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8300
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HARVARD UNIVERSITY
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U 211
AUG2 9I929
ZEITSCHRIFT
DER
GESELLSCHAFT FÜR ERDKUNDE
ZU
BERLIN.
HERAUSGEGEBEN IM AUFTRAG DES VORSTANDES
VON
DEM GENERALSEKRETÄR DER GESELLSCHAFT
GEORG KOLLM,
HAUPTMANN A. D.
BAND XXXII. — Jahrgang 1897.
Mit iz Tafeln und drei Abbildungen im Text.
BERLIN, W. 8.
W. H. KÜHL.
1897.
G
Inhalt des zweiunddreifsigten Bandes.
Aufsätze.
(Für den Inhalt ihrer Aufsätze sind die Verfasser allein verantwortlich.)
Seile
Die Steinbrüche an Mons Claudianus in der östlichen Wüste Ägyptens.
Von G. Schweinfurth. (Hierzu Tafel i und 2.) i
Die chilenisch-argentinische Grenzfrage mit besonderer Berücksichtigung Pata-
goniens. Von Dr. Hans Steffen in Santiago de Chile. (Hierzu Tafel 3.) 23
Die Katalanische Weltkarte der Biblioteca Estense zu Modena. Von Dr.
Konrad Kretschmer. (Hierzu Tafel 4.) 65
Die Anfange der magnetischen Beobachtungen. Von G. Hellmann .... 112
Die ersten Kriegszüge der Spanier im nördlichen Mittel-Amerika. Von Dr.
Carl Sapper in Coban. (Hierzu Tafel 5.) 137
Geomorphologische Probleme aus Nordwest - Schottland. Von Albrecht
Penck in Wien. (Hierzu Tafel 6.) 146
Die Katalanische Weltkarte der Biblioteca Estense zu Modena. Von Dr.
Konrad Kretschmer. (Schlufs.) 191
Morphometrie des Genfer Sees. Von Dr. Wilhelm Halbfafs. (Hierzu
Tafel 7.) 219
Reisen und Forschungen in Nord-Griechenland. Von Dr. Alfred Philippson.
(Schlufs) 244
Die Hydrographie des oberen Nil-Beckens. Von E. deMartonne. (Hierzu
Tafel 8—10) 303
Dr. A. Philippson 's barometrische Höhenmessungen auf den griechischen Inseln
der Ägäischen Meeres. Berechnet von Dr. A. Galle 343
Begleitworte zur Karte des östlichen Teils der Insel Neu-Pommern. Von Frhr.
von Schleinitz. (Hierzu Tafel 11.) 349
Reise im Gebiet des oberen Amazonas. Von Dr. A. Rimbach. (Hierzu
Tafel 12.) 360
Bemerkungen 409
Karten.
Tafel 1 und 2. Die römischen Granit - Steinbrüche (Mons Claudianus) am Gebel
Fatireh. Entworfen von G. Schweinfurth. 19. — 22. Januar 1885.
Mafsstab 1 : 20 000.
„ 3. Übersichtskarte des chilenisch - argentinischen Grenzgebiets zwischen
40° 30' und 44 s. Br. Mafsstab 1 : 1 500 000.
» 4. Katalanische Weltkarte des 15. Jahrhunderts im Besitz der Biblioteca
Estense zu Modena. Gezeichnet von K. Kretschmer. (In V3 der
Originalgröfse.)
Tafel 5. Politische Karte des nördlichen Mittel- Amerika zum Beginn des 16. Jahr-
hunderts. Entworfen von Dr. Carl Sapper. Mafsstab 1:1500000.
„ 6. Profile zur Abhandlung von Albrecht Penck.
Abbild. 1. Stldufer von Loch Assynt.
„ 2. Ansicht des Slioch von Osten.
„ 3. Überschiebung am Quinag und Glas Bheinn.
„ 4. Ansicht des Südufers vom Loch Broom.
„ 5. Profil am linken Ufer des Loch Maree nach B. N. Peach.
„ 6. Profil am rechten Ufer des Loch Maree nach B. N. Peach.
„ 7. Verkehrte Schichtlagerung in Nordwest-Schottland.
„ g. Faltung ohne Kompression.
„ 7. Kurven zur Morphometrie des Genfer Sees. Von Dr. W. Halbfafs.
Abbild. 1. Hypsographische Kurve des Genfer Sees.
„ 2. Hypsokiinographische Kurve des Genfer Sees.
„ 3. Chorigraphische Kurve des Genfer Sees.
n 4. Volumenkurve des Genfer Sees.
„ g. Oro-hydrographische Karte der oberen Nil-Gebiete mit Benutzung aller
bis zum Juli 1897 vorhandenen Quellen. Entworfen von E. de Mar*
tonne. Mafsstab 1 ; 6 000 000.
„ 9. Profile zur vorstehenden Tafel und Karte der jahreszeitlichen Regen-
verteilung.
Abbild. 1. Profil von S. nach N. entlang dem Meridian von Magungo.
„ 2. Profil entlang dem Äquator.
„ 3. Jahreszeitliche Regenverteilung.
„ 4. Profil des Laufes des oberen Nil von den Quellen bis nach
Fashoda.
„ 10. Regenkarte der oberen Nil-Gebiete. Entworfen von E. deMartonne.
Mafsstab 1 : ia 000 000.
„ 11. östlicher Teil von Neu -Pommern. Aufgenommen von Frhr. von
Schleinitz. September und Oktober 1887. Mafsstab 1:500000.
„ 12. Skizze der Flufs-Systeme des Santiago, Morona, Pastaza, Chambira und
Tigre auf Grund eigener Beobachtungen sowie zuverlässiger Nachrichten,
mit teilweiser Benutzung der Carta Geogräfica dei Ecuador von Dr.
T. Wolf, ig9a, entworfen von Dr. A. Rimbach, 1^96. Mafsstab
1 : 3 000 000.
&UG*
31349
T°
ZEITSCHRIFT
ia.au
DER
GESELLSCHAFT FÜR ERDKUNDE
ZU BERLIN.
Band XXXII — 1897 — No. 3.
Herausgegeben im Auftrag des Vorstandes
von dem Generalsekretär der Gesellschaft
Georg Kollm,
Hauptmann a. D.
Inhalt. s^
Die ersten Kriegszüge der Spanier im nördlichen Mittel-Amerika. Von
Dr. Carl Sapper in Coban. (Hierzu Tafel £'.) 137
Geomorphologische Probleme aus Nordwest-Schottland. Von Alb recht
Penck in Wien. (Hierzu Tafel b.) 146
Die Katalanische Weltkarte der Biblioteca Estense zu Modena. Von Dr.
Konrad Kretschmer. (Schlufs.) 191
Tafel 5. Politische Karte des nördlichen Mittel -Amerika zum Beginn des 16. Jahrhunderts.
Entworfen von Dr. Carl Sapper. Mafsstab 1:2500000.
Tafel 6. Profile zur Abhandlung von Albrecht Penck.
LONDON E. C.
SAMPSON LOW & Co.
Fleet-Street.
BERLIN, w.8.
W. H. KÜHL.
1897.
PARIS.
H. LE SOUDIER.
174 & 176. Boul. St. Germain.
Beilage: Prospekt von Velhagen & Klasing in Bielefeld und Leipzig.
Veröffentlichungen der Gesellschaft im Jahr 1897.
Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, Jahr-
gang 1897 - Band XXXII (6 Hefte),
Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin,
Jahrgang 1897 — Band XXIV (xo Hefte).
Preis im Buchhandel für beide: 15 M., Zeitschrift allein: 12 M., Ver-
handlungen allein: 6 M.
Beiträge zur Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde werden mit
50 2v|f:k für den Druckbogen bezahlt, Original-Karten gleich einem Druckbogen
berechnet
Die Gesellschaft liefert keine Sonderabzüge; es steht jedoch den Verfassern
frei, solche nach Übereinkunft mit der Redaktion auf eigene Kosten anfertigen
zu lassen.
Alle für die Gesellschaft und die Redaktion der Zeitschrift und
Verhandlungen bestimmten Sendungen — ausgenommen Geldsendungen
— sind unter Weglassu ng jeglicher persönlich en Adresse an die:
„Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin SW. 12, Zimmerstr. 90",
Geldsendungen an den Schatzmeister der Gesellschaft, Herrn
Geh. Rechnungsrat Bütow, Berlin SW. Zimmerstr. 90, zu richten.
Die Geschäftsräume der Gesellschaft — Zimmerstrafse 90. II — sind,
mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage, täglich von 9 — ia Uhr Vorm. und von
4 — g Uhr Nachm. geöffnet.
Verlag von W. H. Kühl, Jägerstrasse 73, Berlin W.
Bibliotheca Geographica
Herausgegehen von der
Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin.
Bearbeitet von
Otto Baschin.
Band I. Jahrgang 1891 u. 189a. XVI, 506 S. 8°. Preis M. 10.—.
Band II. Jahrgang 1893. XVI, 383 S. 8°. Preis M. 8.—.
Karte von Südost-Thessalien M. 1.50.
Karte von Eplrns nnd West-Thessalien M. 3.—.
Geologische Karte von Sfldost-Thessallen . . . . M. 2.50.
Geologische Karte vonEpirns nnd West-Thessalien M. 4.50.
Nach den vorhandenen Quellen und eigenen Aufnahmen von
Dr. Alfred Fhilippson.
Herausgegeben von der
Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin.
Maafestab i : 300 000.
Die ersten Kriegszüge der Spanier im nördlichen Mittel-
Amerika.
Von Dr. Carl Sapper in Coban.
(Hierzu Tafel 5.)
Wenn es auch zweifellos von höherem Interesse ist, selbst auf
neuen Pfaden durch fremde Länder zu streifen, so ist es doch auch
anziehend, die Reisen der ersten Pioniere und Eroberer in unbekannten
Ländern zu verfolgen und den Ursachen ihrer Erfolge oder Mifserfolge
nachzuspüren, insofern diese durch die politischen Verhältnisse der
Zeit und Gegend oder durch die örtliche Beschaffenheit des Landes
bedingt waren. So leicht dies auch bei modernen Forschungsreisen
und Feldzügen ist, wo die Beteiligten meist bemüht sind, nachher alle
diese Fragen in erschöpfender Darstellung klarzulegen und durch Karten
und wissenschaftliche Betrachtungen zu erläutern, so schwierig ist es
oft bei früheren Entdeckungsreisen und Kriegszügen. Als ich mir
die Aufgabe stellte, an der Hand der mir zugänglichen Geschichts-
werke 1 ) die politischen Verhältnisse des nördlichen Mittel-Amerika und
den Verlauf der ersten Kriegszüge der Spanier in jenen Gegenden
kartographisch festzulegen, da wurde es mir bald klar, dafs eine in
Einzelheiten eingehende Darstellung nicht möglich ist und dafs man
über manche Fragen wohl niemals eine sichere Auskunft erhalten wird,
weil die Aussagen der spanischen und einheimischen Schriftsteller oft
sehr unklar sind oder sich in wesentlichen Punkten widersprechen.
Zudem sind zahlreiche einheimische Dokumente durch den Fanatismus
! ) Benutzte Literatur: Diego de Landa, Relacion de las cosas de Yucatan,
herausgegeben von Brasseur de Bourbourg, Paris 1864. Cartas y relaciones de
Ilcrnan Cortes, Coleccion Gayangos, Paris 1866. Bernal Diaz del Castillo,
Historia verdadera de la conquista de la Nueva Espana, Paris 1837, 4 ^de. Isagoge
historico apologetico general de todas las Indias y especial de la Provincia
de S. Vicente Ferrer de Chiapa y Goathemala, Madrid 1892. Jose" Milla, Historia
de la Am6rica Central, Guatemala 1879, 2, Rde. Domingo Juarros, Compendio
de la historia de la Cindad de Guatemala, Guatemala 1857.
Zeitschr. d. Ges. f. Erdk. Bd. XXXII. 1897. 10
I
138
Carl Sapper:
der spanischen Priester geraubt worden, und die Darstellung der ge-
retteten indianischen Geschichtsquellen ist oft schwer verständlich;
manche Schriftsteller, welche noch aus — nunmehr verlorenen —
indianischen Manuskripten schöpfen konnten, zeichnen sich leider nicht
durch grofse Genauigkeit aus und sind deshalb nicht durchaus glaub-
würdig. Dazu kommt die für Festlegung der Reiserouten so verhängnis-
volle Häufigkeit von Schreibfehlern gerade in Ortsbezeichnungen und
der eigentümliche Gebrauch der von Mexico her kommenden Ex-
peditionen, sich die einheimischen Ortsnamen in das Azteki sehe übersetzen
zu lassen und sie dann in aztekischer Übersetzung mitzuteilen. Bei
den Zügen von Alvarado undMarins stört dies nicht, da in den betreifenden
Gebieten diese aztekischen Ortsnamen beibehalten wurden; Cortes' Zug
aber, der zudem durch noch immer wenig bekannte Gebiete führte,
jäfst sich wegen dieser störenden Übersetzungen — neben welchen
allerdings im Bericht des Cortes auch einheimische Ortsnamen auf-
treten — nur schwer festlegen, und in manchen Fällen würde vielleicht
mir eine Rückübersetzung in die Sprache des Gebiets eine Identi-
fizierung ermöglichen.
Unter solchen Umständen kann daher meine hier mitgeteilte
„Politische Karte des nördlichen Mittel-Amerika zu Beginn des 16. Jahr-
hunderts" nur als ein bescheidener, der Nachsicht bedürftiger Versuch
betrachtet werden, und in Anbetracht der allgemeinen, durch den Stand
der historischen und archäologischen Forschung bedingten topographi-
schen Unsicherheit mag auch die namentlich auf Paschke's Karte der
Republik Guatemala (1889) und der „Carta administrativa-itineraria de
la Republica Mexicana" (1878) fufsende topographische Grundlage ge-
nügend sein.
Zur allgemeinen Kennzeichnung der politischen Lage des nörd-
lichen Mittel-Amerika während des Entdeckungs-Zeitalters und zur Er-
klärung der aufserordentlichen Erfolge der Spanier bemerke ich zu-
nächst, dafs allenthalben eine Zersplitterung in eine Menge von kleinen
und kleinsten Staaten herrschte, die sich meist in erbitterter Feind-
schaft gegenüber standen oder wenigstens kühl und fremd neben ein-
ander bestanden. Der Grund für diese aufserordentliche Zersplitterung
ist neben dem Unabhängigkeitssinn des Indianers im allgemeinen ins-
besondere in zwei Ursachen zu suchen. Einmal stellte die in diesem
Gebiet ungewöhnlich weit gehende Sprachzersplitterung der Ent-
stehung grofser, stramm organisierter Staatswesen bedeutende Schwierig-
keiten in den Weg, und wenn sich trotzdem einige gröfsere Reiche
bildeten, so trug der Nationalitätenhader der einzelnen Bestandteile
den Keim eines baldigen Zerfalls in den Staatsorganismus. Die zweite
Ursache der Staatenzerstückelung ist in den örtlichen Verhältnissen
>,
V
Die ersten Kriegszüge der Spanier im nördlichen Mittel-Amerika. 139
des Landes zu suchen: in dem äufserst gebrochenen Gelände des
Kettengebirges von Mittel-Guatemala trugen die mühsamen Pafsüber-
gänge und andere Verkehrshemmnisse, in der pacifischen Küstenebene
die während der Regenzeit zuweilen fast unpassierbaren, reifsenden
Querflüsse, in den von jeher sehr dünn bevölkerten Urwaldgebieten
der atlantischen Gebirgsabdachung, des Petens, des südlichen Yucatan
und Tabasco neben vielfachen Verkehrserschwerungen die Zerstreut-
heit, Spärlichkeit und geringe Ständigkeit der Siedelungen ihr gut Teil
zur Entstehung zahlreicher, kleiner, ganz oder teilweise unabhängiger
politischer Einheiten bei. In der That sehen wir, dafs nur in jenen
Gegenden sich mächtige Staatswesen gebildet haben, wo die genannten
Hindernisse nicht oder nur wenig hervortraten, namentlich in dem
flachen, offenen nördlichen Yucatan und in dem orographisch ziemlich
einheitlichen, übersichtlichen Massengebirge von Guatemala; es waren
dies die Königreiche Mayapan und Quiche.
Zum Glück für die Spanier waren aber diese beiden indianischen
Grofsmächte im Entdeckungs-Zeitalter schon zerfallen. Innere Unruhen,
hervorgerufen durch die Unzufriedenheit des niederen Volkes hatten in
beiden das Ansehen des Staatsoberhauptes untergraben und so den
Abfall einzelner Vasallenstaaten ermöglicht, die dann ihrem alten Hafs
so weit nachgaben, dafs sie später sogar den europäischen Eindring-
lingen Hilfe gegen ihre einstigen Herren gewährten: so die Cheles und
Tutuxiu gegen die Cocomes in Yucatan, die Cakchiqueles gegen die
Quichds in Guatemala. Aber auch noch andere Ursachen allgemeiner
Natur trugen zu den Erfolgen der Spanier bei. Das in einiger Hinsicht
an das mittelalterliche Feudalsystem erinnernde Vasallensystem der
Indianerreiche hatte auch innerhalb eines Staatskörpers mannigfache
Sonderinteressen erzeugt, die das Nationalitätsgefühl sogar der sprachlich
gleichartigen Staatsglieder untergruben und zu immer weiter gehender
Decentralisation der Macht führten. Dazu kam, dafs gerade die mächtigen
Indianerfürsten zu stolz waren, um die Gunst des Geländes taktisch
voll und ganz auszunützen, sondern dafs sie gewöhnlich in offener
Schlacht auf ebenem Gelände die fremden Eindringlinge zu besiegen
trachteten und denselben damit die beste Gelegenheit zur völligen Aus-
nützung der Vorteile boten, welche die weit überlegenen Waffen und die
Schrecken verbreitenden Pferde ihnen sicherten. So erklärt es sich,
dafs die kleinen Staatswesen von Tezulutan (Verapaz) und des Peten
sich mit Erfolg lange gegen die kriegerischen Einfälle der Spanier zu
erwehren vermochten, da sie die natürlichen Vorteile des Geländes
ausnützten und die Entscheidung nicht durch Annahme einer offenen
Feldschlacht auf eine Karte setzten. Diese Urwald- und Gebirgs-
gegenden sind das ureigene Land der Guerilla-Kriege, und ein Auf-
10*
!
•J40 Carl Sapper:
stand der Pokonchi-Indianer um die Mitte des 19. Jahrhunderts, welcher
als „Guerra de la montana" in der Überlieferung älterer Verapaz-Be-
wohner bekannt ist, zeigt, dafs auch in der neuesten Zeit noch sicli
schlecht bewaffnete Indianerscharen in entlegenen, schwer zugänglichen
Gebirgsländern jahrelang gegen reguläre Truppen zu halten vermögen.
Eine bedeutsame Hilfe für die Spanier war aufserdem der Verrat,
welcher manchmal gerade im entscheidenden Augenblick die schlau
ersonnenen Kriegslisten der Indianer zu Schanden machte. Der Grund
für die Häufigkeit des Verrats unter den Indianern, die man doch
sonst für zuverlässig und treu ansehen darf, ist wahrscheinlich in der
alle Rücksicht vergessenden persönlichen Rachsucht zu suchen, welche
über das mangelhafte Nationalgefühl des einzelnen überwog. In meinem
Umgang mit den Indianern der Alta Verapaz habe ich oft bemerkt,
dafs nur einzelne Indianer Vergehen anderer mitteilten, gewöhnlich
nicht aus Rücksicht auf mich oder meinen Vorteil, sondern aus persön-
licher Feindschaft, da sie auf diese Weise ihrem Gegner etwas am
Zeug flicken wollten. Die psychologischen Regungen des Indianer-
herzens sind übrigens manchmal so verschieden von unserer Denk-
und Ftihlweise, dafs es schwer fällt, dieselben richtig zu verstehen und
zu beurteilen.
Nach diesen allgemeinen Bemerkungen will ich noch einige An-
gaben über die Einzelgebiete hinzufügen; ich hebe aber vorher hervor,
dafs die politischen Grenzen der Karte natürlich nur ganz roh den ver-
mutlichen Verlauf derselben andeuten können, und dafs ich für die-
jenigen Gebiete, für welche keine geschichtlich beglaubigten Berichte
vorliegen, auf die ethnographischen Verhältnisse als Hilfsmittel zurück-
gegriffen habe, da aus der Geschichte der bekannten Landesteile hervor-
geht, dafs in der That die politischen Grenzen eines Staates des nörd-
lichen Mittel -Amerika selten Gebiete verschiedener Sprachen ein-
schlössen. Wo dies dennoch der Fall war, da war denselben doch das
einheimische Fürstenhaus und die eigene Verwaltung und Gesetz-
gebung geblieben: sie waren trotz des Abhängigkeitsverhältnisses be-
sondere politische Einheiten. Die Zahlenerklärung giebt die politische
Einteilung des nördlichen Mittel-Amerika an, wie sie zu Beginn des
16. Jahrhunderts vermutlich statthatte. Orts- und Provinznamen, die
nicht sicher identifiziert werden konnten, sind mit einem Fragezeichen
versehen; in manchen Fällen sind übrigens von den Spaniern ganze
Ortschaften versetzt worden (wie Mixco, Tujal u. a.). Obgleich ich auf
der Karte nur die wichtigsten Züge der Spanier in dem Zeitraum von
15 17 bis 1527 eingezeichnet habe, so habe ich doch auch die Ge-
schichte der nächstfolgenden Jahre noch mit berücksichtigt, soweit mir
dies möglich war, und bei den betreffenden Ortsnamen die Zeit ihrer
Die ersten Kriegszüge der Spanier im nördlichen Mittel- Amerika. 14 [
Einnahme und Gründung beigesetzt. — Zur Orthographie bemerke
ich, dafs ich die Schreibweise der älteren Schriftsteller genau bei-
behielt; x ist wie „seh", h wie schwach aspiriertes „ch", c wie „s",
z wie im Deutschen auszusprechen. —
In Yucatan waren nach der Zerstörung von Mayapan (1446 n. Chr.)
neben kleineren unabhängigen Fürstentümern, wie Campeche und
Champoton, drei gröfsere Königreiche entstanden: 1) Ahkinchel, das
Reich der Cheles, gegründet vom Schwiegersohn eines der Hauptpriester
von Mayapan, 2) Zu t Uta, gegründet von dem einzig überlebenden
Spröfsling der Cocomes, der Königin von Mayapan, und 3) das Reich
der Tutuxiu, eines vor Jahrhunderten von Süden her (aus Chiapas?)
eingewanderten Volkes, welches nach Landa's Erkundigungen sich im
Süden von Mayapan friedlich niedergelassen und den Gesetzen des
Landes unterworfen hatte, während aus einem (im gleichen Buch von
Brasseur de Bourbourg anhangsweise mitgeteilten und übersetzten
Maya-Manuskript „Lelo lai u tzolan katunil ti Mayab" hervorgehen würde,
dafs die Tutuxiu um das Ende des 5. Jahrhunderts n. Chr. Chacnouitan
(d. h. Yucatan) erreichten und die Provinz Ziyan-Caan (d. i. Bakhalal)
eroberten, um die Mitte des 8. Jahrhunderts Chichenitzä einnahmen
(das sie im 12. Jahrhundert wieder verloren) und an der Neige des
9. Jahrhunderts Champutun eroberten, dessen Bewohner (Itzaes) aus-
wanderten und neue Wohnsitze (im Peten) suchten.
Die Spanier beschränkten sich bei ihren ersten Expeditionen nach
Yucatan unter Hernandez, Grijalva und Cortes auf Umsegelung der
Küsten und gelegentliche Landungen, von welchen die bei Champoton
durch blutige Kämpfe mit den Eingeborenen (Covohes) ausgezeichnet
waren.
Erst der Adelantado Francisco de Montejo machte .einen ernst-
haften Versuch zur Eroberung des Landes; er schifite sich 1526 mit
Ermächtigung der Hofes in Spanien mit 500 Mann auf 3 Schiffen ein,
landete auf der Insel Cuzmil (Cozumel) und nahm sie für den König von
Castilien in Besitz. Später landete er in Conil und zog unbehelligt nach
Tecoch, der Hauptstadt von Ahkinchel, dessen Herrscher den Spaniern
Chichenitzä als Wohnsitz anwiesen. Von dort aus begann Montejo die
Eroberung des Landes, zunächst ohne grofsen Widerstand zu rinden; als
aber die Mayas sich gegen ihn erhoben und täglich neue Verstärkungen
erhielten, sah er sich gezwungen, die Stadt zu verlassen und sich nach
Tzilan zurückzuziehen, wo er im Schutz der Cheles einige Monate ver-
blieb, um sich dann im sicheren Geleit der Herren von Tzilan und
Yobain zu Land nach Campeche zu begeben und mit seinen Leuten
das Land zu verlassen. Seinem Sohn Francisco de Montejo gelang es
142 Carl Sap per:
später mit Hilfe der Indianer von Champoton und Campeche, festen
Fufs zu fassen, in Tiho die nachmalige Hauptstadt Merida zu gründen
und von hier aus die Eroberung der Halbinsel zu vollenden.
Fast alle von Diego de Landa erwähnten Ortsnamen lassen sich
noch leicht identifizieren; seine Entfernungsangaben betreffs der Haupt-
stadt Tecoch stimmen allerdings nicht recht mit dem heutigen Ticoch
überein. Ebenso ist die Lage von Tixchel unklar, da Landa diese
Stadt auf einer Insel der Laguna de Terminos liegen läfst, während
das heutige Tichel auf dem Festlande liegt.
Auf dem Isthmus von Tehuantepec hatten die Spanier (erst
nach der Eroberung der Stadt Mexico) ohne Blutvergiefsen die einst
zum Reiche Montezuma's gehörige Provinz Coatzocoalco unter Gonzalo
de Sandoval in Besitz genommen 1 ). Die Zapoteken von Tehuantepec,
welche früher den aztekischen Heeren mutvollen Widerstand geleistet
hatten, unterwarfen sich Cortes freiwillig 2 ); nur die kriegerischen Mije?*
(Minxes) blieben vorläufig unabhängig.
Im Gebiet des jetzigen Staats Tabasco, wo Cortes in der Nähe
des heutigen Frontera Kämpfe gegen die dortigen Indianerstämme zu
bestehen hatte, scheinen zur Zeit der Conquista keine gröfseren, selbst-
ständigen Staatenbildungen bestanden zu haben; ein Teil dieses Gebiets
gehörte zum Azteken-Reich, das übrige nahmen kleine Fürstentümer der
Mayas, Chontales und Zoques ein, welche ohne grofse Schwierigkeit
zu unterwerfen waren.
Im heutigen Chiapas bestanden neben kleinen Staatswesen de:
Zoques (und Choles) die ansehnlichen Reiche der kriegerischen Chia-
paneken, der Quelenes (Tzotziles) und Tzentales, welche durch ein von
Luis Marin angeführtes spanisches Heer unterworfen wurden. Bernx
Diaz nahm an dem Feldzug teil und beschreibt ihn. In seiner schlichten
Weise bemerkt er aber, dafs er sich der Jahreszahl nicht mehr genau
erinnere. Da aber die Villa del Espiritu Santo (Coatzocoalco) 152:
gegründet worden ist und Bernal Diaz, sowie Luis Marin 1524 an Cortes
Zug nach Honduras teilnahmen, so darf man mit grofser Wahrscheinlich-
keit das Jahr 1523 für diese Expedition annehmen. Die meisten von
Bernal Diaz erwähnten Ortsnamen lassen sich mit ziemlicher Sicherheit
identifizieren. Estapa ist nicht mit dem heutigen Iztapa zu verwechseln,
(welches von Bernal Diaz als „Salinas" gleichfalls erwähnt ist), sondern
lag unfern dem linken Chiapas-Flufsufer, während die Ruinen der Stad:
Chiapa auf dem rechten Ufer liegen, wie ich selbst gesehen habe. Silo.
Suchiapa (IV, S. 35) ist offenbar Schreibfehler für Solosuchiapa. Die
M Bernal Diaz, III, S. 347—363.
2 ) Bernal Diaz, III, S. 405.
Die ersten Kriegszüge der Spanier im nördlichen Mittel- Amerika. 143
Klage über die schwierigen Pässe und rauhen Gebirge auf dem Weg
vom mittleren Chiapas nach Tapilula ist noch heute am Platz, wie ich
aus Erfahrung weifs.
Soconusco hat vor Ankunft der Spanier zum Reich der Azteken
gehört und scheint sich den Spaniern freiwillig unterworfen zu haben,
weshalb die Einwohner wohl von den Quiche*s angefeindet wurden 1 ).
Quichds stellten sich auch den Spaniern an der Westgrenze von Soco-
nusco entgegen, wurden aber von Pedro de Alvarado bei Tonalä im
Jahr 1524 geschlagen.
In Guatemala war zur Zeit der Conquista das wichtigste Reich
dasjenige der Quiche's, zu welchem die Fürstentümer von Rabinal und
Uspantlan als Vasallenstaaten gehörten; aufserdem scheint auch das
Mame-Reich, zu dem dieCuchumatanes-Stämme als Tributärstaaten gehört
zu haben scheinen, zur Zeit Alvarado's noch in einem gewissen Ab-
hängigkeitsverhältnis zum Quichd-Reich gestanden zu haben. Dagegen
hatten sich die Reiche derCakchiqueles und Tzutuhiles schon vorder Con-
quista vom Quichd-Reich losgerissen. Die Cakchiqueles tibertrafen sogar
bald an Macht ihre Rivalen und einstigen Herren, die Quiche's, und
dehnten ihre Herrschaft über die Gebiete der Akahales (Pocomames) aus.
Revolutionen und innere Zwietracht brachen aber bald ihre Macht, und
etwas mehr als zwei Jahrzehnte vor Ankunft der Spanier trennte sich ein
Teil der Cakchiqueles vom Gesamtvolk los und bildete das unabhängige
Königreich Yampuk (Sacatepequez). Aufser diesen Reichen bestanden
noch: im Osten von Guatemala die Chortf-Reiche von Esquipulas und
Copan, im Norden die Herrschaften der Verapaz, der Choles und Lacan-
dares und das ansehnliche Reich der Itzaes (Taiga oder Ahizä). Im Süden
von Guatemala und in San Salvador sind als gröfsere Staatswesen
die Pipil-Reiche Panatacatl und Cuzcatlan zu nennen, zwischen denen
sich kleinere Pipil- und Xinco-Fürstentümer befanden.
Die meisten von Pedro de Alvarado und den übrigen Conqui-
stadgren in diesen Gebieten berührten Ortschaften sind leicht zu
identifizieren; nur die Lage der Inselfestung von Atitlan ist nicht mit
Sicherheit festgestellt, da eine ganze Anzahl von Inselchen am Südufer
des Sees beobachtet wird. Die Reiseroute, welche Cortes auf seinem
berühmten Zug nach Honduras verfolgte, ist dagegen nicht mit Sicher-
heit in ihrem ganzen Verlaufe festzulegen, obgleich wir zwei in mancher
Hinsicht sich trefflich ergänzende Berichte von Augenzeugen besitzen,
nämlich den officiellen Bericht des Cortes an Kaiser Karl V. und die
Beschreibung des Bernal Diaz, welcher als Soldat den Zug mitgemacht
hat. Bernal Diaz, der 1522 bis 1524 in Coatzocoalco gewohnt und
J ) Colecrion Gayangos, S. 290.
144 Carl Sapper:
die Umgebungen auf seinen Zügen genau kennen gelernt hatte, be-
schreibt den Zug durch Tabasco recht eingehend. Jenseits des Rio
Grijalva aber werden seine Schilderungen, die er erst viele Jahre später
aus dem Gedächtnis niedergeschrieben hat, verschwommen und ungenau,
weshalb ich von da ab für den weiteren Verlauf der Reise mich an
den Bericht des Cortes gehalten habe, welcher mit grofser Wahrheit
die Terrainschwierigkeiten, den eigenartigen Charakter mancher Gebirge,
die Savannen und das mühselige Wandern in den dichten Urwäldern
mit ihren Strömen, Sümpfen und periodischen Seenbildungen beschreibt
oder wenigstens andeutet. Wo Bemal Diaz und Cortes von einander
abweichen, sind es meist Dinge von untergeordneter Bedeutung: Bemal
Diaz läfst den Cortes z. B. von Ciguatepecad aus zwei Spanier nach
Xicalango entsenden, während der spanische Feldherr berichtet, von
Izancanac aus einen Boten dorthin geschickt zu haben (der dann auf
dem Rio S. Pedro oder auf einem mit diesem Flufs in Verbindung
stehenden Überschwemmungssee abgesegelt sein müfste).
Von Coatzocoalco bis Tepetitan läfst sich der Zug von Cortes auf
der Karte ziemlich genau verfolgen; dagegen ist die Lage von Iztapan und
Tatahuitalpan recht unsicher, während Qagoatespan wegen der Nachbar-
schaft des noch heute bestehenden Osumacintlan etwas genauer be-
stimmbar ist. Dann aber wird die Festlegung der Reiseroute schwierig,
da keine von den zunächst erwähnten Ortsnamen mehr bestehen und
erst die Insel Flores im Peten - See aus der Ortsbeschreibung mit
Sicherheit erkennbar ist. Für die dazwischen liegenden Orte sind die
Beschreibungen zu ungenau, zugleich aber ist unsere topographische
und vollends unsere archäologische Kenntnis dieser Gegenden zu gering,
um sie heute wieder zu erkennen und auf der Karte eintragen zu
können. Zudem wechselt ja das Bild jener Gegenden ungemein stark
mit der Jahreszeit: wo der Wanderer in der Trockenzeit, namentlich
von März bis Mai, heftige Durstqualen zu gewärtigen hat, weil viele
Bäche und Wassertümpel gänzlich austrocknen, da findet er währenp^ der
Regenzeit oft grofse Überschwemmungsflächen, Sümpfe und stark an-
geschwollene Bäche, die ernstliche Verkehrshindernisse bilden können.
So viel steht übrigens fest, dafs Cortes auf dem Wege vom Osumacintlan
zum Peten-See den Rio S. Pedro nicht überschritten hat, also südlich
von demselben geblieben ist. Auf dieser Reise, in Acala, geschah das
Unerhörte, dafs Cortes den gefangenen Kaiser von Mexico, Guateumucin,
auf den Verdacht einer Verschwörung hin, zusammen mit dem Fürsten
von Tacuba, an einer Ceiba aufknüpfen liefs.
Nachdem Cortes die Inselstadt Tayasal verlassen hatte, beschreibt
er seinen Eintritt in die Savannen des Peten; jedoch läfst sich Checan,
sein erstes Nachtquartier, nicht identifizieren, da aus jener Gegend kein
Die ersten Kriegszüge der Spanier im nördlichen Mittel- Amerika. 145
See bekannt ist. Ebensowenig läfst sich der Endpunkt des zweiten
und dritten Tagesmarsches bestimmen; denn obgleich die Ortsbeschreibung
des letzteren Punktes (Savannen mit etlichen Kiefernwäldern) recht gut
auf Machaquilä passen würde, so mufs doch die Identität beider Orte
bestritten werden, da die Entfernungen nicht stimmen. Es scheint, als
ob Cortes westlich vom heutigen S. Luis-Wege marschiert wäre, wie
er auch das wasserarme, wildzerrissene, aber niedrige Felsengebirge
von Pecbar, nördlich vom Cancuen, an einer breiteren, also ungünstigeren
Stelle überschritten zu haben scheint, als man es heutzutage auf dem
S. Luis-Wege thut. Er überschritt nun, wie es scheint, den stark an-
geschwollenen uud daher sehr schwer zu passierenden Cancuen (Rio
S. Ysabel), später den Yaxhä und den Sarstoon 1 ), um sich dann ost.
wärts nach Nito zu wenden. Die Hungersnot, die in jener spanischen
Ansiedelung herrschte, nötigte Cortes zu einer Expedition in das Innere
des Landes, von wo er reiche Vorräte an Lebensmitteln mitbrachte.
Da ich mich über diese Expedition schon früher 2 ) eingehend verbreitet
habe, brauche ich hier nicht darauf zurückzukommen. Dafs Cortes
wirklich südlich vom Polochic in das Innere des Landes eingedrungen ist,
wie ich damals wahrscheinlich zu machen suchte, kann ich nun mit
Bestimmtheit versichern, da ich seitdem auch die Gegend nördlich vom
Polochic aus eigener Anschauung kennen gelernt habe: die Ortsbe-
schreibung des Cortes, namentlich der Hinweis auf das Vorkommen
unglaublich vieler Bäche, pafst vortrefflich auf die Südseite des Polo-
chic-Thals, aber gar nicht auf die Nordseite.
Nach Nito heimgekehrt, schiffte sich Cortes, welcher den gröfsten Teil
seines Heeres nach Naco geschickt hatte, nach der Bahia des S. Andres
ein, gründete daselbst die Villa de la Natividad de Nuestra Sefiora
und setzte seine Reise nach Trujillo fort. Damit endete der berühmte
Zug nach Higueras (Honduras), ein Zug, welcher die Energie und Aus-
dauer der Spanier im Ertragen von Hunger und Strapazen, ihre
Ingenieurkunst und Findigkeit in das hellste Licht setzt. Derselbe Zug
wirft aber auch ein helles Streiflicht auf die unwirtliche Beschaffenheit
und die dünne Bevölkerung der durchzogenen Gebiete, und die Spär-
lichkeit der Ansiedelungen trug auch hauptsächlich die Schuld daran,
dafs diese unter unsäglichen Mühen und Entbehrungen durchgeführte
Expedition ganz ohne bleibenden Erfolg geblieben ist, wie schon der
unbekannte Verfasser der „Isagoge" mit scharfem Blick erkannt und
hervorgehoben hat. Ich schliefse die Skizze mit den Worten, mit denen
derselbe (S. 408) die beiden gleichzeitigen Züge des Cortes und seines
Waffengefahrten Alvarado vergleicht: „Mit einem Häuflein, das noch
») Globus, Bd. LXI Nr. 14, S. 211.
2 J Petermanns Mitteilungen, 38. Bd., 189a, X, S. 243.
14(>
A. Penck:
nicht iooo Mann zählte, Spanier und Mexikaner zusammengenommen,
ging Don Pedro de Alvarado siegreich aus unzähligen Schlachten her-
vor, schlug gewaltige Heere, unterwarf Dörfer, Provinzen, Königreiche
und mächtige Könige . Und jetzt sehen wir, dafs der berühmte
Don Fernando Cortes mit einem starken Heer von mehr als 4000 Mann
weder Königreiche unterwarf, noch Provinzen, noch Dörfer, noch auch
Schlachten schlug, abgesehen von jenem kleinen Scharmützel mit den
armseligen Choles 1 ), und dafs sein ganzer Zug voll war von Mühsal,
Unglück, Elend, Hungersnot, Krankheit und Tod. Die natürliche und
offenkundige Ursache davon ist, dafs Don Pedro de Alvarado auf der
Südsee-Seite Dörfer, Städte, Provinzen und sehr volkreiche Königreiche
fand, welche er mit Gottes Hilfe besiegen und unterwerfen konnte.
Aber Don Fernando Cortes traf bei den Nordküsten keine solche
Dörfer, Städte, Provinzen oder Königreiche an, sondern verlassene
Gegenden, in denen er kaum ein paar armselige Hütten fand und
einige Führer, die ihn von einem Ort zum andern führen konnten."
Geomorphologische Probleme aus Nordwest-Schottland.
Von Albrecht Penck in Wien.
(Hierzu Tafel 6.)
Die unter der Leitung von Sir Archibald Geikie stehende
geologische Landesdurchforschung Grofsbritanniens hat im Laufe des
letzten Jahrzehnts bei Aufnahme des nordwestlichen Schottlands eine
Reihe hochwichtiger Ergebnisse gezeitigt, welche in den zunächst be-
teiligten Fachkreisen gröfste Aufmerksamkeit hervorgerufen haben, und
welche voraussichtlich noch auf längere Zeit den Gegenstand ernster
Diskussionen auch in weiteren Kreisen bilden werden. Es war daher
ein überaus glücklicher Gedanke, dafs das Organisations-Komitee des
VI. Internationalen Geographen-Kongresses in London 1895 eine Ex-
kursion in die nordwestlichen Hochlande in das Ausflug-Programm auf-
genommen und in einem von deren Erforschern, Herrn John Hörne,
einen ausgezeichneten Leiter gewonnen hatte.
Ich hatte das grofse Glück, mich dieser Exkursion anschliefsen zu
können. Der Umstand, dafs sich kein zweiter Teilnehmer eingestellt
hatte, ermöglichte dem trefflichen Exkursionsleiter, das Programm der
Reise ganz meinen speziellen Wünschen und meiner physischen
Leistungsfähigkeit anzupassen. Ich danke daher in erster Linie Herrn
Hörne, dafs ich in einer gegebenen Zeit möglichst viel zu sehen
bekommen habe, und darunter auch namentlich die Dinge, auf die ich
l ) Auf dem Polochic.
Geomorphologische Probleme aus Nordwest-Schottland. 14 7
persönlich Gewicht legte. Dazu kommt, dafs die in Nord-Schottland
im allgemeinen wenig günstige Witterung während der Exkursion einige
sehr schöne und nur zwei regnerische Tage brachte. Ich war dadurch
in die Lage versetzt, nach dem Studium der Einzelprofile gröfsere
Strecken von geeigneten Standpunkten aus zu überblicken und ver-
möge der aufserordentlichen Nacktheit des Landes deren geologischen
Aufbau in grofsen Zügen kennen zu lernen.
Wennn es mich drängt, über die Ergebnisse der Exkursion zu
berichten, so kann dies selbstverständlich nicht in der Absicht ge-
schehen, neue Beobachtungen über ein Gebiet mitzuteilen, das durch
mehr als ein Jahrzehnt der Schauplatz mühevoller Untersuchungen einer
Schar auserwählter Geologen gewesen ist. Ich mufs mich beschränken,
die Eindrücke wiederzugeben, die das Gesehene auf mich gemacht
und bleibend hinterlassen hat. Diese Eindrücke sind zweierlei Art.
Die einen beziehen sich auf die Auffassung der geologischen Lage-
rungsverhältnisse, und da kann ich nur die absolute Zuverlässigkeit
der schottischen Aufnahmen rühmen. Die anderen beziehen sich auf
die Deutung der geologischen Lagerungsverhältnisse und ihre Wichtig-
keit für geomorphologische Probleme. Von ihnen soll im folgenden
vornehmlich die Rede sein. Über den Verlauf der Exkursion be-
schränke ich mich, folgendes zu berichten.
Am 13. August 1895 brachen wir, Herr Hörne und ich, mit dem
Stellwagen von Lairg, der Station der Hochlandbahn für Sutherland,
nach dem nahe an der Westküste gelegenen Assynt auf. Abends be-
sichtigten wir die dort befindliche normale Schichtfolge. Am 14. August
besuchten wir bei herrlichstem Wetter die Profile längs des Loch
Glencoul, einer Fjordverzweigung der Westküste nördlich von Assynt,
wohin wir abends zurückkehrten. Am 15. August fuhren wir am West-
rande des Caledonischen Gebirges nach Ullapool, am Loch Broom,
einem Fjord der Westküste, gelegen. Unterwegs hatten wir Gelegen-
heit, das berühmte Knockan-Profil kennen zu lernen; abends besich-
tigten wir die Profile von Ullapool. Heftiger Regen, welcher die zu
durchwatenden Bäche hoch zum Schwellen brachte, hinderte am 16.,
die Wanderung am Westrande des Caledonischen Gebirges fortzusetzen
und zu Fufs nach Kinlochewe am Loch Maree zu gehen. Wir mufsten
uns entschliefsen , mit Wagen und Bahn dahin zu kommen ; dabei
waren wir genötigt, bis zur Station Garve ostwärts zurückzugehen, also
das Caledonische Gebirge zweimal nahezu in seiner gesamten Breite zu
queren. Die nächsten Tage waren Ausflügen von Kinlochewe gewidmet.
Herrliches Wetter begünstigte am 17. August den Besuch der Profile
am Slioch und Beinn a Mhuinidh, und am 18. — soweit mit der Sonn-
tagsruhe vereinbar — der bekannten des Logan-Thals. Der 19. August
148 A. Penck:
war den Aufschlüssen am Loch Torridon, der 20. jenen am Westende
des Loch Maree und von Gairloch gewidmet. Abends fuhren wir noch
nach Strathcarron , dem Standquartier der Herren Peach und Hörne.
Es war mir sehr wertvoll, nach der offiziellen Exkursion des Kongresses
beide Geologen noch am 21. und 22. August gelegentlich ihrer Auf-
nahmetouren begleiten zu können.
1. Die beiden Diskordanzen.
Nord-Schottland zerfallt morphologisch in drei Stücke 1 ). Die
Ostküste wird auf grofsen Strecken von einem Flachlande gebildet,
das sich an flach gelagerte Schichten des alten roten Sandsteins (Old
Red) knüpft. Die Mitte ist ein Bergland, zusammengesetzt aus stark
gefalteten Schichten von gneifsähnlichen Gesteinen, von Glimmer und
Quarzitschiefern, die hier und da von mächtigen Granitstöcken unter-
brochen werden. Das ist das Caledonische Gebirge. Seine Schicht-
gesteine, an welche sich die gröfsten Moorvorkommnisse Schottlands
knüpfen, werden nach deren gälischer Bezeichnung von den schot-
4} tischen Geologen Moine-Schichten genannt. Sie streichen nordöstlich.
Die Oberflächengliederung ist davon gänzlich unbeeinflufst. Die Berg-
rücken verlaufen meist von Nordwesten nach Südosten und sind
durch Querthalzüge von einander getrennt. Diese Anordnung mahnt
an eine fied erförmige, deren Hauptkamm zerstört und deren Quer-
kämme allein erhalten sind. Westlich vom Caledonischen Gebirge er-
streckt sich im Norden, in der Nachbarschaft von Kap Wrath eine
Platte mit einem ähnlichen Reichtum an Seen, wie ihn Schweden und
J Finnland aufweisen. Hier herrscht ein gebänderter Granit, welcher von
zahlreichen südwestlich streichenden Gängen dioritischer Gesteine
durchsetzt wird. Unweit des Loch Maree gesellen sich auch Glimmer-
und Quarzitschiefer hinzu, welche den Moine-Schichten ähneln, aber
tf nicht wie diese nordöstlich, sondern in einem rechten Winkel dazu
) streichen. Alle diese Gesteine bilden einen einheitlichen Komplex,
1 welchen die schottischen Geologen kurzhin als den des „alten Gneifses"
J bezeichnen. So soll er auch hier benannt werden. Im Verein mit
* den ihm aufsitzenden Sandsteinbergen spielt er gegenüber dem Cale-
donischen Gebirge die Rolle einer tektonischen Einheit, die wir als
hebridisches Gebiet bezeichnen wollen. Die Sandsteinberge be-
gleiten die Westküste von Loch Cairnbawn mit wenigen Unterbrechungen
l ) Vergl. hierzu A. Geikie's ausgezeichnete geologische Übersichtskarte von
Schottland inBartholomew, The Royal Geographical Society's Atlas of Scotland.
j 1895. pl. VI. Für die topographischen Einzelheiten kann auf die Blätter XXXIX,
j XLIV, XLV, XLVIII und XLIV des genannten vorzüglichen Atlas verwiesen
! werden.
?i
Geomorpbologiscbe Probleme aus Nordwest-Schottland. 149
bis zur Insel Skye; wegen der Steilheit ihrer Formen und ihrer roten
bis braunen Färbung bilden sie unstreitig die landschaftlich schönsten
Teile der schottischen Westküste. Ihre Höhe übertrifft mehrmals
die des benachbarten Caledonischen Gebirges. Quinag (809 m), Canisp
(847 m) und der scharfgratige Suilven (731 m) sind die nördlichsten
Sandsteinberge der Gegend von Assynt. Weiter südlich bilden sie die
malerischen Erhebungen am Loch Maree und Loch Torridon. Nach
letzterem heifst ihr Material Torridon-Sandstein. Sie selbst können dar-
nach als torridonisches Bergland bezeichnet werden.
In seiner Beschaffenheit erinnert der Torridon-Sandstein den Alpen-
forscher an den Grödener Sandstein der Bozener Gegend und den
süddeutschen Geologen an den Buntsandstein, wie er im Schwarzwald
sich dem welligen Gneifs aufsetzt; der Schotte meint zunächst den
Old Red zu erkennen. Aber es liegt hier weder permischer noch
triasischer, noch devonischer Sandstein vor, sondern ein solcher viel
höheren Alters. B. N. Peach und John Hörne konnten durch
Fossilfunde unzweifelhaft machen, clafs die Gesteine, welche den Tor-
ridon-Sandstein diskordant überlagern, den ältesten fossilführenden
Schichten Grofsbritanniens angehören, und dafs der Sandstein schon
in die Basis der normalen Sedimentärformationen gehört. (Quart.
Journ. Geolog. Soc. London XL VIII, 1892, S.227.) Ist in stratigraphischer
Hinsicht die Feststellung der Thatsache sehr wichtig, dafs unter den
ältesten kambrischen Schichten noch Gesteine vorkommen, die sich
petrographisch in nichts von den roten Sandsteinen jüngerer Formationen
unterscheiden, weil dadurch die Wahrscheinlichkeit Raum gewinnt,
noch ältere Formen als die kambrische aufzudecken, so knüpft sich
das geomorphologische Interesse vornehmlich an die Grenze des Gneifses
und des Torridon-Sandsteins.
Verfolgt man die Gneifsberge, so sieht man sie unter die Sand-
steinberge förmlich untertauchen. Diese sitzen ihnen auf und verhüllen
sie samt den trennenden Vertiefungen. Deutlich sieht man dies auf
der Nord- und Südseite des Quinag, sowie auch am Südufer des Loch
Assynt, wo unter dem Beinn Gharbh (539 m) ein Gneifshügel heraus-
tritt, der sich 30 m über die benachbarte Grenze zwischen Torridon-
Sandstein und Gneifs erhebt (vergl. Abbild. 1.). In ganz besonderer
Klarheit zeigte mir Hörne diese Verhältnisse am Loch Maree unweit
Kinlochewe, bei Gairloch und Loch Torridon. Der beherrschende
Gipfel am Nordufer des Loch Maree, der 980 m hohe Slioch (Ab-
bild. 2), besteht aus flach lagerndem Torridon-Sandstein, welcher unweit
der Mündung des Fhasaig-Baches sich bis zum Spiegel des nur 10 m
hoch gelegenen Sees herabsenkt, also eine Mächtigkeit von mehr als
970 m besitzt. Nordwestlich von jener Mündung aber erhebt sich der
150 A - Penck:
Gneifs bis etwa 381 m und tritt als Gehängekuppe des Meall Riabhach
aus dem Abfall des Slioch hervor. Nördlich von der Fhasaig-Mündung
ferner strebt ein in die Gruppe der Gneifsgesteine gehöriger Horn-
blendeschiefer bis 932 m an und bildet den Nebengipfel des Slioch, den
Sgurr an Tuill Bhain. Unter der Decke des Torridon-Sandsteins hat
man also zwei isolierte Kuppen des Grundgebirges, von einander ge-
trennt durch einen thalähnlichen Einschnitt, welcher erfüllt ist mit
Torridon-Sandstein. Dieser aber erscheint nicht durchaus in seiner ge-
wöhnlichen Ausbildung. Zwischen die roten Sandsteinbänke schalten
sich Breccienlagen ein, welche aus eckigen Fragmenten des Horn-
blendeschiefers vom Sgurr an Tuill Bhain bestehen und nach diesem
hin an Mächtigkeit rasch zunehmen. Sie mahnen an das Material al-
piner Schutthalden und besitzen auch eine entsprechende Lage; sie
knüpfen sich an die Nachbarschaft des Hornblendeschiefers und
drängen sich von diesem aus nur 50 - 60 m weit in den roten Sand-
stein. Man kann sie daher wirklich als verfestigtes Material alter
Schutthalden bezeichnen und die vom Torridon-Sandstein ausgefüllte
Lücke zwischen Meall Riabhach und Sgurr an Tuill Bhain mit einem
verschütteten Thal vergleichen, dessen Wandungen unter 40 aufsteigen
würden. Der Ben Shieldaig am Upper Loch Torridon ist gleich dem
_J Slioch ein Berg von flach gelagertem Torridon-Sandstein, welcher auf
! einer Gneifsaufragung aufsitzt. Letztere tritt aus der halben Höhe
seines Abfalles als ein rückenförmiger Vorsprung hervor, der sich bis
in den Loch Torridon hinein erstreckt. Ein zweiter Vorsprung von
Gneifs bildet die Halbinsel von Shieldaig zwischen dem oberen Loch
I Torridon und dem Loch Shieldaig. Zwischen beiden Gneifsrücken
reicht in dem Winkel „Ob Mheallaich" des oberen Loch Torridon der
Torridon-Sandstein bis zum Meer herab, sichtlich wieder die Ausfüllung
i einer thalähnlichen Vertiefung zwischen zwei alten Gneifsbergen bildend.
; (Vergl. die von SirArchibaldGeikie gegebene Abbildung. The Nature
XXII, 1880, S. 402.). Auch die kleine Halbinsel zwischen den Winkeln
Ob Gorm Mor und Ob Gorm Beag ist ein kleiner Gneifsberg, welcher in
den umliegenden Torridon-Sandstein aufragt. Letzterer lehnt sich auf
der Westseite in seiner gewöhnlichen Ausbildung auf den Gneifs, im
Osten erscheint an seiner Basis eine grobe Breccie von durchweg
eckigen Fragmenten, worunter einige bis 2,1 m Durchmesser haben.
IIhr Material stimmt mit dem des benachbarten Grundgebirges überein.
Eine ganz ähnliche grobe Breccie findet sich am Südwestufer des Loch
Maree, westlich vom Loch Maree-Hotel. Auf eine Strecke von 50 — 60 m
wird das hier anstehende Gneifsgrundgebirge von einer Riesenbreccie
unterbrochen, welche in einer Mächtigkeit von 12 m eine thalförmige
1 Vertiefung ausfüllt. Fragmente von 1,2 bis 1,5 m Durchmesser sind hier
Geomorphologische Probleme aus Nordwest-Schottland. 151
nicht selten; ein grofser eckiger Block mafs 4 m :$ m: 1 m, also etwa
12 cbm. paneben finden sich hier aber selten gut gerundete Gerolle.
Sehr deutlich sind endlich die Aufschlüsse unmittelbar am Gairloch-
Hotel. Längs des Strandes findet sich hier Torridon-Sandstein. Land-
einwärts hebt sich das Grundgebirge hervor und bildet den über
200 m hohen Hügel hinter dem Hotel. Sein Abfall ist bis 60 m
über dem Meer mit einer groben Breccie überdeckt, welche aus zum
Teil riesigen, mehrere Fufs langen, eckigen Fragmenten der Gneifsserie
besteht. Dartiber folgt der gewöhnliche Torridon-Sandstein, welcher
viel sanfter (15 ) nach Westen fallt als das Gehänge (20 ), und dieses
senkt sich sanfter als die Gneifsoberfläche (30 ). Er bildet daher den
Fufs des Hügels, das Kliff unter dem Hotel und den Vorsprung bei
der Freechurch. Hier heben sich unter ihm noch kleine Gneifsbuckel
hervor, bedeckt von einer mittelkörnigen Breccie, die auch gerundetes
Material enthält. Der 200 m hohe Hügel hinter dem Gairloch-Hotel ist
sohin durch Abtragung des ihn bedeckenden Torridon - Sandsteins
wieder zum Vorschein gekommen. Es liegt nahe, die gleiche Annahme
für die übrigen Gneifsberge zu machen und die Unebenheiten der
Gneifsplatte als vortorridonische aufzufassen. Aber es darf nicht ver-
gessen werden, dafs nach Ablagerung des Torridon-Sandsteins sehr
bedeutende Störungen des Schichtenbaues stattgefunden haben, welche
das ursprüngliche Bergland stark verändert haben, weswegen jene Ver-
mutung nicht auf jeden einzelnen Fall anwendbar ist, und dafs auch die
Unebenheit der Gneifsoberfläche kein allgemeines Mafs für die Erhebungs-
verhältnisse des vortorridonischen Gebirges gewährt. Ein solches kann
nur dort gewonnen werden, wo die nachträglichen Lagerungsstörungen
fehlen. Das ist am Slioch der Fall, und hier erhellt unzweifelhaft,
dafs Höhenunterschiede des Grundgebirges mindestens im gleichen
Ausmafs vorhanden sind, wie gegenwärtig im Lande. Es findet sich
also im Nordwesten Schottlands ein uraltes, teilweise noch
vergrabenes, teilweise wieder durch Abtragung seinerHülle
an das Tageslicht gebrachtes Bergland vor, das stellenweise
in Bezug auf das Ausmafs seiner Unebenheiten den uneben-
sten Teilen Grofsbritanniens nicht nachsteht, und dessen
Böschungen, wie z. B. am Slioch, die Steilheit von Hochgebirgs formen
zeigen. Ob die zwischen den einzelnen Bergen gelegenen Vertiefungen
des Grundgebirges einem Thalsystem angehören, oder ob sie Wannen
darstellen, läfst sich aus Mangel an Aufschlüssen nicht durch Beob-
achtungen entscheiden. Unverkennbar tragen sie aber in Querschnitten,
wie z. B. am Slioch, thalähnlichen Charakter, und wenn man in der
Gegenwart nach Seitenstücken der Oberfläche des Grundgebirges unter
dem Torridon-Sandstein sucht, so wird man diese nur in thaldurch-
f 152 A. Pcnck:
furchten, also reich benetzten Bergländern finden können;
denn nirgends sonst trifft man so hohe und schlanke Berg^feiler, wie
sie das Grundgebirge z. B. unter dem Slioch zeigt. Weiter nördlich
allerdings ist die Unebenheit des Grundgebirges geringer; man begegnet
in der Gegend von Assynt vortorridonischen Höhenunterschieden von
nur 300 bis 500 m. Zugleich sind die Formen weniger steil und mehr
gerundet (vergl. Abbild. 1 und 3.). In der Nähe von. Kap Wrath endlich
ist nach den Untersuchungen der Survey die Oberfläche des Gneifses
ziemlich eben. Man kann demnach im äufsersten Norden Flachland,
in der Breite von Skye ein Bergland unter dem Torridon-Sandstein
unterscheiden. In welcher Beziehung beide mit einander stehen, ob das
Flachland an den Fufs des Berglandes gehört, oder dieses den Rand
eines hochgelegenen Flachlandes bildet, ist nicht mit Sicherheit zu er-
schliefsen. Der Umstand, dafs die tiefsten Partien des Torridon-Sand-
steins im Süden vorkommen, macht wahrscheinlich, dafs in dieser
Richtung das Tiefland lag; hiernach hätte man in dem vortorridonischen
Berglande lediglich einen zerfransten Hochlandabfall zu erkennen.
Bei Untersuchung der Ursachen, durch welche das alte vortorn-
donische Bergland Schottlands eingeebnet wurde, ist man lediglich
auf die petrographische Zusammensetzung des Torridon-Sandsteins an-
gewiesen, da derselbe bisher keinerlei Fossilien geliefert hat. Sein
petrographischer Habitus erinnert, wie schon erwähnt, an den ver-
schiedener roter Sandstein-Formationen Europas, die in verschiedenen
geologischen Systemen auftreten. Die englischen einschlägigen Ab-
lagerungen sind von A. C. Ramsay (Quart. Journ. Geolog. Soc. XXVII,
1871, S. 189 u. 241) als lakustre Gebilde gedeutet worden, und es stehen
die schottischen Feldgeologen augenscheinlich auf dem Boden von
Ramsay's Anschauungen, wenn sie den Torridon-Sandstein als lakustre
Formation ansehen (Quart. Journ. Geolog. Soc. XLIV, 1888, S. 402).
Nun sind in der That die vergleichsweise erwähnten roten
Sandsteine ihrer Hauptmasse nach nicht marine Ablagerungen. Sie
enthalten gewöhnlich garkeine marine Versteinerungen , und wo
solche gefunden werden, beschränken sie sich auf ganz bestimmte
Schichten. Dagegen zeichnen sie sich durchweg durch das Auftreten
von Pflanzenresten aus, der alte rote Sandstein Grofsbritanniens zudem
durch zahlreiche Abdrücke von Süfswasserfischen, die jüngeren durch
die Fährten von landbewohnenden Wirbeltieren. Aus alledem möchte
ich aber noch nicht schliefsen, dafs jene Sandsteine lakustren Ursprungs
seien. Am Boden grofser Binnengewässer kommen heute allenthalben
sehr feinkörnige Sedimente, namentlich Schlamm und Thon, zur Ab-
lagerung. Der Sand beschränkt sich auf die Uferzone. Wir haben
in der Gegenwart kein Analogon zu einer einigermafsen ausgedehnten
Geomorphologische Probleme aus Nordwest-Schottland. 153
lakustren Sandstein-Formation. Dazu kommt, dafs die Schichtflächen
fast aller roten Sandstein-Formationen Trockenleisten besitzen, welche
als Ausfüllung von Sonnenrissen {suncracks) zu deuten sind. Dies
läfst erkennen, dafs die Schichtfläche zur Zeit ihrer Entstehung an der
Landoberfläche lag. In gleicher Richtung deuten die zahlreichen Tier-
fährten auf permischen und triasischen Sandsteinen, ferner die in ihnen
enthaltenen Reste zahlreicher landbe wohnender Amphibien und Rep-
tilien.
In der That ist denn auch von Blanford und Medlicott für
die vorderindische rote Sandstein-Formation der Nachweis geführt
worden, dafs sie fluviatilen Ursprungs ist (A Manual of the Geology
of India, I. S. 98), und Bonney hat Gleiches für den englischen jün-
geren roten Sandstein ausgesprochen (Rep. Brit. Assoc. Birmingham 1886,
S. 601). Dieselbe Anschauung habe ich für andere Sandstein-Forma-
tionen vertreten (Verh. d. IX. Deutsch. Geographentages, 1891, S. 36;
Morphologie der Erdoberfläche 1894, S. 36) und habe sie insgesamt
als Kontinental- Formationen bezeichnet. Denn in ihrer Entstehung
auf dem Festlande liegt das wesentliche Moment. Erscheinen sie zwar
der Hauptsache nach als Flufsanschwemmungen, so beteiligen sich
doch an ihrer Zusammensetzung vielfach auch lakustre Ablagerungen
sowie allerhand äolische Gebilde, sodafs für sie insgesamt die Benen-
nung fluviatil nicht recht am Platz ist.
Die Ablagerungen in den grofsen Stromebenen der Erde sind
recente Seitenstücke zu den alten Kontinental-Formationen; daher ist
begreiflich, dafs ihre Bildungsweise zuerst in Indien richtig aufgefafst
wurde, wo die Indus-Ganges-Ebene einen der grofsartigsten Beispiele
kontinentaler Ablagerungen liefert. R. D. Oldham hat denselben in
der von ihm bearbeiteten neuen Auflage von Blanford und Medli-
cott „Manual of the Geology of India" eine lichtvolle Darstellung ge-
widmet, aus welcher hier die wesentlichsten Punkte herausgegriffen
werden. Mehrere Bohrlöcher haben die Zusammensetzung der Ganges-
Ebene bis in namhafte Tiefen aufgeschlossen. Sie besteht aus Sand-
nnd Lehmmassen mit Kalkkonkretionen (Kankar), die selbst in un-
mittelbarer Nähe des Meeres bei Kalkutta rein kontinental sind und
eine sehr beträchtliche, mehrere hundert Fufs betragende Mächtigkeit
besitzen. Im Indus-Gebiet tritt oberflächlich der Sand mehr hervor, er
ist in der Nachbarschaft der Flüsse häufig zu Dünen zusammengeweht
und bildet hier das Bhür-Land; östlich der Ebene liegen die grofsen
Flugsandgefilde der Wüste Thar, deren Material dem Indus-Sande ähn-
lich ist. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird man auch in der Tiefe
vornehmlich Sand antreffen, nach der Mächtigkeit des Ganges-Alluviums
zu urteilen, also eine ausgedehnte, mächtige moderne Sandstein- Forma-
Zeitschr. d. Ges. f. Erd. Bd. XXXII. 1897. ] 1
154 A. Penck:
i tion. Der Hauptsache nach ist sie vom Flufs angeschwemmt; aber
die zahlreichen Flugsandbildungen der Oberfläche mahnen daran, den
Anteil äolischer Gebilde an ihrer Zusammensetzung nicht zu unter-
schätzen. Machen sie doch im Bohrloch von Agra fast ein Drittel (150')
des gesamten dort gänzlich durchbohrten Ganges-Alluviums aus. Da-
neben trifft man in der Indus-Ebene Sumpfbildungen zwischen Jacoba-
.1 bad bis zum Manchhar-See, im letzteren lakustre Ablagerungen aus
süfsem Wasser, sowie in den Salzseen zwischen den Dünen von Umarkot
solche aus salzigem. Alle diese fluviatilen, äolischen und lakustre n
Ablagerungen bilden insgesamt einen einzigen geologischen Komplex,
die Kontinental-Formation der Indus-Ebene.
Die Indus-Ganges-Ebene ist das Beispiel einer mächtigen Konti-
nental-Formation auf der ozeanischen Abdachung des Landes. Weit
zahlreichere finden sich in den Binnengebieten. Die Hochflächen Süd-
Afrikas sind in dieser Hinsicht sehr beachtenswert. Im Ngami-Becken
lagern die periodischen, von Westen kommenden Flüsse ihre Sand- und
Schlammmassen ab, die in der trockenen Jahreszeit ein Spiel der
Winde werden. Zugleich trocknen dann salzhaltige Tümpel aus; es
entstehen fern vom Meer Steinsalzlager, die man nicht im entferntesten
mit irgend einem ausgetrockneten Meeresarm in Verbindung bringen
~ kann, und welche überzeugend darthun, dafs auch Steinsalzlager Glieder
echter Kontinental-Formationen sein können. Der Ngami-See schwillt
bei Hochwasser beträchtlich an, in der Trockenzeit geht er auf enge
Grenzen zurück. Dr. Holub hat mir anschaulich geschildert, wie dann
über den trocken gelegten roten Schlamm und Sand Herden von
Tieren hinwegziehen, tiefe Eindrücke als Fufsspuren hinterlassend,
welche während der ganzen Trockenzeit unverletzt bleiben; zugleich
reifst der Erdboden in zahlreichen Sprüngen auf. Beim nächsten Hoch-
stand des Sees gerät diese mittlerweile fest gewordene Bodenflächc
wieder unter Wasser, und über sie breiten sich neue Sedimente, welche
ihre Unterlage mit allen ihren Tierfahrten und Trockenleisten getreu-
lich abgiefsen. So entstehen noch gegenwärtig nicht am Ufer des
Meeres, wo die Brandung die Spuren leicht verwäscht, sondern im
Binnenland Schichten mit Tierfährten und Sonnenrissen, wie solche
aus den meisten Kontinental-Formationen bekannt sind.
(Ich führe alle diese Einzelheiten von den recenten Kontinental-
Formationen an, um die Mannigfaltigkeit der Vorgänge zu erläutern,
welche bei ihrer Entstehung mafsgebend sind, ferner um zu zeigen,
dafs die Entstehungsbedingungen aller Eigentümlichkeiten der roten
Sandstein-Formationen Europas, der permischen Sandsteine Süd-Tirols,
der salzreichen triasischen Süd-Deutschlands und Englands und des
alten roten Sandsteins Schottlands gegenwärtig auf dem festen Lande
Geomorphologische Probleme aus Nordwest-Schottland. 155
gegeben sind. Mit jenen typischen Sandstein-Formationen stimmt derTor-
ridon-Sandstein im äufseren Aussehen und in Bezug auf seine stattliche
Mächtigkeit überein. Aber die entscheidenden paläontologischen Merk-
male, der Mangel mariner Versteinerungen, das Auftreten terrestrer oder
fluviatiler Formen, sowie von Resten von Landpflanzen und die Fährten
von gröfseren Landbewohnern fehlen. Der Sandstein erwies sich bisher
mit Ausnahme unbestimmbarer Reste als ganz fossilleer. Von vielen
seiner petrographischen Züge läfst sich auch nur sagen , dafs sie
sowohl in marinen wie auch in kontinentalen Formationen vorkommen.
