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insieiisclutftaii. 655S
^^ÄRAB.V^"
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r^"
des
Vereins für hessische Geschichte
und Landeskunde.
-^^•^Hh
Neue Folge. Fünfzehnter Band.
(Der ganzen Folge XXV. Band.)
15^^-^S^^^^-^'-
da
Kassel.
Im Comniissionsvcrlage von A. Fieyschmidt,
Uof-Buchhandlung .
1890.
',25
Pruck von L. Doli in Kassel.
31 n ö a I t
Seite
I. Zur Geschichte des Gerichts Viermünden und seiner
Geschlechter. I. Die Vögte von Keseberg. Mit einer
Stamm- und Siegeltafel. Von August Held mann,
Pfarrer in Michelbach 1
II. Die Schanzen in Hessen. Von Oscar Vug in Halben-
dorf bei Grottkau in Schlesien. Mit einer Karte. . . 55
Hl. Zur Geschichte des dreissigjähi'igen Krieges, insbeson-
dere des Jahres 1631. Von Hugo Brunner. . . . 13Ö
IV. Aufzeichnungen des Pfarrers Johann Christoph Cuntz
zu Kirchditmold aus der Zeit des siebenjährigen Krieges
(1757 bis 1762) herausgegeben von Hugo Brunn er.
Mit einer Karte 145
V. Das Damenstift Wallenstein zu Homberg unter Jerome.
Von Arthur Kleinschmidt. ....... 269
"^■^"^^^
1
Zur Geschichte
des Gerichts Tiermttnden nnd seiner
Geschlechter.
I. Die Vögte von Keseberg
mit einer Stamm- und Siegeltafel.
tn den verdienstvollen Veröffentlichungen des seligen
Dr. Landau haben die Geschlechter des Kreises
Frankenberg mit Einschliiss der von Bicken keine be-
sondere Behandlung, sondern nur beiläufige Erwähnung
gefunden, obwohl die urkundlichen Quellen reichlicher,
als über andere hessische Geschlechter, fliessen; sind
doch über die Vögte von Keseberg mehr als 60
Urkunden, fast sämtlich im Königl. Staats- Archive zu
Marburg, über die von Hohenfels fast 400, meistens
zu Marburg und Wiesbaden, etliche zu Darmstadt, über
die von Viermund und Dersch gar mehr als 1200 Ur-
kunden vorhanden, die letzteren in fast allen öffentlichen
westdeutschen Archiven zerstreut, vorwiegend zu Marburg,
aber auch zu Wiesbaden, wo sich 13 Aktenbände über
das Gericht Viermünden und die sogen, viermundische
Succession vorfinden, zu Wetzlar 39 Prozessakten, sodann
zu Wien, Düsseldorf, Münster, Arolsen, Wittgenstein
und Berleburg und in dem Privatarchive des Herrn
Canisiiis auf Haus Nordenbeck bei Corbach, in dessen
Besitz sich namentlich das Eoiulnm documeniomm
transsumptmmm, eine als Anlage zu einer reichskammer-
gerichtlichen Prozessakte, 1581 angefertigte, 698 Num-
mern enthaltende notarielle Copie der viermundischen
Stammbriefe von 1314 — 1562, befindet. Selbst da,
wo diese Geschlechter in den bisherigen Veröffent-
lichungö» erwähnt werden, ist manches unsicher und
unrichtig, z. B. die Medebacher Pfandschaft der Vier-
munds und Schenk von Schweinsberg (Landau, R. B.
1, S. 257) , das Verhältnis der Linie Viermund zu
Nersen, welche Bommel (V, S. 389) bereits 1588, dem
Geburtsjahre Johanns von Viermund, welcher unter
Tilly eine hervorragende Stellung bekleidete, aussterben
lässt. Auch an historischer Bedeutung kommen die
Geschlechter der Eddergegend, welche während des
Mittelalters die erst durch die Truchsessischen Religions-
wirren unterbrochenen Beziehungen zwischen Hessen
und den westphälischen Nachbargebieten vermittelt haben,
anderen oberhessischen Geschlechtern, von Hatzfeld,
Dernbach und anderen gleich ; war es doch ein Viermund,
des obigen Johann Enkel, welcher den denkwürdigen
Frieden von Passaro witz 1718 abschloss und als Gross-
botschafter ausführte, den glücklichsten von allen, welche
je das deutsche Reich und das Erzhaus Oesterreich mit
den Türken abgeschlossen, und dadurch bereits für
Oesterreich die Machtstellung erwarb, welche dasselbe in
der Gegenwart thatsächlich auf der Balkanhalbinsel ein-
nimmt. Die nachfolgenden Zeilen wollen daher eine
kleine Lücke in den bisherigen Veröffentlichungen über
hessische Geschlechter ausfüllen.
Allen Herrn Beamten der obengenannten Archive,
sowie allen sonstigen Freunden der vaterländischen Ge-
schichte, welche mich bei dieser Arbeit mit Rath und
That freundlichst unterstützt haben, sage ich hierfür
meinen verbindlichsten Dank.
*
Der Keseberg, von welchem das Geschlecht der
Vögte von Keseberg seinen Namen trägt, ist eine
waldgekrönte Bergkuppe auf dem rechten Ufer der Edder,
dem Dorfe Edderbrinkhausen östlich gegenüber, von
deren ehemaliger Befestigung nur noch ein Wall sichtbar
ist. Eine weitere jüngere Burg lag auf dem östlichen
steileren und den Keseberg um etwas überragenden
Berge, welcher die Burg heisst, und noch einiges Mauer-
werk und Gräben zeigt, welche von der in neuerer Zeit
von Frankenberg nach Schmittlotheim (1875 — 1878) der
Edder entlang gebauten Strasse aus sichtbar sind. Der
Keseberg heisst in Urkunden zuweilen der alte Keseberg.
Es war eine Doppelburg, wie sie auch sonst vorkommen,
z. B. Hohenfels und Kellerkopf, Itterburg und Steuerburg.
Auf diese doppelte Befestigung weist schon eine Urkunde
Landgraf Heinrichs L (1277) hin, wodurch er montem
castri sui in Keseberg ei in superiore et in inferiore parte,
sowie die anliegende Wüstung Altenstadt, einen nach
Schmittlotheim hin liegenden Felddistrikt, und all sein
Recht an diesem Berge dem Kloster Haina gibt. Auch
die Vögte von Keseberg gehörten zu denjenigen Land-
sassen, welche, gestützt auf ihre Oberlehnsherrn, fast
ein Jahrhundert die Landeshoheit der hessischen Land-
grafen anzuerkennen sich gesträubt und deren Burgen
deshalb schon von Landgraf Heinrich I. zerstört wurden.
Jedoch erbauten die* Landgrafen schon um 1342
in unmittelbarer Nähe auf dem südUch gelegenen Sylberg
das Schloss Hessenstein, dessen Bau die Edelherrn
Heinemann DI. und Adolf von Itter, welche denselben
ihrem Gerichte Eimelrode zu nahe erachteten und wäh-
rend des Baues von des Landgrafen Dienern mancherlei
Schaden erlitten, zu hindern suchten, jedoch schliess-
lich geschehen lassen mussten, und sich (1347) mit
Landgraf Heinrich H. und dessen Sohn Otto dahin ver-
trugen, dass ihnen die Landgrafen ihr neuerbautes Haus
zu Eimelrode schlossmässig einrichten halfen und die
Brüder von Itter ihnen dasselbe zum offenen Hause auf-
trugen gegen jedermann, ausgenommen ihre Schwäger,
die Edelherrn von Grafschaft, ihre Ganerben, und ihre
Neffen Widekind und Graft von Hohenfels*). Im 14.
Jahrhundert führen die Vögte von Keseberg auch zu-
weilen den Namen Vogte to7z 6eismaf% wohin sie ihren
Wohnsitz in ihren dasigen Hof verlegt hatten, sind
aber zu unterscheiden von dem Ministerialgeschlecht von
Geismar, welches sich von Geismar bei Fritzlar benennt
und einen aufrechten Hirsch im Wappen führt.
Die vögtische Herrschaft umfasste die nordöst-
liche Spitze Oberhessens, welche sich durch eine Linie
vom Eintritt des Nuhneflusses ins Hessische unterhalb der
Stadt Sachsenberg südlich nach der Stadt Frankenberg
und von dieser ostwärts bis zur waldeckischen Grenze
bei Hüttenrodt ergibt. Sie begriff die heutigen Pfarreien
Geismar mit den Wüstungen Berngersdorf, Bonland^
Eikshausen, Alten-Hemmenhausen oder Heimershausen
(jetzt Louisendorf), Hustene (jetzt noch die Hüstenmühle),
Langelenhain, Niederndorf, Ronighausen, Obersuinphe, Sil-
l)ach und Westhofen, sodann die Altstadt Fr ankenberg,
*) Urkunde vom 11. November 1847. Kopp, Hist. Nachr.
von den Herrn von Itfer S. 249. Seibertx, Dynasten S. 12ö.
Landau f wüste Ort seh. S. 235.
welche auf kesebergischem Grunde erbaut ist und deren
Kirche daher auch von der Kirche St. Martini zu Geismar
bis zum Jahre 1254 dependierte, nebst ihren Marken
Gernshausen, Ibenhausen, Stedebach und Wickersdorf,
ferner die Pfarrei Frankenau mit den Wüstungen Hof
Elchershausen (jetzt Mengershausen), Eldinghausen, Vol-
prechtshausen, Wesende (jetzt noch Wesenmühle), ferner
Löhlbach mit den Wüstungen Aulesburg, von wo das
1144 gestiftetete Kloster 1214 in das Thal nach Haina
verlegt wurde, Singenthai, Geilingen, Königshausen, end-
lich Vier münden mit den Wüstungen Albirshausen,
den Höfen Breidenhain, Elbernshausen, Elgirshausen,
Ermelsberg (Hermannsberg), Lindenhain, den Dörfern
Butzebach (jetzt noch Butzmühle), Gunthershausen *)
und Niederschreufa. Die Vögte besassen ausserdem nicht
unbeträchtliche Güter und Zehnten in der Herrschaft
Itter, namentlich zu Schmittlotheim nebst den wüsten
Höfen Eschebruch und Eyselbach. Dir Gebiet schloss
gegen die Herrschaft Itter ungefähr mit dem von Frankenau
nordwärts fliessenden Lorfebach ab. Von der heutigen
Grafschaft Waldeck gehörte etwa die Hälfte der Stadt-
marke von Sachsenberg dazu**).
Der vieldeutige NameVogt, advocatus,' findet sich
von den Keseberg nachweisbar seit 1220, später auch
anderorten in der Nähe vielfach vor: 1254 Reinbodo,
advocatus de Boppendorf***), 1264 Sifridus, quondam
advocatus de Lotheim mit seinem Bruder Giseler von
*) Dieses Gunthershausen ist jedoch verschieden von dem
in westphälischen Urkunden vorkommenden Guntherdinchusen bei
Hallenberg, mit dem es auch Landau a. a. 0. indentifiziert.
**) Der südliche, halbe Zehnten zu Sachsenberg war nassau-
isches Lehen der Kesebergs, der nördliche zum Amte Lichtenfels
gehörige corveyisches Lehen der Nymmes und Dalwigk, seit 1410
der von Viermund. Nordenbeckisches Transsumpt.-Buch v. 158 X
(Mscpt) Nr. 93. 100. 276.
*♦*) Anal. hass. 9, 161.
Bidenfeld *), 1264 Ludwig, 1295 Guntram, Vögte von
Marburg aus den Schenken**), 1290 Johann Rietesel,
1294 Tammo, advocatus terrae Hassiae***), 1314 Dietrich,
advocatus de Gudensberg und sein Bruder Heimrad von
Eiben f). Diese letztgenannten Vögte aus den Biden-
feld, Schenken und Eiben waren landes fürstliche Beamte,
die Vögte von Keseberg hatten eine erblich-dynastische
Stellung und zählen wie die in ihrer Nähe begüterten
Grafen von Schauenburg bei Cassel, mit welchen sie
wiederholt zusammen als Zeugen in Urkunden, sowie
auch in Rechtsgeschäften erscheinen, zu der Classe der
üntergrafen, welche das Gericht über mehrere Centen
hatten ff). Sie führen daher den Beinamen: iiobilis ad-
vocatus^ die Kinder nobiles pueri ; die weiter vorkommende
Amabilia nennt sich Edelfrau und die Wittwen Voydinne,
advocatissae.
Es ist die Frage nach dem Geschlechte der Vögte
von Keseberg und die Vermutung aufgeworfen worden,
dass dieselben dem Hohenfelsischen Geschlechte angehört
hättenfff), weil mancherlei darauf hinweist: die Namen
*) Baur, Hess. Urkunden 1, 91.
**) LandaUy Ritterburgen 1, 241.
***) Kopp, Nachricht von den geistl. etc. Gerichten 1, §. 208.
t) Anal. hass. 9, 185.
tf) Landau, R. B. 2, 207. Die Grafen von Schauenburg be-
sassen die Vogtei zu Battenhausen, welche (1253) die Brüder Ludwig
und Orthwin von Linsingen von ihnen zu Lehen trugen, aber zu
Gunsten des Klosters Haina daiauf verzichteten, Urkunde vom 31.
October 1253. Am Ende des 12. Jahrhunderts haben die Grafen
von Schauenburg Anteil am Ku'chenpatronat zu Geismar. Wenck,
U. B. 2, 128. Dieses rätselhafte Mitpationat der Schauenburgs
ist wohl nicht aus einer kesebergischen Erbtochter {Landau, Hess.
R. B. 2, 272), sondern, da der betr. Zehnten zu Obersuinphe (cf. S. 11)
ein ziegenhainisches Lehen w^ar, aus der von Hen'n Archivdirektor
Dr. von Schenck zu Darmstadt evident gemachten Heirat einer
ziegenhainischen Tochter an die von Schauenbui'g (Hess. Zeitschr.
N. F. B. 6, S. 309) zu erklären.
ttt) Hofrath Wagners Mscpt. im Archiv zu Dai'mstadt.
sind in beiden Geschlechtern ungefähr dieselben (Gerlach
und Widekind), einer der letzten Vögte Widekind hat
seinen Schwiegersohn Volpert Hosekin von Hohenfels
um 1325 adoptiert, ein Nachkomme des letzteren, Johann
von Hohenfels, nennt 1412 die Vögte Widekind und
Gerlach seine Eltern und Voreltern und endlich Vogt
Gerlach verzichtet am 11. September 1265 auf die Civil-
gerichtsbarkeit zu Löhlbach und Aulesburg und bestätigt
diese Urkunde auf einem Tage zu Schloss Hohenfels
bei Biedenkopf, nachdem diese Sache in der dasigen
Capelle sorgfältig behandelt war, wobei fünf Hohenfel-
sische Glieder Zeugen und Siegler sind*). Indessen ist
die Annahme doch unrichtig. Die Namen sind in der
älteren Zeit verschieden, z. B. ßeinold, Walter, Sigfrid,
Otto finden sich bei den Hohenfels gar nicht und infolge
der Adoption Volperts von Hohenfels durch Widekind
waren die Vögte von Keseberg auch die Vorfahren des
Hosekinschen Stammes von Hohenfels im weiteren Sinne.
Widekind von Hohenfels, Johanns Vater, war Volperts,
Vogt von Keseberg, Sohn. Die Urkunde von 1412
nennt aber die Vögte von Keseberg ausdrücklich nur
des Ausstellers Johann und seiner Eltern Ganerben**).
Entscheidend ist das Siegel. Die verschiedenen Stämme
des Hohenfelsischen Geschlechts; Hohenfels, Hosekin,
Rump, sowie die Cornigel, siegeln mit einem ausgebrei-
teten hängenden Adlerflügel, über dessen Spannung seit
1364 sich teilweise, im 15. Jahrhundert fast ständig
ein kleiner Stern befindet; die Vögte von Keseberg
siegeln mit zwei übereinander bald links (1254), bald
rechts (1305. 1340) schreitenden Löwen mit über den
Rücken aufgerichteten Schweifen***). Bei der Ver-
*) Wenck, U. B. 2, 200. Kl. Hainaisches Cop. B. Nr. 8.
**) Wenck, U. B. 2, 474.
***) Ebenso die Grafen von Nassau-Dietz und das Geschlecht
von Bruneck. Hess. Archiv 1, 411.
8
handlung in der Capelle zu Hohenfels (1265) handelte
es sich um eine schon 1245 durch Schiedsfreunde ent-
schiedene Streitfrage, um die Exemtion der Dörfer
Löhlbach und Aulisburg von der Vogteigericht«barkeit,
welche 1265 abermals durch Schiedsfreunde geistlichen
und weltlichen Standes verhandelt wurde. Aber auch
die genannte Amabilia, Volperts von Hohenfels Frau,
war nicht eine leibliche, sondern Adoptivtochter Vogts
Widekind; auch sie siegelt (1345) weder mit den zwei
kesebergischen Löwen, noch mit dem hohenfelsischen
Flügel, sondern mit dem rechtsum aufgerichteten ge-
krönten Löwen der Edelherrn von Itter*), in deren
Familie dieser Name öfter begegnet. Schon dass diese
Frau wiederholt selbst siegelt**) und nicht wie andere
Frauen, Männer für sich siegeln lässt, zeigt, dass sie
eine eigenartige Stellung einnimmt. Wäre dieselbe eine
leibliche Tochter Widekinds oder die Vögte hohenfel-
sischen Geschlechts gewesen, so würde es einer Adoption
nicht bedurft haben. Dazu kommt, dass Heinemann ID.
von Itter in der obigen Urkunde von 1347 über die
Oeffnung der Burg Eimelrode Amabilias Söhne Wide-
kind und Graft von Hohenfels seine Neffen nennt; sie
wäre hiernach eine Tochter Tilemanns I. von Itter ge-
wesen. Indessen wird diese Amabilia nicht unter Tile-
manns I. vielen Kindern genannt. Es war aber eine
Jutta von Itter, Tochter Reinhards II., um 1306 mit
einem Vogt Widekind von Keseberg vermählt, deren
Bruder Heinemann IL Rat des Landgrafen Heinrich I.
(1272-1319) war***). Da der Reinhardische Zweig
der Herrn von Itter um 1320 erlosch, so liegt es nahe,
anzunehmen, dass diese Amabilia als die letzte dieses
*) Wyss, Hess. Urk. B. 11, 778.
**) Urk. 28. Juni 1341. Nordenbeck, Ti'anssuraptbuch v.
1581, Nr. 316.
*♦*) Wenck, Hess. L. G. 2, S. 1115.
9
Zweigs von Widekind von Keseberg adoptiert worden
sei, indem anderenfalls eine Adoption eines der Söhne
Tilemanns natürlicher gewesen wäre.
Eine unklare Persönlichkeit ist ein in einer Urkunde
des Grafen Hermann von Battenberg (1220) genannter
Ritter Hermann Cuele von Keseberg, durch dessen Tod
ihm, dem Grafen, ein gewisser Teil der Comitia, nämlich
dortiinümn stiper qtiosdam liberos, welches dieser Cuele
vom Grafen gehabt, heimgefallen, und dann die betr.
Güter zu Ellershausen durch Vergleich an das Kloster
Haina kamen *). Dieser Cuele gehört nicht zum Geschlecht
der Vögte, sondern war nur ein Burgmann auf Keseberg
und als solcher mit Ministerialgütern belehnt. Er ver-
zichtet auch auf Güter zu Haubern und einen Teil des
Zehnten zu Gellershausen, welche er an Sifrid von
Arfeld verpfändet hatte, gegen das Kloster Haina auf
einem Tage zu Keseberg und Geismar. Sein Bruder
Volcmar Cuele trat in das Kloster Haina, dem er nach
Hermanns Tod einen Hof zu Lotheim, sowie später
drei Höfe zu Brinkhausen zuwandte, und ist (1252)
Zeuge, als Heinrich Cuele Güter zu Wesende, welche
dieser von Reinhard von Itter zu Lehen trug, an das
Kloster verkauft; ebenso verkaufen (1271) die Brüder
Conrad und Heinrich Cuele ihren Anteil am Walde
Habichtscheit bei Haubern an dasselbe. Auch später
werden noch Burgmänner dieses Namens: Gerhard Cuele
zu Alsfeld (1303) und Dietrich Cuele (1308) erwähnt**).
Die Vogteigewalt hat der Stammesälteste. Die
Güter werden local und erblich geteilt. Ausser der
*) Koppt Nachr. von dor geistl. Ger. 1, Beil. 69, hält diesen
Cuele für einen Vogt, findet aber deshalb den Heim fall auffallend,
da die Vögte noch nicht erloschen waren.
♦*) Klostor Hainaisches Cop. B. Nr. 321 und 354. Hess.
Zeitschr. 3, S. 46. 73. 80. Wyss, Hess. II. B. H, 48. Hess.
Zeitschr. N. F. 2, S. 54.
10
Gerichtsbarkeit besassen die Vögte*) die Kirchlehen zu
Geismar, zu Ostheim bei Hofgeismar, zu Simmershausen
bei Cassel, den Zehnten zu Gernhausen (f zwischen
Frankenberg und Dörnholzhausen), drei Teile des Zehnten
zu Haubern, den ganzen Zehnten zu Humbrachtshausen
(Hammershausen), zu Eldinghausen (f bei Frankenau),
Bejtersberg (f Birkenbrinkhausen gegenüber), Bennig-
hausen (f im Battenberg), den halben Zehnten zu Sach-
senberg, den Zehnten zu Butzbach (f bei Viermünden),
Atzelhain (f südöstlich von Frankenberg), sowie die
beiden Zehnten zu Ockershausen bei Marburg und zu
Freiengossfelden (= Bringsfelden , f zwischen Sterz-
hausen und Wetter), welche die Grafen von Nassau
von weiland Johann, Herrn von Griffenstein gekauft**).
In den späteren Hohenfelsischen Lehnserneuerungen
werden noch folgende Lehnsstücke genannt***) : Zehnten
und Hüben zu Brunstadt (f im Amt Battenberg), ein
Hof zu Röddenau, ein weiterer Hof daselbst am Kirch-
*) Lehübr. vom 30. Juli 1409, wodurch Johann von Hoheu-
fels mit den Gütern Heinrichs, Vogt von Keseborg, in denen er
„als ein rechter Ganerbe mit Heinrich von Keseberg gesessen''
vom Grafen Johann von Nassau belehnt wird.
**) Die Dynasten von Griffenstein im Solms-Braunsfelsischen
waren in der ersten Hälfte des 14. Jahrh. im Mannesstamme er-
loschen. Amoldi, Miscell. S. 269. Zweifelhaft ist, ob diese beiden
griffensteinischen Zehnten erst 1409 für die Hohenfels zugefügt
wurden, oder schon früher im Besitz der Vögte von Koseberg waren.
Südlich vom Burgwalde haben die letzteren keinesfalls weiteren
Besitz gehabt, wie sie denn auch in den Marburgor Deutsch-Ordens-
Urkunden nicht begegnen.
***) Nassauische Lehnbr. vom 30. Mai 1430 und 4. Dezember
1481 für Widekind von Hohenfels, den letzten des Hosekinschen
Stammes, und vom 7. April 1507 für Hartmann von Hohenfels zu
Niederasphe. Die Vermehrung seit 1430 beruht auf einer Zu-
sammenfassung der 1409 erhaltenen kesebergischen Lehnsstücke
mit den schon seit 1325 aus der Adoption Volpeits von Hohenfels
besessenen kesebergischen Güter, über welche 1420, 8. Oct. der
letzte Lehnbrief erteilt war.
11
hofe, der Zehnten über dem Gossberge bei Frankenberg,
über dem Himmelsreichsholz bei Frankenau, zu West-
heim (f bei Hofgeismar), zu Ageshausen (= Eikshausen,
f im Kirchspiel Geismar), ein Hof zu Rengershausen,
genannt der Kaldenhof, eine Mühle daselbst, ein Hof zu
Neukirchen (in Waldeck), ein Hof zu Elberkusen (f bei
Viermünden), das ganze Dorf Radehusen bei dem Fürsten-
berg (t in Waldeck), ein Hof zu Wonstorf (?), desgleichen
„was Johann von Schachten hat zu Schachten bei Cassel",
ein Hof zu EUershausen, der Baumgartenerhof zu Vier-
münden, eine Hufe zu EUertshausen (f Altershausen im
Amte Battenberg), ein Gut zu Oberaliendorf (f im Amte
Battenberg), 24 Mesten Land zu Ibenhausen (f) und 2
Wiesen im Bernbach bei Frankenberg, der ganze Zehnten
zu Volprechtshausen, gelegen bei Allendorf im Gerichte
Geismar, sowie zu Irmerhausen (f in der Marke von
Röddenau), zu Iberhausen (f) bei Frankenberg, zu
Oberschreufa und zu Lindenhain bei Schreufa. Andere
Güter hatten die Vögte schon früher an die Klöster
Haina und Georgenberg bei Frankenberg veräussert: die
Zehnten zu Bonland (f bei Geismar), Beltersdorf (f),
Güter zu Berngersdorf (f), Wesende (f ), die Gerichts-
gefälle von den Wüstungen Ronighausen, Langelenhain
und Sylbach, die Mühle zu Butzbach, sowie einen Hof
zu Geismar und zu Orke. Diese Güter waren sämtlich
nassauisch-dillenburgische Lehen. Ziegenhainische Lehen
waren die Zehnten zu Löhlbach und Suinphe, welche die
von Siegern (Schleyer) zu Afterlehen hatten, jedoch dem
Kloster Haina bei dem Eintritt der Brüder Conrad und
Wigand Siegern in dasselbe (1277) teils übertrugen,
teils gegen fein Gut zu Eckensdorf (f bei Gemünden)
vertauschten, welches die beiden anderen Brüder Ludwig
und Helwig den Vögten auftrugen*).
*) Hess. Zeitschr. 3, 59. Urk. vom 25. Mai 1277. Wenck,
U. B. 2, 211. Kloster Hain. Cop. B. Nr. 12.
12
Von allgemeinerer Bedeutung ist die Frage, zu
welcher Grafschaft in älterer Zeit die keseber-
glsche Vogtei gehört habe. Die Landgrafen von Thü-
ringen haben im Kreise Frankenberg ursprünglich gar
keine Besitzungen gehabt. Derselbe gehörte, wie der
grössere Theil der Herrschaft Itter, zum Oberlahngau,
kirchlich zum Bistum Mainz. Die Scheidung zwischen
sächsischer und fränkischer Bevölkerung bildet auch die
Scheide zwischen den Diözesen Mainz einerseits und Cöln
und Paderborn andererseits; zur ersten gehörten noch
Sachsenberg und Thalitter, zum Cölnischen Dekanat Mede-
bach: Münden und Neukirchen, zu Paderborn: Obernburg
und Höringhausen. Die älteste Nachricht über diese Ge-
gend enthält eine Urk. vom J. 850, durch welche Gozmar
all sein Eigentum, welches er in dem Gau, welchen die
Hessen bewohnen, in den Orten und Dörfern AffaÜra^
Gilihha, Buockela, Fiemienni et Savitffi^ Mehüina (Af-
foldern, Gleichen, Buhlen, Viermünden, Schreufa und
Mehler) dem hl. Bonifazius zu Fulda schenkt*). Gozmar
war der Sohn des Grafen Berndag und Bruder des
Grafen Esico, ein Enkel des Grafen Gerhao aus dem
Geschlechte der Grafen von Ziegenhain, in welchem
der Name Gozmar noch bis ins 13. Jahrh. vorkommt
und mehrfache fuldische Lehen mit der Schirmvogtei
über die fuldische Kirche vereinigt waren. In der Stiftungs-
ürkunde des Klosters Aulisburg vom Jahre 1144 gibt
Graf Boppo von Richenbach für dasselbe auch ein Gut
zu Verminne und Hadelogenhusen. In der Stiftungs-
Urkunde des Klosters Haina vom Jahre 1214 wird Reinold
*) Schannaty Tiad. Fuld. p. 191, n. 462. Falke, Cod. Trad.
Corb. S. 385, 391. Wmcky L. G. 2, 411.
Gerhao f 810
Berndag
Esico Gerolt Gozmar
Grftf. Priester. 850.
13
von Keseberg neben Gottfried von Hatzfeld und Heinrich
von Altershausen als nobüiores niilites seiner Grafschaft
genannt, mit welchen Graf Heinrich von Ziegenhain sub
habitu penitentiali zu dem in Cisterzium versammelten
Capitel gereist sei, um demselben das Kloster zu über-
geben und auf alles Eigenthums- und Vogteirecht zu
verzichten {mnni pletmrie jtiri proprietatis et advocatie
abrenuneiantes). Die Vögte von Keseberg zählten dem-
nach zu dem höheren Adel der Grafschaft Ziegenhain,
und letztere erstreckte sich über das Wohrathal und
hainaische Gebirge über die Edder bis zum Ittergau
und der corveyischen Grafschaft Lichtenfels; auch das
Gericht Viermünden gehörte zu derselben*). Der Ritter
Ludwig Kalp ist vom Grafen Gottfried V. von Ziegen-
hain mit Gütern zu Schreufa belehnt, welche der letz-
tere auf seine Bitte (1294) dem deutschen Orden zu
Marburg übergibt**). 1280 haben die Grafen von Ziegen-
hain die Vogtei über Güter zu Schmittlotheim und be-
ziehen noch 1333 Vogteiwaizen daselbst***), und 1313
Geldrenten aus Gütern zu Viermünden, auf welche Graf
Johann und seine Frau Lucardis gegen das Kloster
Georgenberg verzichten f). Ebenso war das Geschlecht
von Virmyn (Virmund) ein ziegenhainisches Ministerial-
geschlecht: 1298 übergibt Volpert von Viermund zu
seinem und seiner Eltern Seelenheil einen Wald zu
Dodenhausen, gen. das Frischholz, dem Kloster Hainaff).
Luitgard, eine ziegenhainische Erbtochter des Grafen
Gozmar H, hatte sich ums Jahr 1186 mit Landgraf
Ludwigs II, des Eisernen, von Thüringen Sohn Friedrich
*) Anal. hass. 4, 342. 348. 11, 122. 125. Ouden. Cod.
dipl. I, 4.
*♦) Urk. vom 7. Juni 1294. Wyss, Hess. U. B. I, 578.
Weneky Hess. L. G. 2, 237. Hess, Archiv IV, Yll 7.
***) Hess. Archiv I, 150.
t) ürk. 1314, 9. Juli. Mbg. St. A. KJ. Georgenberg,
tt) Kl. Hain. Cop. B. Nr. 236.
14
(1186 — 1229), welcher zuvor geistlich und Probst zu
Fritzlar gewesen, vermählt. Hierdurch gelangten ver-
schiedene ziegenhainische Besitzungen an das Haus
Thüringen-Hessen. Aus dieser Ehe des Grafen Friedrich
von Wildungen stammten drei Kinder, von welchen zwei,
Ludwig und Jutta, Gräfin von Brene, früh starben,
Sophie, vermählt mit dem Burggrafen Burkard von
Magdeburg, die Erbin von Wildungen und Keseberg
und anderen Gütern in Hessen war*). Burkard hatte
diese Schlösser an Landgraf Ludwig von Thüringen
verkauft und dieser dieselben in Besitz genommen,
Sophie jedoch bei diesem Verkauf angeblich nicht mit-
gewirkt und demselben widersprochen. Der über diese
Erbschaft entstandene Streit wurde durch Vergleich vom
25. November 1235 zwischen Landgraf Conrad von
Thüringen und den Grafen Gottfried und Berthold von
Ziegenhain dahin beigelegt, dass letztere dem Thüringer
die Schlösser Reichenbach und Keseberg gegen Verzicht
des Landgrafen auf Staufenberg und Treysa abtraten**).
Keseberg war daher bis da eine ziegenhainische Feste
gewesen. Um einen weiteren Rechtstitel zur Erweiterung
der Macht des Erzstifts Mainz in Hessen zu erlangen,
Hess sich Erzbischof Siegfrid III. alsbald nach Er-
löschen des thüringischen Mannesstammes von Burkards
Wittwe, weil sie angeblich bei den Verträgen ihres
Gemals nicht mitgewirkt und sich zur Durchführung
ihrer Ansprüche ausser Stand sah, ihre Rechte an den
Schlössern Wildungen und Keseberg und allen anderen
Burgen und Städten in Hessen, die ihr nach dem
Erbrechte gehörten, durch Urkunde vom 2. April 1247
abtreten***). Diese Formalität einer Cession wurde die
*) Jiommely Hess. Gösch. 2, A. S. 136.
**) Wetwk, U. B. 2, 151. Anal. hass. 2, 344. Hess. Archiv
III, 5.
***) Gude^i. Cod. dipl. I, 600. Hess. Zeitschr. N. F. 10, 252.
15
Ursache eines länger als 100jährigen Streites zwischen
Hessen und dem Erzstift. Letzteres hatte auch noch
von einer anderen Seite her Rechte in und an der kese-
bergischen Vogtei zu erlangen gewusst, durch die Ver-
träge mit den Grafen von Battenberg*).
Schon Erzbischof Conrad I. (1183—1200) hatte
mit dem Grafen Werner I. von Battenberg einen Lehns-
auftrag des Schlosses Wittgenstein an das Erzstift ver-
abredet, war aber einen Theil des versprochenen Geldes
schuldig geblieben und daher der Vertrag nicht perfect
geworden. Sein Nachfolger Siegfried IL nahm die Ver-
handlungen mit Werners Söhnen, Werner 11., Widekind
und Hermann, wieder auf. Das Ergebnis war ein Ver-
trag vom 2. September 1223, wodurch die Grafen ihr
Schloss Wittgenstein dem Erzstift auftrugen, es zu Lehen
wieder nahmen und gegen 100 Mark imd ein Prachtpferd
für sich und 5 Mark für ihre beiden Räthe auf ihre
Forderung von 5 Karren Wein, welche ihnen geraubt
waren, verzichteten**). Graf Werner ü. .trat in den
deutschen Orden. Seine Brüder Widekind und Hermann
aber trugen (25. März 1227) gegen 200 Mark ihr Schloss
Kellerberg dem Landgrafen Heinrich Raspe von Thüringen
auf und empfingen es gleichzeitig mit einem Burglehen
von 10 Mark zu Marburg als Lehen zurück unter Verzicht
auf ihre Ansprüche auf eine ihnen von Landgraf Hermann
bestellte Pfandschaft an Wetter***). Erzbischof Siegfried
in. wusste es jedoch zu erreichen, dass ihm die Grafen
Widekind und Werner (9. April 1234) die Hälfte der
Stadt und Schlösser Battenberg und Kellerberg und der
zu demselben gehörigen Comitie {comide atlinentis eisdem
*) Die deshalbigen vier Urk. bei Ouden. Cod. dipl. haben
infolge der teilweise verderbten Schreibweise der Ortsnamen ver-
scliiedene Auslegung gefunden. In Note Seite 16 etc. ist deren
Berichtigung vei-sucht.
**) Otulen. Cod. dipl. I, 486.
*) Kuchenbecker, p]rbhofämter Beil. Lit. C.
♦♦♦i
lÖ
cast7is\ welche ihr Bruder Hennann besessen, abtraten*).
In zwei weiteren Urkunden vom 20. und 21. Juli 1238
wird dann festgesetzt, dass das Kaufgeld von 600 Mark
für diese an das Erzstift abgetretene Hälfte dieser
Schlösser und Stadt und zugehörigen „Grafschaft Stift"
(Wetter), welche vom Schloss Battenberg abwärts liegt
{deorsum jacentis)^ d. h. östlich und südlich, an den
Grafen Siegfried von Battenberg und seine Brüder in
drei Terminen von 16 Wochen Zwischenzeit bezahlt
werden soll und die Grafen freie Vasallen des Erzstifts
sein wollen. Als zu dieser Grafschaft gehörige Centen
werden aufgeführt: Hartenfeld, Ruttene, Hentreff, Treyse,
wo das Recht des Grafen ganz frei sei ; ferner : Geismar
und Fromelskirchen (Bromskirchen), wo erbliche Cent-
grafen und das Recht des Grafen ganz frei sei (in istis
diiahus svnt Centgravn residentes et jus Comitis liherwn
est 07nnmo)j endlich die Centen: Lixfeld, Dudusse,
Wetter, Lasphe, wo der Landgraf die Gerichtsbarkeit
an sich ziehe (in Ulis tätimis La7idgravius tollit omnem
jitstitiam violenter**). Hier kommt in Betracht, dass die
*) Wenck, U. B. 2, 151.
**) Guden. Ck)d. dipl. 1, 547—549. II, 54. Kopp, Nachr. von
den geistl. Ger. 1, S. 243. Hess. Zeitschr. N. F. 10, 224. Harten-
feld ist nicht in Arfeld ( Wenck Hess. L. G. 2, 453), welches ober- •
halb Battenberg liegt, sondern Batienfeld zu berichtigen, ebenso
Hentreff in Benireff^ das alte Kirchdorf von Rosenthal, Dudusse
in Ihiduffe (Dautpho), Ruttene ist Röddenau. In Treyse sieht Wenck
Troysa bei Ziegenhain, Bommel vermutet Treisbach im Amte
AVetter, ereterer nimmt dann an, es habe sich die Grafschaft bis
Alsfeld erstreckt und es sei in der Urkunde nur die an Mainz ver-
kaufte Hälfte derselben aufgefühi-t, während Rommel zwar die ganze
Grafschaft darin erkennt, jedoch das Gericht Münchhausen vermisst.
Es ist in der Urkunde die ganze Grafschaft aufgeführt und statt
Treysa ist Leysa^ der alte locus Liesi, bei dem (778) die Sachsen
geschlagen worden, zu lesen. So hat man auch wenigstens einen
Teil des christenberger Dekanats, welches ein einheitliches Gericht
überhaupt nicht gebildet zu haben scheint, wenigstens befindet sich
das Gericht des dazu gehörigen Kirchspiels Frohnhausen in der
Cent Geismar zur battenbergischen Grafschaft Wetter
zählte und wie Bromskirchen erbliche Centgrafen hatte.
Centgrafen zu Geismar waren die Vögte von Keseberg,
zu Bromskirchen die Herrn von Beltershausen, welche
1329 die Hälfte ihrer Vogtei und Gericht an die Brüder
Conrad und Gottfried von Diedenshausen verkauften,
welche dann von Tilemann EI. und Johann HI. von
Itter damit belehnt wurden *).
Mitte des 14. Jahrh. in Händen der von Dersch bis 1718. Dass
die ganze Grafschaft aufgezählt ist, geht aus einer weiteren Ur-
kunde vom 30. September 1291 (Ouden. Cod. dipl. I, 854) hervor,
worin Graf Hermann beurkundet, dass er bisher Stadt und Schlösser
Battenberg und Kellerberg und deren Zubehöiningen mit dem Erz-
stift pro indiviso besessen, aber nun getheilt habe, so dass das Erz-
stift nun das Schloss und Stadt Battenberg mit den Gerichten
in Lyse und Battenfeld, er aber Kellerberg mit den Gerichten
in Aldendorf, Rudcne und Fromeldeskirchen für sich be-
halten solle. Ausserdem soll der Erzbischof das Gericht in Mün ch-
hausen so lange in Besitz haben, bis Graf Hermann erwiesen,
dass es ihm als Mainzisches Lehen zukomme. Die wirkliche Teilung
der Grafschaft, sowie eine Teilung des Gerichts Battenfeld in
Battenfeld und Allendorf erfolgte also erst 1291, indem jeder
Teil drei Centen eihält. Von den südlichen Centen im Kreise Bieden-
kopf ist keine Rede mehr, sie waren bereits den Landgi*afen zu-
gefallen, ebenso die östliche Geismar dui'ch den Langsdorfer Ver-
trag (1263). Thatsächlich hatten die Grafen von Battenbeig seit
1259 wieder die ganze Grafschaft in Besitz gehabt, bezw. von Erz-
bischof Werner erhalten als Lohn eines 1252 zwischen Widekind
von Battenberg und Erzbischof Gerhard I. von Mainz geschlossenen
und 1259 erneuerten Schutz- und Trutzbündnisses, indem für ver-
sprochene 200 Mark, wovon nui* die Hälfte bezahlt war, die Main-
zischen Einkünfte der Grafschaft dem Grafen TVidekind überwiesen
wurden. Qiiden. Cod. dipl. I, 669. Hermann H., der letzte Graf
von Battenberg, verkaufte (1297) auch die ihm verbliebene Hälfte
der Grafschaft nebst dem Schlosse Kellerberg an das Erzstift für
* 2000 fl. Graf Siegfried von Wittgenstein trat (1322) diesem Ver-
ti'age bei.
*) Von den von Diedenshausen gelangte das Gericht Broms-
kirchen teils durch Ganerbschaft (1336) teils durch Heirat (1385)
■ N. F. Bd. XV. 2
18
Diese battenbergischen Verträge wurden eben wohl
die Ursache eines mehr als 200jährigen Streits zwischen
Hesseil und dem Erzstift, der erst 1464 dadurch bei-
gelegt wurde, dass letzteres, dem dieser vorgeschobene
Besitz nur den Werth eines Verpfändungsobjekts gehabt,
die battenbergischen Schlösser und Aemter (Rosenthal,
Wetter, Mellnau) für 40,000 fl. dem Landgrafen Hein-
rich ni. pfandweise einräumte*). Die Vogtei der Kese-
bergs gehörte also in ihrem nordöstlichen Teile (Löhl-
bach, Frankenau, Viermünden) zur Grafschaft Ziegenhain,
in ihrem südwestlichen (Geismar) zur Grafschaft Batten-
berg und als Schirm- und Gerichtsherrn dieses durch
die Feste Keseberg beherrschten nordwestlichen Gebiets
der Grafschaft Ziegenhain führen ihre Besitzer den
Namen Vögte **). Der battenbergische Teil gelangte
durch den zwischen Erzbischof Werner von Mainz und
Landgraf Heinrich L im Felde bei Langsdorf (1263)
geschlossenen Vertrag als Zubehör des damals von Mainz
abgetretenen Schlosses und Stadt Frankenberg als main-
zisches Lehen an das brabantische Haus, welches damit
der Rechtsnachfolger der thüringischen Landgrafen im
Vertrage von 1233 wurde ***). In den Kämpfen zwischen
Hessen und dem Erzstift stehen die Vögte gleich wie
die von Schauenburg und Wallenstein auf Seiten der
Erzbischöfe Siegfried HL, Werner und Gerlach.
und Kauf (139.5) an die von Viermund, welche Landgraf Philipp
(1539) zum Verkauf für 500 fl. nötigte. Urkunde vom Montag nach
Visit. Mariae (7. Juli) 1539.
*) Wende, U.-B. IL 488.
**) Diese Mittelstellung der Vögte zwischen den Grafen von
Ziegenhain und Battenbei-g weist auf einen älteren grösseren Comi-
tat in dieser Gegend und auf eine Stammeseinheit beider Grafen-
geschlechter hin und bestätigt Rommels Widerlegung der Wendcsohen
Annahmen. Wenck, L. G. 3, § IX. Bommel, Hess. Gesch. 2, Anm.
160 ff.
***) Ouden. Cod. dipl. I, 702-708.
lö
Das urkundliche Material über die Vögte von Kese-
berg und ihr Gebiet umfasst ungefähr 64 Urkunden.
Davon handelt die Hälfte über Verhältnisse und Erwer-
bungen des Kloster Haina, 10 über solche des Klosters
St. Georgenberg zu Frankenberg*).
1144 bezeugen die Brüder Henrich und Walter
von Keseberg vor den Rheingrafen in einer Urkunde
des Erzbischofs Heinrich von Mainz zu Fritzlar die
durch den Grafen Boppo von Reichenbach geschehene
Stiftung des Klosters Aulisburg, wozu der Graf, wie
oben bemerkt, Güter zu Halgehausen, Haina und Vier-
minne zufügt**).
Im folgenden Jahre 1145 erscheinen die von Kese-
berg, Schartenberg u. a. vom Adel als Bundesgenossen
im Solde der vom Abte Henrich von Corvey und Grafen
Volkwin von Schwalenberg belagerten Feste Eresburg.
Doch noch ehe sie dieselbe entsetzen konnten, erstieg
sie der Graf ohne Vorwissen des Abts, der sie wieder
aufgebaut hatte und zu erhalten wünschte, und brannte
sie nach einem schrecklichen Blutbade nieder***). In
der Stammreihe fehlt dann ein Glied, vermuthlich Wide-
kind. Erst 1196 erteilt ein anderer Heinrich von
Keseberg mit dem Grafen Arnold von Schauenburg
Consens zu einem Zehntenverkauf zu Obersuinphe an
das Kloster Haina f). In den Stiftungsurkunden des
letzteren 1214 und 1215, welches ausserhalb der vög-
tischen Herrschaft gelegen war, erscheint R e i n o 1 d Von
Keseberg unter den Gefährten des Grafen Heinrich II.
*} Obwohl die Güter der Kescbergs meistens nassauische
Lehen waren, finden sieh doch im Kgl. Staatsarchiv zu Wiesbaden
gar keine Urkunden.
**) Anal. hass. 4, 342.
***) Schafen, Ann. Paderb. I, 762. Falke, Trad. Corb. 221
Landau, Hess. R.-B. I, 362.
t) Wmck, Urk.-B. II, 128.
2*
2Ö
von Ziegenhain auf der Reise nach Cisterzium, um dort
das Kloster zu übergeben, in welches Reinold ebenso
wie Graf Heinrich selbst eintrat*).
lieber die Gerichtsbarkeit in den zur kesebergischen
Vogtei gehörigen, von dem Grafen von Ziegenhain dem
Kloster geschenkten und eximirten Dörfern Löhlbach
und Aulisburg währte ein mehr als lOOjähriger Streit,
der mit dem Verzicht des jedesmaligen Vogtes endigt.
Diese Verzichte geben einen Anhalt für die Genealogie
und Folge der Stammältesten. Schon Henrichs H. Söhne
Widekind H. und Otto beanspruchten (1240) als
Centgrafen {pv eo, quod adjaceniis vicinie ceniiiriones
essent ordinarii) die Gerichtsbarkeit in diesen Orten,
verzichteten jedoch darauf zu Gunsten des Klosters für
sich und ihre ganze Nachkommenschaft, ausgenommen
im Falle des Todschlags, wofür dem Richter 1 Malter
Hafer, dem Blutschreier die Hälfte jährlich gegeben
werden solle**). Widekind H. starb um 1244. Nach
ihm hat zunächst sein Bruder Otto die Herrschaft und
verzichtet auf Rechte an Gütern zu Haubern (Howih-e),
welche Gerlach von Arfeld dem Kloster verkauft hatte ***).
Nach seinem Tod um 1248 kommen Widekinds H. Söhne
Heinrich HI. (1245—1253), Widekind HI. (1253-
1264), Gerlach I. (1264—1277), Widekind IV. (1277
— 1292) nach einander zur Herrschaft. Gegen ihre An-
sprüche auf die Civilgerichtsbarkeit zu Löhlbach entschied
(1245) ein Schiedsgericht, bestehend aus Reinhard von
Itter und Werner von Bischofshausen auf einem Tage zu
Geismar zu Gunsten des Klosters, welches für die künf-
tige Exemtion überhaupt den Vögten eine Abfindung von
*j Oiidm. Cod. dipl. 1,432. Anal. hass. 11, 122— 125. Hess.
Zeitschr. 3, 48.
**) Koppy Nachr. von den geistlichen etc. Gerichten I, Beil.
70-72.
'^**) Hess. Zeitschr. .3, 80.
21
1 Mark zahljte*). 1249 verkauft ihre Mutter AlheidivS
eine Hufe zu Geismar dem Kloster St. Georgenberg und
lässt diesen Verkauf durch ihre Söhne auf Verlangen
des Pfarrers zu Geismar bei dem Edderfluss zwischen
der St^adt Frankenberg und der Brücke genehmigen **).
Widekind III. tritt demselben Kloster durch Urkunde
vom 1. Juni 1254 das Patronat über die Kirche zu
Frankenberg ab ***). Dagegen dem Kloster Haina gegen-
über sucht er die Gerichtsbarkeit zu Löhlbach und
Aulisburg mit Gewalt zu behaupten und schreitet bis
zu Brandschaden vor, muss aber in einem durch die
Landgräfin Sophie vermittelten Vertrag (7. Januar 1260)
aufs neue verzichten und zur Busse für den zugefügten
Brandschaden den Einwohnern zu Löhlbach die Frucht-
abgabe für 5 Jahre erlassen f ). Dieser Widekind nebst
seinen Söhnen Ger lach und Heinrich verkauft auch
Güter zu Viermünden und cediert die Mühle bei Butz-
bach dem Kloster St. Georgenberg ff). Es geht daraus
hervor, dass die Vögte auch im Gericht Viermünden
mit Gütern, welche Pertinenzien der Gerichtsbarkeit zu
bilden pflegten, begütert waren. Nach seinem Tode
beginnt sein Bruder Gerlach I., welcher 1264 einen
Zehntenverkauf des Arnold Huhn zu Ellershausen an
das Kloster Haina bezeugtfff), den Streit aufs neue
*) Kopp, Itter, S. 48;BeU. S.198. Kopp, Geistl. etc. Ger. 1.
S. 303 fP.
**) Urkunde vom 11. Oktober (die Justi et Archemii niart.)
1249. Kloster Hain. Urkk. Kopp, geistl. Ger. I, 71.
***) Kopp, a. a. 0. Beil. Nr. 72.
t) KI. Hain. Urkk. Cop.-Buch Nr. 8. Wmck, Urk.-B. II,
200. Kopp, a. a. 0. I, S. 304.
tt) Urkunde von 1261; die andere Urkunde (1260— 1264) ist
undatiert. Kl. Hain. Urkk.
tft) Die Huhn zu Ellershausen, welche neben den von
Viermynue und Cülo das bedeutendste Geschlecht innerhalb der
kesebergischeu Vogtei bildeten, und mit einem rechtsschi-eitenden
22
welcher, wie oben bemerkt, 1265 durch Schiedsfreunde,
Geistliche und Weltliche^ darunter Conrad von Michel-
bach, Canönikus zu Wetter und Fritzlar, Conrad, Pfarrer
zu Biedenkopf, Eckhard, Pfarrer zu Buchenau und dessen
Brüder Conrad und Eckhard von Hohenfels, Gumpert
von Hohenfels, Volpert Hosekin, Graft und Peter, Brüder,
von Buchenau und Gerlach von Breidenbach, nach einer
Verhandlung zu Schloss Hohenfels zu Gunsten des
Klosters entschieden wird*). Seitdem ist die Herrschaft
der Vögte der fürstlichen Gewalt gegenüber im Sinken,
namentlich nachdem (1263) Stadt und Schloss Franken-
berg und deren Zubehör als mainzisches Lehen an
Landgraf Heinrich L überlassen war. Letzterer über-
gab 1277 den ganzen Schlossberg dem Kloster Haina**).
Der Verzicht auf die Gerichtsbarkeit und Zehnten zu
Löhlbach und in den wüsten Orten Geilingen, Königs-
silbernen Huhn in rotem Felde siegeln, jedoch verschieden von
den Hüne (Haune) im Stifte Fulda, starben 1587 mit Caspar Huhn
aus. Sie besassen innerhalb der kese bergischen Vogtei als nassau*
ische Lehen: 3 Teile des Zehnton zu Geismar, V* des Zehnten
zu Niederschreufa, den Zehnten zu Solenhart (f bei Ellershausen),
den Zehnten und Medum an der Hart, den halben Zehnten zu
Dainrode, */4 des Zehnten zu Ellershausen, den Zehnten zu Alden-
hemmenhusen (jetzt Luisendorfj, den halben Zehnten zu Bonland,
„den Berg zu dem Sporim berge''. Ihre Güter kamen durch Caspars
Huhn Schwester Elisabeth (f 1629), verheiratet mit Georg von
Dersch, an die von Dersch zu Viermünden, von diesen an die
von Drach. Bei it*fw?we/, 2, 322 sind beide Ges(;hlechter von Huhn
zu Ellershausen und im Stifte Fulda verwechselt. Am meisten
bekannt geworden ist Herman Huhn, hess. Hofmeistor unter Land-
graf Heinrich HL und Wilhelm IIL, der auch Inhaber und Amt-
mann von Schön stein und Derisberg war.
*) Urkunde vom IL Se])t. und 8. Nov. 1265 (dat. in die
Proti et Hyacinthi und dominica ante lest. Martini). Kl. Hain.
Cop.-Buch Nr. 8. Wenck, IJrk.-B. H, 200.
**) Wenck, Urk.-B. H. 211. Guden. Cod. dipl. I, 702—708.
Hess. Zeitschr. N- F. 10, 347.
23
hausen und Singenthai wird von Gerlachs I. Bruder
Widekind IV., seiner Frau Lucardis und ihren Kindern
Siegfried, Agnes, Adelheid, Ida und Irmgard
(27. September 1278) in einer vom Grafen Widekind von
Battenberg und den Städten Battenberg und Franken-
berg besiegelten Urkunde erneuert, wobei die batten-
bergischen Burgmänner Conrad von Eppe, Gerlach von
Diedenshausen, Heinrich von Ders, sowie die Centgrafen
(centuriones) Henrich und Siegfried von Viermünden
Zeugen sind. Letztere, welche kesebergische Namen
führen, legen sich denselben Titel centuriones bei, wie
die Keseberg in der Urkunde von 1240*). Die alten
Beziehungen der Vögte zu den Grafen von Battenberg
wurden demnach noch unterhalten. Dass die Urkunde
ein Jahr nach der Uebergabe des Keseberger Burgbergs
an das Kloster Haina zu Battenberg ausgestellt 'und
der Verzicht in einer 1280 zu Hallenberg ausgestellten
Urkunde wiederholt wird, lässt annehmen, dass die Zer-
störung der Burg 1277 erfolgt und Widekind IV. damals
in den benachbarten mainzischen und kölnischen Festen
eine Zuflucht gefunden habe**).
Auf Widekind IV. folgt sein Neffe Gerlach IH.,
ein Sohn Gerlachs I. (1293 — 1331), der sich Vogt von
Geismar nennt, und 1293 mit seiner Mutter Hedwig
und seinen Schwestern Alheid und Sophie und der
*) Das Wort centurio wird auch sonst mit advocatus gleich-
bedeutend gebraucht. Centurio, qui advocatus noster est. Trad.
Fuld. 2, 45.
**) Damit stimmen auch der Frankenberger Chronist Gersten-
berger u. -a., welche den Beginn der Fehde zwischen Landgraf
Heinrich I. und Erzbischof Werner von Mainz in dieses Jahr
setzen, in welcher auf des letzteren Seite die Grafen Gottfried von
Ziegenhain und "Widekind von Battenberg standen, während die
Chronika der Landgrafen von Thüringen und Hessen bei dem Jahre
1293 summarisch alle vom Landgrafen Heinrich I. zerstörten
Schlösser, darunter Keseberg, aufzählt. Anal. hass. V, 178. W,
Dilich^ hess. Chron. S. 173.
24
ersteren Gemahl Conrad von Thucilenberg (Thodelen-
berg) zu AllrafF dem Kloster Haina alle seine Güter zu
Schmittlotheim mit den Höfen Eschebruch und Eysel-
bach verkauft*). Derselbe resigniert (1299 und 1321)
zu Gunsten des Klosters St. Georgenberg den Grafen
Henrich und Emicho von Nassau den Zehnten zu Belters-
dorf (f unter Röddenau), übergibt denselben (1305) dem
Kloster zu 5 Achtel und verkauft (1315) 8 Malter Hafer,
welche ihm als Gerichtsherrn von den Wüstungen Ro-
nichhausen, Langeinhain und Silbach fielen, dem Kloster
Haina **). Von ihm ist kein Verzicht auf die Gerichts-
barkeit zu Löhlbach vorhanden ; ebenso fehlt ein solcher
von dem auf ihn folgenden Siegfried IL, Widekinds IV.
Sohn, welcher sich 1304 von Niederndorf, dem wüsten
ünterdorfe von Geismar, 1306 aber von Geismar be-
nennt, wo er beidemale Güter in den geismarischen
Wüstungen Bonland, Hermannsgrube und Berngersdorf
an das Kloster Haina verkauft***). 1322 nach Ger-
lachs HL Tod verrichtet er die Belehnung der Brüder
Hartmund und Siegfried von Hachen, bezw. des ersteren
Frau mit Gütern zu Gernhausen und Holzhausen und
ebenso erteilt er 1326 gemeinschaftlich mit Volpert
von Hohenfels als Lehnsherrn dem Goswin Scharre
Consens, den 4. Theil des Zehnten zu Haubern dem
Kloster Haina zu übergeben. Von jetzt an kommen nicht
die Söhne Gerlachs IIL, G umbracht, Wetzel und
Widekind, sondern Volpert von Hohenfels, der Adoptiv-
sohn Vogts Widekind, zur Herrschaft und verrichtet
♦) Baur, Hess. Urkk. 1, 201.
**) Urkk. vom 26. Dez. 1299, 13. Februar 1321 und 24. Nov.
1305 (dat. fer. IV. ante fest. b. Catherine). Marbg. Staats-Archiv.
Kloster Georgenberg. Urkunde vom 7. März 1315. Kloster Haina.
Cop.-B. Nr. 329.
♦♦♦) Urkk. vom 19. März 1304, 18. Januar 1305, 30. Mai 1306,
1308. Marbg. Staats- Arch. Kl. Hain. Urkk.
25
allein die Belehnungen mit den ihm durch die Adop-
tion zugefallenen Gütern zu Wesende {jure adoptionts
ad nos a domino WideMndo, advocaio de Keseberg, devo-
luia) und verzichtet nebst seiner Frau Amabilia, »Tochter
weiland Vogt Widekinds von Keseberg«, auf die Ge-
richtsbarkeit zu Löhlbach*). Also einmal verrichtet er
Lehnsakte mit Siegfried IL zusammen, dann solche
allein. Siegfried IL hatte nur Töchter.
Die Adoption Volperts von Hohenfels durch Vogt
Widekind (um 1324) ist eine auffallende und ohne Con-
sens der Lehnsherrn undenkbare Massregel. Der Kese-
bergische Stamm war noch nicht im Aussterben; es
waren noch Siegfried IL, sowie Gerlachs III. Söhne
Gumbracht, Wetzel und Widekind vorhanden; Gum-
bracht lebt noch 1355, sein Bruder Widekind noch 1360
und Gumbrachts 5 Söhne noch teilweise bis 1409. Von
allen bisher genannten Widekinds kann keiner der
Adoptivvater gewesen sein. Diese waren um 1324 längst
todt. Keiner derselben hat einen gleichnamigen Sohn
gehabt, da ihre Kinder genannt werden, auch findet
sich keine Amabilia darunter. Die Adoption lässt sich
nur durch eine Teilung der Vogtei unter das Geschlecht
erklären, wobei der eine Teil das Gericht Viermünden,
der andere Geismar erhalten hat. Es fragt sich näm-
lich, ob das sog. Gericht Viermünden von Alters her
in Händen der von Hohenfels oder der von Keseberg
gewesen, und erst durch die Adoption Volperts von
Hohenfels an die von Hohenfels gekommen, in deren
Besitz es sich bis 1501 befindet. Ein direkter Urkunden-
beweis lässt sich weder für das eine, noch für das
andere führen, wohl aber der Erwerb dieses Gerichts
durch die Adoption Volperts von Hohenfels folgern. Es
*) Kopp^ Lehn proben 2, 301 und 355. Urk. vom 12. Dez.
1326. Marbg. Staats-Arch. Kl. Hain. Urkk. und Cop.-B. Nr. 621.
26
müsste auifallen, wenn die von Hohenfels, welche ihren
Stammsitz an der oberen Lahn hatten und dort Inhaber
der Cent Dautphe bis 1249 waren, in einer so weiten
Ferne an der Edder und daz^u in einer teilweise anderen
Grafschaft die Jurisdiction gehabt haben sollten. Sie
würden dieselbe 1249, als sie ihre dynastische Stelking
verloren und mit dem Lehnsauftrag ihrer Schlösser, an
die Landgräfin Sophie der Gerichtsbarkeit in der Cent
Dautphe entsagen n^ussten, denselben Verzicht für Vier-
münden haben leisten müssen. Sodann weisen die
älteren hohenfelsischen Urkunden, deren mehr als 60
vor 1341 vorhanden sind, sämmtlich auf die Gegend
der oberen Lahn und das Hinterland bis nach Giessen
hin, dagegen erscheint in den zu Frankenberg und Um-
gegend ausgestellten Urkunden auch nicht einmal ein
Hohenfels als Zeuge. Volpert von Hohenfels ist 1316
Schultheiss zu Grünberg, 1318 in derselben Stellung in
Frankenberg und heisst in einer Urkunde (um 1320)
offidatiis des Landgrafen im Oberfürstenthum {in par-
tibus supermribua*). Die erste Urkunde, durch welche
die hohenfelsische Jurisdiction zu Viermünden bezeugt
wird, ist vom Tage Petri und Pauli 1341, wo Volperts
Wittwe und ihre Söhne Widekind und Graft die Hälfte
ihrer Gerichtsbarkeit zu Viermünden dem Ritter Conrad
von Vierminne, dessen Frau Cunegunde und Schwieger-
vater Ambrosius von Nordenbeck versetzen **). Ferner
sind die Lehnbriefe über die hohenfelsischen Lehen im
Hinterlande und zwar sowohl die nassauischen, wie die
hessischen (über den Zehnten zu Biedenkopf) auf die
drei hohenfelsischen Stämme, dagegen die über die
Lehen in der Eddergegend und über das Gericht Vier-
münden seit dessen Lehnsauftrag (1393) nur auf Volperts
*) Baury Arnsb. Urkk. 308. 309. 484. Kopp, Nachr. von
den geistlichen Gerichten I, Nr. 64 und § 20ü.
**) Nordenbeckisches Transsumptbuch von 1581, Nr. 316.
27
Nachkommen, den Hosekinschen Stamm, ausgestellt*).
Diese letzten Lehen sind also erst später an die von
Hohenfels gekommen, als die Lehen im Hinterlande;
und nach dem Erlöschen des hosekinschen Stammes
wurde Hartmann von Hohenfels zu Niederasphe (1507)
von Nassau mit den „heimgefallenen'' Lehen des hose-
kinschen Stammes belehnt ; es war also eine Belehnung
ex nova gratia**). Endlich als die von Dersch als an-
gebliche Erben und Rechtsnachfolger der Hosekin und
ebenso die beiden übrigen Stämme der Hohenfels die
den von Viermünden 1341 verpfändete Hälfte der Juris-
diction zu Viermünden einlösen wollten, haben ihnen
die von Viermünden dieses Recht bestritten, weil „Grafts
von Hohenfels Geschlecht, von welchem sie diese Hälfte
*) Das hohenfelsische Geschlecht teilt sich schoQ im 13.
Jahrhundert in 3 Stämme ; 1249 werden genannt die Brüder Gura*
peit, Conrad und Eckhard von Hohenfels, sodann Volpert Hosekin,
der Grossvater des adoptierten Volpert, und Sifrid Slimph. lieber
den letzteren meint Schmirlt^ Hess. Gesch. 2, 20, es müsse Rumph
zu lesen sein, weil es kein Geschlecht Slimph gebe, Rumph aber
der Beiname eines hohenfelsischen Zweigs sei. Indessen wird
dieser Zweig, welcher erst seit 1350—1430 nachweisbar im
Breidenbacher Grunde existierte, nicht Rumph sondern Rump ge-
schrieben, jedoch unterschieden von den westphälischen Rump von
der Wenne im Amt Balve, welche mit einem silbernen Sparren
in rotem Felde siegeln und aus welchen Hermann Rump (1499—1501)
hessischer Amtmann zu Frankenberg war. Statt Slimph istSumph
zu schreiben. Der erste Strich des u ist zu 1 verlängert. Die
Sumph, von Sumphe, de palude, waren ein hohenfelsischer Stamm,
der zu Caldern, Warzenbach, Asphe in nächster Nähe der hohen-
felsischen Burgen angesessen war und noch bis in die erste Hälfte
des 14. Jahrhunderts in hohenfelsischen Uikk. (1301, 1308. 1324)
vorkommt. — In den folgenden Jahrhunderten sind die von Hohen-
fels wieder in 3 Stämme geteilt: 1. einen hinterländischen zu
Eckeishausen - Biedenkopf, 2. einen vorderländischen zu Amönau
und Niederasphe, 3. den hosekinischcn zn Viermünden und Dexbach.
**) Nassauischer Lehnbr. vom 7. April 1507 (dat. Mittwochen
p. Pascha), Marb. Staats-Arch.
!i
"':
I
II
28
in Versatz erhalten, todt und diese Ludwig und H art-
mann von Hohenfels nicht Grafts von Hohenfels Erben
seien." Den Gegenbeweis haben beide Stämme von
Hohenfels und die von Dersch nicht zu erbringen ver-
mocht*).
Bezüglich der Zugehörigkeit des Gerichts Vier-
münden zur kesebergischen Vogtei ist bemerkenswert:
1538 wird von fürstlichen Abgeordneten mit Rath und
Gemeinde zu Frankenberg festgestellt, dass die Junker
von Viermund und von Dersch das Recht eines jähr-
lichen Fischzugs auf der Edder haben von der Goss-
brücke bei Frankenberg bis hinab ins Dorf Viermünden.
Dabei findet sich die Randbemerkung: dieser Fischzug
„heisse Gerichtszug"; er war also «ein Pertinenzstück
der Gerichtsbarkeit**). Es hat aber auch das Kloster
Haina schon im 13. Jahrhundert das Recht eines solchen
Fischzugs auf der Edder von derselben Brücke an hinab
bei Viermünden und weiter am Keseberg bis zum Ein-
fluss des Itterbachs in die Edder zu Herzhausen. Das
Kloster kann dieses Recht nur aus der Hand erhalten
haben, welche in älterer Zeit diesen ganzen Land- und
Wasserstrich besass, d. h. von den Vögten von Kese-
berg, welche, wie oben bemerkt, auch die Mühle und
Zehnten zu Butzebach und andere Güter zu Viermünden,
zu Elbirghausen, Oberschreufa und Lindenhain, alles in
demselben Gerichte gelegen, sowie den halben Zehnten
j zu Sachsenberg besassen. Widekind IIL hatte, als er
J (1260 — 1263) dem Kloster Georgenberg die erstgenannten
!
*) Casseler Cauzlei Verhandlung von 1530—1532 im Staats-
Arch. zu Marburg. Promemoria Hermanns von Viermunden vom
11. Juli 1543 im Nordenbeck. Traussumpt.-B. Nr. 326 u. 327.
; **) Frankonberger Stadtarchiv. Auch noch bis in die Gegen-
; ,. wart bildet die Fischerei im Gericht Viermünden ein Zubehör des
I jk dasigen landgräfl. Hofguts, unterhalb desselben ist dieselbe fis-
I 1 kaiisch.
Güter (die, Mühle und Zehnten zu Butzebaeh und ein
Gut zu Viermünden) zuwandte, zwei mündige Söhne Ger-
lach und Heinrich und 1278 werden dann Heinrich
und Siegfried ah ceniuriones von Viermünden genannt*).
Es ist daher anzunehmen, dass der Adoptivvater Wide-
kind V., welcher um 1324 starb, ein Enkel Widekinds
ni. gewesen, die Teilung der Vogtei vor 1260 statt-
gefunden und durch Widekind V. das von ihm besessene
Gericht Viermünden dem hosekin'schen Stamm von
Hohenfels durch die Adoption zugewandt worden sei**).
So reiht sich der Adoptivvater Widekind in die Stamm-
und Zeitreihe ein.
Innerhalb der kesebergischen Vogtei hat es daher
mehrere Gerichte und Malstätten gegeben: Geis mar,
Frankenberg, wo auch, wie schon der Chronist Geilsten-
berger bemerkt, die zur Grafschaft Waldeck, aber noch
zum Dekanate Geismar gehörige Stadt Sachsenberg ihr
Landgericht hatte ***), Viermünden, Löhlbach und
Hof E 1 ch e r s h a u s e n. Das Vorhandensein eines Gerichts
zu Viermünden wird schon 1016 durch Burghard, Bischof
*) cf. S. 21 Note tt ^^- ^- 23 Note *.
**) Ein von dem wittgensteinischen Rath W. George zu
Laasphe dem kaiserlichen Feld marscli all und Gouverneur von
Siebenbürgen und Wallachei Grafen D a m i a n H u g o v o n V i r jn o n t
nach dessen Rückkehr von der Grossbotschaft zu Constantinopel am
18. Februar 1721 zur "Wiedererlangung der viermundischen Lehen
in Hessen erstattetes Eechtsgutachten im Archive zu Wittgenstein
nimmt in seiner historischen Deduction ebenwohl an, dass das
Gericht Viermünden erst im Anfange des 14. Jahrhunderts in die
Hände der von Hohenfels gelangt sei. Selbstverständlich konnten
die von Hohenfels, in welchen ein anderes Geschlecht und zwar
nur über einen Teil der alten Vogtei zur Herrschaft kam und,
nachdem um 1330 selbst im übrigen Teile das Vogteirecht d. h.
die Gerichtsbarkeit an die Landesfüi-sten gelangt war, nicht mehr
den Namen ,. Vögte" führen. Der Geiichtsbarkeit adhärirte und
folgte die Fischerei, wie S. 28 N. ** bemerkt ist.
**♦) Anal. hass. 5, 157.
30
von Worms bezeugt, welcher dem Kloster St. Marien
zu Worms alles, was er zu Fiormanni. Dreisbahc,
Schreufin, Huomersliuson und Orcana in Hessen besass,
gibt mit der Bestimmung, dass die geschenkten Leib-
eigenen jähriich zwei Gerichte (placita legitima) zu
Fiormanni besuchen sollen*). Wenn sonst die alten
Centen mit der kirchlichen Dekanatseinteilung zu-
sammengefallen sind, wie auch im 16. Jahrhundert die
Classeneintheilung sich an die damals bestehenden hes-
sischen Aemter angeschlossen hat**), so ergeben sich
für die zwei Dekanate der kesebergischen Vogtei Geis-
mar und Frankenau 5 Gerichte, was eine Aehnlichkeit
mit dem benachbarten Westphalen, wo das Land mit
Freistühlen bedeckt war, darbietet***).
Volpert von Hohenfels, welcher in seiner ansehn-
Uchen Stellung vielfach in den Urkunden der Land-
*) Batir, Hess. ürkk. 1, 1275.
*♦) TVenel: Hess. L. G. 2, 359 ff.
***) In der kleinen benachbarten Grafschaft Zusehen mit den
Orten W'interberg, Heslwrn, Liesen nnd den Wüstungen Ober-
liesen. Schmiddiughausen, Harfeide, Wernsdorf und Fredelinghausen
gab es deren nicht weniger als 3, zu Medeliach 1, in der Graf-
schaft Münden 3, davon 2 an den Ausgängen des Dorfs Neukirchen,
femer 1 unter der Linde zu Schloss Lichtenfels, 1 zu Fürstenberg,
in der Herrschaft Itter 3, nämlich 1 zu VöliL 1 an der Brücke zu
Itter, 1 auf der Höhe Os.senbühI diesseits der Edder bei Kirchlot-
heim, letzter ein I^hen der Grafen von Battenberg. Da die Frei-
stuhlgerichte zur Erhaltung der Kirche unter dem sächsischen
Stamm und zur Verfolgung von solchen Verbrechen vornehmlich
dienen sollten, welche den Bestand der Kirche gefjihrdetcn : Apo-
stasie. Gotteslästening, Kii-chenraub. Inccst etc., so ist auch die
grossere Zahl von Gerichtsstätten in der schon teilweise von
sachsischer Bevölkerung bewohnten Eddergc*gond, sowie auch das
Vorkommen von Freistühlen erklärlich, von welchen die zu Lich-
tenfels und Fürstenl»erg von den I«indgrafen, bezw. den Grafen
von W'aldeck dependierend galten, während alle übrigen Freistühle
dem Kurfürsten von Cöln untei*stellt waren.
grafen, sowie der Grafen von Waldeck, der Edelherm
von Grafschaft und des deutschen Ordens erschemt,
starb 1335. Nach ihm kommt Gumb rächt von Kese-
berg und nach diesem (f um 1359) sein Bruder Wide-
kind zur Herrschaft, während ihr Bruder Wetze] in
den geistlichen Stand trat und (1340) die fast immer
in Händen des Adels befindliche Pfarrei zu Geismar
erhielt*). Diese drei Brüder wiederholen (1335) den
Verzicht auf die Rechte zu Löhlbach**). Sie bemühen
sich, den wüsten Hof Elchershusen bei Frankenau (1340)
durch die Cisterzienser zu Haina wieder urbar zu machen
und machen dem Kloster Haina deshalbige Anerbie-
tungen, namentlich, dass sie das Gericht nicht von dort
wegnehmen wollen***). Gleichwohl geht es mit dem Wohl-
stande der Vögte rasch abwärts. Wie Amabilia, Volperts
von Hohenfels Wittwe, die Hälfte des Gerichts Vier-
münden (1341), sowie den Zehnten zu Ibenhausen (f)1345
verpfändete, so Gumbracht von Keseberg um dieselbe Zeit
zuerst ein Viertel, dann die Hälfte der Gerichtsbarkeit
zu Geismar an den Landgrafen Heinrich H. und seinen
Sohn Otto. Nach Gumbrachts Tod verpfänden seine
Wittwe, seine 5 Söhne und sein Bruder Widekind VI.,
welcher unvermählt gewesen zu sein scheint, 1369 die
andere Hälfte des Gerichts Geismar „um leiblicher Noth
willen" unter Vorbehalt ihres Hofes, des Kirchsatzes
zu Geismar und ihrer Eigenbehörigen in demselben
Gericht an Erzbischof Gerlach von Mainz für 1080 fl.
und 8 Tornussef).
Indessen auch in den Händen der Landgrafen und
des Erzbischofs hielt sich der erstrebte und erworbene
*) 1321 ist Volport von Borkon, 1355 Johann von Inimig-
hausen Pfarrer.
*♦) Urkunde vom 24. August l3Zb. Kl. Hain. Cop.-B. 15.
***) Urk. vom 4. April 1340. Marbg. St.-A. Kl. Hain. Urkk.
t) ürk. vom 24. April 13()0 (am Tage p. St. Georgii mart.)
Würdtwein^ nova subsidia VU, 320.
32
kesebergisehe Besitz nicht lange. Schon 1348 ver-
pfändet Landgraf Heinrich IL das von Gumbracht von
Keseberg erworbene Vierteil des Gerichts Geismar
nebst seinem eben erbauten Schloss Hessenstein dem
Kloster Haina unter Vorbehalt des Oeffnungsrechtes für
sich für 1882 Pfund Heller und mit der Pflicht für das
Kloster, eine Kemnade darauf zu bauen *), und weil der
Erzbischof das Kaufgeld für seine 1360 erkaufte Hälfte
nicht aufbringen kann, verpfändet er dieselbe schon
1362 wieder für 1094 fl. seinem Amtmann Hermann
von Falkenberg zu Rosenthal**). Ueber den main-
zischen Kauf entstanden abermals Streitigkeiten, über
deren Beilegung 1365 ein Schiedsgericht, bestehend aus
dem Probst Niklas zu St. Victor zu Mainz und dem
Pfarrer Stephan zu Alsfeld, vergeblich verhandelte.
Ersterer sprach für den Erzbischof und beschwert sich,
dass der Landgraf die Neustadt Frankenberg auf main-
zisch-batteribergischem Grund und Eigen erbaut, während
Pfarrer Stephan dem Landgrafen als Ganerben der
Vögte von Keseberg das Vorkaufsrecht der von Mainz
erworbenen Hälfte der Jurisdiction zusprach. Auf Klage
des Erzbischofs wird die Sache sogar bis an den Kaiser
Carl IV. gebracht, der den Landgrafen vorladen Hess,
hernach (1360) die Sache durch Abgesandte entscheiden
lassen wollte***). Nachdem sich beide Teile (1368)
g(^gen die Grafen von Waldeck verbunden, verpfänden
Landgraf Heinrich H. und Hermann (1372) das Schloss
und Stadt Frankenberg und ihr Theil des Gerichts
Geismar an Hermann von Treffurt für Lebenszeit
und 1382 Landgraf Hermann seinen Teil dieses Gerichts,
sowie die Amfmannstelle zu Frankenberg dem Johann
*) We7iefc, U.-B. 2, 368 und Ui-k. vom 26. Mai 1355 (fer.
HI. p. Urbani) Marbg. St.-Arch. Geismar.
**) ürk. vom 18. Mai 1362.
') Wenck, Ü.-B. 2, 425 u. 426. 435.
*+*^
33
von Helfenberg und Johann von Treistjach für
300 Schillinge*). Mainz behielt seine Hälfte bis zur
definitiven Beilegung der Streitigkeiten mit Hessen.
Die Vögte von Keseberg waren mit dem Verkauf
der Jurisdiktion in den Stand des niederen Landadels
herabgesunken und kommen von 1360 bis zu ihrem
Erlöschen im Jahre 1409 kaum noch urkundlich vor.
Ihre Güter im Stift Paderborn waren an westfälische
Kirchen und Klöster (Vesperthe und Gokirchen) über-
gegangen, andere in Hessen ans Kloster Haina, die
Lehen gingen auf ihre Ganerben, die von Hohenfels
zu Viermünden, über. Auf die Kirchlehen in Nieder-
hessen (Simmershausen und Ostheim), . welche ebenwohl
nassauische Lehen waren, verzichtet Johann von Hohen-
fels gegen Landgraf Hermann und lässt ihm dieselben
(1412) als angeblich hessische Lehen der Vögte auf,
gleichwie ei' auch das angeblich allodiale Gericht Vier-
münden 1393 dem Landgrafen aufgetragen und als
Mannlehen zurückempfangen hatte, während mit der
anderen Hälfte dieses Gerichts, „Grafts von Hohenfels
Teil", auf Grafts von Hohenfels Bitte Brosecke von
Viermynne, Conrads Sohn, 1385 vom Grafen Johann
von Nassau belehnt worden war**).
E. e g e s t e n
über die Vögte von Keseberg.
