ha-
berent adinvicem, talis compositio intervenit etc.*).
Es geht indeß, wie man fieht, auch hieraus nicht
mit Beftimmtheit hervor, in weſſen Befite fi) die Stadt
damals befand, Zwar fagt v. Rommel (I. S. 308), daß
fie unter thüringifcher Hoheit geftanden habe, einen Beleg
hierfür aber bietet er nicht. Nach jener Urkunde und den
fonftigen damals obwaltenden Verhältniffen möchte ich mich
eher für einen mainzifchen Beſitz entjcheiden. Schon bie
BZufammenftelung von Fritzlar und Wibenhaufen jcheint
mir dafür zu fprechen. Auch die Ältern Chroniften reden
-nur von Schäden, welche Mainz durch den Landgrafen er⸗
litten. Zu dem allem fommt dann noch, daß zufolge der
nachfolgenden Urkunde von 1236 der mainziihe Erzbilchof
Lehnsherr der Zehnten zu Wißenhaufen und dem weftlich
der Stadt liegenden nunmehr wüften Kormanshauſen war.
Es ift freilich. auch Died nicht entfcheivend und vermag
nur allenfalls zur. Unterftügung zu dienen. Dunkel bleibt
e3 dann aber wieder, wann und unter welchen Umſtänden
bie. heifiichen Fürften zum Befite von Witenhaujen gelangt
find, Ich füge die in ihrem Originale außerordentlich
wohl erhaltene Urkunde von 1236 auch ſchon darum bier
bei, weil fie das erfte fchriftliche Denkmal il in welchem
Wihenhauſen genannt wird.
In nomine sancte ei indiuidue trinitatis. Sifri-
dus dei gratia sancte Mogunt. sedis archiepiscopus. Di-
lectis in domino ihesu, tam presentis etatis fidelibus, quam
_ future in perpeluum. Quoniam elemosina conclusa in sinu
pauperum precipue illorum, qui Marie officium elegerunt,
et innocentie puritatem accuratius custodire satagunt, exo-
rat ei peetatum extinguit, superest ut tanto alacrius ei
debeamus insistere, quanto ad ipsos prebitores redit cum
*) Gudenus, Cod, dipl. I, pag, 594.
383
fenore mercedis eterne. Hinc est quod nos spiritu con-
silii salubriter instructi duarum proprietatem decimarum
tamquam era duo cum miüliere illa euangelica in gazo-
philacium domini mittere gestientes cenubio campi
beate Marie *), Cisteriensis ordinis, Monasteriensis dio-
cesis, benigne contulimus, occasionem ei laudabilem pre-
bendo, videlicet de maru laicorum decimas transferre at-
que in usus eorum conuertere, qui sacris mancipati legi-
bus regi militant sempiterno. Porro ad propulsandum ca-
Jumnie uel erroris nubilum, utile duximus. Huius rei se-
riem enucleatius reuoluere ac ueluti de modio ad cande-
labrum productam noticie transmittere posterorum. Cum
igitur Thedericus vicedominus de Rusteberg
_ et Heithenricus de Hanenstene frater eius, deci-
mam in Wicenhusen de manu Volquini de Svalen-
berg et Adolfi de Waldecke nobilium in feodo ha-
.berent, nec non et decimam in Carmanneshusen a
nobis similiter feodali iure tenerent, acceptalis tandem et
acceptis ab ecclesia sancle Marie memorata CX. marcis
puri argenti resignauere distractas illam quidem, que est
in Wicenhusen dominis suis prefatis et eam, que est
in Carmanneshusen nobis itemque nobis idem nobiles,
qui de manu nostra tenuerant eandem. Quibus nobilibus
ut spiritu libertatis hoc facerent in restaurum decime ip-
sius dedimus in feodo villam Ecstrod**) cum uniuersis
pertinentiis suis, decimam in Mackenrode ***) et XXV,
Moldra siliginis et duos modiolos siliginis in decima uille
Nitilrethe 7). Insuper L. moldra omnis generis
grani in villa Langenhagen +7), Preterea supradicti
T-heodericus et Heinthenricus bona sua in Ro-
*%, Das 1185 geftiftete münſterſche Kloſter Marienfeld.
55) Eichſtrut, norböftlih won Allendorf. -
"3%, Madenrode, beim vorigen. -
FT) Neilelröden, ſüdweſtlich von Duderfiadt.
TH Langenhagen, nordöſtlich won Duderſtadt.
384
bretteshusen *) VII. mansos, in Rusteberge **)
IL mansos, in Rabodenrothe ***) IIL mansos et dimi-
dium, in Simarerothe +) IIII. mansos nobis pro
iure decimali, quod claustro porreximus titulo equirespon-
sionis dederunt et eadem a nobis in feodo susceperunt,
Adjiciendum sane quod sepedictam decimam in Wicen-
husen tenuerat in feodo Conradus burgensis in
Gmunden 77T) a prefato Heithenrico, quam ipse Hei-
thenricus omnino liberam fecit et absolutam, ita quod
idem Conradus unacum heredibus suis iuri, quod
habebat in ea fundilus renunciarat antequam illa in do-
minium claustri transisset. _ Has inquam decimas tan-
quam per gradus quosdam ad nos unde prodierant ratio-
nabiliter ac iuste reductas cenobio prefato proprias assig-
nauimus in nomine dumini ac perpetuo possidendas quem-
admodum cirographi presentis sigilli nostri munim(in)e
firmatum intersignum testimoniale declarat subicientes per-
petuo maledicto omnes, qui huius nostre donationis for-
mam temptarint infringere. Testes huius rei sunt Gode- .
fridus abbas de Hersvidehusen, Wigandus Ab-
bas de Aulisburg, Leo prepositus de Hildwar-
deshusen, Johannes plebanus de Gmunda,
Conradus de Sconenberge, Hermannus aduo-
catus de Cigenberge, Giso, Wilhelmus de Go-
denburg et alij quam plures. Acta sunt hec in Cenobio
Hagunge Ti7), abbatibus eiusdem loci et de Helmwor-
deshusen presentibus.
Anno gratiie M. CC XXXVI. Kal. Jan. Indictione
*) unbekannt.
se) Ruſteberg unter der gleichnamigen Burg.
°*) unbelannt.
+) Simeroda, nörbli von Heiligenftabt.
Fr) Die Stabt Münden,
trr) fett Hasunge,
385
VIII. Datum loco, inense et jüie predictis. Pontificatus
nostri anno quinto, —
(L. 8.) J
An der Stadt Kaſſel wird ein Mordbrand verſucht.
Die Herren von Rodenſtein hatten ſich, als Erben
ber Herren von Lisberg, in den Beſitz der Herrſchaft Lis—
berg geſetzt, während die Landgrafen von Heſſen ‘und bie
Örafen von Ziegenhain diefelbe als heimgefallene® Lehen
betrachteten und, die Burg Lisberg deshalb mit der Gewalt
der Waffen denjelben entriffen. Die Folge war eine, lange
Jahre andauernde Fehde *) und im Verlaufe dieſer Strei-
tigteiten fam Engelhard von Rodenftein um’8 Jahr 1436
auf den Gedanken fich Durch Verbrennung der Stadt Kaffel
an dem Landgrafen zu rächen. Sein zu dieſem Zwecke
ausgejendeter Diener wurde jedoch bei Der Ausführung
ſeines verbrecherifchen Vorhabens überrafcht und gefangen
genommen. Willig geftand er alles ein, und um feine Aus—
age durch unparteiiihe Perfonen bezeugen zu fünnen, er-
ſuchte Landgraf Ludwig den Stadtrath zu Friklar um
Abordnung einiger feiner Mitglieder zur Vernehmung des
Gefangenen. Dies gejhah und der Stadtrath ftellte Da=
rüber die nachfolgende Urkunde aus:
„Wir Burgermeifter vnd Scheffen qu Fricz
lar befennen in diefem vffen Brieffe, daz vns der hoechge-
geborener jrluchtiger Furſte vnd Here Here Ludewig
Zantgraue zu Heffen, vnſer gnediger lieber Here, vff
aller heilgen Tag, nehſt vergangen, gutlich geſchreben vnd
gebeten haid, vier aber funffe vß vnßerm Rate vff Frijtag
aller Selentag. zeitlichen zu Ca ffil by ſyner Gnade ſchicken
wulten ond ime derjelben finer gutlichen Bete nicht ver=
jagen ꝛe. Des han wir gebeten die erfamen Johan Ka—
ezeman vnd Hennen Knorren iczund Burgermel-
*) ©. meine heſſ. Ritterburgen IL, S. 79 x.
“ Y .
. N
388
nunmehr vollftändigen Aufihluß. Es war eine Beſitzung
‘der Abtet Seligenftabt, die Herren von Hanau aber hatten
augenſcheinlich Die Vogtei, und dies blieb bis die Abtei
1477 und 1478 ihr jammtliches Beſitzthum den hanauifchen
Grafen überließ, welche feitdem alleinige Herren waren.
Wann Seligenſtadt den Ort erworben, ift jedoch nicht be—
Tannt,
„Die fint die Zynße und Rechte, die das Cloiſter
zu Selgenftad hait zu Nuwheym.
Stem eyn Aibpt von Selgenitadt hait den Hoiff
genant der Frone-Hoiff da felbft, da von er hait diße
nachgejchrieben Rechte, Rendten und Zynßen.
Stem eyn Aibpte zu Selgenftad hait im Rechten
von Alters zu Nuwheym, als an andern Enden, eyn
Schultheißen (scultetum seu villicum) zu machen vner=
fordert adir gefraget der Naichgeburen ba felbft, zwilffe
Scheeffen (seabinos) zu ſetzen (constituere et -confir-
mare) und eyn Huydter adir eyn Schutzen der Samen
adir der Fellde allenne zu fegeh (custodem satorum
seu camporum wlgariter eyn Schutzen solus perfi-
cere); alſo ab, ver erfte der Rutterſchafft vnd den
Nachgeburen nicht beduychte nublichen zu fon, fo maig
er dan eynen andern maichen (perficiet), adir den
drytten ab ber ander nit nußlich were, doich fo ferre, wil-
chen vnder den bryen den beiten er ſetztzen würde, das den
Nymant habe zu uerwerffen und verkchmahen.
gItem eyn Aibpte ſammenthaifft (una) eym Seren von
- Hanaumwe fullen maichen eyn Sronboydten (pre-
conem) ba felbjt und wie dicke die Ryttherſchafft vnd die
Naichgeburen bevundet, da8 der vnnutze ſye, wann fie es
ban fordern, fo fulen Die obgenannten Hernn eyn an—
bern geben.
Item 18 iſt auch Recht zu Nuwheym, als jnn allen
andern Honffen des Eloifter8 zu Selgenftadt, das der
Schulteiß vnd die Scheeffen vnd die Gemeyne der Nach
a. ‘
——3
389
| \
geburen (Cvniuersitas incolarum) und der Subener (mansio-
rum) da felbft Huldung (fidelitatem) thun geloben vnd
ſchweeren fullent eym iglihem Hernn zu Selgenjtadt,
fo er numlings Aibpte wurden if,
Is ift auch Recht zu Nuwheym, das eyn Aibpte
von Selgenſtadt jerlichen alle Jare zum Jare eyns ſyn
Hoyff daſelbſt als an andern Enden ſuychen vnd beſehen
maig ab er wil, vnd ſail kommen abs yme eben iſt mit
yertzehen Fpherden uff der heyligen drye Konigen Abent
zu Vesper, fo fail yne der Hoyffman (colonus) enfphahen
vnd des Herrn des Fpherde Suter geben eyn Sommern
Haybern vnd des Morges auch- fo vil, aber den andern
Spherden iglichem eyn Meefte Habern und des Morges
auch fo vil, und fail der jelbige Hoiffmann adir Schultheiß
‚dem Hernn dem Aibpte vnd ſynen Irunden geben bag
Naicht Immiß (cenam vulgariter eyn Yms) vnd des Mor=
ges eyn Eſſen (prandium vulgariter eyn Effen), was dar⸗
uber vßgegeben wurde von der zweyer Dinſte wegen, hait
eyn Hoiffman zur Eerrnn, wan man ſchnyedt, von eyner
Buynden (de una bunda) fierezig Garben Habern vnd
von der anderen Buynden fierczig Garben (manipulos)
Weyßs.
Item vff den zwoilften Taig jn Geinwertigkeit myns
Hernn des Aibpts vnd aller Naichgebure vnd Buwluete
Cincolis et cultoribus) der Guter des Cloiſters zu Sel⸗
genſtadt, Die da von Rechts wegen geyniwertig fullen fun
am Gericht die vorgefchriben Tage, den erjten, den andern
vnd den drytten, bye der nachgefchriben Buße, fail der
Schulteiß die Scheeffen bye jrm Eyde fragen vmb die Recht
eyn Hernn vnd des Eloifters, und fullen die Scheeffen mit
beratem_ vorbedaichtem Mude (deliberatione habita) alle
Nechte, Zynße und Renndte und eyn iglich® bejundern er=
fleren vnd erlumwtern fur den allen, wilche Rechte auch fürs '
hyn ehlicher maiß oegeicriben ſyn, doch zu merer Luterung
hernachgeſchriben fulgent: | on
390
Zu wiffen das Recht ift zum HSoyff zu Nuwheym
das eyn iglicher, der das Gericht ſchuldig ift zu ſuychen,
verfumet den erften Tag als den zwoilfiten dnd fun Zynß
des felbigen erften Tages nicht breecht, der fal buyfen dem
dem Hernn dem Aibpte mit eym Phunt Sphenningen vnd
eym SHelbeling (obulo), wilder abir den anderen Taig
verfumet vnd fon Zynße nit bezaildt, der fal buyffen mit
zweyen Fphunt Sphenningen und zweyen Helbelingen, vnd
wilcher den drytten Tag verjumet, der fail buyſſen mit
dryen, Sphunde Zphenningen vnd mit dryen Helbelingen.
Vnd ift zu willen, das alle die Die des Cloiſters Guter
buwen und darinne wonen vmb Zynße und Nenndten, die
fun ſchuldig vnd fullen geynwertig fon jnn den Gerich-
ten zu halten Die drye vorgemelten Tage von dem zwoilff-
ten Tag, vnd deöglichen jnn aller Wyſe und Mayßen den
Gerichten zu halten, die da anfahen am Dinftage aller-
nehft nach dem Sontage Quasi modo zu Diftern vnd jr
Zynße da begalen und ab fon das nit bieten, fo fullen
fie die vorgemelten Penen vnd Buyße gelten.
tem fo ift auch Ortel vnd Recht, das wilder fynen
Zynße von den Eerpgutern (bonis hereditariis), die vom
Elvifter rorent, allerdinge mutwilliglichen verfumen wulde,
alfo vil der Guter weren, die maig man verbietten mit
der Fronen, aljo Doch Das die felben zufor dryemale ye zu
fierzehen Tagen im Gericht daſelbſt verfundt vnd verboten
werben, uberheubt jnn ſehes Woichen, wan die ſehes Woi—
chen eyn Ende han, als dicke vnd vil der, des die Guter
geweeſt ſyn, Hand anlehet vnd die Guter angriefft, alſo
dicke vnd vil ſal er buyſſen vnd gelten eyn Fphundt Phen⸗
ninge vnd eyn Helbeling.
Item werd Saiche, das die Guter, von den man
inn vorgejchribener Maif die Zynße zu den obgenanten Zy-
ten, das ift zum zwoilfften vnd zue Oiftern, vile Miteerben
jammenthaifft vnuerdteylt innhan, fo fullen die felbigen die
Verſumeniß fulcher Zynße vnd angeieffen der Guter fam-
391
mentlichen vnd vnuerſcheydetlichen buyſſen. Synt aber Die
Guter vndir vile zurdteylt, fo ſal iglicher von ſyme ans
grieffen eyn Fyhundt Fphenninge und eyn Helbeling buyſſen
als vnd vil des noydt geſchiet“.
Das vorſtehende Weisthum gehört ſeiner Schrift nach
in die letzte Hälfte des vierzehnten Jahrhunderts. Außer
dieſem iſt noch eines in lateiniſcher Sprache vorhanden,
welches in ſeiner Schrift auf das Ende des fünfzehnten
Jahrhunderts hinweiſt. Daſſelbe ſtimmt mit dem deutſchen
überein und ich habe einzelne Worte des lateiniſchen Textes
dem deutſchen in Klammern beigefügt. Die lateiniſche
Abfaſſung hat jedoch noch folgenden Nachtrag:
Item isti sunt census in vniuerso cedens in Epipha-
nia XII tal. denar. Item pasche iiij(3"/,) talenta denar. de
quibus censibus dat dominus abbas in feudo XXV sol. co-
lonis Conrado militi dicto Kolbentsell et suis cohe-
redibus. Item Martini de ortis juxta Fridberg decima
cedet domino abbati, que quandoque locata fuit duobus
annis pro VI marcis .... . bene soluisset mag . . . vide-
licet plusque circa VIII vel IX marcas den, et hoc satis
ex eo, quod domini de Moguntia suam terliam partem
locauerit duobus annis pro VI marcis. Item census de
ortis versus Ocstat cedunt Martini XII solid. den. Item
due partes decimarum in campis et in agris necnon in
vineis Nuheym cedunt domino abbati in messe et in au-
tumpno. Domini magunt. ecclesie majoris tertiam partem
decimarum habent *) predictorum . . . . parochie in villa
Nuheym, que olim attinebat monasterio Selgensta-
densi iure patronatus pro cuius commutatione dominus
abbas siue monasterium habet conferre vnam vicariam spe-
cialem in ecclesia mogunt. probatus (!) iure preterea domino .
abbati Michaelis vsque Martini cedet vnum censuale vide-
*) Noch Ende des fechszehnten Jahrhunderts beſaß das Domſtift zu
Mainz nei dritte Theil des Zehntens,
392
. licet Manewerckwia quot ame vel qu . . debetur et qui
soluat census prenominatos, in particulari presentabit.
Notandum quod dominus habet: infeodare dominum
de Harauwe in Nuheim ad infrascripta. Primo habet
de excessibus tam virorum quam mulierum, qui fient in -
campis vel in terminis ipsius ville V sold. den. Item tria
hospicia quouis anno duo sub pabulo arido et vnum sub
viridi. Item pullos carnispriuiales ibidem habet. Item de
+... patella 1 mltr. salis et sua addramenta. Item no-
tum, quod preco seu- scutz tenetur custodire horreum
domini abbatis ibidem a‘tempore messis vsque ad festum
bti. Michaelis, _pro qua custodia habet idem preco in (1)
tritici VI sichlinge et IX auene manipulos.
(Die im Abdrude mit Punkten ausgefüllten Lüden
bezeichnen Worte, welche nicht zu Iefen waren. Die Hand-
fegrift ift nämlich ſehr ſchwierig)
Die Halbsburg.
Südlich von Friklar, links von der nad. Frankfurt
führenden Straße, liegt auf flacher Höhe der Hof die
Kalbsburg genannt. Derſelbe verdankt ſeine Entſtehung
einer auf der Gränze des heſſiſchen Amts Borken gegen
Fritzlar erbauten heſſiſchen Warte. Der Bau berjelben
wurde Ende September 1431 begonnen, wo man ben
Grundftein dazu legte. Eine Rechnung des Rentmeifters
zu Borken enthält darüber: „Item III Bemifche uff deu
erften Steyn, du men den Zorn uff den Bonebache ane
huep⸗, Nachdem dieſer Thurm vollendet, wurde er mit
fändigen Wächtern befeßt. So übergab Landgraf Ludwig I,
„fine Wartte gelegen bij Friezlar uff dem Bonebady mit
.jrer Zubehorunge“, wie dieſelbe Fiſchbach und dann Henne
Semenbrogte gehabt, 1448. an Philipp von Borken und
deſſen Hausfrau auf deren Lebenszeit, wogegen dieſe ver-
ſprachen: „wann eyne uffinpar Landfhede aber ſuſt merg⸗
liche Fhede in jren Landen wer, daz wir alſdan ſolicher
\
393
Fhede uff alle Zijt Tagk und Nacht eynen Knecht uff dem
Thorne in der Warte haben vnd die uff daz befte virwaren
Yaffen foln. Wan aber in jren Landen keyne Fhede fin,
jo foln wir foliche Warte Doch uff daz beite vurwaren und
alle Abinde vnd Morgin den SIagt*) an der Warte uff vnd
zu ſlieſſzen vnd damide uff daz befte zu fehin uff daz jr
Gnade ond je Lande ond Lute bauon keynen Kinder noch
Schaden nemen dorffin ꝛc“.
Wir lernen hieraus die Art und Weiſe Tennen, in
welcher die Wartthürme benutzt wurden.
Iſt auch der Name des Bonebaches jetzt nicht mehr
nachzumweilen, jo kann doch jener Thurm aus dem einfachen
Grunde nirgend8 anders als nur in der Kalbsburg gejucht
werden, weil eben feine andere heiliiche Befeftigung auf
der Gränze des Amts Borken gegen Sriglar vorhanden
geweſen ift.
Wie lange jener Philipp von Borken den Thurm
innegehabt, ift nicht bekannt. Im Jahre 1494 gab Land»
graf Wilhelm feinem Amtmann zu Borken Philipp von
Wildungen, der auch heffiicher Erbfüchenmeifter war, um
ihn für feine Dienfte zu lohnen „den Thorn gelegen by
Großen Englyes vf vnſer Lantwere mit finer Ringkmuren,
Vmbgriff, Betzirgk und was darzu gehöret“ für Söhne
und Töchter zu Mannlehen und geftattete ihm „vf das vun-
fer Straes vnd die Unjern des Orts deſto ftaetlicher ge—
banthapt vnd beichirmet werden“ daſelbſt ein Schloß und
burglichen Bau aufzurichten und denjelben „Hoen Englyes“
zu nennen.
Philipp begann auch wirklich dieſen Bau, als er aber
ftarb (1505), war derſelbe noch in feinen Anfängen: und
ift auch fpäter niemals zur vollen Ausführung gelommen.
Neben dem Namen Hohenenglis tritt feit der
Mitte des ſechszehnten Jahrhunderts auch der Name Kalb s⸗
*) d. h. der Schlag, mittelft deſſen die durch die Landwehr führende
Straße geichloffen wurde.
394
burg hervor, ohne daß ſich jagen läßt, wie diefer ent⸗
fanden. Urfundlidy findet man ihn zuerjt 1565. Als näm⸗
ih damals die von Wildungen ihre heifiihen Lehngüter
z Wichdorf verlauften, feßten fie flatt deren 12 Hufen
Land und 100 Ader Holz „vor und um die Kalbsburg
gelegen fammt feinen Bäuwen bafelbft*, welches alles ihr
Eigen war,. zu Lehen ein.
Die von Wildungen blieben vie zum Jahre 1596 in
dieſem Befite. In diefem Jahre verpfänvete Burghard
von Wildungen mit Zuflimmung feiner Familie feinen
Nitterid „Hohenengelfüß genannt die Kalbsburg“ an feinen
Schwager Meldior von Hanftein, der. diejen Pfanvbefik
anf feinen Eohn Kaspar von Hanftein vererbte. Doch
auch diefen drängten Schulden und veranlaßten ihn 1616
„das Haus Engelfued die Kalbsburg genannt” dem Land⸗
srafen Moriz gegen Uebernahme des Pfandgelds abzutreten.
Sm Sahre 1626 machte Landgraf Moriz feinem Sohne
Friedrich mit der Kalbsburg ein Neujahrdgeichent und fo
kam diejelbe an die Rotenburger Linie des heifiichen Hauſes.
Doch aud dabei blieb fie nicht lange. Im Jahre 1644
gaben die Iandgräflichen Brüder Friedrich, Ernft und
Hermann ihrem Gejammtrath und Hofmeifter Meinand von
Polhelm die Kalbsburg zu Leben, um ihn für jeine lang-
jährigen Dienfte und für feine Begleftung in ihren Feldzügen
" zu lohnen. Nachdem derjelbe zum Geheimerath und Prä-
fiventen zu Rotenburg emporgeftiegen und das Enbe feines
Lebens ſich nahen fühlte, ohne daß er Kinder hatte, ſetzte
er durch letzwillige Verfügung von 1657 feinen Better Wil-
beim von Polhelm zum Erben feiner Befigungen und na=
mentlih auch des „Ritterfite® Hohenengeljüs font vie
Kalbsburg genannt“ ‘ein. Seitvem werben meine Nach—⸗
richten lüdenhaft. Schon das vermag ich nicht anzugeben,
wann und wie der Hof aus dem. Befike der von. Polhelm
gekommen. Im Jahre 1683 und auch noch 1684 wohnte
hier Georg Bernhard von Weitershauſen und zivar tief ver⸗
395
ſchuldet. Später war der Hof im Beſitze der Familie
Schleenſtein und darauf in dem der Familie Kirchmeier,
von der er 1778 durch eine Erbtochter an die von Porbed
gelangte, welche ihn bi8 1855 befaßen, wo er von dem
Dekonomen Wilhelm Met zu Zennern durch Kauf erwor-
ben wurbe,
| Die FTandsburg.
Dicht über dem rechten Ufer der Schwalm erhebt
fih zwijchen den Dörfern Allendorf, Micheldberg, Dorheim
und Schlierbach an 550 Fuß ein hoher reichbewalbeter
Bajaltfegel, an deſſen Fuße die Eifenbahn von Kaffel nad
Frankfurt vorüberzieht und auf deſſen weithin fichtbarem
Gipfel ehedem die, jet nur in wenigen Reften noch er=
fennbare Landsburg lag.
Als 1344 dem Landgrafen Heinrich II. von Helfen
eine Fehde mit dem Erzbifchofe von Mainz in Ausficht
ftand, verband er fich zu diefem Zwecke mit ben. beiden
Grafen von Biegenhain und veriprach denſelben zugleich
feine Hülfe bei dem Baue einer Burg auf dem Gerften-
berge*) Diejer Bau wurde ausgeführt und fo entitand
die Landsburg, welche wohl wegen ihrer weithin das
Land überjchauenden Lage diefen Namen erhielt, der ſogar
den alten Namen des Berges gänzlich auß der Erinnerung
verdrängte, Als Zubehörungen erhielt die Burg die Dörfer
Allendorf, Micheldberg, Diemenrode, Holzmanndhaufen
und das halbe Knechtbach überwiejen, von denen bie brei
legtern nicht mehr beftehen **).
Bereits 1345 wurde Hermann von Löwenftein-
Schweinsberg als Burgmann beftellt, und 1350 finden
wir in gleicher Eigenfchaft Friedrich von Kalsmunt und
die Familie Krengel.
*) S. Biete a oe 1. S. 9.
**) Daſ. S
396
Sm Jahre 1364 waren jener Hermann won Löwen
ftein-Schweindberg und Wiederhold Meilenbug im Pfand
befite und zwar, wie Urkunden von 1371 ergeben, der er=
flere zu zwei und ber legte zu einem Drittel. Beide ver-
pflichteten fi, an den Muuern, dem Graben und dem
Hauje 120 Mark Silbers zu verbauen. Wiederhold's Antheil
vererbte auf jeinen Eidam den Ritter Konrad Spiegel; dann
fam er auf Andreas von Binsfört und endlich auf teilen Bru—
Der Ludwig von Binsfört, Dechanten zu Rotenburg, wel=
her. feine Pfandrechte 1412 dem Erzbiſchoſe von Mainz
überließ *). Hermann’8 von Lowenftein zwei Drittel waren
dagegen. auf feine Nachkommen vererbt und befanden fich
im Anfange des fünfzehnten Sahrhunderts im Beſitze Gott-
fried’8 von Löwenftein-Schweinsberg.. Wodurch diejer mit
den Grafen von Ziegenhain in Zwift gerieth, iſt unbekannt.
Es fam jedoch zu einer Fehde und die Grafen eroberten
die Landsſsburg. Diefelben fagen in einer Urkunde von
1404 „dar wyr dye Landsburg myt vnſen Frunden gewun-
nen” und in einer andern von 1408 „aljo wir Godefrid
von Swinsberg dij Landisborg angewonnen han“. Es fcheint
dies fogar auf wiederholte Eroberungen zu deuten, wenn
auch ohne weitere Nachrichten nicht darüber zu enticheiden it,
Jedenfalls kamen die von Löwenftein-Schweinsberg damit
aus dem Beſitze.
Im Jahre 1425 wohnte Hartmann Schleger auf der
Landsburg und 1437 wies der letzte Graf von Ziegenhain
die Burg ſeiner Gemahlin zur Leibzucht an **). Die Pfand⸗
Ichafts-Verhältniffe waren demnach gelöfl. Nachdem die
. Burg mit ihren Zubehörungen 1450 an Helfen übergegan-
gen war, beftimmte fie Landgraf Heinrich III. zur Mor-
gengabe für feine Gemahlin Anna von Katzenelnbogen.
Diefelbe gab darum auch ihre Zuftimmung, als ihr Gemahl
die Burg 1461 an Kaspar von Roßdorf verichrieb, Don
*) Gudenus, Cod. dipl. IV pag. 850.
+ Wend III UB. ©. 236,
897
diefem ging fie auf deffen Sohn Johann über, bis fie 1480
Hans von Dörnberg an fi kaufte. Deſſen Beſitz war
jedoch nicht von Dauer, denn 1490 fteht fie bereit8 wieder
unter einem landgräflichen Amtmanne, Hanſens Schwefter«
Sohne, Appel von Greuffen. Als dieſer ftarb, gab fie Lands
graf Wilhelm II. feinem natürliden Bruder Wilhelm von
Heſſen.
Dieſer Wilhelm von Heſſen war ein natürlicher Sohn
des Landgrafen Ludwig II. Seine Mutter iſt nicht bekannt,
cheint aber jene „Sungfrau Margarethe von Holzheim“ *)
geweſen zu fein, welche in den le&ten Lebensjahren des Land-
grafen ſtets in deſſen nächjter Umgebung fich findet und
ihn felbft auf die Jagden begleitete. Im Sabre 1512
nennt Wilhelm den Droft zu Walded Hildebrand Gau—
grebe feinen Stiefvater. Seine Mutter hatte fich aljo nach
des Landgrafen Tode mit diefem verehlicht **), Im Sabre
1506 hatte Landgraf Wilhelm feinen „natürlichin Bruder
und Rath”, wie er ihn felbft nennt, Wilhelm von Heflen
mit den heimgefallenen Lehngütern der von Rinne, nämlich
dem Dorfe Obermölrih, fünf Achtel vom Dorfe Maden,
einer Hauſung zu Altenburg, einem Burgfig zu Nieden-
*) Im Jahre 1470, und zwar gegen befjen Ende, lieft man in einer
Rehnung: „als Juneffrauwe Margarethe von Holezeheym
zu Schachten daz Kind hub”. Zu dieſer Reiſe hatte fie die
Wagen-Pferde des Klofters Haibe verwendet.
Es findet fi außerdem noch ein Wilhelm von Heffen, welcher zu-
weilen als der ältere bezeichnet ‚wird und 1508 und 1509 land⸗
gräflicher Botenmeifter war. Wahrjcheinlich war derſelbe ebenfalls
ein Sohn Ludwig IL. Daffelbe war wohl auch mit Johann von
Heſſen der Fall, melden man von 1507—1514 als Amtmaun zu
Sranfenberg begegnet, denn in feinem Schilde führte er einen Lö⸗
wen und auf dem Helme die bekannten Büffelhörner, Im Jahre
1480 wurde eine natürliche Tochter Ludwig II. verebelicht, deren Name
aber nicht genannt wird. Möglich, daß es Anna war, welche Heinz
Meifjener zur Ehe hatte. Eine andere Tochter war Leuckel Lampaſt.
Diejelbe war ſchon als Kind in's Klofter Ahnaberg gefommen und
als daſſelbe 1527 aufgehoben wurde, bereits feit 2 Jahren darin,
vor. Band.
x
—
398
ftein:e., fowie dem dur Thimo's von Wiltungen Tod
beimgefallenen Burgfite zu Meljungen belehnt. Ebenſo
gab er ihm in temjelben Jahre, wo er ihn als jeinen
Thorwärter bezeichnet, die Burg Echöneberg bei Hofgeis⸗
mar mit tem dazu gehörigen Gerichte. Wenige Sabre
nachher, 1509, beitimmte er ibm dann audy tie Land &
burg mit ihrem ZTörferzubehör, und um ihm zugleich eine
höhere Stellung zu geben, erwirkte er beim Kaiſer tie Er>
hebung Wilhelm’3 in ten Zreiherrnitand und des Gebiet
der Landsburg zu einer Herrſchaft. Seitdem nannte
fih Wilhelm Freiherr oder au Edelherr zur Land
burg. Er hatte nun bald zu Echöneberg, bald zur
Zandsburg feine Wohnung *). Nactem im Sabre
1518 (oder 1520) Schöneberg für die zu diefem Zwecke
beftimmte Summe von 3000 Gulden wieder abgelöjt wor-
den, kaufte er mit diefem Gelde die Güter des deutſchen
Ordens 3.1 Obermölri und einigte jo das ganze Dorf in
feinem Befite. Er lebte noch 1544. In dieſem Sabre
gab er an Landgraf Philipp die Landsburg zurüd, behielt
*) Wilhelm änberte ſeitdem auch fein Wappen. Bis tahiu hatte er
einen halben Löwen in feinem Schilde und einen Helm mit den
gewöhnlichen Büfjelhörnern mit auslanfenden Etengeln geführt.
Später war fen Schild quer geheilt. Die untere Hälfte war
quadrirt, die obere hatte einen fchreitenden Löwen. Die Helmzier
Dagegen beftand ebenwohl aus einem jchreitenden Löwen mit einer
Krone, aus welder drei Pfauenfedern hervorgingen.
*0) Als er 1511 zu Schöneberg wohnte, kamen feine Diener mit Diet-
rihd von Scadten, dem Amtmann zu Grebenftem, im Dorfe
Kalden in Streit und fchoffen auf diefen. In Folge deſſen beſchul⸗
digte man Wilhelm eines Mortanfchlags anf Dietrich, er vermochte
jedoch feine Schulblofigfeit darzuthun und hatte jene Diener auch
jofort entlafjen. Im Sabre 1513 hatte er in ter Oftermejje zu
Zrankfurt von einem Kaufmann zu Köln 25 engliiche Tuche, ſchwarz
und roth, und weiß und grau, für 714 Gulten gefauft, welche
er in der Herbfimefle zu zahlen verſprach. Da er aber nicht Wort
hielt, wurde er am SHofgerichte verklagt und wußte bier die Sache
jo binzuziehen, daß fie 1525 noch nicht erledigt war.
399
aber den Bezug fammtlicher Einkünfte aus den zur Lands⸗
burg gehörigen Dörfern. Er nahm jebt feine Wohnung
zu Melfungen und muß bald nachher geftorben fein. Seine
Gattin, deren Name jedoch unbefannt, lebte noch 1544.
Kinder hatte er nicht,
Damit ſchließt auch die Geſchichte der Landsburg.
Schon 1533 hatte Konrad Diede die Anwartichaft
auf die Landsburg und andere Lehen Wilhelms von
Heſſen für den Fall erhalten, Daß derjelbe kinderlos fterben
werde, doch wurde dieſelbe nicht verwirklicht.
Der Edelhof zu Bolzhaufen.
Das vor dem Reinhardswalde und an der von Kaffel
nach Bederhagen führenden Straße liegende Dorf Holz
hauſen findet man zuerft im Jahr 1019 als »oppidum,
quod Holshusen uocatur« genannt*). Daß unter oppidum
bier an feine Stadt im fpäteren Sinne gedacht werden
fann, bedarf wohl nicht bejonder8 bemerkt zu werden. Es
wird dumit vielmehr nur ein befeftigter Ort angebeutet,
Indeß ift von irgend einer Befeftigung jetzt, fo viel mir
befannt, feinerlei Spur mehr vorhanden, wohl aber, und
dies ift jedenfall® bemerfenswertb, warb noch im fieben-
zehnten Jahrhundert das Dorf abwechlelnd au Bur gholz⸗
baufen genannt.
Nachdem das Dorf fange wüſt gelegen, wurde eg
gegen die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts wieder an—
gebaut und hatte 1454 wiederum 16 Häuſer und 1465
18 Familien, unter denen 6 Köthner fich befanden. Es
ſtand unter dem Gerichte zu Grebenftein und beſaß
auch jchon eine Kirche. Unter Landgraf Wilhelm IV,
(etwa 1580) zählte man bereit? 56 Familien. Im März
1560 hatte jedoch eine Feuersbrunſt einen großen Theil
des Dorfes in Afche gelegt. Bon einem größern Hofe ift
*) Cod, dipl. Wesiph, Nr, 101. Ä *
24
400
bi8 dahin noch feine Rede. Bon einem folchen findet man
erft im Anfange des fiebenzehnten Jahrhunderts Nachricht,
Denſelben beſaß damals die Zamilie von Fallenberg zu
Herftelle, ohne daß fih irgend ein Nachweis über ben
Erwerb darbietet.
Widelind von Fallenberg war Bermund über ten nach⸗
berigen heijiichen Oberftlieutenant Ehriftian de Wrede geive-
. fen. Da er ein Out jeined Mündels in Nordheim verkauft
und außerdem auch noch mit einigen Summen im Rüdjtande
geblieben war, verflagte ihn de Wrede und Witefind wurde
zur Zahlung von 1568 Thaler Kapital und 1218 Thaler
Zinjen verurtheilt, und da dieje nicht erfolgte te Wrede
in Widelind’3 ſämmtliche Güter eingewieien. Darüber
ftarb Witelind (1627) und wieber gingen Jahre hin, bi
endlich Widekind's Schn, Ludolph Chrilteph, und Witefind’s
Geichwijter mit de Wrede in Berhantlungen traten. Man
bot dieſem die Abtretung des adeligen Haufe zu Holzhaujen
an, wenn er 1000 Thlr. zurückzahle. Ta tiefer tarauf
nicht eingehen wollte, ließ man mit fi} hanteln und be
gnügte fich endlich mit 200 Thlr. Sp wurde durch Ber
trag vom 5. Oktober 1638 das Gut an de Wrete abge-
treten, und dieſer blieb biß gegen 1675 in teilen Befſitze,
wo ed an den Oberjtlieutenant Hans Meier überging.
Diejer Hand Meier war 1617 zu Grofenrühten im
Stift Hiltesheim geboren und ſchon frühe in Kriegsdienite
getreten. Nachdem er drei Jahre im ſchwediſchen Reiter-
regiment des Oberſten Rudolph von Birkenfeld getient,
nahm er 1641 zu Minden feinen Abjchied. Nicht lange
nachher trat er jetoch wieter in Dienit. Er wurte Quar-
tiermeifter im ſchwediſchen Neiterregiment von Barjig und
nad 5 Monaten zum Kornet befürtert. Im Sabre 1643
nahm er wieter ten Abſchied und vermweilte bis 1654 bei
ten Eeinigen. Er trat nun als Nittmeifter in das ſchwe⸗
diihe Reiterregiment te3 General - Majord Bötteder und
blieb 4 Jahre in temjelben. Erſt 1658 trat er zu Mel-
401
dorf in Holſtein wieder zurüd. Es folgten noch einige
ähnliche Wechjel. Im Jahr 1672 finden wir ihn im bran⸗
denburgiichen Dienfte als Oberſtwachtmeiſter und am 5.
Oktober 1672 wurde er im Hauptquartier zu Bergen zum
Oberftlieutenant ernannt, Als folcher brachte er das Gut
zu Holzhauſen an fih. Indeß hatte er noch feine Ruhe.
Als 1677 fih in Dänemark Krieg erhob, verpachtete ex
da8 Gut (gegen jährli 20 Viertel Roggen, 20 Biertel
- Safer und 10 Viertel Gerfte und Mebernahme aller Laften)
auf 6 Iahre und eilte dorthin. Im Jahre 1679 kehrte
er zurüd und da er mit der Wirthichaft des Pachter8 un
zufrieden war, kündigte er bemfelben, um das Gut wieder
felbit zu bauen.
Meier war zweimal verehelicht geweſen. Aus eriter
Ehe hatte er feine Kinder, aus der zweiten einen Sohn
und eine Tochter, welche mit der Mutter in Halberſtadt
lebten, während Meier in Holzhauſen ſaß.
Nun traten aber auch noch zwei Geſchwiſter, ein Bru⸗
der und eine Schweſter, auf, welche behaupteten ſie ſeien
Kinder aus Meier's erſter Ehe und klagten gegen ihn
auf Alimentation. Vergebens ſtellte er vor, daß er nicht
deren Vater der Oberſtlieutenant Andreas Meier ſein könne,
weil er Hans heiße, vergebens wies er nach, daß ſeine
erſte Frau anders geheißen habe, als die Mutter der kla—
genden Geſchwiſter, vergebens traten auch ſeine Kinder
dazwiſchen, er wurde trotz alledem als Vater anerkannt,
ſicher nur in Folge zu großer Nachläſſigkeit in der Führung
ſeines Rechtsſtreits, und das Gericht wies die Alimente auf
das Gut zu Holzhauſen an. Die angebliche Tochter, welche
zu beſſerer Betreibung der Sache ſich meiſt zu Kaſſel auf-
hielt, füumte auch nicht das Erkenntniß auszubeuten. Es
wurde ihm ein großer Theil des Gutsinventars gepfaändet,
insbejondere beinahe fämmtliches Vieh. Meier mußte fich
in Folge deſſen nicht anders zu helfen, als daß er fein Gut
verpachtete. Er that Dies 1681 auf drei Jahre an Dietrich
402
von Schachten, an veffen Statt aber fchon im folgenden
Sabre der Schwager deſſelben Hans Friedrich von Stod-
haufen eintrat. Meier behielt fi nur eine befchränfte
Wohnung aus und lebte, alt und fränflich, in den fümmer-
lichſten Verhältniſſen. Erft die Noth feheint ihn rühriger
gemacht zu haben. So ermittelte er, daß ein ſchwediſcher
Oberftlieutenant Andreas Meier vom Regimente des General
Wittenberg vor Nienburg auf Fühnen geblieben fei und brachte
felbft Zeugniffe bei, wonach mit demjelben der Kläger Mut-
ter, des Bürgermeifterd Salomons zu Schlawe in Pommern
Tochter, verehelicht geweien fei. Im Jahre 1684 wurde
noch ein Oberftlieutenant Andreas Meier aufgefunden, der
zu Büdingen ſaß und ſich mit Herftellung eine8 perpetuum
mobile beichäftigte. Dieſer war fogar geneigt die Vater—
fchaft anzuertennen, wa8 jedoch bei der Lage der Sache
nicht fo Turzer Hand angenommen werben konnte. Das
Gericht verlangte deshalb, daß beide Meier nach Schlawe
reifen follten, um den Stabtrath den richtigen auswählen
zu laſſen. Es fcheint indeß nicht Dazu gefommen zu fein.
Wohl wurden mehrmals Anläufe gemacht, ohne aber weiter
zu kommen, Die Reife war weit und Eoftipielig, und beide
waren alte Burſchen und hatten nichts überflüſſig. Bald
war der eine bald der andere frank und wenn auch das
nicht der Tall war, fo fehlten doch die Mittel. Die angebliche
Tochter war Dagegen zu einem der angelegten Termine nach
Pommern gereiſt und ließ Die gehabten Koften von dem
erzwungenen Vater beitreiben. So ſtand's noch 1686, wo
die Alten abbrechen, ohne Daß man fieht, wie Diejer wunder=
liche Streit fich fchlieklich erledigt hat. Auch ift mir un—
befannt, ob Meier dad Gut bi zu feinem Tode behalten
und an wen ed dann übergegangen ift,
Sn fpäterer Zeit follen die Meifenbug den Hof be—
feifen haben. Im Anfange des vorigen Jahrhunderts hat-
ten ihn die Gebrüder Willius. Diefen folgte die Familie
Thomas (bi8 etwa 1831), dann Rudolph (1834) und
403
ſchließlich Roprecht (ſeit 1836), welche noch jebt im
Befite ift,
Die Burg zu Waldau
bei Kaſſel.
Das was Windelmann und Engelhard von einem
Raubſchloſſe und einem Klofter zu Waldau erzählen, ift
ohne alle gefchichtliche Grundlage, Seit dem Anfange des
fünfzehnten Jahrhunderts findet man eine landgräfliche
Burg ober vielmehr Kemnate im Dorfe Waldau, weldye
als ein Oekonomie-Vorwerk des füritlihen Renthofs zu
Kafjel betrachtet wurde. Im Jahre 1484 gab Landgraf
Wilhelm I. feiner natürlichen Schweiter Anna und deren
Gatten dem Thorfnechte Heinz Miffener „die Kemnate zur
Walde" mit ihren Aedern, Wiefen und Gärten, nur die
‚Zehntjcheuer ausgenommen, wie er jagt, für die Dienfte,
welche beide feiner Mutter der Landgräfin Mechtilde gelei=
jtet und auß befonderer Zuneigung. Er behielt fich dabei
vor, dieſe Befitung mit 200 Gulden wieder zurüdfaufen
zu fünnen. oo
Sm Jahre 1486 wurde die Kleine Burg erneuert,
und zwar auf fürftlihe Koſten. Dieſes neue Gebäude
dauerte bi8 zur Zeit des Landgrafen Moriz, wie e8 jedoch
ſcheint, nicht mehr in wohnlihem Zuſtande. Landaraf
Moriz richtete hier eine Förſterwohnung ein*) und noch heute
dient das daſelbſt ftehende Gebäude dem gleichen Zwecke.
Bon der alten Burg find noch Mauern und Rondele vor=
handen, welche jchon Landgraf Moriz zu Hundezwingern
einrichten ließ.
*) Es fcheint jedoch, daß die Burg ſchon im fünfzehnten Jahrhundert
zu einem gleihen Zwecke gebient habe. Es hatte wenigftens ber
landgräfliche Fägermeifter Henne Fled 1463 zu Waldau feinen
Wohnſitz.
- 404
Die Gründung der Stadt Lichtenau.
Die Gründung der Stadt Lichtenau gejchah durch
Zandgraf Heinrich I. von Heſſen und jedenfall! zu dem
Zwede, um ber aus Thüringen kommenden und nach Kaffel
führenden Straße eine größere Sicherheit zu gewähren.
Die Chroniften gedenken ihrer Anlage nicht. Dagegen
jeben wir aus der nachfolgenden Urkunde, daß fie 1289
noch eine neue Stadt genannt wird.
Nos Hermanus dictus comes*) de Eyterhayn,
Rupertus sacerdos et Sifridus ceterique pueri mei
in hiis scriptis publice protestamur, quod de omni iure,
quod habere cognoscebamus in bonis Segehartheshu-
sen**) sitis, quod nostrum pheodum appellabatur silua-
rum ***) abrenunciavimus propter deum. Quicquid vero iu-
ris in bonis super diclis habere uidebamur, domino pre-
posito sanctimonialium in Germerode et eidem fabrice
admisimus perpetuo optinendum. Huius rei testes sunt
dominus de Virbach ordinis theu. domus, Conradus
de Retrode et Henricus filius suus et alii quam plures
fide digni. In huius rei testimonium presentem literam
sigillo burgensium noue ciuilatis Lichtenowe feci-
mus communiri. Datum et actum in die annunciationis
virginis anno dni. M. CC. L. XXX. VII.
Das an diefer Urkunde hängende Siegel belehrt uns
aber noch weiter, daß die Stadt im Anfang noch nicht
‚ihren gegenwärtigen Namen führte. Dieſes Siegel, welches
einen Hauptthurm und zwei Nebenthürme darjtellt, bat
nämlid die Umſchrift: Sigcllum) civitatis de Walberc.
Der Name der neuen Stadt war demnach von dem benach-
barten Dorfe Walburg (früher Walberg) entlehnt. Es ift
wohl nicht Daraus zu fchließen, daß die neue Stadt in der
*) Der Grebe oder Ortsvorftand,
>) Witftung bei Lichtenan.
x) d. i. zu Waldlehen.
3
Tu
405
Feldmark von Walburg angelegt worben fei, weil einige
wüfte Dörfer und namentlich auch das in der Urkunde
genannte Segeharteßhufen zwifchen beiden liegen, wohl aber
mag Walburg der neuen Stabt einen großen Theil ber
Bürger geliefert haben,
Auch noch 1323 wird Lichtenau eine neue Stadt
genannt, wie die nachjtehende Urkunde zeigt.
Nos Conradus dictus Hagemeyster, Sifridus
de Gribolderode proconsules, Johannes filius Ha-
gemeisters, Heroldus, JohannesFinke, Woli-
grabe, Heynricus de Bercheym, Tilo de Holen-
steyn, Hartmannus de Hülsbach, Hermannus
de Ymmedeshusen, Conradus de Rodenberg et
Heynricus de Holensteyn, consules noui oppidi in
Lichtenowe, recognoscimus publice in hiis scriptis
nobis constare euidenter, quod Ludewicus de Ho’n-
rode et Gertrudis sua conthoralis ligittima nostri con-
ciues in nouo oppido Lichtenowe omnia sua bona et
singula in campis, areis, nemoribus, pratis, pascuis, qui-
buscunque locis sita in Ho°menrode pertinentia vendi-
derunt rite ac rationabiliter venerabili domine Jutie abba-
tisse et conuentui ecclesie sancte crucis in Coufungen
pro tribus libris et decem solidis in Casle vsualibus per-
petue possidenda, renuntiantes dieti conjuges omni jure
suo, quod habebant in eisdem et repossessionauerunt
prefatos abbatissam et conuentum per finbriam vesti-
menti sui bonis de eisdenm cum omni iure sicut ipsi
ea possederunt. Testes huius rei sunt dominus Degin-
hardus, dominus Gumpertus, sacerdotes et capellani
domine abbatisse predicte, Johannes et Ludewicus
fratres dicii Stoz, Heinricus Scolle et alii quam
plures fide digni. In cuius rei plenius testimonium has
literas nostre communitatis sigillo in Lichtenowe ad in-
stantiam diligentem dictorum coniugum dedimus_ firmiter
communitas. Datum et actum anno dni. M. CCC. XXI.
in die Praxedis virginis (21, Juli).
406
Ellingerode.
Dieſen weſtlich von Rotenburg liegenden Hof beſaß in
der Mitte des vierzehnten Jahrhundert Herman von Bebra.
Im IJ. 1346 verſchreibt dieſer Herman von „Bybera«
eine Fruchtrente ex dimidia parte bonorum in Ellinge-
rode, welche Hälfte er vom Landgrafen von Heſſen zu Lehn
trage. Eine ähnliche Verſchreibung geſchah auch 1355 von
demjelben, nämlich „vz myme Gude zue Ellingerode». Ob
Hermann den Hof ganz bejaß und dann die andere Hälfte
etwa vom Stifte Hersfeld zu Leben trug, oder überhaupt
nur eine Hälfte des Hofes hatte, fteht nicht zu ermitteln,
Diefer Hermann von Bebra’ gehörte nicht nur feinem
Wappen, fondern auch der Umijchrift feines Siegeld nach
der Yamilie von Rodenberg (Rotenburg) an, Ob er
Kinder hatte und auf diefe den Hof vererbte, ift mir un-
befannt, ſpäter findet fich jedoch der Hof im Beſitze Der
Zandgrafen und man darf wohl annehmen, daß dieje Durch
Heimfall zu demfelben gelangt find. Er blieb auch darin big
1503, wo Landgraf Wilhelm II. feinen Küchenmeifter Soft
von NRatenberg und deſſen Bruder Konrad damit belehnte,
deren Großvater Konrad ung zuerjt 1440 al8 Burgmann
zu Rotenburg begegnet. Später wurde Ellingerode
von den Landgrafen wieder zurüdgefauft und gelangte
dann al8 Lehn an die Familie Aitinger. Diefelbe ſtammte
aus Ulm. Sebaftian Aitinger, Rathsſchreiber daſelbſt,
verließ in Folge eines Streit8 mit tem Stabtrath wegen
feine8 dortigen Haufes feine Vaterftadt und trat 1540 als
Sefretarius in die Dienfte des Landgrafen Philipp, und
war num bejonderd thätig in den Angelegenheiten bes
fchmalfalvifchen Bundes, Der unglüdlihe Ausgang des
Krieges bewog ihn fich wieder in Ulm niebderzulaffen, mit
deſſen Stadtrathe ihn der Landgraf ausgeföhnt hatte, Da
er in die Geheimnifje des Bundes eingeweiht war, traute
er jedoch feiner Sicherheit nit, Er fürchtete, daß eben
407
diefer Geheimniſſe wegen ber Kaifer fich feiner bemächtigen
werde, Als man ihm nun am Abend des 8. November
1547 mittheilte, daß ein Trupp Reiter dem Dorfe Bur-
Yoffingen, nahe bei Ulm, fich nähere, wo er fich damals
wegen der in Ulm herrichenden Seuche aufbielt, war er
raſch entichloffen. Obwohl nur leicht bekleidet und vom
Fieber geplagt, eilte er Doch fofort durch die Hinterthür
feiner Wohnung zur Donau, warf fi in den Strom und
ſchwamm an das andere Ufer. Diele Flucht fteigerte jedoch
feinen Krankheitszuftand jo fehr, daß er wenige Tage nach—
her Ddemfelben erlag. Schon am 12. November erfolgte
fein Tod. Einer feiner Söhne war Johann Konrad. Als
derfelbe herangewachſen war, ging er 1563 mit einem Fürs
johreiben des Ulmer Stadtraths zu Landgraf Philipp und
fand bei demfelben eine wohlwollende Aufnahme Der
Landgraf jagte zu feiner Umgebung : „dieſes jungen Mannes
Bater hat LXeib und Leben für mich gelaffen; wollte Gott
ich hätte folcher Diener mehr”, Philipp nahm ihn in feine
Dienfte. Später wurde er Sefretar bei Landgraf Philipp
zu Rheinfels, welcher ihm 1569 ein Lehngut gab, 1586
wurde er Amtmann zu Trefurt und 1588 Rentmeifter zu
Rotenburg. Hier war e8, wo er 1595 den Hof Ellin-
gerode taufchweile von Landgrafen Moriz erward, Er
Yegte hierauf feine Stelle nieder und ftarb 1600, Ellin-
gerode wurde der Stammfig der Familie. Bon den
Söhnen war Joh. Oswald lange Zeit Stiftsfämmerer zu
Rotenburg. Doch fchon mit des Yeßtern Sohn dem roten-
burgiihen Kammerrathe Johann Kaspar erlojch der Manns—
ftamm 1729. Noch in demfelben Jahre wurde die ſchöne
Neife-Hofmeifterin Chriftine Bernhold von Eichau mit dem
heimgefallenen Hofe belehnt, nachdem fie ſchon 1721 bie
Anwartichaft darauf erhalten hatte, Später wurde Chriftine
zur Neichsgräfin erhoben und von Landgraf. Wilhelm VIII
1755 in jeinem Teftament zur Oberhofmeifterin ernannt.
Ihre drei Schweitern hatten die eventuelle Mitbelehnung er=
408
balten, und als EChriftine nun bald nachher (1757) ftarb, tra⸗
ten diefe als ihre Erben ein. Da jedoch die Erneuerung ber
Belehnung einigemal verfaumt worten, wurde Ellinge-
rode (welches damals 280 Thlr. Pacht ertrug) eingezogen
und erft 1760 die Belehnung von Neuem gewährt. Eine
jener Schweftern war die Wittwe des Kammerpräfitenten
von Frankenberg, Amalie geb. von Bernhold zu Eichau,
die Stifterin des lutheriſchen Waiſenhauſes zu Kafjel und
die Gründerin der lutheriſchen Pfarrer-Wittwen-Kafje da=
ſelbſt. Dieſelbe war die leßte ihrer Echweitern und trat
den Hof 1768 dem Geh. Kriegsrath Schmerfeld ab, welcher
fhon 1761 die Anwartihaft darauf erhalten hatte; und
bald nachher in den Abelftand erhoben wurde. Seine Nach⸗
kommen entäußerten fich dieſes Beſitzes erjt 1857, wo El—
lingerode von der Ehegattin des Obervorjteherd Ferdinand
Schutzbar genannt Mildhling erlauft wurde.
T.
Das ebemalige Gericht Zeftädt.
Bon Julius Shminde, Metropolitan zu Sontra, früher
Pfarrer zu Jeſtädt.
— —
Das ehemalige Gericht Jeſtädt, ſeinem Umfange nach
gleich dem heutigen Kirchſpiele Jeſtädt, .erſtreckte ſich von
den hoben Gebirgen, die Heſſen vom Eichdsfelde ſcheiden,
namentlich von der Härdtekoppe (auch Hörne genannt), dem
hoben Steine, der Gohburg und dem Meinhart, bis an's
rechte Werraufer und umfaßte als ein Theil des ehemaligen
großen boyneburgiihen Sammtgerichtd die Dörfer Jeſtädt,
Neuerode und Moterode, die Wültungen Dudenhaufen
bei Jeſtädt, Dörrenhain bei Neuerode und Bettelsdorf bei
Moberode, die Lohgerberei am Schambach, die Pletſch—
und die Pochmühle und das Förſterhaus nebft Vorwerk auf
dem Berge. Dieſer Begriff des Gericht8 in einem Umfange
von etwa 4 Wegſtunden figirte fich erft im 15. Jahrhundert.
Hiftoriich begegnen wir innerhalb dieſes Bezirk, der
unbeftritten in der alten Germarmarf Tag, zuerft Reichs—
gütern, die ohne Zweifel zu dem Königshofe in Eſchwege
gehörten und von denen ein Theil zu der Yundation der
im Anfange des 11. Jahrhunderts geftifteten Cyriacusabtei
zu Eſchwege geichlagen, Anderes an das Stift in Speier'
und fpäter an Mainz kam, Anderes an Erelleute gegeben
Band X 1
2
wurte. Es erinnert nody Taran ter Königsberg zwiſchen
Grebendorf, Jeſtädt unt Neuerote 9%. Sn alter Mark:
genoſſenſchaft finten wir Jeſtädt, Neuerote, Mogerote und
Dutenhaujen mit Eſchwege, Grebentorf, Frieda, Aue,
Dünzebach, Langenhain, Reichenſachſen unt Hone unt noch
1436 hatten dieſe Orte gemeinſchaftliche Hute und Weide in
ihren Feldmarken „vff Bruce, Stuppeln und Tryſche“ **).
Nachmals ward dieſe Mark durchſchnitten durch die Grenz—
linien der Bilſteiner und Eſchweger Centen, wonach der
größte Theil des ſpäteren Gerichts Jeſtädt innerhalb des
Bilſteiner Blutbanns zu liegen kam. Die Bilſteiner Cent—
grenze ***) nemlich lief vom Tholsbach (bei Kleinvach) über
tie Werra, jtieg zur Horne und dann an ten Schambach
(zwiſchen Grebentorf und Seftätt, an weldem Duden-
baujen lag) herab, von Ta zog fie über tie Werra an ten
Diebbach (zwiſchen Ejchwege und Nieterhone), bis gegen
Reichenſachſen; vie Eſchweger Gränze aber lief über bie
Kirche tes Eichöfeltiichen Dorfes Hella, über ten Meynert
zwiihen Stella und Neuerote, über tie Kulfröjfen und
den Königsberg bei Neuerote unt Ten Kornkajten, unt in den
Schambach, Tann turch tie Werra und bis auf ven Diebbudh ze.
Begütert finten wir ſchon frühe in unjerem Gerichts—
bezirfe das Hocditift Fulda und die Grafen von Northeim,
ipüter die Grafen von Everjtein und die Herzoge von
Braunjchweig-Tüneburg und teren Bajallen, dazu die Klöſter
zu Eichwege, Borsla und Heide.
Bereit3 unterm 18. Mai 8747) adjudieirt ter König
Ludwig zur Schlichtung eines Streited zwiihen tem &rz-
biichof Liuperd von Mainz und tem Abte Sigehard von
Fulda tem leßteren die Zehnten in 117 Orten Thüringens,
*) S. meine Geididte von Eſchwege S. 49.
*+) 5, Zeitihrift des Vereins für heſſiſche Geſchichte und Landeskunde
11. S. 279 sc. und meine Heichichte von Eſchwege S. 38.
++#) Seife, Teutſches corpus juris ©, 540.
7) Dronke, Codex dipl. fuld, Nr. 640.
3
unter denen neben mehreren Orten unferer Gegend als
Heldron CHeldra), Bruslohon (Borsla), Folegereshuſen
(Völkershauſen) auch genannt wird „Gaheſteti“, worunter
ich unbedenklich Jeſtädt verftehe, zumal die Ältere Benennung
und Schreibweife dieſes Dorfes „Geſtede“ ift *). Bon
fuldifchen Aetivlehen zu Seftädt und Dudenhauſen wird
ipäter die Rede fein.
Zahlreihe Güter beſaß das Norbheimer Grafenhaus
an der Werra und Were, in der Hunethermarf und im
Netergau, zu deren Schuß das Schloß Boyneburg gebaut
war, nach welchem fich auch einige Grafen von Nordheim
nannten. Diele diefer Befigungen, die ſich auch über das
Gericht Jeſtädt erſtreckten, jchentte der letzte Graf von
Nordheim Siegfried II. von Bomeneburg 3 Jahre vor feinem
Tode dem Blafinsftifte zu Nordheim. Die betreffente
Urkunde, Datirt „Bonmeneburch 6. idus Nov. 1141“, ijt
mehrmals abgedrudt, aber mit vielen Varianten, namentlich)
in Betreff der Ortönamen. Darin fchenft Siegfried unter
andern in Thedenhusen 6 mansos, in Werestide 6 et
molendinum, in Novali quod est in monte 1, in loco qui
est ad truncum censum 10 solidorum, ferner Manjen in
Hatheburghujen CHarmuthshaufen, unter ver DBoyneburg),
Neter, Ronrethe (Röhrda), Biſchhauſen, Hosbach, Hunethe
(Hone) u.|.w. Thedenhusen ift die Wüftung Dudenhauſen
bei Jeſtädt. Unter Werestide erfenne ich Seftädt. Der Name
muß in der Driginalurfunde jehr unteferlich fein; Scheid **)
lieſt Werestide, Haremberg ***) Werxstide, Menden
Wercksstede, Hoffmann Werstide, ein Anderer fogar Were-
kesen und die Beftätigungsurfunde Heinrich des Löwen vom
24. November 1162 hat in der einen Abjchrift Vreistede und
in der anderen Wreestede. Wahrjcheinlich Dürfte man Gestede
—
*) Andere benfen dabei an die Wüftung Geidenftadt im Gericht
Heringen, ſ. Landau, Wüftungen ꝛc. S. 334.
**) Origines Guelficae IV. p. 523.
*##) listor. Gandersh. p. 707.
1*
4
+‘
oter Geistede zu lejen haben. Das dabei ftehente molen-
dinum möchte Tann tie bei Jeſtädt gelegene Pletſchmühle
jein, eine uralte Mühlenanlage, bei ter 5 Wege ſich kreuzen,
wie tenn in Ten !päteren lümeburgiihen Lebnbriefen über
Jeſtädt der Mühlſtätte beientere Erwähnung geichieht.