Seine ziemlich massigen Bänke zeigen häufig falsche Schichtung —
solche zeichnet sowohl marine, wie fluviatile, lakustre und» äolische
Bildungen aus — , auf den Schichtflächen sieht man nicht selten Ripple-
Marks, welche keineswegs blofs eine Eigentümlichkeit mariner Ab-
lagerungen sind und auch in Flufsbetten, seichten Seen und nament-
lich auf Dünen entstehen, aber kein Argument in der einen oder
anderen Richtung liefern. Unter solchen Umständen könnte man wohl
über die Bildungsweise des Torridon-Sandsteins im Unklaren bleiben,
wenn nicht die Art seiner Begrenzung gegen den Gneifs mit einer
marinen Entstehung unvereinbar wäre.
Die untere Grenze des Torridon-Sandsteins ist eine Landoberfläche.
Dies haben die Erforscher von Nordwest-Schottland mit voller Klarheit
ausgesprochen (Quart. Journ. Geolog. Soc. XLIV, 1888, S. 400). Ist
nun der Torridon-Sandstein marin, so mufste das alte Land vor seiner
Ablagerung unter das Meer tauchen, und es mufste die Wirkung der
Brandung über seine Oberfläche hinweggehen. Davon bemerkt man
keine Spuren. Die Riesenbreccie ist kein Strandkonglomerat; denn
ihre grofsen Fragmente sind durchweg eckig, während die des Bran-
dungsgürtels selbst bei stattlicher Gröfse mehr oder weniger gerundet
sind. Ferner mufsten sich beim Untertauchen die Thäler des sinken-
den Landes in Buchten verwandeln, in denen die Flüsse Deltas auf-
schütteten, so wie man solche am oberen Ende jedes Fjordes findet.
Aber auch sie fehlen; damit fällt aber nicht blofs die letzte Möglich-
keit, den Torridon-Sandstein als marine Bildung zu deuten, sondern
auch ihn als lakustre aufzufassen; denn beim Untertauchen unter einen
Binnensee mufsten sich auf der alten Landoberfläche Deltas mit charak-
teristischer schräger Schichtung entwickeln, wie sie die Ufer aller
Binnenseen begleiten und ermöglichen, die früheren Uferlinien haar-
scharf festzustellen.
Die Riesenbreccie an der Basis des Torridon-Sandsteins ist jeden-
falls die Ablagerung, deren befriedigende Deutung Licht auf die Ent-
stehung der gesamten Formation wirft. Wer sie mit ihren riesigen
Blöcken gesehen hat, denkt unwillkürlich zunächst an die jüngeren
11*
156 A - Penck:
Blockbildungen Schottlands, nämlich an die eiszeitlichen Moränen, zumal
wenn man beachtet, dafs an manchen Stellen, z. B. am Loch Torridon
und am Gairloch-Hotel, der Gneifs in rundlichen Kuppen in sie aufragt,
die an Rundbuckel mahnen. Der Schlufs, dafs die Riesenbreccie eine
uralte Moräne sei, liegt unter solchen Verhältnissen sehr nahe. Fast un-
willkürlich folgt der Glacialist dem Beispiel von SirArchibald Geikie
und sucht in der Breccie nach gekritzten Geschieben (vgl. The Nature
XXII, 1880, S. 403). Ich that dies an allen von mir besuchten Vor-
kommnissen der Riesenbreccie, an der Südseite des Loch Torridon,
am Loch Maree und am Gairloch-Hotel ; aber nirgends gelang es mir,
ein Fragment zu entdecken, das auch nur leise Spuren von Eiswirkungen
gezeigt hätte, obwohl hier auch rundliche Geschiebe vorkommen. Auch
vermochte ich nirgends auf der Oberfläche des Gneifses irgend welche
Schrammung oder nur Glättung wahrzunehmen, vielmehr fand ich sie
bei Gairloch ebenso rauh wie an den Wandungen des verschütteten
Thals am Slioch, wo die Oberfläche des dortigen Hornblendeschiefers
mehrfach in eckigen Absätzen in den Torridon-Sandstein hineinspringt.
Für Annahme einer glacialen Entstehung der Riesenbreccie liegt kein
zwingender Anlafs vor; Sir Archibald Geikie hat sie auch nicht
mehr vertreten.
Der Charakter der Torridon-Breccie mahnt an den eckigen Gebirgs-
schutt, der sich am Fufs steiler Gehänge bildet. Damit steht vor allem
die Thatsache im Einklang, dafs die grofsen Fragmente aus der
unmittelbaren Nachbarschaft herrühren. Am Abfall des Slioch ist zu-
dem die Anordnung der Breccien genau die von Gehängeschutt-Ein-
lagerungen. Aus dem häufigen Vorkommen der Riesenbreccie an der
Basis des Sandsteins mufs man daher schliefsen, dafs das vortorrido-
nische Bergland vor Ablagerung des Torridon - Sandsteins sich unter
seine eigenen Trümmer zu begraben begann. Ein solcher Vorgang
läfst sich in der Gegenwart nicht selten beobachten. Namentlich sind
es die Gebirge der trockenen Centralregionen der Festländer, welche
unter ihrem eigenen Schutt förmlich ersticken. Gleiches geschieht in
den peripherischen Gebirgen nicht; entsteht auch hier zwar am Fufs
jeder steilen Felswand eine mehr oder weniger ausgedehnte Schutt-
halde, so fällt diese doch über kurz oder lang der Erosion durch das
fliefsende Gewässer anheim, welches die einzelnen Thäler gleichsam
ausspült. Von einer solchen Thätigkeit finden sich an der Basis des
Torridon - Sandsteins keine Anzeichen, und sie sollte man doch er-
warten, wenn man den ganzen Vorgang der Einebnung des alten
Gebirges sich vorstellt. Wenn zwischen den einzelnen Bergen Sand-
massen angehäuft werden, welche, wie einzeln eingestreute Fragmente
von rotem Quarz sowie auch von Porphyren beweisen, aus einem
Geomorphologische Probleme aus Nordwest-Schottland. 157
unbekannten Gebiet, jedenfalls aus einiger Entfernung stammen, so
mufste durch ihre Ablagerung das untere Denudationsniveau der Gegend
erhöht werden; die Bäche mufsten also ihre Betten erhöhen und mit
ihrem Gerolle zuschütten, so wie dies in manchen Alpen-Thälern
während der Eiszeit geschehen ist. Dies ist nicht eingetreten. Man
findet zwischen den einzelnen vortorridonischen Bergen der Loch
Maree - Gegend keine mächtigen Gerölllager, sondern eben nur die
Breccien, in denen das gerollte Material entweder ganz fehlt oder nur
sehr spärlich vorhanden ist. Das läfst sich nur unter der Annahme er-
klären, dafs zur Zeit der Ablagerung des Torridon-Sandsteins das vortorri-
donische Bergland nicht reichlich genug benetzt war, um einer kräftigen
Abspülung unterworfen zu sein und um lebhafte Gebirgsflüsse zu speisen.
Wir gelangen zu der Folgerung, dafs die Einebnung des vortorridonischen
Berglandes bei einem relativ trockenen Klima von statten ging.
Wie die Verschüttung eines Gebirges bei trockenem Klima ge-
schieht, ist den anschaulichen Schilderungen von J. Walt her über die
Sinai-Halbinsel zu entnehmen. (Die Denudation in der Wüste, Leip-
zig, 1891.) Er weist zunächst darauf hin, dafs sich die Granitgebirge
steil und ohne Übergang ans den Ebenen erheben (S. 44), ohne Schutt-
halden. In den Wadis zwischen ihnen trifft man „bunt durcheinander
gewürfelt faustgrofse und metergrofse Blöcke in einem feinsandigen
Cement, bald abgerollt und vollkommen gerundet, bald mit schärferen
Kanten versehen. Kein Wunder, wenn manche dieser Schottergebilde
als Moränen betrachtet und beschrieben worden sind." Sie sind über-
aus sonderbar verteilt. Im einen Wadi fehlen sie ganz, im andern
sind sie grofsartig entwickelt. Sie erscheinen dementsprechend nicht
als eine gleichzeitige Wirkung einer allgemein verbreiteten Ursache,
sondern als eine örtliche Wirkung örtlicher Kräfte. Als solche werden
die Regengüsse hingestellt, welche selten und mit örtlicher Beschränkung
eintreten, dann aber binnen kurzer Zeit beträchtliche Wassermassen
liefern, die den ganzen Gebirgsschutt eine Strecke weit in Bewegung
setzen. In dem langgedehnten Wadi Hascheb fand Walther einen
lockeren Sandstein, den er für äolischen Ursprungs hält Er über-
lagert grobes Wadigerölle. „Die darüber folgenden Sandsteinschichten
bestehen aus einzelnen bis i£ m dicken Bänken, zwischen denen dünne
Lagen von Wadischotter mehrfach bemerkbar sind, ein Zeichen dafür,
dafs die Sandablagerung im Wadi Hascheb gelegentlich durch einen
Gewittergufs unterbrochen wurde, welcher auf dem Sand eine Schicht
von Gerollen ausbreitete" 1 ).
J ) Photographien von der Sinai-Halbinsel, welche Dr. Natterer, der Chemiker
der Pola-Expedition dem Geologischen Institut der Wiener Universität schenkte,
lassen diese Verhältnisse klar erkennen.
158 A. Penck:
Man hat also hier in einem Wüstengebirge der Erde genau das-
selbe Profil wie zwischen den alten vortorridonischen Bergen. Unten
grobes Material, das von Walther bald als Gerolle, bald als Schotter-
gebilde bezeichnet wird, und das durch seine groben eckigen Blöcke
an Moränen erinnert hat, ein schlagendes Seitenstück zur torridonischen
Riesenbreccie, darüber einen grobbankigen Sandstein, durch Schutt-
lagen getrennt, so wie wir es am Abfall des Slioch sahen. Aller-
dings sind die Sande der Sinai-Halbinsel weifs und würden einen
lichten Sandstein liefern. Aber die des Nefüd sind rötlich, und ihre
Körner sind, ähnlich wie die mancher roter Sandsteine, mit einem
Häutchen von Eisenoxyd überzogen. (Quart. Journ. Geolog. Soc. XXXVIII,
1882, S. 110.) Sind die Analogien zwischen den beiden entlegenen
Schichtfolgen hiernach bereits sehr grofs, so erscheinen sie vollständig,
wenn man die von Walther mitgeteilte Ansicht des Wadi Hascheb
(S. 176) betrachtet; als ich unter Horne's lehrreicher Führung die Ge-
biete des Loch Maree und Loch Torridon durchwanderte, fühlte ich
mich immer aufs neue wieder an sie und die übrigen von Walther
mit Wort und Bild geschilderten Scenerien der Sinai -Halbinsel er-
innert, und es drängte sich mir der hier entwickelte Gedanke auf, dafs
die Entstehungsbedingungen des Torridon-Sandsteins gegenwärtig in
den trockenen Klimaten zu suchen seien. Dafs jener Sandstein des-
wegen in seiner ganzen Mächtigkeit als äolisches Gebilde aufzu-
fassen sei, so wie der Wüstensandstein nach J. Walther, möchte ich
damit noch nicht aussprechen. Der weithin verfolgbare Parallelismus
seiner Schichtbänke scheint mir damit nicht in Einklang zu stehen.
Andererseits ist es aber auch schwer verständlich, wie eine im Loch
Broom-Gebiet bis 2500 m mächtige Sandsteinformation von Flüssen
angeschwemmt werden konnte, ohne dafs häufige Wechsellagerungen
von Sanden und Thonen entstanden. Beachtenswert ist es jedenfalls,
dafs nach Bonney der Sandstein wohlgerundete Quarzkörner enthält
(Quart. Journ. Geolog. Soc. XXXVI, 1880, S. 98), denn solche sind
nach Arthur Philipps speziell Dünensanden eigentümlich (Ebenda.
XXXVII, 188 1, S. 27.) und finden sich nach ihm auch in den Wüsten-
sanden des Nefüd. Ferner ist auffällig, wie scharf sich der Torridon-
Sandstein vom hangenden kambrischen Quarzit unterscheidet. Er
sieht viel jünger aus, was wohl auf eine weit lockere Lagerung seiner
einzelnen Körner zurückzuführen ist, die man sich durch lockere
äolische Schüttung im Gegensatz zur festeren Pressung innerhalb der
Brandlingszone erklären könnte. Wie dem auch sei, vom Standpunkt
der allgemeinen Erdkunde ist es wichtig, dafs der Torridon-Sandstein im
vortorridonischen Gebirge Schottlands bei einem trockenen Klima zur
Ablagerung gekommen zu sein scheint. Ein derartiges Klima wird
Geomorphologische Probleme aus Nordwest-Schottland. 159
gegenwärtig aber nur auf gröfseren zusammenhängenden Landflächen,
jedoch nirgends in der geographischen Breite Schottlands angetroffen.
Wir haben also für die vorkambrische Zeit Andeutungen eines kon-
tinentalen Klimas niederer Breiten für unser Gebiet. Die gilt aber
nur für die Dauer der Ablagerung des Torridon-Sandsteins. Die reich-
liche Höhengliederung seines Grundgebirges, welche an die von Thal-
landschaften erinnert, setzt kräftig wirkende Bergwasser voraus, also
eine reichliche Benetzung. Hiernach hätte sich bereits in vorkam-
brischen Zeiten in Schottland eine ähnliche klimatische Veränderung
vollzogen, wie wir sie für zahlreiche Wüstengebiete der Erde anzu-
nehmen haben, deren vom Wasser eingerissene Thäler gegenwärtig
von Flugsand eingeebnet werden. Nun finden wir im Dalaquarzit
Schwedens ein Gestein wieder, das dem Torridon-Sandstein Schottland
in Bezug auf Alter, petrographische Ausbildung und Lagerungsver-
hältnisse völlig gleicht, also genau dieselbe Kontinental-Formation auf
der Skandinavischen Halbinsel wie in Schottland 1 ) Dies befestigt die
Vorstellung, dafs bereits in vorkambrischen Zeiten grofse Festland
flächen in Nord-Europa vorhanden waren, die erst in der kambrischen
Periode untertauchten. Dies ist die erste nachweisbare Meeres-Trans-
gression für unseren Kontinent. Die Thatsache, dafs die untersten
kambrischen Schichten bereits eine ziemlich hoch entwickelte Fauna
bergen, wird hiernach leicht erklärlich: Sie ist ebenso eine einge-
wanderte wie später die liasische; will man die Spuren der ältesten
Meeresbewohner der Erde finden, mufs man sie aufserhalb Nord-Europas
suchen.
Die Vorstellung von kontinentalen Zuständen in Europa mit ent-
sprechendem Klima vor Beginn der kambrischen Periode läuft der
weit verbreiteten Annahme entgegen, dafs die Meeresbedeckung der
Erde einst ganz zusammenhängend gewesen sei, und dafs die Landflächen
durch allmählichen Zusammenschlufs kleiner, im Laufe der geologischen
Perioden aufgetauchter Inseln entstanden seien. Es wird daher in
Anbetracht der grofsen Tragweite unserer Schlufsfolgerungen für die
gesamte Geophysik nützlich sein, uns zu vergegenwärtigen, wie. wir zu
ihnen gelangten. Wir gingen aus von den Grundsätzen von Hutton
und Playfair, nach welchen zur Erklärung der Ablagerungen frühere
Perioden herbeizuziehen sind, betraten also denselben Weg, der
Lyell zur Aufdeckung so zahlreicher wichtiger Thatsachen führte.
Die seither vollzogene grofse Erweiterung unserer Kenntnisse von
den auf den verschiedenen Teilen der Erdoberfläche wirkenden Vor-
l ) Ähnlich ist auch das Algonkian am Grand Canon. Vgl. Fritz Frech,
Das Profil des grofsen Colorado-Canon. Neues Jahrb. f. Min. u. Geol. 1895, IL
S. 153.
]ßO A. Penck:
gangen ermöglichte uns, aus dem engen Rahmen der Vergleichsobjekte
herauszutreten, welcher durch den früheren Stand der Forschung gezogen
war, und gestattete uns, die auf weit entlegenen Gebieten gemachten
Beobachtungen zur Erklärung von Erscheinungen in Nord-Europa zu
verwerten. Durch diese vergleichend-geographische Betrachtungsweise
gelangten wir, ebenso wie bei unsern Studien über das Klima Spaniens
während der jüngeren Tertiärperiode und der Diluvialperiode (Zeitschr.
d. Gesellsch. f. Erdk. XXIX, 1894, S. 109), zu bestimmten Schlufs-
folgerungen auf die geographischen Zustände früherer geologischer
Zeiten. Das dies geschehen konnte, ist nicht die Folge irgend einer
besonderen Kühnheit der Schlufsfolgerungen, sondern beruht lediglich
auf der sich täglich mehr und mehr erweiternden Kenntnis der Erde.
Das Problem der Entstehung des Torridon-Sandsteins ist nur eines
der zahlreichen, welche der geologische Bau Nordwest-Schottlands
darbietet. Seine Lösung ist hier durch Erörterung der Erscheinungen
versucht worden, welche sich an seine untere Grenze knüpfen. Ein
neues Problem knüpft sich an seine obere Grenze, durch welche er
haarscharf und zwar diskordant vom Basisquarzite des Kambriums ab-
geschnitten wird. Während sich die untere Diskordanz in einer stark
welligen Grenzfläche ausspricht, ist die obere mit einer nahezu ebenen
verbunden. Sie schneidet die dicken Bänke des Torridon-Sandsteins
schräg durch, ohne dafs auch nur eine in den Quarzit hineinragte, am
Südufer des Loch Assynt, am Beinn Gharb (Abbild. 1) und am Nordabfall
des Quinag; am Loch Glencoul (Abbild. 3) zieht sie sich sogar bis an
die Basis des Torridon-Sandsteins hinab, und nun grenzt der kam-
brische Quarzit unmittelbar an den Gneifs, von dem er 3 km weiter
westwärts durch eine 500 m mächtige Gesteinssäule getrennt war. Er
schneidet ihn ebenso oberflächlich ab, wie zuvor den Torridon-Sand-
stein; der Gesteinswechsel unter dem Quarzit ist von keinerlei Ein-
flufs auf den Verlauf seiner Sohle. Dabei enthält er an letzterer keine
Fragmente seines Liegenden: nirgends fand ich Gerolle von Gneifs oder
Torridon-Sandstein an; lediglich solche von Quarz und Feldspat in
Erbsen.- bis Nufsgröfse bilden hier das sogenannte Pebble bed. So ist es
in Assynt, wo ich am Loch Assynt und am Loch Glencoul die Basis
des kambrischen Quarzits sah, genau ebenso wieder am Loch Maree,
wo ich am Abfall des Beinn a Mhuinnidh und Craig Roy (vgl. Abbild. 5)
mehrfach die Hand auf die Grenze der beiden Sandsteinbildungen
legen konnte.
Der Quarzit (q 1 und q 2 der Profile) hebt sich orographisch über-
all deutlich hervor; er bildet eine Steilwand über dem Torridon-Sand-
stein (t) bzw. Gneifs (Gn), die durch ihre helle Färbung weithin sicht-
bar ist. Dies ermöglichte, die geradlinige, den Torridon-Sandstein schräg
Georaorphologische Probleme aus Nordwest-Schottland. \ß\
abschneidende Sohle des kambrischen Quarzit am Abfall des Canisp
und Suilven von der Strafse zwischen Assynt und Ullapool aus am
linken Ufer des Loch Broom (Abbild. 4) vom rechten aus, endlich, am
Gehänge des Muallach Coire Mhic Fhearchair (991 m) von den Bergen
bei Kinlochewe deutlich zu erkennen. Westlich von der mauerartig
sich erhebenden Quarzitstufe sieht man, als Zeugen dafür, dafs sich
letztere einst weiter westwärts erstreckte, nicht selten noch einzelne
Quarzitvorkommnisse. Ein solches krönt den Hauptgipfel des Quinag
(Abbild. 3). Englische Geologen nennen derartige Vorkommnisse Aus-
lieger (Outlier). Dieser glückliche Ausdruck ist bezeichnender als die
dem Französischen entnommene Benennung „Zeuge", welche dann und
wann in der deutschen Literatur für Erhebungen, die durch Erosion
von der Hauptmasse ihres Materials losgetrennt sind, gebraucht
worden ist.
Es mufs vor Ablagerung des kambrischen Quarzits eine voll-
ständige Einebnung des alten torridonischen Landes stattgefunden
haben, bei welcher seine Gesteine vollkommen zerrieben wurden. Ein
derartiger Vorgang kann durch lang anhaltende Wirkungen der Bran-
dung erklärt werden, und solche anzunehmen liegt kein Bedenken vor.
Der Quarzit ist das unterste Glied einer marinen Formation. Sonach
hätten wir in der zweiten wichtigen Gesteinsgrenze Nordwest-Schott-
lands eine echte „piain of marine erosion" nach A. C. Ramsay, eine
Abrasionsfläche im Sinne von Ferdinand Freiherrn v. Richthofen
vor uns. Beide Autoren haben die Möglichkeit der völligen Einebnung
ganzer Länder durch die Brandung tiberzeugend dargelegt; aber kaum
wieder in Europa tritt diese marine Denudationsfläche mit solcher
Schärfe und Deutlichkeit entgegen, wie in Nordwest-Schottland; nirgends
kann man sich auf beschränktem Raum so deutlich den so lange ver-
kannten Gegensatz zwischen terrestrer und mariner Erosion schlagen-
der vor Augen führen, als durch den Verlauf der Sohlen des Torridon-
Sandsteins und des kambrischen Quarzits.
2. Die Schubflächen.
Das Kambrium Nordwest-Schottlands bildet eine ziemlich einheit-
liche Formation. Über dem allenthalben mauerartig aufragenden
Quarzit folgen Schiefer mit Fukoidenresten (f der Profile) in geringer
Mächtigkeit, gekrönt von einer sehr auffälligen Sandsteinbank, dem
Saltarellaquarzit (s). Darauf stellen sich Kalksteine (K) ein, deren
obere feste Partien eine ähnliche Stufe (escarpmenf) bilden, wie die
Quarzite, weswegen das Kambrium bei flacher oder wenig geneigter
Lagerung orographisch durch zwei Landstufen ausgezeichnet ist. Man
sieht beide recht deutlich nebeneinander in Assynt. Die Landschaft
162 A. Penck:
am Nordufer des dortigen Loch erhält durch sie eine strenge oro-
graphische Gliederung. Auch weiter südlich, in der Gegend des Cam
Loch und Loch Urigill, sondern sich beide kambrische Landstufen
recht scharf. Vom Ostabhang des Cül Mör zieht sich die Quarzit-
stufe herab; zwei Auslieger von ihr bilden die beiden Gipfel des Berges,
den die Bevölkerung deswegen mit einer liegenden Jungfrau vergleicht,
die Gipfel selbst Kioch (Brüste) nennend. Weiter unten folgt die
Kalkstufe, an deren Fufs sich die Strafse von Assynt nach Ullapool
entlang zieht. Dies macht wiederum den Eindruck ganz normaler
Lagerungsverhältnisse, und man erwartet nun über der kambrischen
Kalksteinstufe jüngere Bildungen anzutreffen. Steigt man aber bei
Knockan auf die Höhe jener Stufe, so trifft man auf Gesteine, welche
wieder den Habitus älterer tragen, nämlich plattigen und mergligen
Gneifs und Glimmerschiefer; diese Gesteine herrschen von hier an bis
an die Ostküste. Sie bilden die grofse Masse des Caledonischen Ge-
birges. Es sind Moine oder Eastern Schists.
Wer das Profil bei Knockan von den kambrischen Quarziten bis
hinauf zu diesen Eastern oder Moine Schists durchsteigt, wird be-
greifen, dafs Sir Roderick Murchison die letzteren für jünger als
die kambrischen Schichten von Sutherland erachtete und deswegen
von einer Umwandlung in jüngeren Gneifs, von einer grofsen regio-
nalen Metamorphose silurischer Schichten sprach. (Quart. Journal.
Geolog. Soc. XV, 1859, S. 353; XVII, 1861, S. 171.) Diese Meinung ist,
gestützt durch die Autorität des grofsen Geologen, lange Zeit die
herrschende gewesen, obwohl bereits Professor Nicol, Murchison's
Reisegenosse, zur Ansicht neigte, dafs der jüngere Gneifs auf die jetzt
als kambrisch erkannten Sedimente hinauf geschoben sei (Quart. Journ.
Geolog. Soc. XVII, 1861, S. 85). Nach mannigfachen Diskussionen
vollzog sich später rasch ein Umschwung der Auffassungen. Prof. Lap-
worth zeigte in einem Artikel, dem er den Titel: The Secret of the
Highlands gab (Geolog. Mag. (2). X, 1883, S. 120, 193 u. 337), dafs der
sogenannte jüngere Gneifs über die kambrischen Schichten geschoben
sei, ähnlich wie in der Schweiz ältere permische Schichten über das
Eocän geraten sind. Bald darauf erschien ein Bericht der geologischen
Aufnahme, in welchem zum ersten Mal ein klares Bild von dem geo-
logischen Aufbau Nordwest -Schottlands gegeben wurde (The Nature,
13. Nov. 1884, XXXI, S. 29). Diesem folgten ein weiterer auf der Ver-
sammlung der British Association zu Aberdeen 1885, dem Lapworth
beipflichtete (The Nature XXXII, 1885, S. 558), und eine ausführlichere
Darstellung unter dem Titel: Recent Work of the Geological Survey
in the North -West Highlands of Scotland, based on the Field Notes
and Maps of Messrs. B. N. Peach, J. Hörne, W. Gunn, C. T. Clough,
Geomorphologische Probleme aus Nordwest-Schottland. X63
L. Hinxman and H. M. Cadeil, communicated by A. Geikie (Quart.
Journ. Geolog. Soc. XLIV, 1888, S. 378). Darauf erschienen die Blätter
Cape Wrath und Tongue (1889); Ullapool und Lochinver (1892), endlich
Gairloch (1893) der schottischen One Inch Map mit den geologischen
Eintragungen der Survey. Dank dieser Arbeiten mufs heute das grofse
Geheimnis der Hochlande als gelöst gelten 1 ). Überzeugend ist dargelegt
worden, dafs neben den normalen Überlagerungen der Schichten auf
Ablagerungsflächen im Nordwesten Schottlands auch solche längs flach-
lagernder Verwerfungen vorkommen, durch welche infolge einer statt-
gehabten Zusammenpressung ältere Schichten auf jüngere aufgeschoben
sind. Solche Verwerfungen müssen streng von jenen gesondert werden,
auf welchen ein blofses Absinken der Schichten erfolgt ist, was auf
stattgehabte Zerrungen weist. Es ist nötig, diesen Gegensatz auch
durch die Benennung hervorzuheben. Wir wollen jene Verwerfungen,
die mit Verschiebungen verbunden sind, dem Beispiel der Schotten
folgend, Schubflächen (Thrust planes) oder kurz Schübe nennen;
für die anderen sogenannten normalen Verwerfungen werden wir aus-
schliefslich das Wort Bruch verwenden. Die Schubflächen sind neben
den auffälligen Grenzen an den Sohlen des Torridon-Sandsteins und
des kambrischen Quarzits der dritte Typus merkwürdiger Gesteins-
grenzen in Nordwest-Schottland; sie stehen auf das innigste mit dem
gröfsten der dortigen Probleme, nämlich dem Aufbau des Landes, in
Verbindung.
Die Grenze zwischen dem kambrischen Kalkstein und den Moine-
Schichten (M) im Knockan-Profil ist eine Schubfläche. Eine genaue
Untersuchung des Profils macht dies zweifellos. Die Moine-Schichten
schneiden haarscharf den kambrischen Kalk ab und ragen am Gehänge
stellenweise über denselben hinaus, ihre unterste Partie zeigt eine eigen-
tümliche Veränderung, als ob sie gemahlen und wieder verbacken
worden wären. Diese Veränderungen finden sich regelmäfsig über
den Schubflächen; Lapworth bezeichnete die also beschaffenen Ge-
steine als Mylonite (von pvlaiv die Mühle, The Nature, XXXII, 1885,
S. 558). Geht man von diesem für die Geschichte der Hochlandsgeologie
so wichtigen Profil nordostwärts, so sieht man bald, wie sich die ein-
heitlich scheinende Landstufe in zwei auflöst. Die untere, aus Kalk
gebildete, zieht sich weiter nordostwärts, die obere hingegen biegt
erst nach Osten, dann nach Südosten um, den Fufs der Cromalty-
Hügel bildend. Sie besteht ausschliefslich aus dem oberen Gneifs
oder den Moine-Schichten des Caledonischen Gebirges. An ihrem
') Eine populäre Darstellung gab Henry C ad eil in: Geology and Scenery of
Sutherland. Edinburgh. 2. Aufl. 1896.
Iß4 A. Penck:
Fufs kommen zunächst die kambrischen Kalke zum Vorschein; sie sind
gestreckt worden und durchsetzt von zahlreichen Zerrungsverwerfungen.
Ihr Streichen ist rein nordsüdlich, also rechtwinklig zu ihrer Grenze
gegen die hangenden Moine- Schichten. Letztere sind eigentümlich
gewunden und geknetet. Sie fallen südwärts, streichen demnach
rechtwinklig zu den liegenden Kalken. Es kann daher unmöglich von
einer normalen Überlagerung die Rede sein. Verfolgt man die Stufe
weiter ostwärts, so kommen nach und nach die verschiedensten Glieder
des Kambrium bis auf den Quarzit herab, ferner der Torridon-Sandstein
und selbst der alte Gneifs unter den Eastern Schists hervor, welche
sich sohin über die mannigfaltigsten Gesteine hinweg erstrecken. Dies
ist nur mit der Vorstellung vereinbarlich, dafs sie über letztere hin-
weggeschoben sind.
Ich konnte das Profil nicht so weit verfolgen. Die genaue Unter-
suchung der Schubfläche an der Grenze von Kalk und den Moine
Schichten, die sich in der Oberfläche des Kalkes noch eine Strecke
weit fortsetzt, und über welcher die Moine-Schichten eine etwa 3 m
hohe Stufe bilden, nahm mich zu lange in Anspruch. Dabei hatte ich,
sobald ich den Blick vom Boden erhob, die nordwärts gelegenen Berge
von Assynt vor Augen, die sich um den Ben More (997 m) gruppieren«
Ihre mannigfaltigen Farben und Formen verraten einen äufserst ver-
wickelten Aufbau. Sie überragen die schön geformten Berge des
Torridon-Sandsteins im Westen, den Quinag, Canisp und Suilven nicht
unbeträchtlich und lassen die Höhen des Ostens weit hinter sich.
Sie bilden zwischen beiden, die im Knockan-Profil dicht an einander
getreten sind, ein fremdes Zwischenglied, welches auch weiter im Norden
fehlt, wo zwischen Loch More und Loch Eriboll die Eastern Schists
dicht an den dort von seiner torridonischen Decke gröfstenteils be-
freiten alten Gneifs herantreten. Diese Berge bestehen aus Schichten,
welche östlich des Knockanprofils unter den Eastern Schists hervor-
treten und stellen lediglich eine Anschwellung von deren Liegendem dar.
Im Gebirge östlich von Assynt ist die Decke von Eastern
Schists, welche sich sonst allenthalben bis zur Linie Loch
Eriboll — Loch Carron erstreckt, zerrissen, und die Funda-
mente des Caledonischen Gebirges treten zu Tage.
Die Geologen der Surv.ey haben den Aufbau dieses Fundaments
klar gelegt und dabei nachgewiesen, dafs er einen bislang nicht ge-
kannten Typus der Gebirgsstruktur besitzt, welche Cadeil (Trans. R. Soc.
Edinburgh, XXXV, 1. S. 342) Keilstruktur genannt hat. Es handelt
sich um eine grofsartige Schichtstauung. Die gesamte Folge von
Gneifs, Torridonian und Kambrium ist dermafsen längs zwei gröfseren
Schubflächen zusammengeschoben, dafs sie sich dreimal über einander
Geomorphologische Probleme aus Nordwest-Schottland. ] (35
wiederholt. Die also übereinander geratenen Schollen sind zugleich in
sich zusammengestaut, indem sich längs steiler stehenden Schubflächen
eine Wiederholung ihrer Schichten einstellt. In jedem dieser Packete
von einzelnen Schollen kehrt endlich zum dritten Mal eine Stauung
wieder, durch welche ein und dieselbe Schicht zusammengekeilt ist
und mehrfach, längs steil stehender Schubflächen sich wiederholt.
Man kann sich den aufsergewöhnlichen Gebirgsbau dieser Gegend
wie folgt veranschaulichen: die ursprüngliche Ablagerung stelle ein
Schieferdach dar. Dasselbe wird von oben nach unten abgedeckt,
die oberste Schieferplatte wird erst weggenommen und an eine Mauer
gelehnt, dann die zweite, sie wird an die erste gelehnt, u. s. w. Nach-
dem das Dach zum dritten Teil abgedeckt worden war, begann man
die Schieferplatten als eine zweite Reihe über den bereits abgedeckten
aufzustellen, und eine dritte legte man mit dem letzten Drittel der
Schieferplatten darüber. Einem derartigen Vorrat von Schiefertafeln
gleicht ungefähr das Gebirge um den Ben More von Assynt, und wie
man mit einem ähnlich aufgebauten Schieferplattenvorrat ein ganzes
Dach decken kann, so könnte man die in der Gruppe des Ben
More zusammengestauten Gesteinskörpern über einen grofsen Teil von
Nord - Schottland ausbreiten. Natürlich besitzt der Gebirgsbau im
einzelnen nicht die Regelmäfsigkeit eines solchen Vorrats von Schiefer-
tafeln. Die drei Typen von Schubflächen: maximale, gröfsere und
kleinere, sind durch mannigfache Übergänge mit einander verbunden;
sie sind Typen aus einer grofsen Zahl von Erscheinungen, keine Arten
von solchen.
Die Gegend zwischen dem Loch Assynt und dem nordwärts ge-
legenen Glencoul giebt einen vorzüglichen Einblick in die geschilderte
Struktur. Am Nordufer des Loch Assynt sieht man zunächst, wie der
kambrische Kalkstein zusammengestaut ist und aus einzelnen auf ein-
ander getriebenen Packeten besteht. Noch deutlicher zeigt sich diese
Struktur in der mittleren Partie des Kambrium, welches aus den
Olenellus-Schiefern und dem Salterella-Quarzit besteht. Mehr als zehn
Mal bemerkt man diese beiden Schichtglieder übereinander, wenn man
den Weg nach Kylesku zurücklegt. Man ist hier in der untersten der
drei übereinandergeschobenen Schollen, die weiter westwärts ungestört
ist. Westlich vom Wege steigt das Kambrium diskordant Über dem
Torridon-Sandstein hinauf zum Quinag (Abbild. 3). Der Loch Glencoul
erstreckt sich bereits in diesen Bereich der ersten Aufschiebung. Zunächst
hat man, von Kylesku kommend, an beiden Ufern noch den Gneifs
der ungestörten Zone, hier von zahlreichen ausbröckelnden Diabas-
gängen durchsetzt. Darüber folgt unmittelbar der kambrische Quarzit,
welcher hier den Torridon-Sandstein in seiner ganzen Mächtigkeit ab-
16(3 A. Penck;
schneidet. Auf ihm lagern zusammengestellte Packete von Olenellus-
Schiefern und Salterella-Quarzit, deren Schubflächen sich nicht in die Tiefe
fortsetzen. Das Ganze wird oben von einer mächtigen Gneifsscholle dis-
kordant abgeschnitten, welche hier längs einer maximalen Schubfläche
der Glencoul-Thrustplane über das Kambrium hinaufgeschoben ist.
Der Gneifs weicht petrographisch nicht von dem unter dem Kambrium
lagernden ab, aber er unterscheidet sich von ihm durch den Mangel
an Diabasgängen. Solche sind im ungestörten Gneifs bis Loch Laxford
sehr häufig; weiter nordwärts hören sie auf. Die Grenze zwischen dem
durchschwärmten und dem gangfreien Gneifs taucht unweit Ben Arkle
unter die Moine-Schichten unter und würde unter letzteren genau
östlich von Glencoul in einer Entfernung von 20 km zu mutmafsen
sein. In dieser Entfernung also hätte man gangfreien Gneifs zu suchen ;
dies ist ein Anhalt für die Herkunft des aufgeschobenen Gneifses von
Glencoul.
Über dem aufgeschobenen Gneifs des Loch Glencoul folgen aber-
mals unmittelbar kambrische Quarzite, welche ihn gegen Loch Assynt
hin wie ein Vorhang bedecken, sodafs, von hier aus gesehen, das auf-
geschobene Gebirge nur aus unterem Kambrium zu bestehen scheint.
Die schottischen Geologen haben gezeigt, dafs dies die Folge zahl-
reicher kleinerer Aufschiebungen ist. Am Gipfel des Coinne-Mheall
schiebt sich ferner, wie ihre Untersuchungen aufhellten, auf diese
kambrischen Quarzite längs einer maximalen Schubfläche, der Ben-
More-Thrustplane, abermals Gneifs, bedeckt von Torridon-Sandstein,
den der kambrische Quarzit wie gewöhnlich schräg abschneidet.
Man würde also, von Glencoul den Ben More Assynt besteigend,
zweimal auf aufgeschobenen Gneifs kommen mit einer Bedeckung von
entweder blofs kambrischen Schichten, wie sie am Glencoul entwickelt
ist, oder von torridonischen und kambrischen Straten, wie beiderseits
des Loch Assynt. Daneben aber würde man noch zahlreiche andere
Aufschiebungen passieren, welche durchweg östlich fallen. Die grofse
also bewirkte Zusammenstauung von Gneifs, Torridonian und Kam-
brium ist am Knockan-Profil durch die Eastern Schists verhüllt; letztere
sind auf der dritten maximalen Schubfläche herangeschoben, welche
über die beiden übrigen hier hinübergreift und Moine- Thrustplane
genannt wurde.
Die Moine-Thrustplane ist gewifs die bedeutendste Schottlands.
Wo auch auf der über 160 km messenden Strecke zwischen Loch
Eriboll und Loch Carron die Westgrenze der Moine-Schists erreicht
wird, da sind sie auf die westwärts befindlichen Schichten aufge-
schoben. Zugleich sind auch auf der ganzen Strecke unter der Moine-
Schubfläche noch andere vorhanden, die lediglich am Knockan-Profil
Geomorphologische Probleme aus Nordwest-Schottland. J(j7
nicht sichtbar werden, und welche sonst in der Regel den alten Gneifs
auf kambrische Schichten hinaufbringen, auch dort, wo er in der Nähe
sonst nicht zu Tage tritt. So z. B. am Loch Broom bei Ullapool.
Westlich von den Eastern Schists findet sich hier nur Torridon-Sandstein,
welcher nahe den Moine-Schists unter kambrische Quarzite untertaucht,
darüber kommen die mittelkambrischen Schiefer und die oberkambri-
schen Kalke. Dann wiederholt sich, auf einer Schubfläche herauf-
geschoben, die ganze Folge vom Torridon-Sandstein bis zu den Kalken
noch einmal; nun kommt eine mächtige Gneifsscholle, welche quer
über den Loch streicht und ihn als widerstandsfähige Schicht einengt.
Auf sie sind die Moine-Schists hinaufgeschoben. Die ii Mile, zwischen
dem Hotel Royal von Ullapool und dem Winkel östlich von Corry
Point, zeigt das ganze komplizierte Profil, das sich am Südufer des
Loch Broom in etwas vereinfachter Form wiederholt, so wie es in
Abbild. 4 dargestellt ist.
Die Beschreibung, welche 1888 die schottischen Geologen von
den Phänomenen der nordwestlichen Hochlande gegeben haben, um-
fafst das Gebiet zwischen Loch Eriboll und Loch Broom. Seither ist
die Untersuchung südwärts vorgeschritten und hat das Gebiet des
Loch Maree kartiert, welches, wie bereits 1861 Murchison und
A. Geikie hervorhoben, Profile von unzweifelhafter Deutlichkeit ent-
hält. „Mit Kinlochewe als Hauptquartier hat der Geologe ein weites
Bereich interessanten Landes um sich herum, und wir kennen keine
Örtlichkeit, wo er sich besser über die Lagerungs folge der alten
krystallinen Gesteine der Hochlande oder mit den Dislokationen und
dem Metamorphismus, den sie erlitten haben, bekannt machen kann.
Trotzdem und trotz mannigfacher Spezialuntersuchungen durch Ni col, die
beiden eben genannten Autoren, von Hicks und Bonney (Quart. Journ.
Geolog. Soc. XVII, 1861, S. 85, S. 171; XXXIV, 1878, S. 811; XXXVI,
1880, S. 93) ist die endgültige Lösung der Hochlandsprobleme auch
hier der Survey zu danken. Ohne dem zu erwartenden ausführlichen
Bericht vorgreifen zu wollen, sei mir gestattet, in groben Umrissen
mitzuteilen, was ich unter der Führung von Herrn Home gesehen
habe, indem ich zugleich auf die beiden nach Skizzen von Herrn
Peach gezeichneten Profile (Abbild. 5 und 6) verweise.
Die Lagerungsverhältnisse am Loch Maree sind ganz ähnliche wie
in Ullapool. Am Slioch ist, wie bereits beschrieben, der Torridon-
Sandstein diskordant auf das Grundgebirge gelagert, am Craig Roy
wird er, wie gleichfalls schon erwähnt, von den kambrischen Quarziten
schräg abgeschnitten. Auf diese folgen in normaler Weise Fukoiden-
Schiefer, Salterella-Quarzit und Kalk. Darüber nun ist, den Gipfel des
Beinn a Mhuinidh bildend, der alte Gneifs längs der Ben More Thrust-
168 A. Penck:
plane aufgeschoben worden. Er erstreckt sich nordwärts fast ununter-
brochen bis zu den Moine-Schists bei Gleann Tanagaidh, südostwärt?
hingegen erscheint beiderseits des Knochenbaches (Allt a Chnai miliar,
statt seiner ein Komplex von Gneifs, Torridon-Sandstein und Quarzit-
Man kann hier die abenteuerlichsten Ineinanderpressungen dieser drei
Gesteine wahrnehmen. Der Quarzit ist stellenweise in den Gneifs ein-
getrieben, letzterer überlagert Torridon-Sandstein u. s. w. Im allge-
meinen aber vermag man nordwärts überhängende Falten zu erkennen.
Dieser eigentümliche Komplex lagert in einer muldenförmigen Ein-
biegung der Ben More Thrustplane. Ostwärts beschreibt sie einen
Sattel, und es heben sich nunmehr die liegenden Schichten des Kam-
brium am Westgehänge des Glean Logan hervor. Auf ihnen si tzt
wieder eine Gneifsscholle auf, der viel umstrittene Loganstein, be-
deckt von Torridon-Sandstein und Quarzit. Darüber folgen am Ost-
gehänge des genannten Thals die Moine-Schists. Der Bach des
Logan-Thals, der Abhuin Bruachaig, legt die Aufschiebung des Gneifses
auf den dortigen Kalk vorzüglich blofs. Er wird durch den Gneifs ein-
geengt und hat im Kalk einen breiten Kessel ausgestrudelt, an dessen
Wandungen man den Kalk unter tiberhängende Gneifspartieen ver-
folgen kann. Wie bereits Bonney erwähnt, kann man keine Kontakt-
stücke erlangen; eine Fuge trennt stets Gneifs und Kalk, welcher letztere
nicht, wie an der Grenze von Eruptivgesteinen, metamorphosiert ist.
Die mittelkambrischen Schichten zeigen weiter westwärts sehr charakte-
ristisch die packetweisen Verschiebungen. Im ganzen mifst die auf-
geschlossene Aufschiebung an der Nordseite des Loch Maree 5 km.
Die Überschiebungen an der Südseite des Sees überblickte ich
von den Gehängen des Slioch. Der Gipfel des Meall a Ghuibhais
(878 m) besteht aus Torridon-Sandstein mit einem Kern von altem
Gneifs. 'Er sitzt in 300 m Höhe auf einer Platte des Kambriums auf.
Deutlich konnte man Bank für Bank diese Unterlage erkennen; oben
das grüne Band der Schiefer mit dem Salterella-Quarzit, darunter die
steile Wand des massigen Quarzits, der den Torridon-Sandstein in
bekannter Regel schräg abschneidet. Alle diese Schichtglieder bilden
eine flache Mulde; weiter ostwärts wölben sie sich bis 500 m zu einem
Sattel auf, zugleich sind sie gefaltet find zusammengestaut. Unfern
Kinlochewe tauchen sie abermals unter stark gezerrten Torridon-Sand-
stein unter der einen westwärts überhängenden Sattel bildet und einen
Gneifskern birgt. Ihm sind die Moine-Schichten aufgeschoben. Man
hat im Meall a Ghuibhais also einen Block von Torridon-Sandstein,
welcher 6 km weit über das Kambrium hinweggeschoben worden ist.
Dabei zeigt die Schubfläche ebenso wie am Nordufer des Sees Bie-
gungen; unter der mächtigen Masse des Meall a Ghuibhais ist sie ein-
Geomorphologische Probleme aus Nordwest- Schottland. 169
gesunken, weiter östlich wölbt sie sich empor und ist, sichtlich durch
Denudation, von den aufgeschobenen Massen befreit. Trotz alledem
entsprechen die beiden Ufer des Sees einander nicht. Am Stidufer
sind alle Schichtglieder 3 — 4 km weiter westwärts gerückt als am
Nordufer; die Berge, die einander gegenüberstehen, wie z. B, Slioch
und Meall a Ghuibhais, entsprechen einander nicht. Der See erstreckt
sieh über eine gewaltige Querverwerfung, welche jünger ist als die
Aufschiebungen. Sie ist nordwestwärts (vergl. A. Geikie's geologische
"Übersichtskarte) bis zum Meer verfolgt, sie bringt hier Gneifs und
Torridon-Sandstein dermafsen zusammen, dafs ihr Nordflügel als relativ
gesenkt angesehen werden mufs. Südöstlich konnte sie eine Strecke
weit noch im Bereich der Eastern Schists nachgewiesen werden, wo-
nach sich ihre Gesamtlänge zu mehr als 40 km ergiebt. Die Flucht
des steilwandigen Glen Docharzie, von Loch Maree, das Südwestufer
von Loch Ewe und der Abfall der westwärts gelegenen Höhen folgen
dieser grofsen Verwerfung. Sie sind aber nicht unmittelbar durch die-
selbe entstanden, sichtlich sind sie samt und sonders Erosionswerke,
die sich lediglich an eine tektonische Linie als einer solchen geringen
Widerstandes anknüpfen. Neben dieser Verwerfung, von der unbe-
kannt ist, ob sie einen Bruch oder einen Schub darstellt, wird der
Loch Maree auch von einem echten Bruch gekreuzt, dem die Thäler
der Bäche von Fhasaigh und Gruididh folgen.
Im Gebiet südlich von Loch Maree bis gegen Loch Torridon hin
trifft man eine Strecke weit keine aufgeschobenen Massen mehr. Es
entwickelt sich im Bereich der sonst übergeschobenen Unterlage eine
deutliche Faltung. Der weifse Quarzit ist in langen nordsüdlich
streichenden Mulden zwischen Torridon-Sandstein eingeklemmt. Zwei
solcher neben einander befindlicher Mulden verleihen dem Sgurr Dubh
seine auffällige Kontur. Erst östlich der von ungestörtem Torridon-
Sandstein aufgebauten Applecross-Berge, zwischen Loch Kishorn und
Loch Carron, ist wieder eine breite Gneifsscholle auf kambrische Kalke
aufgeschoben, die am Loch Carron unter die Moine-Schists untersinkt
Unter dieser Gneifsscholle liegt stark metamorphosierter Torridon-
Sandstein in umgekehrter Stellung. Gelegentlich einer Exkursion, auf
welcher ich die Herren Peach und Hörne nach Beendigung der Kon-
grefs-Exkursion nach Stromeferry begleitete, hatte ich Gelegenheit, mich
an beiden Seiten des Loch Carron hiervon zu überzeugen. Es ist
namentlich der Hügel von Craig, welcher in dieser Hinsicht einen
guten Aufschlufs bietet. Man sieht unten am Strande einen grauen
Schiefer, welcher als untere Abteilung des Torridonian gedeutet wird-
nach obenhin geht er in ein ausgewalztes Konglomerat über, auf
welches stark mylonisierter Gneifs folgt. Diesem sind weitere Gneifs-
Zeitschr. d. Ges. f. Erdk. Bd. XXXII. 1897. 12
170 A. Penck:
partien aufgeschoben, unter welchen jeweils ein kleiner Fetzen von
umgekehrtem Torridonian liegt. Weiterhin folgen die Moine-Schichten;
die Grenze gegen dieselben zu ziehen, war gerade die Aufgabe der
beiden Geologen, und dies war hier schwieriger als sonst.
Auf den von mir bereisten no Kilometern zwischen Loch Glencoul
und Loch Carron herrschen also durchweg grofsartige Überschiebungen,
welche sich stets an die Westgrenze der Moine-Schichten knüpfen. Sie
zeigen im grofsen und ganzen denselben Typus, wie die Aufschiebungen
in der Gegend von Loch Eriboll, welche durch die Survey zuerst (1884)
kennen gelernt wurden. Es sind einzelne Schollen unter Beibehaltung
ihrer normalen Schichtstellung tibereinandergeschoben. Umkehrungen
der letzteren kommen nur selten vor, aber sie fehlen keineswegs, wie
Rot hp letz angiebt. (Geotektonische Probleme S. 97.) Sie sind aus
der Gegend von Assynt unter dem Gneifs der Ben More Thrust
Plane (vergl. Recent Work. Quart. Journ. Geolog. Soc. XLIV. Abbild.
16, 17, 18) bereits 1888 von den schottischen Geologen beschrieben;
ähnlich, aber weit ausgedehnter, sind die von Loch Carron. Diese
Umkehrungen entwickeln sich aus der normalen Stellung, wie folgt
(vergl. Abbild. 7): Ein Vorhang von jüngeren Schichten hängt über die
Stirn des aufgeschobenen Gneifses herab und ist unten eingeknickt,
wie am Coinne-mheall in Assynt (Recent Work, Abbild. 16); der Gneifs
drängt sich mitten durch den Vorhang und tiberschiebt den unteren
umgekehrt lagernden Teil, wie am Glas Bheinn und auf der Südseite
des Ben More (Recent Work, Abbild. 13 und 17). Dieser Vorgang ist
wesentlich anders als der der gewöhnlichen Überfaltung; es entstehen
keine Gewölbe, sondern es schiebt sich die Masse längs zahlreicher
kleiner Schubflächen über ihren Fufs. Das ist überhaupt das auf-
fälligste in der ganzen Aufschiebungsregion, dafs die Faltung der
Schichten so selten auftritt. Sie fehlt allerdings nicht ganz. Bereits in
den Profilen der schottischen Geologen (Recent Work, Abbild. 11) sieht
man gelegentlich eine Reihe überschobener Falten 1 ). Recht deutlich
■ sah ich sie in den auf der Ben More Thrust Plane aufgeschobenen
i Massen nördlich, sowie in den überschobenen südlich Kinlochewe.
j . Aber diese Faltung ist nur eine oberflächliche, was man deutlich dort
sehen kann, wo die gefalteten Partien, wie z. B. nördlich Kinlochewe,
auf einer ungefalteten Schubfläche aufsitzen. Sie erscheint hier ledig-
lich als eine örtliche Modifikation der sonst herrschenden packetweisen
Verschiebung einzelner Formationsglieder nebeneinander, welche auch
l ) Wahrscheinlich bezieht sich die allgemeine Angabe von Rothpletz, dafs die
einzelnen Wiederholungen der Schichtglieder zwischen den Schubflächen einen
deutlichen Falten- und Sattelbau erkennen lassen, auf diese immerhin nicht gerade
häufigen Vorkommnisse.
Geomorphologische Probleme aus Nordwest-Schottland. 171
zwischen zwei gröfseren Schubflächen erfolgt 1 ). Anders scheint es sich
allerdings mit der Faltung des sonst tiberschobenen Gebirges zwischen
Kinlochewe und Loch Torridon zu verhalten. Hier erstrecken sich
die steil geneigten Schichten tief herab; hier auch begegnet man, so
südlich von Kinlochewe, so ferner am Ausgange vom Loch Carron, recht
beträchtlichen Umkehrungen der Schichtfolge. So vollzieht sich denn
südlich vom Loch Maree ein Übergang zwischen der Keilstruktur und
Faltenstruktur, woraus zu entnehmen ist, dafs sie nur örtliche Folgen
ein und desselben Vorganges, nämlich der Zusammenpressung von
Schichten, sind. Nun ist die Keilstruktur Schottlands nur eine Form
der Schollenstruktur; man ersieht hieraus, dafs der Gegensatz von
Faltungs- und Schollenland keineswegs so scharf ist, als er vielfach
formuliert worden ist. Der eigentliche Gegensatz liegt zwischen dem
Schub- und Bruchschollenland; ersteres deutet gleich dem Faltungs-
land eine Zusammendrückung, letzteres eine Zerrung der Erdkruste an.
Ordnen sich in der Gegend nördlich vom Loch Maree die
kleinen unbedeutenden Faltungen sichtlich den Überschiebungen
unter 2 ), so ist hier ganz so wie am ebengenannten See die Biegung
der Schubflächen in sanft gewölbte Falten, in flache Syn- und Anti-
klinalen sehr bemerkenswert. Sie tritt in der Gegend von Assynt
deutlich hervor (so z. B. in Abbild, n, 12 und 18 der Profile in: the
Recent Work); ferner in den hier berichteten Lagerungsverhältnissen
beiderseits des Loch Maree (vergl. Abbild. 5 und 6). Dabei zeigt
sich ganz regelmäfsig, dafs der am meisten westwärts gelegene Teil
der Schubfläche — es ist immer die Ben More Thrust Plane — eine
flache Mulde bildet, auf welcher mehrmals mächtige aufgeschobene
Massen als Überschiebungs-Auslieger aufsitzen, während auf dem ost-
') Rothpletz (Geotektonische Probleme S. 100) konnte hierüber nicht ins
Klare kommen und vermochte nicht festzustellen, ob die minor thrustplanes von den
liegenden maior thrusts abgeschnitten werden, während die schottischen Geologen
(Recent Work S. 412) ausdrücklich hervorheben, dafs sie durch zahlreiche Profile
erhärtet wird. Ich konnte mich an beiden Ufern von Loch Glencoul davon über-
zeugen. Die Hochlandsgeologen waren über die Sache anfänglich anderer Meinung
(vergl. Profil von 1884) und sind erst im Verlaufe ihrer Aufnahmen zu ihrer jetzigen
Erkenntnis gekommen. Sie haben ihre ursprüngliche Ansicht gewifs nicht ohne sehr
zwingende Gründe aufgegeben.
2 ) Hiernach kann der Äufserung von Rothpletz, dafs in allen von ihm be-
schriebenen Überschiebungsgebieten, unter denen sich auch das schottische befindet,
die Falten früher entstanden als die Überschiebungen (Geotektonische Probleme,
S. 154), nicht beigepflichtet werden. In seiner Beschreibung der schottischen Über-
schiebungen (ebenda S. 85 — 100) führt Rothpletz kein auf seine allgemeine Schlufs-
folgerung bezügliches Argument an.
12*
172 A. Penck:
wärts gelegenen Sattel aufgeschobenes Gebirge fehlt. Am Ort dieses
Sattels bildet das tiberschobene Gebirge einen Schichtsattel, dessen
Bau allerdings häufig durch Stauungen kompliziert worden ist. Die
auffälligste Aufwölbung dieser Art ist der 814 m hohe Breabag unfern
Assynt; er bildet ein riesiges Quarzitgewölbe , welches die aufge-
schobenen Massen der Nachbarschaft bei weitem überragt. Minder
imposant, aber immerhin noch bedeutend genug, sind die entsprechen-
den Aufwölbungen des Quarzits bei Kinlochewe (Abbild. 5). Es ist in
hohem Mafs beachtenswert, dafs sich an zwei 56 km von einander
gelegenen Stellen, derselbe Typus der Lagerungsverhältnisse wiederholt.
Der wichtigste Zug in der Tektonik Nordwest-Schottlands ist gewifs
der Gegensatz zwischen den im allgemeinen flach gelagerten und seit
vorpaläozoischen Zeiten wenig gestörten Schichten der Westküste und
dem Caledonischen Gebirge. Der innere Bau der letzteren ist aller-
dings gegenwärtig noch kaum bekannt. Seine einförmige Zusammen-
setzung aus den Moine-Schists hinderte bisher seine Aufhellung; aber
darin stimmen alle Autoren, die sich mit ihnen beschäftigt haben,
überein, dafs sie einen Teil eines vordevonischen Faltungsgebirges
bilden, dessen einzelne Überreste in den Bergländern des nördlichen
Grofsbritannien auftreten, und dessen Spuren auch in den deutschen
Mittelgebirgen kenntlich sind. Man hat sohin in Schottland auf der
einen Seite eine starre Scholle, auf der andern ein Faltungsgebirge,
die, wie ich anderwärts zeigte (Morphologie II, S. 373), immer vergesell-
schaftet sind. Zwischen beide schaltet sich eine Zone ein, in welcher
die Schichfolge des ungestörten Gebirges mehrfach über sich zu-
sammengestaut und schliefslich von den Massen des ostwärts gelegenen
Faltungsgebirges überschoben ist. Wie weit diese Überschiebung reicht,
zeigt sich in der östlichen Fortsetzung des Knockanpronls, wo die
Moine-Schichten 8 km weit über das Kambrium hinweggeschoben sind ;
wie weit sie einst gereicht hat, läfst sich aus einem Vorkommen von
Moine-Schists auf der Halbinsel Fair Aird unfern Durness entnehmen,
wo sie 13 km weiter westlich als der Rand der Überschiebung gelegen
sind. Mindestens um diesen Betrag also sind sie über die westlich
gelegenen Gebiete hinausgeschoben. Wo dies erfolgte, ist die ruhige
Lagerung desselben gestört, sind seine Schichtglieder übereinander
geschoben, in Aufschlüssen 5—6 km weit auf der Ben More Thrust-
plane, und wenn die Beschaffenheit des aufgeschobenen Gneifsblockes
in Glencoul einen Schlufs auf seine Herkunft zuläfst, 20 km auf der
Glencoul Thrustplane. Die Aufschiebungen sind also an die Sohle
eines Faltengebirges geknüpft. Das dürfte, wie sich zeigen wird, das
Wesen der Sache sein.
Geomorphologische Probleme aus Nordwest-Schottland. 173
3) Die Glarner Schubflächen.
Die grofsen schottischen Überschiebungen sind ein Glied in der
Reihe von Überschiebungen, welche den europäischen Boden in drei
einzelnen Zonen durchsetzten, und auf deren gegenseitige Beziehungen
nahezu gleichzeitig Ed. Suefs (Schriften d. Ver. zur Verbr. naturw.
Kenntn. Wien XXX, 1889/90, S. 1) und Marcel Bertrand (Comptes
Rendus de l'Acadämie des Sciences CXI, 1890, S. 1049) aufmerksam
machten, nämlich die Zonen der vordevonischen caledonischen, der
karbonischen hercynischen und der tertiären alpinen. Von den
letzteren sind jene der Glarner Alpen durch Heim' s Arbeiten (Unter-
suchungen über den Mechanismus der Gebirgsbildung 1878; Geologie
der Hochalpen zwischen Reufs und Rhein, Beiträge zur geologischen
Karte der Schweiz. XXV. Lieferung 1891) dank Heim's genetischen
Erklärungen von gröfstem Einflufs auf die Entwickelung der ganzen
Frage gewesen. Heim's Ansichten haben auch die neueren Unter-
suchungen im Nordwesten Schottlands mächtig gefördert. Lapworth
steht bei Behandlung des Hochlandgeheimnisses wesentlich auf ihrem
Boden, und sie leuchten auch durch die erste Darstellung der Über-
schiebungen durch die Survey (1884) hindurch. Ein Vergleich zwischen
beiden Gebieten drängt sich daher naturgemäfs auf und kann zur
Klärung mancher Fragen beitragen.
Ich habe die Glarner Alpen zuerst 1891 unter Heim's Führung
kennen gelernt; er führte damals eine gröfsere Zahl von Mitgliedern
der Deutschen Geologischen Gesellschaft in die Mitte des Gebiets,
von Schwanden über Elm nach Linththal. 1893 kehrte ich in Be-
gleitung von Ed. Brückner dahin zurück, überschritt den Segnes-
Pafs und verweilte mehrere Tage im Bereich des grofsen Bergsturzes
von Flims. 1894 folgte ich abermals Heim gelegentlich der von ihm ge-
leiteten Exkursion des Internationalen Geologen-Kongresses in den nörd-
lichen Teil der Überschiebung, nämlich die Umgebung des Mürtschen-
Stockes, ging dann aber allein durch das Tamina-Thal nach Reichenau,
um die Ostseite des Gebiets kennen zu lernen. Bei diesen mehr-
fachen Besuchen des klassisch gewordenen Gebiets konnte ich mich
an den Hauptstellen von der Richtigkeit von Heim's Beobachtungen
überzeugen, und wenn ich im folgenden auf einige Verschiedenheiten
in Bezug auf die Erscheinungsweise der schottischen und Glarner
Überschiebungen hinweise, so kann ich vonvornherein sagen, dafs
es sich nicht etwa um blofse Verschiedenheiten in der Auffassung und
Beobachtung, sondern um solche thatsächlicher Natur handelt, wie
auch bereits von Marcel Bertrand hervorgehoben ist (Revue ge'ne'-
rale des Sciences pures et appliquöes. 15. de'c. 1892).
174 A * Penck:
Der auffälligste Gegensatz zwischen dem Gesamtkomplex der
schottischen und den Glarner Überschiebungen liegt jedenfalls darin,
dafs in Schottland die höchsten aufgeschobenen Massen, nämlich die
Moine Schists, allem Anschein nach stark gefaltet sind, während in
den Glarner Alpen die aufgeschobenen Verrucanomassen es nicht sind-
Sie krönen in beinahe schwebender Lagerung die gefalteten Schiefer
des Eocän, während man unter den Moine Schists im wesentlichen nur
gestauten, höchstens untergeordnet gefalteten Schichten begegnet. Hier
wie da trifft man auf grofsartige mechanische Wirkungen der Auf-
schiebungen; längs der Aufschiebungsflächen sind die Gesteine ge-
dehnt und gestreckt, ausgewalzt wie es Heim nennt, gemahlen nach
der Bezeichnung von Lapworth. Mylonite finden sich in beiden Ge-
bieten; während aber in Schottland die Mylonite lediglich Kontakt-
Erscheinungen in zwei gegeneinander verschobenen Gesteinen sind,
findet sich an der Grenze zwischen dem aufgeschobenen Verrucano
und dem überschobenen Eocän ein Mylonit, welcher nicht aus beiden
oder dem einen von beiden hervorgegangen ist. Das ist der Loch-
seitenkalk. Meilenweit sieht man ihn als weifses Band zwischen den
prallen, roten oder grünen Wänden des Verrucano und den schwarzen
Eocänschiefern. Im südlichen Überschiebungsgebiet trifft man statt
seiner Malmkalke, welche südwärts rasch an Mächtigkeit zunehmen
und sich hier mit Dogger vergesellschaften, der über ihnen auftritt.
Sie lagern also verkehrt. Auch im nördlichen Überschiebungsgebiet
vergesellschaftet sich am Bützistöckli mit dem Lochseitenkalk eine
verkehrte Folge von Trias bis Malm. Wer die entsprechenden Profile
im Segnes-Thal und am Bützistöckli unbefangen verfolgt, mufs Heim bei-
pflichten, wenn er den Lochseitenkalk als Äquivalent des verkehrt
lagernden Jura-Komplexes im südlichen Faltengebiet ansieht, denn beide
knüpfen sich an die Überschiebungsgrenze zwischen Verrucano und
Eocän. Sobald man aber diese unabweisbare Äquivalenz eingesehen
hat, wird man auch den Lochseitenkalk als Mylonit einer verkehrten
Jurafolge betrachten müssen, so wie es Heim thut, wenn er ihn als
„ausgewalzten" Mittelschenkel einer bzw. zweier Falten erklärt. Einen
solchen aber giebt es in Schottland nicht: im gröfseren Teil des Über-
schiebungsgebiets fehlen überhaupt bedeutende Falten, und verkehrte
Schichtlagerung kommt nur selten vor. Es sind sohin die Vorbe-
dingungen für die Auswalzung verkehrter Schichtglieder nur aus-
nahmsweise gegeben; kein Wunder, wenn kein Äquivalent des Loch-
seitenkalkes vorhanden ist. Unverkennbar sind die grofsen Glarner
Überschiebungen durch gesteigerte Faltung hervorgegangen, während
in den überschobenen Packeten unter den Moine-Schichten in Schott-
land die Faltung lediglich eine unbedeutende Begleiterscheinung der
grofsen Überschiebungen ist.
Geomorphologische Probleme aus Nordwest-Schottland. 175
Inwieweit das Vorhandensein zweier von einander abfallender
"Überschiebungen, wie sie Heim für die Glarner Alpen annimmt, und
das Auftreten ausschliefslich gleichsinniger Überschiebungen, wie sie
in Schottland vorhanden sind, wirkliche Verschiedenheiten zwischen
beiden Gebieten bedeutet, ist zum Teil gegenwärtig noch eine Frage
der Auslegung des Thatbestandes. Marcel Bertrand hat den Ver-
such unternommen, die Gesamtheit der Phänomene in den Glarner
Alpen durch Annahme einer einzigen grofsen Falten Verwerfung zu er-
klären, welche von Süden her den Verrucano auf das Eocän schob.
(Bull. Soc. geologique (3) XII, 1883.84, S. 318.) Er ging dabei aus
von Ähnlichkeiten in der Struktur der nördlichen Schweizer Alpen mit
dem frankobelgischen Kohlenbecken. Auch hier wird von Süden her
älteres Gebirge auf jüngeres aufgeschoben. Dieses ist an den Grenzen
der Überschiebung von einem Bruch durchsetzt, dessen Nordflügel
gehoben ist. Einen solchen Bruch (Cran de retour) mutmafst Bertrand
nördlich der Glarner Alpen: er soll die Unterlage des überschobenen
Eocän, also Kreide zum Vorschein bringen, und in der That treten
nördlich des Glarner Überschiebungsgebiets am Walen-See Kreide-
ketten auf.
Bertrand's Kombination hat in vielen Konsequenzen eine Be-
stätigung erfahren. Die von ihm verlangte Verknüpfung der Schichten
des Glärnisch zu nordwärts überschobenen Falten ist, entgegen dem von
Baltzer gemachten ursprünglichen Versuche, durch Beobachtungen
an der Silbern erwiesen (Heim, Untersuchungen. S. 55). Die grofsen
Überschiebungen der Präalpen-Ketten, welche er mutmafste, sind von
H. Schar dt (Origine des Präalpes romandes. Eclogae geologicae Hei-
vetiae IV, 1893, S. 122) und Lugeon (La region de la breche du Chablais.