1. 850. Schenkung des Grafen Gozmar an die Kirche
St. Bonifacii zu Fulda. Ego in cki nomine Gox-
*) Wenck, U.-B. 2, 444. Landau, R-B. 3, 17.
**) Wench^ U.-B. 2, 474. 464. Auflassungsschreiben Grafts
von Hohenfels vom 15. Mai 1385 (fer. IT. p. ascens. dorn.) und
Lehnbrief für Brosecke von Vieimyn vom 28. Mai 1385 (dorn, p,
Pentecostes). Wiesbadener St,-A. DiJlenburger Lehnbuch.
N. F. XV. Bd. 3
34
mar trado et dono S, Bcmifado quidquid praprie-
taiis habeo in provinda^ quam Hessi inhabitant in
locis et villis, quae vocantur Äffaltray Oilihha,
Buochela, Fierrnenni et Serotiffiy Mehilina. Sckannat,
Trad. Fuld. 191.
2. 1016, Juni 29. Burkard I., Bischof von Worms,
schenkt ein Gut, gelegen im Lande Hessen zu
Gerbrachteshuson, und alles was er hat zu Fior-
mannin, Ratvereshuson, Dreisbahc, Skroufin, Adel-
hereshuson, Wincthereshuson, Huomereshuson und
Orcana und alle eigenen Leute dem Kloster S.
Marien zu Worms. Die geschenkten Leibeigenen
sollen zu den jährlichen zwei Gerichten in Firaian-
nin kommen {bis in anno ad duo legitima pladta
in Firrnayinin veniant). Anno dom. incarn. mille-
simo XVL m. Kai. Juhi. Baur, Urkk. I, Nr. 1275.
3. 1144. Heinrich de Caseberg und sein Bruder W^alter
sind Zeugen: Erzbischof Heinrich I. von Mainz
beurkundet zu Fritzlar die durch Graf Boppo von
Richenbach geschehene Stiftung des Klosters Aulis-
burg. Ausserdem sind Zeugen : Boppo de Hollenlia
und sein Bruder Graf Gottfried von Wegebach und
Sigebodo von Scowenburch. Anal. hass. IV,340 — 344.
4 a. 1145. Die von Keseberg und Schartenberg u. a.
sind Bundesgenossen und im Solde der vom Abte
Henrich von Corvey belagerten Feste Eresburg.
Schoten^ Ann. Paderb. I, 762.
4b. 1191. Henrich von Cheseberg vergleicht sich mit
Leinfrid Hesso über dessen Ansprüche an Geysmar
nebst Zubehör und tritt sein Erbantheil dem ersteren
ab, worin 1192 vom Erzb. Conrad gewilHgt wird.
Mainzer Archiv.
5. 1196. Henricus de Cheseberg und Graf Arnold
von Schauenburg, als Patrone der Kirche zu Geis-
mar, erteilen Einwilligung, als der Pastor Dithmar
35
daselbst einen Zehnten zu Suinephe superior dem
Kl. Aulisburg verkauft und Erzb. Conrad I. von
Mainz diesen Verkauf bestätigt. Unter den Zeugen
befindet sich Landgraf Hermann von Thüringen,
Godebertus de Diedenshusen u.a. Wenck, U.-B. 2,128.
6. 1214, Mai 11. Graf Henrich von Ziegenhain beur-
kundet aufs neue die von seinen Vorfahren ge-
schehene Stiftung des Klosters Aulisburg und dass
er mit einigen Adligen des Landes, Gottfried von
Hatzfeld, Reinold von Kesenberg und Henrich von
Aldershausen in eigener Person sub habitu peni-
tentiali zu dem in Cisterzium versammelten Capitel
gereist und das Gut Aulisburg dem Orden über-
geben habe unter Verzicht auf alles Eigentums-
und Vogteirecht {omni plomrie jun proprietatis ei
advocaiie abrenundantes). Anal. hass. XL 122.
7. 1215, Juni 3. u. 10. Erzb. Siegfried IL von Mainz
beurkundet in einer bei Fritzlar (3. Juni) ausge-
stellten und bei Würzburg (10. Juni) vollendeten
Urkunde die durch den Grafen Henrich von Ziegen-
hain geschehene Stiftung des Kl. Aulisburg, welches
zur Zeit des Erzb. Heinrich vom Graf Boppo von
Reichenbach und ux. Hertha dem Cisterzienser Orden
übergeben und jetzt deren Enkel, Graf Henrich von
Ziegenhain, der cum quibusdam nobilioribus sue
provincie militibus Godfried von Hatzfeld, Reinold
von Keseberch und Henrich von Aldershusen
sub habitu penitentis nach Cisterzium gereist und
dem versammelten Generalkapitel den Ort ab omni
liberum exactione übergeben und später bei dem
Schlosse Wildenberg vor dem Abte Wilhelm und
zweien Mönchen Wigand, dem Prior, und Dietrich,
sowie vor seinen Ministerialen nebst seiner Frau
und Kindern auf alles Eigentums- und Vogteirecht
verzichtet habe. Die dazu gestifteten Güter sind:
3*
36
der Berg Hadenberg, der Wald Breidenbach, die
villa Lovelbach mit ihren Zubehömngen Vohelin,
Holzhaosen, Holzheim, der Wald Bemscheit, sodann
Hadelogehnsen mit Hagen und dessen Zehnten,
Oberhegene mit dem Zehnten, Vierminne, Ober-
suinphe mit dem Zehnten, Geismar, die Allodien
zn Obersuinphe, Cuningshusen mit dem Zehnten,
ünterhegene und Einvirst (Quemst), ein Gut in
Monhusen, eins zu Riederin, Ronde, Rambsbach,
Rengershausen, Flandrin mit dem Zehnten, Sengel-
scheit mit dem Zehnten, Huwele (Haubern) mit
dem Zehnten und den Hain-, Langel-, Wag-, Linden-
und Guntershäuser Mühlen. Anal. hass. IV, 347 — 355.
XI, 124—130. Gilden, Cod. dipl. I, 432.
8. 1215. Reinold, weil. Vogt von Keseberg, übergibt
dem Kl. Haina bei seinem Eintritt in dasselbe einen
Hof zu Adikeshusen (Eikshausen). Hess. Zeitschr. 3,48.
9. 1220. Graf Hermann von Battenberg bestätigt den
Verkauf einiger Güter zu Ellershausen an das Kl.
Haina, welche der Ritter Hermann Cuele von Kaese-
berg vom Grafen zu Lehen gehabt, (quaedam pars
comicie, nämlich dominium stiper quosdam liberos)
nun aber durch dessen Tod heimgefallen waren.
(Da unter diesen Leuten zwei ihr Patrimonium zu
E. hätten, so habe das Kloster dem einen Rudolf
seinen Anteil mit 3^2 Mk. abgekauft, der andere
Hartrad sei ins Kloster getreten, dem Grafen aber
für seine Zustimmung 3 Pfd. Silbers bezahlt.) Kopp^
Nachr. von den geistl. etc. Gerichten I, Beil. 69.
9a. 1231. Der Abt Wigand von Haina beurkundet, dass
vor ihm der edle Widekind, Vogt von Keseberg auf
das Obereigentum an einigen Erbgütern zu Gisdorf,
w^elche sein Lehnsmann Ulrich von Westheim dem
Kl. Bredelar für 100 Mk verkauft, zu Gunsten des
Klosters verzichtet habe. Zeugen: die Ritter An-
37
dreas von Durslo, Alrad mit dem Fusse, Anton von
Goddelsheim, Ulrich von Westheim. WilmmiSy westf.
Ü.-B. 4, 210.
10. 1233, Nov. 25. Landgraf Conrad von Thüringen
vergleicht sich mit den Grafen Gottfried und Ber-
told von Ziegenhain; letztere treten die Schlösser
Reichenbach und Keseberg an ersteren gegen
dessen Verzicht auf Staufenberg und Treisa ab.
Wemk, U.-B. 2, 151.
11. 1234, April 9. Graf Werner von Wittgenstein tritt
dem Erzb. Siegfried von Mainz die Hälfte der Stadt
und Schlösser Battenberg und Kellerberg und der
zugehörigen Grafschaft ab und verspricht seines
Bruders Hermann Wittwe und Töchter zu gleichem
Verzicht zu bewegen. Bürgen : S. von Bietenveit
und G. fratres de Dietenshusen. We)wk, Ü.-B. 2, 151.
IIa. 1234. Widekind, Vogt, Otto und Conrad,
Brüder von Keseberch, treten dem Pfarrer zu Ves-
perthe (f bei Marsberg) das Obereigentum eines
von ihnen lehnrührigen Gutes ab, welches dieser
vom Lehnsträger gekauft. Siegler: die Verkäufer,
Abt Wigand von Haina, Dekan G. von Kesterburg ;
Zeugen : Hermann, Prior zu Haina, Hermann, Propst
zu Berich, die Pfarrer Ekbert zu Geismar, Job.
von Eieren, Herdegeverus (!), Vogt zu Röddenau,
Ritter Gerhard von Orke. WümattSj U.-B. 4, 233.
IIb. 1237. Abt Hermann von Hasungen beurkundet,
dass Vogt Widekind und sein Bruder Otto, Edle
von Keseberg, nebst ihren Miterben Dietrich Wolf
von Gudenberg und dessen Söhnen Dietrich, Her-
mann und Conrad, sowie seinem Schwiegersohn
Albert von Schartenberg auf ein Gut zu Vespertlie
vor ihm, dem Pfarrer Ekbert zu Geismar u. a. zu
Gunsten des Kl. Gokirchen verzichtet habe. Zeugen :
Conrad und Gumpert, Brüder von Honfels, Joh.
38
von Helfenberg, Sybodo von Lilienberg. D. Scharten-
berg, 1237. Wihmm, U.-B. 4, 262.
12. 1238, Juli 20. Das Erzstift Mainz (Siegfried) ver-
pflichtet sich dem Grafen Siegfried von Battenberg
nnd seinen Brüdern Widekind II. und Werner II.
das Kaufgeld für die Hälfte der Stadt und Schlösser
Battenberg und Kellerberg und der zugehörigen
Grafschaft Stift in drei Raten in 16 wöchentlichen
Zwischenräumen mit je 200 Mk. zu zahlen und
stellt Bürgen. Zu dieser Grafschaft gehören die
Centen Hartenfeld, Ruttene, Hentreffe, Treysa. Iste
cenie qicatuor sunt omnino libere, ferner die Centen:
Geismar und Fromelskirch, in welchen erbliche
Centgrafen und das Recht des Grafen ganz frei sei;
endlich die Centen: Lixfeld, Dudusse, Wetter und
Lasphe: in Ulis ultimis Lantgravitis tollit otnnem
jnstiiiam riolenter. Gleichzeitig werden die freien
Leute zu Wanegelhusen zur Hälfte dem Erzbischof
zu Teil. Gilden. Cod. dipl. I, 547 ff. Kopp, Nachr.
von den geistl. etc. Ger. I, S. 243.
13. 1238, Juli 21. Graf Sifrid von Widegenstein und
seine obigen Brüder beurkunden, dass sie die Hälfte
ihrer Schlösser Battenberg und Keseberg und der
dazwischen liegenden Stadt und der Grafschaft
Stift, welche vom Schloss Battenberg abwärts liegt
{deorsiim jacenUs\ mit ihren Zubehörungen dem
Erzb. Siegfried III. und Stift Mainz für 600 Mk.
verkauft, deren Zahlungstermin, sowie die Grenzen
der Grafschaft in anderen Urkk. bestimmt sind.
Die Grafen wollen freie Vasallen des Erzstifts sein
und demselben gegen jedermann, das Reich aus-
genommen, dienen. Gnden. Cod. d. II, 54.
14. 1240. Erzb. Siegfried III. von Mainz beurkundet zu
Geismar, dass die Edlen von Reichenbach die Dörfer
Aulisburg und Löhlbach von Anfang an von jeder
39
Gerichtsbarkeit der umliegenden Grafschaft freige-
halten, ausser dem Falle eines Todschlags, welchen
der ordentliche Richter behandeln sollte {iudex Or-
dinarius illam traciare deberet\ dass aber nach-
gehends Widekind und Otto, Gebrüder, von Kese-
berg, genannt Vögte, welche diese Orte vor ihr
Gericht hätten ziehen wollen, pro eo qiiod adjacentis
vicinie cenhiriones essent ordifiariiy nach deshalbiger
Widerlegung ihrer Ansprüche sich der beanspruchten
Civilgerichtsbarkeit für sich und ihre ganze Nach-
kommenschaft {tota eonim successio) begeben hätten.
Für den Fall des Todschlags soll dem Richter
jährlich 1 Malter Hafer und dem Gerichtsschreier
die Hälfte gegeben werden. Zeugen: Conrad und
Hermann, Gebrüder, von Itter, Henrich von Otters-
hausen, Werner von Bischofshausen, Eckhard Zwei-
fleisch, Anton von Goddelsheim, Anton von Erben-
hausen, Ritter. Kopp^ a. a. 0. Beil. 70.
15. 1240. Widekind und Otto, Brüder, Vögte von Kese-
berg verzichten auf den von den Grafen von Ziegen-
hain lehnrührigen und den Brüdern Ludwig, Hel-
wig, Conrad und Wigand von Siegern verafter-
lehnten Zehnten zu Löhlbach und Suinphe zu
Gunsten des Kl. Haina zu Fritzlar bei der Wasser-
brücke, nachdem Conrad und Wigand ins Kloster
getreten und ihre Hälfte dieses Zehntens nebst
allem Eigentum der Ku'che übertragen, und die
beiden anderen Brüder für ihre Hälfte eine Geld-
summe und tauschweise ein Gut in Eckensdorf er-
halten und darauf vor den Vögten verzichtet und
letztere 3 Mk. vom Kloster erhalten und die Brüder
ihnen dieses Gut aufgetragen. Hess. Zeitschr. 3,
59. Undatiert.
16. 1240 — 1245. Otto, Vogt von Keseberg und seines
Bruders Widekind Söhne widersprechen, als Gerlach
40
von Arfeld seine Güter zu Howilre (Haubern) dem
Kl. Haina verkauft, weil Gerlachs Vater Dietmar
diese Güter dem Herrn Henrich, dem alten Vogte
von Keseberg, Ottos Vater, zum Eigentum wegen
eines Schadens gegeben und sie zum Lehen wieder
empfangen hatte. Doch verhandelte Gerlach mit
Otto und dessen Neffen, bis sie endlich auf ihr
Recht verzichteten. Hess. Zeitschr. 3, 80. Undatiert.
17. 1245. Reinhard von Itter und Werner von Bischofs-
hausen beurkunden, dass sie als Schiedsrichter
gegen die Ansprüche des Vogts Henrich von Kese-
berg auf die Civilgerichtsbarkeit zu Aulisburg und
Löhlbach auf einem Tage zu Geismar entschieden
haben, dass diese Dörfer von der Gerichtsbarkeit
der umliegenden Comitie eximiert sein sollen, ausser
im Falle des Todschlags, wofür dem Gerichtsherrn
jährlich 1 Malter Hafer, dem Gerichtsdiener die
Hälfte gegeben werden soll, wie es gegen seinen
sei. Vater, Herrn Widekind und dessen Bruder Otto
festgesetzt worden. Abt und Convent zahlten nach
dem Rate der Schiedsrichter den Klägern Heinrich,
Widekind, Gerlach und Widekind für die künftige
Freilassung überhaupt 1 Mk., dass sie der Kirche
die Freiheit in diesen Orten bewahrten. Kopp^ hist.
Nachr. von den Herrn von Itter, Beil. 21. cf. Urkk.
von 1260. 1265. 1278. 1280. 1326. 1335.
18a. 1247. April 2. Sophie, Tochter des Grafen Fried-
rich von Wildungen und Wittwe ,'des Burggrafen
Burkard von Magdeburg, tritt die ihr durch Erb-
recht zugefallenen Rechte auf die Schlösser Wil-
dungen und Keseberg und alle anderen Burgen und
Städte nebst Zubehör in Hessen und Umgegend,
welche ihr verstorbener Gemal g^^^n ihre Zu-
stimmung {de facto^ cum de jure non posset) dem
Landgraf Ludwig von Thüringen verkauft und dessen
41
Brüder nach ihm trotz Sophiens Widerspruch in
Besitz genommen und zurückzugeben verweigert
hätten, weil sie sich zur Durchführung ihrer Rechte
ausser Stande sieht, dem Erzstift Mainz ab. Gitdeii.
Cod. d. I, 600.
18b. 1247, Nov. 21. Graf Widekind von Battenberg
und Reinhard, Herr zu Itter, vergleichen die Vögte
Heinrich, Widekind und Gerlach von Cheseberg mit
Heinrich Hessen von DifFenbach und dessen Söhnen
wegen der Ansprüche an Gütern, welche Leinfried
Diffenbach zu Brachta, Eilikenhusen und Mengeris-
husen besessen. Dat. Geismarie in vig. S. Cecilie
1247. Gnipen, Beitr. 49.
19. 1249, Okt. 11. Alheydis, gen. Vögtin von Kese-
berg {dicia advocatissa de Keseberg) verkauft cum
plenario consens^i puerorum suorum Hobüimn, näm-
lich Heinrichs, Widekinds, Gerlachs, Widekinds ein
Gut (mansus) in Geismar, am Ende des Dorfs gegen
Westen gelegen, dem Kl. Georgenberg bei Franken-
berg für 7 Mk. und lässt auf Verlangen des Pastors
S. zu Geismar ihre Söhne diesen Verkauf und
üebertragung bei dem Edderflusse zwischen der
Stadt Frankenberg und der Brücke genehmigen.
Acta sunt a. d. m** cc° xlix** die Justi et Archemii
martyrum. Zeugen: Godfrid, Graf von Richenbach,
Rudolf von Helfenberg, Johannes von Hergorshusen,
Reinbodo, advocatus (von Bottendorf), Volpert von
Beringersdorf, Gerlach von Arevelde, Gerlach Ba-
schard, Henrich Kirchwedel, Henrich Sledere, Sifrid
Rephane. Siegel: Stadt Frankenberg. Mbg. St.-A.
Kl. Hain. Ürkk. Kopp, geistl. Ger. Beil. 71.
20. 1254, Juni 1. Widekind, Vogt von Keseberg, ver-
zichtet als Patron der Kirche zu Geismar auf seine
Rechte an die davon abhängige Kapelle zu Franken-
berg zu Gunsten des Kl. Georgenberg (in honorem
42
S. Georgii martyris). Ziöugen: Rudolf von Helfen-
berg, G. de Bidenveld, Ritter, Henrich Soys, H.
Friling, SchefFen. Dat. a. d. m^ cc° liiii^ Kai. Junii.
Das Siegel Widekinds dreieckig mit der Um-
schrift: S. WIDEKINDI ADVOCATI DE KESEBERC
hat zwei linksschreitende Löwen übereinander mit
aufgerichteten Schweifen. Mbg. St.-A. Kl. Georgen-
berg. Kopp, geistl. etc. Ger. Beil. 72.
21. 1260, Januar 7. Widekind von K. verzichtet in
einem durch die Landgräfin Sophie aufgerichteten
Vergleich gegen das Kl. Haina auf den Zehnten zu
Eschebruch und Hittelendorf und auf seine An-
sprüche gegen Reinbold van Dodenhausen, verspricht
für den dem Dorfe Löhlbach zugefügten Brand-
schaden Zeit Lebens das Beste des Kl. Haina zu
fördern und erlässt für 5 Jahre den geschädigten
Leuten zu Löhlbach die Hafer, welche er jährlich,
1 Fritzlarer Malter, zu erheben hat. Marbg. St.-A.
Kl. Hain. Urkk. Im Hain. Cop.-Buch falsch datiert.
Kopp, a. a. 0. S. 304 ff.
22. 1261. Widekind, Vogt von Ceseberc, verzichtet
gegen das Kl. Georgenberg auf seine Rechte an
der Mühle zu Bucebach gelegen und überträgt die-
selbe gänzlich dem Kloster. Zeugen: Rudolf von
Helfenberc, S. von Bidenveld, Ritter, H. Friling,
H. gen. Sledere, H. Soys, Scheffen. Datum apud
Frankenberc a. dom. m° cc" Ixi** Das Siegel ist
das der ürk. von 1254. Mbg. St.-A. Kl. Georgenberg.
23. 1263. Widekind, Vogt von Geseberg, verkauft mit Zu-
stimmung seiner Söhne Gerlach und Heinrich, Güter
zu Vierminnen dem Kl. Georgenberg für 14 Talente
Pfennige. Zeugen: R. (Rudolf) von Helfenberg,
Sifrid von Bidenveld, Volpert von Bern . . . (ingers-
dorf). Gleichzeitig übergibt Sifrid von Lotheim
(d. i. S. von Bidenfeld) seinen Zehnten zu Albers-
43
hausen. Zeugen: Wigand und Sifrid, Brüder, Ba-
schard, Ditmar Hucke *), Ritter, und der Pleban zu
Bozebach. Die Urkunde ist ohne Jahrzahl, das
Siegel abgefallen. Mbg. St.-A. Kl. Georgenberg.
24. 1263, Sept. 11. Vertrag von Langsdorf zwischen
Landgr. Heinrich I. und Erzb. Werner von Mainz.
Letzterer tritt die Städte und Schlösser Grünberg
und Frankenberg mit ihren Zubehörungen an Landgr.
Heinrich als mainzische Lehen mit Vorbehalt des
Heimfalls ans Erzstift bei kinderlosem Sterbfall ab.
Guden, Cod. d. I, 702—708.
25. 1264, März 13. Gerlach, Vogt von Keseberg, ist
neben Gerlach von Bidenfeld Zeuge: Arnold Huhn
verkauft seinen Zehntanteil zu Schmittlotheim an
das Kl. Haina. Act. Franckenberg in domo Ludo-
vici de Versa, a. d. m° cc° lxiiii° crast. Greg, pap,
Baur, hess. ürkk. 1, 88. Kl. Hain. Cop.-B. 447.
26. 1265, Sept. 11. Gerlach, Vogt von Keseberg, ver-
zichtet auf die Gerichtsbarkeit zu Löhlbach und
Aulisburg, doch vorbehaltlich der peinlichen Gerichts-
barkeit, zu Gunsten des Kl. Haina und bestätigt
diese Urkunde am 8. Nov. 1265 auf einem Tage
zu Schloss Hohenfels, nachdem diese Sache in der
dasigen Capelle sorgfältig erwogen war ;Und sich
ergeben hat, dass das Kloster seit seiner Gründung
von der Gerichtsbarkeit der umliegenden Comitie
befreit gewesen. Siegler sind: Gumpert von Hohen-
fels, Volpert Hosekin, Henrich Hucke; Zeugen:
Conrad, Pfarrer zu Biedenkopf, Eckhard Pfarrer zu
Buchenau und seine Brüder Conrad und Eckhard
von Hohenfels, Graft und Peter, Brüder von Buche-
nau, Gerlach von Breidenbach, Conrad von Michel-
bach, Canonikus zu Wetter und Fritzlar. Datum
*) Die Hucke waren ein zu Adorf in Waldeck angesessenes
Geschlecht. Hans Hucke, Vater und Sohn, 1394—1468.
44
in die Proti et Hyacinthi und dominica ante fest.
Martini. Mbg. St.-A. Kl. Hain. Urkk. u. Cop.-B.
8. Weiick, U.-B. 2, 200.
27. 1275. Dez. 1. Gerlach, Vogt von Keseberg, ist
nebst 11 anderen Rittern, darunter Gerlach und
Volpert von Viermynne etc. Schiedsrichter in einem
Streite des Kl. Haina mit den Brüdern Roding von
Bottendorf über den Zehnten zu Bringhausen. Kl.
Hain. Cop.-B. 412.
28. 1277, Juni 29. Landgr. Heinrich I. übergibt dem
Kl. Haina montein castri sid in Keseberg in supe-
riore et inferiore parte, nee tion terminos antiqua'
rimi civitatum ibidem adjacentiiim et qiddquid juris
in illo monte Imbuerat, Dat. in Castro Grunetiberg
in die Apostolontm Petri et Pauli. Wenck^ U.-B.
2, 211.
29. 1278, Sept. 27. Widekind, Vogt, genannt von Kese-
berg und seine Frau Lucardis und ihre Kinder Si-
frid, Agnes, Adelheid, Ida und Ermgardt verzichten
gegen das Kl. Haina auf das Gericht zu Löhlbach
und Aulisburg, auf die Zehnten zu Löhlbach, Königs-
hausen, Geilingen und Eschebruch und die Mühle
zu Lotheim und empfangen dagegen tauschweise
eine Mühle im Wog, IV2 Mk. im Dorfe Orke, V2
Mk. in Gütern in Allendorf, ^'2 Mk. in Westhofen
. und Hustene, 5 Schill, in Iberhausen, ehemals von
seiner Mutter geschenkte Güter in Walchen. Es
siegeln: Widekind von Keseberg, Widekind, Graf
von Battenberg, die Städte Battenberg und Franken-
berg. Zeugen sind: Henricus et Sifridus, centu-
riones de Virmynne, Gerlach von Diedenshusen,
Henrich von Ders, Volpert von Berckhove, Ritter,
Conrad von Gerhartinchusen, Henrich von Linden-
bornen, Conr. von Eppe, Edelknechte und Burg-
männer. Dat. Battenberg in die Cosmae et Da-
45
miani. Kl. Hain. Urkk. u. Cop.-B. 9. Wenck,
U.-B. 2, 211.
30. 1280, Sept. 13. Widekind, Vogt von Keseberg und
seine obengenannten Kinder bestätigen und wieder-
holen den vorigen Verzicht und Tausch in einer zu
Hallenberg ausgestellten, von den Städten Hallen-
berg und Frankenberg besiegelten und vom Probst
Gebhard zu Frankenberg und Richter Herbord be-
zeugten Urkunde in vigilia crucis exalt. Marbg.
St.-A. Kl. Hain. Urkk. u. Cop.-B. 10.
31. 1279, Febr. 15. Widekind, Vogt von Keseberg und
seine Frau Lucardis und alle ihre Kinder verzichten
gegen das Kl. Haina auf 4 Schillinge Einkünfte zu
Hustene und erhalten dafür 8 Schillinge zu Brun-
stadt. Datum Aschermittwoch. Marbg. St.-A. Kl.
Hain. Urkk. u. Cop.-B. 334.
32. 1293, Jan. 31. Hedwig, Wittwe des Vogt Gerlach
von Keseberg, ihr Sohn Gerlach und Töchter Al-
heyd und Sophie und Alheids Mann Conrad von
Thucilenberg (Thodelenberg) verkaufen dem Kl.
Haina alle ihre Güter zu Schmittlotheim mit Höfen
nämlich Eschebruch und Eyselbach. Kl. Hain. Cop.-
B. 453. Baur, Urkk. 1, 201.
33. 1299. Dez. 26. Henrich und Emycho, Grafen von
Nassau, Brüder, geben den Zehnten, gelegen zu
Beltersdorf, welchen Gerlach, Vogt von K., von ihnen
zu Lehen gehabt und ihnen resigniert hat, dem Kl.
Georgenberg. Zeugen: Widekind und Wernher,
Brüder, Grafen von W^ittgenstein, Henrich, Herr von
Itter,Eckhard von Helfenberg, Heidenreich Schönholz,
Ritter,^ Conrad und Gerhard, Brüder von Bicken,
Knappen. Datum 1300 VH. Kai. Januarii. Marb.
St.-A. Kl. Georgenberg.
Von diesem Zehnten handeln noch folgende vier
Urkunden :
46
S4. 1305, Nov. 24. Gerlach, Knappe, Vogt von Kese-
berg, verzichtet auf sein Recht an die 5 Teile des
Zehnten zu Beltersdorf gegen das Kl. Georgenberg.
Zeugen: Herr Heinemann von Itter, Eckhard von
Helfenberg, Ritter, Ospert, Eckehard Wigand von
Munichusen, Henr. Dulcis (Süss). Gerlach von Kese-
berg siegelt mit zwei rechts schreitenden Löwen,
umgekehrt wie Urk. 1254. Dat. feria quarta ante
fest, beate Katrine.
35. 1305, Nov. 24. Aebtissin und Convent des Kl.
Georgenberg bekennen, dass sie den Vogt Gerlach
von Keseberg an den 3 Teilen des Zehnten zu
Beltersdorf in keiner Weise hindern wollen.
36. 1305, Nov. 26. Volpert, gen. von Engere, Wappener,
und ux. Aba verkaufen dem Kl. Georgenberg erblich
ihren 8. Teil des Zehnten zu Beltersdorf. Zeugen:
Ludw. von Monichusen, proconsul, Klinkhardt, Joh.
Soyz. Siegler: Stadt Frankenberg. Dat. in cra-
stino beate Katrine.
37. 1321, Febr. 13. Gerlach, Vogt von Keseberg, Ritter,
und ux. Gertrudis und alle ihre Kinder und Erben
verzichten auf alles Recht am Zehnten zu Belters-
dorf, welchen er bisher zu Lehen gehabt, gegen die
Grafen Henrich und Emycho von Nassau zu Gunsten
des Klosters. Zeugen: Conrad von Linne, Ritter,
Volpert von Borkene, Pleban zu Geismar, Syfrid
von Hachen, Renherus Nymes, Volpert von Linden-
burne. Wappener, Ludwig, Ospert, Eckhard, gen.
von Munichhusen. Siegler: Stadt Frankenberg.
Dat. a. d. m° ccc*^ xxi** idus februarii. Das Kese-
bergische Siegel ist das von 1305. ibid. —
38. 1305, Jan. 18. Sifrid de Nyderndorf und seine Frau
und Kinder verkaufen dem Kl. Haina alle ihre
Güter zu Berngersdorf mit Höfen und allem Zu-
behör nebsi; der Wüstung Hermannsgrube. Zeugen:
47
Herr Volpert von Borken, Pleban zu Geismar, Thile-
man puUus (Huhn), Knappe, Ludwig von Munichusen,
Bürgermeister zu Frankenberg, Ditmar genannt
Bezeberc, Job. Soyz, Eberhard von Munichusen.
Henrich von Rudene, Scheffen, Volpert von Brunig-
husen, Hermann von Leysen, Bürger daselbst.
Siegler: Stadt Frankenberg. Dat. a. d. m** ccc**
quinto XV. Kai. Febr. Mbg. St.-A. Kl. Hain. Urkk.
39. 1305. März 19. Sifrid de Nydemdorf und seine
Frau Elisabeth und ihre Töchter Cunegunde, Isen-
trud, Mechtilde, Gertrude, Elisabeth und Jutta und
Elisabeths Mann Ludolf von Odorf (Adorf oder Udorf)
verkaufen dem Kl. Haina 8 Acker zu Berngersdorf.
Zeugen : Ludwig von Munichusen, Bürgermeister zu
Frankenberg, Joh. Syz, Eberhard und Hospert von
Munichusen, Scheffen, Henrich von Itter, Bürger zu
Frankenberg. Dat. a. dorn. m° ccc° quinto. XIIIL Kai.
Aprilis. Mbg. St.-A. Kl. Hain. Urkk. u. Cop.-B. 329.
40. 1306, Mai 30. Henrich von Lilienberg, Knappe,
erteilt Consens, dass der Knappe Sifried von Geis-
mar die Hälfte und den 8. Teil des Zehnten zu
Bonland, den derselbe von ihm zu Lehen trägt,
dem Kl. Haina verkauft. Dat. fer. IL p. ürbani,
Kl. Hain. Cop.-B. 347 u. 348. Kopp, Lehnproben
2, 360. Itter Beil. Nr. 42.
41. 1308. Im August. Henrich, Graf von Nassau, ge-
nehmigt als Oberlehnsherr den vorstehenden Verkauf
des Knappen Syfrid von Geismar, der von Henrich
von Lilienberg zu Afterlehn habenden Lehnsstücke.
Mit einem Reitersiegel des Grafen. Dat. a. d. m** ccc
octavo. Mbg. St.-A. Kl. Hain. Urkk.
42. 1315, März 7. Gerlach, Vogt von Geismar, mili-
taris, und ux. Gertrudis verkaufen dem Kl. Haina
8 Malter Hafer, welche ihnen als Gerichtsherren
(nomine judidi nostri) von den Wüstungen Ronic-
48
husen, Langelenhayn und Sylbach fallen, und ent-
sagen den Ansprüchen auf 6 von Ronichusen fal-
lende Hühner zu Gunsten des Klosters. Dat. nonas
Martii. Kl. Hain. Cop.-B. 329.
Ueber die Güter dieser wüsten Orte liegt noch
folgende Urkunde vor:
43. 1298, April 13. Johann, Stiefsohn des Ritters Jo-
hann von Ryn, verzichtet gegen des Kl. Haina auf
Ansprüche auf den Zehnten zu Elgershusen, Ro-
nichusen, Lengelenhain, Espehe und Silbach und
auf etliche Güter zu Ronichusen, welche vordem dem
Arnold Munch gehört, sowie auf die Güter des
Arnold Rephane. Zeugen : die Pfarrer Gerhard zu
Sachsenberg und Sifrid zu Viermünden, ferner Eber-
hard von Viermynne, Wernicho von Forstenberg,
Ludolf und Heinemann, Brüder, von Dorfeide, Elrich
und Riwin, Brüder, von Ense, Henrich und Die-
trich, Brüder, von Eppehe, Gottfried von Luterbach.
Siegler: Henrich von Itter, die Städte Sachsenberg
und Frankenberg. Anal. hass. 11, 171.
44. 1322, 23. Juli. Syfrid von Keseberg, nobilis advo-
catus, belehnt mit Gütern und Zehnten zu Gernde-
husen und Holzhusen, welche Hartmud und Sifrid
Brüder, von Hachen zu Lehen getragen, mit deren
Zustimmung des ersteren Frau Ermentrud. Zeuge:
Conrad von Treisbach, Ritter. Mbg. St.-A. Cell.
299 a.
45. 1325, 15. März. Volpert von Hohenfels und seine
Erben, welche von Wydekind, Vogt von Keseberg,
adoptiert worden, belehnen mit den dadurch er-
haltenen Lehen zu Wesende {jure adopiionis ad,
nos a dmnino WydekindOj advocaio de Keseberg,
devohäa) die Irmentrud, Wittwe des Dietmar von
Hondesdorf, sowie die Kinder ihrer verstorbenen
Tochter Hedwig, nämlich Dietmar, Mechtilde, Irmen-
49
trade und Kunegunde. Kopp, Lehnproben 2, 301
und 355.
49. 1324—1326. Goswin Scharre und ux. Mechthildis
übergeben zum Heile ihrer Seelen mit Zustimmung
Sifrids, Vogt von Keseberg, und Volperts von Hohen-
fels als Lehnsherrn ihren vierten Teil des Zehnten
zu Haubern dem Kl. Haina. Die Urkunde ist ohne
Jahr und Datum. Kl. Hain. Cop.-B. 357.
50. 1326, 12. Dez. Volpert von Hohenfels, Ritter, und
ux. Manilia, Tochter weiland Widekinds, Vogt von
Keseberg, Ritters, verzichten gegen das Kl. Haina
auf die Gerichtsbarkeit und Zehnten zu Löhlbach
und Zubehör, nämlich Küningshusen, Singenthai,
Geilingen, Hof Elchershusen, den Zehnten zu Esche-
bruch und die Mühle zu Lotheim unter Kraftlos-
erklärung etwaiger gegenteiliger Briefe zwischen
dem Kloster und Widekind. Zeugen : Helwig, vor-
dem Pfarrer zu Wohra, Graft von Hohenfels, Knappe.
Siegler: Volpert von Hohenfels und die Stadt
Frankenberg. Dat. a. dom. m** ccc** xxvi** H. idus
decemb. Mbg. St.-A. Kl. Hain. Urkk. Cop.-B. 621.
51. 1335, 24. Aug. Gumpertus, Wessolus und Wide-
kind, Brüder, Söhne des weiland Ritters Gerlach,
genannt Vogt von Geismar, beurkunden, dass sie
keine Gerichtsbarkeit zu Löhlbach mehr haben, zu
Gunsten des Kl. Haina. Kl. Hain. Cop.-B. 15.
52. 1340, April 4. Gumprath, Vogt, Ritter, und Wide-
1 kind, Gebrüder, und Gertrudis, Gumbrachts ehel.
Wirtin, versprechen dem Kl. Haina, dass, wenn
dasselbe den in ihrem "Gerichte gelegenen Hof
Elchershusen, welcher eigentlich der Herren von
Haina ist, zu einem Dorfe machen würde, sie das
dasige Gericht nicht von dort verlegen wollten.
Die neuen Ansiedler sollen von jedem Pflug mit 4
Pferden jährlich 9 Schillinge und 1 Scheffel Hafer,
N. F. XV. Bd. 4
50
die Köthner 2 Schill, und 1 Simmer Hafer geben
und „drei ungebotene Ding" zu Geismar besuchen,
es wäre denn dass die Besitzer ein Verbrechen be-
gehen würden. Zeugen: Herr Wetzel, Pfarrer zu
Geismar, Heinr. Ospratb, Bürgermeister zu Franken-
berg, Sifrid Vriling und seine Söhne Johann und
Wicher, Hermann von Kassele, Henrich von Monic-
husen, Henrich Soyz. Dat. a. dom. m** ccc** xl° feria
III. proxima post Judica. Mbg. St.-A. Kl. Hain. ürkk.
53. 1340, Mai 3. Gumpertus, advocatus, Ritter, dictus
de Keseberg, besiegelt eine Urkunde des Henrich
von Munichusen, Sohn weil. Osperts, und ux. Al-
heydis und Henrichs von Munichusen, Sohn Wigands,
welche dem Kl. Haina das zur Mühle im Woge
gehörige Waldrecht übergeben. Dat. a. d. mille-
simo trecentesimo quadragesimo circa inventionem
sancte crucis. Siegel Gumperts von Keseberg : zwei
rechtsschreitende Löwen. Die von Monichusen
siegeln mit einem langbärtigen links gerichteten
Mönchskopf in Kutte, ibid.
54. 1340, Dez. 21. Gumpracht, Ritter, genannt von
Keseberg, Vogt zu Geysmar und Volpracht Ruding,
Wappener, nehmen Elisabeth, Conrad Nynnzes, ihres
Neffen, eheliche Hausfrau, und Fygen (Sophie),
deren Tochter, in die ihnen von ihrer Muhme von
Netze zugestorbenen Lehen an Bruder und m Bruder
Statt an und soll dieselbe diese Lehen mit ihnen
ruhig besitzen. Zeugen: Joh. von Bydenfeld, Otte
Winter, Fratz, Conrad von Aldendorf, Burgmänner
zu Rosenthal. Datam in die beati thome apostoli.
Volp. Ruding siegelt mit einem quergeteilten Schild,
in dessen unterem Teil sich 3 Morgensterne (2.1)
befinden. Mbg. St.-A.
55. 1341, Juni 28. Widekind und Graft von Hohenfels,
Brüder und Knappen, verkaufen, mit Zustimmung
51
•
ihrer Mutter Amabilia und Widekinds Frau Catha-
rina, dem Ritter Conrad von Virmynne und seiner
Frau (uxori desponsatae „betruweten Frowe") Cune-
gunde und dem Knappen Ambrosius von Norden-
beck das halbe Gericht Viermünden {medietatefn
jurisdiciionis vel judieii) mit allen seinen Zube-
hörungen auf einen Wiederkauf für sich oder ihre
Erben für 30 Mk. corbach. Pfennige. Zeugen:
Conrad von Diedenshausen, und Hermann von Ryen,
Ritter; Siegler: Widekind und Craft von Hohenfels,
Brüder, deren Mutter Amabilia, Conrad von Diedens-
hausen, sawie Craft von Hohenfels, Vaters Bruder
(patruus) der Verkäufer. Dat. in Vigilia beatorum
Apost. Petri et Pauli. Nur in Copien. Norden-
beckisches Transsumptbuch von 1581 Nr. 316 (lat.).
Wiesbadener St.-A. (deutsch.)
56a. 1345, Jan. 21. Amabilia, Edelfrau von Hoinfels,
und ihre Söhne Wydekind und Craft, verkaufen
ihren Zehnten zu Ybinhusen (Iberhausen) für 220
Mk. köln. Pfge. dem Bürger Rud. Wypracht zu
Frankenberg zu rechtem Lehen. Alle drei, sowie
ihr Vetter Craft von Hoinfels, Ritter, siegeln, die
drei Hohenfels mit Adlerflügeln, Amabilia mitkleinem
nindem Siegel, in dessen dreieckigem Schild sich
ein rechtsum aufgerichteter gekrönter Löwe be-
findet, der Rand mit Umschrift ist teilweise zer-
bröckelt und unleserlich. Wyss^ U.-B. 2, 778.
56b. 1347, Nov. 11. Vergleich zwischen Heynemann von
Itter und seinem Bruder Adolf einerseits und dem
Landgr. Heinrich II. und dessen Sohn Otto anderer-
seits über die Erbauung des Schlosses Hessenstein.
Kopp, bist. Nachr. von den Herrn von Itter, Beil.
Nr. 85. Seibertx, Dynasten, S. 126.
57. 1348, Mai 30. Landgr. Heinrich II. und sein Sohn
verkaufen dem Kl. Haina ihr Haus Hessenstein mit
4*
52
seiner Zubehörung, namentlich dem Vierteil (Jes
Gerichts Geismar für 1882 Pfd. Heller. Das Kloster
soll darauf eine Kemenade bauen, auch seinen Hof
Elchershausen (cf. Urk. 1340) dabei verlegen dürfen
und derselbe, wie bisher, frei bleiben. Vorbehalten
wird auch für Herrn Gumpracht, Voydt, und seine
Erben das Recht der Wieder lösung dieses Teils am
Gerichte zu Geismar*), sowie das Oeifnungsrecbt
für den Landgrafen gegen jedermann ausser das
Stift Mainz und die Grafen von Ziegenhain und
Waldeck. Wenck, Ü.-B. 2, 368.
58. 1355, Mai 26. Gertrudis, Herrn Gumprachts, Voideg,
ehel. W^irtin, verzichtet auf das Teil ihres Leibge-
dinges und Wittums an dem halben Teil des Ge-
richts Geismar, welches ihr Herr, der Landgraf,
erkauft hat und will weder sie, noch jemand von
ihren Brüdern darauf Anspruch machen. Zeugen:
Johann, der Sänger von Sanct Johann zu Mainz,
Wldekind von Hohenfels, Johann von Immichusen,
der Pastor, Henrich Osperth, Henrich von Ymmic-
husen, Henrich von Battenberg, Johann von Alden-
dorf, der Jung6, Hermann von Kassele, der Junge,
Ernst, gen. Suyz. Gertrudis siegelt mit dem Siegel
ihres Gemahls (1340), dessen Bruder Widekind mit
einem kleinen runden Siegel, dessen Bild verwischt
ist. Dat. a. d. m° ccc** \w^ feria tertia proxima post
Urbani. Mbg. St.-A. Geismar.
59. 1356, April 25. Hermann und Ludwig Schenk zu
Schweinsberg vergleichen dia Brüder Gumpracht
uiid Widekind von Geismar wegen deren Holz-
gerechtigkeiten an den Hainaischen Waldungen und
anderer Streitigkeiten mit dem Kl. Haina. D. fer. sec.
prox. fest, post pasce. Mbg. St.-A. Kl. Hain. Urkk.
*) Der Landgraf hatte dieses Teil um 1330 gekauft. Gersten-
berger^ Chronik. Aual. hass. 5, 191; eine Urkunde ist nicht vorhanden .
53
60. 1359, April 4. In einem Weistum über die Güter
des KI. Haina in der Herrschaft Itter gehört dem-
selben „der alte Keseberg, der Silbach und der Berg,
der da geheissen war Silburg, da nxx der Hessen-
stein uff liget." Kl. Hain. Cop.-B. 461.
61. 1359, April 24. Widekindt, Void von Keseberg,
Bruder weiland Gumbrachts und des letzteren Haus-
frau Gese und Söhne Henrich, Gerlaeh, Johann,
Wetzel und Widekind verkaufen um leiblicher Not-
durft willen dem Erzbischof Gerlach von Maina für
1080 fl. und 8 Turnosse das halbe Teil des Gerichts,
das da heisst Geismarer Gericht, gelegen zwischen
Frankenberg und Haina, welches sie und ihre Eltern
vom Erzstifte zu Lehen hatten mit allen Freiheiten,
Zubehörungen, Rechten, Gütern, Gülten, Leuten,
Renten, Holz, ausgenommen ihren Hof und Kirch-
satz zu Geismar und ihre eigenen Leute in dem-
selben Gericht. Wiirdtwem, nova subsidia VII, 320.
62a. 1359, Sept. 21. Gumpracht, Vogt, Ritter, genannt
von Geismar, und seine Frau Gese und ihre Söhne
Henrich, Gerlach und Johann, sowie Gumbrachts
Bruder Widekind verzichten gegen das Kl. Haina
auf alle Rechte an den in ihrem Gerichte gelegenen
Waldungen zu Elgirshusen, Rumekusen, Silnbach,
Langenlenhain und um den Hessenstein, an dem
Hofe zu Espe und an der Wüstung Eschebruch,
und versprechen alle Bedrängnis an der Wiese zu
Espe abzuthun. Siegler: Gumbracht, Widekind,
Hermann von Falkenberg, Amtmann zu Rosenthal,
Volprachtund Ludwig, Burgmänner daselbst. Zeugen :
Dietmar von Lindenborn, Burgmann zu Gemünden,
Otto Winter, Burgmann zu Rosenthal. D. ipso die
b. Mathei ap. Mbg. St.-A. Kl. Hain. Urkk.
62b. 1362, Mai 18. Erzb. Gerlach von Mainz versetzt
das erst kürzlich von den von Keseberg erkaufte
54
halbe Gericht Geismar an Hermann von Falken-
berg für 1094 fl., um das Kaufgeld zu bezahlen.
62c. 1365,Mai 24/28. Schiedsgerichtsverhandlung zwischen
Erzb. Gerlach von Mainz und Landgr. Heinrich H.
über den mainzischen Ankauf der Hälfte de^ Ge-
richts Geismar. Wenek, U.-B. 2, 425. 426. 435.
62 d. 1372, Juni 20. Versatabrief über das Schloss und
Städte Frankenberg und Gericht Geismar für Her-
mann von Drevorte. Wenck, U.-B. 2, 444.
62 e. 1382. Landgr. Hermann versetzt den Hessischen
Teil des Gerichts Geismar, den Zoll zu Franken-
berg und die Amtmannschaft über die Alt- und
Neustadt Frankenberg an Johann von Helfenberg
und Johann von Treisbach für 300 Schillinge.
63. 1409, Juli 30. Johann, Graf von Nassau, belehnt
mit den Gütern, welche Henrich, Vogt von Kese-
berg weiland gehabt, den Johann von Hohenfels,
der als ein rechter Ganerbe mit Heinrich von Kese-
berg darin gesessen. Dat. fer. HI ante diem Petri
ad vincula. Revers Johanns von Hohenfels von
demselben Tage. Wiesbadener Si-A. Copie.
64. 1412, Mai 31. Johann von Hohenfels verzichtet
gegen Landgr. Hermann auf die geistlichen Lehen
zu Ostheim und Simmershausen, die seine Voreltern
und Eltern, Widekind und Gerlach, Vögte von
Keseberg, Heinrich, Vogt von Keseberg, ihre und
seine Gan erben, von Hessen zu Lehen getragen
haben und er dem Landgrafen Hermann aufgetragen
und aufgelassen habe. Wenck^ Ü.-B. 2, 474.
Als Annierkunig ist zu Urk. 20 S. 41 hinzuzufügen:
1302. 23. Febr. verpflichtet sich die Aebtissin zu Georgenberg die
Präsentation des Propstes zu Frankenberg in Gemeinschaft mit
Bürgermeister, SchefFen und vornehmsten Bürgern der Stadt
auszuüben und an den Landgrafen zu richten, damit dieser er-
kenne, ob der Präsentirte tüchtig sei. Eator^ orig. jur. pubi.
Hass. p. 300.
— — — ■>«<? '
55
IL
Die Schanzen in Hessen.
Von
O scar Vug
in Halbendorf boi Grottkau, Schlesien.
ür die deutsche Geschiclitsforschung haben unsere
^0 Gelehrten mit bewunderswerthem biönenhaften Fleiss
alles zu erreichende Material zusammengetragen,
aber die praktische Forschung, welche die Schriftzeichen
aufsucht und enträthselt, die sich auf dem Leibe unsrer
Muttererde befinden, hat damit nicht überall gleichen
Schritt gehalten und doch kann, wie ich annehme, die
beiderseitige Mühe nur dann Erfolg bringen, wenn die
Herren der Wissenschaft und die Männer des werk-
thätigen Lebens in gleichem Streben Hand in Hand
gehend sich gegenseitig ergänzen.
Die praktische Forschung hat vor Allem
die Lebensbedürfnisse der Vorzeit ins Auge
zu fassen, ihren Spuren nachzugehen und
nach ihnen die wirklichen Verhältnisse zu
ermitteln.
Manche lieb gewordene Ansicht wird dabei fallen;
auch der bequeme Standpunkt in jedem Aschen-
56
häufchen eine Opferstätte zu erblicken, wird
aufgegeben werden müssen.
Die alten Ringwälle sind nicht nur einzeln für
sich, sondern in ihrem Zusammenhange mit
grösseren Schanzengruppen zu beurtheilen.
Haben wir so die Schichten frei gelegt, auf denen
die Grundmauern unseres deutschen Vaterhauses stehen,
dann wird auch die gelehrte Forschung im Stande sein,
das gewonnene Material wissenschaftlich zu benutzen,
und aus dem beiderseitigen Zusammenwirken wird sich
ein wahrheitsgetreueres Bild unserer Vorzeit ergeben,
als es aus den Schilderungen alter fremder Autoren, die
in ihrem nationalen Interesse oder aus Unkenntniss die
Zustände einseitig schilderten, gewonnen werden kann.
Diese Gesichtspunkte waren es, die mich ver-
anlassten, in Schlesien die Spuren einer sehr fernen Zeit
zu suchen, und als ich einen Schanzengürtel, der ein
Gebiet von etwa 60 D Meilen umschhesst, freigelegt,
da drängte sich* die weitere Ueberzeugung auf, dass da,
wo einst der Väter Pulsschlag rascher schlug, wo unser
Volk in blut'gem Kampfe rang, sich auf dem Leibe
unsrer Muttererde noch Spuren dieses Ringens finden
müssten !
So lenkte ich meinen Schritt nach Hessen und
zwar zuerst an die Werra, weil sie gleichzeitig den
ältesten Handelsartikel der Welt umschliesst, ohne den
kein Volk bestehen kann, das Salz. Möge das, was ich
hier fand, geeignet sein, der wissenschaftlichen For-
schung als Baustein zu dienen.
Halbendorf bei Grottkau in Schlesien im October 1888.
Oscar Vug.
57
Die Schanze auf dem Liebenberge.
Südöstlich von Witzenhausen auf der Feldmark
Werleshausen steigt als äusserste Kuppe des Höhenzuges,
welcher nach Südost das Werrathal schliesst, der Lieben-
berg etwa 100 m. über der Werra empor. Von hier
aus ist eine freie Aussicht über das schöne Thal, durch
das sich die Werra schlängelt, bis über Witzenhausen
hinunter.
Von hier stromaufwärts rücken die Berge nahe
an die Ufer der Werra und sie ist genöthigt sich öfters
um sie herum zu winden. Dassefbe gilt von der alten
wie von der gegenwärtigen Strasse.
Der Liebenberg beherrschte somit den Eingang zum
oberen Werragebiet in der Richtung nach Sooden. Diesem
Zwecke diente ersichtlich die auf ihm befindliche Schanze,
Die Kuppe des Berges hat eine unregelmässige
Form und fällt nach W. etwa l'/'sj m. tiefer schräg ab.
Um diese Kuppe zieht sich von Süd nach Nord
ein am südlichen Anfang 12 m. breiter, 27 m. langer
Graben, der dann nach Osten im rechten Winkel herum-
schwenkt und auf eine Länge von 35 m. allmählich
flacher werdend, die Kuppe von Nord nach Süd herum
umschliesst. An der Ost- und Südseite fällt der Berg
steil ab ; hier erübrigte sich W^all und Graben und ge-
nügte zum Schutz wahrscheinlich eine Pfahlwand. Der
innere freie Raum misst von Nordost nach Südwest
33 m. und von Nordwest nach Südost 16 m.
Im westlichen Winkel befindet sich eine 10 m.
lange, 8 m. breite und gegen 1 m. tiefe Grube, der
Boden ist wild herum aufgeworfen und lässt vermuthen,
dass hier einst nach Schätzen gesucht wurde. In dieser
Grube haben nun neuerdings zwei Alterthumsfreunde
noch ein tieferes Loch gemacht und dabei Asche etc.
zu Tage gefördert. Die Ansicht des Einen dieser Herren
ging nun dahin, hier müsse eine Opferstätte gewesen
58
sein. Ich habe mir das von ihnen offen gelassene Loch
genau angesehen und finde nicht nur Kohle und Asche,
sondern auch Stücke gebrannten Lehmes, in welchem
die ehemals eingekneteten Strohfäden noch deutlich
sichtbar sind und die bekunden, dass der Lehm einer
Klebewand und somit einem Gebäude angehörte, das
durch Feuer zerstört wurde, wobei der Lehm roth
brannte und das Stroh in ihm verglühte. Soweit ich
mit dem Stock reichte, fand ich losen Brandschutt,
auch der Klang des Bodens ist dementsprechend hohl.
Ich kann daher ^ur schliessen, dass hier auf dieser
Stelle ein Bau von Holz und Lehm stand, dass sich
unter ihm ein in den Fels gehauener Keller befand und
beim Brande stürzte der Schutt in ihn hinein und füllte
den Raum aus, wie es bei dem »alten Schloss« zu Willme
beschrieben ist*). Wenn sich daher irgend Jemand findet,
der diesen ganzen Raum regelrecht ausschachtet und
den Boden siebt, so ist es wahrscheinlich, dass sich
unter dem Brandschutt noch mancher Zeuge der Vorzeit
findet. Das Ganze war nichts anderes, als was die
schlesischen »alten Schlösser« etc. sind, ein Schanzen-
werk zum Schutz der Strasse. Mit einem Opferplatz
ist es gleich von vornherein nichts.
Am anderen Ufer der Werra liegt der Ludwigs-
stein, wenn ich auch annehme, dass sich hier ehemals
nur eine Erdschanze befand, denn auf seiner Nordost-
seite deutet eine hohl klingende Stelle auf Brandschutt,
so schliesse ich ihn ebenso wie den Hanenstein (Hanstein)
von der Besprechung aus, da beide feste Punkte Mauer-
werk tragen.
Ahrenberg.
Ein anderer fester Punkt musste ehemals am Dorfe
Ahrenberg liegen, der hohe Ahrenberg schloss den
*) Der Druck dieser Arbeit über schlesische SchaDzen hat sich
des immer mehr gesammelten Materials halber bis jetzt verzögeii;.
59
Thalkessel, in welchem die Soodener Salzquellen liegen ,
nach Norden ab und nur da, wo jetzt das Dörfchen liegt,
war der Zugang möglich. Wenn nun auch heute noch
ein bis 12 m. tiefer Graben nördlich und östlich den
ehemaligen Hof, denn als solcher wird Ahrenberg ge-
schichtlich nur erwähnt, umschliesst, so genügt mir
dessen Vorhandensein allein nicht zu weiterer Annahme^
denn er kann auch durch Bergwässer gegraben sein.
In der kleinen Bevölkerung lebt nur die Sage,
dass hier einst ein Kloster gestanden habe, ferner wird
erzählt, dass früher alljährlich die Leiter des Soodener
Salzwerkes einen Nachmittag auf dem hohen Ahrenberge
zugebracht, auch die jungen Leute da hinauf zum Tanz
gezogen seien und dass sich südlich von dej Kuppe
Reste von runden Dämmen befunden hätten. Ich war
zweimal auf der Kuppe und jedesmal begann es zu
regnen, so dass in dem dichten Strauchholz eine Unter-
suchung unmöglich wurde. Kommt man von Sooden
so zweigt von der am Soolgraben entlang führenden
Strasse ein Weg ab, der auf einem geschütteten Damm
weiter läuft, neuerdings mit Bäumen bepflanzt wurde
und ganz den Eindruck einer Strasse macht, plötzlich
aber ist Damm und Weg zu ende. Auf einer tiefer
gelegenen Hutung stehen mehrere Reihen Pappeln und
auf meine Frage, zu welchem Zweck bis hierher ein
Damm geschüttet sei, da der Feldweg auch ohne diesen
bis hierher führen könne, konnte mir keiner der an-
grenzenden Besitzer einen Bescheid geben. Etwa 300 m.
weiter nördlich erscheint ein geschütteter Damm, auf
dem der Dohrenbach weiter geleitet wird und dahinter
kommt ein anderer Damm, der bis an den Fuss des
Ahrenbergs führt und sich an die Spuren eines alten
Weges schliesst, er ist sicherlich die Fortsetzung des
südlichen Dammes, was aber bedeutet dann die lange
tiefe Stelle? Nach langem Mühen erfuhr ich, dass der
60
Sage nach an dieser Stelle in einer sehr fernen Zeit,
ehe der jetzige Flecken Sooden bestand, die Salz-
quellen von Sooden gelegen haben sollten. Dadurch
würden sich die Dämme erklären; den hohen Ahrenberg
hinauf zog sich noch bis in die neuere Zeit von hier
ein Weg nach den vier Besitzungen, die an Stelle des
ehemaligen Hofes jetzt das Dörfchen bilden, in neuerer
Zeit soll der alte Weg jedoch als lebensgefährlich kassirt
worden sein.
Das ist, was ich über diese Stelle ermitteln konnte,
vielleicht dient es einem späteren Forscher als Anhalt.
Die Westerburg bei Sooden an der Werra.
Westlich von dem Flecken Sooden befinden sich
auf einem etwa 40 m. hohen Felsen die Reste einer
ehemaligen Ringschanze, von welcher nur noch geringe
Wall- und Grabenreste vorhanden sind. Mauerwerk ist
nirgend vorhanden, ein etwa 4 m. hoher Felskegel steigt
über die Bergkuppe empor und hat ehedem eine Breite
von 10 und eine Länge von etwa 20 m. gehabt; als
aber vor zwei Jahren mit der Errichtung ejner Schenke
und eines Aussichtsthurmes begonnen wurde, musste
ein Theil der Felsen gesprengt und abgetragen werden.
Es gelang mir die beim Bau beschäftigten Arbeiter zu
ermitteln und war diesen nicht bekannt, dass irgend
welche Mauerreste bei Sprengung der Felsen vorhanden
gewesen oder irgend welche Funde gemacht worden
wären, aber der Sage nach soll sich in dem einige Meter
tiefer liegenden runden Felsen, welcher östlich nur durch
einen Graben von der Kuppe getrennt wird, ein hohler
Raum befinden, der aber bis jetzt nicht nachgesucht
wurde.
Die Westseite der Bergkuppe wird durch einen
7 m. breiten und bis 4 m. tiefen Graben umzogen, an
den sich ehemals ein bis 3 m. hoher, geschütteter Erd-
61
wall schloss, der jetzt nur noch auf eine Länge Von
18 m. vorhanden ist. Um Raum für einige Bänke zu
gewinnen, wird gegenwärtig an seiner Abtragung ge-
arbeitet, wie denn überhaupt der ganze Hügel zur Her-
richtung von Sitzplätzen seine ehemalige Form stark
verändert hat und noch weiter ändert. Nur an der
Nordseite sind die Spuren eines ehemals dreifachen Erd-
walles noch deutlich kenntlich und ebenso die vier-
eckige Form.
Dass die Erbauung der Burg in die vorgeschicht-
liche Zeit fällt und dass sie ursprünglich nichts anderes
war als alle alten Ringwälle, das beweisen die vorhan-
denen Spuren. Dass sie bis in die geschichtliche Zeit
hinein gedauert haben kann, ist nicht unwahrscheinlich,
da sich auch an andern Orten in den Ringwällen Holz-
und Lehmbauten noch in einer Zeit erhielten, als der
ursprüngliche Zweck ihrer Anlage längst verloren ge-
gangen war. Ursprünglich war die Westerburg nur ein
Glied in dem Schanzengürtel, der Sood^n umschloss.
Sie beherrschte die nach Westen führenden alten Pfade,
nach dieser Seite muss auch ihre grösste Stärke gelegen
haben, wie die Spuren zeigen. Selbst in ihren so stark
zerrissenen Wallresten zeigt sie grosse Aehnlichkeit mit
der Bauart des »Burgschlosses« bei Steinseifersdorf im
Eulengebirge.
Auf der Seite nach Sooden sind Reste einer ehe-
maligen Ümwallung nicht ersichtlich, nur ein in den Fels
gehauener Graben trennt die höhere Kuppe von dem
bereits erwähnten, 5 m. im oberen Durchmesser hal-
tenden runden Kegel. Auf diesem werden alljährlich
am dritten Ostertag Feuer angebrannt, zu denen sich
die Bevölkerung aus nah und fern einfindet und ohne
jede künstliche Deutung einem alten Brauch huldigt,
wie sie ihn von den Vorfahren überkommen hat. Auch
an andern Orten Hessens w^erden zu Ostern Feuer an-
6ä
gebrannt, z. B. »auf demStein« zwischen Wolfterode
und Frankershausen. Die Bevölkerung folgt auch hier
dem alten Brauch Freudenfeuer über das Erwachen der
Natur anzuzünden, ebenso wie wir heute noch an er-
eignissreichen Tagen auf unseren Bergen .die Flammen
hochauf steigen lassen, ohne dabei auch nur im Ent-
ferntesten an ein Opfer zu denken.
Sooden an der Werra.
Seine ursprüngliche Form zeigt das abgerundete
Viereck. Ein starker Erdwall, der auf der Südseite
noch gut erhalten ist und jetzt als Strasse dient, um-
schloss den Ort gleichzeitig mit einem 25 m. breiten
Wallgraben, eine Ringmauer hat er nie gehabt.
Die Benützung der Soolquellen ist uralt, sicheres
ist darüber nicht zu ermitteln, aber ein Allendorfer
Pfarrer Rheinlandt (Rhenanus), der den Soodener Salz-
werken vom 14. Januar 1559 bis zum Mai 1589 vor-
stand, sucht zu beweisen, dass die Quellen schon vor
Christi Geburt in Betrieb gewesen sein müssten. Da
Herr Rheinlandt nicht nur ein Gelehrter, sondern auch
ein Mann des praktischen Lebens war, der hier auch
zuerst die Gradirwerke (Leckwerke) zur Einführung
brachte, so wird wohl die Forschung seinen Ausfüh-
rungen Beachtung schenken müssen, jedenfalls hatte er
für seine Annahme praktische Gründe.
Sooden wird das erstemal in einer Schenkungs-
urkunde Kaiser Otto's IL als Tutinsoda genannt*). Eine
zweite Nennung erfolgt 1093 unter dem Kloster Hers-
feld übergebenen Gütern: Sothen (res salinas**).
*) Ich folge hier: Beitrag zur Geschichte des Salzweiks in den
Sooden von A. F. Kopp. Marburg 1788 S. 36 u. w.
**) Zeitschrift des Vereins für hess. Gesch. u. lidskde. Bd. VllI
S. 380, wo KuchenbeckeTy die hessischen Erbhofämter Beil. D. als
Quelle genannt ist.
63
Ursprünglich waren die Salzquellen im Betrieb
einer freien Gewerksgenossejischaft, die den vielfach
gedeuteten Namen »Geburen«, »Gebaurn«, »Baurschaft«,
führte. Ich nehme an, dass, wie wir heute den In-
begriff aller menschlichen Thätigkeit vom Tagelöhner
bis zu dem Gelehrten nyt dem Wort »Arbeit« bezeichnen
und es sich sogar ein Geheimer Rath zur Ehre rechnet,
als »Hülfsarbeiter« in das Ministerium berufen zu werden,
so war die ursprüngliche Bezeichnung »Bauen«, gleich-
viel ob sie die Thätigkeit im Bergbau, im Häuser- oder
im Brunnenbau bezeichnete, von derselben Bedeutung.
Dass sich jede Baugenossenschaft in besondere Stände
abschloss und besondere Rechte wahrte, ist heute ganz
ebenso der Fall.
Die ursprünglich als auf altem Herkommen be-
zeichnete Abgabe betrug 5 Mark Geschoss Allendorf er
Währung für jede der 42 Pfannen, ferner zwei Pfannen
Salz, die an das Hoflager zu liefern und die ebenfalls
alljährlich an den Schultheissen zu Allendorf zu zah-
lenden Herrengelder *). Nun traten aber die Land-
grafen eigenmächtig mit Forderungen auf und verfügten,
dass die Pfänner alljährlich noch 200 Gulden an sie
bezahlen sollten, behielten sich auch für die Folge bei
der jedesmaligen Bestätigung vor, die bestehenden Be-
stimmungen zu ändern **), davon machten sie auch bald
Gebrauch und schon 1488 bei der Bestätigung mussten
die Pfänner fünftausend Gulden rheinischer Währung
zahlen. Es zeigt sich hier dasselbe Bild wie bei den
schlesischen Herzogen, sie bestätigten alle Rechte und
Freiheiten, sie flössen in grossem Wortgepränge über,
häuften aber immer eine neue Last auf die andere.
Bis dahin hatten die Pfänner alljährlich ihre altei^
Rechte öffentlich verkündigen lassen ; eines derselben
*) Kopp, a. a. 0. — **) ebeiidort.
64
besagte, dass, wer in Sooden einen oder mehrere todt-
schlüge, solle auf 100 Jahr und 1 Tag aus Sooden ver-
wiesen sein, sollte aber die Verwundung nur gliedlang
und nageltief sein, so solle die Verbannung nur 1 Jahr
und 1 Tag betragen. Es ist auffällig, dass hier nicht
die bei den deutschen Stämmen^ sonst übliche Geldbusse
für Verwundung und Tödtung, sondern die Verbannung
gesetzt ist. Von welchem deutschen Stamme waren
demnach die Geburen?
Trotzdem nun den Pfännern ihre Rechte auch
darüber bestätigt wurden, dass Niemand ein Anrecht an
die Quellen haben solle, der nicht Pfännei* von Geburt
oder durch Verheirathung sei, so zogen sie doch vor,
die Werke lieber an den Landesherrn zu verpachten,
da überhaupt die neuere Technik Mittel erforderte, die
sie nicht mehr aufbringen konnten. Aus einer dreissig-
jährigen Pacht wurde 1586 eine solche für ewige Zeiten,
denn der Landesherr behielt sich zwar ein Kündigungs-
recht vor, nicht aber die Pfänner.
Die jetzt in aller Welt zerstreuten Nachkommen
dieser Geburen beziehen selbst über dem Weltmeer die
auf sie entfallende Rente.
Ich habe mich auf das Nöthigste beschränkt, um
zu zeigen, dass die Salzsieder ursprünglich frei waren;
*sie können auch zur Zeit der Ringwälle zu diesen nur
in einem Schutzverhältniss gestanden haben, sonst wären
ihre Leistungen auf die späteren Nachfolger in der
Macht übergegangen.
Ich wende mich nun wieder dem eigentlichen Zweck
meiner Arbeit zu, die Spuren der vorgeschichtlichen
Zeit zu ermitteln.
Es befinden sich hier noch die Reste einer alten
Vertheidigungslinie. die jetzt, wo der Ort sich vergrössert,
wohl bald ganz verschwunden sein werden. Nördlich
der Kirche befand sich noch vor etwa 40 Jahren ein
65
hoher Wall, der abgetragen wurde und von dem sich
nur noch die Spur des dazu gehörigen Grabens steil
zum Hegeberg hinaufzieht und im Wuchs des Buchen-
waldes auch dem fern stehenden Beschauer sichtbar
wird. Etwa 80 m. davon südlich zieht sich ein zweiter
solcher Graben von 6 m. Breite und noch kennbaren
Wallresten aus dem Garten des Besitzers Wicke eben-
falls zum Hegeberg hinauf und zeichnet sich auch im
Wuchs der Buchen ab. Diese beiden Wälle und Gräben
heissen noch jetzt »die Volks-Marschbahn« und der
Ueberlieferung nach erfolgte hier hinauf der Auszug der
Streiter, wenn der Feind nahte. (Der Feind kam also
aus Westen.)
Etwa 150 m. weiter südlich am Sängerplatz zeigen
sich wiederum Reste eines 6 m. breiten Walles und
Grabens und ziehen sich vom Hegeberg durch den
Garten des Justizraths Dr. Renner hinab nach Sooden,
wo sie sich ehemals direkt an den südlichen Aussen-
wall des Ortes schlössen; der vom Berge herab kom-
mende Wall heisst noch heute »die Willkommsbahn.«
Der Sage nach zogen auf ihr die Sieger wieder ein.
Hier liegt ein Stoff, der der Phantasie eines Malers
weiten Spielraum lässt und seinem Talent ein dankbares
Gebiet eröffnet, die örtliche Lage kann nicht schöner
gedacht werden, aber er muss sich beeilen, ehe auch
diese Stelle bebaut wird und dann für immer ver-
schwindet.
Das Römerlager auf dem Hirsberge.
Hirschenberg bezeichnen die Karten den Bergzug,
welcher sich an den Ihringsberg lehnt, dann querüber
das Werrathal im Süden schliesst, wie es der Ahrenberg
im Norden thut. Die Felsmassen reichten ehemals bis
in die Werra, da, wo sich heute Strasse und Eisenbahn
am Dörfchen Weiden, am »letzten Heller«, bis hinter den
N.F. XV. Bd. 5
66
«dicken Stein« und bis Albungen am Fussö des Berges
herumwinden. Die einheimische Bevölkerung sagt Hirs-
berg und auf seinem Rücken soll in noch gar nicht
zu ferner Zeit viel Hirse gebaut worden sein, wahr-
scheinlich verdankt jetzt der Berg die »Hirsche« einem
Geometer, der der Volkssprache nicht mächtig war, auch
die am rechten Ufer der Werra befindliche höchste Spitze
des Gebirges heisst auf den Karten Hartekuppe, wäh-
rend sie unter diesem Namen Niemand kennt und sie
Jeder nur »Hernekuppe mit dem Kober« nennt; der-
artige unrichtige Namen können dem Strategen sehr
verhängnissvoll werden.
Die Strategen der Vorzeit wählten nun zum Schutze
des Thaies einen Theil des Hirsberges, der von zwei
Seiten von einer Thalmulde begrenzt wird und nur nach
Süden direkt mit dem Berge zusammenhängt. Hier an
einer nach Norden abschrägenden Stelle legten sie ihren
Ringwall an, aus dem sie einen freien Ueberblick des
ganzen Soodener Thaies hatten. Gegenwärtig besteht das
unter dem Namen Römerlager bekannte Schanzenwerk
aus einem Wallrest, der im Süden bis VI2 m. über die
Innenfläche aufsteigt und von aussen durch zwei bis
6 m. tiefe Gräben gedeckt wird. Rechts und links
schwenken noch Reste bis 15 m. lang herum, dann
fehlen sie; ersichtlich ist ihre Fortsetzung zur Verfüllung
des Wallgrabens und zur Herstellung einer Abfuhr für
Forstzwecke geebnet. Ein Wallgraben von 7 m. Breite
und bis 3 m. Tiefe umschliesst den Platz, aber an der
Nordwest-Seite ist er auf eine Länge von 25 m. eben-
falls zur Holzabfuhr verfüllt.
Die Hauptstärke des Platzes lag ersichtlich nach
Südwest. Von Osten zieht sich aus der Tlialmulde ein
bis 8 m. tiefer Graben herauf, dessen Aufwurf theil-
weise noch vorhanden ist; wo er sich an die Schanze
schliesst, beschreibt er einen Bogen und bildet dadurch
67
einen zweiten Ringplatz von 12 m. Breite und 24 m.
Länge, eine Vorburg. Ich nehme an, dieser Graben
diente gleichzeitig als gedeckter Gang. Meiner Auf-
fassung nach war der noch vorhandene Rest des Haupt-
walles kasemattirt , seine vielen Unebenheiten deuten
darauf hin.
Der freie innere Ringplatz hat jetzt von Graben-
zu Grabenkante eine Länge von 87 m., rechne ich auf
jeder Seite 10 m. für den ehemaligen Wall ab, so bleiben
67 m. innere lichte Länge. Die innere Breite vom Fuss
des Wallrestes bis zur nördlichen Grabenkante beträgt
68 m., rechne ich auch hier 10 m. für den fehlenden
Wall ab, so bleiben 58 m.
Ueber sonstige Verhältnisse der 'Schanze konnte
ich bei Niemand etwas ermitteln, auch bei dem in der
Alterthumskunde seiner Heimatli recht bewanderten
Blechschmiedemeister Herrn Steinfeld in Allendorf nicht.
Wenn aber, wie die Sage annimmt, die Römer hier
lagerten, so thaten sie es nicht als Erbauer, sondern
als Zerstörer der Schanze.
Nur eine Sage wurde mir mitgetheilt. Nördlich
von Allendorf am rechten Ufer der Werra unweit des
Dorfes Wahlhausen hefindet sich eine Wiese und Aecker
mit dem Namen das finstere Thal, ein dort ent-
springender Quell führt den Namen Mordbach. Nun
berichtete die Sage, Hermunduren und Chatten hätten
sich feindlich gegenüber gestanden und die Chatten
hätten beschlossen , alle Gefangenen den Göttern zu
opfern, was wohl nichts anderes heisst, als wenn 1813
einzelne Truppen beschlossen, keinen Pardon zu geben
oder zu nehmen. Nun fiel aber der Kampf für die
Chatten ungünstig aus, sie wurden gefangen und unter
der Schanze »das Römerlager« in die westlich gelegene
Thalmulde gebracht und dortselbst den Göttern geopfert,
d. h. niedergemacht. Dass die Sage nicht etwa erst in
5*
68
neuerer Zeit entstand, ergiebt sich daraus, dass sie dem
genannten Pfarrer Rheinfandi schon im Jahre 1589 bei
Abfassung seiner Salzbibel bekannt war. Im Jahre
1681 wurde sie bei einer topographischen Beschreibung
Hessens ebenfalls erwähnt und auch der Mordbach
genannt *). In Tadiits Ann. XIII, 57 wird eines Kampfes
gedacht, der im Jahre 59 zwischen Chatten und Her-
munduren um die heiligen Salzquellen geführt wurde,
ohne dass jedoch der Ort namentlich bezeichnet würde.
Die mündliche Ueberlieferung weiss ihrerseits nichts von
Tacitus, bezeichnet aber die zwischen Allendorf und
Wahlhausen liegende Ebene, die gegen 2000 Schritt lang
und bis 1500 Schritt breit ist, und in ihr die Stelle,
welche »das finstere Thal« heisst und von dem
Quell »der Mordbach« durchflössen wird, als den Ort
des Kampfes. Die Oertlichkeit ist zu einem Kampfe
wohl geeignet, aber für den schwächeren Theil von
vornherein verhängnissvoll.
Südlich sperrt Allendorf das Thal, von Süd nach
Nord steigen östlich die steilen Höhen empor und um-
schliessen das Thal im Halbkreis derart, dass zwischen
ihnen und der Werra am Dorfe Wahlhausen ein nur
etwa 400 Schritt breiter Ausgang bleibt, den aber das
Dorf schliesst. Westlich war Sumpf und das Wasser
der Werra. Konnte sich der stärkere Theil auf Allen-
dorf oder Wahlhausen oder auf beide Orte stützen, so
war der Ort eine Falle, in welcher dem Gegner nur
Untergang oder Gefangenschaft blieb.
Die »Schlachtekammer«, nach welcher der
Sage nach die Gefangenen gebracht wurden, liegt 2000
Schritt von Sooden und gegen 4000 Schritt vom Orte
des Kampfes, sie ist eine enge, steil ansteigende Thal-
schlucht; eingeklemmt zwischen den Bergen, nördlich
von einem ehemals grossen Sumpf, dem jetzigen Bruch,
*) Kopp, Salzwerk Sooden. 1788. Seite 17 und 14 Satz 4.
69
umschlossen, östlich über sich die Schanze »Römerlager«,
bildet sie einen Ort, in welchem kein Kampf möglich
war, aber um so sicherer ein grausames Morden ; denn
hier war kein Entrinnen möglich.
Unsere Geschichtschreiber setzen den von Tacitus
erwähnten Kampf an verschiedene Orte ; vielleicht nehmen
sie die durch die Sage bezeichneten hiesigen Orte in
Augenschein und in den Ki*eis ihrer Erwägung.
Nach dieser Sage müssen die Hermunduren das
Gebiet von Sooden - Allendorf entweder schon vorher
besessen oder im Kampfe erstritten haben. Auf dem
Leibe unserer Muttererde aber ist hier noch ein Wahr-
zeichen eingeritzt, das sich als die Grenze zweier Volks-
stämme erkennen lässt, es ist
der Land-Wehrgraben.
Oestlich von Eschwege, an dem Orte Aue, treten
die Spuren des Wehrgrabens auf, der jetzt schon viel-
fach geebnet ist und ziehen sich in grader Linie östlich
von Niederhohne am Dorf Grebendorf südlich vorüber
direkt nach der Werra. Nun treten zwar westlich der-
selben in der Richtung nach dem Mönchswinkel bei
Jestädt weitere Spuren auf, es gelang mir jedoch nicht
einen Namen zu ermitteln. Weiter leitet die Spur zum
Burggraben auf dem Ebersberg und verschwindet.
Südöstlich vom Ebersberg trägt die Ebene am
linken Ufer der Werra den Namen »Strahlhausen«, nord-
östlich heisst das Ackerstück am Eingange zum Höllen-
thal, gegenüber dem Heihgen Stein »die alte Stadt«.
Näheres über sie konnte ich nicht ermitteln.