Das novale in monte wäre wohl das zum Jeſtädter Ritter:
gute gebörige „Vorwerk unt Förſterhaus auf tem Berge“
zwilchen „Seitätt und Motzerode, unterhalb einer Anhöhe,
welche tie Hahnekrot heißt; eine curia Hahnecrait aber ijt in
einem Güterverzeichnijje ter Norcheimer Grafen regiitrirt *).
1144 erlojch dieſes alte Tynaſtengeſchlecht im Mannsſtamm,
das Schloß Boyneburg fiel an's Reich zurück und in dem
Beſitze ter meiſten Nordheimer Orte im Honer- und
Netergau treffen wir ſchon bald tie boyneburgiihen Stämme.
Der größte Theil des (Berichts Jeſtädt gelangte in
tie Hände und unter tie Lehnsherrlichkeit der Grafen von
Everftein. Dad Wann und Wie iit noch nicht aufgellärt.
Nachdem ſchon Graf Atulvert von Everjtein 1193 vom Erz-
biihef Konrad von Mainz zum Burggrafen auf Kufteberg
bejtellt worden war, hatte deſſen Sohn Conrad tiefe Würde
1239 jogar erblich erhalten, und jowohl hierdurch, als auch
durch ten Umſtand, Daß ed dem Erzbiichofe von Mainz
gelungen war, 1235 tie ehemaligen kaiſerlichen Befigungen
in und um Eſchwege, welche Kaiſer Heinrich IV. an Speier
geſchenkt hatte, vom Bilchofe von Speier fäufli zu er-
werben, wurde das everfteiniihe Grafengeichlecht für unfere
Gegend jehr wichtig. In ,diefe Zeit nun mögen feine Erwer—
bungen im Gerichte Jeſtädt füllen, jei e8 Durch Uebertragung
von Mainz oder, was wahricheinlicher ift, durch Lehndauftrag
von Erelleuten, die bier begütert waren. Mit mainzifchen
Afterlehen waren auf dem Eich3felde die von Bülzingslöwen
von ten Grafen von Everftein belieben und von denjelben
Grafen trugen die von Hanjtein das halbe Dorf Wuhl-
*) Schrader, Geſchichte der Grafen von Nordheim.
J
5
haufen an der Werra, 2'/, Stunde unterhalb Jeſtädt, zu
Lehn. Wie das Haus Everftein zu Befigungen an ber
Merra gelangte, ſucht von Hanftein *) in anderer Weile
zu erflären. Die von Hanfteln wurden feit alten Zeiten
von Fulda beliehen mit Wiederoldeshaufen (Werlshaufen),
Lindenwerra, Mahlhaufen, Diegenrode ꝛc., von den Grafen
von Everftein aber gleichwohl mit dem halben Dorfe Wahl
haufen. Wenn nun diefe Grafen in der Germarmarf mitten
unter: fuldiichen Gütern als Lehnsherren über jolche Güter
auftreten, welche zugleich in fultiichen Lehnbriefen auf-
geführt werden, fo fei dies nur dadurch erflärlich, daß dieſen
mächtigen Grafen vom Stifte Fulda die PVogtei über
die Befigungen an der Werra übertragen war, wofür fie
das halbe Dorf Wahlhaufen als dominium utile empfingen,
während das dominium directum dem Stifte verblieb. Man
weiß, wie geführlich den geiftlichen Stiftern die Schutzherren
wurden und wie die Chroniken des Mittelalterd mit Klagen
über Beeinträchtigungen, Gewaltthätigkeiten und Eingriffe
der Schußherren angefüllt find und diefe Umftände mochten
da8 Stift Fulda bewogen haben, mit Uebergehung der
benachbarten Grafen, 3. B. der von Bilftein, Gleichen,
Zutternberg, die entfernteren, aber nicht minder mächtigen
Everfteiner zu wählen. Dennoch konnte e8 nicht verhindern,
Daß jich fuldifches Stifggut In everfteinifche8 Lehngut ver=
wantelte. Uebrigens war fchon längere Zeit vor 1170
Die provincia, que Westere (Soden bei Allendorf) nun-
cupatur, im Pfandbeſitze des Grafen Albert von Everftein
und in dieſem Jahre wurde diefer Beſitz von der fuldifchen
Kirche wieder eingelöft. Wielleicht wären aus diefem ever—
fteiniichen Pfandbeſitze Die everfteinijchen Lehen an ver
Werra herzuleiten, was auch Dr. Landau vermuthet **),
1259 ftarb Graf Conrad al& legter Nufteberger Burgaraf
— — — — —
*) Geſchichie der Familie von Hanftein I. S. 153 ff.
**) vergl. Zeitjchrift des Vereins für heſſiſche Geſchichte und Laudes—
kunde IX. S. 136 und 137.
» 6
aus dem Haufe Everftein. Das everfteinifhe Lehns—
verhältnißk im Gericht Jeſtädt dauerte aber fort, bis
Hermann III., der letzte Everjteiner, fich genöthigt jah, feine
Tochter Elifabeth 1408 dem Herzog Otto von Braunichweig,
Bernhards Sohne, zu vermühlen und tem braunichweigifch-
lüneburgiihen Hauſe die Herrichaft Everftein als Braut-
chat zu überlaſſen 9. Graf Hermann farb ohne Söhne
und Elijabeth 1445 ohne Kinder. Die everjteiniiche Lehns—
berrlichfeit über dad Gericht Jeſtädt ging über auf die
Herzoge von Braumichweig- Lüneburg und als chemals
everiteiniiche, jegt lüneburgiiche Vaſallen ericheinen dajelbft
die von Boyneburg-Hoenſtein und die von Ejchwege.
Mann die von Boyneburg=Hoenftein ihre erften Er—
werbungen im Gericht Jeſtädt gemacht, ift nicht mehr zu
ermitteln. 1346 bejaßen jie bereit8 ein Gut zu Dudenhaufen,
weiched von den von Hundelshauſen erfauft worden war.
Aber auch zu Jeſtädt und Neuerode waren fie frühe begütert.
1413 trat Heintih von Boyneburg = Hoenftein feinen
Brüdern Rabe und Heimbrod Güter und Gefälle an diefen
Orten ab. Den erjten braunfchweigslüneburgiichen Lehnbrief
erhielten fie 1414. Er lautet **): „My Bernd von godeß
gnaden Hertoge to Brunſwich vnd to Luneborch befennet
in deſſem openen breve dat wy belenet hebbet vnd belenet -
in macht deſſes breves Henrife von Honften vnd zine broder
mit dem Torpe to Jeeſtede vnd mit andern gutern de fe
pon rechte von und to lene hebben fchullet von Der herichapp
von Everfien wegen to enme rechte erben manlene ꝛe.“
Senaner bezeichnet find die Lehnjtüde in dem vier Sabre
ſpäter, 1418, ertheilten Lehnbriefe **): „Wy Berndt —
befennet -— Dat wy hebben belenet — Henrike von Hoenftein
to eynem rechten erwe Manlene alle de goder de he to lene
ghehat hefft von der hericap to Everftein alle und ve von
*")o. Spilder, Geſchichte der Grafen von Everftein.
**) Original im Jeſtädter Archiv.
**5) Jeſtädter Archiv.
7
rechte to lenende boren, in aller wife by namen myt den
gudern to Jeſtede, Tutenhufen, Nuerote, Mozenrode, gericht
vnd recht, myt alle tobehoringhe ꝛc.“ ine weitere Aus—
dehnung enthält ferner der folgende Lehnbrief von 1435,
vom Herzoge Otto, dem Gemahle der Elifabeth von Everftein,
ertbeilt *). Darin beißt eg: „Wir Dtto — befennen —
daß wir — belehnet haben — Raben Boyneburg, anders
geheißen von Hoenitein, mit diefen nachgefchriebenen Dorffen
Tutenhauſen, Neueroda und Motenroda, mit allen ihren
Zubehörungen —, und mit dem Dorffe Jeſtädt, mit Gerichte
und Rechte in denjelbigen Dorffen, und mit fothanem Guthe
alß ed Henrich Boyneburg von unferm lieben Vater Her-
Bogen Bernd feliger — zu lehne gehabt hat.“
Schon vor diefer Zeit beginnt die Reihe hartnädiger .
Streitigkeiten, in welche die von Boyneburg-Hoenftein mit
ihren Nachbarn, den Dieden zum Fürftenftein, wegen
des Jeſtädter Gericht8 vermwicelt wurden. Letztere befaßen
nemlich den vierten Theil des Gerichts und Dorf Jeſtädt
und hatten denjelben verpfündet an einen mit Namen
Iſenträger. Bon diefem kam die Pfandichaft an Hans
von Stodhaufen und von diefem an die Brüder Lamprecht
und Reinhard von Meter, welche das Gut („gerichte und
rechte agfer wejen weide huſe hoben in holeze in felde”)
1427 wiederum an Hermann Diede und deilen Söhne für
132 Gulden verkauften **). Wegen diejed Niertheils, mit
weichem die Diede von Lüneburg belehnt wurden, entitand
Streit zwiſchen ihnen und ihren Sejtädter Ganerben, ven
Landgraf Ludwig der Friedfertige von Helfen 1435 dahin
Ichlichtete, daR Lie von Boyneburg-Hoenftein nach Verlauf
von zwanzig Jahren jenes Viertheil des eftädter Gerichts
mit 160 rheinischen Gulden wieder einlöjen dürften ***),
Die Uebung der Gericht3barfeit übertrugen beide Parteien
*) Abſchriſt im Jeſtädter Archiv,
**) Urkunde im Staatsardiv.
**5) Urkunde im Jeſtädter Archiv,
8
einſtweilen dem landgräflichen Amtmann zu Bilſtein, der
jaͤhrlich 3 Gerichtstage in Jeſtädt hielt, nemlich am Montag
nach St. Martini, am Dienſtag nach St. Andreas und am
Mittwoch nach St. Lucien ). 1455 lẽſten die von Bovneburg⸗
Hoenſtein das diediſche Viertheil wieder ein und es wurde
in dieſem Jahre ein neues, noch vorbantenes**) Zinsregiſter
über das Dorf Jeſtädt aufgeſtellt. Uebrigens batten Die
Diede bis zu ihrem Ausſterben im Anfange dieſes Jahr—
hunderts noch einige Hinterſaſſen in Jeſtädt (2 Männer)
und Motzerode (4 Männer.)
Die von Eſchwege beſaßen ſchon vor dem Schluſſe
des 15. Jahrhunderts nicht unbedeutende Lebngüter im
Gericht Jeſtädt, nemlih von Braunjchweig-Lüneburg ein
Vorwerk, Hinterjajfen, Dienſte, Zinjen, Gericht unt Recht
zu Jeſtädt und von ten Landgrafen von Heſſen Güter zu
Betteldtorf, Neuerote, Mokerote, Dörrenhain, tie Härte-
foppe, ten Eichenberg, Wolfdzaun (Berge zwiichen Jeſtädt
und Motzerode) und ten Segelbach (bei Mogerote), melde
legere von Sander von Törnberg Füuflich erworben waren,
und, nachtem fie allotificirt morten, gleihmwohl Ten Herzogen
von Braunſchweig-Lüneburg zu Lehn aufgetragen mwurten.
Soft von Eſchwege verkaufte dieje jümmtlichen Güter 1498
ten von Bouneburg- Soenftein für 1000 rbeinijche Gulten ***).
Die von Ejchirege zur Aue beſaßen intep jpäter noch ein Gütchen
in Jeſtädt, 11"/, Ar. entbaltent, die Auiiche Meierei genannt,
als freied Allot, jo wie an 3 Häujern das Zins- und Yehnrecht,
welche Befitung 1738 gleichwohl von Ten von Boyneburg-
Hoenftein erworben wurde. Dieje al& Die alleinigen Herren
fat des ganzen Gericht erhielten 1532 ihren erjten volls
ftändigen lüneburgiſchen Lehnbrief, ter bei Ten ipäteren
Inveſtituren immer als der erfte erwähnt wird. Er lautet+)
*) vergl. Grimm, Redtsalterthümer S. 822 - 826.
**) im Jeſtädter Archiv.
*rr) Boyneburg-Hoenfteiniches Documentenbuch S. 112,
T) Jeſtädter Archiv.
9
im Auszuge: „Wy Ernft — Herthoch tho Brunswigk vnd
Luneborch — befenne — dath my belene tho eynem rechten
Erven Manlene Heimbrode von Boneburgk anders genanth
von Hoenſtein — mith duffen nachbejchreven Dorppern vnd
gudern, geiftlid vnd weltlid, alffe nemelifen Zutinhufen,
Nuwenrode vnd Motzinrode, mith allen ehren thobehoringen
— ond mith deme Dorppe Geſtedde vnd tem molenjtarte
darſulveſth, mit gerichte vnd rechte, jn demſulven dorppe,
vnd mit ſodanen gudern als de von Boneburgk von vnſen
voreltern tho lehne gehadt hebben, ock allen anderen gudern,
ſo de von Eſchwe von vnſer Herrſchap Everſtein, von vns
tho lehene gehatt hebben, vnd vns von ehne uppedragen
ſinth, vnd wy de von Boneburgk darmede wedderumb
belehneth hebben.“ Mit dieſem Lehnbriefe ſind alle folgenden
gleichlautend. Statt „und vns von ehne uppedragen ſinth“
heißt es jedoch: die dem Herzoge Ernſt aufgetragen find,
und feit 1724: „mit Gericht und Recht in benjelbigen
Dörfern”, um welche leßtere Faffung tie von Boyneburg-
Hoenftein wegen ihrer Streitigleiten mit den Dieden
bezüglich der diediſchen Hinterjaffen in Motzerode (4 Männer)
ausdrüclich . gebeten „hatten, Ta fie doch auch in Neuerode
und Moterode die GerichtSbarfeit befühen.
Zu Weihnachten 1792 erlojch ter Boyneburg-Hoen—
fteinihe Mannsſtamm mit dem heſſen-kaſſeliſchen Ober—
Hofmarſchall Johann Earl Dieterih und der hannoverjche
Lehnhof erklärte das Gericht Seftädt für heimgefallen.
Die Boyneburg-Hoenſteiniſchen Allodialerben aber, nenılich
die von Eichwege zu Reichenfachien und die von Baumbach
zu Nentershauſen, Schweſterſöhne des letzten Lehnträgerg,
machten wegen bedeutender Allode und Meliorationen das
jus retentionis geltend. Am 6. September 1794 kam darauf
ein Vergleich zwiſchen beiden Theilen zu Stande, der 26
Paragraphen enthält und worin unter anderem feſtgeſtellt
wurde: die von Eſchwege zu Reichenſachen, eventuell die
von Eſchwege zur Aue und nach deren Ausſterben die von
10
Baumbach zu Nenter&haujen werten zu Mannlehn belieben
mit tem Gericht Jeſtädt, wie jelches Lie von Bevneburg—
Hoenftein beſeſſen; tie von Eſchwege zu Reichenſachſen,
welche zuerjt in ten Belig kamen, zahlen an tie bannoveriche
Lehnkammer 25,000 Thlr. in Fiftolen und ald Erjaß Der
erftjährigen NRevenue an tie Mititärhogpitalfaffe zu Han—
nover 1000 Thlr. in Piſtolen; tie Alode und Melicrationen
bleiben ewig beim Lehngute; wenn alle Lebnäträger im
Mannsjtamme erloichen find, Dann werten von Ter Lehn—
fammer an tie Allotialerben des legten 2ajullen für die
Allove und Meliorationen 17,818 Ihlr. 18 Alb. gezahlt;
die fuldiihe Hufe zu Dudenhauſen wird gleichfall® zu dem
hannoverichen Lehngute gejchlagen. So kamen alje die von
Eſchwege wieder und zwar in Ten völligen Bejig des Gerichts
Jeſtädt und erhielten unterm 31. Mai 1802 vom Könige
&eorg III von Großbritannien unt Hannover ihren erjten
Lehnbrief.
Bezüglich der zu leiſtenden Ritterdienſte ſchrieb Herzog
Chriſtian von Lüneburg unterm 12. September 1615 an
die von Boyneburg-Hoenſtein, daß ſie nach den alten Rollen
ſechs Ritterpferde zu ſtellen ſchuldig ſeien und daß ſie ihm,
da er jetzt mit Werben ſtark beſchäftigt ſei, auf drei Monate
für jedes derſelben monatlich acht Thaler einſenden ſollten.
Nach einer zu Reichenſachſen gehaltenen Familienconferenz
ſchickten ſie für nur ein Pferd das Geld. 1623 verlangte
derſelbe Herzog abermals ſechs Ritterpferde und ein Gleiches
begehrte Herzog Friedrich unterm 28. October 1639 mit
dem Hinzufügen, daß ſechs gute, geübte Knechte mit Waffen
und Gewehr mitzuſenden ſeien. So auch 1665 Herzog
Georg Wilhelm.
Vom Hochſtift Fulda waren die von Boyneburg—
Hoenſtein belehnt mit der „Fiſchbachs großen Hufe“ zu
Dudenhauſen und auch die Diede beſaßen bier fuldiſche
Lehngüter, wegen deren ſie mit erſteren in Streit gerathen
waren. In dem ſchon erwähnten Scheidebriefe des Land—
11
grafen Ludwig von 1435 heißt e8 dieferhalb: „und ald tan
beide partheygen zweigeft fein vmb ehliche werde gelegen
in dem gerichte zu Gefted, die der Fleminge etivan geweit
fein ond Herman Diden nuhn in feiner befikung hat, darvmb
die von Honftein fprechen das folche werde gehören jolltenn
in die Eberfteiniiche Iehne zu Gefted — darzu Hermann
vnd feine fohne haben geantwordt fie haben folch werde bei
den von Honflein in ihren wehren gehegt vnd herbracht —
vnd haben das her von vnſerm' hern von Fulda, vor dem
fie darumb zu recht ftehen wollen, ſprechen wir vor. recht:
brengen die Dieden zu ald recht ift das fie ſolche werde
von vnſerem her von Fulde zu lehn haben —, jo jollen fie
die von Honftein bei folcher wehre vnd befigung bleiben vnd
fiten laſſen bis fo lange fie diefelben Diden mit rechte vor
dem lehnherrn daraus brengen.“ Zu der Staatsdomäne
Fürftenftein gehören dermalen noch einige Güter in ber
Seftädter Gemarkung.
Die alte Malftätte des Seftidter Gericht war unter
der Linde auf dem jogenannten Klingen vor dem Dorfe,
Ipäter unter der Linde auf dem Anger mitten im Dorfe.
Der Schöppenftuhl war bejegt mit 12 Perſonen, wovon 6
aus Jeſtädt, 4 aus Neuerode und 2 aus Moterode, Der
Nichter wohnte meiftend in Jeſtaͤdt; wur Died nicht Der
Tall, dann mußte er gleichwohl in Jeſtädt die feitgejegten
Gerichtötage halten. Zuweilen war er zugleich der boyne=
burgiſche Sammtrichter. Seine Beſoldung beſtand in letter
Zeit aus 50 Thlr, 8 Mir. Korn, 12 Me. Waizen, 4
Mitr. Serfte, 6 Viltr. Hafer, 2 ME. Erbien, 2 ME. Linien,
12 Schod Holz, freier Wohnung, Benußung von 3 Gärten,
1 Ader Trejeneiland und Hute für 2 Kühe. Der Nutzen
von der Surißdiction ftand ehedem beiden Linien von
BoyneburgsHoenftein zu Jeſtädt und Reichenfachjen gemein
Schaftlich zu, von den Freveln aber, welche auf ven eigen-
thümlichen Gütern der einzelnen Linien vorfielen, erhielten
Die Herren des Gutes die Strafen allein, jowie auch die
> 4
12
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fe medien in Tiefen Aule Heicihe no Snäsetielter Ürtehre
entisten 2:3 Gendrsaeiinamt ;u Achcit mir m einem
Ihurme unt riet Binz Atredı Era, au “tr Narren-⸗
eter Ihrrıntten. Wegen dor Enminspameticnez gerieben
Die ven Bioruturs-Somntein um 1555 in Zureci mu Dem
Kantarıten. Sie bebauri:ten, mir terreiden ↄer Yirmekura
belieben ;u iin. Tie Irweren; wurde Tibin verglichen.
tak fie nunmehr ron ten Zantarafen von Denen mir dem
Halsſgericht >eienters belichen wurten. Unterm 2%. Jennar
1556 erticlten ne darũber ibren erien Sehrtriet.e Auch mit
tem Lantgrafen Merig bekamen ie Ztreit wegen der
*einlichteit zuf ter Werra, Ver cm 21. Wai It? tabie
vergliben mwurte: „trüae Wh :u, Tat Jemand taielbit
vertrenfe eder umfäme unt Ter tedte Kerper on ter Seite
des Waſſers nah Jeſtädt zu aelange, icle er gegen Jeſſädt,
jo er ater an ter anteren Seite ergritien würte, neh Hoenda
zur Erde beitattet werten.” Als 17:60 in Ter Jeſtädter
Terminei eine Weibsperſon ertranf, lies Ter füritliche Neter-
vaten⸗Commiſſarius zu Eſchwege, Ter tie Gerichtsbarkeit
auf der Werra a.3 ein Kegal behauptete, dieſelbe, wiewobl
unter Proteſt ter Senätter Gerichtähalter, Turh ein Com—
mando wegnehmen. Das Hechgericht ſtand zwiſchen Seltätt
13
und dem Förfterhaufe auf Tem fogenannten Galgenberge;
in ter Nähe quillt noch der Rabenborn. Bei jedem pein-
lihen Gerichte, das in Jeſtädt gehalten wurde, mußten
fammtliche Unterthanen des ganzen boyneburgsboenfteinfchen
Summtgericht3 die Koften zahlen, ein Hausvater 2 Alb.,
eine Witwe 1 Alb. Cinige Säle, die am Halsgericht zu
Jeſtädt gerechtfertigt wurden *):
1403: Wintherbergt hut Hanſe Got8leben mit eyner
axt uff der fhere in eynem ſcheffe todt geworffen vnd iſt
fleuchtig worden, da haben de Jungkern von Boyneburg
genannt von Honſtein den entlybeten in eynen verbichten
Sarcke uff den kerrhob graben laſſen, fo ſich der theter uffs
lybzeichen zu ihnen erbieten werde, darnach uber vier Wochen
haben fie den entiybeten widder langen laffen und uff dem
clinge uber den theter eyn halsgerichte geſeſſen und ten
theter in die mordacht erkennen laſſen.“
1531: Gorgus Rufe hat zwischen Effewe und Geftedde
eyne magt genotzoget vnd ift fleuchtigt worden, und die
Sungfern von BoyneburgsHoenftein haben eyn Haldgerichte
vber jnen geſeſſen. Es hat fich auch der theter vmb ſolche
mishandelunge mit den Jungkern vertragen.
1556 iſt ein Schneider vor Chriſtoffel Eberts Be—
hauſung erſtochen durch zwei Bürger aus Eſchwege; haben
ſich die Thäter mit den Jungkern vertragen und 60 Gulden
zur Buße gegeben.
Am 13. März 1686 erſchoß der Major: Friediich von
Boyneburg-Hoenſtein einen ausländiſchen Reiter, Namens
Krüger, der ſich in Jeſtädt eingemiethet und für einen
MWachtmeilter ausgegeben hatte, in der Werra bei Jeſtädt.
Als obrigfeitliche Perſon hatte er ihm einen-Arrejt ankündigen
Yaffen und Krüger war darauf flüchtig geworden. - Die
andern Gerichtöherren, Walräbe und Soft Heinrich -von
Boyneburg-Hoenſtein mußten deshalb inquiriren, begaben
*) Nach einen Verzeichniſſe vom Jahre 1543 ꝛc. im Jeſtädter Archiv.
‚14
fih am 14. März mit einem Chirurg und zwei Gerichts—
ichöppen zur Wahlftatt und der Chirurg machte die Section
der Leiche. Es wurde darauf ein hochnothpeinliches Gericht
in Seftadt conftituwirt. Als Richter wurde bejtellt Klinkerfues
aus Allendorf, als Fiscalanwalt Ficinus aus Ejchwege,
als Schöppen der Advocat Gille aus Ejchwege, der Notar
Frohn und das Rathsglied Rothfuchs aus Allendorf, als
Aetuar der von feudelfche Verwalter Heine aus Schwebda.
Am 3. September 1686 wurde nun da8 gegen einen der
Gerichtöherren beſonders conftituirte Haldgericht angetreten,
zu dem fich außer den Genannten Walrabe, Hans Heinrich
und Soft Heinrich von Boyneburg-Hoenſtein, jowie der
Angeflagte mit feinem Defenfor einfanden. Nach Beeidigung
ſämmtlicher Gerichtöperfonen übergab Der Fiscal die Anklage
in 33 Artifeln, worauf Friedrih von Boyneburg-Hoenftein
fich mündlich vertheidigte. Dem Fiscal wurde aufgegeben,
jeine Klage beffer zu begründen und darauf dies erfte
peinliche Haldgericht im Namen Gotte8 geichloffen und
mit Niederlegung des Gerichtäftabes aufgehoben. Nach
langen Verhandlungen, nachdem auch Beklagter zwei
Reſponſa der Suriftenfacultäten zu Straßburg und Gießen
beigebracht, wonach er von der Todesſtrafe freigeiprochen
worden, nachdem er ferner eidlich verfichert, daß er den
Krüger nicht abjichtlich erichoffen habe, wurde im Gericht
zu Jeſtädt am 24. Mai 1689 erkannt, daß Beflagter von der
Strafe der Todtichläger ziwar zu abjolviren, jedoch wegen des
begangenen Exeeſſes in 200 Goldgulden Strafe, dem Fiscus
zu erlegen, und in bie Gericht8foften zu condemniren ſei; dies
Urtheil wurde dann auch von Bürgermeifter und Schöppen
zu Kafjel (als dem Oberhof) ald den Nechten gemäß atteftirt.
Urtheil gegen eine Diebin: „In peinlihen Sachen
jammtlicher Herren von Boyneburgf genannt von Hoenftein ıc.
wider Margarethe Hinderwirtb, reiterirten Diebftahl und
zum drittenmal violirte Urphede betreffend, wird ıc. vor
Recht erkannt, daß Beklagte zc., ihr zur mwohlverdienten
15
Strafe und andern zum Exempel und Abſcheu, mit dem
Schwerte vom Leben zum Tode binzurichten fei, inmaßen
wir peinliche Richter und Schöpfen dieſes hohen peinlichen
Halsgerichts fie ꝛc. mie vorfteht hiermit condemniren und
verdammen, von NRechtöwegen. Publicatum Seftet den 19.
December 1695. Reinliche Richter und Schöpfen daſelbſt.“
Un demjelben Tage noch wurde die Verurtheilte, Die lange
Margarethe genannt, zu Hoheneiche hingerichtet und unter
dem Galgen begraben. Unter den bei diejer Gelegenheit
gemadhten Ausgaben kommt vor: 14 Alb. für 1 Maß
Mein für die Inquifltin, 5 Thlr. 4 Alb, jo die Scharf:
richter verzehrt, 4 Thlr. 2 Alb. dem Nachrichter für die
Execution, 2 Thlr. den 2 Herren Geiftlihen, 8 Alb. dem
Schulmeiiter, 9 Thlr. 4 Alb. für Speiſung und Aufwartung,
4 Groſchen für den Stuhl, auf dem die Gefungene ge—
richtet wurde. |
Am 11. Februar 1791 fielen zwei Bagabunden aus
dem Cöllnifchen auf dem Wege von Seftänt nach Greben-
dorf einen Boten an, der von Münden nach Wannfried gieng,
und beraubten ihn. Sie wurden ergriffen und in Jeſtädt
wurde ihnen kurzer Proceß gemacht. Sie wurden verurtheilt
zu vierftündigem Stehen am Pranger und der Gericht8-
verweijung mittelft Staupenſchlags, melche8 Urtheil, nachdem
fie die Urphede gejchworen, am 22. Februar 1791 an ihnen
vollzogen wurde. Der Scharfrichter Joh. Scheer erhielt
für die Execution 8 Thlr. 21 Alb.
Siftorifche, topographiſche und ſtatiſtiſche Nahrihten über die einzelnen
Orte des Gerichts Jeſtädt.
1. Jeſtädt.
Sn Älteren Urkunden wird e8 Geftee, auch wohl Je—
ftede, Geyſtete, Gaheſteti, jpäter Seftett und Jeſtädt genannt.
Der Sage nach, wohl durch den Namen des Orts veranlaßt,
wäre Jeftäbt einft eine Stadt *) oder wenigfteng ein blühender
*) Die Juden der Umgegend fabeln, Jeſtädt habe ehemals Yubenftabt
16
Ort geweſen, welcher auf ter Werra, die jonjt Licht
daran hingefloſſen jei, Handel getrieben habe; die Schiffe
wären am Kirchrain cine und ausgelaten worden und
erit als Ejchwege empor gefommen, jei Jeſtädt gejunfen.
Serenfalls ift das Torf jehr alt, wahricheinlich noch ein altes
Slavendorf *), worauf tie regelmäßige Torfanlage mit nur
einem Haupteingange, mit Schußwebren und Befeftigungen,
auch wohl ter Name jchlieken läßt; zutem befigt Jeftätt eine
beträchtliche Gemarfung jowie jchöne Huten und bedeutende
Waldungen, welche Eigentbum der Gemeinde, Ter ehemaligen
. Marfgenofjen, find, jowie denn audy die geringen, nun ab—
gelöften Zinjen auf früber freiered Eigenthism deuten. Wehren
befanden jich ſchon an ten Grenzen ter Jeſtädter Gemarkung
und beftanden in Heden, Graben, Gehölzen und Gewäſſern.
In einem alten Weisthume von Jeſtädt aus tem Anfange
des 15. Jahrhunderts, womit eine Bejchreibung ter Feldmark
aus der zweiten Hälfte defjelben Jahrhunderts übereinftimmt,
werden als Jeſtädter Grenzmarken genannt: die Dornhecke
zwiſchen Jeſtädt und Niederhohne, der Kammerſee links
der Werra, der Herren Holz, der Weidenſee, der Steingraben,
die Hardt und das Vachſche Holz, die Kohlgrube, das
Bettelsdörfer Holz, der Wolfszaun Lein ſteiler Bergrücken),
der Bettelsdörfer Graben, das Stegeldrod und das Neun—
röder Feld (beide durch waldige Abhänge begränzt), der
Diebgraben, die Steinlache und das alte Waſſer, an das ſich
die Dornhecke wieder anſchloß. Das Dorf ſelbſt war
geſchloſſen und befeſtigt: ſüdlich war es geſchützt durch die
Werra, weſtlich durch einen ſumpfigen Werder, öſtlich durch
einen Waſſergraben, der Klingengraben genannt, und nördlich
durch ein Verhack, welche Flurgegend noch die Gefitz heißt.
geheißen, weil e8 nur von Juden fei bewohnt geweſen, wahrjcheintich
veranlaßt Durch das alte Judeubegräbniß bei Jeſtädt.
*) vergl. Landau, über den thüringiſchen Hausbau im Korrejpondenz-
blatt der deutichen Gejchichts- und Alterthumsvereine. 1862,
17
Budem war: der Hauptausgang des Dorfed nach Oſten
durch ein Fällthor verwahrt, deſſen noch im 15. Jahr⸗
hundert Erwähnung geichieht und der nördliche Durch eine
fogenannte Wolfdgrube, welchen Namen die Stelle jegt noch
führt. Die feitefte Wehre war oben im Dorfe das Schloß
oder die Burg, wohl verwahrt durch jtarfe mit Nägeln
beichlagene Thore; daneben ein Thurm und die Kirche, welche
durch jchroffe Abhänge und Wall und Graben geihügt war *).
Lang bingeftredt auf einer mäßigen Anhöhe ‚Liegt
till und friedlich Jeſtädt am rechten Ufer der Werra, durch
welche e8 vom Verkehr abyeichnitten if. Keine Poſt-,
feine Kunſtſtraße durchzieht das Dorf; felbft der ftarf be=
tretene Pfad, der von Ejchwege nach Allendorf führt, berührt
dafjelbe nicht, fondern ftreift dicht an ihm vorüber. &8 iſt
ein ſtiller Zujchauer bei dem lebendigen Treiben -in der
Werralandſchaft. Durchs Dorf fließt ein Bach, der in dem-
jelben zwei Mühlen treibt und deffen Waller fait in alle
Gaſſen geleitet werden fann. Der Ort ift reinlich zu nennen,
nirgend® findet man vor den Häufern auf der Straße
Düngerftätten. Jeſtädt hat 91 Wohnhäufer. ‘Die jehr alte
Zahl der Gemeindegerechtigfeiten oder gleichen Antheile
am alten Gemeindevermögen (Wald, Hute ıc.) ift 685
diejelben haften auf 68 Gehöften, deren mehrere im
Laufe der Zeit getheilt worden find. Nach ver alten
boyneburgifchen Gerichtsordnung und bereit? nad) einem
Bertrage der von Boyneburg-Hoenftein vom Jahre 1569
war die Anlage weiterer Wohnungen — über die Zahl
der 68 hinaus — unterfagt. Die Gebäude des Ritterguts
*) 1840 fand man beim Ausgraben ber Keller unter bem neuen
Schulhauſe bei der Kirche 6 Fuß tief Ziegelftüde und verkohltes
Holz. Sehr häufig waren die maffiven Kirchengebäude, gleichſam
als des Ortes Palladien, dur Erdhäuſer, Mauern, Graben und
Wälle geihügt, um dorthin bei feindlichen Weberfällen zu fliehen
und am Altare und unter dem Schute der Heiligen ſich bis aufs
äußerfte zu vertheidigen,
x. Band. 2
18
der Kirche, Schule und Gemeinte participiren nit an
tiefen Gemeintegerechtigleiten.
Der Edelhof, von ten Einwohnern das Schloß, in
Urkunden tie Burg genannt, wurte gebaut in ter Mitte
de3 16. Jahrhunderts, als tie Boyneburge ibr Schloß
Boyneburg verließen und in ihren Törfern im Thale ihre
Wohnung nahmen. Nach einem Berirage vom 17. Augufl
1557 *) verglichen fich die Brüder Friedrich und Walrabe von
Boyneburg-Hoenftein mit ihren Bettern, den minderjährigen
Kindern Philipps von Boyneburg-Hoenjtein, wonach letztere
den Ei zu Netra haben, für eritere aber eine Behaufung
zu Jeſtädt gemeinjam hergerichtet werden follte. Es heikt
darin: „Und nachdem Geſtede der plag mit notturfftigen
gebheuwen nicht verjehen vnd aber darenfegen Netter genugjam
vnd einem von Adel ziemlich mit hülff vnd frondienften jrer
beider fiet3 vnderthanen erbhaumwet worden, aljo haben
gedachte gebruter Friedrich vnd Walrabe jnen bierinne
vorbehalten, das damit Die jtedt zu Geftede dem fi zu
Netter glichentmeffigt erbhaumet werben moge, jrer beider
fietd bhaumwern und vnderthanen den gedachten brudern mit
ſchuldigen dienſten in glichnis zu Netter gejchen zumb gebhuer
fronen vnd zu hülffe kommen follen 20.” Hierauf wurde
das große maſſive Hauptgebäude des Schlofjed erbaut, an
dem fich die Sahresjzahlen 1561 und 1562 finden und
Walrabe von Boynehurg-Hoenjtein war der erfte aus dieſer
Samilie, der nach einem bewegten Leben — er war Kriegs⸗
oberft in franzöfiihen Dienften — in demjelben feinen Sig
nahm, Dur Anlauf mehrerer Gebäude und Gärten er-
weiterte er die Umgebungen des Schloſſes. Bon gleichem
Alter mit dem Hauptgebäude ift der linfe Seitenflügel, der
früher zu öfonomijchen Zwecken benugt wurde. Der rechte
Seitenflügel ift 1612 von Briedrih Hermann von Boyneburg-
Hoenftein, Walrabens Sohn, erbaut worden. Durch ein
*) Boyneburg-Hoenfteinifches Documentenbuh S. 94,
19 :
Thor gelangte man von der Straße des Dorf in den
oberen Oekonomiehof, Durch ein zweites überbautes Thor
in den inneren, ring von Gebäuden umgebenen und daher
düfteren und unfreundliden Schloßhof. Im Weiten des
Schloſſes ftand ein Thurm mit den Gerichtögefängniffen.
In diefem Schloffe erlojch 1742 der Mannsſtamm der alten
Jeſtädter Linie des .boyneburg = hoenfteinichen Gefchlechts,
worauf die Elbersdörfer Seitenlinie Beſitz davon nahm.
Auch dieſe endete bier mit dem Nittmeifter Carl Auguft
von Bonneburg-Hoenftein. Die NReichenfächier Linie folgte
in den Lehen, ihre Glieder aber blieben in Reichenfachien
und Kafjel. Als auch fie erlofchen war und bie von Eichivege
in ihre Nechte zu Jeſtädt traten, da verlegte am Ende des
vorigen Jahrhunderts der Major Ludwig von Eſchwege
feinen Sig hierher und nahm mit dem Echloffe mande
Veränderungen vor. Das alte dftliche überbaute Thor
mit feinem Thurme und der ganze dem Hauptgebäude
gegenüberliegende Flügel wurde abgebrochen, ver linke
Geitenflügel zur Wohnung eingerichtet und der rechte ver-
Ichönert, 1804.
Zum Rittergute gehören 343 Ar. Land, 48 Ar. Wiefen,
800 Ar. Wald, 78 Ar. Garten, zufammen mit @infchluß
der Gebäude ze. 1277’/, Ar. und an Gerechtigfeiten Die Jagd
(die hohe und niedere im ganzen Gerichte *), Die Fiſcherei in
der Werra und im Grundbache, die Leberfahrt auf der Werra,
die Hutes und Weidegerechtigfeit, die alleinige Schäferels
gerechtigfeit im ganzen Gerichte, die Bierbrauerei, bie
Wajenmeifterei, die zu Zehn ausgegeben iſt, das Patronat⸗
recht mit Inbegriff der Beſetzung der Schullebrerftellen im
ganzen Kirchipiele, Lehngelder (der 10. Pfennig) und allerlei
Binsgefölle, weiche nunmehr abgelöft find ꝛe.
*) 1593 geichieht eines Vogelhaufes auf dem VBogelheerd Erwähnung
und 1738 wird ein neues Faſanenhaus errichtet. Daß es fonft
auch Bären und Wölfe bier gab, daran erinnern die Gemarlungs-
namen „der Wolftzaun, das Bärenloch.“ u
2
20
Ganz oben im Dorfe fteht die Kirche, aus Chor,
Thurm und Schiff beftehend. Uralt ift der Chor im Often
mit feinem Kreuzgewölbe; da8 Schiff im Welten wurde
1588 bi8 1591 gebaut und foftete ohne die Dienfte uud
Zuthaten der Gemeinde 440 fl. 24 Alb. 5 Hlr. Der
Thurm ftebt zwifchen Chor und Schiff, eine Eigenthümlichkeit,
die jich bei vielen angelfüchliichen Kirchen findet *). In der
Kirche ruhen in mehreren Grabgewölben und zahlreichen
Grüften viele Glieder des ausgeftorbenen von boyneburg-
boenfteinifchen Gejchlecht8 und inwendig an der Mauer
ſteht das Kenotaph des Stammvaterd der alten Seftäbter
Linie diefer Familie, darftellend den Berftorbenen in voller
Rüftung, Inieend unter dem Kreuze Ehrifti und umgeben
von Weib und Kindern, ringsum die Wappen feiner Ahnen
und mit der Inſchrift: anno (15)72, Sonntag den 27. Juli
ift der Edle und Ehrenfefte Wallrab von Boineburgf genannt
von Hohenftein in wahrer Erfenntniß Gottes felig von
diefer Welt geſchieden, ſeines Alter8 im 43. Jahre. Auf
der Bühne der Gutöherrichaft, der fogenannten Sunfer-
Porläube, befindet fi ein aus Holz ſchön gearbeitetes
Crucifiz. Auf dem Thurme hängen 3 fchöne Gloden : die
große mit der Umfchrift „a. 1496 Maria Laurentius et
Anna caro factum est“ (!) wurde vor einigen Jahren um⸗
gegofien; die Heine ſehr alte hat die Umjchrift „Ave Maria
gralia plena dominus tecum.“ Die Gejchichte der Kirche
ift zum Theil die Gejchichte ded Dorfes. An ein furcht-
bare Hagelwetter erinnert ein Zeichen an der füdlichen
Geite des Thurmes, das Die Größe der Hagelförner angiebt.
Das Ruthenmaß der Aeder war in Die Kirchenmauer ge>
jchnitten. Im großen deutichen Kriege, wo Brand, Pet
und Flucht das Dorf verwüftet und die Einwohner verfcheucht
hatte, bliefte traurig die Mutter, welche von den rohen
*) Auch zu Bilchofferoda im Eiſenach'jchen, |, Dr. Rein in ber
Zeitſchriſt für thüringiſche Geſchichte IV. Ebenſo zu Niederdünzebach.
21
Kriegshorden nicht unverfchont blieb, auf ihre Kinder Hin.
1655 fchreibt der Pfarrer Vogelei im SKircheninventare:
a. 1640, als das ſchwediſche Feld- und Kriegslager hier
geweſen, bat die franzofiihde Cavallerie in der Kirche ihr
Quartier genommen, die Geftühle und anderes Holzwerk.
niedergehauen und verbrannt und aus dem Gotteshaufe
einen Pferdeftall gemacht; und Reinhard Friedrich, von
Boyneburg-Hoenftein jchreibt unterm 2. Auguft 1648: im
30jährigen Kriege ift die Kirche jo ruiniret und verderbet
gewejen, daß man von unten an bat zum Dache hinaus
ſehen und die Sterne zühlen können *%). Die Kirche zu
Jeſtädt ift eine Pfarrkirche und die Mutter der Filialkirchen
zu Neuerode und Mobenrode. Das Patronatrecht über
diejelbe fteht den von Eichwege als Inhabern des Jeftädter
Nittergutes zu.
Unter den Jeſtädter Pfarrern, von denen früher
mehrere, zulegt noch Engelhard Wagner (1610-1626) die
bopneburgiihe Amts- und Revenuenrechnung führten, er-
wähne ich folgende: Johannes de Sunthra, Präbendar des
Cyriaxſtiftes zu Eſchwege und plebanus in Gestede 1324 **);
Heinrih von Suntra („pherner Bu Geſted“, 1357 und
1363 ***), Johannes Kremmer aus Waldkappel, vorher
Auguftiner im Klofter zu Eichwege 1530; Bartholomäus
Schellenberger (1569—1610), das Haupt ter boynebur-
giihen Pfarrer in der Oppolition gegen den Landgrafen
Morig bei Einführung der Verbefjerungspunfte, warb deshalb
von legterem abgejeßt, blieb aber doch in feinem Amte +);
Jacob Bogeley, der die von der Landgräfin Amalie Eli-
*) ©. meine Geihichte von Eſchwege S. 249.
*+) Dem Altare omnium sanctorum in der Eſchweger Stiftskirche
Theufte er die Einkünfte won einem Haufe und Hofe zu Eichwege.
Ungedrudte Urkunde im Staatsarchiv.
*##) In mehreren Urkunden des Eſchweger Cyriarftiftes,
7) S. meine Gefhichte von Eſchwege S. 219 f und Heppe, Ein⸗
führung der Berbefferungspuntlte,
22
fabeth befohlenen Berfammlungen zur Belehrung und DBe-
kehrung der Juden in Ejchwege zu leiten hatte, 1647 *);
Heinrich Zülch (1656 — 1700), der zur Verbeiferung feines
Einkommens Bier braute und an die Wirthe verkaufte **)
und defien Sohn Johann David 1677 zu Marburg Andreas
Diſſertation „an usquam gentes caudatae reperiantur*
reſpondirte ***),
Beſitzungen abeliger Familien zu Jeſtädt.
Außer den Inhabern des Dorfes, Ten von Boyneburg-
Hoenftein und von Eſchwege und einigen bereit3 erwähnten,
waren bier begütert:
Die von Hundelshauſen hatten 2'/, Hufen zwifchen
Jeſtädt und Grebenvorf, die bis zum Anfunge des 17.
Jahrhunderts theild Durch Erbichaft theild Durch Kauf an
die von Boyneburg-Hoenftein gefommen und von dieſen
um 1758 vertauft wurden. Die Hofitatt am Grebendörfer
- Wege und in der Grebendörfer Gemarkung bezeichnet bie
Stelle, wo das hundeldhaufifhe Gehöft ftand. Außerdem
bejaßen die von Hundelshauſen eine Hufe zu Jeſtädt, deren
1359 und 1455, jeit 1548 aber nicht mehr Erwähnung
geichieht, ſowie eine Filchgerechtigkeit in der Werra (von
der Pimpelgaffe biß zur Mündung des Schambachs), das
hundelshauſiſche Waſſer genannt.
Die von Grothauſen beſaßen an einem Hauſe zu
Jeſtädt das Zins- und Lehnrecht, das früher dem Stifte
zu Großenbursla zugeſtanden haben mochte und 1733 mit
dem Jeſtädter Rittergute vereinigt wurde.
Die Eſelskopf, an deren Anſitz „der Eſelskopf“
zwiſchen Albungen und Wellingerode erinnert, beſaßen zu
Jeſtädt ein Vorwerk. Helene, Berthold Eſelkopfs Hausfrau,
*) Archiv von Jeſtädt. Feder Jude mußte bei Strafe von 1 Ducaten
in diefen Berfammlungen erjcheinen.
**), Archiv zu Jeſtädt.
“) S. Strieder, heifiihe Gelehrtengefhichte IX. ©. 343,
23
und ihre Kinder hatten daſſelbe an den Altar Mariae Mag-
dalenae in der Catharinenkirche zu Eichivege verkauft und
1366 verzichtet Konemund, Helenend Sohn, auf jeine An⸗
jprüche daran, nachdem ihm der Inhaber jenes Altars 30
Scillinge guter Tornoſe bezahlt und einen jährlichen Zins
von 6 Seller Eſchweger Währung verſprochen. Diejes
Vorwerk, beftehend in 29°/,, Ar. Land und Wieſen, gehört
noch jetzt dem Eſchweger Kirchenkaſten *).
Die von Netra, zuletzt anſäſſig in Kleinvach, hatten
pfandweiſe bis 1427 den vierten Theil des Jeſtädter Gerichts
und ein Gut daſelbſt, das Neter'ſche Gut am Kreuz genannt,
was in den Pfandbeſitz der Diede zum Fürſtenſtein
überging und in der Mitte des 15. Jahrhunderts mit dem
Rittergute zu Jeſtädt vereinigt wurde.
Die Diede zum Fürſtenſtein beſaßen bis au
ihrem QAußfterben (1807) 2 Häujer. zu Jeſtädt, die ihnen
lehn⸗, zins⸗ und dienftpflihtig waren; die Bewohner der⸗
jelben waren diediſche Unterfafjen (Männer) und ber
Grundbefig derjelben ftand gleichwohl in diediichem. Zins—
und Lehnsverband. Sie hatten diefe Bejigung 1449 von
Keriten Keudel erfauft. 1361 verpfändeten Die Diede dem
Cyriaxſtifte zu Eichwege 5 Ar. Rand zu „Beiteder **), -
Die Keudel, 1365 verpfändete Bodo von Boyne⸗
burg dem Mitter Reinhard Koydele 4'/, Dart jähr-
lichen Zinſes an ſeinem Gute zu „Geyſtete“ und an feinem
„theyzmen“ (Zehnten) „zu Thutinhujen vnd Nuwenrade“
für 45 Mark. Auch beſaß um 1370 Reinhgrd Keudel zu
Burglehn eine Filchweide zu Geſtede vom Landgrafen von
Heſſen als Mannlehn ***).
Appel Appe, Amtmann zu Bilſtein, erhielt 1413
von Heinrich und Boyneburg von Boyneburg-Hoenſtejn deren
Antbeil am Dorfe Jeſtädt für 60 rheiniſche Gulden in
*) Urkunde im Jeſtädter Archiv.
**) Ungedruckte Urkunde des Cyriarſtiftes.
***) Urkunde im Staatsarchiv.
24
Pfandſchaft und 1435 verpfändeten die Brüder Heimbrod,
Rabe und Reinhard von Boyneburg-Hoenjtein „Geſtede,
Tutenhuſen und Nuwenrade” an ihren Schwager Hang
von Bodenhaujen*).
Dievon Dankelsdorf beſaßen „güter zeu Geyſtete“,
die ſie von „ern Appel Flemynge“ geerbt hatten und die zu
Erbe giengen von den von Boyneburg-Hoenſtein und ver—
kauften diejelben 1412 für 200 rheiniiche Gulten an Jeſtädter
Bauern **),
Die von Eſchwege zu Aue bejaken, nachdem die
von Eichwegiihen Güter zu Jeſtädt längit an die von
Bonneburg-Hoenftein veräußert waren, daſelbſt noch an 3
Häufern und 14'/, Ar. Land das Lehns und Zinsrecht,
fowie ein Gütchen von 11°/, Ar. Land und Wiefen, die
Auiſche Meierei genannt. Beides wurde von den von
Boyneburg-Hoenſtein im 18. Jahrhundert erworben, erfteres
zum Nittergute gejchlagen und letzteres 1767 an Bauern
verkauft.
Die von Boyneburg-Hoenſtein zu Reichen—
ſachſen hatten zu Sejtädt ein Gut von 51 Ar. Land und
Wieſen, die Reichenjächfer Meierei genannt, welches 1652
und 1675 mit dem Nittergute vereinigt wurde. Daffelbe
war 1603 mit dent fogenannten Junker-Hermanns-Gute
gefchehen, welches von der Reichenfächjer-Geldriichen Linie
der von Boyneburg-Hoenſtein bejeflen wurde und wozu
ein Gehöft in der Pimpelgafje gehörte.
Klöfterlihe Befigungen zu Jeſtädt.
Daß Kloſter Heida hatte 1427, 1430 ꝛe. Güter
daſelbſt erworben, welche unter der Verwaltung des heidaifchen
Kloſterhofs zu Eſchwege ſtanden. Sie waren den von Boyne-
burgsSgenftein zinsbar, wurden aber von dieſen 1457 unter
der Bedingung gefreit, daß für fie im Klofter Heida jährlich
Seelenmeffen gelefen würden. Nach der Saecularifation
*) Urkunde im Staatsardiv. — **) Desgleichen.
25
tes Kloſters Heida wurden mit diefem Gute, das aus 30
Ar. Land und 10 Ar. Wielen beftand, die Nachlommen des
Hans Burdhardt, eine Genofjenichaft, von den Landgrafen
von Heſſen belehnt. Die Vicarie beatae Mariae virginis
in der Dionylienfiche zu Eſchwege beſaß Ländereien zu
Schwebda, welhe 1527 Landgraf Philipp den Keudel
zu Lehn gab. Als der Inhaber jener Bicarie, der Pfarrer
Joh. Koch zu Langenjalze, jich deshalb 1535 beim Herzog
Georg von Sachfen bejchwerte, jo wurde die Sache dahin
verglichen, daß die Einkünfte der Vicarie Unirer lieben Frau
den beiden Pfurrern zu Eſchwege zuerfannt wurden, dieſen
aber, ftatt der Schwebduer Revenue das Einfommen von
der heidaifchen Hufe zu Jeſtädt, nämlich jährlih 9 Mitr.
Korn, 1 Mitr. Waizen, 2 Mitr. Gerfte und 12 Mitr.
Hafer, zufallen ſolle*). 1846 wurde dieſer Zins abgelöft.
Die Ejhweger Klöfter (dad Eyriagftift uud
da8 Auguftinerklofter) bejaßen zu Jeſtädt und Duden⸗
haufen Ländereien und Zindgefäle. Das Ganze waren 3
Hufen zu Jeſtädt und 1 Hufe zu Dudenhaufen. Nach der
Saecularijation diejer Klöjter 1527 erhielt dieſe Güter zu
Zehn Friedrih von Boyneburg- Hoenftein, genannt der
Geldermann. Nach deifen Tode fielen fie heim und Landgraf
Morig gab fie wegen treu geleifteter Dienfte dem Oswald
von Garlowig; feitdem hießen fie die Carlowighufen, 1581.
Dieſer verkaufte fie aber an den Kanzler Reinhard Scheffer
für 1500 Thir., der fie nun für fich und feine Nachkommen
zu rechtem Mannlehn empfing. Es gehören Dazu 73'/, Ar.
Land, 9'/, Ar. Wiefen und 8 Mitr. 5'/, ME. Partimfrucht
jührlicden Zinſes. Die von Ejchwege haben das Gut in
Afterlehen **).
*) Ungedridte Urkunden des Klofters Heida 2c.
*5) Jeſtädter Archiv. Rommel, heifiihe Geſchichte V. S, 391.
Strieder, heffiihe Gelchrtengefchichte X. S. 28%, Urkunden im
Staatsardiv,
26
In der Gemarkung von Jeſtädt beſaßen die Auguftiner
zu Eſchwege einen Weinberg am Königsberge, mit welchem
fie 1506 von den von Boyneburg-Hoenftein belehnt wurden
gegen eine jährliche Abgabe von 1 Stübchen Wein („eyn
Stobichen wyns des beiten gewechs des berges“). Es ift
dies der jetzige Herren- (Auguſtiner-Herren) Berg, der im
Beſitz der heſſiſchen Fürſten blieb und jetzt in Privathänden
ſich befindet*). Am linken Ufer der Werra oberhalb Jeſtädt
liegt eine Strecke Landes, aus etwa 46 Ackern beſtehend,
der Mönchewinkel genannt, früher das Kalbswerd. Heinrich
und Boyneburg von Boyneburg-Hoenſtein verpfändeten es
1407 den Auguſtinern zu Eſchwege für 60 rheiniſche Gulden
und ſchenkten es ihnen noch in demſelben Jahre laut einer
auf Schloß Boyneburg ausgeſtellten Urkunde zu einem
Geelengeräthe, fo daß dafür am neuen Altare im Chore
der Klofterfirche für die boyneburg - hoenfteinifhe Familie
eine ewige Mefje gehalten werde. Nach der Saecularifution
des Klofterd verpfänvete Landgraf Philipp das Gut für
150 Gulden an Claus Schreiber, von dem es für dieſelbe
Summe Friedrich von Boyneburg=Hoenftein, der Geldermann
genannt, erftand; von den Erben veffelben fam es an Johann
von Raßenberg 1569, von dem es die Witwe des Walrabe
von Boyneburg-Hoenftein zu Jeſtädt 1574 für 1000 Thlr.
erfaufte; 1747 wurde e8 zu 6900 Thlr. angejchlagen, gelangte
an die Diede und ift jegt im Befige des W. Bierſchenk **),
Jeſtädts Zubehörungen.
Das Förſterhaus auf dem Berge nebit einem
Vorwerk, Außerft romantisch gelegen, eine Viertelftunde vom
Dorfe entfernt, gehört zum Nittergute. Hier dürfte die
Nordheimiſche curia Hanecrait (jiehe oben) zu fuchen fein.
Die Grund: oder Bohmühle wurde 1754 als
Eiſenhammer von zwei Seftäbter Einwohnern angelegt und
*) Ungedrudte Urkunde des Eſchweger Auguftinerklofters.
**) Urkunden des Auguftinerklofters; Jeſtädter Archiv.
27
erft 1782 zu einer Roggenmühle eingerichtet, eine Biertel-
itunde vom Dorfe entfernt, in der Nähe ter ausgegan⸗
genen, aber noch in der Mitte des 15. Jahrhunderts er⸗
wähnten Haar- oder Hardtmühle.
Die Pletſch- oder Steinſtegmühle, in der Nähe
des Dorfes, da mo ſechs Wege fich Freuzen, ‚eine uralte
Anlage. In der Nacht vom 12. zum 13. September 1750
drang eine ftarfe Diebesbande, wohlgekleidet und mit weißen
Torniftern, die Gefichter gefchwärzt und unter Anführung
eines Krauskopfs in die Mühle, band und fchlug jämmerlich
die beiden Sinechte, den Befiger und deſſen Frau, zerichlug
Kaſten und Schränte, plünderte alles aus und verjchwund im
mainzifhen EichEfeld, noch ehe der Schulze von. Ieftädt
mit 20 Mann erihien. Bon Einüringung der ‚Diebe
Ichweigen die Gerichtsakten.
Die Lohgerberei am Shambade wurde vor
etwa 37 Jahren von den Gebrüdern Gebhardt zu Sicwee
angelegt.
Noch Einiges aus der Jeſtädter Gemarkung.
Die Weinberge. Bon Frieda bis Jeſtädt.am
nördlichen Rande des Werrathales zieht jich ein Berggelände
hin, im Rücken gejchügt durch höheres Gebirg, gunz hin
gegeben dem wärmenden Strahle der Mittagsionne. Hier
ward vor Jahrhunderten Wein gezogen. 786 war jchon
Weinbau an der Werra, 996 zu Eſchwege. E8 wur aber
Landwein und fand dem rheinischen und fränkischen Gewächs
weit nach. In der Mitte des 16. Jahrhunderts liefen bie
von Boyneburg den Winzer Melchior aus Franken Tommen,
der in ihrem Gebiete zu Jeſtädt, Reichenjuchlen sc. Weinberge
anlegte. Als ihn einſt Joachim von Boyneburg-Hoenſtein
fragte, ob man guten Wein erwarten könne, antwortete er:
„Ich weiß warlich nicht, Ehrenveſchter lieber Junker, was
ich ſagen ſoll; es iſcht unſer lieber Gott in dieſem Lande
gar viel anders geſinnt, als in dem mainem; was er uns
daſelbſt zaigt und eraigt, das gait er uns auch redlich und
28
reichlich, aber wenn er in diefem Lande ſchon gut Wetter
zu blühen, zu körnen und zu wachen gait, jo läfcht er Doch
zulegt den Schalf gaufen und ſchickt entweder einen harten
Keif oder einen unzeitigen Froſcht und ſchnaidet ung den
Bain, den man vafcht bald Iefen und zu Faffe bringen
-follte, vorm Maule ab *)." Bis in die zweite Hälfte des
vorigen Jahrhundert? wurde von den von Boyneburg-
Hoenſtein der Weinbau zu Jeſtädt ernftlich betrieben. Sie
hielten einen bejonderen Weinmeijter. 1738 werden außer
Diefem noch act Winzer erwähnt und zwölf Perſonen,
welche die Trauben laſen und die Stöde aufichnitten. Zum
Nittergute gehörten fieben Ader Weinberge, in denen durch⸗
fehmittlich jährlich 20 Ohm (A 80 Maas) gezogen wurden.
Die Ohm wurde gewöhnlich zu 4 Thlr. verkauft. 1738
wurden nur 72 Maas gewonnen. 1704 Eoftete das Maas
Zandwein zu Jeſtädt einen Grofchen. Auch von Bauern
wurden ganze Fuder Wein nach Ejchwege gefahren. Mit
einem SKrüglein Wein am Pfluge zogen fie vordem an den
Ader. 1581 werden 14 Bewohner Jeſtädts genannt, Die
Weinbau trieben. Mit einem Tage begann die Weinlefe
und als Johannes Hefje jun. früher zu lefen anfing, wurde
er im Nügegerichte zu Seftädt am 22. November 1748
um 1 Albus geftraft. Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts
verließ Bucchus Die Gemarkung. Nur hie und da wuchert
in den Weinbergen noch eine wilde Rebe; munde ift auch
ind Dorf hinabgeitiegen und rankt fich unter ihres Herrn
Pflege zu deffen Giebeldach empor. Bon den Weinbergen
genießt man eine reizende Ausficht ind Werra und Werethal
und in die Berggegenden vor dem Weihner.
Sn den feljigen Abhängen derjelben jpielt die Wichtel-
jage, noch lebendig im Munde des Volles. So ließen
fih die Wichtel vor Zeiten zuweilen im Dorfe bliden,
namentlich im Schloſſe, wo fie in der fogenannten Wichtel-
*) ©, Melander, joco-seria.
29
tube aus den NRiken der Fußbodendielen emporftiegen.
Zumeilen machten fie weitere &geurfionen. Bei einer
derfelben nah Eltmanndhaufen, wo in den Steinklüften
an der Landſtraße gleichwohl ein Wichtelvolk fich aufhielt,
mußte der Jeſtädter Fährmann in feinem Sahne fie über
die Werra fegen; derjelbe erhielt als Fährlohn ein Knäuel
Garn ohne Ende und als er beim Abweifen beffelben
ermübete und den Knäuel verwünfchte, da war plöklich alles
Garn verihwunden. In den Weinbergen zeigt man noch
die MWichtelfirche (oder Küche), eine Feljenhöhle und in
deren Nübe den Wichtelanger. — Auch eine intereffante
Flora giebt e8 dort, daher ber Ort häufig von Botanilern
befucht wird, |
Der YJudentodtenhof, in der Stille des rundes
zwiſchen Jeſtädt und Motzerode, zahlreich bejäet mit Leichen
fteinen, ift uralt und erftreckt fich noch weit in den Wald
hinein. Grund und Boden defjelben gehört zum Rittergute.
Bormald wurden die Juden aus der weiten Umgegend
hier beftattet, ehe noch die Begräbniſſe zu Netra, Neichen-
ſachſen und Abterode angelegt waren; jebt gehört der
Gottesacker nur noch der Judenſchaft zu Eſchwege, die indeß
vor einigen Sahren einen neuen bei der Stadt beichafft
und den Jeſtädter mit der Beltattung des lebten bier
wohnenden Juden geichloffen bat. In Jeſtädt haben nie
mehr als zwei Sudenfamilien gewohnt, früher nur eine,
welche die Auffiht über den Zodtenhof führte und ver
Jeſtädter Gerichtäherrichaft Schußgeld zahlte.
Die Steine beim Lindenhofe vorm Dorfe am
Eichweger Wege. Jetzt ftehen deren noch drei, früher waren
e8 fieben. Bon den Aexten, die darauf abgebildet waren,
bemerkt man nicht8 mehr. Einit, fo geht Die Sage, ftand
hier eine Linde, daher die Feldlage noch der Lindenhof
heißt; unter derſelben vertheilten einmal Zimmerleute aus
Frieda ihren verdienten Lohn und geriethen darüber in
Streit, der jo heftig wurde, daß fie mit den Aegten drein
30
ſchlugen und fiehen Todte auf tem Platze ließen; zur
&rinnerung hieran jeien die Steine gejekt.
Erdhauſen. Inder Sitlichen Abſenkung tes Fürften-
fteiner Berges zwiichen der Poch- und Pietihmühle furcht
ein Graben ein, der Erthäujer Graben genannt. Es be-
finden ſich dajelbit noch zwei umzäumte Baumgärten und
ed mag bier ein vielleicht nur aus wenigen Häuſern
beftehende8 Dertchen geftanden haben, defjen jedoch nirgends
urkundliche Erwähnung geichieht.