Bull, du Service de la carte geologique Nr. 49. VII. S. 337) bestätigt
worden. Der nahe liegende Einwand gegen seine Auffassung, dafs
man in den Glarner Alpen thatsächlich zwei von einander abfallende
Überschiebungsflächen sieht, verliert an Kraft, sobald man die ver-
bogenen Verschiebungsflächen Schottlands bemerkt, welche Sättel und
Mulden beschreiben. Könnten nicht die beiden Heim'schen Über-
" Schiebungen vielleicht eine einzige sattelförmig aufgewölbte Schubfläche
darstellen? Zu Gunsten von Bertrand spricht, dafs der verkehrte
Mittelschenkel nur im südlichen Überschiebungsgebiet vorhanden ist,
während im nördlichen mit alleiniger Ausnahme des Btitzistöckli nur
Lochseitenkalk vorkommt. Das würde bestens mit der Annahme nur
einer einzigen von Süden gekommenen Überschiebung stimmen; man
hätte dann, da das Bützistöckli dem südlichen Überschiebungsgebiet
nahe gelegen ist, eine konstante Abnahme des Mittelschenkels, so wie
es die Theorie der Überschiebung mit Auswalzung verlangt. Endlich
176 A - Pcnck:
fehlt in den Glarner Alpen die Stirn der beiden von Heim ange-
nommenen Falten.
Ich habe die Tage, welche Heim's Exkursion im Herbst 1891 durch
ungünstiges Wetter am Eindringen in das Hochgebirge gehindert war,
an den Ufern des Walen-Sees benutzt, um nach dem von M. Bertrand
gemutmafsten Bruch, einem alpinen Cran de Retour, Umschau zu
halten. Ich mufs bekennen, dafs ich keine Stelle gefunden habe, wo
er zum Vorschein kommen sollte, denn die ganze Schichtfolge an
beiden Ufern des Sees gehört sichtlich in das Hangende der nördlichen
Aufschiebung. Die Analogie mit dem frankobelgischen Kohlenbecken
tritt aber auch hervor, ohne einen Cran de Retour annehmen zu
müssen. Im Becken von Lüttich und Bergen (Mons) hat man neben
den grofsen Überschiebungen von Süden her auch eine solche von
Norden aus. Diese geschehen längs der Schubflächen von St. Gilles,
beziehentlich von Hornu. Wäre es nicht angemessener, die nördliche
Glarner Schubfläche mit diesen letzterwähnten des frankobelgischen
Kohlenbeckens zu vergleichen, anstatt einen hypothetischen Cran de
Retour anzunehmen? Hierüber können nur Beobachtungen an den
Glarner Schubflächen selbst Klarheit bringen. Wie man auf Gletscher-
schliffen Stofs- und Leeseite unterscheidet, so kann man auch, wie ich in
Schottland lernte, auf grofsen Überschiebungsflächen die Richtung der
Bewegung feststellen. Leider hat sich mir seither keine Gelegenheit
geboten, die gewonnenen Erfahrungen in den Glarner Alpen zu ver-
werten. Eine Höhenschichtenkarte der beiden dortigen Schubflächen,
welche einer meiner Schüler, stud. phil. Machacek, nach dem geologisch
kolorierten Blatt XIV der Dufour-Karte anfertigte , brachte kein Argu-
ment zu Gunsten der Bertrand'schen Hypothese. Sie zeigt die nörd-
liche Überschiebung allenthalben durch einen 2 bis 3 km breiten Zwischen-
raum von der südlichen getrennt, sodafs über die Zugehörigkeit ein-
zelner Vorkommnisse zur einen oder anderen kein Zweifel herrschen
kann. Stets liegen die zugekehrten Ränder beider in verschiedener
Höhe. Allerdings hält sich keine Seite konstant über der anderen;
bald ist der Rand der südlichen Überschiebung höher, bald jener der
nördlichen, und ihre Höhenunterschiede sind nicht beträchtlicher, als
auf gleichen Entfernungen innerhalb der Überschiebungen angetroffen
werden. Aber das Streichen beider Schubflächen ist in der Osthälfte
des Gebiets verschieden. Während sie in der Westhälfte des Gebiets
annähernd übereinstimmend nordöstlich verlaufen, streicht die nörd-
liche Aufschiebung nordöstlich über das Weifstannen-Thal, während die
südliche zwischen Saurenstock und Ringelspitz südöstlich, also nahezu im
rechten Winkel zur nördlichen streicht. Das geht sowohl aus Heim's Karte,
wie auch aus der Felszeichnung des Siegfried-Atlas hervor. Hiernach
Geomorphologische Probleme aus Nordwest-Schottland. J77
sind beide Aufschiebungen nicht Ebenen, sondern verschieden konkave
Flächen, welche einander beiderseits des Elm-Thals sehr nahe kommen,
weiter östlich sich aber von einander entfernen. Vom Verlaufe der Thäler
werden sie in keiner Weise beeinflufst. Namentlich behält die nörd-
liche ihr Streichen im Linth-Thal bei, das sie schräg übersetzt; für die
Annahme einer Grabenversenkung liegt hier nicht die mindeste Veran-
lassung vor.
Heim's Profile (Gebirgsbau, Tafel I. 2 — 7) lassen erkennen, dafs
beide Überschiebungen auch im Westen sich von einander entfernen.
Beide verlaufen hier je in eine Falte. Hier auch ist in der Windgälle
die Stirn der Faltenumbiegung vorhanden, die im Bereich der Doppel-
falte fehlt, was angesichts der Phänomene an der Stirn der aufge-
schobenen Massen in Schottland nicht Wunder nehmen kann. So
stehen denn Bertrand's Auffassung, derzufolge eine bemerkenswerte
Verschiedenheit zwischen den Glarner und den schottischen Über-
schiebungen entfallen würde, manche Schwierigkeiten entgegen. Fest
steht aber, dafs das Glarner Überschiebungsgebiet, möge es nun
ein oder zwei Überschiebungen aufweisen, inmitten eines Faltungs-
gebirges vorkommt, während die schottischen in die Basis eines
solchen gehören. Die überschobenen und aufgeschobenen Massen
besitzen dabei in den Glarner Alpen gröfstenteils die für Faltungs-
gebirge charakteristische Faciesverschiedenheit von den aufserhalb
des Gebirges auftretenden gleichalterigen Gebilden; die unter der
Moine - Schubfläche zusammengestauten Massen haben dagegen die
Schichtentwickelung des benachbarten ungestörten Gebiets. So lange
freilich eine Gliederung der Moine-Schichten nicht durchgeführt ist,
darf man dieser Differenz kein grofses Gewicht beilegen. Sie würde
zu Recht bestehen, wenn sich die Moine-Schichten, wenigstens ihrer
Hauptmasse nach, als ein ursprünglich zusammengehöriger Komplex,
vielleicht als eine obere Abteilung des Archaischen herausstellen
sollten ; sie würde hingegen fallen, wenn sie sich als ein Produkt inniger
Zermahlung verschiedener Gesteine, so z. B. vom Grundgebirgsgneifs
und von Torridonschichten erweisen sollten. Die Schwierigkeiten, auf
welche die Abtrennung eingeklemmter torridonischer Schichten von
den Moine Schists hier und da, z. B. in der Gegend von Loch Carron,
stöfst, sind in letzterer Hinsicht recht beachtenswert. Andererseits
läfst sich nicht verkennen, dafs die grofse Masse der Moine-Schichten
doch einen recht einheitlichen Eindruck macht, so wie etwa die des
Flysches. Wie letzterer auf die alpinen Faltungszonen beschränkt ist,
treten die Moine-Schichten nicht aus dem alten Caledonischen Gebirge
heraus. Das spricht zu Gunsten der Annahme, dafs sie zur Gruppe
jener Gesteine gehören, die am Ort eines späteren Faltungsgebirges
178 A. Penck:
vonvornherein in einer eigentümlichen Ausbildungsweise zur Ab-
lagerung kamen.
Empfiehlt es sich auch einige Differenzpunkte zwischen den Glarner
und schottischen Überschiebungen, nämlich die Verschiedenheit ihres
Materials und der Lage der Schubfläche, nicht so in den Vordergrund
zu stellen, wie es nach dem gegenwärtigen Stande unserer Kenntnisse
zu geschehen hätte, so bleiben doch Verschiedenheiten genug zwischen
beiden Gebieten, die als durchaus gesicherte gelten können. In den
Glarner Alpen erscheinen die Überschiebungen als Folge einer über-
mäfsigen Faltung innerhalb einer Faltungszone, in, Schottland finden
sie sich an der Grenze einer solchen; die hier zwischen ihnen auf-
tretenden Andeutungen einer Faltung ordnen sich ihnen unter, gleichsam
als ob hier und da die aufgeschobenen Massen während ihrer Zusam-
menstauung rudimentär gefaltet worden wären. Beide Fälle dürfen
nicht verallgemeinert werden. Lag es auch nahe, unter dem Einflufs
von Heim's tiberzeugenden Darlegungen im Anschlufs an die Glarner
Doppelfalte jede Überschiebung zunächst für eine zerrissene Falte zu
deuten, so darf doch nunmehr weder ohne weiteres angenommen
werden, dafs schottische Strukturen allgemein verbreitet seien, wie
Cadeil 1 ) annimmt, noch darf die Redaktion so weit gehen, dafs alle
Überschiebungen von den Falten losgelöst und allgemein als ein jüngeres
Phänomen hingestellt werden, sowie es Rothpletz in seinen geotek-
tonischen Problemen thut (S. 154). Es heifst vielmehr, jede Überschiebung
ohne Voreingenommenheit prüfen, da ihr Verhältnis zu den Falten ein
recht verschiedenes sein kann. Dies erhellt nicht nur aus dem Befunde
der beiden verglichenen Überschiebungsgebiete, sondern namentlich
auch aus den Experimenten über Schichtfaltung, welche in neuerer Zeit
vorgenommen worden sind.
4. Experimentelle Ergebnisse über die Schubflächen in
Faltungszonen.
Ca de 11 konnte den Typus der schottischen Überschiebungen
künstlich nachahmen, indem er horizontale Lagen von Sand, Formlehm
und Gyps horizontal zusammenprefste. Ebenso hatte bei seinen schönen
Untersuchungen über Seitendruck Ph. Forchheimer durch Zusammen-
pressen von Sand Überschiebungen vom Typus der schottischen er-
l ) Experimental Researches in Mountain Building. Trans. R. Soc. of Edinb.
XXXV. pt. 1. 1887 S. 58 (1889) S. 337 (348). Marcel Bertrand, (Les Mon-
tagnes de PEcosse. Revue generale des Sciences pures et appliquees No. 23. 15. Dec.
1894) hat hiergegen bereits den Unterschied alpiner und schottischer Überschiebungen
l n der oben entwickelten Weise präzisiert. „ Ce ne sont pas les observateurs qu'il
faut accuser, ce sont les montagnes qui ne sont pas les memes"
Geom Orphol ogische Probleme aus Nordwest- Schottland. 179
halten (Zeitschr. d. österr. Ingenieur- u. Architektenvereins Wien, XXXIV,
1882, S.m; XXXV, 1883, S. 103. Neues Jahrbuch für Mineralogie 1893,
I> S. 137). Beide Autoren zeigten, dafs die in den zusammengeprefsten
Massen entstandenen Schubflächen sich nach der Richtung, aus welcher
der Druck kommt, also rückwärts senken, und dafs auf ihnen Massen
über unbewegte hinweggeschoben wurden. Da beide mit Sand expe-
rimentierten, könnte es erscheinen, als ob die hergestellten Schubflächen
in ihrer Entstehung an unbiegsames Material geknüpft seien. Es ist
daher sehr wichtig, dafs Bailey Willis bei seinen ausgedehnten Ex-
perimenten über Schichtfaltung (XIII th Ann. Rep. U. S. Geolog. Survey,
1891/92, Washington 1893, S. 211) Schubflächen auch in weichem und
plastischem Material erhielt, wenn dieses unter genügender Belastung
mit Schrot seitlich zusammengeprefst wurde. Von seinen Versuchen ist
in dieser Beziehung der Jj genannte besonders lehrreich, und die auf
Tafel 95 u. 96 dargestellten einzelnen Stadien der Zusammendrückung
einer homogenen, weichen Schichtfolge gewähren einen vorzüglichen
Einblick in den Mechanismus der Zusammenpressung weicher Schichten,
unter welchen keine den Druck besonders fortleitet und schon eine
besondere „Kompetenz" für die Faltung besitzt. Zuerst entwickelte
sich ganz wie bei den Versuchen von Cadeil und den sehr elegant
ausgeführten von Forch heimer im Innern der zusammengeprefsten
Masse eine Schubfläche, welche rückwärts unter einem Winkel von durch-
schnittlich 40—50° einfiel und auf welcher die geschobenen Massen auf
die ruhenden aufgeschoben wurden, also eine echte Überschubfläche.
Bei fortgesetzter Kompression stellten sich neben dieser in gröfserer
Entfernung von dem Herde des Druckes weitere parallele Überschub-
flächen ein. Zugleich entwickelten sich steilere Flächen mit entgegen-
gesetzter Neigung (50 — 6o°), auf welchen die bewegten Massen unter
die ruhenden geschoben wurden. Sie seien daher Unterschub flächen
genannt. Die rückwärtsgeneigten Überschub- und die vorwärtsgerichteten
Unterschubflächen zerlegten die komprimierte Masse in eine Anzahl
von parallelepipedischen und keilförmigen Stücken, von welchen die
letzteren ihre Spitzen abwechselnd nach oben und unten richteten.
Diese Parallelepipeda und Keile falteten sich bei fortgesetztem Zusammen-
schube oder schoben sich dermafsen ineinander, dafs die Überschub-
flächen verschwanden und die Unterschubflächen in steigender Ent-
wickelung bestehen blieben. In ein und derselben komprimierten Masse
entwickelte sich auf der einen Seite Faltung, während auf der andern
eine Folge unterschobener Packete entstand. Unterschiebung und Faltung
erscheinen also auch im Experimente als verschiedene Äufserungen ein
und desselben Vorganges, was nach der Art ihres Zusammenvorkommens
in der Natur bereits geschlossen werden mufste.
180 A. Penck:
Die mit sehr verschiedenem Material angestellten Versuche von
Cadell und Forchheimer einer- und Willis andererseits liefern
übereinstimmend das Ergebnis, dafs sich innerhalb einer seitlich zu-
sammengeprefsten Schichtfolge Schubflächen entwickeln, gleichviel ob
das Material unbiegsam oder biegsam ist. Nur darin giebt sich ein
Einflufs der Beschaffenheit der Schichten zu erkennen, dafs alle Ver-
suche mit unbiegsamem Material Überschubflächen, die mit biegsamem
auch Unterschubflächen lieferten. Die Entwickelung der lederen ist
insofern wichtig, als sie lehren, dafs die bei Seitendruck entstehenden
Schubflächen nicht immer gleichsinnig geneigt zu sein brauchen, sondern
auch in entgegengesetzter Richtung fallen können, so wie man dies
auch in zahlreichen genauer untersuchten Profilen in Faltungsgebirgen,
z. B. in den von Heim veröffentlichten, wahrnehmen kann. So wichtig
nun aber auch diese Schlufsfolgerungen sind, so darf nicht aufser acht
gelassen werden, dafs die zum Experimentieren verwendeten Materialien
denen der Erdkruste nicht entsprechen. Letztere besteht weder aus
beweglichen Körnern, wie Sand, noch ist sie butterweich. Ihre oberen,
der Beobachtung zugänglichen Schichten sind starr, dafs aber in der
Tiefe bis zu einem gewissen Grade „weiche", also biegsame Materialien
lagern, ist infolge des in der Tiefe herrschenden hohen Druckes wahr-
scheinlich. Es können daher nur Experimente, welche mit heterogenem,
oben starr und unten biegsamen Material ausgeführt werden, einen
Einblick in die wirklichen Faltungsvorgänge gewähren.
Einschlägige Versuche sind von Cadell vorgenommen. Eine ganze
Serie seiner Experimente ist derart ausgeführt worden, dafs er Sand-,
Lehm- und Gipsschichten über Wachstuch breitete, das mit ihnen zu-
sammengeprefst wurde. Dabei warf es sich in steile Falten, während
die hangenden Sand-, Lehm- und Gypsschichten gegeneinander auf
Schubflächen bewegt wurden, die als Fortsetzung der darunter be-
findlichen Wachstuchsattel erschienen. Man hätte also in den
oberen Krustenteilen Überschiebungen, in den tieferen Faltung. Das
entspricht der allgemeinen Annahme und den bezüglichen Auseinander-
setzungen Heim's. Für die Erklärung der grofsen schottischen Über-
schiebung ist aber nicht der Gewinn gegeben, den Cadell von dem
Experiment erwartet. Sie zeigen lediglich Überschiebungen über
Faltung, aber sie lassen nicht erkennen, was unter der Faltung geschieht.
Hier entstanden im Experiment Hohlräume, also Erscheinungen, die
innerhalb einer latent plastischen Erdkruste undenkbar sind. Das als
biegsame Schicht verwendete Wachstuch liefs eben keine Verschiebung
seiner einzelnen Teile neben einander zu, wie sie die tiefgelegenen
Teile der Erdkruste theoretisch erleiden können.
Über das Verhalten dieser tieferen Erdkruste giebt das Experiment J t
Geomorphologische Probleme aus Nordwest-Schottland. 181
von Willis Auskunft. Er hatte in demselben über ganz weiche Schichten
minder weiche, aber noch biegsame Schichten gebreitet, also eine
Anordnung getroffen, wie sie der theoretisch gemutmafsten der tieferen
Krustenteile entspricht. Indem er nun diese Schichten znsammenpresste,
entstanden (Taf. 93 und 94) wiederum zuerst Schubflächen und zwar
in den tiefsten, weichsten Schichten, zunächst blofs mit Überschüben,
dann auch mit Unterschüben. Längs dieser Schubflächen staute sich
das Material zusammen. Die hangenden, weniger weichen, aber doch
noch gut biegsamen Schichten wölbten sich zu einem Sattel auf, welcher
sich rückwärts, also der Druckrichtung entgegen, umlegte. Dabei ver-
dickte sich der hangende Flügel, während sich der liegende auszog
und schliefslich zerrifs. Nunmehr glitt der Hangendflügel des umge-
fallenen Gewölbes über den Liegendflügel hinweg, der unter ihn ein-
geschoben wurde. Es bildete sich eine grofse Unterschiebung, welche
also durch Auswalzung eines Sattelflügels — der, falls eine Mulde da-
neben entstanden wäre, die Lage des Mittelschenkels einer Falte gehabt
haben würde — hervorgegangen ist. Sie entspricht also ganz dem Typus
der Glarner Schubflächen mit ausgewalztem Mittelschenkel. Das unterste
Material nahm an dieser Sattelbildung nicht teil. Trotz seiner Weich-
heit quoll es nicht, wie man es von einer plastischen Masse erwarten
sollte, in das entstehende Gewölbe, sondern schob sich in dasselbe in
Gestalt einzelner, scharf begrenzter Keile hinein, die sich anfanglich
vornehmlich auf Überschubflächen , später aber, als der Sattel unter-
schoben wurde, auf Unterschubflächen bewegten.
Die Wichtigkeit dieses Experiments ist nicht hoch genug zu
schätzen. Es lehrt, dafs bei Kompression eines mit der Tiefe an
Weichheit zunehmenden Schichtkomplexes in den untersten, weichsten
Materialien, die bei wenig mehr als Zimmerwärme, nämlich -f- 21 ° C.,
weich wie Butter waren, sich Schubflächen entwickeln konnten, während
sich die hangenden, minder weichen Materialien falteten. Schubflächen
sind sohin keineswegs an das Hangende von Falten geknüpft, sondern
können auch in deren Liegendem entstehen, und zwar in Materialien,
deren Beschaffenheit der von latent plastischen Krustenteile entspricht.
Dies war nach unsern bisherigen Anschauungen nicht zu erwarten. Nach
Heim's diesbezüglichen Auseinandersetzungen formen sich die latent
plastischen Massen der Tiefe unter Druck bruchlos um (Mechanismus
Bd. II) und werden nicht von Verwerfungen betroffen. Nach den
Untersuchungen von Willis ist diese Theorie nicht mehr haltbar,
wir müssen für latent plastische Massen der Tiefe die Möglichkeit der
Entstehung von echten Schubflächen in das Auge fassen, welche nicht
mit der Auswalzung von Schichtgliedern verbunden sind, sondern zu
einer ähnlichen Aufstauung von einzelnen Schollen führen, wie sie in
182 A. Penck:
ziisammengeprefstem Sand und in Nordwest-Schottland entgegentritt.
Diese Schubflächen sind ganz anderer Art als jene, welche sich durch
Aliszerrung von einzelnen Sattelstücken entwickeln, und welche mit
Umkehrungen der normalen Schichtfolge verknüpft sind. Das Experi-
ment von Willis zeigt letzteren Typus der Aufschiebungen in höherem
Niveau als die einfachen Schollenaufschiebungen. Die zweite Serie
von Cadell's Experimenten endlich zeigt über diesem Niveau der Falten
noch ein zweites Niveau der Schollenverschiebungen. Man erhält
sohin durch Kombinierung der Ergebnisse beider Forscher folgende
Anordnung der Druckwirkungen in einer seitlich zusammengeprefsten
Schichtfolge, welche von oben nach unten eine ähnliche Zunahme der
Plastizität aufweist, wie sie der Theorie nach die Erdkruste haben
soll: i. zuoberst ein Niveau von Überschiebungen ohne Auswalzungen,
welche sich an die Fortsetzung der tiefer liegenden Falten knüpfen,
die Firstschübe; 2. darunter ein Niveau der Faltung mit Faltenver-
werfungen, kenntlich durch Auswalzungen und Umkehrungen der Schicht-
folge, die Faltenschübe; 3. zuunterst in vollkommen plastischem Mate-
rial ein Niveau mit primären Überschiebungen ohne Auswalzungen und
Schichtumkehrungen , die nach oben mit Falten in Verbindung treten,
die Sohlenschübe.
Wir erkennen sohin in einem Vertikalschnitt einer Faltungszone
drei verschiedene Stockwerke, deren Entwickelung bedingt ist durch die
Stärke der Kompression und die Faltbarkeit des Materials. Sie dürften
daher nicht überall vorhanden sein. Die Firstschübe werden dort
fehlen, wo sehr flache Falten vorhanden sind ; das Faltungsniveau kann
entfallen, wenn sehr feste Gesteine in ihm auftreten. Bei geringer Kom-
pression dürften auch die Faltenschübe aussetzen, namentlich wenn
eine höhere leicht faltbare Schicht vorhanden ist, welche auch die
von Willis festgestellten örtlichen Vorbedingungen für die Entstehung
von Falten enthält. Nur in stark zusammengeprefsten Zonen dürfen
wir die drei Stockwerke verschiedener Schubflächen übereinander er-
warten, von denen die unteren und oberen Ähnlichkeit besitzen. Es
mufs sich nun fragen, ob die drei Niveaus auch in zusammengeprefsten
Teilen der Erdkruste vorhanden sind.
Der First einer Faltungszone kann nur dort erwartet werden, wo
die Erosion nicht wirksam werden konnte, die ihrerseits die Falten
erst zum Vorschein bringt, kurz an Stellen, wo die Faltungszone sozu-
sagen nur zu erraten ist. Man mufs sich daher zunächst darüber ins
Reine kommen, wie die Oberfläche einer solchen intakten Faltungszone
aussehen dürfte. Hierüber können nur Experimente Aufschlufs geben,
und zwar solche mit bröckligem Material, da die Materialien der Erd-
kruste erfahrungsgemäfs nicht Festigkeit genug besitzen, um Bögen von
Geomorphologische Probleme aus Nordwest-Schottland. ]#3
gröfserer Spannweite oder Vorsprünge von gröfserem Umfang zu bilden.
Sobald die Spannweite gröfser als das Mindestmafs wird, treten Zu-
sammenbrüche auf. Die obersten Krustenschichten verhalten sich daher
ähnlich wie trockener Sand, der auch nur Hohlräume von bestimmten
Grenzen bilden kann; die Zusammenpressung von Sandschichten liefert
daher eine Vorstellung von den Oberflächenformen des Firstes eines
intakten Faltengebirges. Hier sind Forchheimer's Experimente zu Rate
zu ziehen. Seine Angaben über die Oberflächenformen des zusammen-
geprefsten Sandes beschränken sich auf die Bemerkung, dafs sich in
trockenem Sand die Oberfläche nur wellt, während in seinem Innern
die schon erwähnten Gleitflächen entstehen. Seine Zeichnungen zeigen
denn auch ganz allgemein flachwellige Oberflächen des komprimierten
Sandes bei starken Knickungen in seinem Innern. (Zeitschr. des österr.
Ingenieur- und Arch. -Vereins, 1882, Taf. XXXIV, Abbild. 29— 31 ;
1883, Taf. XXII, Abbild. 15— 17.) Aber auch die Experimente von
Willis, die mit plastischem Material unter Druck von Schrot an-
gestellt wurden, lassen auf das deutlichste erkennen, dafs die Ober-
fläche der zusammengeprefsten Schichten nicht im mindesten die
Stauungen ihres Innern spiegelt. Es kann in dieser Hinsicht auf nahe-
zu alle Abbildungen späterer Kompressionsstadien verwiesen werden,
insbesondere seien Tafeln 90 e — k, 91 h — i, 92 1, 93 g— k (= 94 a— c),
95 d— h genannt. Wie dürftig nun auch dieses Vergleichsmaterial
ist, so läfst sich doch bereits erkennen, dafs die intakte Oberfläche
einer Faltungszone die Kompliziertheit von deren Bau nicht spiegelt,
ja es mufs sogar als wahrscheinlich gelten, dafs sie nur sanft gewölbte
Schwellen und Senken zeigt, während das Innere die mannigfaltigsten
Stauchungen aufweist, mit anderen Worten, dafs sie nicht als Faltungs-
gebirge erscheint. Eine Wiederaufnahme der Forchheimer'schen Expe-
rimente verspricht in dieser Hinsicht eine wichtige Bereicherung unserer
geomorphologischen Ansichten. Jedenfalls ist aber dringend geboten,
streng zwischen dem morphologischen Begriff des Faltungsgebirges und
dem tektonischen der Faltungszone zu scheiden.
Wo nun finden sich Verhältnisse, die auf eine in der Tiefe ver-
steckte Faltungszone schließen lassen könnten? Mir scheint im nord-
deutschen Flachland. Man begegnet hier dem Wechsel von Schwellen
und Senken, der erwartet werden mufs, man trifft in geringer Tiefe
auf einen aufserordentlich verwickelten Schichtbau, der in seinen Einzel-
heiten schwer zu entziffern ist, sodafs man ihn vielfach als Schubwir-
kung der grofsen eiszeitlichen Vergletscherung hingestellt hat. Aber
vergebens sucht man in den Alpen, die doch gleichfalls unter tiefer
Eisdecke begraben gewesen- sind und in ihren Thälern mindestens
ebenso mächtige Gletscher geborgen haben, nach ähnlichen Werken
184 A. Penck:
des Gletscherschubes; man kennt sie auch nicht aus Skandinavien dem
Centrum der nordischen Vereisung. Es liegt daher nahe, mit v. Koenen
nach einem tektonischen Ursprung dieser Störungen zu suchen, die
vielfach den Charakter von Überschiebungen tragen, und sie insgesamt
als Firstschube einer in der Tiefe lagernden Faltenzone anzusehen.
Das zweite Tiefenniveau der zusammengeprefsten, erdkrustenähnlich
biegsamen Schicht, das der Faltung, liegt in den meisten grofsen Fal-
tungsgebirgen zu Tage, nicht ursprünglich, sondern infolge der Denu-
dation, welche das Ganze erfahren hat. Hier trifft man stehende und
liegende Falten, aus beiden entwickeln sich Schubflächen, aus den
ersteren durch Zerreifsung der Sättel, wie in den Appalachien, aus den
letzteren durch Auswalzung der Mijtelschenkel, wie in den Alpen. Die
grofse Glarner Doppelfalte gehört in dieses Niveau der Faltenschübe.
Das dritte Tiefenniveau der zusammengeprefsten Masse erscheint
uns durch die schottischen Überschiebungen repräsentiert. Wir ver-
mögen Cadell nicht beizupflichten, wenn er sie in das Hangende von
tiefliegenden Falten verweist. Diese Anschauung war so lange vollbe-
rechtigt, als man eine bruchlose Umformung tiefgelegener Massen an-
nahm. Nachdem aber die Experimente von Willis gelehrt haben,
dafs auch in plastischen, selbst weichen Massen Schübe auftreten
können, mufs es sich auch fragen, ob wir es nicht mit Schubflächen
aus- der Sohle der Faltung zu thun haben, und diese Frage beantwortet
sich sofort: Es gehören thatsächlich die schottischen Schubflächen in
das Liegende des Caledonischen Faltungsgebirges, denn sie werden von
letzterem bedeckt. Sie sind nicht die Firstschübe eines solchen, wie
wahrscheinlich die zahlreichen Überschiebungen älterer Gesteine auf
das Diluvium Nord-Deutschlands, — dagegen spricht schon der Umstand,
dafs sie fast durch die ganze paläozoische, mesozoische und känozoi-
sche Ära als Glied des nordischen Landes der Abtragung unterworfen
waren, — sondern sie sind Sohlenschübe.
Wir vermögen sohin Repräsentanten der drei verschiedenen Schub-
stockwerke im Vertikalschnitt einer künstlich gefalteten Masse von
krustenähnlicher Biegsamkeit auf der Erdoberfläche wiederzuerkennen.
Es könnte dies ein Spiel des Zufalls sein, die Analogien könnten
oberflächliche sein. Wir müssen daher untersuchen, ob ihnen nicht
wesentliche Differenzpunkte gegenüberstehen. Ein solcher fällt sofort
auf. Die Schubflächen der Basis des Modells J von Willis, das
uns bei unserer Betrachtung leitete, tragen schliefslich gröfstenteils den
Typus von Unterschüben; in Schottland herrschen Überschübe. Dem-
gegenüber ist nicht aufser acht zu lassen, dafs Überschübe und Unter-
schübe, so verschiedener Entstehung sie auch sind, in ihrer Erscheinung
übereinstimmen. Ob eine Schicht über die andere oder diese unter
Geomorphologische Probleme aus Nordwest-Schottland. 185
sie geschoben ist, äufsert sich nicht in Lagerungsverhältnissen beider.
Man könnte ebensowohl die schottischen Schubflächen darauf zurück-
führen, dafs das hebridische Gebiet unter das Caledonische Gebirge
geschoben wäre, wie darauf, dafs letzteres auf sie hinaufgeprefst ist.
Das ist eine Sache der Erklärung, keine solche der Lagerungsverhält-
nisse. Solange nicht bestimmte Beweise dafür vorgebracht werden,
dafs in Schottland Überschiebungen vorliegen, ist der erwähnte Unter-
schied mehr eine Folge des gewählten Ausdrucks als ein solcher that-
sächlicher Natur. Aber auch dann, wenn sich in Schottland wirklich
echte Überschiebungen herausstellen sollten, wäre dem Unterschied
keine grofse Bedeutung zuzulegen. Verfolgt man nämlich die Ent-
wicklung des Modells J in allen seinen einzelnen Stadien, so sieht man
so lange nur Überschubflächen, als der aufgewölbte Sattel symmetrisch
ist; sobald er beginnt, sich auf seiner Rückseite zu schwächen
(Stadium f), entwickelt sich die erste Unterschubfläche, und je mehr
er sich rückwärts umbiegt, desto mehr Unterschübe entstehen. Die
Entwickelung der Unterschübe steht zur Richtung des Umfallens vom
Sattel in sichtlicher Beziehung. Diese Umfallrichtung aber erklärt sich,
wie folgt: Die Zusammenpressung wurde unter starker Belastung mit
Schrotkörnern vorgenommen. In diese drängte sich der entstehende
Sattel hinein. Zugleich wurde er in ihr bei fortschreitender Zu-
sammenpressung der Schichten vorwärts geschoben: Dabei mufste er
durch den Seitendruck des Schrotes, den er zu überwinden hatte,
notwendigerweise nach rückwärts umgeworfen werden. Bei der Faltung
der Erdkruste haben die sich entwickelnden Sättel keinen solchen
Seitendruck zu überwinden; es besteht für sie nicht die Nötigung,
rückwärts umzufallen, und damit dürfte auch nach der beobachteten
Abhängigkeit der Unterschubflächen von der Richtung des Umfallens
des Sattels die Notwendigkeit der Entwickelung von Unterschub-
flächen in tieferen Krustenteilen entfallen. Es besteht sohin keine
Veranlassung, in dem Vorhandensein von Unterschüben im Modell J
von Willis Bedenken gegen die Anwendung dieses Versuchs auf die
Erklärung der schottischen Überschiebungen zu finden.
Gröfsere Bedenken könnten aus der Art des Experiments erwachsen.
Es wird eine Schichtfoige über einer starren Sohle zusammengeschoben.
Das sind andere Vorbedingungen, als man sie in der Erdkruste er-
warten möchte, die dem sich zusammenziehenden Kerne folgen soll.
Ihre Bewegungen sind vergleichbar mit der einer Schicht, welche über
eine sich kontrahierende Unterlage gebreitet ist. Einschlägige Ver-
suche stellten Alphonse Favre (Archives des Sciences phys. et nat.
Geneve, 1878, No. 246), Hans Schar dt (Bull. Soc. Vaud. Scienc. Nat.
XX, 1884, S. 143) und Cadell in der dritten Folge seiner Experimente
Zeitschr. d. Ges. f. Erdk. Bd. XXXII. 1897. 13
186 A - Penck:
an. Sie legten Lehm- bzw. Sandschichten über eine ausgedehnte
Kautschukunterlage, die sich allmählich zusammenzog. Die Ergebnisse
aller dieser Experimente können aber zur Entscheidung der Frage
nach der Kompression der Erdkruste nichts beitragen, da sie eine
Aufblätterung der zusammengeprefsten Schichten zuliefsen, die unter
dem Zuge der Schwere bei den Festigkeitsverhältnissen der Erdkruste
in dieser nicht möglich ist.
Aber hiervon abgesehen, mufs es sich auch sonst fragen, ob die
zuletzt angeführten Experimente wirklich den natürlichen Verhältnissen
entsprechen. Sie nehmen zur Voraussetzung, dafs die Krustenfaltung
eine direkte Folge der Kontraktion des Erdinnern sei. Sie stehen auf
dem Boden einer bestimmten Hypothese. Aber gerade ihre nächst-
liegende Konsequenz, welche die Experimente zur Voraussetzung
nehmen, fehlt in der Natur. Die Erdkruste faltet sich nicht allent-
halben, wie über einem schwindenden Kerne zu erwarten, sondern
thut es nur in gewissen Zonen, welche durch weite faltungslose Ge-
biete von einander getrennt werden. Wir sehen starre Teile der Erd-
kruste, zwischen welchen sich Kompressionszonen einschalten, ganz
ebenso wie bei jenen Experimenten, welche die Schichtfaltung durch
Zusammenpressen von Lagen verschiedener Materialien zwischen festen
Backen nachahmt. Die Experimente von Willis beruhen daher gleich
den alten von Sir James Hall betreffs der Seitenwände, welche die
Kompression bewirken, durchaus auf natürlichen Voraussetzungen. Es
fragt sich nur, wie es sich mit der festen Sohle verhält, auf welcher
die Zusammenpressung vorgenommen wird.
Die Erörterung dieser Frage kann nur durch eine Untersuchung
der Tiefe der Faltungsvorgänge gefördert werden. Ist es die ganze,
über dem schwindenden Kerne befindliche Kruste, die sich faltet, oder
beschränkt sich die Faltung auf gewisse oberflächliche Partien? So-
bald letzteres augenommen werden mufs, müssen unter den sich falten-
den Schichten stabile angenommen werden, welche gleichsam die feste
Sohle für die Faltung bilden, genau so wie bei den Experimenten von
Willis, sowie denen von Sir James Hall, Pfaff und anderen.
Es dürften sich zur Zeit kaum einschlägige Beobachtungen aus
der Struktur der Erdkruste ins Feld führen lassen, und damit ist der
Spekulation ein weites Feld eröffnet. Deswegen braucht sie aber
nicht den gesicherten Boden zu verlassen. In der That bietet sich
ein Weg, durch Diskussionen beobachteter Thatsachen der Frage näher
zu treten. Sie liegen in den Kompressions-Erscheinungen der Kruste.
Zwar deutet nicht jede Faltenstruktur unbedingt auf Raumminderung
— in Abbildung 8 sind z. B. Falten dargestellt, welche bei gleicher
in der Horizontalen gemessenen Länge und Breite das gleiche
Geomorphologische Probleme aus Nordwest-Schottland. 187
Volumen enthalten wie die darunter befindlichen horizontalen Schichten
— , so weist doch jede mit Schubflächen verknüpfte Faltung auf
eine seitliche Zusammendrückung. Nun weicht das spezifische Ge-
wicht der Gesteine in den zusammengeprefsten Zonen nicht beträcht-
lich von dem derselben Gesteine in den stabilen Gebieten ab, sie
sind also nicht merklich verdichtet worden, d. h. sie haben keine
Volumsminderung erfahren. Daher müssen die seitlich zusammen-
geprefsten Krusten teile das an Dicke gewonnen, was sie an horizon-
taler Ausdehnung verloren haben. Sie müssen sich, wie man es in den
Faltengebirgen thatsächlich sieht, über ihre Umgebung erhoben haben.
Das Mafs ihrer Erhebung ist proportional der Mächtigkeit der Schicht,
in welcher die Faltung stattfand, und deren Intensität. Dies erhellt
aus folgendem:
Sei A das Areal einer Schicht vor, A jenes nach der Faltung,
sei ferner Ä die Mächtigkeit des gefalteten Komplexes vor, H % die
nach der Faltung, so ist
A Ä
A Ä ' .
Die Mächtigkeitszunahme des Komplexes Ä — H T ergiebt sich aus der
Proportion
iK — H x = A 1 — A*
Ä A
Sie kann nach oben und unten hin erfolgen. Geschieht sie gleich-
mäfsig nach beiden Richtungen, so ist die mittlere Erhebung des
Komplexes über seine Umgebung
_ Ä-Ä A-A Ä , „ 2 D.Ar
D-- — lln d /■£ = _
2 A 2 A — A
Von den Gliedern der letzten Gleichung können die rechtsseitigen durch
Beobachtungen bestimmt werden. Es kann Ä, die Tiefe, bis zu welcher
die Faltung unter die mittlere Höhe der nichtdenudierten Faltungszone
herabreicht, berechnet werden. Allerdings stöfst die Ermittelung des
Areals (A), welches die Schichten vor der Faltung einnahmen, auf
nicht geringe Schwierigkeiten. Es mufs die gefaltete Schicht ausge-
plättet werden, wobei nicht blofs die Zerrung und Stauung, die sie in
den einzelnen Falten erlitt, eliminiert werden müssen, sondern auch
Stücke, die der Erosion anheimgefallen sind, wieder zu ergänzen sind.
Das Endergebnis ist daher stets in ziemlich weiten Grenzen unsicher.
Nicht minder schwierig ist die Ermittlung der Höhe, um welche die
gefaltete Masse ihre Umgebung überragt, weil dabei die denudierten,
also fehlenden Massen in Berücksichtigung gezogen werden müssen.
Thatsächlich wissen wir denn auch nur sehr wenig von den Kom-
pressionsbeträgen der Faltungsgebirge und fast noch weniger von ihrer
13*
188 A - Penck:
ursprünglichen Höhe. Für die Glarner Alpen im Reufs - Thal hat
Heim eine Verengerung von 78.2 auf 45 km nachzuweisen gesucht,
während Rothpletz für die nördlichen Kalkalpen eine solche von
74,5 auf 52 km berechnete 1 ). Die mittlere Höhe der restaurierter.
Alpenfalten über ihre Umgebung dürfte im ersteren Falle zu 3, im
letzteren zu 2 km zu veranschlagen sein. Darnach ergäbe sich eine
Dicke der zusammengestauten Schicht von 14 bzw. 9 km. Der Schweizer
Jura ist, gleichfalls nach Heim, im Profil von Genf von 22 auf 17 km,
in jenem von Biel von 29 auf 24 km verengt worden. Seine restau-
rierte mittlere Höhe über seiner Umgebung beträgt weniger als 1 km
Darnach würden die zusammengestauten Massen höchstens 9-12 km
Dicke haben. Da nun keineswegs wahrscheinlich ist, dafs die Ver-
dickung, so wie wir annahmen, gleichmäfsig nach oben und unten hin
erfolgte, sondern in die Luft hinein gewifs leichter erfolgen konnte,
als nach dem Erdinnern hin, wo Massen zu verdrängen sind, so sind
die von uns berechneten Werte über die Dicke der zusammengestauten
Massen durchweg maximale, und wir erkennen, dafs eine so heftige
Faltung, wie die am nördlichen Alpenrand, auf die obersten Krusten-
schichten beschränkt ist. Ihre Tiefe ist eine Gröfse ähnlicher Ordnung
wie die Höhe des höchsten Berges oder der gröfsten Meerestiefe; sie
macht nur einige Tausendstel des Erdradius aus. Wir müssen also
Pfaff beipflichten, wenn er nach einer ähnlichen Argumentation (Der
Mechanismus der Gebirgsbildung. 1880, S. 86) die Faltung als ein
oberflächliches Phänomen bezeichnet.
Wie man sich nun auch die unter den Alpen falten liegenden
Massen denken mag, eines ist klar, dafs sie nicht mehr von der alpinen
Faltung ergriffen sein können, weil sie sonst verdickt worden wären
und das Gebirge weit höher wäre. Sie spielen daher die Rolle einer
Faltungssohle, ähnlich der bei den Experimenten von Willis, und
das vom letzteren gewählte Verhältnis der Breite und Dicke der zu
faltenden Schichten (100 : 8) entspricht ungefähr alpinen Verhältnissen.
Seine Versuche sind daher auch nach dieser Richtung hin unter Um-
ständen ausgeführt, welche den wirklichen entsprechen; seine Ergebnisse
dürfen daher nach den verschiedensten Seiten zur Deutung natürlicher
Verhältnisse herangezogen werden, so z. B. auch zur Erklärung von
Einzelheiten im horizontalen Verlaufe der Faltungszonen.
l ) Ein geologischer Querschnitt durch die Ost- Alpen. 1894. S. 201. Hier wird
die Verengerung der Ost-Alpen zu 49,5 km, nämlich von 271,5 km auf 222 km an-
gegeben. Dieser Betrag ist beträchtlich zu klein, da das Profil von Rothpletz neben
den centralalpincn Überschiebungen der Brenner-Gegend vorbeiführt, welche einen
sehr stattlichen Zusammenschub verraten, zu dessen Ausscheidung als präalpin keine
zwingende Veranlassung vorliegt.
Geomorphologische Probleme aus Nordwest-Schottland. }89
Die Analogie zwischen künstlich, über einer festen Sohle gefalteten
Schichten mit den Faltungszonen der Erdkruste ist in dieser Hinsicht
sehr auffallig. In der Natur sind als Glieder einer Faltungszone zu
unterscheiden: eine starre Scholle, eine Hauptfaltungszone und eine
Austönungszone. Im Experiment hat man den starren Stempel, un-
mittelbar vor ihm wölbt sich das zusammengeprefste Material auf, in
einiger Entfernung tönt sich die Faltung aus. Der Umstand, dafs in
den Hauptfaltungszonen die Falten bald nach der starren Scholle hin,
bald von dieser weggeneigt sind (Morphologie II, S. 373), findet bei
den Experimenten sein Seitenstück in den vorwärts und rückwärts ge-
neigten Schubflächen, sowie in vorwärts und rückwärts umgelegten,
also überschobenen und unterschobenen Falten. Nach den vorliegenden
Versuchen zu urteilen, scheint die Beschaffenheit des zusammen-
geprefsten Materials in dieser Hinsicht eine gewisse Rolle zu spielen;
mit Sand experimentierend, erhielt Forchheimer Überschübe, Willis
erhielt mit weichen Massen vornehmlich Unterschübe. Weiter dürfte
das Höhenverhältnis zwischen dem Stempel und dem aufgeprefsten
Material eine wichtige Rolle spielen, sobald letztes über jenen hinaus
wächst, fällt es regelmäfsig rückwärts über. Auch die Neigung der
Druckfläche zur Druckrichtung scheint nicht belanglos zu sein. Bei
einem Versuch Forchheimer's, bei welchem die Druckfläche unter den
zu komprimierenden Sand einfiel, entwickelten sich Anzeichen einer
Unterschiebung (a. a. O. 1883, Abbild. 18). Hier bietet sich noch ein
weites Feld für Experimente, durch welche auch der Einflufs festzu-
stellen bleibt, den eine schräg zur Druckrichtung streichende Druck-
fläche auf die Kompression ausübt.
Nach einer Richtung aber bleibt ein grofser Unterschied zwischen
den Experimenten und der Natur. Bei den künstlichen Versuchen
befindet man sich auf einer Horizontalebene; meist wird die Ober-
fläche der zu faltenden Schichten horizontal angenommen, und in der
Horizontalen wirkt der Zusammenschub. In Wirklichkeit spielen sich
die Faltungsvorgänge in einer Kugelschale ab, und das mufs zu be-
stimmten Abweichungen von den Experimenten führen. Eine Eigentüm-
lichkeit der Faltung der Erdkruste hängt sichtlich mit der Kugelgestalt
der Erdoberfläche zusammen, nämlich der bogenförmige Verlauf ihrer
Zonen. Ich habe in einer Tabelle (Morphologie II, S. 405) einschlägige
Daten zusammengestellt, aus denen ersichtlich wird, dafs zahlreiche
grofse Faltungsgebirge ziemlich genau Kreisbögen beschreiben; dies
würde auf ebene Druckflächen weisen, welche zur Erdoberfläche geneigt
sind, letztere also in Kreisen schneiden und Kalotten der Kugel be-
grenzen. Die Entstehung solcher Druckflächen könne man sich nach
den Experimenten von Willis als Folgen von Druck in der Schale
190 A. Penck: Geomorphologische Probleme aus Nordwest- Schottland.
vorstellen; sie wären zu vergleichen mit den ersten Schubflächen in
zusammengeprefsten Materialien.
Wir wurden zur vorstehenden Untersuchung über die Anwendbarkeit
von Experimenten zur Erklärung von Faltungsvorgängen durch die
grofsen schottischen Überschiebungen geführt, welche, wie wir erkannten,
von den alpinen gänzlich abweichen. Eine vergleichend geographische
Betrachtungsweise trägt zur Aufhellung des Problems nicht viel bei,
da nur wenige Stellen der Erdoberfläche so genau bekannt sind, um
zum Vergleich herangezogen werden zu können. Wir mufsten daher
die Ergebnisse experimenteller Forschung zu Rate ziehen. Wir er-
kannten die Möglichkeit, sie zu verwerten, und verglichen nunmehr
die Umstände, unter welchen die Versuche angestellt wurden mit der.
natürlichen Verhältnissen. Das Ergebnis berechtigt uns, den schottischen
Überschiebungen einen bestimmten Platz im Gebäude eines Faltungs-
gebirges anzuweisen. Wir können sie als Sohlenschübe eines Gebirges
deuten; die Falten sind bis auf einen dünnen Schleier abgetragen, in
dessen Lücken man auf die Sohle herabsieht. Die Verschiedenheit
im Aufbau von Nord-Schottland und den Alpen führt sich hiernach
darauf zurück, dafs wir zwei verschiedene Glieder der Denudationsreihe
von Faltungsgebirgen vor uns haben. Das ältere Gebirge, das schon vor
der Devonperiode gefaltet war, ist tiefer abgetragen, als das jüngere, erst
nach der Miocänepoche vollendete. Nur in diesem Sinn vermögen
wir Marcel Bertrand beizupflichten, wenn er in seinem Bericht über
die schottischen Gebirge (Revue gdnelrale des Sciences pures et ap-
plique'es. Nr. 23, 15 ddc. 1892) den Gegensatz zwischen beiden Ge-
birgen auf die Verschiedenheiten ihres Alters zurückführt.
Die Würdigung der Einzelheiten und grofsen Züge im Aufbau
Nord-Schottlands führte uns zur Erörterung zweier geomorphologischer
Probleme, nämlich der Verschüttung, und des ungleich wichtigeren,
der Struktur von Gebirgen. Das Alter der einschlägigen Phänomene
verlieh der Betrachtung besonderen Reiz, wir lernten ein vorpaläo-
zoisches Land und ein uraltes Faltengebirge kennen, das bis auf seine
Sohle hinab entblöfst ist. Beides geschah an der Hand der Ent-
deckungen der schottischen Geologen, denen vorbehalten war, das
grofse Geheimnis der Hochlande zu lösen. Dies verdient besondere
Hervorhebung; denn wenn auch der vom Atlantik bespülte äufserste
Norden Grofsbritanniens gröfsere Aufschlüsse über die Struktur der
Erdkunde darbietet, als sonst, wenn namentlich die Natur diese Auf-
schlüsse nicht wie so häufig unter einem freundlichen Pflanzenkleid oder
massenhaften Gebirgsschutt verhüllte, so bedurfte es doch anhaltender
Arbeit, um diese Aufschlüsse erkennen zu lernen. So grofsartig das
K. Kretschmer: Die Katalanische Weltkarte der Bibl. Estense zu Modena. 29]
ist, was die Natur Nordwest-Schottlands offenbart, so grofsartig auch
das, was hier geleistet wurde,' um sie zu verstehen. Jedes Flecklein
Erde ist einzeln abgegangen, bis in die kleinsten Einzelheiten sind
die Lagerungsverhältnisse festgestellt, sodafs sich deren Deutung auf
einen wirklich erschöpfenden Beobachtungsschatz stützt. Die Auf-
nahmen der Hochlands-Geologen sind ein unverwelkliches Ruhmes-
blatt in der Geschichte der Geologie jenes Landes, das einen Hutton
und einen Pflayfair, einen Lyell und einen Murchison der Erdkunde
gegeben. Möchte diese grofse schöne Leistung recht bald gekrönt
erscheinen durch eine eingehende Beschreibung und die Drucklegung
der bisher nur in Handkolorit herausgegebenen geologischen Karten
des Gebiets!
Die Katalanische Weltkarte der Biblioteca Estense
zu Modena 1 ).
Von Dr. Konrad Kretschmer.
(Schluß.)
Die südöstliche Ecke des asiatischen Kontinents, dem wir uns
nunmehr zuwenden wollen, bildet das Reich Catay 8 ). Abgesehen von
der Küstenlinie stimmt unsere Karte mit der Pariser hinsichtlich des
Plufssystems und der namhaft gemachten Ortschaften meist überein,
wie ein Blick auf beide Karten lehrt. Von der nördlichen Gebirgs-
umwallung geht ein Strom aus, der sich mehrfach teilt und mit sechs
Mündungen in das Meer geht.
Die durch Stadtvignetten bezeichneten Ortschaften sind:
Cincalam. Auf der Par. K.: Cincalan. Lelewel (Portulan general
S. 26) giebt keine brauchbare Erklärung des Namens. H. Yule (Marco
Polo II, 220) identifiziert es mit Kanton. Es ist das Censcalan des
Odorico da Pordenone, das Cynkalan des Marignolli und Sinkalan des
Ibn Batutah (Yule, Cathay I, 105).
Fogo. Vgl. weiter unten Fugia.
Zaytom. P.K.: Zayton. Der von Odorico (c. 30) und Marco Polo
ausführlich beschriebene (II, c. 82) Hafen von Manzi, dessen Lage
freilich strittig ist. Buchon und Tastu setzen es mit Canton gleich;
Douglas mit Tschang-Tschou; H. Yule (Polo II, 219fr.) mit Tschüan-
Tschou (Tswan-Chau).
Aociam (auch (P.K.) = Vochan, die Hauptstadt der Provinz Zar-
1 ) Den Anfang der Abhandlung s. S. 65.
2 ) Das Land Cathay der Pariser Karte behandelte H. Cordier, L'Extreme
Orient dans 1' Atlas Catalan de Charles V., im Bulletin de Geogr. Historique et
Descript. 1895, S. 19 — 63.
192
K. Kretschmer:
dandan, nach Yule (Polo II, 73) jetzt Yung-chang-fu. — Calaja (P.K.
Calajan), bei Marco Polo (II, 48) Caräjan, nach Yule (II, 53) Yunnan
mit der Hauptstadt Yachi. — Vngi, vielleicht indentisch mit dem
Cingui der Pariser Karte, dem Cuju Marco Polo's (II, c. 79), nach
Pauthier und Cordier = Tschu-tschou-fu. — Soarsian (P.K.: Siarsiau);
ob hier Polo's Chanshan (bei Pauthier Ciancian) (II, c. 79) zu verstehen
ist, wie Cordier S. 43 annimmt, ist sehr fraglich 1 — Vellifi (P.K.: Ven-
lifu), vielleicht = Kelinfu Polo's (II, c. 80), nach Yule (II, 209) =
Kienning-fu. — Caxum; vgl. Cordier S. 36.
Fugia (P.K.: Fugio; Fra Mauro: Fogin und Fugui) = Fu-tschou.
Sehr wahrscheinlich, wie auch schon H. Yule annahm, identisch mit
dem oben genannten Fogo. Fra Mauro sagt von ihr: sta nobel citade
Fuzui volta mia 60. ne la quäl son circa 6000 ponti e solo de chadauno
poria passar una over do Gallie. Vgl. ferner den Bericht M. Polo's
(II, 81) und die Noten von Yule (II, 2 14 f.), sowie den Bericht Odo-
rico's c. 31 (Yule, Cathay I, 109).
Canxu, der Lage nach die ciuta de cingu der P.K. = Lin-
Tsingtschou (Cordier S. 53).
Weiter landeinwärts liegen P e rb a 1 o c h (P. K. : Perbalech). C ay am f u
(P.K.: Chachanfu). Bei Fra Mauro: Chacianfu.
Ciuitas Cambalech, die Hauptstadt von Cathay (Peking), ist
durch eine längere Legende ausgezeichnet, die im wesentlichen mit
jener der Pariser Karte übereinstimmt:
27. Sapian que costa la ciutat Wisset, dafs neben der Stadt Cam-
de cambalec auia vna ciutat \ anti- balech sich in alter Zeit eine Stadt
befand, welche den Namen garibalu
hatte, und der Grofschan ermittelte
aus der Astrologie, dafs diese Stadt
sich gegen ihn empören würde; und
er liefs sie zerstören und liefs er-
richten diese Stadt Cambalech. Es
ist dort ein Flufs, der mitten hindurch-
fliefst; es hat die Stadt einen Umfang
von 24 Leguas ; sie ist mit sehr starken
Mauern umgeben und wie ein Quadrat
(gestaltet). Jede Viereckseite hat sechs
Leguas Ausdehnung, und die Mauer
hat an Höhe 20 Fufs und an Dicke
10 Fufs, und es sind 12 Thore im
mittleren Teil. Diese Stadt hat einen
grofsen Palast mit einem Turm und
einer Glocke, welche sind
gament que auia nom garibalu e
lo gran cha troba per astrologia \
que aquesta ciutat se deuia rabel-
lar contra eil axi que | feu la
dezebitar e feu fer aquesta ciutat
de cam\balech e ay vn flum qui
passa per lo mige uogi la ciutat
XXI1II leguas \ e molt ben mu-
rada e as cayra \ a castun cayra
uogi VI leguas e dalt lo mur \ vint
pases e X de gros e a XII portes
in lo mig loch \ aquesta ciutat a
vn gran palau ab vna \ tora ab
vn seny qui son al pniso (?) | con
asonat nogosa nangun ana per la
uilla an castuna porta \ guardan
M homens per honor.
Die Katalanische Weltkarte der Biblioteca Estense zu Modena. 193
Wenn sie ertönt, wagt niemand mehr
durch die Stadt zu gehen. An jedem
Thor ist eine Ehrenwache von iooo
Mann.
Die Quelle für diese Beschreibung bildet selbstverständlich Marco
Polo; sie giebt im allgemeinen den Inhalt des n. Kapitels des IL Buches
wieder, welches fast wörtlich excerpiert ist. Die Parallelstellen, die in
der obigen Legende wiederkehren, lauten bei Polo: „An dieser Stelle
existierte in alten Zeiten eine grofse und ansehnliche Stadt Cambaluc,
was in unserer Sprache Stadt des Chan bedeutet. Aber der Grofs-
chan war durch Astrologen unterrichtet worden, dafs diese Stadt zu
rebellieren versuchen würde und gegen seine kaiserliche Autorität Un-
ruhen hervorrufen wollte. Er liefs deshalb dicht neben der alten Stadt
die gegenwärtige Stadt bauen, durch nur einen Flufs von jener ge-
trennt. Und er veranlasste das Volk der Altstadt, nach der Neustadt,
die er gegründet, überzusiedeln; und diese wird Taidu genannt".
„Was die Gröfse dieser Stadt anbetrifft, so müfst ihr wissen, dafs sie
einen Umfang von 24 Meilen hat, jede Seite hat sechs Meilen Länge,
denn sie bildet ein Viereck. Sie ist ringsherum von Erdwällen um-
geben, welche eine Stärke von vollen 10 Schritt am Boden haben und
eine Höhe von mehr als 10 Schritt". „Es sind 12 Thore darin". „In
der Mitte der Stadt ist eine grofse Glocke, welche abends geläutet
wird. Und wenn sie dreimal geläutet, darf niemand mehr aus der
Stadt gehen". „Die Wache, welche an jedem Thor der Stadt aufge-
stellt ist, ist 1000 Mann stark".
Die ältere Stadt mit dem Namen Yenking war nach Yule ein
vielgenannter Platz in den Kriegen mit Dschingischan. Im Jahr 1264
ersah es Kublaikan als seine Residenz und gründete die neue Stadt
Tatu, von den Mongolen genannt Taidu, ein Stück nordöstlich von
Alt- Yenking. Der Flufs zwischen Alt- und Neustadt mufs der Yu ge-
wesen sein, der noch heute durch die moderne Tatarenstadt von
Peking fliefst (Yule I, S. 363). In unserer Legende wird die ältere Stadt
Garibalu genannt (P.K.: Guaribalu). Es ist Garibalu augenscheinlich
nur eine verderbte Form für Cambalech oder, wie Marco Polo und
andere meist schreiben, Cambaluc, und wesentlich auf eine falsche
Lesung einer handschriftlichen Quelle zurückzuführen.
In südwestlicher Richtung von Cambalech liegt Canyociuitass(I)
= (Kanchau). Auf der Pariser Karte Chancio. Vermutlich das Cam-
pichu Polo's (Yule I, 222); der Stadt ist ebenfalls eine längere Legende
beigefügt :
28. Canyo. asi nexen gens forts Canyo. Hier werden sehr kleine
patits que noan mes \ de sinch Menschen geboren, welche nur ftlnf
]<J4 K. Kretschmer;
palms dalt jaisia que eis sien pa- Palmen hoch sind. Wenn sie auch
tits e flacs | per afer coses forts klein und schwächlich sind, um grofse
mes son forts ataxir draps \ dor Dinge auszuführen, so sind sie doch
e fer coses de fembres per algunes tüchtig, um Gold-Stoffe zu weben und
rasiiasionsQ) \ aquests son apellats Frauenarbeiten zu verrichten für man-
pignei qut's conbaten \ ab /es gruas cherlei Zwecke. Diese werden Pyg-
en pero diuse que aqucsts tals \ en- mäen genannt; sie kämpfen gegen
gendren el quart an bona pro- Kraniche. Aber man sagt, dafs diese
sperüat \ e viven de les grues e im vierten Jahr altern in grofser
son sola \ la senyoria del gran ca Glückseligkeit. Sie leben von Kra-
del catay. nichen und stehen unter der Herr-
schaft des Grofschans von Catay.
Inhaltlich übereinstimmend findet sich dieselbe Legende noch auf
der Pariser Karte, wo die Pygmäen auch figürlich dargestellt sind, wie
sie sich gegen herabstofsende Kraniche verteidigen. Auch die Genue-
sische Weltkarte zeigt dasselbe Bild der Pygmäen, die hier mit dem
Volk Gog gleichgestellt werden: Isti sunt ex Gog generatione qui cubitus
altitudinem non excedunt, anni aetatis nonum non attingunt et continue a
gruibus infesiantur. Wichtig ist ferner, dafs die von Th. Fischer citierte
Kosmographie auch hier wieder auffallende Übereinstimmung mit unserer
Karte zeigt, die auf gemeinsame Quellen hinweist: In partibus istis
finit terra de Calaio, in qua oriuntur homines altitudinis quinque palmarum
et quamvis sint parvi et non apti ad faciendum res graves, tarnen sunt valde
apti ad texendum pannos septe . ... et in aliquibus istoriis vocantur pigmei.
aliqui dicunt quod sunt homines qui iam quarto anno senescunt, sed non sie
est immo in quarto deeimo geminant usque ad quadraginta annos vivunt ei
bellantur cum gruis valentissimis et a quibus se deßendunt(\) et capientes ipsos
comedunt. Kleine Differenzen hinsichtlich der Gröfse und des Alters
der Pygmäen finden sich meistens, wo auf den Karten dieses Fabel-
volkes gedacht wird, ebenso wie auch ihr Wohnort an verschiedenen
Stellen der Erde gesucht wird. Die Ebstorfer Weltkarte versetzt sie
auf zwei Inseln im nördlichen Ocean, Viarcis und Bridinno. In quibus
insulis sunt homines tarn pusilli slatura, ut ad maiorem cubitum vix per-
veniant .... Hislriones t plumarii fabrique ac aurifices ex his plurimi fiunt.
Hos vulgus phanos vocant .... Avium ibi immensa copia .... Cum gruibus
proelia committunt et victores non essent, nisi cum sagitlis pugnassent. Diese
Notiz der Karte geht auf die Kosmographie des Aethicus zurück, wo
sie fast wörtlich sich schon findet 1 ). Auch die Karte Walsperger's ver-
setzt die Pygmäen in den Norden, in die Nähe der Rhipäen: pigmei
pugnanles cum gruibus.
*) Aethicus ed. H. Wuttke 1853. cap. 34 und S. XLIII.
Die Katalanische Weltkarte der Biblioteca Estense zu Modena. 195
Andere suchten sie nach dem Vorgang von Plinius (VI, 70) und
Isidor (II, 3, 26) in Indien. Hier finden wir sie auf der Karte Lamberts
und Ranulfs und der Hereford-Karte. Selbst auf der Balkan-Halbinsel
wurden sie vermutet, wie die Hieronymus-Karte zeigt: Pigmei cum
gruibus pugnant. Ihre Kämpfe mit Kranichen sind für sie typisch ge-
worden, und diese Sage reicht bis in das graueste Altertum zurück; denn
bereits Homer thut ihrer Erwähnung (11. III, 5), der ihren Wohnort an
den südlichen Ocean verlegt. —
Dicht neben Canyo ist Caracora (Karakorum) verzeichnet, die
durch Piano Carpini, Rubruquis und Marco Polo (I, 46) dem Abend-
land bekannter gewordene Uiguren-Stadt, die im 8. Jahrhundert von
Bukukan am Oberlaufe des Orkhon begründet wurde.
Unmittelbar darüber ist neben einem thronenden Mongolen-Chan
die Legende gesetzt:
29. Aquest princeps es maior Dieser Fürst ist Herr der Tataren,
dels tartres \ a nom olubein que er heifst Olubein, was Grofschan be-
uol dir gran cha \ e a que st en- deutet, und dieser Kaiser ist gröfser
perador e molt pus rieh \ de tots als alle anderen Kaiser der ganzen
los altres enperados de tot lo Welt. Diesen Kaiser bewachen 1000
mon | aquest enperador' guardan Reiter, und vier Hauptleute befinden
M c aualer s \ e a quatra capitans sich an seinem Hof, je drei Monate
stan an sa cort \ per tres mesos lang mit ihrem ganzen Volksstamm,
ab toia lur gent e eastuns dels und so jeder von den anderen der
altres per orde Reihe nach.
Auch diese Legende hat mit geringen Abweichungen schon die
Pariser Karte. Sie schildert die Macht des Mongolen-Kaisers, dessen
Herrschergewalt vom Ostrande der alten Welt bis an die Donau
reichte, obgleich Caracorum nach der Schilderung Rubruk's nur ein
ärmlicher Ort war, selbst geringer als das damalige St. Denis. —
Die geographische Situation im Westen von Cathay ist auf unserer
Karte sehr verworren dargestellt; viele Züge hat sie mit der Pariser
gemeinsam. Problematisch ist der von Norden nach Süden fast gerad-
linig laufende Flufs, der westlich von Caracorum einem Berglande ent-
quillt. Auf der Pariser Karte wird er alsßnis Indiae bezeichnet; Lelewel
vermutet in ihm den Mekong (!), der hier völlig ausgeschlossen ist. Da
der verzeichnete Flufs auf der Pariser Karte in der Gegend mündet,
wo der Name Bengala steht, so kann nur der Ganges gemeint sein.
Die westlich von ihm verzeichneten Ortschaften sind wirr durch-
einander geworfen. Marco Polo bildete auch hier die einzige Quelle
für die Kartenzeichner. Die durch ihn erst bekannt gewordenen topo-
graphischen Verhältnisse von Persien und einigen Landschaften des
inneren Hoch-Asiens sind auf den katalanischen Karten wiedergegeben,
196 K. Kretschmer:
wo sich gerade Raum fand; und die von Marco Polo auf einem anderen
Wege erreichten Landschaften des südwestlichsten China sind mit den
vorhergenannten Ländern falsch kombiniert worden. Die Gegend um
den Ganges ist deshalb die fragwürdigste Stelle in der ganzen Topo-
graphie Asiens, wie sie die beiden katalanischen Karten, die Pariser
und Modeneser bieten. Caracorum ist in die nächste Nähe des Ganges-
Ursprunges verlegt, eine Stadt, die in der Wüste Gobi liegt; und die
ciutat de Baldassia (Par. K.) oder Baldaia (Mod. K.), ein Ort des
oberen Oxus-Gebiets, liegt auf der anderen Seite des Flusses, nicht
allzu weit von Caracorum entfernt. Auf der Pariser Karte wird das
Quellgebirge des Ganges sogar als monts de Baldasia bezeichnet.
Der Ort Baldaia oder Baldacia auf unserer Karte ist identisch
mit dem von Marco Polo (I, 29) genannten muhammedanischen Reich,
welches in den Polo-Handschriften in verschiedener Namenform ge-
geben ist als Badascian (Yule: Badashan), Balacian und Balakhshan.
Hayton von Armenien nennt es Balaxcen, die Pariser Karte Baldassia
und Baldasia. Der Name ist auf den im Mittelalter hochgeschätzten
Edelstein, den Rubin, übertragen worden. Schon Ibn Batutah sagt:
„Die Berge von Badakhshan haben ihren Namen dem Badakhshi-Rubin
gegeben, welcher gewöhnlich Äl-Balaksh genannt wird" 1 ). Hierauf
nimmt auch die zugehörige Legende unserer Karte Bezug:
30. La ciutat de baldacia la Die Stadt Baldacia, welche be-
qual es \ pus nobla en mercaderia deutender ist im Handelsverkehr als
que | ciutat del mon de la quäl irgend eine Stadt der Welt. Von ihr
venan gran multitut de pedres kommen grofse Mengen von Edel-
fines | e daltres \ nobles \ coses. steinen und anderen wertvollen
Dingen.
Badakhshan war das wichtigste Produktionsland des Lasursteines
(lapis lazuli), aus dem früher allein das echte Ultramarin erzeugt werden
konnte, und des Rubinen, der im Abendlande deshalb auch vielfach
als rubis balais, italienisch balascio, lateinisch balassius bezeichnet worden
ist. Auf einer Karte des 16. Jahrhunderts im Museo Civio in Venedig
heifst es von jenem Lande: Qui si tronano li veri balasi. Der Balascio
war eine Art Spinell von rosenroter Farbe, der in Härte und Glanz
unter dem eigentlichen Rubin stand.
Weiter südlich liegt Caracoam, auf der Pariser Karte Carachoiant.
Buchon und Tastu stellten es mit Caracorum gleich, was wohl irrig
ist, da letzteres an anderer Stelle schon verzeichnet ist.