Jetzt beginnt am linken Ufer der W>rra ein Be-
festigungsgürtel, der noch eingehender beschrieben wird,
die Spuren der Grenze aber treten erst nordöstlich der
Dohlsmühle wieder auf und ziehen sich nun ganz klar
und unter der richtigen Benennung »Landwehrgraben«
nordöstlich vom Hirschenberge herab. Ich folge jetzt
70
den Weisungen des Herrn Steinfeld, der seine Mitthei-
lungeu den U eberlief er ungen der ältesten Leute ver-
dankte. Der bis 7 m. breite Graben, welcher nord-
östlich vom Hirsclienbergo (Hirsberge) herabkommt,
führt unter der Eisenbahn und unter der Chausseebrücke
hinab zur Werra. Am anderen Ufer 800 Schritt östlich
tritt er wieder auf, steigt hinauf zum Klausberg und
schon öfters unterbrochen nach dem alten Hain, dem
Sickenberg, auf die Haier, hinab zum Königsgrund und
hier nur noch in Spuren kenntlich nach Wahlhausen.
Westlich von Wahlhausen erscheint seine Spur als
»Heergraben«. Die weitere Richtung zu verfolgen muss
ich der hi^ssischen Forschung überlassen. An dieser,
gegen 3 Meilen langen Grenze ist jedoch das Stück
von da ab, wo der Landwehrgraben südlich Jestädt in
die Werra mündet, bis ungefähr an die Dohlsmühle
nicht genügend erkenntlich ; ich muss annehmen, dass
von hier ab die Werra selbst die Grenze bildete und
dass zum Grenzschutz sowohl rechts wie links von ihr
Grenzschanzen errichtet wurden.
Ein solcher Punkt ist wohl auch das schon früh
erwähnte alte Dorf, die jetzige Stadt Allendorf, ge-
wesen. Ich schliesse wohl nicht fehl, wenn ich annehme,
dass da, wo jetzt das als Oberförsterei benutzte alte
Schloss steht und bis über den Marktplatz herunter sich
ehemals eine Ringschanze befand, aus welcher sich
später der Ort entwickelte. Die schräge Lage am Ab-
hang des Berges und die Form dieses Stadttheils sprechen
dafür.
Die Salzquellen von AUendorf-Sooden waren nun
zwar ringsum von Befestigungen, Gräben und unweg-
samen Bergen geschützt, aber nach Südosten blieb doch
noch eine schutzlose Stelle, an welcher bei Dürre oder
starkem Frost der Feind durch die Werra oder über
^a,s Eis bis zu den Salzquellen vordringen konnte. Hier
71
musHte noch eine Schutzwehr liegen und diese suchte
ich. Auf dem Wege dahin traf ich da, wo der Landwehr-
graben die Strasse nach Allendorf schneidet, junge
Burschen beim Kirschenpflücken (beiläufig gesagt soll die
hiesige schöne schwarze Kirsche, gemeinhin Kesper
genannt, durch die Römer hierher gebracht worden sein),
ich fragte sie meiner Gewohnheit nach auch nach dem
Namen dieses Grabens, sie nannten ihn >Lampert'schen
Graben«. Das war mir neu, ich wartete daher, bis
zwei des Weges kommende alte Frauen herankamen
und fragte sie wieder und sie nannten ihn richtig hoch-
deutsch »Landwehrgraben«, jetzt erklärten auch die
jungen Leute, dass ihre Benennung dasselbe bedeute.
Die Burgstätte auf dem Rothenstein.
Südlich von Allendorf, etwa 400() Schritt entfernt,
steigt 441 m. über der Werra der rothe Stein keilförmig
auf. Am Fusse des Berges schliessen Reste eines ehe-
maligen Walles die Strasse. Ein in das Gestein gehauener
7 m. breiter Graben, der eine Tiefe bis 2 m. hat, dient
gleichzeitig als Waldweg und leitet auf dem schmalen
Kamme zur Höhe des Berges hinauf und biegt dann
östlich ab. Der Pfad zur Kuppe wird steiler und etwa
nach 150 m. langem Aufstieg findet sich links eine Ein-
ebnung, 12 m. lang und 6 m. breit. Einen eben solchen
Einschnitt fand ich unter der Hirschkuppe bei Alten
Gros in Oestr. Schlesien und ich schliesse, dass sich
auch hier einst eine Vorburg befand, denn nur 15 m.
weiter gelange ich an den in den Fels gehauenen Graben
der Hauptburg, derselbe hat eine obere Breite bis 8 m.,
ist auf der Sohle 1 m. breit und 4 m. tief. Er führt
20 m. lang in gerader Linie und schwenkt dann auf
beiden Seiten im stumpfen Winkel herum, östlich ver-
mittelt eine gerade Linie von 30 m. Länge den Anschluss
an die grade Hauptlinie von 95 m. Länge, die sich an
72
die Form des Berges schmiegend eine schwache Ein-
buchtung nach innen erleidet, dann vermitteln von 30
bis 33 m. lange Linien, die südwestlich auf 20 m. fallen,
die ümschli essung des Berges. Westlich fehlt ein Stück
und lässt sich bei der Dichtigkeit des Gesträuches nicht
bestimmen, ob dieser Theil geebnet wurde, oder, da hier
der Berg steil abfällt, ob er nie vorhanden war.
Oestlich zeigen sich 22 m. abwärts des Haupt-
walles Spuren einer ehemaligen zweiten Umwallung, die
jetzt als Weg dient. Der Hauptgraben wechselt in seiner
Sohlenbreite, der Form des Berges folgend, von 1 bis
4 m. Der Aussenwall steigt von 1 bis 3,50 m. und der
innere Burgraum steigt bis zur Höhe von 5 m. aus
dem Graben steil herauf.
Die Schanze gehört dem abgerundeten Viereck an,
die Länge des freien Innenraumes, der von Süd nach
Nord aufsteigt, beträgt 184 m., die Breite, Vielehe durch
die Form des Felsens bedingt wird, wechselt von 12 bis
zu 23 m. Anscheinend zerfiel das Schanzenwerk in
zwei Abtheilungen, in den nördlich gelegenen 23 m.
breiten und gegen 93 m. langen höchsten Punkt und
in den 91 m. langen, bis 20 m. breiten, nach Süden
flach abfallenden Raum, an dessen südlichem Ende sich
eine in den Fels gehauene 4 m. im D haltende, noch
1 m. tiefe Grube befindet, die wohl einst tiefer war
und zur Aufsammlung des Regenwassers gedient haben
mag. Von Mauerwerk ist keine Spur vorhanden. Wie
nun diese alte Erdschanze geheissen hat, weiss Niemand,
der Volksmund nennt sie »Burgstätte«.
Zur Zeit, als hier der Grenzwall geschaffen wurde,
kann der Ringwall auf der Burgstätte noch nicht be-
standen haben, er liegt ausserhalb desselben östlich, sein
Zugang ist von Nordwest aus der Richtung des Grenz-
walles, seine Vertheidigungslinie, sein Hauptwall, liegt
nach Osten, während er in der Richtung nach Sooden
73
offen ist. Er konnte erst geschaffen werden, nachdem
der Stamm, der die Salzquellen besass, das Vorland
mit dem Rothen Stein auf irgend eine Weise in Besitz
genommen hatte, dann aber waren mit seiner Errichtung
die Quellen auch von dieser Seite geschützt. Sollte
hier der Zankapfel zwischen Chatten und Hermunduren
gelegen haben?
Das Verständniss für Alterthumskunde ist hier noch
geringer als in Schlesien. Als ich z. B., ehe ich den
Berg bestieg, dicht vor ihm einige bejahrtere Frauen,
die seine Kuppe beim Holzsammeln schon oft bestiegen
hatten, nach etwaigen Resten von alten Dämmen, Wällen
oder Gräben frug, sagten sie mir: Da gehen Sie nicht
erst hinauf, da können wir Sie versichern, dass Sie von
dem, was Sie suchen, dort nichts finden. Diese Frauen
waren sonst recht verständig, absichtlich haben sie mir
keine Unwahrheit gesagt, aber es fehlt ihnen das Ver-
ständniss, sie sehen einen Graben oder Wall von 4 oder
5 m. Höhe oder Tiefe nur als etwas natürliches an.
Anders verhält es sich bei ihnen mit der Sage,
das ist hier wie in Schlesien der Frauen eigenstes Ge-
biet und zwar quillt hier dieser Born noch frischer als
in Schlesien, denn hier sind die Spinnstuben noch im
Gange und der gestrenge Herr Gensdarm gestattet doch
wenigstens noch, dass 4 Personen beisammen sein dürfen,
in Schlesien sind diese Stätten der Sage, der alten
Volkslieder und des Frohsinns grösstentheils zerstört,
und an ihre Stelle sind die Zeitungen getreten, — aber
die billigsten und nicht immer die besten. Hier in Hessen
setzen die Frauen noch einen Stolz darein, die von
den Voreltern ererbten Sagen wortgetreu den Kindern
zu überliefern.
Als ich am Fuss des Rothensteins eine junge auf
dem Felde arbeitende Frau fragte, ob ihr keine Sage
über den Berg bekannt sei, erzählte sie mir dieselbe,
?4
als sie aber hinzu setzte, sie sei einige Meilen von hier
zu Hause, zog ich das Gespräch hin, bis zwei alte
LandfrE^uen, die von Fern kamen, herangekommen waren,
und da mir diese sagten, sie seien hier geboren und
gezogen, bat ich sie um Mittheilung der Sage. • Sie er-
zählten dieselbe so wie es die junge Frau gethan hatte
Und diese tief jetzt stolz: »Sehen Sie, dass es genau
so ist, wie ich Ihnen gesagt habe!« Als ich ihr darauf
erwiederte : Nun sorgen Sie aber auch, dass die Sage
nicht verloren geht oder verdorben wird, rief sie: »Ach,
meine Kinder sind noch klein, aber die Sage wissen
sie schon, die hab' ich ihnen genau ebenso gelehrt!«
Die Sage, die an der Burgstätte haftet, ist folgende :
In Allendorf wohnte ein armer Fischer Namens Martin.
Seine Frau war mit dem sechsten Kinde darnieder ge-
kommen und die Noth war gross bei ihm. Er fuhr
nun gegen Abend mit seinem Kahn die Werra hinauf
bis gegenüber dem Rothenstein, um zu fischen; da rief
am rechten Ufer eine Stimme: Hol über! Er fuhr hin-
über und sah ein kleines schwarzes Männchen, das
sprach: Komm, folge mir, deine Noth soll ein Ende
haben. Es führte ihn nun hinauf zur Burgstätte, gab
ihm eine Springwurzel und eine eiserne Thür im Berge
sprang auf. Der Kleine führte ihn hinein, sagte ihm,
dass er die Springwurzel stets bei sich tragen müsse
und zeigte ihm im Innern des Berges grosse Schätze.
Nimm, sprach er wiederholt, so viel du, willst, aber
vergiss das Beste nicht! Martin legte die Wurzel auf
einen Tisch, band sich unten seine weiten Schifferhosen
zu und füllte sie mit Gold und als der Kleine wieder
rief: Vergiss das Beste nicht, Hess er Kupfer- und Silber-
geld liegen und nahm nur Gold, was er für »das Beste«
hielt. Als sie nun wieder hinaus gingen, mahnte der
Kleine nochmals: »Vergiss das Beste nicht!« Aber
Martin meinte das Beste zu haben und liess die Springs
76
Wurzel liegen. Vor dem Kleinen öffnete sich die eiserne
Thtir, Martin schritt dicht hinter ihm, aber die Thür
schlug plötzlich und so heftig zu, dass sie ihm die
Ferse des einen Fusses abschlug*). Mühsam schleppte
er sich unter grossen Schmerzen mit seiner Last über
die Spennäcker zu seinem Kahn, seinen Weg tiberzog
er mit einer langen Blutspur und gelangte endlich zum
Tode ermattet an sein Haus. Dort öffnete er die Thür,
warf das Gold in die Stube und rief zu seiner im Bett
befindlichen Frau: Ihr seid gerettet, mit mir aber ist
es aus! Die Frau starb vor Schreck. Martin konnte
noch seinen Nachbarn die Begebenheit mittheilen und
seinen letztern Willen äussern, dann starb er. Die Aecker
am Fuss des Berges, die er mit seinem Blut gedüngt,
wurden angekauft, sie heissen noch heute die Blut-
äcker ; auf dieselben wurde die Verpflichtung über-
tragen, alljährlich an die Armen an einem Tage im
Juli Brot und Speck zu vertheilen. Dies geschieht
noch heute. Ein Jahr soll die Austheilung unterblieben
sein, da sei das Blut in den Ackerfurchen geflossen,
daraufhin sei die Vertheilung wieder aufgenommen
worden. So die Sage.
Ihr erster Theil. so weit er von den Schätzen
und der Springwurzel handelt, findet sich auch im
Zobtenberge in Schlesien ; ob dort noch irgendwo eine
Vertheilung von Brot und Speck üblich ist, bleibt zu
ermitteln. Hier in Hessen finde ich diese Brod- und
Speckvertheilung noch an einer anderen Stelle, wo ich
sie anführen werde.
An die Oertüchkeit will ich hier noch zwei Mit-
theilungen schliessen, die vielleicht noch irgendwie von
*) In der älteren Edda sagt Brünhilde, nachdem sie dafür
gesorgt hat, dass die Leiche Siegfrieds mit einer Anzahl Diener
verbrannt werde: „So wird ihm des Götterthores goldberingter
Flügel nicht auf die Ferse fallen — — ".
76
JCutzen sein können. Oestlich des Rothenstein ziehen
sich die hohen Berge herum und bilden gleichsam einen
Kessel. Nach der Mittheilung eines früheren Salinen-
Direktors solle auf seinem Grunde hinter, also östlich
des Rothensteins, in einer sehr fernen Zeit enne Salz-
quelle gewesen sein. Worauf der Herr sich bei dieser Mit-
theilung gestützt hat, habe ich nicht ermitteln können.
Die zweite durch Herrn Stein feM erhaltene Mit-
theilung geht dahin, dass vor 20 oder 25 Jahren
Flösser genöthigt waren, südlich von Allendorf in der
Werra mit ihrem Floss zu lagern. Sie benutzten eine
dicht am Flussbett liegende Quelle zum Kochen ihrer
Speisen, die sie dann nicht geniessen konnten, da sie
durch Salz ungeniessbaf waren und eine Probe des
Quellwassers ergab einen sehr starken Salzgehalt. Als
sie bei ihrer Ankunft in Allendorf diese Thatsache mit-
theilten, hat Niemand für nöthig gehalten den Ort
gleich zu ermitteln; da aber nachträglich am Ufer der
Werra eine solche Quelle nicht zu finden war, so möchte
ich schliessen, dass die starke Salzquelle in der Werra
selbst und nur bei ganz niedrigem Wasserstande ausser-
halb des Strombettes liegt, ein solcher Wasserstand
wird wohl auch die Flösser genöthigt haben, dort liegen
zu bleiben. Vielleicht richten diejenigen, die sich für
ihre engere Heimath interessiren, auf diese Angelegen-
heit ihr Augenmerk *).
*) Die ganze Angelegenheit erhält aber grössere Bedeutung
durch Tacitits^ der in der angezogenen Stelle vom Kampf um die
Salzquellen diese als im Fluss gelegen bezeichnet. Eine Be-
sichtigung der Oertlichkeit führt zu der Annahme, dass in der
Vorzeit die Werra von den Weidenhöfen bis zum Rothonstein in
grösserer Breite tloss und der noch erhaltene Name Seerain deutet
dort auf stehendes Wasser. Auch das Bruch am Römerlagor
scheint in einem Arm von ihr bespült worden zu sein. Eifahrungs-
mässig bilden alle Flüsse, die in mehreren Armen verlaufen, zwischen
diesen ti'ockene Stellen, die nur zeitweise übertluthet werden.
ri
Der Mönchehof.
Ungefähr 5 Kilometer nordwestlich von Sooden
und östlich etwa 2 Kilometer von Kammerbach befinden
sieh auf einsamem Bergrücken, der sich wie ein Sattel
an höher gelegene Berge schliesst, die Reste eines
grösseren Schanzenwerkes im abgerundeten Viereck.
Der freie Ringplatz hat eine lichte Länge von 150 m
und eine Breite von 125 m und fällt nach Südosten
schräg ab. An der Südseite ist der Wall abgefahren
und verackert, aber seine ehemalige Grundfläche markirt
sich noch auf eine Breite von 10 m. Auch auf dem
Wall der Westseite hat der Pflug in dem schweren
rothen Lehmboden seine Furchen gezogen, ohne indess
seine Form gänzlich zu verwischen; an der Nord- und
Ostseite ist er noch gut erhalten, zeigt eine Höhe bis
2 m und auch der Graben, der sich noch rings um
das Ganze zieht, hat bei einer Kronenbreite von 6 m
eine Tiefe bis 2 m. Nördlich zieht sich hinter dem
Wall das Probstbüschel den Berg hinauf. Ich konnte
nicht gleich erfassen, welchen Zweck wohl diese grosse
Schanze hier auf einsamer Höhe, fern von der Strasse
gehabt habe. Von Hirten und Ackersleuten konnte ich
nur erfahren, dass der Sage nach einst in dieser Schanze
ein grosses aus Holz geschrotetes Haus gestanden habe,
dass man das Wass(»r durch Esel aus einem Brunnen
An einer solchen Stelle müssten die von Tacitus envähnten Quellen
gelegen haben. Später änderte der Fluss seinen Lauf und die
Quelle verschwand, um nur noch zeitweise zum Voi*scheiu zu
kommen ; so würde der Bericht der Fiösser sich mit Tacitus decken
Letzterer zeigt sich überall da, wo es sich um Oertlichkeiten
Grenzen etc. liandelt und wo er anscheinend aus dem damaligen
Kriegsministerium schöpfte, gut unterrichtet; wo er hingegen seine
Schilderungen über Sitten und Gebräuche von Anderen empfing,
leiden sie nach der Autfassung seiner Oewälii'smänner an Wider-
sprüchen.
^8
am Eichberge in der Richtung nach Frankenhain über
eine viertel Meile weit herauf geschafft und dass der
bis zum Fuss der Schanze führende Grund noch heute
der Eselsgrund heisse. Ich musste mich zunächst in
eine sehr ferne Zeit zurück versetzen, musste erforschen,
wie zu jener Zeit hier die örtlichen Verhältnisse waren,
dann erst konnte ich weiter schliessen. Ich fand zu-
nächst von hier die Mönchhofwiese (Melcherwiese), das
Mönchsfeld (Melchersfeld), an ihm eine Quelle mit gutem
Wasser, das ehemals wahrscheinlich reichlicher floss
als jetzt; warum schleppte man also das Wasser aus
weiter Ferne herauf, wenn Trinkwasser nicht weit von
hier zu finden war? Ich musste weiter schweifen.
Wo ging ehemals die Strasse? Von Sooden aus führte
an der Westerburg vorüber und durch diese gedeckt
ein, theilweise in den Fels gehauener Fusspfad, der
seiner Enge und Steilheit halber nur für Fussgänger
benutzbar war, ehemals wie heute, man gelangte auf
ihm nach Franker shausen. Nördlich der Westerburg,
da, wo jetzt die Strasse geht, bildeten die Felsen eine
zusammenhängende Masse, das ist klar ersichtlich; wo
war der Weg, auf dem das Salz westwärts geführt
wurde? Ich schweife zurück, ein Fusspfad von der
Schanze führt nördlich, ich gelange auf ihm an den
Bergen herum unterhalb Ahrenberg, südlich, da, wo
a
die ursprüngliche Salzquelle gewesen sein soll, finde
aber auch noch oben auf der Höhe eine rechtsgehende
Abzweigung, sie führt durch das »Neue Thal«, durch
seine 1*® und 2*® Höhlung, die ersichtlich von Menschen-
hand gefertigte Einschnitte für einen Treiberpfad bilden,
und gelange direkt an die heutigen Soodener Salzwerke.
Jetzt schweife ich von der Schanze den Eselsgrund
entlang, ich gelange zwischen Frankershausen urtd
Frankenhain zur verschollenen »alten Stadt«, weiter
finde ich den Strassen-Knotenpunkt, »die Bärenburg«,
immer weiter folge ich dem alten Pfad d^n Meissner
hinauf, vom Schwalbenthai westlich hinab, hier treffe
ich seinen alten Namen »alter Sälzerweg« und da, wo
wieder eine Quelle sprudelt, befanden sich noch .vor
30 Jahren die Spuren eines alten Ringwalles am Hauser-
wege. Jetzt ist das Räthsel gelöst, hier ist der alte
Saumpfad, auf ihm trugen die Lastthiere das Soodener
oder Allendorfer Salz gen Westen.
Der Mönchehof war der letzte auf der Höhe liegende
Herbergsort, das Wasser auf ihm selbst fehlte ; für den
eigenen Bedarf wurde es am Molkenborn an der Melchers-
wiese geholt, da die aus Westen kommenden Lastthiere
aber leer vom Thale heraufzogen, so brachten sie in
Schläuchen oder Gefässen ihren eigenen Wasserbedarf
mit und wenn sie am anderen Tage durch das neue
Thal wieder mit Salz beladen heraufstiegen und hier
die erste Rast hielten, da fanden sie das erforderliche
Wasser vor. Die leeren Schläuche etc. nahmen sie den
Berg hinab wieder mit bis zum Brunnen, wo die nächste
Karawane sie wieder gefüllt zurück trug. Als ich, mit
dieser Lösung beschäftigt, meine Messungen fortsetzte,
erschien ein kräftiger Herr und stellte sich als der
Bürgermeister von Kammerbach vor, ich theille ihm
den Zweck meiner Arbeit mit ; über die Schanze oder
ihre Bedeutung konnte er keine weitere Auskunft geben,
als ich ihm aber meinen Gedankengang entwickelte,
erklärte er hoch erfreut ihn für richtig und er war
mit mir der Ansicht, dass sich für diesen Zweck kein
günstiger gelegener Ort finden lasse. Jetzt eröffnete
er mir auch, dass er mich von fern beobachtet und
für einen französischen Spion gehalten habe und freue
sich nun des Gegentheils. Im weiteren Gespräch theilte
er mir zur Begründung meiner Ansicht noch mit, dass
selbst noch inTieuerer Zeit, ungefähr bis zum Jahr 1829,
der Transport des Salzes durch Lastthiere erfolgte,
80
denen sich Leute mit Radwem oder Rückenlasten an-
schlössen, ihre Rast hielten sie in Frankershaasen.
Zwischen dem Mönchehof und dem Ort, wo die
heutige Chaussee den Wald in der Richtung nach
Sooden verlässt, fand ich noch Spuren eines alten
Weges mit Wallaufwurf; ich schliesse daraus, dass
auch später noch, als die jetzige Strasse schon durch
den Felsen gebrochen war, der Mönchehof nach alter
Gewohnheit noch als sichere Herberge benutzt wurde,
bis dann andere Verhältnisse gestatteten, unter ihm
vorüber zu ziehen und den Rastort nach Frankers-
haasen zu verlegen.
Dass bei Einführung des Christenthums die Mönche
bestrebt gewesen sein werden, diesen so einflussreichen
Ort in ihre Hand zu bekommen, bedarf keines Beweises
und dass es ihnen gelang, bekundet der erhaltene Name.
Um nun festzustellen, ob dieselben Verkehrs- und
Schutzverhältnisse auch auf der Südseite von Sooden
vorhanden waren, kehre ich nach der auf dem nörd-
lichen Abhänge des Hirsberges befindlichen Schanze,
dem Römerlager, zurück.
Zwischen Sooden und dem Hirsberge befindet sich
eine grosse Hutung, das Bruch genannt. Noch jetzt
besitzt sie ungangbare Stellen; vor Anlage des Abfluss-
grabens war sie Sumpf. Von Sooden zieht sich noch
jetzt ein höher gelegener Feldweg an den Bergen herum,
am Balzerborn, der Sooden mit Trinkwasser versorgt,
vorüber nach der westlich der Schanze eindringenden
Thalmulde, der schon genannten Schlachtekammer. Oest-
lich der Schanze schneidet eine andere Thalmulde in
den Hirsberg ein und zu ihr führt ein gegen 240 m
langer, 6 m breiter bis 1 V2 m hoher geschütteter Damm,
derselbe scheint ursprünglich eine andere Fortsetzung
in der Richtung nach Allendorf oder Sooden gehabt zu
haben, jetzt schliesst sich an ihn ein schmälerer Feld-
8l .
weg und es konnte mir Niemand sagen, zu welchem
Zweck eigentlich dieser Damm bis an den Hirsberg
geschüttet sei. Ich vermuthe in ihm den Rest einer
alten Strasse von der Schanze nach Allendorf, oder
den ehemaligen Zugang an eine Salzquelle. Die Ver-
hältnisse liegen hier insofern anders, als am Mönchehof,
als von hier der Verkehr nicht direkt in die Schanze
hinein geleitet werden konnte ; der Schanzenberg steigt
hier so steil an, dass ich z. B. beim Herabgehen, um
mich vor dem Fallen zu schützen, erst immer den einen
Strauch fahren liess, wenn ich den anderen erfasst hatte.
Man war daher genöthigt, rechts und links des Berges
in den Thalmulden den Verkehr an der Schanze vor-
über den Berg hinauf zu leiten.
Ein bereits erwähnter, auf der Ostseite gelegener
Graben, der jetzt wohl durch die Jahrhunderte lange
Auswaschung vom Regen tiefer geworden sein mag,
dessen Wallaufwurf aber noch seine künstliche Anlage
bekundet, kann seiner Steilheit halber nur von Menschen
mit Traglasten, aber wohl kaum von Lastthieren be-
nutzt worden sein ; durch ihn gelangte man in die Vor-
burg und in die Schanze. Die rechts und links zu
benutzenden Hohlwege aber liefen höher hinauf, hinter
die Schanze, auf die dortige Hochebene.
Nun komme ich zu einem Punkt, der dem hes-
sischen Geschichtsverein, wie mir durch Herrn Steinfeldt
mitgetheilt wird, schon aus eigener Anschauung be-
kannt ist, es sind dies die sogenannten
Hünengräber.
Ungefähr 300 m. südlich vom »Römerlager« und
am Auslauf des westlich aus der Schlachtkammer herauf-
kommenden Lastpfades finde ich einen 3 m. hohen
Erdkegel von 10 m. oberer Länge und 8 m. Breite.
Eine Nachgrabung, die den Erdkegel bis zur Sohle im
N. F. XV. Bd. 6
82
rechten Winkel durchschnitt, hat seine Form etwas
verwischt, doch ist genau zu unterscheiden, dass sie
nicht viereckig, sondern rund war. Schwache Spuren
einer ehemaligen Umwallung lassen sich noch erkennen.
Soviel ich erfahren konnte, wurden in dem Hügel nur
einige Knochen und ein Hufeisen, angeblich von einem
Esel, gefunden. Ich muss gestehen, ich finde in dem
Hügel weder etwas Hünenhaftes noch etwas Grab-
mässiges. Es ist ein langrunder Erdkörper, wie er mir
in dieser Form und Grösse in Schlesien unter den ver-
schiedensten Namen: »altes Schloss«, »versunkenes
Schloss«, »Kubitzkeberg«, »Meilbergel«, »Schweden-
schanze«, »Kretscham« etc. entgegen trat und ich halte
auch diesen Hügel für nichts anderes als was er den
obwaltenden Verhältnissen nach sein musste: eine be-
festigte Herberge. Sie musste an dieser Stelle vor-
handen sein, sollte der Zug der Lastthiere zur erforder-
lichen Unterkunft nicht wieder rückwärts hinab in
die Schanze getrieben werden *).
Nun liegen aber gegen 60 m. südöstlich noch drei
andere ähnliche, nur kleinere Hügel, ein mittlerer, gegen
3 m. hoher hatte ursprünglich einen oberen Durch-
messer von 7 m., irgend wer hat jedoch auf ihm nach-
gesucht, den Boden südwestlich abgeworfen und liegen
lassen, so dass die Kuppe jetzt 9 m lang und 7 bis
8 m. breit ist.
Rechts und links, ehemals in gleichen Abständen
von 5 m., jetzt sind diese Abstände durch Zerwühlungen
verschoben, befinden sich je ein anderer Hügel von
nur 1,50 m. und 1,80 m. Höhe und 4 und 5 m. oberer
Breite.
*) Dass in derartigen Hügeln auch Urnen beigesetzt wurden,
hat gai* nichts aufialliges, auch die späteren Ritter bestatteten ihre
Vorfahren in den Gewölben ihrer Burg, ohne dass die Gruft der
Hauptzweck der Errichtung des Baues war.
83
In einer Entfernung von 30 m. südlich, dicht an
dem alten Wege, befinden sich weitere Reste eines
grösseren Hügels und Spuren von einem kleineren.
Diese Hügel decken sich mit dem von Allendorf
auf dem bereits erwähnten Damm in der Thalmulde
östlich der Schanze »Römerlager« herauflführenden alten
Pfad. Auch hier war für die den beschwerlichen Weg
heraufkommenden beladenen Lastthiere, sowie für die,
welche aus dem Thal vom Dohlsbach heraufstiegen, um
nach Sooden und Allendorf zu gelangen, ein Rastort,
wo sie Schutz und Unterkunft fanden, ausserhalb der
Schanze erforderlich.
Das, was man also hier Hünengräber nennt, halte
ich für nichts anderes als für eine ehemals durch den
Verkehr gebotene Ansiedelung. Die grossen Erdkegel
trugen die Wohnungen der Menschen und die kleineren
die Ställe für das Vieh; Räume von 4 m. Breite und
5 m. Länge gaben sehr hübsche Ställe nicht nur für
Esel und Maulthiere, sondern sogar für grössere Pferde-
ra9en.
Was unsere Eisenbahnen und ihre Bahnhöfe heute
sind, das waren damals die Lastpfade und so wie sich
heute ausserhalb der Bahnhöfe Wirthshäuser gründen,
die auch dem verspätet eintreffenden Reisenden noch
eine Unterkunft gewähren, so war es damals schon an
den alten Bahnhöfen, den Schanzen.
Der hiesige Boden erscheint trotz seiner hohen
Lage wenig durchlässig, ich fand im August Wasser-
lachen in der Nähe der grossen und der kleinen Hügel.
Wenn mir nun die Aufgabe würde, hier auf einem
frisch geschütteten Hügel einen Bau zu errichten, sei
es, dass entweder Pfahl an Pfahl als Pallisaden an
seiner Oberkante rund herum eingegraben und durch
ein Dach verbunden würde, oder dass darauf ein Haus
aus geschroteten Stämmen, oder ein Fachwerksbau von
6*
84
Holz und Lehm errichtet würde, so müsste meme erste
Sorge sein, den geschütteten Kegel derart zu befestigen,
dass er bei nassem Wetter nicht ins Weichen käme,
ich würde also seinen Fuss durch eine Steinpackung
schützen und genau dasselbe finde ich, thaten die Alten,
die diese Hügel schütteten ; die hoch aufgesetzten Steine
treten an dem grossen Hügel, wo er angegraben ist,
klar zu Tage.
So viel ich auch über die aufgefundenen Werke
der Vorzeit nachdenke, das Eine tritt mir überall vor
Augen : die Erbauer Hessen sich mit bewundemswerthem
Scharfblick bei ihrem Thun nur von praktischen Zielen
leiten, sie litten an keinerlei romantischen Ideen und
wussten genau, was sie wollten.
Für diejenigen Lastführer, welche nun hier von
den Hünengräbern zum Dohlsbach hinab trieben und
südlich über die Werra wollten, wird sich an den »Höfe
Weiden« ein Aufenthalt an der üeberfahr geboten haben,
vielleicht stammte das Wirthshaus »zum letzten Heller«,
das bis zum Bau der Eisenbahn dort am Bergabhang
vorhanden war, noch aus der Urzeit; merkwürdiger
Weise findet sich an der Strasse westlich Breslaus eine
uralte Herberge gleichen Namens.
Diejenigen Lastführer, welche westlich weiter
wollten, fanden da, wo sich heute Chaussee und Eisen-
bahn in den Felsen eingeschnitten haben, den »dicken
Stein« bis in die Werra reichend. Sie mussten also
wiederum bergauf und wenn ich ihren Pfaden folge, so
treffe ich nach beschwerlichem Gang am Beghm der
Hochebene die Reste der
Bömerschanze auf dem Weidschekopf.
Im dichtesten Gesträuch, nur 150 Schritt westlich
des alten nach Hitzerode führenden Weges befindet sich
ein bis 10 m. breiter Graben, von dessen Sohle ein
85
4 m. hoher Wall aufsteigt, in einer graden Linie 40 m.
weiter führt, südlich auf eine Länge von 15 m. und
nördlich noch 25 m. lang im stumpfen Winkel herum-
schwenkt und die Form des abgerundeten Vierecks
zeigt, dessen volle Ausdehnung sich nicht mehr be-
stimmen lässt. Hier fanden die Lastführer Schutz und
Unterkunft; von hier aus eröffnete sich auch dem Blick
eine freie Aussicht über das Werrathal und seine Um-
gebung. Etwa 600 Schritt nordöstlich der Schanze
befindet sich in dem nach der Werra steil abfallenden
Felsen ein etwa 2 m. langes, 4 m. breites Loch: »das
Stein- oder Heidengrab.« Es ist mir jedoch nicht
gelungen darüber etwas Näheres zu ermitteln.
Weiter führte der Pfad in der Richtung nach
Hitzerode, von dort theilte er sich in drei Linien. Die-
jenigen, welche nach der alten Stadt am Heiligenstein
und von da weiter in der Richtung nach dem heutigen
Eschwege wollten, zogen zur Schnepfen- oder Schnecken-
burg, ich möchte letzteren Namen der Schneckenwindung
des alten Pfades halber für richtig halten.
Die Schnepfen- oder Schneckenburg.
Ehemals von einer dreifachen Wall- und Graben-
wehr umschlossen, steigt der Hügel steil aus dem Thal-
grund des Kupferbachs auf. Das System, nach dem
die Anlage ausgeführt war, ist dasselbe wie auf dem
Burgschloss zu Steinseifersdorf am Eulengebirge, nur,
dass die örtlichen Verhältnisse dabei von Einfluss waren.
Der obere freie Ringplatz hat nur eine Breite von 18 m.
und zieht sich nach Süden abfallend auf eine Länge
von 50 m. zu den Teufelsklippen, welche ihren Namen
wohl von ihrem gefährlichen schroffen Abfall haben
mögen.
Nördlich im Ringplatz findet sich im Felsen ein
bis 3 m. tiefes Loch, das anscheinend durch Menschen-
86
hand gebrochen wurde. Vom letzten Wallgraben bis
zu dem 4 m. höher liegenden Ringplatz wuchern die
Dornen so stark, dass ich mir nur mit abgebrochenen
dürren Baumästen einen Weg bahnen konnte, bei dem
Hände und Kleider übel weg kamen. Die Märchen
unserer Kindheit, in denen die verwünschten Schlösser
mit undurchdringlichen Dornhecken umgeben sind, haben
einen reellen Untergrund. Nachdem ich mich hindurch-
gearbeitet, bemerke ich zu meinem Aerger, dass die
Forstverwaltung von der neu angelegten Strasse aus
eine Lichtung bis zu der Kuppe des Berges durchge-
hauen hat, so gehts, wenn man nur alten Spuren folgt.
Lagen nun die Verhältnisse bei der Schanze auf
dem Weidschekopf so, dass dort für die von den Hünen-
gräbern mit ihrer Last herab- und dann wieder herauf-
gestiegenen Lastführer Schutz imd Unterkunft vor-
handen sein musste und dadurch die räumliche Aus-
dehnung der Schanze bedingt wurde, so war das hier,
wo man von der Hochebene zum Thal hinab stieg,
nicht nöthig. Die Schanze fällt daher ihrer Lage und
räumlichen Ausdehnung nach nur unter die Beobachtungs-
posten, was nicht ausschliesst, dass an ihrem Fuss, da
wo der alte Weg von Hitzerode an sie führt, auch
Unterkunftsräume vorhanden sein konnten.
Folge ich nun dem alten Pfad am Abhang der
Berge, der in neuerer Zeit durch die Forstverwaltung
in dankenswerther Weise verbreitert und verbessert
worden ist, so gelange ich nach etwa 15 Minuten an
ein Sclianzenwerk, das ebenfalls den Namen Römer-
schanze führt und das ich der Unterscheidung halber
bezeichne als
die Römerschanze über dem HöUenthaL
Für diejenigen Lastenführer und Reisenden, welche
nicht an der Schnepfenburg zur »alten Stadt« am
87
heiligen Stein hinab gestiegen waren, führte der Pfad
hier oben in der Richtung nach Abterode weiter.
Die Schanze ist ganz nach der Bauart der vorigen
angelegt, sie hatte eine dreifache Umwallung, wovon
zwei noch gut erhalten sind. Die Gräben sind fast
senkrecht und bis 15 m. tief. Der obere freie Ring-
platz, der gleichfalls mit Domen sehr stark verwachsen
ist, gehört dem abgerundeten Viereck, er ist nur 15 m.
breit und 20 m. lang; seine Lage ist derart, dass er
das Höllenthal und die Strasse nach Wellingerode direkt
vor sich hat. Ein Grabenrest greift ausserhalb der
Hauptumwallung südlich den Berg herum und deutet
an, dass sich hier eine Vorburg zur Aufnahme von Vieh
und Menschen befunden hat.
Folge ich nun dem Pfade weiter, so gelange ich
nach etwa 8 Minuten an eine Stelle, wo sich ein alter
Pfad nach der jetzigen Höllenmühle hinab zog und
dann in der Richtung nach Wellingerode weiter ging.
Bleiben wir jedoch oben, so gelangen wir nach wenigen
Minuten an einen Punkt, wo der jetzige Pfad einen
ehemaligen Wallgang schneidet. Dieser letztere führt
ebenfalls abwärts nach dem Pfade zur Höllenmühle, ist
aber so dicht verwachsen, dass ich ihm nicht folgen
kann, aber aufwärts kann ich es. Der Wallaufwurf
hat eine Höhe bis 3 m., während der Graben eine Tiefe
bis 4 m. hat*). Folge ich ihm, so gelange ich, etwa
200 m. westlich steigend, an eine Stelle, wo sich 60 m.
aufwärts ein altes Schanzenwerk befindet, das keinen
Namen hat, sondern nur »Auf der Schanze« bezeich-
net wird.
Etwa 100 m. tiefer liegen die Trümmer der Veste
Bilstein. Die hoch gelegene alte Erdschanze, zu der
*) Dieser Wallgang düi-fte wohl mit dem in einer Bilstein-
sage erwähnten unterirdischen Gange von der Höllmühle nach der
Burg identisch sein.
88
der Wallgang fährt, zeigt das abgerundete Viereck, sie
hat 14 m. innere lichte Breite und 24 m. lichte Länge.
Durch diesen Innenraum führt ein bis 7 m. breiter und
bis 3 m. tiefer Graben in der Form eines T. Seine
Anlage hat mit der ehemaligen Schanze nichts zu thun,
ich glaube vielmehr, dass hier einmal von irgend wem
eine planmässige Nachgrabung stattgefunden hat. Zu
bedauern bleibt es in diesem Fall, dass sich der wissen-
schaftliche Forscher nicht von dem Schatzgräber unter-
scheidet ; ich mein6, wer dergleichen Denkmale der Vor-
zeit untersucht, deren Werth doch nur in ihrer
Form besteht, der sollte auch soviel Rücksicht üben,
die Form wieder herzustellen wie er sie fand ; es kommen
nach ihm noch andere Leute, welche nicht blos nach
einem Stück Knochen oder dergleichen suchen und
denen daran liegt, dass die Form auch der Nachwelt
möglichst erhalten bleibt.
Dicht an dieser Schanze, nur durch einen Graben
getrennt, aber 2 m. höher, liegt noch eine zweite
kleinere Schanze mit nur 8 m. breitem und 12 m.
langem, freien Ringplatz, in der Ausführung wie die
erste, nur die Ostseite, die steil abfällt, ist offen. Es
sind Schanzen wie zu Johnsbach und Gierichswalde
bei Wartha in Schlesien. Ihre Anwesenheit erscheint
zuerst befremdlich; um ihren Zweck zu ergründen, muss
ich c^ie Umgegend untersuchen und da finde ich, dass
unter der jetzigen Ruine Bilstein der Felsen bis in das
Wasser der Berka * gereicht hat ; es war eine Strasse
entlang des Baches, wie sie heute besteht, nicht möglich,
es mussten desshalb alle diejenigen, welche von Sooden
nach Wellingerode wollten, an dem vorhin beschriebenen
Pfade zur Höllenmühle herab und alle die, welche von
der alten Stadt am heiligen Stein in der Richtung zur
alten Stadt bei Frankershausen wollten, mussten diesen
Pfad heraufsteigen, wo sie in dem Wallgang zu den
89
Schatazen gelangten und da war die Anlage beider
Werke, von denen das eine wohl als Herberge diente,
nöthig und wird erklärlich.
Später, als der Mauerbau aufkam, brach man auch
die Felsen, die an zwei Stellen das Thal sperrten; nun
vollzog sich aber auch unten im Thal der Verkehr
und die hochgelegenen Schanzen wurden zwecklos. Da
schuf man einen Mauerbau direkt über der neuen
Strasse, die Veste Bilstein.
Als sich diese Wandlung vollzog, muss die Gegend
schon gut angebaut gewesen sein, ich schliesse dies
daraus, dass sich in dem Trümmerrest der ehemaligen
Hauptmauer der Ruine Bilstein schon Scherben von
gut gebrannten welligen Dachziegeln vorfinden; man
verzwickte mit ihnen die Steine, welche nicht genau
lagerten. Grafen von Bilstein werden schon im 9. Jahr-
hundert genannt, die Zerstörung der Burg wird schon
in das Ende des 13. oder Anfang des 14. Jahrhunderts
verlegt. Diesen Mauerbau hier besonders zu behandeln,
liegt jedoch ausserhalb des Zweckes meiner Arbeit.
Auf dem Höhenzuge vom Römerlager am Hirschen-
berge aus zeigt sich das Bestreben jeden Zugang von
der Werra herauf nach dem Hochplateau durch eine
Schanze zu decken ; halte ich diesen ausgeprägten Grund-
satz im Auge, so fehlt hier an dem Pfade, welcher von
Hitzerode ins Thal zur Schmelzhütte herabführt, noch
eine Schanze.
Es gelingt mir nur am Weinberg etwa 100 m. vom
Buchenstein einen ehemaligen in den Fels gehauenen
Brunnen von etwa noch 4 m. Tiefe zu ermitteln, dessen
verschütteter Quell zeitweise noch^ an der Berglehne
durchsickert. In seiner Umgebung muss die fehlende
Schanze gelegen haben.
Zur Sicherung des Weges, welcher wie bereits
beschrieben vom Wallgange östlich von der Schanze
90
auf dem Bilstein hinab in das Thal zur Höllmühle* und
nach Wellingerode weiter führte, diente
die Schanze bei Wellingerode.
Nordöstlich etwa 600 Schritt vom Dorfe befand
sich bis vor kurzem der Rest einer Schanze, etwa 100
Schritte westlich der Strasse, jetzt ist sie geebnet. Die
an den Enden umbiegenden Flügel umfassten einen Wall
von etwa 54 m. Länge. Hier zeigt sich das erste
grössere Schanzenwerk in der Ebene, hier im Thale
konnte sich der Verkehr, welcher sich über die ver-
schiedenen Bergpfade leitete, sammeln.
Die Weinberge
waren mir unzertrennliche Begleiter der schlesischen
Schanzen, ich finde sie auch hier in Hessen. Schon
unweit der ersten Schanze auf dem Liebeberge finden
sie sich am rechten Werraufer nördlich von Witzenhausen.
Sie erscheinen südlich vom Mönchehof bei Orpherode,
sind ferner bei Allendorf in der Erdbeschreibung der
hessischen Lande von Engelhard Cassel 1778 Seite 258
noch als „etwas Weinwachs" erwähnt, ein Weinberg
liegt dicht an den Schanzen über dem Bilstein, ein
anderer bei Abterode, ein solcher nordwestlich von Je-
städt südlich vom Fürstenstein. Hier berichtet die Sage,
da^ in seiner Kuppe noch grosse Weinvorräthe ver-
borgen liegen, gegenwärtig wird auf dem Berge wieder
Wein gebaut. So begegnen mir überall als Begleiter
der Schanzen die Weinberge. Dass es für aussergewöhn-
liche Anstrengungen der erregenden Genussmittel ehe-
mals ebenso bedurfte wie heute bedarf keines Beweises.
Branntwein gab es nicht, er kam erst nach dem 30jährigen
Kriege allgemeiner in Gebrauch, das Bier ist dahin nicht
immer zu rechnen, kann auch nicht überall hin mit-
genommen werden, es blieb also nur der Wein. Reift
91
doch heute noch auf dem Forsthaus Hunnsrück, das
etwa 300 m. über der Werra liegt, in gewöhnlichen
Jahren die Traube. Als ich dies Jahr am 15. September
den Rhein verliess, waren dort die Weinbeeren noch
sauer und hart und man setzte die Hoffnung auf noch
einige sonnige Tage und kalte Nächte, in meinem Garten
in Schlesien aber fand ich von den Trauben nicht mehr
viel vor, die besten Sachkenner, die Sperlinge, hatten
sie schon gefressen.
Die Annahme, dass sich der Name »Weinberg«
aus Wineberg = Wiesenberg gebildet habe, finde ich
bei meinen Wanderungen nicht bestätigt. Der grösste
Theil der schlesischen Weinberge sind in sonniger Lage
mit Kiefern- oder Birkenwald bewachsene Sandhügel, an
denen sich selten eine Wiese befindet.
Eine solche sprachliche Umbildung wäre doch
überhaupt nur möglich, soweit die deutsche Zunge
klingt, wo aber die polnische herrscht, ist sie gänzlich
ausgeschlossen, denn die polnischen Bezeichnungen für
Weingarten . (Winniogrod), Weindamm (Winniagrobla),
Weingasse (Winnaulica), Weinberg (Winnica), lassen
sich durch die polnische Wiese (Lazka) oder den Berg
an der Wiese (Gora za Lazka) weder in der Schrift noch
in der Aussprache ineinander umbilden.
Nun ist aber auch in dem polnischen Theil Ober-
schlesiens die Benennung Weinberg, Weinland, Wein-
garten u. s. w. grade so reichlich vorhanden wie im
deutschen, wo an zahlreichen Stellen die Weinberge
vorkommen. Ja, wo die deutsche Ortsbenennung eine
Verstümmelung erfahren hat, wie bei der Stadt Winzig,
ist auf den ältesten polnischen Karten der Name noch
richtig als Winnica (Weinberg) angegeben. Diese Stadt
führte schon in ihrem ältesten Stadtwappen eine Wein-
rebe, auch Oberglogau führt eine Weihtraube und ein
Weinmesser im Wappen und in ihrer Umgegend sind die
92
auf den Wein lautenden Feldbenennungen zahlreich.
Stellenweise hatte sich zwar der Weinbau noch in
geschichtlicher Zeit erhalten, so erwähnt Schämvälder
in seiner Chronik von Brieg, dass noch im Jahre 1302
Wein in Michelau gebaut wurde, sonst aber ist wenig
davon bekannt und der Chronist von Oberglogau sagt
in seiner Chronik Seite 12 und 13, dass schon in vor-
polnischer Zeit der Weinbau dort von den Quaden
getrieben worden sein müsse.
Als Erregungsmittel für das praktische Leben
verlor der Wein seine Bedeutung mit dem Aufkommen
des Branntweines. Noch heute begegnet es mir, dass,
wenn ich in einer Weingegend dem Arbeiter die Wahl
lasse zwischen Wein und Branntwein, er den letzteren
wählt und frage ich warum? so sagt er: »Er greift
besser.« Für den feineren Geschmack aber übte der
schlesische Wein keinen Reiz, denn die Kunst seiner
Behandlung war verloren gegangen.
Eine Sage in der Winziger Gegend nennt den
Wein > Mordwein« und behauptet: Einst seien Füchse
in die Weinberge gekommen, einer habe von den Trauben
gefressen und sei sofort verendet; als die anderen das
gesehen, seien sie ausgerissen und nie mehr wieder
gekommen, ja so lange man in der Winziger Gegend
Wein gebaut, habe man keines Galgens bedurft, man
habe dem Verbrecher einen Schluck Wein gegeben und
da sei er sofort verschieden. Ein Schriftsteller des 16.
Jahrhunderts, Curäus^ der den schlesischen Wein noch
getrunken hat, bezeichnet ihn als »etwas unmild aber
doch gesund und bequem.« (Chronik von Winzig,
Abschnitt I, Satz 29.)
Ich kann auf Grund der örtlichen Betrachtung
nur schliessen, dass die überall neben den alten Ring-
wällen herlaufenden Weinberge einst wirklich solche
waren und dass das Volk, welches die Ringwälle schuf.
03
auch die Rebe gebaut habe. »Saner macht lustig«
sagt ein altes Sprücbwort und sie nahmen es entweder
mit dem Gesclmiack nicht so genau oder besassen gute
Reben und gute Kenntniss der Behandlung. Dass sich
hier oder da auch einmal eine Benennung Weinberg
aus Wineberg = Wiesenberg gebildet habe, ist dess-
halb nicht ausgeschlossen, darüber kann nur in jedem
einzelnes Fall an Ort und Stelle geurtheilt werden.
In Hessen reichen die Benennungen auf Wein
z. B. bis znm Meissner hinauf, allerdings sagt dort
schon der Zusatz Busch und Keller, dass es keine
Pflanzstatten waren; ich nehme vielmehr an, dass sich
zur Zeit, als der älteste Handelsweg über den Meissner
führte, dort der grossen Volksfeste halber ein W^ein-
vorrath in einem Keller befunden haben wird, und auch
in Kriegszeiten kann hier unter anderer Habe auch
W^ein geborgen worden sein.
Es liegt nun nicht im Zweck meiner Arbeit, den
Spuren der Vorzeit Schritt für Schritt so weiter nach-
zugehen, wie ich es in Schlesien und zum Theil hier
in Hessen gethan habe. Es stehen mir nur meine
geringen Privatmittel zu Gebote ; in meinem Alter wird
eine derartige Forschung nicht nur sehr beschwerlich,
sondern sie wirkt aufreibend, es werden grössere Ruhe-
pausen und dadurch grössere Ausgaben nöthig, ich
mnss mich daher im Weiteren auf die, immerhin auch
kostspielige Ermittelung vorhandener Schanzen be-
schranken, aas ihrer Zahl hier oder da eine, der wie
ich glaube am wenigsten bekannten herausgreifen, ihre
Lage und Bauart prüfen und es dann der hessischen
Alterthumsforschung überlassen, den Zusammenhang
aller Schanzen zu ermittein und das von ihnen um-
schlossene Gebiet, sowie ihre Verbindung mit dem nach-
barlichen Schanzengebiet festzustellen. Ich will daher
im Weiteren nur andeutimgs weise verfahren.
94
Einen wichtigen Punkt in strategischer wie kauf-
männischer Beziehung muss schon in der Vorzeit
Witzenhausen
gebildet haben. Durch seine Lage beherrschte es die
Werra und das Thal.
Den ersten befestigten Ort, den am rechten Ufer
belegenen Liebeberg, habe ich bereits oben beschrieben.
Noch zu erforschen bleiben die am linken Werraufer
östlich der Stadt gelegenen alten Schanzen auf dem
Johannisberge. Einen wichtigen Punkt bildeten
auch die weit hinaus ins Land lugenden Warteberge.
Unterhalb des dritten Warteberges, am sog. Kämmers-
liethekopf, deutet die Grabenspur auf eine Landwehr.
Die kleinen Gräben auf den mit älteren Lärchen und
Kiefern bestandenen Gipfeln der Berge sind nach ge-
fälliger Mittheilung des Stadtförsters Herrn Kerslen
vor etwa 50 Jahren zum Schutz der angelegten Pflanz-
ungen gezogen worden.
Folge ich nun der Strasse weiter südlich, so ist
das nächste grossere Schanzenwerk die dreifach um-
wallte Geisterburg südlich von Trenkendorf. Ihre
genaue Besichtigung und Messung wurde mir durch
anhaltenden Regen vereitelt. Da nun in Hessen die
Entfernung der einzelnen Schanzen je nach der Oert-
lichkeit noch unter 3 Kilometer herab geht, so sind
zwischen hier und Witzenhausen noch mindestens zwei
Schanzen zu suchen.
So wie nun in Schlesien der Zobtenberg allen in
das Land einbrechenden Horden als Wegweiser und
den Bewohnern als Zuflucht und zur Gottesverehrung
diente, so war es in Hessen mit dem
Meissner
der Fall. Dass man zu ihm floh, darauf deuten die auf
ihm vorhandenen Reste ehemaliger Schanzen, die in
ihrem Zusammenhang noch zu erforschen bleiben.
95
Dass es auch hier hiess, wie die ältere Edda sagt:
^Hoch ^eh ich liegen ein heiliges Land,
den Äsen näher nnd Alben*^,
dass man auch hier hinaufzog »allsommerlich zur ge-
segneten Stätte«, wie sie weiter sagt. Dass man hier
hinaufflehte zum alten guten deutschen Gott: »Zu enden
das Uebel so überkommt der Menschen Kinder«, dass
man hier die Flamme hoch auflodern liess und sich
bei ihrem Schein eins fühlte mit allem umherwohnendem
Volk in der Anbetung des unerforschlichen Gottes! Ja,
das glaube, das erfasse und begreife ich, da ziehe ich
auch mit hinauf, aber dass unsere Väter jemals solche
Narren gewesen wären, überall Opferstätten zu gründen,
um ihr mühsam erworbenes Hab und Gut zu verbrennen,
das glaube ich niemals.
In der ganzen älteren Edda kommt nicht einmal
das Wort Priester vor, nur an einer Stelle wird gesagt,
dass der Hüter der Heiligthümer manchen guten Trunk
Methes trinkt, aber nicht etwa hier! Nein droben in
Walhalla. — Was die Römer deutsche Priester nannten,
waren wohl durch Ansehn und Begabung hervorragende
Leute, Heilkünstler etc. Diese Annahme findet in der
älteren Edda einen Beleg. Als Gudruns Kammerjungfer
Magd Heike geschwatzt, dass Dietrich bei der Königin
nächtige, erbot sich diese zum Eide beim geweihten
weissen Stein. Es wurde nun die ganze Verwandtschaft
zusammengerufen, 700 Krieger versammelten sich in
der Halle und nun heisst es:
„ruf auch der südlichen Sachsen Fürsten,
der den wallenden Kessel weihen kann^. [ — ]
Es war also kein Priester, der das geheimnissvolle
Kunststück vollführte, das trefflich gelang, denn Gudrun
hob unversehrt die hellen Steine aus dem wallenden
Kessel, während die darnach hineingreifende Magd sich
die Arme verbrühte. Es scheint eine Art Brausepulver
96
schon damals bekannt gewesen zu sein, für die Magd
war wohl ein zweiter Kessel, in dem das Wasser nicht
blos „wallte", sondern wirklich kochte. Wären wirkliche
Priester vorhanden gewesen, so hätten diese gewiss in
einer so wichtigen Sache die Weihe selbst vollzogen.
Wenn Strabo berichtet, bei den Cimbem hätten
sich auch weiss gekleidete Priesterinnen befunden, so
ist das wohl ein leicht erklärlicher Irrthum. Wir lieben
es noch heute bei aussergewöhnlichen religiösen und
bürgerlichen Festen weiss gekleidete Jungfrauen voran-
zustellen, kehren die Sieger heim, so werden sie von
ihnen festlich empfangen ; weiht ein Gesangverein seine
friedliche Fahne, so halten weissgekleidete Jungfrauen
die Fahnenbänder und das Fahnentuch, während eine
Auserwählte den Weihespruch vollzieht; muss da nicht
ein Fremder, der unsere Sitten nicht genügend kennt,
auch heute noch zu der Annahme gelangen, dass unsere
Jungfrauen eines priesterlichen Amtes walten?
Wenn Diodor berichtet, dass die Priester Menschen-
opfer vollziehen und aufmerksam die zuckenden Glieder
betrachten u. s. w., so giebt es wohl keinen grösseren
Gegensatz, als Menschen zerstückelnde Priester und
weissgekleidete Priesterinnen. Ich glaube, auch hier ist
die Wahrheit nur verschleiert. Unsere heutigen Priester
der Gerechtigkeit bringen auch noch alljährlich viele
Menschenopfer und nachdem der Scharfrichter seines
Amtes gewaltet, kommen andere Priester und zergliedern
den geopferten Körper um ihr Wissen zu bereichern.
Ein Volk wie das deutsche, das jeden Augenblick
bereit war Wunden zu schlagen und zu empfangen,
musste auch die Männer besitzen, die befähigt waren,
solche zu heilen und dazu gehörte eine genaue Kennt-
niss des menschlichen Körpers, eine andere Bedeutung
hatten wohl die Beobachtungen an den Leibern der Ge-
opferten nicht.
97
Der Sonntag nach Pfingsten heisst noch heute in
Hessen der goldene Sonntag, an ihm zogen bis in die
Neuzeit Vornehme und Geringe hinauf zum Meissner
und waren fröhlich, tanzten im Saal und auf dem Rasen
und noch vor etwa 40 Jahren war diese Sitte so fest
gewurzelt, dass das Gesinde beim Miethsvertrage sich
den Besuch des Meissners am goldenen Sonntag bedang.
Diejenigen, denen der Meissner zu entfernt war, feierten
den goldenen Sonntag auf dem Baals, einem Hochpla-
teau auf dem Hirschberge beim Dorfe St. Ottilien.
Der alte Pfad, den ich an der Schmelzhütte verliess,
zieht sich aus dem Höllenthal herüber zur Bärenburg,
die ich schon im Zusammenhang mit dem Sälzerweg einen
Strassenknotenpunkt nannte. An ihrer Stelle liegt jetzt
ein Gehölz von etwa 40 Morgen; es wird mitgetheilt,
dass von der Burg nichts als der Name vorhanden sei
die Spuren werden sich aber wohl ebenso finden wie
anderen Ortes. Der Pfad führt über den Meissner, wie
der Berg amtlich geschrieben wird. Die Bevölkerung
nennt ihn je nach ihrer Mundart Wiehssner, Wissner,
Weissner und frage ich: Warum sagt ihr Wiehssner,
Wissner etc., so lautet die Antwort: Na wul je us bis
Pingste de wisse Seit zeuigt. Also weil er bis Pfingsten
die weisse, schneeige Seite zeigt. Der Name ist erst
in neuerer Zeit in Meissner verderbt wordfen.
Ich finde hier dieselbe Mundart wie im unteren
Elsass und theilweise an der Mosel, brun statt braun,
min statt mein, Huis statt Haus, krischen statt kreischen,
schimpfen, sich ärgern. Wodurch die Glieder eines
und desselben Stammes soweit auseinander kamen, fand
ich erst in Amold^s Ansiedlungen und Wanderungen
begründet.
Aber ich halte Hessen und Westphalen für den
Pendel an der deutschen Uhr; so oft und so vielfach
sein Scliwingungskreis auch beengt wurde, ganz zum
N. F. XV. Bd. 7
98
Stillstand ist er nicht gekommen, er schwingt noch
durch dieselbe Kraft, die von Ewigkeit her dem deutschen
Volke hier seinen Platz anwias und an dem es sich,
vielfach trotz Armuth, Mühe und Noth mit frohem
Sinne bis heute noch befindet.
Mochte der Völker Wogenschlag nach rechts oder
links gehen, mochte ein grosses deutsches Reich von
der Wolga bis Burgund schon bestanden haben oder
zerfallen sein, als die Römer seine Trümmer fanden,
hier in diesen Bergen blieb ein Urvolk, ebenso wie in
den schlesischen Gebirgen, wo die Völkerwanderung
keinen Wechsel der Bewohner verursacht hat. Die
spätere Forschung wird meine Behauptung rechtfertigen.
Ja wem daran gelegen ist, deutsche Trachten zu
sehen, wie sie Tadius beschreibt, der gehe in die kleinen
Karpathen, dort findet er die Frauen im Sommer in
weisse Leinwand von Fuss bis Kopf gekleidet, die
Taille unter den Armen. Im Winter tragen sie lang-
schäftige Stiefeln, schöne lange weisse Schafpelze, aussen
mit schwarzem Krimmer verbrämt und über die Schultern
ein wirkliches Thierfell, fein ausgearbeitet hängt das
schwarze Lammfell über den Rücken hinab, während
die Vorderbeine zierlich um den Hals geschlungen
werden und diese Damen tragen dasselbe mit ebenso
viel Anstand und Würde, wie unsere Frauen ihren Boa,
ihre Pelzpellerine oder Pelzkragen. Ihre Sprache aber
ist nicht mehr deutsch.
Anders verhält es sich in Hessen. W^enn auch
hier am Main und Rhein die lange römische Berührung
nicht ohne Einfluss blieb, so blieb doch die Mutter
deutsch und lehrte dem Kinde ihre Sprache.
Das Volk aber, das sich in dem rauhen harten
Boden der Berge müht, hat seinen Sitz von Ewigkeit
hier. Ich weiss es, dass ich hiermit auf den stärksten
Widerspruch stossen werde, aber ich kann nicht anders.
99
In unserem rauhen harten Klima liegt zwar die Quelle
von Noth und Armuth, aber auch gleichzeitig die Trieb-
feder zu fleissigera Schaffen, zu kühnem Wagen und
Wandern und so wie heute noch jährlich gegen 200,000
Menschen unser Vaterland verlassen, ebenso muss es
früher geschehen sein, und nicht aus Indien wanderte
ruhelos ein grosses Volk hierher nach kälteren Gefilden,
nein die Kälte als die Triebfeder des Fleisses veran-
lasste sie auch nach den gesegneteren Gefilden Indiens
zu ziehen. Ich muss hierbei doch die Frage erörtern
warum wandert denn der Deutsche? Steckt denn etwa
wie bei dem Zigeuner ein unbändiger Wandertrieb in
seinem Blut? Nein, das Umgekehrte ist der Fall, aus
Liebe zur Sesshaftigkeit greift der Deutsche zum Wander-
stabe; den eigenen Herd, den er bei unserer starken
Vermehrung in der Heimath nicht gründen kann, sucht
er in der Ferne.
Schon bei der ersten Berührung unserer Vorfahren
mit den Römern im Jahre 113 v. Chr. in den Gebirgen
von Steiermark wünschten sie nichts anderes als Land
um sich anzubauen. Und solche Leute bezeichnen selbst
vaterländische Schriftsteller als > Barbaren«. — Nicht
die Liebe zum Wandern, sondern zur sesshaften Arbeit
sie treibt unser Volk nach aussen. Als der Führer der
Ansibarier im Jahre 59 n. Chr. den zwischen Bhein und
Issel gelegenen Landstrich in Besitz nehmen wollten,
den die Römer wüst liegen Hessen und ihnen der römische
Feldherr dies wehrte, sprach der Führer Bojocal die
sehr bezeichnenden Worte: »Es kann uns eine
Scholle Land fehlen zum Leben, aber nie-
mals um darauf zu sterben.«*)
So war es von Anbeginn, und so wird es bleiben,
so lange wir bestehen.
*) V. Peucker, das deutscjhe Kriegsweseu der Urzeiten.
t*
ioo
Bei Beurtheilung der vorgeschichtlichen Verhält-
nisse komme ich auch zum deutschen Trunk. Unsere
Dichter und Sänger erlaben sich ja so gern an ihm.
Hier in Hessen wird derselbe von sorgenden Haus-
frauen noch ganz nach alter Weise, wie es die Ur-
mütter thaten, hergestellt; ich ermangele nicht seine
Bereitungsweise allen der Labung bedürftigen Sängern
und Poeten getreulich mit^utlieilen, sein Name ist Co-
vent. Eine Metze Gerste wird dreimal 24 Stunden
gewässert. Nach erfolgter Keimung wird sie gedörrt
und geschroten, wozu eine Kaffeemühle genügt, in der
Regel aber wird ein grösseres Maass, ein Scheffel oder
Sack voll zubereitet und aufbewahrt und nur eine Metze
Malz von ihm entnommen. Zu dieser Metze Malz setzt
man V2 Metze Weizenkleie, giesst Wasser in einen
breiten Topf und rührt in ihm das Ganze zu einem
Brei. Darauf wird der Topf in den heissen Backofen
geschoben und von Abends bis früh darin stehen ge-
lassen. Während dieser Zeit ist alles Wasser durch
Kochen verdunstet und Gerstenmalz und Weizenkleie
ist zu einer harten braunen Masse gebacken. Diese
wird jetzt in kleine Stücken zerbröckelt und mit etwa
40 bis 50 Liter Wasser in einen Kübel geschüttet und
geweicht, darauf kommt die Flüssigkeit in einen Kessel,
wo sie unter Zusatz von einer Hand voll Hopfen oder
auch Waldmeister gekocht wird. Man lässt aber auch
eines oder auch beide Kräuter weg, es richtet sich dies
lediglich nach der Geschmacksrichtung der Trinker oder
den vorhandenen Mitteln. Nach der Kochung wird die
Masse wieder in den Kübel, Bottich oder Tonne gefüllt
und durch Zusatz von etwas Hefe der Gärung unter-
worfen. Nachdem diese beendet, wird die Flüssigkeit
durch ein Tuch oder eine Schwinge geseiht und nachdem
sie 24 Stunden in dem neuen Gefäss geklärt hat, wird
sie abgelassen und getrunken. Es ist ein sehr dünnes
101
Bier. Soll die Bereitung schneller geschehen, oder will
man die Umständlichkeit der Anmeldung bei der Steuer-
behörde vermeiden, so erfolgt keine Kochung, die ge-
backene Breimasse wird mit lauem Wasser verdünnt,
Hopfen und Waldmeister wird zugesetzt oder weggelassen,
die Mischung der Gärung unterworfen und im weiteren
verfahren, wie obeji beschrieben.
Ein solcher alt hergebrachter Haustrunk wird vor
allem zur Erntezeit als Erfrischung gereicht. Ich kostete
ihn, er schmeckte ungefähr so, als wenn eine unge-
salzene Brotsuppe kalt geworden ist, sich gesetzt hat
und das Wasser oben schwimmt, oder auch wie schwach
gesäuertes Wasser. Die Soldaten, die zum Manöver ins
Quartier kamen, griffen lieber nach einem Seidel Lager-
bier. Ob der Trunk unseren Sängern und Poeten
munden wird, müssen sie versuchen.
Der im Schweisse seines Angesichtes aber vom
Felde kommende Besitzer begrüsste ihn als ein Labsal,
und ein solch' genügsames Volk, das sich in unserer
im Genuss so verwöhnten Zeit noch mit einer so dürf-
tigen Erquickung begnügt, trotzdem ihm seine Mittel
etwas besseres gestatten, das hat niemals Schlemmer
und Prasser geboren, wie sie Tacitus schildert; wer das
glauben kann, der kennt sein eigenes Volk nicht Reiche
Thoren, welche römischen Gästen zu liebe ihr Hab
und Gut verprassten, darf man nicht mit der grossen,
Arbeit und Sparsamkeit gewohnten Masse des Volkes
vermengen, damals ebensowenig als heute. —
Mir sind alle deutschen Stämme durch eigene An-
schauung bekannt, aber auch nur Anklänge an jenes
deutsche Schlaraffenland, wo die Männer nichts thaten,
als trinken, spielen, jagen, bis in den Tag hinein schlafen,
dann gleich warm baden etc., die habe ich nicht finden
können. Es ist gar nicht so leicht, sein eigenes Vater-
land genau zu kennen und viel schwerer ist es fremde
102
Zustände ohne Voreingenommenheit zu schildern. Als
1870/71 die französchen Gefangenen unsere friedlichen
Fluren aus dem Eisenbahnwagen mustei-ten, sahen sie
überall Frauen und Mädchen den Pflug führen und den
Acker bestellen, wie zur Zeit Tacitus, als die Männer
auch im Kriege waren, und wenn französische Beob-
achter unsere von der Wacht ermüdeten Landwehrleute
in Frankreich am Tage in der Sonne auf dem Rasen
liegen und schlafen sahen, äusserten sie sich abfällig
über die faulen Barbaren und erschraken, wenn das
Signal diese Männer plötzlich zur Pflicht rief. — Ein
Mann, der sich daheim um nichts kümmert und die
Arbeit der Frau überlässt, ist in Deutschland noch
niemals geachtet worden.
*
Richte ich nun meinen Blick hier vom Meissner
die Werra aufwärts, so finde ich am linken Ufer den
Burgberg bei Harmuthsachsen, die Schatzgrube und
den Wehrberg bei W^aldkappel, die Vogelsburg bei
Ober-Dünzebach, die Graburg, die Schäferburg bei Netra
und den Heldrastein als Orte, von denen nur der Name
noch ' vorhanden ist und deren Vergangenheit der Er-
forschung harrt.
Der Burgberg bei Herleshausen, sowie die Boyne-
burg bei Röhrda liegen als Steinbauten des Mittelalters
ausser dem Zweck meiner Arbeit, wenn es auch scheint,
als ob sie in ehemaligen Ring wällen errichtet wurden.
Die Boyneburg enthält jedoch eine Sage, welche aus
der grauen Vorzeit herüberzuragen scheint und ich
will sie hier anführen, wie ich sie an verschiedenen
Orten von den ältesten Leuten ermittelte.
Die Frau des Beherrschers der Boyneburg befand
sich in Kindesnöthen, zur selben Zeit zog ein schweres
Gewitter herauf und ein alter Bettler betrat die Burg.
Als er an der Unruhe der Leute sah, dass hier etwas
lös
aussergewöhnliches vorgehe, fragte er uin die Ursache
und als er sie erfuhr, ersuchte er ihm die Wehmutter
(Hebamme) zu rufen ; diese fragte er, ob sie die Ent-
bindung nicht solange zurückdrängen könne, bis das
Gewitter vorüber sei und da diese dies verneinte, sagte
er: Heute über achtzehn Jahr genau zur selben Stunde
wird das Kind, das jetzt geboren wird, vom Blitze er-
schlagen werden, darauf entfernte er sich. Ein Mäd-
chen kam zur Welt, es wuchs heran zur blühenden
Jungfrau und hätte sich schon früh vermählen können,
aber die Eltern zögerten, sie fürchteten den 18. Geburts-
tag. Es waren nach ihr noch zwei Schwestern geboren
worden, die mit inniger Liebe an ihrer älteren Schwester
hingen. Der Vater hatte um sein Kind zu schützen,
einen tiefen Keller anlegen und auch das zum vorüber-
gehenden Aufenthalt nöthige Möbel hinein bringen lassen.
Der achtzehnte Geburtstag kam heran, da zog drei
Tage vorher ein schweres Gewitter herauf und wich
nicht von der Burg. Um ihre ältere Schwester zu
schützen, stellten sich die beiden jüngeren Schwestern
abwechselnd vor die Thür der Burg, aber die Blitze
zuckten an ihnen vorüber; als aber die Stunde der
Geburt gekommen war, erschütterte ein Schlag die ganze
Burg und das Mädch(jn lag im Keller in ihrem Stuhl
als Leiche. Sie hatte an das unabwendbare Schicksal
geglaubt und vorher die Bestimmung getroffen, dass nach
ihrem Tode von ihrem Vermögen alljährlich auf der Burg
ein Gottesdienst stattfinden, für den der Pfarrer einen
Hinterschinken und der Küster einen Vorderschinken
erhalten solle, ausserdem sollen die Armen aller der
Dörfer, die man vom Burgberg aus sehen könne, Brot
und Speck erhalten.
Dieser Bestimmung gemäss findet alljährlich am
Gründonnerstage in den Trümmern der Burg unter
freiem Himmel ein Gottesdienst statt und jeder, der da
104
kommt, erhält ein Brot und etwa V4 Pfd. Speck. Es
werden zwei Wagenladungen Brot durch Herrn von
Boyneburg vertheilt, auch die Bemittelten lassen sich
betheilen, weil der Glaube herrscht, dass in dem Hause,
wo sich ein solches Brot befinde, der Blitz nicht ein-
schlage. E'mmal soll die Austheilung unterblieben sein
und da hat sich das Wasser in den Brunnen der Dörfer
in Blut verwandelt, seit der Zeit erfolgt die Austheilung
bis auf den heutigen Tag wie ehemals.
Richte ich den Blick vom Meissner am rechten
Ufer der Werra hinauf und schliesse am Rothenstein,
den ich beschrieb, an die Burgstätte an, dann linden
sich die ersten Spuren der Vorzeit am Wetigenstein bei
Klein-Vach, auf demselben sollen der Sage nach zwei
kleine Dörfer nach einander gestanden haben und zu
Grunde gegangen sein.
Am westlichen Abhang desselben steht die An-
dreaskirche und liegt der Kirchhof von Klein-Vach, hier
wurde vor einigen Jahren bei Anfertigung eines Grabes
ein Thongefäss mit vielen dünnen, nur auf einer Seite
geprägten Silbermünzen der verschiedensten Grösse ge-
funden, von denen eine vollständige Sammlung aller
Typen des Fundorts in das Museum nach Cassel ge-
kommen ist.
Dann ziehen sich am Ufer aufwärts der Fürsten-
stein, der Greifenstein, der Hülfensberg, der Schlossberg
bei Lengenfeld, der Burgberg bei Faulungen (Spinnilgs-
burg), die Adolfsburg, der Normannsstein u. s. w. Wie
weit nun diese, theils nur noch dem Namen nach er-
haltenen, theils mit mittelalterlichen Bauwerken oder
ihren Trümmern gekrönten Vesten der Vorzeit ange-
hören, das zu untersuchen ist noch eine lohnende Auf-
gabe. Ich greife am linken Ufer die Graburg oder Cra-
burg heraus, von der nichts weiter bekannt ist, als dass
auf ihr wie auf dem jetzigen Forsthaus Hunnsrück (die
105
amtliche Schreibart hat glücklich schon Hundsrück dar-
aus gemacht) Räuber gehaust haben sollen.
Da der alte Pfad aus der Richtung Mühlhausen
durch die Fürth bei Grossenburschla hier vorüber nach
Eschwege führte, dem später die alte Mühlhauser Strasse
am Fuss des Berges folgte, so ist es nicht unwahr-
scheinlich, dass sich an der Stelle, wo jetzt das Forst-
haus • Hunnsrück steht, ehemals ein Ringwall befand,
ein hinter dem Hofraum herumführender Einschnitt wird
von den Bewohnern für einen ehemaligen Hohlweg ge-
halten, was einige Wahrscheinlichkeit für sich hat. Am
Hunnsrück finden sich mehrere wallartige Aufschüttungen,
sie enthalten aber nur Holzkohlenasche und stammen
von den Rückständen der Kohlenmeiler. Beim Abstieg
vom Hunnsrück fand ich nordöstlich des Dorfes Röhr da,
dicht am Wege, einen 0,60 m. hohen Stein, auf dem
sich folgende Zeichen befinden: Ein schräg liegendes
Kreuz, ein Gegenstand, den ich nicht kenne, ein Nagel-
hammer, ein hölzerner Schlegel und ein Strich, der
vielleicht einen Meissel darstellen soll. Auf der Rück-
seite des Steines befinden sich zwei lange Striche, die
ein schräger Querstrich theilt. Die ältesten Leute konnten
mir keine Auskunft über die Bedeutung des Steines
geben, die Jüngeren aber betrachteten ihn wie einen
Rebus und deuteten alle möglichen Mordgeschichten
daraus.
Die Graburg.
Nördlich ^,'4 Stunden von Netra befindet sich eine
dicht bewaldete Hochebene von 1600 m. Länge und
800 m. Breite, die obigen Namen führt. Südlich hängt
dieselbe mit den höher gelegenen Vorbergen zusammen,
dann aber fällt sie ringsum steil, stellenweis senkrecht
ab. Der höchste westliche Punkt, welcher etwa 240 m.
höher liegt als die umliegenden Ortschaften, führt den
106
Namen Rabenkuppe, dann fällt die Fläche nördlich ab,
bis an der nördlichsten Spitze ein Wallaufwurf aufsteigt.
Von ihm aus, etwa 10 m. tiefer gelangt man in einen
3 m. breiten, 2 m. tiefen in den Fels gehauenen Graben
und aus diesem erhebt sich ein 22 m. langer und nur
noch bis 4 m. breiter Fels, der ringsum steil abfällt.
Gegenwärtig ist er mit einer Bank versehen und bildet
einen hübschen Aussichts- und Ruhepunkt. Welcher
Art nun ehemals der Bau war, der sich an dieser Stelle
befand, darüber fehlt jede Spur. Etwa 25 m. tiefer
befindet sich ein zweiter, fast eben so grosser Fels, der
ersichtlich mit dem zuerst genannten in Verbindung
stand, nach drei Seiten fällt er senkrecht ab, auch hier
ist nichts vorhanden, was auf die Beschaffenheit des
ehemaligen Baues einen sicheren Schluss gestattet. Am
Fusse des Berges zieht sich der Weg nach Röhrda und
der alte Pfad zum Forsthaus Hunnsrück und weiter
nach Reichensachsen und Eschwege. Sowie nun der
nördliche Theil dieser Hochebene durch einen in den
Kalkfelsen gehauenen Graben und eine dadurch isolirte
Felskuppe gedeckt wird, so ist es auch im Osten der
Fall, ein etwa 5 m. tiefer Graben trennt den Felsen
vom natürlichen Zusammenhange, der sich als etwa
3 m. breiter Felsgrat bis 500 m. lang hinunter ins
Königenthal zieht. Dieser gefährliche Felsgrat, dessen
Wände senkrecht gegen 200 m. tief abfallen, führt den
Namen Kanzel, das ihm gegenüberliegende Ende der
Hochebene aber heisst die Schäferburg. Irgend
welche sonstige Spuren ehemaliger Bauwerke sind nicht
vorhanden. Nun begegnete mir aber schon vorher die
Sage, dass hier an diesem Theil eine Höhle vorhanden
gewesen sein soll, in welcher die ehemalige Wohnstätte
gewesen sei. Die am ersten Tage mit dem Kgl. Förster,
Herrn Hoppe^ veranstaltete Nachsuchung war ohne Erfolg ;
jmAi einigen Tagen aber erhielt ich von dem genannten
Herrn die Mittheiliing, dass er den Eingang gefunden
und auch schon in der Höhle gewesen sei. Darauf
nahm ich mit ihm die weitere üntersuchuag vor.