Die Wüftung Dubdenhaufen. Beinen in diefer
Zeitſchrift II. S. 267 und 268 über dieſes audgegangene
Dorf mitgetheilten Nachrichten füge ich folgende8 hinzu:
„Dudenhaufen war ein Pfarrdorf; al® Zeugen werden
urtundlich genannt: dominus Conradus de Salylbertus (2) ple-
banus in Tutenhusen 1297 *), Conruadus rector ecclesiae in
Thudenhusen 1299, Hermann plebanus in Tudenhusen 1315
nd Albertus **).
1346 und 1378 wird ter Ort als noch beftehend
angeführt und in dem letzteren Jahre gefchieht einer größeren
Anzahl Höfe daſelbſt Erwähnung, Die den von Boyneburg-
Soenjtein, vormal® den von Hundelshauſen zinsbar waren
(unter andern des Hofes und der Hufe der Visbeche ***),
wovon jährlid 3 Mitr. Korn, 3 Mitr. Gerfte, 3 Mitr.
Safer, 6 Schillinge Heller und ein Faſtnachtshuhn gezinft
wurden +). Das Kloſter Heida war in Dudenhaufen jchon
1391 begütert und die oben genannten Jeſtädter Befigungen
defjelben lagen vornehmlich in der Dudenhäufer Gemarkung.
Brüher noch finden wir die von Hundeldhaujen bier begütert.
Heinrich von BoyneburgsHoenftein und feine Gemahlin
Catharine von Eralud kauften von den von Hundel8haujen,
*) Ungedrudte Urkunde des Eſchweger Cyriarftifts.
*s) ngebrudte Urkunden des Klofters Germerode.
6) oder Fiſchbach; wahrjcheinlich die große Hufe, die bis in die neuere
Zeit vom Fuldaer Lehnhof relevirte.
7) Ungedruckte Urkunde dos Eſchweger Kugufinertioßere,
31
Heinrichs Schweiterföhnen, für 27 Mark ein Gut daſelbſt,
binfichtlich deifen zwilchen ihm und feinen Schwägern von
Sralud und von Pferdsdorf Streitigkeiten entftanden, bie
1346 verglichen wurden. Das ganze Hundelöhäufer Gut
zu Dudenhaufen kam nachmals an Hermann von Boyne=
burg-Hoenſtein, Heinrichs Sohn, der e8 als ein Seelgeräthe
dem Auguftinerflojter zu Eſchwege fchenfte, 1378. Es war
eine Hufe, die von den Auguftinern gegen neun Malter
Partimfrucht Zins zu Erbe gegeben wurde und gegenwärtig
ein Stud des Scheffer’ichen Lehns it *). 1365 verpfändete
„Bote von Boymenberg Heren Reynhart Koydele Ritter feinen
theyzmen (BZehnten) zeu Thutinhufen vnd Nuwenrade **).*
Der Dudenhäufer Kirchhof liegt zwilchen dem Grebendürfer
Wege und der Stätte der ehemaligen Dudenmühle auf
einer Eleinen Anhöhe; über denſelben zieht jet der Pflug
des Nitterguteß und man hat in diefem Jahre (1862) dajelbft
Gebeine ausgeackert und ein gemauerted Grab gefunden.
Bruchſtücke aus der Gejhichte von Jeſtädt.
Der Anfang ded 15. Jahrhunderts war für dieſe
Gegend eine Zeit wilder Fehde. 1403 verheerte der Erz-
biichof Johannes von Mainz das Gericht Bilftein, Neuerode
war ganz verwüftet, Dudenhaufen mag damals feinen
Untergang gefunden haben und an Jeſtädt die Furie der
Zerftörung nicht ſpurlos vorübergegangen fein. Nach einer
Urkunde im Staatdarhiv von 1413 bitten die „altarlude
der ferchen czu Geftede und dy ganeze gemeyne vnd ſame—
nunge daſelbis“ den Junker Heinrich von Hoenftein, daß
er ihnen geftatte, die Glocke des verwüſteten Dorfed Neuerode
folange in Seftädt zu gebrauchen, bis Neuerode wieder
aufgebaut worden, da die Glode zu Jeſtädt zerbrochen ſei.
Am Sonnabend vor St. Urban (25. Mai) 1462
fielen die SHeiligenftädter in Jeſtädt ein, plünderten daß
*) Urkunden deg Eichweger Auguſtinerkloſters.
**) Urkunde im Staatsarchiv,
32
Dorf und zündeten e8 an. Die Eichweger im Bunde mit
den von Boyneburg-Hoenſtein verfolgten den Feind bis
Kaltenebra und nahmen ihm den Raub wieder ab. Auf
dem Thurme der Stiftzfirche zu Heiligenftadt ſoll fich aber
noch eine Glocke befinden, welche die Heiligenftäbter Damals
von Jeſtaͤdt mitgenommen haben *). Durch die Fürften
von Sachen und Heilen wurde zu Allendorf die Sühne
geftiftet. Einige Jahre fpäter erhoben die von Boyneburg-
Hoenjtein bei dem Oberamtmann des EichSfelted, dem
Grafen Franz Heinrih von Schwarzburg, noch Aniprüche
an Heiligenftadt; aber der Rath diefer Stadt verweigerte
diefelben mit Bezug auf den Allendörfer Friedeipruch **).
1548 wurde da8 Malter Korn für 20 Albus verkauft.
Der dreißigjährige Krieg ließ mit jeinen Greueln und
Schrecken Jeſtädt nicht unverfchont, durch Einquartirung,
Eontributionen, Plünderung, peftartige Krankheiten, Brand
wurde der Ort ſehr mitgenommen ***), Als Tilly 1623
durch die Werragegend 309, hatten fich die von Boyneburg
von ihm einen Schußbrief verſchafft, wodurch das Gericht
Jeſtädt vor allzu harter Bebrängniß bewahrt blieb, was
auch in den nächitfolgenden SIahren der Fall war. Dies
‚erregte Erbitterung bei anderen, auf denen der Drud um
fo hürter laſtete. In diefe Zeit fallt, wie es in einem
Aktenſtücke des Jeſtädter Archivs heißt: „das in Heſſen
unerhörte landfriedbrüchige und räuberiſche unternehmen
einiger leichtfertigen Canaillie aus Eſchwege, welche mit
Zuziehung anderen Ihresgleichen Raubgierigen Land-Pöbels
das Adelige hauß Seftäbt, in abwejenheit der Edelleute
gewaltjum überfallen, totaliter fpolyret, offen, thür, fenfter
und allen haußgerath und mobilien, was fie nicht mit
fortjchleppen können, zerichlagen und in grund vermwüftet,
*) Handichriftliche Chronik von Eſchwege.
**) Urkunde von Mittwoch nach) Matthias 1467. Jeſtädter Archiv.
ss, S. Eſchwege und die Landichaft an der Werra im 3Ojährigen.
Kriege in meiner Geſchichte von Eſchwege S. 223 ic.
33
kiſten und faften eröffnet, die darin gefundenen briefichaften
und documenta verbrannt, zeriffen und in den Koth zer-
jtreuet 20.” Doc die Argften Gräuel brachte das Jahr
1637. Eichwege, Allendorf und viele Dörfer der Umgegend
wurden von den Eroaten mit Feuer und Schwert verwüſtet.
Berheerend kamen diefe Cannibalen auch nach Jeſtädt.
Ein Theil der Bewohner ergriff die Flucht und jchleppte
fein Vieh aufs benachbarte Eichsfeld. Eine allgemeine
Feuersbrunft ergriff dad Dorf und 17 Häufer wurden ein
Raub der Flammen. Auch die Kirche wurde verwüſtet.
Neinhard von Boyneburg- Hoenftein verließ mit feiner
Bamilie fein Schloß und floh nach Göttingen. Wie die
Croaten damals in Jeſtädt gewüthet, davon zeugte noch
fange ein an dem Thürgewände eined 1854 abgebrochenen
Haufes in Holz audgehauener und angemalter Eroate, der
ein Kind in der Wiege erfticht. 1640 lagerte Banner ſechs
Wochen bei Ejchwege ; in Jeſtädt nahm franzöfiiche Cavallerie
Duartier, Die Kirche wurde zum Pferdeftalle gemacht und
die Einwohner flohen. Neue Leiden brachten die folgenden
Sahre, namentlich 1641, 1642, 1646 und 1647: Ueberfälle,
Plünderung, Krankheiten, Ausflüchte, Theuerung.
1738 fand in Jeſtädt eine Nevolte gegen die Gerichts—
obrigfeit ftatt; die Tumultuanten zogen ind Gericht&hauß,
überfielen des Schultheißen Behaufung, entriſſen dem
Steuerjeribenten die Steuertabellen und dem Gerichtödiener
einen Arreftanten. Der SHaupträbelsführer erhielt eine
vierzehntägige Thurmftrafe und die Gemeinde wurde in die
Koften verurtbeilt (24. März 1738).
Der fiebenjährige Krieg binterließ auch in Seftädt
verderbliche Spuren. 1758 wurde eine flarfe Kriegs—
eontribution durch ein franzöfiiche8 Executionscommando
beigetrieben. Am 17. Februar 1761 raubten die Franzoſen
zwei Pferde und am 5. April einen Wagen mit vier Pferden ıc.
1813 überjchwemmten einmal 5400 Mann ruffijcher
Cavallerie und am folgenden Tage 1200 Mann Artillerie
Band X. 3
34
das Dorf, welches dadurch hart beichädigt wurde. Eine
Frau flarb bei dieſer Gelegenheit vor Schreden.
1640, 1676, 1717 rafften böje Krankheiten, 1784,
1789 und 1794 die Blattern, 1789 und 1791 die Rubr
und 1812, 1813, 1818 und 1819 da8 Nervenfieber viele
Leute weg.
| 2. Neuerode,
eine Stunde von Jeſtädt, ebenjomweit von Eichwege entfernt,
auf der Hochebene des Königsberges, am Meinhbart, an
der Grenze des Eichsfeldes, 1064 Fuß über dem Meered-
ipiegel, ift ohne Zweifel eine fpätere Dorfanlage, worauf
der Name und die auf dem Grund und Boten laſtenden,
nunmehr abgelöften jchweren Zinsgefälle, ſowie der faft
gänzlihe Mangel an Gemeindewald und Hute hindeuten,
Urkundlich finde ih den Ort zuerit 1345, wo Adelheid, die
Hausfrau des Ritters Appel von der Aue, von Lucie von
Göttingen Zinsgefälle kauft, welche auf Gütern am „Meyner“
haften und von vier „geburen Zu Nuwenrode“ gezahlt
werden und womit fie ein Seelengeräthe im Cyriaxkloſter
in Eſchwege ftiftet *). 1365 verpfündet Bodo von Boyneburg
feinen Zehnten dajelbft an Reinhard Keüdel.
Das Dorf ift almählig zu feiner jeßigen Größe
erwachien. In der Mitte des 15. Jahrhunderts zählte eg
23 Häufer, wozu etwa 14 Hufen Land, Wielen und Wald
gehörten, 1573 waren dort 32 Käufer und 8 ledige Brands
jtätten, jet 50 Häufer, aber nur 47 Gemeindegerechtigfeiten.
1462--1477 wurde viele8 urbar gemacht. So heißt es in
einem boyneburgijchen Negifter im Jeſtädter Archiv: „Uff
hude Montag nach ſanet Andreastag in deme 1477 jar
bat Curt Hille genommen zu Nuwentode '/, hube Landes
vnd fol darvor geben alle jar '/, malder forn, '/, malver
habber, eyn fapnachshuhn vnd '/, jchog enger.” „Claus
Ruße hat 8 ader Landes uff Espe vnd ſal dervone gebe
*) Ungebrudte Urkunde des Eſchweger Eyriarftifts.
35
wan eß treyd von eyme ader eyn mecgen waz ez treyd.“
„1462. Hans von Breſſel gibbit von eyner hube landeß
zeu Nuwenrode, dy had here gerod, 15 hüner.“ ꝛe. Die
Bevölkerung dort iſt noch immer im Zunehmen begriffen.
Bon 1720—1729 (in 10 Fahren) wurden geboren 73 und
begraben 49; von 1820—1829 wurden 100 geboren und
68 begraben. Das Kirchlein, für die Gemeinde zu Klein,
wurde wahrjcheinlich erſt 1596 gebaut, welche Jahreszahl
lich über dem Eingange findet. Ein Schulhaus wurde erft
1839 beſchafft. Das dortige allodiale Rittergut, die Meierei
genannt, beftehend aus 84 Ar. Land, 8'/, Ar. Wiefen und
3 Ar. arten nebſt zugehörigen Gebäuden, gehörte den
von BoyneburgsHoenftein zu Seftädt und gieng jchon 1767
füuflih an die Familie Thomas über.
Die Wüftung Dörrenhain. Nörblich über Neues
rode auf der hoben Gohburg, an der Eichöfelder Grenze,
liegt eine Fläche urbaren aber kaum ceulturfähigen Landes
von 265°/, Ar., die Dürrenhainer Flur genannt. Jeder
Acker war zinspflichtig mit einem Groſchen halb an's
Nittergut zu Jeſtädt und halb zur Renterei des Cyriaxſtifts
zu Eſchwege. Dort lag vorzeiten ein Dörflein, deſſen
Bewohner höchft wahrjcheinlich nach einer Verwüftung und
wegen Waſſermangels fih zu Neuerode niederließen. Am
Ende des 15. Jahrhunderts war dort Wald und ZTrieich.
Eine Stelle dajelbft heißt der Kirchhof, wo man zumellen
Knochen und Ziegelftüde findet und in einem Regifter über
die Dörrenhainer Flur vom Jahre 1670 wird genannt ein
„Gewand, darauf der Brunnen geftanden“ und ein „Gewand
uffen Kirchenplatz.“ Auch fol bier die alte Glode auf dem
Neueröder Kirchthurme ausgegraben worden fein, was auf
eine plögliche Zerftörung und Verwüftung des Dörfleins
jchließen läßt. 1498 verkauften die von Ejchwege den
„Dornhagen” an die von Boyneburg-Hoenftein und damit
wurde derjelbe eine Pertinenz des Gerichts Jeſtädt und
3*
36
des Nittergutes dajelbft *%). Lange Jahre war der Dürren-
hain eine Quelle heftiger Streitigkeiten zwiſchen den von
BoyneburgsHoenftein und den Surmainziichen Beamten,
welche denjelben zu ſella und dem Schloffe Greifenftein
ziehen wollten. Bereit um 1522 waren Grenzfteine zwiſchen
„Mainz und Boineburgf”, wie e8 in den Acten de8 Jeſtädter
Archivs heißt, geſetzt; aber erft 1584 wurde hier Die Grenze
des Eichsfeldes berichtigt nach einem Vertrage vom 16.
Suni 1583 **).
Bei Neuerode hoch am Meinhart wurde vormals aud
Weinbau getrieben. In einem Flurbude von 1670
werden dafelbft erwähnt drei wüſte Weinberge. In der
Nähe verjelben ftand ein Siehenhauß, defien Mauerwerk
1673 noch zu fehen war und worin nicht lange vorher
noch Frau Beata wohnte, die in dem nahen Siechenbrunnen
ihr Waſſer holte ***). Nicht weit davon auf einer Heinen
Anhöhe über dem gewaltigen Steinbruche joll eine Capelle
des Ejchweger Chriagftiftes geftanden haben; urkundlich
findet fich nicht8 darüber. Der Ort gehört der Pfarrei zu
Grebendorf und heikt „im Sylvefter“, in alten Acten auch
„das heilige Vesperchen“ und ein Weg in der Nähe „ber
Nonnenmeg.“
3. Motzerode
liegt, eine Stunde von Jeſtädt entfernt, romantijch an einer
Felſenwand des hoben Steines, der 1801 Fuß über die
Meeresfläche emporragt. Die 40 Häufer des Dorfes find
planlo8 zu beiden Seiten eines Baches Hingeftreut, daher
daffelbe auch Feine eigentlihe Cafe hat. Gemeinde
gerechtigfeiten find 26, die meiftend halbirt find, was auf
—
*) 1441 wurden die von Döruberg von den heffiichen Landgrafen
mit „der Wüftenung halb zu Dörenhain” belehnt, weldhe 1462
an die von Eſchwege fam, Die mit dem Dornhagen auf der Goh—
burg belehnt wurden. S. Landau, Wüftungen ©. 299.
**2) Boyneburg-Hoenfteinfches Documentenbuh S. 336.
*ee) Acten im Jeſtädter Archiv,
37
ſpäteres Wachsthum des Ortes, der 1573 nur 18 Häufer
zählte, jchließen läßt. Die Gemeinde ift arm. Bedeutende
MWaldungen befitt hier das Teftädter Rittergut; nur 106
Acer gehören der Gemeinde. Das Kirchlein it alt. Ein
Schulhaus wurde erft in neuerer Zeit befchafft. Auf der
Härbteloppe genießt man eine weite entzüdende Ausficht
vom Harz bis zum Rhöngebirge und Thüringerwalde, jowie
man von dort hinabfchaut in den zu Allendorf gehörigen
Gebirgsfeffel, „zum Hayn“ genannt, worin man die Trümmer
der Kirche der Wüſtung Immicherode und daS aus den
Kirchenruinen des Dörfleins Ruprechterode erſtandene Sagd=
Ichlößchen bemerkt. Die Weinfenfe, eine hoch im Gebirge
befindliche Feldlage, wo im dreißigjührigen Kriege die Ein—
wohner mit ihrem Vieh mehrmals eine Zuflucht fuchten,
Icheint an ehemaligen Weinbau zu erinnern.
Schon frühe waren in Motenrode begütert die von
Boyneburg-Hoenſtein und e8 werden ihre Befißungen dafelbft
als ein Theil ihres Everſteiniſchen Lehns in ihren lüne-
burgiihen Lehnbriefen feit 1418 namentlid angeführt.
Ferner hatten hier die von Neter und von Dörnberg als
heſſiſches Mannlehn Bejitungen, welche 1462 an die von
Eſchwege und von diefen 1498 Fäuflich an die von Boyne—
burg-Hoenſtein übergingen und ſeitdem mit dem Nittergute
zu Jeſtädt als lüneburgiſches Lehn vereinigt waren. In
dem Kaufbriefe von 1498 *) werden genannt „die Wuſte—
nunge vnd gütter zu Bettelsdorf, Newenrodt und Motenrodt,
der Dornhagen auff der Goburgf“ ıc. 1436 ſchenken „Pethe
von Netir, Hand von Dorneburg **)“ und deſſen Söhne
dem Augujtinerflofter zu Ejchwege als ein Seelgeräthe
ihre Gerechtigkeit „an der fleyngruben ezu Moczenrode genant
an der Kogeln und gelegen under der Horne“ ***).
*) Bonneburgifchrhoenfteinifches Documentenbuh S. 112.
**) d. i. Dörnberg.
***) Urkunden des Eſchweger Auguftinerklofters,
38
Seit Sangen Zeiten beiagen tie Tiete zum Yüriten-
flein, denen auch das benachbarte Torf Hitzelrede ala
ein Allod zuſtand, einen Theil von Motzenrode — vier
Männer. Tie Häujer Terjelben lagen im Torfe unt tie
zinsbaren Länter, die dazu geberten, in ter Gemarfung
zerftreut.” Die tietiihen Männer mukten an's Gericht auf
ten Züritenftein gehn und tie Diede hatten in Megerote
einen bejonteren Schultheißen. Weil aber ihre Gerechtig-
feiten daſelbſt nicht feit begränzt waren, je gıb dies eine
Quelle vieler und heftiger Streitigkeiten mit ten von
Boyneburg-Hoenitein, denen erii am 3. Maui 1757 turd
einen Vergleich ein Ente gemacht wurte. Mit tem Erlöjchen
des diediſchen Mannsſtammes fielen tie Gerechtigfeiten
derjelben zu Moberote tem Kurheſſiſchen Staate anheim.
Eine Hufe zu Moßerote war tem Kloſter zu Ejchwege
jindbar, eine antere ter Pfarrei zu Jeſtädt.
Die Wüſtung Bettel8dorf, eine Heine Biertel-
ftunde unterhalb Motzerode, an tem Bache, ter nach Jeſtädt
fliegt, an einer Stelle, die noch „zu Bettelsdorf“ heißt und
von wo noch durch Die Moteröter Gemarkung der jogenannte
Marktweg nach Eichwege führt. In einem Flurbuche von
1670 werden 29 Ader Land „Bettelsdorf“ genannt. Landau
bemerkt (Wüftungen ©. 298): „wührend 1363 Heinrich
Eſelskopf jeine hHiejigen fultiichen Lehngüter an Die von
Hundelshaujen verkaufte, war 1373 Kunemund Eſelskopf
noch daſelbſt begütert, auch die von Dörnberg hatten dujelbft
heſſiſche Lehngüter, welche 1462 an die von Eſchwege
famen.” Dad Ganze fam 1498 an die von Boyneburg-
Hoenftein, welche es mit ihrem von Lüneburg zu Lehn
gehenden Gerichte Jeſtädt vereinigten. Wann das Dörfchen
feinen Untergang fand, ift nicht befannt. Im Anfange des
15. Jahrhunderts mag es noch geftanten haben; denn in
einem Weisthbume des Jeſtädter Gerichtd aus dieſer Zeit
wird erwähnt „der von Bettelsftorff hol.” In einer Grenz=
beichreibung der Jeſtädter Feldmark etwa aus dem Jahre
39
1477 wird aber bereit3 ftatt „Bettelsdorf“ genannt „ber
von Motzenrode gemeyne.” Ein Reit vom alten Bettelsdorf
ift da8 noch 1548 erwähnte „Furwergk im Segelbache“
und dag Nittergut zu Jeſtädt befitt Dort eine größere Strede
Landes. Bettelsdorf ift in Motzerode aufgegangen.
—
II.
Geſchichte
der evangeliſch-reformirten Pfarrei Binterfleinau,
urkundlich dargeſtellt
von J. Rullmann, Pfarrer daſelbſt.
Einleitung.
Das Benedietiner Kloſter zu Schlüchtern, das in der
kurheſſiſchen, oberen Grafſchaft Hanau an der Kinzig liegt
und ehemals zum Bisthum Würzburg gehörte, war eine
große und reiche Abtei, hatte nah und fern zahlreiche Gefälle,
Güter, Höfe und Waldungen; eine bedeutende Anzahl von
Ortſchaften, die meiſtens um daſſelbe herumlagen, nebſt der
Stadt Schlüchtern, war ihm zins- und lehnspflichtig. Dieſe
Ortſchaften wurden auch vom Kloſter aus paſtorirt; die
entfernteren durch Stationarii und Pfarrherrn, d. h. durch
Prieſter, die im Namen des Abtes, der überall der eigent—
liche Pfarrherr war und an den fie auch Die empfangenen
Gebühren u. |. w. abliefern mußten, als feine Vicarit die
pfarramtlichen Geſchäfte verrichteten und fich zu dem Ende
längere oder fürzere Zeit außerhalb des Kloſters aufhalten
durften. An vielen Orten befanden fich zur Abhaltung des
Gottesdienſtes Kapellen, die theilmeile noch heute fiehen,
vielfach zu Kirchen vergrößert; Die entfernteren Orte waren
zu Kirchjpielen vereinigt. Die bedeutendften diefer Kirch—
40
fpiele waren Ramholz mit 6 Dirjern, Motiger® mit 5 und
Hinterfteinau mit 4. Eine Geſchichte des legeren Kirchſpiels,
oder ter Pfarrei Hinterfteinau, fann ſelbſtrerſtändlich nur
den Zeitraum umfaljen, wo fie, um mich jo auszudrücken,
als mündige Tochter vom Kicjterverbante getrennt, als
Einzelmwejen zur Zeit ter Reformation ins Daſein trat und
muß tie frühere Zeit ihrer Verbintung mit tem Stloiter
bier um jo mehr außer Betracht bleiben, al3 tie Quellen
Tafür jehr Türftig zu Gebote ftehen und tie Geichichte Tiefer
Tfarrei, wollte man weitere uellen zu Tieren Zwecke
aufjuchen und benugen, eine Gejchichte tes Kloſters ſelbſt
werten würte. Die Cuellen ter nachiolgenten Tarſtellung
des Umfangs und ter Gejchichte ter Pfurrei Sinterjteinau
find amtliche, vornehmlich die Kirchenbücher von Tiefer und
einigen benachbarten klöſterlichen Pfurritellen. Der Kreis
iſt Hein, auf welchem unjere Darſtellung eingejchränft ilt;
es ijt aber immer ein Stüd vaterländijcher Geichichte, Das ung
darin entgegentritt und einen Haren Blid in tie Vergangen-
heit gewährt und — mit der Gegenwart zufriedener madt.
Umfang der Pfarrei Hinterfteinau.
Zur Zeit der Reformation und noch lange nachher
beftand die Pfarrei Hinterjteinau aus 4 Ortjchaften, Die
ein gleichjeitige8 Dreied bildeten, in deſſen Mittelpunkt
der Pfarrjig war. Diele Ortjchaften waren 1) Hinterfteinau
als Pfarrfig, 2) Wallroth, 3) Reinhards, 4) Kleöberg mit
Uerzell. Da der Zweck des Vereins für heſſiſche Gejchichte
und Randesfunde eine alljeitige Erforihung und Darftellung
der Geichichte, Topographie und Statijtit von Heffen ift,
jo erachte ich eine nähere DBejchreibung Diejer Drte nad)
diejen Seiten hin für nichts Ueberflüſſiges.
1) Hinterfteinau führt in alten Urkunden und
Handichriften ftet3 den Namen „Hungerfteyna”" und ich
habe nirgends früher, als in dem älteften dafigen Kirchen
buche, vom Jahre 1596 an, dieſe Umänderung in „Hinter:
41
fteinau” gefunden, weshalb e8 wohl kein Sehlichluß fein
wird, wenn ich geftüßt hierauf behaupte, daß der damalige
Pfarrer Heyder diefelbe vorgenommen haben werde. Es
lag ehemals im Gaue Salfeld, nächſt der Grenze der
Wetterau, und gehörte, wie derganze Klofterbezirt Echlüchtern,
unter die firchliche Jurisdietion des Biſchofs zu Würzburg.
Die Landeshoheit über genannten Bezirk wechjelte, bis jolche
endlich im 14. Jahrhundert unter den Grafen zu Hanau
bleibend wurde. Das Dorf liegt jetzt mit feiner, eine
Stunde im Durchmeffer haltenden Gemarfung unter dem
50. Grad 23°/, bis 26°/, Minuten nördlicher Breite und
unter dem 27. Grad 6—9 Minuten öſtlicher Länge in
einer Höhe von 1172 rheinländifchen Fußen über dem Spiegel
der Nordſee, lehnt fi) an die weftlihe Abdachung des
Zandrüdd (der vom Diftelrajen an einen mücdtigen Bogen
nach Welt und Nord bis Reinhards befchreibt, von wo aus
er wieder weftlich dem Vogelsberge fich zumendet, beziehungs⸗
weiſe fich mit demfelben vereinigt) und an einen weitlichen
Vorſprung defjelben, wodurch das Dorf cine etwas ver-
borgene, aber gegen Nord» und Oftwinde gut gejchüßte Lage
bat, wird von einem Bächlein, Füllbach genannt, durchfloffen,
zum Theil auch von dem etwaß größeren, fiich- und krebs—
reichen Steinaubach. Das Dorf ift ein wüfte8 Durcheinander
von Häufern fammt Zubehör ‘ohne erfennbaren . Blan der
Anlage der Wohnungen und Wege — nad Dr. Landau’
Anſicht tie Ältefte Form deutjcher Dorfanlagen. Die Höhe
ber benachbarten, zur Gemarkung gehörigen Berge beträgt
1500-1700 Fuß. Nach der legten, im Jahre 1859 gefchehenen
Bolfszählung hat Hinterfteinau dermalen 822 Seelen. Die
Einmwohnerichaft theilt fich nach dem Gefchlechte in 407
männliche und 415 wmeiblihe und nach dem Religions—
befenntniffe in 740 Berfonen, die der ewangelifch-unirten
Stirche angehören, 10 Katholiken und 72 Juden. Die dermalige
10jährige Durchſchnittszahl der Geborenen ift 26, tie der
Getrauten 6 und die der Geftorbenen 19. Ich führe dies
42
deshalb hier an, um danach ten Eeelenftand ter vergan-
genen Zeiten bemeijen zu fünnen, ta ih am Schluffe der
Dienftzeit eined jeten Pfarrers eine gleiche Zujammen-
fteflung liefern werde. Die Bevölkerung lebt mit Einſchluß
von 7 Mühlen in 130 Häujern und nährt ſich von Aderbau,
Viehzucht und periodiſchem Tagelohn in der Umgegend
Hanaus und Frankfurts; die Juden treiben Viehhandel und
theilweife auch Aderbau.
Die Kirche liegt frei, hoch und jonnig am Rande des
Dorfes; der Thurm ijt alt, breit und in jeinem inneren
befand fich, wie das fehr beftimmt an gewiſſen Zeichen zu
erfennen ift, in den katholiſchen Zeiten der Hocaltar; das
Schiff der Kirche ijt neueren Urſprungs. Pfarrer Feilinger,
der die damals zu einer Pfarrei vereinigten Ortſchaften
Elm, Breidenbah und Kreſſenbach von Echlüchtern auß,
wo er wohnte, paftorirte, erwähnt zu Ente des von ihm,
in den Jahren 1606—1635 geführten, überaus wichtigen,
in der Pfarramts-Repofitur zu Elm .aufbewahrten Kirchen:
buch8 (ein gleiches, tie Ortichaften Breidenbach und Kreſſen—
bach umfaſſendes liegt in der Pfarramts-Repoſitur zu
Wallroth) einer Renovation der Kirchen zu SHinterfteinau
und Wallroth und theilt Darin die lateinischen Infchriften
mit, die er gefertigt und die in die betreffenden Grunditeine
feien gelegt worben, und wovon eine jede Die Jahreszahl
1617 trägt. Da man bei NRenovationen feine Grundſteine
zu legen pflegt, jo vermuthe ich, daß in dem angegebenen
Sahre eine Vergrößerung der genannten Kirchen vor=
genommen wurde.
Das Pfarrhaus Liegt, weit von der Kirche entfernt,
unten im Thalgrunde an dem Steinau= und Füllbadh; ein
Beweis, daß beide urfprünglich nicht zujammengehörten und
daß erſteres ehemals eine andere Beftimmung hatte. Im
Munde des Volkes lebt Die Sage, es habe in tem jeßigen
Pfarrhaufe früher ein „Edelmann“ gewohnt, womit eine
Urkunde, die: mir zu Hand ift, vom Sabre 1480 über-
43
einftimmt, worin der „Ant Chriftian in Sluchter“ ven
„veiten Walter von Mörlav genannt Böhm“ nennt „unferes
Kloſters amptmann und lieben getreuen Junkher zu Hunger-
fteyna." Nach fehr alten hiftorifchen Nachrichten war e8
eine Kemnade des Kloſters. Bereitd 1376 kommt in einer
Urkunde vor „Unjer Kemnaden und Huz gelegen in dem
Dorffe Hungerfteyna.” Man wird wohl nicht ‚fehlichließen,
wenn man annimmt, e8 habe ein weltlicher Beamter bes
Kloſters in diefem Haufe gewohnt und bei diefem habe der
zeitweilig den Pfarrdienft verjehende Geiftliche fein Abfteige-
quartier genommen und es feien in unruhigen Seiten die
Schätze des Kloſters hier untergebracht worden, und erft
in den Zeiten der Reformation habe daſſelbe feine jebige
Beftimmung erhalten. Damit flimmt Lage, Größe und
Beichaffenheit des jetzigen Pfarrhaufes am beften überein.
Daffelbe ift ein ftattlihe8 Gebäude, folid von Stein, mit
4' diden Mauern aufgeführt und hat große und helle Zimmer,
war ehedem von Wall und Graben umſchloſſen, der von
dem vorbei fließenden Füllbach mit dem nöthigen Waſſer
verfehen wurde und deſſen letzte Spuren ich im Jahre 1857
babe bejeitigen und zu Gurtenland herrichten laſſen. Es
war natürlich, daß Abt Kotich, ald er im Jahre 1543 den
eriten reformirten Pfarrer hierher feßte und die Vfarritelle
botirte, diefe8 Haus nebit dem dazu gehörigen Heinen Gute
demjelben überwied; von da an ift es Pfarrſitz bis heute.
Dazu gehörte ald Filial
2) Wallroth; daſſelbe liegt, drei größere Haufen
bildend, langeltredt abwärts, an der nördlichen Seite des
Landrüds, bis in den Thalgrund, an den Quellen der
Fliede, mithin im Flußgebiete der Fulda und gehört ſomit
zum nördlichen Deutichland. Bon den umgebenden, nicht
unbedeutenten Höhen bat man eine prachtvolle Ausficht,
an der man für Augenblide das Herz laben und die un—
wirthlihe Nähe darüber vergeffen kann. Das herrliche,
mafjenhafte Rhöngebirge, den nebelreihen Vogelsberg, Den
4A -
⸗
blauen Taunus und den reich bewaldeten Speſſart ſieht
man an einzelnen Punkten vor ſich liegen; aber — Land
und Leute, Luft und Sitten ſind rauh und wer Beſſeres
gewohnt iſt, kann da nur ſchwer heimiſch werden und
lange leben. Planlos iſt des Dorfes Anlage, alt und
unbekannt ſeine Entſtehung; der jetzige Name kommt wohl
von „Weſelrode und Wüſtung Weſſelrode“, die in alten
Urkunden von 1332, 1387 und 1447 fich finden — eine
Vermuthung, die ich einer Notiz Dr. Landau's verdanke.
Sn Bach's Kirchenftatiftif für Kurheffen fintet fich die
Angabe, es jei die dafige Kirche im Fahre 1727 erbaut
worden; daß ift ein Irrthum, der fich ſchon aus dem ergibt,
was ich vorftehend bei der Kirche zu Hinterfteinau von
Pfarrer Feilinger anführte und noch beftimmter daraus,
daß von 1617 an in hiefigen Kirchenbüchern Die Kirche zu
Wallroth oft erwähnt wird. Im Jahre 1719 wurde Wallroth
von der biefigen Pfarrei getrennt, mit Breidenbach und
Kreffenbach zu einem Kirchjpiel vereinigt und wurde von
da an Pfarrſitz.
3) Reinhards gehört feit feinem Urfprung bi8
heute zur Kirche in Hinterfieinau; e8 hat 34 Häuſer und
liegt 1295 rheinländifche Fuß hoch auf der füdlichen Seite
des Landrücks. Reinhards fcheint mir nicht zu einer be—
ftimmten Zeit angelegt worden zu fein; ich halte es vielmehr
aus vielen, bier nicht weiter zu erörternden, Gründen für
einen nad) und nach vergrößerten Ableger von Hinter—
fteinau, mit dem es bis auf Die Gegenwart auf das engfte
verfnüpft iftz; das Gemeindevermögen, Waldungen, Huten
und Triften find gemeinjchaftlich und eine beftimmte Feld—
grenze ift erft in der neueften Zeit vereinbart und chartirt
worden. Im Kirchenbuche vom Sahre 1613 wird Reinhards
„ein Dörflein von 11 Hausgeſäß genannt“ und ftarben in
dem genannten Jahre an der Peſt „über die 60 Menjchen.“
4) Klesberg mit Uerzell, der Schmidtmühle und
Ullrichsberger Höfen bildete eine Gemeinde, deren Schultheiß
45
in Uerzell, deren Lehrer aber in Kledberg wohnte und
war eheden Beſtandtheil der Pfarrei SHinterfteinau.
Uerzell, das Urſprung und Namen dem Klofter Schlüchtern
verdankt, liegt mitten in einer engen Thalichlucht, Die vom
Buchwaſſer durchfloffen wird, das ehemals die Grenze bildete
zwifchen den Belitungen der Grafen von Hanau und des
Fürftabtes zu Fulda und zwiſchen der Wetterau und dem
Salgau. Dies war die Urfache, daß zur Zeit der Refor-
mation der Theil der Einwohner, der auf der linken Seite
des Buchwaſſers wohnte und vom Klofter und Hinterfteinau
aus paftorirt wurde, das reformirte Bekenntniß annahm,
der andere fleinere Theil aber, der zur Pfarrei Ulmbach
gehörte, bei der Tutholifchen Kirche blieb. Zur Zeit, wo
die hiefigen Kirchenbücher beginnen, 1596, war daher Uerzell
eine konfeſſionell gejchiedene, aber gleichwohl fehr einige
Gemeinde, wie da8 aus den Gevatterfchaften und Ehen ſich
ergiebt; mitunter taufte der biefige Pfarrer in Brivathäufern
allda Kinder „in praesentia sacrificuli Ulmbaccensis“. In
der Mitte der Thalfchluht und auf der linfen Seite des
Buchwaſſers, von dem oberhalb ein Theil zur Füllung der
MWallgräben abgeleitet war, lag das befeitigte Schloß Der
freiherrlihen Bamilie von Mörlau, genannt Böhm; e8
beftand aus einem alten und neuen, hatte eine bejondere
Kapelle, in der mitunter, 3. B. auf Kirchweih, Gottesdienſt
gehalten und worin auch in befonderen Fällen andere Firch-
liche Handlungen vorgenommen wurden. Genannte Familie
muß eine ſehr angejehene und reiche, dabei fehr populär
und gut evangelilch gejinnt gewejen jein, wie ſich das aus
den, in den Kirchenbüchern nambaft gemachten, verwandt-
ſchaftlichen Verhältniffen zu den Familien von Thüngen,
von der Tann, von Eberdberg, von Lauter u. a., aus dem
darin erwähnten Grundbeſitz und aus den vielen Gevatter-
ſchaften ergiebt, um vie fie, oft von den Ärmften Leuten,
angeiprochen wurde und deren hier nicht weniger al8 37
erwähnt find. In oder kurz nach dem dreißigjährigen Kriege
46
erlofch Tiejeg atelige Haus; tie Zeit läßt fi aber weder
aus ten biejigen Kirchenbüchern noch aus tem zu Schlüchtern,
wo in tem Tortigen Klejter jein Erbbegräbnik wur, genau
feſtſtellen. An wen die Beſitzungen zunächſt fielen, gebt
aus den SKirchenbüchern nicht hervor; um tie Mitte bed
folgenten Jahrhunderts kommt aber ein Freiherr von
Thüngen, Domherr zu Würzburg, als Befiter vor und wird
dann Darin kurz berichtet: „1684. NB. diefen Sommer bat
der Abt von Fulta, Placidus, das Haus Uerzell mit aller
Zubehör von den Erben für 30 taujend gulten faufft und
darauf ten Hanauiſchen die Kapell und alle Kirchenbedienung
verboten.” Es wurde nun ein eigened® Juſtizamt Uerzell
gebiltet und dad Amtsperſonal bewohnte das Schloß und
fo blieb e8 bis in die Seiten des Fürften Primas, wo
dieſes wieder aufgehoben und mit tem Juſtizamt Salmünfter
vereinigt mwurte. Das Schloß wurde auf den Abbrud)
verkauft; nur ein Kleiner Theil ſteht noch, freilih um ein
Stockwerk erniedrigt, als jolite ftattlihe Bauernwohnung.
Die Zugbrüde ift verſchwunden und tie Wallgräben find
fruchtbare Gärten geworden. Eine Biertelftunde von Uerzell
entfernt nach Hinterfteinau zu, hoch auf jonniger Höbe, Tiegt
Kledberg am jüdlichen Abhange eines emporragenden Berg-
fegel8, die Kaupe genannt, und gleihwohl in einer Mulde,
die fih von da ſüdweſtlich thalabwärts zieht, jo Daß man
da8 Dörfchen ſammt Kapelle nicht eher gewahr wird, bi8
man ganz nahe davorſteht. Sehr fruchtbarer Bafaltboden
umgiebt dafjelbe und feine Bewohner wiſſen ihm troß des
rauhen Klimas recht ergiebige Ernten abzugewinnen und
find daher wohlhabend. Klesberg bildete den Mittelpunft
der unter 4 S. 44 genannten Gemeinde feiner alten Kapelle
halber (einer Stiftung der Familie von Mörlau), in ver
vom Pfarrer zu Hinterfteinau an beftimmten Tagen regel-
mäßig Gotteövienft gehalten wurde, in der auch die
Taufen und Trauungen ftattfanden und die von dem gemein
ſchaftlichen Todtenhof umgeben war. Hier wohnte zugleich
47
der Lehrer der genannten Gemeinde und iſt derſelbe erft zu
Anfang dieſes Jahrhunderts nach Uerzell verjegt worden.
Die Schmidtmühle liegt */, Stunde unterhalb Uerzell nahe
bei Kreffenkach und hatte die Familie von Mörlau, der fie
gehörte, dafelbit einen „Hofmann“ wohnen, deffen Wohnung
noch heute ſteht. Ullrichsſsberg find vereinzelte, nahe bei
einander liegende Höfe‘ in unfreundlicher und rauher Lage,
An allen Orten diejer Gemeinde hatte die Familie von
Mörlau, genannt Böhm, anſehnliche Güter, die jegt parcellirt
find. Die Losreißung diefer ganzen Gemeinde von der
evangeliichen Mutterfirche zu Hinterfteinau geſchah auf die
©. 46 angegebene Weile und erfolgte nach dem befannten
Grundfag: Cujus regio, ejus religio — wem das Land
gehört, der hat auch über den Glauben zu gebieten! Die
Gemeinde war um jene Zeit (1684) durch Taujch mit dem
Grafen von Hanau unter Die Landeshoheit des Fürftabts
zu Fulda gefommen und diejer handelte hier und bei noch
einem anderen gleichen Fall, den ich fpäter berichten werde,
nach dem angegebenen Grundjaße.
In neuefter Zeit find der Pfarrei Hinterfteinau zu—
gewiejen worden Durch Allerhöchiten Beichluß vom Jahre
1848 die evangelifhen Einwohner der katholiſchen Pfarrei
Hauswurz und im Jahre 1858 Ddiefelben zu Ulmbach und
Merzel. Auf die Amtsführung hat diefer Zuwachs bis jetzt
noch wenig Einfluß gehabt und die Pfarrei gehört zu den
kleineren und leicht zu vermwaltenden.
Geſchichte der Pfarrei Hinterfteinau,
Wie die vorftehenden Mittheilungen faft ausſchließlich
der hiefigen Pfarramt8-Repofitur entnommen find und, neben
dem Augenjchein, nur wenig urkundliche Nachrichten aus
nächſter Nähe dabei zu benutzen ſtanden, fo gründet fich
auch Die nachfolgende Darftellung allein auf die Kirchen—
bücher zu SHinterfteinau, Walroth und Elm. Und wie fo
manche Ericheinungen der Gegenwart dem Geſchichtskundigen
48
aus ter Vergangenbeit erflärlich find, fo find auch mande,
ja gar viele unerfreulihe Zuftänte eined Kirchſpiels, einer
Gemeinte und ihrer Bewohner nur aus den gemejenen
Zeiten, ten darin hervorragenden Perſonen, geltenden
Geſetzen und ihrer Handhabung begreiflih. Nur Furzfichtige
Menſchen reden Da hart und lieblos über augenblidliche
Vekelftände, ter weile Mann blickt auf dageweſene Zuftände
zurück und das chriftliche Herz betet: Vater vergieb ihnen,
denn fie willen nicht, wa3 fie thun!
Nachſtehend will ich nun auf Grund hiefiger Kirchen:
bücher verfuchen, die Gejchichte Ter Pfarrei feit der durch
Abt Lotih in ten Jahren 1542 und 1543 im Slofter
Schlüchtern durchgeführten Reformation (vergl. die Ab:
hantlung von dem Verfaſſer dieſes Aufſatzes in Band IX.
Geite 291—314 diejer Zeitichrift) zu ſchildern. Gleichwie
aber tie Geichichte jo manchen Landes nicht® anderes
ilt, ald eine chronologiſche Aufzählung feiner Fürſten und
ihrer Ihuten oder Unthaten; ähnlich ift es auch bier.
Denn wie unter einem weijen, gerechten und thätigen
Fürſten ein Land aufblüht und die Herrichaft Der Geſetze
Srieden und Wohlitand in großem Kreife erzeugt, fo bat
auch tie Amtsthätigfeit oder Unthätigkeit eine Pfarrers,
fein Charakter, jein größeres oder kleineres Geſchick, feine
Treue und Eifer oter feine Läjfigfeit Ähnliche Folgen in
moralifcher und religiöjer Beziehung, und dadurch auch in
materieller, für ein ganzes Kirchipiel. Dieſe Anjchauung
habe ich durch das Studium ver hiefigen Stirchenbücher
gewonnen und ich zmeifle nicht, fie wird fich auch anderen
aufdrängen, wenn fie die Data und Zahlen erwägen, die
ich anführen werde. Geſtützt auf Die, von ihnen felbft vor-
hantenen fchriftlichen Beweismittel werte ich daher nicht
blos ſämmtliche evangelifch-reformirte Pfarrer chronologiſch
aufführen, ſondern auch ſoviel thunlich ein Bild von jedem
und von den religiöſen und ſittlichen Verhältniſſen der
Gemeinde entwerfen und Dabei auch noch andere bemerkens⸗
49
werthe Vorfälle u. vergl. aufzeichnen und zur Vergleichung
mit der Gegenwart, ohne die Farben did aufzutragen, Licht
und Schatten jeder Zeit deutlich, ſoweit Material dazu
vorliegt, hervorheben. Was den jeweiligen Seelenftand
des Kirchipield anlangt, jo muR ich mich da auf Sinter-
fteinau beichränfen und die Filiale außer Betracht laſſen,
weil ich nur da im Stande bin, von Anfang bi8 heute
eine genaue Nachweiſung zu liefern.
1) Der erfte evangelifch-reformirte Pfarrer zu Sinter-
fteinau war Hiob Stein. Der Abt Lotih erzählt in
feiner „Anzeige, was vor gelehrte Leute im Klofter Schlüch-
tern erzogen und zu Pfarrer verordnet worden find ıc.“
1565 „daß er ihn in feinem Klofter erzogen und 1543 als
Pfarrer hierher beftelt habe.” Schriftliche ift weder von
ihm, noch von feinen beiden Nachfolgern, in der Pfarramts-
Repofitur vorhanden, Ob und wann er etwa hier geftorben
oder mo andershin verjegt worden fei, habe ich nicht
ermitteln können.
2) Im Jahre 1565 erwähnt Lotich als Pfarrherrn
„zu Hungerfteyna” den Sebaftian Pauli. Auch diejen
hatte derjelbe im Klofter erzogen, dann nebft ſechs anderen
jungen Theologen 1544 in Marburg ftudiren laffen, hierauf
felbft ordinirt und als Kaplan in Schlüchtern verwendet.
Wegen diejer und anderer Orbinationen wurde Lotich von
feinem Bilchofe zur Verantwortung gezogen; er fuchte fie,
gleih der Nothtaufe, als einen Act der Nothwendigkeit
darzuftellen, bewies die Nechtmäßigfeit und Gültigkeit der=
felben und lehnte alle Verantwortlichkeit ab. Das Yahr, in
welchem Lotich ihn hierher zum Pfarrer, beftellt, bat er
nicht angegeben, bezeichnet ihn aber als einen frommen und
fleißigen Dann, „wohnt in unſeres Klofter8 Behaufung und
Kirchen.“ — Ihm folgte
3) Benedict Helferidh. In einem Verzeichniß
ber dem Klofter Handlohnpflichtigen vom Jahre 1593 fteht
die Anmerkung „e8 habe Benediet Helferich feinem Vater,
x. Band. 4
50
dem Pfarrer zu Hinterfteinau, ein Haus abgekauft für
175 fl. davon gehe ihm fein Zug ab, als nehmlich 71 fi.
fol zu Handlohn geben 5 fl. weil der Herr Abt für ihn
gebeten habe und in Anjehung feines Vaters treuen Dienſt.“
Sm 1. hieſigen Kirchenbuche wird S. 427 bemerkt, „es
habe der frühere Pfarrer Benediet Helferich, als er ab-
gedankt und beurlaubt worden (wahrſcheinlich megen Sins
neigung zur lutherijchen Kirche, denn er wird geradezu
„lutheriſch“‘“ genannt), zu Uerzell beim alten Böhm Auf-
nahme und Unterhalt bi8 an fein Lebendende gefunden.“
Meitered von ihm anzuführen, bin ich außer Stande.
4) Mit dem vierten evangelifchereformirten Pfarrer
dabier, Eberhard Geyder, beginnen ten 1. Sanuar 1596
die biefigen Kirchenbücher. Die gunze Anlage und Ein-
richtung des von ihm geführten Kirchenbuches, Die faubere
Veichtleferlihe Fracturhandſchrift, Pie bündige Art feiner
Einträge, die furzen eingeflochtenen Bemerkungen und deren
Inhalt, die Öfteren Gevatterjchaften, um die er und die
Seinigen angejprochen wurde, geben die große Wahrfchein-
lichleit an die Hand, Daß er ein gebilveter Mann, ein
würdiger, praftiicher und beliebter Geiftlicher und achtungs—
werther Charakter war. Das Kirchenbudy ift, mit Aus»
nahme des erften Blattes ver Taufen von bier, ganz gut
erhalten, umfaht den Zeitraum vom 1. Januar 1596 bi8
7. April 1635, ift nach den 4 Ortichaften des Kirchſpiels
in 4 Theile gefondert und jeder derſelben ift wieder gefchieden
in „Neue Eheleute in N. N.” „Getaufte Kinder in N. N.“
und „Abgeftorbene Geifter in N. N“ Wenig Kirchenbücher
mögen aus jener Zeit vorhanden fein, Die fo überfichtlich
abgefaßt und fo deutlich gejchrieben find, wie Diejed. Seine
Amtsnachfolger haben fich leider dieſes ſchöne Vorbild nicht
zur Nachahmung dienen laffen, fondern fie haben bi8 zum
Sabre 1848 die Getauften, Getrauten und Geftorbenen aus
allen Orten der Pfarrei nach dieſen Klaſſen untereinander
gemengt und mitunter fo erbärmlich fchlecht geſchrieben, Daß
51
man von der Bildung, Ortnungsliebe, Amtseifer und
Tüchtigfeit von mehreren derjelben feine hohen Begriffe
befommt. Wahrjcheinlich rührt von ihm die Veränderung
des Namens „Hungerſteynau“ in „Hinterfteinau”, wie er
ftet3 gejchrieben hat, her.
Meber yerfüönlihe Leiden und Freuden hat Pfarrer
Gender, außer dem nothwendigen Eintrag der Geburt, Ver—
heiratbung und Tod von Kindern, keinerlei Bemerkungen
feinem SKirchenbuche eingeflochten. Er ſcheint in ftiller
Abgeichiedenheit von der Welt nur feinem Berufe gelebt
zu haben; felbjt die wichtigen Begebenheiten feiner Zeit
berührt. er nicht, objchon er gegen das Ende feined Lebens
fo jchwer davon betroffen wurde, ja dieſes felbit wahr
Icheinlich die Folge davon war. Die einzige perjönliche
Unbilde, bie er auß dem 30jährigen Krieg mit zitternder,
ſchwer zu leſender Handſchrift eingetragen hat, datirt vom
16. October 1631, den 18. Sonntag nad) Trinitatis, wo
er zu Klesberg eine Taufe verrichtet hatte und nun von da
„von zwei franzöfiichen Neutern wie ein armer Sünder gen
Hinterfteinau in den Wald gefchleppt, won ihnen beraubt,
ftrangulirt und fonft jämmerlich gepeinigt wurde." Das
ift der einzige Eintrag von ihm, woraus man einen Schluß
auf jene Zeiten machen fann. Um fo freundlicher aber ift
das Bild und um [po lieblicher find deſſen einzelne Züge,
das uns aus einzelnen Bemerkungen vor dem 30jährigen
Kriege entgegentritt. Die junge reformirte Kirche ftand da,
wie Die rechte Braut des Herrn, in heiterer Unjchuld und
fittliher Würde und übte eine mächtige Anziehungskraft
und hohe Begeifterung auf alle Angehörigen aus. Die
Kirchenzucht wurde, wie das im Weſen der reformirten
Kirche lag, ftreng gehandhabt und felbft ver Arm der welt-
Yichen Obrigkeit in Anſpruch genommen, wenn die geiftliche
Zucht einige Halsftarrige oder Unfittliche nicht zur Buße
bringen konnte; der „Arreft” bewirkte das Gewünſchte,
wenigften® äußerlich. Man würde aber fehlſchließen, wenn
52
wenn man glauben wollte, ein finfterer Ernſt babe auf
dem Leben von der Kirche aus gelagert; im Gegentheil
finden wir unjchuldige Vergnügen und heitere Luſt bei jeder
Gelegenheit und die Anmwejenheit des Pfarrer8 genügte
um eben fo fiher Exceſſe zu verhüten, wie die Gegenwart
des Vaters im fröhlichen Kinderkreis. Ein jeder Ort, an
welchem eine Kapelle oder Kirche ftand, feierte auch fein
Kirchmweihfelt, das von der Nachbarichaft befucht wurte,
Es finden ſich die Kirchweihen von Schlüchtern, Steinau
und faft fümmtlihen Dörfern der Umgegend gelegentlich
erwähnt; aber nirgends deutet die leifefte Bemerfung darauf
hin, daß Unzucht und Rohheiten dadurch feien befördert
oder hervorgerufen worden; bie ftellten fich erft ein, als
man nach dem 30jährigen Kriege anfing flatt des überall
üblichen Obft- und Traubenweind — Schnaps zu trinken.
Zwiſchen dem Pfarrer und feinen Pfarrfindern beftand ein
vertrauliche® Familienleben, wie das aus vielen, in bie
Kirchenbücher niedergelegten, Bemerkungen und aus den
öfteren gegenfeitigen Gevatterichaften erfichtlich ift. Die
Kinder der Armen wurden durch die angefehenften Perfonen
des betreffenden Ortes oder der Umgegend zur h. Taufe
gebracht; bei unehelichen traten in der Regel mehrere Pathen,
bald „10 unterschiedliche Weibsperſonen“, „8 Knechte“,
bald bejtimmt genannte wohlhabende Gemeindeangehörige
auf, die dann die übliche „Zeche“ ftellten. Die Gevatter-
Ihaften wurden häufig zur Schauftellung des guten Willens
und großen Reichthums benutzt. So hatte noch im
Sahre 1630 „eine ledige Gevatterin 25 ledige Perfonen
bei fich zur Kirche und Tiih” und im Jahre 1632 erfchien
der Pathe „Schultheiß Schönlamb von Hutten zu einer
Zaufe in Elm mit einem Comitat von 45 Mannsperfonen
und 15 Weibern.” Uneheliche Geburten waren höchft felten
und die Mütter folcher Kinder gehörten nicht immer ber
reformirten Kirche oder der betreffenten Gemeinde an.
Das f. g. Unterlandgehen, d. h. das Arbeitsfuchen in der
53
Umgegend Hanaus und Frankfurts war auch damals üblich,
und wie heute noch ein Anlaß zu Unjittlichkeiten und unehe—
lichen Geburten. Derlei Fülle finten fich ausdrücklich in
den Kirchenbüchern erwähnt. Won 1596 bis 1636 wurden
zu Hinterfteinau 5, zu Wallroth 8, zu Klesberg mit
Merzel 7 und zu Reinhards 1 unehelihe8 Kind geboren,
eine Zahl, die jetzt jährlich erreicht, ja noch übertroffen
wird, Mit welcher jittlihen Entrüftung Pfarrer Gender
derlei Fälle eingetragen, will ich an einem Beifpiele, dem
einzigen zu Reinharts zu feiner Zeit geborenen, unehelichen
Kinde, zeigen. „1614 den 30. März ift Marien, Hand Gerich8
feligen binterlafjenen Tochter ein Hurenfind getauft worden,
defien Vater fich dazu befannt Klaus Herd, ein junger
Maulaff zu Hofjenfeld, weicher zur Zeit der Pet zum Rein
hards gedient. Vermuthlich ift der rechte Vater einer auß
den Nachbarn dajelbfl. Tempus docebit.“ Solchen, die
in vielen Jahren die Kirche nicht befucht hatten, wurde das
firchliche Begräbniß verfagt. Würde dieſe Strenge jekt
gehandhabt, jo würden in den Städten die Pfarrer nur
jelten den Zodtenhof zu betreten haben. Wo Verdacht
eines unfittlichen Verhältniffes vorlag, da wurden die Be—
treffenden nicht eher getraut, bis fie zuvor die „Kirchen
dißciplin ausgeſtanden.“ Obſchon die medieiniſche Wilfen-
haft Damals noch in Kinderjchuhen ging und man von
Apothefen ſo gut wie gar nichtd wußte, an deren Stelle
„Theriakskrämer“ herumzogen und ihre Waaren feilboten,
erreichten Die Leute Doch, oder vielleicht gerade deshalb, ein
hohes, kräftiges Alter. Sp ließ im Jahre 1608 Peter
Scleih von SHinterfteinau, nachdem er ſich erft ein paar
Jahre vorher verheirathet hatte, ein Ehemann von 80
Fahren, ein Kind taufen. Sch werde fpäter noch einen
ſolchen Fall erwähnen.
Da Pfarrer Gender dahier ziemlich fern von der
Heerftraße lebte, jo ift wohl darin der Grund zu ſuchen,
54
daß er wenig von den Leiden des 30jährigen Kriegs in
deffen erfter Hälfte zu fühlen befam und taher, ta er fi
bei feinen Einträgen in tie Kirchenbücher ſtreng an bie
Sade hielt, auch keinen Anlap fand, Darüber Bemerkungen
niederzulegen. Aber auch er mußte ten Becher ter Trübjal
bi8 auf die Nagelprobe leeren; mit zerftörender Gewalt
brachen die Leiden dieſes Krieges in jeine friedliche Ab-
geichiedenheit herein und vernichteten fein häusliche Glück
für immer. Die am 14. September 1634 in Schlüchtern
und der ganzen Umgegend durch die Kaiſerlichen, namentlich
Kroaten und Spanier ausgeführte Landesplünderung, die
Pfarrer Beilinger (vergl. S. 42) berichtet und deſſen Eintrag
ich ſpaͤter mittheilen werde, zerftörte fein ganzes häusliches
Glück, beraubte ihn einer Tochter, die von den genannten
Räubern als Beute mitgenommen wurde, und er 309 fi
im folgenden Frühjahr nah Schlüchtern zurüd, wo fein
Bruder Valentin Stadtichultheiß war und ift dafelbft, ohne
von da aus weitere Einträge in die Kirchenbücher vollzogen
zu haben, gejtorben. Der betreffende Eintrag im Kirchen-
buche zu Schlüchtern lautet: „Den 15. Februar 1636 Herr
Eberhard Gender, gewejener Pfarrer zu Hinterfteinau. Iſt
auf dem Hoßpitalgader für dem Oberthor begraben worden.“
Wunderbarer Wechjel der Dinge! Die kojtbaren Grab—
denkmäler in der Klofterkirche, von denen theilweife noch
ein Berzeichniß aus dem vorigen Jahrhundert vorhanden
ift, und in der Pfarrfirche find verjchwunden; aber ver
einfache Stein auf feinem und feine Bruder gemeinjchafts
lihem Grabe, über das alljährlih der Pflug gebt, fteht
noch aufrecht und gut erhalten, und verfündet beider Namen
Stand und Alter; ihre fterblihen Hüllen ruhen in ftiller
Einſamkeit und erfreuen fich einer ungeftörteren Ruhe, als
die Gebeine der Aebte des Klojter8 und der Adeligen aus
der Umgegend in ihren Erbbegräbniffen. So ift vor
Kurzem wieder ein ſolches Gewölb erbrochen und ein s. v.
*
55
Abtritt hineingeleitet worden und habe ich mit eigenen Augen
die Todtengebeine zerſtreut umher liegen geſehen.
Um ein getreues Bild der Zeitverhältniſſe zu liefern,
will ich nachftehend aus Pfarrer Feilinger8 Kirchenbuche
(vergl. S. 42) einige wortgetreue Auszüge liefern. Faſt
jeder Eintrag in eins feiner Kirchenbücher gab dem reich-
begabten Manne Anlaß zu einer Bemerkung, die fich in
unferer Zeit freilich oft jonderbar genug ausnimmt. — In der
Zeit des 30jährigen Krieges, die er verlebie Citarb 1635
an der Peſt) find feine Bemerkungen bald Wehklagen über
die Noth der Beit, bald Gebete un Frieden, oft in den
ſchönſten Iateiniichen Berjen, bald fromme Wünſche für
Guſtav Adolph und den Sieg der evangeliſchen Reichsſtände
und der reinen reformirten Lehre, bald kurze Berichte über
örtliche Borfüle und perſönliche Erlittenheiten. Im Anfange
des 30jährigen Kriege klagt Feilinger beſonders über
Theuerung. Nur einige wenige Auszüge will ich mittheilen.
1621, den 16. Maui: „Wein Eoft die Maaß 12 gute Baten.
1 Malter Korn Eoftet anderthalb Reichsthaler, der Thaler
aber gilt 9 auch 10 fl. (ſ. g. DOrtögulden a 15 Fr.)
1621 Juni: „Die Jungen, welche in dem Ausichuß, haben
mit ihrer Rüftung zu Hanau müſſen erjcheinen und Die
Wacht verjehen.” 1622: „Gar forgliche, fchwere, theuere
und gefährliche Zeit vorhanden.” „Die Zech ill zu Kreſſen⸗
bach gehalten worten in Hund Stafen Haus. 1 Eimer
Mein 32 fl. Alles gar theuer in allen Saucen. Korn,
Wein, Schmälzel, Geld und Münz gar hoch und heuer.“
Welche Anforderungen an-die Gemeinden gemacht wurden,
zeigt u. a. folgenden Eintrag: „1623, 16. Januar. Neben
anderen Sachen und Bictualien bat zu der Zeit Breidenbady
wöchentlich nach Steinau geben müſſen 18 Malter Safer
und Kreſſenbach auch jo viel.” Bon da an. war faft jeder
Gang nach einem feiner Filiale mit Lebensgefahr für ihn
verbunden geweſen. Die firchlihen Handlungen wurden
heimlich in den Wohnungen der. Angehörigen verrichtet,
4
56
wobei Wachen ausgeſtellt wurden, um fich vor Ueberfällen
zu fichern, und doch mußte er. oft eiligft entfliehen, wurde
von feindlichen Truppen verfolgt, irrte im Felde umher,
verbarg fich hinter Heden und Sträuchern und ſchlief unter
freiem Simmel, fo gut es gehen wollte. In hiefiger Gegend
und gewiß auch anderwärts, wurde nach und nad) ſämmt—
liche friegstaugliche Mannjchaft, ledig und verheirathet, theils
zum Kriegsdienſt gezwungen, theild erwählte man folchen
als Nahrungszweig; die Weiber der verheiratheten Männer
begleiteten dieſe gewöhnlich ind Feld. Die Taufbücher
geben dafür viele Belege an die Hand. Es lag duher für
Beilinger der Gedanke jehr nahe, vom geiftlichen Stande
zu fügen: „Die Prediger find geiftlihe Werber zur Ver—
mehrung des Reichs Gottes unter dem hochlöhlichen Panier
Jeſu Ehrifti.” Die immer allgemeiner werdende Notb- und
Theuerung legte den Wunſch, ja die Nothwendigfeit fehr
nahe, die überflüjfigen und höchit Eoftfpieligen „Kindszechen“
abzuichaffen Schon unterm 16. Januar 1623 fchreibt
Zeilinger: „In Schlüchtern find die Zechen bei den Kind—
taufen eingeftellt und aljo auch durch meine Anordnung
außerhalb, weil der Wein gar theuer und die Traurigkeit
gar groß”; man ift aber offenbar mit diefen Anordnungen
nicht durchgedrungen, da eilinger bis zu der Landes—
plünderung aus allen Orten feiner Pfarrei folche Zechen
noch erwähnt und fich öfters gegen bie üble Nachrede der
Bauern beichwert, als thue er dabei des Guten zuviel.