Auch Ballazia, auf der Pariser Karte Baicia genannt (nicht Bassia),
l ) Yule, Polo I, 169. Ausführlicheres über die Edelsteine jenes Landes bei
W. Heyd, Gesch. des Levante-Handels 1879, I » 58* ff.
Die Katalanische Weltkarte der Biblioteca Estense zu Modena.
197
ist ohne jede Kenntnis der topographischen Situation wiedergegeben,
da augenscheinlich Balkh gemeint ist, dessen Namen den Karten-
zeichnern wohl nur aus Marco Polo (I, c. 27) bekannt geworden ist.
Zwei kürzere Legenden vom König Chabech von Medien und
König Steve (Stephan) der Pariser Karte fehlen auf der unsrigen. Da-
gegen findet sich auf dieser eine andere Legende, vom König von
Delli, welche auf der Pariser Karte nur stark abgekürzt gegeben ist.
31. Aquest prouincia Senyora- Diese Provinz regiert der König
iana lo rey dari \ Senyor de Iota von Deli, Herrscher im ganzen
Lande. Dieser ist ein sehr grofser
und mächtiger Sultan und besitzt
1700 Elephanten und so viel Diener-
schaft hunderttausend Mann
zu Pferde und Fufsvolk ohne Zahl.
Aus diesen Gebieten kommen viele
Edelsteine und andere wertvolle
Dinge. Die Männer und Frauen . . .
Wisset, dafs ihr Geld von Papier ist.
In dieser Weise sammelt der Herr-
scher den Tribut (Schatz) ein.
prouincia aquest es molt gran \ e
poderos solda e senyo mia DCC
orifanys j tois domestichs que
quant ba ha ost(\ ?) contra los ara-
michs e sent millia homens a cauall
e pahons sens nombre de aquestes
partides venan molies pedres fines
e altres nobles cosses los homens e
les dones .... os cur an de lurs
homaments dor fino de aquestas \
portolanes (I?) blanques e pater
noster de coral \ sapian que lur
moneda e de pap per aquella via
lo senyor racul lo tsor
Die Legende ist nicht in allen Teilen mehr lesbar, sodafs ich
eine vollständige Übersetzung nicht zu geben wage. Sie ist uns leider
auch anderswo nicht belegt, mit Ausnahme der Pariser Karte, welche
den Anfang und die Notiz von den Edelsteinen giebt. Auch in der
Reiseliteratur habe ich eine entsprechende Mitteilung von den Amu-
letten, die Männer und Frauen tragen, nicht gefunden; selbst der
Genuesische Kodex bringt darüber nichts. Nur die Verwendung von
Papiergeld wird von Nicolo Conti in seiner Beschreibung Indiens
erwähnt : Quaedam regiones monetam non hdbent Alibi cartae
nomine regis inscriptae expenduntur.
Über der Kartusche mit dem Namen „Assia" lesen wir:
32. Aquesta regio dorient es Diese Gegend des Ostens wird
apellada \ tarsia del la quäl is- Tarsia genannt. Von dort zogen die
drei Könige des Morgenlandes aus,
um Jesum Christum anzubeten zu
Bethlehem im jüdischen Lande,
erweiterter Fassung findet sich diese
Legende auf der Pariser Karte, während die Florentiner sich enger an
unseren Text anschliefst. Das Land Tarsia, welches weiter westlich noch
queran los tres \ reys dorient per
anar adorar Iesum christum an
betlem terra juda
In etwas veränderter und
198 K - Kretschmer:
einmal verzeichnet ist, ist Öst-Turkestan. Der drei Weisen aus dem
Morgenlande wird auf Karten und in Reiseberichten mehrfach gedacht,
wenn auch ihre Königreiche an sehr verschiedenen Orten der Erde ge-
sucht wurden. Marco Polo (I, c. 13. 14) berichtet sehr ausführlich über
sie und sucht ihre Residenzstädte im westlichen Persien, in Saba, Ava
und dem Schlofs der Feueranbeter. Odorico von Pordenone nennt die
Stadt Cassan, im mittleren Persien gelegen. Marignolli läfst sie weit
aus dem Osten, aus dem Malayischen Archipel, kommen, und auch die
Walsperger- Karte verzeichnet einen der Könige am östlichen Rande der
Erdinsel. Hayton von Armenien glaubte ihren ehemaligen Sitz in Tarsis
gefunden zu haben, und wie die katalanischen Karten, so versetzt auch
Fra Mauro sie dorthin: Regno Tharse del quäl vene hi Magt 1 ).
Neben dem Herrscher von Delli thront der König von Tauris
(Rey Tauris). Tabris oder, wie nach Abulfeda gesprochen wurde,
Tauris war die Hauptstadt von Aderbeidschan , welche auch Marco
Polo berührt und ausführlich beschrieben (I, c. n) hat. Es war schon
zu seiner Zeit ein wichtiger Handelsort; seine Bedeutung stieg aber,
als der Mongolen-Chan Hulagu dem Chalifat Bagdad eine Ende gemacht
hatte. Tauris überflügelte bald das weit bedeutendere Bagdad, umso-
mehr, als es von den Mongolen zur Metropole des Westreichs erhoben
war 2 ).
Etwas verworren ist die Hydrographie der Mesopotamischen Land-
schaft. Hier ist zunächst ein aus zwei Seen hervorgehender Flufs ver-
zeichnet, der in den Persischen Golf mündet. Weiter westlich sind
parallel laufend der Euphrat und Tigris zu finden, die im Norden dem
Armenischen Bergland (Erminia maior) entquellen. Die Zeichnung
stimmt mit jener der Pariser Karte vollkommen überein, auf welcher
die beiden Seen als Mar d'Argis (See von Van) und Mar de Marga
(Urumia-See) bezeichnet werden. Yule vermutet, dafs hier nur eine irr-
tümliche Kombination der beiden Zabs und anderer Rinnsale östlich
vom Tigris vorliege.
Am Tigris ist das in Trümmern liegende Ninive verzeichnet mit
der Notiz:
33. Aquest du tat es apella\ Diese Stadt heifst Ninive, welche
da niniue lo \ quäl es destroide zerstört und entvölkert worden ist
e desebitade per lo \ seu peccal. wegen ihrer Sünden.
Weiter unterhalb wird ciuitas Baldach genannt, doch so ge-
l ) Über die drei Magier und deren legendarische Namen: Caspar, Melchior
und Balthasar vgl. meine Arbeit über die Walsperger-Karte in: Zeitschr. Ges. Erdk.
Berlin, XXVI, 1891, S. 25 f. Ferner Yule, Cathay I, 51 und Polo I, 8^.
2 ) Ausführlicheres bei Heyd, Gesch. des Levantehandels II, 82 ff., 108 ff.
Die Katalanische Weltkarte der Biblioteca Estense zu Modena. 199
schrieben, dafs man den Namen auf eine am Euphrat liegende Stadt
beziehen könnte.
34. Asi fo babi\lonia la gran | Hier war Babilon, das Grofse, wo
hon staua nabuga\denasor la Nebukadnezar residierte, und welches
quäl es apellada \ ciuitat de dal- (jetzt) Baldac genannt wird. Wifset,
dac sapian que | en sta ciuitat se dafs man nach dieser Stadt viele gute
aporta molta \ bona spesiaria e Spezereien und viele andere Wohlge-
moltris altris \ odors les quals rüche bringt, welche von Indien kom-
venan de les \ indies e pujs ses men und dann über Land geführt
campen \ en la suria terra juda. werden nach Syrien in das jüdische
Gebiet.
Auf der Pariser Karte lautet die Legende ähnlich, nur dafs dort
als Endpunkt die Stadt Damaskus bezeichnet wird. Die Stadt Baldach
oder Bagdad, welche Marco Polo auch Baudas nennt, war noch zu
seiner Zeit ein grofser Handelsmittelpunkt, wenn sie auch von anderen
Orten schon überflügelt war. Er hebt besonders die Verbindung mit
Indien hervor. „Ein sehr grofser Flufs fliefst durch die Stadt, und auf
diesem kann man nach dem Indischen Meer gelangen. Auf diesem
Wege herrscht ein lebhafter Verkehr seitens der Kaufleute mit ihren
Waren. Sie fahren einige 18 Tage von Baudas stromabwärts und
erreichen das Indische Meer bei der Stadt Kisi" (I, c. 6). —
An der Küste des Meeres liegt die Stadt Cesi, was ohne Zweifel
identisch ist mit jenem Polo'schen Kisi. Über die irrige Angabe der
Lage dieser Stadt durch Polo sind die Ausführungen Yule's heranzu-
ziehen (Polo I, 66). Kisi ist die Stadt und Insel an der südpersischen
Küste, 200 Seemeilen westlich der Strafse von Ormus, und lange Zeit
ein wichtiger Verkehrsplatz nach Indien hin gewesen.
In der Gegend Armeniens ist der Mons hararat (Ararat) verzeichnet
und auf seinem Gipfel die Arche Noae (larca de noej. Dieselbe ist
auf den Karten mehrfach zu finden, weil man glaubte, dafs sie noch
auf dem Berge existierte. So berichtete schon Marco Polo (I, c. 3).
Dieser Glauben konnte sich so lange erhalten, weil der Berg für uner-
steigbar galt. Der Reisende Rubruk (XIII Jahrh.) wufste zu berichten,
dafs die Mönche in dem nahen Kloster des Ararat ein Stück Holz von
der Arche als Reliquie bewahrten, welches ihnen durch einen Engel
tiberbracht sei, da kein profaner Mensch den Ort betreten dürfe. Auch
Odorico von Pordenone hatte den Berg aufgesucht. „Ich hätte ihn
gern bestiegen, wenn meine Reisegesellschaft mich darin unterstützt
hätte. Die Leute sagten zwar, dafs, wenn ich es auch wollte, ich den
Gipfel doch nicht erreichen würde, da es nicht nach dem Ratschlufs
Gottes sei". —
200 K. Kretschmer:
Im Persischen Meerbusen lesen wir:
35. Denan t la boqua del flum Vor der Mündung des Flusses von
de baldac \ mar de les indies e de Baldach, im Meer von Indien und
persia en sta mar \ son pesqua- Persien, fischt man Perlen, welche
des per/es les quals se apportan nach der Stadt Baldach gebracht
en la ciutat de baidach e puys se werden, und dann werden sie über
acampam (!) an la terra de suria. Land nach dem Syrischen Gebiet ge-
führt.
In abgekürzter Form berichtet dasselbe die Pariser Karte, doch
enthält diese, wie die Florentiner Karte, an anderer Stelle weitere
Bemerkungen über die Art der Perlenfischerei und die Vorsichtsmafs-
regeln des Fischers 1 ). —
In Syrien und Palästina ist der Jordan mit den Quellflüssen ver-
zeichnet, von denen nach mittelalterlicher Annahme (Isidor) der eine
Jor, der andere Dan hiefse. Auch die beiden Seen, Merom und Tibe-
rias, sind gegeben und das Mtindungsbecken, das Tote Meer, dort mar
gomora genannt. Weiter westlich ist Jerusalem als sanf sepulcra (das
heilige Grab) verzeichnet, und im Norden (auf dem Libanon liegend (!)
ähnlich wie auf der Pariser Karte: Damas (Damaskus). Das östliche
Jordan-Land ist durch einen meridionalen Gebirgsrücken charakterisiert,
dem einige der Bibel entlehnte Namen beigefügt sind.
Mons hermon.
Zanir, auf der Pariser Sanir, auf der Neapler Karte canir (!).
Der Name Zanir, Sanir ist identisch mit dem 5. Mos. 3, 9 genannten
Semir und Sirion und dem ebenda 4, 48 genannten Sion. Darnach
sind Hermon und Senir gleichbedeutend: „bis an den Berg Hermon,
welchen die Sidonier Sirion heifsen, aber die Amoriter heifsen ihn
Senir".
Gilat, Pariser Karte: Gilad, Neapler Karte: gilhat.
Tabor.
Nebo, eine Spitze des Pisga-Gebirges im Ost- Jordan-Lande (Deut.
32, 49; 34, 1).
Rubeo, der südliche Teil des Ost- Jordan-Landes war nach Josua
dem Stamme Rüben zuerkannt.
Im Süden des Toten Meeres ist der Sinai mit dem Katharinen-
Kloster dargestellt, ähnlich wie auf der Pariser Karte, — und der nörd-
lichste Zipfel des Roten Meeres ist wie auf allen Karten des Mittel-
alters durch einen Strafsenzug ausgezeichnet, welchen die Juden bei
ihrem Auszuge aus Ägypten passierten:
36. Per aquest pas \ pasaian Auf dieser Strafse gingen die
l ) Über die Perlenfischerei im Persischen Golf vgl. He yd a. a. O. S. 630 f.
Die Katalanische Weltkarte der Biblioteca Esten se zu Modena. 201
los fils | de iracil com \ isqueran Kinder Israel , als sie aus Ägypten
degipta entwichen, (durch das Rote Meer).
Vom Namen des Roten Meeres heifst es:
37. Aquesta mar es \ apellada Dieses Meer wird das Rote Meer
la mar \ roga sapian \ que la mar genannt. Wifset, dafs das Meer nicht
no | hes roga \ mas lo fons \ es rot ist, sondern der Boden ist von
aquella \ color. dieser Farbe.
Diese Deutung des Namens geht auf antike Interpreten zurück
und wurde durch Isidor (Etym. XIII, 17, 2) auch in die christliche Kos-
mographie eingeführt. Wörtlich nach diesem giebt sie die Ebstorfer
Weltkarte und viele andere.
In Arabien {Provincia Arabid) sind mehrere Städtevignetten ge-
geben, unter denen die ciuitas Meca besonders ausgezeichnet ist; die
zugehörige Legende der Pariser Karte fehlt hier.
Dagegen heifst es von Aden:
38. En la antrada dela mar Am Eingang des Roten Meeres
roga a vn castel \ lo quäl se apel- liegt ein Kastei, welches Adem heifst;
la adem aqui prenan \ la desena hier nimmt man den Zehnten für die
pari de les species les quals venan Waren, welche auf Schiffen von Indien
| de les indies ab naus e puys kommen und dann von hier zur
de aqui van an la ciuitat de cos. Stadt Cos gehen.
In etwas veränderter Form hat auch die Florentiner Karte diese
Legende, und in lateinischer Fassung bringt sie die Karte der Piziganis:
Naves mercantibus Indie que descendunt in Addern dimillunt ibi decimam par-
tem specierum pro pasagio poslea intrant in mare rubrum et descendunt in
civitatem Chosseir et ibi exhonerant deinde deferunt species in Alexandriam.
Auf der Pariser Karte findet sich nur der Schlufssatz der Notiz von
Chos (Stadt am westlichen Ufer des Roten Meeres).
In der Mitte der arabischen Halbinsel thront die Königin von
Saba (reyna sabba).
39. \ Provincia la quall \ tania Provinz, welche beherrscht die
la reyna sabia \ ara es de sarains Königin von Saba. Jetzt gehört sie
alarps t \ aquesta es la reyna qui Sarazenen und Arabern. Dies ist die
vench a veura lo rey sa\lamo la Königin, welche zu sehen kam den
quall li adire \ de grans dons König Salomo. Sie suchte ihn auf
aquest fo\nch "Ja p . . . . la quäl mit grofsen Geschenken. Dieser
se | volch lansar al riu a passar machte .... Jene wollte sich in den
ere . . salamo dient \ que no hera Flufs stürzen, um zum König Salomo
digna de pa'sar per la pont hinüberzuschwimmen. Man sagt, dafs
per tanto com \ (lotanidort oram- sie sich nicht für würdig hielt, die
bador ?) del pont aquell deuia ser- Brücke zu passieren, deshalb weil
uir per lonore (?) de \ iesu christ jener Brücke
Zeitschr. d. Ges. f. Erdk. Bd. XXXII. 1897. 14
202 K. Kretschmer:
aques ta \ terra es abundada \ de sollte dienen zur Ehre Jesu Christi.
tots bens del mon in \ esta terra Dieses Land ist reich an allen Gütern
se | fa un aucell gut sapella | der Welt. In diesem Lande findet
finix sich ein Vogel, der Phönix heifst.
Der Inhalt der fragmentarisch erhaltenen Legende ist uns in der
christlichen und arabischen Legendenliteratur des Mittelalters nirgends
belegt. Die vielfachen, fast wörtlichen Übereinstimmungen aber, die
unsere Karte mit dem öfter genannten Codex der Universitätsbibliothek
zu Genua zeigt, veranlafsten mich, diesen daraufhin prüfen zu lassen.
Herr Ober-Bibliothekar Pagliacci hat in zuvorkommender Weise
meinem Wunsch entsprochen, wofür ich ihm an dieser Stelle meinen
verbindlichsten Dank abzustatten mir erlaube. — Die fragliche Stelle
des Codex f. 4a lautet: Ab istis partibus venu regina Austri id est Sabba
in Yerusalem , ut audiret sapientiam Sa/omonis, et veniendo reperuit (\)ßumen
unum, super quo erat quoddam lignum loco pontis. Ipsa quod recognovit
per spiritum sanctum prout super ipso ligno crucifigi debebat verus mesia,
et tunc ipsum adoravit et uoluit super ipso transire in reverentia dicti mesie,
ob quo posuit clamidem suam super aquam et super ea transivit dictum
flumen. (Aus diesen Gebieten kam die Königin des Südens, d. i. von
Saba, um die Weisheit Salomo's zu hören ; und auf ihrem Wege dort-
hin fand sie einen Flufs, über welchen als Brücke ein Balken gelegt
war. Weil sie selbst durch den heiligen Geist erkannte, dafs an diesem
Holze der wahre Messias dereinst gekreuzigt werden sollte, betete
sie es an und wollte aus Ehrfurcht vor dem genannten Messias es
nicht überschreiten. Deshalb breitete sie ihren Mantel auf dem Wasser
aus, und auf diesem überschritt sie besagten Flufs.).
Nach Kenntnis des Inhalts der Legende wird es jetzt möglich sein,
den katalanischen Text an der Hand der Originalkarte seinem Wort-
laut nach besser zu ergänzen, als es mir seiner Zeit möglich war.
Die Sage vom Vogel Phönix habe ich an anderer Stelle (Z. d. G.
f. E. 1891, 387) schon ausführlich behandelt.
Die nordöstliche Ecke Asiens wird nach der Küste, wie nach dem
Inneren des Landes durch ein grofses Waldgebirge abgeschlossen.
Von dem so abgegrenzten Lande und den Bergen heifst es:
40. Montayes de caspis dins Die K aspischen Berge, in denen
/es guals alaxandre viu \ arbres Alexander der Grofse Bäume sah,
que /es saines tochaüe fins a/ce// dessen Wipfel bis zum Himmel reich-
e aquicuida morir sino que sata- ten, und hier mufste er sterben, wenn
nas /ogita . asi \ es goch e magoch nicht Satan (sein Leben) verlängerte.
e ay diuerscs gener acions \ aue Hier wohnt Gog und Magog und
non duptan de manjar tota carn verschiedene Völker, welche kein
Die Katalanische Weltkarte der Biblioteca Estense zu Modena. 203
crua | aquesta gencracio que vin- Bedenken tragen, rohes Fleisch zu
dra antixsf e la lur fi sera fock. essen. Dieses Volk wird kommen
mit dem Antichrist, 'und es wird
schliefslich durch Feuer vernichtet
werden.
Hierzu gehört die Figur, die aufserhalb des Bergwalles angebracht
ist, mit einer Doppelflöte im Munde und der Legende:
41. Aquestas figures feu ala- Diese Figuren errichtete Alexander
xandre \ de matal com vench an von Metall, als er in die kaspischen
/es montays \ de caspis e feu arti- Berge kam, und er führte sie so
fiosement qui sonaüe a tots dents kunstvoll aus, dafs sie mit allen
en aquesta manera \ ancloch /es Zähnen knirschten. So schlofs er die
/es genaractons gog e magog. Völker Gog und Magog ein.
Die Prophezeiungen Hesekiel's und der Apokalypse vom Antichrist
und den Völkern Gog und Magog hielten im Mittelalter die gläubigen
Gemüter in Angst und Schrecken. Darnach (Apok. 20, 8) sollte „wenn
tausend Jahre vollendet sind, der Satanas los werden aus seinem Ge-
fängnis. Und wird ausgehen, zu verführen die Heiden in den vier
Örtern der Erde, den Gog und Magog, sie zu versammeln in einen
Streit". — (Hesekiel 38, 15) „Du wirst kommen aus deinem Ort, näm-
lich von den Enden gegen Mitternacht; du und ein grofs Volk mit dir,
alle zu Rofs, ein grofser Haufe und ein mächtiges Heer". Aber nach-
dem das Strafgericht vollendet, wird Gott jene Völker mit Feuer ver-
nichten. — Gog und Magog wurden ein ständiges Attribut der Karten,
wenn auch die Lokalisierung eine unbestimmte war. Die Bibel giebt
über ihr Land wenig Aufschlufs; man suchte es meist im Norden Asiens.
— Mit diesen Völkern wurde im Mittelalter nun auch die Person
Alexander des Grofs en in Zusammenhang gebracht. Der kühne
Eroberungszug des grofsen Macedoniers in das Innere Asiens fand
späterhin eine legendarische Ausgestaltung. Die Heldengestalt Alexan-
ders lebte in der Erinnerung der Morgen- und Abendländer fort, sie
wurde vom Netz der Sage umsponnen, und poetische Darstellungen
schmückten seine Thaten und Verdienste phantastisch aus. Den Aus-
gangspunkt der mittelalterlichen Alexander-Sage bildete die fälschlich
unter dem Namen des Kallisthenes laufende Biographie, deren Kern
sehr wahrscheinlich der Ptolemäer-Zeit entstammt. Die späteren Jahr-
hunderte aber brachten Zusätze und Erweiterungen, und fast alle Na-
tionen griffen den Gegenstand auf, um ihn in Prosa und Dichtung zu
verarbeiten. Nicht nur die Dichter germanischer und romanischer
Zunge sind hier zu nennen, wir hören ebenso von armenischen, alt-
serbischen, altböhmischen, bulgarisch-slovenischen , rumänischen und
H*
204 K. Kretschmer:
russischen Bearbeitungen des Alexander-Romans *), und selbst von den
Arabern wurde der Macedonier (unter dem Namen Dsulkarnain) hoch
gefeiert. Die Schicksale des himmelstürmenden Titanen, seine helden-
haften Kämpfe mit rohen und wilden Völkern, seine Fahrt zum Paradies,
seine Berichte von den Naturwundern, die er geschaut, werden uns in
umständlicher Weise geschildert.
Das grofse Verdienst, welches sich Alexander um die christliche
und muhammedaniche Welt erworben, bestand darin, dafs er gegen Gog
und Magog einen hohen Wall aufgeführt und so ein zu frühzeitiges
Hervorbrechen derselben verhindert habe. Erst am Ende der Tage
wird es dem Antichrist gelingen, eine Lücke in den Wall zu schlagen
und auszubrechen. Gog und Magog und die übrigen 15 Völkerschaften
werden schon bei Kallisthenes (III, 26) aufgezählt; sie erscheinen in
allerdings sehr veränderter Form beim Interpolator C des Presbyter-
briefes nach der Ausgabe von Zarncke wieder. Nomina quarum sunt
haec: Gog et Magog, Amic, Agic, Arenar, Defar, Fontineperi Conti, Saman-
tae> Agrimandi, Salterei, Armei, Anofragei Annicefelei, Tasbei, Alanei. In
ihrer Lebensweise werden sie als ungesittete, verrohte Völker be-
schrieben, die rohes Fleisch essen und nach dem Presbyterbrief auch
vor Kannibalismus nicht zurücksehen en. Habemus alias gentes, quae so-
lum modo veseuntur carnibus tarn hominum quam brutorum animalium et
abortivorum , qua nunquam timent mori. Et cum ex his aliquis moritur r
tarn parentes eius quam extranei avidissime comedunt eum dicentes: sacra-
tissimam est humanam carnem manducare*). Fast alle Karten thun ihrer
Erwähnung 3 ).
1 ) Vgl. J. Zacher, Pseudokallisthenes 1867. Reichhaltige Literatur- Angabe
bei Krumbacher, Byzantinische Literaturgeschichte 1891 S. 433, ferner F. Vogt
jn Paul's Grundrifs der german. Philologie II, 255.
2 ) Zarncke, Der Priester Johannes, 1879, Abhandl. phil.-hist. Kl. d. Sachs. Ak.
d. Wiss. VII. Bd. S. 893.
3 ) Auf der Hieronymus-Karte: Gog gentes. Auf der Cottoniana: Gog
et Magog, Auf der Karte Hein rieh's von Mainz: Gog et Magog gens immun da.
Bei Ranulf: Bactria. In istis montibus sunt montes Caspee, includentes Gog et
Magog) qui in fine mundi exibunt cum Antichristo ad destruendum mundum. Hos
includit Alexander preeibus suis non viribus, (Hierzu vgl. Miller, Mappae Mundi
III, 101). Auch auf der Weltkarte Pietro Visconti 's wird das Castrum Gog
et Magog verzeichnet. Auf der Ebstorfer Karte: Hie inclusit Alexander duas
gentes immundas Gog et Magog quos comites habebit Antichrütus. Hi human is
carnibus veseuntur et sanguinem bibunt. Auf der Hereford-Karte: Hie sunt
nomine truculenti nimis humanis carnibus vescentes cruorem potantes, Filii Caini
maledicti. Die Genuesische Weltkarte identifiziert sie mit den Pygmäen : Isti sunt
ex Gog generatione t qui cubitus altitudinem non excedunt. Vielfach werden sie mit
den zehn verlorenen Stämmen der Juden gleichgestellt, die ebenso durch Berg-
Die Katalanische Weltkarte der Biblioteca Estense zu Modena. 205
Es heifst allgemein, dafs Alexander diese Völker hinter einem
Gebirgswall eingeschlossen und die einzige vorhandene Passage durch
diesen verbarrikardiert habe. Die dem problematischen Aethicus
Ister zugeschriebene Kosmographie beschreibt uns umständlich das
Thor, welches Alexander in die Berglücke eingesetzt, mit dem riesen-
grofsen Schlofs, und die Art, wie die Thürspalten verpicht waren. —
Die Hereford-Karte giebt uns eine andere Version wieder, nach
welcher während Alexanders Aufenthalt in jener Gegend vor seinen
Augen ein grofses Erdbeben die Bergmassen durcheinandergeworfen
und diese ringförmig um das Land von Gog und Magog aufgehäuft
habe. Wo die Berge noch eine Lücke zeigten, hätte er sie durch eine
feste Mauer vervollständigt. Da jener Gebirgswall montes Caspii viel-
fach genannt wird, so hat man hierunter den Kaukasus zu verstehen,
welcher Name freilich auch auf die ganze, bis an den Ostrand Asiens
streichende Gebirgszone übertragen wurde. Es war naheliegend, im
Anschlufs an die Darstellung des Plinius (IV, 12), der die Caucasiae
portae, die irrtümlich auch Caspiae portae genannt wurden, ausführlich
beschreibt, mit dem eigentlichen Kaukasus-Gebirge zwischen dem Kas-
pischen und dem Schwarzen Meer zu identifizieren, um so mehr, als auch
Plinius weiter von der Schliefsung der Strafse durch Thor und Kastei
ad arcendas gentes innumeras spricht. Da aber jede geographische Sage
bei Erweiterung des Horizonts entsprechend weiter hinausrticken
mufste und im Laufe der Zeit sich auch inhaltlich weiter entwickelte,
so kann es nicht auffallen, dafs die Alexanderpforten späterhin im
äufsersten Osten gesucht wurden, und dafs man im altbeliebten Schlen-
drian die Bergwälle immer noch als Kaspische Berge bezeichnete,
wie auf unserer Karte. — Beachtung verdient die Darstellung des ab-
schliefsenden Walles auf der Genuesischen Weltkarte in Florenz, wo
das Gebirge noch durch Türme flankiert ist. Th. Fischer vermutet
hierin die erste Darstellung der chinesischen Mauer, welche bekannt
lieh von Marco Polo nicht erwähnt wird 1 ), und es ist begreiflich, dafs
Spätere, wie jener Genuesische Kartograph und die Araber Abulfeda
und Raschiduddin die Mauer als den Wall gegen Gog und Magog an-
sehen konnten.
wälle eingemauert sein sollten. So auf der Wal sp erger Karte und derBorgia-
Karte: Provincia Gog, in qua fuerunt Judei inclusi tempore Artaxerxis regis Per-
sarum. — Magog in istis duabus sunt gentes magni ut gigantes pleni omnium
malorum morum. Quos Judeos Artaxes rex collexit de omnibus partibus Per-
sarum.
*) Th. Fischer, Sammlung S. 195 f. — Zu Marco Polo (I, 59), der die Völker
Gog und Magog in der Landschaft Tenduc erwähnt, (am Hoangho) vgl. Yule I
S. 183.
206 K « Krctschmer:
Um den Durchbruch von Gog und Magog zu verhindern, er- i
richtete Alexander, wie die Legende unserer Karte besagt, Figuren vor.
Metall. Eine solche ist mit zwei Trompeten auch dargestellt. Die
Pariser Karte giebt sie ebenso (mit Legende), bespricht aber nicht den
Zweck derselben. Aus unserer Karte erhellt, dafs jene Metallfiguren |
automatisch mit den Zähnen klappten und durch ihren monströsen An-
blick die Völker zurückschrecken sollten. „So schlofs er Gog und
Magog ein".
Das Verdienst, die Völker in die Berge eingeschlossen zu haben,
wird allgemein Alexander dem Grofsen zuerkannt; doch werden bei
der späteren Entwickelung der Sage noch andere Namen genannt.
So heifst es auf der Genuesischen Weltkarte : Hos turres construxit pres-
byter Johannes rex, ne inclusis hominibus ad eum pateai accessus. Nach
Albertus Magnus (comp, theol. ver. VII, 10) hält vielmehr die Ama-
zonenkönigin sie zurück: Gog et Magog % decem tribus ultra montes Cas-
pios clausa*, tarnen ita quod bene possent exire si permilferetur, sed non
permittuntur a regina Amazonum.
Beachtenswert ist die Bemerkung in unserer oben citierten Legende,
dafs Alexander in den Kaspischen Bergen Bäume gesehen, die mit
ihrem Wipfel bis in den Himmel reichten. Es sind hier die beiden
Orakelbäume der Sonne und des Mondes gemeint, die Alexander, an
den Grenzen Indiens angelangt, um sein weiteres Schicksal in Asien
befragt hätte. Die arbor solts und arbor lunae sind ebenso zahlreich
auf den Karten vertreten, oder jener Legende wird wenigstens gedacht,
wie schon die Peutinger'sche Karte eine Andeutung enthält: Hie Alexan-
der responsum aeeepit. Bildlich dargestellt sind die Bäume auf der
Hieron ymus-Karte als Oraculum solis et lune; — auf der Karte Lam-
bert's: India ultima. Hü arbor es solis et lune; ebenso auf der Psalter-
Karte und der Ebstorfer Weltkarte: Oraculum solis et lunae. Bei
Ranulf: Hie Alexander petebat responsum ab arbor ibus, und auf der
Walsperger Karte werden Bäume gleichfalls verzeichnet zusammen
mit dem Namen Alexander. — Die Antwort, welche ihm die Bäume
gegeben, wird uns von Julius Valerius mitgeteilt in den Gesta
Alexandri (III, 38). Einer der apokryphen Briefe Alexander's bespricht
auch das äufsere Aussehen dieser Cypressen ähnlichen Orakelbäume
und ihre stattliche Höhe : In media autem luci sacratae arbores simillimat
cupressis frondium genere pedum altae centenorum erat quas Betrionas Indi
appellant. —
Unmittelbar nördlich von den Bergen von Baldaia ist ein Haus,
ein Kloster verzeichnet mit der Bemerkung:
42. aquest monestis es defra j Dieses Kloster gehört Mönchen,
res los quals tenan an \ guardia welche das Gebein des heiligen Mat-
Die Katalanische Weltkarte der Biblioteca Estense zu Modena. 207
los de sent matia \ e son ermnis. thaeus bewahren, und sie sind Ar-
menier.
Die Pariser Karte giebt dieselbe Legende in anderer Fassung.
Dort liegt das Kloster im See Yssikol. Auch auf unserer Karte scheint
der See durch das Oval, in welchem das Haus steht, angedeutet zu
sein. Die Borgia -Weltkarte nennt auch den See mit den Reliquien:
Isicol lacus super quem corpus b. Matthei queritur.
Unweit Caranam ist die Stadt Lop verzeichnet.
43. Aquesta ctutat es apellada Diese Stadt heifst Lop, nach welcher
lop | en la quall venam alguns einige Kaufleute von Tana kommen
mercades \ de la tana ab lurs mer- mit ihren Waren und . . . ., welche
caderies e v . . . . | que portan ab sie auf ihren Fuhrwerken sechs Monate
eis fornits per VI meses \ fins a lang mitführen bis zu genannter Stadt,
la dita ctutat e puys se partexen und dann reisen sie bis auf weitere
de qui | per altres VI meses fins sechs Monate nach Catay.
al catay
Dieselbe Legende in anderer Fassung bietet die Pariser Karte.
Die Quelle für beide ist Marco Polo (I, cap. 39): „Lop ist eine grofse
Stadt am Rande der Wüste, welche nach ihr Wüste von Lop genannt
wird *). Sie gehört dem Grofs-Chan, und das Volk verehrt Mohammed".
Lop wird als ein Hauptstationspunkt für die Karawanen bezeichnet,
wo diese eine Woche Rast machen, um sich für die Weiterreise zu
erfrischen und zu verproviantieren. „Die Länge der Wüste ist so grofs,
dafs man ein Jahr und mehr reiten mufs von einem Ende zum anderen".
Hierauf bezieht sich unsere Legende, welche die zwölf Monate auf die
Strecken von Tana bis Lop und von Lop bis Catay auf je sechs Monate
verteilt. — Die Pariser Karte bringt im engsten Anschlufs an Marco
Polo noch weitere Einzelheiten, u. a. die Sage von den Stimmen der
Geister in der Wüste, die den Reisenden irreführen und ihn in der
Einöde zu Grunde gehen lassen. — Zu obiger Legende gehört auch
wohl die Miniaturzeichnung von zwei Reitern zu Pferde auf einer berg-
artigen Erhöhung, die als Mont per corey(l?) bezeichnet ist. Die
Pariser Karte bringt eine vollständig ausgerüstete Karawane mit
Kamelen und Reitern an dieser Stelle. —
Der nördliche Rand der Erdinsel wird, wie schon bemerkt, durch
zwei stumpf einspringende Meerbusen unterbrochen, von denen der
nördlichere zwei Inseln: Solinos und Naron zeigt.
In dem östlichen Meerbusen sind drei Inseln verzeichnet mit der
Legende :
*) Die Wüste ist das Tarym-Becken mit dem gleichnamigen Flufs und dem
Lop-nor. Über die örtlichkeit vgl. Yule, Polo I, 104.
208 K - Kretschmer:
44. En aquestas illes \ nexen Auf diesen Inseln giebt es viele
moli bons grifans et faucons e schöne Greife und Falken, und die
los abitadors de illes \ non gosan Bewohner der Inseln wagen sie nicht
pendr a sens licencia \ del gran zu fangen ohne Erlaubnis des Grofs-
cha Senyors del tartres, Chans, des Beherrschers der Tataren.
Marco Polo (I, cap. 56) berichtet zuerst von diesen Inseln, die im
Ocean liegen, im hohen Norden. Auf den Bergen dort haben die
Wanderfalken ihre Nester, und es ist so kalt, dafs man weder Männer
noch Frauen dort findet, weder Vieh noch Vogel, mit Ausnahme einer
Gattung, genannt Barguerlac, von denen sich die Falken nähren. „Und
wenn der Grofs-Chan Falken aus jenen Nestern nötig hat, so sendet er
hierhin, um sie sich zu verschaffen". —
Gegenüber an der Festlandsktiste liegt Albania, ein Land, welches
mitsamt den Kaspischen Bergen bis in den Nordosten Asiens gerückt
ist und somit in keinerlei Beziehung mit dem Kaspischen Meer mehr
steht, an dessen Westseite (Daghestan) es nach Angabe der Alten zu
suchen ist.
45. Aquesta prouincia es apel- Diese Provinz wird Albania genannt,
lada albania que uoldir \ blanque d. h. die Weifse, deshalb, weil die
e azo pertant com los homens hi son Menschen hier weifs sind und weifs
blanchs | e nexen blanchs es molt geboren werden; es herrscht strenge
freda en asguart de aquestas altres Kälte in einem Teil der übrigen
que son assi en sta prouincia a (Länder), welche dort sind. In diesem
molles penyes altes que son aq an Lande giebt es viele hohe Felsen, die
les quals a . . ren moltes belues sich dort finden, in welchen viele
fferas e grans lops serps tngi's(\) wilde Tiere hausen, grofse Wölfe,
lopardos laons e baboins tots los Schlangen, Tiger, Leoparden, Löwen
desert naxen plens. und Babuine (Paviane). Alle Wüsten
sind voll davon.
Die Etymologie des Namens der Albaner von albus = weifs ent-
behrt jeder historischen Begründung. Bei Solin heifst es, dafs ihr
Auge eine blaugrüne Pupille hätte (XV, 5), und dafs sie nur bei Nacht
sehen könnten. Ranulf und die Hereford-Karte bringen Legenden
dieses Inhalts : Albani pupilla glaucum habent et plus nocte vident* Ihr
Land wird als eine unwirtliche Steinwüste geschildert, in denen wilde
Tiere hausen. Besonders wird immer der Löwen gedacht, die mit
wilden Hunden gehetzt werden: Huius terre canes leones occidunt. Unsere
Legende giebt hier eine ganze Liste von wilden Tieren.
Weiter westlich ist eine Krone verzeichnet mit der Bemerkung:
46. Mille centum octuagitam | 1187 wurde hier der erste König
Septem hicfuit coronatum (I) | pri- der Tataren gekrönt ....
mus rex tartarorum I vid . . . sin.
Die Katalanische Weltkarte der Biblioteca Estense zu Modena. 209
Mit jenem Tatarenfürsten kann nur Dschingis-Chan gemeint sein.
Nachdem Temudschin die nomadischen Nationen tatarischer Rasse
unterjocht hatte, legte er sich als oberster Machthaber einen neuen Titel
bei. Er berief im Frühling 1206 nahe der Quelle des Onan eine Ver-
sammlung aus den Häuptlingen aller Stämme, wo ein Wahrsager namens
Gökdschu erklärte, dafs er seiner ausgedehnten Macht entsprechend
den Namen Dschingis-Chan (Chan aller Chane) annehmen solle.
(d'Ohssou, Hist. des Mongols 1834. 1,98). Das in der Legende an-
gegebene Datum 1187 * st unrichtig.
Am nördlichsten Rande der Erdinsel ist ein grofses kastellartiges
Grabmal, auf einem Berge liegend, dargestellt.
47. Sapiats que antigament era Wisset, dafs dies früher das Grab-
aquest sepulcra \ del gran ca sin mal des Grofs-Chans war. Wenn aber
quis es devench se . . . . al gran einer den (anderen) gestorbenen
ca morts \ C miles luny de aquest Chanen im Tode gefolgt war, 100
castell portauen len honradament \ Meilen von diesem Kastell entfernt,
mentre lay por tauen asotarar los so trug man ihn feierlich dorthin;
homens maiauan j tots quals natro- und während man ihn dorthin zur
vauen dient aniQ) . . . seruir Gran Beerdigung schaffte , metzelte man
senyor an laltre tnon. alle jene Menschen nieder, die man
(auf der Strafse) traf; man sagt, dafs
ihre Seelen dem grofsen Herrscher
in der anderen Welt Dienste leisten.
Diese Bestattungsweise der Tataren-Chane findet sich, soweit ich
sehen kann, zuerst bei Marco Polo (I, c. 51), durch dessen Bericht sie
auch in die Karten der späteren Zeit kam. „Wisset auch, dafs
alle Grofs-Chane und alle Abkömmlinge von Dschingis, ihrem Ahn-
herrn, nach einem Berg mit Namen Altay zur Beerdigung überführt
werden. Wo auch der Herrscher sterben mag, er wird zu seinen Vor-
gängern nach jenem Berge gebracht, und wenn auch der Platz, wo er
starb, 100 Tagereisen entfernt ist, man trägt ihn dort nach jener Toten-
gruft hin. Noch einen seltsamen Brauch will ich erzählen. Wenn die
Leiche eines Kaisers dort den anderen beigesetzt wird, so tötet man
alle jene, welchen man auf der Strafse zufällig begegnet, indem man
sagt: Geh' und diene unserem Herrn in der anderen Welt .... Das-
selbe geschieht auch mit den Pferden. Denn wenn der Kaiser stirbt,
so töten sie alle seine besten Pferde, damit er sie in der anderen
Welt gebrauchen kann, wie sie glauben. Ich kann auch versichern,
dafs, als Mongu-Chan starb, mehr als 20000 Menschen, welche dem
Leichenkondukt auf dem Wege begegneten, auf diese Weise um das
Leben kamen". Unter dem Altai ist hier, wie Yule ausführt, nicht
das Gebirge zu verstehen, welches heute diesen Namen trägt, sondern
210 K. Kretschmer:
der von Pallas genannte Khanoolla in der Nähe von Urga, welcher
noch jetzt von den Mongolen für heilig gehalten wird 1 ). — Auch auf
anderen Karten wird desselben Brauches gedacht. So auf der Karte
des Leardo von 1452: Questo l il sepulcro del gran Can et fano questo:
che quando el ven portato a sepelir el ven accompagnado da molti homcni
armadi i quali ozidono quell che si trovano su la strada et dicono che
Vamine dt coloro sono benedecte y perche V accompagnano Vanima del gran
Can a un altra vita 2 ). Bei Fra Mauro ist gleichfalls das Grabmal ver-
zeichnet, und der Berg wird ebenso Althay genannt: questa prettosa e
mirabile sepultura che e posta sul nobel monte dito Althay e deputada solo
a hi Imperadori del Chatajo e al alta sua generation.
Über der Kartusche mit dem Namen „Europa" ist eine mehr-
zellige Legende angebracht:
48. Ciuitat de casirema en sta Stadt Castrema. In diesem Lande
prouincia a gens \ idolatrechs los ist ein Volk von Götzen anbetern,
quals adoran una idolla da malall welche ein Idol von Metall verehren
ab no . . caps e non mans e /an ohne Kopf und Hände, und sie machen
na lur dens e ay daltre \ partfor- .... Anderswo giebt es Galgen ; und
ques e homens sant a manera der- Heilige nach Art von Eremiten lassen
mitans I com son uels/an sa pan- sich, wenn sie alt sind, an den Haaren
jar a la forca per los cabels e de und an der Gurgel am Galgen auf-
golan los totem tenan los per sants hängen. Alle halten sie für heilig,
mentre los cabels se tenan a la solange die Haare noch am Galgen
forca, haften.
Zu dieser Legende gehört die in der Nähe der Küste dargestellte
Gruppe, wo zwei Personen vor einem Götzenbild in knieender Stellung
liegen. Ferner gehört hierzu der Galgen mit dem an den Haaren
aufgehängten Menschenkopf. — Soweit ich ermitteln konnte, bringt
nur noch die Borgia -Weltkarte eine ähnliche Legende mitsamt dem
Galgen: Isla gens se dicit esse sancta 3 ) et faciunt de se sacrificium ponendo
caput proprium sub quodam palo per crines et tunc genubus adorant, donec
cadat. — Fraglich bleibt nur der Name der Stadt Castrema an der
Wolga, die auf der Borgia-Karte und der Pariser Katalanischen Karte
wiederkehrt, von dem aber weder Heeren und Santarem, noch H. Yule
(Cathay I, CCXXVIII) eine Erklärung geben konnten. Kiepert zerlegt
den Namen in Cast. Rama (= Castra R.), doch wird in unserer Legende
von einer Ciulat de castrema gesprochen. Die Stadtvignette ist am Zu-
1 ) Yule, Polo I, »43-
2 ) II planisfero di G. Leardo del anno 1452 da G. Berchet, Venezia iggo.
3 ) Über die fragliche Lesart dieser Stelle vgl. Santarem, Essai III, 265 und
Lelewel, Geogr. I, 101.
Die Katalanische Weltkarte der Biblioteca Estense zu Modena. 211
sammenflufs von zwei Oberläufen der Wolga gesetzt. Der Hauptarm
kommt von Westen aus einem See (vgl. hierzu weiter unten Legende
Nr. 52).
Am östlichen Oberlaufe sind auf unserer Karte nur zwei Ortschaften
verzeichnet: Facociti(l), auf der Pariser Karte: Fachatim genannt,
welches Yule mit Wiatka gleichstellen will. Ferner Bor(!), wohl nur
unvollständig wiedergegeben für Borgar der Pariser Karte, bei Ibn
Batutah Bolgar genannt. Es lag an der Wolga oberhalb Simbirsk und
war zeitweilig die Residenz der Chane von Kiptschak. Ruinen haben
sich bis heute erhalten.
Östlich von der unteren Wolga thront der Chan von Sarai.
49. En aquest imperi sta /an- In diesem Reich herrscht der Kaiser
perador de salai lo quall \ inper von Sarai, dessen Herrschaft im Ge-
finix en /es parts de burgarta biet von Burgaria endigt und in der
e an \ la ciutat de orgenci uert Stadt Urgendsch gegen Osten hin.
lauant aquest \ enperador es senyor Dieser Kaiser ist Herr von 100 000 Mann
de C milia homens \ a caualL zu Pferde.
Diese Legende findet sich inhaltlich auf der Pariser und Floren-
tiner Karte, jener Pizigani's, und auch der von Th. Fischer genannte
Codex bietet sie. Auf der Pariser Karte wird auch der Name des
Herrschers genannt: Iambeck, senyor de/ Sarra] im Codex: imperator
Usbeck. Auch auf der Borgia-Karte wird der imperator Iambec genannt.
Sarai ist die von Batuchan erbaute Hauptstadt des Kiptschak am linken
Arm der Achtuba (Yule, Cathay I, 231); Urgendsch (Orgenci), die
Hauptstadt von Chavarezm, dem heutigen Chiwa am Oxus.
In das Kaspische Meer mündet von Osten her kommend ein Flufs,
der seine Quelle im mons de amo//, finis persia hat. Auf der Pariser
Karte, wo die Situation dieselbe ist, wird dieser Flufs Flum d } Organa
genannt, an dessen Ufer die gleichnamige Stadt liegt. Es kann dar-
nach nur der Oxus oder Amu gemeint sein, und mit dem mons de
amo// das Bergland des Amu. Da der Aral-See noch nicht verzeichnet
ist, so ist die Konfusion in der Hydrographie dieser Gegend leicht
begreiflich. Die Pariser Karte setzt die Mündung des Flusses (Jlum
Arno) am Rande des Kaspischen Meeres noch einmal etwas südlicher an.
Innerhalb des grofsen Flufsbogens hat die Pariser Karte mehrere
Städte verzeichnet, auf unserer Karte finden sich nur drei: Arosea,
Calay Castro und Cate (Pariser K.: Cara).
Das Kaspische Meer, mar de Sa/a (d. h. Sarai) e de bacu, ist noch
in der älteren Form gezeichnet, wie es die Pariser Karte schon hat,
d. h. in der geographischen Länge ausgedehnter als in der Breite.
Die Florentiner Karte zeigt es dagegen in weit richtigeren Verhältnissen
als ein von Norden nach Süden gestrecktes Becken.
212 K - Kretschmer:
Europa.
Während die Küstenlinien Asiens und Afrikas zum gröfsten Teil
noch hypothetisch dargestellt sind, entsprechen jene Europas schon
mehr den wahren Verhältnissen. Freilich gilt dies auch nur von den
Mittelmeer- und Atlantischen Küsten dieses Erdteils, soweit diese von
den seefahrenden Völkern Süd-Europas in exakter Weise aufgenommen
waren. Der ganze Norden und noch mehr das Innere des Festlandes
geben auch nur ein sehr unvollkommenes Bild wieder. Im allgemeinen
weicht die Darstellung Europas auf unserer Karte von derjenigen der
anderen katalanischen und teilweise auch italienischen Karten nicht
ab; es gilt dies nicht nur vom Mittelmeer-Becken, sondern auch von
den übrigen Teilen. Da alle anderen erhalten gebliebenen katala-
nischen Karten mit Ausnahme der Pariser im wesentlichen nur Europa
enthalten, welches immer in derselben Weise und mit derselben No-
menklatur wiedergegeben ist, so wird unsere Karte dem Kenner zu-
nächst nichts Neues bieten. Aus diesem Grunde sind die zahlreichen,
dicht gedrängt stehenden Namen der einzelnen Küstenpunkte am
Mittelmeer auf unserer Kopie nur mit Auswahl verzeichnet worden.
Interessant ist aber unsere Karte insofern, als sie auch noch den
hohen Norden von Europa darstellt, der auf den anderen Karten aus
begreiflichen Gründen stets fehlen mufste.
Die geographische Begrenzung Europas und seine Lage wird wie
bei den anderen Erdteilen in kurzen Worten charakterisiert.
50. Europa comensa al flum de Europa beginnt beim Tana-Flufs im
la tana \ vert lauant e finex an Osten und endigt in Galicia im
galicia uert \ ponent e compren Westen und umfafst das Küstengebiet
toia la maritima \ de los crestians der Christen und begreift das ganze
circuint tota la pari \ de tramun- Land im Norden.
tana.
Nord-Europa zeigt abgeschlossene kompakte Formen; die Skandi-
navische Halbinsel tritt als ein noch recht hypothetisch gezeichnetes
Ländergebilde hervor, wie es fast alle katalanischen und italienischen
Karten zeigen. Von der Ostsee ist der meridional gerichtete Bos-
nische Meerbusen noch nicht verzeichnet, daher hat die ganze Situa-
tion ein fremdartiges Aussehen.
Von der Ostsee heifst es:
51. Aquesta mar es apellada Dieses Meer wird genannt Meer
mar \ de lamanya de suesia de von Deutschland, Schweden und Got-
gotilandia \ aquesta mar sta con- land. Dieses Meer ist sechs Monate
gelada VI meses de lany soes mi- im Jahre gefroren, nämlich bis Mitte
gant maris \ e migant octubre e März und von Mitte Oktober an
Die Katalanische Weltkarte der Biblioteca Estense zu Modena. 213
azo per la gran \ frador de la und zwar wegen der grofsen Kälte
tramuntana. des Nordens.
Die Pariser und Florentiner Karte und jene des Pareto u. a. m #
haben dieselbe Legende mit der weiteren Bemerkung, dafs die Eis-
decke so stark sei, dafs die Küstenbewohner mit ihren Ochsenkarren
hinüberfahren können. Im südlichen Teil der Ostsee dürfte eine der-
artige Vereisung wohl nur höchst selten eintreten. Dagegen soll das
Meer zwischen den Alands-Inseln und der schwedischen Küste schon
mehrfach zugefroren sein. Im Jahre 1809 setzte eine Kosakenhorde
im Galopp über die Eisfläche und erschien an der schwedischen Küste
zum nicht geringen Schrecken der Bewohner von Grisselhamn.
Von den Ostsee-Inseln sindOxilia (Ösel) verzeichnet, ferner eine
gröfsere Insel, die auf der Pariser Karte Visby genannt ist, also Got-
land darstellt, während auf unserer Karte noch zwei kleinere Inseln
Colat (Oeland)? und Li st er angegeben sind.
Weiter westlich folgen Falsa (Falster), Langlat (Laaland), Finon-
ja (Fünen), Sil an da (Seeland).
In den östlichen Teil der Ostsee mündet ein Flufs, der einem
See entquillt, demselben See, aus welchem, wie oben schon bemerkt, die
Wolga und der Tanais ihren Ursprung nehmen. Da Nogorodo
(Nowgorod, die alte Hauptstadt des Reiches) am westlichen Abflufs
verzeichnet ist, so könnte der letztgenannte der Wolchow und jenes
Wasserbecken der Ilmen-See sein. Der Umstand, dafs das hydrographi-
sche System der Ostsee mit demjenigen des Schwarzen Meeres und
des Kaspischen Meeres in Verbindung gebracht ist, scheint anzudeuten,
dafs man von dem weitverzweigten und in den Oberläufen leicht
zu verbindenden Flufsnetz des inneren Rufsland schon unterrichtet
war. Adam von Bremen (XI. Jahrh.) bemerkt (IV, 1) bereits, dafs Schiffe
von Schleswig nach Griechenland (1) fuhren. — Von dem genannten
See heifst es:
52. Aquest stany es appellat Dieser Sumpfsee wird genannt Edill,
edill | an lo quäl se nodrexen los in welchem sehr grofse, verschieden-
astarions \ molt grans diuersos e artige und schuppenreiche Störe sich
palosos (sie). finden.
Das letztere Wort palosos ist offenbar gleichbedeutend mit pilosos,
wenn nicht palosos nur ein Schreibfehler ist. „Fünf Längsreihen von
Knochenschildern (nicht eigentlichen Schuppen) bekleiden den Leib
des Störes. Die Haut zwischen den Schilderreihen ist teilweise nackt
und glatt, teilweise mit kleineren Schildchen oder Knochenkörnern be-
deckt, ebenso das Schwanzende mit dicht anschlief senden kleinen
Knochenschuppen bekleidet; zwei grofse Schilder panzern die Gegend
214 K. Kretschmer:
der Schlüsselbeine" (Brehm). Auf die feste Verpanzerung dieses Fisches
scheint das Wort palosos hinzuweisen.
Der Nordrand der Ostsee (Skandinavien) ist mit 15 Namen von
Städten und Flüssen versehen, deren Lesung nach dem Original nicht
ganz sicher ist; einige von diesen kehren auf anderen Karten wieder.
Stocoll (Stockholm) ist zweimal genannt. Sudechpinis lautet auf
auf der Karte Dulceti's: Suderpiegeh. Der Name Rodrim kehrt auf
fast allen katalanischen Karten wieder.
Der nördliche Teil Europas, die oben schon angedeutete kom-
pakte Halbinsel, wird am nördlichen Rand durch die allgemeine Run-
dung der Erdinsel bestimmt. Erfüllt ist sie von hypothetischen Ge-
birgszügen, die das Land in oblonge Felder zerlegen. Von einem
dieser gebirgsumrahmten Länder heifst es:
53. Estlandit e isla regio a Estlandit heifst diese Gegend mit
molts agrestres montanys \ e es vielen wilden Bergen; es ist sehr
molt freda les gens qui asi'abitan kalt (dort). Die Leute, welche da-
sapellen mellsirich \ veuen de casar selbst wohnen, nennen sich mellsirich,
e de pescar e casen ab grifans e sie leben von Jagd und Fischerei,
caualcon ab serös (= servos). jagen mit Greifen und reiten auf
Hirschen (Rentieren).
Ein anderes trägt folgende Legende:
04. Aquesta regio de norvega Diese Gegend von Norwegen ist
es molt | aspra e molt monlay- sehr rauh und bergig. Die Menschen,
ossa los homens \ qui asi sott viuen welche sich dort befinden, leben von
de casar e de pescar \ asis fo lo Jagd und Fischerei. Hier war der
crestall Kristal.
Die erstgenannte Notiz bietet in dieser Fassung nur unsere Karte;
die zweite Hälfte derselben findet sich noch auf der Florentiner. Die
andere Legende (No. 54) haben die meisten katalanischen und italieni-
schen Karten; die Schlufsbemerkung von dem Kristal nur noch die
Florentiner.
Der genannte Kristal scheint mit dem in abendländischen und orien-
talischen Märchen mehrfach auftretenden Magnetfelsen identisch zu
sein, der auch in der Herzog Ernst-Sage eine grofse Rolle spielt. Der
von den Schiffern geftirchtete Felsen, der alle mit Eisen beschlagenen
Schiffe an sich zieht, befand sich im sogenannten Lebermeer, wo das
Wasser eine zähflüssige, von Eisschollen erfüllte Materie bildet, welches
als Mare putritum auch auf unserer Karte verzeichnet ist 1 ). Auch auf
l ) Ausführliche Quellennachweise habe ich in „Entd. Amer." gegeben, S. 34
über die Meerlunge des Pytheas von Massilia, S. 84 über das Lebermeer der
deutschen Sage.
Die Katalanische Weltkarte der Biblioteca Estense zu Modena. 215
der Karte Walsperger's heifst es an dieser Stelle: In hoc mari magno
non est nauigatio propter magnetes 1 ).
Der Nordwestecke Europas ist eine reiche Inselflur vorgelagert.
Bemerkenswert sind unter diesen die
55. Insula de archana en la Insel Archana, auf welcher sechs
quall fa | sis menses de nit e sis Monate hinter einander Nacht und
de dia ala continua. sechs Monate Tag sind.
Es sind dies die Orkney-Inseln (Orkaden), die hier wie auch auf
anderen Karten zu einer einzigen zusammengeschweifst sind. Vgl.
hierzu die Pariser Karte und die Pareto-Karte (Entd. Amer. Atlas
Taf. V.). Südlich von dieser liegt eine gröfsere ovale Insel:
56. Inssula destillant la quäl Insel Esthland, wo die norwegische
an la langa \ de noroega e son Sprache herrscht; es sind Christen
crestians. dort.
In dieser falschen geographischen Lage zu den Orkney-Inseln
finden wir sie auf vielen Karten jener Zeit. Wie diese, so sind auch die
Shetland-Inseln als eine einzelne grofse Insel dargestellt und selbst
noch auf Karten des 16. Jahrhunderts. So auf der Karte des Jaume
Olives von Mallorka von 1514 2 ).
Im äufsersten Nordwesten findet sich ein Archipel von acht Inseln.
Questas illes son appellades islandes. Jede trägt noch einen besonderen
Namen; die südöstlichste heifst selbst islanda. Auch auf der Floren-
tiner Karte ist Island in eine Reihe von Inseln aufgelöst.
Auch die der Insel Irland beigefügte Legende ist uns, inhaltlich
wenigstens, durch andere Karten noch belegt.
57. En ibernia a moltes illes Bei Ibernia sind viele Inseln; unter
entre les quals uia una \ que los diesen giebt es eine, wo die Menschen
homens nul temps noy poden morin niemals sterben können ; aber wenn
mes com \ son vels que uolen mo- sie so alt sind, dafs sie sterben
rir son aportats fora la illa | wollen, werden sie von der Insel «fort-
en cara uia vna altra que les geschafft. Gegenüber liegt eine andere
fembres noy poden infaniar \ mes Insel, wo die Frauen nicht gebären
com son determanadas de infantar können, aber wenn die Entbindung
sont aportades fora \ la illa seguns zu erwarten steht, bringt man sie der
costuma en esta illa noya nan- Sitte gemäfs von der Insel fort. Auf
guna serpent \ ne bestia verinosa eben jener (Insel) giebt es keine
Schlange und kein giftiges Tier.
*) Aufser K. Bartsch, Herzog Ernst, S. CXLVIIIff. vgl. über den Magnet-
felsen (adamas, agisUin): Zeitschr. der Gese lisch, f. Erdkunde zu Berlin, XXVI, 1891.
») Atlas Taf. IV, 3. Vgl. noch Fischer, Sammlung S. 46.
216 K - Kretschmer:
Wir haben im ersten Teil der Legende nur einen Nachklang der
Hyperboräer-Sage des Altertums zu erkennen, die auf vielen anderen
Karten des Mittelalters noch zu finden ist. Das fabelhafte Volk der
Hyperboräer wurde im hohen Norden wohnend gedacht, jenseits der
Rhipäischen Berge am Ocean. Sie waren das priesterliche Volk Apollo's,
der alljährlich bei ihnen Einkehr hielt. Durch das Gelübde der ewigen
Unschuld gebunden, kennen sie weder Krieg noch Streit, weder
Alter noch Krankheit 1 ). Noch Roger Bacon berichtet in diesem
Sinne von ihnen (opus maius S. 227): Et haec gens propier aeris salu-
britatem vivit in silvis, gens longaeva, usquequo fastidiant mortem, optima-
rum consueiudinum gens quieta ei pacifica nullt nocens nee ab alia genie
molestatur. Auf unserer Karte ist ihr Wohnsitz auf die Inseln bei Ir-
land verlegt. Zur Wiederaufnahme und Verlegung dieser Sage gerade
dorthin mögen die Nachrichten über die sogenannte Schotten-
mönche mit beigetragen haben. Diese durch Gelehrsamkeit aus-
gezeichneten Mönche unternahmen weite Pilgerfahrten, um in der
Fremde und in der Zurückgezogenheit als Einsiedler zu leben 8 ). Auch
seewärts führten sie ihre Fahrten aus. Von Dicuil (8. Jahrh.) er-
fahren wir, dafs fromme Anachoreten die Faröer und Island aufge-
sucht hätten. Auch die Brandans-Legende berichtet von solchen (se-
nex nimia senectute confectus*).
An der Westküste Irlands findet sich ein Golf mit kleineren Inseln
erfüllt, aufweiche obige Legende Bezug nimmt (moltesüles). Dieser Golf,
der Lacus fortunalus, mit seinen 367 Inseln findet sich auf den meisten
Karten bis in das 17. Jahrhundert hinein vor. Die Inseln wurden
für heilig gehalten 4 ), und deshalb wurden Frauen, worauf der zweite
Teil unserer Legende Bezug nimmt, zur Zeit ihrer Niederkunft von der
Insel entfernt, ein Brauch, der auch im griechischen Kultus ein Gegen-
stück findet.
Die Darstellung der übrigen Inseln im Westen Europas ist die
sonst übliche. Auch zwei jener hypothetischen Inseln des Mittelalters
sind noch vertreten. Unmittelbar westlich von Irland die lila de brezill
in kreisrunder Gestalt, die auf der Pariser Karte als Brandans-Insel
bezeichnet sein soll. Weiter südlich liegt die halbmondförmige Uta de
mam. Über diese habe ich ausführlich berichtet in der Columbus-Fest-
*) Vgl. meine phys. Erdkde. i. Mitt. S. 132. Preller- Robert, Griech.
Mythol. I, 24a ff.
2 ) Über die meist aus Irland (!) stammenden Schottenmönche vgl. Watten-
bach, Deutsch. Geschichtsquellen 5 I, 109. 144.
3 ) Entd. Amer. S. 189 mit Belegstellen.
*) Auf Benincasa-Karten (15. Jahrh.): Lacus fortunatus tibi sunt insule que
dieuntur sanete beate CCCLXVII. Im übrigen vgl. Ent. Am. 190.
Die Katalanische Weltkarte der Biblioteca Estense zu Modena.
217
schrift S. 2 14 ff, ebenso über die Azoren (ebenda S. 179) und die
Madeira-Gruppe.
Eine umfangreichere Notiz ist noch den Canarischen Inseln bei-
gefügt, die hier mit ihren italienischen Namen verzeichnet sind. Es
ist eine von den wenigen Legenden unserer Karte, die in (allerdings
sehr korrumpierter) lateinischer Sprache gegeben sind.
Inseln der Seligen, für welche viele
Namen sich finden, wie Isidorus
sagt im 15. Buch Kapitel . .; vom
seligen Brandan sind sie glückselige
Inseln benannt worden wegen des
Reichtums an jeglichem Gute und der
alles Mafs übersteigenden Fülle von
Früchten. Diese haben die irrige
Volksauffassung und die Lieder der
Dichter wegen der Fruchtbarkeit des
Bodens für das Paradies gehalten.
Denn auf diesen ist eine Masse von
Früchten zu finden, eine Fülle von
Vögeln, von Honig und Milch, eine
sehr grofse Menge von Böcken und
Ziegen, besonders auf der Insel Capra-
ria. Ferner sind dort Hunde von
wunderbarer Gröfse, besonders auf
der Insel Canaria, welche wegen
der Menge dieser mit furchtbarer
Kraft ausgestatteten Tiere so genannt
ist, — und noch viele andere Dinge,
die hier nicht aufgezählt werden.
Die Sage von den Inseln der Seligen geht bis in das graueste
Altertum zurück; die weitere Entwickelung dieser geographischen Le-
gende bis in das Mittelalter habe ich a. a. O. ausführlich genug be-
handelt. —
Die topographische Situation im Innern Europas stimmt mit der aller
übrigen katalanischen und zum Teil auch der italienischen Karten über-
ein. So die Elbe, die aus dem gebirgsumwallten Böhmen (mit Praga)
herausfliefst; der Rhein, der, in seiner Lauflänge stark verkürzt, an
Constantia (Constanz) vortiberfliefst ; die Donau, mit Ratisbona
\ Regensburg), Viena (Wien), Molen o (?) Jaurim (nach Lelewel = Java-
rin, Raab), Insula Sirmia. Die übrigen Namen des inneren Europas
Zeitschr. d. Ges. f. Krdk. Bd. XXXH. 1897. 15
58. Fortunarum insule quarum
multa nomina \ reperiuntur ut di-
ät ysidole (1) L XV capitols \ et
a beato brandano insule fortunate
t/uare \ ab omni bono praeeipite
mensuram fruetuum feeunditate \
eciam insule sunt vocatae qttas
gentilium error \ et carmina poe-
tarum propter solii fteunditatem
paradisum \ esse putaverunt nam
in eis copiam est pomorum et aui-
um multituto mell lac masimam
copiam arietum \ craparum multi-
ludinem specialiter in craparia! (
insula ubi canes mirabile fortitu-
dine et specialiter \ in carnaria
insula quae est muliitudine ignen-
tis! \ fortitudinis sie vocata et
ctiam multa alia que modo non
describuntur.
218 K-* Kretschmer: Die Katalanische Weltkarte der Bibl. Estense zu Modena.
finden sich auch auf den anderen katalanischen Karten und sind von
Buchon, Tastu und Lelewel schon behandelt worden.
NB. Im Juni-Heft der Revista Geogr. Italiana 1897, 282fr. hat A. Magnaghi
den Nachweis zu führen gesucht, dafs der auf S. 66 genannte katalanische Karto-
graph Angelino Dulceti auf Grund des Exemplars in der Corsiniana vielmehr
Angellinus de Dalorco heifsen mtlfste und, wie der Titel seiner Abhandlung
zeigt, ein italienischer Kartenzeichner wäre. Da die Arbeit noch nicht vollständig
erschienen ist, so bleibt abzuwarten, wie der Verfasser sich zu den Ausführungen
Duro's stellen wird.
tf'
Tafel 6.
Zeil
O £7Srrt
Q il v n a, g
SkdGbarth
909m
9t - ' "
w
SaüGhorm,
I
Abbildung 3.
em Sail Gharb und Sail Ghorm diskordant den alten Gneiss (Qn). Beide werden
^Juarzite überlagert. Ueber diesem sind Fucoidenschiefer (/*), Salterellaquarzit (*)
,^pen, so wie es im Vordergrunde unter dem Cnoc na Creige getreu nach der
s<
lt ist Darüber ist im Cnoc na Creige und am Glas Bheinn der alte Gneiss
las Bheinn wird seine Stirn von einem Vorhange kambriseher Schichten bedeckt
aigRoy
IhuiHULs
JUJt Qunmkean
w
ung 5.
och Maree nach B. N. Peaeh.
m Gneiss und wird am Craig Roy diskordant vom kambrischen
e gefaltete Masse von Gneiss, Torridonsandstein und Quarzit der
Diesem sind die Moineschichten auf der Moine-Thrustplane (J,)
bbildung 7.
htlagerung in Nordwest-
hottland.
S.W. Seite des Coinne — mheall.
16.) B Überschiebungen über
ntern Teil des Vorhanges am
Work. Fig. 13) und O auf der
re. (Recent Wort Fig. 17.)
tiW3Kalk
I Moint-Schi&tau
Abbüdung 8.
Faltung ohne Kompression.
Die oben befindlichen Falten sind aus
der unten dargestellten Schichtfolge
hervorgegangen, nicht indem sie seit-
lich zusammengepresst, sondern in der
senkrechten nach oben Nind unten aus-
geweitet wurden.