Vom östlichsten Ende der Hochebene, da wo der
Graben die »Schäferburg« von der »Kanzel« trennt,
führt südlich ein Abstieg in eine 1 m. breite, 4 m. tiefe
Felsspalte; dringt man in dieser gegen 18 m. weiter, so
zeigt sich der Ausgang verfallen, ist dieses Hinderniss
überstiegen, so gelangt man in einen 2 m. tiefen Graben,
dessen Wallauf wurf südlich liegt, gegen 20 m. weiter
gähnt etwa 4 m. tiefer ein enges finsteres Loch herauf,
es ist der Abstieg in die Höhle. Nachdem die erforder-
lichen Vorsichtsmassregeln getroffen waren, stieg ich in
die Höhle hinab, mir folgte der Herr Förster und nach-
dem die Fackeln den Raum genügend erleuchtet folgte
auch noch die Frau Försterin. Die Höhle ist ein in
den Kalkfelsen gebrochener Raum von 5 m. Tiefe,
10 m. Länge und 3 m. Breite. Es ist ersichtlich, dass
nach Südwest noch ein zweiter Eingang war, derselbe
ist verschüttet worden, wodurch Erde und Steine sich
mengten. Auch der östliche Eingang, durch den wir
uns zwängten, ist anscheinend verschüttet gewesen und
im Laufe der Zeit hat sich da» Steingeröll soweit ge-
senkt, dass der Zugang wieder möglich wurde. Dass
die Höhle von Menschenhand nutzbar gemacht wurde,
ist ersichtlich, aber von den Bewohnern ist kein Zeichen
hinterlassen worden, was seinen Grund wohl darin hat,
dass sich das Steingeröll mindestens 2 m. hoch über
den ehemaligen Fussboden lagert. Ich schrieb Jahres-
zahl und Namen mit weisser Oelfarbe an einen Fels-
block der Decke und lies den Farbentopf zurück, ich
führe dies desshalb an, damit sich ein späterer Besucher
über diesen Fund beruhigt. Von Aussen fand ich an
der Südwestseite, dass der ehemalige zweite Eingang
durch einen Felsblock verschlossen worden ist, die
108
Spuren des Grabens ziehen sich noch weiter, 300 m.
von hier führt der alte Pfad vorüber, der aus der Gegend
von Herleshausen heraufkommt und nach Eschwege
weiter geht. Die Sage berichtet nur, dass hier, des-
gleichen auf dem Heldrastein und über der Werra auf dem
Normannstein Räuber gehaust, die sich durch Sprach-
rohre verständigten. Der Heldrastein liegt in der Luft-
linie 5000 m. von hier, wenn die Bewohner sich durch
Signale auf so weite Entfernungen unterhielten, dann
mussten sie den Boden sehr sicher unter den Füssen
fühlen. Wahrscheinlich greift die Sage in die Zeit des
Ritterthums, die geschütteten Erd wälle und der rohe
Zustand der Höhle aber deuten auf eine fernere Zeit.
Auf dem Heldrastein soll sich ebenfalls eine Höhle im
Felsen befinden, die aufzusuchen ich ausserhalb des
Zweckes meiner Arbeit betrachte. Auf der Graburg
aber, deren Ost- und Nordseite von Aussenwerken ge-
deckt wird, muss sich ein Hauptwerk auf der Südseite
befunden haben, dessen Spuren noch zu suchen sind*).
Die Steinmilz.
Südlich etwa 1200 Schritt von Netra erhebt sich
ein von der Natur geschaffener Wall, die sogenannte
Steinmilz. Vor etwa 10 Jahren wurde auf ihm beim
Roden eines wilden Birnbaumes ein Steingrab blosgelegt,
in welchem sich die Knochen von zwei Personen fanden,
dabei broncene Armspangen, Helm Verzierungen und
dgl. Der Finder sagte mir, die Sachen wären in das
Museum nach Kassel gekommen. Nach meiner Annahme
muss sich an dieser Stelle eine ehemalige Strassenschanze
befunden haben, trotz meiner Mühe ist es mir aber
*) Nachträglich erhalte ich aus Netra die Mittheilung, dass
auf der Südseite der Eingang zu einer zweiten Höhle ermittelt ist,
aber er ist nur auf einer Leiter zu erreichen und das Gestein so
bröckiich, da&s Niemand die weitere Untersuchung unternommen hat.
109
nicht gelungen eine Spur zu ermitteln, die Belaubulig
des dichten Gesträuches ist zu stark, und doch weist
grade dieser Umstand immer auf einen starken Aschen-
gehalt des Bodens, gleichviel ob er durch verbrannte
Gebäude oder durch Leichname erzeugt wurde.
Die Schanzen bei Hersfeld.
Einen wichtigen Strassenknotenpunkt muss nach
meiner Annahme schon in frühester Zeit die Stelle gebildet
haben, wo sich heute Hersfeld befindet und ich lenkte
meine Schritte dorthin. Nordöstlich von Hersfeld am
Dorfe Kathus treffe ich die Bezeichnung »alte Strasse«.
Ob sie sich über das verschwundene Gosseindorf oder
das ehemalige Crumbach nordöstlich weiter zog, konnte
ich nicht sicher ermitteln, der »Eselsgraben« deutet auf
ihre Richtung, anscheinend war sie nur ein Treiber-
pfad und kam von Bebra-Eisenach herüber. , Sie durch-
schneidet den Solz-Fluss nördlich der Sölzerhöfe und
führt nach dem heutigen Hersfeld.
lieber die Bedeutung des Namens Sölzerhöfe gehen
die Ansichten auseinander, ich vermuthe, dass hier ehe-
mals eine Herberge für Salzführer war, auf die Schreib-
art Sölz statt Salz lege ich geringeres Gewicht, da es
nur zu bekannt, wie stark hierin amtliche Schreiber
sündigten. So hat z. B. die Stadt Grottkau in 600
Jahren 11 mal die Schreibart gewechselt, bis aus dem
polnischen Grod-gau ein völlig sinnentstelltes Grottkau
geworden ist. Vielleicht führt der Eselsgraben auf die
richtige Fährte und schliesst sich an den Sälzerweg,
wie er es am Mönchehof thut. Ich muss hierin das
Weitere der Ermittelung der hessischen Geschichts-
forschung überlassen *).
• ♦) Ich finde hier ein sonderbares Wechselspiel, südlich der
Sölzerhöfe erscheint ein Dorf Sorga, dieser alt polnische Name
kommt in- Schlesien oft vor und bedeutet ein frisch umgegrabenes
HO
Von Hersfeld theilte sich der Pfad nach vei'schie-
denen Richtungen, es mussten daher zu seinem Schutz
und zur Unterkunft auch mehrere Schanzen vorhanden
sein. Die Spuren des einen Weges führen am Wehne-
und Wendeberg vorüber in der Richtung Homberg-
Fritzlar und hier befand sich auch am südlichen Ab-
hänge des Wendelbergs bis in die neuere Zeit der Rest
einer jetzt geebneten Schanze, Ein zweiter Pfad zog
sich westUch von Hersfeld am nördlichen Abhänge des
Tageberges vorüber in der Richtung Reckerode-Marburg
und hier befand sich ^ine Schanze von etwa 20 m.
innerer Breite*und 45 m. Länge, die Ostseite anscheinend
offen. Ein dritter Pfad führte südlich am Tageberge
und nördlich am Galgengraben vorüber, in der Richtung
Giessen und dort lag auch eine Schanze von etwa 10
m. innerer Breite und 20 m. Länge, ebenfalls nach
Osten offen, die Form ist die des Vierecks und die
Lage entspricht der aller anderer Schanzen. Ein anderer
Weg führte in der Richtung Fulda und da lag zu seiner
Deckung nur 2 km. südlich der Eichhof, seine ganze
Lage spricht dafür, dass er ursprünglich nur ein Ring-
wall war und der Mauerbau erst später in ihm entstand.
Wieweit nun am rechten Ufer der Fulda die Spuren
der Vorzeit reichen, würde mich zu weit führen, wenn
Land, ein Neu- oder Rodeland. Nördlich von ihnen erscheint ein
Kathus. Umgekehrt finde ich bei Altgrottkau in Schlesien, eine
Colonie Sorg an mit einem Kathanusteich. Ist das Zufall oder
Beziehung? Ebenso finde ich dort an einer vorzeitlichen Eisen-
schmelze einen Balzerteich und bei Sooden einen Balzerborn.
Femer südwestlich von den Sölzershöfen eischeint eine Volmei-s-
bui'g, besteht eine Beziehung zwischen ihr, den hessischen Volkers,
Volkmai"sen, Folmarsrode und der Volksmai*schbahn (Volmersbahn)
bei Sooden und \viederum mit dem schlesisohen Follmai*schdoif
(Volkmai'sdorf?). Besteht ein Zusammenhang zwischen den hes-
sischen Lampers, Lamberts, Landwehrgraben und dem schlesischen
Lampersdorf etc.?
111
ich ihnen folgen wollte, aber Namen wie: Altes Ding,
Volmersburg, Warte, Alte Keller, Altes Gehege u. s. w.
fordern zur Forschung auf.
Wenn nun Bonifatius gerade diesen alten Strassen-
knotenpunkt zur Anlage eines Klosters wählte, so macht
das seinem Scharfblick alle Ehre, mit dem Augenblick
aber, wo hier ein fester Klosterbau vollendet war, ging
auch die Bedeutung der auf den nahen Höhen gelegenen
Schanzen zu Grunde. Dass die Sicherheit der Strassen
schon in vorchristlicher Zeit in Deutschland vorhanden
war, ergibt sich aus folgender Thatsache*). Bonifatius
sandte in die zu bekehrenden Gegenden seinen Reise-
begleiter Sturm als Forscher voraus. Als dieser eines
Abends damit beschäftigt war, sich in einem Walde in
der Nähe des heutigen Fulda ein Nachtlager zurecht
zu machen, wurde er durch ein Geräusch erschreckt.
Es erschien ein Mann mit einem Pferde und auf Be-
fragen sagte er: »Ich komme aus der Wetterau und
führe das Pferd meines Herrn Ortes.« Nun meine ich
wenn ein Herr es wagen konnte, seinen Diener mit
einem Pferde eine so weite Strecke, die er in einem
Tage, wenn er von Friedberg heraufkam, gar nicht
zurücklegen konnte, allein zu schicken und dieser es
gerathen fand am Abend das Pferd durch den Wald zu
führen, so mussten beide wissen, dass die Strassen
sicher waren.
Die Schwedenschanze bei Gersfeld.
Die Umgegend von Gersfeld besitzt mehrere alte
Schanzenreste, denen zu folgen ich mir versagen muss,
auch der Name Otterstein taucht hier auf. (Eine alte
Cultusstätte im Eulengebirge, hoch oben auf dem Kamme
trägt denselben Namen.) Etwa ^/2 Meile südöstlich von
Gersfeld befindet sich an der alten, über Weissenbrunn
^) Friedberger Chronik.
112
und Frankenheim nach Würzburg und Bamberg führen-
den Strasse, etwa 100 m. über derselben auf dem
Dammersfekle ein altes Schanzenwerk, das den Namen
Schwedenschanze führt. Es ist ein Stern mit 6 Strahlen,
die eine Länge bis je 24 m. haben, während der freie
Innenraum bis 45 m. beträgt. Alle Erfordernisse einer
Schanze für Feuerwaffen sind vorhanden: Gräben, Brust-
wehren, Geschützlucken etc. ; es lässt sich dieses Schan-
zenwerk mit einem alten Ringwall niemals verwechseln.
Für mich hat diese Schanze nur in sofern Werth, als
sie zeigt, dass der den alten Ringwällen beigelegte
Name Schwedenschanze unzutreffend ist.
Die Buriaburg*).
Um zu erfahren, in welcher Form die Deutschen
ihre Wallburgen bauten, ist es erforderlich eines ihrer
Bauwerke zu ermitteln. Nun wird in Ann. Lauriss. bei
Pmix 152 einer Buriaburg gedacht, welche dem Berge,
auf welchem die Donner-Eiche stand, die Bonifatius
fällte, gegenüber lag. Gelang es Reste von dieser noch
im Jahre 772 erwähnten Ringschanze zu finden und
ihre Form zu ermitteln, dann war auch der Beweis
erbracht, welche Bauart den Deutschen eigen war, denn
diese Buriaburg ist doch weiter nichts als eine Bauerur
bürg, die der Bevölkerung bei feindlichen Einfällen zur
Zuflucht diente. Von einer Buriaburg wusste in der
Umgegend von Fritzlar Niemand etwas. Endlich gelang
*) In Ostpreussen und Kurland, wo ähnliche Wälle so be-
nannt werden, bedeutet der Name eine Bauernburg. Buria be-
zeichnet aber die Wohnung, das Haus, die Bezeichnung müsste
also Häuserburg lauten, da jedoch eine Burg ohne Häuser nicht
denkbar ist, so kann der ursprüngliche Sinn nur dahin gehcn^ dass
die Burg mehr Häuser enthielt als sonst üblich, also ein be-
festigter Ort, Stadt oder Dorf, was wieder mit dem Sinn der ersten
Benennung zusammenfällt.
113
es mir zu erfahren, dass ein Berg Namens Büraberg
gegenüber der Donnereiche liege, der gewöhnlich nur
Birberg genannt werde. Auf ihm stehe eine Kapelle,
in welcher allsommerhch an 10 Freitagen sehr früh
ein Gottesdienst gehalten werde, zu dem die Bevölke-
rung der ganzen Umgegend nach alter Gewohnheit sich
einfinde. Von Wallspuren war niemand etwas bekannt.
Am östlichen Abhang des Berges fand ich, eine vier-
fache Wall- und Grabenspur mit Resten bis 7 m. hoher
Dämme und bis 12 m. breiter Gräben, sie ziehen sich
vom Fuss des Berges hinauf, soweit die Sträucher reichen ;
ihre Anlage ist wie auf dem Zobten, dem Rummelsberge,
im Türkengarten bei Langenbielau etc.
Am Fuss des Berges sollen Mauerreste noch im
Erdreich vorhanden sein, ich habe sie jedoch nicht ge-
funden. Die Kuppe des Berges liegt etwa 100 m. höhar
als die an seinem Fuss herumfliessende Edder, wo das
Gebüsch endet, tritt das Ackerland auf. Südöstlich
und nordwestlich schneidet eine steile Schlucht in den
Berg und trennt ihn von seinen Nachbarn, während er
südwestlich mit diesen zusammenhängt.
In der südöstlichen Schlucht haben bis zu Anfang
dieses Jahrhunderts Zigeuner aus alter Zeit ihr Lager
gehabt, bis sie sich im Dorfe Ungedanken ansiedelten.
Die Kuppe des Berges umfasst eine Fläche von 257 m.
in der Länge und 162 m. in der Breite. Fast in der
Mitte befindet sich ein Kirchhof und eine Kirche. Die
hier ackernden Landleute wussten nichts von Wall oder
Grabenresten und ich begann es doch für gewagt zu
empfinden, nach einem Ort zu suchen, von dem man
nichts anderes weiss, als dass er vor 1100 Jahren ein-
mal vorhanden war. Als ich jedoch mir die Hecke,
welche den Kirchhof umschliesst, genauer ansehe, finde
ich, dass sie die Reste eines Ringwalles in sorgende
Obhut genommen und gut verwahrt hat. Wo die Hecke
N. F. XV. Bd. 8
114
aus Dornen besteht, ist der Wall bis 7 m. breit und
1 m. hoch gut erhalten, wo sie aber von Haselgesträuch
gebildet wird, da hat die Schippe und Hacke des Land-
mannes eingegriffen und den Wall soweit als möglich
hinweg genommen, so dass die ausserhalb der Eingangs-
pforte stehende Linde nur noch einen Erdkegel besitzt,
der ihr gerade darauf zu stehen gestattet, da sie aber
dieselbe Stärke besitzt, wie die 6 anderen Linden
innerhalb des Kirchhofes, deren stärkste einen Meter
über der Erde einen Stammumfang von 3,28 m. hat,
so schliesse ich, dass die Abfuhr des Walles erst erfolgt
ist, nachdem die Linde ihr Wachsthum beendet hatte,
also erst in neuerer Zeit.
Die Form des Walles ist das abgerundete Viereck,
das an seiner nordwestlichen Seite durch die erwähnten
Eingriffe eine verjüngte Gestalt erhalten hat. In der
südwestlichen Ecke befindet sich eine gegen 4 m. im
Durchmesser haltende und gegen 2 m. tiefe Grube.
Wenn ich nun auch überzeugt war, dass hier, wo
jetzt die Bewohner der Umgegend ihre Ruhestätte
finden, ehemals die Hauptburg war, so war dieser Ort,
den sein Name als Bauernburg bezeichnet, doch viel
zu klein, um die Bewohner der Umgegend aufzunehmen,
dazu gehörte eine grosse Vorburg. Ich schritt nun
südwestlich zum dichtesten Gebüsch und fand 95 m.
weiter die theilweise noch gut erhaltenen Reste einer
dreifachen Umwallung. Jetzt sagten mir die Ackers-
leute: Ja die haben wir auch gewusst, aber nicht ge-
dacht, dass sie etwas bedeuten.
Die Wallreste beginnen südöstlich an dem Wege
und haben ehemals bis an die Schlucht gereicht, sie
ziehen sich bis an die nordwestliche Schlucht, wo eine
undurchdringliche Dornenhecke die weitere Untersuchung
hindert. Ihre Länge beträgt 230 m.; wie weit sie sich
nach Osten noch markiren, kann nur bei entlaubten
115
Sträuchern und beseitigten Dornen erkannt werden. So-
viel sich erkennen lässt, erfolgte die Führung der Wälle
in möglichst graden Linien, soweit dies bei Umschliessung
eines runden Berges möglich ist. Der unterste Wall
und Graben ist im Laufe der Zeit stark verflacht. Von
ihm steigt eine 6 m. hohe Böschung aufwärts, die in
einem an der Krone 2 m. breiten und nach innen 2 m.
tief abfallenden Wall endet, der einen bis 7 m. breiten
Graben umschliesst. Dann steigt die Böschung wiederum
12,50 m. 1 : 1 aufwärts, wo sich ein gleicher Wall um
einen 8,50 m. breiten Graben schlingt, dessen Böschung
sich 3,50 m. höher an die Kante der schräg nach der
Hauptburg laufenden J95 m. breiten Ackerfläche zieht.
Diese dreifache Umwallung umschloss einen Raum
von über 15 preuss. Morgen, hier hatte die Bevölkerung
der ganzen Umgegend Platz und der Name Bauernburg
konnte dieser Yeste mit Recht ertheilt werden. Von
diesem grossen Vorraum durch einen nochmaligen Wall
getrennt, lag dann die Hauptburg. Nun wird es er-
klärlich, warum man später hier hinein das christliche
Heiligthum, die Kirche, setzte und nach alter Gewohn-
heit allsommerlich an 10 Freitagen sehr früh herauf
zog, um an der Stätte, zu der in der Noth die Väter
flüchteten, den alten Gott in neuer Form zu ehren und
es wird erklärlich, warum die Todten noch heute den
beschwerlichen Weg hier herauf zur Ruhe gebracht und
sicher gebettet werden. Um diesen Ort musste aber
damals das ganze Leben pulsiren, er bedeutete für jene
ferne Zeit, was heute dem Landmann eine grosse Stadt
oder Festung bedeutet; hierher mussten auch die alten
Strassen leiten und unter dem Schutz dieser Veste
musste sich auch der Uebergang über die Edder voll-
ziehen. Kann man den Spuren der Vorzeit Schritt für
Schritt folgen, so ist es ja nicht so schwer den Zu-
sammenhang zu erkennen, schwieriger ist es, ^n einem
8*
116
mitten herausgegriffenen Ort denselben zu finden, aber
ich finde ihn.
Freut man sich im gewöhnhchen Leben alte Be-
kannte zu begrüssen, in weiter Ferne ist die Freude
noch grösser, da erblicke ich zuerst meinen alten Freund
vom Mönchehof her, er kommt frisch und fröhlich an-
geschritten, in seinem Rücken liegt der Meissner, es ist
der alte Sälzerweg. Er schliesst an der Diebesecke an
die Strasse, die am Fuss des Burgbergs herum führt
und marschirt weiter in der Richtung nach Köln, denn
am anderen Ufer erscheint an der Spicke-Mühle ein
alter Rasenweg, der den Namen Kölnische Strasse führt
und wohl an den Burgweg schloss, folge ich diesen
Spuren rückwärts eine Meile nördlich, so erscheint auch
wieder ein Mönchehof und ein Brunnen, der den Namen
Melchers- oder Molkersbrunnen trägt, ganz wie am An-
fang bei Sooden.
Kehre ich zur Buriaburg zurück, so erblicke ich
einen anderen Bekannten, er schreitet von Ober-Möllrich
herüber über das Landwehrfeld (Lampertsfeld), es ist
der Land- Wehrgraben (Lampertschegraben) ; er schliesst
sich an die alte Strasse, den Burgweg, der durch das
verschwundene Holzheim direkt zum Wege unter der
Burg und theils über die Eder an die Kölnische Strasse
oder nach Wildungen weiter geht, wohin wohl die
Kölnische Strasse führte, wenn sie nicht etwa hinter
dem Mönchehof westlich heruiiigeschwenkt hat. Ob
nun diese alte Strasse, dieser Burg weg sich rückwärts
südöstlich nach Bebra verfolgen lässt, das muss ich zu
erforschen jüngeren Beinen überlassen^ wenn dies aber
der Fall ist, wie ich aus seiner Richtung schliesse, so
hätten wir hier die Fortsetzung des Strassenzuges vor
uns, der von Oppeln, sowie vom Ritscheberg (Brieg)
über Striegau, Görlitz, Bautzen, Leipzig bis Eisenach
nachweisbar ist und der sich dann bis Frankfurt und
117
Köln ermitteln Hesse*). Die jetzige Strasse von Cassel
nach Frankfurt führt nur 2V2 km. entfernt am Birberg
vorüber, aus ihrer alten Richtung aber ist ersichtlich,
dass sie in einer Zeit, wo Fritzlar noch nicht bestand,
den üebergang über die Edder an der Buriaburg voll-
zog und dann dem Burgweg nach Südost folgend etwa
800 Schritt hinter dem verschwundenen Dorf Holzheim
in ihrer heutigen Richtung an der Stelle weiter zog,
wo sie jetzt einen grossen Bogen beschreibt, um von
pder nach Fritzlar zu gelangen, ebenso wie sie nördlich
einen grossen Bogen bildet, um nach Fritzlar aus- oder
einzumünden. Von deni Tage ab, wo sich in Fritzlar
der Mauerbau bildete, dort ein sicherer Stützpunkt ent-
stand und der üebergang über die Edder vollzog, war
die Buriaburg bedeutungslos.
Ich wage nicht zu viel, wenn ich sage : Bonifatius
fällte nicht nur die Donnereiche, nein der Schlag, den
er den damaligen Gewalthabern durch die Anlage der
Klöster und Ableitung der Strassen versetzte, war für
sie vernichtend. Sowie heute, wenn ein Bahnhof nach
*) König Wladislaus bestimmt 1503, dass die Laudstrasso
von Polen her nach Sachsen wie vor Alters gehen soll „von
Liegnitz uach Haynau, Bunzlau, Naumburg oder von Loewenberg
gen Lauban.'^
Kaiser Rudolf IL verordnet im Jahr 1580: „Wir gebieten,
dass sich all und jede Handels- und Fuhrleute mit allen Kaufmann-
schaften, als Salz, Vieh u. a. Waaren, welche aus Polen oder
Schlesien durch Brieg, Breslau heikommen und nach Sachsen,
Meissen, Thüringen führen oder treiben, wollen keine andere
Strasse, als auf Liegnitz, Haynau, Bunzlau, Naumburg, Lauban,
Görlitz, Buddissin etc. nehmen.'^ (Abgedruckt in der Hainauer
Chronik S. 29). Das war also die vor Alters übliche Strasse,
die dann von Leipzig herüber fast denselben Weg verfolgte, den
heute über Eisenach die Eisenbahn nimmt. Eine Verbindung von
Eisenach her nach Köln hat den Spuren nach zu schliessen über
Fritzlar, oder richtiger die Buriaburg geführt.
118
einem andern Stadttheil verlegt wird, die ganze bis-
herige dortige Thätigkeit, der Geschäftsverkehr aufhört
und der Ort verödet, so war es damals durch Ablenkung
der Strasse an ein Kloster, er bedeutete für die Gewalt-
haber nichts anderes als : fügt euch oder ihr verhungert.
Die Anlage der Klöster, Mönchehöfe etc. erhält
von diesem Gesichtspunkt eine viel einschneidendere
Bedeutung, als es auf den ersten Blick erscheint.
Die Donnereiche.
Obgleich dieselbe mit meiner Forschung nicht
direkt im Zusammenhange steht, will ich, da ich ein-
mal hier bin, mich doch einen Augenblick mit ihr be-
schäftigen. Ich glaube, sie erhielt ihren Werth erst
durch ihre urkundliche Erwähnung und Verbindung mit
den Handlungen eines hervorragenden Mannes. Dass
Bonifatius nur ihrethalben hierher gekommen sei, nehme
ich nicht an. Sie war wohl nichts anderes als einer
jener alten herrlichen Riesenbäume, wie wir sie in
Deutschland noch vielfach besitzen und die reich mit
religiösen Zeichen geschmückt, noch heute ebenso Stätten
der Andacht bilden, wie ehemals. Nur ihrethalben wird
Bonifatius nicht hierher gekommen sein, aber es gab
hier einen triftigeren Grund. Alle politischen und reli-
giösen Bewegungen haben nur dann Aussicht auf Er-
folg, wenn sicli ihnen Theile aus den höher stehenden
Schichten des Volkes anschliessen, die durch ihren Ein-
fluss und ihr Beispiel die tiefer stehenden mit fortreissen
und in gewissem Sinn die Führung übernehmen.
Ein solcher einflussreicher Punkt war die Bui'ia-
burg und dass es Bonifacius gelang, hier Einfluss zu
erlangen, beweisen die Nachrichten von seinem hiesigen
Aufenthalt. Hier unter dem Schutze der Burg, die
wohl nichts anderes war als auch Erpheresfurth (Erfurt),
das Bonifatius in seinem Briefe an Papst Zacharias als
119
eine seit alten Zeiten bestehende Stadt heid-
nischer Bauern bezeichnet*). Ein solch einflussreicher
Ort war auch die Buriaburg**); unter ihrem Schutz
konnte Bonifatius das Evangelium des Friedens predigen
und Einfluss in der Umgegend zu gewinnen suchen,
aber er konnte nicht gleich als Störenfried auftreten
und durch Vernichtung des der Verehrung geweihten
Baumes unnöthige Aufregung schaffen. Wollte man
annehmen, er habe den Deutschen zeigen wollen, dass
ihr Gott ohnmächtig sei, so würde man diesen Mann
unterschätzen. Unsere Vorfahren waren aus etwas
knorrigem Holz geschnitzt und wenn sie nach seinem
Beispiel an seinen Heiligthümern die Gegenprobe machten
(was sie später ja oft thaten) und sie sahen, dass sein
Gott auch nicht Feuer vom Himmel fallen Hesse, so
wäre es mit seinem Ansehn sofort vorbei gewesen. Er
hatte aber vorerst wichtigeres zu thun. Er hatte einen
Ort zu ermitteln, der zur Anlage eines Bisthums die
erforderlichen Eigenschaften besass, es mussten sich
in ihn alle Strassen leiten lassen, er musste sich leicht
zur Vertheidigung herrichten lassen und auch Raum
genug zur Entwicklung gewähren; diese Vortheile be-
sass die Buriaburg nicht in richtigem Maasse, sie lag zu
hoch, war räumlich zu klein und zu beschwerlich zu
erreichen und so schwer ihm die Gründung auf grünem
Rasen fallen mochte, musste er doch den geschützten
*) Landau^ Territorien S. 275.
**) Wenn Tacitus sagt, dass die Deutschen keine Städte
hätten, so ist das mit römischen Augen betrachtet richtig, gemauerte
Orte waien es nicht, aber derselbe Zweck wurde im grossen Ring-
wall erreicht. Selbst der faule Neger kann nicht ohne grössere
Vereinigungspunkte bestehen, vielweniger ein Volk, dessen Klima
einen umfangreichen Handel mit verschiedeneu Bedürfnissen, wie
Leder, Wolle, Pelzwerk aller Ai*t, Waffen, Ackergeräth u. s. w.
zur Noth wendigkeit machte, wo anders sollten die Niederlagen sein
als in den grossen Ringwällen.
120
Ort aufgeben, und nach dem er in der Stelle des heu-
tigen Fritzlar den geeigneten Punkt fand, konnte er
dort mit einem Nothkirchlein einfachster Art den An-
fang der Gründung machen.
Befand sich nun zufällig an diesem Ort auch die
Donnereiche, dann gab es für ihn nichts einfacheres,
als sein Kirch lein in ihren Schatten zu stellep und so
den alten Glauben in den neuen ohne jede Störung
langsam hinüber zu leiten, ein Fällen der Eiche war
also unnöthig.
Ganz anders aber liegen die Dinge, wenn man
annimmt, die Eiche stand nicht hier, Bonifacius hatte
an dem zweckmässigsten Ort sein Kirchlein erbaut, aber
die Bevölkerung der Umgegend kam nicht hinein, sondern
ging offen oder insgeheim, nach wie vor zur geheiligten
Eiche, da gabs für ihn keine Rücksicht mehr, die Eiche
musste fallen. Ob sie nun, wie mir gesagt wurde, auf
dem Johanniskirchenkopf stand oder nicht, ist dabei
gleichgültig*). Dass das erste Kirchlein nur ein Noth-
behelf war, beweist der 9 Jahre später im Jahre 732
erfolgte Neubau und bei diesem werden dann die mäch-
tigen Klötze der Donnereiche Verwendung gefunden
haben, nicht aber im ersten Nothbau.
Nach dieser Abschweifung von meinem eigentlichen
Pfade kehre ich zu diesem zurück, kann ich ihm auch
nicht wie ich möchte persönlich folgen, so will ich
wenigstens nach den vorgenommenen Ermittelungen die
Richtung zeigen, in welcher ein Anderer seine Schritte
mit sicherem Erfolge lenken kann.
*) Nachdem ich die Arbeit bereits beendet, erhalte ich auf
eine nachträgliche Anfrage bei dem Herrn Bürgermeister Klein-
schmidt in Geismar noch die Antwort, dass in Geismar in der Be-
völkerung nur der Johanniskirchenkopf als der von der Sage be-
zeichnete Ort gilt, an dem die Donneroiche gestanden hat, es sind
dort auch vor mehi*eren Jahien eine Anzahl Urnen zu Tage ge-
fördert worden.
121
Ueberschreiten wir die Edder, so ist dem Lauf der
alten Kölnischen Strasse folgend der erste Stützpunkt
Geismar. Ich habe an allen grösseren Wasserläufen
gefunden, dass an jedem Ufer des Flusses an der Ueber-
gangsstelle ein Ringwall war, die Spuren sind hier noch
zu suchen*). Folgen wir südöstlich zunächst 2500
Schritt dem Gudensberger Pfade und biegen dann nord-
östlich in die alte Strassenspur nach Wehren ein, so
gelangen wir eine halbe Meile weiter etwa 750 Schritt
an der zweiten Strassenschanze vorüber, die hier mitten
zwischen zwei ,'alten Wegen hegt, zu der Forken-
burg, einem grösseren Ringwall dessen Süd Westseite offen
ist; ziehen wir an ihr vorüber wiederum 3V2 Kim.
weiter, so gelangen wir an den Wartbergbei Kirch-
berg, dessen Gipfel einst eines jener alten Bauwerke
trug, wie ich sie wiederholt beschrieb. Wir sind jetzt
aber, seit wir früh auf der Büraburg aufbrachen, trotz
Ueberfähr und schlechtem Wege schon 1 Va Meilen
weiter gelangt, das ist unser halbes Tagewerk, hier am
Fusse des Wartberges, der uns vor Ueberraschungen
sichert, wollen wir in seinen Herbergsräumen Rast
halten, wie man es lange vor uns that. Vorgänger von
uns fanden schon seit 1818 die Spuren, die unsere ür-
vorläufer hinterliessen, vom Knochen bis zur Goldmünze,
vom Steinbeil bis zum Panzerhemd**). Nachdem wir
unsere Lastthiere gefüttert und zu unserer eigenen
Stärkung uns selbst ein Opfer gebracht haben, folgen
wir der alten Heerstrasse und gelangen 3 Kim. weiter
direkt nach Metze. — Hier hat die hessische Forschung
das Weitere ja schon gefunden, kehren wir daher um.
*) Auf nachträgliche Anfrage erhalte ich von dem Bürger-
meister Herm Kleinschmidt in Geismar die Antwort, dass die um
Geismar herumführenden Dorfstrassen eine auffallend tiefe Lage
haben und auf ehemalige Ausgrabungen schliessen lassen.
**) Zeitschrift für hess. Geschichte und Landeskunde, Jahrg.
1860, Bd. VIII., Seite 100; Jahrg. 1888, Bd. XXIU., S, 228-233.
122
Verfolgen wir jetzt einen Augenblick die südliche
Richtung von der Buriaburg, so leitet ein alter Pfad
nach dem 3 Kim. entfernten Rothhelmshausen, von
hier gegen 5 Kim. weiter führt derselbe nach der
Hundsburg, von ihr hinab zum Dorf Kerstenhausen
und von hier wiederum 4 Kim. weiter nach der Alten-
burg. Von da leitet der Pfad in die alte Strasse durch
Römersberg in der Richtung nach Ziegenhain. Wir
finden also hier ganz dieselben Verhältnisse wie. in
nordöstlicher Richtung, ja es wiederholt sich hier sogar,
was in Schlesien und der Lausitz hervortritt, dass die
umwohnenden Dörfer, welche 'einst in diesen Vesten
ihre Zuflucht fanden, auch später noch ihr gemeinsames
Recht dadurch wahrten, dass sie die Flur- oder Kreis-
grenze mitten durch sie zogen, das ist auch bei der
Altenburg der Fall. Der beschriebene Pfad war aber
urs'prtinglich wohl nur Saumpfad und die Karrenwege
müssen östHch und westlich des Gebirgsstockes herum-
geführt und alle 3 bis 4 Kim. ihre Schutzwehren, ihre be-
festigten Herbergen gehabt haben, diese nun zu ermitteln
ist eine dankbare Aufgabe der dortigen Lokalforschung.
Hierbei möchte ich bemerken, dass sich in Schlesien um
diese Punkte die Dörfer bildeten, oft waren es nur Erd-
haufen von b oder 10 bis 15 m. oberem Durchmesser
und nur 1 bis 5 m. Höhe, auf denen ein leichter Bau
stand. In Süddeutschland bezeichnet man alle diese
Hügel als Hünengräber, wo man in Schlesien sie als
Tartaren-, Schweden- u. s. w. Schanzen bezeichnet, die
slavische Einwanderung aber, welche die vorhandene
Kultur verfallen liess und diese Strassenschanzen wahr-
scheinlich schon zerstört vorfand und für ihren Zweck
kein Verständniss hatte, nannte sie einfach kopiec (Erd-
haufen) und die spätere deutsche Einwanderung des 12.
und 13. Jahrhunderts, die den ursprünglichen Zweck
auch nicht kannte, wandelte das kopiec in Kuppitze
123
um, mit welchem Namen auch jeder kleine Erd- und
Grenzhaufen bezeichnet wird. Auffälliger Weise geht
die Richtung aller alten Pfade und Strassen von Süd-
west nach Nordost.
Wenn Tacitiis in seiner Germ. 17 sagt, dass der
deutsche Handel sich nur auf Pelzwerk erstreckt habe,
so müssen wohl doch auch noch einige andere Artikel
dabei gewesen sein, sonst würde sich die grosse Masse
der nach Nordost führenden Pfade nicht erklären lassen,
so läuft z. B. östlich von hier etwa 3 Meilen entfernt
ein zweiter Strassenzug mit der hiesigen alten Frank-
furter Strasse parallel. Es sind die Reste eines Saum-
pfades, die aus der Richtung Melsungen herunter leiten
über Elfershausen, Ostheim, Homberg, Sondheim nach
Ziegenhain und wahrscheinlich Giessen, und die hier
zunächst durch die verschwundene Krachenburg, die
Sauerburg, die verschwundene Drachenburg, Homberg,
Herzberg u. s. w. gedeckt werden. Ich habe diese Linie
nicht persönlich verfolgt, die Angaben beruhen auf
vorangegangenen Ermittelungen und muss ich das Wei-
tere der hessischen Forschung überlassen. Ich lenke
jetzt meine Schritte weiter westlich, da ich annehme,
dass da, wo sich Jahrhunderte lang zwei gewaltige Völker
ins Auge sahen, dass da neben den Verschanzungen der
Römer doch auch solche des Gegners vorhanden sein
müssen. Die Römer werden ihren Grenzwall nicht ohne
Grund plötzlich bei Grüningen kurz herum geschwenkt
haben und die Deutschen können nach dem, was wir
bis hierher von ihnen gesehen haben, unmöglich solche
Thoren gewesen sein, sich den römischen Verschanzungen
gegenüber schutzlos hinzustellen, wenn dies die Römer
im national römischen Interesse auch verschweigen.
Ist bis jetzt über das Vorhandensein solcher deutscher
Grenzwehren nichts bekannt, nun so ist es doch das
Allereinfachste, man sieht sich die örtliche Lage an und
124
sucht sie da, wo sie nach Berücksichtigung der örtlichen
Verhältnisse gelegen haben müssten.
Einen solchen zur Vertheidigung von der Natur
geschaffenen Punkt bildet der
Dinsberg nordwestlich von Giessen.
Die amtliche Schreibart ist Dünstberg ; wodurch die
Dünste erzeugt wurden, weiss ich nicht, die Bevölkerung
spricht nur Dinsberg, so wie wii; Dinstag sagen. Dieser
Berg enthält das ausgedehnteste Schanzenwerk, das ich
auf meiner Wanderung hier und in Schlesien fand, zu
seiner Errichtung müssen nicht blos die Bewohner der
Umgegend gearbeitet, hier müssen weit grössere, aus
der Ferne herangezogene Kräfte gewaltet haben. Eine
dreifache ümwallung umschliesst den etwa 300 m. höher
als die Lahn und Dill gelegenen Berg. Die Anlage der
Wälle und Gräben ist wie an anderen Orten, ein 1,50 bis
2 m. hoher steiler Wall umschliesst einen Graben, dessen
Sohlenbreite bis 7 m. beträgt. Indem sich die Wälle
an die Form des Berges schliessen, waltete doch das
Bestreben vor, möglichst lange grade Linien zu erzielen
und die Form dem Viereck nahe zu bringen. Die beiden
inneren Umwallungen liegen in Entfernungen bis zu
266 und 104 m. vom unteren ersten Wall entfernt.
Auf der Kuppe des Berges befindet sich ein nur 1 m.
erhöhter geebneter Raum von 17 m. Breite und 28 m.
Länge ; jedoch möchte ich nach der theilweis zu gut
erhaltenen achteckigen Form schliessen, dass hier einmal
in neuerer Zeit eine schaffende Hand gewaltet hat.
Nachträglich erfahre ich, dass hier im Jahre 1759 Be-
festigungen angelegt wurden. Hier auf der Kuppe
kann in der Vorzeit nur ein verhältnissmässig kleiner
Bau gestanden haben, die Idee der Anlage ist wie in
Steinseifersdorf in Schlesien. Der erste Wall umschliesst
den Berg in einem Umfang von rund 2600 m.
125
Wenn man beim Aufstieg von N.-O. von der Strasse
nach Frankenbach herauf, eine sehr steile Höhe von
etwa 100 m. hoch erklommen, und die erste Windung
des zur Kuppe führenden Weges erreicht hat, befindet
sich 12 m. über diesem eine grabenartige Vertiefung
von 7 m. Breite, weitere 30 m. flach ansteigend ist
ein weiterer 5 m. breiter, flacher Einschnitt vorhanden,
wiederum 55 m. schräg hinauf liegt abermals ein 5 m.
breites Banket und nun steigt 15 m. die steile Böschung
des ersten Walles empor. Diese zuerst beschriebenen
3 Einschnitte, welche sich theils schwächer theils stärker
auftretend um den Berg herum verfolgen lassen, müssen
ihre eigene Bedeutung haben. Gegenwärtig sind durch
die Alllage eines Fahrweges bis zur Kuppe nicht nur
diese Spuren vielfach verwischt, sondern auch die Wälle
und Gräben selbst sind durchbrochen, ohne indess die
Gesammtwirkung dieses gewaltigen Schanzenwerkes auf-
zuheben. Hier hinter diesen weit auseinander liegenden
Wällen konnte sich eine damalige ganze Armee sammeln,
die breiten Gräben boten Raum für alle Habe und zur
Vertheidigung und ich schliesse, dass an den, ausserhalb
des ersten Walles vorhandenen flachen Bahnen sich die
Wohnungen für Menschen -und Stallungen für ihr Vieh
befanden, gleichviel ob es richtige Häuser oder Hütten
waren. Im Falle der Noth zogen sie sich hinter den
ersten Wall zurück, während diejenigen, die das Ganze
leiteten, ihre Wohnung wohl immer in dem Kernwerk
auf der Kuppe des Berges hatten.
Die Anlage des grossen ersten Walles ist derart
ausgeführt, dass er sich nach Südost zum Fuss des
Berges herabsenkt und in seinem 7 m. breiten Graben
eine breite Strasse zum Abstieg bei erfolgtem Auszug,
sowie einen bequemen Aufstieg bei der Rückkehr ge-
währte. Folge ich nun im Geist dem Auszug der hier
gesammelten Schaaren und blicke mit meinem leiblichen
126
Auge der südöstlichen Richtung folgend in die Ferne,
so finde ich 2V2 Meilen von hier den römischen Grenz-
wall, welcher sich im scharfen Bogen nach Südost her-
umzieht. Der Dinsberg selbst wird rechts und links
gedeckt durch steil nach Südost abfallende Berge und
Schluchten; ein Angriff von vorn dürfte wenig Erfolg
versprechen, eine Umgehung oder ein seitlicher Angriff
wird durch die in ganz Hessen vorwaltende Abwechse-
lung schmaler Hochebenen mit tiefen steil abfallenden
Thälern ebenfalls sehr erschwert.
Die Lahn und die Dill umschliessen ihn südwest-
lich im rechten Winkel, folge ich aber den beiden
ältesten Wegspuren, welche südwestlich und südösthch
auslaufen, so gelange ich nach Wetzlar und Giessen,
diese beiden Orte müssen einst die Brückenköpfe ge-
wesen sein, um die ein beständiges Ringen gewaltet
haben mag. Durch das Vorhandensein der grossen Veste
Dinsberg, die von der Natur und Kunst zur schwer
bezwinglichen Ausfallpforte geschaffen war, erklärt sich,
warum die Römer ihren Grenzwall nicht weiter östlich
führten, sondern kurz herum, in der Richtung nach
Hanau schwenkten. Eine von mir nach der Landes-
aufnahme von 1875 gefertigte Skizze veranschaulicht
die beiderseitige Lage. Die volle Bedeutung des Dins-
berges in strategischer Beziehung zu schildern, muss
ich den Herrn Militärs überlassen.
In der Bevölkerung gelang es mir nicht, irgend
eine mündliche Ueberlieferung zu ermitteln, die Urbe-
wohner wurden wohl im Kampf vernichtet, vielleicht
auch später durch andere Ansiedler in den Sachsen-
kriegen ersetzt, wodurch die Sage verloren ging, aber
Namen von Bergen, wie der nordwestlich am Fusse des
Dinsberges belegene »Todtmahl«, der an ihn grenzende
>Geisterküppel« und das dahinter liegende »Helfholz«
deuten an, dass hier ein Verbrennungsplatz war, an
127
dem den aus der Ferne gekommenen Leidtragenden ein
Mahl verabreicht wurde, wie dies in ländUchen Häusern
heute eben noch geschieht und dass neben dem Be-
stattungsort auch eine Opferstätte gewesen ist, an der
man Hilfe erflehte. Ausserdem werden mir eine grosse
Menge Hügel als Hünengräber genannt, ich habe sie je-
doch nicht gesehen und enthalte mich daher jeden Urtheils.
Den Funden wurde erst in neuerer Zeit durch
Herrn Freiherrn von der Hoop auf Schmitte bei Rod-
heim an der Bieber Beachtung geschenkt, dessen gütiger
Mittheilung ich die weiteren Nachrichten verdanke. Bei
Holzfällungen im Gemeindewald Rodheim fanden sich
fast unter jedem alten Baum Waffen, Hufeisen, Ringe
und dergl., es ging damit aber, wie es überall geht,
die Holzmacher zerschlugen die Gegenstände, Hessen
sie unbeachtet liegen, nahmen sie den Kindern zum
Spielen mit nach Hause u. s. w. Dem Herrn Baron
gelang es zwar sie theilweis wieder zu ermitteln, aber
gerade auf der Hauptfundstelle, dem sogenannten »Ge-
brannten«, war leider der Holzschlag schon beendet, als
er von den Funden Kenntniss erhielt. Die Funde be-
standen : Auf der Kuppe des Berges aus einem halben
Handmühlstein, am untersten Wall aus vielen Topf-
scherben, Hufeisen, Waffenresten, an verschiedenen Stellen
aus Ringen von Eisen, Streitäxten, Lanzenspitzen zum
Aufstecken auf die Holzstange, Pfeilspitzen und einem
breiten zweischneidigen Schwert, ferner einem Bronce-
ring, einem Pferdezaum, einer Ptiugschaar und beim
Ackern aus einer kleinen Geldmünze in Form einer
Schüssel. Von einer anderen Seite wird noch der Fund
von schön polirten Steinhämmern berichtet. Alle diese
Gegenstände sandte der Herr Baron dem historischen
Verein zu Giessen.
Woher der Name stamme oder was er bedeute,
darüber gehen die Ansichten sehr weit auseinander.
128
Die amtliche Schreibart Dunst führte Jacob Orimm zu
der Annahme, das Wort stamme vom keltischen Dun,
das in Düne (am Meer) noch enthalten ist. Die Aus-
sprache der Bevölkerung Dinsberg führte andere zu
anderen Schlüssen, so Professor Wippermann zu »Dings-
berg« (Gerichtsstätte). Andere zur Ableitung von Tyrs-
berg, der dem Kriegsgott Tyr, Zio, Ziu geweihte Berg,
damit wären wir eigentlich dem Vater Odin sehr nahe
gekommen, aber von Seiten der wissenschaftlichen
Sprachforschung wird mir erklärt, dass eine solche
doppelte Umbildung, nach welcher neben dem W. bei
Wodan auch noch das im Anlaut verschwände, selbst
im nordischen nicht denkbar sei. Indess unsere Land-
bevölkerung besitzt eine staunenswerthe Fertigkeit, un-
glaubliches möglich zu machen, sobald ihr erst der Sinn,
die Bedeutung des Namens entschwand *) und was ihr
nicht gelingt, das bekamen auch in Hessen die amt-
lichen Schreiber frisch fertig. Sachlich wäre es richtig,
wenn diesem gewaltigen Schutzwall der Name des
höchsten Gottes beigelegt wurde; ob es sprachlich mög-
lich ist, das zu beurtheilen überlasse ich denen, die das
besser verstehen als ich.
Durch Herrn Freiherrn von der Hoop erhalte ich
weitere Mittheilungen des Herrn Professor Bivchnet^ in
Giessen, wonach J. Wolf in seinen hessischen Sagen
berichtet, dass unter den Wällen des Dinsberges grosse
Schätze verborgen seien, die zu bestimmten Tagen im
Jahr zugänglich werden. (Dieselbe Sage erscheint auf
dem Zobtenberge in Schlesien.)
*) Den Vornamen Josef verwandelt unsere Landbevölkerung
in Seffe. Nepoinuck wird mit Weglassung der Silbe Ne und Aen-
derung des p in b als bomeccn, in einigen Orten sogar nur als
cen gesprochen, also in einer Silbe, die in dem Namen gar nicht
vorkommt. Ottiiie wird in tilka, und sogar in gebildeten Kreisen
Gabriele in jella verwandelt.
129
Weitere Mittheilungen desselben Herrn besagen.
>dass zur Römerzeit das Lahn- und Wieseckthal bei
Giessen ein weiter unergründücher menschenleerer Sumpf
gewesen sei, in welchem von Befestigungen nichts be-
kannt ist.«
Dergleichen natürliche Hilfsmittel wie Sümpfe
verstanden die Schanzenbauer vortrefflich zur Yerthei-
digung zu benutzen, auch hier machte das die Stellung
am Dinsberg um so sicherer. Aber aus diesem Sumpf
erhoben sich auch Punkte, die sich an beiden Seiten
zur Stütze eigneten, so liegt beispielsweise der jetzige"
Bahnhof Giessen 9 m. höher als die Lahn, es musste
sich in der Gegend des heutigen Giessen ein üebergang
über den Sumpf befinden, wenn die Bewohner des Dins-
berg nicht den Zusammenhang mit der Wehrlinie ver-
lieren wollten, die sich der Richtung des Römerwalles
folgend etwa 2 bis 3 Meilen von ihm entfernt in beiden
Richtungen gezogen haben muss.
Noch theilt Herr Professor Buchner mit, dass sich
in der Nähe Giessens ein Dorf Selters befand, das etwa
1530 — 1533 von Philipp dem Grossmüthigen zerstört
wurde und bereits in einer Lorcher Urkunde von 775 er-
wähnt werde. Da nun auch ein Steig unter dem Namen
Sälzerweg oder Selters weg in der Nähe des Dinsberges
vorkommt, so drängt sich die Frage auf, welcher Zu-
sammenhang besteht zwischen beiden? Haben wir es
hier mit dem Sälzerweg zu thun, der vom Weissner
lierabkommt an der Büraburg vorüber und der als
ältester Verkehrsweg, als Saumpfad nach Frankfurt und
Coblenz weiter ging, dann war das Dorf Selters wohl
der erste Handelsplatz, als Salzniederlage, der Vorläufer
Giessens. Ob das richtig ist, muss ich der hessischen
Forschung zu ermitteln überlassen, ihr wird es nicht
schwer fallen, den alten Pfaden zu folgen. Hatte Selters
die vermuthete Bedeutung, dann dürften an der Stelle,
N. F XV. Bd. 9
130
wo es stand, vielleiebt noch Spuren der ehemaligen
Umwallui^ zn finden sein.
Auf einen anderen Punkt möchte ich die Herren
hessischen Forscher aufmerksam machen. Wo die
Schanzenbauer Dammstrassen durch Sümpfe zogen,
schützten sie diese Anlagen durch Befestigungen, die
sich an den Enden oder auch in der Mitte des Dammes
befanden, sie gaben zu diesem Zweck dem Damm ein
doppeltes Knie ; auf einem Hügel, nicht grösser als das
grosse Hünengrab bei Sooden, war ein Bau aus Holz
und Lehm errichtet, der den Damm beherrschte. Viel-
leicht finden sich derartige Reste vor.
Kehre ich nun nochmals zum Dinsberg zurück.
Dass ein heftiger Kampf um ihn getobt, zeigen die
Funde der weithin verstreuten Waffen; wie er geendet,
zeigt der Gang der Geschichte.
Da es mir nicht möglich ist, den Spuren der
deutschen Grenzwehr weiter zu folgen, so will ich kurz
die Punkte bezeichnen, die ich als zu ihr gehörig er-
mittelte. Sie leiten vom Dinsberg über die Bieler Burg,
die Leuner Burg, in südwestlicher Richtung weiter über
den Hausberg 2 km. südwestlich von Hausen bei Butz-
bach, dann weiter über den Altkönig, den Kellerskopf,
Rennpfad, Wirzburg, Schleiferskopf und den Raben
zum Rhein.
Nachdem es den Römern gelungen war, diese
Wehrlinie zu durchbrechen und zu nehmen, setzten sie
ihre Mauerburgen auf die Nordseite des Taunus. Die
alte deutsche Wehrlinie und die neue römische scheinen
sich in der Gegend von Wehren zu kreuzen. Die er-
wähnten deutschen Wälle sind, soviel ich darüber er-
♦) lieber den Hausberg bei Hausen liegen mir zwei be-
stimmte Nachrichten vor, eine amtlich, eine privat, dass er noch
Wälle enthalte, aber auf den Generalstabs-Karten und preuss.
Messtischblättern ist keine Andeutung dafür enthalten.
131
fuhr, nach gleichen Grundsätzen in Bezug auf ihre ört-
liche Lage und Ausführung errichtet, wie alle die, welche
von Schlesien bis zum Rhein vorhanden sind. Wir
wissen, dass unsere Väter es waren, die in ihnen am
Rhein und in Hessen mit den Römern Jahrhunderte
blutig rangen und damit ist auch die Frage gelöst, wer
alle diese Schanzenwerke der vorgeschichtlichen Zeit
erbaut und benützt habe. Wendet man mir ein: Ein
solches planmässsig durch ganz Deutschland und weit
darüber hinaus geschaffenes einheitliches Werk kann
nicht von den Deutschen vollbracht sein, denn die waren
ja stets ein zerrissenes, in viele kleine Stämme ge-
spaltenes Volk, das sich selbst befehdete, so erwidere
ich: Ja es ist wahr, wir waren zerrissen, jeder Stamm
schloss sich gegen den anderen ab, aber wir waren
doch trotzdem stets ein grosses Volk, das in räumlichem
Zusammenhange wohnte. Stamm an Stamm gelehnt und
nicht nur vereint durch gemeinsame Sprache
und Sitte, sondern vor allem durch das unzer-
trennliche Band einer alle Stämme umschlin-
genden nationalen Religion! Wenn daher auch
die einzelnen Glieder dieser grossen deutschen Volks-
familie sich gegenseitig befehdeten und sich bei ihren
Grenzstreitigkeiten nach damahger Sitte die Prozess-
akten mit Blut und Eisen auf den Rücken schrieben,
wir thaten es ja vor kurzem noch uqd welches grosse
Volk hätte das nicht gethan. So hörten sie doch des-
halb nicht auf Glieder eines und desselben Volkes zu
sein und sich als zusammengehörig zu erkennen.
Wäre das Bewusstsein der inneren Zusammenge-
hörigkeit nicht von Anbeginn bis heute im Volke leben-
dig gewesen, dann hätte Armin niemals die Stämme
vereinen und die Römer schlagen können. Dann wäre
auch der Kampf zwischen Hermann und Marbod ganz
anders ausgefallen, wo sich doch eigentlich die Heere
9*
132
iiur im Kreise schwenkten ; dann wäre es uns auch
nach dem 30jährigen Kriege nie mehr möglich geworden
wieder als grosse Nation zu erstehen. Ja, ohne das
klare Bewusstsein der Zusammengehörigkeit hätten es
die sächsischen und süddeutschen Regimenter nicht
vollbracht, im Jahre 1813 auf dem Schlachtfeld von
Leipzig gegen den Willen ihrer Führer zu den Preussen
überzugehen, mit denen sie sich noch kufz vorher so tapfer
geschlagen hatten. — Man vergesse doch nicht, nicht
das Volk, nein seine Führer waren es, die vor zwei-
tausend Jahren die Zerrissenheit schufen und unter-
hielten.
Wenn ich aber finde, wie tief noch überall der
Name des alten Vater Wodan wurzelt, dann bin ich
geneigt anzunehmen, dass schon einmal eine gewaltige
Hand alle Stämme führte, ehe es römischem , Golde
möglich war, durch selbstsüchtige Streber Unfrieden zu
schaffen und die Zerrissenheit herbei zu führen.
Es bleiben nun noch einige Fragen zu beantworten.
In Schlesien und Hessen finden sich viele Schanzen, die
an einer Seite offen sind und augenscheinlich dort auch
nie einen Wall hatten, welche Bewandniss hat es mit
ihnen? Wir finden einen Nachklang dieser Bauform in
unseren heutigen Soldatenhäusern, den Kasernen. Eine
hohe Mauer umschliesst den Hof, an sie lehnen sich
verschiedene Wirthschafksgebäude und die eine Seite
schliesst das Haupt-Gebäude. Denken wir uns statt
der Mauer einen Erdwall, der Graben entstand bei seiner
Schüttung von selbst, denken wir die Wirthschafts-
räume in dem hohlen Wall und die eine Seite wird von
einem Gebäude aus Holz und Lehm geschlossen, so
haben wir das Bild eines offenen Ringwalles, dann wird
die ganze Anlage durch Feuer zerstört, so erhält der
Wall auf der Innenseite durch den Zusammensturz der
Hohlräume zwar Unebenheiten, aber nach aussep bleibt
133
seine Fläche meist wie sie war. Von dem Gebäude^
aber bleibt nichts als ein Häufchen Asche und mehr
oder weniger hart gebrannter Lehm, dessen Vorkommen
schon verschiedene Forscher zu der Annahme verleitet
hat, die Deutschen hätten die Lehmwände ihrer Häuser
im Feuer gebrannt, man wisse aber nicht wie. Wind
und Regen fegten im Laufe der Zeit die Asche und
den erweichten Lehm hinweg und nur noch in der Erde
finden sich Spuren, aber der Wall ist offen.
In der Regel setzte man das Gebäude an eine
solche Stelle, die steil abfiel und wo der Boden zum
Wall hätte angefahren werden müssen, man sparte also
Mühe und Arbeit. Die grossen Schanzen erfüllten den
Zweck, den die Forts der Amerikaner in den Indianer-
gebieten heute noch erfüllen. In gefahrvollen oder
freudig erregten Zeiten wurden die Zugänge durch unter-
haltene Feuer gesperrt und die hervorragendsten Punkte
des Ringwalles durch dieselben erleuchtet. Es ergiebt
sich dies aus vielen Stellen der älteren Edda, deren
Haupthandlung sich ja in Deutschland vollzieht. Leider
trugen die Ueberlieferer ihre Mittheilungen in poetischer
Form vor und neuere Deuter wurden dadurch versucht
aus ihnen alles mögliche zu deuten, vom Abendroth bis
zur Götterdämmerung, sogar aus den durch Schmelzung
des Sandes durch diese Feuer erzeugten Schlacken er-
fand man die Bezeichnung der Glasburgen. —
Welchen Werth hatten denn nun alle die kleinen
und mittleren Schanzen im Falle eines feindlichen Ein-
bruchs? Sie hatten in erster Linie die Strassen zu
sperren, die umliegende Bevölkerung zur Flucht und
zur Vertheidigung aufzurufen und den Feind möglichst
lange aufzuhalten. In Schlesien führten die alten Strassen
meist über Teich dämme, an denen eine kleine oder
mittlere Schanze lag. Der hereinbrechende Feind be-
stand meist aus Reiterhorden, sahen sich die Schanzen-
134
leute dem Anprall nicht gewachsen, so stachen sie den
Damm durch, das Wasser besorgte die weitere Zer-
störung und wenn nach einigen Stunden der Teich ab-
gelaufen war konnte doch noch niemand durch den
Schlamm reiten. Die Zeit genügte also für die Bevölkerung
zur Flucht nach den grossen Schanzen, die rechts oder
links meist in 1 oder höchstens 2 Stunden zu erreichen
waren. Die Schanzenleute aber, die gewiss ihre Behausung
selbst anbrannten, um sie dem Feinde zu entziehen, trieben
nun in den vorhandenen Laufgräben die Bevölkerung vor
sich her und deckten gleichzeitig ihren Rückzug, was
um so leichter geschah, als die Rückzugsgräben von
beiden Seiten stark mit Dornen bepflanzt waren und
theilweise heute noch damit bestanden sind. Es erklärt
sich aus obigem, warum in einer viel späteren Zeit die
polnischen Einbrecher es vorzogen in Schlesien im
Winter einzufallen, wenn die Teiche gefroren waren.
Theilweise müssen die Strassenschanzen noch im
13. Jahrhundert in Betrieb gewesen sein, denn die ge-
fürchteten Tataren legten die 223 km. lange Strecke
von Ratibor bis Wahlstadt in etwa 23 Tagen zurück,
machten also täglich nur etwa Vk Meilen. In Hessen,
wo die Anlage von Teichsperren nicht angänglich war,
wählte man für die mittleren und kleinen Schanzen
meist schwer zugängliche Orte und schützte sie so wie
im schlesischen Gebirge durch dreifache Wälle. Auch
hier liegen die grossen Schanzen immer so dicht, dass
sie von der Bevölkerung schnell zu erreichen waren
und am Löwensteinergrunde lässt sich heute sogar aus
den alten Pfaden noch schliessen, welche Dörfer auf
die Hunds- oder auf die Altenburg zu ziehen hatten.
Dort konnten sie alle Massnahmen treffen und waren
vom Feinde sicherlich unbehelligt. Nach der grossen
Sorgfalt aber, die sich überall in der Anlage dieser
Volksburgen und der zu ihnen führenden Rückzugslinien
135
offenbart, kann ich nur schliessen, dass dort oben auch
im Frieden schon alles das vorhanden war, was man
im Kriege bedurfte, Wohnungen, Lebensmittel, Stall-
ungen, Futter und auch Vertheidigungsmittel aller Art.
Nun ist es aber undenklich, dass alle diese grossen und
kleinen Plätze im Frieden ohne Bewachung, ohne Schutz
und somit ohne eine Waffen- und Kriegs-geübte Be-
satzung gewesen wären, die den Platz gegen einen
feindlichen Handstreich sicherte und im Kampf die
Führung übernahm und den Stamm bildete, um den
sich die Ungeübten schlössen. Mochte ihre Zalit so
gering sein wie sie wollte, aber sie mussten vorhanden
sein. Für Hessen ist das durch Tacihis in seiner Ger-
mania Kap. 29. 30 und vor Allem am Schluss des 31.
Kapitels klar und unzweifelhaft nachgewiesen. Die
verschiedenen Abstufungen soldatischer Kraft und Grösse,
aber auch ihr Verfall bis herab zum abgenützten Vete-
ranen zeigen ein Bild, das auch heute noch mit der
Wirklichkeit übereinstimmt. Wenn er aber sagt:
> Keiner hat Haus noch Acker, noch einige Beschäf-
tigung; wo sie hinkommen, leben sie von Andern, Ver-
schwender fremden Guts, Verächter des Eigenthums,
bis endlich kraftloses Alter sie der so rauhen Tapfer-
keit unfähig macht«, — so wird doch Niemand be-
haupten wollen, das sei eine Schilderung des hessischen
Volkes; ein solches Volk könnte niemals bestehen, es
ist dies nichts weiter als ein Bild hessischer Be-
rufssoldaten. Wenn Tacitus im 32. Kapitel die be-
rühmte Reiterei der Tenkterer erwähnt, so gehört doch
vor allem zu ihrer Ausbildung ein geübter Stamm,
wenn er aber im 35. Kapitel ausdrücklich von den
Chauken erklärt: >Schlagfertig ist jedoch Alles und
im Nothfall ein Heer in Bereitschaft etc.«, so bedarf es
weiter keines Beweises für das Vorhandensein einer ge-
übten Stammtruppe. Diese Angaben des Tacitus stimmen
136
mit dem überein, was ich in den Spuren der Vorzeit
finde. Das Bild der Zustände unseres Volkes wird aber
dadurch ein anderes, als es vor Allem in den Kreisen
unserer Künstler so gern zur Darstellung gebracht wird.
Um nun ein klares Bild über die Verhältnisse der
Vorzeit zu erhalten, wird es nöthig sein, die zwischen
den Schanzengürteln, in ihnen selbst und an den alten
Strassenzügen noch vorhandenen Lücken zu füllen.
Jetzt ist das noch vielfach möglich, vor Allem in
Hessen, wo die Zusammenlegung der bäuerlichen Grund-
stücke noch nicht überall erfolgt ist und es auf Bergen
und Triften zur Hutung noch viel wüfetes Land giebt.
Jetzt liegen dort die alten Ringwälle noch so dicht,
dass es nicht schwer hält, ihren Zusammenhang zu er-
mitteln und dem alten Pfad zu folgen. Man wird da-
raus nicht nur ersehen, dass es in Deutschland schon
einmal eine Zeit gab, wo das Land mit Ausschluss der
Städte, wenn auch nicht so dicht bevölkert, aber fast
ebenso dicht besiedelt war als heute, sondern man wird
erkennen, dass die Bewohner auf einer höheren Stufe
der Kultur standen, als nach römischen Berichten, die
in ihrem nationalen Interesse die Wahrheit verschwiegen,
angenommen wird*). Die deutschen Ringwälle reichen
über den römischen Grenzwall nach Westen hinaus,
wenn nun die Römer die thatkräftigsten deutschen
Stämme nach Osten drängten, so musste das bei der
*) WenQ z. B. die Römer schrieben, das letzte Glied der
deutschea Streiter sei nur mit spitzgebrannten Staugen bewaffnet,
so erkannten sie entweder den Ernst ihrer Lage nicht, oder wollten
ihn abschwächen, denn eine derartige Bewaffnung beweist doch
nur, dass sie hier dem vollen Volksaufgebot gegenüber standen,
für das sich der Waffen vorrath ebenso unzureichend erwies wie
1813, als unsere Väter einen gleichen Verzweiflungskampf fühi-teu
und Jünglinge und Greise nur theilweise mit Piken bewaffnet die
Franzosen so vor sich herjagten wie die Urväter mit gespitzten
Stangen die Römer,
137
Dichtigkeit der Bevölkerung eine Spannung erzeugen,
die eine Volks-Fluthwelle wieder nach Westen, weit
über die ursprünglichen Ufer hinaus zurückwarf, nicht
nur die Römer hinweg fegte, sondern auch von Osten
her andere Volkswellen nach sich zog, die beim aber-
maligen Rückschlag auch die bisherigen deutschen
Grenzen veränderten.
Unsere Aufgabe wird es nun sein, soweit als mög-
lich noch zu ermitteln, wie weit sich nach Osten und
Süden die alten Marken unseres Volkes zogen, wie
weit die Ringwälle unserer Väter reichen. Welchen
Nutzen unsere Nachkommen dann aus unserer Arbeit
ziehen werden, das wollen wir ihnen getrost überlassen.
Wir können die weitere Forschung als eine na-
tionale That betrachten.
Von dem Wahn der Schweden- und Tataren-
schanzen sind wir befreit, frischer schreitet die For-
schung ihrem klaren Ziel entgegen und ich scheide mit
dem alten deutschen, in Hessen statt des wälschen
Adieu noch überall gebräuchlichen Abschiedsgruss :
»Machts god!«
* *
*
Anmerkung zu vorstehender Abhandlung.
Die obige Abhandlung des HeiTn Vug enthält zweifellos
reiches, durch den Augenschein gewonnenes Material und manchen
beachtcnswerthen Wink für die Ijokalfoi*schung. Auch wo die Aus-
führungen des Herrn Verfassers Widenspruch envecken müssen, sincj
sie doch geeignet, zu weiterem Forschen anzuregen. Schon aus
diesen Gesichtspunkten durfte der fleissigen Arbeit die Aufoahme
in die Zeitschrift nicht versagt werden. Die Ergebnisse, zu denen
der Herr Verfasser an der Hand seiner Nachfoi-schungen gelangt,
vor der Kritik zu vertreten, müssen wir natürlich ihm selbst über-
lassen.
Der RedactimiS'Atisschuss der Zeitschrift
des Vereins für hessische Geschichte und Latideskunde.
138
III.
Znr Greschichte des dreissigjährigen
Krieges,
insbesondere des Jahres 1631.
Von
Hugo Brunner.
Bie Ständische Landesbibliothek zu Kassel erwarb
mit andern Archivalien auch zwei Originalschrift-
stücke Landgraf Wilhelms V. von Hessen (sign. Mss.
Hass. Fol. 293), die wohl geeignet sind, hier Mit-
teilung zu finden, zumal besonders das eine derselben
das Verhalten des Landgrafen im Jahre 1Q31 in einem
neuen Lichte erscheinen lässt und eine bisher geltende
Annahme berichtigt. Zum bessern Verständnis der
beiden Schriftstücke sei kurz folgendes voraus geschickt.
Bekanntermassen hatten die katholischen Stände
des Reiches, den Kaiser an der Spitze, für den Monat
August des genannten Jahres die evangelischen behufs
Ausgleichung der obschwebenden Streitfragen zu einem
sogenannten Compositionstage nach Frankfurt a. M.
eingeladen *).
*) [Stumpf,] Diplomat. Geschichte der deutschen Liga, S. 285 ff
139
Teils um für diesen Tag die notwendigen Verein-
barungen zu treffen, teils um unter den Protestanten
selbst grössere Einigkeit herbeizuführen, lud Kurfürst
Johann Georg von Sachsen die evangelischen Fürsten
und Stände für den Februar des Jahres 1631 nach
Leipzig ein. Hier erschien auch am 3. März L. Wilhelm
von Hessen*) ; und da die Beschickung des Frankfurter
Tages in Leipzig beschlossen und dem Kaiser alle
Förderung des Einigungswerkes verheissen wurde **), so
ist es befremdlich, dass das Theatrum Europaeum,
Bd. n, S. 434 ff., wo die Theilnehmer an den Yer-
gleichsverhandlungen in Frankfurt aufgezählt sind, keinen
Vertreter Hessen - Kassels namhaft macht. Daraufbin
nehmen sowohl Bommel, Geschichte von Hessen,
Bd. Vni, S. 169. Anm. 218, als auch Rekm, Hand-
buch der Geschichte beider Hessen, Bd. H, S. 333,
übereinstimmend an, dass L. Wilhelm in Frank-
furt überhaupt nicht vertreten gewesen sei,
bezw. (wie Rehm sagt) den Compositionstag nicht be-
schickt habe.
Das heisst in andern Worten: der Landgraf sei
dem Leipziger Schlüsse nicht nachgekommen. Dass
dies doch der Fall war, beweist nun das erstere der
beiden von mir mitzuteilenden' Schriftstücke. Bevoll-
mächtigter L. Wilhelms war der Frankfurter Advocat
und Syndicus Dr. Maximilian Faust von Aschaffen-
burg, und die für dessen Person ausgestellte Vollmacht
lautet folgendermassen :
Leipzig. 1631, April 6.
Demnach bey dero zu Leiptzig vorgangener, der
Evangelischen Chur-Fürsten vnd Stände höchstansehn-
lichen Versamblung insgemein beschloßen, daß in jedem
*) Grosse^ Geschichte der Stadt Leipzig, Bd. U, S. 212.
**) Theatrum Europaeum^ Bd, IT, S, 310,
140
Craip die Evangelische Stände sich in eine gegen die
Rom. Keys. Mt. etc. verantwortliche defensions Verfafung
begeben solten vnd möchten; Vndt dan hierbey Vns
Wilhelmen, von Gottes genaden Landgraven zu Hepen,
Graven zu Catzenelnbogen, Diez, Ziegenhain vnd Nidda
etc. der Rheinische Craip (darinnen wihr selbst mit be-
griffen seint) recommendirt worden; Gleichwie wihr
vns dan deßelben Craipes Wohlfahrt billich treweifferig
angelegen sein lapen: Alpo thuen wihr hiermit den
Edlen vnd Hochgelahrten Maximilian Fausten von
Aschaffenburg, dero Rechten Doctorn vnd der freyen
Reichs Stadt Franckfurth am Mayn Syndico, vnserm
lieben Besondern, vollkommene Macht vnd Gewalt auf-
tragen, nicht allein vor sich selbst dasjenige in allem
deme, was zu besagten CraiPes Wohlfart vnd deme zu
Leiptzig gemachten algemeinen Evangelischen Schlup
dienlich ist, aufs fleißigste zu wahren vnd in acht zu
nehmen. Sondern auch, ob Er Doctor Faust selbst
einfallender Reisen oder anderer Verhinderungen halben
solches zu thuen nicht vermöchte, andere darzu seines
beliebens zu substituiren.
Und wihr geloben vnd versprechen hiermit, dap
alles dasjenige, was ermelter Doctor Maximilian Faust
oder sein Substitutus hierinnen handien, thuen oder
lapen wirt, dap wihr das alles stet, vest vnd genehm,
Ihnen vnd seinen Substitutum auch in allem schadlop
halten sollen vnd wollen.
In Vhrkund dessen haben wihr diepes mit eigenen
banden vnderschrieben vnd vnser fürstlich Secret dar-
under trücken lapen. So geschehen zu Leiptzig am
6ten Aprilis anno 1631.
Wilhelm L. m. p. L. S.
Die Spuren der Faltung sind an dem Papier noch
zu erkennen, und dass die Vollmacht wirklich in den
Händen des Dr. Faust gewesen ist, werden wir am
141
Schlüsse beweisen. Zuvor wollen wir das zweite Schrift-
stück betrachten.
Die protestantischen Fürsten hatten in Leipzig
ausser dem schon erwähnten noch einen weiteren Be-
schluss gefasst. Der barbarischen Kriegsführung der
kaiserlichen und ligistischen Truppen müde, wurden sie
dahin einig, deren Einlagerungen und Bedrückungen
nicht länger zu dulden, ihnen die Quartiere zu kündigen
und wenn nöthig, diese Massregel mit gewaffneter Hand
unter gegenseitigem Beistand durchzuführen.
In Gemässheit dieses Beschlusses gab Landgraf
Wilhelm als ausschreibender Fürst des oberrheinischen
Kreises noch von Leipzig aus dem Obersten von
Schiammersdorf in Nürnberg den Befehl, das von ihm
für den Kreis geworbene Contingent an die hessische
Grenze zu führen *). Noch weitere Rüstungen ins Werk
zu setzen, trat er nach seiner Rückkehr in Kassel
wiederum mit Dr. Faust in Verbindung, um durch seine
Vermittelung ein Anlehen bei dem Rat von Frankfurt
aufzunehmen behufs Anwerbung einer Cömpagnie Reiter.
Das betr. Schreiben lautet:
Kassel. 1631, April 20.
Vonn Gottes genaden Wilhelm Landgrave zu
HeI3en, Grave zue Catzenelnbogen, Dietz, Ziegenhain
vnnd Nidda etc.
Vnsern genedigen grues zu vohr etc. Hochge-
lahrter lieber Besonder. Wihr mögen Euch hiermit vn-
verhalten, welcher gestalt deme bey dem jungsthin ge-
haltenem Evangelischen Convent vnd gemachten Ver-
gleich nach zu des Rheinischen Creil>es und unserer
Lande bestem von vns gegenwertiger der Veste und
Manhaffte Hanp Adamb von vnd zu Garben zu einem
Ritmeister vber eine Compagnj zu Roß bestelt vnd
*) Rehm, Handb. der Gesch. beider Hessen. Bd. 11, S. 33^.
142
angenommen ist, derogestalt vnd also, daß innerhalb
weniger Zeit Er dieselbige werben vnd aufbringen, ajich
fürters vns zuführen solle ; Wan wihr aber wegen vnsers
wechseis, so von bewustem ort forderlich auf Franck-
fark gerichtet werden wirt, vnd durch solchen geringen
Verzug leichthch viel Zeit verspielet vnd also gedachten
ßitmeisters aufkommen gehindert werden kan : So
haben wihr nicht vnderlaßen, Ewr Persohn hiermit ge-
nedig zu ersuchen, daß Ihr vns sofern willfärig Euch
bezeigen vnd bwaciühet an hand gehen wollet, damit
etwa bey dem Rath zu Franckfurt oder aber sonjstet
einigerley Weise sobalt Eiatausent Reichsthaler auf-
bracht vnd gegen die zurückgebende Quittung mehr
besagtem vnserm Ritmeister vnsertwegen mögen aus-
gehandigt werden, wollen wihr dero vns dahero ent-
stehenden Schuldigkeit nach auf dieses vnser schreiben,
welches loco obligationis firmissimae sein vnd stehen
soll, sodan gegen gedachte quittung bey vnser, gönts
Gott, kurtz instehender ankunfft des orts*), alles sonder
einige gefehrde, zur gebühr wieder vergenügen. Mit
nachmahliger bit, Ihr wollet vnser starcken zu Euch
tragenden Zuversicht nach zu beforderung dieser hoch-
angelegenen Sachen vns diesen gefallen zuerweisen vn-
beschwehrt sein; Vnd wihr seint Euch mit gnedigem
Willen wohl bey gethan, nachrichtlicher antwort ehistes
erwartent.
Datum Caßel am 20ten Aprilis Ao. 1631.
E. wohlgewogener
Wilhelm L. m. p.
[Eigenhändige Nachschrift des Landgrafen:]
Ich bitte zum höesten als ich kan, der Herr ver-
lasse mich itzo nicht, stehet in alle fürfallende wege
doppel zu erwidern.
*) Am 5. Mai begab L. Wilhelm sich persönlich nach Frank-
fuirt. ReJim^ a. a. 0.
143
Aufschrift:
Dexa Hochgelahrten, des Heil. Rom. Reichs Stact
Franckfurt am Mayn besteltem Syndico vnd vnserm
lieben BesondernMaximilian Fausten von Asefaf^hsr
bürg, der Rechten Doctorn.
ps. d. 26. April 1631.
Dieses zweite Schreiben betreffend, ist gar kein
Zweifel möglich, dass es sich in den Händen des Syn-
dicus Faust befunden hat, denn es ist ein regelrecht
adressirter, geöffneter und mit dem > Präsentatum« ver-
sehener Brief. Eine andere Hand als die des Schreibers,
jedoch der nämlichen Zeit angehörig, hat aussen auf
der Rückseite bemerkt : »H. Landgraffs Schreiben an
Maximil. Faust wegen Vorstreckung 1000 ^ zu Wer-
bung einer Compagnie zu Pferdt.«
Von derselben Hand aber findet sich noch auf einem
dritten, mit den vorigen beiden zusammen auf der
Kasseler Landesbibliothek aufbewahrten Schriftstück
die rückseitige Bemerkung: >Fr. Landgräffin Schreiben
an Maximil. Faust betr. ein presens wegen Überschickung
der Concilia pro Aerario.« Es ist dies nämlich ein
Brief der Landgräfin Amelie Elisabeth vom 4.