Sehr naiv jagt er einmal bei einer folcher Veranlaſſung:
„Sollt ein Minister Dei, welcher feinen Wed oftmals nit
vetzehret, nicht Macht haben irgend ein Viertel zu nehmen,
Damit er feine Kinder erfreuen möge? Was über Land
getragen wird, ift immer annehmlicher, al8 was man zu Haufe
ißt.“, und jpricht verjchiedene Male den Vorſatz aus, an
ben Zechen fich gar nicht mehr zu betheiligen, „feine Gebühr
müßten fie ihm ja doch geben.” Man fieht hieraus, wie
die DBetheiligung eines Geiftlichen an Kindtaufs- und
57
Hochzeitsihmäußen feine großen Bedenken und Gefahren
für denfelben hat, bejonder8 wenn er ein Anfünger oder
in feiner Gemeinde noch nicht heimiſch iſt. Eine Unfitte
it übrigens fo leicht nicht eingejtellt. Wie lange find die
Trauermahle bei uns jchon verboten und doch finden jolche,
zum wehigiten in biefiger Gegend, noch regelmäßig ftatt,
Die Unfitte zwingt die unfelbitftändige ländliche Bevölkerung
etwas zu thun, was zweifellos mit der Trauer im Herzen
nur ungern geſchieht. Ich habe das in diefen Tagen wieder
erlebt, wo ein unglüdliches Elternpaar fein letztes, das
zehnte Kind jammernd zu Grabe geleitet hatte, und nun
mit Thränen in den Augen vor dem Kirchhofsthore die
Sreunde und Verwandten aus der Schaar der Kirchengänger
herausbitien und Duzentweile in das Trauerhaus führen
und bewirthen mußte.
Beſonders hoch flieg Die Noth jener Tage für die
Evangeliichen nach dem Tode Guftav Adolph, wie überall,
fo auch in hieſige Gegend. Das Land lag größentheil®
wüfte; die unaufhörlichen Lieferungen und Einquartirungen
erpreßten und verzehrten den Einwohnern Die letzte Habe;
die Bevölkerung nahm, wie die Stirchenbücher darthun, ſchnell
ab und endlich führte die „bolackiſche Blünderung“ am 14.
Geptember 1634 und das unmittelbar darauf folgende
Landſterben einen Zuftand herbei, von deſſen Elend wir
in unfern Tagen ung gar feinen Begriff machen können.
Noch am 13. October 1634 lag Pfurrer Peilinger an den
Folgen der bei der Landesplünderung erlittenen Mißhand-
lungen Trank zu Bette und taufte jo ein Kind, „weil ich,
wie er wörtlich fagt, aus Mattigfeit und Berwuntung
von den Kroaten und Kriegsvolk bei der Ausblünderung
jämmerlich bin betrübt worden mit 7 Wunden, 5 auf dem
Haupt, 2 am linken Schenkel, ſammt tödtlichen Schlägen
mit Hämmern und Schwertern, alſo daß ich wegen todtes
Geblüt lang im Bett habe bleiben müfjfen in der Wärme,
weil ich nicht konnt auf dem rechten Schenfel treten, jäm=
58
merlid am Knöchel verleht. Das Geld und was Geldes
werth ift aus dem Land an Silber und Gold und Kleidung
und Zug- und Zuchtvieh an allen Orten. Ein Sammer
und Landichaden! Wo wird der Aderbau bleiben? D Land,
Land, Land! Gott wolle und in Gnaden wieder anjehen
und jein Wort der Seligfeit erhalten, auch zum täglichen
Brod Beförderung geben. Amen!" Sn April des folgenden
Jahres Elagt er wiederholt über das allgemeine Landfterben
(Bei) und jagt: „Seht gehen drei Ruthen mit einander:
bellum, fames, pestis.“ Er jelbft ftarb daran im Juni 1635.
Seine Kirchenbücher jchliegen mit der Anmerkung feines
Sohnes: „Weil.anno 1635 Hunger und Lanpfterben ein-
gefallen und der Leut im Amt wenig worden, wurden die
Pfarrgeſchäft vom Pfarrer in Schlüchtern beſorgt.“
Eine zweite Ausplünderung der Stadt Schlüchtern
berichtet daS Dafige Kirchenbuch im Jahre 1646, gibt aber
nit an, vom. wen folcdye verübt worden iſt. Zu jener
Zeit waren in Schlüchtern die Strohdächer noch allgemein;
ſelbſt das von Pfarrer Feilinger bewohnte Pfarrhaus in
der Pfarrgaſſe war damit gedeckt; auch berichtet derſelbe,
es ſeien in eine ſeiner Stuben Scheibenfenſter eingeſetzt
worden. Kirchenuhren waren ſchon damals ſehr allgemein.
Dieſe wenigen Auszüge aus Feilingers Kirchenbuch
mögen genügen, um ſowohl ein Bild von den Zeiten des
30jährigen Krieges in hieſiger Gegend zu geben, als auch,
um auf dieſe Bücher aufmerkſam zu machen, die für die
Lokalgeſchichte überaus wichtig ſind.
Was nun die Bevölkerungsverhältniſſe des hieſigen
Ortes zur Zeit Pfarrer Geyders anlangt, ſo wurden in der
Zeit vom 1. Januar 1596 bis dahin 1635 durchſchnittlich
im Jahre geboren 16 Kinder, getraut vor dem 30jährigen
Kriege 4 Paare und in der eriten Hälfte defjelben 2 und
begraben 8-9 Perſonen. Die Geſammtzahl der unehe—
lichen Geburten ift aus dem angegebenen Zeitraum, wie
bereit8 bemerft, 5.
59
Nah Pfarrer Geyders Abzug von SHinterfteinau und
Tod wurde die Pfarrei nach Schlüchtern eingepfarrt; von
dem nachfolgenden Pfarrer find dann die Getauften und
Getrauten aus den dafigen Kirchenbüchern in die biefigen
übertragen worden; ein Berzeichniß der Geftorbenen liegt
aber nicht vor. Es ergiebt ſich aus der Zljährigen Vacanz⸗
zeit der biefigen Pfarrftelle, daß turchichnittlich im Jahre
1 Puar getraut und 4 Kinder find getauft worden. Aus
diefem Nachtrage erführt man auch, daß die geraubte Tochter
Pfarrer Geyders (©. 54) fich als Witwe 1639 mit „Henn
Frölich von der Kaiferlichen Reuterei“ trauen ließ. Auffallend
ift e8, wie gerade in der letzten Hälfte dieſes ſ. g. Religions-
friege8 fo viele gemijchte Ehen mit Katholiken aus benach-
barten Orten geſchloſſen wurden; nicht auffallend aber kann
es fein, Daß gewöhnlich der eine Theil, oft beide, dem
Witwenſtande angehörten.
5) Am 3. Januar 1655 bezog Wolfgang Wilhelm
Werner, aus Weppersdorf in der oberen Pfalz gebürtig,
die biefige Pfarrjtele. Seine Einträge in die Kirchen
bücher kennzeichnen ihn als einen frommen, gewiffenhaften
und pünftlihen Mann. Er jchrieb die jegige Currentichrift
zwar jchnörfelreich, aber leicht leſerlich. Zur Suche nicht
gehörige Bemerkungen hat er nicht in den Kirchenbüchern
niedergelegt. Mit den Gemeindegliedern lebte Pfarrer
Werner in freundlichem Verkehr; mehrere derſelben haben
Pathenftelle bei feinen Kindern übernonmen. Auch zu
jeiner Zeit wurden viele gemiſchte Ehen dahier gejchloffen;
neue Namen kamen dadurch in Die Gemeinde; katholiſche
Zaufpathen werden zum dfteren namhaft gemacht; eine
dahier verftorbene Katholifin vermachte jogar der Kirche 5 fl.
Dies find Beweiſe genug, daß von eigentlichen Religions-
haß damals feine Rede mehr kann gewejen fein; der liegt
überhaupt nicht im Wefen des deutſchen Volkes, das ftet8
geneigt war, perfönliche Freiheit anzuerkennen, fondern ift
von außen her eingeführt und genährt und gepflegt worden.
60
Ehen wurden leicht geichloffen, das Zeugniß der ehelichen
Geburt war das einzige Erforderniß. Unter den Geſtor—
benen werden 3 Frauen aufgeführt, die begraben wurden
„mit dem Kinde im Leibe unter großer Betrübniß.“ Für
ſchwer Gebärende gab e8 Damals auf den Lande feine
Hülfe, fie mußten fterben! Die damals gültige Convents—
und Sabbathsordnung, von feiner Hand gefchrieben, ift noch
vorhanden und ein Zeugniß, wie man von Obrigkeit? wegen
nicht blos das fpecielle Firchliche Belenntuiß heben und
beleben, fondern auch durch Außerliche Zucht und Strenge
den früheren firchlihen Sinn wieder hervorrufen wolle.
Die Strenge mag damals ganz an ihrem Orte gewefen
fein und trug auch gute Früchte. Ein Full von Kirchen
buße liegt aus jener Zeit nicht vor und ein uneheliches
Kind wurde nicht geboren. Während feiner hiefigen Amts-
führung wurde den 17. Auguft 1660 die erfte Kirchenvifitation
zu Hinterfteinau gehalten, leider ift aber über den Befund
nicht8 angemerft. Vor dem 30jährigen Kriege war ein
conventus classicus im Gange, eigentliche Kirchenvifitationen
aber nicht. — Die Durchſchnittszahl der Geborenen über-
haupt ift jührlih 5--6. Zu Ende des Jahres 1664 309
Pfarrer Werner von bier ab und im Oetober defjelben
Sahres folgte ihm im Amte
6) Hermann Kircher und blieb dahier big Sep—
tember 1669. Ueber perfünliche Verhältniffe giebt das von
ihm geführte Kirchenbuch weiter feinen Aufichluß, als daß
ihm im zweiten Jahre feines Hierſeins, wie er bemerft,
ein jechfter Sohn geboren worden fei. Seine Handichrift
ift gedrängt, abgekürzt, ineinanderhängend; feine Einträge
find kurz, ungenau und unvollitändig; es läßt fich Daraus
nur das Eine erkennen, daß er weder Amtseifer noch)
Drdnungsliebe in bemerfbarem Grade gehabt habe. Unehe-
liche Kinder find zu jeiner Zeit in der ganzen Pfarrei nicht
geboren worden und Fülle von Kirchenbuße, in Gemäßbeit
der Convents- und Sabbathsordnung, liegen nicht vor.
61
Die Durchſchnittszahl der Geborenen ift 6, der Getrauten
und Geſtorbenen 2.
7) Nach dem Abzuge Kircher8 wurde Pfarrer dahier
$acob Jeckel, er bezog die hiejige Stelle im Detuber
1669 und blieb bis November 1677. An Bildung kann
derfelbe nicht hoch geftanden haben, wie feine Handichrift
und die Art feiner Einträge in die Kirchenbücher darthun;
aber unerjchrodener Amtseifer Tann ihm nicht abgefprochen
werden. Er legte ein neue Kirchenbuch an und fchrieb
auch die Verhandlungen des Presbyteriumd nieder und
wenn er auch in erftere8 keinerlei Bemerfungen, feine Zeit
oder Gemeinde oder Wetter betreffend, niedergelegt bat, fo
läßt fih aus dem letzteren um fo mehr Aufihluß und
Gewißheit über die fittlichen Zuftände des Kirchſpiels fchöpfen
und man kann da vom Slleinen einen Schluß aufs Große
ziehen. Die Sabbathordnung wurde ftreng gehandhabt
und SKirchenzucht ohne Anſehen der Perfon geübt. Wer
an Sonn- und Felttagen ohne Erlaubniß des Pfarrer
über Feld ging, wer die Kirche verfäumte, in bderjelben
Schlief, der wurte vor's Presbyterium geladen, verwarnt
und im Wiederholungsfalle auch um Geld geftraft. Furchtbar
roh und wüft muß das Leben Damals im. Allgemeinen, aber
befonder8 auf dem Rande gewefen fein; e8 kommen Ausdrücke
und Redensarten von jo entjeglicher Gemeinheit vor, daß
mir es die Achtung vor den Lefern dieſer Zeitfchrift unmöglich
macht, fie wieder zu geben. Pfarrer edel rügte fireng
jede Unziemlichkeit in Wort und That, fand aber ſelbſt bei
denen, die ihn in feinem Amte hätten unterftügen follen,
den Schultheißen, folchen Widerftand und Widerjpruch gegen
feine und des Presbyteriums Anordnungen und Rügen, daß
das Landgericht zu Schlüchtern angerufen werden mußte.
Das NRechtiprechen und die Verwaltung lag damals in den
Händen eines Fränzojen, der zum öfteren im Kirchenbuche
erwähnt wird und Amtmann in Steinau war, eines franzöſi⸗
ſchen Edelmannes, Monsieur de Palis de la Moliere. Beſonders
62
halzftarrig zeigte fih der Schultheiß von Walroth „ein
Atheift, führt ein gottlojeß, ärgerliche8 und epicuräifches
Leben”, der immer dem Pfarrer den Gehorfam mit ten
Morten verweigert: „ich bin euer Bote nicht!“, der aber
doch endlich durch Antrohung eines unehrlichen Begräbniffeg,
wenigftend Außerlich, zum Gehorfam und Sinnesänderung
gebradyt wurde. Der Schultheiß von Hinterfteinau wird
verklagt, daß er „blutjungen Frauen, die leichtlich zu ver-
führen‘, nachftelle und werden auch Fülle namhaft gemadit,
wo ihm dies gelungen fei. Wenn aber der Ortsvorſtand
zweier Gemeinden durch unfittliched Verhalten Anftoß und
Aergerniß giebt, fo daß vom geiftlichen Amte gegen venjelben
eingejchritten werden muß, wie mag da das Leben der
Gemeindeangehörigen beichaffen gewejen fein? Ein ficherer
Schluß ift da freilich nicht zu ziehen, da Die Erfahrung
lehrt, daß Die „Spitzen“ oft faul find, während Der übrige
Körper gefund if. So jcheint ed auch hier der Fall geweſen
zu fein. Denn dag wegen Unzucht und Ehebruch Stirchen-
buße fei verhängt und abgelegt worden, darüber befagt das
Presbyterial-Protokoll nichtd. Nur ein Fall it angeführt,
der fo aufgefaßt werden fann und den ich ald Beweis bier
mittheilen will, wie ſcharf in jenen Zeiten der Einzelne
von allen Augen bewacht wurde. „Den 1. Yber (1677)
iſt Johannes Schedel, Hand Scheveld zu Weydenau im
ftift Fulda gelegen, ehelicher john undt Maria, Michel
Reichen gewejenen Mitnachbard alhie relicta filia cop.
worden, ijt Die braut ohne jchoppel und geläut in die
Kirche gangen, weil fie der gemeinen jage nuch ſchwanger
fein fol, will aber nicht® geftehen, welches dann Die Zeit
geben wird, Doch ift der frühzeitig beyichlaf offenbar, deß—
wegen fie gemelten Schadens halb heyrathen müſſen.“
Späterer Nachtrag: „Hat den 8. April in Steinau taufen
laffen und alfo beynah 4 Monat zu früb kommen; ift
Mir Pfarrer und Kirchenälteften abbitte geſchehen.“ Bemer—
kenswerth ift, daß die Schulmeifterin zu Wallroth, der
63
Zauberei beichuldigt, zur Kirchenbuße verurtheilt wurde.
Uneheliche Kinder wurden zur Zeit Pfarrer Jeckels dahier
nicht geboren, außerdem aber durchjchnittlich im Sahre 10
Kinder; getraut wurden 2 Paare und geftorben ind 7
Perſonen im Jahre,
Im Sahre 1677 wurde die Benölferung der Pfarrei
Schlüchtern, wozu damald nach Ausweis des betreffenden
Kirchenbudh8 außer der Stadt noch 9 Ortichaften und 2
Hofgüter gehörten, von dem zeitigen Pfarrer, der dieferhalb
von Haus zu Haus gieng, gezählt und weiſen diefelben
nah 30jährigem Frieden nur eine Bevölferung nach von
826 Seelen, wobei, den damaligen Beltand mit der Gegen—
wart verglichen, der Umftand bemerkbar ift, daß inziwiichen
die Bevölkerung der Stadt Schlüchtern fich nur verfünffacht
hat, die der Ortichaften aber verzehn- und zmwölffacht.
8) Auf Pfarrer edel folgte im November 1677
Johannes Petri aus dem Fürſtenthum Anhalt und
wurde nach vierjährigem Aufenthalte dahier, wo er nur
Pfarrvermwefer gewejen zu fein feheint, wieder dahin im
December 1681 berufen. Die von ihm geführten Kirchen
bücher würden feinen Blick in jene Seiten gewähren, da
er gewöhnlich nur die heilige Handlung ohne alle Bezeichnung
der Perjonen eingetragen bat, wären die Presbyterial-
Protokolle nicht deſto gewiljenhufter und umftündlicher von
ihm geführt worden. Aus ihnen erhellt, daß er ein treuer
Diener der reformirten Kirche war und ſtrenge Kirchenzucht
handhabte. Er padte das Landvolk an feiner empfindlichiten
Seite, am Geltbeutel an, und bewirkte, Daß von Seiten
des Presbyteriums hohe Gelditrafen gegen Diejenigen erkannt
wurden, die den beftehenden oder feitgejeßten Ordnungen
fich nicht fügen wollten. Verſäumniß der Schule wurde
mit 5 Alb., Verſäumniß der Kirche mil '/, bis 1 fl. beftraft.
welcher Strafe ſelbſt ter Schulmeifter einmal: verfiel. Weber
den Unfug in den Spinnftuben führte. er- wiederholt Be—
jchwerde, weniger wegen Anlaß und Gelehenheit zu fittlichen
64
Vergehen, als vielmebr wegen tem darin üblichen „Brant-
weiniaufen unt Kartenſpielen“ Petri ermäbnt zuerſt des
Brantweins, Ter bis auf dieſe Stunde das Verderben gar
vieler Bauern ift; in Betreff Tes Kartenipielens jei bemerft,
Lak es, wie aus einem Eintrage ind Presbyterial-Protokoll
aus Tem felgenden Jahrhundert berrergeht, üblich war, um
Schuhnägel zu ipielen. Ter Emit jeiner Amtsfüuhrung
war nicht chne Segen; er hatte tie Genugtbuung, daß
ter Schultheiß ron Hinterjteinau (S. 62) fi Temüthigte
unt Kirchenbuße ablegte. In ten 4 Jahren jeiner
- bhiefigen Rirfjamfeit wurde ein unehelihes Kind geboren
und tie auf fie fallente Schande beraubte tie Mutter
tejjelben ihres Verſtandes. „Ten 30. April (1678) ver
Stollen Katrin ein Hurenfint getauft, einer jo häßlichen
Tirne, alö man eine weit und breit finten fann, und weil
tie Dirne aberwikig worden, hat man ten rechten Bater
noch nicht erfahren.” Kine Bemerfung im Todtenregiiter
iſt auch von allgemeinerem Intereſſe: „Den 9. Nov. (1679)
Hand Legen hinterlafjene Wittib zu Wullrodt begraben
worten aet 79 ann. Nondum duodecim nata annos malri-
monium prima via iniit anno scil. seculi hujusdem duo-
decimo.” Eo frühe Ehen, obſchon nach römiſchem Rechte
und SKlirchenrechte zuläifig, mögen in ten deutihen Landen
noch wenige geichlojjen worden jein.
9) Am 15. Februar 1682 wurde tie Pfarritelle bezogen
von Georg Lotz. Derſelbe war vordem Pfarrer in Alten-
haßlau gewejen, fam als alter Mann hierher, wo der Reſt
feiner Kräfte von dem Vogelsberger Klima raich aufgerieben
wurde; er ftarb bereit? am 15. Mai defielben Jahres.
Seine wenigen Einträge, mit alter zitternter Hand geichrieben,
bieten nicht von Intereſſe.
10) Auf Lotz folgte im Amte Pfarrer Heinrid
Appel, bereit ein bejahrter Mann; er war von 1653
bi8 1658 Pfarrer in Gunphelm und Oberkalbach gewefen,
übernahm. hierauf das Rectorat des Gymnafiumd in
65
Schlüchtern und im Juni 1682 die hiefige Pfurrftelle. Trotz
ſeines Alter8 legte dieſer Pfarrer vielen Amtgeifer an den
Tag und fuchte den ftarfen Ansprüchen feines neuen Dienftes
möglicht gerecht zu werden; leider griff aber das unges
wohnte Klima und die nothwendig veränderte Lebensweiſe
feine Konftitution, wie er zum öfteren beklagt, allzuſtark an und
die Mühen des damals ſehr befchwerlichen Pfarramtes rieben
feine Kräfte jchnell auf; er ftarb bereit$ den 13. Juli 1685.
Die Handichrift und Schreibweile dieſes Mannes ift
gedrängt, abgefürzt, Flein und ganz eigenthümlich und da—
nach zu urtheilen muß er viel Bildung befeffen haben, aber
ein Pedant geweſen fein. Seine Einträge find genau und
ausführlich und er gab fich die Mühe fehlerhafte oder mans
gelbafte Einträge feiner Vorgänger zu berichtigen. Faſt
immer findet er Anlaß, feinen Einträgen eine Bemerkung
einzuflechten, die zum Theil von lokal-hiſtoriſcher Wichtigfeit
find, meiften® aber das Klima und Wetter betreffen. Der
Winter ijt „zu graufam kalt“, noch im März ift „die Kälte
jo groß, wie mitten im Winter”; im Frühjahr „Liegt der
Schnee ellenhoch auf den Gebirgen, in Schlüchtern und
Steinau ift er ſchon vor 3 Wochen weg”, oder „es ift
wieder ein dürrer, trodener, kalter Frühling, wie vorm Jahr“.
Im Eommer flagt er mitten in der Heuärnte: „Seit drei
Wochen regnet e8 faft täglih und leidet das Heu große
Gefahr wegen Fäulniß. Wenige Tage vor Johanni hat
ed gefroren und ift der Haiden fehr erfroren und der zarte
Waizen“; im Herbite kommt ihm der Winter zu früh und
er beflagt im November, daß „der Schnee jehr tief und
viele Külte fei, faft ftärfer al8 vorm Jahr“. Diefer Schil-
derung des Vogeldberger Klima's entjpricht auch Die Gegen—
wart noch. Im Winter feufzet er über Zuttermangel; „das
Vieh leidet große Noth und ift fein Stroh zu befommen;
da8 halte Schock koſtet 4 fl." In dieſer Jahreszeit
fonnte er mehr wie ein Mal wegen großer Külte und tiefem
Schnee nicht nach Wallroth, um Berftorbene zu beerdigen,
66
„und ob fie wohl ale Pferde haben, jo haben fie doch
Niemand herüber geſchickt, um die Urfache des Ausbleibeng zu
vernehmen“. Land und Leute find noch diefelben! Die Todten
wurden im Winter auf Schlitten aufden Todtenhof gefahren,
wenn man fie „wegen tiefem Schnee nicht tragen Tonnte”;
Kinder „im zurten Alter” geftorben, wurden „alter Gewohn=
beit nach ohne Gefang und Predigt, ohne Beifein des Pfarr⸗
herrn's und Schulmeiſters begraben”. Neben diefen örtlich-
Himatiichen Notizen bat Pfarrer Appel feinen Kirchenbüchern
auch Iofal=hiftoriiche von Bedeutung eingeflocdhten. Gele—
gentlich einer Taufe, wo die Mutter des zu taufenden Kindes
aus dem benachbarten Hauswurz war, das damals zu ber
Jutberifchen Pfarrei. Freienfteinau gehörte, bemerkte derfelbe
unterm 4. Dezember 1684, e8 jei „dieſes Dorf Durch gütige
Transaction unter Fuldiſche Botmäßigkeit vollkömmlich,
doch die Religion vorbehalten, gekommen“. Dieſer Vorbehalt
war ohne Wirkung. Die neuen Unterthanen des Fürſtabtes
zu Fulda, die vordem unter „Freiherrlich von Riedeſel'ſcher
Botmäßigkeit“ geſtanden, mußten alsbald Die Religion wech—
ſeln, und das ging damals ſo leicht von ſtatten, wie heutiges
Tages der Wechſel in der Uniformirung eines Regimentes.
Hauswurz iſt dermalen ein ganz katholiſches Pfarrdorf; es
iſt aber die Erinnerung an den früheren evangeliſchen Glau—
ben darin noch nicht erlofchen. Um dieſelbe Zeit, und auf
diefelbe Weile, erfolgte die Lostrennung und Katholifirung
eines Filial8 von der Mutterficche dahier, nämlich Klesbergs
(vergl. ©. 45) ſammt Zubehör, die Pfarrer Appel fo nahe
berührte. Die Preudigkeit, für feinen Glauben zu leben
und zu fterben, war durch die Leiden des 3Ojährigen Krieges
gebrochen und vernichtet; man 309 e8 vor „zu leben" und
fügte fich in da8 Unvermeidliche Damals eben fo widerſtands⸗
108, wie in unferen Tagen in die politiichen Windftrömungen.
Man rühmt mitunter das ftarfe Glaubensleben der Vergan⸗
genheit; allein Vorgänge, wie die berichteten, wären in unjeren
Tagen auf diefem Gebiete ein Ding der Unmöglichkeit.
67
Pfarrer Appel hat in feinem Kirchenbuche auch ein
Beiſpiel von der Zeugungsfähigkeit des höchſten Alters ver-
zeichnet, das, wenn er es gefannt hätte, der verftorbene
geheime Medizinalrath Schneider in Fulda gewiß in feine
Abhandlung über dieſes Thema, nebft dem ©. 53 berichteten,
würde aufgenommen haben. Am 12. Februar 1684 wurde
„dem Unterfchultheiß Hartmann Henkel vahier, 80 Jahre
alt, eine Tochter getauft”.
Die fittlichen Verhältniffe des Kirchipield waren, für
jene Zeit, gut; die ftrenge Handhabung der Kirchenzucht
durch jeine Vorgänger und durch Pfarrer Appel bewirkte,
wenn auch zunächft nur Außerlich, Daß der Sinn für Ord—
nung und Gefeßlichkeit gewedt und dieſe zum gemeinen
Beiten für nothwendig erkannt wurden, Kein Verbrechen
ift von Pfarrer Appel erwähnt, kein uneheliches Kind zu
feiner Zeit geboren; jedoch find 3 Kirchenbußen vor der
Gemeinde nambaft gemacht, die eine von hier, wegen „Ehe—
Bruch mit einer fuldifchen Dirne”, die anderen von Filialen
wegen unehelichem Beilchlaf vor der Hochzeit und bemerkt
derjelbe beim Eintrag der Kopulation von dem einen
Paare: „Nach der Cop. reichten fie eine feine, gemügliche
Mahlzeit, ihrem Stande gemäs“.
11) Nach dem Tode des Pfurrerd Appel functionirte
dahier als Pfarreivermweier bi8 zum Jahre 1687 Johann
Edard Kerften. Seine Einträge in die Kirchenbücher
find höchſt dürftig und hören leider nach kurzer Zeit ganz
auf; ein Presbyterial-Protofol hat er gar nicht geführt.
Der junge Dann jcheint ſehr ungern gejchrieben zu haben
und bat darin bedauerlicher Weije viele Nuchfolger unter
den Pfarrern. In der Führung der Kirchenbücher hat er
fih jelbit ein Armuthszeugniß ausgeftellt.
12) Zu Ende des Jahres 1688 kam gleichfalls als
Pfarreiverwefer Johann Benjamin Schaffnidt
bierher, 309 1690 wieder ab und wurde Lehrer am Gym-
naflum zu Schlüchtern. Auch feine Einträge a die Kirchen⸗
68
bücher find äußerſt flüchtig und dürftig und wegen jchlechter
Schrift und Dinte oft geradezu, jelbjt mit der Loupe, un—
lejerlih. Zwei Beifpiele mögen genügen, da alle in ähn—
liher Weife lauten: „Cop. 1689 den 12. Februar der
Pfarrherr mit feiner Liebfien.” „Begraben Klaus Koeler
zu Hinterjteinau den 14. September.” Daß jolche Einträge
feinen erniten Charakter verrathen, leuchtet Sedem ein und
ebenjo, dag wenn zwei junge Männer nacheinander 5 Jahre
lang mit gleicher Nachläjligfeit die Gefchäfte des Pfarramts
erledigen, die Gemeinde darunter leidet und die Zucht und
die gute Eitte verloren geht. Wer im Kleinen nicht treu
ilt, der ift e8 im Großen aud nicht.
13) AS wirklicher Pfarrherr zog im Juni 1690
Johannes Frank auf und blieb bis zu feinem, am 16.
Februar 1724, erfolgten Tode dahier. Die von ihm geführten
Kirchenbücher und Protokolle zeigen von Anfıng bis zu
Ende eine ſtets gleiche jaubere und nette Handſchrift, in
der fich aber ein weichlicher und weibiſcher Churufter aus—
\pricht; feine Einträge find furz, enthalten das Nöthigite,
aber auch fein Jota mehr. Die wenigen, aus den erjten
zwanzig Jahren feiner hiejigen Dienjtzeit vorhundenen, Pres—
byterial-Protofolle enthalten weiter nichts, als die jährliche
Neuwahl der Kirchenrüger; erjt von 1711 an enthalten fie
mehr, obichon auch nicht viel. Der gute Mann liebte
offenbar die Ruhe und ließ der Welt ihren Lauf. Keiner
feiner Einträge verräth den mindeſten Antheil an den Er—
eigniffen und Zuſtänden feiner Zeit von Nah und Fern,
wie folcher doch an Beilpielen vor ihm und nad) ihm wahr—
zunehmen ift, und ten fundzugeben die zwangloje Führung
der Kirchenbücher Damals jo leicht und natürlich geftattete,
Sp mager aber auch die Kirchenbuchführung Durch Pfarrer
Trank ift, jo giebt fie doch hinreichende Merfmale an die
Hand, ebenſowohl zur VBeurtheilung jener Zeit und der
fittlihen Verhältniffe in biefigeer Gemeinde, als fie auch
deutlich darthut, wie die Schlaffheit des Hirten, bei aller
69
ſonſtigen Gutmüthigfeit, der Heerde zum Nachtheil gereicht,
und wie Vermwilderung gar bald da einreikt, wo die Zucht
aufhört, die nun einmal tie „Kinder an Verſtändniß“ nicht
entbehren können, ohne ſich jelbft Schuten zu thun. Ein
feindliche3 Gegenüberftchen ter Confeſſionen kann zu feiner
Zeit in hiefiger Gegend nicht jtattgefunden haben; es muß
vielmehr ein freundlicherer Verkehr obgemaltet haben als
heutigen Tages, wo nur Ter Handel tie Leute verschiedener
Gemeinden und Kirchen mit einanter in Beziehungen bringt;
man erſieht Das aus den öfteren gemijchten Chen, ten
fatholiichen Gevatterfchaften und aus dem DBefuche ver
Kirchweihen an Eutholiihen Orten durch biefige Burſchen.
Mit den Verheirathungen muß e8 auch damals noch leicht ge=
sangen fein; Pfurrer Frank erwähnt einige Fälle, in denen
Paare „wegen überwiejenen unehelichen Beyjchlaf alsbald
mit Zuftimmung der Aeltern‘ getraut wurden. Kirchenbußen
wurden in der eriten Zeit feiner biefigen Wirkſamkeit noch
vor ter ganzen Gemeinde abgelegt, am Ende derſelben
gejchah jolches vor dem Presbyterium; Widerſpenſtige wurden
„durch Amtsbeſcheide“ zum Gehorſam gegen die Kirche ge—
bracht. Schlägereien mit tödtlichem Erfolge, namentlich
auf Neujahr, erwähnt verjelbe mehrere.
Pfarrer Frank berichtet 1693 die erfte Rirchenvifitatio,
die von da an alle paar Jahre regelmäßig bis in daß dritte
Decennium dieſes Jahrhunderts ftattfand; über die Refultate
derfelben findet fich von feiner Hand nichtE bemerkt. Don
1711 an hat aber der jeweilige, vijitirende, reformirte
Inſpector die nöthigen Notabened und Nefolutionen ſtets
eigenhändig in das Presbyterial-Protokoll eingetragen, In
dem genannten Sabre führte der damalige nfpeetor der
reformirten Kirchen und Schulen Friedrich Grimm zu
Hanau (ter Großvater der Gebrüder Grimm) ein neueß
Kirchenprotofoll ein „in welches alle vorfallende Kirchen>,
Schul- und Almoſenſachen künftig ordentlich vom Pfarrer
im Beifein der Melteften eingefchrieben werden follen.“
70
Bon da an mehren fi} daher hier Die Quellen zur richtigen
Würdigung der Zeiten und Berfonen und ich hoffe nichts
Ueberflüffige8 zu thun, wenn ich zu dem Ende einige Einträge
daraus veröffentlicde. Infpector Grimm machte eigenhändig
den erjten Eintrag mit folgendem Actum Wallroth und
Hinterfteinau den 6. September 1711. „Nachdem von
Hochgräflicher Regierung mir Commiſſion gegeben worden,
eine ſcharfe firaf und überzeugungspredigt gegen ben ein—
reißenden abergläubiichen Segeniprechen und Mißbrauch des
Namens Gottes in den jo genanndten Gichtbrieffen zu halten
und dabei einige Unterthanen, welche bisher mit jolchen
Gichtbrieffen abergläubifcher Weiß den Nahmen Gottes
gemißbraucht, mit Namen Michael Bertold, bisher Schul-
meifter, Hermann Fehl und Melchior NRüffer, öffentlich zu
cenjuriren und Kirchenbuße thun zu laffen, So habe ſolches
anheuth verricht und obgebachte Perſonen öffentlich Kirchen
buße ablegen laffen. Gott gebe, daß der großen Unwiſſenheit
gefteuert und der Nahme Gottes Fünftig mit folchen und
anderen Dingen nicht fo jchändlich verunehrt werden möge.“
Aus den Ermahnungen und Weilungen, die er darauf
folgen läßt, erfiehbt man, daß er mit dem ganzen Slirchen-
weſen dahier nicht zufrieden war, Kirchen, Kirchenrechnungen
und Stirchenzucht im Verfall und Unordnung fand und daher
privatim den Pfarrer Frank zu „grüßerem- eifer und fleiß
im Öffentlichen und häuslichen Gottesdienſt, in specie dem
Catechismo‘ ermahnte. Auch das reformirte Confiftorium
nahm Anlaß, demjelben eine ſehr fpecielle Dienſtanweiſung
zu überjenden, die mehr wie einen Tadel enthielt; aber es
Icheint, al8 fei der Mann aus der gewohnten Schlaffheit
nicht zu erweden gewefen. Zwar finden ſich von da an
die, an den monatlichen Bettagen abzuhaltenden, Presbyterial-
figungen regelmäßig verzeichnet, aber faft ftet3 mit dem
Zuſatz ‚wußte feiner was anzuzeigen” oder „es fiel nichts
vor.” Die Haußvifitationen und die Punkte, worauf er
babei zu jehen babe, waren ihm ftrenge vorgejchrieben,
7
nirgends findet fich aber ein NRefultat bemerkt. Einige wört-
lihe Einträge aus dem Presbyterial-Protofolle will ich
zum Schluße bier folgen laſſen. 1695. „Hierbei ift auch
zu merfen, daß in diefem Jahr auf angeben des Schul-
theißen eine Orgel, welche von Johannes Beten, einem
Bürger und Handeldmann in Steinau an der firaßen um
40 Reichsthaler oder 60 fl. erfauft und baar bezahlt, in
unjere Kirche gebracht worten, und hat man damals einige
capitalien, fo Die Kirche ausſtehen gehabt, erhoben".
1712 den 7. Dezember. „Mittmoh Monatlicher
Bettag wurde proponirt, daß die jungen Weiber, wie an
andern Orten, in ihren Stühlen, welche des Leſens erfahren,
fingen und Gott loben möchten, worauf aber nicht8 erfolgt“.
(Wurde ſpäter noch oft von demſelben vorgefchlagen und
von der Kanzel dazu aufgefordert, aber ſtets ohne Erfolg.)
„1714 den 26. Dezember wurde Presbyterium gehalten
und auf berrichaftlichen Befehl Joſt Lob und A. Marg.
Zirfelin copulirt. Zugleih auch wegen verübtem Muth-
willen unterjchiedlihe junge Leut um 7 alb. 4 Hlr. ab=
geftraft, machet zufammen 3 fl."
1716 den 2. Dezember am monatlichen Bettag wurde
erinnert die Spinnftuben abzuftellen und biergegen ben
catechisnum einem Jeden von der Jugend vielmehr durch⸗
zugehen“. (Beſtehen heute noch!)
„1718 den 5. Januar war monatlicher Bettgg, thate
eine Vermahnung an die Eiteften, es folle ein Jeder feine
Pflicht beobachten und etwa ftrafbare Dinge vorfielen, an-
bringen, wo auff aber nicht8 erfolgt“.
„1732 den 3. April am monatlichen Bettage wurde
erinnert auf die Juden, welche zumahl mit dem erhandelten
Vieh bin und her auf den Sonntag führen, gute Achtung
zu geben”. (Machen e8 heutige Tages noch gerade fo.)
Dies find Die einzigen erheblichen Einträge des Pfarrerd
Frank; und wie leiſe ift er danach aufgetreten !
Während jeiner biefigen Dienftzeit, vom 1. Sanuar 1690
72
bis dahin 1724 gerechnet, wurten turdichnittlih im Jahre
7—8 inter, und im Ganzen 7 unebeliche, geboren; da
tie Durchſchnittszahl Der Geſtorbenen 6 ijt, fo hut in Tieler
langen Zeit nur eine unbeteutente Vermehrung Ter Be—
rolferung jtattgefunten.
Pfarrer Trank bat offenbar jein Amt nicht Ten Tama=
ligen Inttitutionen der reformirten Kirche gemäs verwaltet.
Die refermirte Kirche legt großes Gewicht auf tie „Zucht“
und hat fich Durch dieſe von ter lutherijchen, tie hauptſächlich
„das Wort“ und „ten Glauben“ betonet, vortheilhaft aus-
gezeichnet; eben jo aber auch durch Ten fittlichen Ernit ihrer
Angehörigen und fie hat dadurch tem Gemeinwehl überall
die eriprieglichiten Dienfte geleijtet. Man Hagt in unjeren
Ichlaffen Zeiten viel über Herrichjucht und vergleichen, wenn
ein Geiftlicher, den Sabungen feiner Kirche gemäs, Kirchen
zucht handhaben und dem Sittenverterben und der Verar—
mung nad Kräften in feinem Wirfunggfreije jteuern will; aber
man klagt da über Etwas, worüber die Wenigften noch
nachgedacht oder Erfahrungen gefammelt haben. Der Geiit-
lihe muß nicht blos, will er ganz feiner hohen Aufgabe
genügen, Lehrer, Tröſter, Suframentenfpenter u |. w., wie
Manche meinen, fein, fondern auch Erzieher. Erziehung
ohne Zucht ift ein Unting. Sch behaupte, Die Handhabung
einer angemefjenen Kirchenzucht liegt im Intereſſe Der öffent-
lichen Wohlfahrt. Wo, und Dieje Ueberzeugung habe ich
durch das Studium der hiefigen Kirchenbücher gewonnen,
von einem ernften und würdigen Geijtlihen in Kreifen,
die noch erzogen werden müjjen, eine, den Verhält-
niffen angemefjene Zucht gehandhabt wird, nimmt Rohheit
und Unfittlichfeit nach und nach ab und Der Wohlftand zu;
wo aber aus träger Gutmüthigfeit oder citler Menjchens
gefälligkeit Alles gehen gelufjen wird, wie ed will, da ver—
faulen die Grundpfeiler, auf Denen das Wohl einer Ge—
meinde und eined® Landes beruhet. Möge die Geſchichte
der Pfarrei Hinterfteinau, mit den urkundlichen Refultaten,
⸗
13
die fie in diefer HSinfiht an die Hand gibt, etwas dazu
beitragen, da8 Vorurtheil gegen Kirchenzucht im Allgemeinen
zu vermindern.
14) Auf Pfarrer Franf folgte, und war ihm fchon zu
Lebzeiten cum spe succedenıli beigegeben gemweien, Konrad
Thomas NRepp und verjahb die biefige Pfarrſtelle von
Ende 1723 an bis in die Mitte des Jahres 1729, wo er
von bier ab und nah Marioß zog. Bald nach dem Tode
ſeines Vorgängers verbeirttbete er fi, hatte aber das
Unglüd, daß ihm feine fümmtlichen Kinder bier in frühefter
Jugend ftarben, wodurch ihm der Aufenthalt dahier verleidet
und er dadurch beitimmt wurde, bald eine andere Stelle
zu fuchen. Die Sterblichkeit unter den Kindern war Damals
eine ungemein große Als Urfache des Todes findet fich
dabei faft regelmäßig angegeben „die Blattern” oder „ein
engbrüftiger Huften mit Stickfluß“, wahricheinlich Die Hals—
bräune, an der auch jett noch dahier viele Kinder fterben.
Die Handfchrift Repp's ift eilig, abgekürzt und fo,
daß es fcheint, als habe er Damit den rafchen Flug feiner
Gedanken nicht ſchnell genug feizziren können; feine Einträge
in die Kirchenbücher entbehren daher öfters der nüthigen
Beftimmtheit und Bollftändigfeit. Alles Schriftliche aber,
was von ihn vorhanden ift, bezeugt, daR er ein eifriger,
pflichtgetreuer und furchtlojer Diener des Evangelium war.
Ihm bot fih Stoff zu Verhandlungen in den Sigungen
des Presbyteriums genug Gleich nach feinem Amtsantritt
wurden ſämmtliche gefallene Berfonen nebit ihren Verführern,
und darunter der eigene Eohn des Pfarrers Frank, vor
das Presbyterium gefordert und bier im Beiſein des alten
Pfarrers zum Geſtändniß ihrer Schuld gebracht und Kirchen-
buße ihnen zuerkannt. Er überwachte die gefegliche Subbath8=
ordnung aufs genauefte und hielt die Kirchenälteften und Rüger
\charf zur Erfüllung ihrer Pflichten an. Gegen „dag gott-
Iofe Kegeln, Würfeln und Kartenfpielen“ und gegen „das
Veberfeldgeben an Sonntagen” eiferte er nachdrücklich, ließ
74
unter dem Gottesdienit die „Saufbhäujer“ und die Privat-
wohnungen von den Slirchenälteften nach ten „jaumjeligen
Kirchengängern“ durchſuchen und handhabte alle Kirchen-
ordnungen „als Zuchtmeilter auf Chriſtum“. Dabei war
er auch Friedengrichter, legte Streitigkeiten bei und verjöhnte
Zeinte. Er fand, und tarüber enthalten feine Protokolle
viele Klagen, eine große Unwiſſenheit und Rohheit unter
der Tugend und arge8 „Saufen und heidniiche Bachanalien“
unter den Alten, was jchwarze Schatten auf die vieljährige
Dienftzeit feine Vorgängers wirft. Die Kirchenrüger be-
famen von ihm die Weijung „der Jugend ihren Muthwillen
in den Kirchen mit Stodjichlägen auszutreiben“. Zur Cha—
rafteriftif jener Tage will ich bier einen Full anführen, der
unterm 3. Suli 1726 protofollirt it, wo ein Mann von
bier, wegen Ehebruch de8 Landes verwiefen, nad
22 Jahren zurückkehrte und ibm nun „aus bejonderer hoher
Gnade” geftattet wurde, „Kirchenbuße zu thun und fich mit
der Kirche auszuſöhnen“.
Die Kirchenrechnungen find aus jener Zeit bis heute
volftändig vorhanden; aus ihnen will ich denn auch fortan
bemerfenswerthbe Bälle mittheilen. So betrug 5. B. 1723
dag Kirchenvermögen an Kapitalien 127 fl. und heute 1170;
an Grundzind und Handlehn hatte die Kirchenfafje eine
jährlide Einnahme von 7 fl. 5'/, Kr. Heute von den
Ablöfungskapitalien nur 5 fl. 15'/, Kr. Durch den Klingel-
beutel famen jährlich ein etwa 10 fl., heute 20. Brod und
Mein beim b. Abendmahle (damals wie heute diejelbe Quan=
tität).koftete 4 fl., heutiged Tages 25 — 30 fl.
Trotz feiner Strenge war Pfarrer Repp in der Ge-
meinde beliebt, wie man, wa8 nur noch bei Pfarrer Gender
(S. 52) der Fall war, aus den Gevatterichaften erjehen
fann, um die er von Gemeindegliedern angelprochen wurde.
Durchichnittlich wurden zu feiner Zeit dahier jührlich getauft
14 Kinder, fopulirt 2—3 Paare und begraben 6 Perſonen.
Uneheliche Geburten im Ganzen 3.
75
15) Johann Mauritius Kochendörfer war
fein Nachfolger und bezog vie hieſige Pfarritelle im Auguft
1730, verwaltete diejelbe bi8 Juni 1743, wo er nach Win—
deden fam. Er fcheint fi feinen Amtsvorgänger zum
Mufter genommen zu haben und ftand ihm in Nicht! nach.
Seine Handſchrift und ganze Buchführung ift der von Pfarrer
Repp zum Verwechſeln ähnlih; an Eifer und Treue ftand
er demfelben, wie die Presbyterial-Protokolle darthun, nicht
im mindeften nach, und hatte auch daſſelbe Unglüd, daß
ihm feine Kinder in zartefter Jugend an denlelben Kranf-
heiten ftarben Seine und feined Vorgängerd unnadficht-
liche Strenge gegen alle Sünden des Fleiſches bewirkte aber
auch, Daß von 1736 an bi8 zu Ende jeiner hiefigen Wirf-
ſamkeit nicht ein uneheliches Kind mehr dahier geboren
wurde. In den Predbyterial- Sigungen rügte er uner-
müdlich „da8 Kegeln auf Sonntage” und das „Brandiwein-
laufen bis in den Sonntag hinein“ und drohte dagegen
mit Excommunication. Da die Bettagsgottesdienfte wenig
befucht wurden, befamen die Kirchenälteften die Weiſung
„von Haus zu Haus zu gehen und nach den Urfachen
zu forſchen“. Durch ſolche Mittel fuchte Pfarrer Kochen
dörfer, dem Geifte jener Zeit gemäß, einen chriftlicheren
Sinn bier heimisch zu machen, was aber erjt feinem Nach»
folger gelang.
Aus den Kirchen-Pilitationd-Protofollen hebe ich fol=
gende Punkte heraus, die am büntigiten die fittlichen Ge—
brechen der Gemeinde charafterifiren. Den 18. Oftober 1733
„Segen das ftarfe Brandweintrinfen, das unzüchtige Leben
und das Auslaufen an Sonn= und Feiertagen, iſt auch mit
Amtshülfe zu arbeiten“. Den 16. Oftober 1740 „1) Dem
Auslaufen der Tugend auf die benachbarten Kirchmefjen
und Märkte ift ernftlich zu fteuern, auch mit Amtshülfe“.
„3) Der großen Unwifjenheit der erwachjenen Jugend ift
mit den nöthigen SKatechifationen zu feuern.” Aus den
Kirchenrechnungen ziehe ich nur den einen Poſten aus:
76
„1738 eine Kollecte zur Ranzionirung des in der Sclaverei
zu Algier figenden Johannes Wiegel zu Roßdorf 1 fl. 30 Kr.”
Während der 14jührigen Dienitzeit Kochendörfers
wurden jährlih 13, und im Ganzen 6 unehliche, Kinder
getauft, 3 Puare kopulirt und 9 Perſonen, darunter auch
einmal eine 100jährige Frau, begraben.
16) „Auf ihn folgte”, wie er fich ſelbſt eingetragen
bat, „fo ange Gott will, Johann Daniel Kent, aus
der Alt-Stadt Hanau, vom 25. Juli 1743 an, nachdem
fieben ganzen Jahr lung am dafigen gyınfasiv quartam
classem als Prüceptor verſehen. Der Herr verleyhe mir
nach feiner Gnade treue, willige Zuhörer und Thäter feines
Wortes, gefundheit, feegen und ftärfe in meinem Amte“.
Sein Öebet fand Erhörung und feine Wirkſamkeit war die
gejegnetfte von allen Pfurrern dabier.
Lentz verheirathete fih mit einer gebornen Schlemmer
aus Hanau und hatte, gleich feinen Vorgängern das Un—
glüd, daß ihm 6 Kinder „an einer ftarfen Bruſtkrankheit“
dahinſtarben. (Die Kinder machen noch immer ein Drittel
unter den Geftorbenen aus.) Wie aus der Art feiner Ein—
träge in tie Kirchenbücher erbellet, war Lentz ein gebildeter
Mann, der feines Berufes mit Ernft, Liebe und Treue
wartete, Dabei aber in dem engen Kreiſe jeined Berufes
nicht verbauerte und für die übrige Melt, ihre Leiten und
Freuden, nicht abjtarb, fontern den, regſten Antheil an ten Er—
jcheinungen feiner Zeit nahm, wie man Ta8 von einem
gebildeten Manne nicht wohl anders erwarten kann. Lentz
bejchränfte fich in feiner Wirffamfeit nicht, wie jo Viele in
unjeren Tagen, in trauriger Rath- und Thatloſigkeit, auf
„das Wort“ allein; er haſchte auch nicht, wie Andere, nach
eitler Beliebtheit und überfah oder dultete Unfug, Rohheit
und Sittenlofigfeit, um fich feinen Verdruß oder feine Arbeit
zu machen; furchtlo8 und unermüdlich kämpfte er für chrift:
liche Zucht, Sitte und Ordnung und Drang auf Abſtellung
eingeriffener Mebelftände und landesüblicher Wildheit. Mit
77
der Schule fing er an und nahm Fehrer und Schüler unter
ftvenge Aufficht und bielt darauf, Daß die Sommers und
Winterſchule regelmäßig bejucht wurde. Die Sabbaths—
ordnung wurde ftreng gehandhabt. Die Spinnftuben waren
auch ihm ein Gräuel,- weil notorifch eine Quelle der Unfitt-
lichkeit, damals wie heute no! Seitdem das Brantweins
trinfen immer allgemeiner geworden, hatten mehrmals auf
Neujahr und Kirchweihen Schlügereien ftattgefunden;
denn der Brantwein regt alle thierifchen Leidenjchaften auf
und erzeugt eine unbändige Wildheit. Lentz beantragte daher
bei dem reformirten Eonfiftorium die Abftelung der Kirch-
weih, befam aber unterm 19. Suni 1748 den Beſcheid,
„daß man dies zur Zeit noch nicht für dienlich erachte; er
ſolle aber jedesmal von der Kanzel den Sonntag vorher
vor allen Ueppigkeiten und Exceſſen durch nachdrücklich zu
thuende, auf Vernunft und Chriftenthum fich gründende
Borftellung verwarnen und bei unterbleibender Remedur die
Sache wieder einberichten”. Natürlich unterblieb „die Re—
medur“! Wie wenig fennt man den Bauerncharafter, wenn
man meint, der große Haufe ließe fich Durch „Vernunft
und Ehriftenthbum“ leiten und regieren, Der Einzelne wohl,
aber nicht die Menge; kommt Dieje bei irgend einer Veran
lafjung zujammen, fo werden gewöhnlich ftille und Yaute,
heimliche und offenbare Variationen über das alte Thema
gefpielt: „Freuet euch des Lebens u. ſ. w.” oder es bricht
Hader, Zank und Streit 108 und Die Meijer werden
gezogen. Man wird da8 überall finden, wo der Brant-
wein ein, alle Zeit willfommener, Saft ift. Auf wieder
holten Bericht des Pfarrerd Lentz wurden daher die Kirch-
weihen in Hinterfteinau und auch in Wallroth abgeichafft
und find e8 biß heute. Es ijt damit wohl ein herkömm—
licher Anlaß zu „Weppigfeiten und Exceſſen“ bejeitigt und
für den Augenblid gewiß eine heilfame Strenge, wie ber
nächfte Erfolg zeigte, geübt worden; aber die Brantweinpeft
blieb und wo die einmal in einer Gemeinde allgemeinen
78
Eingang gefunden, erlahmt bei den Bewohnern nad) und nad)
alles fittliche Gefühl und alle Willenskraft. ine bleibende,
heilfame Wirkung äußerte Daher tie Abjchaffung der Kirch-
weih, fo gut gemeint fie war, dahier um jo weniger, weil
nach Pfurrer Leng ein gar fanited Regiment einzog und
weil ed nun Brauch wurde, zu jeder Zeit des Jahres Tanz⸗
beluftigungen zu halten und das Uebel aljo nicht ver-
mindert, jondern vervielfältigt wurde.
Im BVerfehr mit den Einzelnen war Pfarrer Lenk
zwar ernft, aber dabei freundlich und fanft; ftreitende Par—
teien juchte er zu verjühnen und wo ihm dies nicht jo gleich
gelang, ermahnte er, fich fo lange des h. Abendmahls zu
enthalten. Für die Rechte der Pfründe kämpfte er ritterlich
und hat manden Sieg erjochten, der feinen Nachfolgern
noch heute zu gute fommt. Don allen Pfurrern ift er bis
auf die Gegenwart der einzige, von dem noch Eoncepte jeiner
Berichte vorhanden find. Zu bedauern ijt nur, daß feine
Handſchrift Durch ungehörige Abkürzungen, blaſſe Dinte
und allzu enges Aneinanderrüden der Zeilen haufig geradezu
unleferlih iſt. Er Hat viele, freilich nur Iofalsintereffante,
Notizen über die ſog. jchlefiichen Kriege, Truppendurchzüge,
ftattgefundene Scharmüßel u. |. w. in die Kirchenbücher
niedergelegt und auch Beinerfungen über Wetter und Ernten
und dergl. eingejtreut.
Aus den Presbyterial-Protokollen, fo wie aus ten
Kirchenrechnungen will ich bier einige Auszüge folgen laffen ;
die Licht- und Schattenfeiten jener und unjerer Zeiten treten
ung daraus am erfennbarjten entgegen Unterm 28. Auguft
1743 hatte der reformirte Infpector Grimm „in Erwägung,
daß auf dem Lande durchgehends bei den Alten eine gar
Schlechte Kinverzucht ift" eine ernfte Mahnung an die Pfarrer
gerichtet „die Lehrer, Schulen und Tugend jcharf zu beauf-
fichtigen und in chriftlihe Zucht zu nehmen“ und kommt
darin unter anderen auch folgende Vorſchrift vor: „5) Unter
dem Gebet fol Alles ſtill und andächtig, ohne Geräuſch
79
und mit entblößtem Haupte mitbeten und nicht lachen,
plaudern oder Muthwillen treiben‘. Wenn auch in Betreff
ber Kinderzucht beim Landvolk noch dieſelbe Klage geführt
werden muß, jo find Doch in Beziehung auf dieſe Vorjchrift
unfere Zeiten goldene gegen jene. Je weniger die geijtigen
Fähigkeiten eined Menfchen, namentlich das religioje Gefühl
und der fittliche Wille, entwidelt und zum deutlichen Be—
wußtjein gebracht find, um ſo, weniger verfolgt er bei Er⸗
ziehung feiner Kinder irgend einen vernünftigen Zweck; es
ift ihm genug, wenn dieſe recht arbeiten und zum materiellen
Mohle der Familie beitragen können. Die allgemeiner gewor⸗
dene Bildung und die daraus entipringende öffentliche Wohl-
anftändigfeit nöthigt aber auch den roheften Bauern in unferen
Tagen an den Orten, die der öffentlichen Andacht geweiht
und bejtimmt find, ſich anftändig und gefittet zu benehmen,
Den 7. Suli 1745: „Nidelaus Jöckel, ſchneider dahier, |
hat die Orgelbalfen bißhero, jedoch nur wechjelömweiße, einen
Vers um den anderen, gezogen. Weilen nun ich, der
Pfarrer, jeder Zeit erinnert, daß Die orgel, wie auch aller
ortben gebräuchlich an einem Stüd mögte gefpielet werden,
ſo ftund Nikolaus Jöckel gänzlich davon ab, indem er von
feiner Bemühung weiter nicht8 als die Freiheit vom Brief>
tragen hätte von der Gemeinde.”
1750 unterm 18. März wurden „auf Smi. durchl.
gnäd. Refolution die Ehrenzechen auf Kindtaufen für gänzlich
abgeſchafft und verboten erklärt”, bejtehen aber noch heute,
jedoch in unfchädlicher Weile.
Aus Den Verhandlungen des Presbyteriums erbellet
auch, daß damals in ten Kirchen viel Streit und Zank
um die Plüge war, die der Pfarrer zwar gewöhnlich gütlich
beilegte, daß aber Doch auch zum öfteren, in Gemäßheit
der Sabbathdordnung, Strafen mußten erkannt werden.
Sit heutige Tages auch nicht mehr nöthig. Die Ausgaben
für Arme aus der Kirchenkaffe nahmen unter Pfarrer Leng
fortwährend ab und hören endlich ganz auf, während bie
80
Einnahme durch den Klingelbeutel, bei einer halb ſo großen
Bevölkerung wie heute, ſich zu demſelben Betrag wie jetzt,
erhob, was Alles eine erfreuliche Zunahme des Wohlſtandes
darthut und dieſe erkenne ich als die natürliche Folge der
Zucht, Ordnung und Geſetzmäßigkeit, die zu ſeiner Zeit
im Kirchſpiele herrſchend wurde.
Unter den Kollecten ſind nur folgende von allgemei—
nerem Intereſſe:
1757. Für die Garniſonskirche in Kaſſel 2 fl.
1759. Zur Reparatur der bei der Bataille zu Bergen
ruinirten Kirchen-, Pfarr- und Schulgebäude 1 fl. 30 Kr.
Sodann hebe ich aus den Kirchenrechnungen noch
folgende Poſten heraus: |
1763. Zur Mufif beim Friedengfeft, wozu die Ge—
meinte tie Hälfte Keften gegeben 2 fl. 1764. Zu Smi.
hochf. durchl. glücdl. Ankunft und Regierungsantritt zu
Hanau verwentete Koſten 1 fl.
Ich übergehe der Kürze halber hier vieled, jenen
Zeiten Eigenthümliche, aus dem man erfehen kann, daß
ed, troß aller Schwarzjeherei, Loch in gar vielen Stüden
ſchöner und befjer in der Welt geworden ijt, und will bier
nur ncch Etwa aud dem Presbyterial-Protokoll nachtragen,
was fich nicht wiederholt hut. 1776. „Auch muß zum
immerwährenden Antenten merken, daß Ihro Hocfürftl.
Durchl. der Herr Landgraf Wilhelm, Erbpring von Hefjen-
Caſſel, unßer durchl. Landesfürit, ven 2. Juni morgens
nach 9 Uhr von Wallroth hier angekommen. Höchittiejelben
wurden vom Pfarrer mit einer Anrede und Darauff erfolgten
Bivatrufen von ter ganten gemeinde unter Dem geläuth
der gloden freudigft empfangen, und nachdem Sie vor dem
Forſthaus ein wenig abgejtiegen, ritten Sie nach Reinhards
und famen nach etwa 1 jtunde ebenfalls unter dem geläuth
der glocken wieder hier Durch nach Kreſſenbach, Breidenbad)
und Steinau.“
Pfarrer Lenk ftarb dahier im 53. Lebensjahre, den
\
81
10. Dezember 1765, menſchlichem Urtheile nach zu früh
für's Wohl feiner Familie und der Gemeinde. Zu felnem
Lobe fei bier noch bemerkt, daß fich unter ven Rejolutionen
bei den Kirchenvilitationen nicht eine findet, au8 ber
hervorgienge, daß die Herren Bifitatoreß bei ihm irgend
etwas nicht in Ordnung gefunden hätten. Vom 1. Januar
1744 bi8 dahin 1766 war die Durchſchnittszahl der Getauften
13. In den zehn erften Jahren feiner hiefigen Wirkjamteit
wurden 5 uneheliche Kinder geboren, in den zwölf folgenden
und den zehn erften feines Nachfolger feine mehr. Kopulirt
wurden jährlich 3 bis 4 Paare, darunter war einmal ein
Pärchen, das bereits Enkel hatte, ein.andermal ein Bräutigam
von noch nicht 17 Jahren. Begraben wurden durchſchnittlich
10 Berjonen.
47) Auf Pfarrer Kent folgte im Juni 1766, nachdem
er zuvor 17 Jahre in Wallroth geſtanden, Johann Peter
Sufnagel. Er ift der einzige biefige Pfarrer, der in
Bolge eines allgemeinen, und zwar allerhöchften, Beſchluſſes,
nicht durch den Guperintendenten in der Kirche, jondern
durch den Amtmann auf dem Kirchhofe, der Gemeinde
vorgeftellt wurde. Die Schultheißen wurden, altem Brauche
nach, der Gemeinde ebenfalls Durch den Amtmann unter der
noch ftehenden Linde vorgejtellt.
Eine ſaubere, Iejerliche, ſehr feite und ſtets gleiche
Handſchrift, die auf eine kräftige Konititution und große
Ordnungsliebe hinweilt, aber zugleich auch Hinneigung zur
Bequemlichkeit und Ruhe verräth, zeichnet Hufnagel aus;
feine Einträge in die Kirchenbücher find leer an allen
Bemerkungen und ermangeln fogar, befonder8 im Todten⸗
buche, der nötbigen Vollſtändigkeit und Beftimmtheit. Nach
Allem, was von ihm vorliegt, jcheint ich dieſer Pfarrer
auf die Lehrthätigfeit, wobei ihm doch vielleicht daß treffende
Wort und der fittliche Nachdrud abging, beſchränkt und bie
Erziehung verfäumt zu haben. Unter ihm famen die Privat-
Genfuren auf, die feit Ente der 70r Sahre häufig (1782
x. Band. &
82
jogar 13mal) erwähnt werden. Bei den Slirchenvifitationen
wurden ihn die Haußvifitationen dringend empfohlen und
ftet3 aufgegeben, auf Lehrer und Schulen ein wachſames
Auge zu haben. Predbyterialiigungen wurden von Hufnagel
jelten gehalten und der gewöhnliche Gegenftand der Ver—
bandlungen war das Ab- und Zujchreiben von Kirchenſtühlen
und lagen über Unordnung und Gebräng in den Kirchen
wegen der Plätze — Dinge, womit man fich jet nicht
mehr zu befafjen braucht. Der fittlihe Zuftand der Gemeinde
war zur Zeit Hufnageld nicht der befte, namentlich als
er älter wurde. Linehelicher Gefchlechtöverfehr war ziemlich
allgemein und Fälle von Ehebruch find namhaft gemacht;
Ruhe und Andacht fehlte in der Kirche während des Gottes⸗
dienfted; Kirchenrüger und Xelteften thaten ihre Schulvigfeit
nicht, „ihr Amt war ihnen weiter nichts, denn ein bloßer
Schein”; der Beſuch der Kirchen, namentlih an Bettagen,
war ſchlecht und er klagte (1785) „Daß die Feier dieſer
Zage nit mehr wie vordem“, und „vier Männer und
einige Weiber” waren an folchen Tagen oft feine ganze
Zuhörerſchaft; ein fcheinheiliger und betrügerifcher Sinn
fing an in der Gemeinde herrfchend zu werden, jo daß fich
jelbft große Bauern nicht ſchämten, dem Lehrer unter die
zu liefernde Beſoldungsfrucht „gedörrte Kartoffeln und
Hafer” zu miſchen. In manden Stüden ift ed inzwijchen
viel befjer geworden, und ift Hoffnung vorhanden, daß e8 bei
den anderen auch nicht jo bleibt, wie e8 dermalen noch ift.