Geogr.-lith.AnBtu.Steindr v.CL toller. BeiinS
Im Verlag von W. H. Kühl, Berlin W. 8, Jägerstr. 73, erschien:
Die Entdeckung Amerika's
in ihrer Bedeutung
für die Geschichte des Weltbildes
von
Konrad Kretschmer.
Festsehrift
der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin
ZVLT
vierhundertjährigen Feier der Entdeckung Amerika's.
Seine Majestät der Kaiser und König haben die Zueignung der Fest-
schrift seitens der Gesellschaft Allergnädigst zu genehmigen geruht.
Text in Kleinfolio mit 47 1 -f- XXIII Seiten.
Atlas in Grossfolio mit 40 Tafeln in Farbendruck.
Preis beider Bände in Prachtband M. 75.
^= Vorzugspreis für die Mitglieder der Gesellschaft fOr Erdkunde zu Berlin ZZ=
bei Bestellung an den Generalsekretär.
In demselben Verlag erschien ferner:
DREI KARTEN
VON
GERHARD JVIERCATOR
EUROPA - BRITISCHE INSELN - WELTKARTE
Facsimile-Lichtdruck
nach den Originalen der Stadtbibliothek zu Breslau.
Herausgegeben
von der
Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin.
41 Tafeln 68:47 cm in eleganter Mappe.
Preis 60 Mark.
Vorzugspreis für die Mitglieder der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin
bei Bestellung an den Generalsekretär.
Soeben erschien bei W. H. Ktihl, Berlin W, Jägerstr. 73.
Thessalien und Epirus.
Reisen und Forschungen im nördlichen
Griechenland
Dr. Alfred Philippson,
Privatdocent der Geographie an der Universität Bonn.
Herausgegeben
von der
Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin.
(Sonderabdruck aus der „Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu
Berlin", Band XXX-XXXII, 1895- 1897.)
Preis 12 Mark.
XI u. 422 Seiten 8° und Tafeln (Karten und Profile).
Von nachstehendem wichtigen Werke kann ich einige Exemplare
zu bedeutend ermäfsigtem Preise liefern:
The Discovery of Australia.
A critical, documentary and historic investigation concerning the
priority of discovery in Australasia by Europeans before the arrival
of Lieut. James Cook, in the „Endeavour", in the year 1770.
By
George Oollingridge.
Sidney 1895. 376 S. 4 mit zahlreichen Karten u. Abbildungen in Callico gebd.
(Statt M. 25—) M. 12,50.
W. H. Kühl, Antiquariat, Berlin W, 73 Jägerstr.
Für die Redaktion verantwortlich: Hauptmann a. D. Kollm in Charlottenburg.
Selbstverlag der Gesellschaft für Erdkunde. Druck von W, Pormetter in Berlin.
AUG 2 3 1929
■■-q.
ZEITSCHRIFT
l£,£\\
DER
GESELLSCHAFT FÜR ERDKUNDE
ZU BERLIN.
Band XXXII - 1897 - No. 4.
Herausgegeben im Auftrag des Vorstandes
von dem Generalsekretär der Gesellschaft
Georg Kollm,
Hauptmann a. D.
Inhalt.
Morphome-trie des Genfer Sees. Von Dr. Wilhelm Halbfafs. (Hierzu
Tafel))
Seite
219
I Reisen und Forschungen in Nord - Griechenland. Von Dr. Alfred
1 Philippson. Schlufs .244
Hierzu Tafel 7: Kurven zur Morphometrie des Genfer Sees. Von Dr. W. Halbfafs.
LONDON E. C.
SAMPSON LOW & Co.
Fleet-Street.
BERLIN, w.8.
W. H. KÜHL.
1897.
PARIS.
H. LE SOUDIER.
174 & 176. Boul. St. Germain.
Veröffentlichungen der Gesellschaft im Jahr 1897.
Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, Jahr-
gang 1897 — Band XXXII (6 Hefte),
Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin,
Jahrgang 1897 — Band XXIV (10 Hefte).
Preis im Buchhandel für beide: 15 M., Zeitschrift allein: 12 M., Ver-
handlungen allein: 6 M.
Beiträge zar Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde werden mit
50 Mark für den Druckbogen bezahlt, Original-Karten gleich einem Druckbogen
berechnet.
Die Gesellschaft liefert keine Sonderabzüge; es steht jedoch den Verfassern
frei, solche nach Übereinkunft mit der Redaktion auf eigene Kosten anfertigen
zu lassen.
Alle für die Gesellschaft und die Redaktion der Zeitschrift und
Verhandlungen bestimmten Sendungen — ausgenommen Geldsendungen
— sind unter Weglassungjeglicher persönlichen Adresse an die:
„Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin SW. 12, Zimmerstr. 90",
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Die Geschäftsräume der Gesellschaft — Zimmerstrafee 90. II — sind,
mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage, täglich von 9 — 12 Uhr Vorm. und von
4 — g Uhr Nachm. geöffnet.
Verlag von W. H. Kohl, Jägerstrasse 73, Berlin W.
Bibliotheca Geographica
Herausgegeben von der
Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin
Bearbeitet von
Otto Baschin.
Band I. Jahrgang 1891 u. 189a. XVI, 506 S. 8°- Preis M. 10.—.
Band II. Jahrgang 1893. XVI, 383 S. 8°. Preis M. 8-—.
Karte von Südost-Thessalien M. 1.50.
Karte von Eplros und West-Thessalien M. 3. — .
Geologische Karte von Sfldost-Thessallen . . . . M. 2.50.
Geologische Karte von Epirus and West-Thessalien M. 4.50.
Nach den vorhandenen Quellen und eigenen Aufnahmen von
Dr. Alfred Fhilippson,
Herausgegeben von der
Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin.
Maafsstab i : 300 000.
Morphometrie des Genfer Sees.
Von Dr. Wilhelm Halbfafs.
(Hierzu Tafel 7.)
I. Einleitung.
Orometrien, d. h. morphometrische Untersuchungen über Gebirge
und Gebirgszüge besitzen wir eine ganze Reihe *), auch die Literatur,
über volumetrische Berechnungen gröfserer Landmassen, Erdteile und
Oceane ist nicht unerheblich gewachsen 2 ), dagegen liegt die Morpho-
metrie der Seen noch sehr im Argen. Sieht man von morphometri-
schen Bearbeitungen kleinerer und mittelgrofser Seen, wie sie z. B.
O. Marinelli 8 ) für eine Reihe von Seen der italienischen Alpen,
Peucker 4 ) für die Koppenteiche im Riesengebirge, Müllner 5 ) für die
Seen des Salzkammgutes, ich selbst für den Arend-See iu der Alt-
mark 6 ) unternommen haben, ab, so besitzen wir nur von einem einzigen
gröfseren mitteleuropäischen See eine monographische Bearbeitung
nach dieser Richtung, es ist die „Morphometrie des Bodensees"
von A. Penck, abgedruckt im Jahresbericht der Geographischen Ge-
sellschaft in München 1894. Ein Aufsatz von Etienne Ritter „Morpho-
1 ) In Peucker's Beiträgen zur orometrischen Methodenlehre, Breslau 1890,
S. VI ff. findet man die Literatur bis 1890 verzeichnet; seitdem sind noch eine
Reihe monographischer Bearbeitungen über die Gestaltungsverhältnisse von Ge-
birgen erschienen.
2 ) Aus der neuesten Literatur vergl. Penck, Morphologie I, 33 fF; Karstens,
eine neue Berechnung der mittleren Tiefen der Oceane, Kiel 1894, und H. Wagner,
Areal und mittlere Erhebung der Landflächen in: Gerland's Beiträgen zur Geo-
physik II, 167 ff. Stuttgart 1895.
8 ) Eine vollständige Übersicht seiner Arbeiten in „Area, profonditä ed altri
elementi dei principali laghi italiani" in: Riv. Geogr. Ital. Vol. I, fasc. 9 und 10,
II, fasc. 1 und a
4 ) Morphometrie der Koppenteiche, Separatabdruck aus dem „Wanderer im
Riesengebirge*', Hirschberg 1896.
b ) Die Seen des Salzkammer gutes in: Penck's Geogr. Abhandlungen VI, 1
Wien 1896.
6 ) Siehe Mitt. d. Ver. f. Erdk. zu Halle 1896, S. iff. und Peterm. Mitteil-
1896, Heft 8; vgl. auch über die Eifelmaare, ebenda 1897» Heft 7.
Zeitschr. d. Ges. f. Erdk. Bd. XXXII. 1897. 16
220 w - Halbfafs:
mdtrie du Lac Majeur im Globe, Journal gdographique de la Socitfte
de Geogr. de Geneve, tome 35, 5 me se>., ist keine Morphometrie des
Langensees im Sinne Penck's, da er nur kurze Angaben über Areale,
Volumen und mittlere Böschungswinkel von Tiefenstufen im Abstände
von je 50 m enthält und daher durchaus keine erschöpfende arith-
metische Darstellung von diesem Becken liefert.
Der Mangel an zahlenmäfsig durchgeführten Einzeluntersuchungen
von Seen gegenüber zahlreichen oceanometrischen Arbeiten kann nicht
überraschen, wenn man Zweck und Ziel beider Untersuchungen ins
Auge fafst. Bei letzterer kommt es angesichts der kolossalen Aus-
dehnung des Objekts lediglich auf Mittelwerte an; dazu genügen
eine sehr mäfsige Anzahl geloteter Punkte und Tiefenkarten, an deren
Exaktheit man keinen allzustrengen Mafsstab anlegen darf. Dahin-
gegen erheischen die morphometrischen Verhältnisse kleinerer fest
abgeschlossener Becken die Beantwortung von Problemen, die bei der
Untersuchung von Oceanen und Erdteilen gänzlich unbeantwortet
bleiben müssen, weil es vor der Hand wenigstens an dem nötigen
Beobachtungsmaterial fehlt. Die Limnologie beschäftigt sich, wie sich
Forel auf dem Londoner Internationalen Geographen-Kongrefs so treffend
ausdrückte, mit einem in sich geschlossenen Organismus, dessen Zu-
Standsänderungen und Erscheinungen sie verfolgt und, wo es angeht,
zahlenmäfsig darstellt. Ich möchte die Beschäftigung mit diesem Zweige
der geographischen Wissenschaft mit sozialstatistischen Untersuchungen
über die wirtschaftliche Lage eines eng begrenzten Gemeinwesens
oder einer Korporation vergleichen, während die Massenbeobachtung
der Volks- und Gewerbezählungen in einem ganzen Lande mit oceano-
graphischen Arbeiten Ähnlichkeiten besitzt. Wie die genaue Durch-
forschung eng umgrenzter Objekt in manchen Fällen die Wirksamkeit
sozialer Faktoren mindestens ebenso sicher wie die Massenbeobachtung
erkennen läfst, so ist der Limnologe oft in der Lage, an seinem viel
kleineren Objekt sozusagen experimentieren und das Verhältnis von
Ursache und Wirkung ergründen zu können, wo der Oceanograph bei
{» dem unverhältnismäfsig gröfseren Objekt seiner Forschungen vorläufig
noch nicht über Einzelbeobachtungen hinausgehen kann.
Diese Vorzüge eignen besonders dem messenden Teile der Lim-
nologie, den man Limnometrie zu nennen leicht in die Versuchung
kommt, obwohl dieser Name fast gleichlautend mi: dem Worte
*' Limnimetrie ist, worunter man nach Forel's Vorgang die Messung
der Höhe des Seespiegels, also nur einen ganz speziellen Teil der
messenden Seenkunde, versteht. Damit aber die Folgerungen, die man
aus den Messungen zieht, Anspruch auf Exaktheit erheben können,
ist es natürlich erforderlich, dafs diese selbst in ausreichendem Mafs
i
V
l
Morphometrie des Genfer Sees. 221
und vollkommen zuverlässig vorgenommen sind, und an diesem Punkt
scheitern in den meisten Fällen die limnometrischen Untersuchungen.
Denn unmöglich kann man Tiefenkarten von Seen mäfsiger Gröfse,
in denen die Isobathenkurven im Abstand von je 50 m eingezeichnet
sind, wie z. B. die Karten der grofsen oberitalienischen Alpenseen, in
dem Mafs exakt nennen, dafs sie als endgiltiges Material für morpho-
metrische Folgerungen dienen dürfen 1 ).
Die beiden bestbekannten und am meisten durchforschten
gröfseren Seen Europas sind ohne Zweifel der Boden see und der
Genfer See. Die neueren Untersuchungen über den Bodensee sind
zumeist in den „Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees
und seiner Umgebung", Heft 22 ff., diejenigen über den Genfer See
in F. A. Forel's klassischem Buch „Le Le*man, Monographie limnolo-
gique", von dem der erste Band, in Lausanne 1892 erschienen, den
geographischen, hydrogeographischen, geologischen, klimatologischen
und hydrologischen Teil behandelt, der zweite Band, Lausanne 1895,
die hydraulischen, thermischen, optischen, akustischen und chemischen
Erscheinungen bespricht, während der dritte noch nicht erschienene
Band sich mit den biologischen, historischen und anthropogeographi-
schen Teilen beschäftigen wird. Es ist ein Standard work" für die
Limnologie im höchsten Sinne des Wortes, wie es nicht leicht in
anderen geographischen Disciplinen existiert, hervorgegangen aus viel-
jähriger, umfassendster und intensivster Beschäftigung mit dem See
und seinen Gestaden. Einen bescheidenen Beitrag zur morpho-
metrischen Kenntnis des Genfer Sees zu liefern, ist meine Absicht,
indem ich mich dabei meist an das klassische Beispiel, das Penck
durch seine Morphometrie des Boden-Sees gegeben hat, anlehne; es
wird sich dabei Gelegenheit bieten, auf allgemeinere arithmetische
Darstellungen geographischer Verhältnisse einzugehen und einige Ab-
weichungen von Penck's Auseinandersetzungen über Morphographie
und Morphometrie in seiner Morphologie (I, S. 33—95) etwas näher
zu begründen.
IL Ermittelung der Grundwerte.
Als Grundlage diente mir neben Forers Werk die Tiefenkarte
des Genfer Sees, die A. Delebecque in seinem „Atlas des Lacs Fransais",
I. Lieferung, Paris 1892, im Mafsstab 1 : 50000 erscheinen liefs. Sie
l ) Die Werte, welche Peucker in seiner überaus dankenswerten Übersicht
über die europäischen Seen nach Meereshöhe, Gröfse, Tiefe, Volumen, Böschungs-
winkel u. s. w. anfuhrt (Geographische Zeitschrift II, 11), beruhen zum Teil auf solchen
ungenauen Karten und sind daher mit einiger Vorsicht zu gebrauchen. Vgl. meinen
Aufsatz im „Globus" Band LXXI Nr. a u. 6.
IG*
222 w Halbfafs:
ist eine Isobathenkarte, d. h. die Niveaulinien, die sich meist in verti-
kalem Abstand von je 10 m, zum Teil 5 m einander folgen, beziehen sich
auf das mittlere Niveau des Genfer Sees bei Mittelwasser, dieses
1.772 m oberhalb der Höhenmarke am Felsen von Niton bei Genf
(RPN) gedacht. Die Höhe von RPN wird bei Delebecque zu
372.28 m über dem Mittelmeer angenommen. Von dieser Karte weicht
die vom Eidgenössischen Topographischen Bureau unter dem Titel
„Carte des sondages du Lac Le'man" in demselben Mafsstab heraus-
gegebene Karte, aufweiche sich Forel (1, 38, 152) bezieht, in zwei Punkten
ab. Zunächst ist sie keine Isobathen-, sondern eine Isohypsen-
Karte, in der die Niveaulinien im Abstand von je 10 m vom Meeres -
niveau an gezeichnet sind, d. h. sie entsprechen den Meereshöhen
370 m, 360 m, 350 m . . ., also den Tiefen 5.3, 15.3 u. s. w. So wertvoll
diese Anordnung für geographische und geologische Fragen ist, weil
sie allein die Bodengestaltung der Seewanne in Bezug auf ihre Um-
gebung richtig hervortreten läfst 1 ), so ist doch zweifellos für rein
morphometrische Zwecke eine Isobathenkarte, bezogen auf das
Seeniveau, viel bequemer und handlicher, dafs dadurch wohl der
Mangel ausgeglichen wird, dafs Delebecque's Karte keine Original-
karte ist. Übrigens ist ja auch jene schweizerische Karte nur eine
photolithographische Reduktion der eigentlichen Originaklarte im
Mafsstab von 1 : 25000, und man darf unbedenklich Delebecque's
Karte dasselbe Vertrauen schenken, zumal wenn man bedenkt, dafs von
der Gesamtzahl von 11 955 Lotungen 4338 auf Delebecque und seine
Gehilfen kommen. Die zweite Abweichung der von mir als Grundlage
benutzten Karte von der „Carte des Sondages du Lac Le'man" beruht in
einem anderen Nivellement des Punktes RPN. Während die
Schweizer Topographen diesen Punkt zu 376.86 m annehmen, stützt
sich die französische Aufnahme auf das Nivellement 375.054 m.
Forel (I, 21) hat gezeigt, dafs die zuerst genannte Zahl um 3.4 m
erniedrigt werden mufs, um den Anschlufs an das preufsische und
französische Nivellement möglichst zu erreichen, sodafs er als absolute
Höhe des Genfer Sees 373.5— 1.6 = 371.9 oder rund 372 m festsetzt 2 ).
Delebecque nimmt dagegen eine Höhe von 372.28 m, d. h. eine rund
um 30 cm höhere Zahl an und kommt dadurch naturgemäfs zu einer
30 cm geringeren Maximaltiefe als die Schweizer, nämlich zu 309.4 m.
1 ) Diese Methode findet z. B. Anwendung in dem von Penck und Richter
herausgegebenen Atlas der österreichischen Alpenseen, auf allen Karten des Sieg-
fried-Atlas der Schweiz, der Carta Idrografica del Verbano u. s. w.
2 ) Da die schweizerische Karte eine Isohypsenkarte ist, so ist die absolute
Höhe des Sees auf die Niveaulinien im See ohne Einflufo.
Morphometrie des Genfer Sees. 223
Man sieht, der Unterschied ist schliefslich unbedeutend und drückt
jedenfalls die Brauchbarkeit der Delebecque'schen Karte in keiner
Weise herab.
Die Lotungen selbst sind mit den besten Insrumenten und mit
der gröfsten Sorgfalt ermittelt (vgl. die Darstellung bei Forel I, 33ff.)
und stehen an Genauigkeit sicherlich hinter keiner limnologischen
Aufnahme zurück; sie sind sämtlich in der Delebecque'schen Karte
durch Punkte kotiert, ihre Anzahl — etwa 20 auf 1 qkm — bürgt für
die relativ vollständig ausreichende Kenntnis des Seebodens, sodafs nach
dieser Richtung hin Bedenken gegen eine morphometrische Aus-
beutung nicht wohl erhoben werden können. Im Bodensee — 11147
Lotungen — sind von der schweizerischen Abteilung auf 1 qkm 20.7
Punkte, von der badischen Abteilung 29.3 Punkte gelotet worden,
letztere meist nur im Überlinger See. •
III. Das Areal.
Nach der Delebecque'schen Karte habe ich durch wiederholte
Messungen mit einem Amsler'schen Polarplan imeter, dessen ich mich
auch bei der Ausmessung der Isobathen karte bediente, das Areal des
Genfer Sees zu 582.46 qkm gefunden. Dieses Resultat weicht von der
Delebecque'schen Zahl (582.36), die Forel (I, 26) adoptiert hat, nur um
0,1 km, also um eine relativ verschwindend kleine Gröfse ab. Von dem
Gesamtareal treffen nach meiner Messung auf den sog. Grand Lac
(s. u.) 500.66 qkm, auf den Petit Lac 81.80 qkm, während die Forel'-
schen Zahlen 503.5 bzw. 78.8 qkm sind. Ich kann mir diese Ab-
weichung nicht erklären, denn ich habe genau nach Forel's Definition
(I, 25) beide Teile des Sees für sich ausgemessen. Forel giebt näm-
lich als Grenze beider Teile die nur 3.4 km breite Stelle des Sees
zwischen dem Vorsprung von Promenthoux an der schweizerischen
Nordküste und dem von Nernier an der savoyardischen Südküste an,
zwei Punkte, die auf der Seekarte scharf und unzweifelhaft hervor-
treten. Über die morphometrischen Unterschiede beider Seeteile s. S. 229.
Dem Mittelwasser-Areal stehen gegenüber die Areale bei Hoch-
und bei Niederwasser. Nach Forel, der in dem Abschnitt „Limni-
mdtrie" (Le Ldman I, 451fr.) sich sehr ausführlich über die periodischen
und aperiodischen Schwankungen des Niveaus verbreitet, war der
höchste Wasserstand (am 16. Juli 181 7) 1.486 m über dem Mittel-
wasser, dieses zu RPN — 1,6 m angenommen, der niedrigste (am
18. Februar 1830) 1.176 m unter demselben, woraus eine Maximal-
schwankung von 2.662 m folgt. Die jährliche Abweichung vom
Mittel betrug durchschnittlich nach oben 0.884 m, nach unten 0.658 m.
Nimmt man nun willkürlich an, dafs innerhalb dieser Zone das Ufer
224 w - Halbfafc:
durchweg dieselbe Böschung besitzt wie der Seeboden durchschnitt-
lich (etwa. 3 ), so bedeckt der Genfer See in seinem höchsten Wasser-
stande 590.65 qkm (-f- 8.19 qkm), in seinem tiefsten Stande 576.05
qkm (-6.40 qkm). Die gesamte Amplitude beträgt demnach v.i
den höchsten und niedrigsten Wasserstand, der bis jetzt beobachtet
und gemessen wurde, 14.59 qkm = 25°/ 00 des mittleren Areals, davon
treffen i6°/ 00 auf die Vermehrung, 9°/ 00 auf die Verkleinerung. Beim
Bodensee (Penck, 134) beträgt das strittige Areal relativ und absolut be-
deutend mehr, nämlich 64.80 qkm (46,15 qkm treffen den Obersee,
18.65 qk m den Untersee), d. h. '/» oder i25°/ 00 des Mittel-Areals. Die
jährlichen Schwankungen betragen durchschnittlich 7.12 qkm (h-4-66,
— 3.46) = i4°/ 00 der mittleren Fläche 1 ). Die Gründe, warum der
Genfer See und der Bodensee nach dieser Richtung hin eine so be-
deutende Abweichung aufweisen, beruhen teils auf den stärkeren
Schwankungen des Seeniveaus in vertikaler Richtung, die beim Bodensee
nahezu 4 l / 2 m betragen, teils auf dem Umstände, dafs namentlich der
Obersee auf relativ flacherem Ufer tibertritt, als der Genfer See, nur zum
kleinen Teile trägt die geringere halbe mittlere Breite des Bodensees
(4.6 km gegen 4 km des Genfer Sees) zu dem verschiedenen Verhalten
beider Gewässer bei. Vergleicht man übrigens die mittleren jähr-
lichen Schwankungen beider Seen mit einander (Genfer See 1.542 m f
Bodensee 2.12 m*), so ergiebt sich eine bedeutend gröfsere Über-
einstimmung. Ueber die Volumen-Änderungen in Folge der Niveau-
Schwankungen s. S. 228. Das oben mitgeteilte Areal des Sees bezieht
sich streng genommen nur auf seine Projektion auf das Meeresniveau;
die der Erdkrtimung entsprechende wahre Fläche ist etwas gröfser, sie
läfst sich nach Penck, Morphologie I, 52 nach der Formel x = G
2H
(H ) berechnen, wo (x die wahre Fläche, G ihre Projektion. H
ihre mittlere Meereshöhe, r der Radius der Erdkugel bedeutet. Der
Zuwachs beträgt aber nur 0.0685 qkm, em e Gröfse, welche völlig in
den Grenzen der Fehlermöglichkeiten fallt, da die Hundertel der qkm
nicht mehr verbürgt werden können. Für die übrigen Isobathenflächen
ist der Zuwachs natürlich noch weit geringer; ich habe es daher unter-
lassen, sie in der betreffenden Tabelle besonders aufzuführen.
1 ) Ungefähr läfst sich dies Areal des Sees in Millionen qra beim Steigen oder
Fallen um h m nach der Formel: 582.46 (1 db 0.0095 h) berechnen, sofern es sich
um geringe Schwankungen handelt.
2 ) Schriften des Bodensee- Vereins, Heft 22, S. 14.
Morphometrie des Genfei Sees. 225
IV. Länge und Breite.
Der direkte Abstand der beiden von einander entferntesten Ufer-
punkte Genf und Chillon beträgt nach Forel (1,25) 63.4 km. Nach
der „Table des Distances kSlome*triques d'un point ä un autre du Lac
de Gdneve" (G£neve 1893) beträgt die Entfernung zwischen den Dampfer-
Anlandeplätzen in Genf und Villeneuve 69.7 km. Beide Linien, die
zu einem grofsen Teil nicht den See, sondern das anliegende Land
treffen, kommen für die wahre Länge des Sees, worunter man nur die
durch den See hindurchgehende Mittellinie verstehen darf, nicht in
Betracht; letztere beträgt nach Forel 72.3 km. Ein- und Ausmündung
der Rhone sind 58 km von einander entfernt.
Die gröfste Breite zwischen dem Golf von Morges und dem von
Amphion beträgt 13.8 km; dividiert man das Areal durch seine gröfste
Länge, so erhält man für die mittlere Breite des Sees 8.1 km. Ver-
gleichen wir Bodensee und Genfer See mit einander, so erhalten wir
folgende kleine Tabelle.
Größte
Gröfete Entf. z wisch. Ein- u.
Gröfete Mittlere
Luftlinie.
wahre Länge. Ausmünd. d. Zuflusses.
Breite. Breite.
Genfer See 63.4
72.3 S8.0
13.8 8.1
Bodensee 69.0
7S.O 62.0
V. Volumen.
I3.° 7.i8
Das Volumen des Genfer Sees habe ich nach fünf verschiedenen
Methoden berechnet. Zunächst wurde der durch die im Abstand von je
10 m (bzw.. 5 m) gelegten Isobathenflächen das gesamte Volumen
in Tiefenschichten zerlegt und jede einzeln berechnet, und zwar erstens
1 «- ^ ~,. (r 2 -ho 2 -\-ro)aA ,. _ „ ,
als Kegelstumpf angesehen (V = - — — , die Resultate finden
sich Tabelle I Spalte 13, sodann nach einer von Penck (I, 79) entwickel-
ten Formel V = s 2 h -h (s x — s. 2 ) -~ — TT 2 — ; hierin bedeuten s l
u i + U 2 3
und s a die Grenz-Isobathenflächen, h ihr vertikaler Abstand von ein-
ander, V l und U 3 die Grenz-Isobathen. Die Resultate dieser Be-
rechnung, die natürlich nur dann möglich ist, wenn man die Länge
üi -h 2 U 2
der Isobathen kennt, finden sich Spalte 14; die Ausdrücke für — 1 T rT
Uj -t- u 2
— , die Penck die mittleren Höhen der betreffenden Tiefenstufen
3
nennt, für sich ausgerechnet Spalte 9. Drittens wurde die Simpson'sche
226 w - Halbfafe:
Kubierungsformel V = — (s, + 4S0 + s ;) ) angewandt und in Spalte 15
ö
mitgeteilt; diese Formel, die im allgemeinen mit Recht als die beste
und sicherste gilt, leidet bekanntlich unter dem Nachteil, dafs man mit
ihr nur das Volumen je zweier aufeinander folgender gleich hoher
Schichten zusammen berechnen kann; im vorliegenden Falle aber
konnte dieser Nachteil dadurch leicht ausgeglichen werden, dafs zuerst
die Tiefenstufen o — 20, 20 — 40 u. s. w., dann 10 — 30, 30 — 50 u. s. w. be-
rechnet wurden. Da nun aber auch die Stufe o— 10 berechnet werden
konnte, weil die Isobathenfläche von 5 m bekannt war, so liefs sich
dadurch mit leichter Mühe das Volumen jeder Tiefenschicht mittelst der
Simpson'schen Formel ausmitteln, natürlich mit Ausnahme der aller-
untersten Schicht, wo ich für die Maximaltiefe 309.7 m die Tiefe von
310 m substituierte, selbstverständlich auf Kosten der Genauigkeit.
Weiter ermittelte ich die Volumina jeder Tiefenstufe nach der oft
angewandten Methode der Mittelbildung v= -- — - ' (Spalte 16)
und schliefslich wandte ich die graphische Methode an, indem ich
die hypsographische Kurve konstruierte (Tafel 7, Abbild. 1), deren
Abscissen bekanntlich die einzelnen Isobathenflächen und deren Or-
dinaten die zugehörigen Grenzhöhen sind (Penck I, 43), und die
Fläche zwischen der Kurve und den äufsersten Koordinaten plani-
metnsch ausmafs.
Die Resultate, die ich gefunden habe: 89.59 cbkm, 89.54 cbkm,
89.896 cbkm, 89.922 cbkm und 90.56 cbkm, sind zwar von völliger
Übereinstimmung weit entfernt, weichen aber, wenn man von der
graphischen Kubierung absieht, die naturgemäfs ungenau ausfallen
mufste, weil in der Zeichnung die Flächeneinheit der Kurvenfläche ein
zu grofses Volumen darstellt - - 1 qcm = 0.4 cbkm — , unter einander
nicht allzusehr ab, nämlich nicht mehr als höchstens 0.4% vom kleinsten
Volumen; eine noch viel gröfsere Übereinstimmung erhält man, wenn
man das unter 300 m gelegene Volumen — etwa 4 cbkm — aufser Be-
tracht läfst, und nur die Volumina der zwischen o und 300 m ge
legenen Tiefenstufen mit einander vergleicht. Sieht man sich die
durch die verschiedenen Methoden gefundenen Werte für jede einzelne
Tiefenstufe genauer an, so ergiebt sich zunächst eine sehr grofse Über-
einstimmung der Werte in Spalte 13 und 14, fast durchweg betragen die
Abweichungen nur Bruchteile von Millionen Kubikmeter oder von
Tausendsteln von Kubikkilometern; manchmal stimmen sie sogar ganz
genau mit einander überein. Gröfsere Abweichungen finden sich nur
in den Stufen 60 — 70 m (0.004 cbkm), 270 — 280 m (0,003 cbkm) und
fi 290—300 (0.002 cbkm), durchweg zu Gunsten der reinen Kegelstumpf-
i
Morphometrie des Genfer Sees. 227
Methode. Der Unterschied im Gesamtergebnis beträgt nur 0.05 cbkm,
also immerhin innerhalb der natürlichen Fehlergrenzen, sodafs sich die
Anwendung beider Methoden wohl empfiehlt. Auf der anderen Seite
zeigen die Resultate in Spalte 15 und 16 nur die unbedeutende Ab-
weichung von 0.028 cbkm. Durchweg sind die Posten etwas gröfser
als in Spalte 13 und 14, am gröfsten in den Stufen von 270 m abwärts;
jedoch weisen eine Reihe von Stufen so gut wie gar keine Unterschiede
auf. Indem ich mich wie Penck bei der analogen Kubierung des Boden-
sees durchweg auf die Resultate der Berechnung nach der Simpson'-
schen Formel stützte, die tiefsten Stufen nach der Mittelbildung fest-
setzte und dort, wo sich erheblichere Differenzen mit den auf andere
Weisen gefundenen Werten ergab, diese gegenseitig aufteilte, berechnete
ich Spalte 14 für das Volumen jeder Tiefenstufe einen wahrscheinlichen
Wert in Millionen cbm, deren Einer indefs nicht völlig verbürgt
werden können. Als Resultat stellt sich als wahrscheinliches Volumen
89.9 cbkm heraus, etwa 0.3 cbkm mehr als das nach der Kegelstumpf-
Methode berechnete, dagegen 0.98 cbkm mehr als das von Forel
(I, 27) adoptierte, von Delebecque berechnete Volumen von 88920664.000
cbm. Forel selbst hatte auf Grund der Karte in 1 : 100000 im „Atlas
Dufour" 89.7 cbkm berechnet, wovon meine Berechnung nur um 0.2 cbkm
abweicht. Woher die immerhin beträchtliche Differenz von nahezu
1 cbkm gegenüber der Delebecque'schen Berechnung rührt, weifs ich
nicht; einen Rechenfehler meinerseits'glaube ich ausschliefsen zu müssen l ).
In Spalte 18 habe ich die °/ 00 berechnet, die vom Gesamtvolumen auf
jede Tiefenstufe fallen und in Spalte 20 und 21 die Zahlen, welche das
Gesamtvolumen der unter einer bestimmten Stufe liegenden Wasser-
masse angeben. Auf Grund derselben habe ich (Abb. 4) eine Kurve
konstruiert, die ich kurz die Volumenkurve nenne. Die Tiefen
geben die Abscissen, die bezüglichen Volumina die Ordinaten; man
erkennt aus ihrem Verlauf deutlich, dafs die Abnahme des Volumens
mit der zunehmenden Tiefe durchaus keine ganz regelmäfsige ist.
Für die Stufen von 50 zu 50 m ergiebt die Summation der wahr-
scheinlichsten Werte folgende Volumina in Millionen Kubikmetern:
m — 50 50—100 100—150 150 — 200 200 — 250 250 — 300 300 — 309
25 950 20 094 15 835 12 574 9 141 5 848 408.
Weil die Isobathenflächen, die zur Berechnung der Volumina die-
nen, nur die Projektionen der wahren Flächen auf das Meeresniveau
!) Die Differenz liegt nicht etwa daran, dafs das schweizerische Nivellement
von dem französischen abweicht oder dafe Delebecque von einer geringeren Maximal-
tiefe ausgeht; denn in beiden Fällen würde die Differenz noch weit unter 100
Millionen cbm bleiben.
228 w - Halbfafs:
sind, nicht diese selbst, so bedürfen die mitgeteilten Zahlen theoretisch
sämtlich noch einer Korrektur, welche aber, weil innerhalb der metho-
dischen Fehlermöglichkeiten fallend, vernachlässigt werden darf und
daher unberücksichtigt blieb.
Die Zunahme an Volumen bei höchstem Wasserstand gegenüber
demjenigen bei Mittelwasser beträgt 870 Millionen cbm = io /w, die
Verminderung, dem tiefsten Stand entsprechend, 681 Millionen cbm = 7 %.,
die gesamte Amplitude demnach 1551 Millionen cbm = 17 °/oo oder V»
(beim Bodensee »/a 7 ). Das mittlere Maximum (s. S. 223) ergiebt ein Plus
von 517 Mill. cbm = 6 7ooi das mittlere Minimum ein Minus von 382
Millionen cbm = 4%o> mithin die Amplitude der jährlichen Schwan-
kungen 899 Mill. cbm = io7oo = V100 des Mittel-Volumens 1 ). Die mitt-
lere Tiefe des Genfer Sees ergiebt sich aus dem Quotienten - ;
Areal
bei Mittelwasser zu 154.4 m, bei Hochwasser 153.7 m, Tiefwasser 154.9,
bei mittl. Max. 154.0, bei mittlerem Minimum 154.6, wächst also mit
Sinken des Wasserspiegels. Dieselbe Thatsache fand Penck am Ober-
see, während der Untersee sich grade umgekehrt verhält.
Das Verhältnis der mittleren Tiefe zur Maximaltiefe,
meiner Ansicht nach das wichtigste limno metrische Zahlenverhältnis über-
haupt, ergiebt sich beim Genfersee aus folgender Zusammenstellung,
die auch die Zahlen des Bodensees mit umfafst:
Mittelwasser Hochwasser Niederwasser
Mittleres Mittleres
Maximum Minimum
Genfer See 0.498 0.494 0.502 0.497 0.501
Bodensee 0.357 0.339 °-373
Obersee 0.397 0.380 0.41 1
Der Bodensee liefert also erheblich kleinere Zahlen als der Genfer
See, und dieses Verhältnis ändert sich nur wenig zu Gunsten des
Bodensees, wenn wir für ihn das abgeschlossene Becken des Ober-
sees setzen. Weitere Beweise dafür, dafs der Genfer See nicht nur
absolut, sondern auch relativ viel wasserreicher als der Bodensee,
lernen wir im nächsten Abschnitt kennen.
Tabelle II und III geben die nach denselben Methoden ermittel-
ten Volumina der beiden Teile des Sees wieder, und zwar die des Petit
Lac auchnoch innerhalb derStufen'50— 55 m, 55— 60 m, 60 — 65m, 65 — 70m,
70—75 m. Die Methode mittelst der Isobathen fiel natürlich fort. Für
l ) Bleibt die Zu- und Abnahme des Wasserspiegels in mäfsigen Grenzen, so
kann man die Volumen-Änderung in Mill. cbm nach der Formel 582 46 (h ^ 0.0095 h*)
berechnen, wo h die Zu- oder Abnahme in m bezeichnet.
Morphoraetrie des Genfer Sees. 229
ien Petit Lac weichen die gefundenen Werte nur in den Schichten
So — 65 m, 65 — 70 m, 70 — 75 m erheblich von einander ab, die gröfste
Differenz für eine 10 m Stufe beträgt 4 Mill. cbm, immerhin nahezu 4%
des betr. Volumens. Das Gesamtresultat ergiebt die Werte 3.0703,
3.0768 und 3.0756 cbkm, als wahrscheinlichsten 3.076 cbkm, worauf
eine mittlere Tiefe von 37.6 m = 49.4$ der Maximaltiefe folgt. Noch
gröfsere Übereinstimmung im einzelnen weist die Volumenreihe der
Tiefenstufen bei dem Grand Lac auf, die einzigen gröfseren Ab-
weichungen finden sich in den Stufen o — 5 m (Differenz 4 °/„ ), 290 bis
300 m (Differenz 9%o) und 300 — 305 m (Differenz 4$). Die Resultate
86.821 cbkm, 86.832 cbkm und 86.831 cbkm reichen nicht 1 %o von einander
ab. Der wahrscheinlichste Wert ist 86.832 cbkm, mithin eignet dem
Grand Lac eine mittlere Tiefe von 173 7 m, d. h. 56 % der Maximaltiefe.
Die für den Petit Lac und den Grand Lac ermittelten Zahlen weichen
von den Angaben Forel's (I, 28) nicht unbedeutend ab. Forel nimmt
nämlich für den Petit Lac eine mittlere Tiefe von 41 m, für den Grand Lac
eine solche von 172 m an. Legt man die in Forers Werk mitgeteilten
Werte für Areal und Volumen zu Grunde, so erhält man auch etwas
andere Werte, nämlich
Areal
Volumen
Mittlere Tiefe
qkm
cbkm
m
Petit Lac
503.5
86.8
40.6
Grand Lac
78.8
3-2
172.4
Folgende kleine Tabelle veranschaulicht den Anteil, den beide
Seeteile an Areal und Volumen vom Genfer See in denjenigen Tiefen-
stufen besitzen, die in beiden vorkommen.
Areal
V
olumen
Tiefenstufe
Grand Lac
Petit Lac
Grand Lac
Petit Lac
qkm
%
qm
* *
Mill. cbm
*
in Mill. cbm %
0—15 m
17.02
59-7
H.50
40.3
2460
85
37»
15
5— IO n
6.20
50.0
6.20
50.0
2400
88
335
12
10—20 „
6.74
54.2
5-70
45-8
4742
88
610
12
20-30 „
9.26
60.7
6.00
393
4662
89
557
11
30-40 ,,
I3'6o
59-7
9.20
40.3
4547
90
479
10
40—50 »
14.20
54.o
I2.IO
46.0
4406
92
375
8
5°-6o „
14.70
53.i
13-00
46.9
4262
64
249
6
60-70 „
17-49
51.3
16.41
48.7
4100
98
88
2
70-80 „
14.91
89.3
I.79
10.7
3939
100
5
Der beinahe sechs mal kleinere Petit Lac besitzt also in den Tiefen-
stufen 5—10 m das gleiche Areal wie der Grand Lac, in den Tiefen-
230 w - Halbfafe:
stufen 10— 20 m, 40—50111, 50—60111, 60-70111 nahezu das gleiche.
An dem Volumen des Genfer Sees beteiligt sich der Petit Lac nur in
den Tiefenstufen bis 40 m mit einem Betrage bis zu 10 %, während von
dem Gesamt-Volumen des Sees 96.6 % auf den Grand Lac und 3.4 %
auf den Petit Lac entfallen.
VI. Die Böschung.
In der Morphometrie eines Sees ist das Kapitel von der Böschung
das schwierigste, aber auch das interessanteste, weil der Methoden und
Möglichkeiten die Böschungsverhältnisse von Seen arithmetisch fest-
zustellen und miteinander zu vergleichen, sehr viele sind, ohne doch,
wie es mir scheint, das ganze Gebiet völlig auszuschöpfen. Tabelle I
enthält das vollständige Zahlenmaterial; die hypsographische Kurve (Areal-
Kurve), die hypsoklinographische und die von mir konstruierte Volumen-
Kurve dienen zu ihrer Veranschaulichung (Tafel 7).
Zunächst enthält Spalte 7 die Areale der einzelnen Tiefenstufen von
10 zu 10 m, aufserdem noch für die Stufen o — 5 m, 5 — 10 m, 300 — 305 m,
305— 308 m, 308— 309 m und unter 309 m; Spalte 8 giebt an, wieviel
pro Mille vom Gesamt-Areal auf jede Tiefenstufe entfällt. Man erkennt
bald, dafs die Tiefenstufen durchaus nicht von oben nach unten zu
abnehmen, wie es z. B. bei dem Bodensee mehr oder minder der
Fall ist, sondern dafs gröfsere und kleinere Areale beständig mit ein-
ander abwechseln und nicht selten die tiefer gelegene Stufe beträchtlich
gröfser ist als die benachbarte höhere Stufe. Nach dieser Hinsicht
vergl. man z. B. die Stufen 20 — 30 m mit 30 — 40 m, 90 — 100 m mit
100 -110 m, 190 — 200 m mit 200 — 210 m, 250 — 260 m mit 260 — 270 m,
280 — 290 m, mit 290— 300 m. Daraus folgt unmittelbar, dafs der See-
boden nicht gleichmäfsig geböscht ist. Dieselbe Thatsache springt bei
einem Blick auf die hypsographische oder Arealkurve ohne weiteres
in die Augen; diese kehrt nämlich der Abscissen-Achse bald die konvexe,
bald die konkave Wölbung zu. Auch Spalte n und 12, welche für
jede Tiefenstufe die Böschungswinkel, sowohl pro Mille, wie nach
Grad und Minuten enthalten, bestätigen mit dem steten Wechsel ihrer
Zahlen oben gemachte Wahrnehmung. Werfen wir nun einen Blick
auf die entsprechende Zahlentabelle beim Bodensee, so weist diese
durchschnittlich viel kleinere Zahlen als jene auf; die durchschnittlich
steilste Böschung besitzt beim Genfer See die Stufe 10- 20 m, nämlich
7 46' = 136 %o> die kleinsten die tiefsten Stufen 290 — 300 m, mit
o°37' und 300—305 m mit o° 38'. Beim Bodensee beträgt das Maxi-
mum der Böschung 77.39 °/oo (Stufe 80 -90 m), dem die Werte 74.5 °/,.o
(10— 20 m) und 76.4°/oo (30 -40 m) nahekommen. Die Böschungen
innerhalb der 10 m-Stufen überschreiten beim Genfer See diesen Maxi-
Morphometrie des Genfer Sees. 231
malwert 5 mal, während sie ihm 3 mal nahe kommen. Man sollte dar-
nach erwarten, dafs auch die mittlere Böschung, nach der Finster-
walder-Peucker'schen Formel ty a = — —^-berechnet, wo h die Tiefen-
A
stufe, L die Länge alier Isohypsen, vermindert um den halben Wert
der höchstgelegenen, A das Areal bedeutet, bei dem Genfer See einen
höheren Betrag erreicht, als beim Bodensee. Das ist aber nicht der
Fall, denn beide Seen besitzen denselben mittleren Böschungswinkel
von 3 (Bodensee 52.23°/ 00 , Genfer See 52.3o°/oo). Fast das gleiche
Resultat erhält man, wenn man die nach Penck (I, 56) berechnete wahre
Bodenfläche mit seiner Spiegelfläche vergleicht. In Spalte 10 befindet sich
für jede Tiefenstufe angegeben, um wieviel erstere gröfser als letztere
ist, es ergiebt sich im ganzen eine Differenz zu Gunsten der wahren
Bodenfläche im Betrage von 99 ha (Bodensee 82 ha). Daraus findet
man das Verhältnis beider Flächen, die Bodenflächen-Entwickelung
zu 1.0017, während der mittleren Böschung die Zahl 1.00136 eig-
net, also etwas kleiner ist, weil diese nämlich der trigonometrischen
Tangente des Neigungswinkels, jene der trigonometrischen Sek ante des
Winkels entspricht. Die Sekante eines Winkels ist eben stets etwas
gröfser als seine Tangente.
Die Ursache, dafs der mittlere Böschungswinkel beider Seen
völlig tibereinstimmt, trotz vielfacher höherer Einzelwerte beim Genfer
See, liegt in zwei Thatsachen. Erstlich sind die Rampen der eigent-
lichen Sohle {plafond bei Forel) beim Genfer See durchschnittlich weit
flacher geneigt als beim Bodensee, und dann sind die Areale der
Sohlen bei beiden Seen absolut wie relativ sehr verschieden an Gröfse.
Im Bodensee umfafst die 22 m über der Maximal tiefe liegende Isobathe
230 m: 25.51 qkm = 4k % des Gesamt- Areals, dagegen im Genfer See
die nur 19.8 m über der tiefsten Stelle verlaufende Isobathe 290 m: 97.40
qkm, d. h. 17$ des Areals, eine relativ wie absolut 4 mal gröfsere Fläche.
Die Neigungsverhältnisse der Stufen 220 -230 m, 230— 240 m, 240 bis
250 m betragen beim Bodensee 48.3°/oo, 35-8°/oo> i2.4°/ 00 , diejenigen
der Stufen 270— 280 m, 280 — 290 m, 290— 300 m, 300 — 305 m beim
Genfer See nur 40.5 °/oo, 29.8 °/ 00 , 10.6 °/ 00 , n.i ^ 1 ).
Die Steilheit der Ufer in der Region der Abschaar (frz. talus)
überragt übrigens an manchen Stellen noch weit die oben angeführte
Maximal-Böschung von 130.3 °/ooi wie folgende kleine Tabelle nachweist,
die ich mit etwas veränderter Bezeichnung dem Werke von Forel
(I> 45 f-) entnehme.
') Die Zahlen für die Isobathenflächen für 305, 308 and 309 stammen von
Forel (I, 50).
232
W. H
albfafs:
Uferstelle bei:
Breite d. Abschaar
in m
Mächtigkeit
Mittlere
Neigung
%
Maximai-
Neigung
Chillon
75
80
94
137
Territet
375
I05
28
37
Vernec
55o
"5
23
53
Bassets
95o
145
15
40
Pointe de Teilz
1025
175
17
83
Corsier
775
220
28
So
Rivaz
875
255
29
5i
Treytorrents
1650 *
270
17
40
Bouveret
250
I05
42
Si
Fenalet
200
165
82
116
St. Gingolph
700
205
29
Locon
45°
225
5o
Meillerie
55o
270
49
Tour ronde
1400
300
21
Chäteau de Blonay
2200
3<>5
15
Indessen kommen auch im Bodensee recht steile Böschungen vor t
z. B. an der Halde vor der Bregenzer Clus (26.6 °/ ), vor dem Argen-
Delta (39 7o), auf der Nordseite des Profils Meersburg-Bottighofen(i 00 7 ),
endlich beim sogenannten Teufelstisch zwischen Wollhausen und Burg-
hof im Überlinger See sogar 156%! Vereinzelte Fälle können eben
nicht ohne weiteres verallgemeinert werden, und wir müssen uns nach
besseren Beweisen für die Behauptung umsehen, dafs trotz gleichem
mittleren Böschungsmittel der Genfer See nicht nur absolut, sondern
auch relativ wasserreicher als der Bodensee ist.
Ein solcher liegt zunächst in den Zahlen der Spalte 19 vor; dieselben
geben nämlich an, wieviel °/o das Volumen jeder Tiefenstufe von dem-
jenigen Volumen bildet, welches man erhält, wenn man die obere Iso-
bathe mit der betreffenden Höhenstufe multipliziert, also die Verhältnis-
zahlen des wahren Volumens zu demjenigen, welches entstehen würde,
wenn der Böschungswinkel der Stufe 90 betrüge. Berechnet man
die betreffenden Zahlen für den Bodensee, so ergeben sich dort bei
fast allen Stufen viel kleinere Werte als beim Genfer See, wie folgende
kleine Tabelle zeigt:
Tiefenstufe o — 10 m 10-iom 10 — 30 m 90 — 100 m 130 — 140 m 190 — 200 m
Genfer See 96.0% 98.9% 98.6% 98.1 °/o 98.0% 97-°7o
Bodensee 87.0% 9Ö-7°/o 97-°7o 96.0% 94-6% 92-7%
Zu dem gleichen Resultat gelangt man, wenn man das Verhältnis
der See-Volumina mit dem Volumen desjenigen Kegels vergleicht, die
Morphometrie des Genfer Sees. 233
das betreffende See-Areal zur Grundfläche, die Maximaltiefe als Höhe
besitzen.
Das Volumen eines solchen Kegels beträgt beim Genfer See
60.129 cbkm 1 ), d. i. 66.9% des wahren Volumens, beim Bodensee
45.235 cbkm = 93.4% des wahren Volumens. Letzterer nähert sich
also viel mehr der Kegelgestalt als ersterer, d. h. seine Böschung ist
weniger steil. Sieht man Untersee und Obersee als getrennte Becken
an, so wird für diesen das Verhältnis günstiger, für jenen ungünstiger.
Denn das Kegelvolumen beim Obersee beträgt 39.942 cbkm (84%),
beim Untersee 0.975 cbkm (n 7%), d. h. die durchschnittliche Böschung
des Untersees ist noch geringer als die eines hineingestellten umge-
kehrten Kegels. Peucker (Beiträge zur orom. Methodenlehre S. 31 ff.
und Morphometrie der Koppenteiche S. 12 f.) nennt die Wölbung der
Böschung eine konvexe, wenn das See-Volumen kleiner ist als ein
Kegel von gleicher Grundfläche und Höhe, eine konkave, wenn das
umgekehrte der Fall ist, und bezeichnet unter mittlerer Wölbung das
Zahlenverhältnis zwischen dem Kegel gleicher Grundfläche und Höhe
zum wahren Volumen. Bei konkaver Wölbung ist die Zahl positiv,
weil der Kegel das Minimum bildet, bei konvexer Wölbung negativ,
weil der Kegel dann das Maximum ist. Man erhält die Zahl nach der
Formel -^ — 5- , wo T m die mittlere, T die Maximaltiefe bedeutet.
Der Zahlen wert beträgt nun für den Genfer See + 0.496, für den
Bodensee nur -h 0.19, und zwar für den Obersee allein H- 0.39, für
den Untersee dagegen — 0.17 1 ).
Es giebt aber noch ein anschaulicheres Mittel die gröfsere Steil-
heit der Böschungen des Genfer Sees gegenüber denjenigen des Boden-
sees deutlich zu machen, wenn man mit einander vergleicht 1) die-
jenigen Tiefen, in der eine Ebene parallel dem See-Niveau gelegt
werden mufs, um das See- Volumen zu halbieren und ihr Verhältnis
zur Maximal- und mittleren Tiefe; 2) die Isobathenflläche der ent-
sprechenden Tiefe; 3) diejenigen Tiefen, deren Isobathenflächen gleich
der Hälfte des See-Areals ist und ihr Verhältnis zur Maximal- und
zur mittleren Tiefe, und 4) die Volumina, welche die Seen bis zu
dieser Tiefe besitzen. In folgender Tabelle sind die betreffenden Werte
für den Genfer See, den Grand Lac und den Petit Lac einerseits, den
Bodensee, den Obersee und den Untersee übersichtlich zusammen-
gestellt, sie reden für den, der sie zu lesen versteht, eine beredte
Sprache und sind wohl geeignet, unsere Behauptung end giltig zu
beweisen.
*) Nach Forcl (I, 07): 60.099 cbkm.
234
W.
Halbfafe:
Genfer
Grand
Petit
Boden-
Ober-
Unter-
See
Lac
Lac
see
see
see
Volumen halbierende Tiefe m
87
101.4
23.8
63.5
65.1
10.0
Verhältnis zur Max.-Tiefe %
28.1
3*.8
31.3
25.2
25.8
2Z.6
„ „ mittl. „ °/
56.4
76.0
93.0
70.5
65.1
75.2
Areal d. betr. Isobathenfl. qkm
385^7
353.03
56.12
299.0
295.6
34.94
Verhältnis zum See- Areal °/
66.0
70.0
68.8
55.5
62.2
53-8
Tiefe der Isobathenfl., die =
dem halben Areal ist m
143
172
42
78
97
18
Verhältnis zur Max.-Tiefe °/o
46.3
557
553
30.9
38-5
38.8
„ mittl. „ %
93
99
112
86.6
97
135-9
Volum, bis z. dies. Tiefe cbkm
59-8 1
64.67
2.434
28.364
32.308
0.628
Verhältnis z. See- Volumen °/
66.5
74.5
79.1
58-5
68.0
75-5
Wir müssen also daran festhalten, dafs der mittlere Böschungs-
winkel, dessen Berechnung ja theoretisch unanfechtbar ist, mit der
relativen Tiefe, d. h. der gröfseren oder geringeren Seichtheit eines
Gewässers, durchaus nicht im notwendigen Zusammenhang steht. Davon
überzeugt man sich auch, wenn man z. B. in der Peucker'schen Über-
sicht der Europäischen Seen das Verhältnis der mittleren Tiefe zur
gröfsten Tiefe mit dem Böschungswinkel vergleicht.
Verh. der mittl. Tiefe Böschungswinkel
zur gröfsten Tiefe
Arend-See 59.1
Atter-See 49
Brienzer See 67
Garda-See 40
Königs-See 50
Weifsensee in Kärnten 34
Windermeere (England) 35
Die auffallende Inkonsequenz, die sich zwischen beiden morpho-
metrischen Gröfsen oft bemerkbar macht, rührt ohne Zweifel von der
Um fangsent Wickelung der Isohypsen her, die ja bei der Berech-
nung des mittleren Böschungswinkels eine hervorragende Rolle spielen.
VII. Die Gliederung.
Von den morphometrischen Werten, welche die Gliederung eines
Sees, d. h. das Verhältnis seines Umfangs zum Flächeninhalt zur An-
schauung bringen, ist wohl die wichtigste die Entwickelung des
Umfangs U, d. h. diejenige Zahl, welche angiebt, um wieviel mal der
Umfang eines Sees faktisch gröfser ist, als er im Minimum sein könnte,
%
6° 50'
0.
»'0
6° 30'
/o
12°
/o
5° 35'
°/
/o
20° 30'
/o
9° 30'
/o
ö° 12'
') Dabei ist für den Bodensee zu beachten, dafs er kein einheitliches, sondern
ein zusammengesetztes Becken bildet; s. Peucker, Morph, der Koppenteiche,
S. 13 Anm.
Morphometrie des Genfer Sees. 235
d. h. wenn er die Gestalt eines Kreises besäfse. Genau genommen
dürfte der Umfang eines Sees nur verglichen werden mit dem Umfang
einer Kalotte der Erdkugel; doch liegt, wie wir bereits S. 224 sahen,
der dadurch entstandene Fehler völlig innerhalb der natürlichen Fehler-
grenzen, kann also mit Fug und Recht vernachlässigt werden. Die
Werte für die Länge der Isobathen in den einzelnen Tiefenstufen
finden sich auf Tabelle I, Spalte 4 1 ). Mit einer Ausnahme (20,10m) nehmen
sie zwar mit der Tiefe ab, doch nicht immer im Verhältnis zur Iso-
b athenfläche; daher kommt es, dafs die Zahlen für die Umfangs-
entwickelung (Spalte 5) mehrfach zu- und abnehmen, gerade wie beim
Bodensee. Das Maximum erreichen die Zahlen für die Isobathen 30
und 40 m (2.094), sie übertreffen hier die Umfangsentwickelung des
See-Ufers nicht unbeträchtlich. Von 60 auf 70 m sinkt die Zahl plötz-
lich um beinahe 2o°/o> um dann langsam bis zum Minimum 1.203 zu
fallen, welches aber nicht etwa der tiefstgelegenen Isobathenfläche
eignet, sondern derjenigen von 290 m; von 290 auf 300 m steigt sie
sogar nicht unbedeutend. Verglichen mit dem Bodensee findet man
dort in allen Tiefenstufen gröfsere Werte. Für die Oberfläche ist die
Zahl dort 3.46, beim Genfer See nur 2.050; indefs rührt die auffallend
hohe Zahl bei dem Bodensee, wie Penck richtig hervorhebt, daher, dafs
der Untersee fast gänzlich vom Obersee abgetrennt ist ; würde man die
Umfangsentwickelung für beide Teile gesondert berechnen, so würde
man nur den bedeutend kleineren Wert 2.53 erhalten. Die Umfangs-
entwickelung der Isobathen des Genfer Sees unterscheiden sich von
denen des Bodensees noch dadurch, dafs der Unterschied von zwei
benachbarten Stufen durchschnittlich geringer als dort ist. Damit hängt
unmittelbar zusammen, dafs die Tiefenstufen des Genfer Sees fast
durchweg eine gröfsere mittlere Tiefe besitzen als die des Boden-
sees (Spalte 8); denn aus der Formel h m = ^ Sl ~*~ **\ (Penck 1, 40), wo
2 (Sj -+- s 2 )
h die Stufenhöhe, s 2 die obere, s 2 die untere Grenz-Isobathe bezeichnen,
fliefst, dafs die mittlere Höhe einer Stufe um so gröfser ist, d. h. um so
weniger hinter der halben Stufenhöhe zurückbleibt, je mehr sich die
beiden Grenz-Isobathen an Länge einander nähern.
Der Grenzentwickelung einer Fläche entspricht nach Penck
(1,67) ein bestimmter Zackenwinkel; es ist nämlich der Sinus des
halben Zackenwinkels gleich dem reciproken Wert der Grenzentwicke-
lung. Der Zacken winkel des Genfer Sees ist 58 ° 24' (der des Boden-
sees nur 33 36*), d. h. wenn man den Umfang des Genfer Sees in
1 ) Forel (I, a6) giebt den Umfang zu 167 km an, während ich als wahrschein-
lichstes Resultat mehrerer Messungen 175.4 gefunden habe.
Zeitschr. d. Ges. f. Erdk. Bd. XXXII. 1897. 17
236 W. Halbfafc:
die Peripherie eines flächen gleichen Kreises umbiegen wollte, so mtifste
man in den Umfang des Kreises unendlich viele Zacken mit dem*
Winkel von 58 24' einschalten, damit er den wahren- Umfang des Sees
erreicht. Mit dem Verhältnis zwischen Inhalt und Umfang hängen noch
einige andere Gröfsen zusammen, die Fenck für den Bodensee be-
rechnet hat und die wir daher auch für den Genfer See ermittelt
haben, um sie mit einander vergleichen zu können. Da ist zuerst die
Tiefe der See fläche, worunter Penck die Höhe eines Dreiecks ver-
steht, das mit dem See gleiche Grundfläche hat und dessen Basis
gleich dem Umfang des Sees ist. Diese Zahl ist beim Genfer See
6.642 km (Bodensee 5.135 km); ihr halber Wert oder die Breite eines
Rechtecks, dessen Länge den Umfang, dessen Fläche das Areal des
Sees darstellt, giebt an, wieviel qkm Seefläche auf 1 km Uferlänge
kommen. Der mittlere Radius des dem Genfer See flächengleichen
Kreises beträgt 13.615 km (beim Bodensee 12.303 km.) — Ich habe
ferner diejenigen Linien konstruiert, welche vom Ufer den gleichen
Abstand von je 1 — 6 km besitzen und dadurch gefunden, dafs die
uferfernsten Punkte des Sees an zwei benachbarten, aber getrennten
Gegenden des Sees liegen, einmal zwischen St. Sulpice (N) und Am-
phion (S) und dann zwischen Evian und der Bucht zwischen St. Sulpice
und Ouchy. Die Entfernung beträgt 6.2 km (Bodensee 6.025) und ist
natürlich kleiner als die halbe gröfste Breite des Sees (6.9 km). Die
Ausmessung der von den Linien gleichen Uferabstandes umschlossenen
Areals ergab folgendes Resultat:
Entfernung vom
Ufer
qkm
°/ vom ganzen
Areal
(Bodensee)
— 1 km
172.00
30
42
1—2 „
I39-30
22
21
2-3 »
I07.90
18
16
3-4 „
73-45
13
II
4-5 11
67.50
12
7
5—6 „
22.05
4
3
6—6.2 „
0.30
582.50 IOO 100 .
Hieraus ergiebt sich eine mittlere Uferferne von 2.14 km (Boden-
see 1.74 km), indem man die einzelnen Areale mit der halben Summe
ihrer Entfernungen vom Ufer multipliziert und das Resultat durch das
Gesamt-Areal dividiert. Zu dem gleichen Resultat gelangt man auch
durch Integration der chorigraphischen Kurve (Abbild. 3), (s. Penck
I, 70,) die man erhält, wenn man die Flächenräume als Abscissen, die
zugehörigen Ufer-Entfernungen als Ordinaten aufträgt, und darauf
folgende Division durch die Basis.
Morphometrie des Genfer Sees. 23?
Das Verhältnis des mittleren Radius, der See als Kreisfläche ge-
dacht, zur wirklich gröfsten Uferferne, welches Penck die gröfste
Zugänglichkeit des Sees nennt, ist 2.20 (Bodensee 2.17); das Ver-
hältnis der mittleren Uferferne bei kreisförmiger Gestalt, die man gleich
dem dritten Teil des mittleren Radius setzen kann 1 ) (I, 69), zur wirk-
lichen mittleren Uferferne, kurz die „mittlere Zugänglichkeit" ist 2.12
(Bodensee 2.62). Der. mittlere Radius, eine Beziehungsfunktion
zwischen Areal und Umfang, steht auch mit der Böschung des Sees
in einem gewissen Zusammenhang; denn der Quotient Seetiefe dividiert
durch den mittleren Radius ist offenbar die trigonometrische Tangente
des Neigungswinkels desjenigen Kegels, der mit dem See gleiches Areal
und gleiche Tiefe besitzt. Dieser Böschungswinkel beträgt für den
Genfer See i° 18' = 22.7 °/ 00 , d. h. 2.21 mal kleiner als die wirkliche
mittlere Böschung. Beim Bodensee ist der Winkel i° 10 r = 19.25 °/ 00
oder 2.7 mal kleiner als der wahre mittlere Böschungswinkel. Der
Seetiefe
Quotient ___ — _ — ist unter den gröfseren Seen der Alpen beim
^ Mittl. Radius 6 r
Bodensee beinahe am kleinsten, nur noch der Chiem-See weist eine
kleinere Zahl (15.7 °/ 00 ) auf, dagegen erreicht er beim Garda-See den
Wert 31.6 %o, LagoMaggiore 45.3 °/ o, Lago di Como 60.4 °/ o, Luganer
See 7i.8%o> Walchen-See 84.0 °/ 00 und Brienzer See 85.5 %o-
Ich kann aber Penck durchaus nicht beistimmen, wenn er (Morphom.
des Bodensees, S. 147) dieser Zahlengröfse einen so hervorragenden
morphometrischen Wert beilegt, dafs er sich zu dem Satz versteigt:
,,Was Verhäitniszahlen zwischen Tiefe, Breite und Länge besagen, das
zeigt in übersichtlichster Weise, auf den ersten Blick das Ver-
hältnis der Seetiefe zum Radius". Denn ein direkter Rtickschlufs von
dieser Zahl auf die relative Tiefe eines Seebeckens verbietet sich ein-
fach deshalb, weil jene in erster Linie von der Uferentwickelung
abhängt, die ja mit der Tiefe eines Sees gewifs nicht im direkten Zu-
sammenhang steht. Die Verhältniszahl wird um so kleiner, je gröfset
die Uferentwickelung, d. h. je zerlappter der See ist; daher steht auch der
Luganer See (U = 3.53) in der obigen Reihenfolge so hoch über dem
Garda-See (U = 1.829). Unsere norddeutschen Seen liefern weitere
treffende Beispiele: Der Rheinsche See in Masuren besitzt die Ver-
hältniszahl 21.4 %oi der Schaal-See im Ratzeburgischen 26.4%o; ersterer
ist aber relativ viel tiefer eingesenkt als letzterer, denn seine mittlere
Tiefeistmehr als V 3 , der Maximaltiefe während die desSchaalsees nur t / 1 ist.
Die Uferentwickelung des Rheinschen Sees ist aber auch 7.037, die des
Schaal-Sees nur 4.962*). Da scheint mir der von Geistbeck (Die Seen der
*) Vgl. Rohrbach, Über mittlere Grenzabstände in: Peterm. Mitt. 1890, S. 37.
-) Siehe des Verfassers Aufsatz über den Arend-See in: Peterm. Mitt. 1986, S. 176.
17*
$38 W. Halbfafe:
deutseben Alpen, Mitt. des Vereins für Erdkunde in Leipzig 1884
S. 203) herangezogene Vergleich zwischen Areal und Tiefe, den Penck
(II, 215) und Ule (Die Tiefen-Verhältnisse der Masurischen Seen, Berlin
1890, S. 40) verwerfen und dafür das Verhältnis der Seite eines flächen-
gleichen Quadrats zur Tiefe einsetzen, immer noch geeigneter zu sein,
einen See morphometrisch zu charakterisieren, obwohl das Verhältnis
der mittleren Tiefe zur Maximaltiefe stets die •wichtigste Zahl für ver-
gleichende Limnometrie bleiben wird. —
Fassen wir endlich noch die rein geographische Gliederung ins Auge,
so mufs der Petit Lac zu den Gliedern, der Grand Lac zum Rumpf
des Genfer Sees gerechnet werden.
Beide stehen etwa in ähnlichen morphologischen Verhältnis zu
einander wie Überlinger See und der Obersee; sie werden durch die
Untiefe von Promenthoux von einander geschieden, welche sich 10 m
über dem tiefsten Punkt des Petit Lac befindet und sich als eine rich-
tige barre, wie sich die Franzosen ausdrücken, charakterisiert. Beide
Teile weichen morphologisch beträchtlich von einander ab. Während
nämlich der Grand Lac ein einheitliches Becken bildet mit einer breiten
Sohle {plafond) in der Mitte, die nach allen Seiten hin ansteigt, ohne
wieder zu fallen, enthält der Petit Lac mehrere grubenartige Vertiefungen
(euvettes) und Untiefen (barres), allerdings nur von verhältnismäfsig ge-
ringem Umfang und schwach ausgeprägt.
Die 1.52 qkm grofse Vertiefung von Nyon liegt bis 9.9 m unter
der Untiefe von Promontboux und ist durch die 13.3 m höher liegende
Untiefe von Messery von der 2.82 qkm grofsen Vertiefung von
Tougues getrennt. Westlich von dieser, von ihr durch die 6 m höher
liegende Untiefe von Hermance geschieden, liegt die 1.88 qkm grofse
Vertiefung von Chevran und die nur 0.15 qkm grofse Vertiefung von
Coppet. Endlich liegt noch eine nur 0.12 qkm grofse Vertiefung
zwischen Bellevue und Bellerive, nach Osten von den übrigen Ver-
tiefungen durch die nur 4 m höhere Barre von Genthod gesondert.
Da nun, wie bereits S. 229 angegeben, der Petit Lac 81.80 qkm, der
Grand Lac 500.66 qkm grofs ist, so ergiebt sich für die Rumpfgliede-
rung, d. h. das Verhältnis von Gliedern zu Rumpf (Penck I, 67) die
Zahl 0.163 (Bodensee 0.233). Um die Blockgliederung des Sees,
d. h. das Verhältnis der Halbinseln zu der um sie vermehrten Seefläche
(Penck ebenda) zu ermitteln, mafs ich planimetrisch alle in den Genfer
See hineinragenden Landteile, sofern ihre Grofse nicht unter einen zu
geringen Betrag sank, und fand als Areal aller Halbinseln 135.20 qkm
und daraus für die Blockgliederung den Wert 0.19 (Bodensee 0.238).