April 1644 an ebendenselben Dr. Faust. Die Land-
gräfin dankt ihm darin für die Uebersendung eines
von ihm verfassten, Consilia pro 'Aerario etc. be-
titelten Werkes, (Frankf. 1641), entschuldigt sich, dass
er noch keinen »Recompens« dafür erhalten habe, und
stellt ihm einen solchen für die bevorstehende Frank-
furter Messe in Aussicht
Ob die aussen angebrachten Bemerkungen nun
von der Hand des Eriipfängers, — wie ich annehme, —
herrühren oder nicht, ist gleichgiltig. Da aber ganz
die nämliche Hand auch auf die Rückseite der Voll-
macht die Worte gesetzt hat: »H. Landgraffens zu
Hepen an Maximil. Faust v. A. erlaßene vollmacht
144
tleligions- etc. Sachen bey vorseyendem Compositions-
tag in Franckfui*th betreffendt«, so ist damit erwiesen,
dass alle drei Schriftstücke aus dem Nachlass des Dr.
Faust herrühren, und dass er speciell die Vollmacht in
Händen gehabt hat.
Eine andere Frage ist die, ob der Empfänger
seine Vollmacht geltend gemacht hat, oder nicht. Das
Theatrum Europaeum a. a. 0. führt den Dr. Faust neben
Hectör Wilheliü von Güntherode und Dr. Christoph
Dreudel nur als Vertreter der Stadt Frankfurt auf.
Darnach sind drei Möglichkeiten denkbar. Ent-
weder es liegt hier ein Versehen vor, und Faust hat
sich als Vertreter Hessen-Cassels wirklich legitimirt.
Dann würde er aber nicht im Besitze seiner Vollmacht
geblieben, diese vielmehr zu den Acten des Compositions-
tages genommen worden sein. — Oder die Vollmacht
wurde später von L. Wilhelm widerrufen. Auch dies
ist kaum anzunehmen, da sie dann zurückverlangt oder
sonst cassirt und für ungiltig erklärt sein würde. —
Es bleibt also nur die dritte Möglichkeit übrig, d i e, dass
Dr. Faust die hessische Vollmacht für seine
Person geltend zu machen unterlassen hat.
Da am Tage nach der Eröffnung der Frankfurter
Ausgleichsverhandlungen, den 11. August 1631, L.
Wilhelm mit Gustav Adolf den Vertrag von Werben
abschloss und dadurch in ein festes Bundesverhältnis
zu Schweden trat, so war es in der That überflüssig,
ihn auf dem fraglichen Tage zu vertreten. Denn der
Landgraf bewies durch jene Massregel, dass er sich
keinen Erfolg von den Verhandlungen versprach. Immer-
hin aber müssen wir seine Absicht anerkennen, auch
für seine Person dem Leipziger Schlüsse nachzukommen,
bezw. in Frankfurt vertreten zu sein.
145
IV.
Aufzeichnungen des Pfarrers
Johann Christoph Cuntz zu Eirchditmold
aus der Zeit des siebenjährigen Krieges
(1757—1762)
herausgegeben von
Hugo Brunner.
[Mit einer Karte.]
Vorbemerkung.
^jm Archive der Pfarrei zu Kirchditmold bei Kassel
^befinden sich eine Anzahl Concepte von Briefen mit
Berichten über die Ereignisse des siebenjährigen Krieges
aus den Jahren 1757 — 62, welche der damalige Pfarrer
des Ortes Johann Christoph Cuntz an verschiedene
Personen (u. a. an seinen Patron, den Herrn von Dal-
wigk) richtete. Der gegenwärtige Amtsnachfolger des
Genannten, Herr Pfarrer von Lorentz zu Kirchdit-
mold, hatte die Güte, mir diese Aufzeichnungen mitzu-
teilen, die ich so gut es ging geordnet habe und nun
im Nachfolgenden der Oeffentlichkeit übergebe. Zu-
gleich sage ich hier Herrn Pfarrer von Lorentz meinen
Dank!
Mit dem Jahre 1761 werden die Berichte leider etwas
lückenhaft. Immerhin aber sind sie für die Ereignisse in
N. P. XV. Bd. 10
146
und um Kassel von besonderer Wichtigkeit, und geben
zugleich ein klares Bild der wechselnden Hoffnungen
und Befürchtungen und der allmählichen Steigerung
der Leiden und Drangsale des am Kriege nur passiv
beteiligten Volkes.
üeber den Schreiber der Aufzeichnungen selbst
sei kurz Folgendes gesagt*). Johann Christoph
Cuntz (zum Unterschiede von seinem gleichnamigen
Bruder der ältere genannt) wurde am 31. März 1718
in Kirchhain in Oberhessen geboren als Sohn des
Pfarrers Johannes Cuntz, welcher i. J. 1722 nach Möllen-
beck, in der Grafschaft Schaumburg, versetzt wurde **).
1745 wird Joh. Christoph Cuntz Prediger in
Grebenau an der Fulda, 1752 in Kirchditmold bei Kassel,
wo er am 17. Juli 1804 hochbetagt stirbt. Seit 1799
wird er im Staatshandbuch als Senior der Classe Bauna
aufgeführt.
Der Hauptsache nach erscheinen die Aufzeich-
nungen hier zum ersten Male. Nur ein geringer Bruch-
teil des Originals, nämlich ein kurzer Auszug aus der
Schilderung der Ereignisse vom Jahre 1758, wurde ver-
öffentlicht in der Zeitschrift »Hessenland« Jahrg.
1887, S. 213 ff. Die Auswahl geschah jedoch, wie es
scheint, ohne besonderen Plan.
Die Orthographie des Originals betreffend, habe
ich dieselbe in soweit der heutigen genähert, als es ohne
Verletzung der sprachlichen Formen geschehen konnte.
Zum besseren Verständnis des Ganges der Ereig-
nisse ist am Schlüsse eine Karte der Umgegend von
Kirchditmold beigefügt.
Dr. Brunner.
*) Nach Strieder'« Grundlage einer hessischen Gelehrten-
Geschichte (fortges. von K. W. Justi) Bd. XVIII.
**) Daher erklärt es sich auch, dass unser Gewährsmann
mit den Hannoveranern zu deren Verwunderung plattdeutsch zu
reden versteht.
147
Aufzeichnungen des Pfarrers Job. Christoph Cuntz
in Kirchditmold zum Jahre 1757*).
Hochgeschätzter Patron!
Im Juli 1757 waren die hess. Husaren in unser
Dorf einquartirt. Sie exercirten auf dem Lindenberge
und hieben im vollen Galop nach einer von Stroh ge-
machten Menschenmaschine, die einen Hut mit einer
weissen Garde**) trug. Niemand dachte diese Tage an
Feind. Noch an demselben Tag erhob sich ein Lärm
unter unsem Husaren. Ein jeder rief: »Die Franzosen
sind da; da hinter dem Winterkasten sind sie.« Die
Husaren bekamen schleunig Ordre, ein jeder lud sein
Gewehr mit Schrecken und Eifer. Einige von den Re-
cruten hatten noch keine Husaren-Zubehör. Sie wollten
sich die Haare bei allem höllischen Fluchen ausraufen
mit lautem Geschrei: »Camerad, hol mich; die Fran-
zosen fangen mich«.
Endlich ritt das Commando zum Recognosciren
gerade nach dem Winterkasten. Der Commandant hielt
vor dem Abmarsch eine kriegerische Heldenrede, davon
dies die letzten Worte sollen gewesen sein: »Meine
Kinder! Werdet Ihr mich zuerst retiriren sehen, so
schiesset mich auf den Pelz ; und das hat ein jeder von
mir zu erwai-ten, der nicht wie ein ehrlicher Hesse sich
aufführet! Und damit Gott befohlen. Marsch!«
Das 'war der traurige erste Augenblick, welchen
unser Dorf empfunden, wovon der schreckenhafte falsche
Ruf bis in die Residenz drang, als wären schon in Kirch-
ditmold die französischen Husaren. Hierzu kam noch,
dass von dem eben abgegangenen Commando ein Husar
zu rapportiren retour durch unser Dorf galoppirte, der
*) Die Einleitung des Briefes, welche oline gesehichtlichoa
Wort ist, blieb foii;.
''•) Schirm. Schutzwehr V
10*
148
aus Frevel, eine Lust an unserm Schrecken zu haben,
ausrief: »Ja, unser sind hier zu wenig; zu Zierenberg
sind die Franzosen. Bruder, heute noch hier. Was
Henker! wir dorfen keinen Schuss nach ihnen [thun.]«
Nun gieng vor der Zeit das Commentiren an.
Truppweise standen die armen Kinder mit heissen
Thränen und gefalteten Händen vor ihren Häusern und
riefen: »Ach Vater wo sollen wir hin? die Franzosen!«
— Ein jeder betrachtete die kommenden Feinde als
Mörder und Diebe. In der üblen Meinung sammlete ein
jeder Hausvatter seine Bündel und seine Sonntagskleider
zusammen. Einer half dem anderen, es war alles ein
Herz und eine Seele ....
Was that ich in dieser Angst? Ich sattelte
mein Pferd und ritt zuerst in meine Dörfer. Meisten-
teils fand ich sie vor den Thüren versammlet in der
grössten Schüchternheit und trostlosestem Zustand. Ich
antwortete mit Thränen und tröstete, so gut ich konnte ;
und obwohl einige Ansehnliche in meiner Gemeinde
ihre Habseligkeiten schon nach Kassel abfuhren, meine
Frau ebenwohl mit Todesängsten alles einpackete
und stehenden Fusses flüchten wollte, so dachte ich
doch, es sei zu frühzeitig und untröstlich vor meine
Gemeinde, wenn ich zuerst durch solch Exempel ohne
augenscheinliche Gefahr den Schrecken vergrösserte.
Ich Hess packen aber noch nichts abfahren. Indessen
geriete ich auf Thorheit. Ich nahm meine Pistolen zum
Sattel, spickte meine Taschen mit Kraut und Lot und
ritt gerades Weges nach dem Wald, um selbst zu re-
cognosciren. Da ich nun keine zulängliche Nachricht
vom Anmarsch der Franzosen haben konnte, so stieg
ich ab, gab mein Pferd einem guten Freund, einem
Jäger des Ortes, bat ihn inständigst, nach Zierenberg
zu reiten und nicht eher zurück zu kehren, bis er die
Stellung der Feinde gesehen hätte.
149
Indessen ging ich zu Fuss nach Weissenstein, um
meine Patrouille daselbst zu erwarten, schickte aber
einen Botten an meine Frau mit vielen guten Nachrichten
und Tröstungen. Aber alles umsonst! Die Lüge [?],
welcher [!] im Kriege herrschet, hatte meine schönsten
Nachrichten umgedrehet. Meine Frau vermeinet mich
schon samt Pferd verloren zu haben. Ich kam des
Nachts samt Pferd zurück, fand mein Dorf und meine
Frau in der grössten Thränenflut. Ich nahm bei meiner
guten Meinung die Verweise an, dass ich sie und das
ganze Dorf verlassen hätte. Nachdem tröstete ich alles,
was furchtsam war, wie dass die Franzosen nicht
als Feinde kommen würden. Davon wurden wir be-
stärkt durch das zurückkommende Observations-Com-
mando, welches ungefähr 8 Tage an der Grenze von
Hessen stand und nun allmählich mit allem dem was
kriegerisch war, sich nach der teutschen Observations-
arm^e zurückzog, mithin das ledig Land vor dies Jahr
den Hrn. Franzosen an Schwertstrich und ohne Pistolen-
schuss übergeben wurde.
Unser teurer, weiser Wilhelm, Hochsei. Landes-
vater, verliess zu unserm Kummer seine Residenz, gieng
wie bekannt, auf Hamburg. Cassel wurde darauf dem
französischen Corps, welches Contades von der Seite
von Obervilmar anführte, gutwillig übergeben, und
solchergestalt wurde es, wie auf den angeschlagenen
Mandaten zu sehen, ein erobertes Land.
Alsbald wurde von unsrer Obrigkeit befohlen,
denen Feinden mit gutem Willen nach aller Möglich-
keit zu begegnen.
Indessen nahmen die Franzosen bei Ober-Vilmar
eine Fouragirung vor die Hand, welches den Schrecken
sehr vermehrte; mir aber klopfte man in derselben
Nacht, da das Lager zu Vilmar aufgeschlagen wurde,
mit Ungestüm ans Fenster, und der Grebe kündigte
150
mir in meinem Schlafe an, dass ich noch die Nacht 2
Hammel gegen dereinstige (Vergütung) hergeben sollte.
Ob nun zwar der Grebe und andere selbst Schafe hatten,
so wurde der Anfang mit dieser Kleinigkeit bei mir
gemacht als ein Vorbote von bevorstehender vorzüg-
licher Unterdrückung, die noch in der Geburt war. Ich
gab dieses Bagatell herzlich gerne. Unsere Präsente
wurden nebst der Sammlung anderer Dörfer nach dem
Lager abgeschickt, aber nichts angenommen, sondern
wer kein Geld haben wollte, der brachte seine Schafe
und Rinder zurück; wie denn ebenwohl unser Förster
auf hohe Ordre mit Wildpret zum Präsent abgeschicket
wurde, welches die Generale nicht anders als käuflich
behalten wollten.
Die Armee schlug von Vilmar ihre Lager auf dem
Forst, und ging der Marsch der Truppen durch Kassel
so still, so höflich und ordnungsmässig, dass alle üble
Furcht vor diesmal auf einmal verschwunden war.
Indessen kam die Reihe auch an uns, um die erste
Einquartirung anzunehmen. Die falschen Relationen
erhielten in uns Furcht und Hoffnung. Der Tag kam,
da die franz. Gens d'armes einrückten. Mein getreuer
Dolmetscher, Herr Schii-a aus Kassel, war mein einziger
Trost. Der empfing sie ungemein artig. Ich dagegen
stand daneben wie ein armer Sünder und bot alle meine
Hühner und Gänse zum Verkauf und zum Geschenke
dar, Wildpret, frische Lämmer, Tauben, alles wurde von
mir zur guten Mahlzeit ovdinirt, denn es war Kasselische
Ordre, die Feinde wohl zu bewirten. Ich musste aber
erstaunen, als ich die Freundlichkeit wahrnahm, womit
man mir begegnete. »Nichts als vor Geld!« war die
Antwort von meinem Commandanten ; »und nicht einer
Haar breit soll Ihnen, Herr Pfarr, entzogen werden.
Wo ist denn das Logis? Hier sind die Standarten und
Bauken, die müssen wohl bewahret werden.« Die franz.
151
Gensd'armerie war also die erste, welche mein Haus und
Stube einnahmen; und von dieser Stunde wurde mein
Haus durch den ganzen Krieg (?) vor den Commandanten
der Truppen angeleget, all wo mehr denn 80 Prinzen,
Grafen und Marquis logiret haben. Der Commandant
und vier Marschalle de logis war bei der Entree die
erste Portion, welche mir der Grebe zugeteilet. Nach-
dem ich dieselben anhalten[d] zue meiner bereiteten Tafel
bat, so Hessen sie sich endlich persuadiren. Ich trac-
tirte sie 3 ganzer Tage, es kostete auch wohl 40 Rhtlr.
Bei dem Abmarsch beehrte man mich bei aller möglichen
Contradiction mit einer Musik von Trompeten und Bauken,
mit der Versicherung, dass ihnen noch nie so begegnet
worden wäre. Und es waren in der That die ersten und
letzten, welche so formidabel bewirtet wurden. Dann
kein grosser fr. Oberofficier hat die Art, dass er von
seinem Wirt etwas forderte, ausser die Bedienten for-
derten vor dies erste Jahr etwas Zugemüse und ver-
sprachen Geld, und wer es haben wollte, bekam richtige
Zahlung. Meine Lösung ist aber sehr gering im Kriege
gewesen. Einmal 1 Batzen ; einmal 1 Kreuzer von einem
Officier vor einen Trunk, den ich ihm zum Fenster am
Marsch reichen musste und 1 halben Gulden vor ein
Gebund Heu vom Grafen Waldner, dies ist alle meine
5jährige aufgebürderte Losung. Doch noch eine An-
merkung nicht zu vergessen, so habe ich von einem
Bedienten gegen Darreichung eines kleinen Stück Brots,
welches ich ihm im Vorbeireiten bringen musste, 3 Kreuzer
gelöset, die ich mit Ernst zu nehmen weigerte, aber
mit diesen Worten zuwarf: »Da, nehme er Geld! Will
er nichts, so gebe er es den Armen.« Ich gab es vor
seinen Augen einem armen Kinde ; mithin verglich sich
die Einnahme mit der Ausgabe.
Übrigens war bei gedachter erster Einquartierung
der Gensd'armerie die strengste Ordre gegeben und ge-
162
halten: auf Anzeige nnser Förster, dass einige Grens-
d'armes sich in die hiesige Jagd geschlichen hätten,
wurde Lärm geblasen^ als sollte afles abmarschiren ;
hierdurch wurden bei Ansstellong der Posten die Thater
arretirt Dies gab ans den besten Trost. Sie marschirten
ab und andere kamen wieder. Niemand aber war mehr
mit noch ertraglicher Last beschwert als ich. 20 — 24
Pferde war das wenigste, welche ich stets nebst ihrer
Portion Rationen erhalten mnsste. Nach verschiedenen
Sommerquartieren gieng es auf Winterquartiere los. Ein
einziger Capitan als Commandant von den Carabiniers
mit 40 Mann bekam seine Anweisung in das Dorf. Un-
geachtet nun viele schöne Gelegenheiten zum Logis
vor diese wenige waren, und ich uberdem mehr als 60
Kinder zur Confirmation in der Religion im Hause täglich
unterricht-en musste, so teilete mir der Dorfgrebe, dem
ich in diesem Kriege als einer grossen Obrigkeit unter-
thänig gemacht worden, diesen Offizier einzig und allein
zu. Ich wollte mich in diesen noch glücklichen Zeiten
etwas sperren: der Offizier lernte mich zum Anfang,
was Krieg war. Er griff mich auf der Strasse bei meinem
Schlafrock mit Befehl vor ihm herzugehen und ihm den
Greben selbst zu schaffen. Nachdem ich durch Dick
und Dünn mit fort\\'allete und ihm den Greben anwies
und mich empfehlen wollte, so ergriff er mich nochmals
mit Ungestüm, zog den Degen, — doch nicht ganz, —
befahl mir, wie ich mit ihm Haus vor Haus gehen sollte,
um ihm auf lateinisch zu dolmetschen. Wir kamen
an das schöne Försterhaus und Hof. Er musste mit
Gewalt aufmachen. Der Hausherr, mein bester Nachbar,
empfing mich sehr übel. Die Stuben wurden besehen,
die Excusen gemacht. Ich sollte dolmetschen, was
nimmer Wahrheit gewesen war. Ich musste sagen, diese,
jene Stube, jenes Bett sei eine Stube und Logis des
Hm. Landgrafens. Der Hr. Förster, der Capitän, beide
163
attentirten auf meine Worte und Mienen. Um Unglück
und Feindschaft zu vermeiden, so dolmetschte ich redlich.
Dadurch respectirte der Offfzier dies Försterhaus. Ledige
Stallungen, Scheuern ohne Fourage, und die bequemsten
Losimenter waren daselbst parat Aber weil der Grebe,
meine Obrigkeit, den Förster wegen des nötigen Holzes
mehr liebte, so wurde an keine Einquartirung vor den
in der ersten Zeit gedacht. Der Capitain wählte mein
Haus. Bei dem Abtritt der Visitation dieses Förster-
hauses wurde mir ein teutscher Fluch nachgeschickt.
Ich musste selbst hören, dass den der Donner erschlagen
sollte, welcher ihm Einquartirung machen wollte. Der
Herr Grebe gab das Echo: »Da sehen Sie Ihre gute
Freunde, welche Ihnen die Einquartirung machen wollen.
Herr Förster, ich bin unschuldig.« — Eben diese Greben-
Worte gebrauchte ich gegen den erzörnten Nachbar, er
werde ja glauben, wie ich ihm beim Eintritt gesagt,
dass ich hierzu mit dem Degen forciii worden. — • Nun
ging der Auftritt in meinem Hause vor: der Herr Capitän
wollte alle Zimmer aufgeschlossen wissen. Mit 5 Losi-
menter, 2 der besten Stuben, 3 Kammern, Küche und
Keller wollt' er nicht zufrieden sein. Der Pferdestall
wurde nicht bequemlich acceptiret. Meine Köhe mussten
unter freiem Himmel in Schnee und bitterste Kälte ge-
stellet werden. Ich war also ersten der vornehmste in
der Plage, und Sie werden mich auch als den letzten sehen.
Ein jeder Bauer und Tagelöhner hatte sein Vieh in guter
Ruhe. Ledige Stallung in ansehnlichen Häusern stand
offen, ohne Gebrauch davon zu machen. Meine Kinder
musste ich, weil die Information im Hause nicht mög-
lich, auch nicht schicklich, täglich in die kalte Kirche
führen und solchergestalt dabei in der bekannten bit-
tersten Kälte 3 Monate zubringen.
Ob nun zwar auf Anhalten endlich eine Remedur
meines Viehes gefunden worden, so hatte 4 bis 5 Mo-
154
nate die vorzügliche Last, dass ich täglich die Feurung
auf dem Herd, 2 Stuben nebst Ofen-Kammern von meiner
eigenen Holzung feuren musste, — wovon kein Exempel
im Dorfe war. Ob zwar, wie in Städten gewöhnlich,
auch hier eine Holzlieferung verordnet war, so blieb
die erste böse Auslage an mir und ich erhielte hier-
nächst vor den Verlust meines ganzen 4 Klafter Be-
soldungs-Holzes aus Gnaden nur 1 Klafter, die ich von
neuem mit schweren Kosten anschaffen musste. Die Er-
setzung des Holzes bestund also in 18 alb. geschenkt,
welche doch aber nebst mehrerm von, unserm Feinde
wieder aufgezehret wurden. 80 Gebund Stroh und etwas
Heu wurde mir durch einen heimlichen Einbruch aus
meiner Scheuer zur Fütterung der Pferde genommen.
Dies kam mir anfänglich so hart vor, als ob ich das
Hessenland verlaufen musste. Ich lief mit Ungestüm
nach Kassel um Rettung. So gehets Leuten, die keinen
Verlust noch nie erlitten. Wollte Gott, es wäre das
andere Jahr bei 1000 Gebund Stroh oder nur bei Ver-
lust 1000 Rthlr. geblieben, welches Sie, 1. Fr., am Ende
sehen werden.
Indessen (war) mein Capitain wieder nach einem
kleinen Zank mir ungemein gnädig. Ich hatte die Er-
laubnis, die heftigsten und gefährlichsten Contradictoria
wegen des Krieges zu führen. Die Gesellschaft wurde
Hugenscheins [?J stärker; es bekam der Förster und Herr
Gärtner Weitz, die bisher verschont gewesen, auf ihre
schöne Vorwerke ebenwohl Einquartirung, welche zum
öftern bei mir ohne grosse Kosten Visite machten. Dabei
war ein kleiner Verdruss von einem Bedienten, welcher
von Geburt ein Casconier (Gascogner) war und ohnauf-
hörlich im Hause mit Rufen und Singen tobete und
entweder meine steile Treppe hinabsprang, sang oder
hinab (fiel. Anfänglich meinte ich, der Kerle wollte
mich damit im Studiren ärgern. Aber nachgehends
165
fand ich, dass er auch im Schlaf einen Triller schlug :
solcher gestalt wurde ich wieder besänftiget.
Meine Einquartirung brach zur Winter-Campagnie
(Campagne) nach Zelle ab. Die Truppen kamen wechsels-
weise bis nur auf etliche zur Einquartirung zurück,
bis endlich der grosse Ferdinand durch solche schöne
Wendungen, besonders durch die erste Eroberung von
pr. Münden (Minden) die Feinde nach Wesel zurück
wies. Der Marsch der Kassel[er] Truppen gieng gerade
durch das Dorf nach Durrenberg (Dörnberg), von da auf
Corbach ins Kölnische Sauerland. Mithin war die ßrste
Visite der H. Franzosen vor dies 1757^ (Jahr) gehalten
und die meisten Unwissenden hielten die so leidliche
Invasion vor so ein grossen Jammer, den Hessenland
ferner nicht ertragen kont. In der That hatten in
diesem Jahre viele Unterthanen durch den Verkauf der
Fourage und Lebensmittel grössern Vortheil als Schaden.
Mit einem Wort: keinen völligen Krieg konnte man
daraus kennen. Denn mein Verlust war kaum vor
dieses Jahr mit allen quasi willkürlichen Tractamenten
— — 60 Rthlr. Da kein Kasseler Bürger — compa-
rative des Gewinns keinen Heller verloren hat*).
Wir freueten uns auf die Befreiung unseres Vater-
landes und gedachten, nun wären die Franzosen über
alle Berge hin. Wir erhielten unsern allerliebsten
theuren Landesvatter Wilhelm wieder in Kassel. Gott
weiss mit [was] vor Freudenthränen unter dem Getön
aller Glocken und Knallen der Kanonen dieser Landes-
fürst empfangen wurde. Die Unterthanen von den an-
grenzenden Dörfern der Residenz drangen sich in der
Stadt, um den Wagen dieses holdseligen Herrn zu sehen.
Über das Leben bei seinen freudigen 'Unterthanen rol-
leten diesem Fürsten die Thr änen . . . und lächelten
^) Der letzte Satz ist durchgesWchen.
156
[seine] Mienen *). Aber leider unsere Reihen und Froh-
locken wurden wieder über Sangershausen, auf der Stelle,
wo unser Fürst in Empfang genommen wurde, durch
eine verlorene Batailk in Traurigkeit verändert**).
Das 1758. wurde desto betrübter, da fieng man
allmählich an zu lernen, was Krieg war, u. s. w.
Die Ers^hlung vom Jahre 1758^
aus einem damals abgefassten Briefe, welcher mit einem
schlechten und lächerlichen Abriss von hiesigen An-
höhen begleitet war. Er lautet von Wort zu Wort,
wie folget.
Hochedelgeborener
Vest- und Hochgelahrter Herr Ambtmann,
Mein insonders hochzuehrender Herr und hoch-
geschätzter Freund! ***).
Was däucht Ihnen, liebster Freund! Ich schicke
Ihnen zum ewigen Andenken von Hessen ein Gemälde,
das ich nimmer mehr gewünschet hätte im Original
gesehen zu haben. Es ist meine erste Mal- und Riss-
arbeit in meinem ganzen Leben. Die Ingenieurs mögen
es tadeb und ausbessern. Ich bin dabei versichert,
Sie, liebster Freund! werden dereinst die unglückliche
Gestalt hiesiger verwandelten Gegend erfahren, welche
Sie wol unter vielem Mitleiden gewünscht gesehen zu
haben. Ich hoffe keinem Teil hierinnen praejudicir-
Hch zu sein, wenn ich meiner Einbildungskraft Raum
gegeben und nach geendigtem, trübseligem Feldzug die
hiesigen Affairen Ihnen, meinem Freunde, abmale und
nebst der Beschreibung meinen dabei geführten Lebens-
*) Sehr unleserlich.
**) Einiges "Weitere ist unlesbar, aber, wie es scheint, auch
unwesentlich.
***) Die Anrede ist aus einer vorhandenen zweiten Fassung
des obigen Berichtes entnommen«
lauf untermenge. Sie kennen mein Temperament; wird
Ihnen die Sache zu weitläufig, haben Sie Geduld! Lesen
Sie täglich ein Blatt. Sie werden Sich zuweilen betrüben,
aber auch wieder erfreuen, Abwechselungen müssen sein.
Mein und unsrer Hessen Schicksal ist in diesem
Jahre recht wunderlich, Glück und Unglück fängt sich
vom 26. September an und schliesset sich mit dem
23. November, da wir unsre Feinde wieder los wurden.
Hören Sie recht zu! Nachdem der grosse und
tapfere Prinz Isenbourg mit seinem Corps ä 5 — 6000
Mann sich aus Oberhessen zurückzog und auf den An-
höhen hinter Sangershausen, nahe Cassel, an dem Weg
nach Münden, sich gegen einen doppelt starken Feind
setzte, so kam es zu unserm grossen, unvermuteten
Schröcken zu einer kleinen, aber herzhaften, blutigen
Bataille. Ich lief unter Angst und Thränen eine halbe
Stunde näher, stellte mich auf die Anhöhe von Roden-
ditmoll (allwo ich eben zugleich ein Kind taufen sollte).
Ich nahm das Perspectif und sähe sehr genau die Macht
und heftige Attaque der Feinde. Ich konnte mit offenen
Augen sehen, wie der kleine Haufe die Menge der
Feinde zum Weichen brachte, aber sogleich nach er-
haltenem Succurs die ünsrigen wieder zurücktrieb.
Ich hatte keine Ruhe. Ich lief zurück nach den Mei-
nigen, ich fand sie in einer traurigen Gesellschaft von
Weibern, die sich nicht wollten trösten lassen, weil sie
den Tod ihrer Männer bei dem glücklichen und un-
glückliehen Ausschlag vermuteten. Sogar kamen et-
liche Weiber mit ihren Säuglingen an der Brust vom
Ort der Bataille gelaufen, welche eben ihre Männer in
kleiner Ruhe gedachten zu sprechen, nunmehro aber
schon im Tode sahen. Der Anblick von der ganzen
Affaire, da die Schlacht bis gegen den Abend ohne
Entscheidung daurete, wurde uns Zuschauern unerträg-
lich. Endlich sähe ich auf dem Thurme ganz genau
158
alle Unordnung und die völlige Flucht der ünsrigen.
Die hessischen Jäger, welche an der Fulda gegen Wolfs-
anger stunden und durch ihre Tapferkeit Blut genug
vergossen und sich recht respectabel gemacht hatten,
feureten noch beständig fort. Obwohl die Armee schon
völlig reteriret war, so kamen dieselbe im Unglück
noch glücklich davon. Ich merkte also im Dunkeln an
den einzelnen Schüssen, wie dieser und Jener sich noch
besonders wehren wollte. Nach diesem Trauerspiel,
von Thränen und Seufzen ermüdet, legten wir uns zur
Ruhe um unsere Schicksal am künftigen Tage abzu-
warten. Der Morgen brach an. Der erste Anblick
waren blutige Wagen und etliche blessirte Franzosen.
Ich bekam den blessirten Prinzen von Usingen zu lo-
giren und sein ganzes Regiment schwerer Cavällerie
wurde im Dorfe einquartiret. Vor dem Einzug dieses
Regiments, melde ich Ihnen, mein liebster Freund, eine
neue, doch vergebliche Angst. Ich weiss nicht, wer
der erste böse Mensch war, welcher das Geschrei machte,
die einrückende Reuterei wollte alles aus Rache massa-
kriren; die Schüsse geschähen auf Jung und Alt. Ich
hörte schiessen, ich hörte rufen, ich hörte ängstiglich
schreien. Ich lief auf den Boden, ich sähe viele Menschen
mit weissen Bündeln auf dem Rücken nach dem Walde
laufen. Ich wurde stumm in meinen Gedanken. Meine
bei sich habende Freunde weiblichen Geschlechtes ver-
krochen sich bald auf den Boden, bald in den Keller
hinter die Fässer. Ich aber lief nach den Hausthüren,
um die .Ankunft der Truppen zu sehen. Ich sähe 12
Mann mit grossen Bärenkappen. Getrost ging ich auf
sie zu und fand meine alte Mutter nebst einer Magd,
die ganz trostlos weinete, vor dem verschlossenen Hof-
thor. Der Offizier, ein Graf, rief: »Was weinet ihr
Leute?« — »Mein Herr, ich habe gehört, als wollten
Sie mit Unschuldigen sehr hart verfahren.« — »Ach
159
was! was! wir sind Menschen, Ihr seid unsere Feinde
nicht«, war die liebliche Antwort. Darauf drangen der
ganze Trupp zuerst auf meinen Hof und Haus.
Nachdem nun meine Familie die Todesängste aus-
gestanden, so krochen sie mit Thränen aus dem Keller
hervor und fanden in diesem Trupp die besten Leute,
welche ich mit meinem Wein, den ich zur Brunnencur
angefangen zu brauchen hatte, bewillkomte. Die Ur-
sach dieses bösen Rufs war entstanden, da etliche
Reuter ihr Gewehr losgebrannt hatten und nur aus
Lust und Frevel auf einige vorhergehende kleine Kinder
gehalten, welche aus Schröcken, bloss vom Knall auf
der Strasse niederfallen und in der Ferne von denen
Einwohnern gesehen worden. Genug, der Schröcken
lag in unsern Gebeinen. Der Trupp, der nun bei mir
eingekehrt war und die Anstalt zur ordentlichen Ein-
quartirung vor gedachten Prinzen und sein Regiment
verfügten, machten mich sogleich zum Dorfschulzen.
Ich musste ohne alle Complimente dahin sitzen und auf
Ordre des Herrn Grafens die Einquartirung einteilen.
Wohlan! Ich machte Billets und sorgte für Fourage.
Mein Amt wechselte ab. Bald wurde ich Dorfkiiecht:
ich lief ins Dorf und citirte die Männer; bald Oberrent-
meister: ich beschrieb Wagen. Grebe, Landbereiter,
Oberrentmeister, Pfarr und Wirt blieb ich in stän-
diger Einquartirung und Abwechselung. Endlich, da
ich durch meine Billet so viel Schmähworte von denen
Unverständigen ausstehen musste, so gelang es mir, das
Ambt abzugeben, und der Dorfschulze oder Grebe musste
es übernehmen. Von dieser Stunde an musste ich den-
selben vor meine strengste Obrigkeit erkennen. Wie
denn in diesem ganzen Kriege alle Prediger über die
Strenge der Greben zu klagen haben. Meine Obrig-
keit, (so muss ich den Greben nennen), legte mir jeder-
zeit die Commandanten nebst Menge von Pferden und
160
Knechten in mein Haus, und sollte nur ein einziger
Offizier mit einem Commando durchmarschiren, so musste
er bei Tage und Nacht bei mir einkehren. Doch wenn
in der Nähe Lager stehen, so ist es allerdings ein Glück
wenn ein Dorf Einquartirung hat. Kaum, dass ich und
meine Nachbaren seit der Bataille von Sangershausen
2 Tage ohne Einquartirung waren, mussten wir folgenden
ersten Schröcken von denen Würtenbergern ausstehen.
Eine Viertelstunde hinter meinem Dorfe campirte ein
kleines Corps der Soubiseschen Armee. Ihr rechter Flügel
dehnte sich nach Niederzwehren, der linke reichte bis
an den Wald in der sogenannten Dünche. Die Front
wurde auf mein KirchditmoU gemacht. Besonders waren
die Würtenberger, ein Corps der Angabe nach ä 6000,
unsere nächste Nachbaren und Vorposten von der Armee.
Wir versehen uns alles Gutes voji diesen Leuten. Sie
wurden zwar durch den Trommenschlag privilegirt,
unsre Gartengemüse zu nehmen und die Fouragirung
sähe man als eine Notwendigkeit an. Es ging auch
leidlich! Bei denen Franzosen hatte man noch von
keiner Plünderung gehöret. Was geschah? Den 20. Au-
gust nachmittags kamen auf meine Thüren gesprungen
12 Mann mit weissen Kitteln, mit runden Hüten, die
Augen verhüllet, grosse dicke Stäbe in den Händen.
Sie drangen in mein Haus. Anfänglich hielten wir die
Thüren zu, aber auf einmal fassten wir Mut und liefen
aus der Stube ihnen entgegen mit der Frage: was
wollt ihr? Keiner wollte antworten, sondern schlugen
mit ihren Knüppeln nach Hühnern, Gänsen und be-
sonders nach Schweinen. Ich merkte an denen, die
auf mein Haus fielen, einen Schröcken über einen ge-
wissen wohlgekleideten Herrn, welcher bei mir zum
Besuch war. Ich überredete denselben, sich in der
Not vor einen Kriegsmann auszugeben. Aber ach nein !
er wollte nicht und nahm seinen Engelander und ritt
161
auf Cassel zu. Ich lief ins Dorf und fand einen Wür-
tenberger Offizier. Ich bat ihn um Rettung, er wollte
auch helfen. Aber es geschähe nicht eher, bis seine
Truppen ä 200 Mann, 80 Schweine, 60 Gänse und 45
Hühner in Zeit von 10 Minuten totgeschlagen hätten.
Der Grebe wurde an Kleider geplündert, ich aber ver-
lor nebst etwas Vieh eine vortreffliche Kaffeekanne.
Die Truppen wurden verklagt, und musste der Offizier
alles mit baarem Gelde bezahlen. Sie versuchten zwar
des andern Tages die Klage uns einzutränken und waren
im Werk, uns rechtschaffen zu plündern. 8 grosse
Schweine bekamen sie glücklich, wobei der Offizier gegen
meiner Stallung selbsten rief: „Ist hier noch etwas
zu fischen?" Mitten in der Angst, da ein jeder sich
versteckt hatte, hörten wir Bauken und Trompeten.
Es war die Gensd'armerie, welche bei uns Einquartirung
haben sollte. Niemals ist mir eine Einquartirung an-
genehmer gewesen, als diese. Alles, was Würtenberger
hiess, musste die Flucht ergreifen, und wir waren wiederum
eine Zeit lang getrost in unsern Elende. Die guten Wür-
tenberger waren mithin die ersten, welche die Plün-
derung in Hessen, besonders in diesem Dorf eingeführt
haben ; wie sie denn hiernächst, da es zum Recht wurde,
in Harleshausen, zu meiner Kirche gehöriges Dorf, 300
Schweine gefressen haben. Indessen so behielten wir
die Einquartirung der Gensd'armerie, 6 Escadrons stark,
fast einen Monat bei uns. Mein Commandant, Comte
de Fottville, ein alter reicher Offizier, thät so brav an mir,
dass er mir die bevorstehende Weizenfouragirung nicht
allein kund thät, sondern seine Leute, Wagen und Pferde
hergab, dass wir in der Nachtzeit alles schneiden, binden
und nach Haus fahren mussten. Er reiste ab, und ich
bekam noch bessere Herren, welche meine wenige aus-
gedroschenen Früchte in Sicherheit brachten, auch so-
gar selbst arbeiteten und sich Mühe gaben vor mich
N. F. XV. Bd 11
162
Heu zu verbergen, ohne dass man sehen konnte, dass
in nachkommenden Monaten ein so grosses Unglück
unserm Dorf bevorstünde. Aber unser Unglück kam
näher. Niemand hörte und sähe eine Armee. Ich hatte
eine ganz leidliche Einquartirung. Von einem Piquet,
30 Mann, hatte mir der Grebe, meine damalige strenge
Obrigkeit, ohne Erbarmung den einzigen Offizier, der
wohl im Dorf logiren hätte können, in mein Haus
gelegt.
Doch es war ein ehrlicher Schweizer-Lieutenant
von des Hrn. Grafen Waltner Regiment, ein Protestant,
eigentlich reformirt, und hatte ohne Entgel d bei mir die
freie Kost. Ich kam den 25. September von Cassel and
hatte daselbst gehöret, unsere tapfere, grosse Oberg
wäre zu Hofgeismar und morgen als den 26ten wollte
er Cassel retten. Keine Armee war in der Gegend von
französischer Seite zu sehen. Es war alles wohl glaublich
und möglich. Mit Furcht und Zweifel kam ich nach
Haus und gab meinem redlichen Lieutenant rätsel-
mässig zu verstehen, dass er bald in die verlangte
Winterquartiere kommen würde. Kaum, dass ich das
letzte Wort führte, und mein Lieutenant so vergnügt
bei dem Abendessen sass, so fiel ein Kanonschuss auf
der Schanze vor Cassel, auf disseit nach dem' Wein-
bergerthor. Mein Lieutenant erschrak, sprang behende
nach seiner Montur und Gewehr, das ganze Piquet ä
30 Mann musste sogleich ausrücken. Es fiel noch ein
Kanonschuss, darauf wurde der Schröcken verdoppelt,
der Lieutenant, dick und rot im Gesichte mit diesen
Worten: »Mein Gott, der Feind so nahe! Viel-
leicht retiriren wir uns diese Nacht aus Cassel.«
Denn so viel hatte ich gemerket, der dritte Schuss war
die völlige Retirade aller Truppen aus Cassel. In dem
Augenblick, gegen 10 — 11 Uhr des 25. September kam
ein Capitain von Fischer Corps in meine Stube, fragte
163
mit vieler Höflichkeit nach dem Piquets-Lieutenant. Ich
holte ihn vom Posten. Er kam. Darauf wurde die
Ordre, welche der Capitain in Händen hatte, in meiner
Gegenwart verlesen. Ein Freund aus Cassel, welcher
der Sprache mächtig war, vernahm ohne Vermuten
ohngefähr wie mir bedeutet worden, folgende Relation
und Ordre.
»Wir sind bei Zierenberg mit unser General
Waltner Brigade schon zum Teil vom General Oberg
auf dem Wege von Warburg nach Cassel abgeschnitten.
Man wird mit vieler Mühe suchen, durch Umwege auf
Kirchditmoll nach Cassel zu kommen. Sogleich sollen,
um den Feind abzuschröcken, sowohl zu Harleshausen
als hier in Kirchditmoll mehr dann 30 Feuer auf dem
Lindenberge bis an die Lindenhütte gemacht werden.
Morgen früh gegen 2 Uhr wird die Brigade erscheinen.«
Wir legten uns zur Ruh, mit was vor ängstlichen
Vorstellungen können libster Freund schon denken»
Wir schliefen in Gottes Namen ein. Kaum bei dem
ersten härtesten Schlaf pochete man mit Ungestüm an
meine Kammer: »Esstürmet auf der Kirche ! Ach Gott,
es stürmet, das Dorf brennet!« — »Wo! Wo!« Ich er-
schrak dergestalt, dass ich bei brennendem Lichte meine
Kammerthüre nicht finden konnte. Mein erstes Vermuten
bei so ganz ungewöhnlichen Stürmen, sogar mit 2
Glocken zu läuten, ging dahin ganz unbedächtlich, als
ob etliche Dörfer gegen den Feind in dieser vorhandenen
Ruptur angehen wollten. Aber ich irrete, es brannte
ein Haus in Kirchditmoll, welches von dem Piquet
niedergerissen und zum Glück gelöschet wurde. In
dieser Erholung brach der Tag an. Man sähe noch
kein Freund und Feind. Ich war besorgt und suchete
Soldaten zu Arbeiter, welche mir gegen Lohn Kar-
tuffeln ausgraben sollten. Gegen 8 Uhr scherzten die
Fransen mit mir in diesen Worten: »Vielleicht kommen
11*
164
noch heute Hanovriens und schiessen uns hinter den
Kartuffeln tot. Doch es gilt uns gleich viel, .wo wir
sterben.« Indem ich die Leute warnete, mit dem Tode
nicht zu spotten, so hörten wir deutlich aus der
Gegend von Obervilmar einen Schuss, als ob es Ka-
nonen wären. Meine Arbeiter wurden anderen Sinnes,
forderten 24 Batzen und liefen in vollen Gallopp nach
Weiheiden zu ihren Standquartieren. Mithin musste
ich meine 9 Säcke und ein gross Wagentuch samt
Kartuffeln stehen lassen. Dann in diesem Moment sähe
ich die Schweizerbrigade mit Cavallerie auf der Dörren-
berger Strasse am Ende des Waldes gegen Harles-
hausen Halt machen. Die Cavallerie defilirte durch
KirchditmoU nach der Frankfurter Strasse ins ange-
wiesene Quartier zur Altenbaune, und vor den General
Waltner und sein Regiment wurde KirchditmoU desti-
niret. Das Gepäcke wurde in meinem Hause abgeladen.
Eine nötige Anmerkung und Beweis, dass heute am
26. September der Oberg nicht so nahe erwartet wurde,
noch weniger, dass dies Dorf in dieser bevorstehenden
Nacht zum Wehr- und Waffenplatz sollte gemacht werden,
massen die Cavallerie schon nach Kirchbauna war, und
vor des Herrn General Waltners Infanterie war eben-
wohl Ordre zum weitern Marsch. Aber das Systema
wurde zwischen 9 und 10 Uhr durch die unglückliche
Anrückung des Obergs geändert. Die Schüsse von der
Seite von Obervilmar verdoppelten sich. Noch näher
in der Gegend von dem Dannenwald auf der Strassen
über Rodenditmoll wurde ich auf einmal gewahr, dass
ungemein viele einzele jagende Personen nach Roden-
ditmoll flüchteten und zuweilen einige mit Pferde die
Berge herabstürzeten. Hinter denselben kamen über die
Anhöhen von Obervilmar gerades Weges durchs Feld
ein Schwärm fr. Truppen. Hier merkte ich, dass es die
Arrieregarde der Franzosen von gedachter Brigade waren.
165
Ihr Zug schien zwischen Rodenditmoll und Harles-
hausen gerades Weges auf Kirchditmoll gerichtet zu sein.
Dabei nahm das Schiessen überhand. Die Luckners
Husaren schwärmten wie die Bienen um das kleine
Corps Franzosen. Einige schössen von hinten, einige
in die Flanken, und andere ritten vor die Fronte der
fr. Arrieregarde und knallten ihnen in's Angesicht ; wobei
das Fischer'sche Corps die Hauptbedeckung der regu-
lären Fransen waren. Die alliirten Vortruppen hielten
gleichsam die retirirten Fransen in ihren Armen und
begleiteten solche mit Furcht und Schröcken bis vor
unser Dorf. Hier auf diesseit Harleshausen conjungirten
sich die von Dörrenberg ankommende Schweizer, welche,
wie oben gedacht, in Kirchditmoll zum Teil schon ein-
quartiret waren, aber von neuem Halt machen mussten.
Die guten Schweizer suchten Kirchditmoll zu ver-
teidigen und den flüchtigen Fischercorps zu Hülfe zueilen,
welches sich aber nicht en fronte stellen wollte, sondern
sich seitwärts schwenkete und ihren geschwinden Zug
geradesweges nach dem Kratzenberger Wäldchen nahmen.
Kaum suchete die Schweizer Brigade noch einmal in der
Ebene unter dem Dorfe Kirchditmoll nach der Gegend
[von] Harleshausen eine wehrhafte Stellung zu formiren,
so erschien des Obergs Corps der Armee wie ein dicker,
schwarzer Wald gerade auf den Anhöhen hinter Harles-
hausen, eine Viertelstunde Weges ausser meinem Dorfe.
Darauf kamen die Luckner-Husaren durch Harleshausen
gesprengt, gerad auf unser Dorf Kirchditmoll, um die
Schweizer zu delogiren, und unser tapferes Leibregiment
zu Pferd stach geradesweges durch das Feld nach dem
Kratzenberge, nach der Gegend, wo die Fischer sich hin-
gezogen hatten. Hier war ich sehr besorgt und voll von
Schröcken, da ich von meinem Thurne wahrnahm, dass ein
Bataillon Fischer sich zwischen die Hecken des Feldes
hinter den Kartuffelstauden in tiefen Graben eingelegt
166
hatten. Sie gaben bei näherer Anrückung auf unser
schönes Regiment eine ganze Generalsalve ; doch zu früh
und zu weit, dass zum Glück kein Mann fiel. Worauf ein
Rumor und ein Getöse von diesem Regiment gemacht
wurde, dass man aus der Stellung wohl wahrnahm, dass
dies Regiment absolutement eindringen und attaquiren
wollte, wobei die Offiziere die grösste Mühe sollen ge-
habt haben, nicht ohne Ordre weiter avanciren zu lassen,
die Leute abzuhalten. Wie ich dann hiernächst ein
gewissen Reiter wegen ihres Zauderns einen Verweis
geben wollte, mir auf seine Art der Sprache auf gut
hessisch antwortete: »Das Herz pochete mee im Leibe,
ach Gott, es wolle me aus meiner Brost sprengen, dass
me nit einhauen dörften. Me sollen und dörften nit.
Hat hee Geduld, der lebe Gott werd uns helfen. Bei
Crefeld gings anders her!«
Indessen machte dies' Regiment ein Schussweit
von Kirchditmoll Halt, nach der Seite von Rodendit-
moU gerade gegen dem Kratzenberge über, um wahrzu-
nehmen, wie das Fischercorps sich unter dem Kratzen-
berge formirte. Dies ging auf rechter Hand am Kratzen-
berge vor. Mittlerweile, da unser Regiment nicht avan-
cirte, gewannen die Schweizer linker Hand nach meinem
Dorfe die beste Zeit, sich in bester Ordnung durch das-
selbe nach dem Kratzenberge ebenwohl zu ziehen. Mit-
hin näherten sich gezwungenerweise die feindlichen
Truppen nach der Gegend [von] Cassel.
Darauf kamen von der Seite durch Harleshausen
einige Trupps Husaren, und sprengten etliche davon
nebst einem hessischen Reuter vom Leibregiment in
unser Dorf Kirchditmoll. Sie machten sogleich einige
Pferde vom Generalgepäcke Beute, wobei mir unwissend
eins davon eingestallet, aber auch wieder abgeholet wurde.
Das erste Wort dieser braven Husaren war: »Wo hat der
Teufel die Franzosen?« Wir hielten sie der Kleidung
167
nach vor fr. Fischer und konnten vor Schröcken und
Furcht nicht wohl antworten, bis gedachter hess. Reuter
mit seinem grossen Schnurrbart und Säbel in der Hand
mit vielem Trost zuredete und dabei versicherte, noch
eine grosse Beute zu machen. In voller Wut jagte er
durch und stracklings nach dem Dorfe Wahlershausen,
welches noch mit etwas Gensd'armerie besetzt war, aber
dabei im Packen und Retiriren begriffen waren. Ein
gewisser junger Mensch wollte mich versichern, dass
sobald der Reuter in Wahlershausen angekommen und
von seiner Freundschaft verwarnet worden, wie hinter
dem Hause noch 20 Mann Cavallerie halte, so sei er wie
rasend mit einem Schuss, der wohl geraten war, auf
solche eingedrungen, etliche Hiebe gethan und nachdem er
etliche Pistolenschüsse und Hiebe wiederum ausgehalten,
glücklich wieder nach seinen ankommenden Husaren
entrunnen. Die Gensd'armerie aber reterirte sich und
Hessen ihr schönes Gepäcke und viele Wagen mit Mon-
tirungsstücken vor 4 bis 6 Husaren zur Beute.
Da dieses hinter mir in Wahlershausen vorging,
so wollte ich auf den Berg nach meinem Kirchhof
gehen, uiri diese ausgeschrieene Retirade anzusehen.
Hier musste ich die 2te Lebensgefahr ganz ohnverdient
aushalten. Drei Luckner Husaren fragten einen Trupp
Weiber und Kinder, welche vor meinem Hause stunden,
nach der Equipage des Fransen-Generals Waltners, auch
nach dem Wege auf Cassel. Sie wurden beschieden.
2 davon* ritten gerade fort, der 3te nahm den Weg
bergauf nach dem Kirchhof. Darauf rief eine Weibes-
person: »Husar, nicht dahinauf, hier strack nach dem
Brunnen ist der Weg.« Darauf versetzte ich auf dem
Berge vor der Kirchhof sthüre : »Man lasse sie reiten,
wo sie hin wollen«, in Meinung, dass beide Wege gut
wären. Aber mein Husar machte mir folgendes Com-
pliment: »Du Sacra: Canaille! Ich will dich zusammen-
168
hauen — du sollt . . .«, hier wich das Pferd vor
meinem schwarzen Rock zurück, und er konnte be-
sonders wegen des Berges seinen Hieb nicht ausführen.
Meine schröckensvolle Antwort war diese: »Ihr Leute
seid toll und rasend etc. reitet fort, reitet fort! ich bin
der — — , ich werde euch keinen Tort thun.« Dar-
auf verlässt er mich mit seinen Flüchen und verfolgt
seinen Weg bis an den Fuss des Kratzenberges, wo sich
der Weg nach Wehlheiden lenket.
Hier geschahen an diesem offenbaren Glückstage
die letzten Husarenschüsse, und einer von unsern hess.
Reutern wurde durch einen Hieb blessirt und geriet in
fr. Hände. Alles was von den Fransosen einen leben-
digen Othem hatte, versteckte sich in den Kratzenberg
und richteten ihre Fronte nach der in Ordnung stehen-
den Armee des Oberg^s auf den Höhen hinter Harles-
hausen. Die aliirten gedachten Husaren Hessen sich nicht
irre machen, ritten ganz dreiste hinter der Fronte des
fr. Corps geradesweges nach Wehlheiden zu und setzten
sich auf die Anhöhen des sogenannten Sandküppels und
beschaueten das Gepäcke und schwere Artillerie von der
ganzen Soubisischen Armee, welche im Grunde hinter
Wehlheiden auf flachen Felde stund und kaum von 150
Mann Infanterie bedecket war, davon ich gewiss nach-
hero versichert worden, dass keine Gegenwehr wegen
der Bestürzung und anrückender Menge wäre vorge-
nommen worden. Ich wollte wünschen, meine Gemälde-
Carta könnte die ganze Stellung deutlicher machen.
Stellen Sie sich, liebster Freund, die Gegend recht
lebendig vor. Ohngefähr 4 höchstens 5000 Mann samt
der Garnison aus Würtenb. Truppen hatten im Ange-
sichte der teutschen Armee den 26. September gegen
1 Uhr die Länge des Kratzenberges bis an die^ Gegend
einer Schanze vor Cassel besetzt. 6 Kanonen ausser
der Stadt war auf gedachter Schanze die ganze Defen-
169
sion, deren Mündung über die Tiefe vorwärts nach
Rodenditmoll und nach den Höhen von Harleshausen
gerichtet war. Hinter sich, vor sich und in der Flanke
nach Kirchditmoll hatten sie gar keine Bedeckung
und waren ohne Cavallerie, nur einzele Husaren sprengten
um die Gegend.
Mittler weilen rückten mehrere alliirten Husaren
nach Wahlershausen und reinigten dies Dorf gänzlich
vom Feinde ; ein einziger Husar verdrieb 14 Mann von
Gensd'armerie, welche das Gepäck in Wahlershausen
bedecken sollten und erschoss einen Kerle und erbeutete
einen Wagen mit -der köstlichen Staatsmontur der Gens-
d'armerie. Noch andere erbeuteten in der Gegend [von]
Weissenstein 172 Ochsen, welche mir auch für 60 -»tf
Gras und Omaden*) gefressen hatten, so dass es das
schöne Ansehen hatte, als sollten die Franzosen an
diesem Tage gänzlich umringet werden. Aber die Zeit
verweilete sich. Die oben gedachte Cavallerie, welche
des Morgens nach der Kirchbaune zum Quartier ab-
marschieret war und sich daselbsten zur Ruhe gegeben,
alles abgesattelt hatte, kam auf einmal durch Nordshausen
zurück. Nach langen Scharmutziren in der Fläche hinter
Wahlershausen nahmen dieselben die Ochsenbeute wieder
ab. Indessen so hatten die Teutschen den Winterkasten,
Weissenstein, Kirchditmoll, den Rameisberg, Wahlers-
hausen, den Strutküppel ohne Verlust mit 80 Mann
erobert und mehr dann 3000 Mann aus den besten Vor-
teilen vertrieben, Vorteile nunmehro vor die Teutschen,
die dem Trauerspiele das grösste Ansehen gaben, Vor-
teile, wodurch man ganz sicher hinter den Höhen ab-
marschieren und dem Feinde in den Rücken ohne
Gegenwehr kommen konnte. Ich sage, Vorteile nach
meiner Einsicht, welche an diesem 26. September eine
*) Omaden =: ahd. äraäd, d. i. der zweite Schnitt des Grases,
Grummet.
170
Million vor Hessen wert waren. Man erwartete also
stündlich die nähere Anrückung unserer überlegenen
Armee, welche über Harleshausen in Schlachtordnung
stund und welche in einer Stunde das Glück von Hessen
machen konnten. Eine mittelmässige Anstalt, halbe
Courage und die Hälfte des Obergs Truppen waren im
Stande, die auf dem Kratzenberg stehende Truppen
bei einer kühnen Gegenwehr gefangen zu nehmen. Ich
rede aus dem Munde der Franzosen. Selbst alte, hohe
und niedrige fr. Officiere waren bei diesen so offenbaren
Vorteilen so offenherzig und gaben sich gänzlich ver-
loren. Wenigsten die meinste Artollorie, gänzliche grosse
Equibage von der ganzen Armee, nebst so vielen Kisten
Geld, welches in Wehlheiden stund, wartete nur in
Empfang genommen zu werden. Man sagte mir, die
Ordre wäre gewiss gegeben, bei näherer Anrückung
sollte man nur seine Retirade nach Cassel eiligst machen.
Man hätte Ehre genug, wann man gegen solche Ueber-
macht nur die Truppen zurückzöge und die in der be-
vorstehende Nacht ankommende Soubisischen Armee
rettete. Warlich 1000 Mann von RodenditmoU, 1000
Mann durch Kirchditmoll in die Flanke und etwa 2000
nebst Cavallerie hinter Wahlershausen herunter in den
Rücken nach Wehlheiden und von Wehlheiden über den
Berg nach der Schanze auf dem Kratzenberge hätten
entweder gegen 3 Uhr nachmittags die auf dem Kratzen-
berge stehende 4000 Mann samt der Garnison gefangen,
in so ferne sie so tollkühn waren und sich wehren wollten ;
oder sie hätten durch solchen natürlichen Angriff* die
grosse Equibage erbeutet, welche die Franzosen ihnen
gerne zum Preise geben wollten; dann alles zugleich,
Truppen, die Stadt und Equibage [undj Artollerie konnte
an diesem Tage mit 4000 Mann nicht gerettet werden.
Der tapfere Luckner sähe diese Vorteile gar zu wohl ein
und wollte die Affaire, wie man mir gesagt hat, mit 1200
171
durchsetzen. Der verständige Oberg wollte dismal nicht,
mit der gegebenen Antwort: was er mit der Handvoll
Franzosen sollte anfangen? Er wollte sie zusammen
kommen lassen ; sie würden ohnehin nicht lange warten
und von selbst Cassel verlassen müssen. — Ich kenne den
Menschen, welchem er diese Antwort gegeben haben
soll. Alles musste auf dessen hohe Ordre retour gehen.
Das Lager wurde hinter Harleshausen aufgeschlagen,
der linke Flügel stiess an Obervilmar und der rechte
lehnete sich an Harleshausen, welches mit Jägern und
1200 Grenadier besetzt wurde. Vor sich hatte er ver-
schiedene tiefe Graben, hinter sich den Dannenwald.
Nun waren alle glückliche Thaten gemacht. Unser
Glück nahm von uns Abschied. Die Luckner-Husaren
mussten die vorteilhafte Anhöhen mit allen eingenom-
menen Dörfern abgeben ; unser Leibregiment musste
zurück ins Lager und seine Stelle beziehen. Nun waren
die Voi teile dahin und so viel verloren, dass man ohne
Verlust ä 2 bis 3000 Mann den 28. und 29. September
diese Stellung, die man hiernächst gerne gehabt hätte,
nicht wohl wieder einnehmen konnte.
Jedoch die Franzosen sahen das aufgeschlagene
Lager vor eine Kriegslist an und erwarteten gegen Abend
noch einen Angriff.. Sie traueten den Flanken, als
Weissenstein, dem Winterkasten und dem Walde nicht ;
blieben derowegen in Schlachtordnung stehen, dehneten
ihre Regimenter so weit auseinander, dass alle schöne
Bewegungen und Züge über die Anhöhen das Ansehen
hatten, als wären sie in einer Stunde verdoppelt worden.
Darauf, da kein Ernst werden wollte, so rückten
sie vorwärts nach der Flanke ihres linken Flügels, be-
setzten von neuem mein Dorf Kirchditmoll mit 1000
Mann; gegen .4 Uhr nachmittags mit dem Regiment
Bentheim den Rameisberg unter Weissenstein. Gegen
6 Uhr kam das Fischer-Corps durch unser Dorf und
172
besetzten den Winterkasten. Nun war an diesem Tage
alle Hoffnung der Errettung verloren. Die traurige
Nacht des 27. September überflügelte uns zum ewigen
Andenken mit lauter Franzosen. Die ganze Soubisi-
sche Armee kam in dieser Nacht in grosser Furcht von
jenseit über die Fulde und rückte in unser Kirchspiel.
Fast die ganze Armee schanzete sich nur allein in einer
Nacht dergestalt hinter die Anhöhen, dass es einer
monatlichen Arbeit ähnlich war. KirchditmoU wurde
in einer Nacht gegen die Fronte der Alliirten mit einer
Eedouten versehen, und oberhalb dem Dorfe wurde eine
Schanze an die andere gelegt, der Rameisberg mit
einer verdeckten Batterie, welche die vordere Linien
defendiren mussten. 12 Kanonen stunden linkter Hand
auf der Höhe am Dorfe, womit [man], wann man wollte,
Ha rieshausen beschiessen konnte. Mehr dann 50 Ka-
nonen bedeckten die ganze Gegend von KirchditmoU
bis Cassel. KirchditmoU war das Centrum der fran-
zösischen Armee. Dahero ein 70jähriger alter General
den 27. Septbr. zu mir sagte: »Ist zwischen heut
und morgen dieses Dorf verloren, so haben
wir Hessen verloren, und ihr braucht keinen
Verstand vom Kriege zu haben, so könnt ihr
kühne auf mein Wort behaupten, dass binnen
3 Tagen mit 4000 Mann kein vorteilhafter
Angriff vor die Teutschen möglich ist. Aljer
gestern und am 2611^ hatten sie uns ohne Ver-
lust [von] 200 Mann gefangen und die Soubisi-
sehe Armee war jenseit verloren. Kein Regi-
ment konnte wieder nach Frankreich kommen.
Wann wir Zeit zum Succurs bekommen, so
schlagen wir euch und verlassen Hessen land.
Ohne Schlagen kann hier keine Armee ent-
rinnen. Aneuer teutschen Seiten ist heute und
morgen noch das Glück möglich zu erhalten.«
1^3
So stund nun unser kluge Oberg und sähe die
klugen Franzosen Tag und Nacht arbeiten. Der wahre,
berühmte und tapfere Prinz Isenburg stiess den 27!??
Septbr. an den linken Flügel des Obergs und lehnete
sich mit seinem rechten nach Frommershausen.
Es war die höchste Zeit, dass dieser Prinz anrückte,
anders bestund der Herzog Broglio darauf, diesen Tag
den sichern Oberg anzugreifen. Aber Prinz Soubise
wollte noch nicht willigen. Als man aber den Held
Isenbourg sähe ankommen, so verging den Herrn Generalen
die Lust zum Angriff. Man vergnügte sich mit Schar-
mutziren. Besonders geschähe es gewissen ansehnlichem
Frauenzimmer aus Cassel zu Ehren, welches hier in
diesem Dorf mit Gesellschaft einiger Herren Officiere
ein Besuch abstattete und Zuschauer abgaben, worauf
sogleich zum Scharmutziren Anstalt gemacht wurde,
auch so heftig getrieben, dass sogar mit 6 — 7 Kanonen
aus unserm Dorf auf die unserigen gefeuret wurde,
wovon ich ein wahrer Augenzeuge gewesen bin, aber
das Frauenzimmer bei aller Mühe nicht erkennen konnte.
Je stärker nun die alliirte Armee den Feinden vor-
kam, desto gefährlicher stund es vor Hessen und noch
trauriger vor unsere Dorf. Unsere Garten über dem
Dorfe wurden zu Schanzen gemacht, die Obstbäume
abgehauen und die Flanken der Redouten damit be-
deckt ; die geringe Stallungen im Dorfe aus Not ver-
brannt, das Dorf so verzäunet und vermauret, mit
Wagen, mit Bauholz wie eine kleine Festung zugeleget,
dass, wer nur gedachte sich zu retten und anderwärts
zu flüchten, auch nur aus seinem Garten Gemüse holen
wollte, der wurde wie ein Spion mit Ketten beleget.
Unser Vieh, was auf die Strasse kam, wurde ertappet,
geschlachtet und unsere Güter an Früchten und Fou-
rage verzehret und mit nichts als mit Blündern und
Brennen gedrohet.
174
Der 28. Septbr. wurde so mit Rumor in meinem
Dorfe zugebracht. Mein Schäfer sass geschlossen als
ein Spion, meine Schafe stunden im Pfirch zwischen
beiden Armeen. Eine hessische Schildwacht hatte den
Posten bei den eingestalleten Schafen. Auf vieles An-
suchen wurde mir erlaubt, durch eine Magd mit Beglei-
tung einiger Granadier meine Schafe abzuholen. In-
soferne die Magd zu den Teutschen übergehen wollte,
so würde sie erschossen und ich in grosses Malheur
gesetzt werden. Ich war so weit glücklich: 15 Stück
waren nur durch unsere Allirten verloren gangen, und
auf meinem Hof, worinnen ich die erhaltene Schafe
einsperren wolte, durfte mir nichts wegen beigestellter
Schildwachten geraubet werden, und da jedennoch sich
einer Gewalt anmassete, so wurde derselbe ertappet,
geschlossen und hernachmals gehenkt. Ich verkaufte
augenblicklich 60 Stück ä 60 fl. und hatte mithin
jedes Stück 1 fl., und hatte V2 Pistole davor gegeben.
Die Kühe erböte mich vor 6 tcf zu verkaufen, konnte
aber nur 2 Stück k 10 ^cf käuflich los werden. Ich
erhielte einen Pass, sowohl unser sämtliches Hornvieh
aus dem ganzen Dorfe, als auch meine Schafe nach
Fritzlar abzutreiben. Ich geriet unter die Fischer und
verlor 40 Stück, dagegen sollten die Kühe, wie ich ver-
sprochen hatte, nur ausser den Lägern gehütet werden
und wieder gegen Abend zurückkommen. Aber ich
hatte andere Ordre gestellet. Es kam kein Stück re-
tour, so dass ich Gefahr lief, in Arrest gezogen zu
werden. Ich rettete mich mit gründlichen Entschuldi-
gungen. Mein letzter Bescheid war: »Geht mir strack-
lings vor den Augen weg ! « — Ein gewisser kluger Bauer
wollte seine Kuh nicht mittreiben, er steckte sie in
den Keller. Aber es wurde eingebrochen, sie wurde
darinnen geschlachtet.
Ein anderer trauriger Zufall begegnete an diesem
175
28ten Septbr. dem Heinrich Dippel, der meine Pfarr-
güter als Meier besass. Derselbe flüchtet mit seinen
Pferden zum Wald ; er wird von französischen Husaren
der Fischer angehalten, sie geben sich vor Teutsche
aus. Er soll ihnen die Armee weisen und Anschläge
geben. Er thut es herzlich gerne, es war ein witziger
Kopf und hatte nach seiner Natur ein hitziges Tem-
perament nebst jähen Zorn. Auf einmal geben sie sich
zu erkennen. Sie brachten ihn in mein Haus zum
Verhör geschleppt. Nachdem der Commandant ihn be-
fraget, so wollte er ihn zum Soubise schicken. Er
rief mir halbtot zu: »Herr Pfarrer, im Brauhaus! Er
versteht mich wohl, meine Frau wird es Ihm sagen.
Sorge Er vor meine arme Kinder. Die Franzosen
hanken mich.« — Seine Frau und 5 Kinder liefen und
schrieen um ihn herum. Er verdoppelt sein Wort zu
mir: »Sorge Er vor meine Kinder!* Ich tröstete und
wollte reden, ich wurde zurückgestossen. Der gute
Mann entsprang der Wachte und ersäufete sich vor
unsern Augen durch einen Sprung in den Teich am
Wege. Die schwangere Frau und Kinder nahmen die
Zuflucht in mein Haus. Keiner konnte und dorfte des
andern Retter sein. Ich lief dabei grosse Gefahr, weil
es mein Meier war.
Nun brach der für mich unglückliche 29. Sep-
tember an. In der Dämmerung griff alles zum Gewehr.
Mehr als 5000 Mann rückten ins Dorf und besetzten
den Kirchhof. Die Kanonen flohen durchs Dorf, alles
schiene sich zur Bataille zu rüsten.
Ohngeachtet mein guter Graf und General Waltner
mir verheissen hatte, die Stunde meiner Flucht anzu-
d(mten, so konnte ich jedoch nichts erfahren. Darauf
brach ich in diese Worte aus: »Mein gerechter und
barmherziger Gott, soll die Schlacht angehen,« — so
rief dieser General: »Wie — Pfarrer, wollen mich die
176
Hessen attaquiren?« — Er sprang eilend zu mir, ergriff
mich an der Hand. > Lassen sie uns in die Redoute
gehen!« Ich ging mit ihm auf die Batterie. Er fragte:
»Was rapportiren Sie, Herr Major?« welcher mit 400
Mann recognosciret hatte. — »Die erste Colonne der
Hessen rücket seitwärts im Walde vorwärts
nebst vieler Cavallerie an.« Sogleich war die
Antwort an mich gegeben: »Mein Herr, so retiriren Sie
sich und retten Dero Familie und retten nichts
als das nackte Leben. Ohne Zeitverlust fliehen
Sie! das unglückliche Dorf ! « Ein gewisser Graf
schrieb auf Befehl vor mich und meine Familie einen
Pass auf Cassel und auch aus Cassel zu passiren,
worauf es im Fall der Not ankam. So geschwind sich
die Generalen zu Pferde setzten, so geschwind war
ich zu meinem Marsche auch fertig. Mein ganzer
Reich thum, den ich zu retten gedacht^, waren 5 Ober-
hempter auf der Haut und mein bestes Kleid, welches
ich über die Hembter gepresset hatte, nebst 6 Schild-
Louisd'or in den Stiefeln unter den Füssen.
Ich nahm meine Frau wie ein Pilgrim und des
Förster Tochter in Gottes Namen an die Hand, Hess
alles im Stich, auch die besten Effecten, welche ein-
gemauret waren. Ehe wir abtraten, kam vom General
nochmals ein Laufer an mich mit dem Befehl, sich
eiligst zu retten, weil bei fernerer Anrückung die Ka-
nonen losgebrannt würden, und wir vor der Mündung
der Kanonen mit Todesgefahr passiren müssten. üeber-
dem wurden mir tages vorher 4 grosse Kanonen und
Mörser gezeiget, welche bei dem Angriff mein Haus in
Brand schiessen sollten, welches allerdings von keinem
Teil konnte verschonet bleiben. Ohngeachtet dieser
Trübsal ging ich unter dem Beistand Gottes fort. Ehe
ich aber gänzlich aus dem Dorfe abtrat, so resolvirte
ich mich auf einmal, zurück zu kehren und meine Frau
111
ganz allein in Sicherheit bringen zu lassen, da ohnedem
meine Zuhörer mit ihren Sonntagskleidern und Gepäcke
auf den Schultern gebunden bereit stunden, das Dorf
zu verlassen, welches ihnen doch nicht erlaubt sein
sollte. Ein jeder verstummete und führte seine un-
mündige Kinder an der Hand unter den bittersten
Thränen hin und her. In Betrachtung dieses Trauerspiels
nahm ich Abschied von meiner Frauen und wollte die
Bataille und die Ansteckung des Dorfs erwarten, als-
dann wollte ich vermittelst eines angebottenes Pferdes
mein Leben zu retten suchen. Ich kehrete zum Glück
in mein Haus, welches schon mit Freund und, Feind
so berennt war, dass ich kaum durchbrachen konnte.
2 Feldprediger waren meine Erretter.
Denken Sie, libster Patron, mit was vor Ge-
mütsgestalt ich in mein Haus zurücktreten konnte.
Meine ganze Familie, Bruder, Mutter, Frau, Kind, Knechte,
Mägde waren fort. Meine Frau hatte zum Unglück
nichts als das schlechteste Kleid angezogen. Vor nichts
sorgete ich als vor Nahrung in Cassel. 2 Kotzen voll
Brot und eine Kötze voll Hammelbraten war die ganze
Versorgung. Doch Gott kann unvermutet trösten.
Der General schickte mir einen Laufer mit der fröhlichen
Versicherung, dass keine Bataille entstehen würde. Die
Hessen hätten nur das Lager und die hiesige Stellung
recognosciret ; ich möchte getrost sein, er wolle sogleich
wieder Besitz vom Hause nehmen. Er kam nebst 3
andere Generale, disputirte mit mir über einige un-
glückliche Massregeln eines gewissen teutschen Hauses.
Er schloss den Discours mit vieler Leutseligkeit und
offerirte sogleich den Lauf er an meine Frau nebst
einem Billet der Umstände zu übersenden. Ohngeachtet'
diese Herren nur bei dem traurigen Abschied meine
Frau kennen lernten, so wurden sie doch über unsern
Zustand mit Thränen gerühret. Der Laufer kam zurück
N F. XV. Bd. 12
178
und brachte mir von meiner Frau die gehörigen
Schlüssel zur Haushaltung und kehre te zurück nach
seinem Herren auf Cassel.
Nun ging allmählich ein neuer Auftritt in meinem
Hause vor. Meinen guten General hatte ich diesen 29.
September verloren, ein anderer übernahm das Com-
mando. Jedoch recommendirte er mich an die ganze
Generalität, welche in meinem Hause einkehrte. Dahero
geschähe es, dass besonders der General Donner fei d vor
die Rettung meiner Möblen sorgete. Damit die Domesti-
quen keine obstacula machen konnten, so wurde vor
ein Trinkgeld ä 30 '»tf 2 Wagen voll auf Cassel ge-
bracht, wobei ich diesen Umstand nur anmerke, dass
aus dem ganzen Dorfe ein jeder seinen Beutel in
meinem Keller zur Sicherheit gebracht hatte. Insofern
ich mich in meinem Keller mit Auspacken und Einpacken
alleine quälete, solcher gestalt, dass ich binnen 3 Tagen
s. V. keinen trockenen Faden teils aus Angst, teils wegen
der ständigen Geschäfte und Abmattung an meinem Leibe
trug und mit übertriebenen Kräften einige Packen zum
Aufladen an meine Nachbarn überreichte, so fand ich
nach der Abführe des Wagens meine Güter wiederum
anderwärts versteckt, und jene hatten vor sich selbst ge-
sorget, alles mögliche auf den Wagen gekget, dass
wann zu Cassel abgeladen wurde, mehr vor andere als
vor mich in Sicherheit gebracht wurde. Überdem, da
die Not zu gross war, dass man ständig einer Batäille
gewärtiget sein musste, so sprachen mich so viele mit
heissen Thränen an, nur etwas weniges mitzunehmen.
Ich konnte es nicht abschlagen, und die Vorsehung
Gottes wachete so lange über uns, bis wir das
mehreste mit schwerer Mühe in Sicherheit gebracht
hatten.
Dagegen wurde mein innerer Haushalt verschlimmert,
SBumalen da ich nichts mehr hatte, guten Willen bei
179
denen Domestiquen zu machen. Ich hatte einen General,
der zwar gute Mannszucht zu halten bemühet war, aber
durchaus böse Domestiquen bei sich führete. Brand,
Blündem, Ketzer, Pfaffe waren täglich meine Ehrentitul.
Ich war in einer Art von Betäubung und Unempfind-
lichkeit, so vergass ich meinen Caracteur und begegnete
fast trotzig. Vernunft, Bitten, Flehen gilt nur bei
braven Soldaten, aber bei diesen tollen Domestiquen
galt nichts. Ich gestehe, dass einige noch sehr artig
waren; dann sie konnten sich verstellen. Die anderen
waren die possirlichsten Fransosen, sie schrien stets
und forderten Käse, Butter, Milch, Speck, Wein,
Branndewein, ohngeachtet weder Kuh, weder Ziege, noch
Huhn noch Hahn im Dorfe war, auch niemanden
erlaubet wurde, etwas ausser dem Dorfe zu holen ; und
dennoch sollte geschaffet werden. Aus der Ursach, weil
der Oberg gekommen wäre, und sie ohnedem hätten
gehen wollen, so mussten wir Ketzer fühlen, sie wollten
so lange bleiben, bis alles aufgezehret wäre. Ich als
Pfarrer hatte über das Meinige nichts mehr zu sagen.
Früchte u. s. w., Gemüse gehöre ihnen alleine zu. Ich sollte
mich nicht ferner unterstehen, dem General Donnerfeld
in Cassel Fourage zu geben. Ich unterwarf mich diesen
Vorstellungen und versicherte, dass ich blos aus Un-
wissenheit bis dahin gesündiget hätte. Ich wollte, ohnge-
achtet er nur ein Knecht wäre, seinem Befehl künftig
gehorchen. Noch ein anderer Befehl mit fürchterlichen
Drohungen, ohne Verzug vor seinen Herren den Coffe
zu verfertigen ; nach verschiedenen Wortwechslungen,
da er mir das Nötige an die Hand gab, machte ich
denselben fertig. Sobald der Rest in der Küche
von der Tafel erschien, so forderte ich als Domestique
absolutement mitzutrinken. Wir disputirten eine Zeit-
lang, jedoch ich behielte auf Vorbitte der Köchin
die Oberhand. Ich teilete allerdings die überbliebene
12*
ISO
Stocke Zncker und verschenkte vor deren Angra ^b
Stocke an meine bei mir logirente Feldprediger.
Dagegen schhig ich denen artigen Domestiqoen. wekhe
mich vorhero zo ihrem eigenen CoiFe baten, diese
Höflichkeit ab, wekrhes den übrigen zor Yerwondemog
meines Temperaments dienete. Meine 2 Feldprediger,
katholisch ond reformirt, galten weniger als ich in den
Aogen dieser Domestiqoen. Sie mossten oft in der Kochen
rofen hören : >Die Pfaffen o. s. w. gehören ins Lager!«
Heine Lebensart worde täglich wonderlicher. Ich
kochete selbst, das Töpfen stellte ich mitten onter
meine Gäste^ ond der eiserne Löffel war onser Deller und
Schüssel zogleich. Wer nor noch ein Compliment madien
wollte, bekam zur Strafe nichts. Der Förster, meia
Nachbar, ond die 2 Feldprediger waren meine Gaste.