Die von den vilitirenden Herrn Superintendenten in
dag Presbyterial-Protofol eigenhändig eingetragenen Reſo—
Iutionen betreffen faft ſämmtlich die Hebung der Schulen und
beffere Handhabung der Kirchenzudt. In Verwaltung des
Kirchenvermögens zeigte ſich Hufnagel als jehr treu und
tüchtig; e8 hoben fich die Kapitalzinjen von 30 auf 44 fl.
und wenn er al8 Pfarrer nicht gleich erfolgreich gewirkt bat,
jo mag das weniger an feinem guten Willen, als an feiner
Begabung, den Zeitverhältniffen und dem höheren Alter
N 83
gelegen haben, in welchem er fein hieſiges Amt antrat. Zwei
Einträge Hufnageld will ich bier zum Schluffe mittheilen,
Die vielleicht manchem Leſer ein Lächeln abgewinnen, jeden
falls aber charakteriftiich für die Zeit find.
„1793. Wurde (auf höheren Befehl) bei verfammeltem
Presbyterio gefragt: ob folche Leute in der Gemeinde wären,
welche die irrige Meinung hegten, man hätte feine Obrigfeit
nöthig, ſondern könnte als ein freied Volk leben? Antwort:
Sie wühten Niemand.“ |
„In diefem 1793ten Fahr, und zwar .den 22. Juli
iſt die Stadt Mainz, nebſt dem gegenüberliegenden Städtchen
Kaſtel und Veſtung, welche die Franzoſen 9 Monate lang
mit Bewilligung vieler det Mainzer Bürgerſchaft, welche
fie hereingelaſſen, beſeſſen und auf Veranſtaltung des fran⸗
zöſiſchen Generals Cuſtine ringsherum mit vielen Schanzen
und Gräben ſehr wohl befeſtigt hatten, von der kombinirten
deutſchen Armee, worüber der König von Preußen, Friedrich
Wilhelm II. das Hauptkommando geführt, mit Akkord erobert
worden, nachdem vorher dieſe beiden Orte durch ihr ſtarkes
Bombardement größten Theils über den Haufen geſchoſſen
und verbrannt worden, wobei die Garniſon, welche aus
12,000 Mann beſtanden, den freien Abzug erhalten und
mit dieſer Condition in ihr Land bis nach Metz eskortirt
worden, daß ſie in einem Jahr nicht wieder gegen Deutſchland
und die kombinirte Armee dienen ſollte. Ehe aber dies
geſchehen, hatten die tapferen Heſſen die Franzoſen aus den
Dorfſchaften der Unter-Grafſchaft Hanau und auch aus der
Stadt Frankfurt, die ſie eine Zeit lang beſetzt und übel
Darin gehauſt hatten, mit unerjchrodenem Muthe und großem
Ruhm herausgeichlagen und alfo das Laud von diefem
Unkraut wiederum gefäubert, weswegen hernach auch ein
dffentliche® Dankfeft im ganzen Lande gehalten und über
die Worte 1. Sam. 6, 12: „Bis hierher hat uns der
Herr geholfen" gepredigt wurde.”
Pfarrer Hufnagel fturb dahier in feinem 82. Lebens⸗
6*
84
jahre den 8. November 1796. Während jeiner 31jährigen
Dienftzeit wurden turchichnittlich im Jahre 13—14 Kinder
(und im Ganzen 23 uneheliche) geboren, 3 Paare getraut
und 8 Rerjonen begraben.
18) Nah ihm bezog Georg Wilhelm Rari-
milian Schlemmer von Wallrotb aus, wo er längere
Zeit fegensreich gewirkt, die hiefige Pfurriielle. Die Hand
ſchrift Pfarrer Schlemmerß ift rein, gleichmäßig, feit und
ſcharf; fie weijet zwar durch unnöthige Schnörkel auf jovialen
Sinn und einige Eitelkeit hin, verräth aber zugleich einen
treuen und feften Charakter, der getrojt feinem geitedten
Ziele zumwandert. Seine Einträge in die Kirchenbücher find
genau, vollftändig und lafjen nicht? zu wünjchen übrig,
ebenjo die Presbyterial-PBrotofolle, aus dieſen erjiebt man
die Art feiner Amtsführung und den Geiſt der Gemeinde
jehr deutlih. Die Kirchenrüger verjahen ihr Amt fchlecht,
eigentlich gar nicht, die Kirchenälteften waren faumjelig. im
Beſuch der Sikungen, die oft aus Mangel an Theilnahme
gar nicht gehalten werden konnten: beide führte Schlemmer
durch ernite und wiederholte Mahnungen zu ihrer Pflicht
zurüd. In der Gemeinde war der frühere, zügellofe
und audjchweifende Sinn, wogegen Pfarrer Lentz fu erfolge
reich angekämpft hatte, wieder in voller Blüthe; nächtlicher
Straßenlärm, bejonder8® Samjtag und Sonntag Abends,
verbunden mit dem Abfingen unzüchtiger Lieder, war an
ber Tagesordnung; unehelihe Schwängerungen waren nicht
jelten: gegen al’ dieſen Unfug jchritt Schlemmer, troß
der unruhigen und gefahrvollen Zeiten, in die feine hiefige
Wirkſamkeit fiel und mo er mehr wie ein Mal perfünlichen
Unbilden ausgejegt war, durch Wort und That nachdrüdtich
ein und jcheute ſich nicht, den firafenden Arm ter..welts
lichen Obrigkeit zu Hülfe zu rufen, wo feine ſeelſorgerliche
Zhätigkeit verachtet wurde. Er befolgte den Grundjag:
wer nicht hören will, muß fühlen! und zeigte fich darin
ebenſoſehr als Menjchenfenner wie al8 Menfchenfreund,
85
Der große Haufe, zumeilt auf dem Lande, ftellt: große
Kinder vor, die nicht nach Weberlegung und: Bernunft,
ſondern nach finnlichen Eindrüden handeln, und fo lange
man Kindererziehung noch für nöthig findet (und die iſt
leider nirgends fchlechter al8 gerade beim Landvolk), wird
man auch der Zucht in Diejen Kreifen nicht entbehren
fönnen. Sein Hauptaugenmerk richtete Pfarrer Schleminer
auf Lehrer und Schulen und führte über feine Schulbefuche
ein eigened, noch vorhandenes, Protokoll, woraus man fieht,
wie angelegen er diefen Theil feine Amtes fich fein ließ.
In Abwartung des Gsttesdienftes, in Handhabung - der
Sabbathsordnung und Kirchenzucht, bei Verwaltung des
Kirchenvermögens, war er pünktlich, fireng und gewiſſenhaft!
und wirfte, wie die Kirchenviitationen: und die auf feine
Amtsführung zunächſt folgenden Jahre beweiſen, . höchft:
erfolgreich Duhier, Bei drei auf einander folgenden Bifitae:
tionen brüdte der Herr Superintendent feine Zufriedenheit,
was vorher noch nie gejchehen wur, in erhöhten. Mae.
und mit gefteigerfem Wohlwollen aus und fagte bei der:
legten 1805: „Sch habe hier, ſowohl in. Kirchen- als
Schulfachen, Alles jo befunden, daß ich Urfache habe, wohl
zufrieden zu fein und wünjche dem Herrn Pfarrer Echlemmer
zu ferner gejegneier Amtsführung allen göttlichen Segen,“
Gegen das Ende von defjen hiefiger Wirkſamkeit fing ein:
bejjerer Geift an heimisch zu werden; die Zahl der un⸗
ehelichen Geburten verminderte fich, und noch unter feinem.
Nachfolger kommen zu Anfang ein paar Jahrgänge ohne:
lolhe vor; troß der Kriegsunruhen nahm, wie man das
an der erhöhten Einnahme durch den Klingelbeutel und.
an den verminderten Anfprüchen der Armen an die Kirchen
kaſſe deutlich wahrnehmen kann, der Wohlftand zu. Einen.
engherzigen confejlionellen Standpunkt hutte Schlemmer
nicht, wie das aus der DBerwilligung von 1 fl. aus der:
Kicchenkaffe an eine Jüdin zu Kleidern für ihre Kinder‘
hervorgeht, Bon, zu feiner Zeit erhobenen, Kollecten .ift.
86
nur eine von bejonterem Sintereffe: „1806 Stollecte für
die bei Ulm verunglücte Familie von Berges auf Erlaubniß
fürftlicder Regierung erhoben, in Betrag von 1 fl. 26 Hr.“
Schlemmer wurde von bier nah Steinau befördert
und fiedelte dahin über im October 1808. Während feiner
zwölfjährigen Anıtsführung wurden jährlich 4 Paare getraut,
21 Kinder getauft (und im Ganzen 12 uneheliche) und
15 Todte begraben.
19) Johann Adolph Horft bezog hierauf alsbald
die hiefige Pfurrftele. Was von ihm Schriftliche vorhan-
den ift, wirft fein rofenfarbiges Licht auf feine Bildungsftufe
und Amtswirkfamfeit. Seine Einträge in die Kirchen-
bücher enthalten manches Ueberflüſſige, das Nöthigſte
fehlt aber Häufig und find vft jo beichaffen, daß damit
gar nichts zu beweiſen ift; erft vom jahre 1843, wo er
einen Vikar befam, find fie in gehöriger Weile bewirft.
Die Ordnung, die fein Vorgänger in Die ganzen pfarr⸗
amtlichen Gefchäfte gebracht, wurde von ihm. nicht weiter
gehandhabt, Ueber Einwirkung auf Lehrer und Schulen
findet fih nicht die geringfte Andeutung. Presbyterial⸗
Sitzungen fanden nur bei außerordentlihen Fällen ftatt
und hörten endlih ganz auf; eben fo die Bußprotokolle.
Leider! fanden auch nicht mehr, wie früher, die worjchriftg-
mäßigen Sirchenvifitationen ftatt und fo gibt das Vor⸗
hundene, wie daS Fehlende, Zeugniß, daß ein Menfchen-
alter hindurch bier nicht im Geifte der reformirten Kirche
das Pfarramt ift verwaltet worden. Mit Zahlen läßt fi
bemeifen, daß der fittlihe Zuftand der Gemeinde Hinter:
fteinau bei dem Amtsantritt Des Pfarrers Horft ein weit
bejjerer war, als bei feinem Austritt, und wenn ich irgend
welche Zweifel über die Heilſamkeit der Kirchenzucht in
gewiſſen Kreifen hätte haben und hegen können, jo
wäre ich Durch Die Reſultate, welche die biefigen Kirchenbücher
nachweijen, gründlich eines Beſſeren belehrt worden. Im
Berfehre mit feinen Pfarrkindern ftellte fich Horft fd ziemlich
87
denjelben gleich, er tft Daher noch heute eine populäre
PVerjönlichkeit und wird gelobt al8 ein „guter Mann”,
Die Bauern lieben e8, wenn man fidy zu ihnen erniedrigt,
da brauchen fie fich nicht zu erheben.
Unter den Nachtheilen des Krieges betont man haupt-
jächlich auch den, daß er jo demoralifirend auf das Volk
einwirfe und ich will vemielben damit feine Lobrede halten,
wenn ich behaupte, daß er den außerehelichen Gejchlechts-
verfehr nicht begünftige. Die hiefigen Kirchenbücher beweijen
far und unwiderleglich, daß fo wohl die Zeiten des 30jäh—
rigen wie des Tjährigen Kriegs eine Zunahme der unehelichen
Geburten nicht zur Folge hatten. Und vergleiche ich vollends .
bie 25 Jahre der franzöjiichen Kriege (1790-1816) mit
den 25 Jahren des darauf folgenden Friedens, jo tritt ein
Ergebniß zu Tage, was keineswegs zu Gunften der Sitt-
lichkeit während des Friedens ſpricht. Im erfigenannten
Zeitraum war das achtzehnte Kind ein unehelicheß, im letzteren
(1816 —1841) daß fünfte. Der Ueberſchuß der Gebornen
gegen die Gejtorbenen in dieſer Zeit ift hauptfächlich den :
unehelichen Geburten zuzufchreiben; daß Diefe aber zum Flor
einer Gemeinde beitrügen, wird Niemand behaupten wollen.
Meine Erfahrungen belehren mich, daß der außereheliche
Gejchlechtöverfehr auf dem Lande hauptjächlich durch den
DBrantweingenuß befördert wird; berjelbe ift ein geführliche8
Neizmittel für den Mann, in erhöhteren Maße aber noch
für das Weib. Die Brantweinpeft hat hier arg gewüthet
und Alle angeftedt, auch folche, welche Jungen und Alten
Beiſpiele der Nüchternheit und Mäßigkeit hätten abgeben
ſollen, und fie hat mehr zur DVerarmung beigetragen, als
Krieg und Theuerung. Seit mehreren Jahren fängt ed an,
auch nach dieſer Seite hin hier beffer zu werden und wird
nicht der vierte Theil des verderblichen Startoffelfujels
mehr getrunfen, wie vor 15 und 20 Jahren. Pfarrer Horft
ftarb,, zurüdgezogen vom Amte, in feinem 81. Lebens—
jahre, den 7. September 1847,
88
Den Zeitraum von da bi8 heute muß ich übergehen, da tie
darin auftretenden Berfönlichkeiten ter Gegenwart angehören
und will zum Schluſſe eine ftatiftifde Weberficht folgen
laffen, ten „Seelenftand der Gemeinde -Hinterfteinau von 1596
bi8 1847 betreffend.”
— Zeittraum Gehorene Getrtaute Geftordene
Pr ihres „Amtes.
Pfarrer, |ihtes A enetich, | ame |jänr-| im Jiäne-| im Jiänr.
* ehldch.| Tich Ganj.) ih Ganzen | lich
— —
Geyder. 1596—1636| 630 5 16116 31542 13
Vakanz-Zeit. [1636—1656| 75 | >35! 11 —| -
Werner. 1656—1665| 52 12| 1] 14| 1
Kircher. 1665 - 1670 12 | 2 711
Jeckel. 1670 - 1678 15! 2| 55| 7
Petri, 1678 —1682 4| 1| 15| 4
Appel. 1682 — 1686 13| 3| 511 5
Kerften. 1686— 1688 ae ein
Scaffnicht. |1688—1690 J ————
Frant. 16901724 so alıoo| 6
Repp. 1724—1730| 15| 2] 36| 6
Kochendörfer. 11730— 1744 141 31 126| 9
Lenk. 1744 - 1766 79| 3] 220 | 10
Hufnagel. 1706 -1797 971 3127518
Schlemmer. |1797—1809 51| 4| 186 | 15
Horſt. 1809 — 1847 | 6] 612 | 16
250 Sabre. 2310
89
NAachtrag
von Dr. G. Landau.
Dem Vorſtehenden füge ich noch einige ältere Nach:
richten über Hinterfteinau zu. Daſſelbe lag im Salgau,
welcher fich auch noch über die Mark von Flieden ausdehnte,
und bildete mit feiner weftlichen Gemarfungsgränze zugleid)
die Gaugränze gegen die Wetterau, die in der Steinau-
hinab zur Kinzig 309. Den Namen finden wir zuerft in
einer Grängbefchreibung vom Jahre 900. Darin heißt es:
usque in'Cressenbach indequoque in Steinaha et de
Steinaha usque in Kincicha*). Indeß fcheint hier nur vom
Bache die Rede zu fein; jedenfalls bleibt es zweifelhaft,
ob auch das Dorf fhon vorhanden war. Dieſes lernen
wir ficher erft 1118 fennen, als die Abtei Schlüchtern darin
einige Güter erwarb. Bei diefer Gelegenheit wird es
Steinahoa genannt. (S. Beil. 1). Im Jahre 1144
findet e8 fich unter dem Namen Stennaha (Beil 2) und‘
1167 hatte e8 bereits eine Kirche. Als damals der. Bilchof
Gerold von Würzburg, unter deffen Diözeſangewalt Hintere.
fteinau fand, die Befigungen der Abtei Schlüchtern be>
ftätigte, werben Darunter auch aufgezählt Parochia adiacens
claustro, cum basilicis, quarum nomina sunt Steinaha,
Elmaha, Cressenbach et decimis **). Wir erfennen Daraus,
daß damals die Kirchen zu Hinterfteinau, Elm und Krefjen«
bach noch eine Pfarrei bildeten, weiche bereit der Abtei
Schlüchtern zuftand,
Wie die Pfarreien, fo beſaß die Abtei Schlüchtern
auch die Gerichtöbarkeit im Gebiete von Schlüchtern und
namentlicy auch in dem dazu gehörigen Gebiete von Hinter-
*) Dronke, Cod. dipl. Fuld. Nr. 647. Bergl. Yandau, Be-
Ichreibung des Gaues Wettereiba S. 130,
**) Wench, Heſſ. Kaudesgefchichte I. Urk,-®b. ©. 289, berichtigt nach
einer beſſeren Abjchrift.
90
fteinau. Die höhere Gerichtsbarkeit übte fie jedoch durch
ihre Schirmvögte aus. Died waren in ältefter Zeit die
Grafen von Grumbach, welche wuhriheinlid auch Die
Stifter des Klofterd geweſen find. Doch findet ſich fpäter
nur die Linie zu Rothenfels im Befite der Bogtei, welche
fie von den Biſchöfen von Würzburg zu Xehen trug. Als
diefe umd Jahr 1243 im Mannsjtamme mit Albert aus⸗
farb, 'ging nur die Hälfte der Vogtei auf deſſen Tochter
Adelheid über, die andere Hälfte gelangte Dagegen an Würz⸗
burg, wie? ift indeffen unbelaunnt. Biſchof Hermann über-
trug dieſelbe 1243 jür 200 Mark an Albert Herrn von
Zrimberg, welchem er dieſe Summe für Kriegsdienſte ſchul⸗
dete, Die derjelbe ihm gegen Fulda geleijtet hatte*). Alberts
Entel Konrad gab in Gemeinjchaft mit feinem Schwager
dem Grafen Hermann d. j. von Henneberg 1284 Güter
zu „Hungerſteynau“, weldye fie erfauft und von Würzburg
zu Lehn hätten, dem Klofter Schlüchtern**). Worin dieſe
Güter beftanten, wird nicht gefagt. Derjelbe Konrad
verkaufte 1304 ebenwohl tem Klofter für 100 Pfund Heller
advocatiaım super villam Hohencelle et homines ibideın,
cum iurisdiclionibus, iudiciis, orlis, pratis etc. welche Eigen
thum des Kloſters feien und er von Würzburg zu Lehen
trage. Im nächſten Jahre geihah daſſelbe auch mit tem Hof
(curia) und ter Vogtei zu „Hungerſteynaha“ oder wie jich
die Iehnsherrliche Bewilligung des Biſchofs von Würzburg
ausdrückt: advocalia super villam Hungersteina et homi-
nes ibidem cum iurisdictionibus, iudiciis etc. und feiner curia
daſelbſt. Für die Vogtei erhielt er 279 und für den Hof
30 fund Heller ***). E8 waren dies jedoch feine wirklichen
Verkäufe, fondern nur Verpfändungen, und eben fo wenig
umfaßten fie den ganzen trimbergijchen Beſitz, Darum finden
wir auch fpäter Des Verkäufers gleichnamigen Sohn nod)
*) riefen, Würzburg. Chron. ©. 571 b.
++) Orig.Urk.
*##) Ungedr. Urk.
91
hier begütert. Derſelbe gab 1369 dem Knappen Heinrich
von Mörle gen. Böhm für feine ihm geleifteten Dienfte
zu Mannleben „zu Brezel was da in unjerm Gericht ge=
legen iſt als der Mulngrabe uß der alden Bach vff die
Moin geet vnd als der Ezune vnd Grabe fürbaß vmb
Brezel gehet vnd daz he geweßelt hait vmb dem Stift zu
Sluchter und vmb Voude (D vnd daz in daz Dorff Kleß⸗
pergk gehort hait mit Gericht vnd mit Buße, mit Gebote
vnd mit allen Nugen, Gewohnheyden und Rechten ).“ Es
iſt dies derjenige zu Urzel gehörige Theil, welcher im
Salgaue lag. Als nun im Jahre 1376 mit dem letzten
von Trimberg das Geſchlecht ausſtarb, fiel das Lehen von
Hinterſteinau dem Stifte Würzburg heim.
Was die andere Hälfte betrifft, welche auf Albert's
von Grumbach Tochter Adelheid übergegangen war, ſo
hatte dieſe dieſelbe ihrem Gatten dem Grafen Ludwig
von Rieneck zugebracht. Von beiden erbte ſie auf ihre
Tochter Eliſabeth, verehelicht an Ulrich Herrn von Hanau,
bei deſſen Nachkommen dieſelbe dann auch blieb. Uebrigens
hatte ſchon Ulrichs Vater Reinhard Herr von Hanau
Erwerbungen zu Schlüchtern gemacht. Er hatte vom
Klofter 1274 daſelbſt capellam s. Laurencii et domum,
que domus hospitum nuncupatur, cum area circa ipsas
sita erhalten **). Daß Eliſabeth allein in den Belig der
Vogtei gelangt war, berubte ficher auf einem Theilungs-
vertrage mit ihren Geſchwiſtern. Doch auch ihr Bruder
der Graf Ludwig von Riened gelangte wieder zu Belikuns
gen in Schlüchtern und deffen Umgebung. Nachdem näm—
lich Die Edelherren von Brandenftein ausgeftorben waren,
gab ihm der Bilchof von Würzburg 1307 deren Leben in
Drandenftein, Schlüchtern und anderwärts ***), Er behielt
dieje Lehen jedoch nicht lange, vielmehr verfuufte er biefel-
*) Alte Abjchrift.
**) MWend, Heſſ. Landesgeſchichte 27. Bd. II. S. 207.
*s*) Archiv des hiſt. Vereins für den Untermainkreis II S. 28.
92
ben fchon 1316 feinem Echweiterjohne Ulrih Herrn von
Hanau *). Als dann 1376 auch die Trimberger ausſtar⸗
ben, trat Ulrichs Sohn Ulrich mit Würzburg in Unter-
handlungen, um deren heimgefallenes Lehen zu Schlüchtern
zu erwerben. Dies führte 1379 dahin, daß er dem Stifte
Würzburg das Schloß Buttert abtrat und er Dagegen mit
den Schlüchtern'ſchen Gütern der Trimberge belehnt wurde,
Es wurde jedoch dabei beftimmt, daß dem Klofter Schlüch—
tern fein Nachtheil an dem Dorfe „Hungerfteina” daraus
erwachſen follte, vielmehr daſſelbe dieſes Dorf auch ferner
in der gleichen. Weife befigen folle, wie e8 ihm von Würz⸗
burg und den von Trimberg verfchrieben worten ſei. Nur’
jollten ftetS zwei Schöpfen von „Hungerfteina” mit in dem-
Gerichte zu Schlüchtern fiten *9. Auch verfchrieb zu gleicher
Zeit der Abt von Schlüchtern dem Herrn von Hanau
die Oeffnung an feiner „Kemenaden und Huz gelegin in
dem Dorffe Hungerfteyna.” Dabei wurde jene Beſtim—
mung in Bezug auf die Gerichtöverhältniffe wiederholt.
Es heißt nämlich in der betreffenden Urkunde wörtlich:
„Auch ſollen alle wege nit mehir dan tzwene Scheffen
uß dem Dorffe Hungerfieyna zeu Gerichte ‚gehen geyn
Sluchter alle Gerichte und wan esß Noydt ijt, die de
jollen helffen Vrteyle teylen vnd ſprechen an Gericht
als ander Echeffen zeu Sluchter. Auch en jollen diejelben
Sceffen von Hungerftegn nydt anders vorbrengen vnd
rügen an Gerichte zeu Sluchter, daß Hungerftegn angeht,
dan daß flyßgende Wunden und Hals vnd Heubt anreimret,
Darvber Der genante vnſer Herre vnd Ion Erben han zu
richten vnd anders nyt ++).
2) Daſ. S. 29 u. 30. Kopp, Proben bes deutſchen Lehnrechts 11 ©. 83,
Mittheilungen des Hanauer Bezirksvereins für heſſiſche Geſchichte
und Landeskunde 1. u. 2. S. 106.
**) Alte Abſchrift.
+#*) Alte Adichrift,
93
Hinterfteinau bildete, wie wir ſehen, ein mit feiner
Pfarrei’ zufammenfallendes .Untergericht, in welchem ver
Abt die Gerichtsbarkeit hatte, das aber in allen peinlichen
Sachen an das Vogtgericht zu Schlüchtern gehörte *).
Später verpfündete das Klofter Dorf und Kemnade
Hungerfteina an die Brüder Reinhard und Johann Herren
von Hanau für 600 Gulden. Nachdem aber Reinharb's
Gemahlin und auch fein Bruder geftorben waren, gab
Reinhard 1411 die Pfandichaft zurüd und beſtimmte Die
Pfandſumme zu einem Seelgeräthe für beide im Kloſter
zu Schlüchtern **). Ä
Die Zuftände des Kloſters waren indeß immer mehr
herabgefommen und ſchon waren viele feiner. Befitungen
dadurch verloren gegangen. Auch 1480. ſah es ih _
gendthigt, wiederum „das Dorffe Hungerftegna und die
Moftenunge zum. Reynharts“ zu verfeßen. Es geſchah dies
an Walter von Mörle genannt Böhm, und. zwar mit
Zuftimmung de8 Grafen Philipp d. j. von Hanau. Der
leßtere bemerft dabei, da beide in feinem „Gerichte, Lande,
Schutze und Schirme gelegen” follten ftet3 zwei Schöpfen
aus Hungerfteina dem Gerichte zu Schlüchtern beitvohnen
und Recht fprechen, und zwar in derſelben Weiſe, wie dies
Ihon oben angegeben worden if. Er will auch feine
Deffnung zu Hungerjteinga haben, als nur im alle der
Noth, und aud dann nicht? „daraus oder Darin” thun ***),
Während des Pfandbefiges der von Mörle. ftiftete. eine
Tochter derjelben, verehelicht mit Georg Brendel. nor
Homburg, Die Kapelle zu Klesberg +). Wie lange. nie
Verſatz dauerte, ift mir nicht befannt.
Beigte ſich ſchon in der vorbin gedachten Urtune
des Grafen Philipp von 1480, daß der Vogt bereits zum
*) Ueber die bei feiigen Berechtigungen zu Schluchtern ſ. ®. \2
diefer Zeitſchrift S. 479 ıc.
**) Orig.⸗Urkunde. — —8 Desgleichen.
7) Urkundliche Nachricht,
94
Landesherrn geworden, fo tritt dies noch fchärfer in dem
Bertrage hervor, den die hanauiihen Grafen 1496 mit
dem Kloſter abſchloſſen. Das Kloſter gab das ihm verjeßte
trimbergifche Gericht zurück, ohne auf .die Zahlung der
Pfandſumme Anſpruch zu machen. Die Wälder follen
gemeinjam fein und die Grafen einen Knecht zu Hunger-
fteina zur Erhebung des Zolles halten. Dann wird bemerkt,
daß Hungerfteina nicht ins trimbergijche Gericht gehöre
und daß die Grafen daſelbſt bei der Obrigkeit und der
Jagd bleiben follten. Auch wird die Verpflichtung des
Dorfes zur Mitbefegung des Gerichts zu Schlüchtern wieder⸗
holt, Doch mit der Beſchränkung, daß died nur bei zwei von
den vier Gerichten gefchehen ſollte.
Der Uebergang zur vollen Landeshoheit war ſonach
Schon mehr als angebahnt. Die Kirchenreformation vollendete
dieſelbe. Erſt jpüt ging der Name Hungerjteinau in
Hinterfteinau über. |
1.
Vezecha macht mit Hüfern zu Hinterfleinau und Rlesberg
der Abtei Schlüchtern eine Schenkung.
1118.
Universis longe lateque congregatis in Christo fide-
libus pateat radix- firma tradicionis huius, quam matrona
quedam Bezecha nuncupata post defunctorum exegit
lameuta parentum, patris quoque Ebbonis ac matris
Gnanne fratris vero Adeberti, celerorum . quoque
posteritate sibi relicta. Ea que ab eis suscepit pro animabus
eorum sollicita continua pietate commota quicquid in vicis
istis Steinnahoa*), Clefesberge**) dietis ad se
predii dono pertinuit cum agris et pratis, saltibus fructibusque
ex his germinantibus ad sacram beate semper virginis Marie
*) Hinterſteinau. — **) Klesberg.
95
Siutherin obtulit devota mente aram. Insuper et servum
tradidit nomine Adelwardum, ut tantum annis singulis
solvat se duobus numis. Sed hec plenissime excipienda,
quia quam diu in hoc ipsa exstiterit viva vita, nullatenus
horum privetur qualicunque de causa exceplo censu supra-
dicto, quin libere ei absolute ex his solatia suppeditentur
vite. Nec. de condictu silendum est nequaquam licitum esse
cuiuscunque potestatis et ipsius loci abbatis cuiquam ex
his aliqua tribuenda vel accomodanda, nisi fratribus sub-
sidia tantum largienda. Facta sunt hec MCXVIII regnante
Heinrico IIII. romano imperatore. Sub Erbingo presule
Wirciburg., Vuortwino abbate presente Solitariensibus
presidente .ubi hec fucta memorantur. Hi testes astant
fratres eiusdem monasterii Ebbo, Wicen, Sigifrid,
Alarh, Walter, Hildibrant, Heinricus, Ebbe-
linus. Clientes loci ipsius Aleginh,, Diemo, Gerbunc,
Benno, Vudlrad, Bumolf, Helphob et cives plurimi.
Adebraht, Dumolf, Eberhard, Azeman, Almar
aliique plures. (Nach einer Abichrift.)
VIII
Il,
Dos Rloſter Schlüchtern thut eine Hufe zu JHinferfleinau
auf 3ins aus.
1144,
Memoriis omnium, qui cognoscere queunt, tradere
curamus qualiter a fratribus huius congregationis per
manum domini Walteri prioris assensu donini Mance-
goldi abbatis miles quidam nomine Hugo, unus mini-
sterialium huius ecclesie, mansun unum in pago Sten-
naha *) situm possidendum suscepit pro quo, ut singulis
*) Es ift dies nicht die Stadt Steinau an der Kinzig, welche Damals
noch nicht beftand, fjondern das der Abtei Schlüchtern zuftehende
Dorf Hungerfteinau, jegt Hinterfteinan genannt.
96
annis in fesliuitate sancli Andree apostoli decem solidos
decimationesgue persoluat firmissima paccione adhibitis
suhnotatis testibus. in presentia fratrum etiam iuramento
confirmauit. Si autem predictum censum infra epiphaniam
.domini et designatam festiuitatem persoluere distulerit
omnis conuentio huius tradilionis cassata erit ipseque
fundus ab eius ditione liber in usu monaslerio remanebit.
Liberi quoque eius post obitum ipsius, si obtinere ipsum
mansuın uolunt, omnia secundum hanc descriptionem ad-
implebunt, Ad confirmationem uero huius paccionis II
ministeriales huius loci se ipsos uades partesyue suorum
beneficiorum dederunt predictamque pecuniam si prefalus
homo infra condictum tempus dare neglexerit pro sui
absolutione spoponderunt. Horum primus nomine Gozu-
uinus dimidium ınansuın in prescripta uilla designauit,
secundns Rabinoldus etiam dimidium in pago qui
wocatur Gumprahtdis *), tertius quoque Walterus
medietatem ınansi in üilla que Hundisrucge **) dicitur,
quartus uero Grifro nominatus in uilla que Zeimrodo***)
est dicta dimidium mansum ut prefati ob istam confir-
mationem constituit. Huius eliam paccionis plures testes
affuerunt scilicet fratres onınes huius congregationis seniores
cam iunioribus: simulgue cuncti ministeriales cum plerisque
mansionariis F) in eadem uilla conslitutis. Acta sunt hec anno
dominice incarnationis MCXLIIH indictione VII, temporibus
Cunradi gloriosi regis, sub Embrichone uenerabili- Erbi-
polensi episcopo, in presentia domini Manegoldi abbatis.
*) Der Hof Gomfritz bei Schlüchtern.
*#) Der Hof Hundrüd bei ber Stabt Steinau.
*+*) Iſt mir unbefannt,
:+) Weber dem Worte mansionariis ſteht colonis.
97
III.
Leben und Thaten des Johann Winter
von Güldenborn und ſeine Verdienſte um die
gräflichen Häuſer von Yfenburg: Büdingen
| und SanauMünzenberg.
Fin edles Mannesbild und Zeitenfpiegel
aus der Periode des dreißigjäßrigen Krieges
von
® W. Roeder
in Hanau.
Borwort,
„Sin Sefchlecht vergeht, das andere fommt;
aber Recht und Wahrheit bleiben ewig.“
Wenn die Geſchichtsforſchung und ihre allgemeine oder
biographiiche Darftellung fich vorzugsweile mit den Leben
und der ZThatengejchichte großartiger Geifter und Helden
befaßt und dafür zunächft und am meiften lebhafte Theil-
“nahme findet, jo ift das ebenfo natürlich als das Wohlgefallen
daran erfreulich, weil Beides für den Sinn der Schriftiteller
und Lefer zugleich zeugt, und das Vertrauen auf die Werth-
Ichägung des Guten und fittlih Großen aufrecht hält.
Doc unjere warme Theilnahbme und Hochſchätzung
verdienen nicht minder die hiftorischen Bildniſſe ausgezeichnet
wackerer Bürger, die ohne Kriegshelden, Staatenlenfer oder
geiftige Weltleuchten zu fein, nur in engeren Lebenskreiſen
und bier in ftiller und anfpruchSlofer, aber verbienftooller
Thätigfeit als treue Diener des öffentlichen Gemeinwejeng,
als aufopfernde Freunde verlaffener Hülfsbedürftigen und
Schwachen, als unerjchütterliche, tbateifrige Vertreter des
Band X. 7
98
bedrohten oder gefränkten Rechts gegen Willfür und Gewalt-
triebe fich in guten Thaten ein Denfmal gejegt und den
Lohn ihres Wirkens und Kämpfens in dem rein menichlichen
Sinne für treue Pflichterfüllung gejucht und gefunden haben.
Beide zum Zwed für Vorbild und Nachfolge
aufgeftellt, jcheinen mir nicht gleichinäßig vom Bedürfniß
gefordert zu werden. Das Genie und der eingeborene
Heldengeift fuchen und finden auch ohne Äußere Vorbilder
die Bahn und die Strebeziele ihre8 Ruhms; aber bei der
Mehrzahl der Menſchen bedürfen die Erfenntniß und die
Pflichttreue für edle Bürgertugenden weit mehr der Medung
und Aufmunterung durch aneifernde Vorbilder, um in den
Zeitgenofjen und Nachlommenden den Sinn und Muth zur |
Nachfolge zu weden und zu flärfen und dadurch das Beſte
in der Menjchennatur: die Treue gegen Das innere Geſetz
der fittlicden Natur, was wir im Menjchen den Charakter
nennen, zu beleben und fruchtbar zu bethätigen.
Unfere Skizze will in dem Lebensbilde des Oberſt—
lieutenant® Fohann Winter von Öüldenborn einen
folhen waderen deutſchen Charakter, einen Kleinen bürger=
lichen Helden und Kämpfer für zwei erlauchte Örafenfamilien
unſeres Landes als Beilpiel eines aufopfernden und fittlich
ftarfen Streiters für Necht und Freiheit feiner Mitbürger
biftorijch vorführen und zwar aus einer Zeitperiode, wo die
Begriffe von Necht und Unrecht in ihrem innerften Wejen
ſo tief erfehüttert und veriworren waren, daß bei Mächtigen
und Schwachen eine wüjte Verwilderung im Leben des
Staat und der Kirche, in bürgerlichen, vaterländiichen
und militäriichen Berufskreiſen faft alle beſſeren Gefühle
überwuchert und das Menjchene und Volksrecht in die
Gewalt fittenlofer Selbftiucht und frevelbufter Sigenmadt
aufgelöft hatte, —
Die Weltgefchichte, welche jo manche Periode wilder
Stürmerei menjchlicher Leidenschaften und willfürlicher Ver-
leugnung gejeglicher und fittlicher Rechtsverhältniſſe uns
99
porzuführen vermag, kann ung jchiverlich eine ähnliche Periode
allgemeiner Zerfahrenheit im öffentlichen Leben des Staates,
der Bamilie und der gejelligen Bande nachweijen, die in
ihrem allgemeinen Grundton mit dem wüften Zeitcharafter
des dreißigjührigen Krieges in der Entfeſſellung faft thies
riſcher Gewaltstriebe verglichen werden könnte. Wohl zeigte
und auch die franzöfiihe Revolution ähnliche Ausbrüche
frevelhafter Leidenſchaft und Wütherei,, bier unter der Fahne
der Freiheit und Gleichheit, wie dort unter der Firma für
Glaubenseinheit und Kaiferrecht; aber fie hat neben ihren
Verirrungen und ihrer Parteiwuth auch viele Glanzbilder
von Begeifterung und Opferfinn für Vaterland und Freiheit;
fie hat auch da8 Streben nach allgemeinem Fortjchritte zu
neuen Geftaltungen des Staatslebens und Menſchenrechts
auf ihrer Seite, während der dreißigjährige Krieg unter
der Fahne des Religionseifers die Grundlagen der Gewiſſens—
freiheit und des Glaubensrechts und damit die Fortdauer
der unſichtbaren Kirche Gottes auszurotten und eine alls
gemeine Menſchenknechtung herrſchend zu machen ſuchte, und
den Frevel der Gewalt im Namen des Himmels aus einem
göttlichen Auftrage zu rechtfertigen die kecke Stirne oder
das geblendete Auge hatte.
Es iſt eine wohlthuende Erſcheinung, daß wir in dem
großen wehevollen Trauerſpiel jener Zeit das Lebensbild
eines wackeren, in tugendhafter Geſinnung felſenfeſten Mannes
herausheben können, der als Gegenbild jener ſchlimmen
Zeitmoral dem Zuge ſeines biederen Herzens gehorſam,
ſich in edlen Tugenden und ſtillem Heldenſinn der Treue
und Pflichtnatur bewährte und in dieſer Thätigkeit, wiewohl
im Kleinen, doch unverkennbar im allgemeinen Intereſſe der
Menſchheit handelte.
Schon einmal iſt unſerm Johann Winter von Gülden⸗
born von einem ſeiner Nachkommen ein öffentliches Denkmal
geſetzt worden, als aus Pietät ſein Urenkel Philipp
Chriſtian Ludwig Rößler im dahre 1751 in einer
100
ſchönen Dentrede deſſen Verdienſte um die Befreiung Ter
Statt und de8 Grafen von Hanau feierte; da aber jene
Rede nicht das ganze Feld feiner PVerdienfte umfaßte, fo
finden wir darin den Antrieb, ein umfaſſendes Lebensbild
zu verfuhen und dem waderen Manne faſt zweihundert
Johre nach feinem Tode einen neuen Denkſtein auf leinen
Namen und fein Grab zu feßen, nicht um feinem Andenken
zu ſchmeicheln, ſondern um daffelbe bei ter Nachkommenſchaft
neu zu eriveden.
Mas unjerm Verſuche einen faft feltenen Beiwerth
geben dürfte, ift der Umftand, daß wir zugleich feinen be=
beutendften perjönlichen Gegner, den Ritter Jacob von
Ramjay, zum Zweck einer gerechteren Beurtheilung in
unjeren Kreis ziehen Dürfen, ohne dadurch die Verdienfte
Johann Winter’8 zu jchmälern; wir hoffen -vielmehr den
Werth beider Männer dadurch zu erhöhen.
Beite Männer, fowohl Johann Winter als Nitter
Ramjay, haben gleichzeitig auf unjerm hanauijchen Gebiet,
jeder in anderer Art und zum Theil ald Gegner, in ruhm-=
voller Weile fich ausgezeichnet. Wenn nach unferer Anſicht
dag Verdienſt des Erfteren bisher nicht die volle verdiente
Anerkennung in ter Gejchichte gefunden hat, Dagegen bie
Handlungsmweije de8 Anderen zu viel unbedingten Tadel
fich zuzog, und diefe Miffennung noch immer fich fortzieht
turh Sage und Geichichte: jo ift e8 wohl gerechtfertigt,
beide von einem neuen Standpunkte aus näher zu beleuchten,
damit einem Seden fein gebührende8 Recht zu Theil werde.
Den hiſtoriſchen Stoff und die Belege zu unferem
Urtheil fchöpfen wir theils aus ber Gejchichte der beiden
Grafenhäujer derer von Bjenburg-Büdingen und von
HanauMünzenberg, tbeild aus den bhinterlaffenen
Schriften des Johann Winter und anderen Papieren und
Urkunden im Hausarchiv der von ihm in weiblicher Linie
abitammenten Bamilie Rößler dahier. In Betreff des
Ritter von Ramfay fügen wir ung, neben Pufendorf's
101
größerer Zeitgefchichte, mit Vertrauen auf die vortreffliche
Arbeit des würdigen Kirchenraths Keller zu Sulzbach bei
Soden „die Drangfale des naffauifhen Volkes
und der angrenzenden Nachbarländer in den
Zeiten Des 30jährigen Krieges ıc.“, welcher meift
aus Archivalquellen und anderen Gejchichtichreibern jener
Zeit viel Neues und Gediegeneß zu einer richtigeren Be—
urtheilung des fchwediichen Eonımandanten von Hunau und
dargeboten hut.
Es kann nicht als Weitichmeifigfeit getadelt werden,
daß wir umftändlic in Die Gejchichte von Hanau und
Dienburg eintreten, weil ohne dieſe Zeichnung der Lage
und Erlebniffe jener beiden Grafenhäufer weder Johann
Winter noch Jacob von Ramſay anſchaulich geichilvert
werden könnte. Es ift und hierbei auch nicht blos um den
einzelnen Mann zu thun; wir wollen auch ein Zeit-
bild darbieten, worin Johann Winter allerdingd den
Vordergrund einnehmen, Doch rings um und mit ihm die
Geichichte des hiefigen Landes zugleich auftreten fol. Die
Delege über die Hauptpunfte werben wir in wenigen Noten
anfügen, um nicht in allzu Äängftlicher Beweisführung über
Gebühr weitichweifig zu werden.
Herkunft und Gefchlecht des Johann Winter
von Güldenborn.
Die Altere Geſchichte des um die beiden gräflichen
Dynaftenhäufer von Wienburg = Büdingen und Hanau—
Münzenberg hbochverdienten Winter von Güldenborn
führt und rückwärts auf urfundlidem Boden kaum über fein
Geburtsjahr mit einiger Sicherheit hinaus, ſodaß er einerfeitg
als homo novus d. h. als Begründer und andererſeits faft
als Schlußpunkt de8 Familiennamens erſcheint, weil kurz
nach ihm ſein Geſchlecht in der männlichen Linie erloſch.
102
Sowohl in handſchriftlichen Zamilienichriften als im
tem Kailerlihen Adelsdiplom vom 13. Tecember 1638,
ausgefertigt und vollzogen ren Kailer Ferdinand III., wird
als Berfjabr ein Cunz Winter genannt, Tejjen wie jeiner
Nachkommen Name abweihent balt „Winter“, tann aber
auh „Winther- geichrieben wirt. Außerdem iſt ebenio-
wenig jeilgeftellt und jegt nicht mehr zu ermitteln, ob dieſer
Gun; ter Bater oter Grofvater der beiten Brüter Joham
Winter gemwejen, und find und auch jenjt nähere Angaben
über weitere Herkunft, Berwanttichaft und Stantesverbält-
nifje der Vorfahren in hiſtoriſchen Aftenjtuden nicht über-
liefert worden. Alle diefe Fragen fallen noch in tie Zeiten,
wo nur freie Zeute im Bürgerſtand einen Familiennamen
führten, der aus allerlei Zufälligfeiten zu einer bleibenden
Bezeichnung neben den altüubliden Taufnamen wurde.
MWahriheinliid war Cunz Winter ein freier und
begüterter Mann bürgerliden Standes zu Birftein in
der Grafichuft Yienburg, denn daß er dort ſeßhaft geweſen,
geht jowohl aud älteren Notizen in Yamilienpapieren als
auch daraus hervor, daß jpäter in den Jahren 1634 und
1668 Johann Winter der Aeltere dort liegende Hausgüter
um 1180 Gulden aus freier Hand an verichiedene Yien-
burgiiche Untertbanen verkaufte. Bei dem damaligen Güter:
und Geltwertb deutet dieje Verfaufsjumme auf Wohl-
habenheit ter Yamilie und auf einen größeren Umfang des
Beſitzes, ald man nad) heutigem Maßſtabe dafür einkaufen
oder erlöjen könnte.
Gegen Ende, des ſechszehnten Jahrhunderts Hatte der
obengenannte Cunz Winter in zwei Feldzügen in Ungarn
gegen die Türken gefochten und ſoll ſich dabei rühmlich
ausgezeichnet, auch in einem Treffen daſelbſt ſeinen Tod
gefunden haben. Dieſer Verdienſte erwähnt die Kaiſerliche
Urkunde von 1638, wodurch Johann Winter der Aeltere
und ſein Bruder Johann Winter der Jüngere mit dem
Prädikat „von Güldenborn“ in den Adelſtand erhoben
-
‘
108
und in allen ihren rechtmäßigen Nachkommen nobilitirt
wurden (fiehe Anhang Anmerf. 1).
Bon jenem Cunz als Enkel oter Söhne abſtammend,
erftere Annahme ift die wahrjcheinlichere, werden Die beiten
Brüder wegen ihres gleichen Vornamens durch den Zuſatz
„des Älteren” und „jüngern“ unterfchieden, Doch finden
wir etliche Mal bei dem Aelteren noch einen zweiten Vor—
namen, fodaß er demgemäß auh „Johann Philipp“
genannt wird, Selten jedoh kommt die Bezeichnung
„Philipp“ vor. Eine ähnliche Verſchiedenheit der Be—
nennung fommt aber audy in dem verliehenen Adelsprädifat
vor. In dem Adelsdiplom von Kaifer Ferdinand I. ijt
der Ausdrud „Güldenborn“ allein gebraucht; aber in
andern Schriftftüden wird faft vorherrſchend in Folge einer
Zautverichtebung „Güldenbronn“ gejchrieben; beide End-
ſylben bedeuten aber befanntlich daſſelbe, eine natürliche
oder gegrabene Wafjerquelle.
Wie dann fpäter der Altere Bruder Johann Philipp
Winter Durch feine Vermählung mit Anna Elijabetha
Bahrd von Dreieichenhain fein Geſchlecht in zwei Söhnen
und ebenfovielen Töchtern fortgepflanzt, dann in eine zweite
finderlofe Ehe mit Elifabetb Sejemann getreten,
dagegen fein Bruder Johann Winter der jüngere unvermählt
geblieben, wie ferner männlicher Seit8 der Name der
Güldenborn mit dem am 10. Suli 1743 kinderlos zu
Florſtadt verftorbenen Enkel Friedrich Philipp von
Güldenborn ausgeltorben ift, werden wir fpäter um—
ftändlich berichten, bieten aber eine Ueberficht des Geſchlechts
in folgendem Stammbaum dar.
Meiblicher Seits verzweigte fi das Winter’iche
Geſchlecht in Familien, die noch jetzt in zahlreicher Nach-
fommenjchaft in der Familie der Rößler zu Hanau und
Wiesbaden fortbeftehen. Ueber einen anderen Zweig der
Rößler zu Rottenburg an ver Zauber fehlen uns alle
Nachrichten.
104
-
Stammbaum.
(S. Anhang, Ann. 2.)
Cunz Winter.
U —
FIohann Winter, d. ä. Johann Winter d. j.
ux. 1) Anna Eliſabetha Bahrd. ftarb 1650 kinderlos als Hauptmann
2) Eliſabetha | Sefemann, im Dienfte der Republik Venedig.
niit ——— ___ — — — —
Johann Maximilian. Johann Conrad. Marta Eliſabeth. Margaretha Felieitas.
Generallieutenant im Dienſte der geb. den 4. Aug. 1642 zu geb. ben 1. Juli 1646, ftarb vermäbhlt mit Amtmann
vereinigten Niederlande, Starb am Sriebberg, ftarb zu Frankfurt am 1. Nov. 1726,
v. Götken zu Gelnhaufen.
21. Juni 1673 ohne ebeliche Nach⸗ am19. Nov. 1708 ale Obrift- zweimal vermählt:
fommen zu Leyen. lieutenant von Lotharingen 1) mit Johann Chriſtoph Sulzer,
und ale Mitglied der Ritter- 2) mit Johann Georg Rößler
Ihaft in der Wetterau, feit 1669.
TE — —— — — ————— gibs
Tochter? Friedrich Philipp
qh P Aus der zweiten Vermählung 1) Jo hann Andreas
vermählt mit Herrn Preußiſcher Rittmeifter. Starb fammen 3 Söhne und eine v. Götken, geb. den 30. März
v. Beuft, 2 lern em Er Su 1743 —* , deren Kamen und 1684 und geft. 20. April 1710,
zu Florſta eine Gattin Fortpflanzung im Stammbaum 2) Eine t
- war einev. Hesperg. Mit ihm der —** Rößler auf⸗ F Yor woher na
erlofch die männliche Linie geführt find. vermählt an Yacab Aanker"
bes Gefchlechts von Güldenborn. Berlichingifehen —E
Rechenberg.
105
Sohann Philipp Winters erftes Auftreten umd
perfünliche Geltung.
Johann Philipp Winter, der Aeltere genannt,
mit dem fpäter verliehenen Adelsprädikat „v. Güldenborn“,
wurde vermuthlih 1595 zu Birftein am Dogelöberge
geboren. Er muß eine höhere Bildung im Sugendunterricht
oder jpäter in der Schule des Lebend empfangen haben.
Dafür zeugt feine vielfeitige Brauchbarfeit und Verwendung in
gefandtichaftlichen, ftaatSrechtlichen und militärischen Dienften
und Berwaltungsämtern. Sowohl aus feinen hinterlaffenen
Briefen und anterartigen Schriftftüden, als aus feinem
Lebensgange und Wirken erkennen wir feinen . eifrigen
Thätigfeitötrieb, feine treue Befliffenheit in Geſchäften jehr
verjchiedener Art, feinen hoben militäriihen Muth, feine
kluge Anjchlägigfeit, und einen in allen Verhältniſſen und
Handlungen aufopfernden und ehrenfeften Charafter.
Viele8 und Schwierige8 wurde ihm anvertraut und
er bewährte fich in diefen Aufträgen. Hohe Herren gingen
mit ibm um und er verfehrte mit ihnen in Gejchäften und
Unternehmungen, wie jolche einem gewöhnlichen Manne
weder anvertraut noch gelingen werten. Aus treuer
Ergebenheit für die Notbhlage der gräflichen Häufer von
Vſenburg und Hanau brachte er jein Vermögen zum Opfer
und wurde erft ſpät, zum Theil niemals, dafür entiprechend
belohnt, Durch folche Gefinnung und Thatkraft machte
er fich hochverdient um dieſe beiden Grafenhäujer und
um die Stadt Hanau, die er aus jchwerer Beträngniß
und fremder Willfür durch eine von ihm eingeleitete und
ausgeführte Krieggunternehmung befreite. Er überrajchte
und bezwang einen ftarfen und jchlauen Gegner, den er
jedoch, als er in feine Hand gefallen, menſchlich und edel
behandelte, was eben jo für ihn als für den Gegner, darum
aber auch wider die gewöhnlichen Verdammungsurtheile
über diejen Feind zu zeugen jcheint,
Dadurch hob Joh. Winter in der Periode des wehe-
@
106
vollen Kriegsdramas ſowohl fi als feine Familie aus
bürgerlicher Stellung in ten erblichen, mwapperführenden
Adelftand empor, wurde bei feinen Herren wie bei anderen
weltlichen und geiftlichen Fürſten ein geachteter Mann und
felbft vom Kaifer für feine Verdienfte um dag Reich belohnt.
Faßt man dieſes Mannes Emporfommen, feine Geltung
und feine mannichfaltige Thatengejchichte unter dem Geſichts⸗
punkte ihrer Entwicklung zuſammen, fo ftellt ſich und das
Bild eined Mannes dar, welcher, wie unzweideutig hervor-
leuchtet, nicht8 einer unverdienten Gunft, dagegen alles,
was er war und galt, feiner vieljeitigen Züchtigfeit und
unerjchütterlichen Rechtichaffenheit verdankte.
Vermuthlich ift Johann Winter jchon frühe in gräflic
vienburgifchen Dienften werfthätig aufgetreten, als er 1617
und 1618 mit feinem Berwandten, dem NRechtögelehrten
Dr. Carl Cäſar, an den Kaiferiihen Hof nah Wien
ging, um in dem Streithundel der Grafen von PYſenburg
mit dem Landgrafen Ludwig V. von Heſſen-Darmſtadt
wegen der entzogenen Kelſterbachiſchen Beligungen in der
Dreieich die Nechte feine Grafenhauſes zu vertreten und
überhaupt die Rettung ſeines Herrn und deſſen Sohnes
aus großer Bedrängnig zu betreiben.
Während uns feine ganze jugendlihde Vorzeit un—
befannt bleibt, erfahren wir dieſes erfte Auftreten aus
Kotizen, die er felbft aufgefegt und in feinen Papieren
hinterlafien bat. In mehreren Aftenftüden von 1650 und
1665 nennt er fich jelbjt „einen alten Diener des yſen—
burgiichen Grafenhaufes, der feit 1617 in Yienburgijchen
Verſchickungen an den Kaijerlihen Hof und jonft in vor-
nehmen Dienften thätig geweſen.“ In erfterer Eingabe
an feinen Herren redet er von 33 Dienftjahren, in der
zweiten „von faft in die 50 Jahre geleifteten anjebhnlichen
Dienften.” — Er muß demnach etwa in feinem 22. Alters⸗
jahre ein brauchbarer und zuverläjfiger junger Mann gewejen
fein, den man zu jo wichtigen Gejchäften verwenden fonnte.
107
Um nun allgemein feine verdienftvolle Thätigfeit vers
ftändlich zu machen, müſſen wir tiefer in die damalige
leidenvolle Hausgefchichte der Vſenburger Grafen in poli—
tifcher und Eirchlicher Beziehung eintreten, weil ohne dieſe
Meberjicht, die wie eine Epijode fonft fremdartig erjcheinen
würde, der Stand der Dinge unklar bliebe und wir ber
Weitichweifigkeit verdächtig würden. Es gehört übrigens
dieſe Erörterung zur allgemeineren Geſchichte der politijchen
und firchlihen Strömungen jener Periode.
Kurze Gefchichte des Uſenburger Hauſes bis zum
dreißigjährigen Kriege.
Das Dynaſtenhaus der jetigen Fürften und Grafen
von Vjenburg- Büdingen ftammt auß dem Nieder-
labngau, wozu in engeren Grenzen auch der Engerdgau
gehörte. Dort lag am Zufammenfluß des Saynbaches
und Pſer- over Iſerbaches ihr Stammſchloß auf einem
hohen Felſenkopf, jegt nur noch in Trümmern erkennbar.
Bon diefem Vierbah haben wahrjcheinlich ſowohl die
Stammburg als das Herrengefchlecht ihren bleibenden
Namen erhalten.
Die Herren von Pfenburg werden fchon feit 919
genannt, beftimmter in Urkunden feit 1093 und 1095 unter
diefem Namen. Als vorherrichende Perfonennamen treten
in dieſem Familienverband die Vornamen Rembold oder
Reginbolo und Gerlach auf, daher dieſes Haus in zwei
Hauptſtämmen al8 Remboldiſcher und Öerlachifcher
Etamm vorfomnit, die beide in den Lahngegenden, aber
auch zu beiden Seiten des Rheins in zerftreuten Befigungen
fich ausbreiteten. Schon frühe erhielten fie den Grafentitel
und wahricheinlich auch dag Grafenamt in jenen Gegenden ;
fie fcheinen übrigen? mit dem Saliſch-Konradiniſchen Haufe
deutjcher Könige verwandt geweſen zu fein.
Heinrich 1, Herr zu Vienburg-Grenfau (von 1179
bis 1220), war Stammovater derjenigen Linie, aus welcher
108
die Vſenburger am Vogelsberg abftammen. Sein Entel
Ludwig (von 1258 bis 1305) hatte ſich mit Heilberg
von Büdingen, der jüngften Tochter des Dynaften
Gerlach's von Büdingen, des lebten Herrn aus dem
uralten Gejchlecht der Edlen von Büdingen (ftarb 1247),
vermählt und wurde dadurch, fowie durch Erwerb anderer
Erbtheile, der Stifter des jegt noch in mehreren Zweigen
blühenden fürftlihen und gräflichen Hauſes Pſenburg—
Büdingen am Dogelöberg und in den Maingegenden,
hauptfählih im Thale der Kinzig und im Umkreiſe des
alten Reichsforfte8 bei Büdingen und Gelnhaufen. Der
Unterjcheidung wegen wird dieſes Beſitzthum häufig aud
die Grafſchaft Ober-Yſenburg genannt. Die Befigungen
und das Anjehen dieſes Haufe waren jo bedeutend, Daß
fie unter Einwirkung günjtiger Einflüffe fo gut wie mehrere
ihrer Nachbarn zu höherer Macht und Ranggröße hätten
emporfteigen können. Das Geſchick und insbeſondere Die Miß—
geſchicke zur Zeit des 30jährigen Krieges traten ihnen ſtörend
in den Weg und hinterließen ſie unſerer Zeit als media—
tiſirte Standesherren der beiden heſſiſchen Nachbarſtaaten.
Zu Anfang des 16. Jahrhunderts war die Grafſchaft
Vſenburg am Vogelsberg und Main nach dem Syſtem des
gleichen Erbrechts aller Söhne des Hauſes in mehrere
Linien und dieſe wieder, je nach den zeitweiligen Verhält—
niffen, in zwei, Drei und vier Zweige getheilt, Doch durch
das Hausgeſetz der Erbeinigung- oder des 1517 errichteten
und darauf noch viernal unter Brüdern und Agnaten
erneuerten Erbbrüdervertrags die Vertheilung und
Veräußerung ver Yienburger Hausgüter in fremde Hänte,
fei e8 durch Vermächtniß oder Verfauf, gänzlich unterfagt.
Eine Zeit lang tbeilte ſich das Haus in die Nonne
burgifche und Birfteinifche Linie, welche im Stammort
Büdingen gemeinfchaftliche Rechte bejaßen, dann unter
dem Grafen Wolfgang Ernjt 1601 vereinigt, bald aber
wieder verzweigt wurden. Dieje Epaltung war ein weient-
109
Yiche8 Hinderniß ihres dunaftiichen Emporkommens zu größerer
ftaatlicher Bedeutſamkeit. Oefters ftörten Reibungen und
ftreitige Anfprüche über gemeinfchaftliche oder eigene Rechte
den Frieden unter den zeitweiligen Dynaften dieſes Haufe.
Diele Störungen gingen zur Zeit und in Folge der dort
eindringenden Reformation in eine feindliche Zwietracht
und die Einheit und Untheilbarfeit des Landes verleßende
Handlungen über, als zu weltlichen Streitigkeiten fich
ſowohl bei den Herren alß bei Predigern und Gemeinden
noch feindlihe Glaubensſpaltung gefellte und in Fragen der
eonfelfionellen Kirchenangelegenheiten den Yunfen des
Streite8 zur Flamme anblies.
Der kirchlich⸗confeſſionelle Hausſtreit.
Seit 1533 war die lutheriſche Lehre bei den
Grafen und ihrem Volke eingedrungen, wurde von beiden
Theilen eifrig erfaßt und allgemein auch kirchlich eingeführt.
Bald aber wendeten ſich einige Grafen derjenigen theo—
logiſchen Anſchauung und Kircheneinrichtung zu, welche im
Gegenſatz gegen das lutheriſche Bekenntniß gewöhnlich die
reformirte Kirche genannt wurde. Man kann bei
ſtrengerer Auffaſſung des Weſens in dieſem Syſtem weder
die ſpeciell Zwingliſche noch Calviniſche Glaubenslehre
auffinden; es war vielmehr die melanchthoniſch-luthe—
riſche Confeſſion in Lehre und Cultus, wie ſie vom
Landgrafen Philipp dem Großmüthigen von Heſſen begünſtigt
und vom Kurfürſten Friedrich IN. in Kurpfalz eingeführt, und
in ihrem Lehrſyſtem durch den Heidelberger Katechismus
ausgeprägt war. Mit beiten benachbarten Fürjten ftanden
die Vienburger in Verwandtichaft und lebhaften Verkehr.
Nach der damals herrichenden Anficht von Fürftenrecht
und obrigfeitlicher Gewalt wollten die Landesherren auch
über die Gewiffen und den Glauben ihrer Untertbanen
herrſchen und verfügen, obgleich Gott fich dieſe Macht als
jein Vorrecht vorbehalten hat. Sie zwangen daher Bolt
110
und Prediger, die Einen zum Uebertritt in die |. g. refor-
mirte, die Antern zur Rückkehr zur ſtreng lutheriſchen
Confeffion, je nachdem in ihrer Aufeinanderfolge Die Herren
jelbft dem einen oder dem andern Syſtem zugethan waren,
Nicht fo dachten die Prediger und viele Leute im Bolf;
fie fahen dies für einen Ball an, wo um Gottes und ihres
Gewiſſens willen „Ungehborfam der befte Gehorſam“
fei und widerſtanden hartnädig dem anbefohlenen Glaubens⸗
wechſel. Dies nun wurde die Veranlaffung, daß eine nicht
geringe Zahl von Predigern als Märtyrer ihrer Glaubens:
treue von Haus, Kanzel und Pfründen verjagt und mit
fchreiender Härte in Noth und Elend vertrieben wurden.