Die gröfste Halbinsel ist der zwischen Genf und Condree teils zur
Schweiz, teils zu Savoyen gehörige, in den See hineinspringende Land-
Morphometrie des Genfer Sees.
239
;eil im Südwesten (84.50 qkm); die übrigen sind bedeutend kleiner an
Fläche und liegen meist am Nordufer, die gröfste zwischen Morges
und Rolle (18.50 qkm).
VIII. Die Insulosität.
Der Genfer See besitzt keine natürlichen Inseln (Forel I, 24);
das, was man Inseln nennen könnte, sind nur künstliche Auftragungen
auf flachem Grunde. Es sind deren vier: 1) lllot de Peutz vor Villeneuve
77 qm, 2) la Roche aux Monettes zwischen Ciarens und der
Tour de Peil 1600 qm, 3) l'Ile de la Harpe bei Rolle 5000 qkm und
4) nie Verte bei Choisy 50 qkm grofs; zusammen sind diese vier künst-
lichen Inselchen nur 6727 qkm grofs, die Insulosität des Genfer Sees,
eigentlich = 0, beträgt dann gut gerechnet 0.000012. (Bodensee 0.00973).
Es folgt eine übersichtliche Zusammenstellung der wichtigsten
morphometrischen Werte für den Genfer See und den Bodensee (Tafel IV),
wobei der Obersee aus den S. 235 angeführten Gründen noch be-
sonders berücksichtigt wurde. Die gröfsere Meerähnlichkeit des
Genfer Sees scheint mir daraus deutlich hervorzugehen.
Tab
eile
III.
Petit
Lac.
«)
X
a
Areal
qkm
3
°/oo
▼om
Areal
4
Tiefen-
stufe
m
5
Areal
qkm
6
°/oo
▼om
Areal
7 8 9 x°
Volumen in Millionen cbkm
ZI
°/oo
▼om
Volu-
men
Tiefe
m
Kegel-
stumpf-
Methode
Mittel-
bildung
Simp-
son'fche
Formel
Wahr-
schein-
licher
Wert
5
81.80
7030
IOOO
859
0-5
5—IO
II.50
6.20
I4O.O
75.8
379-9
335-9
380.2
336.O
l 712.8
} 7 J 3
J 231.8
IO
64.IO
784
IO— IO
5.70
69.7
612.3
612.5
609,2
610
I9M
20
58.40
714
20 — 30
6.00
73-7
553.7
554.0
557-8
557
181. x
30
51.40
641
30—40
9.20
112.5
477.3
478.0
479*5
479
155-7
40
43.20
5*8
40—50
I2.IO
148.0
370.9
37*-5
375-5
375
III. 9
50
55
31.30
15.10
383
307
50—55
55-60
6.IO
6.90
74.6
84-3
140.7
107.8
141.0
108.25
| 148.1
} »49
\ 90.O
60
65
I8.ZO
7.90
221
96
60 — 65
65-70
IO.30
6.11
125.3
747
63.5
22.4
65.25
24.25
} 86.0
} 88
} *8.6
70
I.79
22
70—75
1.67
20.4
5.9
4.8
—
5
1.0
75
0.12
1
unter 75
0.12
1.4
0.0
—
—
—
—
—
—
—
—
Im G
anzen
3070.3
3076.8
3075.6
3076
—
*) Tabelle I, II und IV s. S. 240—243.
240
W. Halbfafs:
Tabelle I.
I
3
3
4 1 5 6
7 8 | 9 1 xo
11
IS
Tiefe
Areal
in qkm
°/oo des
Areals
bei
Mittel-
wasser
Länge
der
Iso-
hypsen
km
Ufer-
ent-
wicke-
lung
Tiefen-
stufen
m
Areal
in qkm
o/eo
vom
Areal
bei
Mittel-
wasser
Mittl.
Höhe
in m
Boden
fläche
gröfser
als
Spiegel-
fläche
in qkm
Böschungs-
winkel
fao/ » iB /<
| und z
Hochwasser
590.65
I0l6
—
—
0-5
28.52
49-0
2.49
O.OI3
30.3; i°44'
Mittelwasser
Om
58M6
IOOO
175-4
2.O50
5—10
12.44
21.4
—
O.O3O
68.3! 3° 55'
Tiefwasser
576.06
994
—
—
10—20
12.44
21.4
5.02
O.II2
136.3 7 46'
5m
Tiefe
553-94
951.O
169.75
2.035
20 — 30
15.26
26.2
4.99
O.O92
110.8 6° ig'
io„
V)
541.50
929.7
169.1
2.050
30—40
22.80
39.I
4.98
O.O56
7 3.0 j 4 ° 11'
*©,
»
529.06
908.3
169.95
2.084
40 — 50
26.30
45-2
4.96
O.O47
61.1, 3 30'
30»
»
513-80
882.1
168.3
2.094
50 — 60
27.70
47.6
4.98
O.O42
56.1 1 3° 3'
40»
»
491.00
843-0
164.5
2.094
60 — 70
33.90
58.2
4.84
O.O27
41.4] 2° 21
50 n
9
464.70
797-8
157.1
2.056
7O—8O
16.70
287
4.91
O.O42
7*-3 ! 4° 8'
60 „
n
437.00
750.3
153.5
2.071
8O—9O
17.60
30.2
4.97
O.032
63.6 3°3<>
70 n
yt
403.10
692.1
127.25
1.788
90 — IOO
13.30
22.8
4.99
O.O43
81.3 4°3^
80 „
y>
386.40
663.4
114.25
I.640
100 — HO
17.OO
29.2
4.97
O.03O
62.7; 3 3;
90«
»
368.80
633.2
109.7
I.6II
110 — I20
15.70
27.O
4-97
O.028
65.1 1 3 C 44
100 „
»
355-50
610.3
108.2
I.619
I20 — I30
14.40
24.7
4.97
O.O34
68.7, 3 50
HO»
n
338.50
581.1
103.9
1-593
I30 — I40
12.60
21.6
4-97
O.036
78.91 4°3*
120 „
»
32280
554-*
100.55
1.656
I40 — 150
14.50
24.8
4.98
O.029
64. i| 3° 4c
130«
»
308.40
5*9-5
97.25
1.562
I50— l6o
10.30
17-7
4.97
O.039
87.1 4 C 59
140»
»
295.80
507.8
93-9
1.505
160 — I70
13.30
22.8
4.98
O.029
66.4! 3°48
i5°»
»
281.30
484-9
91.8
1.544
I70 — 180
12.10
20.8
4.98
O.O3O
71-9, 4^7
160 „
»
271.00
465.3
88.5
1.5x7
I80 — I90
I3.60
23.3
4-97
O.024
6i8!3°3>
170«
»
257.70
442.4
88.25
1.551
I90 — 200
II.30
19.4
4.97
0.028
7i.6' 4 c b'
180 „
»
245.60
421.8
85.9
1.546
200 — 2TO
I3.5O
23.2
4.97
O.023
57-9; 3 c i9
i9°«
i»
232.00
398-3
82.4
1.526
2IO — 220
14.20
24.4
4.96
0.020
52.9! 3 *
200 n
*»
220.70
378-9
79.6
1.5x2
220 — 230
I5.3O
26.3
4-97
O.OI7
47-3J 2°42
2IO„
n
207.20
356.1
76.9
1.507
23O—24O
X7.IO
29.3
4.93
O.OI4
40.1 2 c i8
220„
»
193.00
333-1
73-4
1.49 1
24O — 250
8.60
147
4-99
O.O24
75-9
4°«
*30»
9
177.70
305.1
71.4
1.511
250 — 260
9.OO
15-5
4.90
0.02I
67.7
3°53
MOn
n
160.60
*75-7
6575
1.464
260 — 270
18.20
31.2
4-93
0.008
30.3
l°AA
^5°n
n
152.00
260.9
64.75
1.482
27O — 280
I2.4O
21.3
4.70
O.OIO
40.5
a c i<
260 n
n
143.00
*45-5
57-^5
1.351
280 — 29O
15.00
25.7
4.90
O.OO7
29.8
i°4.
270,,
w
124.80
214.3
53.0
1-338
29O — 30O
36.60
62.8
4-86
0.002
10.6
o°5-
280 „
»
112.40
192.9
47-5
1.278
3OO—305
I4.7O
25.2
2.42
0.00 X
11. 1
o°5
a90„
n
97.40
167.2
42.1
1.203
305—308
16.IO
27.6
—
—
—
300«
«
60.80
104.4
35-75
1.293
308—309
I7.OO
29.2
—
—
1
305«
>♦
46.10
79- *
29.6
1.230
unter
309 m
13.OO
22.3
—
—
— 1 -
Im Mitte!
308»
»
30.00
5i-5
—
—
Total bei
Mittelwasser
582.46
IOOO
—
0-99
5*-34| -
309«
w
13.00
—
22.1
—
—
bei Ho
b.Nied
chwas
erwas
Morphometrie des Genfer Sees,
241
14 15 16
Volumen in Millionen cbm
bcrcchn.
als
Kegel-
stumpfe
dgl. mit
Iso-
bathen
2840.7
284O.7
*738-5
*738-5
535*-7
535*-8
5214.1
5214.1
5023.7
5023.5
4778-o
4777-4
4507-7
4507-9
4199.3
4195-1
3947-3
3946.0
3775-7
3775-4
36*1.3
3621.3
34697
3469.5
3306.3
3305.3
3I55-7
3155.6
3020.7
3020.6
2885.3
2885-*
2761.3
2761.2
2643.3
2643.2
2516.3
2516.3
1388.0
2387.6
2263.7
2263.2
2140.7
2139.1
2000.7
2000.4
1853.0
1853-0
1690.7
1690.3
1562.7
1562.9
1473-7
1474.1
1338.0
1337.7
1185.3
1 182.3
1048.0
1047.5
783-7
785-9
266.3
266.1
113.0
—
20.9
—
3.0
—
89590
89540
—
—
berechnet
nach der
Simpson'schen
Formel
berechn.
durch
Mittel-
bildung
Wahr-
schein-
licher
Wert
18
»9
°/oo vom
Volumen
bei
Mittel-
°/o vom
größt-
möglich.
Volumen
wasser
31-5
97-4
30.4
98.7
59-5
98.9
58.0
98.6
55-9
97-8
53-1
97-8
50.2
97.0
46.7
96.0
43.8
97-7
42.0
97-7
40.3
98.1
38.6
97.6
36.8
97.8
35-i
97.6
33.6
98.0
32.1
97-5
307
98-3
29.5
975
28.0
97-5
26.6
97-1
*5-7
97.o
23.8
96.9
22.3
96.7
20.6
96.3
18.7
94.8
17-3
96.6
16.5
97.5
14.9
93-9
13.1
94-7
11.7
93.8
8.8
81.1
2.9
87.9
i.3
82.6
70.0
—
1000
—
—
—
Volumen
der tiefer
gelegen.
Tiefen-
stufen
Mill. cbm
31
°/oo vom
Volumen
bei
Mittel-
5566.2
' IO925.I
IO571.8
IO250.9
9808.3
9*89.3
8719.3
8U9.3
7725.O
7390.5
7097.7
6774.3
6460.3
6174.O
5097-7
5640.0
541O.O
5158.O
49*37
4647.7
4406.7
4141.7
3856.3
3548.o
3240.3
3038.7
2829.3
2515.3
2239.3
1876.0
1178.7
408.7
89896
2841.0
2737.6
535*-8
5214.3
5024.0
4778.5
4508.5
4200.5
3947-5
3776.o
3621.5
3470.0
3306.5
3156.0
3021.0
2885.5
2761.5
2643.5
2516.5
2388.0
2263.5
2138.5
2001.0
J853-5
169 1.5
1563.0
1475.0
1339.0
11 86.0
1049.0
791.0
277.2
114.1
21.5
6.5
89922
*835
»733
5355
5*18
5029
478o
4511
4197
3940
3774
3622
347i
3305
3154
3021
2884
2762
2644
2516
2388
2264
2140
2002
1857
1686
1556
1482
1342
1183
105 1
79o
267
114
21
6
89900
90770
89219
87065
8433*
78977
73759
68730
63950
59439
55242
51302
475*8
43906
40435
37130
33976
30955
28071
25309
22665
20149
17761
15497
13557
"355
9498
7812
6256
4744
343*
2249
1198
408
141
*7
6
968.5
938.1
878.6
820.6
764.7
711. 6
661.4
614.7
57o.9
5*8.9
488.6
450.0
413.2
378.1
344.5
312.4
281.7
252.2
224.2
197.6
172.3
148.5
126.2
105.6
86.9
69.6
53-i
38.2
25.1
13-4
4.5
1.4
0.1
o
242
w.
Halbfafe:
Tabelle II. Grand Lac.
X
a
3
4
5
6
78 9 zo
XX
Areal
in qkm
1
°/oo
des
Areals
Tiefenstufen
m
Areal
in qkm
1
°/oo -
vom
Areal
Volumen in Millionen cbm
°/oo
Tiefe
m
Kegel-
stumpf*
Methode
Mittel-
bildung
IWahr-
Simpsonsche ! schein-
Formel 1 lieber
1 Wert
vom
ganten
Volu-
men.
O
500.66
IOOO
0—5
17.02
34.O
2450.3
2460.7
1
2460
28.3
5
483.64
971.7
5—10
6.20
12.4
2402.6
2402.6
\ 9603.1
2403
27.7
IO
477.40
944.0
10 — 20
6.74
13.4
4740.2
4740.3
1 9404.6
! 9*13-5
> (8953.5
1 8667.3
| 8366.3
1 8034.7
} 77I9.0
| 7390.0
1 7096.3
\ 6774.O
} 6460.3
} 6174.O
1 5909-6
| 5640.O
} 54IO.O
} 5158.0
. \ 49*37
) 4*47.7
} 4406.7
} 4I4I.7
} 3856.3
j 3548.0
} 3*40.3
} 3038.7
| 2829.3
474*
54.6
20
470.66
889.4
20—30
9.26
18.5
4660.2
4660.3
4662
537
30
461.40
835-6
30—40
13.60
27.2
4545-8
4546.O
4547
52.4
40
447.80
783.*
40—50
14.20
28-4
4405.8
4406.O
4406
50.7
50
433.40
73*-5
50 — 60
14.70
29.4
4260.8
4261.O
4262
49.I
60
418.80
683.4
60 — 70
17.49
34.9
4I00.2
41OO.5
4100
47*
70
80
401.31
386.40
636.2
590.7
70—80
80—90
14.91
17.60
29.8
35-1
3938.3
3775-7
3938.5
3776.O
3939
3774
454
435
90
368.8O
545-1
90 — 100
13.40
26.8
3621.3
362I.O
3622
417
IOO
355.40
505.5
IOO — HO
16.90
33-8
34697
3469.5
347i
40.O
HO
120
338.50
322.80
465.5
4*7.3
HO — 120
I20 — I3O
15.70
14.40
31-4
28.8
3306.3
3155.7
3306.5
3156.O
3305
3154
38.1
36.3
130
140
308.40
295.80
391.0
356.2
I30 — I40
140 — 150
12.10
14.50
24.0
29.0
3020.7
1885-3
302I.O
2885.5
3021
2884
34.8
33.2
150
281.30
322.9
I50 — IÖO
10.30
20.6
2761.3
2761.5
2762
31.8
160
170
27I.OO
257.70
291.1
260.7
l6o — I70
170 — I80
13.30
12.10
26.5
24.0
2643.3
2516.I
2643.5
2516.5
2644
2516
30.4
29.0
180
245.60
231.7
180 — I9O
I3.60
27.2
2388.O
2388.O
2388
*7-5
190
232.OO
204.1
I90 — 200
II.30
22.6
2263.7
2263.5
2264
26.1
200
220.70
178.0
2O0 — 210
I3.5O
27.0
214O.7
2138.5
2140
24.6
210
207.20
153-4
2IO — 220
14.20
28.4
2000.7
200I.O
2002
23.1
220
230
193.OO
177.70
130.3
108.9
220 — 230
23O — 24O
15.3O
I7.IO
35.6
34.1
I853.0
1690.7
1853.5
1691.5
1857
1686
21.4
19.4
240
160.60
89.4
24O—250
8.60
17.2
1562.7
1563.5
1556
17.9
250
152.OO
7i.5
25O — 260
9.OO
18.0
1473.7
1475.0
148*
17.1
260
143.OO
54-4
260 — 270
I8.20
36.3
1338.0
1339.0
1342
15-3
270
124.80
39.1
27O — 280
12.40
24.8
II85.3
II86.O
J*5I5.3
J 2239.3
\ I876.O
1183
13.6
280
290
112.40
97.40
*5-5
J 3-4
280 — 29O
29O — 3OO
I5.OO
36.60
30.0
73.0
IO48.O
783-7
IO49.O
791.O
1051
790
12. 1
9°
300
60.80
4.3
3OO — 305
I4.7O
29.4
266.3
277.2
\
267
3.0
305
46.IO
1-3
305—308
16.IO
32.2
II3.0
II4.I
l"78.7
114
i.3
308
30.00
0.0
308—309
I7.OO
34.0
2O.9
21.5
408.7
2T
0.0
109
13.OO
0.0
3O9—3O9.7
I3.OO
26.0
3.0
6.5
6
0.0
Morphometrie des Genfer Sees,
Tabelle IV.
243
Genfer See
Bodensee
Obersee
Meereshöhe in m
Areal „ qkm
Amplitude des Areals bei höchstem Wasser-
stande in qkm
Verhältnis der Amplitude zum See-Areal . . .
Umfang in km
Entfernteste Uferpunkte „ „
Grölste Länge „ „
,» Breite f „
Mittlere Breite „ „
Maximaltiefe „ m
Volumen , cbkm
Amplitude des Volumens bei höchstem und
niedrigstem Wasserstande .... in cbkm
Verhältnis der Amplitude zum See- Volumen . .
Mittlere Tiefe in m
Verhältnis der mitleren Tiefe zur Maximaltiefe
Verhältnis des Volumens zu einem Kegel gleicher
Grundlinie und Höhe
Konvexität — Konkavität — (Peucker) . . .
Mittlerer Böschungswinkel
Volumenhalbierende Tiefe in m
Verhältnis zur Maximaltiefe
Verhältnis der entspr. Isobathenfläche zum See-
Areal
Arealhalbierende Tiefe in m
Verhältnis zur Maximaltiefe
Verhältnis des Volumens bis zu dieser Tiefe zum
See- Volumen
Grenzentwickelung
Zackenwinkel
Tiefe der Seefläche in km
Radius der „ „ „
Verhältnis der Maximaltiefe zum See-Radius
Mittlere Uferferne in km
Grölste Zugänglichkeit „ „
Mittlere „ . „ „
Uferfernster Punkt „ „
Rumpfgliederung
Blockgliederung
Insulosität
37*
58246
744
0.013
175-4
634
72. 3
138
8.1
309.7
89-9°°
1.551
0.017
1544
0498
0.669
-f- 0.496
3 (0051)
87
0.281
0.66
143
0463
0.665
2.050
58° 24'
6.642
13.615
0.0227
2.14
2.20
2.12
6.2
0.163
0.19
0.0000 12
395
538.5*
64.80
0.125
284.5
69.0
75.0
13.0
7.18
251.8
4843*
1.796
0.036
90.0
0.357
0.934
+ 0.19
3 (0.052)
63.5
0.252
o-555
78
0.309
0.585
346
33° 36'
3.786
13.093
0.019 *5
1.74
2.17
2.70
6.025
0.233
0.238
0.009 73
395
47549
46.15
0.097
185«*
63.5
67.0
13.0
7.10
251.8
47.600
1.5855
0.034
100.0
0.397
0.84
■4-0.39
3°3 / (o.o54)
65.1
0.258
0.622
97
0.385
0.68
240
49° H'
5- J 35
12.303
0.020 48
1.92
2.04
2.62
6.025
0.001 72
Reisen und Forschungen in Nord -Griechenland.
Von Dr. Alfred Philippson.
Schlufc.i)
VIEL. Der Ätolische Pindos.
i. Arta— Patiöpulon (Synteknon) — Pigädia — Granftsa*).
Nach zweitägiger Rast (15. und 16. Juni) in Arta brach ich am
frühen Morgen des 17. Juni zu einer Durchquerung des südlichen, der
Provinz Ätolien-Akarnanien zugehörigen Teiles des Pindos auf, welche
durch die Landschaften Vältos und Agrapha nach Karpenfsi führen
sollte. Obwohl schon seit dem Bestand des Königreichs Griechenland
mit ihm vereint, stehen doch diese Landschaften auf keinem höheren
Standpunkt der Kultur und Sicherheit, als die nördlicheren neu er-
worbenen Teile des Pindos -Gebirges; ihre natürliche Unwegsamkeit
ist noch gröfser, wenigstens östlich des Aspros, da, bei ziemlich
gleicher Höhe der Kämme, hier die Erosions thäler noch tiefer einge-
schnitten sind, als dort. Namentlich gehören die Thäler des Agra-
phiötikos und Mdgdovas zu den wildesten und abgelegensten Land-
schaften Griechenlands. Dagegen wird die Bereisung erleichtert durch
das Vorhandensein einer leidlichen Karte, der „Carte de la Grece",
die freilich gerade hier recht viele Fehler aufweist.
Die Temperatur blieb auch jetzt noch angenehm frisch. (In Arta
am 15. 3 Uhr nachm. -+- 25 j°, am 16. 3 Uhr nachm. 274 ; am 15.
nachmittags Bewölkung; an der Tsumerka schien es zu regnen. Am
17. zeigten sich nachmittags wieder Wolken, und es donnerte in Syn-
teknon, ohne zu regnen.)
Wir verliefsen Arta durch den nördlichen Ausgang der Stadt,
auf der Chaussee, die nach Ätolien führt. Nach einer Viertelstunde
kommen wir an der Stelle vorbei, wo der Weg nach dem Norden ab-
zweigt, den wir vor einem Monat eingeschlagen hatten. Von hier
wendet sich die Strafse nach Südost, der langen schmalen Ebene
folgend, die, ohne von einem Flufslaufe durchzogen zu werden, die
J ) Vgl. diese Zeitschrift XXX, 1895, S. 135—225. 417—498. XXXI, 1896,
S. 193 -294. 385—450-
Diese Berichte sind auch als Sonderabdruck unter dem Titel: „Thessalien und
Epirus. Reisen und Forschungen im nördlichen Griechenland von Dr. Alfred
Philippson" von der Gesellschaft fUr Erdkunde zu Berlin herausgegeben worden
und durch W. H. Kühl, Berlin W. 8. zu beziehen.
i) Vgl. diese Zeitschrift XXXI, 1896, Tafel 13, Profil No. 20.
A. Philipp son : Reisen and Forschungen in Nord- Griechen! and. 245
Hügelkette von Arta von dem östlicheren Hügelland vollständig ab-
trennt. Rechts liegen die Hügel des weifsen, dichten Kalkes von
Arta, dessen Schichten steil nach Osten einfallen, meist aber durch
die starke Schrattenbildung, welche die Oberfläche des Kalkes bedeckt,
unkenntlich gemacht sind. Zur Linken haben wir niedrige Sandstein-
hügel, an deren Fufs sich Olivenhaine entlang ziehen, während Mais,
Getreide und — eine hier zu Lande seltene Erscheinung — auch
Haferfelder den gröfsten Teil der noch nicht einen Kilometer
breiten Ebene einnehmen. Die Strafse zieht zuerst mitten durch die
Ebene, berührt dann aber (55 Min. von Arta) den Ostrand. Die
Hügel bestehen aus ONO fallendem Flyschsandstein. 20 Minuten
weiter biegen wir nach OSO von der Strafse ab, auf das an dem
Hügelrand gelegene grofse Dorf Kompöti zu. Die Ebene setzt sich
hier in einer kleinen Stufe zu einem etwas niedrigeren Niveau ab.
An der Quelle, die unterhalb Kompöti (1278 Einw.) am Rande der
Flyschhtigel entspringt (2 St. von Arta), machten wir eine Weile Halt.
Anmutig liegt das Dorf zwischen Ölbäumen an dem sanft ansteigenden
Gelände. Dahinter sieht man in einiger Entfernung einen höheren
kahlen Flyschrücken, der die ganze Umgegend beherrscht; auf ihm
liegen mehrere zerfallene türkische Kastelle.
Durch ein Thälchen steigen wir nach OSO an, über NO fallenden
Flyschsandstein, und kommen dann über einen niedrigen Rücken hin-
unter in das ziemlich breite Thal des ansehnlichen Flusses (35 Min.),
der bei Köpraena in den Ambrakischen Golf mündet; eine Strecke
weit folgen wir seinem linken Ufer aufwärts, an zwei starken türkischen
Kastellen vorbei, die ziemlich neuer Entstehung zu sein scheinen. Die
Höhen ringsumher bestehen aus Flysch. Im Süden trennen niedrige
Hügel, auf denen wieder drei verlassene Burgen liegen, unseren Flufs
von dem Flufssystem von Anino, das von SO aus dem Flyschgebirge
der Eparchie Vältos herauskommt. Die Türken hatten in dieser ganzen
Gegend ihre Grenze gegen die Ausfälle und Plünderungszüge der
Valtiner stark befestigt.
Bei dem zweiten Kastell am Flufs kreuzen wir diesen und steigen
an dem jenseitigen Flyschgehänge durch üppige Maquien nach Osten
aufwärts, an einem Hirtenlager vorbei. Wir überschreiten hier die
ehemalige Grenze des Königreichs Griechenland und betreten den
Boden der Provinz Ätolien-Akarnanien, und zwar der Eparchie Vältos.
Dieser Bezirk umfafst das Land zwischen dem Golf von Ambrakia und
dem Aspropötamos, hinab bis zum ätolischen Seenbecken. Ähnlich,
wie die Radovfzi, besteht sein Boden mit Ausnahme des Gävrovo-Ge-
birges aus Flysch, und auch hier wieder finden wir auf diesem Gestein
die Bevölkerung in kleinen Weilern oder sogar in einzelnen Häusern
246 A. Philippson:
zerstreut, die, wie einst die Blockhäuser im amerikanischen Urwald,
auf kleinen Lichtungen inmitten der unabsehbaren Maquien und Eichen-
wälder liegen. Das ist der Hauptgrund des zurückgebliebenen Kultur-
zustandes der Bevölkerung im Vältos wie in der Radovfzi. Jeder ist
auf sich selbst angewiesen, der Gemeinsinn fehlt, und die Leute werden
durch die Einsamkeit und Abgeschlossenheit mürrisch und finster.
Jedes Bedürfnis, jedes Genufsmittel oder Werkzeug, das man entbehrt,
kann nur durch weite Wege beschafft werden; man verzichtet daher
lieber darauf und lebt in äufserster Bedürfnislosigkeit und Rohheit.
Die Kinder in eine Schule zu schicken, ist unmöglich. Nach der
Zählung von 1879 hat die Eparchie Vältos den verbal tnismäfsig ge-
ringsten Schulbesuch und fast die gröfste Zahl von Analphabeten im
Königreich. Bei der Vereinzelung der Siedelungen und der dichten
Bewaldung des Landes, der Armut und Rohheit der Bevölkerung sind
hier Räubereien, Mordthaten, Viehdiebstähle u. s. w. von jeher an der
Tagesordnung gewesen. Jeder entzieht sich eben leicht der Kontrole
der Nachbarn und noch leichter derjenigen der Behörden.
Im einsamen Eichenwald mit dichtem Maquien-Unterholz, am Ur-
sprung eines nach Westen gerichteten Thälchens, bei einigen augenblick-
lich nur von grofsen Hunden bewachten Reisighütten der Nomaden,
machten wir Mittagsrast (1 St. 10 Min. vom Flufs, 3t St. von Arta,
460 m). Der Flyschsandstein streicht hier N45°W, fällt NO. Dann
wenden wir uns nach Osten weiter aufwärts. In den Maquien, die
unter den mächtigen, sommergrünen Eichen den Boden mit ihrem
dichten Gebüsch überziehen, verschwinden mit zunehmender Meeres-
höhe die meisten immergrünen Gewächse, und an ihre Stelle treten
die Baum-Eriken ein, die, bis zu mehrfacher Manneshöhe aufwachsend,
ein undurchdringliches Dickicht bilden. Nach x| Stunden kommen
wir auf einen hohen, gleichmäfsig nach SO streichenden Sandsteinrücken,
der die Zuflüsse des Anino-Flusses scheidet von denen des Pati6pulos
(weiter unterhalb Tzäkos genannt), der bei sehr schmalem Zuflufsgebiet
ein grofses Längsthal bildet, das, der Ostküste des Golfes und zugleich
dem geologischen und orographischen Streichen des Gebirges parallel,
die ganze Eparchie Vältos von NNW nach SSO durchzieht und schliess-
lich bei Pavläki in den Aspros mündet. Der Sandsteinrücken, der
mit fast gleichbleibender Höhe von 700 — 954 m ohne Unterbrechung
oder Einkerbung dieses grofse innere Längsthal des Vältos von den
westlicheren Thälern scheidet, hat eine Länge von etwa 40 km. Der
dickbankige graugrüne Sandstein, der ihn bildet, besitzt ein regel-
mässiges flaches Einfallen nach ONO , demgemäfs dacht . sich der
Rücken nach dieser Seite allmählich ab, während die Schichtköpfe
nach Westen in steilen Abstürzen abbrechen, die oft durch regel-
Reisen und Forschungen in Nord-Griechenland. 247
mäfsige Querrisse das Ansehen von künstlichem Mauerwerk annehmen.
Die Schichtflächen sehen infolge dieser Risse oft wie eine gepflasterte
Strafse aus.
Bald steigen wir nach Osten in das grofse Längsthal hinab, über
den hier N 65 ° W streichenden, Nordost fallenden Sandstein. Gegen-
tiber erhebt sich der geschlossene düstere Kalkwall des Gävrovo-
Gebirges, aus dem vor uns eine enge Schlucht herauskommt. Am
Ausgang derselben sehen wir, hoch am Abhang, die wenigen Häuser
von Patiöpulon, das Ziel der heutigen Wanderung. Weiter im Süden
trennt ein scharfer und tiefer Einschnitt das Stidende des Kalkgebirges,
den Berg Kanäla, von der Gävrovo-Kette ab.
Nach einer Stunde erreichen wir den klaren Bach des Längsthaies,
der anmutig zwischen mächtigen Platanen dahinfliefst (430 m), und
steigen jenseits wieder hinauf, über Flyschsandstein (mit verkohlten
Pflanzenresten) zu dem Weiler Patiöpulon, der nur aus vier oder fünf
Häusern besteht: zunächst neben einer mächtigen Quelle ein grofses
quadratisches Gebäude, das Haus des Bürgermeisters; dann 5 Minuten
weiter ein elendes kleines Magasi (| St. vom Flufs, 8 St. von Arta,
530 m) und dahinter noch einige niedrige Hütten. Ein Dorf Synte-
knon, das nach der Volkszählung 1490 Einwohner hat, giebt es nicht;
dieser Name bezeichnet eine Gemarkung, die sich von hier meilenweit
flufsabwärts erstreckt und deren Bevölkerung in einzelstehenden
Häusern oder als Hirten in Reisighütten auf den Bergen lebt. Die
Häusergruppe Patiöpulon ist die bedeutendste dieser Gemarkung, zu-
gleich der Sitz der Bürgermeisterei des Dimos, der aufser Synteknon
noch acht andere ähnliche zerstreute Dorfschaften umfafst.
Von Patiöpulon überblickt man das grofse Längsthal weit hinab.
Die sanften Flyschhöhen mit ihrer dichten Bewaldung, aus der sich
nur hier und da der Rauch eines Hirtenfeuers erhebt, der Flufs mit
seinen sanften Windungen, die bald rechts, bald links ein Stückchen
ebener Thalaue mit einigen Maisfeldern umgeben — das Ganze ist
eine träumerisch einsame und weltabgeschlossene Landschaft. —
Der 18. Juni war abermals nachmittags zeitweise bewölkt, die
Temperatur im Gebirge wieder angenehm kühl. (12J Uhr in 1020 m
Höhe 2i°.)
Wir hatten, um zum Aspros zu gelangen, das Gävrovo-Kalkge-
birge zu überschreiten. Zunächst geht es von Patiöpulon über nordöst-
lich, also bergwärts einfallenden Flysch ziemlich steil nach Nordost hinauf.
Dahinter erhebt sich als steile, weithin streichende Felsmauer der
graue massige Kalk, von der bei Patiöpulon mündenden Schlucht quer
durchschnitten. Auf dem Flysch liegen herabgestürzte Trümmer eines
oolithischen Kalksteins mit Schnecken- und Muscheldurchschnitten.
248 A. Philippson:
Ich sah den Längsschnitt einer turmförmigen Schnecke von 8—9 cm
Länge (Nerinee?).
Wir kommen nun an den Fufs der fast senkrechten Kalkfelsen,
an denen der Weg schräg hinaufgeleitet ist. Der graue Kalkstein
schneidet hier an einer sehr steil bergwärt s (östlich) einfallenden
Verwerfung gegen den tiefer liegenden Flysch ab, ist also ein wenig
nach Westen über den Flysch überschoben. Die dickbankigen undeut-
lichen Schichten des Kalkes scheinen nach Westen einzufallen. Auf
der Südseite der Schlucht schneidet der Kalk in einer ganz saigeren
Verwerfung gegen den Flysch ab.
Auf der Höhe angelangt, wo sich ein weiter, herrlicher Blick über
den Ambrakischen Golf, Akarnanien und Levkäs öffnet, sehen wir, dafs
der Kalk hier sofort wieder nach Osten unter Flyschsandstein einfallt,
also nur eine schmale Mauer bildet, während er südlich der Quer-
schlucht zu einem breiten Bergrücken anschwillt.
Wir gehen nun hoch über der Schlucht, an ihrer nördlichen Seite
entlang, fast eben hin durch dichten Tannenwald. Der Flyschsand-
stein enthält einzelne kleine Einlagerungen von Kalk und Kalkbreccie
mit undeutlichen Fossilresten. An einer Quelle streicht der Sandstein
N 16 W. Auf der anderen Thalseite setzt sich der Flysch als eine
schmale Zone zwischen zwei langen Kalkbergen nach SSO fort. (Vgl.
das Profil Nr. 21, Tafel 13, Zeitschrift XXXI, 1896.)
Unser Pfad führt uns nun nach Norden in einen Thalkessel hinein,
wo die Schlucht von Patiöpulon ihren Ursprung nimmt; ehe wir ihn
betreten, passieren wir die Ostgrenze des Flysch gegen massigen
grauen Kalkstein, der hier ebenfalls wieder an einer Verwerfung über
den Flysch überschoben zu sein scheint. Das Thal hat einen breiten
steinigen Boden, der ziemlich üppig von Kräutern bewachsen ist
Über einen niedrigen Felsriegel kommen wir in ein östlich benach-
bartes, ziemlich lang nach OSO gestrecktes, abflufsloses Hochthal
hinein, dessen tiefster, im Winter von Wasser bedeckter Teil eine
kleine Ebene von fruchtbarem Lehm bildet. Hier haben sich Sara-
katsanaäische Nomaden, die sich im Winter in Akarnanien aufhalten,
in zwei Gruppen von Reisighütten (Stanaes) niedergelassen. Das Thal
und die umgebenden Berge wimmelten förmlich von Schaf- und
Ziegenherden.
Rings um das Thal steht nur dunkelgrauer, massiger, ziemlich fein-
körniger Kalk an, der gerundete Bergformen bildet und an der Ober-
fläche in grofsen, plumpen, Wollsack ähnlichen Höckern verwittert.
Nach dreistündigem Aufenthalt marschieren wir weiter, das Thal
aufwärts nach Süden, durch Tannenwald. Der Kalk enthält hier
Durchschnitte von Schnecken und Muscheln. Über ein niedriges Joch
Reisen und Forschungen in Nord-Griechenland. 249
[20 Min. 1170 m) geht es dann wieder in eine kleine abflufslose Ebene
hinab, deren Terrarossa-Boden mit Mais angebaut ist. An der Ost-
seite befindet sich eine Katavöthra und unmittelbar dabei eine grofse
Quelle. Dann geht es nach SSO wieder zu einer Pafshöhe hinauf
( 1 St., 930 m) und jenseits zu einer dritten abflufslosen Mulde hinab
(20 Min.). Beim Abstieg sammelte ich Rudisten im Kalkstein, nach
Prof. Steinmann ein Rädiolües cfr. squamosa. Alle drei abflufslosen
"Thalbecken befinden sich auf einer graden, dem Streichen des Ge-
birges folgenden Linie und sind durch niedrige Joche mit einander
verbunden, während zu beiden Seiten sich höhere massige Gebirgs-
wälle hinziehen. So bilden sie zusammen eine einzige Längsfurche.
Wie überall auf dem massigen Kalkstein sind die Wege überaus un-
gangbar, namentlich für die Pferde, da das ziemlich harte Gestein in
scharfen Graten und Löchern verwittert und von den Füfsen der
Menschen und Tiere vollständig poliert wird. Obwohl also gerade in
diesem Kalkstein die Formen der Landschaft im grofsen sehr sanfte
zu sein pflegen, so kommt man doch auf ihm von allen Gesteins-
arten am allerlangsamsten vorwärts.
Über ein niedriges Joch gelangen wir in eine vierte, ganz ähnliche,
steinige Ebene, die aber einen Abflufs nach Osten hat, der in enger,
steiler Schlucht zu dem hier nicht mehr fernen Aspropötamos hinab-
zieht. An dem Rande der kleinen Ebene liegt hier das Hirtendorf
Sakaretsi. (i St., 5 St. 10 Min. von Patiöpulon, 795 Einw.; in dieser
Zahl sind wohl viele aufserhalb des Dorfes wohnende Hirten ein-
begriffen.) Wir lagern uns unterhalb des Dorfes bei einem kleinen
ummauerten Teiche, der zur Viehtränke bestimmt ist. In seinem
fauligen Wasser treiben sich alle möglichen Wassertiere umher, unter
anderen auch eine kleine Schlange, die pfeilgeschwind durch das
Wasser schiefst, wie ich sie auch im See von Jännina beobachtet habe.
Bei Sakaretsi treten in dem grauen massigen Kalk wieder Rudisten auf.
Der von hier an geradezu martervolle Pfad über den geschratteten,
glattpolierten Kalk führte uns an der linken Seite der schnell sich
vertiefenden Schlucht nach Osten hinan. Sakaretsi liegt viel näher am
Aspros, als die französische Karte angiebt. Denn kaum sind wir einige
Minuten gestiegen, so erblicken wir vor uns eine lange, nach SO ge-
richtete Strecke dieses Flusses, bis zur Gegend von Tatarna hin.
Noch etwas weiter hinan treten wir plötzlich an eine Bergecke und
schauen überrascht hinunter in einen tiefen Canon, auf dessen Grund
das hier tiefgrüne Wasser des Aspros in einem breiten, blendend
weifsen Schuttbett fliefst. Zu beiden Seiten des hier nach Südwest
gerichteten Flusses steht derselbe graue massige Kalk an, der rechts
vom Flufs die Berge von Sakaretsi, links ein Kalkplateau bildet, das.
250 A - PhiHppson:
nur etwa 200 m über dem Flufs liegt. Letzterer stöfst weiterhin auf
die Hauptkette des Gävrovo-Zuges und wendet sich hier plötzlich in
einer Biegung von etwa 300 ° nach OSO, welche Richtung er bis zur
Brücke von Tatarna einhält Hierbei tritt er bald aus dem Kalk heraus
in eine breite flachhügelige Flyschzone, die sich nach Osten ausbreitet
bis zu dem hohen zackigen Kamm des Phtheri, der westlichen Kette
der sogenannten Ätolischen Kalkalpen. Der Kalk des Gavrovo fällt
nach Osten unter diesen Flysch ein. Doch begleitet das Kalkgebirge
auch weiter abwärts die rechte Seite des Flusses in geringem Ab-
stand, bis dieser oberhalb Tatarna in scharfer Biegung wieder in
den Kalk eintritt und in enger Schlucht unseren Blicken entschwindet.
Es wurde mir erzählt, dafs der Aspros oberhalb der Tatarna-
Schlucht im Hochsommer zuweilen eine Wegstunde weit vollkommen
verschwindet; unterhalb dieser Strecke tritt dann das Wasser im Bett
wieder hervor.
Es lassen sich keine gröfseren landschaftlichen Gegensätze denken,
als hier in diesem Bilde vereint sind: das dunkle Gävrovo-Gebirge
aus massigem, dunkelgrauen Kalk mit breitgewölbten, schwerfälligen
Formen, langen Rücken, ohne beherrschende Gipfel, hier und da mit
schwärzlichen Tannenwäldern besetzt; das niedrige, unruhige von
mäandrischen Thälchen durchzogene Flyschhügelland , lebhaft grün
gefärbt durch seine Bewaldung mit Laubbäumen und Maquien; dann
dahinter die jäh wie eine Mauer aufsteigende, oben wie eine Säge
in wilden Graten und Spitzen gezackte Phtheri-Kette , deren kahle
Wände aus plattigen Kalken und Hornsteinen in hellen, gelblichen
und roten Farbentönen leuchten.
Unser Pfad, dessen oben geschilderte Beschaffenheit uns nur etwa
2 km in der Stunde zurückzulegen erlaubt, zieht nun über eine Art
Terrassenfläche, die sich zwischen der westlichen Canon-Wand und
dem dahinter sanft ansteigenden Gebirge erstreckt und flachhügelig und
von Querschluchten zerissen ist. Das Gestein ist petrographisch ganz
derselbe dunkelgraue bis schwärzliche Kalk, den wir bisher im Gävrovo-
Gebirge getroffen ; seine Oberfläche ist ungemein zerschrattet und dazu
von losgewitterten Steinen bedeckt. Nur aus den Spalten der Schratten-
felder, in denen sich etwas Erde sammelt, spriefsen Kräuter und
dürftiges Buschwerk zwischen den nackten Felshöckern. In diesem
Kalkstein, in dem sich infolge der Schratten keine Schichtung er-
kennen läfst, treten aber in reicher Anzahl Nummuliten auf, grofse
und kleine, vor allem die riesigen Formen, wie sie bei Tripolitza im
Peloponnes gefunden werden.
Besonders bei Pigädia, das auf dieser terrassenartigen Verflachung
liegt (2 St., aber nur etwa 4 km von Sakardtsi, 840 m ü. d. M.), wimmelt
Reisen und Forschungen in Nord- Griechenland.
251
der schwärzliche Kalk von diesen grofsen Foraminiferen, die in ganz
vorzüglicher Weise an der Oberfläche herauswittern, ohne sich doch von
dem Gestein trennen zu lassen. Ich mafs die Länge des an der Ober-
fläche erscheinenden Querschnittes eines grofsen Exemplars zu 66 mm
dabei braucht aber der Schnitt nicht einmal die Mitte des linsen-
förmigen Körpers getroffen zu haben I Bei Pigädia läfst sich eine
dickbankige Schichtung erkennen; sie streicht Ni5°W und fällt mit
20 ° nach Osten ein.
So enthält auch das Kalkmassiv des Gävrovo in geringer Ent-
fernung von einander in äufserlich ganz gleichem Kalkstein Rudisten
und Nummuliten, ohne dafs sich dazwischen eine Gesteinsgrenze be-
merkbar machte. Die Nummuliten treten in den oberen Schichten
des Massivs, nahe der Grenze gegen den darüber liegenden Flysch, auf.
Pigädia besteht aus einigen Reisighütten und nur zwei oder drei
niedrigen Steinhäusern. Herrlich ist die Aussicht von hier, die sich nicht
wesentlich von der oben geschilderten unterscheidet; zauberhaft war das
Farbenspiel, das die untergehende Sonne bei überaus durchsichtiger
Atmosphäre auf den buntfarbigen Felswänden des Phthdri hervorrief.
Nachdem die nächtlichen Schatten herabgesunken und die Phtheri-
Wände sich in immer fahlere und fahlere Tinten getaucht hatten, um
schliefslich als gespenstische dunkle Masse am Horizont zu stehen,
safsen wir noch lange an dem vor unserer Hütte entzündeten Feuer
und blickten hinaus in die weite, im ungewissen Halbdunkel der
mondlosen Juninacht verschwimmende Landschaft, über der die Sterne
in wunderbarer Pracht blinkten und glitzerten. Es war ein unvergefs-
licher Abend!
Der folgende Tag (19.) war wieder klar und angenehm warm
(i| Uhr 24J ). Wir verfolgen die flachhügelige Terrasse weiter nach
Norden, an der Mündung des Baches von Granftsa vorbei- Oberhalb
hiervon ist das Thal des Aspropötamos eine kurze Strecke weit breit
und offen. Zwei kleine von Maisfeldern bedeckte Ebenen, durch
niedrige Hügel von einander getrennt, liegen hier vor dem geschlossenen
Abfall des Gävrovo-Gebirges an der rechten Seite des Flusses, der
sie, in breitem Schuttbett verzweigt, durchströmt. Am Rande der
oberen Ebene liegt das Dorf Vruvianä (das in der Volkszählungsliste
fehlt). Wir berühren es nicht, sondern steigen schon vorher zu den
Hügeln hinab, welche die beiden Ebenen trennen, und marschieren
durch diese auf den Flufs zu. Die Hügel bestehen aus eocänem Flysch*
Thonschiefer, unter welchen der Nummulitenkalk mit flachem, östlichem
Einfallen hinabsinkt; beide Gesteine gehen durch einen Mergelschiefer
in einander über. Dicht am Flufs tritt aber wieder derselbe Kalk
unter dem Schiefer hervor und bildet auch einen schmalen Streifen am
Zeitschr. d. Ges. f. Erdlc. Bd. XXXII. 1897. 18
252 A - Philippson:
jenseitigen Ufer, der sich weiter südwärts mit der Hauptkalkmasse ver-
bindet. Der dunkle dickbankige Kalk liegt hier fast horizontal, seine
Oberfläche nur etwa 20 m über dem Flufs. Dieser hat hier also
zwischen den beiden Ebenen einen niedrigen, aber ziemlich breiten
Kalkriegel zu durchbrechen, und thut dies in einem Miniaturcanon,
der zwar nur eine sehr geringe Höhe, aber vollständig senkrechte
Wände besitzt, die auf beiden Seiten unmittelbar vom Flufs bespült
werden. Hier ist der Flufs so eingeengt, dafs er von einer nur
21 Schritt (etwa 15 m) langen, modernen Holzbrücke, der Brücke von
Vruvianä (a£ St., 290 m), überspannt wird; dafür ist er augenscheinlich
sehr tief.
Wir verlassen hier den Vältos und betreten wieder die Land-
schaft Agrapha, politisch die Eparchie Evrytanfa. Von hier geht es
nun am Gehänge steil hinauf. Dicht am Ufer wird der Kalk schon
wieder von Flyschschiefer und -Sandstein überlagert, die flach
nach Osten fallen und von den üppigsten Maquien in undurchdring-
lichem Dickicht überzogen sind. Nur ein schmaler gewundener Pfad
führt uns durch die hohen dunklen Laubwände, die von zahllosen
bunten Blüten durchsetzt sind, hinan zu einer steileren Wand aus
härterem Komglomerat und Sandstein, die den Abhang krönt. Von
der Höhe (50 Min.) geht es immer durch Buschwald in ein Thälchen
mit einigen einsamen Maisfeldern hinab, dann wieder über einen
Rücken, stets auf Flyschschiefer mit eingelagerten Sandstein- und
Komglomeratschichten. Dann nimmt uns ein zweites Thal auf, an
dessen Gehängen grofse Quellen entspringen und eine üppige Vegetation
von Feigen-, Kirsch-, Nufs- und anderen Obstbäumen ermöglichen, in
deren Schatten auf dem terrassierten Boden Mais gesäet ist, der schon
kräftig emporwächst. Einige jetzt verschlossene Hütten, dem Dorf
Lepianä zugehörig, liegen an dem idyllischen Plätzchen. (1 St. 40 Min.
von der Brücke, 650 m.)
Infolge schlechter Führung kommen wir von hier, anstatt nach
Graiütsa, ziemlich steil ansteigend nach dem Dorf Lepianä, das
dicht unter dem Gipfel eines auffallenden, abgestumpften Kegel-
berges liegt, der aus einer harten Konglomeratplatte über dem
Schiefer besteht. Wir steigen dann den Berg wieder hinunter in öst-
licher Richtung in ein tiefes Thal; teils über Äcker, teils durch Wald,
wo wild wachsende Weinreben an den Bäumen emporranken. Von
dem Thale aus (i£ St. vom Rastplatz mit dem Umweg; 510 m) ging
es zu Seiten eines Nebenthaies nach Osten hinauf, durch Maquien,
wechselnd mit Wald von immergrünen Eichen {Qu. Hex). Der Flysch
fällt ziemlich flach nach Osten, doch ist er an einigen Stellen auch steiler
aufgerichtet und gefaltet. Kurz vor dem Hügelrücken, der uns Granftsa
Reisen und Forschungen in Nord-Griechenland.
253
verbarg, gingen wir wieder fehl, sodafs wir nicht nur einen Umweg
machten, sondern dazu in eine Schlucht gerieten, aus der wir kaum
wieder heraus kommen konnten. Endlich gelangten wir jenseits der
Höhe zu Weizenäckern und zu einem Weg, der uns dann sehr bald
zum Dorf führte. (2 St. vom Flufs, 7 St. von Pigädia, bei Orts-
kenntnis höchstens $i St., 870 m.)
Granftsa (mit 908 sämtlich sefshaften Einwohnern) liegt am West-
abhang eines Thaies, gegenüber der in der Entfernung weniger Kilo-
meter schroff und zerrissen zu relativen Höhen von 1300 — 1400 m
(2132 m ü. d. M.) aufragenden Phthdri-Kette. Ein wasserreicher Bach
sammelt hier die Abflüsse des Hochgebirges und führt sie dem Aspros
zu. Man kann seinen ganzen Lauf durch die Flyschlandschaft mit
den Blicken verfolgen. Bei Granftsa selbst steht Flyschsandstein an,
auch jenseits des Baches bildet Schiefer den unteren Teil der Phthdri-
Kette; darüber liegt ein Wechsel von Plattenkalk mit Hornstein,
darüber mächtiger, ebenfalls dünnschichtiger Kalkstein, alles mit öst-
ichem Einfallen.
2. Granftsa — Monastiräki — Ägra'pha.
Von Granftsa aus hat man die Phthöri-Kette zu überschreiten,
um in das Thalgebiet des Agraphiötikos zu gelangen. Diese Kette,
die bis Granftsa über 2000 m Höhe besitzt, erniedrigt sich von hier
an südwärts beträchtlich, ohne übrigens ihre Steilheit wesentlich zu
mildern. Der Weg von hier nach Agrapha macht daher eine kleine
Ausbiegung nach Süden, um den Kamm an einer niedrigeren Stelle
zu überschreiten.
Am Nachmittag des 20. Juni trat Bewölkung und Gewitter ein,
jedoch regnete es nur wenig.
Nachdem wir in nordöstlicher Richtung zum Bach niedergestiegen
waren (25 Min., 770 m) über Schiefer, der N 15° W streicht und Ost
fällt, geht es am Abhänge der Phthäri-Kette nach Südosten allmählich
hinauf, wobei mehrere steile, wasserreiche Schluchten zu kreuzen sind.
Die Sandstein- und Schiefergehänge, an denen zahlreiche Wasser-
adern befruchtend hernieder rinnen, sind mit einzelnen immergrünen
Kenneseichen, Baum -Eriken und Wacholder bestanden, dazwischen
breiten sich Getreidefelder aus. Höher hinauf treten üppige Wiesen
zwischen den Feldern auf, wo Gras und Kräuter fufshoch wuchern,
da die Einwohner von Granftsa keine Schafzucht treiben, sondern
nur wenige Ziegenherden unterhalten, die sich bekanntlich von den
Blättern und Trieben der Holzgewächse nähren.
18*
254 A PhiTippson:
An einer Quelle machen wir Halt (i £ St. vom Flufs). Hier fallen
die Sandstein- und Schieferschichten f ) flach nach Osten unter den Horn-
steinkalk des Kammes ein.
Nun geht es steiler hinauf über Plattenkalk, der mit Hornstein
wechsellagert; darin treten Lagergänge von grauem Porphyrit 2 ) und
von braunem Mandelstein mit erbsen- bis haselnufsgrofsen Kalkmandeln
auf, in Gesellschaft von Roteisenstein. Auch hier also eine Über-
schiebung der älteren Kalke nach Westen über den eocänen Flysch.
Nördlich vom Wege, jenseits einer steilen Runse, springt die Gebirgs-
wand etwas nach Westen vor und bietet ein klares Profil. Es folgen
aufeinander: eocäner Flysch zu unterst; Plattenkalk mit Hornsteinlagen
und Eruptivgesteinen, mächtiger roter Hornstein, der lebhaft in ein-
ander gefaltet ist — darin soll, nach Aussage der Leute, Brand-
schiefer vorkommen — und darüber wieder Plattenkalk, den Kamm
bildend, alles nach Osten einfallend.
' Wir kommen nun an den oberen, grauen Plattenkalk, der sich
als steilerer Abhang erhebt, aber nicht so steil, als weiter nördlich,
wo er meist ganz unersteiglich ist. Die Äcker hören hier auf, und
Tannenwald umgiebt uns. Der Weg steigt in engen Windungen hin-
auf, i Stunde von der Quelle stehen wir auf der Pafshöhe (2 St.
40 Min. von Granftsa, 1450 m) und blicken in das tiefe Thal von
Monastiräki, das nach Osten, sich zu einer Schlucht verengend,
hinabzieht.
Wir folgen dem Kamm etwas nach Süden und steigen dann über
einen sehr steilen und einförmigen Abhang von Plattenkalk wohl
600 m hinunter in das Thal. Der Abstieg ist sehr ermüdend, be-
sonders für die Pferde, da kein eigentlicher Weg vorhanden und der
ganze Abhang mit rutschenden Kalkplatten bedeckt ist. Die Schichten
*) Ich notierte in meinem Tagebuch: „In dem Sandstein unfern der Kalk-
grenze kleine Nummuliten". Leider habe ich durch einen Zufall keine Probe da-
von mitgebracht; ein Beobachtungsfehler ist also nicht ganz ausgeschlossen.
8 ) Plagioklaskrystalle in mikrokrystalliner Grundmasse, kaum irgend welche
Andeutungen von Hornblende oder Augit. Sehr zersetzt. — Ein anderes, ebenfalls
stark zersetztes Stück enthält gegenwärtig als primären Bestandteil nur hellgrünen
Augit, der einige Neigung zur Skelettbildung zeigt; sonst vielleicht noch Picotit
oder Chromit (??). Pseudomorphosen eines serpentinartigen Minerals lassen teil-
weise die frühere Form von Olivin wiedererkennen. Von Plagioklas ist nichts
mehr zu erkennen. Dagegen sind häufig divergierende Büschel eines breitnadel-
formigen, stengeligen Minerals von recht schwacher Licht- und Doppelbrechung,
vielleicht Entglasungsprodukte einer ehedem amorphen Gmndmasse. Auch Braun-
eisen durchsetzt das Gestein allenthalben. Man könnte letzteres etwa einen sehr
zersetzten Melaphyr heifsen. (Dr. Bergeat.)
Reisen und Forschungen in Nord-Griechenland.
255
des Plattenkalkes fallen nach Osten dem Abhang parallel ein. Unten
im Thal kommen wir wieder auf einen Hornsteinzug, unter den der
Kalk nach Osten einfällt. Im Hornstein tritt wieder Mandelstein, auch
Adern von Malachit auf; er entspricht jedenfalls dem Hornsteinzuge
auf der Westseite des Gebirges. Darüber folgt wieder Plattenkalk.
Wir haben hier also jedenfalls wieder eine mehrfache Wiederholung
derselben Schichten übereinander bei gleichsinnigem östlichen Ein-
fallen.
Im Grunde des engen Thaies brütete unter den Kronen eines
dichten Platanenwaldes, der den wasserreichen Bach begleitet, eine
drückend schwüle Hitze, die das kommende Gewitter anzeigte. Wir
gehen an der linken Thalseite hin, kreuzen ein enges und tiefes
Nebenthal, in dem eine mächtige Quelle entspringt und einige Mühlen
treibt, steigen jenseits desselben zu einer kleinen Terrassenfläche am
Thalabhang hinauf und treffen hier auf die zwischen hohen Bäumen
versteckten Häuser des Dörfchens Monastiräki (2 St. 10 Min. vom
Kamm, 4 St. 50 Min. von Granftsa, 368 Einw., 760 m).
Bei herrlichem Wetter, das den ganzen Tag ungetrübt anhielt, wan-
derten wir am 21. Juni zunächst hoch über dem Thal von Monastiräki am
linken Gehänge desselben nach Osten, durch einen Wald hochstämmiger
Kermeseichen. Der Kalkstein fällt nach Osten unter steil gefalteten
Kalkschiefer und Thonschiefer, dieser wieder unter bunte (rote, grüne,
violette) Hornsteine, die in grofser Mächtigkeit und breiter Ausdehnung
beide Seiten des Agraphiötikos -Thaies einnehmen. (Str. N i2°W bis
N 16 W, steil O fallend.) Am Ausgang verengt sich das Monostiräki-
Thal zu einer wilden unzugänglichen Schlucht. Man umgeht sie am
höheren Abhang und steigt dann in das Thal des Agraphiötikos hin-
unter (40 Min.). Die Sohle dieses ungemein steil und tief einge-
schnittenen Thaies, das zwischen zwei 1800 und 2000 m hohen
Kämmen, die nur etwa 9 km von einander entfernt sind, bis zu 400 m
Meereshöhe hinabreicht, ist so eng, dafs sie ganz von dem jetzt nur
etwa zur Hälfte mit Wasser gefüllten Bett des sich windenden Flusses
eingenommen wird. Dichter Wald überzieht den unteren Teil der
Thalwände: unten über den Flufs sich neigend, herrliche Platanen,
höher hinauf immergrüne Eichen (Qu. Hex), dazwischen auch Linden
und andere Laubbäume. Darüber ragen die nackten, zackigen Berg-
kämme auf, kulissenartige Vorsprünge aussendend, die überall das
Thal zu schliefsen scheinen.
Nachdem wir dem rechten UfeT des Flusses 20 Min. aufwärts ge-
folgt waren, kamen wir an die Furt, wo wir ihn durchreiten, bzw.
durchwaten mufsten (440 m). Der Übergang war nicht ungefähr-
lich, da zahlreiche Balken fortwährend mit grofser Geschwindigkeit
256 A - Philippson:
den Flufs hin abgeschwommen kamen und geschickt vermieden werden
mufsten. Wir gewinnen nun den Saumpfad, der von Agrapha am
linken Ufer des Flusses nach Keräsovon, Karpenfei und Ätolien
führt. Er leitet uns an der östlichen Thalseite entlang durch
dichten Wald, stets über bunten Hornstein. Ein Nebenbach, der
vom Dörfchen Miry'si herunterkommt, wird auf einer alten Stein-
brücke tiberschritten. Von einigen Maisfeldern aus beginnt der Weg
steil an der Bergwand hinanzusteigen und dann an dieser in be-
deutender Höhe entlangzuziehen. Hier tritt auch Sandstein im
Hornstein eingelagert auf. Ein grofses Nebenthal kommt nun von
Nordwest, von der Phth£ri-Kette herunter, in das wir weit hineinsehen
können; es hat dieselben Kalk- und Hornstein-Zonen zu kreuzen wie
das Thal von Monastiräki. Die Hornsteinzone, der bis hierher der
Agraphiötikos gefolgt ist, zieht sich in dieses Nebenthal hinein.
Der Agraphiötikos -Flufs kommt hier von NNO; kurz ehe er sich
mit dem Nebenbach vereinigt, hat er eine Kalkzone zu durchqueren,
die über dem Hornstein liegt und steil nach Osten einfällt. Sie bildet
auf der rechten Thalseite einen hohen Bergkamm. Der Durchbruch
erfolgt in so enger Klamm, dafs unser Weg genötigt ist, hoch hinauf
zu steigen. Nach oberhalb fällt der Kalk wieder unter eine andere
Hornsteinzone ein, der das Thal nun weiterhin folgt, wobei es sich
wieder etwas erweitert. Der Weg senkt sich daher wieder zum Flufs
hinab, durch schönen Laubwald, besonders aus Hainbuchen.
An dem westlichen Abhang des Hauptthaies erscheint das Dörfchen
Lignano (in der Volkszählungsliste Epinianä genannt, 326 Einw.); wir
aber folgen dem Weg nach dem Dorf Ägrapha, der in ein von Nord-
osten kommendes Thal einbiegt (2 £ St. von der Furt). Dieses verengt
sich zur Schlucht, zwischen Felsen von steil gefaltetem Hornstein und
Plattenkalk. Einige Rofskastanien wachsen hier in dem feuchten
Schatten. Der Weg ist so schmal, dafs die Pferde ihm nicht folgen
können, sondern in dem tobenden Bach zwischen grofsen Felsblöcken
aufwärts waten müssen. Schliefslich hebt sich unter dem Hornstein
ein Faltengewölbe von Sandstein und Thonschiefer hervor, in dem die
Schlucht zur senkrechten Klamm wird, sodafs der Fufspfad im Felsen
ausgesprengt ist. Wo man aus der Klamm heraustritt, das Thal sich
erweitert und der Sandstein wieder unter den Hornstein hinabtaucht,
führt eine alte Spitzbogenbrücke über den Flufs neben einer Mühle
(1 St., 690 m). Nun geht es am nördlichen Thalgehänge hinauf zum
Dorf Agrapha, das auf einer Terrasse 200 m über der Thalsohle liegt
(890 m, 40 Min.; 5^ St. von Monastiräki, 474 Einw.). Die Fläche der
Terrasse ist mit Äckern, Wiesen und Obstbäumen bedeckt; dazwischen
liegen die grofsen stattlichen Steinhäusei des Dorfes weit zerstreut
Reisen und Forschungen in Nord-Griechenland.
257
Ein Teil der Fläche ist im Rutschen begriffen und schon sind die
alte Kirche und einige andere Gebäude zusammengestürzt Auf einem
vorspringenden Hügel, von dem man in das Thal hinunterblickt, steht
malerisch eine Kapelle, von prächtigen Steineichen umgeben. Eine
grofse Kaffee-Halle befindet sich neben der neuen Kirche; der Wirt
nahm uns in einem leeren, gut gebauten, mit Fensterscheiben und
Kamin versehenen Gemach seines Privathauses auf. Das ganze
Dorf macht einen ziemlich wohlhabenden Eindruck. Und doch ist
es wohl das entlegenste und am schwersten zu erreichende Dorf
von ganz Griechenland.
Die ganze Gegend ist überaus wild und unwegsam; ringsum er-
heben sich hohe Gebirge aus steil zusammengefaltetem Plattenkalk
und Hornstein, Gesteine, deren lange Züge beständig miteinander
wechseln. Bei einem flüchtigen Besuch ist es unmöglich, den ver-
wickelten Faltenbau zu entwirren. Man erkennt nur so viel, dafs die-
selben Gesteine immer wiederkehren und dafs sie immer nach Osten
einfallen, dafs also eine ganze Anzahl von nach Westen überliegender
Falten oder Überschiebungen das Gebirge zusammensetzen müssen.
Darin sind tiefe, finstere Schluchten eingeschnitten, die sich in zahl-
lose Seitenschluchten und Runsen verästeln. Sie sind es hauptsächlich,
die das Gebirge so unwegsam machen und für den Reisenden so
überaus zeitraubend sind. Hat man erst einmal einen wasser-
scheidenden Kamm erreicht, so kommt man auf der Höhe leicht vor-
wärts. Dunkle Wälder steigen aus den Schluchten empor an den steil
geböschten Felswänden, unten aus dunkel belaubten immergrünen
Eichen, höher hinauf aus nicht minder finsteren Tannen, die dann
nach oben hin sich in vereinzelten Vorposten verlieren an den kahlen
hellgelblich oder rötlich leuchtenden Felskämmen. Es ist ein Land,
nur bewohnbar für einen rohen, wetterfesten und bedürfnislosen Hirten»
stamm. Der anbaufähige Boden ist ungemein spärlich, der Verkehr
nach allen Seiten* überaus schwierig, die nächsten gröfseren Kultur-
centren, die Städte der westlichen thessalischen Ebene (Kardftsa),
weit entfernt. Noch weiter ist es nach den Sitzen der Behörden, die
für die Gegend zuständig sind. Zwei lange, beschwerliche Tagereisen
sind es bis Karpenfsi, dem Hauptort der Eparchie. Nachdem seit
einigen Jahren die Bedeutung der Eparchien fast gänzlich aufgehoben
und die ganze Verwaltung den Nomarchien übertragen ist, hat man
von Ägrapha bis zur nächsten massgebenden Behörde, der Nomarchie,
und zum nächsten Gericht in Misolonghi vier Tagereisen zu machen;
und wenn die Flüsse angeschwollen sind, kann man überhaupt nicht
hinkommen!
258 &-• Philippson;
Agrapha ist der namen geben de Hauptort zunächst für die Thal-
landschaft des Agraphiötikos-Flusses, die einen Dimos von etwa 230 qkm
und 2335 Einw. (also 10 auf 1 qkm) bildet. Der Gau -Name Agrapha
hat sich dann auch auf die benachbarten Gebirgskantone ausgedehnt,
in einem Umfang, den wir schon öfters näher bezeichnet haben.
3. Agrapha — Miry'si — Stgnoma — Karpenfsi.
Der 22. Juni war ein trüber, unfreundlicher Regentag. In An-
betracht der Jahreszeit hoffte ich, als es in den Morgenstunden unter
Donner und Blitz heftig gofs, dafs es sich bald wieder aufklären würde,
und befahl, als der Regen einen Augenblick nachliefs, den Aufbruch
(9 Uhr), um heute noch Chry'su jenseits des östlichen Gebirgskammes
zu erreichen. Die Wolken lagen ziemlich hoch, sodafs der Ausblick
nicht beeinträchtigt wurde.
Wir stiegen zum Bach hinunter (} St.) und jenseits desselben einen
steilen Abhang hinauf durch Tannenwald. Plattenkalk und Hornstein
bilden den unteren Teil des Abhanges; höher hinauf liegt Sandstein,
str. N45°W. Wir kommen dann auf einen hohen Kamm, der ost-
und westwärts gerichtete Thäler von einander scheidet. Die ersteren
sammeln sich zu einem Bach, der im Halbkreis nach Norden herum
und dann bei dem Dorf Agrapha vorbeifliefst Im Nordosten begrenzt
ein langer, gleichmäfsig hoher und kahler Kamm aus Plattenkalk
(über dem Hornstein-Plattenkalk von Agrapha liegend, mit östlichem
Schichtfallen) die Aussicht. Es ist die „Niäla" genannte, südnördlich
verlaufende Wasserscheide zwischen dem Agraphiötikos und dem M£g-
dovas, etwa 1900 m hoch. Wenn kein Schnee oben liegt, soll ein sehr
bequemer Weg auf diesem fast geradlinigen und sanft geformten
Kamm entlang laufen, auf dem man alle die zeitraubenden und er-
müdenden Schluchten vermeidet; er ist im Sommer besonders bei den
Wanderhirten und den Klephten beliebt, um möglichst schnell und
abseits von allen Dörfern aus den südlichen Gegenden, z. B. um
Karpenisi, nach Norden zum oberen Aspropötamos, der Chässia und
Makedonien zu ziehen.