Commissbrod ond Wasser war onsere beste Nahnmg,
zoweilen aoch ein Hohn, welches etwa von denen gate»
Domestiqoen aoswärts erbeutet ond mir zom Kochen vor
ons allgemein geschenkt worde. Ich kochete Reis ond
Hohn so lange, bis kein Teil mehr konnte erkannt
werden.
Mein Lager war Stroh ond eine schwere Baoren-
decke zom Oberbett, welches ich in Verwahrong ge-
nommen hatte ond so schwer war, dass man damnter
ersticken sollte. Der Herr Förster war mein getreoer
Schlafkamrad. Unser Schlafhabit war lächerlich: in
Stiefeln ond alten zerrissenen Camisölem, woran mehr
weisse als schwarze Lappen hingen, legten wir ons in
die furchtbare Rohe. Ein blaoer, alter Rockärmel war
die Mütze, welche einem Hosarenhabit ähnlich sähe,
vor den Herrn Förster. Ein jeder Trommelschlag
däocbte ons Generalmarsch zo sein, wobei der Förster
stets zoerst hervorsprang ond gemeiniglich dreimal über
das grosse Loch im Fossboden meiner Kammer hin-
stolperte, ehe er zo stehen kam, ond allemal fragte:
181
»Schildwacht! War das Generalmarsch zur Bataille?«
»Nein!« So legten wir uns wieder zur Ruhe. In dieser
Stellung brachten wir vier Tage zu, und meine reisefertige
Rüstung in 5 Hembter und Zubehör blieb Tag und
Nacht an mir, massen wir der Retirade nach Cassel
nicht völlig traueten. Endlich, nachdem beide Armeen
sich 8 Tage lang betrachtet hatten und unsere Alliirten
wahrnahmen, dass das französische Lager durch unsers
Dorf Befestigung von allen Seiten, täglich unüberwind-
licher wurde, so brachen unsere Hessen den 3. Oktober ihre
Lager im Angesichte der Franzosen gänzlich ab und
richteten ihren Zug auf Wünterbüren ; von da setzten sie
über die Fulda. Sogleich fielen die Franzosen in unsere
Arriere-Garde. Wie eine Furie hatten die Feinde ihre
Kanonen durch Harleshausen und feureten vom Bannen-
wald durch Obervilmar auf den Nachtrab unserer Armee.
Bei dieser Gelegenheit wurde daselbst der Pfarrer
Schachten in seinem Hause attaquiret, mit Pistolen auf
die Brust gestossen, seines Geldes beraubt. Durch einen
Sprung aus dem Fenster nahm mein College die Flucht
nach der Seite der alliirten Armee. Sein rachgieriger
Fischer schreckete ihn mit einem Schuss. Er kam
glücklich durch die streifende Kanonkugeln. Er
verlor seine meiste Güter an Frucht und Fourage
und rettete auf der Kirche einige versteckte Bette,
nebst 3 Coffren guter Effecten, welche mit schweren
Kosten nach Göttingen geflüchtet wurden.
Bei diesem erzählten Aufbruch der alliirten Armee
wollte ich frische Luft schöpfen, teils um von der ferne
das Avancement der Feinde zu sehen, teils auch um
meine Frau in Cassel zu besuchen und eine Relation von
meiner Haushalt abzustatten. Ich fand sie nebst meiner
Familie in Freudenthränen und bedeutete ihnen, wie dass
gegenwärtige Kanonade, wo sie voll von Schröcken waren,
der Abzug der Alliirten aus unser Gegend bedeutete,
182
und wir vor diesmal erlöset wären. Ich schloss sie in
meine Armen und blieb über Nacht daselbst. Des
andern Tages, als den 4. October, da ich nach meiner
Haushalt wieder abreisete, wurde ich gewahr, wie
unsere AUiirten die Franzosen durch Sangershausen ver-
folgten und mit Kanonen über Sangershausen hin-
feureten. Dies daurete bis gegen Abend. Die Franzosen
retirirten sich bis in und vor Cassel, steckten aber aus
Rache zum Schröcken der Stadt verschiedene Garten-
häuser in den Brand vor der sogenannten alte Neustadt,
und unsere AUiirten schlugen ihre Lager auf den blutigen
Platz der gehaltenen Bataille über Sangershausen und
warteten abermal 8 Tage, bis endlich den 8. October
Sonntag nachmittags der Sächsische Schevert mit
20,000 Mann (dem Angeben nach) zwischen Nordshausen
und Weisenstein heranrückte. Dieser Succurs, den man
so stark zu sein nicht in Cassel glauben wollte, schlug
diesen Tag das Lager zwischen Weiheiden und Ober-
zwehren, zogen sich aber Montags den 9^ durch und
um Cassel über die Fulda. Ihre Lager lehnete sich bis
an die Fulda und erstreckte sich bis nach Ochshausen
und Volmershausen. Die Fronte war nach Sangershausen.
Beiderseitige Armeen stunden an diesem Tage in Schlacht-
ordnung. Aber die Elemente machten ein solch fürchter-
liches Getöse in der Luft, und ein Wirbelwind machte
mit seinem Staube ganz dunkel um die CavallerieJ
augenscheinlich war dieser Tag besonders uns entgegen,
dass keine glückliche Schlacht zu erwarten stund.
Dahero gewonnen die Feinde die beste Zeit, sich einer
kleinen Ruhe zu bedienen, um ihren Streich auf den
IC^en 25U verschieben. Den Dinstags Morgen in der Früh-
stunde, da ich den Marsch der Truppen noch nicht
entscheiden konnte, merkte ich doch, dass die ganze
Macht in 3 Colonnen den Zug anfing. Eine zog sich
rechter Hand nach Kaufungen, um in den Rücken oder
1S3
Flanke zu kommen, die andere linker Hand nach der
Seite der Fulda und die dritte gerade fort nach Sangers-
hausen und Heiligenrode. Dagegen hatte sich unsre
Armee zurückgezogen und den Kampfplatz ausgesuchet.
Gegen 4 Uhr nachmittags sähe ich über Langwem-
hagen vermittelst eines Perspektivs das Feuer aus
den Kanonen angehen. Es war so heftig, dass die Affaire
an dieser Seite, \vas ich sehen konnte, in einer kleinen
Stunde zu Ende lief. Meine ganze Gesellschaft war be-
trübt. Ich sähe mit weinenden Augen die Retirade, die
Unordnung und das Eindringen der feindlichen Cavallerie.
Man hörte in der Ferne noch etliche Kanonschüsse, aber
das alles konnte mich nicht trösten. Ich sähe, was ich
vermutet hatte : die Bataille war verloren ; der Oberg
hat Schläge und Stösse bekommen, doch im Unglück
noch Glück genung indem der Prinz Soubise, wie
man mir gesagt hat, zur Verfolgung keine Ordre geben
wollen, ohngeachtet derselbe von einigen Generalen in-
ständigst zu verschiedenen Malen deswegen ersuchet
worden, nur mit diesen Worten die Herren abgefertiget:
»Die Cavallerie zeige sich dem Feinde und weiter
nichts».
So war die Comödie mit einer Tragödie be-
schlossen und ein Andenken vor Hessen angerichtet,
welches Kinder, so noch geboren werden, nicht vergessen
können. Der Name Oberg bleibt ohnauslöschlich.
Nach dieser traurigen Bataille ging ich den Uten
October wieder nach Kirchditmoll. Kaum war ich bei
der ersten Schanze vor der Stadt auf der sogenannten
hohen Bünne über der holländischen Bleiche, so fielen
mich 6 Kerlen, Domestiquen, mit einem aus dem
Busen hervorholenden Buffer oder Pistole mit diesen
Worten an:
»Du verfluchter Prädicant, du musst hier
sterben, du verdammter Ketzer!« u. s. w. Hiermit
184
griff man mich mit Ungestüm an den rechten Rockärmel
und ich hörte noch vor Schröcken den aufgezogenen
Hahnen knacken. Indem es gelten sollte, so schenkte mir
Gott unter diesen Mördern einen Schutzengel, der mich
rettete. Indem nun unter ihnen einen fluchenter Zank über
mein Tod und Leben entstund, so entwich ich unter
Seufzen mit verzagten Schritten und erv^artete noch alle
Augenblicke den Schuss in dem Rücken. Ich kam glücklich
durch. Ich strich durch die kleinen Lager und Piquetten,
hielt noch acht Tage allein Haus, Hess endlich meine
Frau wiederkommen, welche ebenfalls auf dem Stroh,
doch etwas besser logiren musste, indem wir eine ziem-
liche Oberdecke von Cassel kommen Hessen. Unterstund
ich mich, nur etwas von Betten kommen zu lassen,
so musste ich sofort solche an die Einquartirung her-
geben. Ich habe also vom 26. September, von der
Ankunft des unglücklichen Obergs, bis auf den 23.
November, als am Tage des [Abzugs] der Franzosen, auf
dem Stroh schlafen müssen, besonders die letzte Nacht,
wegen der gänzlichen Besetzung meines Hauses, in meiner
ordinären, einzigen Stube, unter 12 Mann Knechten,
Bauren, Grenadiers auf der Streue celebriren müssen.
Wobei meine Mutter, Frau und Mägde in meiner
Kammer kochen und auf der blatten Erde, ohne Stuhl,
auf morgenländische Art essen und schlafen müssen.
In den obersten Zimmer war diese letzte Nacht der
Herr Graf Diesbach logiret. Das ganze Dorf hatte
3000 Mann Schweizer zur Einquartirung und waren die
Arrieregarde der fr. Armee, welcher dieser Herr comman-
dirte und von mir den freundlichsten Abschied nahm ;
auch solche Ordre gab und hielte, dass niemand ge-
kränket wurde. Die Truppen selbst hatten das tiefste
Mitleiden mit uns. Und der Herr Graf patrolirte auf
mein Ansuchen im Dorfe hin und her und blieb in
hoher Person bis zuletzt im Dorfe, versicherte mich
185
aller Gnade und bezeugte, wie die Hannoveraner binnen
2 Stunden das Dorf besetzen würden. Er ging zu Fusse
aus dem Dorfe, stellte im Felde seine Leute in Ordnung
und blieb mit einer kleinen Bedeckung im Nachtrab
seiner Arrieregarde. In solcher Wendung sähe ich den
Feinden vor dies Jahr auf den Rücken. Dies war der
23. November, da diese frohe Abzug von Hessen Cassel
Abschied nahm.
Darauf rückten, wie gesagt, einzele Husaren von
unser Seite in hiesige Gegend. Den 24. November
bekamen wir 800 Mann Hannoveraner ins ledige, un-
glückliche Dorf. Sogleich Hess der Commendant bei
mir durch seine Leute auf gut blattdeutsch das Essen
bestellen. Ich bedeutete sie sehr höflich, aber keine
Raison wurde angenommen. Es kam mir ungemein
spansch vor. Ich weiss nicht, ob der Herr Schuld
hatte. Sie blieben blatt, so war meine grobe Antwort
nach platter Art: »Seeget juem Obristlieutenant, wann
hee freten und suppen wolle, so schoel hee Freten und
Soupen mee bringen, ek woll metfräten und soupen.«
Der Knecht ging ganz trostlos und erschrocken fort.
Der Obristlieutenant blieb zurück.
Ich bekam dagegen 2 andere gute Offizier. Ich
zeigte meinen guten Willen, so gut ich konnte. Wir
behielten sie 8 Tage lang. Seit dieser Zeit sind wir,
Gott sei Dank, ruhig und haben heute keine Ein-
quartirung.
Ach Gott bewahre Ihnen und ihre gänzliche Fa-
milie vor Krieg führenten Parteien, vor Fransosen
und Hannoveranern, das wünschet nebst allen erdenk-
lichen Segen in tiefster Hochachtung
Ew. Wohlgeboren
ganz ergebenster Diener
f/. Chr, Ounix.
186
P. S. Mein disjähriger Verlust belauft sich
nach übergebener Schadenstabelle, tausentachtundsechsig
Thaler, sage 1088 Rtblr.
Erzählungen von hiesigen Begebenheiten im
Kriege vom Jahre 1759^ vom Monat März bis zum
18. August.
Libster Freund !
Wer hätte gedacht, dass die Franzosen dies Jahr
würden wiederkommen? gar nicht! Über den Rhein
sollten sie getrieben werden, und unsere Truppen wollten
sich bei Strassburg toll und voll in Wein trinken. Ich
wartete mit Verlangen auf die frühjährige Eröffnung
der Campagne. Ich freuete mich auf nichts mehr als
auf die Sieger mit ihren schönen Pferden.
Im März kamen sie in unser Dorf ganz unver-
mutet, und zwar die blaue Garde zu Pferde. 15 Menn
machten Quartier. Ich hatte also die erste Ehre und
Unkosten. Die Sammlung war vor meinem Hause. Mit
voller Verwunderung sähe ich die grossen, schönen
Leute an. Sie verlangten zu essen: von Herzen gerne!
Meine Frau war nach Frankenberg verreiset. Ich war
auch ohne Magd. Eier, Wurst, Speck, und alles was ich
unter dem Herzen hatte, brachte ich auf Feuer. Ich
präparirte Klose mit sauerem Kohl und Kalbfleisch. Der
Kohl wurde verachtet, aber die Klose waren gut aufge-
nommen. Die ersten 4 Quartiermeister waren satt, so
kamen andere und forderten gegen Bezahlung ebenwohl
gute Aufwartung: auch diese wurden gesättigt, davon
einige sich ad interim bei mir im Hause logirten ; dann
des Morgens sollte der Commandant ankommen und
von meinem Hause Besitz nehmen. — Es geschähe;
187
meine ersten Gäste gingen ab. Einer davon bedankte
sich anstatt der angebottenen Bezahlung. Darauf kam
das ganze Regiment. Der Major von dieser blauen
Garde führte diesmal das Obercommando. Ich empfing
ihn höflich und begleitete ihn zu seinem Logis. So-
gleich befahl er mir etliche Kleinigkeiten, Papier, Tinte,
herzuschaffen. Ich brachte alles selbst, um durch
meine Aufwartung Gunst und Liebe zu gewinnen. Aber
ich war nicht so glücklich.
Merken Sie wohl: der Koch wollte mit Victualien
gegen Bezahlung aufgewartet haben. Ich verstünde
nun etwas die Art der Verheissungen. Ich präsentirte
einen Botten, der musste Geld fordern, um das Verlangte
von Cassel einzuholen. Der gute Koch resolvirte sich
aber anders und packte seinen Kasten aus und fand
verschiedenes, was er gesucht hatte: der Botte musste
zurückbleiben.
Darauf erschien der Herr Major in meiner Wohn-
stube nebst Dolmetscher mit Befehl, dass ich sogleich
der sämtlichen Gemeinde ansagen musste, dass ein jeder
Wirt seinen einquartirten Reutern gegen Bezahlung
Fleisch, Wein und Brandewein anschaffen sollte. Ich
versetzte, dass diese Ordre eigentlich dem Greben zu-
kommen musste, indessen auch von mir ausgeführt
werden sollte. Aber der Befehl könnte die Absicht des
Hrn. Majors nicht erreichen, es wäre dann, dass ein
jeder Reuter seinem armen Wirt zuvor das Geld in die
Hand gäbe; alsdann sollten die Leute laufen und
rennen, alles herbei zu kaufen, — indem 20 Mann bei
einem Tagelöhner logirten, welcher keine 6 Batzen im Ver-
mögen hatte, und die übrigen Einwohner hatten 3 Monat
von guten Nachbarn ihre Nahrung erbettelt und gesteuret
bekommen. Der Krieg hätte das Dorf in der letzten
Affaire von General Oberg durch eine erlittene Blocade
stärker als andere mitgenommen. Ich bäte um Gnade.
188
Darüber wurde dieser Commandant des Corps ent-
rüstet; dem Dolmetscher liefen vor Angst die Schweiss-
tropfen über das Gesicht und [er] deutete mir an, dass
kein Engelländer eine Contradiction leiden könnte. Ich
sollte Anstalt machen, dass der Wirt den Vorschuss
thäte. — Es war aber lächerlich, weil es unmöglich
war. Der Commandant voller Zorn versicherte mich
seiner Ungnade und deutete mir an, dass er mich so-
gleich bei dem Herzog verklagen wollte. Zu seiner
Besänftigung versprach ich Grebens Dienste zu thnn
und den Bauren die Ordre stracklings zu geben. Ich
war also der erste im Dorfe, welcher die Ungnade sich
unschuldig zu Halse gezogen hatte.
Mein erstes Tractament war umsonst. Die mehre-^
sten Domestiquen ausser ein Teutscher waren nun
gegen mich aufgebracht. Der Koch forderte Butter,
Milch — etc. alles gegen Bezahlung, aber nur ver-
sprochen und nicht gehalten. Ich glaube, die Domes-
tiquen streichen das Geld zu sich und machen denen
Herrn die beste Rechnung. Doch ich habe auch ein
Beweis, dass die Herren selbst mit Vorsatz umsonst
in Freundesland tractiren lassen. Einige Offizier logiren
bei einem Pfarrer: sie bitten ihn, Wein und Victualien
vor sich und ihre Bediente zu tractiren vorschussweise
aus Kassel holen zu lassen. Der Pfarr lasset vor 10
Rthlr. erborgen und tractirete seine ganze Einquar-
tirung mit Fleisch etc. aufs beste. Bei dem Abzug fragen
die Herren nach der Rechnung. Der Pfarrer verlangt
nichts als den Wein bezahlt. Sie scheinen willig und
bitten noch um eine Milchsuppe vor sich und ihre Suite ;
alsdann sollte alles bezahlet werden. Der gute Mann
wird gewahr, dass sich einer nach dem andern zu
Pferde setzt, auch sogar sein Dolmetscher. Jedennoch
ein Engländer hält stand und setzt sich zu Tische.
Auf einmal: Adieu! Der Pfarr verständigt ihn zu be-
189
zahlen, aber umsonst. »Ick kan nit verstan!« damit
reiset er ab. Das war der erste Auszug der Engländer,
wornach wir so lang geseufzet hatten.
Doch einen Umstand von meinem ungnädigen Major
muss ich Ihnen eben wohl erzählen. Einige gute Freunde
ansehnlichaten Standes von der Regierung aus Kassel
kamen nach Kirchditmoll gelaufen, um ihr Verlangen zu
sättigen, die englischen schönen Truppenpferde zu sehen.
Sie traten in mein Haus und baten durch mich den
Domestiquen, ob erlaubt sei, des H^: Majors berühmte
Pferde im Stalle zu betrachten. Der Bediente war
wilig; wir stellten uns sämtlich vor den Stall und
sahen durch die ausgeschlagene Wände die so be-
rühmte, teure englische Pferde. Wie eine Furie kam
der Herr Major mit einem Prügel, machte sich unge-
stüme und behende Öffnung nach seinem Bedienten
[und] schlug denselben barbarisch. Die umstehen-
den Regierungsrat, Assessor und Secr. und Regist.
machten eine tiefe Beugung und hatten daneben aus
Freude und Respect ihre besten Westen angezogen ; aber
es war niemand, der dieser ansehnlichen Gesellschaft
danken wollte, und wir wurden alle froh, dass wir ohne
Schläge davon kamen. Ein jeder ging an seinen Ort.
Ich aber musste mich mehrenteils in der Küche
aufhalten, um dem Koch die Aufwartung zu machen
und sein Verlangen zu stillen, den Tisch mit gehörigem
Weisszeug zu besorgen. In Ermangelung meiner Frauen
kam mir diesmal die Bedienung sehr hart an, und bei
aller meiner Willigkeit konnte ich nicht das Glück
haben, meinen Herrn bei dem Abzug zu sprechen.
Mein Schmand, Butter unä Milch wäre doch eine
Danksagung wert gewesen. Doch diese Kleinigkeit war
zu ertragen.
Es sollte auch noch meinem Pferde gelten. Der
Abzug geschähe schleunig. Es war der Marsch nach
1^-
190
Frankfurt und Bergen angestellet. Sonntag morgens
marschirte das Regiment ab; einige einzelne Dragoner
blieben zurück, um die Equipage zu besorgen. Es ge-
brach an Pferden. Die Bauren hatten alles versteckt.
Der Grebe, mein Gewaltiger, gab unredlich an, niemand
als ich hätte noch Pferde und fohrete (führte?) mir
den Korporal in meinen verschlossenen Stall. In dem
Augenblick, da es in die Kirche läutete, wurde ich den
Greben samt dem Reuter im Stalle gewahr. Der
Grebe entwich. Ich eilete und raisonnirte solange un-
verständlich mit diesem Engeländer, bis ich durch
folgenden Einfall ihn bewegte, mir meine Pferde zu
lassen : mit Figuren und Worten bedeutete ich ihn,
dass ich dieses Pferd von unserer engelischen Hoheit
aus Gnaden hätte geschenkt bekommen. In gewisser
Absicht hatte es Grund, denn ich hatte würklich ein
Gnadenpräsent erhalten. Darauf liess sich der Enge-
länder bedeuten und wurde ungemein freundlich; es
wollte ihn aber ungemein verdriessen, dass ich ihm ein
Präsent an Geld anbot. Er bekam hiernächst Pferde im
Dorfe, und ich ging nach dieser Gemütsveränderung in
die Kirche, um zu predigen; und hielt in der That eine
Feldzugspredigt mit Segenswünschung zur Eröffnung
der Campagne aus dem XX. Psalm V. 2 : Der Name
des Gottes Jakobs erhöre dich; er sende die Hülfe
vom Heiligtum und stärke dich aus Zion.
Unsere ganze Armee zog demnach auf die Fran-
zosen los, um sie zu überraschen. Aber Bergen, Bergen
war der Ort noch nicht, wo wir Meister über unsere
Feinde werden sollten. Den 15. April auf Ostern be-
kamen wir die erste traurige Nachricht von unserem
bei Bergen erlittenen Verlust; und den 20. April be-
kamen wir unsere bekannten Engeländer, die blaue
Garde, zur Einquartirung. Diesmal hatte der Oberst
selbst das Commando und hatte das Logis bei mir, aber
191
der Major bei dem Förster. Es daurete diese Einquar-
tirung fast einen ganzen Monat und kostete mich nur 86
Mass Milch und alle Morgen ein — IV2 Schale Schmand,
der absolut für den gnädigen H. Obersten geschafft
werden musste. Übrigens musste ich abends 10 Leuchter
im Brand halten. Doch in Ansehung des gewöhnlichen
grossen Verlustes wurde es unter der Bagatelle gerechnet.
Aber unsere teure ausgesäte, im Mai ankommende
Früchte wurden von Offiziers-Pferden abgehütet, und so-
bald nur der Bauersmann sich darüber beschwerte und
vorrücken wollte, wie ein jeder die richtige Fourage
bekäme, so war seine Resolutionen lauter Prügel: wie
dann der Major dieses Regiments mich einstmalen in
meinem Hause ungestüm angriff mit der Frage, ob ich
sein Regiment verklagt hätte? Ich schwor in Angst,
dass ich von dergleichen mich gänzlich loszählen könnte.
Darauf versprach er mir, meine Pferde in der Scheuer
stehen zu lassen, welche ich sonst ebenwohl räumen
sollte. Dann aus meinem Pferdestall hatte man mich
schon längst vertrieben; und wann ich geklagt hätte,
sollte ich mich aus meinem ganzen Hof packen.
Doch die Gewalt im Kriege musste ich auch von
einigen meiner Bauren erfahren. Meine Gemeinde war
schuldig, gegen Bezahlung Fourage aus Kassel anzu-
fahren. Jene (die Bauern) brachen eigenmächtig vor
Tagesanbruch in den Stall, nahmen mir meine Pferde
und spannten sie ganz nüchtern an ihre Wagen. Gegen
Nachmittag wurde ich diesen Umstand gewahr; an-
fänglich vermeinte ich, es wären meine Pferde gestohlen.
Ich fragte meinen Knecht; dieser gab die trotzige,
kriegerische Antwort, er könnte nicht stets die Pferde
im Stalle hüten. Ich musste die Bauern verklagen.
Sie bekamen Befehl, mich gänzlich zu verschonen,
weilen sie gedachte Fouragefuhren bezahlt bekämen.
Aber diese Befehle waren meinem Greben nicht respec-
192
tabel genug. Bei erster Forderung, Fourage zu fahren,
griffen die Bauern abermal nach meinen Pferden,
warfen im freien Felde den Knecht davon und spannten
sie vor wie nach an den Wagen.
Was däucht Ihnen, liebster Freund? Alle ausge-
würkten Befehle waren ohne Würkung. Ich würde
sogar den grössten Schimpf- und Schmähworten aus-
setzt sein ; hätte ich ferner klagen wollen, so wäre
ich unter die Termine und neue Kosten geraten. Ich
war auf bessere Mittel bedacht, mich zu retten. Ich
hielt mich an die Domestiquen meines Obersten, bat
um Schutz gegen die Bauern. Ich entdeckte ihnen das
Unglück unser Prediger, welche im Kriege unter die
Gewalt der Greben und Dorfknechte gemischet waren;
diese beiden commandirten ohne Barmherzigkeit, wer
nicht wollte, bekam gleich Execution. Ein Grebe im
Kriege, das war ein ander Mann wie ein Regierungs-Rat.
Dadurch erweckte ich die Domestiquen zu meinem Schutz.
Indessen musste ich wegen meiner Pferde in steter
Flucht und Furcht leben. Er, der Grebe, hatte mir
gedrohet, wann die Engeländer abmarschiren würden,
so wollte er gewis davor Befehl geben, meine zuerst
vor die Equipage zu spannen: denn ein Pfarrer könnte
keine Freiheit prätendiren; aber ein Grebe sei frei, der
hätte mehr zu thun wie ein Pfarrer.
Aber meine gute Domestiquen gaben mir frühzeitig
den Abmarsch zu verstehen. Ich Hess sogleich 2 Sattel
ins Feld an den Acker tragen, nahm eilends meinen
Bruder, den Stud. Medicinse, bei mich, setzten uns
beide zu Pferde und flüchteten nach Ober-Vilmar zum
Pfarr. Kaum waren wir sämtlich 1000 Schritt geritten, so
kam ein Bauer aus meiner Gemeinde mit vollen Galopp
hinter uns her rief mit vollen Halse: »Herr Pfarr, halt!«
— Ich war dergestalt consterniret, in grosser Angst, von
demselben . . . [unleserlich] fangen zu werden ; dass ich
193
meinem Bruder in Zorn ganz ungebührliche Ordre gab,
sich gegen den Bauren zu sistiren und allenfalls ihn
dergestalt zu bewillkommnen, dass ihm 6m Lust mich
einzuholen, vergehen sollte. Im Notfall wollte ich schon
nach Holland reisen.
Ich galoppirte voraus, mein Bruder zog votti tedär
und erwartete den Bauren. Der Bauer rief ötets hoch
meinen Namen. Aber der Schröcken ' minderte sich.
Seine Anrede war: »H. Pfarrer, lehnen Sie mir nur das
alte, zurück gelassene Pferd. Dann, sagte er, ich
soll meinen Gaul, der eben ein Füllen bekam, an-
spannen ; der geht verloren. Von diesen, welche Sie
reiten, verlange ich keinen. Sie thun wohl, dass Sie
flüchten. Lehnen Sie mir den alten Gaul. Dann wann
ich den bewussten Gaul, der gestern ein Füllen be-
kommen hat, anspanne, so gehet er verloren.«
Wer war freudiger wie ich, dass der Mann nur
meinen alten Gaul haben wollte, welchen ich gar nicht
zu retten gedachte. Ob nun zwar der Kerle unter
meine Feinde gehörte, so willfahrte ich ihm und wurde
froh, dass mein fürchterliches Concept geändert werden
konnte. Ich kam sicher nach Ober-Vilmar. Kaum war ich
ankommen, so kam ein ander Botte von meiner Frauen
nachgejagt, der mich mitten in meiner Erholung er-
schrack und weiter keine Neuigkeit mitbrachte, als
dass ich eilends retour kommen sollte, um eine Not-
taufe zu verrichten. Übrigens wären meine Pferde
schon vom Greben gesucht worden.
Mein College, der Pfarr, muss diese Ambtsverrich-
tung in finster Nacht über, sich nehmen, weil weder
Leben noch Kraft in meinen Gebeinen vor der Nach-
stellung des Grebens war.
Ich verfügte mich den andern Tag nach dem
Abzug der Engeländer nach Haus und hörte, dass mein
N. F. XV. Bd. ji 3
194
Oberster vor meine 80 Mass Milch weder Geld noch
eine freundliche Miene von sich blicken lassen.
Nach deren Abzug näherte sich das Unglück.
Die zwischen Marburg und Kassel stehenden alliirten
Corps wurden vom Feinde auf Kassel zurück getrieben;
hierüber gerieten wir in unserer Gegend in grossen
Schröcken. Alle unsere beste Habe, welche wir von der
ersten Flucht nach Kassel mit schweresten Kosten gerettet
und in Hoffnung eines Schutzes wieder aus Kassel in
unsere Verwahrung genommen, mussten wieder retour zum
2ten Mal nach Kassel geführet werden. Keine Hülfe
war vor mich übrig, weil ein jeder das Seinige selbst
schleunig retten wollte. Mehr als 400 Menschen unter
Seufzen und Thränen hatten ihre Sonntagskleider auf
den Rücken gebunden und liefen ganz odem[los?] nach
der Stadt. Die gefährliche, verkehrte Nachrichten, als ob
die Feinde diesmal durchgängig plünderten, verdoppelten
die Angst. Meine Zuhörer, welche mir unter ihrer Last
der Habseligkeiten auf der Flucht nach Kassel begeg-
neten, wollten mit mir reden, aber die Thränen über-
mannten uns, dass wir vor wartender Dinge verstummet
mit Thränen von einander Abschied nahmen.
• Das letzte vorwärts gestandene Corps unserer
Truppen kam würklich den ßten J^ni retour und suchte
Posto in den Schanzen auf dem Kratzenberge zu fassen.
Kaum dass die Kanonen angefahren und das Lager ab-
gesteckt [war], so kam Ordre aufzubrechen und hinter
Kassel bei Ober-Vilmar das Lager aufzuschlagen, wor-
über unsere Truppen, welche 14 Stunden schon mar-
schirt waren, dergestalt desperat wurden, dass einige
in folgenden grausamen Fluch ausbrachen: wenn sie
weiter marschiren und die Stadt verlassen sollten, so
wollte er, sprach er, dass Himmel und Hölle
diesen Tag noch zusammen fielen!
195
Sie marschirten ab. Des Abends am 9ten Juni
wurde jedennoch auf dem Kratzenberge ein Lager von
etlichen hannoverschen Regimentern zur Bedeckung
der Stadt aufgeschlagen. Den IQten näherten sich die
Franzosen und scharmutzirten oberhalb Nieder-Z wehren,
welches Dorf vom Trumbachi sehen Corps noch
besetzt gehalten wurde.
Gegen Abend wurde das Dorf von [den] Franzosen
gestürmt, das Trumpachische Detachement delogiret, der
Rest bis vor das Weinberger Thor verfolgt. Das ent-
setzliche Infanterie-Feuer, welches wir mit Augen an-
sahen und durch den Wind uns gar zu nahe vorkam,
setzte uns dergestalt in Schröcken, dass wir gleichen
Sturm augenblicklich vermuteten. Die ganze Gemeinde
mit ihren Kindern versammlete sich die Nacht ah einen
gewissen Ort, und wir wurden zu unserer Betrübnis
gewahr, dass unser vermeinter Schutz auf dem Kratzen-
berge uns verlassen wollte, wie dann die letzte Pa-
trouille ganz verzagt sich verlauten Hessen: »Gott
helfe euch armen Leuten! Unser sind zuwenig
und der Franzosen zu viel.«
Ich bestrafte den Reuter und erwartete die Attaque.
In dieser Erwartung war ich bedacht, abermal meine
Pferde zu retten. In dieser [?] verliess mich der Knecht
aus Angst, dass er mit auf Kriegsfuhren würde ge-
braucht werden. Gott fügte es, dass ein Fremdling im
Augenblick sich meiner annahm. Dieser musste in
der Nacht samt meinem Bruder flüchten und -die Pferde
in die Grafschaft Lippe 12 Meilen zu einem guten
Freunde in Sicherheit bringen. Um Reisegeld augen-
blicklich zu haben, so musste einer sogleich in der
Nacht vor 10 Rthlr. verkauft werden.
Unter dieser Besorgung brach der Tag vom ll^eg
Juni an, und mit demselben brachen auch die Frei-
Partien der Franzosen ins Dorf: um 3 Uhr Schweizer
13*
196
um 5 Uhr Volontaires de Flaiidre, um 6 Uhr ein Misch-
masch von Truppen.
Ich war der erste, der den seh röckhaften Besuch
bekam: »Allons, ministre, fournir 30 Laibe Brot,
Brandewein!« — Ein Offizier rettete mich, da eben der
Kerle mit seinem Bayonette mich forciren wollte. Ich
gab Brot und Brandewein — und verschloss die Thüren
vor nachkommendem Sturm. Darauf kamen andere zu
Pferde und wollten die Thüren erbrechen. Indem
meine Magd durch Vorwitz sich blicken Hesse, so musste
ich die Thür öffnen.
»Du Sacra: Canille, war mein erstes Compliment,
warum machst du das Haus zu? Sind wir Spitzbuben?
Schaff Bier, Brot, Fleisch und Brandewein, du Hund!« —
Ich excusirte mich, dass ich geschlafen hätte, und dass
die Mägde aus Dummheit und unzeitiger Furcht die
Thüren verschlossen hätten. Ich wischte dahero die
Augen aus und sagte: »Meine Herren, ich kenne Sie
ja nicht. Sind Sie dann voriges Jahr noch nicht hier
gewesen? Sie müssen unsere Umstände nicht wissen?« —
Aber die List wollte nicht helfen. »Schaff geschwind,
du Ketzer!« — Darauf kam der Säbel geflogen. Ich
gab Brot, Brandewein, Geld und ein Huhn aus dem
Topf, welches mir eben selbst geschenkt war. Ich war
desto williger, weil es ein ersticktes Huhn war und in
Meinung [es] vor dem Feinde zu verbergen, im Sack
crepirt war. Indoss zogen sie mit dem mageren Huhn
fröhlich ab.
Um 10 Uhr rückte die alte Broglio'sche Arm6e
bei mir ins alte, feste Lager.
Sie stiess mit dem linken Flügel an den Teich
vor Kirchditmoll, mit dem rechten aber über die Höhen
des Kratzenberges bis an die Neustadt. Ich aber be-
kam einige bekannte Grafen und Commendanten von
dem Regiment Piemont ins Quartier.
197
Bei dessen Eintritt, wurden wir insoweit wieder
froh, dass wir von den Volontaires gerettet waren.
Die Köche [und] Domestiquen suchte ich zu gewinnen,
wollte ihnen junge Tauben, Milch und Brandewein
präsentiren. Aber sie waren so höflich und wollten
nicht das Geringste annehmen, sondern bedaureten mit
vieler Wehmut, dass sie uns arme Menschen abermal
incommodiren müssten.
Gegen Nachmittags kamen verschiedene hohe und
andere Offiziere und persuadirten mich, durch ihre
Wagen etwas von besten Möblen nach Kassel zu
fahren.
Gegen Abend wurde uns ein herrliches Tractament
in meine Wohnstube vor mich und meine Frau darge-
stellt. Aber wir konnten vor erlittenem Schröcken
nichts zu uns nehmen; besonders meine Frau, welche
sich wegen des angesehenen Sturms in Niederzwehren
so erschrocken hatte, geriet in ein hitziges Fieber.
Darauf musste ich vor meine Küche selbst Siorgen.
Nachdem das Lager 8 Tage bei uns gestanden
hatte, und [wir] nur eine geringe Fouragirung an grünen
Korn zum Schlafen in den Zeltern erlitten hatten, so
marschirte die Armee auf die Diemel und nach Corbach
mit 2 Colonnen ab. Bei dessen Abzug kam ein Gross-
Major*) express aus dem Lager und schenkte mir das
Holz von seiner ganzen Brigade mit Befehl, es augen-
blicklich in mein Haus tragen zu lassen. Ich bedanke
mich auf französisch: »Je suis oblige.« Er verstünde
mich contraire in Meinung, dass ich das Holz nicht
*) Littre^ Dict. de la langue fran^^aiso, s. v. major sagt:
Officier supcriour qui dirigo radniinistration et la comptabilite d'un
rcgiment . . . On dit quelquefois gros major. In Hessen
ist der „ Grossmajor'' zur sprüchwörtlichen Bezeichnung eines auf-
gcblaseiieu, dickthucnden Menschen geworden, — ein Beweis,
welche Rolle einst der französische „gros mjgor'' hier in den Kriegs-
xeiten gespielt hat.
198
haben wollte, wurde desfalls mit einem französischen.
Fluch sehr ungnädig. Ich kannte den Herrn gar nicht.
Ich wusste, dass ich dieses Holz nicht würde behalten,
und dass meine Kosten umsonst wären, weil bei
jeder Einquartirung alles bei mir gesucht würde.
Jedennoch um die Gunst des Herrn zu erhalten, Hess
ich etwas mit Kosten herbei tragen; es gieng auch
nachher wieder verloren.
Denn ob zwar die Hauptarmee uns verlassen hatte,
so wurden wir stets mit kleinen Corps vom Treng
(Train) und von der Bäckerei incömmodirt, sodass vom 11.
Juni bis in den August mein Haus nicht ledig wurde.
Sobald wir einige Luft bekamen, und die beider-
seitige Armeen in der Gegend [von] Preuss. Minden
campirten, so sähe ich mich genötiget, meine Pferde
aus dortiger Gefahr wieder abholen zu lassen und
dachte wieder in Hessen sicher zu sein. Mein ausge-
santer Botte geriet mit samt Pferden unter die Bataille
bei Minden, alwo die Franzosen den Iteja August so
consterniret geschlagen wurden. Und da mein Botte al-
dorten glücklich entronnen und bei mir sicher vermeinte
zu sein, so fand er die Husaren-Offiziere von der Ba-
taille schon bei mir. In dem Augenblicke, dass die
Offiziers nach diesen meinen Pferden fragten, woher? so
musste sich mein Bruder aufsetzen und mit den Pferden
[von?] Gudensberg zu Rida flüchten, alwo er abermal
Franzosen in die Hände fiel, welchen er [eine?] Pistole
gab und seine Sicherheit erhielt.
Mittlerweile kamen den 5t?^, Sonntags morgens, die
flüchtigen Turpinischen Husaren. Indem ich in die Kirche
treten wollte, so rief ein Offizier: »Allons, Pastor, nicht
in die Kirche; hieher und Quartier gemacht vor die
Truppen! Lass er singen wer da will.« — Der Gottes-
dienst musste eingestellet werden, um dem Unglück der
flüchtigen französischen Armee sich aufzuopfern.
199
Ich machte also statt einer Predigt Billete, fand
gute Offizier. Mein Commendant hiess v. Bosse, ein
guter Teutscher, welcher mir die erlittene Fatalität er-
zählte, wie er unter dem Duc de Prysac (Brissac) in
der Gegend [von] Flotho bei Pr. Minden vom Prinzen
von Braunschweig total geschlagen sei und der Marechal
Contades von Herzog Ferdinand dergestalt meister-
mässig ruiniret, dass er glaube, sie würden in 8 Tagen
zu Frankfurt [sein].
Nun wurde der Anfang von der Fouragirung gemacht.
Die Bauern mussten selbst abmähen und die grünen
Früchte herbei führen. Hier fielen sämtliche Gemeinden
erstlich auf meiije Früchte, weilen es die schönsten
waren. Meinem Commendanten wurde nichts geliefert.
Ich wurde doppelt vorzüglich heimgesucht: im Hause
verlor ich mein Heu ganz allein, und im Felde meine
Früchte. Mein Commendante wurde es gewahr. Noch
in der Nacht wollte er seine Domestiquen ermorden und
den Greben das Dorf jämmerlich tractiren lassen, indem
der Grebe mir sagen Hesse, wann ich grüne Fourage
haben wollte, so sollte ich sie selbst herbeitragen.
Das Glück vor den Greben war seine Flucht und
der Abmarsch des Offiziers, an dessen Stelle mit dem
Regiment Nassauische Husaren besetzet wurde. Ihr
Aufenthalt war eine Nacht, und Obrister von Schwartz
erwies mir alle Höflichkeit und zog den 9^ August
ab. Darauf erschien des Nachmittags die ganze fran-
zösische Armee ä 80000 Mann, welche hinter mein
Dorf in 2 Linien zu campiren anfieng, der rechte Flügel
an der Fulda, der linke an Weissenstein dergestalt,
dass mein Dorf nebst Wahlershausen vor der Fronte zu
lagen, und zwar so gar ohne Einquartirung, welches
unsere Not verdoppelte.
Der 9*2. August schien eine traurige Nacht vor
unser Dorf zu werden. Des Tages kamen erstlich 2
200
Offizier, gaben sieh vor ausgesante Beschützer an,
wollten dagegen Fourage und Wein haben. Ich hatte
noch ein Schoppen Legaten-Wein vor arme Kranke des
Kirchspiels. Der Offizier begehrte auch dies wenige und
bat sich zum Mittagsmahl. Ich erzählte ihm, dass eine
Salve *) erwartete und wie ich besonder Gnade bei ver-
schiedenen Prinzen und Commendanten gehabt hätte. Er
hielt sich nicht mehr sicher zu sein, Hess sein Essen stehen,
versprach, bald retour zu kommen. Aber er blieb aus.
Mittlerweile brachen mehr als 500 Soldaten aus
dem Lager auf unser Dorf los, um zum Campement
Stroh und Früchte zu holen. Sie drangen in die
Häuser und fiengen zu plündern an. Die erste Party,
welche mich besuchete, fertigte ich mit einem alten
Salvegardebrief ab, die 2te Party mit Geld. — Es
wurde Nacht. Endlich machte ich Anstalten, als ob
grosse Offiziers bei mir logiret wären. Meine und euer
alte französch Carosse Hess ich auf den Hof führen.
Dabei resolvirte [ich] mich, einen Offlfzier zu agiren.
Ich legte einen blauen Rock an, eine weisse Schlaf-
mütze auf den Kopf, verband mir den Kopf mit
einer roten Binde und Hess zugleich verschiedene Lichter
vor die Fenster zum Anzünden parat stellen.
Alsobald drangen 2 Franzosen auf den Hof: »Voilä
une carosse!* Darauf legte ich [mich] mit aller meiner ängst-
lichen Courage ins Fenster mit der Frage: »Vous plets
(vous plait), Monsieur?« — »Une botte [de] baille (paille)
Ms., pour nous.« — Darauf fing ich mein gebrechliches
Französches an zuproduciren: »Sacritie pour vous ! Ce non
botte baille (paille). Ici logis pour moi. « — Sie versetzten]:
»Pardonn[ez] — moi, Monsieur«, — und marschirten ab.
Darauf kam die 3t© Partie; ich brachte meine
selbige Form an. Aber diese war nicht zufrieden und
wollten mit mir mehr parliren. Aber leider ich kont kein
♦) Sauvegarde.
201
Wort französisch mehr. Meine Frau, die ewig so wenig
gelernet hatte, wollte mich noch einige Brocken lernen.
Aber in voller Angst sagte ich: »Nun Frau, was Rats?
Wollen wir in den Keller oder auf den Boden retiriren?«
— Indessen resolvirte ich noch einmal durch das Fenster
zu rufen: »Attende en peu (Attendez ün peul)« Darauf
stunden die Soldaten in der Einbildung, ich würde mit
dem Säbel kommen und ergriffen die Flucht, doch ich
vielmehr schon in der Flucht begriffen war.
Kaum war diese Angst überstanden, so kam ein
teutscher Husar zu Fuss, pochete mit Ungestüm, das
Thor aufzumachen. Ich opponirte, wie er sich besinnen
möchte, wo er wäre, indem ein Gross-Offizier hier
logirte, welcher nach Kassel wäre und stündlich retour-
niren würde. Er excusirte sich und fragte nach seinem
Regiment. Ich wies ihm alle Plätze von logirten
Husaren: Zigenhaen, Fritzlar und Calden, und nannte
ihm alle Namen der Commendanten. Darauf marschirte
er ab. Ich stellte meine Lichter im ganzen Hause.
Meine Frau wollte mich endlich auf der Commendanten-
stube mit saurer Milch tractiren, aber meine Brust war
so voll Angst, dass mir Essen und Trinken vergieng,
und ich diese Anmerkung [machte] : »Ach, wäre allen
französischen Offizieren so angst wie mir heute ist, so
liefen sie ohne gejagt noch diesen Abend über den Rhein.«
Die ganze Nacht brachten wir wachend in Angst zu.
Das Geschrei im Dorfe war ohnerhört, bald in diesem bald
in jenem Hause. Sobald der Tag anbrach, berichtete ich
diesen Vorfall an einen gewissen Grafen General-Lieute-
nant und bat den Duc de Br oglio um schleunige Rettung
von Wacht und Salvegarden. Die Salvegarde erschien
in dem Augenblick, da man mich aus dem Lager wegen
meiner angemasseten Frechheit abstrafen wollte. Ich
wurde vor dem Unglück gerettet und bekam den guten
Obrist Paravicini, Commendant von einem Schweizer-
ä02
regiment. Meine Fourage musste vor mehr als 40
Pferde herhalten.
Das Regiment zog den IQten August ab. Darauf
suchte ich den Rest meines Heues zu verbergen, aber
leider ! ich geriet unter die strengste Ordre unsers Ober-
rentmeisters Halberstadt, wie ich sogleich 9 Centner
Htu ins Lager vor [dem] MtiUerthor schaffen sollte.
Ich excusirte mich, wie ich der einzige wäre,
welcher vor anderen Einwohnern heute dato und in 4
Tagen 40 Viertel Hafers, 20 Viertel Ger[ste] nebst 8 Wagen
voll Heu verloren hätte, bat um Verschonung. Aber die
Execution sollte uhnfehlbar folgen. Ich musste mit 30
Menschen das Heu auf den Kopf nach dem Müllerthor
hintragen lassen.
Quod bene notandum : Ich war diesmal der einzige
Mann, welcher in diesem 1759^g Jahre liefern musste.
Alli^ meine Bauren im Kirchspiel waren frei. Zwar ihre
Früchte im Felde wurden hiernächst fouragiret, aber
das Heu hatten sie mehrenteils gerettet und löseteri
hiernächst viel Geld. Es ist etwas Hartes, wenn ein
Prediger allein liefern muss und seine Gemeinden frei sind.
Es scheinet dieser Vorfall unglaublich; aber ohne ein
Argument zu verbergen, so stehe ich vor diese Wahr-
heit in den Riss, und fehlet nicht viel, man wollte mir
hiernächst die Lieferung negiren, wann ich nicht die
Quittung in Händen gehabt hätte. Verzeihen Sie es,
libster Freund, dass ich mich über diesen Zufall so
weit aufhalte: das Liefern gieng mir zu Herzen. Es
war wie Krieg.
Doch um unsere französche Armee nicht zu
vergessen, welche vom Qten bis zum 18ten August an
meinem Dorfe stund, brach [sie] den ISten vor Tagesan-
bruch das Lager ab. Ein Sergeant vom Regiment le
Roy forderte meine Salvegarde ab und kündigte mir die
Freude an, dass die Armee ganz Hessen verlassen
i^
203
würde. Gegen 6 Uhr sähe man nichts als Dampf in
den Lagern. Die ganze Armee marschirte in 3 Co-
lonnen über Ober- und Nieder-Zwehren und Nords-
hausen ab.
In diesem fröhlichen Anblick versammleten wir
uns mit allen Nachbaren auf ein[em] Hügel im
Dorfe; der eine weinete, der andre lachete; wir alle
erwarteten unsere Truppen. Im Augenblick erhub sich
ein Geschrei : statt dass wir die Unseren von Wilhelms-
thal erwarteten, so erblickten wir das französische
Fischer - Corps von diesem Wege, welche von Ober-
Vilmar die Arrieregarde machten und das Wegge-
nommene nebst den Bauren vor sich hertrieben,
»Ach, Herr Jesu, nun kommen noch die Fischer.
Wir Unglücks-Menschen!« — Ich versteckte augen-^
blicklich den Rest meiner Habseligkeiten und flüchteten
mit 3 Personen nach dem Kirchenturm. Ich, meine
Frau und Ihr Schwierin [ihre Schwiegermutter?], ein
jeder wollte in der Geschwinde noch etwas retten und
mit in den Turn nehmen. Ich ergriff etwas Zinn und
[eine] Coffekanne. Meine Frau einen Topf mit Butter;
und meine Schwiegerin rief nur: »Ach, mein Reifrock!
Meinen Reifrock habe ich vergessen ! « — Sie ergriff
ihn, und damit flüchteten wir in die Kirche auf den
Turm und erwarteten der Fischer. Aber Gottlob! sie
marschirten neben dem Dorfe weg in der allerbesten
Ordnung und machten den Beschluss von der franzö-
sischen Armee.
Wir rückten also mit Freuden aus der Kirche in
unser Haus und trafen vor der Thüre ein französisches
Weib an, welches mich auf eine feine Art noch zu
hintergehen trachtete. Sie brachte ein Compliment vom
Prinzen von Holstein, welcher die französische Arriere-
garde commandirte, und begehrte vor denselben Wein,
Butter und Brot. Der Prinz wusste meine Umstände
204
besser als das Weib, dahero machte ich derselben ein
verkehrtes Gegencompliment dergestalt, dass sie so
schleunig als möglich davon lief.
Mittlerweile kamen der Herr Graf von Gör tz mit
einer kleinen Patrouille hesscher Husaren, welcher die
Gegend recognoscirte und sogleich in die französische
Oberneustadt eindrang und den Commendant in der
Festung zur Übergabe aufforderte. Der Commendant
wollte nicht und stellte sich an, als wollte er das
Schloss verteidigen, Hess die Schlossbrücke abbrechen
und zog die vornehmsten Standespersonen von der Re-
gierung mit sich in das Schloss.
Indessen fassten die hessischen Husaren in unserm
Dorfe Posto, und von der anderen Seite rückten des
Nachts vom 18tea bis zum 19*?? die hannoverschen und
hessischen Jäger an die Stadt.
Der Sonntag Morgen erschien. Ich hatte eine
Leiche und wollte mit frohen Herzen eine Dankpredigt
halten. Indem dass ich mit Gesang in Begleitung einer
Leiche [?] zur Kirche gehen wollte, so wurden wir ge-
wahr, dass oberhalb Nieder-Zwehren auf der Marburger
Strasse ein Scharmützel vorfiel. Die ünserigen ü 400
Mann Caval[lerie] retirirten, und eben so viel vom Feinde
avancirten in geschlossener Ordnung. Der Staub von
beiden Parteien schiene in unsern ängstlichen Augen
Dampf zu sein; vor dem Gesang und vor dem Getön
der Glocken konnten wir das Schiessen nicht wahr-
nehmen. Zwischen Furcht und Hoffnung giengen wir
in die Kirche. Ich wurde in Zweifel gesetzt, ob ich
meine Dankpredigt halten sollte. Wie? dachte ich,
wann die Feinde wieder zur Defension der Stadt Kassel
zurück marschirten! Ich trat auf die Kanzel und
wurde gewahr, dass unsere Hessen - Husaren in der
Kirche waren, das machte mir Mut. Aber auf einmal
liefen sie mit ungestüm aus der Kirche. In dem
205
Augenblick hörte ich zu unserm allgemeinen Schröcken
einen französischen Marsch im Dorfe. Von meiner Ge-
meinde liefen in Thränen verschiedene eben wohl aus der
Kirche. Ich suchte sie zwar zu besänftigen, aber es
wollte nicht helfen. Indem so kam ein Mann retour,
trat vor meine Kanzel mit den Worten: »Herr Pfarrer,
es sind unse Leide (Leute); sie hon en Tambour ge-
fangen, und unse Husaren schlon [schlagen] selbst
französischen Marsch.« — Ich tröstete mein Volk und
endigte meine Dankpredigt mit Freudenthränen.
Binnen einer Stunde so vernahmen wir die [Nach-
richt], dass Kassel erobert und nur einige Kanonen-
schüsse an dem einen Thore den Commendanten auf
solche Gedanken gebracht hatten, dass er sich mit
2000 Mann zu Kriegsgefangenen ergeben musste.
Mithin wurden wir den Ifflen August aus unserer
Angst vor diesmal gerettet, unsere Armee rückte vorwärt»
bis nach der Gegend [von] Marburg und blieben einige
Monat ohne Eroberung stehen, bis endlich der tapfere
Prinz von Braunschweig im November einen glücklichen
Coup in der Gegend [von] Fulda an den W^ürtembergern
ausführete. Er brachte 1500 Würtemberger gefangen
nach Kassel.
Es fehlete nicht viel, so hätte man den Herzog
von Würtemberg, welcher zu Kassel die Winterquartiere
im Dezember zu beziehen sich berühmet hatte, in der
Tat als Gefangenen nach Kassel gebracht. Die grosse
beiderseitige Hauptarmeen blieben zu Crofdorf oberhalb
Marburg gegen einander in der bittersten Kälte stehen ;
und der Graf von Bückeburg eroberte indes Münster,
wovon wir würklich jeden Schuss von den dasigen
Batterien alhier genau zählen [könnten]. Eine Strecke
von 18 teutsche Meilen.
Wir schienen nun in unserer Gegend Ruhe zu
haben. Ich trug Sorge vor meine Ökonomie, wie ich
206
durch die Gnade unsers durchlauchtigsten Landgrafen
Wilhelms könnte erhalten werden. Ich reisete nach
Rinteln, hatte viele Gnade ; erhielt ein Rescript an Korn
und Hafer vorschussweise, wodurch von neuem meine
Ökonomie zu betreihen anfieng.
Mitlerweile, da ich zu Rinteln war, musste meine
Frau die gewöhnliche Strenge des hiesigen Greben als
meine jetzige kriegerische Obrigkeit erfahren.
Vierzig hannoversche Knechte mit Pferden wurden
in unser Dorf quartiret. Der Grebe suchte sogleich
den sogenannten Schaffer, welcher die Knechte comman-
dirte, als Commendant in mein Haus zu legen.
Meine Frau bittet den Greben in Betracht meiner
Abwesenheit um Verschonung um so mehr, da Häuser
genug übrig waren, alwo der Schaffner konnte logiret
werden. Aber umsonst. Sie musste sogar einen Befehl
vom Landgericht auswürken. Auch dieser war umsonst.
»Ja, gibt er ihr zur Antwort, das verstehen die
Herren zu Kassel nicht. Sie sollen die Einquar-
tirung behalten.« — Meine Frau bedrohet ihn, dass
ich mich zu Rinteln beim Landgrafen beschweren würde,
-r- »Ja, spricht er, der Herr Landgraf hat anjetzo nichts
zu befehlen. Der Herzog Ferdinand befiehlt. Sie
müssen den Schaffner behalten.«
Doch da der Schaffner die viele verursachte Un-
ruhe empfindet, so wird derselbe so bescheiden und
sucht sich im Dorfe ein ander Quartier. Dies war die
letzte Bedrückung, welche ich vom Greben in diesem
Jahr ausstehen musste. Wir schlössen das Jahr mit
der Hoffnung einer gänzlichen Erlösung. Ein jeder be-
gehrte und bat um Fourage und Gemüse in den be-
nachbarten Gemeinden. Greben au, alwo ich ehedem
als Pfarr gestanden, that mir gross Beistand, aber ich
musste mir gefallen lassen, in Person vor jede Hausthüre
zu treten und um Stroh bitten: dann vor Geld war
207
nichts zu haben. Ich kann also zur Ueberzeugung unsers
Elendes nichts besser thun, als wann ich sage, dass
ich dies Jahr von 130 Acker Land iy2 Sack in Summa
geärntet habe. Wie beifügende Specification meines Ver-
lustes zeiget, wie teuer mich die Bataille zu Minden
durch das hiesige Campement zu stehen gekommen*).
Überlegen Sie meinen Verlust und vergleichen mich
mit den andern meiner Mitbrüder, welche nur mit dem
Durchmarsch incommodiret worden. Leben Sie, libster
Freund, bitten Sie vor uns, dass wir unser Elend ge-
duldig tragen mögen. Ich bin dero
m. w. Freundes
gaiix ergebenster Diener,
Erzählung von 1760 aller Begebenheiten, welche
sich im Kriege in dieser Gegend zugetragen haben
besonders in Ansehung meiner Person.
Sie wissen, libster Freund, dass dies Jahr die
Campagne unserseits sehr früh eröffnet wurde. Schon
um den 10^ Maji rückten unsere Truppen aus
den Winterquartieren. Den löten Maji bekam ich die
erste Einquartirung vom Bückeburgischen Regiment. Die
Bedienten von dem Commendanten waren bei dem Ein-
tritt mit der Bequemlichkeit meiner Stallung, wo sonsten
die feindlichen Prinzen und Grafen ihre Pferde willig ein-
gestellet hatten, nicht zufrieden. Den Augen [blick sollte]
ich meine Kühe auf dero Befehl unter freiem Himmel,
quod bene notandum, des Nachts, jagen ; wo nicht, —
so droheten sie mir die Pferde in die Stube zu stellen.
Da wir mittlerweile desfalls disputirten, so über-
brachte einer meiner besten Freunde von [der] Univer-
sität Rinteln, der Major Funk, die Fahnen vom Re-
giment in das Logis vor meinen Obristen. Dieser,
*) Die Specification ist nicht vorhanden.
208
welcher mich unvermuten kennen lernte, machte der
Sache ein ander Ansehen und erwarb mir zugleich die
Gunst des Herrn Obristen. Ich suchte dahero so gut
als möglich mit einer Suppe aufzuwarten; doch so
freundschaftlich diese Einquartirung war, so hatte ich
von einigen Musquetiers die Fatalität, dass sie meine
ä 3 Jahre angelegten Sparges (Spargeln) aus Unverstand
samt den Wurzeln aus der Erde rissen, war ein Schaden
an 10 ßthlr. Auslagen: das war der erste Schade, der
mir bei der Entree vorzüglich gemacht wurde.
Die Truppen marschirten nach achttägiger Einquar-
tirung den 22t£5 Maji vorwärts ins Lager bei Fritzlar.
Nachdem sie bis in den Julium daselbst gestanden
hatten, so rückten sie mit einem Corps bis Homburg
an der Ohm vor. Aber ein ohnversehener Vorfall
nötigte unsere Armee rechter Hand nach der Seite von
Waldeek siehe zu reteriren und sich in der Gegend [von]
Corbach dem Feinde zu widersetzen.
Da nun beide Armeen, um die dasige Anhöhen zu
gewinnen, in die Wette liefen, so kam es besonders mit
einem Corps unter dem Prinzen von Braunschweig den
16. Juli zu einer Bataille. Die Unserigen mussten sich
mit einem doppelt starken feindlichen Corps herum-
schlagen. Anfänglich schiene das Glück auf unser
Seite zu sein: allerdings das Getöne und Gebrause
vom Infanteriefeuer kündigte nach der Lage lauter
Avancement.
Aber gegen 4 — 5 Uhr höreten wir am näher kom-
menden Feuer, dass die Unserigen oder die Franzosen
uns näher kamen: beides waren keine gute Aspecten.
Ich behaubtete gegen alle meine Nachbarn den Verlust
unseres Corps. Indessen hörte man von allen Seiten
durch die ankommende Courier, dass die Unserigen
einen völligen Sieg sollten erfochten haben. Ich war
so ungläubig, dass ich drei Betten nacheinander ab-
209
schickte. Ein jeder brachte eine gute Nachricht. Selbst
in Kassel war die Freude so gross, dass die mehrsten
Bürger bei den Vivat den Gastwirten eine grosse Lö-
sung gaben. Unser Grebe und Vorsteher samt allen
klügsten Männern liefen zusammen und frohlokten
überlaut. Ich stimmte endlich das Freudenlied auch an
und resolvirte, mit einem meiner CoUegen des Morgens
früh nach dem Kampfplatz zu reiten, um nach Be-
schaffenheit der Umstände Pferde zu unser fort ....
[unleserlich] Ökonomie anzukaufen.
Da wir des Morgens in Freuden erwachten und
uns zum Abmarsch anschickten, kamen unsere hes-
sischen Patrouillen von Zierenberg zurück und bezeugten
durch ihre traurigen Physiognomien, dass keine gute
Aspecten zu hoffen wären. Sie erschraken uns mit
den Worten: »Die Bataille haben unsere Leute ver-
loren, indessen stehet unsere Armee noch auf ihrem
Kampfplatz.« — Ewiger Gott, was wurde ich er-
schrocken. Kein Bein wollte mich mehr tragen. Ich
kann Ihnen, libster Freund, meine Betrübnis nicht aus-
sprechen. Ich sähe nun ganz klar vor Augen, dass mit
dieser verlorenen Bataille am 16. Juli zugleich meine
Auslage und ganze Pfarrbesoldung und Brot zum dritten
Mal verloren war.
Meine Betrübnis wurde sogleich durch folgenden
Vorfall vermehret:
Ohngefähr 40 reconvalescirte Hannoveraner logirten
im Dorf und wollten nach Zierenberg zur Armee. Mein
Grebe und die Bauren merkten, dass diese erholten
Soldaten einen Wagen zur Nachfahrung ihrer Säcke
oder Ranzen begehren würden. Sie flüchteten dahero
mit ihren sämtlichen Pferden, mich aber bestellten sie zu
herrschaftlichen Dienstfuhren auf Weissenstein, welches
ich zu thuD schuldig war. Auf diese Weise geriet
mein Wagen auf die Strassen. Wie ein Habicht auf
N. F. XV. Bd. 14
210
den Raub fällt, so fielen die gesund gewordenen Han-
noveraner auf meinen Knecht und stiessen ihm unbarm-
herzig mit den Flintenkolben in die Rippen, um augen-
blicklich ihre Ranzen auf den Wagen zu laden. Mein
Knecht schrie überlaut: »Ach, ihr Herren, ich fahre schon
auf Ordre im herrschaftlichen Dienst und will auch
Fourage nach Kassel fahren!« — »Nein, du Hund, du
musst uns fahren!« war die Antwort, und darauf versetzte
man ihm einen Schlag und Stoss um den andern. Ich
eilete an meine Pforte, um den Kerle vor dem Tode zu
retten. Aber die Unteroffiziere und Gemeinen drangen
auf mich mit den entsetzlichen Lästerworten: »Die
Pfaffen hat uns der Teufel zugeschickt. Wir brauchen
der schwarzen Kerle keine. Und, Pape, wann du nicht
gehest, so solt du Schläge saat haben.«
Mein Knecht musste also fahren, und sähe [ich]
mich genötiget, die artigen Herren Soldaten noch zu
bitten, meine Pferde zu Zierenberg wieder los zu lassen :
abermals ein Beweis, wie ich vor andern durch Ver-
anstaltung des Grebens und durch die Flucht der
Bauren gedrückt wurde.
Hierzu kamen die täglich zunehmende Angst von
der nun bald retirirten alliirten Armee nach meinen
Kratzenberge, zumalen da wir täglich nach der Seite
[von| Zierenberg ungemein starke Kanonade iind Klein-
gewehrbrausen hörten, wobei die Unsrigen mitten in
ihrer Retirade grosse Vorteile mehrenteils erreichten.
Endlich erschienen den 27tep Juli die hanno-
verschen Stockhausenschen Jäger, welche sich von
Wildungen nebst dem Trumpacher Corps tapfer mit
dem Feinde herum geschlagen hatten. Sie waren un-
gemein böse und klagten über die schlechte Bevrirtung
in Kassel, also sie die ganze [Nacht] auf der Strasse
liegen müssen, und die Bürger keinen Offizier aufnehmen
wollen.
211
Sie machten die Billet zum Logis in grossem Zorn ;
ob zwar ebenwohl die Bedienten ihre Unart bei dem
Eintritt gegen mich zeigten, so war deren Herr unver-
mutet einer meiner besten Freunde, indem wir beide
an einem Ort erzogen waren. Meine Freude war un-
gemein, einen solchen Freund zu logiren: Aber noch
in der ersten Stunde mussten diese ermüdeten Truppen
aufbrechen und die Vorposten tu Dörrenberg, IVs
Stunden von hier, behaupten helfen.
Wir bekamen dagegen das Trumpachische Corps.
Der Hl^ Trumbach selbst war den 26ten JuU bei Wil-
dungen hart blessiret und gefangen. Die HHl Offizier
begegneten mir ungemein artig. — Sie besetzten den
Winterkasten und das Kielemanekische (Kielmanseggische)
Corps kam den 28ten von der Seite [von] Dörrenberg, defi-
liite durchs Dorf und besetzte den Kratzenberg. Noch
den 28igg. abends kam ebenwohl die ganze alliirte Armee
in 2 Colonnen über den Winterkasten und über unsern
Lindenberg accurat über meine 5 Acker Erbsen, und
richteten ihren Zug zwischen Harleshausen und Roden-
ditmoll nach den Anhöhen vor den Dannenwald, allwo
sie den 29. Juli campirten, dergestalt, dass die Haubt-
armee von Harleshausen nach Obervilmar bis nach
Hohenkirchen sich erstreckte; auch noch ein besonderes
Corps über Heckershausen campirte, welches die Flanke
zu bedecken schiene.
Indessen da die englische Cavallerie die Arriere-
garde ausmachte, so wurden meine 5 Acker Erbsen
richtig ausgerauft, im Feld herum getragen, und hatten
in der That wenig davon verzehret, weil die Erbsen
noch in der Blüte waren. 24 Thlr. bare Auslagen
waren wieder verloren; doch dieser Verlust war nicht
so empfindlich, als das Betragen einiger Regimenter
Hannoveraner von Kilmaekischen (Kielmanseggischen)
Corps, welche vom Kratzenberg unter ihrem Marsch
212
Dorf unsere ganzen Garten in der Blüte der Gemüse
mit Schelten und Schmähen spoliirten, dagegen unser
hessisches Regiment von Pr. Calra (soll wohl heissen :
Prinz Carl im) Dorfe kein Blatt anrühren, mussten dahero
mit Verdruss und Hunger zusehen, wie die Hannoveraner
allein die kleinen Kartoffeln in ihren Bot hatten (wörtlich
so !). Von 50 Stauden Kartoffeln, wovon im September
50 Mann einen ganzen Tag Nahrung genug gehabt hätten,
konnte hier ein einziger Hannoveraner in einer Stunde
verzehren. Die Trümpacher Volontaires, welche das Recht
vor anderen haben, dem Eigentumsherrn die Gemüse zu
nehmen, weil es Krieg ist, machten endlich mit unserm
gänzlichen Gemüse reine Bahn. Damit ich von 30 Säcken,
welche ich zu ärnten hoffte und mit 20 Rthlr. Unkosten
gepflanzt hatte, nur einen Geschmack bekommen möchte,
so bat ich in meiner Küche einen Domestiquen vom
Trimbacher Corps, dass er mich mit etlichen Kartoffeln
aus seinem Topf tractiren möchte. Das waren die ein-
zigen, welche ich von den meinigen geschmecket hatte.
Ein Verdruss reichete dem andern die Hand. Den
29ten kamen vom Kratzenberge etliche hannoversche
Musquetiere, um Holz zu holen. Sie fielen stracks auf
meinen Hof und fassten mein ganz Gehölze an. loh
sprang herzu, bat mit vieler Höflichkeit um Verschonung,
in der Betrachtung, weilen ich ein Commando vom
Trimpachischen Corps in meinem Hause hätte, welchen
ich mit Holz fourniren müsse. Überdem konnten sie
wie andere Soldaten nach dem Walde zu Holz gehen. —
»Du verfluchter Pfaffe, war die erste Antwort; euer
Volck haben uns in Hannover die Häuser abgerissen,
Ihr Canaillen wollt uns ordentlich Holz verwehren?
Wann ich Unteroffizier wäre, der das Commando
zum Holz hätte, so wollte ich dem Pfaffen das
kurz Gewehr in die Rippen stossen ; oder wann
ich dich vor dem Dorfe hätte, ich wollte anders mit
213
dir spraken.< — Ich fragte, ob sie Ordre hätten, so
wollte ich mich nicht opponiren, und was von einem
Regiment sie wären. Darauf nannte ein gewisser das
Regiment, ein anderer reprehendirte jenen und gab ein
ander Regiment an. Endlich sprang einer mit einer Axt
auf mich zu und drohete mir den Tod. Meine Frau fasste
mich in Thränen am Arm, um mich ins Haus zu ziehen.
Indessen da ich in äusserster Betrübnis und Not war, so
kam mein einlogirter Offizier, zog vom Leder und er-
rettete mich aus der Gewalt dieser Tyrannen. Ein hanno-
viischer Offizier kam ebenwohl herzu, persuadirte mich,
das Holz gutwillig abfolgen zu lassen, weil es endlich
doch würde verloren gehen. Ich antwortete diesmal mit
Thränen, um nur mit mir anzufangen, was sie wollten.
Eilete stündlich alsobald nach Kassel, um Anstalten
zu machen, etwas Heu gegen Bezahlung an H. Uker-
mann oder an die Truppen zu liefern und um bei be-
wandten Umständen unserer Truppen Haus und Hoff
stehen zu lassen. Aber ich war nicht so glücklich. 400
Rationes lieferte ich an unsere Granadier, aber ich habe
noch nie einen Heller gesehen, noch weniger vor die
Rationes, welche ich auf Befehl unseres Landgerichts
ujiter Verhoffung der schleunigen Bezahlung an hanno-
versches Magazin nach Kassel liefeni musste.
Indessen machte ich Anstalten zur Flucht, wozu
mich mein Offizier vom Trümpacher Corps selbst per-
suadirte. Den SPten Juli des Nachts gegen 11 Uhr
entstünde Lärmen. Ein jeder meinte, die Feinde würden
uns überfallen. In äusserser Angst packte ich meinen
Wagen mit etwas Möbeln und Victualien, Hess auf
Kassel abfahren. Aber mein Freund, der es mir aufzu-
nehmen versprochen hatte, wurde ganz erzürnet, dass
er dafür aus seinem Schlaf aufgewecket worden, und
über dies reprehendirte meine Leute, dass sie auf einen
Sonntag flüchteten.
214
In der That wussten wir vor Schreck nicht, ob es
Sonntag sei, sondern wir waren nur bedacht, dass uns
die Feinde nicht in der Nacht in unserm Hause aus Un-
erkenntniss nebst den Trumpachern massacriren oder
turbiren möchten. Wir versteckten uns hin und wieder
in kleine Häuser im Dorfe, und niemand unterstunde
sich, ein laut Wort zu reden und [wir] gingen so
behutsam und leise, um nur zu hören, wo Feinde
wären.
Der Tag vom Sonntag brach hervor ; alle meine
Zuhörer dachten wegen der schweren Dienstbarkeit an
keinen Gottesdienst, denn es dorfte überdem keine
Glocke gerührt werden. Nun hatte ich in diesen Um-
ständen noch mehrer von Möblen retten wollen, aber
meinen Wagen und Pferde wollten unsere Truppen zu
ihren Gebrauch haben. Ich versteckte sie so lange zu
Kassel, bis ich eine Wacht von H. Obersten Nölters (?)
erhielte. Aber es war zu spät : der Überfall und mein
grössers Unglück nahm den Anfang.
Den 30. Juli merkte ich aus allen Figuren unsrer
Armee, dass die Feinde zuerst auf unser Dorf anprellen
würden. Ich legte mich nebst meiner Frau ganz an-
gekleidet s. V. ins Bett, und was wir zur Flucht ii^
der Hand oder Tasche nehmen konnten, legten wir
neben uns.
Den Feldprediger vom Trürapachschen [Corps],
welcher ebenwohl bei mir logirte, warnte ich vor
Sicherheit und entdeckte ihm, sobald ich die franzö-
sischen Kanonen vom Winterkasten hören würde, so
würde ich meine Flucht anfangen, denn ein Sturm auf
[unser] Dorf wäre ohnfehlbar. Er verlachte meiner,
weil der Winterkasten noch von den Unsrigen besetzt
war, und wir folglich die Unsrigen eher als die
Feinde zu erwarten hatten, Aber die Folge zeigte seinen
Irrtum.
215
Des Morgens am 31. Juli vor Sonnenaufgang
weckte mich die französische Kanonade vom Winter-
kasten. Ich sprang bei dem ersten Schuss aus dem s. v.
Bette, und sogleich nahm ich meine Frau an die Hand,
Hessen alle übrige Mobilien im Stich. Meine herzhafte
Magd, weil ihre Verwandten in meiner Nachbarschaft
Sassen, sollte Possession vom Haus behalten.
Wir nahmen vom Feldprediger Adieu und liefen
nach dem Kratzenberg auf Kassel zu. — Kaum dass
wir die Spitze erreichet hatten, so sahen wir fran-
zösische Husaren uns nachsetzen und neben uns ver-
schiedene Schüsse fallen, desfalls ich meine Frau zu
persuadiren suchte, die Geldtaschen in einen Busch zu
werfen; aber sie wollte nicht. Mittlerweile wurden wir
hinter dem Rücken gewahr, dass der Feldpfarr hinter uns
her flüchtete und die übrigen, Offiziere, Pferde und
Domestiquen in meinem Hause schon in feindliche Hände
geraten waren. Wir eilten und kamen unsern anrücken-
den Vorwachten auf dem Wege nach Kassel entgegen.
Hier begegnete mu* mein Wagen, um die übrigen Mobi-
lien noch in Sicherheit zu bringen, aber es war zu
spät. Ich übergab den Knecht samt Pferden dem reichen
ükermann mit dem Accord, mir solche nach dem Rumor
retour zu schicken. Ich aber suchte vor meine Person
meine Sicherheit in der Stadt.
Darauf entdeckte sich das Schrecklichste vor mein
Dorf. Ersthch mein Nachbar der Förster versäumete
sich in der Flucht. Die französischen Volontaires und
sächsischen Truppen rissen ihm seine Kleider von
dem Leibe, die übrige Kleidung in seinem Hause musste
er nebst Victualien selbst einpacken und dem Feinde
auf sein Pferd laden : ein Beweis, [dass] wer zu Hause
bUeb, so wohl geplündert wurde, als wer da geflüchtet
war. Der Schwiegersohn des H. Försters musste eben-
wohl eine kleine Plünderung erfahren und sich 30
216
Reichsthaler bares Geld aus der Tasche nebst dem
Seitgewehr nehmen lassen. Seine ühre, welche er
unter einen Dornstrauch gerettet hatte, ging eben-
wohl verloren: ohnstreitig musste es ein Nachbar ab-
gesehen haben.
Nun kam die Reihe an mein Haus ! Und grausam
genug: »Wo ist der Ketzer, der Pfaff?« — war die
erste Anrede vor meiner Thüre gewesen. Darauf werden
die Fenster eingeschlagen, abgestiegen, ins Haus ge-
drungen, die Magd mit dem Säbel übel tractiret, ihre
Kleider am Leibe zerhauen und der Säbel flach um
den Hals geschlagen, stets mit der Frage : >Wo ist der
Pastor? der Pfaff?!« —
Nachdem dieselben merkten, dass ich das Haus
verlassen hatte, wurde alles durchgesucht, die Thüren
und alle Kleiderschränke aufgeschlagen, die Repositur
des Kirchenkasten aufgeschlagen und etliche Schubladen
nebst etwas Geld und Schriften entwendet. Ein Kleider-
schrank mit allerlei Linnen und Hausrat aufgeschlagen
und geplündert. Die s. v, drei völlige Bette aufge-
schnitten, die Federn ausgeschüttet und die Überzüge
mitgenommen, übrigens als Theegeschirr, Küchengeräte,
versteckte Gewehr allerlei Art nebst einer Pandullen
Uhre von der Wand genommen, allerdings verschiedene
Bücher ins Dorf verkauft; in Summa: was nur im
Hause zu finden war, musste rein mitgenommen werden,
allerdings meine schwarze Kleidung nebst einem alten
schwarzen Mantel.
Nach dieser kleinen Plünderung, die einzig und
allein an mir und dem Förster vollzogen war, verlangten
die Herren Sachsen auch zu essen. Der Grebe im
Dorfe wusste bald Rat in meinem Stall. Der gute Mann
weiset ihnen meinen Stall, und meine allerbeste, statt-
liche, frische Kuh musste herhalten, welche in 6 Ge-
meinden ihres Gleichen nicht hatte. Endlich musste
217
ich. auch etliche Schweine hergeben; das übrige Vieh wird
durch die Thränen meiner Magd gerettet.
Nun ging es an die Fourage in meiner Scheure.
1400 Wagen voll Heu*), welche ich mit Angst und
schweren Sorgen gemacht war (so!), hatte ich zu mei-
nem Unglück in rationes binden lassen, um es an unsere
Hessen-Regimenter abzuliefern. Aber sobald die fran-
zösischen Truppen Fourage fordern, so ruft eine gewisse
Frau : »Im Pfarrhaus ist das hannoverische Magazin.« —
Darauf muss das ganze Dorf vor jeden Reuter in
meinem Hause Fourage holen. Dies war eine gute
Sache vor die Bauren, welche sich dadurch nicht allein
frei machten, sondern noch bereicherten. Dann keine
200 Pferde waren eine Nacht einquartiret, und mehr
als 2800 rationes Heu wurden verloren.
Mitten unter diesem Rumor, da mein Haus diesen
30ten Juli in allen Stücken geplündert wurde, so wurde
es auch zugleich von den Hannoveranern vom Kratzen-
berge von der Seite 3 Stunden lang canonirt, wobei einige
Kanonkugeln durch mein Haus flogen. Sie hatten die
Absicht, die Sachsen daraus zu delogiren, aber es wollte
nicht gehen. Ich stände neben der Batterie und sähe
selbst mein Haus canoniren.
Unter diesen betrübten Zufällen wird eine alte
Frau in meinem Dorfe commandiret, Wasser vor die
durstigen Truppen anzutragen. Da nun etliche Kugeln
neben sie hinfallen, so meint die gute Frau, die Sachsen
wollten sie spotten und mit Steinen werfen. Darauf
spricht sie : > Was soll das Werfen sein ? Ich will ja gerne
Wasser herbeitragen. ^ Endlich merkt sie, dass es Kugeln
waren. — Jedennoch mussten die gänzlichen Einwohnere
*) Die ursprünglich vor der 4 steheade Zahl 2 ist senkrecht
durchstrichen, so dass es zweifelhaft ist, ob 400 oder 1400 ge-
meint ist.