Da im Wechfel der Landesherren fich mehrmald auch der
Wechſel in der theologiſch-kirchlichen Anſchauung erneuerte,
jo wiederholte fich auch mehrmals diejelbe Verfolgung und
Härte in Slaubendzwang, Pfründenbejegung und Prediger:
vertreibung.
Sp hatte in der Ronneburgiihen Linie Graf Wolf-
gang feit 1560 mit Vertreibung der lutheriſchen Prediger
die reformirte Lehr- und Glaubensform in feinem
Gebiet gewaltiam eingeführt; als aber bei feinem Tode
fein Bruder Graf Heinrich 1597 in der Regierung ihm
folgte, führte er mit unerbittliher Strenge wieder das
lutheriſche Lehrſyſtem in feinem Lande ein, berief
dafür ftrenggläubige Lutheraner, ſetzte alle widerftrebenden
reformirten Prediger ab und trieb fie in Die Verbannung.
Sp wiederholte ſich bier, wie in Sachſen und einigen
anderen Ländern, der fcheußliche Confeſſionsſtreit zwifchen
dem ftarrgläubigen Luthertbum und dem milderen Krypto⸗
Calvinismus, wie damals das melanchthoniſche Syſtem
genannt wurde, und alles dies angeblich oder vermeintlich
im Namen des Himmels und aus Gewiſſensbedenken. In
dieſer Form von Glaubenszwang iſt wenig Unterſchied
zwiſchen dem Zelotenweſen der Katholiken und Proteſtanten.
Die Mächtigen der Zeit gaben fi den Schein, als glaubten
111
fie an die Göttlichkeit ihres Auftrages, und glaubten in
Wahrheit nur an fich felbft und an die Vortheile einer
Uniformität de8 Gehorſams.
Diefer Kampf zweier Zeitſyſteme blieb aber keineswegs
blos auf die Tirchlichen Verhältniſſe beſchränkt; er führte
bei dem zelotiihen Grafen Heinrich zu Schritten, welche
noch lange nach feinem Tode das Haus Vſenburg in
feinem Beftand gefährdeten und feine Zukunft bi8 auf
unjere Tage beeinträchtigten.
Da fein Vetter und demnächſtiger Erbfolger zu Birftein,
Graf Wolfgang Ernit, ftreng an der reformirten Lehre
bing, fo ſah der kinderlofe Graf Heinrih von Ronne—
burg mit tiefem Glaubenshaß die Zeit herannahen, wo
nach feinem Tode fein Gebiet an die Birfteiner Agnaten
übergehen und dann unfehlbar zur Wieberannahme des
reformirten SKirchenglaubeng gezwungen würde. Diefent
Unglüd der Zukunft wollte er zuvorkommen, und nody bei
Lebzeiten den Fortbeitand des lutheriſchen Glaubens und
Sottesdienftes in feinem Gebietötheile dadurch fichern, daß
er fein Land in treue Iutheriiche Hände bringe. Zu dent
Zweck machte er, zuwider der auch von ihm anerkannten
Erbeinigung im Brübdervertrage, im Jahre 1599 zum
Schaden feiner Bettern in Birftein ein Teftament, worin
er den einen Theil feined Landes, die Gerichte Meerholz,
Spielberg, Wächtersbach und Kleeberg, an feiner Schweſter
Kinder, die Srafen von Kirchberg und Salm, al
Erbgut mit allen Herrichaftsrechten vermachte, und ben
anderen Theil jenjeit® de8 Mains in der Drei-Eich,
fech8 anfehnliche reich8lehnbare Dörfer, namentlih Langen,
Mörfelden, Egelsbach, Nauheim, Ginsheim und
Kelfterbach mit dem Scloffe daſelbſt, an den ftreng
Xutherifch gefinnten Landgrafen Ludwig V. von SHeffen-
Darmſtadt zuerft verpfändete, dann unterm 15. Mai 1600
um die Pfand- und Kauffjumme von 356,177 Gulvden als
Eigenthum verlaufte Anm, 4).
112
Die Birfteinifche Linie, damals Graf Wolfgang Emmft,
in ihrem Erbrecht betroht, erhob Widerſpruch, unterbantelte,
ſuchte Vermittler, rief die Kaiſer Rudolf IH. und. Matthias,
dad Kummergeriht um Recht und Hülfe auf; aber alle
Eingaben, Klagen, gerichtliche Urtheile und kaiſerliche
Sprüche hatten weter beim Grafen Heinrich, noch beim
Zandgrafen Ludwig irgend einen Erfolg, Tenn der Landgraf
glaubte aus Selbitiuht und Gewiſſensbedenken den neuen
Erwerb um ded wahren Glaubens willen behaupten zu
Dürfen, daher wurten die kaiſerlichen Citationen und die
ſchiedsrichterlichen Eprüche anderer Stünde nicht befolgt, viel-
mehr mit einer Menge jophiftiicher Rechtsausflüchte umgangen.
Wenn man die umfangreiche Summlung von Staats
fchriften und Rechtsdeductionen über diejen Alienationsftreit
(1618 zu Frankfurt im Drud erjchienen) durchgeht, fo
erwedt es ein peinliche8 Gefühl, daraus zu erfennen, wie
Selbſtſucht und kirchlicher Parteigeift unter dem Banner
des Scheinrecht8 und der jelbftjüchtigen Verdrehung der
Rechtsfrage hartnädig kümpften und im Befiß ber Beute
ſich hielten, objchon damals die beiden Kaiſer fich nicht
feindfelig gegen Vſenburg zeigten. (Anm. 5.)
Sp lange Graf Heinrich lebte, mußte Graf Wolfgang
Ernjt das Gejchehene gelten laſſen; ald aber am 31. Mai
1601 diejer legte Ronneburger kinderlos jtarb, überfiel ſchon
am folgenden Tage Graf Wolfgang Ernft mit bereit-
gehaltener Mannjıhaft unter bewaffneter Beihülfe des Grafen
von Naſſau-Catzenelnbogen und einiger anderer Wetterauer
Herren das Schloß Ronneburg, nahm die Burg, alle
Urkunden und Documente weg, vertrieb die von Kirchberg
und Salm aus dem ihnen widerrechtlich geſchenkten Gebiet,
ließ jich al8 rechtmäßigem Landesherrn von den Unterthanen
huldigen und führte, nach der Rechtdanjchauung jener Zeit,
in allen Gemeinden die reformirte Stirchenlehre wieder ein,
und abermals mit Vertreibung der vom Grafen Heinrich
gewaltfam eingeführten Iutherifchen Prediger. In 14 Dorfes
113
Ichaften mußte das Volk fich beugen, doch fand der Graf wenig
Hindernijje beim Volke, weil eg mehrentheil® der Glaubens⸗
anjchauung der reformirten Kirche treu geblieben war.
Was gegen die Schwachen gelang, wollte nicht alſo
gegen den. mächtigeren Landgrafen ſich erreichen laffen.
Gegen ihn Hagte der Wienburger bei Kaifer und Reich,
beim Kammergericht und bei der Wetterauer ReichBritter-
Ichaft, bei den benachbarten Fürſten und Freunden; aber
der Landgraf behielt unter einer verneinenden Sophiſtik
feine Beute. Damit wurde der langwierige Streit zwilchen
dem Haufe Vienburg und den Landgrafen von Heſſen—
Darmftadt entiponnen, der fich faft durch Die ganze Dauer
des 30jährigen Krieges fortjeßte und in Folge neuhinzu—
tretender politiſcher Verwicklungen eine für Vſenburg gefährs
liche, faft vernichtende Wendung nahm.
Die politifche Gefährdung des Haufes Yſenburg.
Landgraf Ludwig V. von Heffen-Darmftadt war
ein eifriger Anhänger der ftrengslutheriichen Kirchenlehre
und befjenungeachtet ein jo ergebener Parteimann für die
kaiſerliche Politik, daß er wegen feiner reich8mäßigen
Gelinnung den Beinamen „des Getreuen” erhielt. Stoiz
auf dieſen Ruhm ließ er felbit auf fein Todtenhemd fein
Motto ftiden: „Deo et Caesari fidelis* — ein empfehlender
Reiſebrief für die andere Welt!
Aus Politik, um ſich und ſein proteſtantiſches Land
gegen kaiſerliche Machtgebote und Gewaltmaßregeln in jener
rechtloſen Zeit zu wahren, aber auch, um mit Hülfe der
faiferliben Gunjt fein Land aus dem Heimfall und der
Konfisfation geächteter und vertriebener Herren der Nachbar
länder zu vergrößern, verhielt er fich in allen Fragen der vom
Kaiſer und der katholiſchen Ligue damals betriebenen Gegen—
reformation nicht allein lau und neutral, fondern arbeitete
auch in Verbindung mit dem Kurfürften von Mainz an
der Auflöjung der proteftantijchen Union und an Errichtung
X. Band.
114
eines Waffenftillftandes zwiichen dem ſpaniſchen Truppen⸗
führer Marquis von Spinola und ten neutralen prote-
ftantijchen Zürften, um Taturd tie Kriegsmacht des evan-
geliihen Buntes zu lähmen. Es gelang ihm und ten
Jejuiten, daß die Union am 24. April 1621 ih aufleite
und Tamit Der gewaltiumen Untertrüdung tes Protejlun-
tiemus die Bahn geöffnet wurde. Die Welt ruhte Damals
auf der Spike des Schwerted,; wer nit Hummer fein
wollte oder Eonnte, muhte Ambo3 werden. Das Haus
Vſenburg gerieth zwiichen beide und wurde fajt zermalmt.
Der ichon bejahrte Graf Wolfgang Ernjt von
Dienburg hatte als Direktor der „ritterjchaftlichen
Eorrefpondenz” in der Wetterau d. h. der Reichs⸗
ritterfchaft jene® Gaues, ſowohl fih als feine Verbündeten
von der Theilnahme an der böhmiſchen Königewahl und
pfülziichen „Verduellion” fern zu halten gejuht und war
teshalb am Kaiſerhofe nicht übel angefchrieben, werlor aber
dieſe Gunſt durch Schuld feines Alteften Sohnes Wolj-
gang Henrich, der weniger Klug als fein Vater, fich auf
die Seite des Kurfürften Friedrich von der Pfalz ziehen
ließ und gegen Kaiſer und Ligue ind Feld rüdte.
Damals durchftreiften kaiſerliche, ſpaniſche und mit-
unter andere liguiftiiche Truppencorps Die Länder der prote=
ftantifchen Herren am Mittelrhein und in der Wetterau,
und verübten allentbalben Räubereien und zum Theil gräuel-
volle Gewaltthätigfeiten. Gegen dieſe Heerbanden, befonders
gegen die aus den Niederlanten heranziehenden Spanier
unter Spinola, hatte Graf Wolfgang Ernſt 1620 die
FZürften, Grafen und Ritter der Wetterauer Correfpondenz
zu einer Verſammlung nach Friedberg einberufen; hier legte
er ſelbſt das Direktorium nieder, veranlaßte jedoch, daß
zum Schutz des Landes und wehrlojen Volkes bie Auf-
ftelung eines Fähnleins Fußſoldaten beichloffen wurde.
Es geſchah aber gegen ſeinen Willen, daß die Hauptmann⸗
ſchaft darüber ſeinem Sohne Wolfgang Henrich übertragen
115
wurde, welcher auch, aller Warnungen:: ſeines Vaters un-
geachtet, die Führerjtelle annahm und den Haufen auf 400
Mann verftärkte. Anftatt damit blos Die Metterau zu
Ichügen, führte er im Ungeſtüm feiner. Kriegsluft diefe Manns
Ichaft nach Worms zu dem Streithaufen der 'evangeliichen
Union und nahm als Obrift, fpäter als Generalzeugmeiiter an
den Kriegdzügen der damaligen -proteftantiichen Barteigänger,
des Herzogs Ehriftian von Braunſchweig ünd des Grafen.
Ernft von Mansfeld fo thätigen Antheil, Daß er am 10/20.
Sunt 1622 die Schlacht bei Höchft gegen. Tilly und die,
Spanier mitmachte, aber am 6. Auguft 1623 in dem Treffen
bei Etadtloo gefangen, nach Wien abgeführt, dort in einen
peinlichen Prozeß verwidelt, zuleßt auf Fürbitte der Kaiferin
und gegen dag eidliche Gelübde, ferner nicht mehr gegen
den Kaijer und defien Partei in Krieg ziehen zu wollen,
zwar perfönlich entlafjen, jedoch bezüglich anderer Klagen
wegen Plünderung und Erpreffung gerichtlich belangbar
erklärt und für allen Schaden verantwortlich gemacht wurde,
Damit begann die politifche Gefährdung des Haufe
Bienburg, denn nicht nur gegen den fchuldigen Grafen
Wolfgang Henrich und feinen Bruder Philipp Ernft,
fondern auch gegen den ganz unfchuldigen alten Vater
Wolfgang Ernft wurden bei kaiſerlichem Hoſgericht
einerfeit3 vom fTaiferlichen Fiskal ſchwere Klagen wegen
Landfriedenbruch, Aufruhr und Majeftätsbeleibigung erhoben
und fie ſämmtlich von den Gerichten verfolgt, andererjeits
vom Landgrafen Ludwig von HelleneDarmftadt wegen aller
Beſchädigungen und Erprefjungen, welche die braunfchweis
giſchen, mansfeldiichen und anderen Unionsteuppen im
Darmftädter Gebiet verübt hatten, fo hohe Forderungen
auf Schudenerjaß an das Haus Vienburg im Betrag von
anderthalb Millionen geftellt, daß es Durch den verurtheilenden
Spruch de8 Kurfürften-Eollegiums vom 9. Rovember 1630
in eine Strafſumme geftürzt wurde, Die es nur mit Hingabe
aßer feiner Herrichaften tilgen Tonnte.
g*
116
Das eben fchien der Landgraf zu wollen und ſchwerlich
dürfte man zu weit gehen, wenn man mit dem yienburgiichen
Schriftitellern argwöhnt oder ſelbſt behauptet, daß auch die
Fistalklage fein Werk gewejen, um in jener rechtSunficheren
Zeit, wo der Kuiler ſelbſt Partei und Richter war, alle
yienburgiichen Belihungen an fein Haus zu bringen. Er
that ähnliche kühne Griffe nach ten Läntern aller feiner
Nachbarn; die Grafen von Naſſau, die Landgrafen von
Heſſen-Kaſſel, die Pfalz und einige fleinere Herren erfuhren
von ihm ähnliche Berjuche tes liftigen und gewaltiamen
Rändererwerb3 (Anm. 6). Sein weiteres Benehmen fpricht
für vorfiehente Annahme ſehr unzweideutig.
Er ſelbſt ließ fich die Execution des Kurfürſtenſpruchs
übertragen, fiel dann an der Spige darmjtädtifcher, kur⸗
mainzer, bayeriicher und anderer Executionstruppen in das
gienburgiiche Gebiet auf tem linken Mainufer ein, bejebte
in der Dreieich alle Ortichaften und haujte darin wie in
erobertem Yeindesland.
Nach yienburgiihen Berichten und SKlageichriften,
weiche nach der damaligen Art ver Kriegführung wohl
glaublich und durch hiſtoriſche Belege unterjtügt werben,
jchaltete die liguiftiiche Soldateska, verſtärkt von Kroaten,
Ungarn und Spaniern, mit Wuth, Plünderung und Fana⸗
tismus wider Wehrlofe und Witerfirebende. Graf Wolfgang
Henrich Hoh aus feinem Schlofje zu Offenbach und übers
haupt auß feinem Lande, und juchte für fih und feine
Zumilie ſchützenden Aufenthalt zu Frankfurt, während ver
Landgrtaf ohne Verzug zu dem Aeußerſten jchritt, daß er
die bejeßten Ortichaften zwang, ihm als ihrem rechtmäßigen
Oberheren zu huldigen.
Das Haus BVienburg jchien vernichtet und nirgends
Recht, auch bei den verbündeten Nachbarn feine Hülfe zu
finden, da ringsherum die evangeliichen Reichsſtände, na=
mentlich die Grafen von Naffau, Hanau und andere Herren
in der Wetterau nicht allein in gleicher Bedrängnip, jondesn
117
zum {Theil ebenfall® auf der Flucht waren. Aus dieſer
argen Nothlage rettete die Ankunft des Könige Guftav
Adolfvon Schweden, damals der einzige und legte Hoffnungs⸗
ftern der Evangeliſchen gegen Jeſuitenmacht und Kaijere
bespotismus. Nachdem derjetde am 17. September 1631
auf dem Breitenfeide bei Leipzig über den liguiſtiſchen
Feldherrn Tilly gefiegt, rücdte er plöglih durch Franken
am Mainjtrom herab, kam nach Seligenftadt und Hanau
und des Abends am 15/25. November 1631 nach Offenbach,
wo er von dem hberbeieilenden Grafen von Wienburg in
feinem Scloffe empfangen und gaftlich bewirthet wurde.
Noch bevor der Helfer herankam, hatten die liguiftiichen
und darmſtädtiſchen Executionstruppen eilig das yſenbur⸗
giſche Gebiet verlaſſen und Graf Wolfgang Henrich wurde
von ſeinem Volke als rechtmäßiger Landesherr freudig begrüßt,
Der Graf ſuchte nun bei Guſtav Adolf ſowohl Schutz
gegen den Spruch des Kurfürſten-Collegiums vom 9. No⸗
vember 1630, als überhaupt: fein Recht gegen vie fisfalifche
Execution, Demzufolge auch Wiedereinfegung In feine Dreieicher
Befißungen. Der König übertrug die Suche womöglich zu
einer gütlichen Ausgleichung, nöthigenfalls die Betretung "
des Rechtswegs, feinem Kanzler Ogenftierna, der jedoch nach
bein Tode Ted Königs dieſe Angelegenheit mit auffallender
Lauheit betrieb.
Uneingebent des zu Wien gegebenen Berfprecheng
hatten aber die Grafen Wolfgang Henrich. und Philipp
Ernft und mit ihnen viele Grafen der Wetterau und des
Weſterwaldes, auch Graf Ludwig Heinrich: von Naffaus
Dillenburg, am 1. Dezember 1631 zu Frankfurt mit Guftav
Adolf eine Uebereinkunft gefehloffen, demgemäß ſie entichieden
auf die Seite der ſchwediſch-proteſtantiſchen Allianz. gegen
Kaifer und Ligue traten. Wolfgang Henrich erhielt vom
König Auftrag und Vollmacht ſowohl in der: Wetterau als
im Nafjauifchen Gebiet zwei Regimenter Kriegstruppen für
die ſchwediſche Sache anzuwerben; noch mehr, zu Anfang
118
Februar 1632 erweiterte ſich daB Frankfurter Bündniß
dahin, daß die Grafen von Nienburg und alle Grafen und
evangeliihen Herren der Wetterau gegen ten Echweren-
König fich verpflichteten, mit Xeib, Gut und Blut zur Unter-
ftügung der ſchwediſchen Kriegsmacht für Die evangelifche
Sache Eriegeriich in den immer mehr ſich erweiternden
Kampf gegen Das katholiſche Bündniß einzutreten. Die
Pflicht Der Selbiterhaltung hob dieſe Herren über alle
anderen Bedenken hinaus; der Kaiſer war ihr Feind, nicht
mehr das jhügende Haupt und der Schirmherr des Nechtß,
(Ann. 7). |
Mit den geworbenen Truppen diente nun Graf Wolf-
gang. Henrich als ſchwediſcher Generalmajor für die Sache
bes Königs; fein Regiment fand bis 1634 im Feld, und
der Bienburger genoß die Gunft des König in dem Maße,
daß defjen Gemahlin Maria Eleonore bei der dem Grafen
geborenen Tochter Die Stelle einer Taufpathin annahm, —
Berhältniffe, wodurd das gräflich «yfenburgiiche Haus in
immer tiefere Schuld beim Kailer und deſſen Partei fünf.
Als darauf nad Guſtav Adolfs frühzeitigem Tode
und in den Schwankungen des Kriegsglücks der Kurfürſt
von Sachſen hauptſächlich durch Vermittlung des Landgrafen
Georg Il. von Heſſen-Darmſtadt, der die gleiche zwei—
deutige Politik befolgte, wie fein Vorgänger Ludwig V.,
am 10. Mai 1635 mit Kaijer Ferdinand I. den Prager
Separatfrieden ſchloß und Dadurch die .proteftantiiche Sache
in. großen Nachtheil brachte, wurde unter vielen ‚anderen
proteftantiichen Reichsftänden auch Wolfgang ‚Henrich mit
allen feinen Brüdern und Bettern von dieſem Frieden aus-
geichloffen und. die ganze Grafichaft. Vienburg .nebjt allen
Rechten und Zugebörungen unterm 7. Juli 1635 an ven
Zandgrafen Georg von Heſſen geichenft und dieſer auch
fofort in den wirklichen Befit der Länder und Herrichafte-
echte eingelegt... Das. war der Lohn .für feine Neutralität
in einer Zeit und Sachlage, wo biefe Politik ein Verrath
119
an der gemeinichaftlichen. evangeliihen Rechtsſache mar.
(Lünig's Reichsarchiv Pars spee. I. ©. 124—126.)
Mührend diejer unheilvollen Wendung des Streit-
handels ftarb fowohl Graf Wolfgang Henrich im Februar
1635 als fein Bruder Philipp Ernſt im Auguft defjelben
Jahres, und die yienburgiihe Grafenfamilie, damals aus
vierzehn Perſonen beſtehend, war al’ ihrer Länder und
Einkünfte beraubt, ohne Schutz und männliches Haupt,
jo verlaffen und arm, daß fie ficben Jahre lang mit der
gräflihen Witwe Maria Magdalena, einer geborenen
Gräfin von Naſſau-Wiesbaden und Idſtein, troftlos in die
Verbannung wandern mußte. Während die vertriebene
Witwe mit ihren 13 Kindern bald zu Frankfurt, bald in
Weſtphalen in großer Dürftigfeit lebte, verfügte der Landgraf
Georg von Heflen in der neuen Eroberung mit großer
Willkür. Er verichenkte anfehnliche Güter an feine Diener
oder vergab fie ald Lehen, ließ maffenhaft alles Stammholz
in den Wäldern füllen und verkaufen, traf überhaupt folche
Veränderungen im Lande, daß auch int Falle einer Reſti—
tuirung das yienburgiihe Haus große Nachtheile und be—
trächtliche Berlufte an Rechten und Einkünften erleiden mußte.
- Die Drangfale nabınen eine günftigere Wendung,
ald die Wetterauer Grafen, bejonder8 Graf Ludwig
Heintih von Nafjfau- Dillenburg und Graf
Georg Albrecht von Erbach al8 Vermittler auftraten.
Durch Deren Bemühungen wurde am 24. November 1642
zwiichen Heſſen-Darmſtadt und dem Hauje Vienburg ein
Vergleich abgefchloffen, demzufolge eritend der Landgraf
für jih und feine Nachkommen die Anwartichaft auf den
völligen Befig aller yienburgifchen Länder nebſt Titel und
Wappen für den Fall des Außfterben des gräflihen Manns—
ſtammes, jofort auch die Ortichaften in der Dreieich und
Rechte auf andere yſenburgiſche Beſitzungen nebft einer
großen Summe Geldes in Obligationen und Forderungen ıc.
auf ewige Zeiten erhielt, dagegen zweitens die übrigen
120
GSebietötheile wieder an das Grafenhaus zurüdgeftellt und
alle weiteren in der Fiskalklage erhobenen oter erworbenen
Entſchädigungsanſprüche für aufgehoben erklärt wurten;
Dagegen mußten brittend Lie Grafen von Bienburg tie
Gültigkeit der inzwiichen von Landgrafen vergebenen Leben
und getroffenen Einrichtungen anerkennen, wodurch das Haus
Vſenburg nebft vem Berlujt an Land und Leuten eine nicht
geringe Zahl anderer Rechte und Befikungen einbüßte.
Nachdem dieſer Alienationgftreit fait ein halbes Jahr-
hundert gedauert, wurde er durch obigen Vertrag beigelegt;
der weitphäliiche Friedensſchluß 1648 und Die damit erfolgte
Generals-Amneftie bat dann auch die fisfaliichen und darm—
ſtädtiſchen WVerfolgungen für immer volljtändig nieber-
geichlagen.
Johaun Philipp Winter der Aeltere als Vertreter des
Hanfes Yfenburg. |
In diefer langen Leidensperiode des gräflich yſen—
burgiihen Haufes hat Johann Winter der Xeltere als
treuer und gewandter Diener, Unterhändler und Anwalt
diefem Haufe die erfprießlichjten Dienjte geleijtet und fich
einen Ehrenkranz erworben, der in der .gienburgifchen Haus—
gejchichte fein Andenken. für alle Zeiten aufrecht halten ſollte.
Wenn wir feine Thätigkeit und Verdienſte in diefer
ſtürmiſchen Periode der großen Rechtsumwälzungen in’8 Auge
faffen, jo Fönnen wir weniger auf den Ruhm von Helten-
thaten, auf wifjenjchaftlihe und geiftige Größe in feinem
Mejen und Wirken, als auf feine gefchäftlichen, treuen
Dienfte für das Haus feine Herrn, auf fittliche Bürger-
tugenden und auf feine anſpruchsloſe Bejcheidenheit hinweiſen,
womit er in feinen binterlaffenen Papieren nicht gegen die
Melt, jondern zu feinen Herrn und ihren Nachfomnen in
Bittichriften und Vorſtellungen ſich ausſpricht. Wie bereits
oben erwähnt worden, hat Johann Winter feit 1617 in
den Rechtöftreitigkeiten mit Heſſen⸗-Darmſtadt abwechjelnd
121
am Kaiſerlichen Hofe zu Wien, dann jeit 1628—32 In der
Fiskalklage wegen Landfriedenbruch8 und Majeftät3beleidigung
fowie in der vom Landgrafen erhobenen Entſchädigungs—
forderung, Die von demjelben auf anderthalb Millionen
berechnet worden, bald zu Wien beim Kaiſer und Hofgericht,
bald auf Collegialtagen der Kurfürften zu Regensburg, bald
zu Cöln beim dortigen Kurfürjten als Vertreter, Fürſprecher,
Bittiteller, unermüdlich, meiften? aus eigenen Mitteln und
ohne Gehalt, mit einer Koftenauslage von mehreren taufend
Thalern, das yſenburgiſche Herrenhaus wider alle Anklagen,
Forderungen, Urtheilsſprüche und Bedrüdungen fo eifrig
vertheitigt, daß Durch Spruch des Neich&hofrath8 die Unfchuld
des damals hochbetugten Grafen Wolfgang Ernit von dem
auch ihm aufgebürdeten Verbrechen des Landfriedenbruchs
und Aufruhrs anerfannt und er vollig freigeiprochen wurde,
Sp ftarb wenigftens fein alter Herr im Jahre 1633 vollig
entlaftet von einer Schuld, die feiner treuen Anhänglichkeit
am Gehorſam gegen den Kaiſer von Natur und Lebens—
anichauung durchaus fremd war.
War auch Johann Winter in der Periode, wo die
MWogen des politischen und Tirchlichen Haſſes noch hoch
gingen und die eine Ölaubenspartei Der anderen fein Recht
zugeftand, in Betreff jeines jüngeren Herrn und deſſen vier
Geſchwiſter minder glüdlich, weil Graf Wolfgang Henrich
allerdings durch feine Betheiligung an der |. 9. „Pfäl—
ziſchen Berduellion” fowohl in dem unheilvollen Griff
auf die böhmiſche Krone als in offenbaren Kriegsthaten
wider den Kaijer unter den ahnen der damaligen Partei—
gänger, bejonder8 aber durch den Bruch jeined zu Wien
gegebenen Verſprechens, eine größere Schuld und den Zorn
des Kaiſers und der Tatholifchen Ligue auf jich geladen
hatte: jo fcheint Doh Johann Winter, der in binterbliebenen
Schriftſtücken damals gewöhnlich „Kapitain“, aber auch
abwechſelnd „Pſenburgiſcher Secretarius“ oder
„Abgeordneter“ genannt wird, in ununterbrochener
122
Rührigkeit und an allen dienlihen Orten fowohl für feinen
Herrn gekämpft als nad deſſen Tode jeit 1635 für die
verlajjene, in Dürftigkeit lebente und lantesflüchtig getvortene
Gräfin und ihre dreizehn Kinter auf’ eifrigfte bejorgt und
die einzige helfende Hauptſtütze des Hauſes geweſen zu jein.
Wahrſcheinlich iſt auch das Einſchreiten der Wetterauer
Grafenbank zu Gunſten des widerrechtlich unterdrückten
Hauſes ſein Werk geweſen, denn Winter ſtand, wie aus der
Befreiungsgeſchichte von Hanau hervorgeht, beim Grafen
Ludwig Heinrich von Naſſau-Dillenburg, den übrigen Grafen
von Naſſau und mehreren anderen Herren der Umgegend
in hohem Vertrauen und Anſehen.
In Anerkennung ſeiner Verdienſte ſowie zur Ent—
ſchädigung der großen aus eignen Mitteln vorgeſtreckten
Summen für Reiſen und andere Unkoſten wurde er mit
dem „Riediſchen Gute“ im Gründauer Gebiet belehnt;
als ſich jedoch herausſtellte, daß daſſelbe noch nicht völlig
eröffnet ſei, ward ihm beim Ausſterben des adeligen Geſchlechts
der Reiprechte von Büdingen, welches 1629 mit dem
Tode des kinderloſen Hans Georg Reiprecht erloſch, am
23. April 1634 das vakant gewordene Reiprecht'ſche Lehngut
zu Bauernheim mit allen angehörigen Rechten und
Einkünften verliehen. Im Belehnungsbriefe wird als Geber
Graf Wolfgang Henrich zu Vienburg-Büdingen in ſeinem,
feinee Brüder und Bettern Namen genannt, Im Sabre
1649 unterm 8. Mai erfolgte nochmal® eine Beftätigung
diejeß Lehens.“ Diefe8 Gut beftand aus einem Frohnhof
und Gaden nebſt Schaafhof, Schäferei, Drei Hofitätten und
dem Filchrecht in den dortigen Gewäſſern, in Ackerland,
Gartenfeld, zwei Weinbergen jammt den niederen Herren-
rechten in der Terminei Bauernheim. Dafür leiftete er
den Lehnseid: „Was ein Mann feinem Herrn vou
ſolchen Lehen wegen ſchuldig und pflichtig jei“,
getreulich erfüllen zu wollen.
Als der Kaifer'nach dem Prager Sepnratvertrag von
N
123 ’
1635, wie oben erzählt wurde, alle yſenburgiſchen Be—
figungen an den Landgrafen von Heſſen-Darmſtadt verfchenkt
hatte, wurde, wie alle Lehnsträger in dem neuen Gebietstheil,
auch Johann Winter aufgefordert, fein Lehn vom neuen
Landesherrn confirmiren zu laffen. Er fügte fich in das
Unabwendbare und erhielt auch die Beitätigung.
Schon früher war ihm unterm 1. Juni 1630 „für
feine zu Wien und ander8wo auf eigene Kojten geleifteten
Dienfte” von den Vienburger Grafen ein Gefchent von
500 Gulden zuerkannt, aber aus Mangel an Geld nicht
ausbezahlt, jondern mit Zuficherung von 5 Proc. Zinfen
einftweilen auf Die Kellerei Hain in der Dreieich angewiejen
worden. Weil aber — „wegen der bejhmwerliden
Zeiten” — auch diefer Zins nicht bezahlt wurde, jo gab
ihm unterm 20. Auguft 1650 die verwitwete Gräfin Maria
Mugdalena als Vormünderin ihrer jüngeren Söhne dafür
in anlichresin, d. h. als Nubpfand, eine Hufe (= 30
Morgen) Landes zu Ofryfftel, wo bereit? Johann Winter
eine von den Herren von Reiffenberg verfaufte Hofraithe
eigenthümlich befaß.
Als nach hergeftelltem Frieden das gräfliche Gejchlecht
wieder in den Genuß feined Landes und deſſen Einfünfte
gekommen, forderte Winter fein fett 20 Jahren ausſtehendes
Sularium und die vorgefchoffenen Gelder. Die Grafen,
“ von allen Mitteln entblößt, gaben ihm ſechs Huben Landes
nebft Zugehör zu Nieder-Florſtadt als Mannlehen.
Er hatte eine eigenthümliche Uebergabe dieſes Gute
erwartet, mußte fich aber begnügen und bis zur förmlichen
Beſitznahme des Lehens noch volle zmei Jahre zumwarten,
weil Graf Wilhelm Otto mehrere Bormjchwierigfeiten
machte, fo daß er erft mit faiferlicher Hülfe am 23. No=
vember 1652 in Befit und Genuß dieſes Mannleheng
eintreten Tonnte. Noch lange mußte überhaupt Sohann
Minter um den vollen Erſatz feiner Auslagen und um
Vergütung feiner vwieljeitigen und treuen Dienfte beim
124
gräflichen Hauje in Vorjtellungen und Bittichriften anſuchen.
In einem Briefe vom 12. Januar 1665 un den gräftichen
Amtmann zu Difenbach äußert er jeine Unzufriedenheit
tarüber in ven Worten: „Es jcheine, jeine Dienfle in der
Fiskalſache ſeien vergeſſen.“ Im gleichen Jahre jchreibt er:
„Er habe bei ſeinem jetzigen Privatleben ſein Pfand verkauft.“
Damals in ten Jahren 1665 und 1666 ſcheint er zu Frank—
furt im Privatjtante gelebt zu haben, mehrere jeiner hinter-
lafjenen Briefe datiren daher. (Rößlers Familien-Archiv.)
Es wirft einen beleuchtenden Strahl auf den Muth
dieſes Mannes, daß er mitten in ten erſchütternden Kriegs—
ſtürmen ſich am 7. September 1635 mit jeiner erſten Gattin
Anna Elijabethba Bahrd, ter nachgelaifenen Tochter
des yſenburgiſchen Amtmanns Heinrich Bahrd zu Trei—
eichenhain zu verehelichen wagte. Unterm 16. Auguſt lud
er brieflich den Grafen feinen Herrn nebſt Gemahlin zur
Zrauung und Hochzeitfeier mit den Morten ein: „Seine
Gnaden möchten jelbjt oder durch einen Abgeordneten bei—
wohnen und in Fröhlichkeit und Gnaden geniegen, was der
liebe Gott nach jegiger SZeitgelegenheit an Eſſen und
Trinken bejcheeren werde.” (Frankfurt, datirt 16/26. Augujt
1635.) Wir wifjen aus anderen urkundlichen Berichten,
daß guf den ungewöhnlich ftrengen Winter und unter dem
unbejchreiblichen Drud der Kriegslajten damals eine all
gemeine Noth in den Main= und Nheingegenten herrjchte,
und auf dieſe Zuftände deutete. wohl der Briefiteller in
obigen Worten bin. Nach dem Tode feiner erften Guttin
ſchritt Johann Winter im Sabre 1665 mit Etijabetha
Sejemann, Tochter des Chriſtoph Sefemann. zu Lübeck,
damals DObervogt zu Travemünde, abermal® zur Ehe und
errichtete danıald Pacta dotalia unterm 6. Februar 1665,
wovon die Samilienjchriften ein Exemplar enthalten,
Zwiſchen feine Dienftleiltungen für das bedrängte
Haus Yienburg und feine ſpätere Altersperiode fallt ſowohl
feine thatenvolle Lebensperiode und fein ruhmvolles Wirken
125
für das hochgräfliche Haus der Grafen von Hanau,
als feine Führung von Verwaltungsämtern im Sturmain-
ziichen und anderen Dienften, worüber wir in folgenden
Abjichnitten Das Wefentliche darbieten. Hier wie dort geht.
unzweideutig klar hervor, daß Johann Winter an inniger
Kraft des Gemüths, an veritändiger Geiſtesgegenwart und
treuer Freundeshülfe überall ein biederer und thatent-
ſchloſſener Manu gewejen, wo die Lage der Dinge einen
ganzen ächten Mann erforderte. Es leuchtet aus feinem
Weſen ein ftetiger Feuereifer für Recht .und Pflicht hervor,
der bi? in jein Alter einen höheren, tft jugendlichen Schwung
des Geiſtes beurkfundet.
Die Bedrängung der Stadt Hanau in den Stürmen
des Dreißigjährigen Krieges.
Nicht minder löblich, wohl noch größer und ent=-
ſcheidender, als was Johann Winter für das yſenburgiſche
Grafenhaus geleiſtet, ſind ſeine Verdienſte ſowohl um das
in ſeinen Rechten und ſeinem Fortbeſtand höchſt bedrängte
Dynaſtenhaus der Grafen von Hanau-Münzenberg,
als um die Rettung der Stadt Hanau aus der beſchwer—
lichen Gewalt des Ritters Jacob Ramſay, der aus
einem Retter und Beſchützer nach der Zeitmoral jener
Periode allmälig ein Dränger und ſelbſtſtändiger Gewalt⸗
herr geworden war.
Die Drangſale des großen Parteienkampfes zwiſchen
dem kirchlich-politiſchen Syſtem einer angemaßten abſoluten
Fürſten- und Prieſtermacht einerſeits, und andererſeits dem
als göttliches Vermächtniß an den Menſchengeiſt verliehenen
und im Evangelium verkündeten Rechte der Gewiſſensfreiheit
in Glaubensſachen, goſſen zwar eine unermeßliche Summe
von Leiden auf die Zeitgenoſſen des dreißigjährigen Krieges,
waren aber, wie es unſerer Einſicht erſcheinen will, ein
nöthiges Opfer- und Löſegeld, um dem Uebergang des
neuen Glaubens- und Wiſſenſchaftsrechts aus den Banden
126
mittelalterlicher Geiftesunterbrüdung für immer kine offene
Bahn zu breden. Die Stürme der Reformationdperiode,
dad biutige Drama des Dreikigjährigen Krieges und die
große Kataftrophe der franzöjiihen Revolution find ſolche
Bahnbrecher für die Entwidlung der Welt geweſen; auf
das Dunfel der Stürme ift dann jededmal wieder Tageslicht
und Sonnenjchein gefolgt und die Menichheit zu neuen
Geftaltungen de8 Lebens in allen Gebieten des Geiftes
vorwärts gejchritten. „Auf diefem Wege werden, wie Johann
von Müller jagt, Nationen und Herricher zu Zweden bin-
gelenkt, wovon fie nichts willen, auf daß die Völker
gewahr werden, die Wage ihres Glüd8 werde
nicht gehalten von einer fterbliden Hand.“
Der dreißigjährige Kampf und das zügelloſe Würfel-
jpiel der eifernen Gewalt trafen die deutſchen Gaue am
Main und Rhein mit verheerender Macht und in der
Eigenthümlichkeit der Wechſelfälle, daß Freund und Feind
gleich drücend und räuberifch ihre anarchiſchen Gräuel über
Fürften und Völker unſeres Gebietd ausgoſſen.
Diefe Landitrihe zwiſchen Main, Rhein und Lahn,
namentlich die Beſitzungen der Grafen von Nafjau, die
Metterau und die Grafihaft Hanau, durh Natur umd
Anbau fruchtbar und wohlhabend, waren feit 1620 der
Tummelplatz der wilden, raubfüchtigen und in ihren Aus—
fchweifungen vielfach unmenjchlichen Kriegerbanden. Hier,
wo ber Befiß des Landes in eine große Menge von Ober-
herren getheilt und durcheinander gewürfelt war, fließen die
wilden Schaaren felten auf eine vereinigte Gegenwehr.
Da bei den Kriegern faſt alle Manngzucht fehlte, bei ihren
Führern der Grundſatz herrfchte: „der Krieg müſſe den
Krieg ernähren”, Da Freundſchaft und Feindſchaft beſtändig
wechjelten und ſowohl Die faiferlichen, Yiguiftiichen und
Ipanifchen Truppen, als die Schaaren der proteitantiichen
Varteigänger des Herzogs von Braunſchweig, des Grafen
127
Ernſt von Mangfeld und Herzogs Bernhard von Weimar
gleich verheerend und räuberiih dieſe Gegenden durch—
jchweiften, jo wurden diefe mit Raub, Brand, Mord und
Greuelthaten erfüllt und faft alle geiellige und politijche
Drdnung aufgelöft.
Es bat bei den kirchlichen Wirren und dem Zwangs—
ſyſtem der Herren gegen ihr Volk in Glaubengjachen einen
inneren. Zufammenhang, daß daſſelbe weder friegeriich aus—
gebildet, noch mit Herz und Gemüth für feinen Herrn zu
kämpfen geneigt war. Wohl war der wehrhafte Theil des
Volkes in dem |. g. Landesausſchuß militäriich ein>
getheilt, theild mit Schießgewehr, theild mit Schlagwaffen,
Heltebarden und Piken bewaffnet und unter Hauptleuten
und Rottmeijtern in Fähnlein geordnet; aber eine folche
Volksmiliz fonnte den um Sold und Beute dienenden
Heerbanden des Tilly, Wallenftein, Joh. von Werth und
Spinola nicht widerftehen, war ſchwer zu verfammeln, noch
ſchwerer in Disciplin zu halten und weder von der Fahnen—
ehre noch von der Treue für Führer und Fürften zu Hingabe
von Blut und Leben begeiitert. (Anm. 8.)
Sn der Grafihaft Hanau waren Damals noch beſonders
ungünjtige Yandesverhältnifje. Der damals regierende Herr
von Hanau, Graf Philipp Morisg, der Sohn und
Nachfolger des Grafen Philipp Ludwig Il, des Gründers
der Neuftadt Hanau, war noch unmündig und jchipächlich;
bi8 1629 ftand er unter der Bormundichaft feiner Mutter,
der Gräfin Catharine Belgica, einer Tochter des
berühmten Dranierd Wilhelm des Verſchwiegenen in den
Niederlanden. War auch Catharine eine geijtvolle und
tüchtige rau, jo war fie Doh der Wuth der Drungiale
um fo weniger gewachjen, als dieſe jammervolle Zeit fein
Ende nehmen wollte, und Freund und Feind gleich ver-
derblich auf dem Lande lafteten. Da geriethen die Menjchen
in DVerzweifelung und flohen in Wald und Gebirg; fie
wollten das Leben retten und gingen boch dem Hungertod
=
128
in der Einöte entgegen. Aber nicht blos das wehrlofe
Bolt floh aus ven verheerten Wohnfigen, auch die betrüngten
zum Theil in die Reichsacht gefallenen Grafen und Fürjten
jogen gezwungen oder freiwillig in tie Berbannung.
Nachdem Kailer Ferdinand I. durch Tilly, Wallenftein
und Epinola mit ihren wilten Miethlingsjchaaren zuerjt das
fürliche, dann durch feinen Eohn Ferdinand auch das nürd-
liche Deutjchland jeiner Willfür unterworfen und auch ten
Dünenkönig in fein Land zurüdgetrieben hatte, glaubte er
feine Uebermacht und den Abſolutismus des Cäſaropapismus
Dadurch ſichern zu können, daß er 1629 alle proteſtantiſchen
Stände aufforderte, kaiſerliche Bejagungen in ihre feſten
Städte aufzunehmen und feinen Befehlöhabern zu Handen
Kaijerlicher Majeſtät Gehorfam zu fchwören. So hoffte er
jeden Widerftand bis zur gänzlichen Vernichtung zu brechen
und die evangelijche Ketzerei in ihren Hauptfigen auszurotten.
Die Grafen und Herrn in der Wetterau und am Rhein
weigerten fich und beriefen jich hierbei auf ältere Eaijerliche
Privilegien. Landgraf Wilhelm von Heffen-Kuffel, ein
unerjchrocdener Verfechter der proteitantiihen Sache, batte
feine Nachbarn zur Ablehnung der Eaijerlihen Willkür
ermuthigt. Auh Graf Philipp Morig widerſtand dem
Befehl bezüglich feiner feften Stadt und Reſidenz Hanau,
welche zu jener Zeit durch ihre Feſtungswerke und Lage
von bejonderer Wichtigkeit für den Kaiſer und die Unter
drückungspläne der katholiſchen Ligue war. Deshalb erjchien
ein fuijerlich=liguiltiiched Heer von 40 Compagnieen Eroaten,
Ungarn, Polafen und anderen Volksſtämmen unter Obrift
von Wigleben und jchlop Die Stadt ein, brandfchagte
das Gebiet und zwang Dadurch den Grafen zur Nuchgiebigfeit.
In Folge eined Vergleich® zogen etwa 1000 Mann kaiſerliche
Befagung unter dem Oberbefehl des Obriften Brandis
in die Stadt und Feſtungswerke ein, und ſowohl der Graf
als feine Untertbanen zu Stadt und Land mußten dem
Kaijer Treue und Gehorjam geloben. .
129
Etwa anderthalb Sahre fchaltete nun die Eaiferliche
Soldatesfa mit Strenge und mißtrauiicher Wachjamfeit in
dem durch die langdauernden Kriegswehen audgejogenen
Rande. . Da kam, wie fchon oben gejagt wurde, Hülfe aus
dem hohen Norden. Guftav Adolph mit feinen Schweden,
Finnen und Lappen 309 nach dem Siege auf dem Breiten
felde bei Leipzig durch Franken herab in Die Gegenden des
untern Main und an den Mittelrhein. "Sein Bortrab
unter Obrift Chriſtoph Hubald überrumpelte am 1/11,
November 1631 die Stadt Hanau und nahm den Eommans
danten und die Bejagung gefangen. Bald Darauf, am
15/25. November erjchien auch der fiegreiche Schwedenkönig
feldit. Nachdem er Würzburg und Afchaffenburg wegge—
nommen und am 25. November Morgens frühe zu Seligen-
ftadt vor dem dortigen Oberthore an der Stelle, wo jet
die neue evangelifche Guſtav⸗Adolph-Vereinskirche fteht, Die
Schlüfjfel der Etadt in Empfang genommen, ging er fofort
über den Muin, nahm im Schloſſe zu Hanau bei dem
Grafen da8 Mittagsmahl ein und zog gegen Abend nach
Offenbach ab, um auch den vienburger Grafen Wolfgang
Henrich wieder in fein Land und feine Reſidenz einzujegen.
Er hatte unter dem Commandanten Hubald zum Schuß des
Grafen eine ſchwediſche Befagung in Hanau zurüdgelaffen.
Hubald machte ſich Durch gute Mannszucht, Herbeilchaffung
von Proviant und durch Wachfamfeit gegen feindliche Streif-
corp8 allgemein beliebt; durch glücliche Ausfälle in benach-
barte Orte, wo die Feinde fich eingeniftet hatten, fäuberte
er die Umgegend von Raubichaaren.
Die Rolle wendete fich in den Wechſelfällen des Krieges.
Aengftlicher wurde wieder die Lage der kleineren proteftan=
tiichen Reichsſtände, als Guftan Adolf am 6. November
1632 bei Lügen gefallen war. Die Nachricht feines Todes
erhielt der ſchwediſche Reichskanzler Oxenſtierna unter
dem Bogen des jegigen Frankfurter Thores zu Hanau in
dem Moment, wo er von Würzburg Tommend eben aus
Band X 9
130
Hanau gen Frankfurt abreifen wollte. Noch mehr wuchs
die Gefahr der evangeliihen Stände nach ter Niederlage
der Schweden bei Nördlingen 1634; die kaiſerlichen For⸗
derungen wurten allenthalbten trohenter und trüdenter.
Reue kaijerliche Heerhaufen erichienen wieter in der Gegend
von Hanau und muchten Anftalten zu einer neuen Bes
lagerung. Dadurch erfchredt, überdies fränktich, verließ der
Graf Philipp Morig mit feiner Zumilie das Land, empfahl
e8 dem Echuße des damald in Mainz flehenden Herzog?
Bernhard von Weimar und ging über Metz nach Holland,
wo er bei feinem Oheim Friedrich Heinrih von Oranien
fern von ten Kriegäftürmen etwa drei Jahre lang fich aufhielt.
Herzog Bernhard übertrug das Commando über Stadt und
Feſtung Hanau einem bewährten SKrieggmanne, dem
fhwerischen Generalmajor, Freiberrn, Ritter Jacob von
Ramfay, einem Echotten von Geburt, damals etwa
45—47 Jahre alt, der unter Guſtav Adolf gedient und
fhon in der Schladht gegen Tilly und bei Würzburg fi
ausgezeichnet hatte. Dieſer zog ſchwediſche und heifiiche
Truppen heran, verftärkte die Feſtung durch Anlegung neuer
Vertheidigungswerke, belebte Durch feine Vorſorge für Lebens⸗
mittel und durch gute Mannszucht den Muth der Einwohner,
während er durch kühne, immer glüdliche Streifzüge den
Zeinden ringeumber fich furchtbar machte. Bekannt ift der
Ueberfall, den er in Verbindung mit dem Grafen Wilhelm
Ludwig von Naffau-Saarbrüden gegen die in Michelbacdh
und Alzenau liegenden faiferliden Truppen in der Nacht
vom 24. Dezember 1634 ausführte, wobei er eine beträcht-
liche Beute an Kriegsleuten, Fahnen und Pferden machte.
Dieſer kühne, den Laiferlihen Operationen in unjerer
Gegend fo überaus ſchädliche Mann, war der Fatholifchen
Kriegspartei und ihren Anhängern, befonderd dem Kurfüriten
von Mainz und dem Landarafen von Hellen-Darmftadt
ein verhaßter Dorn im Auge Er follte aus feiner Pofition
vertrieben und wo möglich vernichtet werden. Schon im
131
Sommer 1635 erfolgte deshalb eine neue Bedrohung ber
Stadt und im September erjchien der Failerliche Feld⸗
marihall Götz mit zehn Negimentern und ſchloß die Feſtung
Hanau ein. Bald folgte auf ihn der befannte General
Lamboy, der mit 3000 Mann ringe um die Stadt durch
Anlegung neuer Schanzen und Brüden, durch Abjchneidung
jeglicher Zufuhr, durch bejtändige Angriffe und zündende
Wurfgeichoffe die Stadt jo hart bevrängte, daß man ihre
Erhaltung nur den Eugen Gegenanftalten und dem tapferen
MWiderftande des Eommandanten Ramjay verdantte.
Sndeffen nahmen Hungersnoth, Seuchen und Leiden
aller Art in der Stadt und noc mehr in der Landichaft. in
erjchredlicher Weife zu. Der Mangel, die Theuerung und die
Hungersnoth, ſowie die Sterbfälle und der Menichenverluft
\ollen, nad) den vorhandenen Schilderungen, eine Höhe erreicht
haben, daß mun faft den Berichten darüber den Glauben ver⸗
lagen möchte, wenn man nicht aus anderweiten Berichten wüßte,
wie feit mehreren Jahren durch Mißwachs, Verheerung und
barbarifche Verwüſtung der Dörfer alle Borräthe verzehrt
und zerſtört, wie der Aderbau unterbrochen und ganze
Dorfgemeinden durch Seuchen und Hunger vernichtet oder
in die Wälder getrieben, wie die Herbeiichaffung der Lebens⸗
mittel gehindert oder Durch die räuberifchen Scharen fremder
Kriegsvülfer unmöglick gemacht und Ärztliche Hülfe gegen
die Seuchen nicht mehr gefunden wurde. In diefer Nothlage
lebte das Volk von Laubblättern ohne Brod und nahrhafte
Zufpeile, von Hunden, Kaben, Ratten, Pferdefleiich, jelbft
von herausgewühlten Leichnamen, von den Leberbleibjeln
an Gerippen auf Schindgruben, von den Leibern an Galgen
aufgehentt, jelbjt vom Fleiſche ihrer getödeten Kinder (Anm. 9),
Die Ortihaften auf dem Lande entleerten fich durch Krank⸗
beiten oder Flucht. Die ganze Gemeinde des Dorfes
Roßdorf hatte ſich mit ihrer noch übrigen Habe nad
der feiten Stadt Hanau geflüchtet und genoß bier Pflege
und religidje Erbauung in dem Hospital der Altſtadt, daher
9
132
Mäter dieſem Armenhauſe bedeutende Fonts und Stiftungen
von dem reihen Torfe zurüdblichen. Antere T origemeinten
folgten tem Beitpiel ver Roßdorfer. Tadurch mehrte ſich
in Hanau tie Vollsmenge, aber auch ter Hunger unt tie
Menge ter Sterbjälle. Es iollen damals 20,000 Menichen
während ter Einichliefung durch Hunger und Kranfbeiten
mweggerafit worten ſein. Taraus wird verſtändlich, wie nad
bergeitelltem Frieden auch von ter Roßdorfer Bevüiterung
zujammen nur 59 Köpfe in ihr Torf zurüdfehren Fonnten;
wie in vielen Gegenten eine nit Heine Anzahl ven
Törfern gänzlich verfhwand, und viele nur nech in
Müftungen einzelne Epuren und ihren Namen fortpflanzten;
wie zum Schutz ter Ortichaften damals die Ringmauern
und Thürme um Dörfer im banıuilchen Gebiet erbaut
wurden, welde ihnen daB Ausjehen von ehemals feſten
Plätzen gaben, — Mauern, die um manche Dörfer nod
jest vorhanden find.. Aber auch in ven Wältern fand man
ehemals noh Epuren. von Hütten und lebendige Wälle
von Waldbäumen und Geſträuch, die ineinander geflochten
und verwacfen hin und wieter unter tem Namen „Des
Gebückes“ als Bertheivigungsmittel des in die Wälder
geflüchteten Volkes dienten.
Echon damals, im Februar 1636, ſuchte Ritter von -
Ramſay mit Lamboy einen Vergleich zu Gunſten des Grafen
Philipp Morig und feiner Wiedereinjegung wie zur Auf⸗
bebung der Belagerung abzujchließen; aber bei ten hody=
geipannten Forderungen der Kaijerlichen zerichlugen fich die
Unterbandlungen. Weitere Bermittlungsverjuche unter Bei-
hilfe des Landgrafen Georg von Hellen-Darmftadt brach
Ramjay ab, weil .er fi und feine Bejagung auf Koften des
Grafen Philipp Morig nicht retten wollte. Ein Beweis, daß
der Landgraf auch auf Hanau fein begehrliche8 Auge geworfen
und daß Ramjay für ded Grafen Rechte treu bejorgt war.
Es ift zur Beurtheilung des Ritters Ramſay wichtig, Diele
uneigennügige Handlungsweije vorzumerlen. (Anm. 10.)
133
So dauerte denn die furchtbare Sriegsbebrängniß
und menſchenmörderiſche Hungersnoth fort. Es gehört in
ſeinen Schaaren von Kroaten, Spaniern und Ungarn gegen
das proteftantiiche Land und Volk, als gegen Ungläubige
und Nebellen, mit rober Gewalt und Glaubendzwang
wüthete; daß rachefchnaubende Mönche für jeden Frevel
gegen Keber himmlischen Lohn verhießen und Daß Kaiſer
Ferdinand felbit die Loſung zu ſolchen Greuelthaten in dem
befannten Ausjpruche gab: „Lieber eine Wülte als
ein Land voll Ketzer!“ Man fieht, das war fein
gewöhnlicher Krieg, es wur die fanatiſche Furie des
Religionskrieges!
Gegen ſolche Drangſale richteten Ramſay und die
Bewohner von Hanau ihre Augen und Bitten zu dem
Landgrafen Wilhelm V. von Heſſen-Kaſſel, der mit
Schweden im Bunde einer der tapferſten Kämpfer für die
evangeliihe Suche war. Derjelbe war mit dem Grafenhaufe
Hanau nahe verwandt; feine Gemahlin war eine Schwefter
des geflüchteten Grafen Philipp Moritz. Von Franfreich
mit Geld unterftügt, von feiner Gemahlin dringend zur
Befreiung Hanaus aufgemuntert, vertröjtete er Durch geheime
Boten die bedrängte Stadt auf nahe Hülfe, verband fich
mit dem ſchwediſchen Anführer Leßle und verabredete einen
Meberfall des kaiſerlichen Belagerungsheeres. Bon einem
Schwedischen Hülfscorpo von 5000 Mann unter Anführung
des Seneralmajord Eberhard DBellermann verjtärft, rückte
er mit 3000 hefjiichen Neitern und 500 Mann zu Fuß
rajch und indgeheim zum Erjaß heran, gab der hurrenden
Stadt Hanau auf der Anhöhe bei Windeden an dent f. 6.
Wartbaum Durch zwei Feuerjignale und Karthaunenſchüſſe
die Nähe feiner Ankunft fund und überfiel am Morgen
des 13. Juni 1636 das Ffaiferliche Heer, warf, unterftügt
durch einen Ausfall der ſchwediſchen Befagung, die damals
noch aus 300 Mann: beftand, den General Lamboy aus
134
allen Pofitionen und zwang ihn nad einem Berlufte von
800 Torten und 500 Gefangenen zum eiligen Rüdzuge
nach Steinheim, wo ihm eine ſchon vorher erbaute Brüde
den llebergang über den Main erleichterte.
Darauf hielt der fieghajte Landgraf, nachdem er bie
20 kailerlihen Schanzen um die Stadt erobert hatte, jeinen
Einzug in Hanau, wo er vom Jubel der Bevolferung
empfangen wurde. Sein erfter Schritt ging mit Heer und
Einwohnerichaft zur Kirche St. Maria Magdalena, um
Gott feinen Dank darzubringen; dann erfreute er Die Durch
eine neunmonatlihe Einſchließung ausgehungerte Bevöl⸗
ferung mit Lebensmitteln. Während der Belagerung Eojtete
eine Kuh in der Stadt 100 Thlr., nachher nur 5—6 Thlr.
Ein Biertel Korn koftete damals zu Frankfurt 10 Thlr.,
in Hanau nur 6 Gulden. So hatte Ramſay für Proviant
geforgt. Es wird berichtet, daß er während der engen
Einihließung einmal dem General Lamboy zwei Centner
Karpfen aus der Etadt in das Laiferlihe Lager gejendet
babe, um den feindlichen General zu täufchen und zugleich
zu veripotten.
Zum Andenken an jene Rettung und Speifung wurde
fortan und wird noch jetzt alljährlich der Tag des 13. Juni
mit einer Firchlihen Dankſagung und einem freudigem
Boltsfefte im ſ. g. Lamboiwalde gefeiert; doch ift das
Lamboifeſt mehr dem weltlichen Genuffe al® der kirch⸗
lichen Dankſagung gewidmet, aber ein Waldfeft, an dem
die gejammte Bevölkerung aus Hanau und der Umgegend
freudigen Antheil zu nehmen pflegt.
Unterhbandlung und Vertrag mit dem Commandanten
Jacob von Namſay.
Bisher hatte ſich der ſchwediſche Generalmajor von
Ramſay als Commandant der Stadt und Feſtung Hanau
unter den ſchwierigſten Zeitverhältniſſen und Kriegsope—
rationen ſo große Verdienſte erworben, daß ihm auch
135
Landgraf Wilhelm da8 Commando in Hanau überließ und
eine friihe Mannichaft von vier Compagnieen hefflicher
Truppen unter dem Oberftlieutenant Mot zum Schutz der
Stadt und Feſtung übergab.
Es iſt ſchwer zu ſagen, in welchem Sinne der Fort⸗
beſtand des Feſtunggeommando damals zwiſchen Ramſay
und dem Landgrafen aufgefaßt und ſowohl gegeben als
angenommen worden; doch geht aus mehreren Punkten der
ſpäteren Traktate und Unterhandlungen hervor, daß Ritter
Ramſay ſich fort und fort als ſchwediſcher Bevollmächtigtet
zur Behauptung der Feſtung, und zwar von hanauiſchen
Räthen ganz unabhängig betrachtete, und deshalb auch den
bald darauf folgenden Vertrag über Hanau im Mamen- der
„Schwediſchen Krone” abſchloß und in der Stellung
feine8 früheren Auftrags verblieb, (Anm. 10.)
In der zweiten Hälfte des Jahres 1636 und noch zu
Anfang des folgenden Jahres rechtfertigte Ramſay wie
früber das in ihn gefegte Vertrauen. Durch Huge, manchmal
weithin reichende Unternehmungen, Ueberfülle und Streifzüge
that er aufwärts und abwärts am Main und Mittelrhein .
den Feinden foviel Abbruch und Schaden, daß der kaiſerliche
Hof und die ganze kriegführende Partei, zumal die nächften
Nachbarn, die feine fchwere und rajch zugreifende Sand
fühlen mußten, mit Zorn und Grimm auf den verwegenen
ſchwediſchen Parteigänger und feine Pofition in der wichtigen
Feſtung hinblidten. Insbeſondere niachte er fih dem Kur⸗
fürften von Mainz furchtbar. Er nahm Afchaffenburg weg,
bejette Seligenftadt, plünderte das auf dem Main gehende
Mainzer Marktichiff ꝛc. und fuchte jogar bie weit entfernte
trierifche, Damals von ſchwediſchen Truppen bejette, von den
Kaiferlichen belagerte Feftung Hammerftein, welche unter
Ehrenbreitftein lag, mit mehreren Schiffen voll
Proviant zu unterftügen Wenn diefed mit großer Lift
unternommene Wagniß aud nur theilweife gelang, fo
Ichredte er doch damit die Feinde und lieh fie weitergehende
136
Anfchläge beſorgen. Er jcheint überhaupt weithinaus reichente
Berbintungen bis nad Franken, Wejtphalen, Sachſen und
Baris im Intereſſe ter ſchwediſchen Sache unterhalten und
fich dadurch Geld und Lebensmittel verjchafft zu baten.
Alle tiefe Beweiſe jeiner Energie und Schlauheit
nöthigten die Gegner, bejonterd die Fürſten von Mainz und
Durmitatt, zu Unterhantlungen mit ihm; Waffenitilijtand
und Xieferungen von Lebensmitteln oter freien Ankauf in
der Umgegend murten fie ihm mehrmals zugeftehen, jo
bejonter® im April 1637. (Anm. 11.)
Der politiihe Haß gegen diefen unangreiflihen Feind
traf aber nicht allein den jchwediichen Kriegsmann, jondern
auch den weit Davon lebenden Grafen Philipp Morik, weil
man ihn mit Ramſay's Thätigkeit und Feintjeligfeiten gegen
Kaijer und Ligue einverjtanden glaubte, obſchon derſelbe
auf den ſchwediſchen Parteigänger wenig oder feinen Einfluß
ausübte, ja jelbft Darunter fehmerzlich litt. Graf Philipp
Mori war überhaupt fein Mann von Energie und jchon
längjt des Widerftandes gegen die kaiſerlichen Befehle über-
drüſſig. Er wünichte nicht3 fehnlicher, als die Gnade des
Kaiſers und Die Aufnahme in die Neutralität und die Vortheile
ded Prager Separatfriedend, um jobald als möglidy in fein
Land zurücfehren zu können. Was kümmerten ihn die
übermüthigen Feldherren der Schiveden, die Guſtav Adolfs
Wert mit viel Geſchick, aber nicht mit feinem Geifte und
Wohlwollen fortjegten, und wa8 turfte er erwarten von den
verbedten Planen tes franzöfiichen Kabinets, welches Damals
thätig wirtjam, wenn auch unfichtbar, hinter ven Schweden
ftand?® Der fühne Geift des Kardinald Richelieu, Frank:
reichs Staatdlenfer und des Haufed Habsburg nie verjühnter
Feind, leitete den deutichen Widerftand wider Kaiſer und
Ligue mit feinem Gelde und Einfluffe. Der Dänenkönig und
jpäter Guftav Adolf waren durch ihn zur Einmifchung auf-
gerufen, Herzog Bernhard von Weimar feit dem Heilbronner
Vertrag wie ein franzöfifcher Telpherr von ihm angefeuert
137
und unterffüßt worden; mittelbar oder direft fcheint auch
Ramfay mit dem franzöftiihen Kabinet in Berbindung
gemwejen zu fein.