Es hatte während des Aufstieges sanft geregnet; jetzt brach
ein starkes Gewitter mit Sturm und Regen los und zwang uns
in einer auf der Höhe gelegenen Niederlassung nomadischer
Hirten Schutz zu suchen (2 St. 25 Min., 1440 m). Im Laufe des
Nachmittags hörte der Regen auf, aber der Himmel blieb bewölkt
Wir gehen nach Süden auf der Höhe hin; Sandstein und Platten-
kalk wechseln miteinander ab. Dann kommen wir an den Ursprung
eines Thaies, das nach Süden zu dem Bach von Miry'si hinabzieht,
der seinerseits von Osten nach Westen zum Agraphiötikos gerichtet
Reisen und Forschungen in Nord-Griechenland. 259
ist. An der rechten Seite dieses Thaies steht Homstein und Platten-
kalk, an der linken Sandstein an. Unser Weg führt am linken Ge-
hänge entlang durch dichten Wald mächtiger Tannen. Über den Weg
gestürzte Stämme machen den Pferden manche Schwierigkeit. Ein
Eichhörnchen, eine ziemlich seltene Erscheinung in Griechenland, wird
aufgejagt und von den Soldaten vergebens beschossen. Über den
Höhenrücken zur linken kommen wir nun auf das Gehänge des Haupt-
thales von Mirysi. Ein Ziegenpfad leitet uns vom Weg ab, und wir
müssen mit unseren Pferden eine steile Runse hinunter; hier steht
wieder Plattenkalk an (Ost fallend); der ganze Abhang ist mit los-
gewitterten Platten bedeckt, die bei jedem Schritt raschelnd in die
Tiefe fahren.
Endlich kommen wir im Thal an, das sich nach oben in zwei
Äste gabelt; zwischen beiden liegt auf einer vorspringenden Bergnase,
etwa ioo m über dem Thal, das Dörfchen Mirysi (244 Einw., 940 m).
Vorn, dicht am steilen Abhang, den wir in gewundenem Pfad langsam
ersteigen, schaut die schmucke, weifsgetünchte Kirche, von einer kleinen
Terrasse umgeben, herab. Im Dorf steht Plattenkalk, mit Sandstein
wechselnd, an.
Der 23. Juni war wieder klar und warm (ijUhr in 750 m 25 °).
Wir steigen von Mirysi nach Südost durch Tannenwald zum Kamm
empor, der die Zuflüsse des Agraphi6tikos und des Mägdovas scheidet,
zuerst über Sandstein, dann Homstein (str. N 14 W, f. O), darüber
Plattenkalk, wieder Homstein, und auf deT Pafshöhe (1 St, 1340 m)
wieder Plattenkalk. Von hier folgen wir der rechten Seite eines nach
Osten hinabziehenden Thaies, wieder über wechselnde Züge von Platten-
kalk und Homstein. Riesige uralte Tannen bilden hier einen dunklen
Wald, und über den Weg gestürzte Stämme bereiten manches Hinder-
nis. Endlich treten wir aus dem Wald hinaus am Abhang eines
gröfseren Thaies, das, von Norden herkommend, hier eine Biegung
nach Westen macht, um sich dann wieder nach Süden zu wenden.
Es wird von einem Zuflufs des Mdgdovas durchströmt, der selbst
weiter östlich jenseits eines hohen Plattenkalkrückens, Kalesäki, liegt.
Hier, wie in dem Prosilion genannten Berg im Norden unseres Thaies,
fallen überall die Homstein- und Kalkschichten nach Osten ein.
Wir ziehen nun am rechten Gehänge des grofsen Thaies in be-
deutender Höhe über der Thalsohle nach Süden. Thonschiefer und
Homstein walten hier vor. Einzelne Tannen- und Eichenwälder
wechseln mit Äckern. Tiefer hinabsteigend kommen wir zu Feldern
und Weinbergen mit zerstreuten Häusern; dann geht es wieder hinauf,
und wir biegen in ein tief eingeschnittenes Nebenthal ein, das von
Westen, von dem 1758 m hohen Berg, von Keräsovon herabkommt.
260 A. Philippson:
Unser Weg bleibt hoch über der Thalsohle, führt an Plattenkalk-
Felsen vorbei (steil Ost fallend), dann wieder auf Hornstein , und er-
reicht das auf fruchtbarer Terrasse, hoch über dem Bach gelegene
Dorf Chrysu (3! St. von Miry'si, 750 m, 512 Einw. Die französische
Karte ist in dieser ganzen Gegend sehr ungenau.) Seine stattlichen
hohen Steinhäuser machen einen wohlhabenden Eindruck. An dem
von Platanen beschatteten Dorfplatz liegt ein grofses Magasf.
Nachmittags steigen wir zum Bach hinab und folgen diesem abwärts
nach Osten. Er taucht bald, bei der Durchkreuzung des zuletzt er-
wähnten Plattenkalkzuges, in eine enge und wilde Schlucht. (Der Horn-
steinstr. N 6° W, f. O; der Plattenkalkstr. N 20 W, f. O.) Dann kommen
wir zu dem erwähnten gröfseren Nebenflufs des Mggdovas und folgen ihm
nach Südosten. Wir wandern immer in dem von Platanen be-
schatteten, von Gerollen erfüllten breiten Bachbett und durchwaten
den Bach mehrmals; der Weg ist bei der schwülen Hitze in der be-
engten Schlucht sehr ermüdend. Die steilen Wände des Thaies be-
stehen aus Hornstein, dann aus Plattenkalk, dann eine weite Strecke
wieder aus Hornstein, dann, am Ausgang, wieder aus Plattenkalk.
(2} St. von Chrysu). Endlich erreichen wir den Flufs Mdgdovas, der
in sehr breitem Geröllbett mit südlicher Richtung dahinfliefst. Wenn
auch, aufser dem Bett selbst, keine eigentliche Thalsohle vorhanden
ist, so sind doch hier die Gehänge des Flufsthales schon sanft geneigt
und hier und da von fruchtbarer Erde bedeckt, die vereinzelt angebaut
ist. Sonst sind die Gehänge meist von Eichenwald bestanden. Eine
Viertelstunde ziehen wir am rechten Flufsufer abwärts, dann müssen
wir durch eine Furt hinüber (390 m). Hier sind bulgarische Flöfser
damit beschäftigt, die in grofser Zahl in dem hier seichten Flufs
gestrandeten Balken wieder flott zu machen. Die Bulgaren haben
einen Steg für Fufsgänger angelegt, über den wir hinüber balancieren,
während die Pferde, nicht ohne Gefahr, durch die fortwährend
herabschwimmenden Balken getroffen zu werden, den Flufs durch-
waten.
Von der Furt aus biegen wir sehr bald nach Osten in das
Nebenthal von Stänoma ein. Die Berge zu beiden Seiten bestehen aus
abwechselnden Schichtkomplexen von Sandstein, Hornstein und Platten-
kalk, nach Osten einfallend. Gebüsche und Bäume der Kermeseiche
tiberziehen die Gehänge, während der Thalgrund zu Seiten des schäu-
menden Baches, von einem dichten Platanenwald bedeckt ist. Ange-
nehm wandert es sich im Schatten der riesigen Bäume, bis wir an der
südlichen Thalwand das Dörfchen Stdnoma zwischen Obstbäumen ver-
steckt erblicken. Zu ihm steigen wir hinauf, um dort zu übernachten.
(1 St. 40 Min. von der Furt, 4! St. von Chrysu, 8 St. von Mirysi,
Reisen und Forschungen in Nord-Griechenland. 261
245 Einw., 660 m.) Im Hintergrund des Thaies sieht man den west-
lichen 2120 m hohen Gipfel des Velüchi und den nördlich von ihm
abzweigenden kahlen Kalkkamm.
Am nächsten Tage, 24. Juni, dessen Witterung wie die der vor-
hergehenden Tage herrlich war, setzten wir den Marsch nach Kar-
penlsi fort. Wir steigen den das Thal im Süden begrenzenden Höhen-
rücken hinauf, erst über Plattenkalk, dann über Hornstein, und er-
reichen oben auf der Höhe den Saumpfad, der von der Brücke von
Vfniani heraufkommt, den Weg vom nördlichen Akarnanien und dem
Vältos nach Karpenfsi, den ich im Jahr 1890 zurückgelegt habe.
Der Weg steigt auf dem Bergrücken nach Osten an, über ab-
wechselnden Plattenkalk, Hornstein und Sandstein (f. O.), und durch
Tannenwald. Dann geht es in ein südlich benachbartes Thal hinunter
und in diesem wieder aufwärts über steil gefalteten Kalkschiefer und
Hornstein. Am Ursprung des Thaies bei einer kleinen Quelle in einer
Lichtung hat sich ein Wirt in einer kleinen Holzbude niedergelassen.
Wir rasten hier ein Weilchen und steigen dann zur Pafshöhe und
kleinen Kapelle H. Athanäsios auf, durch Tannenwald auf Sandstein.
(2i St. von Stdnoma, 1470 m 1 ).) Von hier geht der Weg 20 Minuten
weit am Abhang eines nach Süden zum Flufs von Karpenfsi gerichteten
Thaies fast eben hin. Eine herrliche Aussicht hat man von diesem
hochgelegenen Wege nach Süden auf die zackigen Kämme der Ätoli-
schen Kalkalpen, besonders die wilden Felsgipfel Chelidöni (1989 m)
und Kaleaküda (2104 m), auf die tiefen labyrinthischen Thäler, die sie
durchschneiden, auf den langgestreckten gleichmäfsigen Schieferrücken
der Oxyä im Südosten und die hohen Wände und Gipfel der Vardüssia
dahinter. Dann steigen wir in dem breiten Schuttbett eines fast stets
trockenen Wildbaches hinab, der uns bis nach Karpenfsi hinunter-
führt. Zur linken haben wir die kahlen, vollständig entwaldeten
Abhänge des Velüchi; in einer Schlucht, die vom Hochgebirge her-
unterkommt, sehen wir ein Faltengewölbe von Hornstein unter dem
Plattenkalk. An das linke Ufer des Wildbaches schliefsen sich gleich
die ersten Häuser von Karpenfsi an. Der Ort wird in der Mitte
von einer anderen steilen Runse durchschnitten; an beiden Seiten
derselben steigen die Häuser dicht gedrängt an den Abhängen hinauf.
An der rechten Seite der Runse liegt die Platfa mit der Kirche und
dem Hauptkaffeehaus, etwas darüber die Kaserne und unterhalb die
enge, steil abfallende Bazarstrafse. Eine Brücke führt von der Platfa
auf das linke Ufer zu einer zweiten lebhaften Hauptstrafse, die sich
in die nach Lamfa führende Fahrstrafse fortsetzt. Hier finden wir in
l ) 1890 habe ich dort nur 142g m gemessen.
262 A. Philippson:
einem kleinen Gasthaus Unterkunft. (ij St. vom Joch, 3| St. von
Stdnoma, iooo m.) 1 )
Karpenfsi beherrscht ein kleines fruchtbares Thalbecken, das sich
südlich unterhalb der Stadt ausdehnt, etwa 10 km von O nach W lang
und i bis 2 km breit, etwa 900 m ü. M. Hier sammelt der Flufs von
Karpenfsi seine Gewässer, um sie in gewundenem Laufe durch enge
Schluchten zwischen hohen Gebirgen dem Aspropötamos zuzuführen.
Im Norden der Stadt erhebt sich der hohe Bergstock des Velüchi
(Tymphrestos, 2319 m), einer der höchsten Gipfel des Pindos-Systems,
aus Hornstein und Plattenkalken aufgebaut Auch im Westen und
Südwesten umgeben freilich weit niedrigere Höhen aus denselben
Gesteinen das Thal. Aus der Thalebene selbst erhebt sich südlich
von Karpenfsi ein kleiner isolierter Hügel aus Kalkstein. Gegenüber
liegt auf den südlichen Höhen das Dorf Miära; hier fällt der Platten-
kalk steil nach Osten unter den Flysch ein, der von hier an die süd-
östliche und östliche Umrahmung des Thalbeckens bildet. Das
Thal liegt also auf der Grenze zwischen der Hornstein - Kalk-
zone des Pindos im Westen, der grofsen Flyschzone der östlichen
Agrapha und des östlichen Ätolien im Osten. Nur ein relativ
niedriger und sanfter Flyschrücken bildet im Osten des Thaies
die Wasserscheide gegen den Spercheios. Der Zugang zu dem Thal
von Karpenfsi ist also vom östlichen Meer aus, von Lamfa her, wenig
behindert, und hierher weisen daher die Verkehrsbeziehungen der
Gegend. Nach allen anderen Seiten machen weite, durchschluchtete
Gebirge einen regeren Verkehr unmöglich. Doch wird die Linie von
Karpenfsi auch nach Westen durch eine orographische Erniedrigung des
Pindos-Systems bezeichnet, da sich hier die grofsen Nebenflüsse des
Aspropötamos vereinigen und die zwischen ihnen liegenden Gebirgs-
kämme durch die Erosion von den sich nähernden Thälern aus stärker
abgetragen sind, als weiter nördlich in der Agrapha und weiter südlich
in den Gebirgen der Krävari, wie die Landschaft zwischen Karpenfsi, Näv-
paktos, Agrfnion und Lidorfki genannt wird. Es ist also keine eigentliche
Senke oder Furche, die hier das Gebirge quer durchschneidet, sondern
nur eine gewisse allgemeine Erniedrigung der Kammhöhen. Diese Er-
niedrigung benutzt der immerhin recht beschwerliche Weg von der
Spercheios-Ebene und Süd-Thessalien nach Süd-Epirus, Akarnien und
Ätolien.
Auf dieser Lage an der wichtigsten Querstrafse des westlichen
Mittel-Griechenland (Lamfa — Karpenfsi — Tatarna-Brücke und Karpenfsi —
H. Vläsis — Agrfnion) und auf dem Besitz des einzigen ebenen Thal-
l ) ^o: 958 m.
Reisen und Forschungen in Nord-Griechenland.
263
bodens, der sich in den Gebirgen rings umher in weitem Umkreise
findet, beruht die Bedeutung von Karpenfsi. Es ist der einzige städti-
sche Ort in dem ausgedehnten Gebirgsland des südlichen Pindos-
Systems und für den mittleren Teil desselben, der nicht nach den
Rand-Ebenen hin gravitiert, der natürliche Mittelpunkt. Da aber der
ganze Bezirk wenig bevölkert und die Bevölkerung sehr bedürfnislos
ist, so hat auch Karpenfsi nie gröfsere Blüte erlangt. Es ist stets ein
abgelegenes, für sich lebendes Gebirgsstädtchen geblieben. Aus dem
Altertum sind keine Reste in Karpenfsi erhalten; dagegen finden sich
solche am westlichen Ende der Thalebene an zwei Stellen. Gewöhn-
lich verlegt man in diese Gegend die Wohnsitze der alten Eurytanen;
jedenfalls kann es nicht zweifelhaft sein, dafs auch im Altertum der
gröfste Ort dieses Bezirks am Rande dieser Thalebene lag. Ebenso-
wenig wie aus dem Altertum haben sich aus dem Mittelalter erhebliche
Bauwerke erhalten. Im späteren Mittelalter wird aber Karpenfsi schon
erwähnt. Unter der türkischen Herrschaft bildete es den Hauptort
eines Kaza (Bezirk); freilich reichte die Macht der türkischen Regie-
rung kaum über die unmittelbare Umgebung der Stadt hinaus. In
den zahlreichen Aufständen und Guerillakriegen der Türkenzeit, sowie
in dem griechischen Freiheitskriege bildete Karpenfsi den Gegenstand
häufiger Kämpfe; war es doch derjenige gröfsere Ort, der den stets
unruhigen Bergbewohnern der Agrapha am nächsten lag. Jetzt ist Kar-
penfsi der Hauptort der Eparchie Evrytanfa und hat als solcher Post,
Telegraph, ein Gensdarmerie- Unterkommando, Bankfiliale und Regie*
rungskasse und als Besatzung eine Kompagnie Evzonen.
IX. Von Karpenisi nach Vitrinitsa am Korinthischen Golf,
i. Karpenfsi — Gardfki — Artotfna.
Schon am frühen Morgen des nächsten Tages (25. Juni) wurde
bei klarem, frischem Wetter von Karpenfsi die Rückreise nach dem
Ufer des Korinthischen Golfes angetreten.
Die Fahrstrafse nach Lamfa, der wir bis zur Wasserscheide zu
folgen hatten, zieht von der Stadt in die Thalebene hinab, dann über
einen riesigen Schuttkegel hin, der aus einer am höchsten Gipfel des
Velüchi entspringenden Schlucht herausquillt. Dieser schroffe impo-
sante Gipfel selbst, jetzt fast schneefrei, tritt uns hier vor Augen. Ein
Zug von Hornstein und Sandstein zieht die besagte Thalschlucht auf-
wärts; darüber liegt ein aufgesprengtes Gewölbe von Plattenkalk. Der
östliche Flügel dieses Gewölbes bildet die höchste Spitze.
Von dem Schuttkegel, der die ganze Breite der Thalebene sperrt,
kommen wir in den östlichen Teil der Ebene hinab, die sehr frucht-
264 A. Philippson:
bar und mit Mais und Getreide gut angebaut ist. Wieder kommt
hier ein Thal vom nördlichen Gebirge und zwar von einer Einsattelung
desselben herab; es folgt einem breiten Komplex von Thonschiefer,
der unter dem Kalk des Velüchi hervortaucht; im Osten liegt ihm
derselbe Kalk mit östlichem Fallen auf — er bildet also wieder ein
Faltengewölbe, das in der Mitte durch die Erosion zerschnitten ist.
Der östliche Flügel bildet den Berg Mavrlllos, dessen Kalk seiner-
seits nach Osten unter den eocänen Flysch der grofsen ostätolischen
Flyschzone einfällt. Der Kalk des Velüchi ist also älter als
dieser eocäne Flysch. Die Höhen südlich der Thalebene bestehen,
schon von Miära an, wo ebenfalls der Kalkstein unter Flysch Sand-
stein einfallt, aus diesem letzteren Gestein.
Die Fahrstrafse setzt auf einer hölzernen Brücke über den hier
noch ziemlich kleinen Flufs (45 Min.), kehrt aber schon nach 25 Minuten
bei einigen Hütten, Kalyvia, mit eben solcher Brücke wieder auf das
nördliche Ufer zurück. Nun verengt sich die Ebene zu einem schmalen
Thal, in dem die Strafse merklich ansteigt; nach J Stunde passieren
wir das Chani von Läspi (1020 m). Das Dorf (625 Ew.) liegt an der
gegenüberliegenden Thalseite in einem ausgedehnten Wald von Edel-
kastanien. Die Windungen, welche die Strafse macht, um die Pafs-
höhe zu erreichen, kürzen wir auf einem^ Richtwege ab und stehen
nach \ Stunde (2 St. von Karpenfsi) auf der Wasserscheide zwischen
dem Jonischen und Ägäischen Meer, auf der tiefsten Einsattelung
des Sandsteinrückens (1240 m) 1 ), bei einem in Ruinen zerfallenen
Wachthaus.
Hier verlassen wir die nach Lamfa führende Fahrstrafse und folgen
dem wasserscheidenden Höhenrücken nach Süden. Dieser Berg-
rücken, der nach SSO allmählich ansteigt und in der 1927 m hohen
Oxyä gipfelt, dann sich nach OSO zur Vardüssia wendet, besteht
aus dickbankigem , graugrünem Flyschsandstein. Seine Oberflächen-
formen sind sanft gerundet, und der wasserscheidende Rücken selbst
hat tiberall eine beträchtliche Breite. Die Länge dieses die Haupt-
wasserscheide Mittel-Griechenlands tragenden Flyschrückens beträgt
von der Lamfa-Strafse aus 30 km; er ist wegsam, sodafs ihm der
ganzen Länge nach ein Saumpfad, eine Art Rennstieg, folgt, der
Karpenfsi und die Ägrapha mit den Eparchien Doris und Pamassis
verbindet. Die Wanderung auf dem aussichtsreichen, sanft an-
steigenden Bergrücken, der nach allen Seiten die weitesten Ausblicke
gestattet, in der herrlichen Höhenluft, auf mildem, fast steinlosem
Boden, ist entzückend. Man fühlt sich allein mit der Natur. Kein
1 ) 1890: 1213 m gemessen.
Reben und Forschungen in Nord-Griechenland. 265
Mensch und kein auffalliges Menschenwerk weit und breit. Eine
Strecke geht es durch dichten Tannenwald, dann wieder über freie,
von Kräutern und Blumen anmutig geschmückte Höhen. Die kühle
Luft (12I Uhr 21 4°) läfst die fast scheitelrecht stehende Sommersonne
nicht lästig werden; wir können uns ungestört darüber freuen, wie sie
alles ringsum in Licht und Farben badet.
Wir kommen an einer Stelle vorbei, die 's ta xoxxaXa („zu den
Knochen") heifst. Man hatte mich schon in Karpenfsi auf sie auf-
merksam gemacht, da man dort Knochen in grofsen Massen fände.
Meine Hoffnung, vielleicht ein fossiles Knochenlager dort zu entdecken
wurde aber getäuscht. Auf dem breiten Gebirgskamm liegen einige
Äcker, und deren Boden, vom Pfluge aufgewühlt, ist geradezu erfüllt
von Knochensplittern, alles mürbe, zerfallene Teilchen, die wohl nur
von Menschenknochen und zwar von einer Begräbnisstätte einer früher
hier gelegenen Ansiedelung herrühren können. Diese Vermutung wird
dadurch bestätigt, dafs auch eine grofse Menge von Bruchstücken
flacher roter Ziegel in derselben Erde herumliegen. Die Stelle liegt
etwa 1400 m ü. d. M., also höher als jetzt irgend ein Dorf in Griechen-
land. Mein Führer erzählte mir, dafs die Knochen von einer grofsen
Schlacht herrührten, die einst hier geschlagen worden sei; ich glaube
das aber nicht, da die ziemlich gleichmäfsige Verteilung der Knochen-
splitter in der Erde auf einer ansehnlichen Fläche darauf hinweist,
dafs sie auf dieser ganzen Fläche in der Erde begraben waren. Nach
einer Schlacht läfst man die Leichen entweder liegen — und dann
erhalten sie sich nicht lange — , oder man begräbt sie alle zusammen
in einem oder in wenigen Massengräbern.
Im Westen erscheinen inmitten des Sandsteins einige Kalkklippen.
Unter einzelstehenden Tannen machten wir um 9! Uhr (1 St. vom
Joch, 3 St. von Karpenfsi, 1490 m) Mittagsrast, da hier für die Pferde
eine vorzügliche Weide war.
Von hier steigt der kahle, sanftgewölbte Höhenrücken etwas steiler
an. Wir folgen ihm stets in der Nähe der Kammlinie. Der Sand-
stein streicht N 15—25° O und fallt nach Osten ein. Nach links ziehen
sich Thäler durch bewaldetes Land zum Spercheios hinab, nach rechts
zum Krfkelo-Flufs, der sich mit dem Karpenfsi-Flufs vereinigt (also
dem Aspros-Gebiet zugehört). Auf der einen Seite übersieht man
die ganze Spercheios-Ebene bis zum östlichen Othrys-Gebirge ; auch
die hohe Kalkmasse des Katavöthra-Gebirges (Oeta) steht nicht allzu-
fern zur linken. Auf der anderen Seite sieht man in tiefe gewundene
Thäler hinab; jenseits derselben erheben sich die wilden Gipfel und
Kämme der Ätolischen Kalkalpen. Nach 2 Stunden vom Rastplatz
kommen wir auf den für heute höchsten Punkt unseres Weges (1750 m);
266 A. Philippson:
jenseits desselben liegt ein Joch (1680 m), wo der Weg von Krfkelo
nach Gardfki den Kamm kreuzt. Wir folgen diesem Weg, verlassen
also die Kammlinie und steigen nach Osten hinab. (2 St. 25 Min.
vom Rastplatz.) Der Pfad folgt wieder einem seitlich vom Haupt-
kamm ausstrahlenden Rücken zwischen zwei Thälern, der sich allmäh-
lich erniedrigt; dabei stellt sich die Vardüssia in ihrer ganzen Gröfse
unseren Blicken dar. Das Gestein ist hier vorwaltend Thonschiefer,
obwohl Sandstein nicht fehlt. Eine Quelle entspringt am Wege. Zu.
letzt geht es durch dichten Tannenforst, in dem auch Edelkastanien
wachsen, steiler hinab, und plötzlich, aus dem Walde tretend, stehen
wir an den Häusern von Gardfki, das uns bisher verborgen war.
(i| St. vom Kamm, 7 St. von Karpenfsi.) Das grofse Dorf (1321 Ew.)
liegt weit zerstreut an einem Flyschabhang, der sich zu einem tiefen,
aber sanftgeböschten Thal hinabzieht. Der Forst oberhalb des Dorfes
wird als Bannwald geschont, um das Dorf und seine Äcker vor Ver-
muhrung zu schützen. Sonst sind die Abhänge des Thaies bis hoch
hinauf mit Getreidefeldern bedeckt. Oberhalb des Waldes hatten die
Heuschreckenlarven schreckliche Verwüstungen in den Feldern an-
gerichtet; auf weiten Strecken war buchstäblich alles vollständig kahl
gefressen. Beim Vorbeireiten brachten die Tausende von Tierchen,
die durch den Hufschlag aufgeschreckt, sich mit ihren langen Hinter-
beinen fufshoch in die Luft schleuderten und dann wieder nieder-
fielen, ein lautes Rasseln hervor.
Der Verlauf der Thäler bei Gardfki ist auf der französischen
Karte nicht ganz richtig dargestellt. Der Bach von Gardfki bricht
unterhalb des Dorfes nach Osten durch, um sich in den Vestritsa-
Bach und durch diesen in den Spercheios zu ergiefsen.
Der 26. Juni war vormittags klar, nachmittags halb-, am Abend
ganz bewölkt.
Wir steigen zunächst auf demselben Weg wieder hinauf, durch
den Wald und dann durch die von den Heuschrecken abgefressenen
Felder. Höher hinauf schwenken wir uns links um den Ursprung des
Baches von Gardfki herum, uns immer mehr dem Kamm nähernd. Der
Kamm besteht aus Sandstein, der mit Thonschiefer wechsellagert.
Der Nordostabhang des Kammes wird von hier aus auf eine weite
Strecke hin von einem grofsen, zusammenhängenden Buchenwald be-
deckt, der iu sich der Höhenregion von 1400 — 1800 m, über den
Tannenwäldern der tieferen Gehänge, ausdehnt. Darüber hinaus ragt
der kahle rundliche Gipfel Oxyä (1927 m), der noch einige Schnee-
flecken trägt. Der Buchenwald dehnte sich früher weiter nach Norden
aus und ist dort niedergehauen worden, wie man aus den Buchen-
Büschen erkennt, die dort aus den Wurzelstöcken der gefällten Bäume
Reisen und Forschungen in Nord-Griechenland. 267
hervorspriefsen. Unser Pfad erreicht die kahle Kammregion vor dem
Beginn des Waldes und hält sich dann stets über demselben. Der
Wald soll im Innern vollkommen undurchdringlich sein. Unter einigen
vereinzelten grofsen Buchen an der oberen Waldgrenze machen wir
kurze Rast (2} St., 1790 m). Hier steht Sandstein und Thonschiefer,
steil gefaltet an, str. N 44 ° W, f. NO.
Der Pfad läuft nun dicht unter dem höchsten Gipfel entlang
(höchster Punkt des Weges 1900 m), stellenweise auch auf der Kamm-
linie selbst. Dort sieht man hinunter in das tiefe Thal des Phfdaris
und auf die Ätolischen Kalkalpen, deren Kalk nach Osten unter
den Flysch einfällt. Hier wird auch die Westseite des Kammes von
Buchenwald bedeckt. Diese Wälder des Oxyä - Gebirges bilden das
südlichste Vorkommen der Buche auf der Balkan-Halbinsel. Wir ver-
lassen dann den wasserscheidenden Kamm, wo er sich nach OSO
wendet, und folgen in südöstlicher Richtung einem allmählich sich
erniedrigenden Seitenrücken, der sich gegen das Thal des Phfdaris
hinzieht. Hier treffen wir mitten im Buchenwald ein Stani oder
Hirtenlager. (1 St 40 Min. von dem vorigen Rastplatz, 4 St. von
Gardfki, 1650 m).
Nachmittags marschieren wir weiter und kommen bald aus dem
Wald heraus. Es geht nun steil zum Phfdaris -Thal hinunter, über
Äcker, die mit Kastanien- und Eichen-Beständen durchsetzt sind. Vor
uns steigt die Vardüssia mächtig empor. Sie besteht in ihrer Basis
aus Schiefern und Sandsteinen, die rote Schicht-Komplexe (Hornstein?)
einschliefsen, darüber erheben sich riesige Felswände von stark zu-
sammengefaltetem Kalk.
Wir passieren das am Abhang des Phfdaris-Thales liegende grofse
Dorf Sitfsta (i£St., 1230 m, 1431 Einw.), das schon zur Landschaft
Krävari (der Eparchie Nävpaktos) gehört, und steigen dann weiter
über schwarzen Thonschiefer, wechselnd mit Grauwacken und Sand-
stein, hinunter zu dem Phfdaris, der in breitem Schuttbett zwischen
Platanen -Gebüsch dahinfliefst (i St., 900 m). Nachdem wir den Flufs
durchwatet, geht es am jenseitigen Gehänge steil hinauf, zu Seiten
des von Süden herabkommenden Thaies von Artotfna (Eparchie Doris).
Durch Weinberge erreichen wir das romantische, unter Platanen neben
einer reichlich sprudelnden Quelle gelegene kleine Kloster H. Joännis
(25 Min.). Von hier geht es am westlichen Gehänge des Artotfna-
Thales entlang, allmählich ansteigend nach Süden, über Schiefer.
Nach \ Stunden vom Kloster erreichen wir das Dorf Artotfna (7 St
5 Min. von Gardfki, Haus des Dimarchos 1200 m) 1 ). Es liegt an dem
1 ) Die Höhenzahl 989 m, die auf der französischen Karte neben Artotfna
steht, ist viel* zu niedrig. Sie bezieht sich vielleicht auf die Thalsohle.
Zeitschr. d. Ges. f. Erdk. Bd. XXXII. 1897. 19
268 A - Philippson:
linksseitigen Gehänge des ziemlich breiten Thaies, gerade gegenüber
der eigentlichen Vardüssia (2352 m), die sich in grofsartigen Fels-
wänden vor uns erhebt Über der Unterlage von Schiefern und
Sandsteinen liegt steil zusammengefalteter Kalkstein, in dem einzelne
Partien roten Gesteins (Hornstein oder bunte Schiefer) auftreten. An
die Vardüssia schliefst sich südwärts ein ungemein steiler Felskamm
mit abenteuerlichen Zacken an, Alogorhächi (Pferderücken) genannt.
(Die franz. Karte nennt ihn Strongylovuno, 2366 m, welcher Name in
Artotfna nicht bekannt ist.) Auch er besteht aus steil aufgerichteten
Kalkschichten über roten Schiefern. Die Alogorhächi verbindet sich
mit einem rundlichen Kalkstock, der gegen das Thal von Artotfna vor-
springt, die Neraida (Psili-Koryphi 2220 m der franz. Karte). Östlich
hinter der eigentlichen Vardüssia verborgen liegt der langgestreckte
Kalkkamm Hagios Ufas (St. filie de Vardoussia der franz. Karte), der
2495 m erreicht und nächst der im Osten benachbarten Giöna der
höchste Berg im Königreich Griechenland ist.
Die Kalke der Vardüssia scheinen, soweit man von ferne urteilen
kann, die hellen plattigen, mit Hornstein wechsellagernden Kreide-
Eocänkalke des Pindos zu sein, nicht die grauen massigen Rudisten-
Kalke Ost-Griechenlands.
Es mufs einer zukünftigen genaueren Untersuchung vorbehalten
bleiben, ob die Kalke der Vardüssia über den eocänen Flysch tiber-
schoben sind, wie die Tsumdrka, oder ob die Schiefergesteine unter
den Kalken der Vardüssia nicht gleich, sondern älter sind, als der
eocäne Flysch, der die grofse ostätolische Sandstein-Schieferzone bildet.
Der Bürgermeister von Artotfna klagte sehr über die Waldver-
wtistung, die in den letzten Jahrzehnten in dieser Gegend Platz ge-
griffen habe. Infolge derselben seien die Thalauen, die ehemals frucht-
bare, reich bewässerte Äcker enthalten haben, jetzt zu einer wüsten
Geröllfläche geworden, und auch an den Gehängen sei viel fruchtbare
Erde fortgerissen worden. Bei Artotfna wird, trotz der hohen Lager
ziemlich viel Weinbau getrieben.
2. Artotfna — Lidorfki — Vitrinftsa.
Am 27. Juni, der nur zeitweise am Nachmittag bewölkt war, wurde
nach Lidorfki marschiert. Dieser und der folgende letzte Tag meiner
Reise waren die wärmsten. An beiden zeigte das Thermometer um
Mittag 28|°.
Der Weg führt am westlichen Thalgehänge hin 1 ) auf gefalteten,
grauwacken-ähnlichen Sandsteinen und Thonschiefern. Dann kreuzen
l ) Die Thalläufe sind auch in dieser Gegend auf der französischen Karte
recht ungenau. »
Reisen und Forschungen in Nord-Griechenland. 269
xvir den Bach und steigen am östlichen Gehänge durch Tannenwald
liinauf. Auf der westlichen Thalseite liegt eine Kalkscholle über den
Schiefern. Dann geht es am Fufs der Neraida hin; die hellen, bunt-
gefärbten Plattenkalke des Berges liegen über dem Sandstein und
Thonschiefer, die N 6° W streichen. Zahlreiche Quellen entspringen
an der Grenze und bewässern einige Mais- und Getreidefelder,
Jenseits derselben erreichen wir die Pafshöhe (i St. 35 Min.,
1400 m), welche die zum Phfdaris gerichteten Gewässer von dem
Flufsgebiet des Mörnos scheidet. Das Joch selbst ist von einem
neuen, ziemlich tiefen Graben eingekerbt, der dazu bestimmt ist, das
Wasser der erwähnten Quellen auf die Südseite des Joches hinüber
zu leiten.
Unser Pfad verfolgt nun die rechte Seite des südwärts gerichteten
Thaies. Sandstein und Konglomerat stehen hier an, N n° W streichend
und nach West einfallend. In 50 Minuten vom Pafs erreichen wir das
hoch am Abhang auf einer kleinen Terrasse gelegene Dorf Ano-
Kostärtsa (600 Einw., 1150 m) und steigen dann steil hinab in das
tiefe, ungemein enge Thal des Kökkino-Potämi, der vom H. Ufas her-
unterkommt und, wie sein Name sagt, rotes Wasser hat, infolge der
eisenschiüssigen roten Gesteine, die in diesen Gebirgen, wie wir von
weitem sahen, auftreten. Zur linken des Thaies zieht eine mächtige
und breite Kalkzone hin, auf der das Dorf Vostinftsa liegt (701 Einw.);
sie hängt mit dem Kalk der Alogorhächi zusammen, liegt über den
Schiefern der Westseite und fällt andrerseits nach Osten unter die
Schieferzone ein, die sie von dem Kalk der H. Ilfas-Kette trennt. Rechts
auf der Höhe liegt das Dorf Drestenä (183 Einw.); über ihm ragt ein
Kalkberg auf.
Von der Stelle an, wo wir den Kökkino Potämi erreichen (1 St.,
710 m), sind wir in dem engen Thal dieses Flusses eingeschlossen.
Die steilen Wände aus Schiefer und Sandstein erlauben nirgends die
schmale Thalsohle zu verlassen, die ganz von dem Geröllbett des
Flusses eingenommen wird, der sich in steten Windungen bald an die
rechte, bald an die linke Thalwand wirft. So müssen wir ihn unzählige
Male durchwaten. Wie gewöhnlich ist das Geröllbett meist von Pla-
tanen bewachsen, die zwar Schatten geben, aber jetzt, unter Mittag,
eine desto drückendere, feuchtschwüle Hitze erhalten.
Der überaus mühsame Marsch über das lockere, glatte Geröll wird
durch die Hitze und den Durst fast unleidlich gemacht; denn das
Wasser des Flusses ist nicht nur ganz lehmig, sondern auch so warm,
dafs es ungeniefsbar ist. Mit Freuden begrüfsen wir eine mächtige
Quelle, die aus den Uferfelsen hervorbricht; aber auch sie stellt sich
als lauwarm heraus.
19*
270 A « Pbilippson:
Nach etwa zweistündiger Wanderung in der Schlucht kommen wir
an ein kleines Chani zu Seiten einer anderen besseren Quelle.
Weiter abwärts öffnet sich das Thal endlich zu einer breiteren
Thalebene, in welcher der Kökkinos sich in den Mörnos ergiefst. Zur
linken haben wir den Kalkklippenzug von Granftsa, der mauerartig
aus den weicheren Schiefergesteinen hervortaucht, augenscheinlich ein
spitzes Faltengewölbe bildend, sodafs er älter ist als die umgebenden
meist roten Schiefer. Hinter diesem Kalkzug erhebt sich die weit
mächtigere Kalkkette des H. Ufas. Sie wird von dem wasserreichen
Mörnos in einer kurzen Klamm durchschnitten, an deren west-
lichem Eingang , unmittelbar am Flufs , ein Chani , sto Steno,
liegt (4 St. 40 Min. von Kostärtsa, 410 m). Der graue dickbankige
Kalk des Engpasses fällt nach Osten ein. Darunter steht an
der Westseite eine Zone von rotem Kalkschiefer an, darunter Thon-
schiefer, stark gefaltet. Etwas nördlich vom Engpafs ist der Kalk
durch eine Einkerbung bis auf den darunter liegenden Schiefer durch-
schnitten. Beim Chani fuhrt eine Brücke über den Flufs.
Wir passieren dann den Engpafs und treten in das breite Längsthal
von Lidorfki hinaus, das sich zwischen der hohen Kette des H. Ufas und
der Giöna von N nach S erstreckt. Es hat einen ziemlich fruchtbaren Thal-
boden, der auf beiden Seiten von Hügeln aus Schiefer eingefafst wird.
Dahinter steigen dann die hohen Kalkgebirge auf. Der Kalk der H. Ilfas-
Kette fällt wiederum nach Osten unter den Schiefer des Lidorfki-Thales
ein, aber mit steiler Grenze, welche die Schichten des Kalkes schräg
abschneidet, also mit einer Verwerfung. Der nördliche Teil des Thaies
wird vom Mörnos durchzogen, der dann durch den Engpafs nach
Westen durchbricht. Aus dem südlichen Teil des Thaies kommt ihm
der Besilitsa-Bach entgegen. Wir durchqueren die Thalebene in süd-
östlicher Richtung und steigen an dem jenseitigen Schiefergehänge hinauf
nach Lidorfki, das etwa 100 m über der Thalsohle am Eingang
eines von Osten herabkommenden Nebenthaies liegt. (i£ St. von Chani
Stenö, 8 St. 20 Min. von Artotfna, 570 m.)
Der Ort, obwohl Hauptort der Eparchie „Doris", die den mittleren
Teil des Landes der Ozolischen Lokrer des Altertums umfafst, ist
nichts weiter als ein ärmliches Dorf von 967 Einwohnern. Das einzig
Städtische des Ortes, aufser Post und Telegraphie, ist das Vorhanden-
sein eines sauberen kleinen Gasthofes.
Am 28. Juni, einem klaren und warmen Tage, wurde nach Vitri-
nftsa marschiert.
Vorher ging ich aber eine halbe Stunde auf dem Weg nach Am-
phissa aufwärts, der das bei Lidorfki mündende Seitenthal verfolgt-
Man kommt hier aus den Schiefern und Sandsteinen des Hauptthaies
Reisen und Forschungen in Nord-Griechenland. 271
in den Kalk der Giöna- Kette hinein. Dieser ist dunkelgrau bis
schwärzlich, dickbankig und zeigt Durchschnitte von Rudisten und
grofsen Schnecken in Menge. In dem Kalk treten unregelmäfsig be-
grenzte Partien von Schieferthon und Sandstein auf, die steil zusammen-
gefaltet sind und sich zwischen dem Kalk sehr bald auskeilen. Es
mufs dahingestellt bleiben, ob diese Schieferpartien ursprünglich ein-
gelagert, oder ob sie nur eingefaltet sind. Die ganze Kalkmasse mit-
samt ihren Schieferpartien bricht mit einer senkrechten Grenzfläche nach
Westen gegen die Schiefer und Sandsteine des Hauptthaies ab, ebenso
wie der Kalk der westlichen Kette, sodafs also das Thal einen
Grabenbruch darstellt. Der Schiefer des Thaies ist demnach jünger
als der Kreidekalk der umliegenden Gebirge.
Nach meiner Rückkehr von diesem Abstecher brachen wir um
&k Uhr zu unserem letzten Tagemarsche auf. Eine unvollendete
Fahrstrafse, die für Fuhrwerke infolge mangelnder Brücken und
fehlender Beschotterung ganz unbrauchbar ist, aber Reitern und Fufs-
gängern die Reise sehr erleichtert, verbindet Lidorfki mit seinem
Hafen Vitrinftsa. Es ist wieder eine nur für Wahlzwecke begonnene
Strafse, die, selbst wenn sie vollendet wäre, bei der Ärmlichkeit des
Hinterlandes gar keinen Zweck haben würde. Ein guter Saumpfad
für den vierten Teil der Kosten hätte seinen Zweck besser erfüllt.
Die Strafse führt an den Schieferhügeln entlang zur Thalsohle
hinab, die mit Getreidefeldern bedeckt ist. Der Kalk der westlichen
Kette fällt hier im südlichen Teil der Ebene nach Osten unter roten
Schiefer, dieser unter gelben Mergelschiefer ein. Die Strafse hält sich
aber in der Nähe der östlichen Kette, deren Kalk hier über den
Schiefer des Hauptthaies zu liegen scheint.
In dem Chani von Malandrini (2 St. von Lidorfki, 540 m) — das
Dorf liegt links am Bergabhang — machen wir unter einem einzelnen
Baum, dem einzigen weit und breit, Mittagsrast. Der Aufenthalt war
keineswegs angenehm, da der Boden unter dem Baum, wie dies ge-
wöhnlich bei einzeln stehenden Bäumen der Fall zu sein pflegt, mit
Schafmist bedeckt war. Aufserhalb des Schattens aber flimmerte und
gleifste alles von mittäglicher Sonnenglut. Unter Mittag trat hier ein
Wechsel des Windes ein, der uns die Nähe des ersehnten Meeres
verkündete. Während bis dahin der in dieser Jahreszeit im Binnen-
lande sowohl wie auf dem offenen Meer regelmäfsig herrschende
Nordwind geweht hatte, trat nun eine erfrischende Brise von Süden
ein, der Seewind (Emvätis), der an klaren Sommertagen sich an allen
Küsten dieser Breiten tagsüber zu entwickeln pflegt. Er erleichterte
uns die Weiterreise auf dem vollkommen schattenlosen Weg bei
2%i° C. Lufttemperatur in sehr willkommener Weise.
272 A - Philippsoli:
Bei dem Chani von Malandrfni verengt sich die Ebene zu
einem schmäleren Thal, das nun stärker nach Süden ansteigt. • Die
Kalkmassen der beiden Thalseiten nähern sich immer mehr; der
Kalk der Giöna fällt wieder nach W steil unter die bunten Kalk-
schiefer und Thonschiefer des Thaies ein, die sich allmählich nach
Süden zwischen dem Kalk auskeilen. Das öde Thal führt uns zu einer
noch öderen steinigen Hochfläche hinauf (760 m), welche die Wasser-
scheide zwischen dem Mörnos-Gebiet und den nach Süden gerichteten
Wasserrinnen bildet. Diese letzteren sind jetzt natürlich alle trocken.
Die Hochfläche besteht aus massigem, geschrattetem Kalk mit Ru-
disten.
Die Strafse folgt der rechten Seite einer südwärts gerichteten
Thalschlucht, die von vollständig kahlen Kalkfelsen eingefafst ist.
Zahlreiche Höhlen und Felsnischen öffnen sich an diesen Wänden,
wie gewöhnlich in den massigen Kreidekalken. Meist sind sie durch
vorgelegte Reisighürden in Viehställe umgewandelt, wie die Höhle des
Kyklopen. Jetzt, im Sommer, sind alle verlassen. Schweigend und
nackt liegt die Felswildnis in der Sommerdürre da, die in der Regen-
zeit von den Glöckchen der weidenden Schafe und den Schalmeien
der Hirten wiederhallt. Wir sind hier in die echte sommerdürre
Ktistenregion eingetreten, die vielleicht schon wochenlang keinen
Tropfen Regen erhalten hatte, während wir in den binnenländischen
Gebirgen, selbst in der gleichen Meereshöhe, von häufigen Regen ver-
folgt wurden. Plötzlich, bei einer Wendung des Thaies, liegen die
Hochgebirge des Peloponnes, der Chelmös und der Voldiäs, so nahe
vor unseren Blicken, dafs wir fast die trennende Meeresschranke ver-
gessen hätten. Mein treuer Angelis stöfst einen Jubelruf aus beim
Anblick der Berge seines geliebten Heimatlandes, und ich selbst be-
grüfse mit Freuden die mir so wohl bekannten Berggestalten. Da er-
scheint denn auch der Küstensaum von Morea mit seinen zahllosen weifsen
Häuschen in dem Grau der Olivenhaine, dem üppigen Grün der
Korinthen-Pflanzungen, und der azurne Spiegel des herrlichsten aller
Golfe des Mittelmeeres. Denn welcher andere vermöchte sich an
Grofsartigkeit und Formenreichtum seiner Umrahmung, an echt süd-
ländischer Farbenpracht, und vor allem an dem schönen Verhältnis
der Breite des Wasserspiegels zu der Höhe der Gebirge mit dem
Korinthischen Golf messen? Hier und da schwimmt ein weifses
Segel auf der blauen Flut, und dort zieht ein Dampfer seine schwarze
Rauchwolke hinter sich her.
Die Strafse biegt hoch am Gehänge nach rechts aus dem Thal
hinaus und senkt sich in Windungen, die wir auf Richtwegen abkürzen,
in die kleine Küstenebene von Vitrinftsa hinunter, die ich schon ein-
Reisen und Forschungen in Nord-Griechenland. • 273
mal, im Jahr 1890, durchzogen hatte. Bunte Schiefer, Thonschiefer, Sand-
steine treten am Rande derselben hervor, und zwar unter dem Kreide-
kalk der umgebenden Gebirge. Die Abhänge und die Ebene selbst,
beide fast völlig baumlos, sind mit dürren Phrygana-Sträu ehern über-
zogen. Dazwischen ziehen sich den jetzt trockenen Runsen und Bach-
läufen entlang Einfassungen von Oleander-Bosketts, die jetzt in dem
herrlichsten Rosenrot ihres voll entfalteten Blütenschmuckes prangen.
Nie entsinne ich mich, die Oleander so wundervoll blühend gesehen
zu haben, wie in diesem Jahr hier und bei der Eisenbahnfahrt an der
Nordküste des Peloponnes, wo die grofsen Schuttflächen der dort
mündenden Gebirgsbäche oft von ausgedehnten Buschwäldern dieser
herrlichen Pflanze bedeckt sind. Das Weifs des Schotters, das Dunkel-
grün des Laubes und das feurige Rosenrot der Blüten, die dicht-
gedrängt auf den meist halbkugelförmig gestalteten Büschen sitzen,
geben eine unvergleichliche Farbenwirkung.
Das eigentliche Dorf Vitrinftsa liegt am Bergabhang westlich der
Ebene. Am Gestade der Bucht aber, die mit sanft geschwungener
Kurve zwischen zwei vorspringenden Felskaps in die Ebene eindringt,
liegt die Skala, d. h. der Hafenort, der aus einer Anzahl stattlicher
Magasia und einigen anderen Häusern besteht, die von schönen Baum-
gärten umgeben sind. (Die Volkszählung giebt nur die Einwohner-
zahl für Dorf und Hafen zusammen: 1008.)
Wir erreichen die Skala um $\ Uhr nachmittags. (3 St. von dem
Chani Malandrini, 5 St. von Lidorfki.) Bald haben wir ein geeignetes
Kaik (kleines Segelschiff) gefunden, das uns und unsere Pferde nach
der gegenüberliegenden Küste des Peloponnes bringt. Nach Mitter-
nacht landeten wir eine halbe Stunde östlich von der Stadt Aegion und
zogen in die schlafende Stadt ein. Am nächsten Tage (29. Juni)
brachte mich die Peloponnes-Eisenbahn nach Athen zurück.
Zusammenfassendes über das Pindos-Gebirge.
Ein mächtiges, langgestrecktes Kalkgebirge durchzieht Nord- und
Mittel-Griechenland in annähernd meridionaler Richtung vom Zygös-
Päfs im Norden bis zum Korinthischen Golf im Süden und trennt als
schwer zu tiberwindende Scheidemauer die westlichen und die öst-
lichen Landschaften so wirksam von einander, wie kein anderes Ge-
birge in dem sonst so stark zerstückelten Griechenland zu scheiden
vermag. Obwohl dieser Gebirgszug mit nahezu 2400 m Maximalhöhe
zu den höchsten Griechenlands gehört, ist es doch nicht seine Gipfel-
höhe, die ihn so unwegsam macht, sondern seine lange, ununterbrochene
274 A. Philippson:
Erstreckung, ohne Lücken und bequeme Pässe, ohne leicht gangbare
Querthäler, wohingegen steilwandige und gewundene Längs- und Dia«
gonalthäler das auch tektonisch aus einer grösseren Zahl von eng zu-
sammengedrängten Ketten bestehende Gebirge tief zerschneiden, so-
dafs man wiederholt bergauf, bergab steigen mufs, um das Gebirge
zu durchkreuzen.
Dieses grofse meridionale Kalkgebirge ist in seinem südlichen
Teil von Neumayr treffend als „Ätolische Kalkalpen" bezeichnet
worden, während für den nördlichen, zwischen Epirus und Thessalien
gelegenen Teil der alte Name Pin dos auch von der neueren Geogra-
phie beibehalten worden ist. Neumayr dehnte den Namen Ätolische
Kalkalpen soweit nach Norden aus, als sein Forschungsgebiet reichte,
nämlich bis zu der damaligen politischen Grenze Griechenlands (vor
1881); diese stellt aber in keiner Weise einen natürlichen Abschnitt
im Gebirge vor. Wenn wir den Namen Pindos nicht über den ganzen
in sich gleichartigen Gebirgszug bis zum Korinthischen Golf ausdehnen
wollen, was allerdings dem Gebrauch der Alten nicht entsprechen
würde, so können wir Pindos und Ätolische Kalkalpen nur durch eine
Querlinie scheiden, die von der Spercheios- Ebene westlich durch das
Thalbecken von Karpenlsi, von dort über Miliä zu der westlich ge-
richteten Strecke des unteren Megdovas und quer über den Äspros
und das Chani Podogorä nach Karavasaräs am Golf von Arta zieht.
Denn diese Linie ist zwar keine tektonische Grenze, aber doch eine
bedeutende, durch die Anordnung der Erosionsthäler bedingte Ein-
sattelung des Gebirges, das man hier überschreiten kann, ohne
sich mehr als 1352 m über das Meer zu erheben. Annähernd folgt
dieser Linie der freilich auch beschwerliche Weg vom Golf von Arta
nach dem Spercheios - Gebiet (Karavasaräs — Tatärna — Karpenlsi —
Lanria), auf dem man nicht weniger als acht Höhenrücken zu tiber-
steigen hat.
Während das Pindos-Kalkgebirge im Süden des Korinthischen Golfes
seine durch Einbrüche zerstückelte Fortsetzung im westpeloponnesischen
Gebirge (Voidiäs, Olonös u.s.w.) findet, nimmt es im Norden, etwas süd-
lich vom Zygös-Pafs, ein plötzliches Ende. Nur die mächtigen Kalkgebirge
von Epirus, westlich von der Hauptwasserscheide, setzen nach Albanien
hinein fort; dagegen beginnen in der Fortsetzung des Pindos fast allein
Serpentin und Flysch das wasserscheidende Gebirge der westlichen
Balkan-Halbinsel zusammenzusetzen, und damit ändert sich der gesamte
Charakter dieses Gebirges: es wird sanfter geformt, niedriger — der
2575 m hohe Smolika erhebt sich als isolierter Bergklotz weit über
seine Umgebung — und leichter zu überschreiten.
Dieses sanfte Serpentin- und Flyschgebirge, das schon den Zygös
Reisen und Forschungen in Nord-Griechenland. 275
"bildet, setzt nach. den Forschungen Hilber's nach Nordwesten min-
destens bis in die Nähe von Korica fort. Das Gebirge um den Zygös
nannten die Alten „Lakmon", es zuweilen auch dem Pindos zu-
zählend ; für die nördlicheren Teile hatten sie keinen zusammenfassen-
den Namen, sondern nur solche für einzelne Abschnitte (Tymphe, Boion
u.s. w.). Neuerdings hat man vielfach den Namen Pindos, entgegen
dem Gebrauch der Alten, auch auf dieses nördlichere Wasserscheiden-
Gebirge zwischen Makedonien und Albanien ausgedehnt (Makedoni-
scher Pindos); diese Ausdehnung ist aber weder geschichtlich noch in
der Natur berechtigt. Bereits südlich vom Zygös beginnt, wie gesagt,
ein seiner Zusammensetzung nach anderes Gebirge. Da ich von ihm
aber nur die Umgebung des Zygös kennen gelernt habe, will ich diese
hier im Zusammenhang mit dem Pindos besprechen.
Zu beiden Seiten des Pindos-Kalkgebirges ziehen sich Flyschzonen
entlang, und jenseits der östlicheren derselben erhebt sich am Rand
des Thessalischen Beckens noch einmal ein Gebirgszug aus Kalk-
stein, Serpentin u. a. Wir rechnen diese Seitenzonen zum Pindos
hinzu und begrenzen demnach das hier zu behandelnde Gebirge im
Süden durch die Querlinie von Karpenisi, im Norden durch den Flufs
von Mdtsovon und die politische Nordgrenze Griechenlands, im Osten
durch das Oligocän der Chässia, die Ebene von Trfkkala, die West-
grenze der Othrys, im Westen durch den Flufs und den Golf von Arta.
i. Stratigraphie.
Abgesehen von einigen kleinen, nicht näher untersuchten Schollen
junger (neogener?) Ablagerungen, die westlich und südlich vom Tsu-
merka - Gebirge flach und diskordant dem Flysch auflagern, ist die
jüngste im Pindos verbreitete Schichtgruppe der alt tertiäre Flysch 1 ).
') Herr Prof. Hilber, der nach mir in drei aufeinander folgenden Jahren
Kord -Griechenland hereist hat, bestritt in seinen vorläufigen Reiseberichten zuerst
das von mir nachgewiesene eocäne Alter des grölsten Teils des Pindos -Flysches,
sowie eines grofeen Teils der Pindos-Kalke. Nachdem er aber die von mir ver-
öffentlichten Nummuliten- Fundpunkte aufgesucht hat, erkannte er in seinem
letzten vorläufigen Reisebericht (Sitzungsber. k. Akademie in Wien, math.-
nat. Kl., CV, i., Juli 1896) das eocäne Alter des Flysches, der darunter
liegenden Kalke des Xerovüni und Akarnaniens (= untere Kreidekalke
Neumayr's) sowie der Pindos-Kalke an, ja zieht nun alle diese Kalke mitsamt
den ihnen unterlagernden Hornsteinen und Schiefern, mit kleinen Ausnahmen, ganz
zum Eocan, worin ich ihm nicht folgen kann. Durch den energischen Wider-
spruch Hilber's, insbesondere gegen das eocäne Alter der unter den Kalken der
Tsumlrka liegenden Schiefer, veranlafst, habe ich auf der geologischen Karte diese
letzteren als „Schiefer und Sandsteine unsicheren Alters" mit einer besonderen
276 A « Philippson:
Er begleitet zunächst das Kalkgebirge des Findos im Westen
als eine breite Zone vom Golf von Patras an nach Norden durch
Ätolien (westätolische Sandsteinzone Neumayr's), umschliefst östlich
vom Golf von Arta das inselförmig daraus hervorragende Kalkgebirge
Gävrovo auf allen Seiten, verengt sich dann am oberen Arta-Flufs,
um sich dann am Flufs von M6tsovon wieder breit über die Land-
schaft Zagöri auszudehnen. Damit im Zusammenhang treten ausge-
dehnte Schollen von Flysch im Zygös - Gebirge und südlich davon bis
Kraniä auf.
Der Flysch dieser westlichen Zone besteht zumeist aus häufig
wechsellagernden Thonschiefern, Schieferthonen und wohlgeschichteten
graugrünen Sandsteinen, die oft von rechtwinkelig sich durchkreuzen-
den Rissen derartig durchsetzt sind, dafs sie täuschend wie künstliches
Mauerwerk oder Pflasterung aussehen; verkohlte Pflanzenreste sind
darin häufig. Ferner treten darin Konglomerate auf. Am Fufs der
Tsumdrka und des Prosg61i - Gebirges walten schwärzliche bröckliche
i Schieferthone vor, die hier und da diskordant von dickbankigen Sand-
| stein- und Konglomeratschollen überlagert werden. Ähnliche dick-
| bankige oder ganz ungeschichtete graugrüne Sandsteine bilden tiber-
wiegend, aber nicht ausschliefslich, den Flysch am MCtsovon-Flufs, am
Zygös und bis Kraniä, und auch, wie Hilber bereits hervorgehoben,
die östliche Flyschzone. Diese zieht sich breit durch das öst-
*- liehe Ätolien (ostätolische Flyschzone Neumayr's) und die östliche
Agrapha, zieht sich dann zwischen den Pindoskalken und der östlichen
Randkette zu einem schmalen Streifen zusammen, der am oberen
: Peneios endet.
t Für beide Flyschzonen ist das alttertiäre Alter (Eocän, viel-
| leicht auch bis in das Oligocän hinauf) durch zahlreiche Funde altter-
tiärer Foraminiferen im Flysch, besonders in einzelnen eingelagerten
Kalklinsen, sowie in den den Flysch unterteufenden Kalken festgestellt
Doch kann man, wie Hilber bemerkt, zwei Gruppen innerhalb
des Flysch unterscheiden, eine mit vorherrschenden Thonschiefern
und dünnschichtigen Sandsteinen und eine mit vorherrschenden mäch-
tigen dickbankigen Sandsteinen, die sich bei einer speziellen Aufnahme
wohl auch kartographisch sondern lassen. Nach den Lagerungsver-
hältnissen am Westrand der Tsume'rka halte ich die dickbankigen
Sandsteine für jünger als die Thonschiefer-Sandsteingruppe; beide
sind durch eine Diskordanz von einander getrennt. Eine ganz ähn-
l liehe Zweiteilung hat auch v. Bukowski im Flysch von Rhodos er-
Farbe ausgeschieden. Das erscheint jetzt überflüssig, nachdem Hilber auch für
diese Schiefer das eoeäne Alter anerkannt hat.
Reisen und Forschungen in Nord-Griechenland. 277
"kannt; dort ist das Alter der oberen (Sandstein-) Gruppe durch Fossi-
lien als Oligocän bestimmt 1 ).
Mit dieser Zweiteilung des alttertiären Flysches steht auch sein
Verhalten zu den älteren Gesteinen in Übereinstimmung. Die Schichten
der älteren Flyschgruppe der westlichen Flyschzone lagern sich kon-
kordant auf die nach Osten einfallenden Nummuliten- und Orbitoiden-
Kalke des Xerovüni, von Arta und von Akarnanien. Die jüngere
Sandsteingruppe liegt dagegen im Zygös-Gebiet und an vielen Punkten
der östlichen Flyschzone (wie auch Hilber bemerkt hat) diskordant
auf den unterlagernden Kreide-Eocängesteinen.
- Weder in der älteren noch in der jüngeren alttertiären Flysch-
gruppe, weder in der westlichen noch in der östlichen Zone habe ich
irgendwo ein anstehendes Eruptivgestein beobachtet In der westlichen
Flyschzone tritt bei Brodo Steinsalz auf.
Unter dem eocänen Flysch folgen die von Westen her unter ihn
hinabtauchenden oberen Kalke von Epirus, die wir als Eocän
(vielleicht einschliefslich der obersten I£reide) bestimmt haben. Ihnen
entsprechen in jeder Beziehung die dünnplattigen, hellen, dichten oder
brecciösen, hornsteinreichen Kalksteine, die überwiegend die mittlere
Zone des Pindos- Gebirges zusammensetzen. Für diese Pindos-Kalke
gilt dieselbe petro graphische Beschreibung, wie für die oberen Kalke
von Epirus (s. Zeitschr. 1896, S. 278); wie diese führen sie an mehreren
Stellen Orbitoi'den, die aber nur im Dünnschliff sichtbar werden; wie diese
tauchen sie nach Osten, wenn auch zuweilen diskordant, unter den
alttertiären Flysch der östlichen Zone hinab, im Norden unter den
Flysch des Zygös und der Zagöri. Die Pindos-Kalke sind daher,
wie die oberen Kalke von Epirus, eocän (vielleicht einschliefslich
der obersten Kreide); sie finden im Süden ihre Fortsetzung in den
Olonos-Kalken des westlichen Peloponnes.
Die untere Begrenzung der eocänen Pindos -Kalke bildet, wie in
Epirus, ein mächtiger Komplex von bunten, meist roten, dünnschich-
tigen Hornsteinen. Darunter folgen in den westlichsten Pindos-
Ketten, im Prosgöli-Gebirge, bei Kalarrhytae, in der Tsumerka, ebenso
wie in Epirus mächtige helle, fossilleere Kalke unbestimmten meso-
zoischen Alters, teils dickbankig, teils dünnschichtig und hornstein-
reich und dann äufserlich von den eocänen Pindos-Kalken oft nicht zu
unterscheiden. Ob die Kalke bei Gardfki, im Misünta- und im Phthe'ri-
Gebirge zu diesen mesozoischen Kalken gehören, wie ich auf der
Karte angenommen habe, oder ob sie durch Überschiebung wieder-
1 ) Grundzüge des geolog. Baues der Insel Rhodos. Sitzungsber. K. Akademie
Wien, math.-nat. Kl., Bd. 98, 1, 1889.
278 A. Philippson:
holte eocäne Kalke sind, bleibt fraglich. In diesen Kalken treten
mehrere Hornsteinzonen mit Porphyrit, Melaphyr und zugehörigen
Tuffen auf.
Weiter im Innern der Pindos-Ketten erscheinen aber unter den
Orbitoiden führenden Pin dos -Kalken und dem darunter liegenden
Hornstein-Komplex nicht mesozoische Kalke, sondern ein mächtiges
System von Thonschiefern, dünnschichtigen grauen Sandsteinen (oft
grauwacken- ähnlich dicht und hart), Konglomeraten, bunten Horn-
steinen, bunten, mehr oder weniger kalkigen Schiefern und Mergel-
kalken, übergehend in dichte Plattenkalke, dazu verschiedene Eruptiv-
Gesteine (Quarzporphyre, Porphyrite, Diabase) und Tuffe: das alles in
unregelmäfsigstem Wechsel. Bald herrscht mehr das eine, bald das
andere Gestein vor. Wo die Kalke darin vorherrschen, ist bei den
verwickelten Lagerungsverhältnissen oft eine Unterscheidung von den
oberen Kalken nicht möglich ; grenzen dagegen die Thonschiefer dieser
Gruppe unmittelbar an Flysch, sei es infolge von Störungen oder von
Diskordanz, dann ist zuweilen <Jie Abgrenzung gegen den Flysch schwer.
Die auf meiner geologischen Karte gegebenen Grenzlinien dieser Gruppe,
sowohl gegen den oberen Kalk, als gegen den alttertiären Flysch,
sind daher notgedrungen an manchen Stellen schematisch. Im ganzen
unterscheidet sich aber diese Schiefer- Hörn st ein- Gruppe durch-
aus von dem alttertiären Flysch: i. durch ihre Lagerung unter den
oberen Pindos-Kalken an Stellen, wo eine Überschiebung ausgeschlossen
ist; 2. durch ihre petrographische Beschaffenheit, nämlich durch das
häufige und mächtige Auftreten von Hornsteinen, mergeligen Kalken
und Eruptivgesteinen, die den beiden seitlichen Flyschzonen ganz
fehlen. Die Schichtgruppe gleicht sehr den Schiefergesteinen, die im
östlichen Mittel-Griechenland zwischen den Kreidekalken liegen und
ähnliche petrographische Mannigfaltigkeit zeigen, und wenn sie hier
im Pindos, anstatt von eocän-kretazischem Orbitoidenkalk, von Rudisten-
kalk überlagert würde, würde ich sie ohne Zaudern mit den Kreide-
schiefern des östlichen Mittel -Griechenland identifizieren, wie dies
Neumayr gethan hat. Jedenfalls ist sie älter als die Pindos-Kalke und
Hornsteine, gehört also wohl der Kreideformation an.
In den ganzen inneren Pindos-Ketten sind nur an einer Stelle
kretazeische Fossilien gefunden worden: der Actäonellen-Kalk
an der Koräku -Brücke, in unmittelbarem Kontakt mit den Orbi-
toidenschichten.
Ganz andere Gesteine, als die inneren Pindos-Ketten, zeigt aber
das merkwürdige Gävrovo-Gebirge, das als ein mächtiger Kalkzug
inselförmig aus der westlichen Flyschzone aufragt. Die Hauptmasse
des Gebirges besteht aus grauem, undeutlich geschichteten Rudisten-
Reisen und Forschungen in Nord-Griechenland.
279
kalk. Darauf liegt im Osten dunkelgrauer bis schwärzlicher Kalk
mit gewundenen Riesen-Nummuliten — ich habe hier Nummuliten-
Durchschnitte von fast 7 cm Länge gemessen — wie sie in gleichem Ge-
stein bei Tripolitzä im Peloponnes auftreten. Das Gävrovo-Gebirge ist die
einzige Gegend in Nord- und Mittel-Griechenland, wo ich diese Riesen-
Nummuliten (bei Pigadia und bei Tatärna) gefunden habe. Im Gä-
vrovo-Kalk wie im Tripolitzä- Kalk lehnen sich die Nummuliten-
kalke ohne äufserlich erkennbare Grenze unmittelbar an mächtigen
Rudistenkalk ah. Der Nummulitenkalk fällt hier seinerseits nach Osten
konkordant unter den Flysch ein. — Hier fehlen also die Pindos-
Kalke und -Hornsteine durchaus; ob ihnen der Kalk mit den grofsen
Nummuliten zeitlich äquivalent ist, oder ob dieser eine jüngere Stufe
des Eocän darstellt, ist noch nicht bekannt; vielleicht wird darüber
die Untersuchung der Nummuliten Licht verbreiten. An mehreren
Stellen, wo der Flysch unmittelbar an den Rudistenkalk grenzt, ge-
schieht dies in diskordanter Überlagerung. So tauchen auch südlich
vom Südende des Gävrovo-Gebirges beim Chani Pandi einige Klippen
eines ganz ähnlichen Kalkes aus dem Flysch diskordant auf 1 ). Da
andererseits der Kalk mit den grofsen Nummuliten konkordant unter
den Flysch fällt, so scheint eine versteckte Diskordanz zwischen Ru-
disten- und Nummulitenkalk hindurch zu gehen.
Wenden wir uns nun zu der östlichen Randkette, die den
Pindos gegen das Thessalische Becken begrenzt und wieder andere
stratigraphische Verhältnisse aufweist.
Wir sahen, dafs in der Othrys unter Rudistenkalken eine Ge-
steinsgruppe liegt, die wir, nach ihrer Zusammensetzung, Serpentin-
Hornstein-Schiefer-Formation nannten (s. Zeitschr. 1895, S. 210).