218
mitten in der Gefahr stets Wasser zum Trinken herbei-
tragen lind bis in die Nacht anhalten.
Der 31te^ Juli brach an. Unsere Armee über Hohen-
kirchen war nach der Seite [vonj Warburg retiriret. Da-
rauf wurde von Prinz X aver und von Duc de Broglio
Kassel von der Seite meines Dorfes attaquiret ; die ersten
französischen Kanonen wurden an den Broeskischen Gar-
ten gepflanzet und damit die Hannoveraner vor Kassel
nach der Seite vom Winterkasten vom Kratzenberge de-
logirt. Darauf wurde der Kratzenberg mit Force atta-
quirt und eingenommen, dergestalt dass die Franzosen
binnen IV2 Stunden Meister von Kassel waren. Nur
etliche Kanonkugeln hatten die Oberneustadt berührt,
und eine hatte in die Brtiderkirche eingeschlagen.
Hundert Mann AUiirte wurden gefangen, das übrige
Corps mit Kilmanseg machte die beste Retirade nach
dem Sangertshauser Berge auf dem Wege nach Han-
növersch-Münden, alwo sie mit etlichen Kanonen die
französische Avantgarde ziemlich zurück hielten.
Indem nun der Duc de Broglio nach der Eroberung
seinen frohen Einzug hielte, so überbrachten die
Couriere demselben die betrübte Nachricht, dass unser
grosse Ferdinand eine Bataille bei Warburg contra Ritter
de M y (Muy) erfochten und über 3000 Mann [gefangen?]
gemacht hatte.
Doch unsere hiesigen Trübsale nicht zu vergessen,
so habe ich die Ehre Ihnen zu sagen, dass alles was
nur bei der Attaque auf Kassel feindlicherseits blessirt
wurde, musste in mein Pfarrhaus und grosse Scheure
eingepackt werden, sodass meine Stube, Kammer und
mein eigen Bett mit dem Blut der Sterbenden besudelt
wurde. Auch hatte ich die Fatalität, dass neben den
blessirten und sterbenden Franzosen in meiner Scheure
zugleich mein Pferd in Gesellschaft mit crepirt war.
Ich hatte es vor 14 Tagen a 50 Rthlr. an Gold ange-
219
kauft uud in meiner Retirade, weil es kränklich war,
in der Scheure an dem Heu stehen lassen. Es wurde
hiernächst, weil es kein Nachbar wegschleifen wollte,
gegen meinem Hause in dem Dorfe abgedeckt, dergestalt
dass ich davon bis zum Krankwerden incommodirt wurde.
Sehen Sie, liebster Freund, wer hatte nun aber-
mal im Dorfe die grösste Angst [und] Verlust ausge-
standen als ich allein? Meine Mobilien, meine Fourage,
meine Kühe, meine • Schweine und hiernächst meine
Früchte ä 100 Viertel waren verloren, — ein Schaden
von mehr als 1400 Rthlr. in einer Nacht. Jedennoch
erforderten meine Umstände, meinen zerstörten Haus-
halt wieder zu beziehen. Den SO^en Juli war meine
Flucht nach Kassel, und den 4ten August Sonntags
besuchte ich mein Haus, fand es in dem grossen
Spectacul, alle Schränke zerschlagen, alle meine Schriften
und elaborirte Predigten, woran ich 15 Jahre gearbeitet,
lagen vor den Hausthüren und in den Losimentern mit
Federn, Stroh \xnd Zubehör von Bett-Medratzen mehret.
Blutige, zerschossene Kleider lagen hin und her in
meinen Stuben bis in die Scheure; dabei ein solcher
Geruch, als ob eine ganze Apotheke zerquetscht sei.
Meine Magd, welche freiwillig ausgehalten hatte, war
mir fast unkennbar, das Angesicht von anhaltenden
Thränen ganz verschwollen. Reden und Trösten konnte
ich gar nicht, Predigen war mir gar unmöglich. Ein
Candidat musste vor diesmal meine Stelle vertreten, der
Sonntags den ll^eji predigte. Ich hatte viele Bekümmer-
nisse, aber Deine Tröstungen erquickten meine Seele.
Ich suchte demnach mein Haus wieder zu säubern
und die rückständige Ernte zu veiranstalten. Meine
Pferde samt Wagen und Knecht, welche, wie oben ge-
sagt, ich in der Not an den reichen ükermann, um
solche zu retten, geliehen hatte, um demselben sein Geld
auf Hameln abzufahren, sollten mir vermöge Abrede
220
binnen 14 Tagen wieder auf mein Schreiben zurück
geschicket werden. Aber ich konnte weder Antwort
noch Pferde bei allen Bittschriften wieder erhalten. Ich
schickte Expressen ab und adressirte die Briefe richtig
in des Ukermans Hände; aber es war keine Antwort
zu erhalten. Meinen Rest von Ernte musste ich mit
unerschwinglichen Kosten erzwingen. Endlich da ich
gar keine Antwort erhalten konnte, schlug ich 2
conditiones vor: entweder meinen •Wagen, Pferde und
Knecht sogleich überschicken, oder dieselben ä 250
Rtlilr. behalten. Etliche Referenten versicherten mich
des Letzteren, und mein eigener Knecht kam nach 6
Monaten ledig zurück, eröffnete mir mündlich, dass er
vom Hausmeister gehöret, dass ich meine Pferde richtig
hätte bezahlt bekommen. Aber nicht desto .weniger ich
schrieb 18 Briefe und konnte^ weder Geld noch Pferde
erhalten. Ich musste dahero meine Felder im Herbst
unbesamt liegen lassen, verlor darüber die folgende
Kornernte, welche diesmal meine Nachbarn gerettet
hatten. Dagegen ging die Sommerernte völlig verloren.
Nach Verlauf [vonj 19 Monaten stellte ich eine Reise
nach Bremen um den Hj; . Ukerman zu sprechen. Seine
Antwort war, er wüsste von keiner versprochener
Bezahlung. Er hätte solche aus Mitleiden mitgenom-
men und sollte sie noch bezahlen? Sie hätten ihn
genugsam an Fourage gekostet. — Da ich nun den-
selben überführte, warum er mir solche nicht hätte
ausfolgen lassen, so hatte er an diese Kleinigkeit nicht
denken können; doch um seine grosse Gütigkeit gegen
mich zu offenbaren, so Hess er sich durch den hessi-
schen Agenten Grober man in Bremen bereden, mir
100 Rthlr. auszahlen zu lassen. Wohl zu merken, 7
Wochen im Februar und März hatte ich mit der Reise
nach diesen 100 Rthlrn. zugebracht *).
*) Randbemerkung: gehöret in 1762. — In dem Entwarf
221
Sehen Sie, libster Freund, das war das Ende von
meinen Pferden, welche ich so oft retten wollte. Der
Ukerman war es also nicht, wo ich mein Glück in der
Not finden sollte. Dieser ist der erste im Kriege, über
welchen ich Thränen zu Gott geschickt habe.
Nehmen Sie es mir nicht übel, libster Freund,
dass ich mich hierüber so lange aufgehalten habe. Es
war ein Hauptschlag, welchen ich bekam. Hören Sie
nun den Erfolg meiner Tragödie in meiner Haushalt.
Ich hatte vom 4ten August nach erlittener Plün-
derung 8 ganzer Tage Ruhe und war ohne Einquar-
tirung. Aber leider nicht lange. Denn wie oben ge-
meldet, so war am Tage der französischen Eroberung
Ms. de My (Muy) von unserm grossen Ferdinand so
heftig geschlagen, dass ich der nähern Umstände noch
mehr gedenken darf. 15 Canonen waren nebst andern
Ehrenzeichen erbeutet, 3000 Tote und blessirte und 3000
Gefangene hatte der Feind eingebüsset. Die Zeitung
wollte von 10000 Mann Verlust sagen. Wenigstens die
guten Fischer waren stark im Gedränge gewesen. Ich
habe sie, die gefangenen Fischer, nebst 2 Regimenter
Schweizer selbst durch Kassel passiren sehen.
Dieser glückliche Ferdinands-Schlag brachte mir
und uns Casselanern das Unglück wieder retour. Die
feindliche Armee, welche (bis) rechter Hand bis Hannov.
Münden vorgerücket und linker Hand nach Warburg, 8
Stunden von Kassel, sich ausgebreitet, zog sich zurück
und setzte sich 2 — 3 Stunden von Kassel auf die An-
höhen von Hohenkirchen und seitwärts bis nach Heckers-
hausen. Die französischen Vortruppen standen gegen
Hofgeismar und Zierenberg, die Unserigen aber jenseit
an der Diemel von Liebenau bis nach Eberschütz.
eines Briefes an seinen Patron, der noch vorhanden ist, dankt Ciintz
diesem für die auf der Reise bei ihm genossene Gastfreundschaft
und erzählt von den Beschwerlichkeiten der Winterreise und einer
dadurch bekommenen Krankheit.
222
Während dieses Campement hatten wir die zer-
störten Sammlungen [von] allerlei Cavallerie von der
verlorenen Bataille von Warburg, welche zuweilen in
der grössten, blinden Furcht stunden, in unserm Dorf
über den Winterkasten überfallen zu werden, wobei
wir dergestalt in nächtliche Unruhe gesetzet wurden,
dass wir zu verschiedenen Malen des Nachts nach dem
Turm an der Kirche flüchteten, wozu der Vorfall von
Zierenberg 2 Stunden von hier Gelegenheit gab. Da-
selbst hatten die französischen Vorposten, Volontaires de
Clermont, das Unglück, vom Erbprinzen von Braun-
schweig würklich überfallen zu werden, wobei den Fran-
zosen über 400 Mann in einer Massacre, ohne einen
Schuss zu tun, verloren gingen, wobei der Rentmeister
Doctor Heppe bald das Unglück gehabt hätte, von den
Engländern ermordet zu werden und mit einem Bayo-
nette einen Stich in die Nase bekommen haben soll, in
dessen Hause der französische Commendant Viominy
|Viomenil] einen Engländer auf der Treppe tot gehauen
und sich dadurch salviret hatte.
Jener Umstand hatte Würkung bis in unser Dorf,
sodass die schon einmal im Gedränge gewesene Ca-
vallerie täglich unsern Schröcken vermehrte. N. b.
das Altartuch wurde bei folgender Einquartirung ge-
stohlen.
Die um uns her liegenden Lager von Heckershausen
als dem Haubtquartier fouragirten unsere Sommerfelder
total. Doch hatte ich etwas Winterfrucht, ohngefähr
von 50 Viertel wohl 10 bereits vermittelst einen guten
bei mir logirten Commendanten gerettet. Ich stellte
ihm unser gänzliches Unglück vom Dorfe vor Augen,
küssete ihm die Hände und bat inständigst, dass die
grosse Fouragirung durch seine Vermittelung nach
andern Gegenden angewiesen würde. Er strich dahero in
der Liste das Dorf gänzlich aus, als ob kein Korn mehr
223
J
ZU finden wäre, gab mir seine Pferde und Leute, liess
meine wenigen Früchte ausdreschen und nach Kassel in
meine Sicherheit fahren.
Darauf erschienen 6000 Fourageurs; sie mar-
schirten glücklich durchs Dorf, wir sperrten unsre
Scheuren gänzlich auf, also blieben wir diesmal im Rest
verschont.
Aber unser grösseres Unglück blühete noch. Am
Ende August verliess die französische Armee ihr Cam-
pement in der Gegend [von] Hohenkirchen und rückten
mit 80000 Mann in hiesige Gegend. Die Vortruppen,
welche Lagerstroh holen wollten, fielen meine Person an.
Ein teutscher Mousquetier wollte mich mit seinem Bayo-
nette erzwingen, dass ich und meine Frau Stroh ins
Lager tragen sollten. Ich machte diese List und rief
in meinem Hause überlaut: *Herr Major, kommen Sie
geschwind ! < " — Darauf retirirte sich der Mousquetier.
Die französische Macht bezog das gewöhnliche
Lager auf dem Kratzenberg dergestalt, dass der rechte
Flügel an die Neustadt, der linke an den Winterkasten
stiess. Mein Dorf geriet in die erste Linie an Fronte.
— Die 2te Linie stunde hinter meinem Dorfe von
Wahlershausen bis an die Fulda. In Wahlershausen
war das Hauptquartier vom geschlagenen Ritter de My
(Muy), zu Kassel der Marschall Broglio. Die Flanken
bedecken die leichten Truppen im Winterkasten, und
unter dem Winterkasten oberhalb Wahlershausen etliche
Regimenter Schweizer von Jenner und Castella.
Bei dieser Stellung wurden unsere Dörfer aus
dem Grunde fouragiret und alles mögliche Stroh zum
Lager sogar in den Schlafkammern aus den Betten ge-
sucht. Indem nun ordentlich Haus vor Haus vorge-
nommen wurde, so traf mich zuerst die Reihe. Die
Scheure wurde völlig leer gemacht. Nun kam es an
mein Wohnhaus, alwo mein letzter Blutstropfen ver-
224
borgen und von den Nachbarn verraten worden wax.
Ein gewisser Offizier vom Regiment de (du) Roy kam
und forderte die Schlüssel zu meinen Kammern, um
Stroh zu holen, das ich noch versteckt hatte. Ich
war willig. Indem er mit seiner Schar ä 150 Mann
die Treppen ersteigen wollte, kam der General von
G losen vom Zweibrückischen Regiment an meine Thüre
geritten. Alle mögliche Fatalitäten stellte ich mir vor,
welche ich an diesem Herrn erleben würde, weil ich
seine Domestiquen zu Feinden hatte, auch selbst seine
Ungnade anno 1758 mir zu Halse gezogen. Anjetzo
war er mein Glück und herrlichster Schutz. Er rief dem
Offizier: »Wohin?« — »Mein Herr, das Stroh will ich
zum Lager abholen.« — »Nicht eine Handvoll sollen
Sie dem Pfarr nehmen!« — Er wollte contradiciren,
aber der General zeigte, dass er sein commandirter Ge-
neral wäre und bei mir logiren wollte.
Der Herr war diesmal ungemein gegen mich
gnädig. Ich offerirte dahero demselben noch etwas
Heu, welches ich unter dem Flachs verborgen hatte.
Nach etlichen Tagen wurde das Logis verändert.
Ich bekam den Brigadier von B i 1 o u und den Herrn
Grafen von Löwen ho Im von Regiment Suedois. Um
mein Stroh zu behüten, so suchte ich Schutz bei dem
damaligen Herrn Grafen von Ketler, kaiserlichen Ge-
neral-Lieutenant, welcher sich zu Kassel aufhielt und mir
ein Vorwort bei dem Marschall Broglio einlegte. Der
Marschall war mir ungemein gnädig, welcher ohnehin
von meinen häuslichen Umständen weit besser wie ein
Kasselaner Kenntnüss hatte.
Ich erhielte demnach diesmal den Rest von Stroh,
wozu mir die Generale vor ihrem letzten Abzug diese
Gnade bewiesen, dass sie durch ihre Pferde mir aus-
wärts Gemüse, welches ich hin und her geschenkt be-
kommen hatte, nebst Fourage herbeifahren Hessen.
225
N. B. Nicht allein an mir, sondern an meinem ganzen
Dorf erwies ein gewisser Offizier v. B. grosse Gnade.
Er gab 200 Rthlr. an mich zur Austeilung vor die Armen
meines Kirchspiels mit Vorbehalt, dass seine Person
und Name sollte verschwiegen bleiben. — überall herr-
schete grosse Barmherzigkeit bei den französischen Offi-
zieren gegen unsere arme Einwohner, wie aus folgendem
Vorfall erweislich ist. Als einstmalen ein Knecht einer
armen Wittib das vor ihre Ziege ersparte Heu fouragirt^,
setzte die Frau sich mit einem starken Holz zur Wehre
mit den Worten: »Habt ihr mir das Heu vor die Ziege
genommen, so könnt ihr mir auch das Leben nehmen.«
— worauf der Kerle mit einem Stock auf die arme Frau
einschlug, die Frau aber demselben einen harten Schlag an-
brachte, worauf ein Offizier zur Rettung eilete und die
Wittib verteidigte, das Heu derselben, ohngefähr 30
Pfund, mit 3 Rthlrn. vergütete, wie dann überall viele
Barmherzigkeit uns zuteil wurde. Sogar als ein gewisser
General die Nachricht bekam, als ob Wesel in unsern
Händen wäre, so machte er sogleich den Antrag, meine
ganzen Länder zu ackern, allermassen sie durch den
Schlag von Wesel ganz Hessen verlassen und über den
Rhein müssten. Aber die Nachricht war ungegründet,
meine Länder blieben liegen.
Der Erbprinz von Braunschweig wurde den 16^
November bei Rheinbergen geschlagen, das Rühmlichste
war die glückliche Retour über den Rhein. Wir
mussten zu unserer Betrübnüss die Anstalten zum
Victorien-Schiessen anhören. Ich geschweige der Dis-
curse, welche darüber geführt wurden, nur zu gedenken
der einfaltigen Domestiquen, welche diesen Sieg über
den Prinzen von Braunschweig vor eine Ausrottung der
Protestanten ansahen. Nun, sagten [sie] nach ihrem
wunderlichen Teuischen , nun hätten die Fische die
ganzen Protestanten bekommen. Die übrigen wollten
N. F. XV^ Bd. 15
226
sie nnn auf ein gross Feuer l^en und verbramen.
Und diese Freude machten sie mir mit vielen frc/bok
Mienen und Geschrei den ersten Morgen bekannt, da sie
meinten, die ganze' Armee wäre verloren und kein Mann
über den Rhein gekommen. So gross die Freude, so
gross war die Betrnbnös^ als sie ans den öffentUchen
Blättern den Verlast ihrer eigenen R^imenter gewahr
wurden, and die Unserigen nar die Hälfte Verlast er-
litten und eine gate Retirade gemacht hatten.
Indessen darch den Schlag, welchen der Erbprinz
bekommen hatte, behielten wir die Haaptarmee von
70000 Manu 14 ganzer Wochen bei ans stehen. Die
Kälte wollte überhand nehmen, so masste die ganze
Armee, welche von Weissenstein bis an Kassel durch
mein Dorf in 2 Linien stand, sich in die £rde graben.
Sie machten unsre Felder zu einer wahren Wüste
und dreheten den innersten Grund oberwärts. Sie
machten die so genannte Braken (Baracken), dass die
ganze 80000 Mann in der Erde völlig logirten und fast
kein Zelt mehr zu sehen war, sondern nicht als kleine
Häuser, die so mit einander gebauet waren, dass das
Lager einer Stadt völlig ähnlich sähe.
Die sogenannte Braken wurden auf folgende Art
gemacht. Es wurde vor eine Gesellschaft von 8 oder
weniger Personen ein Quadratloch in die Erde 10
Schuhe tief und 15, auch 20 Schuhe lang gegraben, in
die 4 Ecken starke Säulen gesetzet, and oben und unten
in die Mitten 2 längere Pfeiler gestellet, welche eine
Zwissel oder Stütze haben mussten *), worauf man eine
lange, starke Stange legen konnte, welche zur Schärfe des
*) Am Rande ist bemerkt: an diese Stütze wurde eine dicke
Stange geleget, welche die Länge des Häuschen ausmachte und
den sogenannten Strich formii*te. Auf diesen Strich wurden nun
von beiden Seiten geringe Stangen schreim angeleget, davon das
eine Stück in der Erde, das ander Teil oben an den Strich ge-
bunden ward.
227
Daches dienen musste. Nun wurden von den beiden
Seiten Stangen schreim*) angestellet, davon das eine
Stück in der Erde und [das] andere oben auf die lange
Stange, welche in Stützen lag, angebunden wurde, und
dies gab also zu dem Häuschen die Sperre. Oben [und]
unten wurde eine Gibbeiwand von lauter Frassen**) 1^/2
Schuh dick aufgeführet und seitwärts auf die hölzerne
Sperre, welche ganz dicht aneinander gesetzet waren,
wurden anstatt der Ziegeln lauter schöne, blotte, grüne
Frassen angeleget. Mithin war ein viereckigtes, 10
Schuh tief gegraben Loch von allen Seiten mit einem
Dach überbauet. Damit man nun einen Eingang finden
und doch das Obergebäude nicht lädiren mögte, so
wurde 3 Schritt davon eine Treppe gegraben, welche
entweder geradezu oder wie eine Windeltreppe in das
Erdloch den Eingang machte und zugleich verhinderte,
dass keine Luft und Wind in die Tiefe streichen
konnte. Damit nun auch ein Feuer ohne Rauch in
der Tiefe des Losiment gehalten werden konnte, so
wurde ebenfalls auf der andern Seite von blatten Land
schreim in die Erde ein viereckigtes, IV« Schuh breites
Loch gegraben, welches bis auf den Grund der inwen-
digen Wohnung sich endigte, folglich das Kamin und
den Schornstein vorstellen musste. Damit nun niemand
unversehens in einen solchen Schornstein fallen mögte,
weil es mit [dem] Lande gleich war, so musste um
jedes Loch ein Quadrat von Rasen 4 — 5 Schuh hoch
geleget werden; folglich war in solcher Erdkammer schon
zu logiren.
Um nun die Menge Holz zu haben, so wurden
erstlich in unseren Feldern und Garten alle Eichbäume,
Asschen, Erlen und [eine] Menge Weidenbäume abge-
*) Schreim = schräge ; bair. s ch rä m (s. S ch m e 1 1 e r, Bayer. Wb.
II, 601) gehört zum Subst. Schräge, kreuzweis eingefügte Pfiihle.
**) Frasse = Hasen aus Wrase; oberd. Wasen.
15*
228
hauen und Stützen und Latten davon gemacht ; wie ich
dann vor meine Person 580 Stämme [von] allerlei
Bäumen, auch starke Obstbäume dadurch verloren habe.
Ich will behaupten, dass sämtliche Gemeinden mehr als
zehntausend Weidenstämme und dergleichen dabei einge-
büsset haben. Doch dieser Betrag wollte wenig helfen •
der angrenzende herrschaftliche Wald musste das beste
und mehrste Holz darzu hergeben, auch viele unsere
Einwohner ihr Hausgeräte, Tische, Stühle Leitern und
Rüstholz aus den Scheuren. Das AUerbetrübteste war,
dass unsere Acker an vielen Orten dadurch ewig un-
brauchbar gemacht und der inwendige Kalkstein über
die gute Erde hingeschlagen wurden, so dass vor die
Renovirungskosten ein besserer Acker zu erkaufen
stehet.
Da nun unsere Acker verdorben und wir von
unseren Bäumen des Nutzen zeitlebens beraubt waren,
so mussten wir doch erleben dass, weil so viel herr-
schaftliches Holz unter das Unserige gemenget war, wir
dadurch das Unserige verlieren mussten. Die Burger-
schaft in Kassel hatte nach dem Abzug der Armee auf
unsern Ackern die Bracken ä 10000 Rthlr. an sich ge-
kauft, und bei Leib- und Lebensstrafe dorfte der
Eigentumsherr kein Stück von seinem Weidenholz an-
rühren, noch weniger sein eigenes Hausgeräte, als Rüst-
holz, Leitern, Thüren, Stühle von den Bracken zurück-
nehmen ; wie dann Johannes in Kichditmoll, welcher
sich etwas in sein Haus versteckt hatte, desfalls visitiret
wurde und wegen seiner anzüglichen Reden dadurch
in Verhaft genommen wurde, doch mit der Flucht sich
salvirte, endlich aber noch Thurnstrafe aushalten musste.
Ich aber war so glücklich, dass ich per Rescript 2
Klafter Holz auf meinem Acker gratis erhielt. In der
That war es mein eigenes W^eidenholz, welches mir vom
hiesigen Förster angewiesen worden.
229
In der That ist der Verlust der Bäume und abge-
stochenen Wiesen vor hiesige Dorfschaft ein ansehn-
licher Verlust, worin der Vorzug unseres Elends vor
anderen bestehet, wie ich dann ein zeitiger Pfarr
auf 9 Jahr 8 Acker Wiesen verliere und auf Zeit
Lebens jährlich 4 Fuder Beholzung von sen [?] Bäumen.
Und wo die vielen Verschanzungen angeleget sind, ist
es platterdings ohnmöglich, die Ländereien brauchbar zu
machen.
Denken Sie nun, libster Freund, was vor Last
und Hitze unsere Dörfer durch die schwereste Einquar-
tirung ausgestanden haben: eine Armee von 50000
Mann stehet 15 Wochen an einem Platz bis an den
lOten December.
In Wahlershausen, 400 Schritt von unserm Dorfe,
war das Hauptquartier von Ritter de My [Muy] mit 20
Generallieutenants nebst Cavallerie und hiernächst
2000 Mann Infanterie, welche die Wohnungen dergestalt
angefüUet hatten, dass die Einwohner in 14 Wochen in
der grimmigsten Kälte nicht in ihre warmen Stuben
kommen durften. Die mehresten mussten in den
Schweineställen nächtlich ihre Schlafstätten suchen und
bei Tage zur ägyptischen Dienstbarkeit unter Schlag
und Stoessen parat stehen; und wann nur der Küchen-
junge und Stallknecht einen Botten haben wollte, so
musste der beste und reichste Einwohner laufen, und
wann er und seine Kinder in 24 Stunden kein Brot
oder Bettelbrot geschmeckt hatten, so musste er fort.
Die schwangeren Weiber hatten die traurigsten
Schicksale ; wie ich dann eine Frau antraf, welche 2
Kinder zur Welt gebracht hatte und auf dem Boden
wo Schnee und Regen sie getroffen, sich nicht er-
wärmen konnte, deren Kind vor Kälte würklich um-
kommen musste. Die Kindbetterin suchte ich durch
meinen Vorschlag zu retten und trugen etliche Kohlen
230
heran, um sie zu erwärmen. Aber diese erweckten noch
mehr Ohnmächten.
Die Auslagen an Ol waren ganz entsetzlich. Der
Nachbar konnte sich nicht anders [helfen ?], er suchte et-
was Holz, nahm es auf seinen Hals, trug es nach Kassel
und brachte seinen Compagnie-Soldaten Fett und Salz.
Sogar mussten die armen Einwohner in Wahlershausen,
ich weiss nicht, durch wessen Veranstaltung, die
Truppen ä 1400 Mann Volontaires auf dem Schlosse
Weissenstein in Ol 14 Wochen erhalten; sobald sie
vorwendeten, dass sie ihre eigene Einquartirung be-
sorgen müssten, so bekamen [sie] Schläge und Execution.
Wilhelm Zigeler aus Wahlerhausen, ein Vorsteher, hat
mir diese Relation überbracht.
Nun überlegen sie, libster Freund, auch die Last
vor unser Dorf: das Regiment Suedois nebst Granodier
[Grenadier] und Chasseur vom Regiment Depont [Deux-
ponts?] hatten wir zu unserer 14wöchigen, ständigen
Einquartirung. Das Dorf hält 50 Häuser, davon hatten
die Offizier 12 Häuser zu ihrer Commodität, dazu kamen
etliche Grafen aus dem Lager, unter andern der Graf
vom Regiment Navarra, welcher anfänglich bei mir
logirte, ein Herr, wo täglich 36 Persones die freie Tafel
haben.
Mein zugeteiltes Quantum war folgendes :
1) In meiner Wohnstube auf dem Stroh ein refor-
mirter Feldprediger vom Regiment Jenner.
2) Gegenüber eine Stube und Kammer; logirten
die Schuster vom Regiment, welche sich von meiner
Schoesse [Chaise] das Leder zu Nutze machten, und ich
dorfte nicht sagen, dass sie es abgeschnitten hätten.
3) Auf der l^en^ Etage, auf dem grossen, gemach-
lichen Gang etliche Sattler vom Regiment.
4) In der besten (Commendanten-) Stube der
Brigadier von Bilou.
231
5) Daneben in 2 Kammern ein Directer [Directeur?],
welcher unsern Wald abhauen und Verbacke macben
musste.
6) Auf der 2ten Etage den Grafen Loewentbal,
einen Obersten nebst einem Hauptmann.
7) In übrigen Kammern Kammerdiener und Köche.
8) Auf dem Boden, wo der Wind recht durch-
streichen konnte, in dem Stroh meine Kind und Magd.
9) Nun kommt es an mich; ich logirte in einer
Kammer nebst meiner Frau auf dem blossen Stroh
ohne die geringste Federdecken unter oder über mir,
dann da mir bei der Einnahme etliche genommen
wurden, und ich solange Betten hergeben musste, so
lange ich selbst noch etliche unter mir hatte, so that
ich wohl, dass ich jedem mein Lager wies, so hatte ich
Ruh vor dem Hergeben. Doch wir sind mit meinem
Quanto von Logis noch nicht fertig.
10) In meinem Back- und Brauhaus die Bäckerei
und 20 Mann tägliche Wachten, und
11) 40 Pferde in meinen Stallungen nebst 20
Mann Cavallerie Volontaires de Clermont in meiner
Scheure.
Von allen diesen Quartirten hatte ich wenig Ver-
druss, ausser von Volontaires, welche die Scheure aus-
haueten und des Nachts in der Scheure starke Feurung
hielten und verschiedene Balken und Wände ausschlugen
und verbrannten, meinen Kühen des Nachts die Milch
ausmolken, übrigens nichts als meine Ziege schlachteten.
Und damit [sie] nicht auch mein Kalb bekamen, so
logirte ich solches in den tiefsten Keller.
N. b. Eben diese Clermont spoliirten die Kirche,
Altartuch und Klingelbeutel.
Diese summarische 14wöchige Last nebst dem
vorhergehenden Elend hielte ich bis an den 10^^^ De-
cember aus. Die Armee ging an diesem Tage in die
232
Winterquartiere, wobei die Generale mir eine Salvegarde
so lange [gaben], bis die Volontaires de Clermont ab-'
marschirt waren. Diese, welche mir noch Drohungen
gethan, wurden nach Oberzwehren, eine Stunde von
uns einquartiret.
Darauf kamen die Einwohner wiederum zur Ruhe
in ihre Häuser, aber auch zugleich zur würcklichen
Ruhe des Todes. Den mehresten Menschen waren die
Gebeine bis an den Leib geschwollen, sie bekamen an-
steckende Seuchen, sodass 9 Personen auf einen Tag
begraben wurden. Die Summa der sterbenden von 2V2
Monat [betrug] 190 Personen. Da ich 9 Familien in
einem Tage besuchte, so überfiel [mich] bei der letzten
eine Ohnmacht. Ich wurde krank ... [2 Worte
unleserlich].
Die obgedachte Clermontschen, welche eine Stunde
von uns cantonnirten, machten die Patrouillen durch
unser Dorf nach Wilhelmsthal. Die mehreste Zeit
hatten wir Unruhe ; sonderlich des Nachts pocheten sie
mit Gewalt und wollten die Thüren erbrechen, um
allerlei Victualien zu erpressen. Was wollte ich thun?
Ich musste accordiren und Geld und Brot zu dem
Fenster hinausreichen, bei welcher Gelegenheit mir ge-
drohet wurde, mich über den Haufen zu schiessen,
welches mir manche Angst und Schröcken ausge-
presset hat.
Den 28ten December wollten sie bei Tage die
Thtire erbrechen ; aber sobald ich nur rief, an die
Glocken zu schlagen, ohngeachtet niemand zur Erlösung
bei der Hand war, so suchten die Herren dennoch
schleunig die Flucht. Alsdann ging es auf den Greben
los. Dieser musste zwar ebenwohl Branndewein und
Victualien u. dgl. schaffen, aber es ging auf der Ge-
meinde Unkosten, worauf sie alsdann mit freundlichsten
Mienen in ihre Quartiere nach Zwehren zurückzogen.
233
Indem * ich nun dergleichen Begegnungen täglich
und nächtlich zu erwarten hatte, so suchte [ich] aus
Furcht eines Einhruchs meine wenige Baarschaften zu
bergen. Ich versteckte meinen Rest von 16 Stück
grosse Thaler in meiner Schlafkammer unter eine Diele
in den Fussboden, welche an verschiedenen Orten aus-
getretene Löcher hatte. Ich reiste . samt meiner Frau
nach Kassel, um eine einzige Nacht erlöst auszuschlafen.
Wir erholten uns durch eine gute Suppe, aber die ge-
nossene Tractamente wurden uns teuer genug. Dann
bei meiner Retour war mein erster Blick auf meine
versteckte 16 grosse Thaler. Ich bemerkte, dass die
Diele an meinem Loch so rein ausgekehrt war.
Niemand als ein Kind von neun Jahren, meine Magd und
Magd Schwester, welche letztere 14tägigen Besuch bei
uns abgestattet hatte, war in meiner Kammer gewesen.
Beide waren im Begriff, ihren Dienst aufzugeben. Kaum
waren sie abmarschirt, so bemerkte ich, dass mein Geld
auch marschirt war. Enfin: mein Geld war gestohlen.
Die gedachten Mägdgens und ein Kind ä 9 Jahren
hätten notwendig den Process ausstehen müssen.
Ich fand meine Magd unschuldig. Auf die Schwester
fielen viele Praesumtionen, allein um meine Magd,
welche mir so treue Dienste geleistet, trug ich Be-
denken, die Sache anhängig zu machen, da mir sogleich
gesagt wurde, dass beide Mägde müssten gesetzt werden,
und sowohl der Schuldige als der Unschuldige um der
Wichtigkeit willen ein ganz Jahr lang in der Unter-
suchung sitzen müssten. So verschmerzte ich bis dato
meine 16 grosse Thaler und war nur zufrieden, wenn
mich keine nächtliche Patrouillen attaquirten.
Nach verschiedenen Lamenten wurden wir würk-
lich auf höchste Ordre des H. Broglio von gedachten
Patrouillen in Sicherheit gesetzet; so dass in letzten 8
Tagen des Jahres die beste Ordre gehalten wurde.
234
Sobald Desordres vorfielen, musste der Commendant der
Truppen davor haften, wie dann Ms. Vilomini, Commen-
dant der Volontaiies de Clermont, der Gemeinde vor
einige Schweine, welche seine Patrouillen genommen, mit
100 Rthlr. bezahlen musste.
Indessen so schloss sich das Jahr mit schweren
fortdauernden Frokndiensten. Jeder Gemeinde wurden
eine gewisse Anzahl Faschinen zum Festungsbau herbei-
zuschaffen zugeteilet. Hatte man keinen Wagen, so
musste der Kopf herhalten. Ein jeder Hausvatter nahm
seine Faschinen auf den Kopf und trug sie redlich an
den Ort, wovor hernach sein Kind desto füglicher
vom Feinde konnte erschossen [werden]. In dieser be-
trübten Erwartung begegnete mir in Ober-Vilmer ein
kleiner Wagen von Dörrenberg, mit 48 Stück Faschinen
beladen, und [der] 3 Stunden bis an Kassel zu fahren
hatte. Der Grossvatter, Mutter, Schwiegerin und 2
Kinder hatten sich davor gespannet und zogen ihren
Wagen mit der grössten Contenance. Dem armen, 60-
jährigen Mann rollten die Schweisstropfen über die
Stirne. Ich wollte ihn bedauern, fragte tröstlich:
>Warum fahret Ihr selbst?« — »Ach Herr, sprach der
arme Mann, es muss ja sein. Wir werden dies wohl
verdienet haben. Meine Ochsen haben mir die ün-
serigen genommen; tragen kann ich nicht mehr, ich
will sehen, ob das Ziehen besser geht.« — Mit voller
Wehmut verliess ich den geplagten und getrösteten
Mann, reichete ihm zum Labsal nach meinem Vermögen
eine Steuer und machte zwischen jenem und meinem
Umstand einige Vergleichung. Ich vergrösserte mein
Glück im Unglück. Selbst Faschinen zu fahren, kam
mir unerträglich und so grausam vor: ich konnte es
ohne Rührung meiner Eingeweide nicht ansehen.
Indessen überlegen Sie nun, libster Freund, was
diese Gegend abermal vor ein trauriges Schicksal ge-
235
habt. Vom IPten Mai bis den IQten December Einquar-
tirung, ein Campement von 80000 Mann 14 Wochen,
meine angetretene Flucht und ausgestandene Plün-
derung. Mein Verlust ä 130 [Acker] Auslagen kaum 5
Acker zu ernten; im Haus 9 Wochen auf dem Stroh
gelegen, Angst von Truppen, Plage vom Greben genug,
kein Gemüse, wenig Brot und natürlich Sorgen aufs
künftige Jahr; kein Acker Winterkorn ausgesäet: dies
alles, däucht mich, sei wohl ein ziemlicher Beweis von
meinem vorzüglichen Elende. Beiliegende wahrhafte
Specification des Verlust kann es deutlicher machen *)•
Leben Sie wohl, untersuchen Sie meine Relation
und bestrafen mich herzhaft, wann das Geringste tiber-
trieben oder gar die Unwahrheit wäre. Sind dieselben
aber überzeugt, so bedauren sie uns nicht allein,
sondern tragen per Discours alles Mögliche bei, wo-
durch wir Geplagte getröstet und erquicket werden.
Gott bewahre uns nur vor grösseren Plagen im ange-
tretenen Jahre und erfreue uns mit dem in der Zeitung
ausgesprengten, teuern Frieden. Dies und alles, was
Frieden heissen kann, wünschet Ihnen
dero noch immerhin
d. llten^ Jan. 1761. geplagt ergebmier Diener.
Erzählungen kriegerischer Begebenheiten hiesiger
Gegend von 1761.
Libster Freund! Anstatt dass wir beim Anfang
dieses Jahr[es] aus der Unterhandlung Engellands mit
Frankreich uns mit einem angenehmen Frieden zu er-
quicken gedachten, so musste vielmehr unser gute Hessen-
land mit mehrerer Bitterkeit erfahren, was Krieg war.
^) Eine solche findet sich nicht vor.
236
Alles vergangene ausgestandene Elend war nur
Verlust der Landgüter, und die Einwohner der Dörfer
um Kassel hatten allein die grössten Ängste auszu-
stehen und bis hieher doch noch in denen Städten
Trost und Mitleiden gefunden. Aber ach, leider in
diesem Jahre gingen unsere Güter, unsere Stadt und
das Gefühl der Mitleidigen samt der Liebe des Nächsten
verloren; ein jeder sähe nur auf das, was seiner war.
Man wusste wenigstens bei vielen in der Stadt
K. nicht recht gewiss, ob wir noch zu bedauren würdig
wären ; man hörte uns mit kalten Blute gewöhnlich
lamentiren, man dachte und sprach: »Ach, mit den
Bauren stehet es so schlecht nicht; sie machen ein
gross Geschrei, die Leute sind noch in ihren Häusern,
sind noch nicht so hungrig; sie sind noch stark und
ziemlich gekleidet.« Dies trostlose Lied habe ich leider
von vielen ganz unvermutet anstimmen hören.
Diese traurige Gemütsgestalt verschiedener Städte
und deren Einwohner mache ich meinem libsten
Freunde beim Eingang meiner Relationen um deswegen
bekannt, damit dieselben natürlicherweise denken können,
wie gross unser Plage dieses Jahr zugenommen habe.
Dann eben der grosse Begriff von dem Rest unsers
Vermögens brachte die feindliche und sogar unser eigene
Armee beim Eintritt in Hessen dahin, dass man in
guter Hoffnung auf ein Dorf, um darinnen ernährt zu
werden, gerade wohl los marschirte und bei dem ersten
erscheinenden Mangel Erpressungen und Grausamkeiten
ausübete. Noch folgende Erzählung diesjähriger er-
littener Plagen werden Ew. Hochedlen näher überzeugen.
Ich mache also den Anfang von der Lage beider
Armeen*).
*) Das Nächstfolgende entnehme ich einem gleichzeitigen
andern Berichte des Pf. Cuutz, der sonst im Wesentlichen mit dem
vorliegenden übereinstimmt. Wie man sehen wird, habe ich den
einen durch den andern zu ergiinzen versucht.
23'?
Die feindliche Armee, welche den lO^en^ December
die Winterquartiere bezog, legte starke Besatzungen in
Göttingen, Münden, Kassel; in Ziegenhain wurde ohn-
gemeine Artillerie verwahret. Übrigens hatten wir in
Unterhessen auf dem Lande, weil wir nichts mehr zu
verzehren hatten, keine Winterquartiere. Aber die Seite
von Sachsen, als Hersfeld, Fulda, wurde ziemlich besetzt.
Die mehresten französischen Regimenter zogen sich
nach Frankfurt, sogar einige nach Frankreich, wenig-
sten die mehresten Generale suchten in Paris ihre
Ruhe zu nehmen. Der commandirende Herzog Broglio
lag in Kassel, sein Bruder, der weniger französische
Leutseligkeit an sich hatte, wurde von seinem König
zum Gouverneur von Kassel und ganz Hessen erkläret.
Bei dieser Gestalt lag in Kassel eine Garnison
von 8000 Mann Infanterie und ohngefähr 80 Ca-
valleristen von den Volontaires de Clermont, welche als
Patrouillen unterhalb Kassel bis an die Diemel machen
mussten.
Unsere teutsche Armee, so wie ich vernommen
habe, lag jenseit der Diemel im Paderbomischen bis
in das Münsterland und längst an der Weser in den so-
genannten Winter- oder Cantonnirungsquartieren in einem
Umfang von 40 Meilen; ihre Vorposten lagen in der
Gegend [von] Warburg, 6 bis 8 Stunde von Kassel
solchergestalt, dass ihre beiderseitigen Patrouillen sich
öfters sprechen konnten.
[Erster Bericht:] Sie wollen sich gütigst erinnern,
dass wir in p. a. am 10. December von der fran-
zösischen Hauptarmee befreiet wurden, mithin wohl zu
denken, dass durch ein von 60000 Mann 14wöchiges
Lager [solj wohl alles aufgezehret war, und in unsern
Dorf keine Einquartirung mehr stattfinden konnte. So
waren also am Ende und anfangs des Jahres die franzö-
sischen Patrouillen von Zwehren auf Wilhelmsthal unsere
238
ständige Gäste, hielten die allerbeste Ordre und trieben
unter der [Zeit] nichts als Faschinen zum Festungsbau.
[Aus dem zweiten Berichte:] Beiderseitige Armeen
schienen also der Ruhe zu geniessen, wenigsten der
Januarius war ganz stille. Indessen suchten die Fran-
zosen in Kassel sich immer fester zu machen. Die
ägyptische Frohndienste durch Herbeitragen der Faschinen
nahm überhand. Davon hören Sie folgendes Exempel
von dem ersten Januario, welches mir ein unzeitigen
Schröcken unter der Haltung meiner Neujahrpredigi
verursachet hat.
Anfänglich schiene mir der erste Januar ganz
ruhig zu sein. Weilen es der erste Sonntag, darinnen
unsere Kirche in 3 Jahren Frist vom Feinde gesäubert
war, wollte ich mir darob recht was zu gute thun,
studirte heftig, um alles Mögliche meiner Gemeinde und
unserm ganzen Kriegsheer anzuwünschen. Ich predigte
mit gutem Mut (1. Sam. VII. V. 12: Bis hiehin hat
der Herr geholfen.). Zuletzt wünschte vom grossen Mo-
narchen bis zum geringsten Bettler lauter Siege, aber
keine blutigen, sondern Siege über sich selbst. Und
da ich mich in der Kirche genau umschauete und sie
von feindlichen Überbleibseln ganz gereiniget fand, so
wollte ich auch unserem Kriegsheer einen Seufzer nach-
schicken. Ich nannte dahero mit der G[emeinde den]
Namen unsers grossen Ferdinands und rief aus: >Der
Herr vermehre seine Siege und sei eine feurige Mauer
um ihn und sein ganzes Heer!« Alsobald kam ein fran-
zösischer Husar zu Pferde in die Kirchthüre geritten,
winkete mit den Worten: »Lass den Kerlen heraus-
kommen!« — Ich erschrak bis zum Tode. Allerdings
vermutete ich, dass es auf meine Person gemünzet wäre.
Aber diesmal galt es meinem Greben, der unter der
Kanzel seinen Sitz hatte. Er ging nach der Thür.
Meine Gemeinde erschrak ebenwohl, in Meinung, dass
239
eine Einquartierung unter währendem Gottesdienst in den
ledigen Häusern vorgenommen würde. Viele eileten mit
weinenden Augen nach der Kirchthüre. Ich aber ver-
lor dadurch immer mehr meine Lebensgeister, dass
meine Gebeine mich nicht mehr tragen wollten. Nach
verschiedenen Bewegungen des Husaren vor der Kirch-
thüre, da er dem Greben etliche Schläge mit dem
Säbel über den Rücken gab, so accordirte der Grebe
und kam wieder in die Kirche an seine Stelle. Ich
bemerkte aus seiner Ruhe, dass es nicht viel zu sagen
hätte. Ich erholte mich ein wenig, bat die Gemeinde
sehr zärtlich vor mich um Kraft bei Gott zu erbitten.
Ich bemerkte an den Thränen, dass ich erhört war.
Kaum dass ich den Vortrag fortsetzte, kam von
neuem ein Jüngling von 16 Jahren in die Kirche gelaufen,
lief vor die Männer-Bänke unter meiner Kanzel und bat
sehr laut, dass Greben und Vorsteher und einige Männer
abermal geschwind möchten herauskommen. Es ge-
schähe mit vielem Gepolter. Ich machte abermal einen
kleinen Halt, Hess die Kirche verschliessen. Ich bekam
auch auf der Kanzel noch einige Rapport mit Bitte,
die vorgenommene Communion eiligst zu befördern,
weil die sämtliche Gemeinde noch heute an diesem
Feste Faschinen nach Kassel tragen sollten. Ich
predigte bei verschlossenen Thüren ruhig fort. Kaum
dass ich mich zum zweiten Male erholet hatte, so
pochete jemand mit Gewalt an die Kirchthüre. Aber-
mal ein Todesschrecken und zwar ohne Not. Die
Thüre wurde aufgemacht, ich wurde zu meinem Tröste
gewahr, dass es einer meiner Collegen, Pfarr Schachten
von Ober-Vilmar war, welcher ohne mein Wissen sich
über mich erbarmet und eine Stunde Weges mar-
scliirt hatte, um mir in meiner ihm bewussten Schwäch-
lichkeit beizustehen und die Communion verrichten zu
helfen. An seiner Miene bei dem Eintritt bekam ich
240
neue Lebenskraft. Ich sähe augenscheinlich, dass in
meinem Hause und der Gemeinde ziemliche gute Ruhe
sein musste. Ich wünschete und betete zu Ende und
fand bei dem Abtritt von der Kanzel alles, was ich
Gutes gehoffet hatte. Ich hatte 400 Communicanten.
Ich vergass bei dieser Hülfe des Collegen alle meine
Schrecken, und der Grebe seine in dieser Stunde be-
kommene Säbelhiebe. Er hatte dem Husaren 2 Gulden
gegeben, darauf konnte er wieder in die Kirche gehen.
Er communicirte also vor wie nach mit andern Com-
municanten.
Nach geendigtem Gottesdienst commandirte der
Grebe, und ein jeder Zuhörer nahm seine Faschinen
auf den Hals und trug sie nach Kassel. Sehen Sie,
libster Freund, das war der erste Tag im Jahre, den
ich des Morgens vor den besten, ruhigsten Tag in drei
Jahren gehalten hatte.
[Aus dem zweiten Berichte:] Mit dieser Tragödie
wollen wir den ganzen Januar vorbei gehen lassen und
weiter keine Anmerkungen machen, als dass alles, was
in meiner Gemeinde gesund war, Faschinen und Palis-
saden auf den Köpfen nach Kassel, jedoch gegen bare
Bezahlung, tragen mussten, und dass ganze Familien in
einer ansteckenden Seuche lagen und kein Haus ohne
Tote davon kam, daher der falsche Ruf entstand, als
ob die Pest den Garaus machen wollte, und darüber
eine Visitation von den Doctoren musste vorgenommen
werden. Bei Friedenszeiten hielt der Tod bei meiner
Gemeinde diese Proportion, dass er monatlich von 100
— 4 Prozent nahm, aber in diesem Krieg war er mit
30 Procent kaum zufrieden.
Ich komme also zu dem merkwürdigen Februar.
Den ß ten Februar erscholl die Zeitung, als ob
unsere Armee in den Winterquartieren allerlei bedenk-
liche Anstalten machten. Alsobald mussten verschiedene
241
Truppen aus Kassel rücken, teils vorwärts nach Hohen-
kirchen, teils hier auf unser Dorf, um auf der Seite
von Winterkasten auf guter Hut zu sein*).
Den S teil Februar bekamen wir 400 Mann Volon-
taires de Clennont Infanterie**). Diese mussten rings
ums Dorf Wacht halten ; bei der grimmigen Kälte wurde
keine Einquartirung dem Soldaten gestattet. Die Leute be-
kamen die strengste Ordre und mussten sie auch halten.
[Erster Bericht:] Ein einziger Clermontscher
Cavallerist hatte meinem Nachbar Yiehman einen kleinen
Beutel mit welschen Bohnen, ohngefähr 2 Pfund, ent-
wendet. Der Offizier wurde es per accidens gewahr,
ohngeachtet der Vorbitten des Wirts, dem er sie ent-
wendet hatte, musste seine Compagnie unter das Ge-
wehr gehen, alle Packen und Banzen mussten geöffnet
werden, die Bohnen und etwa andere Kleinigkeiten
fanden sich, kaum Va Gulden wert. Der Offizier gab
dem Bauren die Bohnen und einen kleinen Thaler, liess
den Soldaten austreten, stiess [ihn] ins Angesicht,
wollte ihn erstechen, liess ihn binden und als Arrestant
nach Kassel schicken. — Was deucht Ihnen? Haben
Sie von andern Truppen auch so schöne Ordre in
Feindesland gehört? Die Clermonter thaten uns wohl;
jeder Zeit bei der Ablösung brachten sie etwas franzö-
sisches Commisbrot und verschenkten es an die Ein-
wohner. Eine einzige fatale und lächerliche Verspottung
unser Leichenbegangnusse muss ich Ihnen von diesen
Truppen erzählen.
Ich begleitete eine Leiche nach meinem Kirchhof.
Die Schüler voran, der Küster, darauf meine Person ;
und alsdann hinter mir die Leiche. Bei dieser lang-
*) Die Fi-anzosen, heisst es in dem ersten Bericht, legten . . .
nach ihrer Behutsamkeit mehrere Defensionen-Werk um Kassel an.
**) Nach dem ersten Bericht noch ausserdem Nassau-Cavallcrie
und Infanterie.
N. F. XV. Bd. 16
242^
Samen Procession trug es sich zu, dass 2 Volontaires de
Clermont eine halbe geschlachte Kuh auf einer langen
Stange durchs Dorf trugen. Sie nahmen das Tempo
in Acht, blieben zwischen uns in bester Ordnung,
Hessen vor sich her singen durch die Strassen bis
durch die Kirchhofsthüre. Stellen Sie sich vor einen
Marsch von 300 Schritt mit folgender Procession : Erstlich
gingen 40 Schüler paarweise, die überlaut ihr gewöhn-
liches Leichenlied sungen, und dann folgten die Fran-
zosen mit der halben blutigen Kuh ganz ernsthaft
Schritt vor Schritt. Hinter der Kuh mein Schul-
meister als Vorsänger, darauf folgte meine Person und
hinter mir die schwarze Lade mit Trägern, welche bald
traurig, bald lachend aussehen. Mit diesem Zug mar-
schirten wir durch die Kirchhofsthüre, hier nahmen die
frembten Herrn ihren Abschied, und ich defilirte in die
Kirche und predigte. Die Franzosen kamen nach ab-
gegebener Kuh auch in die Kirche und waren sehr an-
dächtig. Überhaupt kann ich ausser diesem Fall von
keiner Verachtung unsers Gottesdienstes das Geringste
von ihnen erzählen ; und so hart auch diese Volontaires
anfänglich gegen unsere Einwohner waren, so weich-
herzig wurden sie und beklagten unser Schicksal, das
wir bald auszustehen hätten.
[Aus dem zweiten Bericht.] Die Volontaires [de]
Clermont bewacheten unser Dorf von 6 ten bis den Uten
Februar. Gegen 6 Uhr marschirten sie auf Kassel und ver-
sicherten uns ganz gewiss, dass [die] AUiirten im Anmarsch
wären. Wir würden einen harten Stand bekommen.
Ich hielt diese Relation vor französische Listen.
Aber die Wahrheit bestätigte sich noch denselben Abend.
Den 12te£ Februar nach Abzug der Feinde hörten wir,
dass unsere ganze teutsche Armee von allen Seiten im
Anmarsch wäre. Wir sahen [die] avancirte Vorposten in
der Ferne auf dem Winterkasten. Das Schloss Weissen-
243
stein wurde denselben Abend mit einigen | Hanno veränel^ri
von den Stockhausischen Jägern besetzt, welche
nach dem bösen Ruf sich in der That seltsam im Schloss
aufführten. Der Hunger war das erste, was von ihnen
gesagt wurde, welchen sie von jedermann, der selbst
nicht hatte, mit ihren Geld forcirend stillen wollten.
Man hat mir von deren Aufführung im herrschaftlichen
Schloss wunderliche Dinge erzählet mit der Versicherung,
dass 1200 französische Volontaires, ein Extract aus der
französischen Armee, welche 14 Wochen daselbst ein-
quartiret gewesen, in der ganzen Zeit nicht so gehauset,
als diese hannoverschen Jäger in einer einzigen Nacht
gethan hatten. Die Überzüge von den Stühlen, die
Decken von den Tischen waren von ihnen spoliirt
worden, und die Losimenter im Schloss, um nicht auf
den Abtritt zu gehen, wären s. v. gänzlich verunreiniget
worden. Doch die besten Soldaten mussten bei der
schlechten Versorgung an Lebensmitteln und bei der
entsetzlichen Strapaze zur Desperation gebracht werden.
In so betrübten Umständen unsere Truppen unter
dem Mangel an Lebensmitteln ankamen, so konnte man
doch in ihrer Schuldigkeit nicht die allergeringste Träg-
heit merken. Ihre Mut und Standhaftigkeit bei der
elendesten Witterung, da jedermann bis an die Kniee
am Winterkasten baden musste, war ohnerhört anzu-
sehen, wovon der 13^^ Februar eine ewige Ehre vor
unsere Truppen ist.
Dieser merkliche Tag vor die Stadt Kassel stehet
mir bis an meinen Tod vor Augen. Hören. Sie die Um-
stände nur mit Geduld.
Den 13ten Febr. um 7 Uhr kam(en) ein Husar in
blauer Montirung, klopfte an mein Fenster mit den
Worten: »Wo sind die Franzosen? Wie viel haben
gestern Abend den Posten hier gehabt? — Weil nun die
ganze vorige Zeit nichts als gelbe französische Montur^
16*
244
die sogenannten Blechkappen, bei uns erschienen, so
konnte ich nicht anders denken, als wäre der blaue
Husar von den Unserigen. In voller Freude wollte ihn
bescheiden, so zog mich meine Frau von hinten am
Kleide und rief mir ganz leise: »Es ist ein Franzos!« weil
sie seitwärts die gelbe Blechkappen sehen konnte. Ich
fragte also ganz unerschrocken den Franzosen, von was
Truppen er wäre? — »Von Bauer«, war die Antwort.
— »Ach, lieber Freund, Ihr wisset besser, wie viel
Franzosen gestern hier gewesen. Führen Sie mich in
keine Versuchung!« — Im Augenblick rief der an der
Seite verborgen stehende Offizier : »Komm her, Camerad.
Die Sache gehet nicht.« Ein bekannter französischer
Offizier rückte näher mit den Worten: »Nun, Herr
Pfarr, Ihre Leute sind zu Weissenstein. Wir wollen sie
jetzt aufheben. Adieu!« *)
[Erster Bericht:] Ich ging in voller Angst auf
meinen Boden, um dem Trauerspiel ein Zeuge zu sein.
Mehr als 800 Feinde, Cavallerie und Infanterie,
marschirten geradeswegs durch Wahlershausen auf
Weissenstein; in meinem Dorfe wurde durch allerlei
*) Der etwas abweichende Bericht der ersten Fassung lautet
folgendergestalt: Der 13te. Februar bi-ach an. Ein blauer Husar
klopfete vor mein Fenster. Er fragte : „Wie lange sind gestern die
Franzosen noch hier gewesen, und wie viel waren der Canaillen?*'
— Ich hielte ilin aus Freude vor einen Teutschen und wollte
freundschaftlich mit ihm umgehen. Aber meine Frau, die auf der
Seite weisse französische Husaren gewahr wird, J*uft mir ängstlich
ins Ohr: „Ach lieber Mann, es ist ein Franzos!" Ich aber wider-
sprach heftig und fragte: „Von welchem Corps der Alliirten seid
Ihr, Husar?" — ^„Ich bin von Nassau, nein, ich bin von Bauer-
Husaren."" — Ti^un, Ihr wisset, wann die Franzosen gestern ab-
gegangen seind", war meine ängstliche Antwoii;. Darauf rückte
ein französischer Offizier etwas näher vor. „„Ach Bmder, komm !
Es ist der Pfänder, der kennet uns. — Nun, Pfarrer, Eure Hanno-
veraner sind auf dem Weissenstein. Wir sind im Begi'iff, sie allda
abzuholen. Wollen Sie den Spass ansehen?"" — „Ja!" —
245
Freiwillige die Flanke und der Rücken dieser 800 ge-
decket. Als nun die mehresten Truppen dem Schloss
auf einen Flintenschuss sich genähert hatten, so erwartete
ich das hannoverische Musketenfeuer aus allen Fenstern
und Ecken des Schlosses, aber zu meiner äusserster
Verwunderung hatten sich die Alliirten aus dem Schloss
in den Wald unter dem Winterkasten versteckt. Die
Franzosen, welche nun vermeineten, dass die Alliirten
in voller Flucht nach dem Winterkasten sich gewendet
hätten, näherten sich mit mehrerer Geschwindigkeit als
vorhero dem dasigen Walde und setzten die ganzen
Truppen in einen mutigen Marsch. Aber [zweiter Be-
richt :] zum äussersten Schröcken der Franzosen brelleteh
sie vor etliche kleine in den Büschen versteckte Kanonen,
worauf die hannoverische Stockhausische wenige Jäger
an Cavallerie und Infanterie von allen Seiten mit Ge-
walt unter einem starken Feuer auf die Franzosen los-
drangen. Die Franzosen thaten einige Gegenschüsse
und reterirten sich in einer Art von einer Flucht. Die
sogenannten Blanker [Plänkler] kamen also in dem
tiefen Schnee unter dem Schloss Weissenstein mit
grosser Courage an einander. Unsere Infanterie kam en
fronte aus dem Walde anmarschiret, stellete [sich] recht
blank in die Augen der Feinde. Ich musste erstaunen,
dass die, welche viermal stärker als die Unserige waren,
unsern kleinen Trupp nicht attaquirten. So wie nur
10 — 20 Mann der Unserigen vorrückten so reterirten alle-
mal 50 und 100 Mann Franzosen, und 1, 2, 3 Blanker,
welche mit erschröcklichen Rufen den Feind zur Courage
aufforderten, konnten jedesmal 5 bis 8 zurückjagen,
und etliche Wagehälse thäten, als ob sie [den] Krieg
vor ihre Personen entscheiden wollten, rückten bis 12
Schritt gegen einander, thaten mehr als 6 Schüsse ohne
Effect, alsdann fragte einer den andern, ob er sich er-
geben wollte.
246
Mittlerweile dass beide Vortruppen 1^/2 Stunden
scharmutzirten, so bekamen [die Unsrigen] einen starken
Succurs braunschweigischer Husaren von der rechten
Seite meines Dorf[es], welche, wenn ihnen die Umstände
der Attaque und meines Dorf[es] wären bekannt gewesen,
so hätte es nicht fehlen können, die hier gedachten aus-
gerückten Franzosen wären unvermutet von Kassel ab-
geschnitten und gefangen gewesen; wie dann derjenige
französische Offizier, welcher mir vor 2 Stunden zurief:
»Wir wollen Ihre Leute abholen«, mit seiner ganzen
Seiten-Patrouille in äusserster Gefahr war, sodass ein
braunschweigischer Husar galoppirend einen Hieb nach
dem andern ihm hoffte zu versetzen und nach seinem
fliegenden Mantel griff. Aber den Offizier rettete sein
Pferd und die Kundschaft von den Wegen, welche er
im Schnee besser als der Husar zu finden wusste.
[Erster Bericht:] Übrigens fehlete [es] überhaupt
den aus der Flanke ankommenden Alliirten an genauer
Nachricht und Kenntnis ihrer eigenen Kameraden, sonst
wären bei der Centre [?] die ganzen 800 von der Stadt
abgeschnitten gewesen.
Diesem nach so wurde von beiden Seiten der An-
fang zum Scharmutziren gemacht. Die sogenannten
Blanker von Husaren ritten im tiefsten Schnee in den
gefährlichsten Graben auf einander wie grimmige Mörder
los, forderten einer den andern zur Courage, machten
aber auf einmal einen kleinen Waffenstillstand, fragten
nach einen und andern umständen ihrer desertirten
Kameraden, bocheten auf beiden Seiten auf ihre Macht,
und die Alliirten rieten den Franzosen, sich in der
Stadt zu übergeben. — »Nicht wahr! Ich bekomme
heute oder morgen dich und dein Pferd!«
Beiderseitige Offiziere eileten herzu und gaben
Ordre zur ernsthaften Attaque, um mein Dorf in Besitz
zu nehmen und die 800 Mann Franzosen, welche sich
247
200 Schritt gegen meinem Hause über fest zu setzen
schienen, zu delogiren und in die Stadt zu treiben.
Das Mürmelen und Schelten und Schmähen [der]
beiderseitigen Truppen und stete harte Knallen der
scharmutzirenden Vortruppen hinter meinem Hause bei
so rauher Witterung und die vielen gemachten Löcher
upd Bracken (Baraquen), worin die Franzosen campirt
hatten, welche mit Schnee 2 Schuh hoch ordineremant
bedecket waren, worin die Alliirten versanken, machte
mir einen solchen Schauder in meinem Gemüte, dass ich
mich mit vieler Demut des Herzens an meinem Bodenloch
auf die Kniee betend kraftlos niederwarf. Ich kann es
ohnmöglich bergen, und will vor dem Licht der Wahr-
heit beteuren, dass ich in meinem ganzen Leben noch
nie ein solch betendes Herz und Rührung des Geistes
in mir wahrgenommen.
Mit heissen Thränen bat ich vor das Wohl un-
sers Landes und unserer bewundernswürdigen, tapfern
Alliirten.
Ich wollte mein armes Vermögen, worunter schon
gesteuret erhaltenes Brot gemenget war, gerne zur Er-
lösung aufopfern; als Engel wollte ich die Alliirten^
welche hier tibermenschlich ausstanden, aufnehmen.
Mitten unter meinen Thränen sähe ich mit Ver-
gnügen der Flucht der Franzosen zu, wie mein Dorf
gereiniget [wurde] und meine Alliirten ins Dorf drangen.
Ein Husar schiene auf mein Haus zu tentiren; ich lief
per Galopp zur Treppe herunter, um ihn [in] mein Haus
zu nötigen.
Aber seine Ansprache erschrak mich. — »Mach'
auf, Bauer!« — Ich machte auf mit den Worten: »Hier
ist kein Bauren-Haus, mein Freund. Gott Lob, dass
ihr uns erlösen wollt. Ich bin der Pfarrer.« — »Ach,
ich hab den Teufel davon. Wir haben Pfarrer und
Schulmeister zu Spionen. Gib Speck, Branndewein !« —
248
Ich lief und reichete Brandewein mit medicinischen
Tropfen, auch sogleich das Brot. — »Was, Du Pfaffe,
will du mir trocken Brot bieten?« — und zog den
Säbel hervor, um mich über die Rippen zu schlagen.
Ich entwich ihm und versetzte, dass alles versteckt wäre;
er sollte Geduld haben und absteigen.
Mittlerweile verging mir beim Anblick dieser
Entree mein betendes Herz. Zu meiner Beruhigung
kam der Rittmeister Schory als Commendant von diesen
Braunschweigiscjien Husaren. Ich verbarg ihm das Be-
tragen seines Husaren, bat ihn zur Suppe, präsentirte
dieselbe nebst anderem, was ich dem Husaren geboten,
und er war besser als jener zufrieden. Die Gesellschaft
wollte sich vermehren : 12 bis 15 seiner Mannen^ welche
nass, kalt und todblass aussahen, traten ins Haus und
forderten zu essen. Der Offizier wiese sie ab. Ich aber
befahl meiner Frau, diese Husaren, welche auf dem Hoff
Posto gefasst, wieder herbei zu rufen und ihnen ganz
schleunig und heimlich eine warme Suppe in der Küche
zu präsentiren.
Mittlerweile fragte der Offizier nach meinen er-
littenen Drangsalen, und bei gewisser Gelegenheit er-
zählte ich den Verlust der 200 Stück Schafe, wovon der
Rest in 2 tragbaren Schafen bestünde, die ich nun
durch die vorhandene Erlösung wohl behalten würde.
Ich hätte oftmals viele Nachreden von alliirten Husaren
gehöret. Ich wollte die Sicherheit vor alle mein Vieh
von ihnen hoffen. — Er beteuerte, dass ich allen
Schutz zu erwarten hätte und flattirte mir mit meiner
Contenance und guten Willen, wie ich um dieselben
allein wert wäre, ferner beschützt zu werden.
Indessen dass die hungrige Husaren in der Küche
soupirten und ungemein freundlich gegen uns thaten,
so wagten die Franzosen einen neuen Anfall auf das
Dorf, sodass die Kugeln auf die Ziegeln hin und hey
24d
schlugen. Alles musste seinen LöfiFel aus der Hand
werfen und den Säbel ergreifen. Ich bedaurete, die guten
Leute, ohne satt zu essen, von mir gehen zu sehen.
Aber sie hatten sich besser versorgt als ich geglaubet
hatte. Ich kam in meine Stallungen und fand den
Rest meiner Herde, als 2 Stück Schafe, geschlachtet,
Kopf und Fell lag auf der Stelle, und 2 lebendige
Lämmer, welche sie aus dem Leibe geschnitten, spartelten*)
auf dem geschlachteten Felle. Denn beide Stück Schafe
waren im Lammen begriffen,* aber ohne Ekel konnten
sie die braunschweigischen Husaren schlachten.
Ich klagte es dem Hg^ Rittmeister, wie es möglich
wäre, bei meiner willigen Aufwartung mir so lieblos zu
begegnen. — »So! So! Ich habe nicht Zeit, mein
Herr Pfarrer. Ich rouss mich empfehlen!« das war
Resolution und Bezahlung.
Diese und dergleichen wunderbare Aufführung unsrer
Freunde verminderte allmählich die Liebe zu den Truppen
und wie man sogar armen Kindern, welche von 4 Stunden
Weges Brot erbettelt hatten, auf öffentlichen Strassen
angriff und alles wegnahm. Das alles machte mich so
trostlos und kleinmütig, dass mir von Stund an alles
kräftige Beten verging. Ich betete wohl, aber ohne
Empfindung.
Noch den 13^ Februar wurde unser Dorf samt
den übrigen Dörfern vor dem Möllerthor auf diesseit
der Fulda gänzlich vom Feinde gereiniget. Es rückten
einige Regimenter Hessen und Hannoveraner in Ober-Vil*
mar, Nieder-Vilraar, Harleshausen und Wahlerhausen und
*) Spartelen (niederdeutsch) = zappelen; s. Schüler und
Lübben^ Mndd. Wb. bei spertelen. Engl, to sprawl und (mund-
aitl.) sprottle. Die hochd. Form ist sperzen, spirzen (ahd. spra-
zaion), s. Schmeller^ Bair. Wb. II, 685. Doch soll an der mittleren
Edder auch spratteln vorkommen, s. den Nachti'ag zu Vilmar'^
Hess. Idiotikon,
260
stellten ihre Posten kanonenschussweit in einem Halben
um die Stadt, mithin wurde Kassel eingeschlossen. In
meinem Dorfe wurde der Rittmeister Schory, der es
anfänglich gereiniget, von einem Leutnant von eben
denselben braunschweigischen Truppen abgelöset. Ein
Leutnant, von Geburt ein Ungar, sehr martialisch im
Gesichte, wohl 50 Jahr, bekam das Commando, ein
Mann, den ich ungemein hoch estimire. Ich kann es
nicht lassen, ich muss diesen Mann recht beschreiben.
Dieser 50jährige Mann hat ein zigeunerbraunes
Angesicht mit gelben Augen, als einer, der die Gelb-
sucht im höchsten Grade hat, eisgrauen Augenbraunen
und ebenso einen von acht Tagen her gewachsenen
Bart; nur der Knebelbart war bechschwarz wie auch
sein Kopfhaar, welches ihm um den ganzen Kopf ohn-
gebunden herumflog und bis auf die Schultern stiess
und mehrenteils nach dem Mund bis an den Knebel-
bart zu fladerte. Auf dem Kopf trug er nur eine
graue, rauhe Kapfe, die ihn bis an die Augenbrauen
bedeckte.
Unter dieser Kappe sähe er ganz martialisch hervor.
Sein erstes Commando an die Bauren im Dorfe war
mit heftiger Stimme: > Feuer in den Weg!« — Es
musste also hin und her im Dorfe Feuer angeleget
werden, und da er seine Hauptwacht gegen meiner
Hausthür anlegen wollte, ich aber demselben treuherzig
zu verstehen gab, wie er unvermerkt wegen der Lage
überfallen werden konnte, und das Feuer und Wacht
auf einer Höhe am Dorfe zu seiner Defension besser
konnte angeleget werden, wovon er attaquiren und wohl
observiren konnte, dadurch gewann ich an seiner bar*
barischen Miene viele Liebe.
In seiner 48stündigen Wacht sass er stets zu
Pferd, ritt auf alle Höhen des Dorfes hin und her, und
sowie er nur mit seinen gelben, funkelten Augen,
251
welche im Reiten und Discuriren starr nach dem
Kratzenberg sahen, einen einzigen Franzosen recognos-
cirten [und] von weitem erblickten, rief er seine Wacht
zu Pferd. Alles musste mit Gewalt zu Pferde und
nacheinander ausjagen und schiessen, wo noch nichts
zu treffen war. Ein ungerischer Wachtmeister, dem
die Courage ebenwohl aus den Augen blitzte, that
seinem Leutnant grosse Dienste. Zehnmal, zwanzig«*
mal in einer Stunde auf und abgesessen, war vor das
Commando des Leutnants etwas weniges.
Ich mochte ihn zum Essen nötigen, wie ich wollte,
ich konnte ihn nicht zum Absitzen persuadiren; ich
trug ihm derowegen Thee, Koffee und Butter und Brot
in meiner Taschen zu und gab es ihm, wo ich ihn auf
der Strassen antraf. Meine Frau wollte es ihm übel
nehmen, dass er sich nicht im geringsten beim Abschied
gemeldet und eine dankbare Miene gemacht hatte ; aber
ich halte ewig seine Person in Ehren, denn dieser
Mann war der einzige, welcher mit 30 Mann unser
Dorf so wacker verteidigte und die Franzosen der-
gestalt im Respect hielte, dass sie bei der angefangenen
Blocade glauben mussten, das Dorf wäre voll Husaren
und die umliegenden Dörfer voll Infanterie. Das Beste
und Künstliche war die strenge Ordre, die Wege nach
Kassel ungemein rein zu halten, mithin konnten die
Franzosen nichts gewahr werden.
Es war wohl ein rechtes Meisterstück von dieser
Überrumpelung von Kassel: kaum lV2tausend Mann
Infanterie Alliirte nebst 500 Pferden jagen alle Vor-
posten in die Stadt, vom ISten Februar bis 16^^ derge-
stalt in Respect, dass 10000 Mann Franzosen sich nicht
unterstehen, heraus zu gucken, wozu unser Kirchdit-
mollische Posten, als der die Flanken bedecken sollte,
am meisten beitrug. Kaum hatten wir den tapfern
schwarzen Leutnant verloren, so bekamen \vir zwar
252
stärkere Wachten, aber bei dem ersten Scharmützel, da
man mit 2 gegen 2, oder 3 gegen 5 Mann anfing zu
hazeliren und dem Feinde Gelegenheit Hess, das Dorf
durch Perspective zu besehen, so gelang es den Fran-
zosen, schon näher an [das] Dorf zu kommen. Alsobald
wurden sie die geringe Besatzung gewahr, prelleten mit
Gewalt auf unsere Vorposten, trieben sie zurück bis
vor mein Haus, allwo es zu meinem grossen Schröcken
zum Handgemenge mit dem Säbel kam. unser gute
commandirte Offizier eilete herzu , behielt die Ober-
hand, trieb die Franzosen 'naus bis in die Kasseler
Schanzen; indessen so hatten wir dies davon, dass die
Feinde nun die Stärke des besetzten Dorfes wussten,
mithin täglich zu attaquiren wägeten, auch die schönste
Gelegenheit bekamen, sich mit unsern Bauren in
Discours zu geben. Auch wussten sie sich so weich-
herzig gegen unsere armen Bauren zu stellen, dass sie
deren Herz bald gestohlen hatten, wovon folgender
Vorfall zum Beweis dienet.
Den 18t?n Februar verliessen die Aliirten unser
Dorf und fassten hinter dem Dorfe Posto, so dass wir
zwischen Freund und Feind zu stehen kamen. Jeder-
mann furchte sich sehr vor dem Feinde, aber das
Gegenteil sähe man. Bei der ersten Hausthüre des
Dorfes, während der Zeit die übrigen Franzosen durchs
Dorf vorwärts rücketen, auch in- und oberhalb des
Dorfes scharmutzirten, fragte der französische Offizier:
*Wie stehen euch eure Freunde an? Haben sie euch
Brot genommen?« — Der Bauer erzählet verschiedene
Vorfälle, unter andern wie ich der erste gewesen sei,
der sie tractiret, aber davor die 2 bewussten Schafe
mitgenommen hätten. Sie bedauren die ganze Ge-
meinde; der Offizier gab ihnen Gold und sagt, sie sollten
an den äussersten Posten bei das Palissadenthor
kommen, so wollten sie ihnen auch Brot reichen,
253
welches ist auch in der That geschehen. Dann der
Mangel der Lebensmittel nahm auf unsern Dörfern
überhand, welche bishero die Unterhaltung vom Freund
und Feind aus Kassel gehabt hatten. Denn Kassel wurde
vom 13teB, Februar verschlossen, und die langsame
und unordentliche Versorgung unser Alliirten verur-
sachte unter den Truppen den grössten Hunger solcher-
gestalt, dass der Soldat gezwungen wurde, seinem Wirt
das Brot aus dem Munde zu nehmen, es mochte er-
bettelt oder erkauft sein. »Mich hungert«, rief der
Soldat. »Bauer, schaff! Ich habe in so viel Tagen
nichts über meine Zunge gebracht« Konnte der Bauer
nichts hergeben, so hiess es: »Du Hund, du lebst ja
noch, so musst du noch haben! Hast du die
Franzosen können erhalten, warum wilt du deinem
eigenen Volk nichts geben?«
So wuchs die Bosheit und Mistrauen in unser[n]
Truppen gegen den hiesigen Unterthan. Es ist bis
zum Erstaunen, dass Hohe und Niedrige unter unser
Armee bei die Blocade nicht glauben konnten, dass
wir ausser der erlittenen Fouragirung und Lieferung
kein Stück Brot an den französichen Soldaten, noch
weniger an einen Offizier zu geben angewiesien worden,
vielmehr aus deren Armee zuletzt mitgelebet hätten.
Der undeutliche Begriff von unser verarmten
Gegend verursachete nun unter unseren anrückenden
Truppen, welche Kassel blockiren wollten, die betrübteste
Folgen. Der Bauer hatte nichts, bekam Schläge und
hiess boshaftig: »Du Hund, du Spion!«
Die Brotwagen der Alliirten blieben wegen un-
erhörter Witterung im Schnee und Dreck mit zer-
brochenen Rädern stecken ; die schönsten Zugpferde der
Hannoveraner, welche sich in unser[en] verarmten
Dörfern satt zu fressen gedachten, mussten schändlich
crepiren, oder der unvernünftige Knecht schlug sein
254
Pferd bei anmöglichem Fortkommen vor dem Wagen
barbarisch zu Tode. Nun stunden unsere Reuter und
Soldaten ohne Zelt in Schnee, Regen und Kälte bis
an die Waden und mussten mit einem hungeiigen
Magen Schanzen und Batterien machen, um sein [!]
mattes Leben zu verteidigen. Was half es ihn, dass
er einen Tag ordnungsmässig sein Brot und in dreien
Tagen wieder nichts bekam. Ich muss es gestehen,
dass, obgleich der Soldat noch, so grausam auf Stadt
und Land schmähte und unser[e] Bauren wie Knechte
und Hunde estimirte, so konnte ich aus Erbarmen ihm
nicht böse werden. Mich hat dergestalt die angefangene
Blocade (vor) gejammert, dass ich vor Herzeleid nicht
schlafen konnte und öffentlich vor die attaquirenten
alliirte Truppen ins Kirchengebet eine besondere Formul
einrückte, dass sie Gott in der Tapferkeit ihres Gemüts
stärken und vor Verzweifelung behüten und dieselbe
endlich mit einen frohen Sieg erfreuen möchte. Gott
hat in der That bei fliesen Völkern Wunder genug ge-
than. Dann so beschwerlich und gebrechlich es beim
Anfang der Blocade vor Kassel schien, da es an Lebens-
mitteln gebrach, so war doch bewundem[s] würdiger
Mut in den Truppen. Wie 10 Mann 50 wegjagen
konnten, die Willen und Mut haben, mitten im Regen
mit fast schon erstarrten Gliedern auf den Feind, der
doppelt stärker war, mit Gewalt aufzudringen, habe ich
nicht einmal sondern mehr als zwanzigmal mit meinen
eigenen Augen angesehen. Dann ganzer 20 aufeinander
folgende Tage vom IS^gn Februar habe ich in und vor
dem Dorfe die heftige Scharmützel zu unsern grossen
Schrecken ansehen müssen und manche kleine Kugeln
bald an mein oder mein Nachbarhaus pfeifen und an-
schlagen hören.