Graf Philipp Morig Hatte ſchon früher mit dem
Burggrafen von Dohna über die Entfernung Ramſay's und
feine eigene Rückkehr in fein Land unterhantelt. Da er
fich in den Niederlanden von allen Subjiftenzmitteln entblößt
ſah, wünichte er in die Gnade des Kaiſers aufgenommen
zu werden. Um fo nöthiger mochte e8 ihm erjcheinen, Die
Sache Schwedens thatfächlich zu verlaffen, den ſchwediſchen
Commandanten von Hanau um jeden Preis aus feiner
Vofition zu entfernen und mit deſſen nächſten Gegnern,
mit Kurfürft Anfelm Cafimir von Mainz und Lundgraf
Georg von Darmftadt gemeinschaftlich auf dieſes Ziel hinzu
arbeiten. Der Kurfürft bot ſich als Vermittler zwijchen
ibm und dem failerlihen Hofe an.
In Folge deſſen beauftragte Kailer Ferdinand If. den
Kurfürften zu Unterhandlungen und Abjchluß eined Accord
mit Ramſay. 8 trat auch im Herbit 1636, wahrſcheinlich
zu Mainz, eine Konferenz zwilchen mainziichen Abgeordneten,
worunter Obrift Henrich, Burggraf von Dohna, und Johann
Chriftoph von Hegnenberg genannt werden, mit den Bevoll-
mädhtigten Ramſay's zufammen, welche unter Vorbehalt
faijerlicher Ratififation eine Anzahl Vergleichspunkte ſowohl
über die Begnadigung des Grafen Philipp Mori und feine
Neftituirung, als über eine demnächftige Räumung ber
Stadt und Feftung Hanau aufitellten, worin dem Com—
mandanten Ramſay gewiffe Stipulationen zu feiner Ent-
ſchädigung und perfünlichen Sicherftelung zugelichert wurden
und er Dagegen feinen Abzug verfprach, wenn dieje ihn
betreffenden Accordspunfte erfüllt morden.
Diefer Vertrag wurde unterm 5. Dezember 1636
von Kaijer Ferdinand I, zu Regensburg ratificirt, kam aber
damals wegen ded am 15. Februar 1037 erfolgten Todes
dieſes Kaiſers nicht zur Vollziehung.
138
+
Aus tiejer Urkunde, die und in einer gefchriebenen,
formgerecht mit allen Ritualien verjehenen, vom 21. Auguft
datirten und von Kaiſer Ferdinand Il. ausgeftellten Copia
vorliegt, erfieht man, daß Ritter von Ramjay in ten Unter
handiungen und Stipulationen, wie bereit früher, jo aud
jest für die Ausſöhnung und Wievereinjegung des Grafen
von Hanau in eifriger Weiſe thätig geweſen, Doch feinen
eignen Ausmarſch aus der Feſtung an Betingungen knüpfte,
welche ſowohl die thatjüchliche Auslieferung der Stadt und
Feſtung an den rechtmäßigen Grafen, als feine eigenen
perjünlichen Intereſſen fichern jellten.
Durch den ganzen Gang aller Verhandlungen leuchtet
bei Ramjay, wie auch jpäter beim Grafen Philipp Meorig,
der Verdacht hervor, daß die Fuijerlihe Partei es mit der
Reftituirung des Grafen nicht ehrlich meine, daß man
vielmehr damit umgebe, nach Entfernung des jchivedijchen
Commandanten zunächſt nur die Feſtung und vielleicht aud)
die Örafichaft in aiferliche Gewalt und Bejig zu bringen, —
ein Miftrauen, das in Ramſay durch muncherlei Ränke
feiner Gegner erwedt und auch thatjüchlich verjtärkt wurde.
Doch Ramjay war nicht blos Soldat, er war auch ein Fluger
Diplomat und den Intriguen jeiner Gegner gewachjen.
Als Ferdinand IM. jeinem Vater in der Kaiſerwürde
nachfolgte, erwirkte Kurfürft Anjelm Cafimir aud bei ihm
die Ermächtigung, in den früher gepflogenen und feitgejegten
Unterhandlungen mit Ramſay Die hanauiſche Suche zu
einem endgültigen Abjchluffe zu bringen. Er erhielt dazu
Auftrag und Vollmacht. Sofort berief er im Auguft 1637
die Parteien zu abermaligen Unterhandlungen zujammen.
Zu Mainz erjhienen wiederum die Abgeordneten des Kurs
fürften, de3 Lantgrafen Georg von Darmitadt und des
Raths der Stadt Frankfurt. Für den Grafen Philipp
Moritz erſchien als Vertreter fein Schwager Graf Albrecht
Dito von Solmd-Laubady, und für Hanau und Namjay
ber gräflich hanauiſche Rath Dr. Haßmann und Stabts
139
fchreiber Nothichied, um auf dem früher gelegten Grundſtein
weiter zu bauen.
Es ift uns unbekannt, wie viel Neues und Altes
bei diefer Unterhandlung in die Vertragspunkte aufgenommen
wurte. Am 21. Auguft 1637 wurde unter Vorbehalt faifer-
licher Genehmigung der Vergleich zu Stande gebracht. Als
jedoch die fchriftliche Urkunde darüber dem Commandanten
Ramſay zur Unterzeichnung vorgelegt wurde, bemerfte er
darin eine abgeänderte Faſſung, befonders in den Punkten,
die feine Entichädigung und Sicherftelung betrafen. Er
erflärte die Urkunde für ein verfülichtes Inſtrument und
fuhr die Gefandten zornig an: „Suget Euerm Kurfürften,
wofern der rechte Abjchied nicht genehmigt werden je,
jo werde ich mit einem Heere fommen und fein ganzes
Land verwüſten. Was würdet Ihr jagen, wenn ih Euch
bier behielte '
Nun wurde, wie Röſe im Leben Bernhards von
Weimar berichtet, zwar die vollftindige Nedaktion des
Vergleichd vorgelegt und von Ramſay unterzeichnet, dieſer
aber dadurch beftimmit, aus Hanau nicht zu weichen, aud)
die. Stadt und Regierung des Landes nicht eher an den
Grafen Philipp Morig zurücdzugeben, bis alle Vor—
bedingungen buchſtäblich erfüllt und feine perjönlichen
Öarantieen gelichert wären. (Anm. 11.) Bei diefem Anlaß
fcheint er über die Ausführung des Vertrags einige nähere
Beitimmungen und Mafregeln der Sicherung gefordert oder
aufgeftelt zu haben, Die zwar nicht? Neues, jedoch jchärfere
Formen der Erledigung beifügten.
Mir geben nun aus dem uns vorliegenden Aftenftüd
aus Rößlers Archiv mit der Aufichrift: „Copia Confirmationis
Accordis“* einen Auszug und theilweile den wörtlichen Text.
Nah den Eingangeworten: „Wir Ferdinand der
Dritte, von Gotte8 Gnaden erwählter römifcher Kaifer ꝛc.“,
wird der Vollmacht des Erzbiſchofs und Kurfürften
Anjelm Eafimir gedacht, dann auf die früher aufgejtellten
140
„Accordirte Puncta““ unt ihre Genebmigung durch Kaifer
Ferdinand II. vom Jahre 1636 hingewieſen, unt ebenſo
die tamaligen Berellmäctigten Obriſt Henrich, Burggraf
zu Zohna, und Johann Chriftoph von Hegnenberg aufs
geführt, welche nachjtehente Accortöpunfte mit tem von ter
Krone Schweten und teren evangeliihen Buntesgenojjen
bejtellten Generalmajor und Commandanten Ter Stadt und
Feſtung Hanau, „Sucoben, Freiherrn von Ramſay, Nittern,
ſowohl wegen Parbonir= und Ausjühnung Graf Philipps
Morigen zu Hanau-Müntzenberg, ald auch wegen Accomo—
dation derjelben Stadt und Zeitung Hanau zu Pupier
gebracht und von beiden Theilen unterjchrieben zur Rati—
filation Kaiſerlicher Majeftät überreicht haben.” Es wird
ebenjo auf die von Kaifer Ferdinand II. ertheilte Ratifikation
unter dato Regensburg den 5. Dezember 1636 und die durch
deſſen Abfterben gehinderte Vollziehung ter Iraftute, ferner
auf die neue Berollmäctigung des Kurfürften zu Mainz
„zu deren fernern Tractation und Disposition” hingewiejen
und ſowohl der Zujtimmung als der Vertrerung ded Grafen
von Hanau dur feinen Plenipotentarius den Grafen
Albrecht Dtto von Solms-Laubach erwähnt, jowie aud
der Ramſayſchen Vertreter Dr. Haßmann und Rothſchied,
und dann in folgende 6 Hauptpunfte mit ihren Unter-
punftationen des Wejentlichen aljo eingetreten:
„l. Daß alte Vertrauen und friedliebende Nachbarſchaft
zwifhen Mainz ſammt benachbarten Ständen und ber
Srafihaft Hanau wird wieder hergeftellt, und ſoll von
feinem Theil wieder Urjach oder Anlap zum Bruch gegeben
und alles bisher Vorgefallene aufgehoben werden.
Il. Sollen alle und jede vor diefem verglichenen und
aceordirten Punkte richtig verbleiben und von beiden Theilen
nunmehr wirflich und aufs lüngjte innerhalb. drei und vier
Wochen erften Tags vollzogen werten und find ſolche Dieje
gewejen, wie hierbei ordentlich hernach folget:
141
1) daß Herr Philipp Morig Graf zu Hanau für fh —
und dag ganze gräflihe Haus Hanau und alle recht-
mäßige Nachfolger des mit dem Kurfürften ven Sachen
zu Prag geichloffenen Frieden? genieken, deswegen
in die General: Amneitie eingejchloffen und in den Beſitz
von allen Landen und Leuten ꝛc. —, wie er und
feine Vorfahren bejeifen, unentgeldlich und ohne Verzug
reſtituirt werden ſoll.
2) Sollten alle Städte, Dörfer und Flecken der Graf—
haft Hanau bei ihren Freiheiten, Rechten und
Gewohnheiten ungeftört verbleiben, auch um ihrer
Religion willen von dem Pragiſchen Briedengichluf
weder unter den Worten der Augdburgiichen Religiong-
verwandten noch unter anderm Schein außgeichloffen,
ſondern darin aufs und angenommen fein, und defjen
ſowohl als alle anderen in gemeldeten Frieden auf-
genommenen Stände der Augsburgifchen Confeſſion
genießen und dem entgegen nicht beichwert werden.
3) Sollen auch alle Räthe, Diener, Geiftlihe und
Meltliche, Bürger, Untertbanen, Beiſaſſen, Echuß-
und Scirmverwandten und Angehörige der Grafichaft
Hanau, vom Höchiten bis zum Niedrigften, fie haben
Namen wie fie wollen, in vollflommener Amneftie
begriffen und Eräftig mit eingejchloffen, und demnach
deren Keiner dejjen, was in den biöherigen Kriegs—
unruben vorgegangen und entweder gegen die Römifch
Kaijerlihe Majejtät oder ſonſt Anderen etwas gethan
worten, in feiner Weile an ihrem Leib, Habe und
Gütern, Stand und Amt, Leben und Eigen zu.
entgelten haben.
Nachdem in obgedachtem Prager Friedensſchluß vor=
gejehen ift, Daß der Kurfürjten und Stände Refidenzen
und Feltungen wie auch die Reichsitädte mit aller
Einquartirung verjchont bleiben follen, demgemäß ſoll
auch die Alt» und Neuftadt Hanau als Reſidenzort
4
—
142
mit Einquartirung und anderer als de8 Herrn Grafen
Garniſon nicht bejchwert, ſondern verſchont bleiben;
jedoch fol der Herr Graf die gedachten beiden Städte
wider alle Feinde Kaiferlicher Majeftät und des Reich
nach Außerfiem Vermögen vertheitigen und zu dem
Ende jowohl Bürger al8 Soldaten zum Gehorjum
gegen Kaiſerliche Majeftät verpflichten.
5) Sollen alle Brandichagungen, Kontributionen und
andere Exactionen fowohl in Städten ald auf dem
Zande gänzlich unterbleiben.
II. Soll Herr Graf Philipp Morit zu Hanau feine
Bardonirung bei Kaiferlicher Majeftät jehriftlich oder mündlich
ſuchen. Sofern der Herr Graf von Solms als Bevollmäd-
tigter und demnächft der Herr von Hanau felbft bittend ein-
kommen werden, erklärt fich der Kurfürft von Mainz bereit,
ſolche Echreiben mit feiner Recommendation an den Kaifer
einfenden und unterftüßen zu wollen, damit fowohl der voll-
ftändige Kuijerlihe Pardon als auch endliche Genehmigung
aller Punkte dieſes Vertragd erfolge, und der Herr Graf
zu Kaiferlicher Huld und Gnade wieder aufgenommen und
zu jeinen Land und Leuten nad Anleitung Ver Kaiferlichen
Erklärung von Lagenburg am 8. Mai 1637 zugelaffen und
bei diejem Accord gefchügt werde,
IV. Sof von Kailerliher Majejtät ein Recommen-
bationgjchreiben an den Herzog von Mecklenburg erlafjen
werden, damit der Generalmajor von Ramſay in den Bejig
der ihm von der Krone Schweden gejchenften Güter im
Medlenburgiichen (nebſt Zugehör und Rechten) jofort nad
erfüllten Vertrage gelange und ihm Die Schenfung von
Land und Leuten (20 Bauern und 20 Caſſates) von
gedachten Herzog confirmirt und überliefert werde,
V. „Sollen dem Generalmajor Ramjay die allbereits
„eingewilligten fünfzig Taufend Thaler (für feine zur Be—
„hauptung der Feſtung gemachten Auslagen 2c.) gleich auf
„die eingelangte Kaiſerliche Confirmation und feinen darauf
143
„erfolgenden Abzug, den er auch alsdann aufs allerförderlichfte
„zu Werk zu richten und gedachte Feltung nach) Ausweis
„der verglichenen Punkte abzutreten hätte, baar und wirklich
„zu Frankfurt ausbezahlt und entrichtet, auch dabei dieſe
„Vorſehung geichehen, daß Niemanden, wer der auch immer
„\ein und unter wad Vorwand, Prätext und Namen er fi
„auch angeben müchte, einiger Arreft und Hemmung auf
„jolche Gelder oder einen Theil derjelben verjtattet, ſondern
„er deren, bis diefelben an Ort und Ende e8 ihm beliebig
„und anftändig, der Wechſel überbracht fein werde, aller-
„dings verjichert jein und bleiben joll.“
VI. Sollen jett jogleich alle Feindfeligkeiten beiderſeits
aufgehoben und bis zu dieſes Accords gänzlicher Volziehung,
wozu auf Mittwoch, den 26. dieſes, neuen Kalenders, eine
weitere Zujammenfunft nah Mainz beſtellt und angeſetzt
worben, ein armislitium außgeblafen, gleichwohl aber die
Völker noch zur Zeit in ihren inhabenden Poften gelaffen
nach geichehbenem Schluß aber mit guter Ordre und ohne
Schaden und Verderben des Landes wirklich abgeführt,
Jedermann aber freier Paß und Commerz, freier unge-
binderter Lauf zu Wafler und zu Land wieder verftattet,
darauf auch über diefen Accord zwei oder mehrere gleich»
lautende Receß in beftändigfter Form aufgerichtet, von Ihrer
Kurfürftlicden Gnaden von Mainz einestheild, anderentheilg
aber von dem Generalmajor Ramfay mit eigenhändiger
Unterfchrift und Sieglung vollzogen werben. Signatum
Mainz den 21. Auguit 1637.”
An Diefe BVertragspunfte jchließt fich die Kaiferliche
Confirmation mit ber ausdrüdlichen Erklärung an: daß
er obgemeldete Punkte aus Römiſch-Kaiſerlicher Machts
vollfommenbeit von Wort zu Wort „Kraft Ddiejed in der
beiten Form gnäbigft rutifiziren, acceptiren, confirmiren und
betätigen thue“, und gebietet ſodann ſchließlich alten
Gewalten, Obrigfeiten, Befehlshabern, Unterthbanen und
Getreuen, daß fie gegen dieſen beftätigten Accord nichte
144
vornehmen oder Andern gejtatten jollen bei höchiter Kaiſer—
licher Ungnade 20.”
Gegeben im Schloffe zu Ebersdorf
am 14. September 1637.
Ferdinand,
vd. P. H. v. Stralendorf. ad mandatum aacrae Caes.
maiestatis proprium
Johann Söldtner Dr.
Wenn auf Grund abgeſchloſſener Verträge unter den
Kontrahenten, wie häufig vorfommt, Meinungsverſchiedenheit
oder Streit ausbricht, jo handelt es ſich gewöhnlih um
den Sinn und die Deutung einzelner Worte oder Ausdrüde
der Vertragspunkte; daher jchien ed und wichtig, die legteren
Punkte obigen Compromiſſes möglichſt ausführlid und
Punft V. wörtlihd bier aufzunehmen. Was jedoch hier
auffällt, ift der Umftand, daß gerade diejenigen Puntte,
worüber nachher der Streit ausbrah, in vorſtehendem
Bertrageinftrument gar nicht vorlommen, namentlich vermiffen
wir drei Nebenpunfte, ohne deren vorausgehende Erfüllung
v. Ramſay weder von Hanau abziehen, noch die Vollmacht
in der Stadt und Feſtung an den rechtmäßigen Yandesherrn
abgeben wollte. (Anm. 11.) Er jcheint erft nachträglich
dieje Vertragspunfte beigefügt und dafür Zuficherung erlangt
zu haben und beruft fich deshalb auf die Nothwendigkeit
alljeitige Garantieen zu fordern, da feine Gegner ihn ſchon
einmal zu tüufchen gejucht hätten, wie Pufendorf anführt:
„Er wollte den Vergleich allerdings halten, wenn der Feind
nur bei feinen Worten bliebe, daran er aber ſehr zmeifelte,
weil er ihn nicht das erſtemal betrogen.” — Dieje Garantieen
zu feinem Schuß waren:
1) daß zu feiner perjönlihen Sicherftellung beim
Abzuge aus feiner Pofition mehrere adelige Perjonen
fatholiicher Religion als Geißel in das Lager des ſchwe—
diſchen Generallieutenant3 King nach Weftphalen gefendet
und daſelbſt jolange verbleiben müßten, bis er ſelbſt an
143
einen ficheren Ort zu den Seinigen gekommen jein würde,
worauf die Bürgen dann in Freiheit geſetzt werden follten.
2) Sollten ihm von Eeiten de8 Herzogs von Medlen-
. burg die Güter Teutenwinfel, Weſſelsdorf und Wenikel nebft
Zubehör durch Vermittlung des Kaiſers fürmlich überliefert
oder ihm dafür andere Güter von gleihem Werthe im
Reich überwiejen und zugefichert werden.
3) Sollte er erfi dann zum Abzuge au8 Hanau vers
pflichtet fein, wenn die ihm zugeflandenen 50,000 Rchsthlr.
an dem Orte ihm zur Verfügung geſtellt, den er felbft
bezeichnen würde, und über die richtige Dispofltionsftellung
der Summe ihm zuvor eine jchriftliche Bejcheinigung beis
gebracht worden. (Anm. 11.)
Noch war keine einzige Bedingung erfüllt worden, da
erivartete und forderte man ſchon feinen Abzug aus Stadt
und Zeitung Hanau, und Kurfürft Anfelm Cafimir von
Mainz berief fofort den Grafen Philipp Mori, der damals
m Holland frank lag, um fchleuntgft herbei zu eilen und in
feine Refidenz und die Regierung feiner Grafſchaft wieder
einzutreten. Es wird dabei berichtet, daß der Graf in
Holland aus. Mangel an Subfiftenzmitteln fich nicht länger
babe halten fünnen, Sobald jedoch die Abficht feiner Rüd-
kehr bekannt wurde, fuchte nicht nur der franzöſiſche Geſandt⸗
ſchaftsſeeretär Brafet ihm davon abzurathen und fol ihm
dufür eine Geldunterftügung von Seiten feined® Hofes an—
geboten haben, fondern auch Ramfay fol ihm die. Warnung
haben zugehen laffen, er möchte biß zur Erfüllung der
Vertragspunkte unterwegs, etwa in Köln oder St. Goar, ver=
bleiben, verniuthlich, weil er die unausbleiblichen Collifionen
zwijchen feinem Commandanten-Recht und dem Recht des
Grafen ald Landesherrn voraus ſah und vermeiden-mollte.
Der Straf ließ fich aber nicht abhalten und feßte feine
Reife fort. Zu Frankfurt angelangt, mag er felbft zu Bor
fichtämaßregein beftimmt worden fein. Dazu bedurfte. er
eines treuergebenen und unternehmenten Mannes; den ſuchte
x. Band 10
146
und fund er in Major Winter, der damald zu Frankfurt
- im SBrivatflande lebte. Denſelben nahm ter Graf als
Shrijtwachtmeifter in feine Dienfte und gab ihm den Auf-
trag, zweihuntert Mann anzuwerben, angeblih um nad
Ramſays Abzug die fünftige Befakung von Hanau unter
Johann Winterd Befehl zu bilten.
Damit beginnt die antere Hälfte ver ruhmvollen
Zaufbahn de Johann Winter, der fortan mit gleicher
Ergebenheit und Energie das Grafenhaus von Hanau aus
tiefer Nothlage zu retten ſuchte und wirklich rettete, wie er
früher als einen treuen und wirfjamen Helfer für daß
Haus Bienburg ſich bewährt hatte.
Die Thaten uud Verdieuſte des Zohaun inter zur
Befreinug der Stadt uud des Grafen von Hauan and
Namſay's drückender Obergewalt.
Die Colliſion, welche Ritter von Ramſay hatte ver⸗
meiden wollen, konnte nicht ausbleiben, als der Graf Philipp
Moritz am 25. November 1637 ſeinen Einzug in Hanau
hielt. Seine Räihe und Unterthanen empfingen ihn mit
Jubel, doch Ramſay nahm an dieſem Empfang keinen An⸗
theil, ſtellte fich auch zu Gruß oder Ordres beim Grafen
nicht ein, vielmehr benahm er ſich als unabhängigen Befehls⸗
haber und Regenten in einer Feſtung, die er für feine krieg—
führende Partei dem erhaltenen Auftrage gemäß zu behaupten
fuchte. Er wollte fie auch im eignen Intereſſe unter feinem
Oberbefehl halten, bis Die vertraggmäßigen Punkte von
feinen Gegnern erfüllt und damit die Zeit gelommen wäre,
wo Stadt, Feitung und Landſchaft in die Hänte und Gewalt
de3 eigentlichen Landesherrn übergehen müßten.
Der Graf bezog mit jeiner Familie das Schloß in
der Altftabt und Ramſay ließ es geſchehen; als aber Philipp
Morik ohne des Commandanten Zuftimmung einige Re⸗
gierungshandlungen vornahm, namentlich die eingeführte
öffentliche Fürbitte für die Sirone Schweden und Königin
147
Chriftine aus dem Kirchengebet wegzulaffen befahl und in
Betreff der Bürger und über die Soldaten der Belakung
mancherlei anordnete, da erflärte Ramſay dieſes Vorgehen als
einen zur Zeit noch unbefugten Eingriff in fein Commando
und als Treubruch gegen den Mainzer Vertrag, denn nad)
Kriegsgebrauch betrachtete ſich Ramſay als alleinigen Ober:
befehlshaber in einer Feſtung, die er für die ſchwediſche
Kriegsmacht zu behaupten und nicht eher in andere Hünde
oder Befehle abgeben dürfe, bevor fie nicht laut des
Vertrags übergeben worden. (Anm. 12.)
Wie man auch fein Urtheil über die Handlungsweiſe
fowohl des Grafen als des Kommandanten feftftellen mag,
jo bleibt doch das unzweifelhaft, daß Graf Philipp Morig
ſchon durch jeinen Einzug in eine bewaffnete und von einer
fremden Militärgewalt beherrichte, beſtändig von der feind-
lichen Gegenpartei durch Lift und Gewalt bedrohte Feſtung
einen Fehler begangen und daß er diefen Miſſchritt noch
vergrößerte, al8 er im Rayon des fremden Commandanten
ungeitig und unflug nicht allein als Herr befehlen, jondern
auch einen Gegenſatz gegen die ſchwediſche Macht Fund
thun wollte,
Ramſay glaubte in feiner unbeugjumen Anficht von
Militärgewalt einem Beginnen, das feiner Sicherheit ge⸗
fährlich werden Eönnte, fofort ohne Schonung entgegen treten
zu jollen, und er that ed in Der Weile eines ebenjo wach»
ſamen als mißtrauiſchen und rauhen Soldaten des dreißig
jährigen Kriege. Er bejeßte ſogleich das Schloß in der
Altftadt, wo der Graf fich aufhielt, mit einem Trupp Sol⸗
daten, nahm ten Grafen mit Familie gefangen, entfernte
deſſen Räthe und Diener, ſetzte auch den einige Tage jpäter
von Mainz ber anfommenden Grafen Albrecht von Solms
gefungen und fol gegen ihn, den er mit bejonderem Miß—
trauen als Nathgeber des Grafen und mit feiuen Beinden
verbündeten Gegner betrachtete, mit rober Härte verfahren
huben.
10 *
148
Bon tiefem Moment an, etwa feit Mitte Tezember
1637, bantelte er, nach hanauiſchen Berichten, als offener
Sein? und thatſächlich als Uiurpater, benahm fich gegen
Rath und Bürgerichaft balt als fireng gebietenter Herr,
bald mit jhmeichelnter Milte unt mit Beriprechungen eines
fräftigen gütigen Regiments, nahm auch alle Regierungs- '
geichäfte in jeine Hand, ließ tie Soldaten nochmals Ge—
horſam und Treue jchwören, jorgte für eine neue Verpro⸗
viantirung ter Feſtung, gleich al3 bereite er ſich auf eine
bevorftehente neue Belagerung vor, verfügte im Innern
und nad) Außen wie ein Landesherr, ohne fich hierbei um
den Grafen zu kümmern, ja er ſoll, wie hanauiſche Berichte
und Meberlieferungen erzählen, offen gegen die Bürger:
ſchaft erklärt haben: der Graf fei zur Regierung unfähig,
dagegen werde die Stadt an ihm einen fräjtigen Herrn
und Schuß haben.
Es ift unmöglich jett noch die wahren Abfichten und
Handlungen des Ritter von Ramſay gegenüber ten Rad-
richten zu ermitteln, Die im Munde des Bolfs und von den
Gegnern wohl abjichtlich mit planmäßiger Uebertreibung oder
Verdrehung wider ihn umbergetragen und geglaubt wurden;
aber das fteht feſt, daß er dad Recht und die Perſon de
Landesherrn als rauher Krieger den politifchen und militä-
riſchen Intereſſen der Friegführenden Allianz nachjegte und
mit beiden Mächten des Auslandes, welche wider Kaiſer
und Ligue verbunden waren, in fortwährendem Berfehr
ftand. Es ift aber fchwer zu fügen, ob er nur zur Erfüllung
des Mainzer Bertragd einen Stüßpunft bei Frankreich ge-
fucht habe, weil jchon Damals der ſchwediſche Einfluß fehr
geſchwächt war, oder ob er, wie ihm Schuld gegeben wird,
felbftjüchtigen Verrath zu Gunften franzöfiicher Politif und
Vergrößerungsplane und zu Dem Zwed eine Webergabe der
Stadt und Grafihaft Hanau an Frankreich beabfichtigt und
in diefem Sinne die Feſtung nicht herausgegeben habe.
Will man gegen ihn möglichjt gerecht fein, fo muß
149
man auf feinen brieflihen Verkehr mit Herzog Bernhard
von Weimar hinmeijen, der zwar mit Franfreich im Bunde,
aber fein Verräther teuticher Ehre und Reichsintereſſen
geweien. Der Herzog hatte ihn wiederholt aufgefordert,
die Feftung Hanau muthig zu behaupten und ihm dabei
das Gerücht über ihn mitgetheilt, „als beabfichtige er eine
Uebergabe von Hanau an Frankreich, was er jedoch zu
feiner Ehre nicht glauben wolle.” Es wied aber Ramjay
ſolche Beichuldigung mit Entrüftung zurüd, und es muß
ihm darin Glauben gejchenft werben,“ da er bißher in allen
Unterhandlungen mit dem Kurfürften von Mainz und Ges.
nofjen fo eifrig die Reftituirung des rechtmäßigen Landesherrn
betrieben, jedoch ftet8 in der Richtung thätig geweſen war,
Stadt und Land allein in die Hand des Grafen unter: den
vertraggmäßigen Bejtimmungen zu übergeben, um fie nicht
in die entjchieten Euiferlihe Gewalt füllen zu laffen. Immer
benahnı er fich hierbei allerdings als ſchwediſcher Partei-
gänger und Bevollmächtigter, da er den abgeichlofjenen
Mainzer Vertrag jowohl an die Krone Schweden zur Geneh—
migung einfenvete, ald auch dem Herzog - Bernhard von
Weimar mittheilte, der wohl Die Uebergabe billigte, jedoch
ihm die ftrengfte Einhaltung der Accordsbedingungen zur
Pflicht machte und nicht eher die wichtige Pofition auf-
zugeben anrieth. Man darf hierbei nicht überjehen, daß
Ramſay feine Vollmacht bezüglich der Feſtung Hanau allein
vom Herzog Bernhard empfangen hatte und demfelben dafür
verantwortlih war. (Anm. 13.)
Aus allen Umftänden und Berichten über diefen Punkt
fühlt man fich daher zu der Annahme beftimmt, als habe
ſowohl der Herzog Bernhard als Ramſay die. Bejorgnif
gehegt, Die Euiferliche Partei und ihre Vertreter in Mainz
und Darmftadt, und felbjt die Freunde und Näthe des
Grafen Philipp Morit hätten unter dem Vorwande der
Reſtituirung der gräflichen Regierung doch nur die Eirwers
bung der wichtigen Feſtung für ihre Anterefjen: betrieben,
150
zumal mit dem Tode des fchwächlichen und fortwährend
fränklichen Grafen Philipp Morik, der nur ein ſechsjähriges
und ebenfall® fchwächliches Söhnchen hinterließ, Die Linie
des Grafenhauſes Hanau - Münzenberg zu erlöjchen jchien,
und nach dem Hinſchied ſowohl des Grafen 1638 als feines
Sohne? 1641 und de8 Grafen Johann Ernft 1642 aud
wirklich erlojh. Hanau war aber damals um der Glaubens—
ſache willen und wegen feiner Lage und Feftigfeit, wie auch
als ein werthvolles Austaufchobjeft bei einem Fünftigen
Briedensichluß eine fo bedeutiame Pofition, daß Freund
„und Yeind an ihrem Befig einen wichtigen Stügpunft
haben konnten, | |
Die Erwägung dieſer Verhältniſſe, unterftüßt von
manichfachen brieflihen Belegen, macht Vieles in vieler
Auffafjung Der verdedten Motive verftändlih. Daher er-
Härt fich auch, Daß Ramfay, während die Gegner auf feinen
Abzug binarbeiteten und rechneten, neue jchwedilche Truppen
aus der Wejergegend, Gelder von Frankreich und größere
Getreidevorrütbe aus Franken herbeizufchaffen bemüht war.
Das machte denn doch feine Gegner bejorgt und überdieß
drängte Die Gefangenjchaft der gräflichen Tamilie zu einem
Entgegenfommen, da fein andere Mittel gegen ten un
beugfamen Willen des Kommandanten anjchlagen wollte,
Alfo meldete ihm der Kurfürft von Mainz: „die ihm bes
willigten 50,000 Thlr. lägen in Amfterdam zu feiner Ber-
fügung bereit." Ramſay erklärte diefed Verfahren für ver:
tragswidrig „ba das Geld nach dem 5. Artikel des Mainzer
Accords an ihn felbft oder an die von ihm gu bezeichnende
Perjon abgeliefert werden müſſe.“ Er fügte jenen Vertrags⸗
punkten nun Die genauere Forderung bei, daß Die fragliche
Geldjumme mit den inzwifchen aufgelaufenen Zinſen an
feine Frau zu Edinburg gejendet und vor feinem Abzuge
die geforderten Geißeln bei Generallieutenant King in Wells
phalen angelangt fein müßten. Bei diefem Anlaß forderte
er die Stellung adeliger Geißeln von feinem Range und
151
katholiſcher Religion, um fich eine ebenbürtige Bürgichaft
zu feiner Sicherheit zu verichaffen.
Unter ſolchen Verhandlungen und, was nicht zu ver⸗
Sennen ift, beiderſeitigen Praftifen zog fich die definitive
Ausführung des Vertrags in die Länge und ed war nod)
fein Ende diefer Zerwürfniffe abzujehen, da Kommandant
Ramſay, in Folge einiger günftigen Mechjelfülle für feine
Bartei, mit jedem Tage hartnädiger und in feinen Forde—
rungen begehrlicher wurde. Darum war jegt der Moment
gegeben, wo da8 Unterhandeln als ſachgemäßes Rettungs-
mittel aufhören, wo man gegen ihn den Weg der rettenden
Liſt und Gewalt betreten mußte.
Schon im Februar (unterm 7/17.) 1638 aite Kur⸗
fürſt Anſelm Cafimir den Grafen Ludwig Heinrich
von Naſſau-Dillenburg, kaiſerlichen Generalmacht:
meiſter und nahen Verwandten des Grafen von Hanan,
zu einem friegerifchen Unternehmen gegen Ramfay aufge=
fordert und denjelben dazu geneigt befunden ; Doch ergiebt jich
aus den und vorliegenden Papieren im Rößler'ſchen Archie,
daß die Seele des Anſchlags unfer Sohann Winter
gewejen, der bereits in Hanauiſchen Dienften ftand und
dafür Truppen anzuwerben unternommen hatte. Nach den
älteren Erzählungen über die Vorbereitungen des Unter-
nehmens zum heimlichen Ueberfall des Kommandanten von
Hanau jollen zu Mainz und im Mainziichen Dorfe Neuen-
bain am Taunus Unterhandlungen und Eonferenzen ftatt>
gehabt haben; wenn man dieſe Ortsangabe auch kann gelten
laffen, da wahrjcheinlich mehrere Zuſammenkünfte gehalten
wurden, jo ergiebt fich Doch auß unfern Quellen, das wenig⸗
ſtens der Hauptoperationsplan zu Frankfurt und zwar in
Johann Winters Wohnung entiworfen und feitgeftellt worden.
Sofort begann auch Johann Winter fein Werk damit,
Daß er zunächſt dem Ritter Ramſay fowohl die Ankunft
ſchwediſcher Verftärfungen und dag Eintreffen der beflellten
Getreidezufuhr durch Yiftige Abteftellungen abfchnitt, als
152
auch die erwarteten Geldmittel aus Paris dadurch entzog,
duß er mit Hülfe des Rath8 der Studt Frankfurt den bereits
mit 20,000 Kronen Goldes daſelbſt angefommenen franzö—
fiichen Agenten Rofjeau arretirte und in Gewahrfaum brachte,
wodurch er den Kommandanten jchon halb entwaffnete, als
er ihm den Zufluß neuer Kräfte abſchnitt.
Inzwiſchen leitete er auch wirkſamere Schritte zur
Befreiung der Stadt und des Grafen von Hanau ein, der
bereits feit dreizehn Wochen nebſt den Seinigen in dem
Wohnſitz feiner Väter in drücdender Gefangenſchaft ſchmachtete.
Dei der erwähnten geheimen Zufammenfunft der Verbün—
deten in Winter8 Wohnung legte diejer jeinen Plan zu einem
Handftreih auf Ramfay’8 Pofition vor und vertheidigte
feine Borjchläge gegen alle ihm vorgehaltenen Bedenken fo
fräftig, daß fein Plan alffeitig angenommen und ihm felbft
die Ausführung übertragen wurde. Diejer Anichlag ging
dahin; Durch einen nächtlichen Ueberfall die Statt und
Feſtung Hanau wegzunehmen, den Grafen zu befreien;
den Kommandanten gefangen zu nehmen oder ihn zur
VBolziehung des Vertragd und Mebergabe der Feſtung zu
zwingen. (Anm. 14.)
Es gehört zum Bilde jener Zeitbegebenheit und Moral
bier zu erwähnen, mit welcher Treue man damals gegebene
Verjprechen zu umgeben juchte. Unter den Verhandlungen
der gegen Ramſay verbündeten Nachbarn ſprach fich ganz
offen Die Abjicht aus, den abgejchlojlenen Vertrag ränkevoll
zu brechen, jobald der Schwede aus feiner Pojition ver—
trieben fei. Der Kurfürft von Mainz fol den Antrag
gejtellt haben, nah Einnahme der Stadt Hanau gegen
Ramſay und feine Garnifon, jo wie gegen Die unter ihm
dienenden Schotten nach Kriegsgebrauch zu verfahren. Auch
Landgraf Georg Außerte gegen ven Grafen von Dillenburg,
welcher die dem Kommandanten zugeſagten 50,000 Thlr.
für fich und das Befreiungsunternehmen forderte, „vie Hälfte
jet auch genug.” Es ftellt fich überdieß heraus, daß die
158
Geltjumme, welche nach. ter Meldung de8 Kurfürſten an=
geblich in Amſterdam bereit liegen ſollte, damals noch in
ten Händen des Landgrafen von Heſſen-Darmſtadt war. —
Bußt man diefe Punkte ins Auge, jo wird um fo mehr
das Mißtrauen und die Hurtnädigfeit ded Kommandanten
Ramſay gerechtfertigt, da aus allen feinen Handlungen und
Nachforderungen hervorleuchtet, daß er die treulofen Abfichten
feiner Gegner durchichaute und dagegen fich ficherte, auch
- darum wohl den Grafen von. Hanau in Gefangenfchaft
bielt, um in deſſen Perfon nebjt Genoſſen ein Unterpfand
für die vollftändige ſtets hinausgeſchobene Erfüllung des
Bertragd zu haben. Mit diejer Anficht fallen viele andere
Anſchuldigungen gegen Ramjay, insbejondere der Verdacht
einer Ujurpation ter Grafenfrone, als erdichtet zu Boden!
Nach Feſtſtellung des Operationsplanes hatte Johann
Winter vorichußmweile aus eigenem Vermögen ein Corps
von 180 Mann Miethtruppen heimlich angeworben; Kur—
mainz verjprach feinerjeit8 200 Mann, ebenfoviel der Rath
von Frankfurt zu geben, und der Graf von Naffau=-Dillen-
burg ftellte einen Zuzug von 60 Mann Hülfstruppen .in
Auzficht, jo daß etwa 640 Mann auf das Unternehmen
verwendet werden ſollten. Die Oberleitung des Handſtreichs
wurde in die Hand des Grafen von Dillenburg, die eigent-
lihe Vorbereitung und operative Ausführung in Winterd
Hände gegeben, und er entledigte fich dieſer Aufgabe mit
eben joviel Klugheit als Thatfraft, jo daß ihm vorzugsweiſe
das Gelingen zuerkannt werden muß, was auch fänımtliche
Derbündete in.den Belohnungen feiner Verdienſte aner—
fannten ,. die jie ihm nach der Befreiung von Hanau ge—
währten, und die auch der Kaifer Durch Die Stundeserhöhung
noch verftürkte, und in dem Adelsdiplom mit Hinmeijung
auf die erjprießlichen und tapferen Dienfte, die er Kaiſer—
licher Majeftät und dem Neich erwiejen, noch befonderd in
den Worten der Urkunde anerkannte: „Daß derfelbe bie dem
Neich nachtheiligen und gefährlichen Eonftlia des ſchwediſchen
154
Gommandanten anfüngli unterbrechen, zu den auf tie
Zeitung unternommenen Anſchlägen eifrigft gerathen umd
hernach als beftellter Obriſt-Wachtmeiſter mit feinen Truppen
den erſten Angrifj ſelbſt gethan, fich ter Altſtadt Hanau,
des Hauptpoſtens, bemächtigt und mit Wagniß von Leib,
eben, Habe und Gut den Grafen Philipp Moritz gerettet
und tie Feftung in des Reichs Hänte und Gewalt zurüd-
gebracht habe.” — (Anm. 15.)
Der beichlofjene Hantitreih auf Statt und Feftung
Hanau wurde durch eine Reihe geheimer Berhantlungen
und Berabredungen einerſeits zwifchen dem Grafen von
Naſſau-Dillenburg und Obrit-Wachtmeifter Johann Winter,
andrerjeit8 mit dem gefangenen Grafen Philipp Morig umd
feinen Räthen eingeleitet, um ſich ſowohl über die militäri-
chen Zuftände und Echugmapregeln in der Stadt Hanau
zu informiren, als auc ein planmäßiges Zujammenwirfen
abfeiten der Anhänger des Grafen in der Statt mit den
zu feiner Entfegung heranziehenden Zruppen zu verunitalten.
Im Hanauer Magazin (1. Band vom Sahre
1779) finden wir eine Reihe von geheimen Eorrejpontenzen
in Briefen und Informationen, jeit Mitte Sanuar bi8
gegen Mitte Februar 1638 zur Verftändigung theil® über
Zeit, Ort und Ausführungsweife des Anjchlags zwiſchen
tem Grafen von Hanau und Johann Winter, theild zwiichen
dem Grafen Lutwig Henrich zu Nafjau und ebendenjelben,
wobei im Hintergrunde auch der Kurfürft von Mainz und
fein Rath Dr. Möden fleißig betheiligt erjcheint. (Anm. 16.)
Ungeachtet feiner großen Schlauheit und vorjehenden
Wachſamkeit fcheint Doch der Kommandant Ramjay weder von
ven Zufammenfünften zu Mainz, Königftein, Neuenhain und
Srankfurt und den geheimen Truppenzufammenziehungen
feiner Gegner, noch von der Flug verdedten Correſpondenz
derjelben mit feinem Gefangenen irgend etwas gemerkt zu
haben. Graf Philipp Mori mit dem Plane vollkommen
einverftanden, rieth Doch wiederholt zur größten Vorficht und
155
Verſchwiegenheit; er fürchtete nach mehreren Seiten hin,
einestheild: „wenn die Grafen davon wüßten, jo wollten
fie auch die Hand darin haben,” — anderntheild der Graf
von Naſſau möchte als Kaiferlicher Generalwachtmeifter fich
in feine landesherrlichen Nechte ungebührend einmilchen,
deshalb verlangte er die Verficherung, „daß man wie ein
Freund kommen möge und nicht wie ein faiferlicher Offizier,
und darnach ihn in Allem fchalten und walten lafjen.”
Dagegen fehte er all fein Vertrauen auf Johann Winter
„als feinen vertrauten geheimften Offizier und Freund, der
nicht8 ohne ihn verjuchen, ihn von Allem unterrichten und
in der gefährlichen Suche caute verfahren werde.” Darauf
gab Johann Winter die Zuficherung, daß er alle Borficht
auch gegen die Genofjen de3 geheimen Bundes anwenden
werde und: „wenn ich willen oder merken jollte, daß auch
die geringfte Geführlichkeit, Falſchheit oder Betrug bei den—
jenigen, fo das Werk diesmal in Händen, zu befahren fein
ſollte, fo wollte ich lieber mein Blut ftürzen, als unter-
lafjen Ew. Gnaden bei Zeiten zu warnen, geftalten von
Ihro Kurfürſtl. Gnaden zu Mainz den bewußten Verfiche-
rungsſcheins ich alfo originaliter in Hänten habe, wie Ew.
Gnaden ſolchen jelbft begehret.“
Man erfieht hieraus, daß Graf Philipp Morig ſtets
Gründe hatte, die Ränke der kaiferlihen Partei zu fürchten,
ber es mehr um die Belikergreifung der Feftung und
Negierung des Landes als um feine Nettung zu thun- fein
möchte. Er fcheint beſonders dem geiftlihen Herrn zu
Mainz, aber auch dem Grafen von Nafjau mißtraut zu
haben aus Beforgniß, er möchte auß einer fremden Gewalt
in eine andere fallen und die Untreue der Zeitmoral dann
von Taijerlich=pfäffiicher Seite erfahren,
Indefjen gab e8 auch Vorfälle im Innern der Feſtung,
welche zu Vorſicht und Verſchiebung des Unternehmens
riethen. Am 8. Februar ſchreibt der Graf von ſeinem
Krankenlager aus an Major Winter: „der argliftig ſchlaue
156
Kopf habe vier Stud auf dem Neuftadter Markt auffahren,
die Gewehre der Soldaten, wie aud die Stüde auf dem
Wal beiehen laſſen. Er fcheine Wind von.ter Sade zu
haben, darum müſſe man ihn wieter zahm werten lafjen,“
— d. h. den Ueberfall noch aufichieben. —
Da Graf Philipp Morig mehrmald ten Termin des
Unternehmens binausjchob, jo brachte Major Winter endlich
unterm 10. Februar die Zweifel und Bedenken deſſelben
zum Schweigen durch Vorſtellung der wachſenden Gefahr
eines Verraths und weil das Landvolk feine zujammen-
gezogenen Truppen nicht mehr ernühren könne. Darauf
beitimmte tann der Graf die Zeit der Ausführung und
ſchrieb an Winter:
„Lieber Monlieur Winter, die Sache iſt richtig, kommet
im Namen Gotte8 und ter heiligen Dreifaltigfeit; tie
Stund it um 4 Uhr gegen Tag, (in ter Naht vom
11/21. auf ten 12,22. Februar) daß ihr außen angehet:
das Mort it „Sanauiich,” das Zeichen iſt ein weiß
Schnupftuh oder meißer Lappen, e8 ilt bier nod)
till, machts ſo geheim als ihr Fünnet, und kommet gewiß
um die Stunte, daß ihr in voller Arbeit feid, verhütet
doch, daß fein Blut ohne Noth vergoſſen werde. Vale,
Herr Jeſu Ehrijte jteh und bei.
Samſtag um Mittag. Philipp Morik." —
An demjelben Tage Nachmittags 3 Uhr jchreibt der
Graf nochmals:
„Lieber Major, es iſt alles richtig, die Schiff find
ba und man kann durchbaden. Der Hof-Fiiher wartet an
der Kinzig. Fritz mein gewejener Sattelknecht ift in der
Mühl mit bekannten Bürgern, ter weiß alle und kann
gute Information geben; auf den Herrn ſolls geitellt werten,
fommet im Namen Gottes; das Licht auf tem Thurm wird
fih zur beſtimmten Stunde jehen lajlen, wonach ihr euch
zu richten, nad) Dreien.
Philipp Morig.“
157
Auf dieſen Endbeſchluß zogen fich die bereit gehaltenen
Truppen des Befreiungskorps, noch durch 100 Mann von
Koblenz verftärkt, jedoch ohne die Frankfurter Mithülfe,
am jpäten Abend des 11/21. Februar bei Bergen zufammen
und rüdten in aller Stille, unterwegd von der jchlechten
Beichaffenheit des Wegs aufgehalten, bei Dunkler Nacht und
Regenwetter gegen Hanau vor, wo fie ſpäter, als verab-
redet worden, nemlidh erjt um 6 Uhr Morgens anlangten.
Der Graf von Naffau führte da8 Haupteorpe, Johann
Winter Die Vorhut; er hatte die nachgemachten Schlüffel
zu den Thoren und Brücden der Altjtadt und der Mühl
Ichanze bei fih. Bevor die Hauptmacht anlangte; ging
Major Winter mit feinem 60 Mann ftarfen Vortrab ohne
Schiffe und Brüde dur die angefchiwollene Kinzig unter-
halb des heutigen Wehrs bei der jetzigen Papiermühle,
überrumpelte die Mühlichanze, worin vertraute Bürger und
etwa 8-8 Soldaten die Garnifon bildeten, drang aus ber
Schanze dur das feinen Schlüffeln zugängliche Thor beim
rothen Haus in die Altitadt ein, überfiel die 50 Mann
ftarfe ſchwediſche Beſatzung im Schügenhaufe und zugleich
die Wache am Schloß, befreite den. Grafen aus jeinem
Arreft und nahm Befiß von der ganzen Altjtadt.
So wur aljo die Altitadt, der Hauptpoften der Feſtung,
bereit8 in den Händen Johann Winters, bevor der Graf
von Naſſau mit einem Theil de8 Haupteorps anlangte und
nun jchon vermittelft eined ihm geöffneten Thores feinen
Einzug halten konnte, während die andere Hälfte Der
Mannjchaft unter der Führung der Mainziichen Obriften
von Metternih und Bettendorf erſt gegen Mittag vor
Hanau eintrafen, weil fie in der Nacht ſich verirrt umd
zurüdgeblieben waren. Ohne Winter NRajchheit und vor-
fihtige Führung wäre wahricheinlich Dad ganze Unternehmen
mißglückt, Ritter Ramjay gewarnt, deshalb vorjichtiger und
gegen Die gräfliche Familie härter geworden.
Sobald Ramjay die Altitabt verloren ſah, zog er
158
alle feine Truppen aus den Borpoiten in die Neuftaddt zu⸗
ſammen; er hatte etwa noch 300 Dann, in einer Lage,
die in Mitte einer feindlichen Bevölkerung gegen die Ueber-
macht feiner Gegner ihn die Gefahr feiner unfichern Poli-
tion erfennen ließ. Er bot feine apitulation an, wenn
man freien Abzug und die Aufrechthaltung der Vertrags⸗
beftimmungen ibm zulihern wolle. Sein Anerbieten wurde
‚abgelehnt und ein Sturm auf die Feſtungswälle vorbereitet,
welche die Neuſtadt von der Altftadt trennten. Bevor e8
zu einem Sturmangriff fom, bejchofjen fich beide Streit-
haufen, und hierbei wurde Ritter Ramjay vor jeiner Woh⸗
nung, da wo heutigen Tagd der „weiße Löwe“ ſteht, Durch
eine Mußfetenkugel gefährlich verwundet und zur Ergebung
mit ftetem Vorbehalt der Aufrechthaltung des Mainzer
Accords gezwungen. Es fcheint, daß der Graf von Nafjaus
Dillenburg, edler als feine anderen Berbündeten, als er
den Berwundeten auf feinem Schmerzenslager befuchte, ihn
der Erfüllung des Vertrags nochmald verfidyert habe.
| Sn Folge dieſer Wendung der Dinge wurde aud
Graf Philipp Morig in alle feine Rechte als Herr ber
Stadt und Feſtung ſowie des Landes wieder eingejeßt und
gelobte nun jammt der Bürgerichaft dem Kaifer und Reid
den jchuldigen Gehorfam. Durch dieſe Rettungsthat wurde
gleichzeitig die Bürgerjchaft nicht allein von der Willfür
einer fremden Militärgewalt, fondern auch von Der Gefahr
einer neuen Belagerung befreit, die von kaiſerlicher Seite
bereit8 im Werfe und Anzug war.
Das Alles war mehr oder weniger, jedenfall® haupt⸗
ſächlich das Verdienft des treuen, entichloffenen und Flugen
Majord Winter, welcher fich in Verbindung mit dem Grafen
von Naſſau ein neued Denfmal ſeines Ruhmes ſetzte, das
noch dadurch erhöht wurde, daß er fich gegen den befiegten, in
feine Hände gefallenen Feind redlich und menjchlich benahm.
Durch folche Tugenden erwarb er fih in der recht-
loſen, beſonders in Erfüllung geichloffener Verträge nicht
159
ſehr gewilfenhaften Zeitmoral einen unbefledten Ruhm, wie
ihn nur wenige unter den Kriegshelden und Staatsmännern
jener Periode aufweifen können, mögen fie auch ſonſt
Größeres geleiftet haben.
Der gefangene und an feinen Wunden leidende Ritter
Ramſay wurde einige Zeit in Hanau zwar jtreng bewacht,
aber gut behandelt, fodann mit aller Rückſicht auf feinen
Bultand nach dem Scloffe Dillenburg gebracht, wo er
eine forgfältige Ärztliche Pflege und freundliche Behandlung
fand. Der Graf verweigerte auch die Befolgung der von
Wien ausgehenden Forderung feiner Auslieferung, hütete
ihn gegen die Anichläge feiner Feinde und trug fogar auf
feine. Freilaſſung an, da bderjelbe nicht anders als nad
feinen Befehlen gehandelt habe. Doc der Gefangene ftarb
dort am 29. Juni 1639 und wurde in der Stadtlirche zu
Dillenburg mit militäriichen Ehren beigejegt. (Anm. 17.)
Diefe Handlungsweile des Grafen von Naſſau ift
allein an fih ein Stüd geichichtlichen Beweiſes, daß er
die Anfchuldigungen der Feinde Ramſays entweder für er—
dichtet oder doch für zweifelhaft und übertrieben anſah, und
den Feind um fo mehr achtete, je treuer derſelbe feine
Pflicht erfüllt hatte. Ihm mußte es vollftändig bekannt -
fein, was von den Anklagen der Gegner wahr. und wie
wenig lauter deren Abfichten und Redlichkeit gewejen.
Aus arhivaliichen und anderen Quellen hat Seller
in feiner fchon mehrmals erwähnten Schrift: „Die Drang-
ſale des nafjauischen Volks“ ꝛe. in Kapitel VI. Abfchnitt II.
aus dem Echuldregifter Ramſays manche Nummern zu tilgen
gejucht und auf genügende Weile dargethan, daß Vieles in
den befannten Anjchuldigungen zweifelhaft oder übertrieben
und Manches auch ganz faljch fein müffe Wir verweilen
auf feine gediegene Arbeit und befennen gern, daß wir ihm
und feinen Belegen mit Vertrauen in unferer Auffaffung
gefolgt find, wenn wir aud in einzelnen Punkten nach
unjern Quellen von ihm abweichen mußten.
160
. Sobann Winter wurde nun Kommandant von Hanau.
Unter feinen binterlaffenen Echriften findet fich datirt vom
14. Mai.1639 da8 Concept eines Berichts an die Gräfin
Sybilla Ehriftina, Gemahlin’ ded Franken Grafen
Philipp Morig, worin er unter Hinweijung „auf die immer
gefährlicher werdenden Zeiten” in 27 Ipezifizirten Punkten
die Feſtungswerke von. Hanau theild zu erweitern, theils
auszubefjern und mit ten nöthigen Bedürfniffen zu 'ver-
ſehen beantragt. |
Graf Philipp Morig überlebte feine. Befreiung . und
MWiedereinjegung nur kurze Zeit. Seine letzten Briefe aus
der Öefangenichaft an Major Winter hatte er, wie er felbit
darin jagt, vom Krankenbette aus gejchrieben. Er ftarb
noch in demfelben. Jahre am 3. Auguft 1638 mit Sinter-
lafjung feines einzigen Kindes, des erſt jechsjährigen Sohnes
Philipp Ludwig UIl. für den fein Better Graf Johann
Ernſt von Schwarzenfelß zuerft die Bormundichaft
führte, und dann nach deffen Tod am 12. November 1641
als Nachfolger Die Regierung übernahm. Diefer war der
legte Graf aus dem Haufe Hanau = Münzenberg und als
auch er am 12: Sanuar 1642. mit Tod abging, war bie
Münzenberger Linie erloſchen. In Folge einer 1610 ges
ſchloſſenen Erbeinigung folgte nun die Linie der Grafen
aus dem Haufe Hanau-Lichtenberg, die faum 100
Sahre lang über Hanau herrſcht und Dann 1736 ebenfalls
außftirbt. Diejer Wechiel des Herrſcherhauſes beim Abfterben
des Philipp Mori war nicht ohne nachtheiligen Einfluß
für Johann Winter.
Die Belohnung und die Alterstage des Johann Winter.
Wir haben in vorftehenden Abjchnitten nur Bruch—
ftüde von dem wehevollen allgemeinen Kampfe zweier großer
Prinzipe injoweit aufgeführt, als fie die Thatengejchichte
des Johann Winter und die Erlebnifje der beiden Grafen-
häufer Vienburg und Hanau berührten. Wie allgemein in
161
Deutichland, war auch in unferer Gegend diefer deutiche
Krieg der Kampf des Cäfaro-Papismus gegen das Prineip
der Reformation für Glaubensrecht und Glaubenszwang
mit vielen Elementen ſelbſtſüchtiger Politik vermijcht, fo
daß man kaum unterjcheiden Tann, imo das kirchlich-religidfe
oder das politiich-territoriale Suftem das Hauptmotiv und
ben Kern der Streitigkeiten gebildet habe. Defterd hatten
wir Gelegenheit, auf eine große Untreue und unredlichen
Parteihaß hinzuweiſen und hielten e8 darum umjomehr der
Mühe wertb und für lehrreich, in der Geiftedarbeit und
Gefinnungstreue des Johann Winter das Lichtbild eines
deutfchen Mannes emporzuheben, dem Freund und Feind
ihre Anerkennung zollen mußten, weil feine Treue und
Mannhaftigkeit neben fo vielen Schattenbildern unbefledt
bervorleuchteten. Das haben denn auch alle diejenigen
Großen und Kleinen anerkannt und hochgeachtet, für die
und wider die er gearbeitet und geftritten bat. Daher
flofjen denn auch die Belohnungen, welche ihm zu Theil
wurden. (Unm. 18.)
Zuerft war e8 der Kaiſer, welcher den wadern Dann
durch das höchite Ehrenzeichen jener Zeit zu belohnen
fuchte, obgleich derfelbe weniger für als gegen die politifchen
Sntereffen des damaligen SKaiferhaufes gefämpft hatte.
Schon Kaiſer Ferdinand II, der in feiner jefuitifchen
Richtung nicht leicht einen Proteftanten mit Ehren bedachte,
hatte ihm eine Standederhöhung zugeiprochen, die dann
fein Sohn und Reichsnachfolger Kaiſer Ferdinand II.
erneuerte, vermehrte und bis zur Aufnahme in den erblichen
wappenführenden Adelsſtand fteigerte.
Die und vorliegende Abichrift ver Entjerlichen Urkunde,
Datirt Wien den 13. December 1638, ift ein fehr weit-
läuftiges Aktenftüc in dem Curialſtyl der Älteren Zeit ab—
gefaßt, worin nach Aufführung aller Verdienfte des Johann
Winter und feines Großvater8 Cunz Winter ganz beſon—
ders die Befreiung des Grafen, der Stadt und Feltung
Band X 11
162
Hanau aus Ramſays Gewalt und geführlichen Anjchlägen,
dann das Adelsprädieat von Güldenborn, das ihm
gewährte Wappen und Siegelrecht, die Privilegien, Im—
munitäten und ſowohl perjünlichen als dinglichen und recht-
lichen Freiheiten aufgezählt und die Adeldrechte für ihn
und feinen Bruder Johann Winter den Jüngeren, für alle ihre
rechtmäßigen, männlichen und weiblichen Nachkommen, Kin-
der und deren Kinder verliehen werten. Auch weitere Be—
lohnungen der kaiſerlichen Huld und Gnade ſind ſchließlich
in Ausſicht geſtellt.
Bezüglich des geſammten Inhalts in Form und
Faſſung der Sprache und der einzelnen Punkte müſſen wir
auf das Aktenſtück in Rößlers Archiv verweiſen, heben jedoch
den einen Punkt wörtlich heraus, der als Beleg für feine
obenerzählten Thaten und DVerdienjte dienen fann.
Es wird im Eingang der Urkunde die Stundeserhöhung
darin motivirt:
„daß er — Johann Winter ver Aeltere — nicht allein
des ſchwediſchen Commandanten daſelbſt vorgehubte böſe,
Uns und dem heiligen Reich nachtheilige gefährliche Conſilia
anfänglich unterbrochen, zu dem auf ſolche Feſtung ge—
machten Anſchlag und Impreſſa eifrig gerathen und dazu
die erſten ſonderlichen Vorſchläge gethan, ſo wie er auch
hernach als beſtellter Obriſt-Wachtmeiſter mit feinen unter—
habenden Truppen den erſten Angriff ſelbſt gethan, der
Alten-Stadt Hanau als des Hauptpoſtens ſich bemächtigt,
ſelbige bis zu Ankunft des Succurs gegen den Feind tapfer
mantenirt, folgents mehrbemeldete ganze Feſtung aus des
Feindes- und in unſere und des heil. Reichs Gewalt bringen
und alſo hierdurch die dem heil. Reich bevorſtehende Gefahr
mit willigſter Darſetzung Leibes, Lebens, Haus und Guts,
getreueſten Fleißes abwenden helfen, wie nicht weniger das
ihm anvertraute Commando in mehrbeſagter Stadt und
Feſtung Hanau zu Unſer und des heil. Reichs erſprießlich
nützliche Dienſte bis dato fürſichtig führen und dadurch ſeine
163
beharrliche Treue gegen Uns und das heil. Reich rühmlich
und beftändig erzeigen thut- ꝛ. — — —
Auh Kurfürft Anfelm Caſimir, Erzbiihof von
Mainz und des heil. Römiſchen Reich Erzfanzler in Ger-
manien 2c. wollte den verdienfivollen Mann belohnen, ber
duch Rath und That das zu Stande gebracht, was er
mit allen Ränken oder liftig gepflogenen Unterhandlungen
nicht hatte erreichen können, um ich und fein Land von
des verhaßten Ramjay Anjchlägen und Bebrüdungen zu
befreien. Er fchenfte dafür dem Johann Winter als Erb-
(eben den.g. „Münhshof wi Bruchköbel“, der nod
jetzt als Familiengut der Rößler in deren Beſitz ift und
dermalen der Wiesbadner Linie angehört.
Die Stadt Frankfurt, welche gleich hohen Werth
auf die Entfernung des fühnen, um fich greifenden ſchwe—
diichen Parteiganger® und der fieten Belagerungen von
Hanau feste, weil fie unter dieſen Operationen empfindlich
mitleiden mußte, hatte zwar im Moment der Ausführung
des verabredeten Handftreich® fich in faft untreuer Weile
von der thätlichen Mitwirkung zurückgezogen, doch Die Vor-
theile jchäßend, ihre Anerkennung dadurch beurfundet, daß
fie dem Obrift-Wachtmeifter einen großen Garten im
Fiſcherfeld zum Geſchenk machte.
Auch Landgraf Georg von Heifen-Darm-
ſtadt, welcher von Ramfay viel zu leiden hatte, ben bed=
halb und vielleicht auch aus befondern und geheimen
Grünten der Landgraf bitter haßte, wollte nicht zurüd-
bleiben und fchenfte dem Obrift-Wachtmeifter und kaiſer—
lichen Commandanten zu Hanau ein Gut zu Okryfftel.
E3 war in den Verdienften Johann Winter um
Stadt und Grafihaft Hanau ganz bejonder8 begründet,
Daß ihm ter Graf eine ehrende Belohnung zugedacht und
verjprochen hatte, Doch der bald nach der Befreiung erfolgte
Hinſchied des Grafen Philipp Moritz fcheint die Vollziehung
des Verſprechens gehindert zu haben. Auch ‚veilen Sohn |
11°
164
und der legte Herr vom Haufe Hanau-Münzenberg kamen
nicht zur Erfüllung diefer Pflicht. Die Gräfin Catharina
Belgica lebte damals im Haag bei ihrem Stiefbruder und
hatte felbft Diangel, da das Hanauer Land in Folge der
langdauernden Verheerungen ihr nicht einmal den Witwen-
gehalt auszahlen konnte. So fchoben die Eterbefälle und
die Noth der Zeit und das Erldichen des älteren Grafen-
ftammes das Werk einer wohlverdienten Vergeltung hinaus,
Als nun die bisher im Elfaß angefeffene Linie der Grafen
von Hanau:Lichtenberg zur Succeſſion in der hierſeitigen
Grafichaft gelangte, wurde Die fchuldige Belohnung des fo
hochverdienten Mannes vergeffen, zumal er ſelbſt inzwifchen
in Kaiferliche Dienfte getreten und zuerft als Oberftlieute-
nant und Kommandant nah Oberlahnftein, darauf in
den Sahren 1642 —44 als Kaiferlicher Kommandant auf
der Burg Briedberg aus den Augen gerüdt war,
Johann Winter von Güldenborn fcheint auch feine An-
fprüche erhoben zu haben, wenigſtens findet fich darüber
feine Epur in feinen Aufzeichnungen und hinterlaffenen '
Papieren vor; aber die Gräfin Eybilla Chriftine, melche
als Witwe fich ſpaͤter mit dem Grafen Friedrich Caſimir von
Hanauskichtenberg vermählte und al8 deſſen Gemahlin wieder
tegierende Gräfin in Hanau wurde, fonnte die Verdienfte Win-
ter8 um fie ſelbſt und das ganze gräfliche Haus nicht vergeffen
haben, doch geichah nichts in dieſer Angelegenheit.
Sm Sabre 1653 finden wir Johann Winter von
Güldenborn in Kurmainziichen Dienften als gemeinichaft-
ih Kurmainziicher und Kurpfälziicher Rath und Anıt-
mann zu Neuenhain am Taunus. In Zufchriften aus
der Kurfürftlihen Kanzlei wird er öfter mit den merf-
würdigen Titel: „Kurfürftlih Mainzifher anheim-
gelajjener Statthalter, Rath ꝛc.“ angeredet und bald
zu einer Conferenz zum Kurfürften nach Mainz berufen,
bald mit allerlei Dienftaufträgen belaftet, fo 3. B. unterm
10. Sanuar 1657 ihm der Befehl gegeben, die zu Neuen-
165
hain wohnenden Juden zur Zahlung des feftgejeßten Accis
vom Verlauf geichlachteten Viehs an die Kämmerei anzu
halten, von einem Ochſen einen Reichöthaler, von jedem
andern Stück Rindvieh einen halben Thaler, unter der Strafs
androbung, daß ihnen ſonſt das Cchlachtrecht und der
Fleiſchverkauf gänzlich entzogen werde. Ein anderes Mal,
jo unterm 23. April 1660 wurde ihm aufgegeben, gegen
berumftreihende8 Gefjindelund Zigeuner, welche
die Straße unficher machten und allerlei Exceffe verübten,
durch Erlaffe, Plakate, Streifzüge und gemeinjchaftliches
Einſchreiten mit den Nachbarbehörden fein Beſtes zu thun,
da ſolchem Volk ſchon im Landfrieden des h. römiſchen
Reichs jeder Durchzug, Unterſchleif und Aufenthalt verboten
ſei. Die Gegenden am Taunus, wo vielherriges Gebiet
und geiſtliches Regiment dem herumziehenden Geſindel und
Diebsvolke günſtig war, waren lange Zeiten hindurch in
ihren Waldgegenden (in den ſ. g. „Heden") die Aufent-
haltsorte fremden Geſindels.
Zu Neuenhain ſtarb ſeine Gattin Anna Eliſabetha
Bahrd am 17. Det. (n. St.) 1661 und wurde daſelbſt
begraben. In ihren Perfonalien ift rührend zu Iejen, mit
welcher Liebe und Geduld Herr Johann Winter von
Güldenborn die kranke Gattin bi8 an ihr Ende gepflegt,
fie getröftet, mit ihr gebetet und auf das ewige Leben vor-
bereitet habe. Die Leichenrede nebit Perſonalien, ausgehend
vom Kurpfälziichen Prediger Gregorius Thomjon zu Neuen
hain, findet fich in den Alten des Rößler'ſchen Archiv.
Vier Jahre fpäter trat er mit feiner zweiten Gattin
Elijabetb Sejemann in die Ehe, welche kinderlos
blieb. Die mit ihr am 16. Februar 1665 errichteten Pacta
dotalia find in ihrer weitläufigen und vetaillirten Aufs
ftelung vollftändig in Abjchrift bei den hinterlaffenen
Papieren.
Im Jahre 1667 wohnte er als Mainziſcher Abge-
orbneter dem reichöftändiichen Kongreß zu Hildesheim
166
bei, um einen gemeinjchaftlihen Kriegszug gegen tie Türlen
zu beraten — ein Allianzplar, Ter wie gewöhnlich in ten
meiften Reichdangelegenheiten nicht zur Ausführung kam.
Bei zunehmendem Alter wünichte er fich eine ſtillere
Etellung und wurde Teshalb von Hanau und Kurpfalz als
Reichsſchultheiß in tie reichspfandfchaftlicde Amtsſtelle nad
Gelnbaufen verjegt, wo er am 2. Mai 1668 in einem
Alter von 73 Jahren im Herrn entiählief.
Außer ten Lebengütern und eigenthümlichen Höfen
und Häujern ließ er fein großes Vermögen zurüd. Unter
tem 19. Sunuar 1672 wurde von jeinen vier Kindern
(vier andere waren in jungen Jahren geftorben) tie Erb
theilung ſeines Nachlaſſes vorgenommen, feftgeftellt und
befiegelt, wobei Johann Marimilian, Johann
Conrad, Johann Georg Rößler, als Gautte ter
älteften Tcchter, und tie jüngere Tochter Margaretha
Felicitas fih freundlich verglichen und in Die Hinter:
lajjenichaft theilten. Die Urkunde darüber fintet ſich in
Driginal im Archiv der Yamilie Rößler.
Wir haben in unferem Vorworte ausgeſprochen, daß
wir in der LebenSjkizze des Tohann Winter von Gülden—
born das Bild eines edlen deutihen Mannes voll Treue
und Mannhaftigkeit, der fi in den jchlimmften Zeiten
unjerer Volksgeſchichte als ein Heiner Held in bürgerlicher
Eittenreinheit, edler Gemüthskraft und aufopfernder Ge—
iinnung bewährt hat, aufführen und zeichnen wollten
Johann Winter war mehr ein bürgerlicher als politische
Charakter; aber wie wir gejehen haben, ein vieljeitig brauch —
barer und auch gebrauchter Mann. Nicht ein Diener ode -
Werkzeug in aufgezwungenem Serrendienft, jondern eig
freiwilliger Diener und Helfer, wo Dienft und Hülfsleifturen «
ihm Pflicht und Zugend erjchien, hat er gegen Große urn
Gewaltige feinen Kampf für da8 Recht und die Frei i
der unterdrüdten Schwachen mit eigener Aufopferung, me %ı
al8 Freund und Freundesanwalt: benn als bezahlter Diese:
103
gefiritten umt jtegreich binausaeführt. Das baben denn
anch Freund unt Feind, Kleine und Große leddaft aner⸗
kannt und dafür ibm Achtung, Edre und Beweiſe der
Tankbarkeit dargebracht. Was Tem Leben des einzelnen
Menſchen Würde und ſeiner Müde und ſeinem Streben
einen Werth gibt, ter wie ein Samenkorn des Guten im
Boden ter Zukunft aufgedt, das finden wir im Lebens⸗
bilde eines ſelchen Mannes, der in ſeinem feſten und ges
willen Geiſte in Rurb und That für das gemeine Weſen,
für das öffentliche und perjöntiche Recht, und darin für die
Grundlage einer allgemeinen Freiheit Ten Antrieb und Die
Thatkraft jchöpfte, al? ein Mann zu wirfen, deſſen Beilpiel
und Bildniß noch jetzt jegensreih werten lann. Sein
Adel ijt demnach einer zwiefachen Quelle entiprungen: aus
eigener Gejinnungätugend und aud öffentlicher
Anerfennung jeiner Bertienite!
Die weitere Hausgefchichte der Familie Winter
von Güldenborn.
Die Familie ter beiten Brüder Johann Winter
jollte nach kurzer aber jchöner Blüthezeit in ihrem Mannes—
ſtamm bald dahimwelfen und untergehen. Wir geben darüber
eine furze Ueberficht, obgleich ung theilweiſe ein unfang-
reicher Stoff vorliegt, deſſen Veröffentlihung und hier ver=
jagt wird.
Schon fein Bruder Johann Winter der
Jüngere ftarb 1651 finderlo8 als Venetianijcher Haupt:
mann im Auslande und e8 ruhbte demnach die Erhaltung
des Winter’fchen Gefchlechts allein auf dem älteren Bruder
Johann Philipp Winter, welcer bei feinem Tode
von acht Kindern, die ihm in ver erften Ehe mit Unna
Eliſabetha Bahrd geboren worden, nur zwei Söhne und
zwei Töchter hinterließ, nämlich 1) Sobann Magimilian
und 2) Johann Conrad, 3) Maria Eltfabetha
168
und 4) Margaretha Zelicitag, welde alle ten
Bater überlebten und fich in jeine Hinterlafjenichaft theilten.
Bezüglich Tiejer vier Kinter geben wir zu ten Tafeln
des oben vorgelegten Stammbaumes folgente kurze Rotizen:
Der ältefle Eohn Johann Maximilian Winter
von Büldenborn ſtarb als Generalatjutant im Dienſte der
vereinigten NRieterlante am 21. Juni 1673 zu Leyden
ohne SHinterlafjung eheliher Nachkommen. Er war bei
tem damaligen ipaniihen Statthalter der in Aufruhr
fiehenden Niederlande, dem befannten Don Juan Domingo
de Zuniga y NRequejend, mit einem Patent vom 20. Januar
1672 zu Anwerbung neuer Miethtruppen nady Deutjchland
ausgejendet und zu dem Zwed allen Fürften, Städten und
Ständen im teutihen Neid zu Schutz und Förderung
feined Auftragd empfohlen. Diejed Patent findet fi auf
ftarfem Papier mit dem Siegel verjehen im Original im
Archiv der Familie Röpler wohlbehalten vor. Bei ſeinem Tote
hinterließ er ein Hofgut zu Nieder-Florſtadt, welches ald
Mannlehen wahricheinlih von feinem Vater aus der Vſen⸗
burgiichen Belehnung auf ihn übergegangen war; auch ein
eigenthümlich ihm angehörige8 Gut zu Dfryfftel, jowie
mancherlei Hausgerätb, Silberfachen und baare8 Geld fiel
aus feiner SHinterlaffenichaft den drei Gejchwiltern als
Erbe zu.
Der zweite Sohn Johann Conrad Winter
von Büldenborn, zu Friedberg 1642 geboren, hatte
die Rechtöwifjenichaft ftudirt, ging 1662 mit dem Gräflich
Solmd- Waldediihen Reichscontingent als Cornet nad
Ungarn und machte alle Feldzüge, Belagerungen und
Schlachten gegen die Türfen mit und wurde Lieutenant in
feiner Compagnie. Darauf diente er unter den Braun-
ſchweig-Lüneburgiſchen Fahnen als Nittmeifter. Im Jahr
1669 trat er in den Lothringiſchen Kriegsdienſt, zeichnete
fih durch eine tapfere That gegen die Frangofen aus,
wurde Major und Oberftlieutenant. Er war au Mit-
169
glied der etterauifchen Ritterſchaft und ſtarb 1708 zu
Frankfurt a. M.
Er war zweimal verehelicht, zuerſt mit Anna Catha⸗
rina Probſt, darauf ſeit 1698 mit Eliſabetha Sybilla Neſtel
von Löwenfeld und hinterließ aus dieſer Ehe zwei Söhne
und ebenſoviele Töchter. Mit ſeinem Sohne Friedrich
Philipp, PVreußiſchem Rittmeiſter, erloſch zu Florſtadt
am 10. Juli 1743 das Mannesgeſchlecht der Winter von
Güldenborn und fielen damit auch die Mannlehen weg.
Die älteſte Tochter des Obriftlieutenants Winter von
Güldenborn war Maria Elifabethba. Zuerſt mit
Johann Chriſtoph Sulzer, Amtmann zu Gelnhaufen, ver-
mählt, trat fie nach deſſen frühem Tode 1669 in die zweite
Ehe mit dem gräflich hanauiſchen Stallmeifter Johann
Georg Rößler und wurde Stammmutter der noch be=
ftehenden Familie Rößler, die zu Hanau, Wiesbaden ıc. noch
jest in zahlreicher Nachlommenjchaft blüht. Das Nähere dar-
über ift im Stammbaum und Archive der Rößler zu finden,
Die jüngere Tochter Margaretha Felicitas
wurde an den hanauifchen Amtmann v. Götken zu Geln-
baujen vermählt; aus diefer Ehe ftammten ein Sohn und
eine Tochter ab, worüber in unjern Quellen aber weitere
Angaben fehlen.
Mir Schließen mit einem alterthümlichen Dentverfe
auf Johann Winter v. Güldenborn aus einer alten Samm-
lung des vorigen Jahrhunderts:
Dein Name grünt und blüht in vollem Segensftanibe,
Du bieneteft in Treu und Liebe Stadt und Lande;
Im Wint'— und Sommer foll derfelbe nie vergehn
Und als ein goldner Brunn von Lieb und Lobe flehn!
170
Anhang.
Hinweifung auf die Quellen.
Anm. 1. Siehe: Kaiferliches Adelsdiplom in Abfchrift
im Hausardiv der Familie Rößler zu Hanau. Dieſes Ardiv
beftebt aus mehreren Bänten von Aufzeichnungen, Briefen,
Urkunden, Stammbäumen und Drudichriften über die Winterfche,
Nöplerfche und verwandte Familien und Berjonen, worin mandherlei
wichtige Notizen niedergelegt find.
Anm. 2. Die Data zum Stammbaum finten fich nebft
Entwürfen tazu, fowie ein von mir neu audgearbeiteter Stamm-
baum über vie Familie Rößler bis auf unfere Tage im tor-
tigen Archiv.
Anm 3. Die Notizen über das Haus Wienburg find
theilweije dem „Anzeiger des Germanifchen Mufeums für Kunte
ber deutjchen Vorzeit”, theils ver Chronik des Haufes PYſenburg
von Kopp, „das rothe Buch” genannt, entnommen. Siehe aud
bie werthvolle Abhandlung von Herrn Metropolitan Salaminud
in der Zeitfchrift des Vereins für beffifche Geſchichte und Landes-
funde 1861 Band IX Heft 1.
Anm. 4. Die verpfünteten ſechs PYſenburgiſchen Ort⸗
haften Kangen, Mörfelden, Egelsbach, Nauheim,
Ginsheim und Kelfterbach liegen in ver Drei-Eich ober
dem Dreieihenhain, wo vor Alter ein NReichöforft vie
ganze Gegend bedte Diefe Gegend hieß vor Alter: „Die
Dbergraffhaft Catzenelnbogen.“
Anm. 5. Siebe: Summarifcher Bericht der zwifchen dem
durchlauchtigen bochgebornen Fürſten und Herrn Ludwigen Land
171
grafen zu Heſſen ze. und dem Wohlgebornen Grafen und Herrn
Wolfgang Ernit Grafen zu Vfenburg und Büdingen, ftreitigen
Alienationd-Sacen, jech8 in der Drei-Eich gelegene Reichslehnbare
Dorfichaften ſammt dem Schlofje Kelfterbah und Anderes be-
treffend ꝛc. Frankfurt bei Aubri 1619 in kl. Folio.
Anm. 6. Wegen Raffau xx. ſiehe Keller: Drangfale
des Nafjauifchen Volls und der angrenzenten Nachbarländer in
ben ‚Zeiten des breißigjährigen Kriege 20. Gotha 1854. Seite
253, 274, 314 ꝛc. Wegen Kurpfalz: Dafelbft Seite 257.
Anm. 7. Das Bündniß der Wetterauer und Weſterwalder
Grafen mit Guftao Adolph enthielt die Verpflichtung: „daß fie
mit Leib, Gut und Blut, äufßerfiem Vermögen nach, wie bes
guten Chriften, Gottes und der Ehrbarfeit wegen geziemet, beim
Könige für Einen Mann ftehen, auch zur Unterhaltung der
Armee, fo lange die Kriegsverfafjung währe, monatlic) eine be-
fiimmte Summe Geldes an den angeoroneten Königlichen Com-
miſſär in Frankfurt erlegen laſſen wollten.” Seller a. a. ©.
Seite 167, wo auf Chemnig Seite 233 hingewieſen ift.
Anm. 8. Welche Kriegshelden die Mannfchaften im da⸗
maligen Lanvesausfhuß gewefen, davon Beilpiele bei Keller
a. a. O. Seite 186 und 187.
Anm. 9. Die Zuftände der Noth und die Lebensweife
bes Volks ꝛc. fiehe Keller a. a. O. Seite 265—66 ı. Bufen-
borf Vi, 44. Ueber die hanauiſche Geſchichte: Rommel, heſſ
Geſchichte im 8. Bd
Anm. 10. Die Unterbandlungen zwiſchen Ramfay und
Lamboy und bie Anträge des Landgrafen zum Nachtheil des
Grafen Philipp Morig fiehe Pufendorf, ſchwediſch-deutſche Kriegs-
geſchichte ꝛc. Buch VIII. $. 39, 40, 71 und Bud) IX. $. 35.
Anm. 11. Keller a. a. DO. Seite 342 und 43. Lünig
Reihdarchiv Pars spec 1. Bufenvorf a. a. O. Bud IX. $. 36.
„Ramsaeo quinquaginta uacialium millia promittuntur et ut
. praedia, quae in Meckleunburgica ipsi donata erant, commen-
datione Üaesaris relineat aut aliis pari pretio donetur. Quibus
re ipsa praeslilis et post transactionem hanc a Caesare rali-
172
habitam oppido se cessurum promiltebat, missis tamen ad
Kingium obsidibus tantisper pertinendis, quoad ipse ad suos
salvus perductus esset.“
Anm. 12. Keller a. a. D. Seite 341 u. Auch Bufen-
borf IX., 36.
Anm, 13. Keller a. a. D. Seite 345 ıc., wo auch Aus⸗
züge aus Röſe über Herzog Bernhard von Weimar.
Anm. 14. Rößlers Familienarchiv.
Anm. 15. Stelle im Adelsdiplom von 1638.
Anm. 16. Siehe Hanauer Magazin Band 1 von 1779
von Seite 260 bis Seite 273.
Anm. 17. Siehe Keller a. a. D. von Seite 352 —369.
Anm. 18. Ueber die Belohnungen von Seite des Kaifers,
bes Kurfürflen von Mainz, des Landgrafen von Darmftabt, ber
Stadt Frankfurt find umftändliche Notizen in Rößler® Yamilien-
archiv. Ebenſo über feine Alterstage und Aemter, über feinen
Tod und die Hinterlafienfchaft und deren Theilung ebenvafelbft.
Ueber feine Verheirathung ebenfalls, fowie über Abfterben und
Leichenfeierlichfeiten der erften Gattin, geborenen von Gülvenborn
nebit Leichenrebe.
173
IV.
Nachtrag zu der Abhandlung über die Schlacht
auf dem Campus Adiltavifus.
Bon dem Regierungs-Afjefjor Kröger.
Als im IX. Bande diefer Zeitichrift (S. 240 ff.)
meine Abhandlung über die Schlacht auf Dem Campus
Spiftavifus im Drucke erfchienen war, wurde mir mehrfüch
und theilweife von ſehr Tompetenter Seite der Einwurf
entgegengehalten, daß, wenn auch Manches, jogar Vieles
für die Wahrfcheinlichleit meiner Argumentationen ſpräche,
die Richtigkeit derfelben doch durch den Umſtand wieder
ſehr zweifelhaft gemacht werde, daß niemals in der von
mir ald Kampfplatz unterftellten Gegend römiſche Waffen
oder fonftige Altertbümer römischen Urſprungs gefunden
worden feien. |
Sc legte zwar, zumal mir noch nachträglich mehrere
Feldbenennungen aus dem mittleren Weferthale befannt
geworden waren, welche ihren Urjprung von einem erft
ſpät ausgegangenen See herleiteten, den eigentlichen Haupt—
punkt meiner Unterftellungen aljo wejentlich unterftügten,
auf dieſen Einwand fein große Gewicht, weil er fich mit
demjelben Rechte allen übrigen Muthmaßungen über den
Ort der Schlacht entgegenhalten Tieß, indem in allen bezüg-
lichen Gegenden meines Wiſſens keine Funde von römischen
Waffen oder Alterthümern gemacht worden find. Auch
erklärte fich diefer Umstand unfchwer. Die Römer verließen
nad Tacitus Die Schlachtfelder alsbald und nahmen als
174
Sieger wahrjcheinlich alle Gegenftände, welche transportabel
und von Werth waren, mit. Sogleick nach ihren Abzuge
wurden die betreffenden Lokalitäten aber ficherlich von den
Deutihen, welche nad der Erzählung des Tacitug mit
Meib und Kind in der Nähe de8 Schlachtfeldes gemeilt
hatten, überſchwemmt und jchmwerlich Tieken dieſe irgend
welche Gegenftünde liegen, welche fie al3 Andenfen an den
furhtbaren Kampf mit nach Haufe nehmen konnten, fo Daß
diefe Verhältniffe allein jchon eine genügende Erklärung
dafür abgeben würden, daß man feine Waffen der Römer
auf dem Kampfplake fund. Wenn aber wirklich eine oder
die andere Sache ten Augen der Deutſchen entging, jo
durfte man fich über deren Nichtauffinden in neuerer Zeit
nicht jehr wundern, da feit den 18 Jahrhunderten, welche
ſeit jener Schlacht verfloffen find, die Wefer in den Niederungen
beträchtliche Maſſen Erde u. |. w. abgelagert hat. und aud
die höher gelegenen Stellen durch den Regen mit dem von den
nahen Bergen herabgeftrömten Erdreiche in erheblichem
Maaße bedeckt fein werden.
Allerdings hätte man nun wohl annehmen fünnen,
daß bei tem Graben von Kellern und Brunnen möglicher:
weile ein Yund obiger Art gemacht worden wäre, aber
einige Entdeckungen, welche ich in neuerer Zeit in Erfah—
rung brachte, erklären auch dieſen Umſtand vollkommen und
geben vielleicht jogar einen direkten, wenn auch jchwuchen
Beweis für die Richtigkeit meiner Vermuthungen ab, und
es ift den Lejern vielleicht nicht uninterefjant, mit denſelben
- befannt zu werten.
Daß die Ablagerungen der Wejer im Laufe der Fahr
hunderte nicht unbedeutend waren, davon kann man fidh
bier in Rinteln auf jedem Schritte überzeugen. Häuſer,
welche kaum ein Sahrhundert ſtehen, liegen ſchon jo tief,
daß man von der Straße in diejelben hinabſteigt, und in
die Iutherijche Kirche, welhe um das jahr 1228 - 1250
erbaut wurde, fteigt man jegt drei Stufen hinab, während
175
der ganze Bau, wenn er einigermaßen nach den Grunds
fügen der Symmetrie aufgeführt worden ift, deutlich zeugt,
daß man ehedem zu ber Kirche hinaufftieg. Auch findet
man bei dem Graben neuer Brunnen in der Stadt mehrere
Straßenpflafter in der Entfernung etwa eines Fußes über—
einander. Bor Kurzem erfuhr ich aber, daß die Maurer
bei dem Baue eined neuen Hauſes 10 Fuß tief unter dem
Straßenpflafter einen abgefägten eichenen Balken und neben
demfelben eine Quantität verbrannter Frucht vorfanden.
Läßt diefer Umftand nun ſchon darauf fehließen, daß jeit
Erbauung der Stadt, um da8 Jahr 1230, eine Erhöhung
der Thalfohle um etwa 10 Fuß ftattgefunden hat, da jene
-Segenftände fchwerlich in dem Erbboden vergraben, fonvdern
vermuthlich bei einem Brande verjchüttet worden waren,
jo fteigt unjere Vermuthung zur Gewißheit durch folgende
Entdeckung.
Vor einigen Jahren wurden in einem Hauſe mitten
in der Stadt bei dem Baue eines Stallgebäudes, beziehungs—
weiſe eines Kellers 12 Fuß tief unter dem Niveau der
Straße eine gemauerte 4 Fuß tiefe Düngergrube entdeckt,
in welcher ſich noch ſehr deutlich der Kuhdünger von dem
Pferdedünger unterſcheiden ließ. Dieſe Grube kann aber
unmöglich in einem Keller aus damaliger Zeit gelegen
haben und es iſt alſo beſtimmt anzunehmen, daß die Weſer
jeit jech8 Jahrhunderten 10 bis 12 Fuß Erdboden auf—
geſetzt hat.
Nach demſelben Verhältniß muß fie aber ſeit 18 Jahr⸗
hunderten mindeſtens 30 Fuß aufgeſetzt haben, zumal ehe—
dem bie Ueberſchwemmungen gewiß noch weit heftiger wa=
ren, als jegt, und die Höhe des Aufſatzes mit den Jahren
auch verbältnikmäßig abnehmen mußte, da die Thalwan—
dungen, je höher, immer weiter auseinander gingen.
Sp tief aber (30 Fuß) ift in der ganzen Sohle des
mittleren Wejerthales kein einziger Brunnen, indem man ſchon
bei viel geringeren Tiefen wegen des fteinreichen Bodens
176
binlünglicheg Waſſer fintet und e8 ift alfo anzunehmen,
daß in diefem Jahrtauſend weder ein. Brunnen noch ein
Keller die Oberfläche de8 Bodens aus dem erften Sahr-
hundert erreichte. Ä
Soweit haben die neugemachten Erfahrungen nur ein
negative Refultat. Aber auch eine zu einem pofitiven Be—
weile geeignete Thatſache ift mir inmittelft bekannt
geworden.
Vor etwa 12 Jahren wurde die Straße von Rinteln
nach Todenmann verlegt und bekam eine Richtung, welche
das von mir unterſtellte Terrain des dritten Schlachttages
quer durchſchneidet. Da nun, wo die neue Straße die erſten An—
höhen erreicht, etwa in der Mitte zwiſchen der Weſer und dem'
Gebirge, durchſchneidet ſie eine derſelben etwa 15 Fuß tief
und bier fanden die Arbeiter tief im Grunde eine fteinerne
Streitagt. Der Maurermeifter Schwarz von hier über-
gab dieſelbe an den verftorbenen Staatsrath Wippermann,
welcher fie als ein altgermaniiche8 Altertbum erfannte und
fpäter an das Mufeum zu Nürnberg abgegeben haben fol.
Da wir nun von fpäteren Schlachten in hiefiger Gegend
Nichts willen, auch nicht unterftellt werden kann, daß eine
ſolche Waffe zufällig an diefen Ort gekommen fei, fich aber
der Fund gut erflärt, wenn man ihn mit unferer Schlacht
in Verbindung bringt, und e8 auch viel wahricheinlicher ift,
daß Die das Schlachtfeld durchſuchenden Deutichen einen
‚Theil der faft werthlojen deutichen Waffen, als die werth-
vollen ehernen Waffen der Römer, liegen gelaffen haben,
ſa meine ich, daß diefer Fund ein nicht unwichtiges Zeug—
niß für die Wahrfcheinlichleit meiner Argumentationen ab—
geben möchte.
Endlich ift mir noch mitgetheilt worden, daß mehrere
Gymnaſiaſten vor etwa 10 Tahren unter der Luhdener
Klippe, gerade Rinteln gegenüber, im Walde Münzen ge—
funden haben, welche bei ihrer Ablieferung an dad Gym⸗
naftum als römiſche erfannt worden, Sie find aber den
177
Schülern zurüdgegeben worden und ich habe nicht erfahren
fönnen, wohin fie ſchließlich gerathen find. |
V.
Beiträge zur Ortsgeſchichte.
Bon Dr. ©. Landau,
Ber Hof Hangen.
| Nördlich von Zierenberg liegt am weſtlichen Fuße
der Burg Schärtenberg, dicht am linken Ufer des Flüßchens
Warme, der Hof Rangen. In älteſter Zeit ſtand an deſſen
Stelle ein Kirchdorf, welches zu der Burg und dem Ge—
richte Schartenberg gehörte. Als die Abtei Helmarshauſen
ihre von der Edelfrau Fridurun in der Wetterau erhaltenen
Güter bem Grafen Volkold von Malsburg und Nidda ver-
taufchte, erhielt fie dagegen unter anderm auch, 4. Hufen mit
ihren Höfen in Saxoniam in villam, que dicitur Rangun*).
Obwohl diefelbe auch noch andere Güter in villa Rangun
erwarb**), ſo zeigt, fich doch fpäter Keine Spur dieſes Be-
ſitzes mehr. Im Anfange des Dreizehnten Jahrhunderts
war Thesderich Groppe von Gudenburg, der fich bet Diejer
Gelegenheit von Schartenberg nennt, hier begütert, Ders
jelbe hatte dem Klofter Halungen einen Zins von einer Hufe In
Rangen angewiefen (1226). Aus dem Jahre 1374 finbef
fih eine Urkunde, in welcher Ritter Stebe und fein Better
Hermann von Schartenberg, fowie „Heinrich Hun czu bifer
Czid Pherner czu Rangen“ erklaͤren, daß das Kloſter Has
jungen das Geld für eine Glocke, welche daſſelbe von „deme
Godibhuſe des heligen Crucis czu Rangen“ erhalten, be—
zahlt habe. Die von Schartenberg erſcheinen bei dieſer
©) Wenck, Heſſ. Landesgeſchicht, II. U. ‚8. ©. 62.
**) Daſ. S, 64 und 75,
x. Band. | 12
178 ,
Gelegenheit unzweifelhaft als Patrone der Kirche. Der-
jelbe Pfarrer (Heinricus plebanus in Rangen) begegnet und
1375 nochmals. Im Iahre 1377 verjchrieb der Sinappe Hein
ri von Uſchlacht für 100 Mark fchwerer warburger Pfen-
nige an Hermann d. j. von der Malsburg „alle unje Gude
gelegen in deme Dorpe und in der Marke to Rangen, da
to duſſer Tyd buwet Cord Kefeberg und eyn geheyten
Wetzel, und alle unfe Wejen gelegen in verjelben Marke
und alle unfe Steve gelegen uppe deme Kirchofe darſelbis
mit aller jlachter Nut, Upkomen und mid aller Tobehorungen
in Holte, in Velde, in Watere, in Wefen, in Weyde in
beme Dorpe und buten deme Dorpe, wor de gelegen fint,“
Nach dem Außfterben der von Schartenberg (ce. 1383)
gelangte Rangen al8 Zubehör der Burg Schartenberg in
den unmittelbaren Befit der heſſiſchen Fürften. Schon
damals Hatten die von Gudenburg und die Wolfe von
Gudenburg den Zehnten dafelbft nebft einer Hufe Land zu
mainziihem Lehen,*) und nicht Iange nachher finden fi
die von der Malsburg im Befite des Kirchlehens daſelbſt.
Mährend des heifiich-mainziichen Kriege im Jahre 1424
riß daffelbe jedoch Landgraf Lutwig an fih und da Mainz
darüber fich befchwerte, jo ift e8 nicht unwahrjcheinlich, daß
dafjelbe ebenwohl mainzijcheß Lehen mar.
Es iſt nicht zu erfennen, ob damals da8 Dorf al
folche8 noch beitand. War dies der Fall, dann ging e8
jedenfalls In diefem Kriege zu Grunde. Derſelbe berührte
bie Umgebung des Schartenberg8 wenigften® einigemale,
So erjihienen einmal die Bürger von Hofgeidmar in einer
Nacht vor dem Schartenberge und hieben alle Zäune und
Schläge um die Burg herum nieder und verbrannten dies
felben und Tegten auch zugleich da8 Dorf Fürftenwalb
in Aſche.
*) Die Hälfte der von Gudenburg lam bei dem Außsfterben der⸗
felben an bie von der Malsburg,
179
Später findet fich feine Spur mehr vom Dorfe und
ſchon in dem Verzeichniffe der zur Probſtei Hofgeismar gehö—
rigen Kirchen von 1464 fucht man nach feiner Kirche ver-
gebeng.*)
Sn dem Salbuche von 1572 heißt e8 von Rangen,
„diefe Wüftung, zwiichen dem Schartenberge und dem
Falfenberge gelegen, gehört dem Fürſten zu Heffen.” Die
Kirche**) beftand damals noch und wird ald „auf einem
geringen Bühell” Yiegend bezeichnet. Sie diente als Woh—
nung eine® „Hohmanns“, der den dazu gehörigen °/, Ader
großen Garten (wahrfcheinlich den ehemaligen Kirchhof) als
Beioldungsftüd hatte Auf der etwa 1 Ader haltenden
„Hofrede” aber ftand eine Wohnung für einen Schafmeifter
nebjt zwei Schafftällen. Es war alfo ein Echafhof hier
und der Hohmann ftellte für Iandgräfliche Rechnung das
Zand aus. Nachher findet fich daffelbe jedoch meift in
Pacht ausgethan und erft Landgraf Moriz entichloß fih, an
die Stelle des Dorfes wieder einen Oekonomiehof zu bauen
und mit diefem die ſämmtliche herrichaftliche Länderei zu
vereinigen. Dieſes geichah 1596.
Später wurde der neuerftandene Hof zu einem Unter-
pfande verwendet. Im Jahre 1599 Heß Landgraf Moriz
die Stadt Kaſſel ftärfer befeftigen und lieh zu diefen Bauten
“) Fallenheiner, Gefchichte der heſſiſchen Städte und Stifter
2. U.B. Nr. 43. | |
**) Diejelbe wird bier als bem h. Mareus gebeiligt angegeben,
während fie doch, wie man oben gejehen hat, dem 5, Kreuze gewidmet
war. Die von Martin in feinen topograppifch-ftatiftifchen Nachrichten
von Niederheffen Ob. IN. S. 62 mitgetheilte urkundliche Stelle über bie
Kirche zu Rangen ift gänzlich verunftaltet. Sie befindet fi auf einem
Heinen Stückchen Papier, gehört der Reformationszeit an nnd lautet:
Rangen est cura (nämlich der Kirchendienft) mortua, habet aliquos
agros, de quibus colonus dat annuatim dua maldra partim. Dar
unter ſteht Wernerus Maus, und weiter Collator Marschalk. Wahr»
ſcheinlich ift unter dem Lebteren ber Marfchall Hermann von ber Male
burg zu verſtehen. "
12 *
*
180
4000 Thlr. von dem damaligen Sheramtmann der Nieder-
grafihaft Kabenelnbogen Burghard von Kalenberg zu
Rothweſten. Für die Zinſen wurden tie Gefülle des
Amtes Neichenberg verjchrieben, nachtem aber tiefes Amt
1627 an bie rotenburger Linie abgetreten, wurde tie Pfand—
Ichaft auf ten Hof Rangen übertragen. Als dies geſchah,
war Burghard bereits todt und die Forderung auf deſſen
beide Kinter Johann Heidenreich und Agnes, verwitwete
von Mühlenbed, je zur Hälfte übergegangen. Die Zinjen
waren feit länger rückſtändig. Unter den obwaltenden
Berhältnifien war auch für die Zulunft an eine Zins-
zahlung faum zu denfen. Das durch den Krieg verarmte
Land. fonnte nur mit größter Anitrengung die allernoth-
wentigften Mittel zur Regierung aufbringen. Johann
Heidenreich verglich ſich deshalb 1644, er ließ alle Zinjen
ſchwinden und begnügte fih damit, flatt 2000 Thaler
4300, Zhlr. zu nehmen, weiche ihm innerhalb dreier Jahre
auc; ftückweije gezahlt wurden, , Schlimmer noch erging es
jedoch feiner. Schweſter. Sie war. zwar erbötig, eins für
alles 1200 Thlr. zu nehmen, man wollte ihr aber nur
1000 Thlr. bewilligen und ald fie endlich aud) ‚darauf
unter der Bedingung einging, Daß ihr dieſe Summe auf
einmal jofort ausgezahlt würde, zerihlug fi daran die
Verhandlung, weil bei den traurigen finanziellen Zuftänden
des Landes die fofortige Zahlung eine Unmöglichleit war.
Agnes befand fich jedoch felbit in den traurigfien Verhält-
niffen. Ihr Gatte hatte ihr nur Schulden hinterlaffen und
der Krieg die Güter wüſt gelegt, jo Daß dieſe nichts er—
trugen. Jenes Kapital umfaßte ihr ganzes Vermögen.
Als fie dies 1643 vorſtellte und um Zahlung nur einer
Sahreszinje bat, erhielt fie darauf den Beſcheid: „Obwohl
unfer jebiger Zuſtand nicht erleiden will, ſolche und ders
gleichen Penfiones abzuftatten, and ſolches auch wegen
ermangeinder "Mittel nicht allein beſchwerlich, ſondern aus
verſchiedenen erheblichen Urſachen an ſich ſelbſt bedenklich
181
fällt, woher aber die fupplisirende Witwe e8 am Kapital
abgehen Iaffen wird, find wir zufrieden, daß ihr alsdann
in Abfchlag defjelben etwa. 100 Thlr. für diesmal ſobald
möglich und die Mittel vorhanden, entrichtet werden mögen;
geftalt dann die Rentlammer ſolchen Falls darauf bedacht
zu feyn und ihr damit nad) thun — und möglichen Dingen;
jo bald e8 nur gefchehen kann, wo nicht auf- einmal, dann
doch auf gewilfe Ziele-an Hand zu gehen — wifjen wird.“
Es blieb ihr natürlich nichts übrig, als das Anerbieten
anzunehmen. Ihre Noth fteigerte fich indeß noch ‚höher.
Im Jahre 1644 legte ein von Düren ausgegangener ſchwe⸗
diſcher Kriegshaufe ihres verſtorbenen Gatten Haus Hildes⸗
heim, unfern Siegburg, in Aſche und beraubte fle-Daburch
ihrer Wohnung. Eie: ging darauf nad Rothweſten zu
ihrem Bruder und bat 1645 dringend um weitere 100 Thle;; j
erhielt aber nur 50-Thle.-- Audi 1646 und 1647 wurden
ihr gleiche Abfchlagszahlüngen bewilligt. : Von Rothweſten
hatte fie ſich inzwiſchen nach Warburg überſiedelt ind es
bot fi ihr dafelbft ein -Haus zum Anfaufe, für welches
150 Thlr. gefordert wurden, Sie kat deshalb. um deren
Auszahlung, erhielt aber in Betracht „der allenthatben er-
mangelnden Mittel- und „bei dem jeßigen fchlechten und
verderbten Zuftande” nur 100 Thlr. (1648) In folchen
einen Beträgen wurde allmälig die Schuld getilgt. An
die Zuhlung der Zinſen aber wurde nicht gedacht. Ich
habe dies mitgetheilt, weit es mehr al8 anderes einen Eins
blick in die traurigen Berhältniffe gewährt, in welche ber
breigigjährige Krieg unfer Land geführt hatte. Inzwiſchen
war der Hof Rangen 'ſchon zu einer andern Vfanbſchaft
auserſehen. Landgraf Möriz war feinem Stallmelſter
Gabriel. von Donopp 11,812'/, Thlr. ſchuldig geworden’
und hatte ihm: dafür das Kloſter Lippoldsberg zu Lehen
gegeben, doch unter der Bedingung, daß wenn derſelbe
kinderlos ſterben werde, jene Summe an ſeine Erben. aus⸗
gezahlt werden ſollte. Außer dieſer Summe war Landgraf
182
Moriz aber noch weitere anſehnliche Beträge Ichultig ge-
worden, meift für Vieh, welches Gabriel an Hof geliefert
hatte, fo tab die Schuld bei Gabriel’® Tede zuijammen
24,818 Tahler betrug Dieſer erjelgte in LZübed am
17. Suli 1629 und ta Gabriel wirfiih ohne Kinter ge
blieben war, fiel Lippoldsberg wieder heim, wegegen tie
genannte Summe auf feinen Bruder Lerin überging.
Mit diefem verglich ſich 1634 Landgraf Wilhelm. Bar
auch Lippoltsberg 1629 Keimgefallen und damit wieter in
die fürftlihen Hänte übergegangen, jo war es doch Unter⸗
pfand geblieben und die Zinjen der Schuld mußten aus
feinen Gefällen entrichtet werden. In Folge des Krieges
waren dieſe aber ind Etoden gerathen und Levin forterte
3443 Thlr. Rüdfland. Dagegen erhob jedoch tie Kammer
eine Entichädigungsforderung, weil Gabriel fowohl bie
Laͤnderei verfchlehtert, als auch die Gebäude verfallen
lofien. Der Bergleih ging dahin: daß fobald ter Hof
Rangen von tem SKalenbergiichen Pfandrecht befreit fein
werte, terjelbe nebjt mehreren Zehnten an Levin als Pfand⸗
ſchaft übergeben werden follte, wobei der Hof auf jährlich
950 Gulden (ce. 797 Täler.) Pacht angeichlagen wurde.
Ungeachtet das SKalenbergiiche Pfantrecht noch leineswegs
befeitigt war, wurde ter Hof Rangen dennoch bald nach⸗
ber an 2evin übergeben. Derjelbe verpachtete den Hof
und ba deſſen Ausftellung ꝛc. den Amtsunterthanen oblag,
jo war die Wirthichaft ſehr einfad. Der Pächter brauchte
nicht einmal einen Knecht zu halten, denn alles geſchah ihm
zu Dienſte.
Zevin, der feinen Sik auf Wöbbeln im Lippiichen
hatte, ließ fich fpäter, um den Gefahren des Krieges auß-
zuweichen, mit Frau und Tochter in Kaflel nieder und
kaufte dafelbft 1641 von dem Bürgermeifter Licentiaten
Nikolaus Chriftopg Müldner ein Haus. Als er jedoch,
Damit er dieſes bezahlen könne, eine Abfchlagszahlung vers
langte, mußte er, um dazu zu gelangen, fich ebenfalls zu
183
einer bedeutenden Herabfegung feiner Forderung bequemen.
In einer 1641 außgeftelten Urkunde verzichtete er nicht
nur auf den ihm verfprochenen Erſatz deſſen, wa8 der Hof
Nangen in Folge des Krieged weniger ertragen, als man
angenommen, auf die ihm in dem Lippoldsberger Vertrage
ebenwohl zu zahlen verjprochenen 3443 Thlr., jowie auch
auf alle Ausftände, welche er noch im Gericht Lippoldsberg
zu fortern hatte, jondern er mußte auch an der Haupt⸗
jumme ber 24,418 Thlr. nicht weniger al8 6000 Thlr.
ſchwinden laffen, wobei er fich nur die fernere Berzinfung
der beiden Summen, auf welche er verzichtet, auf die Zeit
ſeines Lebens vorbebielt.
Levin ftarb kurz darauf, noch bevor die Abldfung des
Hofes Rangen erfolgte, und hinterließ außer feiner Witwe
nur eine unmündige Tochter. Jene hatte er mit 3000,
Diefe mit 6000 XThlr. auf die ranger Pfandſumme anges
wieſen. Außer diefen rubten aber auch noch 5000 Thlr.
andere Echulden darauf. Erft nach langen Streiten ging
der Hof 1669 wieder in fürjtlichen Befig über.
Auf die auf dem Hofe laftende Pfandjumme waren
auch zwei Stipendien für Studirende angewiejen, welche
die Univerfität Marburg bejuchen würden und von denen
eined die Yamilie von Donopp, das andere die Landes⸗
herrichaft vergeben folltee Gabriel von Donopp hatte
nämlich in feinem letzten Willen den Armen 2000 Thlr.
vermacht. Diefe Stiftung hatte aber fein Bruder nicht aners
fannt und fich erjt 1635 Dazu verftanden, diefelbe in der an
gegebenen Weije zur Ausführung zu bringen, wobei 1000
Thaler rüdjtändiger Zinfen zum Kapitale geichlagen wurden,
jo Daß dieſes nun 3000 Thlr. betrug. Diejed Kapital
übernahm jetzt bei der Ablöfung des Hofes die Landes⸗
herrſchaft.
Seitdem iſt der Hof Rangen nicht wieder verpfändet,
fondern fortwährend und bis heute al8 Pachtung ausgethan
worden,
184
VI.
Breularlum saneti Lvili archiepiscopi ).
Mitgetheilt durch Dr. ©. Lantan.
Breue compendium de illis rebus que perlinent ad
monsasterium quod dicitur Herolfesfeli, quod construxit
sanctus Lollos Archiepiscopus Moguntinus in marca Has-
sorum in Buchonia, in ripa fluminis Fulda, et tradidit
domino Imperatori Karolo, et sunt in eodem loco hube
XX, et dedit idem Imperator Karolvs ad reliquias sanctorum
Apostolorum Simonis et Jude, et ad monasterium : illud,
In Thuringia uillam que dicitur Gebise') et sunt in illa
kubun LXX, mansus XLilll. Villam que dieiter Wehmare’)
et sunt in illa hube XL, mansus XXXIII. Villam que dicitur
Biscofeskusun *), et sunt ibi hube XXX, et manent Sclaui.
Villam que dicitur Dorndorf Y), et sunt ibi bube XIIII, mansus
XL In villa que dicitur Milinge®) hube VIII, mansus XII.
In uilla Salzungun °) hube X, mansus X. In uilla Lupentia’)
hube X, m. V. In uilla Mehderstede*) huba I. In uilla
Sunnebrunnun’) hube X, m. VL. In uilla Erphohs '*) hube Il,
*) Daffelbe tft zwar bereits in Wenck's II. Urf.-Bante zu feiner
Heli. Landesgeſchichte S. 15—17 abgedrudt, aber mit vielen Entftellun-
gen, fo daß ein nicht geringer Theil der Ortsnamen gar nicht wieber zu
erfennen if. Es jhien mir tarum ftatt einer bloßen Berichtigung ein
vollſtändiger Abdruck vorzuziehen, welchen ich biermit im jergfältiger
Treue gebe. Derfelbe iſt einer aus dem zwölften Jahrhundert ſtammenden
Abſchrift entnommen. Zugleich habe ich es verſucht, ſoweit wie möglich
die vorlemmenden Namen nachzuweiſen.
H Gebefee an ber Unſtrut. — 2) Wechmar zwiſchen
Gotha und Mühlberg. — 3) Ob Bifhhaufen bei Waldkappel
im Kurheſſiſchen? Auf thüringiſchem Boren.benne ich nur dies
und das bei Witenhaujen. — 4) Dorndorf an ter. Werra,
- zwiſchen Bach und Salzungen. — 5) Mellingen ſüdößlich
von Weimar. — 6) Salzungen an der Werra. — 7) Großen⸗
und Werigenlupnig. — 8) Mechterſtedt zwifchen Eiſenach
und Gotha. — 9) Sonnenborn nordweſtlich von Gotha.
— 10) Erfa, wüft in der Gegend von Großenbehringen. —
185
m. Il. In uilla Rimistede '") hube II. In uilla Gothaha !3) huhe
VI,m. VI. Inuilla Sunthusun'?) hube III, m. III. In Linaka '*)
hube II, m. Il. In Wolfduze'’) hube V, m III. In.Cimbro®)
et Vfhusun'”) hube VI, m. XII. In Hagoifeslebo'*) hubelll. In
Apflosta!?) et in Guricheslebo?) et Rutibah?') et Friesened-
stal??) et Hohheim??) hube XV, m. XV. In Mulnhusun?‘) et
Remmidi?’) et Rudolfestat?‘) hube VII, et Sclaui manent in
illis. In Dennistede?') et Brutstede”®) hube XII, m. VII. In
Suebada?’) et Westari?°) hube X, m. Vi. In:;Suegerstede?") eh
Crutheim??) et Botalastat??) et Tasiesdorf?*) hube XII, m. VII.
In Butesstat?’) et Dungede”) et Suabehusun?") hube All, ei
11) Remſtädt nordweſtlich von Both. — 12) Die ſedihe
Stadt Gotha. — 13) Sundhauſen nordöſtlich von Thamsbrück,
ein anderes zwiſchen Gotha und Waltershauſen. — 14) Leina
öſtlich von Waltershauſen. — 15) Im Jahre 778 kommt ein Uul-
. feasti vor (Wend Ill. Urk⸗B. S. 12), während ein älterer aus einer
Abfchrift gegebener Abprud (daſ. II. Urk⸗B. ST) Wolfduzze
lieft. Die Lage ift unbefannt.e — 16) Zimmern: weitlih von
Erfurt. — 17) wüft in der Gegend nörblih von: Gotha: —
18) Molſchleben norböftlih von Gotha. — 19) Ob das
heutige Apfelſtädtt bei Wanversleben? Eine Urk. von. 775 nennt
ben Ort Aplast, Wendt. Urk-B. S. 10. — 20) Gorſchleben
füpdftli von Heltrungen. — 21) O6 Rothenbach im ſchwarz⸗
burgifchen Amte Blanfenburg? — 22) Etwa Frienſtädt NSW.
von Erfurt. — 23) Hochheim ſüdweſtlich von Erfurt, body
iwiederholt fi) ver Name. Ja Eberhard monach ſagt: villa Farga-
laha (Vargul), quae prius Hochheim vocabatur, ‚Dranke, 'Tr. et
Ant. Fuld p. 69. — 24) Mühlhauſen noerdbſilich von Erfurt«
— 25) Remda norbiweitlid von Rudolſtadt. — 26) Rudolftapt
bie Stadt. — 27) Die heutige Stadt Tennftebtj:— 28: Bruce
Hädt nordweſtlich von Tennſtedt. — 29) Schmwebhn..an ver
Werra, zwiſchen Eſchwege und Wanfried. — 303: Das heutige.
Soden bei Allendorf an ver Werra. S. dieſe Zeitſchr. VIIS. 377.
31) Schwerſtedt nörbli von Weimar. — 32) Krautheim
daſelbſt. — 33) Buttelftent norbdfllih. von Weimar, —
34) Daas dorf bei Buttelftent oder Daasdorf weſtlich von
Weimar. — 35) Buttftedt nörblid von Weimar. — 36) Tün⸗
geda ſüdweſtlich von Langenſalza. — 30 Schwabhauf en
186
Sclaui habitast ibi. In Cornere?") kobe XV, m. XXI. In 6Griffe-
stat’’) et Kindelbraccun“”) hube VII, m II. In Helabraktes-
dorf *'") et Rönkelebe"?) et Vocstat“”) hobe VII, m. Vil. In Ara-
tora**) et Edieslebo*') ei Casstas*“) hube VI, m. V. In Bur-
eheslebo"' ) ei Trizzebruccun‘') et Dullide*”) hube VI, m. V.
In Breialako'”) et Reginhardesdorf*") ei Eberhardesdorf"”)
ei Hofunꝰꝰ) ei Erinesleboꝰ ) et Dundorf*") et Heckendorf”") et
Wihe‘’) et Alarestede’”) et Wolmerstede’’) ei Mimelebo“")
et Heselere“') et Scidinge"”) et Bibraho"?”) hobe XXXVII, et
colonos habitantes in illis Inpago Wetreibun. Inuilla
que dicilur Houngun“‘) hubeXL, mansus XXVIll. In page
Wormaciense. In uilla que dicitur Scorneskeim*’)
capellam unam, bob. VIll, u. X. In Inglinkeim**) superiori
capellam unam, h. U, m. II. In Andersacho“') et in Ribe-
sahcho"’) et in Gulse“’) et in Heinesfelde’”) capelle HI, hube
fünlich von Gotha. — 38) Körner, nordoſtlich von Nühlhaufen.
— 239) Griffſtedt an der Unſtrut. — 40) Kindelbrüden
an der Wipper. - 41) IR mir unbelannt geblieben. — 42) Ning-
leben wehtli von Artern, ein zweites bei Gebefee, ein brittes
iM wüf und lag bei Herbsleben. — 43) Boigſtedt nördlich
von Artern. — 44) Artern an der Unftrut. — 45) Egleben
dflih von Kindelbrücken. — 46) Kahftedt bei Arten. —
47) Burg sleben zwiſchen Artern u. Brüden. — 48) Unbelannt.
— 49) Tüngeda, füpwehli von Langenſalza. — 50) Bretb-
leben nörblih von Heldrungen. — 51) Reinstorf zwilchen
Artern und Heldrungen. — 52) Richt nachweisbar. — 53) Desgl.
— 54) Ermsleben, nördlich von Eisleben. — 55) Don-
Dorf morbiweflli von Wiehe. — 56) Hechendorf zwiſchen
Donborf und Wiehe. — 57) Die heutige Start Wiehe. —
58) Allftedt lints der Heime — 59) Wolmerſtedt bſtlich
von Wiehe. — 60) Memleben bei dem vorigen. — 61)
Hefeler nördlich von Edartöberge. — 62) Scheibingen an
der Unftrut. — 63) Die heutige Stadt Bibra, nörblich von
Eckartsberge — 64) Hungen in der Wetterau. S. Landau,
Beſchr. des Gaues Wettereiba S. 62. — 65) Schornsheim bei
Worrſtadt in Rheinheſſen. — 66) Ingelheim zw. Mainz u.
Bingen — 67) Diejetige Stabt AUndernad. — 68) Rübenach
nordweſtl. von Koblenz. — 69) Güls weſtlich von Koblenz. —
70) Münftermeienfeld jenfeit$ des Rheins. —
187
V, m. X. In Orlake’'!) h. VIII m. X. In Jasako"?) hobe III,
m. IlIL In Berisciza'”) hube IL, m. Ill. Io Hoksegowe’*) capelle
Ill, bube X, m. X. Per totum hube CCCCXX, mansi CCXC.
Hvc usque traditio Domni Karoli Imperatoris. In isto breue
continetur quicquid beatus Lvilvs Archiepiscopus acquisiuit,
et ei liberi bomines iradiderunt in elemosinam illorum
tradere ad monasterium Herolfesfelt quod ille construxit
in Buchonia in marca Hassorum, et tradidit Karolo Im-
peratori, hoc est in eodem loco hubas XX. In Thuringia
cellulam unam nomine Ordorf’*), Villhub. Villa que uocater
Sulzebruggun’‘) hube XLII, m. XXXIII. In Suabahusun’') hub,
XX, m. XIIII. In Sibilebo”®) h. VIII, m. III. In Weberessat'’)
hub, XII, m. 11. In Holzkusun®°) et Bizzesstat®") h. III, m. IIII. In
Horkusun®?) hobelll, m.I. In Ermenstat’’) hub. III, m. 1. In
Pertikeslebo°*) h. Il, m U. In Alehirichessiat’’) h. VIII,
m. Ill. In Midilhusun"®) h.illl, m U. In Gellinge‘”) h. XII, m.
XII. In Eslebesstat?®) h. XI, m. VI. In Goricheslebo®’) h. 1,
m X. In Nihusun”) h. XIIII, m. Vil. In Suzare’') hubas XIIII,
71) Niederaula unfern Hersfeld. — 72) NiederJoſſa im
Gericht Nieveraula. Landau, Heffengau S. 147. — 73) Das
heutige Allendorf am Bärenſchuſſe zmwifchen Neuſtadt und
Kirchhain. — 74) Der tbüringifhe Haffegau — 75) Orb
ruf. — 76) Sulgenbrüden zwiſchen Ichtershauſen und
Mühlberg. — 77) Schwabhauſen. S. Anm. 37. — 78)
Siebeleben öſtlich von Gotha. — 79) Weberſtedt wüſt in
ber Gegend von Langenſalza. — 80) Holzhauſen weſtlich
von Arnſtadt, doch kommen mehr Orte deſſelben Namens vor. —
81) Bittſtedt weſtlich von Arnſtadt. — 82) Harhaufen
nordweſtlich von Arnſtadt. — 83) Ermſtedt weſtlich von Er⸗
furt. — 84) Pfertingsleben norböftlih von Gotha. — 85)
Mechterſtädt zwifchen Eifenach und Gotha. — 86) Mittels
haufen nörblih von Erfurt. — 87) Göllingen, ber che
mals hersfeldiſche Probſtei, weftl. von Frankenhauſen. — 88) Nicht
nachzuweiſen. — 89) Gorſchleben fünlich von Heldrungen. —
ht mit Sicherheit zu beſtimmen. — 91) Süßra bei
eleben. —
188
m VL In Heilingun”) h. Il, m Hill In Bysako””) hob. xII,
m. In Ringelebo’') h Ill, m. IH In Fanre”) &. Ill, m. IN.
In Asgore’‘) h. 1lll, m. IN. In Friomare’’) h.Dil,m.Il In Sel-
saka”’) Hh. II, m. Il. In Rodostein”) hube Xilll, ei Sclasi
masuent ibi In Lengesfeld'’’) hub XUH, m. XX. In Gomare-
stat'’') et Mutesfelf'””) h Ill, m. Ill. In Berchako'*) hub. ZI,
w. XII. in Olfenaho'**) hub VIll, m. XVIII In Reinede'*)
kb. XII, m. IIL In Beringe‘**) ei Ascrohe'”') ei in Grifi-
stiede'"’), et in Brantbah'”’) et in Collide''’) et in Wo-
daneskusun'‘') et in Niwihusun'‘?) et in Seheshobite''?),
ia Dribure''*‘), in Gehunstete''’) et in Zotanesstede''‘)
bub. XXX In pago Wetreibe. In uilla Bigenheim''')
92) Heilingen, mehrere Orte dieſes Namens, zwiſchen Schlot-
beim u. Thamsbrück. — 923) Peiſel, zwei Höfe. jütlid) von
Körner. — 94) Ringleben vergl. Rr. 42. — 95) Tchnern
zwijchen Erfurt und Gräfentonna. — 96) yf chara, ſüdweſt⸗
Hd) von Gräfentonna. — 97) Friemar nordöſtlich von Gotha.
— 95) Kangenfalza kie Start. — 99) Rothenjtein
an der Saale zwifchen Siena und Kahla. — 100) Schenk—
tengsfeld bei Arierewale. Daöfelbe gehörte zwar zum Grab»
felre, doch war es hersfeldiſch. Schwerlich ijt Lengsfeld an der
Fulda darunter gemeint, obwohl dies. noch zu Thüringen ge
hörte. — 101) Unbelannt. Bei Dronke, Tr. et- Ant. Fuld. p. 69
wird es Gumerstat genannt. — 102) Motu feld bei Schenfleng8-
feld. — 103) Burghofen zwifhen Walofappel und Spangen-
berg. — 104) Ulfen bei Sontra. — 105) Renda, ber
alte Gerichtsort des Werichts Brandenfels. 106) Beringen
norböftlih von Eifenad. — 107) Unbefannt. — 108) Sriff-
Bedi S. Nr. 39. — 109) 874 tommt derfelbe Ort vor. :Schan- .
nst, Dioee. et Hierarch. Fuld. 139. Brembad). bei Weimar ift
wohl nicht darunter zu verftehen.. — 110) Kblleda die Stadt.
— 111) Gutmannshauſen an ber.:2offe, nordweſtlich von
Buttſtedt. — 112) Reubaufen ſüddſtlich von Kölleda. —
113) Mir unbelannt. — 114) Trebra füböftlidh von
Sulza. — 115) Gebftedt zwiſchen Suka und Buttelftept. —
116) Zettelſtedt an der Sim, nordweſtlich von Apolda. —
117) Beienheim norvöftli von Frichberg. Landau, Wettereiba
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hub.. X, m. .V.: In Loubahe''?) hub. X. m: Ill. In pago
Loyanense. In Bubenheim''?) hub. Ill, m. Il. In ciuitafe
Mögontia'”°) areas VII, m. Ill. In villa Bizzenheim'?!)
etin Botenheim'??), et in Suaboheim!??), etin Ascmundes-
heim"*) et in Spioaesheim'”’) bh. 1, m. 11. Inpago Loga-
ninse. In ailla Eihloha'”°), et. in Ewilisdorf"”"), et in
Lundorf'?®), et in Amana'?’), Crisenbuhel'?’) et in
Bucheswiccun'?') 'h. XII, m. Ill. - In pago Hassorum.
In uılla Martdorf'??), et in Holzhusun'??), et in Firne'’*),
et in Burcun'’°), et in Sungsule'?°), et in Angelgise'’’),
et in Waltunniu'”?), et in Juffelze'?’), et in Nielahc'*’),
et in Balahorna'*'), et in Harabirge'*”), et in Rittahe'*?),
et in Stochusun'‘*), et in Mathanon'**), et in Hebilide'*°),
©. 14. — 118) Laubach, vergl. daſ. S. 174. — 119) Buben
heim, wüſt im Nieverlahnggu bei Kirberg. Vergl. Vogel, Beft:
bes Herzogth. Naſſau. S.: 787. — 120) Die Stat Mainz
— 121) Wahrfheinlid Bregenheim bei Mainz In ber
Handſchrift ftcht zwar deutlich Bizzenbeim. — 122) Bodenheim
norbieftlich von Oppenheim. — 123) Sauersfhmwabenheim
1.Stunde nor: Oberingelheim. — 124) Unbekannt. "Derfelbe
Nante findet‘ ſich unter 783 aueh in Cod. Trad. Lauresh. u,
p: 188 ' Nr. 1357 und p. 156 Nr. 1226. — 125) Spice
heim füplich bon Wörrftabt. — 126) Eiloh Wüſtung bei
Kleinfelheim. Landau, wüfte Ortfchaften S. 280. — 127) Eb &
dorf füpöftlich von Marburg. — 128) Londorf unter Norded,
— 129) Ohmen, Ober: und Nieder⸗, zwifchen Grünberg und
Romrod. — 130) mwüft. — 131) Eines der Dörfer Bufed. —
132) Mardorf nörblich bei Homberg. — 133) Holzbaufen
fübdftlich bei Homberg. — 134) Verne zwifchen Homberg und
Biegenhain. — 135) Borken, diejegige Stadt. — 136) Singlis
in ber Nähe von Borken. — 137) Großen und Kleinen
englis zwiſchen Borken und Frigfar. — 138) Wellen unfern
Wildungen. — 139) Giflig nördlich von Wildungen: —
140) Nielady, Wüſtung im Gerichte Waldek. — 141) Bak
born nordbſtlich von Naumburg: — 142) Herberge Wuͤſtung
bei Naumburg. Landau, wüfte Ortſchaften S. 103. — 143) Alten:
und Großenritte ziwifchen Gudensberg und Kaffe. — 144)
Stodhaufen, Wüſtung unfern Gubensberg. Landau a. a. DO;
©. 158. — 145) Maden bei: Gudensberg. — 146) Hebel