Nähere Umstände von wunderlichen Vorfällen
werde ich hier nicht noch melden. Die Abwechselung
25B
der scharmutzirenden Truppen, wobei ich in einer
Stunde dreimal Hannoveraner und dreimal Franzosen
hatte, auch ein jeder mit drohenden Säbeln allerlei
Prätensionen an mir machte, wobei Stuben und
Kammern eine gäntzliche Visitation aushalten mussten,
diese wunderliche Figuren bewogen mich, meine wenige
Mollen- und Esswaaren in mehrere Verwahrung zu
bringen, auch mich noch im Notfall dabei verbergen
zu können. Ich vermaurete und verplasterte an linker
Hand in meiner Küche die Eingänge zum Keller, und
den an der rechten Hand liess ich zum Gebrauch oflfen
stehen. Darauf brach ich in meiner Schlafkammer durch
die Diele in das Gewölbe, um vermittelst einer Leiter
in den Keller steigen zu können, verdeckte das Loch
mit einer passigten Fallthüre, und auf die Stelle schob
ich einen grossen offenen Kasten.
[Hier hört das Manuscript des Jahres 1761 plötz-
lich auf; der weitere Bericht scheint abhanden ge-
kommen zu sein.]
Das Jahr 1762.
Zwei Briefe liegen noch vor aus diesem Jahre.
Der erste, vom 20. October 1762, lautet folgender-
massen :
Hochedelgeborener ... Herr Doctor!
Mein insonders hochgeschätzter Freund!
Soeben vernehme ich durch die aus Kassel ge-
flüchtete Mademoiselle Schmer fei den, dass Ew.
Hochedelgeb. samt übrigen guten Freunden nunmehro zu
Ollendorf*) das hessische Hospital aufgeschlagen hätten.
Ich stehe also im Zweifel, ob mein abgesantetes [so]
Baquet Briefe, welches auf Bremen an meinen Hochge-
*; Hessisch-Oldendorf bei Rioteln ist jedenfalls gemeint.
256
schätzten adressiret war, würklich angekommen ist;. An
meinen getreuen Herr CoUegam habe ich auch geschrieben.
Auf Antwort habe ich nicht gewartet, denn die h^ge
der Correspondenz ist bedenklich. Entweder ich hßi^
französische^Vorposten gegen die Alliirten oder die Alli-
irten gegen die Franzosen, und so lebe ich vom 24^ Jvm
bis heute den 20ten Octobris in lauter Angst und Eilend.
Indessen da nunmehro die würkliche Belagerung
den Anfang genommen hat, so können die Briefe an
mich sicherer als sonsten anlangen. • . .
Der Anschein mit dem Ruin von Kassel ist vor der
Thür. Ich hoffe auch dass, wann dieser Stein des An-
stosses wird gehoben sein, die allgemeine Sache einen
bessern Schwung bekommen wird, und wir alle, eine
Erlösung von unsern Banden werden zu gewarten haben.
Die Hungersnot in Kassel ist unerhört. Viele
Menschen sollen taumelnd auf der Strassen ohne Mit-
leiden ihrer Mitbrüder dahin sinken. Die grössten
Herren müssen mit Baumöl kochen und listiger Weise
einige Lebensmittel durch die Bauren meines Kirchspiels
erhalten. Ich selbst habe, da ich einen Actum bei
Kassel halten wollte, in der Tasche etliche Pfund Butter
bis in die Gegend der Thore getragen, die ein gewisser
von mir erbeten hatte. Es ist wunderbar, dass die-
jenigen Herren, welche wir sonsten durch Vorsprache
auf der untersten Treppe anfleheten und ohnerhört
zurückgewiesen worden, dass dieselben den geringsten
Bauren auf dem Lande mit Bittschriften um Lebens-
mittel besuchen müssen.
Denken Sie, libster Patron, der Herr Oberförster
Schrader muss auch wegen gewisser erhaltener
Commission die Bitterkeit der Stadt Kassel bis auf die
Hefen austrinken helfen. Ich habe ihm ebenwohl etliche
Mal gerettet, aber der letzte überbrachte Hammelsbraten,
den ich bis vor das Thor trug, ist bei der besten
2&7
Bestellung in eines anderen Freundes Hand geraten.
So gerne ich denselben als meinen besten Freund vom
Hunger retten wollen, so ist es nunmehro nicht mehr
möglich.
Ich habe 15 Tage selbst kein Fleisch' gessen,
und einen ganzen erkauften Hammel , um meinen
Freunden zu helfen, nach Kassel geschickt; aber leider
ist das Fleisch in der Husaren Hände geraten. Ich
habe deswegen dem Hn. Oberförster noch vor 3 Tagen
zur Flucht [zu] persuadiren suchen und mein Haus zur
Wohnung angebotten, aber keine Antwort erhalten
können. Dann die Stadt ist zu enge eingeschlossen,
und wer will die strenge Ordre übertretten, 'zumalen
da wir Unglückliche, die bis dahin vom französischen
Commisbrot leben, in den Verdacht geraten sind, als
ob wir arme Menschen Brot dem Feinde nach Kassel
vortrügen. So gross ist der Verdacht, dass Ordre aus-
gestellet worden, der Gemeinde Weiheiden und Roden-
ditmoll nicht allein den Ausgang ihrer Wohnung zu
versagen, sondern denenselben die noch übrige Lebens-
mittel gänzlich zu plündern. Ich machte mich zwar
auf den Weg, um supplicando bei dem Prinzen
Friderich*) eine Erbarmung zu erbitten, zeigete den
Ungrund aller Beschuldigungen, sogar die Unmöglich-
keit, weil diese Dörfer keine Hand voll Frucht geärntet
hatten und ihnen ihre Kühe von [den] Franzosen ge-
nommen wären: so hätten sie nichts als Obst nach
Kassel verkaufen müssen, weil man den Weg zu den
Alliirten versperrt hatte. Ich zeigte sogar von Eicheln
gebackenes, elendes Brot, — aber leider Gottes! der
Herr Brigademajor von Schulenburg achte es nicht
der Mühe wert anzuhören : er machte von dieser Rarität
*) Fr. Friedrich von Braunschweig leitete die Be-
lagerung von Kassel im Jahre 1762.
N. F. XV Bd. 17
258
gar nichts. Es blieb mir die Ordre ins Angesicht: die
Gemeinden sollen nichts kaufen, auch nicht säen, und
was sie haben, soll ihnen noch heute genommen werden.
Sie können die Wohnungen in einer Stunde verlassen
und hinter die Fronte gehen.
Diese Ordre betraf sogar den 14ten dieses iauch
mein Dorf, welches doch in den Händen der Alliirten
war. Des Abends kam ein Offizier, bedeutete uns, dass
wir binnen einer Stunde Kühe, Schweine, alle mögliche
Lebensmittel noch hinter die Fronte bringen sollten;
in so ferne (sie) ^',2 Pfund Brot bei uns gefunden
würde, so sollte es von ihnen genommen werden.
Ich brachte in der Angst alle das Meinige in den
Keller und schickte die Nacht ins Hauptquartier. Wir
hörten zum Trost den Misverstand von unsem Dorf.
Indessen hatte die schreckhafte Verbergung einen
Nutzen. Wir wurden vom Franzosen im Tagesanbruch
den 16tgg dieses attaquirt, die Vorposten wurden zurück-
geschlagen, die Retirade ging nach meinem verschanzten
Kirchhof, alwo ein hannoverscher Offizier mit 100 Mann
stunde. Aber sobald das herzhafte Türkencorps zurück-
kam und bei den Hannoveranern Schutz suchen wollte,
so marschirte der Offizier mit seinen Truppen ab, um
die Sicherheit am Lager zu haben und etwa Succurs
an sich zu ziehen. Es stunden . . . [damit bricht das
Schreiben ab.]
Das zweite Schreiben ist, wie aus dem Inhalt
desselben hervorgeht, vom 27ten October und ausführ-
licher als das vorige. Es hat folgenden Wortlaut*):
*) Gerichtet ist es ao den Patroo des Pfarrers Cuntz, den
ßegierungsrat von Dalwigk.
259
Wohlgeborner, Vest- und Hochgelahrter!
Insonders Hochgebietender Herr Regierungs-Rat!
Ew. Hochwohlgeboren wollen mit besonderer
Gütigkeit mir verzeihen, dass ich bei der Retour von
Bremen meine schuldige Aufwartung versäumen [!]habe*).
Die notwendige Eilfer[tig]keit zu meinem Ambt und
Haushaltung wollte mir keine Stunde mehr gönnen,
Ehre und Glück in Rinteln zu gemessen. Ich nehme
dahero die Freiheit, Ew. Hochwohlgeboren mit ver-
schiedenen Neuigkeiten schriftlich aufzuwarten. Es
sind aber lauter betrübte Begebenheiten von unser
Gegend, wahre Nachrichten, die ich täglich vor Augen
sehe u. s. w.
Vom 16ten_17ten [October] ist der Anfang mit
den Trancheen von Kassel gemacht, die Parallel-Linie
fängt auf dem Rodenberge über RodenditmoU an und
erstrecket sich mit verschiedenen krummen Haken bis
nach Wolfsanger, auf jenseits der Fulde zwischen Betten-
hausen und den neuen Häusern.
Die grossen Anfangs-Batterien sind retour über
RodenditmoU und beschiessen die Reissberger Schanze,
die andern sind unter D. Dyrose Garten**), die 3te
und 4^ auf den Höhen gegen dem Müncheberge
und kommen vor Wolfsanger nach dem Fasan-Hof zu ;
auf jenseit der Fulda eine starke Batterie über Betten-
hausen.
Den 17tcD morgens wurde diese allzu nahe Arbeit
attaquirt; dem Rufe nach wurden uns[er] s[eits] an Ge-
*) Über diese Keise vgl. o. S. 220.
**) Du Rosey's Garten an der Stelle des jetzigen neuen
Totenhofes. — Die diesen Aufzeichnungen beigegebene Karte zeigt
die Belageiungswerke um Kassel v. J. 1762 an, vde sie sich in
dem Werke: Histoire militaire de Mgr. le Prince Ferdinand, . . .
composee sur les Memoires de S. A. S. par M. W, 'Enrichie dos
cai tes & plans necessaircs par M. le Colone! de Bat4^r. A la Haye,
1764 fol. vorfinden.
17*
260
fangenen verloren 88 Mann und 50 Tote und Blessirte,
dahero die Werke besser retour gelegt sind.
Den 18ten wurde an den Trancheen fortgefahren
und so weit gebracht, dass schon einige Kanonen
konnten zur Bedeckung der Arbeiter abgebrannt werden.
Den 19ten fingen die Feinde eine der heftigsten
Kanonaden an auf alle angefangene Batterien und
Werke. Ich habe in einer Stunde 500 Kanonschüsse
gezählet, und diese Kanonade daurete mit gleicher Be-
ständigkeit von 10 bis abend 7 Uhr. Unserseits wurde
nur mit der 20. Kugel geantwortet.
Den 20ten brachten die Unsrige über RodenditmoU
ihre Batterie soweit schon fertig, dass mit 4 Kanonen
und 2 Bomben auf die Reissberger Schanze konnte
gespielet werden. Die erste Bombe sähe ich an das
kleine Häuschen unten am Berge fallen, welches an
einen Garten gebauet und Ew. Hochwohlgeboren sich
vielleicht besinnen werden. Die zweite fiel 50 Schritt
näher und die dritte vortrefflich mitten in die Schanze.
Hier bekam ich die erste kleine Freude über unsre
Feinde, und die Balisaden flogen ziemlich bunt den
H^- Franzosen um die Köpfe. Aber es wollte mir
doch nicht recht gefallen, da hiernächst mehr als 100
Kugeln nur in die Mitte an den Berg unter die Reiss-
berger Schanze fielen. Die Franzosen feureten dagegen
nur mit 2 Kanonen aus dieser kleinen Festung.
Den 21tfn wurde heftig mit Kanonen an unsrer
Seite fortgefahren, und es schienen die Kanonen der
Feinde etwas zum Schweigen gebracht zu sein ; täglich
und nächtlich wurde mit Bomben geworfen (foiige-
fahren), auch von jener Seite zwischen Durosey's
Garten und Wolfsanger sähe man harte kanoniren, die
Franzosen antworteten dreidoppelt, doch mehr rechter
Hand als nach der Seite [von] RodenditmoU.
261
Den 22te£ wurde unserseits den ganzen Tag das
Feuren stärker und mir besonders erfreulich. Aber leider
Gottes war der Abend desto trauriger! Um 5 Uhr
thaten die Franzosen einen allgemeinen Ausfall, nach
der Seite [von] Wolfanger stärker als linker Hand.
Das stärkste Feuer fing sich auf der sogenannten
Mombach an, allwo die Unserigen die zweite Parallel
angefangen haben.
Es war das Feuer der Sangershauser Bataille
ähnlich, aber es dauerte nur in der Mombach 10 bis 15
Minuten, so waren die Feinde Meister von diesen an-
gefangenen Werken und drungen rechter Hand aus alle
Batterien, vernagelten 4 grosse Kanonen; man will
sagen, es wären auch 2 verloren gangen.
Indessen kanonirte die Batterie von Rodenditmoll
die Franzosen entsetzlich in die Flanke, so dass die
Sache einen guten Ausgang gewann. Der Sucur
[Succurs] eilete herzu, und die Franzosen wurden mit
einem starken Feuer bis zu den Thoren begleitet. Da-
gegen wurden in der Gegend [von] Bettenhausen Vorteile
erreicht, 80 Gefangene gemacht, auch 2 Kanonen von
uns erbeutet. Relata refero.
Von dieser traurigen Affair e hörten wir des
Morgens verschiedene Meinung von unsern Verlust:
etliche Soldaten, die als blessirt zurück kamen, sagten mir,
wir hätten 400, andere 300, noch andere nur 150 Mann
verloren. Nach (dem) meinem Gesichte und der Anzahl
der Gewehre, welche von unserseits feureten und vor
meinen Augen zu Grunde gingen, däucht mich, e§
wären wohl 200 Mann, davon einige ohne Zweifel dem
Tode entronnen sind, verloren gangen.
Den 23t£o war es ziemlich ruhig, und die Fran-
zosen feureten wenig. Ich observirte mit meinem
grossen Perspectiv, dass nunmehr unsere Trancheen
über der Monbach zimlich avanciret waren und in die
262
Tiefe nach RodenditmoU abliefen. Es wurde wenig
kanoniii, nur auf die Reissberg-Schanze wurde das
Haubtwerk geriechtet; sie scliiene demontii*t zu sein,
wenigstens die Kanonen schwiegen von daher ganz
stille. — Aber die Nacht auf den Sonntag als
den 24ten war desto hitziger. Die Unserigen
wagten einen Haubtsturm mit etlichen Regimentern
und attaquirten von allen Seiten diese Reissberg*Schanze.
Aber leider! sie wurden mit Verlust zurückgeschlagen.
Der Lieutenant Knobell von [unleserlich]*) Regiment
hatte mit den Seinigen an der steil esten Anhöhe duieh
alle Baiissaden gekrochen und das Obirste ganz erstiegen,
so dass seine Leute mit Bayonetten gegen Bayonette
agirten. Da aber auf der andern Seite bei dem Eingang
der Schanze nicht recht avanciret wurde, auch derselbe
von hinten her keinen nahen Succurs bekam, so musste
dieser tapfere Offizier seine Eroberung fahren lassen
und mit grossen Verlust bergab retiriren.
Die Toten liegen noch heute nackend an dem
Berge. Vor einer Stunde schiene die Begräbnus vor-
zugehen. Der Verlust wird abermal verschieden an-
gegeben; einige sagen 200 Mann. Wenigstens vom
Regiment Alefeld sollen 50 Mann geblieben sein, auch
6 Offizier. Von der Wahrheit lasset sich nicht Gewisses
sagen, nur wir wurden geschlagen, das ist gewiss, —
doch auch gewiss, dass am Fortgang der Trancheen
nichts gehindert worden und einen solchen Fortgang
gewann, dass ich heute
den 25ten wahrgenommen, wie dieselbe Von der
Monbach in der Tiefe nach RodenditmoU, von dar über
*) Im Text stellt au dieser Stelle Battel, was aber uu-
möglich der Name eines Regiments sein kann. Ich weiss nichts
mit dem "Worte anzufangen. Den Bestand des Belagerungscorps
s. in der Geschichte der Feldzüge des Herz. Ferdinand, von F. 0.
*W. H. von Westphalen, Bd. VI. S. 917.
263
den Weg, der von Rodenditmoll nach Kassel gehet,
sich bergauf lenket solchergestalt, dass die Arbeiter nur
noch 200 Schritt von der Reissberger Schanze im
Graben stehen, dass es das Ansehen hat, als wollten
sie solche vom übrigen Festungswerke abschneiden;
deswegen die Batterie über Rodenditjpoll diese Nacht
auf den
26*65 ungemein auf die Reissberger Schanze ge-
feuret und die neue eingesetzte Baiissaden abermal
zerstreuet, auch übrigens das ganze Werk in unbrauch-
baren Stand gesetzt, dass ich gewiss glaube, diese
fatale Schanze hat ihre Kraft verloren, und die AUiirten
werden ruhiger von dieser ihre Arbeit bis an den Giss-
berg führen.
Heute den 27^ habe ich wegen Nebel und Dampf
nichts observiren können. Nur in vergangener Nacht
gegen 12 Uhr schiene es mir nicht zum besten zu sein,
die Franzosen beunruhigten die Arbeiter sehr stark.
Das Feuer wollte einem Ausfall gleichen; es nahm auf
einmal beiderseits ein Ende.
Mein Trost war dieser, dass ich kein avancirentes
Feuer contra uns wahrnahm, und dass die RodenditmoUer
Batterie mit Bomben grausam um sich warf und fünf
Kanonen auf einmal losbrennete. Diesen Morgen sehe
ich die Arbeiter an ihrem Graben, der diese Nacht
zimlich breit und hoch gemacht worden.
Ich habe nunmehro Hoffnung, dass wir Kassel vor
Ende November aus der Hungersnot gerettet sehen.
Das himmelschreiende Elend ist in Kassel unbeschreib-
lich. Die ansehnlichsten und reichsten Familien leiden
an allem Mangel und müssen mit Ol schmelzen. Für
ein Viertel Korn sind 100 Rthlr. gebotten; 20 Eier
3 Rthlr.; 2 Gulden vor ein Pfund Butter. Ich habe
einigen mit grosser Gefahr in meiner Tasche Butter
und Fleisch nach Weiheiden getragen, um meinen
26*
guten Patron vonWilkenitz mit etwas zu regaliren,
und verschiedene gute Freunde geholfen. Die Vor-
sehung Gottes spielet wunderbar. Die Grossen müssen
anjetzo bei den geringsten Bauren Bittschriften wegen
Lebensmittel einlegen, dass mit List durch die Vor-
posten etwas getragen wird. Wir flüchteten sonst in
die Stadt, anjetzo flüchtet alles nach uns. Mehr als
tausend Familien sind aus Kassel gewichen. Gestern
wollte ein Bürger seine Rettung aus Kassel suchen;
der Vorposten bedeutete ihn, dass er Ordre habe, Feuer
zu geben, und niemand ohne Pass sich nähern dörfte.
Er war es zufrieden und wollte sich erschiessen, weil
er doch Hungers sterben sollte.
Unser Elend ist wohl das betrübteste, das in
Geschichten der Welt selten zu finden ist. Roden-
ditmoU und Weiheiden bekamen neulich die Ordre,
>dass sie nicht allein kein Brot mehr an un8er[n] Vor-
posten kaufen, noch weniger ihre Felder besamen
sollten; sondern sogar sollte ihnen der geringe Rest
von Lebensmitteln] samt den Vieh noch genommen
[werden], um sie zu zwingen, die Wohnungen zu ver-
lassen«. Sie sämtlich sollten hinter die Fronte, weil
sie in den unschuldigen Verdacht geraten [waren], als
ob sie Brot den Feinden vorgetragen hätten, — da
doch die armen Leute von Eicheln Brot backen, wovon
ich ein Stück im Haubtquartier nej)st einer Supplik
übergab, aber obige Antwort erhielt/
Noch den 14*^ des Abends kam aus Mis verstand
die Ordre durch einen Offizier an unser Dorf, welches
doch mit alliirten Türken besetzt war : in einer Stunde
sollten wir Kühe, Schweine, in Summa alle mögliche
Lebens[mittel] hinter die Fronte tragen, bei der Wei-
gerung morgens früh daran völlig auszublündern. Eine
schröckhafte, französische Attaque auf unser Dorf
rettete uns, und wir gewannen Zeit, andere Ordre
265
wenigstens vor unser Dorf einzuholen; und des Nach-
mittags wurde der Schauplatz geändert, die Türken
abgelöset, und ein neuer Succur[s] von Hessen, welche
über Zwehren bis nach der Tünche*) zu stehen kam,
war gnädiger vor uns, dass bis dahin in Weiheiden
keine Plünderung vorgenommen und die Umstände
etwas leidlicher wurden.
Dieses Lager stehet nunmehro und ist nach er-
littenem Ausfall über Wahlershausen zu stehen ge-
kommen. Das andere Lager gehet von Harleshausen
bis an und über die Fulda, so dass es gerade über
Sangershausen am Berge bis nach dem Messingshamer
sich erstreckt, welche die Attaque auf die Altstadt vor-
nehmen [so!], wovon ich keinen Augenzeugen abgeben
kann, wohl aber vernehme, dass die Werke von Rod«n-
ditmoU glücklich und näher an die Stadt gebracht
worden sind.
Drei Attaquen werden also das Garaus machen :
erstens auf den Gissberg; die andere auf das Ahna-
berger und Müllerthor; die dritte auf die [!] Alte-Neu-
städterthor.
Was nun mein Leiden in diesem Elend anbelangt,
so ist es zu weitläufig, Ew. Wohlgeboren damit zu be-
lästigen. Vom 11*22 April bis heute habe [ich] in den
Vorposten gestanden, entweder unter den Franzosen
oder unter den Alliirten gegen die Franzosen. Wir
sind nun vom Jamer und Not und Unterdrückung ganz
domig**) und liegen in [einer] Art von Betäubung. Ich
erwarte abermal von . . . [unleserlich] Gnadenbrot zu
essen, und ich will gerne zufrieden sein, wann ich hur
bei dem Verlust meiner Auslage auf meine erwarte[te]
Besoldung nur das trockene Brot könnte geschenkt
*) Die Dönohe, ein Wald zwischen Wilhelmshöhe und
Zwehren.
**) Domig = dömig, dämlich?
266
bekommen, b^lz Viertel habe ich gelehnet und kann
sie nicht als durch erhoffte Gnade bezahlen.
Wollen Ew. Wohlgeboren ein Werk der Barm-
herzigkeit thun und bei aller Gelegenheit mein Patron
sein, dass durch gütige Vorsprache meine Not an den
Tag kommt, da ich vor allen meinen Nachbarn keine
Metze Korn geärndet habe, so will ich Gott bitten, dass
er Ew. u. s. w. in seinen heiligen Schutz nehme u. s. w.
Damit endigen die Briefe des Pfarrers Johann
Christoph Cuntz, soweit sie die Kriegsbegebenheiten,
die er erlebte, betreffen.
Zum Schluss geben wir noch eine Bittschrift wieder,
welche er am 5. Januar 1763, also nach Beendigung des
Krieges, an seinen Landesherrn richtete. Nachdem er ein*
gangs derselben hervorgehoben, dass er bereits im Jahre
zuvor mit einer milden Beisteuer begnadigt und »in Mut
gesetzt worden sei«, von frischem das Kriegsfeuer aus-
zuhalten, bittet er um neue Gnade und berichtet:
»Acht Monat anhaltend, vom 11. April p. a., hat
das Kriegsfeuer bei mir gewütet. Die erste Plage war
die vom Feind erzwungene Bestellung der Felder unter der
versprochenen und nicht völlig geleisteten Aussaat. Der
erste Stoss war der Verlust ä 200 Rthlr., darauf folgete
die härteste Einquartirung des Monetischen Freicorps
vom 11. April bis zum 20. Juni, da die französische
Armee das Campement allhier aufschlug, wobei die
Quartiere so enge wurden, dass bei mir allein der Duc
de Mally; de Dyras et Duc de Fronsac logiren mussten.
Deren Abzug war den 22. Juni, und den 24. waren sie
schon alle wieder da und bezogen mit Rumoren unter
fürchterlichen Bedrohungen den hiesigen Kampfplatz.
Der köstliche Johannistag kostete mich also mein gänz-
liches JBrot und Gemüse, auch grossenteils meine
267
Gesundheit. Das unvermutene Ansinnen der franzö-
sischen Offizier, bald Wasser bald Fourage unter dro-
henden Stössen persönlich in die Schanzen zu tragen,
brachte mich aus meiner Contenance und zu einem
Stickfluss, welcher samt dem meinigen zur langwierigen
Krankheit ausschlug, welche mir desto schmerzhafter
war, indem die vor dem Dorfe errichteten feindlichen
Linien mit Kanonen und Bomben unserm Dorfe ganzef
4 Wochen lang, besonders den 11. Juli bei Vorrückung
eines Corps a 15000 Mann Alliirten den Untergang mit
Brand droheten ; welchem Unglück ich allein unter kläg-
lichem Geschrei durch die unmögliche Retirade, welche
mir der franz. Commendant auf meinem s. v. Kranken-
bette ankündigte, ausgesetzet war, mithin die zwar ver-
gebliche, doch offenbare Angst aushalten musste. Bis
auf den Tag der Eroberung des Kratzenberges, den 23.
Junii, haben wir 3 Wochen lang in Hungersnot und in
grosser Angst zwischen Freund und Feind liegen müssen.
Ob zwar durch den erfolgten Abzug der feind-
lichen Armee vom 15. August allen anderen Gegenden
eine erfreuliche Linderung war, so blieben wir in unsren
Thränen und gerieten von neuem ins Unglück an der
Spitze der alliirten Blocade von Kassel, und zugleich
unter Türken von Br[aunschweiger] Corps, welche
unsren letzten Blutstropfen verzehrten, den Kirchhof
verschanzten und 8 ganzer Wochen von daraus nach
dem Kratzenberge scharmutzirten, dass kein Tag und
Nacht vorbei eilete, worinnen nicht Kugeln ins Dorf
und an mein Haus flogen, wobei ich bei scharfen
Attaquen besonders des Nachts dem Schröcken und
Verlust vor andern blosgestellet war; dergestalt, dass
unsere eigene aufgebrachte Truppen, welche meine
wenige Amte und Gemüse schon einmal verzehret
hatten, auch wieder das gesteuerte und erkaufte Brot
prätendirten und bei augenscheinlicher Unmöglichkeit
268
mit Schimpf- und Spottreden mich anfielen, welches
mich bei der Aufopferung aller meiner Habe fast bis
an den Rand der Verzweiflung brachte.
Mein erlittener Schaden, welcher die schärfste
Untersuchung aushält, belauft sich ohne Plünderung an
Fourage in Sa: 62860 Rationen. Von 170 Acker Land
und Wiesen habe ich keine Hand voll einer Art von
Früchten geärntet, ausgenommen 2 Wagen voll Omaden ;
mein Feld ist eine Wüstenei, und von 100 nur 4 Acker
mit Korn besamet sind u. s. f.«
Einem anderen etwas späteren Bittgesuche an den
Landgrafen zufolge habe er, Pfarrer Cuntz, nicht nur
6 Jahre lang sein in der Amte von 4 Hufen = 125
Ackern bestehendes Salarium verloren, sondern auch sein
Inventar mit 900 Rthlrn. wieder herstellen müssen.
In wie weit dem schwer geschädigten Manne ge-
holfen wurde, ist leider nicht bekannt. Wer indessen
wie er alle Widerwärtigkeiten des Kriegs mit passiver
Zähigkeit überdauert; wer sogar die Gabe besitzt, solche
unverblümt, oft mit einem gewissen Humor, bis ins
Einzelnste dem Papiere anzuvertrauen, der ist von einer
unverwüstlichen Lebenskraft. Ein paar Jahre später
sehen wir den trefflichen Mann denn auch wiederum im
alten Geleise. Wie natürlich, ist ihm der Ackerbau als
die Hauptquelle seiner Einnahmen auch ein Hauptmittel-
punkt seiner Beschäftigung. Als daher am 21. Oct. 1765
in der Casselischen Policey- und Commercien-Zeitung die
Errichtung einer Ackerbau - Gesellschaft angekündigt
und jedermann zur Einlief erung von Schriften über den
Landbau eingeladen wurde, da griff auch Pfr. Cuntz
zur Feder und brachte seine Beobachtungen zu Papier,
und dies ist das letzte der von ihm erhaltenen Schrift-
stücke. Es zeigt uns den einst so vielgeplagten Dulder
als denkenden und rührigen Landwirt und gewährt
somit einen versöhnenden Abschluss. —
^3&
269
V.
Das Damenstift Wallenstein zn Homberg
unter J^r^me
von
Arthur Kleinschmidt.
üdöstlich von Wabern liegt das Städtchen Homberg,
(in dessen Nordosten sich auf steilem Berg die
Trümmer des schon 1065 erwähnten festen Schlosses
gleichen Namens erheben. Dasselbe befand sich 1304
im Besitze der nach 1312 erloschenen Familie von
Hombergk (Homberg) und fiel dann an den Landesherrn
heim; 1370 im Besitze der Familie Riedesel von Eisen-
bach, kam es dann wieder an den Landesherrn, den
Landgrafen von Hessen. 1472 erhielt es der Sohn des
Landgrafen Ludwig H., der Kurfürst-Erzbischof Her-
mann IV. von Köln, zu »lebenslänglicher Leibzucht«
und begann 1504 den Neubau des Schlosses, starb aber
kurz nach dessen Vollendung am 27. September 1508
und das Schloss fiel an den Landgrafen zurück. In
dem Städtchen, das 1234 zuerst erscheint, fand im
Oktober 1526 die Synode statt, infolge deren die
Reformation in Hessen eingeführt wurde. Mit grossen
Kosten erneuerte Landgraf Moritz 1605 die verfallenen
Gebäude des Schlosses und verlieh ihm starke Wälle,
während drunten in Homberg sich viel Adel niederliess.
270
Im dreissigj ährigen Kriege wurde das feste Schloss vom
hessischen Oberstwachtmeister Engelhard Breul aufs
tapferste gegen den kaiserlichen Feldmarschall Grafen
Johann Götz vertheidigt, aber doch 31. Juli 1636 zur
Capitulation gezwungen; eine zweite Belagerung bestand
es 1647 unter dem Obersten Jacques Gerhard, einem
Niederländer, der es für den Kaiser wacker verthei-
digte, bis ihn die Hessen unter dem Generalmajor von
Rabenhaupt im Januar 1648 zur Capitulation nöthigten.
Landgraf Karl gab den Plan, das zerstörte Schloss
wieder aufzubauen, auf und es liegt seit 1648 in
Ruinen. Unweit von Homberg hausten die Herren von
Wallenstein zu Neuenstein, die Nachkommen eines alten
mächtigen Grafenhauses im Knüllgebirge, zwischen
Hersfeld und Schwarzenborn lag das Stammschloss ;
früher Grafen (Graf Könrad starb vor 1317), führten
die Wallenstein von Kohrad ab nur den Freiherrntitel,
stellten den Landgrafen von Hessen eine Reihe an-
gesehener Staats- und Hofbeamten und starben 18. Nov.
1745 im Freilierrn August Gottfried, landgräflichem
Geheimen Regierungsrathe zu Marburg und Sohn den
Oberamtmanns zu Homberg und Borken, Christian
Wilhelm, im Mannesstamm aus, worauf ihre Lehen an
Hessen heimfielen. Das sehr bedetitende Familien-
vermögen aber wurde von der Erbtochter des Geschlechts,
seiner Schwester Marie Amalie, der Gattin des Geheimen
Kriegsraths von Schlitz, zur Gründung eines Fräulein-
stifts in der Neustadt zu Homberg verwendet, in dem
nur Damen mit sechzehn Ahnen aufgenommen werden
durften; ihre Zahl war auf dreizehn begrenzt. Marie
Amalie starb zu Frankfurt am Main am 31. December
1762 und ruht in der dortigen Weissfrauenkirche. Bald
brach ein Sturm über ihr Stift herein. Homberg hielt
innigst an dem angestammten Herrscherhause Brabant
und litt darum schwer unter der Fremdherrschaft, die
271
mit 1806 begann. Zu Ende dieses Jahres bereits
rührte es sich dort gegen die neue Regierung, am 22.
Deeember lag auf dem Markte ein Aufruf »an die
braven Hessen« , sie sollten die Waffen »gegen die
schändlichen Franzosen« ergreifen, die sie »in Sklaverei
nach Frankreich führen und dorten allmälig ermorden«
wollten; und am 29. Deeember war in Homberg alles
auf den Beinen, was Soldat oder Bauer hiess, schrie
»Vivat der Kurfürst !«, konnte aber natürlich den Gang
der Ereignisse nicht hemmen. J^rome wurde 1807
König von Westphalen, Homberg dem Distrikte Marburg
des Werra-Departements zugewiesen. Die Gesinnung
blieb althessisch, franzosenfeindlich, und ihren Mittel-
punkt fanden die Unzufriedenen in dem Wallensteinschen
Stifte. Hier wohnten eben nur drei Damen, die Äbtissin
Charlotte Christiane Wilhelmine von und zu Gilsa, die
Dechantin Marianne vom und zum Stein und die
Canonissin Erdmuthe Wilhelmine von Metzsch. Im
Städtchen hingegen lebte, wie schon erwähnt, seit
Alters viel Adel, und diese Edelleute vom Lande, die
dem leichtlebigen Casseler Hofe unter Jerome's Scepter
beharrlich fern blieben, standen im engsten Verkehr
mit dem Stifte. Wir finden damals in Homberg
Sophie, die Schwester des 1808 verstorbenen Staats-
ministers von Baumbach, mit ihrer Nichte Karoline und
die Freifrau Wolff von Gudenberg, deren Bruder Georg
von Dalwigk zu den Führern der Dörnberg'schen Insurrek-
tion gehörte. Brüder, Vettern, Freunde von auswärts be-
suchten häufig das Stift und jene drei Damen, und um
das lauernde Auge der westphälischen Polizei zu täuschen,
wurden die Besuche durch Festlichkeiten aller Art
erklärt; thatsächlich aber dienten sie Beredungen des
kühnen Freiherrn von Dömberg und seiner Casseler
Gesinnungsgenossen mit den Althessen in und um
Homberg. Zu letztern gehörten auch der Forstinspector
272
(in Homberg), Freiherr Wilhelm von Buttlar, während
seine Schwester Elisabeth und ihr Gatte, Freiherr Karl
Ludwig von und zu Gilsa, der Bruder der Äbtissin, am
Hofe J^rome's in Ansehen standen, Gilsa das Amt des
hessischen Oberstallmeisters und Kammerherrn mit dem
des Obersthofmeisters der Königin Katharina vertauscht
hatte und in ihrer Correspondenz mehrfach rühmend
erwähnt wird. Besonders rührig für die einzuleitende
Erhebung waren einige Bürgerliche, voran der Sous-
inspecteur und Bureauchef der Domänen- und Forst-
direktion, Karl Wilhelm Ernst Berner in Homberg, der
greise Metropolitan daselbst Martin und sein Sohn, der
Friedensrichter zu Frielendorf bei Homberg, Sigismund
Peter Martin. Dieser Martin stand in regem Verkehr
und gefährlichem Briefwechsel mit Professor Henrik
Steffens, dem grossen Patrioten in Halle, den er einst
in Hamburg kennen gelernt hatte, war ein brauchbarer
Alliirter, aber kein makelloser Charakter, und mit
richtigem Instinkte versagten ihm die althessiscjien
Offiziere ihr Vertrauen ; sein Schwiegervater, der Provisor
Rommel, der Tuchmacher Philipp Ehrenfeld u. a. Hom-
berger traten ebenfalls zu der Verschwörung, für die
der Friedensrichter Martin und Berner die Dorfgemeinden
im Schwalmgebiete und am Habichtswalde zu bearbeiten
wussten; auch lebten in der Gegend alte Soldaten und
verabschiedete Offiziere genug, die gleiche Gesinnung
hegten, das Pfarrhaus in Felsberg sah häufig Patrioten
in seinen gastlichen Räumen, der freundliche Pfarrer
Karl Christian von Gehren und der Hauslehrer seiner
Kinder, Böttger, verstanden es, ihnen die Nothwendigkeit
einer Erhebung darzulegen.
Während die Äbtissin von Gilsa wenig in den
Vordergrund trat, spielte die Dech antin des Wallen-
stein'schen Stifts in der Verschwörung, die sich immer
enger um Dörnberg gruppirte, eine leitende Rolle.
273
Marianne (Maria Anna) vom und zum Stein war eine
Schwester unseres genialen Staatsmanns, des stolzen
Reichsfreiherrn Karl, an dem sie um so mehr in be-
geisterter Liebe hing, weil sie ihm auffallend ähnlich
war: dasselbe lebhafte, klare, blaue Auge, dieselben
entschlossenen geisterfüllten Züge, dieselbe bestimmte,
kernige, lebendige Redeweise; wenn sie auch alt und
verwachsen war, so vergass man es um ihrer Feuer-
seele, ihrer Klugheit, ihres kühtien Gedankenflugs willen.
Wenn der Gatte ihrer Nichte Louise, der sächsische
Minister Graf Friedrich von SenfFt-Pilsach, sie in seinen
Memoiren (Leipzig 1863) ungünstiger beurtheilt, sie als
sehr exaltirt und bizarr schildert, 60 liegt dies an seiner
französischen Parteilichkeit; trotzdem gesteht auch er
ein, sie sei von bedeutendem Geiste gewesen und habe
bei grosser Schlichtheit des Charakters auf ihre Um-
gebung den Einfluss einer überlegenen Natur ausgeübt,
wie sie auch später als Äbtissin ihr Stift voll Geschick
und Erfolg geleitet habe. Fräulein vom Stein feuerte
die Damen in Homberg und die zum Stifte kommenden
Patrioten immer wieder an und mit Schwärmerei
lauschte Karoline von Baumbach ihren Worten, während
sie in das roth-weisse Hessen-Banner den Spruch stickte :
»Sieg oder Tod im Kampfe für das Vaterland!« Stein
stand mit seiner Schwester lebenslang in eifrigem Brief-
wechsel und erschloss ihr die Tiefen seines Herzens,
Hess sie hineinblicken, wenn es trübe und bekümmert
darin aussah.
Das Ungestüm des Friedensrichters Martin, dem
die Volksmassen gehorchten und der sich gern »Oberst«
tituliren hörte, nöthigte Dörnberg, voreilig loszuschlagen,
den 22. April 1809 zum Losbruche zu bestimmen.
Schon am frühen Morgen rief die Sturmglocke an der
Schwalm und Diemel das Volk gegen die Fremdherr-
schaft zusammen, Landleute und verabschiedete Soldaten
N F XV Bd. 18
2U
eilten Homberg zu, zeigten aber nicht eine Spur von
Disciplin; nichts lag ihnen ferner als dem »Oberst«
Martin gehorchen zu wollen, nach wenigen Stunden
war das Strohfeuer des Enthusiasmus verraucht und
Martin erkannte die Unthunlichkeit, eine tausende von
Köpfen zählende ungeschulte und regellose Masse zu
lenken. Auf dem Markte standen beide Schwadronen
des ersten Cuirassierregiments, das im März 1809 nach
Homberg und Melsungen verlegt worden und in dem
Dörnberg's Bruder und andere Offiziere für die Ver-
schwörung arbeiteten ; beide Schwadronschefs aber fehlten,
statt ihrer kommandirten Rittmeister von Weissen und
Lieutenant von Girsewald. Ersterer stellte in einer An-
sprache seiner Mannschaft frei, sich der Bewegung an-
zuschliessen oder vorerst neutral zu bleiben. Kleine
Detachements der Cuirassiere begünstigten den Losbruch
in Felsberg, Ziegenhain und Wolfhagen ; von den Leuten
in Homberg hingegen ritten mehrere, ihres Fahneneides
an Jerome eingedenk, nach Melsungen ab und bestürmten
im Vereine mit den dortigen Stabsoffizieren den Regi-
mentskommandeur Oberst von Marschall, er möge nach
Homberg vorrücken und ihre Kameraden zum Gehorsam
zurückbringen, worauf er mit einem D^tachement auf
Homberg los ritt. In Cassel hatte man frühzeitig von
dem Ausbruche der Erhebung Kenntniss erhalten, ohne
Dörnberg's Betheiligung zu ahnen; er aber glaubte an
Verrath und eilte, um nicht verhaftet zu werden, nach
Homberg ; er gedachte, mit dem Bauernheere Cassel
anzugreifen. In Seh weiss gebadet, traf er gegen 5
Uhr des Nachmittags in Homberg ein, wurde mit
donnerndem Jubelrufe begrüsst und ging direkt in das
Stift, wo er der von allen Seiten nachdrängenden Menge
die Entdeckung des Vorhabens und die in Cassel be-
ginnenden Strafm ausnahmen verkündete und grosse
Muthlosigkeit erzeugte. Die Cuirassiere unter Marschall
2^5
kamen aus Melsungen heran, es gelang aber Dörnberg's
Ueberredung, den Oberst bis zum folgenden Morgen zut
Neutralität zu bewegen, und anstatt Dörnberg zu verhaften,
ritten die Cuirassiere nach Melsungen zurück. In Hom-
berg war keine Rede von Unterordnung, Martin lief als
Oberst in Uniform umher, fast nur die Forstleute
hatten Schiesswaffen, die Andern begnügten sich mit
Knütteln, Mistgabeln und Sensen. Die Stadt verab-
reichte Wein und Branntwein, was die Köpfe bedenklich
erhitzte; der letzte Rest von Ernst und Ruhe ging
darauf, man schwur zwar den Franzosen Tod und Ver-
derben und Hess mit heiserer Stimme den Kurfürsten
hochleben, aber je mehr es Abend wurde, um so ent-
muthigter schlichen Viele davon. Im Stifte hingegen be-
wahrten die um die Dechantin und um Dörnberg ver-
sammelten Führer ihre Zuversicht, der Zug auf Cassel
wurde wiederum beschlossen, am Abend marschirten die
Insurgenten auf dem Markte von Homberg auf, die Offi-
ziere erschienen vor der Front, Karoline von Baumbach
überreichte, von den Strahlen der sinkenden Sonne ver-
klärt, Dörnberg das Banner Hessens, er nahm es ent-
blössten Hauptes an und rief dröhnend »Ja, Sieg oder
Tod ! « die Anfangsworte des Bannerspruchs ; von allen
Lippen flog ihm das Echo zu: »Sieg oder Tod ! „Ehren-
feld trug das Banner den Scharen voran, als sie um
8 Uhr Abends von Homberg abmarschirten, um am
23. April bei der Knallhütte, anderthalb Stunden von
Cassel, eine totale Niederlage zu erleiden. Dörnberg
selbst blieb nichts übrig, als »Rette sich wer kann!«
zu rufen; mit dem Forstinspektor von Buttlar eilte er
nach Homberg, Hess hier seine Uniform, entlieh von
ihm einen alten Ueberrock und von der Aebtissin 20
Friedrichsd'or und flüchtete über Fulda nach Böhmen.
Die westphälischen Gerichte hatten überviel mit den
Insurgenten zu thun ; uns interessirt hier nur das Ge-
18*
276
schick, welches äher das Stift in Homberg nnd die
dortigen Verschworenen heraufzog. Am Abend des
26. April erschien, von einem Militärdetachement her
gleitet, ein Polizeibeamter in Homberg, verhaftete die
drei Stiftsdamen, Frau von Wolff, Sophie und Karoline
von Baumbach, Franziska Martin und ihren Vater, den
Metropolitan Rommel, den Postmeister Humburg und
viele Andere, führte sie in das Castell nach Cassel und
da dies öberfüllt war, in das öffentliche Gefängniss.
Dasselbe Loos traf den Pfarrer von Gehren, Wilhelm
von Buttlar und zahlreiche Leidensgefährten. Die
Schuldigen wurden in verschiedene Kategorien getheilt,
denen mit verschiedenem Masse gemessen wurde ; Buttlar
und Dalwigk wurden zwar gleich Dörnberg und von der
Malsburg durch königliches Dekret vom 29. April ab
Verräther am Vaterland und am König zum Tode yer-
urtheilt, doch befand sich nur Buttlar in Händen seiner
Verfolger; Gilsa und seine Gattin erflehten und er-
langten von Jeröme seine Begnadigung, und die Weg-
führung nach Metz war seine einzige Strafe; der hol-
ländische Gesandte Ritter Huygens meint in seinem
Berichte an den Minister des Aeussern, Ritter RoeU
(Reichsarchiv im Haag) 4. Mai, es sei wegen des Eän-
flusses der weitverbreiteten Familie Gilsa geschahen,
während die Aebtissin nach einem Berichte des fran-
zösischen Gesandten Baron Reinhard das Anerbieten
Jerome's ablehnte, bei ihrem Bruder zu leben. Als es
in Homberg noch einmal unruhig zu. werden begann,
stellte ein Detachement französischer Jäger rasch die
Ruhe her (Depesche Huygens an Roell, 11. Mai).
Die Stiftsdamen hatten den besonderen Grimm
Jerome's und seiner Regierung erweckt; sie wurden
beschuldigt, sie hätten die Fahnen und Schärpen für
die Führer der Insurrektion genäht und gestickt und
letztere mit 3000 Thalern unterstützt. Ihre Papiere
277
wurden beschlagnahmt, doch ergab sich aus denselben
gegen sie nicht das mindeste. Ihre Verhaftung machte
überall ungeheures Aufsehen, sie war aber nur die Ein-
leitung zu weiteren Gewaltakten. Am 80. April ver-
fügte ein königliches Dekret die Beschlagnahme und
Sequestrirung des Vermögens des freiadligen Damen-
stifts Wallenstein und am 4. Mai ernannte Staatsrath
Freiherr von Coninx, der Generaldirektor der Domainen-
und geistlichen Güter, den Generalsekretär Criamer in
Gassei zum Beschlagnahmekommissär. Gramer ging
nach Homberg, theilte den ihm gewordenen* Auftrag
dem Syndikus und Administrator Stiftsrath Lichten-
berger mit und gab die Erklärung ab, laut königlicher
Verfügung seien wegen Theilnahme am Aufstande die
Aebtissin von Gilsa, die Dechantin vom Stein und die
Stiftsdame von Metzsch ihrer Präbenden verlustig, das
Beschlagnahme- und Sequestrationsverfahren betreife
das gesammte Stiftsvermögen im In- und Ausland und
Coninx sei dazu berufen, dies Vermögen selbst zu
sequestriren. In Gegenwart des Stiftspersonals nahm
Coninx Namens der Regierung vom ganzen Stiftsver^
mögen in aller Form Besitz, untersagte Lichtenberger
jede weitere Disposition darüber und über die Stiffcs-
einkünfte, beliess ihn in seinen Aemtern, verpflichtete
ihn aber am 17. Mai durch Handschlag als Diener der
Krone Westphalens ; den Direktor des Stifts hingegen, den
Generalfeldmarschall-Lieutenant Freiherrn von Secfcen-
dorflf, enthob J^rome des Amts, setzte ihn auf Halb-
sold, pensionirte ihn förmlich 16. Sept. d. J. und .er-
setzte ihn durch den bisherigen Inspektor von Ha^en
(am 1. Febr. 1811 folgte diesem als Stiftsdirektor Schön-
hals^ bisher Administrator der Ordenskasse). Mit Hülfe
des Homberger Cantonsmaire inventarisirte Gramer vom
5. — 17. Mai das Stiftsvermögen, dann führte er alle
Dokumente, Werthpapiere und Coupons nach Cassel
278
über, dazu die Stiftsinsignien im Werthe von 10000
Thalern, die nach einem Schreiben von Coninx am
19. December 1809 dem Könige ausgeliefert wurde»,"
das Stiftssiegel, den Kassenbaarbestand von 300 Thalem
20 Groschen und das Silbergeräthe im Werthe von
6000 Thalern ; letzteres wurde für 987 Thaler 21 Groschen
zur Einschmelzung an die königliche Münze in Caasel
abgegeben oder vom Notar Diede am 28. Juni 1809 in
Cassel für 1032 Thaler 16 Groschen öffentlich ver-
steigert. Die aus diesem Geräthe erlösten Gelder wurden
bei der Kasse des Kronschatzes eingeschrieben, flössen
aber in den Gratifikationsfonds für das Militär. Das
wenige Silbergeräthe, welches in Homberg geblieben,
wurde später auf Anordnung von Schönhals nach Cassel
geschafft und sein Geschick blieb unbekannt, doch
spricht die Wahrscheinlichkeit dafür, dass es ebenfalls
versteigert wurde, ein Brief von Schönhals vom 9. Juni
1813 sonderlich lässt darauf schliessen. Auch ein Stück-
fass Rheinwein lagerte im Stiftskeller und während eine
Stiftsdame, Gräfin zu Sayn- Wittgenstein, vergebens
darauf Anspruch erhob, wurde es nach Cassel gescha£Ffc,
für 446 Thaler 14 Groschen verkauft und diese Summe
gleichfalls dem Gratifikationsfonds für das Militär über-
wiesen. Die am 18. Okt. 1870 in Fulda vom Stifts-
syndikus Kuhlmann für die preussische Regierung ver-
fasste »Ermittelung und Feststellung der unter der
Gewaltherrschaft des Königs von Westphalen dem frei-
adeligen Stift Wallenstein früher zu Homberg jetzt zu
Fulda entrissenen Vermögens-Objekte«, welche mir durch
die Güte der gegenwärtigen Dechantin, Ihrer Erlaucht
der Gräfin Amalie zu Ysenburg-Büdingen-Philippseich,
übermittelt und von mir zu dieser Darstellung ver-
wendet worden ist, bietet noch manchen weiteren 'Auf-
schluss. Wir ersehen, dass sobald einer der Stifts-
direktoren genug Geld aus dem Stiftssäckel flüssig
279
gemacht hatte, ein anderer daran kam, sich bereicherte
und neue Abzugskanäle grub, um die Stiftsgelder für
das Königreich Westphalen mobil zu machen. Nach
der Bewältigung des Dörnberg'schen Aufstands hatte
Jerome der Garde, den Cuirassieren und den Jägern
einen Monatssold als Gratifikation verwilligt, d. h.
94000 Frs., aber er hatte das Geld nicht, und so nego-
ciirte er am 17. Juni 1809 bei dem Hofbanquier Jordis
in Cassel ein Darlehen von 41986 Frs. 47 Centimes,
für die er als Faustpfand die dem Wallensteiner Stifte
gehörigen österreichischen Obligationen von 46000 Gulden
Wiener Courant Nominalwerth ansetzte, wobei er zu-
gleich bestimmte, es sollten die gesammten Gratifi-
kationsgelder nur aus den Stiftsrevenuen gedeckt werden.
Da letztere in keinerlei Verhältniss zur Höhe der Grati-
fikationsgelder standen, so genehmigte der Finanz-
minister am 31. Juli d. J. die Kündigung und Ver-
wendung der b^i dem Grafen von Bentinck für das
Stift auf Hypothek ausstehenden 20000 Thaler Gold
und anderer Schulden, zusammen von 26000 Thaler
Gold, von Hagen, damals noch Generalinspektor der
Domänen und Administrator der Ordensgüter, erhielt
letztere Summe, gab davon 4500 dem Hofmarschalle
von Boucheporn und 3000 dem Grafen Keller in Stedten
auf Hypothek und der Rest wurde zum Nutzen der
Ordenskasse, wahrscheinlich auch zu Gratifikationen an
das Militär verwendet; Graf Keller trug seine Anleihe
allmälig ab, von dem an Bouchporn Geliehenen rettete
das Stift schliesslich im Jahre 1835 nur 5000 Frs.
Uebrigens hatte das Stift schon einmal für Jerome
einen Aderlass erlitten ; bei der durch Dekret vom
19. Okt. 1808 ausgeschriebenen Zwangsanleihe von
20 Millionen Frs. hatte man es mit 42160 Frs. betheiligt,
die es theils baar, theils in soliden Papieren einzahlte ;
am 21. Februar 1811 wurde ihm vom Cantonmaire in
280
Homberg eine neue Aufforderung überreicht, die aber
nicht zur Ausführung gelangte.
Als Jerom am 1. Dec. 1810 alle Stifter, Kapitel,
Abteien, Priorate etc. aufhob, beliess er das Stift Wallen-
stein, das er laut Dekret vom 31. Jan. d. J. der Auf-
sicht des Grosskanzlers des Ordens der westphälischen
Krone unterstellt hatte, laut Verfügung aber des Gross-
kanzlers vom 15. März 1811 mussten alle Ueberschüsse
an den Stiftseinkünften in die Ordenskasse abgeführt
werden. Dies interpretirte die Sequestrationsbehörde
zum Nachtheil des Stifts dahin, dass unter den Ein-
künften die eingegangenen Gelder, unter Überschüssen
diejenigen gemeint seien, die nach Abzug der nothwen-
digsten Ausgaben als Bestand verblieben; da nun gar
keine Kapitalien ausgethan wurden, so flössen nicht
nur. die Revenuen, sondern auch die heimgezahlten
Hypothekenkapitalien u. s. w. als sogenannte Über-
schüsse in die königliche Ordenskasse. - In jeder Weise
wurde das Stift Wallenstein geschädigt, seine Kapitalien
erlitten Schmälerungen, Obst- und Lustgärten Ver-
wüstungen, Oekonomiegebäude wurden abgerissen und
dadurch ein Schaden von 5760 Thalern erzeugt. Ex-
clusive der Zinsen belief sich das unter Jerome dem
Stifte gewaltsam entrissene Gut auf 450612 Frs. 69 Gen-
times. Das ganze Stiftsvermögen wurde auf 451000
Thaler geschätzt, die Stiftsdamen wurden fiir ihr be-
deutendes Einlagekapital sehr dürftig abgeftinden.
Die Äbtissin von Gilsa war gar nicht verhört worden,
hingegen fand am 18. Mai 1809 ein Verhör der Damen
von Stein und Metzöch in Cassel statt; dasselbe ergab
nichts, sie stellten jeden Briefwechsel mit dem Freiherrn
vom Stein seit seinem Wiedereintritte in das preussische
Ministerium (1807) in Abrede und Marianne zeigte eine
heroische, unverzagte Haltung; nach Reinhard's Bericht
vom 3. Mai »provocirte sie ihre Strafe«. Ihre harte
281
Behandlung erklärte sich aus dem gefürchteten Namen,
den sie trug; auch Friedrich Wilhelm III. sah in ihrer
Verhaftung lediglich eine Rancune und glaubte nicht
an ein Einverständniss mit ihrem Bruder (Chiffrirte
Depeschen des Königs an seinen Geschäftsträger in
Cassel, von Küster, 5. Mai, und des preussischen Ge-
schäftsträgers in Dresden, Lautier, an den König, 11.
Mai, im Geheimen Staatsarchive in Berlin). Am Abende
des 20. Mai verkündete ein Gensdarm den drei Stifts-
damen, sie müssten binnen Vh Stunden reisefertig sein,
und trotz Sturm und Regen packte man sie, nachdem
Gilsa der Äbtissin etwas Geld vorgeschossen, mit einer
Lehrerin vornehmer Damen um 10 Uhr Abends in
einen Wagen, ein Gensdarm stieg mit ein, ein anderer
auf den Bock, und so ging es nach Mainz, wo sie am
23. anlangten und einstweilen in einem Privathaus
Unterkunft erhielten, um aber bald auf die Citadelle
geführt zu werden, wo sie den Pfarrer von Gehren und
zahlreiche Leidensgefährten fanden ; Frau von Gilsa und
Fräulein von Metzsch blieben unter der Bewachung
des Militärgouverneurs auf der Citadelk, bis sie auf
Verwendung des Landkomthurs von Seckendorflf bei
Jerome in der letzten Hälfte des August 1809 freige-
geben wurden und nach Homberg heimkehren durften ;
hierher entliess man Anfang November auch die übrigen
Hornberger Verhafteten. Erdmuthe Wilhelmine von
Metzsch starb 20. Dec. 1812, die Äbtissin von Gilsa 7.
April 1822 in Homberg. Schon am 25. Mai 1809 war
Marianne vom Stein von den anderen Stiftsdamen ge-
trennt und ohne jede Rücksicht auf ihre körperlichen
Leiden von Gensdarmes nach Paris eskortirt worden;
am 6. Juni hier angelangt, fand sie Gelegenheit ihre
Nichte durch zwei Briefe von ihrer Lage zu unterrichten ;
deren Gemahl, Graf Senfft-Pilsach, war sächsischer Ge-
sandter in Paris. Senfft eilte spornstreichs ?um Polizei-
282
minister Fouch^, Herzog von Otranto, und bat um die
Erlaubniss, Marianne, für die er einstehen wollte und
die man auf der Polizeipräfectur internirt hatte, in sein
Haus aufnehmen zu dürfen. Pouche war bereit, sich
bei Napoleon für sie zu verwenden, erleichterte ihre
Haft, gab zu, dass Senfft ihr eine Dienerin verschaffe,
und bewahrte sie vor der ihr drohenden Einsperrung
in die Salpetriere. Nach 40 Tagen siedelte Marianne
in eine polizeilicher Aufsicht unterstellte maison de
sante in Chaillot über, erst nach dringenden Vorstel-
lungen SenflFt's erlangte sie die Vergünstigung, auszu-
fahren, um frische Luft zu geniessen, und schliesslich
durfte er sie in sein Hotel unter der Bedingung auf-
nehmen, dass sie in strengster Abgeschlossenheit nur
in der Familie lebe; auch Hess Senfft der westphälischen
Polizei heimlich Geld zufliessen, damit sie ein Auge
zudrücke. Als Senfft im Frühjahre 1810 von Paris
schied, begleitete ihn Marianne nach Sachsen und zog
nach Leipzig zu ihrer Schwester, der Gräfin Louise von
Werthern; nach deren Tod 1811 begab sie sich mit
der Äbtissin von Gilsa nach Diez und kehrte nach
Jeromes Sturz nach Homberg zurück, wo sie von
neuem als Dechantin waltete. E. M. Arndt gedenkt
ihrer 1814 in seinen »Wanderungen mit dem Freiherrn
vom Stein« : »im kleinen Duodezformat an Leib und Geist
ein echtestes Ebenbild des Bruders. Aber sie war ein
Weib, Alles in ihr besonnener und milder, in der Rede
dieselbe Kürze und Geschwindigkeit, derselbe unbe-
wusste schlagende Witz, ihr Wuchs klein, und auch
darin Verkürzung und Verkleinerung, der Kopf schon mit
dem Schnee des Alters bedeckt, aber daraus leuchteten
ein paar prächtige, wie Sterne funkelnde Augen. Sie
war eine gelehrte Dechantin, die mit ihren Fräulein
wohl hätte Schule halten und Examinatorium und
Disputatorium über die alte Reichsverfassung hätte an-
^8S
stellen gekonnt. Sie kannte die alten deutschen Ord-
nungen nnd Verfassungen nicht blos auf den Nagel,
sondern trug sie im lebendigsten Herzen. Rühr^ncl
stand sie neben dem Bruder, dessen gewaltige Leben*
digkeit vor ihr oft in stilleren ufern dahinfloss. . . Er
hing auch mit einer Art Verehrung an ihr, und ich
hörte ihn, wenn er wohl mal über seine Feurigkeit und
seinen zu reizbaren Jähzorn klagte, sagen: Ohne
meine fromme Mutter und meine ebenso fromme und
gute Schwester Marianne hätte ein Erzbösewicht aus
mir werden können.« Die Schuldenlast, in die Graf
und Gräfin Senfft-Pilsach geriethen, trübte den Lebens-
abend von Bruder und Schwester, letztere half nach
besten Kräften, besonders auch um Senfft*s Tochter
Louise willen. Bis zum Tode blieben Bruder und
Schwester in dem innigsten Verkehre, Marianne be-
suchte ihn manchmal auf Burg Stein und war seine
Berichterstatterin über die unerquicklichen Verhältnisse
im restaurirten Kurhessen. Dass ihr erlauchtes Ge-
schlecht in ihm im Mannsstamme erlosch, schnitt ihr
ins Herz; ihn zu überleben, war ihr herbster Kummer.
Nach dem Tode der Frau von Gilsa wurde sie 16.
Aug. 1823 Äbtissin des Stifts Wallenstein, regierte
musterhaft und starb in Homberg 7. Nov. 1831.
Den andern Damen in Homberg, die man nach Mainz
geschleppt hatte, waren ebenfalls harte Prüfungen be-
schieden. Dalwigk's Schwester, der Gattin des Schwa-
dronschef Wolf von Gudenberg, fiel nichts zur Schuld
als die Übersendung eines rothen Bändchens, des Ab-
zeichens der Insurgenten, an ihren Gatten; ihrer Kränk-
lichkeit wegen kam sie bald frei. Gegen Sophie von
Baumbach lag gar nichts vor, sie aber weigerte sich
beharrlich, ihre Nichte Karoline, die Heldin der Insur-
rection, zu verlassen, theilte ihr Gefängniss, erlag schon
am 8. Mai 1809 den Sorgen und wurde in der Kirche
284
zu Sontra, dem Baumbach'schen Gute, beerdigt. Lange
wandte sich Karoline vergebens an das Herz Jerömes, erst
im Juni 1809 gelang es Vater und Oheim, sie für 12,000
Francs auszulösen. Kurfürst Wilhelm I. erwies der
Märtyrin nach seiner Restauration besondere Ehren,
doch starb sie schon im Februar 1814 am Typhus,
den sie sich bei der Pflege verwundeter preussbcher
Soldaten in dem ihnen errichteten Lazarethe zu Sontra
zugezogen hatte. Franziska Martin wurde bald ent-
lassen, den Pfarrer von Felsberg sprach das Kriegsge-
richt frei. Martin wurde nach langen Verhandlungen
von Jerome in August 1811 begnadigt und Notar in
Eschwege, die Brüder Wolff von Gudenberg stellten
sich freiwillig und wurden im Aug. 1810 von einer
Jury freigesprochen. Dalwigk und Ehrenfeld gelangten
unter allerhand Abenteuern nach Prag zum Kurfürsten.
Bei Wilhelm's I. Restauration 1813 lebte das
Damenstift Wallenstein in Homberg von neuem auf, die
Stiftsdamen kehrten in die alten Räume zurück; 1832
in das stattliche Gebäude am Bonifaciusplatze zu Fulda
verlegt, steht das freiadelige Stift heute unter der Leitung
der Äbtissin Ida Freiin von Hammerstein.
Anhang.
Einiges über Martin.
Von dem unglücklichen Treffen an der Knallhütte
war Martin 1809 über Grossenritte und Immenhausen
nach Halle geflüchtet und der patriotische Professor
Henrik Steffens erzählt uns in »Was ich erlebte«, wie
er ihn trotz Steckbriefen und trotz der auf seine Unter-
stützung gesetzten Todesstrafe verborgen gehalten habe.
Martin ging nach Berlin und schob im Oktober d. J.
in seinen »Historischen Nachrichten über die hessische
Insurrection« die Schuld daran, dass der Aufstand ge^
285
scheitert sei, in gehässigster Weise auf den edlen Pörn-
berg. Ihm lag alles an der Erlaubniss, nach H^s^en
zurückkehren zu dürfen; deshalb schrieb er bereits am
2. Sept. 1809 anonym an den westphälischen Gesandten
in Berlin, Freiherrn von Linden:
»Der, welcher an Sie diesen Brief zu richten die
Ehre hat, war einer der Hauptarheber der am 22. April
im Fulda- und Werra- Departement stattgehabten. Wirren.
Seine Principien, nicht Habgier oder Ehrsucht, be-
stimmten ihn, damals an Projekten theilzunehmen, die
er für seinem Vaterlande nützlich hielt. Gezwungen,
mein Vaterland zu verlassen, fuhr ich fort gegen die
bestehende Ordnung zu kämpfen und mich an ver-
schiedenen dagegen gerichteten Plänen zu betheiligen.
Meine Erfahrungen, die seitdem gemachten Beob-
achtungen, die mich über die Handlungsweise der dem
französischen System entgegenstehenden Cabinete be-
lehrten, rissen mir die Binde weg und - überzeugte»
mich absolut, dass meine früheren Projekte nur dßn
Ruin der Lande herbeiführen könnten und dass man
bei dem gegenwärtigen Stand der Dinge deren Fortdauer
für Deutschland wünschen muss.
Mein Gesichtspunkt hat sich ebenso verändert wie
meine Grundsätze, und da ich gewohnt bin, nach
meiner Überzeugung zu handeln, so wünsche ich gegen-
wärtig, Sr. Majestät dem König und meinem Vater-
lande nützlich zu sein und nach besten Kräften dazu
beizutragen, um es gegen die Leiden dex Insurrektion
zu wahren.
Ich darf wohl erwarten, dass Seine Majestät
meinen Gesinnungen misstraut, bis ich Beweise ihrer
Änderung geliefert habe. Glücklicher Weise erachte
ich mich einigermassen dazu befähigt; meine Lage hat
mich au fait verschiedener Beziehungen gesetzt, deren
Kenntnissnahme für die Regierung von Interesse sein
286
kann, und ich kann vielleicht auch in Zukunft Dienste
leisten.
Will Eure Excellenz mir eine Audienz gewähren,
so werde ich bemüht sein, mehr Details zu geben; in
diesem Falle bitte ich, mir dazu die Erlaubniss in einem
versiegelten Billete unter der Adresse des Sekretairs
Reinbold zu ertheilen, welches ich in Ihrem Hotel ab-
holen lasse.
Ich kann Eure Excellenz versichern, dass nicht
Habsucht meine Handlungen leitet, und bin wahrheits-
liebend genug, Ihnen zu sagen: wäre ich noch von
meinen ehemaligen Grundsätzen beseelt, so könnte
nichts mich ihnen abtrünnig machen; eine totale
Änderung meiner Überzeugung veranlasst mich, so zu
handeln.
Ich hoffe, in der Folge meine Ergebenheit an den
König zu beweisen, das Vertrauen der Regierung wieder
zu gewinnen, und Seine Majestät wird sich überzeugen,
dass sie grössere Dienste von einem Mann erwarten
kann, der alles, Vermögen und Familienbeziehungen
seiner Überzeugung geopfert hat, der aber bei der
Änderung seines Gesichtspunkts und seiner Grundsätze
sich seinem Könige ganz hingibt, als von jenen Feig-
lingen, die ihm von Anfang an Weihrauch streuten,
um Stellen zu bekommen, und die sich ohne weiteres
zu jeder Veränderung hergeben würden.«
Nach Enthüllungen begierig, Hess Linden den
Bittsteller sofort kommen; Martin trat ein, bat um
Amnestie für die Vergangenheit und um Erlaubniss zur
Heimkehr; Linden berichtet an den Minister-Staats-
sekretair Grafen Fürstenstein in Cassel: »Martin er-
klärte mir ohne Rückhalt, er habe mehr als ein Zweiter
den Plan einer Revolution verfolgt und habe, vereint
mit Dörnberg, gehofft, die Truppen könnten gewonnen
werden: da dies Projekt total gescheitert sei, habe er
ä87
sich nach Böhmen geflüchtet, von wo er als Capitain
im Generalstabe von Braunschweig-Oels nach Sachsen
gekommen sei. Da er aber aus der Nähe sah, wie
schlecht die Ressourcen der Feinde Frankreichs ver-
wendet würden, und sich von der Unmöglichkeit völlig
überzeugt hätte, auf diesem Wege zum Heile seines
Vaterlandes beizutragen, so habe er den Dienst des
Herzogs von Oels verlassen, sei einige Zeit in Schlesien
umhergeirrt und seit drei Tagen unter falschem Namen
in Berlin. Er wiederholte mir, das Vertrauen, das er bei
seinen Landsleuten und mehreren auswärtigen Personen
geniesse, erlaube ihm zu versprechen, er könne viel zur
Erhaltung der Ruhe des Distrikts beitragen, in dem zu
leben ihm gestattet würde, falls Seine Majestät ihm
Verzeihung für seine Fehler gewähre und ihm Hoffnung
auf eine zu seinem Unterhalte nöthige Stellung lasse.
Er fügte noch hinzu, keine Erwägung hätte ihn zu
dieser Sprache vermögen können, wenn nicht seine Ge-
fühle sich wahrhaftig total verändert hätten.«
Ich glaubte, dass es mir an demselben Tage, an
dem es mir unmöglich gewesen, in Bezug auf ihn die
Befehle meiner Regierung einzuholen, erlaubt sei, ihm
eine Art Bedingung zu stellen, um zu irgend einem
wichtigen Geheimnisse zu gelangen. Ich Hess ihn sehen,
er müsse wohl fühlen, dass sein Benehmen die Ver-
zeihung sehr erschwere und ich es nicht auf mich zu
nehmen wage, seine Bitte zu Füssen des Thrones nieder-
zulegen, wenn er mir nicht interessante Aufschlüsse
liefere, so dass ich zum mindesten hinzufügen könnte,
er habe thatsächlich versucht, einen Theil des von ihm
verursachten Bösen wieder gut zu machen. Alles, was
er mir sagte, um mich zufrieden zu stellen, war mir
theils bekannt und wird es Eurer Excellenz ganz sein.
Hier das Resultat: Der Plan war, das Flachland zu in-
surgiren, sich Cassel zu nähern und derart Dörnberg
288
den Plan zu erleichtern, die Soldaten zur Meuterei zu
bringen; man hoffte, sich der Hauptstadt und der Re-
gierung zu bemächtigen; eine provisorische Regierung
sollte errichtet werden; man wollte ein Heer schaffen
und sowohl mit Gewalt wie auf dem Wege der üeber-
redung die Nachbarstaaten revolutioniren. Als ich ihn
über die Einverständnisse des ehemaligen Kurfürsten
von Hessen befrug, versicherte er mir, derselbe unter-
halte keine ; es habe selbst in jener Zeit kein Verkehr
mit ihm bestanden, und der grösste Theil der Verschwo-
renen niemals seine Rückkehr gewünscht. Er versicherte,
Dörnberg habe nicht verstanden, den Soldatengeist zu
bearbeiten, und erzählte, ein Versuch, der gemacht
worden sei, um den Major Langenschwartz zu gewinnen,
sei durch dessen dabei bewiesene Gesinnungen total
missglückt. Dörnberg soll schon in Sachsen das Corps
des Herzogs von Oels verlassen haben, um nach England
zu gehen und eine Landung zu verabreden. Jetzt —
sagt Martin — existire kein Gedanke mehr an eine
Verbindung in Westphalen, und gebe es Individuen,
die eine andere Ordnung der Dinge wünschen, so arbeite
doch niemand dafür. Er versicherte mir, dass in Preussen
die Association des Tugendbundes, zu der Schill und
Dörnberg gehört, vernichtet sei und dass die Feinde
der bestehenden Ordnung nichts mehr von Volksbe-
wegungen erwarteten. Jedoch versicherte er, die durch
die Leidenschaften erhitzten Gemüther hätten darum
nicht auf ihre Projekte verzichtet; noch vor 14 Tagen
habe der Kriegsminister Scharnhorst geschrieben, man
könne jetzt hoffen, den König für den Krieg zu be-
stimmen, falls letzterer wieder mit esterreich beginne ;
zufolge dieses Briefs solle ein Offizier der Berliner Gar-
nison nach Königsberg deputirt worden sein, um Scharn-
horst zu versichern, nach wie vor sei der Ruf der
Armee »Krieg und Rache«, die letzten Briefe aus Königs-
289
berg aber hätten diese Hoffnungen zerstört,, ob wähl
König und Hof ebenso sehr wie das Heer deu Krieg
wünschten. Im weiteren Verlaufe der Unterredung ver-
sicherte Martin dem Gesandten: sobald Friedrich Wil-
helm im Falle des Wiederbeginnes des oesterreichischien
Krieges nicht zu den Waffen greife, würden njehrere
Offiziere es sicherlich wie Schill machen; auch berichtete
er, ein eben in Berlin befindlicher oesterneichischer Major
Schepler (derselbe ging nach einer Depesche .Lind^ene
vom 28. Okt. nach England) habe ihm vorgeschlagen,
er solle seine Beziehungen in Hessen wieder anknüpfen
und an Dörnbergs Stelle treten. Nochmals wiederholte
Martin, es existire in Westphalen weder eine Waffen-
niederlage noch Verbrüderung oder Correspondenz. Linden
versprach, er wolle Martins Gesuch Fürstenstein mit-
theilen, machte ihm aber keinerlei Verheissungen wegen
Jerömes Entschliessung. Als Martin frug, ob Linden
die Verhaftung solcher Verschworenen verlangen würde,
deren Namen er erfahre, bejahte dies Linden, nahm aber
die aus, die sich wie Martin selbst anzeigten; er ver-
muthete, Martin habe weniger aus Furcht seinetwegen
gefragt, als wegen anderer in Berlin Verborgener; ȟbri-
gens«, setzt Linden hinzu, »wäre es sehr schwer. Jemanden
verhaften zu lassen, denn man würde gewiss Mittel finden,
selbst eine zugestandene Verhaftung zu vereiteln.« Am
Schlüsse seines Berichts betonte Linden, die« Individuum
könne nicht mehr gefährlich sein, es kehre wahrschein-
lich nur aus Noth zur Pflicht zurück, könne aber, wenn
der Krieg wieder beginne, von Nutzen werden, um die
Projekte der Revolutionäre in Westphalen auszukund-
schaften; überdies werfe der einem solchen Individuum
gewährte Pardon immer Misstrauen in die ganze Faktion
und jeder fürchte fortan im Mitverschworenen einen
Spion. (Geheimes Staatsarchiv in Berlin. Rep. 71» Nr. 14.
Bd. 2, Depesche Linden's an Fürstenstein, Berlin 4.
N. F. XV. Bd 19
290
Sept. 1809.) Bereits am 12. Sept. meldete Linden
Fürstenstein (ebenda) : Martin habe ihn wieder besucht
und ihm verrathen, der Staaisrath Johannes von Müller
und der Erbprinz Friedrich von Anhalt-Dessau hätten
von den Absichten der Verschworenen gewusst. Aus
Cassel fiel die Antwort für Martin sehr ungünstig aus ;
er aber versprach Linden, er werde gelegentlich seinen
Gesinnungswechsel schlagend bekunden, und erzählte:
vor 3 Wochen habe man ihm vorgeschlagen, er solle
im Falle des Wiederbeginns des Kriegs eine den frü-
heren Insurrektionsplänen förderliche Reise in die Um-
gebung von Frankfurt machen; und Linden drang in
ihn, er möge sich doch mit dieser Aufgabe betrauen
lassen, um so wichtige Entdeckungen zu machen, muthete
ihm somit mit nackten Worten zu, als Spion zu dienen.
(Depesche an Fürstenstein, 10. Oct. 1809, ebenda.) Die
Verbannung drückte furchtbar auf Martin, der weit
unentschlosseneren Charakters als seine Frau, Amalie,
war; auf Linden's Rath stellte er sich selbst in Cassel,
um seine Reue zu bezeugen, und da Linden an letztere
glaubte, so empfahl er ihn Fürstenstein unter Beilegung
eines herzzerreissenden Briefs von Amalie Martin vom
8. März 1810 (ebenda Bd. 3). Martin wurde dem Cri-
minalgericht des Fulda-Departements überwiesen, ent-
hüllte diesem die ganze Verschwörung, nannte seine Mit-
schuldigen und wurde trotzdem zum Tode verurtheilt,
welche Entscheidung der Staatsrath bestätigte. Linden
aber hatte ohne königliches Vorwissen Martin des Königs
Verzeihung in Aussicht gestellt. Jerome durfte Martin
nicht milder behandeln als die andern Führer der Er-
hebung, kam darum durch Linden's Eigenmächtigkeit
in grossen Conflikt und berief ihn an den Hof, um sich
zu rechtfertigen ; der glatte Höfling entschuldigte sich
damit, er habe als Privatmann etwas versprechen können,
was ihm nicht möglich gewesen sei, als Minister zu thun,
291
und Jerome gab sich zufrieden. Bereits war Befehl
zur Hinrichtung ertheilt, als am 23. Juli 1810 der
Metropolitan, Martin's Tljähriger Vater, zwei seiner
Töchter und der nahe verwandte Pfarrer Schnackenberg
sich auf Napoleonshöhe Jerome zu Füssen warfen; da
benutzte er den Anlass zu einem guten Effectes sicheren
napoleonischen Grossmuthsakte und begnadigte Martin
zu unbestimmter Gefängnisshaft. (Chiifrirte Depesche
des preussischen bevollmächtigten Ministers von Küster
an Friedrich Wilhelm III. vom 26. Juli 1810, Geheimes
Staatsarchiv in Berlin. Hessen. Rep. I. Nr. 7.) Am
Tage, da Madame-Mere Lätitia in Cassel einzog, 27.
Aug. 1811, verwandelte Jdrome die Strafe Martinas in
einjährige Haft. (Depesche des preussischen Gesandten
Baron Senfft-Pilsach an seinen König, 2. Sept. 1811.
Rep. I. Nr. 9, Bd. 2. Ebenda.) Als Notar in Eschwege
von Jerome angestellt, erklärte Martin nach dem Eiu'
zuge der verbündeten Truppen in Cassel am 1, Nov,
1813 in öffentlichen Blättern, er widerrufe alles, was
er in seinen »Historischen Nachrichten« gegen Dörnberg
geäussert, und bedauere diese Publikation, zu der ihn
Missverständnisse und falsche Ansichten verleitet hätten ;
bald darauf erneuerte er in rücksichtsloser Weise seine
Angriffe auf die hessischen Offiziere, die Jerome gedient
hatten.
T"^<^^^^^$^-^^(^~?'