Diese setzt von der Othrys her am Ostrand des Pindos nach Norden
fort;die Serpentinmassen stehen auch hier in Verbindung mit Horn-
steinen, Schiefern und mächtigen Kalken, die ich auf der Karte nur
dort, wo ich Rudisten darin gesehen, als Rudistenkalke, sonst aber
aus Vorsicht als mesozoische Kalke bezeichnet habe. Dieselben Ge-
steine bilden den langen Zug des Köziakas von Phanäri bis gegenüber
Kalabäka. Hier treten die Eruptivgesteine 2 ) in Gesellschaft von Horn-
steinen und Thonschiefern zu unterst am Rand der thessalischen Ebene
auf, darüber helle Kalke, darin manche oolithische Zonen, wechselnd
mit (eingefalteten?) Hornstein-Zonen. Daran schliefsen sich im Westen
unmittelbar Hornsteine und Pindos-Kalke mit Orbitoi'den und daran
1 ) Philip pson, diese Zeitschrift XXV, 1890, S. 387.
2 ) Nach Hilber Diabase zwischen Muzäki und Belelsi. Sitzungsber. K. Aka-
demie Wien, math.-nat. Kl. 1894. S. 585.
280 A - Philippson:
der Flysch. Aus dem Oligocän der Chässia tritt bei Vurlochöri noch
einmal Serpentin und Rudistenkalk hervor. Es ist kein Zweifel, dafs
in diesem ganzen Zug die Kreidegesteine der Othrys fortsetzen, dafs
hier die Serpentine und zugehörigen Eruptivgesteine unter Kreide-
. kalken liegen.
In dem Gebiet um den Zygös fehlen, wie bemerkt, die Kalke
bis auf geringe Reste. Unter dem Nummuliten führenden Flysch er-
scheinen unmittelbar grofse Massen von Serpentin, Gabbro, Olivindiabas,
Hornblende-Syenit-Porphyr, Porphyriten, in enger Verbindung mit Horn-
steinen, Sandsteinen, Thonschiefern, dieselbe Kombination, wie in der
Othrys. Ich habe nichts anders feststellen können, als dafs der
Serpentin zwar diesen Schiefern und Hornsteinen eingelagert ist und
sie auch in Gängen durchbricht, aber nicht in die Nummuliten führen-
den Sandsteine hinaufreicht; vielmehr diese greifen diskordant über
die Serpentine und zugehörigen Schiefer hinweg. Dieses Verhalten
steht in Übereinstimmung mit der Beobachtung, dafs Serpentine
und andere Eruptivgesteine (Gabbros, Diabase, Porphyre u. s. w.)
im ganzen übrigen Griechenland nur zwischen Kreidekalken (Othrys,
östliches Mittel -Griechenland, Euböa, Argolis) und in der Schiefer-
Hornsteingruppe unter den Pindos- und Olonos-Kalken vorkommen,
dagegen dem alttertiären Flysch vollkommen fehlen. Ich halte
daher die Serpentine mit ihren Begleitgesteinen am Zygös für
identisch mit der Serpentin-Hornstein-Schiefer-Formation der Othrys
und also für Kreide. Die ursprünglich darüber liegenden Kreide-
kalke und Pindos-Kalke sind hier durch Erosion zerstört worden, ehe
sich der Flysch darauf lagerte. In der That beobachtet man an ver-
schiedenen Stellen vereinzelte kleine Schollen von Kalkstein über dem
Serpentin, Erosionsreste der ehemaligen Kalkdecke.
Herr Hilber ist über das Verhalten der Zygös-Serpentine zum
Flysch und über ihr Alter zu einer anderen Anschauung gekommen.
Er glaubt an mehreren Stellen gesehen zu haben, dafs Serpentin den
Flysch durchsetzt, bzw. mit ihm wechsellagert, und hält daher die
Zygös-Serpentine für eocän. Die kleinen Kalkschollen sollen von dem
Serpentin bei der Eruption aus der Tiefe mit herausbefördert sein.
„Während die (kretazischen) Othrys - Serpentine (Amphibolserpentine
und Olivinserpentine) eine rötliche Landschaftsfarbe verursachen,
herrscht in den (eocänen) Serpentinbergen des Pindos (lediglich
Olivinserpentine) die schwarze Farbe." Das Kriterium der Landschafts-
farbe ist jedenfalls nicht stichhaltig, da es in beiden Gebirgen sowohl
rötlich-verwitternde wie schwarze Serpentine giebt. Im Zygös-Gebiet
hat z. B. das Serpentingebirge Krätsovo eine auffallend rote Land-
schaftsfarbe. Obwohl ich natürlich die Beobachtungen Hilber's nicht
Reisen und Forschungen in Kord-Griechenland. 281
t>e streiten kann, da ich nicht dieselben Stellen, wie er, gesehen habe —
icrri bin ja vor Hilber gereist — , so liegt doch die Vermutung nahe,
dafs Hilber, der ja die unter den Pindos-Kalken liegende Schiefer-
tlornstein - Gruppe mit dem eocänen Flysch identifiziert, vielleicht
Isxetazische Schiefer und Sandsteine, die von Serpentin durchsetzt werden,
für eocänen Flysch gehalten hat 1 ).
Wir sehen also, dafs die stratigraphischen Verhältnisse Nord-
!) Es sei mir gestattet, hier auf einige die Othrys betreffende Bemerkungen
Hilber 's in seinem letzten Reisebericht (Sitzungsber. d. Wiener Akad., math.-nat.
Kl., 1896. S. 501 — 520) kurz einzugehen. Er sagt (S. 518): „Unter den Er-
gebnissen der Reise möchte ich mehrere hervorheben. Erstens konnte nachgewiesen
werden, dafs krystallinische Schiefer, welche nach den vorliegenden Untersuchungen
in Mittel - Griechenland auf den äußersten Osten beschränkt erschienen, durch die
ganze Othrys bis zur Breite (sül soll heißen Länge) von Varyböpi reichen, eine
von den bisherigen Beobachtern vollkommen übersehene Erscheinung." Danach
könnte man glauben, dais etwa ein fortlaufender Zug krystalliner Schiefer durch
die Othrys gehe, den sowohl Neumayr wie ich übersehen haben. Das ist aber
nach dem eigenen Reisebericht Hilber's nicht der Fall. Im äufeersten Osten der
Othrys herrschen, wie längst bekannt, krystallinische Schiefer, und diese reichen
nach Hilber westlich bis Gardfki-Machaläs, also etwa 3 km westlicher, als Neumayr
annahm. In den übrigen Teilen der Othrys hat Hilber folgende Vorkommen
krystallinischer Schiefer angegeben: 1) Eine kleine bisher nicht bekannte Gneifs-
partie bei Archani (unweit Varyböpi): „es kann auch eine durch Eruptivmassen
emporgerissene Scholle sein." a) Im NW von Archani kommt Amphibolaugit-
Schiefer vor. 3) Nordöstlich von Palaeasvestis Amphibol - Serpentinschiefer und
Serpentinschiefer. 4) Zwischen Kato- und Ano-Agöriani mächtige augitfuhrende
Hornblendeschiefer und Serpentine. 5) Im Thal des Pentamylos Serpentin und
Grünschiefer. 6) Auf dem Weg Lamfa - Abdorachmanaga: Grofsenteils serpen-
tinisierte Eruptivgesteine herrschen vor, untergeordnet sind mehr oder weniger
zersetzte krystalline Schiefer, Hornsteine, Tuffe und Kalkbänke. — Aufeer der
kleinen Gneifescholle bei Archani handelt es sich also dem Anschein nach in der
mittleren und westlichen Othrys nur um einzelne in Verbindung mit Serpentin, Horn-
stein u. s. w. vorkommende Aniphibolgesteine, die dort bald massig, bald schiefrig
ausgebildet sind und der „Serpentin-Hornstein-Schiefer-Formation" angehören. —
Ferner sagt Hilber (S. 518): „Gleichfalls im Gegensatz zu den bisherigen Be-
obachtern konnte ich das Vorherrschen der nördlichen Streichrichtung der Schichten
in der südlichen und der hohen Othrys feststellen (Rechtwinkeligkeit von Schicht-
und Kammstreichen)." Man vergleiche damit meine „Geologische Karte von Süd-
ost-Thessalien", wo nördliche und nordwestliche Streichrichtungen nach meinen
Messungen in größerer Zahl eingetragen sind, sowie meine Erörterung der sehr
verwickelten Streichrichtungen, besonders des Unterschieds zwischen dem Streichen
der Schiefer und der Kalke. (Zeitschr. 1895, S. 215 ff.) In dem von mir infolge
der Schneebedeckung nicht besuchten höchsten Teil der Othrys ist Hilber auch
nicht gewesen.
282 A - Pbilippson:
Griechenlands recht verwickelt sind. In allen Landesteilen verbreitet
ist nur der alttertiäre Flysch, der selbst in zwei durch eine Dis-
kordanz getrennte Gruppen zerfällt Die darunter folgenden horn-
steinreichen hellen Plattenkalke des Eocän (auch der obersten
Kreide?) und die darunter folgenden Hornsteine sind in Epirus und
im Pindos verbreitet, fehlen aber im Gävrovo- Gebirge; anstatt dessen
treten dort die dunklen Kalke mit grofsen Nummuliten (= Tripolitzä)
unmittelbar über Rudistenkalk auf. Die eocänen Plattenkalke fehlen
ferner am Zyg6s, hier wohl durch Erosion entfernt, und sind in
der Othrys nur durch die wenig mächtige Orbitoiden führende Breccie
vertreten.
Die Rudistenkalke treten in der Othrys, der östlichen Pindos-
Vorkette, im Zygös- Gebiet (nur in Erosionsresten), im Gävrovo auf,
fehlen aber in Epirus und — bis auf den ihnen äquivalenten Actäonellen-
Kalk von Koräku — in den mittleren Pindos -Ketten. In letzterem
Gebiet erscheint statt dessen unter den Plattenkalken und Horn-
steinen die Schiefer-Hornstein-Gruppe, die ihrerseits in Epirus
nur an wenigen Stellen vorhanden ist.
Unter dem Rudistenkalk der Othrys, der östlichen Pindos -Rand-
kette, des Zygös-Gebietes folgt die Serpentin-Hornstein-Schiefer-
Formation. In Epirus dagegen, ebenso in dem nordwestlichsten
Teil des Pindos, liegen unter den oberen Plattenkalken und Horn-
steinen mächtige fossilarme mesozoische Kalke, die noch nicht
näher gegliedert sind.
Diese ungleichmäfsige Verbreitung der einzelnen Schichtgruppen,
die im Verein mit der Seltenheit bestimmbarer Fossilien die Gliederung
der Sedimentgesteine in ganz Griechenland so überaus erschwert,
dürfte im wesentlichen auf den schnellen Wechsel der Facies inner-
halb gleichalteriger Schichten zurückzuführen sein. Besonders keilen
sich die Rudistenkalke, als Riffkalke, bei grofser lokaler Mächtig-
keit oft sehr bald in horizontaler Richtung aus und sind dann teils
durch andere Kalke ersetzt, die, makroskopisch ohne Fossilien,
sich unter dem Mikroskop zum grofsen Teil als Foramini feren-
kalke (Globigerinenkalke) erweisen, teils aber durch kieselige Gebilde
(Radiolarien - Hornsteine) und durch mannigfaltige klastische Gesteine,
zu denen sich dann noch Eruptivgesteine und Tuffe gesellen. So
wechseln auch in der Kreide des östlichen Mittel-Griechenland Rudisten-
und For amini ferenkalke, Hornsteine und klastische Gebilde in der
unbeständigsten Weise mit einander ab. Die Schiefer-Hornstein-Gruppe
des Pindos, die dort auftritt, wo die Rudistenkalke fehlen, dürfte
daher wohl am besten als gleichalterige Facies der Rudistenkalke
aufzufassen sein; vielleicht entspricht sie den Rudistenkalken und
Reisen und Forschungen in" Nord-Griechenland. 283
zu. gleich der Serpentin -Hornstein -Schiefer -Formation der Othrys und
des östlichen Mittel-Griechenland.
Aufser dem Facieswechsel dürften aber auch Diskordanzen eine
R^olle spielen. Aufser der Diskordanz im Flysch scheint auch ein
diskordantes Übergreifen der eocänen Kalke über die älteren Gebilde
wahrscheinlich. Dafür spricht auch das Vorkommen von Rudisten-
trümmern in denselben.
Diese Auffassung der stratigraphischen Verhältnisse Nord-Griechen-
lands wird durch die nebenstehende Tabelle veranschaulicht.
2. Tektonik und Urographie,
a) Das Zygös-Gebiet.
Das Gebiet um den Zygös ist, wie schon bemerkt, das Ende eines
langen Serpentin- und Flyschgebirges, das zwischen Makedonien und
Albanien von NNW nach SSO streicht. Dieselbe Streichungsrichtung
beherrscht auch das Zygös-Gebiet. Aus den weiten, von flach lagernden
oligocän - miocänen Schichten erfüllten Landschaften des oberen Hali-
akmon - Beckens und der Chässia erhebt sich westlich zunächst das
Serpentin -Hornstein -Gebirge Krätsovo, ein bis 1564 m hoher kahler
rötlicher Rücken, der mit südöstlichem Streichen an dem Querthal des
oberen Peneios endigt. Seine Gesteine verschwinden südlich dieses
Flusses bei Lüzesti anscheinend unter diskordant darüber liegenden
Pindos-Plattenkalken, etwas westlicher unter Flysch.
Westlich von diesem Rücken folgt eine eingefaltete Flyschmulde
(Streichen SSO), und dann die breite Serpentin-Hornstein-Schiefexzone
des Zygös selbst, deren geschichtete Gesteine steil zusammengefaltet
sind. (Streichen S 20 O). Der wasserscheidende Rücken des Zyg6s
selbst ist breit und gleichmäfeig geformt, die Pafshöhe (1650 m) kaum
eingekerbt. Beide Gebirgszüge, Krätsovo und Zygös, bilden zwei an-
nähernd parallele Hervorragungen der Kreidegesteine, hier und da von
kleinen Flyschpartien bedeckt.
Westlich vom Zygös sinkt die Serpentin-Hornstein-Formation hin-
ab unter die mehr als 20 km breite Flyschzone der Landschaft Zagöri.
Sowohl die schiefrige, als die Sandstein- Gruppe des alttertiären Flysch
tritt hier auf, erstere steil zusammengefaltet, letztere meistens ziemlich
flach auflagernd, beide mit SSO-Streichen (S 15°— 30 ° O) und mit
durchgängig ostnordöstlichem Einfallen. Der Flysch bildet in
der Richtung des Schichtstreichens verlaufende Höhenzüge, die nach
der Seite des Einfallens (ONO) sanft, nach der Seite der Schichtköpfe
steiler geböscht sind.
Die Flüsse Metsovftikos und Peneios (Salamvriäs), die vom Zygös
entspringen, durchsetzen das Gebirge in gewundenen Thälern, ersterer
Zeiuchr. d. Ges. f. Erdk. Bd. XXXII. 1897. 20
284
A. Philippson:
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Alt -Tertiär,
Reisen und Forschungen in Nord-Griechenland.
285
nach WSW, letzterer nach OSO gerichtet. Das Thal des ersteren ist
mit Ausnahme einiger kleiner Thalweitungen eng, steil, wenig bebaut
und bewohnt. Zum Peneios dagegen konvergieren eine ganze Anzahl
von Thälern, die, wie das Hauptthal selbst, wenn auch keine breiten
Thalböden, so doch vielfach sanfte und anbaufähige Gehänge be-
sitzen. Diese beiden grofsen Flufsthäler gewähren die Möglichkeit,
hier mit einem einzigen Anstieg das Gebirge zu überschreiten; darin
liegt die Bedeutung des Zygös-Passes als Übergang zwischen Thessalien
und Epirus.
Die beiden Flüsse bezeichnen annähernd eine wichtige tektonische
und orographische Quergrenze. Am Metsovftikos erhebt sich plötzlich
das hohe aus Plattenkalken, Hornsteinen und Schiefern bestehende
Gebirge des Pindos, und zwar der Peristäri-Gruppe (2295 m), das hier
an einem grofsen, z.T. als Flexur augebildeten Querbruch nach Nor-
den unter den Flysch hinabsinkt. Südlich vom Zygös und von dem oberen
Peneios sinkt dagegen das Serpentin -Hornstein- Schiefergebirge nach
Süden allmählich unter eine erst lückenhafte, dann zusammenhängende
Decke von alttertiärem Flysch hinunter. Diese hängt über M6tsovon
mit dem Flysch der Zagöri zusammen und erstreckt sich von Mätsovon
und Kastaniä, sich dreieckig zuspitzend, nach Süden zwischen zwei
auseinandertretende Äste des Pindos-Kalkgebirges. Dieses Flysch ge-
biet vonKötori, wie wir es nennen wollen, besteht aus Sandsteinen
der oberen Flyschgruppe, die ziemlich flach lagern, mit SSO-Streichen
(nur am Ostrande stellenweise SW) und beständigem nordöst-
lichem Einfallen, und die an den Rändern diskordant auf die
Pindos-Kalke und -Schiefer tibergreifen. Der Flysch bildet auch hier,
wie in der Zagöri, lange parallele Höhen, die nach der Seite der
Schichtköpfe (Westen) steil, nach der andern flach abfallen, ein be-
waldetes und wenig bewohntes Gebiet. Es erreicht in der Dokfmi
(im Norden) 1900 m Höhe. Hier endigt auch die Wasserscheide
zwischen Peneios und Arta-Flufs, und es schiebt sich das centrale
Flufssystem des Pindos-Gebirges, das des Aspros ein, dem bereits fast
das ganze Flyschgebiet von Kötori zugehört
Der östliche Zweig des Pindos-Kalkgebirges bricht östlich von
Vendfsta an einer Flexur nach Norden gegen Flysch ab.
b) Der centrale Pindos-Kalkzug.
Der vorherrschend aus eocänen Plattenkalken aufgebaute Gebirgs-
zug des Pindos, der an den Flüssen von Mdtsovon und Kastaniä be-
ginnt, hat auf seiner ganzen Länge bis zur Querlinie von Karpenfsi
ziemlich gleichbleibenden tektonischen und orographischen Charakter*
Wo immer wir ihn überschreiten, kommen wir über einen sich häufig
20*
286 A - PhHippson:
wiederholenden Wechsel derselben Plattenkalke, Hornsteine und
Schiefer, die allesamt steil aufgerichtet und gefaltet nach derselben
Richtung, nach Osten, einfallen. Nur vereinzelt, und zwar im
nordwestlichen Teil, beobachtet man aufrecht stehende Falten. Das
Gebirge besteht also aus einer grofsen Zahl stark zusammengeprefster
nach Westen tiberliegender Falten oder nach Westen überschobener
Schuppen. Ob in den einzelnen Fällen eine Überfaltung oder eine
Überschiebung an Bruchflächen vorliegt, läfst sich natürlich bei einer
flüchtigen ersten Rekognoszierungs-Aufnahme nicht entscheiden — ist
doch diese Frage sogar bei den bestuntersuchten Überschiebungen der
Alpen noch streitig. Genug, die Schichten sind in von Osten nach
Westen sich häufig wiederholenden Schieb tpacketen über einander
geschoben. Diese einzelnen Schichtpacke te im Streichen zu ver-
folgen und auseinander zu halten, also die einzelnen tektonischen
Zonen festzustellen, wäre auch für eine Spezialaufnahme eine schwierige
Aufgabe. Nur im nördlichsten Teil trennt das Flyschgebiet von Kötori
das Kalkgebirge in zwei, in sich wieder aus mehreren Falten be-
stehende Zweige; aber schon von Dragovfsti südlich verschwindet mit
dem Ende des Eocänflysches diese Zweiteilung.
Während die Pindos-Kalke und -Schiefer nach Osten diskordant
unter den Flysch der östlichen Flyschzone hinabfallen, sehen wir sie
nebst den darunter liegenden älteren Kalken unbestimmten Alters am
Westrahde überall über den alttertiären Flysch tiberschoben, im süd-
lichen Teil nur in geringem Mafs, also mit steil nach Osten ein-
fallender Überschiebungsfläche, im nördlichen Teil, in dem Tsume*rka-
und Prosgöli-Gebirge mit flacher Überschiebungsfläche bis zu 7 km
Breite. Bemerkenswerter Weise tritt hier der westliche Gebirgsrand
um ebenso viel gegen Westen vor im Vergleich zu der südlicheren
Gebirgsstrecke, sodafs dadurch hier die westliche Flyschzone bedeutend
verschmälert wird. Dieser nördliche Teil des Pindos-Kalkgebirges ist
30—40 km breit, der mittlere und südliche nur 20—25 km.
Die Höhenrücken und Gipfel des Gebirges sind mit wenigen Aus-
nahmen ziemlich sanft geformt und leicht gangbar. Der dünnschichtige
Pindos-Kalk sowohl wie die Hornsteine zerfallen an der Oberfläche in
massenhafte Schuttbrocken, sodafs selten scharfe Spitzen und Grate,
ebenfalls selten Karrenfelder entstehen können, welche die massigen
Kalke so überaus beschwerlich für den Wanderer machen. Dagegen
ist das Pindos-Kalkgebirge durch zahlreiche, sehr tiefe, steilwandige
und gewundene Erosion sthäler zerschnitten, die fast sämtlich der
Thalböden entbehren und von wilden wasserreichen Bergströmen
durchbraust werden. Diese Thäler sind es, die den Verkehr,
namentlich in der Qnerrichtung, aufserordentlich erschweren und
Reisen und Forschungen in Nord-Griechenland.
287
die Hauptschuld an der Wildheit und Kulturfeindlichkeit des Pindos
tragen.
Man kann das Gebirge der Länge nach in drei Abschnitte
teilen.
i. Der nördliche Abschnitt bis zur Querlinie Vurgardli-Pörta
ist der breiteste, ausgezeichnet durch die grofse Überschiebung des
Westrandes über den Flysch und durch die bedeutendsten Gipfelhöhen.
Das Streichen des westlichen Teiles ist etwa S 20 ° O. Am meisten
nach Westen vorgeschoben ist der gewaltige, plateauartig breite Kalk-
klotz der Tsumärka (Kataphfdi 2393 m), der nach Norden, Westen und
Süden in grofsartigen Steilwänden zu der Flysch] andschaft abstürzt.
Dann folgt die ebenfalls überschobene Kette des Prosgöli-Gebirges,
• die sich, vom Kalarrhytae-Flufs durchbrochen, in der Kette des Stavrös-
Passes fortsetzt (Kammhöhe um 2000 m.) Dann kommt nach Osten
der breite, orographisch niedrige Aufbruch älterer Kalke bei Kalarrhytae
und dann eine ganze Anzahl teils stehender, teils überschobener
Falten von Pindos-Kalk, Hornstein und Schiefer, dazwischen auch ein
Aufbruch älterer Kalke bei Gardiki. Sie setzen die langgestreckte
Kette des Peristdri (2295 m), der Kakardftsa (2320 m) und des Avtf,
deren Kammhöhe auf eine lange Strecke kaum unter 2000 m sinkt,
und die östlich davon parallel verlaufenden Ketten zusammen. Die
Ostgrenze dieser Kalkketten wird annähernd durch den Oberlauf des
Äspros bezeichnet, der dann bei Vitsfsta mit grofser Schlinge nach
Westen bis zur Flyschzone durchbricht, um aus dieser alsbald in das
Kalkgebirge zurückzukehren. Aufser der Tsumdrka- und der Prosgöli-
Stavrös-Kette finden die übrigen Ketten ihre Fortsetzung innerhalb der
Aspros- Schlinge in dem etwa 2000 m hohen Alamänos-Gebirge.
östlich folgt nun das Flyschgebiet von Kötori und südlich davon
eine ebenfalls SSO streichende und östlich fallende, nach Westen über-
schobene Zone von Kreideschiefern und Hornsteinen, die in
verschiedener Breite und sich vielfach zerteilend bis zum Smigös-Thal
fortsetzt. Infolge ihrer leichteren Zerstörbarkeit ist sie zu einer Längs-
furche erodiert, der aber der Aspros nur streckenweise folgt. Östlich
hiervon verlaufen nun eine ganze Anzahl von Kalk- und Hornstein-
zonen, alle übereinandergeschoben, mit östlichem Einfallen. Im nörd-
lichen Teil dieser Gebirgszone, der in der 2204 m hohen Tringfa (Bäba)
gipfelt, herrscht südliches Streichen, im südlichen Teil, mit dem Gipfel
Avgö (2150 m) SSO-Streichen.
2. Der mittlere kurze Abschnitt von der Linie Vurgardli-Pörta bis
zur Linie Koräku — Smigös-Thal — Kerasiä ist bezeichnet durch eine
Knickung im Verlaufe des ganzen Gebirges: ein Zurücktreten des West-
randes, ein Vortreten des Ostrandes, verbunden mit einer starken Ver-
288 A - Philippson;
schmälerung des Gebirges und mit einem unregelmäfsigen Schwanken
des Schichtstreichens zwischen SO und SSW. Es ist, als ob der nörd-
liche Abschnitt des Gebirges gegen den mittleren an einem Quer-
bruch nach Westen verschoben sei. Dieselbe Knickung zeigt sich auch
im Verlaufe der östlichen Randkette. Übrigens besteht der mittlere
Teil ebenfalls aus nach Westen überschobenen abwechselnden Zügen
von Kalk und Hornstein, die sich auch orographisch als eine Ver-
sammlung eng gedrängter Ketten darstellen. (Karava 2124 m.) Am
Westrand ist das Misünta - Gebirge ebenfalls über den Flysch über-
schoben.
Dieser mittlere Gebirgsteil ist besonders tief durchschluchtet. Da
aber hier der Aspros in die westliche Flyschzone heraustritt und sich
daran die Querthäler des Smigös und von Knfsovon anschliefsen, führt
hier der verhältnismäfsig beste Übergang hinüber, der zwischen dem
Zygös und Karpenfsi zu finden ist.
3. Von dem wilden Querthal des Smigös an rechnen wir den
südlichen Abschnitt des eigentlichen Pindos. Das Gebirge schlägt
hier sowohl in seinen Grenzen wie im Schichtstreichen eine südliche
Richtung ein, die es bis in die Nähe des Golfes von Patras beibe-
hält. Auch hier östliches Einfallen und mäfsige Überschiebung
am Westrand. Im allgemeinen ist die Schichtstellung hier sehr steil.
Die Zonen von Kalk, Hornstein und Schiefer wechseln häufig mit ein-
ander ab und verzweigen sich unregelmäfsig, doch lassen sich drei
Hauptzonen von Schiefer und Hornstein unterscheiden: die von Mona-
stiräki, die von Petrflu-Ägrapha und die von Stänoma. Die beiden
Flüsse Me*gdovas und Agraphiötikos durchsetzen das Gebirge in spitzem
Winkel zu den Gesteinszonen in der Richtung SSW, sodafs die oro-
graphischen Ketten nicht mit den Gesteinszonen übereinstimmen.
Während die Kämme über 2000 m hinaufreichen , sind die überaus
wilden Thäler bis auf 300 und 200 m Meereshöhe eingeschnitten. Selbst
die den Thälern folgenden Wege führen beständig bergauf bergab an
den Gehängen, sodafs man im Sommer die Kammwanderung vorzieht
Zwischen der westlichen Flyschzone und dem Agraphiötikos erhebt
sich das wildgezackte Tzurnäta - Gebirge zu 2168 m, südlicher der
Phthe'ri-Kamm zu 2132 m. Weiter südlich setzt die Zone der Tzurnäta
über den Agraphiötikos hinüber und bildet zwischen ihm und dem
Mdgdovas das 1758 m hohe Gebirge von Keräsovon. Ihm läuft ein
anderer Kamm von 1865 m Höhe östlich parallel. Weiter oberhalb
verläuft zwischen beiden Flüssen ein langer Kalkrücken mit einer
Kammhöhe um 2000 m, der im Norden im Butsikäki (2154 m) gipfelt
Östlich des Me*gdovas endlich erhebt sich der Velüchi (2315 m), die
stolzeste Bergform des ganzen Pindos, die steil nach Süden zum Thal-
Reisen und Forschungen in Nord-Griechenland.
289
becken von Karpenfsi abstürzt. Hier sind wir an der schon be-
sprochenen Südgrenze des eigentlichen Pindos angelangt.
c) Die westliche Flyschzone und das Gävrovo-Gebirge.
Die westliche Flyschzone hängt im Norden schmal mit dem Flysch-
gebiet des Zagöri zusammen. Auf ihrer ganzen Erstreckung herrscht
in ihr SSO-Streichen, und das Einfallen ist vorwiegend ONO; doch
kommen auch kleinere Partien aufrecht stehender Faltung vor. Auch
hier müssen sich also dieselben Schichten vielfach wiederholen, wenn
man die Zone von Westen nach Osten, kreuzt.
Zunächst begleitet die Flyschzone in einer Breite von 3 bis 10 km
den Westrand des Prosgöli- und Tsumerka- Gebirges, dann breitet sie
sich bei Vurgardli zu der Landschaft Radovfzi aus. Beide Abschnitte
werden der Länge nach vom Arta-Flufs in gewundenem, hier und da
kleine fruchtbare Auen enthaltenden Thal durchzogen. Er hält sich in
der Nähe des westlichen Kalkgebirges und tritt streckenweise in dieses
ein. Von links strömen ihm zahlreiche Bäche in der Querrichtung
zu, welche die Flyschlandschaft in ein unregelmäfsiges Gewirr von
Hügeln und Thälern auflösen.
Nun teilt das lang nach SSO gestreckte Kalkgebirge Gävrovo
(1782 m) das Flyschgebiet eine Strecke weit in zwei Zonen. Das Kalk-
gebirge ragt wie ein dunkelfarbiger massiger Wall aus den kleinen
Terrainwellen des Flysch auf. Im Osten fällt sein Nummulitenkalk
regelmäfsig unter den Flysch ein, sonst bricht der Rudistenkalk meist
steil gegen den Flysch ab. Am Nordende und bei Synteknon ist der
Rudistenkalk nach Westen über den Flysch überschoben. Es ist also
kein regelmäfsiges Faltengewölbe, sondern eine riesige Kalkklippe, die
vom Flysch umlagert und dann später nach Westen über den Flysch
über schoben wurde. Den inneren Bau der Kalkmasse selbst kann man
wegen der undeutlichen Schichtung nicht beurteilen ; doch zeigt die in
ihm eingefaltete Flyschmulde bei Synteknon, dafs sie in sich auch ge-
faltet ist.
Der östlich vom Gävrovo gelegene Flysch ist steil gefaltet mit
östlichem Einfallen. Er bildet ein wirres, vom Aspros und seinen Zu-
flüssen zerschnittenes Gebirgsland, das bis 1400 m Höhe erreicht, immer
aber eine orographische Senke zwischen den Kalkgebirgen darstellt.
Der Aspros selbst bohrt sich in launenhaftem Laufe wiederholt in den
Gävrovo-Kalk ein.
Ein regelmäfsigeres Bild zeigt die Flyschzone zwischen dem Gäv-
rovo und dem Golf von Arta, Die Schichten fallen hier ziemlich flach
nach ONO, und mehrere Längsthäler — das bedeutendste ist das des
Tzäkos — zerteilen die Zone in mehrere nach SSO gestreckte Rücken
290 A. Philippson:
(bis 954 m hoch), die flach nach Osten, steil nach Westen abfallen. Die
westlichste dieser Flyschhöhen stürzt unmittelbar zum Golf ab.
d) Die östliche Flyschzone und die östliche Randkette.
Als ein schmaler Streifen von i\ bis 5 km Breite zieht sich die öst-
liche Flyschzone vom oberen Peneios bis in die Gegend von Muzäki
steil eingefaltet zwischen dem Pindos-Kalkgebirge im Westen und dem
in sich mehrfach gefalteten Kalkgebirgszug des Köziakas (1901 m) im
Osten. Hier bildet der Flyschstreifen eine Folge von Längsthälern,
die durch Thalwasserscheiden getrennt werden.
Die vornehmlich aus Kreidekalk und Hornstein bestehende Ge-
birgsmauer des Köziakas streicht ebenso wie die Flyschzone südlich,
wendet sich dann aber im Bogen nach Osten, um bei Phanäri gegen
eine Oligocänscholle und den Rand der thessalischen Ebene abzu-
brechen, nachdem sie von den Gewässern des Flyschlängsthals zwei-
mal in den Engpässen von Porta und Muzäki durchbrochen worden ist.
Wahrscheinlich stellen die Kalkhügel, die bei Mataranga aus der Ebene
aufragen, ferner die Kalkmassen des Dogandji Dagh und Kara Dagh
im Thessalischen Mittelgebirge die Fortsetzung des nach Osten ge-
drehten Kreidekalkzuges des Köziakas dar.
Nach einer geringen Lücke bei Mesenik61as beginnt sich wieder
ein Zug von Kreidekalk, Serpentin und Schiefern am Rande der Flysch-
zone einzustellen, der von Bläsdu und H. Geörgios nach SSO streicht,
vielfach von Querthälern unterbrochen, sich dann in dem 984 m hohen
Serpentingebirge Katächloron nach SO wendet zur Vereinigung mit
der Othrys.
So verbreitert sich von Muzäki an die östliche Flyschzone allmäh-
lich bis zu 35 km: das Gebirge der östlichen Ägrapha. Hier
und da tauchen aus dem Flysch noch kleinere Partien älterer Ge-
steine (bei Kataphygi, Smökovon u. s. w.) hervor. Der Flysch ist meist
sehr stark gefaltet, besonders die Schiefer. Im nördlichen Teil bis in
die Gegend von Spinässa herrscht SSO-Streichen und ONO-Fallen
vor, von da an südlich wechselt aber das Streichen und Fallen nach
allen Richtungen.
Die orographische Rolle der östlichen Flyschzone südlich von
Muzäki ist eine ganz andere als die der übrigen Flyschgebiete des
Pindos. Sie bildet nämlich keine Senke zwischen höheren Kalkgebirgen.
Die Nevröpolis ist eine etwa 1100 — 1200 m hohe breite Stufe, in die
ein altes Seebecken, jetzt eine fruchtbare Hochebene von 900 m Höhe,
flach eingesenkt ist; daraus fliefst der Megdovas-Flufs nach Süden ab.
Nach Osten fällt diese Stufe zur thessalischen Ebene ab; die Rand-
zone von Kreidegesteinen bildet hier nur niedrige Hügel am Fufs des
Reisen und Forschungen in Nord-Griechenland.
291
Flyschabfalles. Weiter südlich bildet die Flyschzone ein von zahlreichen
unregelmäfsigen Thälern in wirrer Weise zerschnittenes Gebirgsland
von ansehnlicher Höhe, das zwar dem Pindos - Kalkgebirge an
Höhe nachsteht, aber doch die östliche Randkette und die west-
liche Othrys tiberragt. Das Flyschgebirge trägt hier die Haupt-
wasserscheide des ganzen Pindos -Gebietes: die Bäche fallen teils
dem Megdovas zu, teils durchbrechen sie die östliche Randkette zur
thessalischen Niederung hin. Der südlichste Teil gehört schon zum
Flufsgebiet des Spercheios. Die Wasserscheide zwischen dem Ägäischen
und dem Jonischen Meer zieht unregelmäfsig hin und her, durch-
gängig über 1000 m hoch. (Itamos 1508 m, Vulgära 1660 m.)
Überhaupt ist der Verlauf der Hauptwasserscheide im Pindos sehr
unregelmäfsig. Sie geht vom Zygös nach Osten zur Tringfa; von hier
auf eine kurze Strecke zum Köziakas, dann zurück auf die östliche
Flyschzone, dann auf das Pindos -Kalkgebirge, wieder über die Thal-
wasserscheide der Nevröpolis auf die östliche Flyschzone. —
Es sei noch bemerkt, dafs sowohl im Gebiet des Arta -Flusses,
wie in dem des oberen Peneios ansehnliche Schotterterrassen vor-
kommen.
3. Klima, Vegetation, Anbau, Bevölkerung.
Wenn auch das Frühjahr 1893 in Griechenland ein besonders
kühles und niederschlagsreiches war, so geht doch aus meinen Wetter-
erfahrungen hervor, dafs das Pindos • Gebirge ein viel nordischeres
Klima besitzt, als die Gebirge des mittleren und südlichen Griechen-
land in entsprechenden Meereshöhen. Winter und Frühjahr sind kühl
und schneereich, besonders auf der Ostseite des Gebirges. Starker
Schneefall ereignete sich noch am 15. April bis zur Ebene hinab, am
24. April in der Chässia in 1100 m Höhe. Am 30. April hatten wir
Mühe, den metertiefen Schnee am Zyg6s zu überwinden (1400 m).
Noch am 24. Mai fanden wir am Pafs von Knfsovon in 1400 m, am
27. am Butsikäki in 1600 m, am 31. am Avgö bis 1600 m hinab, am
6. Juni an der Toskia in 1800 m, am 9. am Stavrös-Pafs in 1900 m
ausgedehnte Schneefelder, sämtlich auf Nord- und Ostseiten. Noch
am Morgen des 8. Juni bedeckte frisch gefallener Schnee das Kakardftsa-
Gebirge bis 1 500 m Höhe hinab. Erst von Mitte Juni ab schmolzen die
Schneefelder auch in den höheren Lagen schnell zusammen. Bis Ende
Juni war von einer Sommerdürre nichts zu merken: häufige Gewitter-
regen hielten im Gebirge bis etwa 800 m hinab Temperatur und
Vegetation frisch und füllten die Bäche mit rauschenden Wasser-
massen.
Das Pindos-Gebirge ist daher von Natur, soweit der Mensch nicht
292 A. Philippson:
zerstörend eingegriffen hat, tippiger und mannigfaltiger bewaldet, als
die übrigen griechischen Gebirge. Freilich liegt die Baumgrenze ver-
hältnismäfsig tief, zwischen 1800 und 1600 m. Hier trifft man zuweilen
Wacholder-Knieholz an, was ich in den südlicheren griechischen Ge-
birgen nicht beobachtet habe.
Drei Baumarten reichen waldbildend bis zur Baumgrenze hinauf.
Die Waldbuche {Fagus stlvatüa) bildet an einzelnen Stellen des Ge-
birges reine, nur selten mit Tannen gemischte Bestände von herrlichem
Wuchs, von der Baumgrenze bis etwa 1200 m Meereshöhe hinab, immer
auf Silikatgesteinen, und zwar mit Vorliebe auf dem Flyschsandstein.
Der südlichste Buchenwald auf der Balkan-Halbinsel liegt auf dem
Oxyä-Gebirge in der ostätolischen Sandsteinzone (38 45' nördl. Breite).
Die Schwarzkiefer (Hnus Laricio Poir. oder pindicus Form.) bildet
ausgedehnte Wälder im Zygös-Gebiet und südlich bis in die Gegend von
Kraniä, z.T. mit Tannen gemischt, ebenfalls meist auf Silikatgesteinen,
namentlich Serpentin, von der Baumgrenze bis zu 900 m Meereshöhe
hinab. Dagegen bevorzugen die unseren Edeltannen nahestehenden
Tannen entschieden den Kalkstein. Auf diesem bilden sie die ver-
breitetsten Wälder von der Baumgrenze bis 700 m Höhe hinab. Als
Nebenholz treten in diesen Bergwaldungen besonders verschiedene
Wacholderarten, als Unterholz auch Buchsbaum und Stecheiche (JUx
aqui/oltum) auf.
In der unteren Bergregion (unter 1200 m) sind die Hainbuchen
sehr verbreitet, die besonders in den inneren Pindos - Thälern aus-
gedehnte Buschwälder zusammensetzen, und aufserdem die sommer-
grünen und immergrünen Eichen, zum Teil mit Tannen vermischt Je
tiefer hinab, desto mehr überwiegen die Eichen, bis sie von 700 m an
fast allein die Wälder bilden. Besonders ist das Flyschgebirge der
östlichen Ägrapha von prächtigen Eichenwäldern bedeckt, die sich
auch in den binnenländischen Teilen der westlichen Flyschzone finden,
hier vielfach mit Maquien gemischt. Auch in allen anderen Teilen des
Pindos bis zur Höhe von 1200 m kommen kleinere Bestände und Horste
von Eichen vor. Der unteren Bergregion (etwa 600 — 1200 m) sind
auch einige schöne Wälder von Edelkastanien eigen. Merkwürdig,
wenn auch landschaftlich wenig hervortretend, ist in derselben Region
das wilde Vorkommen der Rofskastanie {Aesculus Hippocastanum
Z.) 1 ), die hier ihre Heimat hat. Die Bäche begleiten dichte Bestände
von mächtigen Platanen und Pappeln.
Leider wird das natürliche Waldkleid des Gebirges, namentlich
l ) Philippson, Ober das Vorkommen der Roiskastanie und der Buche in
Nord-Griechenland. Naturwissenschaft!. Wochenschrift, IX, Berlin 1894. S. 421 ff-
Reisen und Forschungen in Nord- Griechenland. 293
ier Tannenwald, in schonungsloser Weise zerstört. Im Flufsgebiet
des Arta-Flusses sind schon vor längerer Zeit die hochstämmigen
Wälder bis auf geringe Reste verschwunden, und im Flufsgebiet des
fast vom Ursprung an flöfsbaren Aspros wird jetzt, seitdem keine
politische Grenze mehr den Flufs schneidet, an der schnellen Ver-
nichtung der Tannenwälder gearbeitet, sodafs binnen kurzem die
ganzen höheren Teile des Gebirges nackt und kahl dastehen werden.
Die westliche Flyschzone des Pindos bis zu der Grenze der cen-
tralen Pindos-Kalkzone, nördlich bis in die Gegend von Schor&sana
und bis zu einer Meereshöhe von etwa 800 m, ist das Gebiet üppiger
immergrüner Maquien. In dem höheren Teil, etwa von 500 bis
800 m, sind namentlich prächtige Erica-Maquien verbreitet Bis 500 m
reicht in diesem Gebiet auch der Ölbaum. Weiter landeinwärts, in
den inneren Pindos-Thälern und auf deT Ostseite des Gebirges, fehlen
die meisten immergrünen Holzpflanzen, aufser den immergrünen Eichen.
Der Anbau ist im ganzen Pindos-Gebirge verhältnismäfsig spärlich.
Bei der Seltenheit von Ebenen und Thalauen mufs er sich mit den
sanfteren erdreicheren Gehängen und Bergterrassen begnügen. Am
ausgedehntesten ist er noch in der Thallandschaft des oberen Peneios
um Malakäsi und in den nördlichen schmalen Teilen der beiden Flyscb-
zonen. Auch das Flyschgebirge der östlichen Agrapha hat gröfsere
angebaute Rodungen inmitten seiner Eichenwälder, während in dem
breiten Teil der westlichen Flyschzone der Anbau sich auf zerstreute
Flecken beschränkt. Noch geringer und beschwerlicher ist er im
Kalkgebirge,
Die wichtigste Frucht des Ackerbaues im Pindos ist der Mais
der durch die zahlreichen Bäche und Quellen reich bewässert werden
kann. Ihm gegenüber treten die übrigen Cerealien sehr zurück, ja in
den inneren Pindos-Thälern ist er die einzige Brodfrucht. Wein wird
fast nur in der östlichen Agrapha in einiger Menge gezogen. Sonst
beschränkt sich der Anbau im wesentlichen auf Gemüsepflanzen und
Obstbäume um die Dörfer herum. In der Tsumlrka und einigen
anderen Gegenden ist die Seidenzucht nicht unbedeutend; sie liefert
das einzige landwirtschaftliche Produkt des Pindos für den Handel. Dazu
kommt das Holz der Wälder, das in Patras zu Markt kommt, wovon
aber die Einwohner fast gar keinen Vorteil haben, da die Wälder
Staatseigentum sind und von auswärtigen Unternehmern mit aus-
ländischen (bulgarischen) Arbeitern ausgebeutet werden.
Der bedeutendste Erwerbszweig der Pindos - Bewohner ist die
Schaf- und Ziegenzucht, für die das niederschlagsreiche Gebirge
gute Weiden bietet. Ein grofser Teil der Pindos-Bewohner sind daher
Viehzüchter. Während die mittleren und höheren Lagen ausgezeichnete
294 A. Philippson:
Sommerweiden haben, reichen viele der tief eingeschnittenen Pindos
Thäler in die Region der Winterweiden hinab, der auch ein grofser
Teil der beiden Flyschzonen angehört. Freilich können bei weitem
nicht alle Herden, die der Pindos im Sommer ernährt, auch im Pindos-
Gebiet überwintern, viele müssen dazu die Niederungen Thessaliens,
Ätoliens, ja Böotiens aufsuchen. Ein grofser Teil der Pindos -Vieh-
züchter ist daher nomadisch, und bis in die Nähe Athens streifen
im Winter agraphiotische Wanderhirten.
Mit dieser Kleinviehzucht in Verbindung steht eine ähnliche In-
dustrie, wie wir sie in der Othrys antrafen: die Herstellung der landes-
üblichen, groben, filzäbnlichen Stoffe aus Wolle und Ziegenhaaren für
Mäntel, Decken u. dergl. vermittels wassergetriebener Walkmühlen.
Diese Industrie wird im Sommer von den Aromunen des nördlichen
Pindos betrieben.
Der Verkehr ist im ganzen Pindos sehr gering. Aufser den an
den Rändern vorbei führenden Strafsen Arta-Karavasaräs-Agrinion und
Karpenfsi-Lamfa giebt es im ganzen Gebiet keine einzige Fahrstrafse;
keine Post- oder Telegraphenlinie durchkreuzt das Gebirge in der
Querrichtung. Die Saumpfade sind — mit Ausnahme desjenigen von
Arta nach Kalarrhy'tae — meist im denkbar schlechtesten Zustand.
Moderne Brücken sind erst sehr wenige vorhanden, dagegen dienen
noch eine ganze Anzahl alter, wahrscheinlich byzantinischer Spitzbogen-
brücken; eine noch gröfsere Zahl liegt freilich in Ruinen. Sie be-
zeugen, dafs einstmals ein regerer Verkehr im Gebirge bestand. Der
einzige Weg, über den heute ein wenn auch geringer Verkehr über
das Gebirge hinweg führt, ist der Zyg6s-Weg. Aufserdem beschränkt
sich der Verkehr auf die Wanderzüge der Hirten und die Marktgänge
der Gebirgsbewohner.
Kein einziger Marktplatz von Bedeutung liegt im Innem des Ge-
birges, sondern alle, die für den Pindos in Betracht kommen, liegen an
seinem Rand, und jeder derselben hat sein durch die Bodengestalt
abgegrenztes Marktgebiet im Gebirge. So gravitiert das ganze Gebiet
des oberen Peneios, der Längsthaizug der östlichen Flyschzone, das
Gebiet des oberen 'Aspros südlich bis zur Koräku-Brücke nach Trfkkal
und Muzäki; das Gebiet südlich hiervon bis Rhentfna, Phurnä und
Granftsa, westlich bis zum Aspros nach Kardftsa; das Land südlich
der genannten Orte nach Karpen fsi und dadurch nach Lamfa; da-
gegen das Gebiet der Tsume*rka und Radovfzi nach Arta, der Valtos
nach Karavasaräs. Das türkische Gebiet im Nordwesten fällt Jän-
nina zu. Mdtsovon ist nur von untergeordneter Handelsbedeutung.
Die Bevölkerung des Pindos ist im ganzen verhältnismäfsig
geringzählig. Man kann sie in dem ganzen wie oben (S. 275) abge-
Reisen und Forschungen in Nord- Griechenland. 295
grenzten Gebiet (als Westgrenze den Arta-Flufs genommen), einschliefs-
licli der Ebene von Arta und des Thals von Mdtsovon, nach der
griechischen Volkszählung von 1889, sowie nach ergänzenden Schätzungen,
im Winter auf 125 000, im Sommer auf 135 000 Seelen annehmen. Das
macht, die Fläche auf 6500 qkm geschätzt, 19 bzw. 21 Einwohner auf
t qkm. Zieht man aber die Umgebung von Arta ab, so bleiben im
Winter nur etwa 112000 Einwohner (17 auf 1 qkm). Die Bevölkerung
ist übrigens sehr ungleichmäfsig verteilt, wie aus den folgenden Zahlen
hervorgeht (Flächeninhalt nach roher Schätzung).
, Einw. im Einw. auf
q Winter 1 qkm
Türkischer Teil (Thal von Mdtsovon, linke
Seite des oberen Arta-Flusses) 320 9000 28
Gebiet des oberen Peneios 210 6900 33
Westseite der Tsumtfrka und Gebiet von Ka-
larrhytae 270 8 500 31
Südseite der Tsumdrka und Radovfzi . . . 675 11 300 16
Vrysis (Gebiet von Arta) 100 12700 127
Vältos 750 10 500 14
Landschaft Aspropötamos 1 100 8400 8
Kalkgebirge der Landschaft Ägrapha nebst
der westlichen Flyschzone östlich des Aspros 1 675 23 900 14
Gebirge der östlichen Agrapha 1 400 33 700 24
6500 124900 19
Dazu kommen im Sommer noch etwa 10 000 Wanderhirten , allein
7500 in der Landschaft Aspropötamos, sodafs sich deren Bewohner-
schaft dann auf 16 000 (14 auf 1 qkm) beläuft.
Am dichtesten bevölkert sind, aufser der Umgebung von Arta,
das Zygös-Gebiet und die Tsumdrka, dann folgt das Flyschgebirge
der östlichen Ägrapha. Am dünnsten bevölkert sind Radovfzi, Vältos
und das Kalkgebirge.
In sprachlicher Hinsicht zerfallen die Pindos-Bewohner in zwei
grofse Gruppen: die Aromunen (Kutzo-Walachen, Zinzaren) und die
Griechen. Das aromunische Sprachgebiet zieht sich von Norden her
in unser Pindos- Gebiet hinein und umfafst hier das Thal von Mdtsovon
abwärts bis Tria-Chania, das Stromgebiet des oberen Peneios abwärts
bis Mei'dan-Keräsia, einschliesslich der Thallandschaft von Klfnovos,
ferner das Stromgebiet des Aspros südlich bis zu den Bergen Avtf,
Drakötrypa, Avgö und Marüssa; dann auf der Westseite des Gebirges
noch Palaeochöri, Syräku und Kalarrhytae. Diese Sprachgrenze bleibt
etwas hinter der traditionellen Grenze der Gaue Malakäsi und Aspro-
296 A - Philippson:
pötamos zurück, wohl ein Anzeichen, dafs die aromunische Sprache hier
in neuerer Zeit etwas zurückgewichen ist.
Über die Eigentümlichkeiten der Aromunen, die zum grofsen Teil
Wanderhirten sind und im Winter in der thessalischen Niederung um-
herziehen, ist bereits (Zeitschr. 1896, S. 199 ff.) die Rede gewesen. Ihre
Gesamtzahl beläuft sich im Pindos im Winter auf etwa 20000, davon
12500 im griechischen Staatsgebiet, im Sommer auf etwa 27 500.
Auch die Griechen des Pindos-Gebietes haben wahrscheinlich
einen ansehnlichen Zusatz aromunischen Blutes in ihren Adern. Von
den sefshaften Pindos-Griechen, die sich wieder nach den einzelnen
Gauen unterscheiden, heben sich die Sarakatsanae"i, in temporären
Reisighütten lebende Wanderhirten griechischer Zunge, als besonderer
Stamm ab, der einer näheren wissenschaftlichen Untersuchung wohl
wert wäre. Sie leben zerstreut in der Ägrapha und im Vältos und
wandern von hier aus im Winter weit in Nord- und Mittel-Griechen-
land umher.
Wie überall in Griechenland haftet die aus dem Mittelalter über-
kommene Gau-Einteilung, die sich meist mit der politischen nicht
deckt, noch fest im Volk.
Der Gau Malakäsi umfafst das Gebiet des oberen Peneios, des
Flusses von Mdtsovon und der linken Seite des Arta-Flusses bis zum Bach
von Kalarrhytae, einen langen schmalen Gebietsstreifen, jetzt zwischen
Türkei und Griechenland geteilt und überwiegend von Aromunen be-
wohnt. Er ist der am dichtesten bevölkerte Bezirk des Pindos. In dem
zur Eparchie Kalabäka des Nomös Trfkkala gehörigen Gebiet des oberen
Peneios, das auf sanft geformten Bergen von Serpentin, Schiefern und
Flysch nicht unbedeutende Ackerflächen neben Kiefern-, Buchen- und
Kastanienwäldern trägt, liegen die stattlichen, auch im Winter bewohnten
Aromunendörfer Malakäsi und Kastaniä und viele kleinere; im tür-
kischen Teil die Aromunen-Stadt Me*tsovon, der Knotenpunkt der Strafsen
von Epirus nach Thessalien und Makedonien. Schon im Innern des
Kalkgebirges, in öder, nur für Hirten brauchbarer Gegend, liegen die
grofsen, dauernd bewohnten Aromunen -Dörfer Syräku (türkisch) und
Kalarrhytae (griechisch) einander gegenüber, deren Bewohner teils
Hirten, teils Kaufleute sind.
Der Gau Asprop6tamos begreift den oberen Teil des Flufs-
gebiets des Aspros, auf der rechten Seite abwärts bis Grevenö ein-
schliefslich, aber ohne Theodöriana, auf der linken Seite bis zur süd-
lichen Wasserscheide der Bäche von Kothöni und Vathyrhevma; dazu
ferner das Gebiet des Baches von Klfnovos. Welchem Gau das Thal
von Tyrna angehört, ist mir unbekannt geblieben. Aspropötamos besteht
also im wesentlichen aus dem Flyschgebiet von Kötori und dem nörd-
Reisen und Forschungen in Nord- Griechenland.
297
liehen Abschnitt des Kalkgebirges, in dem die Thalsohlen am
höchsten liegen. Die Meereshöhe dea^Aspros beträgt beim Ver-
lassen des Gaues noch zwischen 500 und 600 m. Besonders der aro-
munische Teil des Gaues entbehrt daher der Winterweiden fast gänzlich,
während auch der anbaufähige Boden gering und wegen der langen
Schneebedeckung nur mit Sommerfrüchten zu bestellen ist. Dieser
obere Teil des Aspros-Gebietes wird daher im Winter fast ganz ver-
lassen, während im Sommer die grofsen Aromunen-Dörfer Kraniä, Dra-
govfsti, Gardfki, Chalfki und andere von zahlreichen Wanderhirten und
Kaufleuten bevölkert, die Berge von zahllosen Schafherden bedeckt sind.
Das Gebiet von Klfnovos dagegen, das tiefere Thalböden besitzt,
ist auch im Winter bewohnt. Der südliche Teil der Landschaft endlich,
der Dimos Kothonion, hat ebenfalls etwas tiefere Thalböden und
infolge der breiteren Entwicklung der Schiefer und Hornsteine mehr
anbaufähigen Boden. Hier lebt daher eine sefshafte und zwar griechisch
sprechende Bevölkerung. — Politisch ist Aspropötamos zwischen den
Eparchien Kalabäka und Trfkkala geteilt.
Südlich folgt auf Aspropötamos die grofse Landschaft Agrapha,
den ganzen Rest der centralen Kalkzone, die westliche Flyschzone bis
zum Aspros, die ganze östliche Flyschzone und die östliche Randkette
umfassend, von Porta und Martiniskö im Norden, bis zum Spercheios,
Karpenfsi und der Mdgdovas- Mündung im Süden, also Gebiete von
recht verschiedener Bodenbeschaffenheit und Volksdichte. Die Land-
schaft Agrapha ist ein historischer Begriff; es ist das Gebirgsland, das
sich von der unmittelbaren türkischen Herrschaft und von dem Tziflik-
Sy stem frei gehalten und daher stets ein freie Bauernbevölkerung be-
sessen hat, das hauptsächliche Heimatland der Armatolen und Klephten,
jetzt einer der Rekrutierungsbezirke der Evzonen-Bataillone. Noch
mehr als die Aspropotamiten geniefsen die Agraphioten, besonders die
Sarakatsanaeischen Wanderhirten, noch heute kriegerischen Rufes; sie
neigen aber auch noch heute zur Bildung von Räuberbanden, wobei sie
durch die Unzugänglichkeit ihrer Gebirge, besonders des südlichen Ab-
schnittes der Kalkzone, wohl der ungangbarsten Landschaft ganz
Griechenlands, unterstützt werden.
Der kultivierteste Teil der Agrapha ist die waldreiche, aber auch
an Ackerland nicht arme östliche Flyschzone. Hier liegen am Rand
der thessalischen Niederung die grofsen Siedelungen Muzäki, Phanäri,
Kanälia, Mesenikölas, im Innern die Hauptdörfer Rhentma und
Phurnä, aufserdem eine ganze Anzahl von mehr als 500 Einwohnern.
Die übrige Agrapha, das Kalkgebirge und der zur Agrapha gehörige
Teil der westlichen Fyschzone, hat aufser dem am Stidrand gelegenen
Städtchen Karpenisi keine gröfseren Orte. Den Dorfschaften des
'298 A - PkiHppson:
wilden Smig6s-Thales ist es eigentümlich/ dafs sie sich in zahlreiche
kleine Weiler verteilen. •
Die Nordgrenze Griechenlands von 1830 war mitten durch die
Agrapha hindurchgezogen. Jetzt gehört die Landschaft teils zur
Eparchie Kardftsa des Nomos Trfkkala, teils zur Eparchie Evrytanfa
des Nomos Ätolien-Akarnanien.
Weit dichter bevölkert und angebaut sind die wasserreichen
Schiefergehänge um das Tsume'rka- Gebirge herum, die den gleich-
namigen Gau bilden. Hier treffen wir die grofsen Dörfer Prämanta,
Agnanta und VurgareUi. Ebenso wie die Tsumerka gehört zum Nomos
Arta der Gau Radovfzi, eine von Eichenwäldern und Maquien dicht
bewachsene Flyschlandschaft, in der die Bevölkerung in lauter kleine
Weiler verteilt ist. Teils infolge der natürlichen Verhältnisse, teils
infolge des Grofsgrundbesitzes ist diese Landschaft besonders arm und
verkommen. Desto fruchtbarer und dichter bevölkert ist die durch
echt mediterrane Erzeugnisse (Oliven, Südfrüchte, Wein) ausgezeichnete
Umgebung von Arta, der Gau Vrysis, der aufser dieser Stadt die
grofsen Dörfer Pe*ta, Kompöti und viele kleinere enthält.
Die Fortsetzung der westlichen Flyschzone nach Süden bildet den
Gau und die Eparchie Vältos, dem auch der gröfste Teil des Gävrovo-
Kalkgebirges angehört. Im letzteren herrscht fast ausschliefslich die
Kleinviehzucht, die auch im Flyschgebiet überwiegt, sowohl sefshafte
wie nomadische. Im Flyschgebiet ist die Bevölkerung auch hier meist
in kleine Häusergruppen verteilt. Auch die Bevölkerung von Vältos
•ist, wie die der Radovfzi, arm, roh und zum Räuberwesen geneigt
Im ganzen bildet das Pindos-Gebirge im Vergleich zu den frucht-
baren Niederungen Thessaliens und selbst zu der Gebirgslandschaft
von Epirus ein unwegsames, armes und in Altertum wie Neuzeit in
der Kultur weit zurückstehendes Land, dessen einziges Erzeugnis von
Bedeutung eine kräftige und kriegerische Bevölkerung war und ist.
Nachtrag.
Einige Gesteinsbestimmungen, die nicht mehr im Text auf-
genommen werden konnten.
Diallag-Olivin (=Wehrlit) von unterhalb Myli (Othrys).
Die Grundmasse besteht aus einem filzig-faserigen Mineral von
hoher Doppelbrechung, höchst wahrscheinlich Tremolit. Darin Diallag
und aufserordentlich hübsche Pseudomorphosen von Serpentin nach
Olivin, diese letzteren oft umgeben von einer Rinde eines blaugrünen
Reisen und Forschungen in Nord-Griechenland.
299
Minerals, wohl Chlorit. Viele braun durchscheinende Kryställchen
eines Spinells (Picotit oder Chromit). —
Ein anderes Gestein von unterhalb Myli (Othrys) ist zersetzter
Diabas (?) - Mandelstein, ein drittes Serpentin.
Das dichte graue Eruptivgestein nördlich des Phurka-Passes
(S. 59) ist Diabas (?).
Gesteine von Kato-Agöriani: Diabas und Serpentin.
Ano-Agöriani: Typischer Bastitserpentin und Gabbro.
Gerolle im Konglomerat zwischen Kataphygi und Rüsu: 'Zer-
setzter Gabbro und Granit.
Zwischen Anjo - Agöriani und Dereli: Diallag - Olivin-
Gestein (Wehrlit).
Gestein von der Südseite des Mochluka-Passes: zersetzter
Diorit. (Dr. Bergeat.)
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Weigand, Die Aromunen. I. Leipzig 1895*
Wordsworth, Greece, pictorial, descriptive and historical. New edition by
Tozer. London 1881.
J. v. Z., Wanderungen in Epirus und Südalbanien. Westennanns Monatshefte. 1871*
Zompolides, Das Land und die Bewohner von Epirus. „Ausland**. 1880.
Von nachstehendem wichtigen Werke kann ich einige Exemplare
u bedeutend ermäfsigtem Preise liefern:
The Discovery of Australia.
\. critical, documentary and historic investigation concerning the
»riority of discovery in Australasia by Europeans before the arrival
of Lieut. James Cook, in the „Endeavour", in the year 1770.
By
George Collingridge.
>idney 1895. 376 S. 4 mit zahlreichen Karten u. Abbildungen in Callico gebd.
(Statt I». 25,—) M. 12,50.
W. H. Kühl, Antiquariat, Berlin W, 73 Jägerstr.
Wichtig fflr Jede wissenschaftliche Bibliothek!
In wenigen Exemplaren offerire ich das seltene Werk:
Photographisches Album
der
Ausstellung praehistorischer und anthropologischer
Funde Deutschlands.
In photographischen Aufnahmen nach den Originalen
herausgegeben von
Dr. A. Voss,
(Direktor am Kgl. Museum für Völkerkunde).
Berlin 1880. 168 photogr. Tafeln in 4 in acht Callico-Mappen.
Preis M. 150.— .
Sektion I. Ost- und Westpreufsen. 22 Tafeln. — IL III. Pommern
und Rügen. 24 u. 25 Taf. — IV. Posen, Schlesien, Brandenburg,
Anhalt. 17 Taf. — V. Mecklenburg, Lübeck, Schleswig -Holstein,
Hamburg, Hannover, Oldenburg, Braunschweig, Waldeck. 17 Taf. —
VI. Provinz Sachsen, Königreich Sachsen, Schwarzburg -Rudolstadt,
Reuss. 25 Taf. — VII. Hessen, Baden, Württemberg. 20 Taf. —
VIII. Bayern. 18 Taf.
W. H. Kühl, Antiq.-Buchh., 73. Jägerstr., Berlin W.
Soeben erschien bei W. H. Ktihl, Berlin W, Jägerstr. 73. \
Thessalien und Epinis. \
Reisen und Forschungen im nördlichen [
Griechenland
Dr. Alfred PMlippson,
Privatdocent der Geographie an der Universität Bonn.
Herausgegeben
von der
Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin.
(Sonderabdruck aus der „Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu
Berlin 14 , Band XXX-XXXII, 1895— 1897.)
Preis 12 Mark.
XI u. 42a Seiten 8° und acht Tafeln (Karten und Profile).
Soeben erschien bei W. H. Kühl, Berlin W. 8. Jägerstrasse 73. J
BIBLIOTHECA GEOGRAPHICA
I
HERAUSGEGEBEN j
t
VON DER
l
GESELLSCHAFT FÜR ERDKUNDE ZU BERLIN
BEARBEITET
VON
OTTO BASCHIN
BandHI. Jahrgang 1894. XVI u. 402 S. 8°.
= Preis 8 Mark. =
Für die Redaktion verantwortlich: Hauptmann a. D. Kollm in Charlottenburg.
Selbstverlag der Gesellschaft für Erdkunde. Druck von W. Pormetter in Berlin
ftUG 2 9 1929
ZEITSCHRIFT
DER
GESELLSCHAFT FÜR ERDKUNDE
ZU BERLIN.
Band XXXII — 1897 — No. 5.
Herausgegeben im Auftrag des Vorstandes
von dem Generalsekretär der Gesellschaft
Georg Kollm,
Hauptmann a. D.
Inhalt. »
Die Hydrographie des oberen Nil -Beckens. Von E. de Martonne.
(Hierzu Tafel %-^io) .303
Dr. A. Philippson's barometrische Höhenmessungen auf den griechischen
Inseln der Ägäischen Meeres. Berechnet von Dr. A. Galle 343
Tafel 8: Oro- hydrographische Karte der oberen Nil-Gebiete. Entworfen von E. de Martonne.
Mafsstab 1 : 6 000 000.
Tafel 9 : Profile zur vorstehenden Tafel und Karte der jahreszeitlichen Regenverteilung.
Tafel zo: Regenkarte der oberen Nil-Gebiete. Entworfen von E. de Martonne. Mafsstab
1 : 12 000000.
BERLIN, w.8.
W. H.KÜHL.
LONDON E. C. PARIS.
SAMPSON LOW & Co. Iö 97- H . le SOUDIER.
Fleet-Strect. , 74 & X7 6. Boul. St. Germain.
Veröffentlichungen der Gesellschaft im Jahr 1897.
Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin, Jahr-
gang 1897 — Band XXXII (6 Hefte),
Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin,
Jahrgang 1897 — Band XXIV (io Hefte).
Preis im Buchhandel für beide: 15 M M Zeitschrift allein: 12 M., Ver-
handlungren allein: 6 M.
Beiträge zur Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde werden mit
50 Mark für den Druckbogen bezahlt, Original-Karten gleich einem Druckbogen
berechnet.
Die Gesellschaft liefert keine Sonderabzüge; es steht jedoch den Verfassern
frei, solche nach Übereinkunft mit der Redaktion auf eigene Kosten anfertigen
zu lassen.
Alle für die Gesellschaft und die Redaktion, der Zeitschrift und
Verhandlungen bestimmten Sendungen — ausgenommen Geldsendungen
— sind unter Weglassung jeglicher persönlichen Adresse an die:
„Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin SW. 12, Zimmerstr. 90",
Geldsendungen an den Schatzmeister» der Gesellschaft, Herrn
Geh. Rechnungsrat Bütow, Berlin SW. Zimmerstr. 90, zu richten.
Die Geschäftsräume der Gesellschaft — Zimmerstrafse 90. II — sind,
mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage, täglich von 9 — ia Uhr Vorm. und von
4 — 8 Uhr Nachm. geöffnet.
Demnächst wird im Verlag YOfl W. H. Kühl, Berlin W. 8, erscheinen:
Grönland - Expedition
der
Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin
1891- 1893.
Unter Leitung
von
Erich von Drygalski.
Herausgegeben von der
Gesellschaft lür Erdkunde zu Berlin.
Zwei Bände, grofs 8°, mit 85 Abbildungen im Text, 53 Tafeln und 10 Karten.
Die Hydrographie des oberen Nil -Beckens.
Von E. de Martonne.
(Hierzu Tafel 8—10.)
Die Erforschung des oberen Nil -Beckens scheint augenblicklich
n eine Periode des Stillstandes eingetreten zu sein. Die Zeit der
jrofsen Entdeckungen ist vorbei. Für das untere Ober-Nil-Becken, in
3em jetzt noch so viel unbekannt ist, hat diese Ruheperiode schon
mit der Eroberung Chartums durch die Mahdisten begonnen und
wird bald endigen, wenn die englische Sudan - Expedition ihr Ziel
erreicht.
Unter solchen Umständen wird vielleicht eine kurze Zusammen-
fassung der bis jetzt bekannten Daten über die Hydrographie des
oberen Nil nicht unpassend scheinen 1 ).
I.
Leider ist das obere Nil -Becken jetzt noch nicht so gut bekannt,
dafs eine Arbeit über seine Hydrographie eines Vorwortes über die
Entstehung und den heutigen Stand der Karte entbehren könnte;
doch weil es unmöglich ist, die ganze Geschichte der Forschungen
in den Ober-Nil-Gebieten hier zu entwickeln, wollen wir nur zwei
Probleme, die besonders für die hydrographischen Verhältnisse mafs-
gebend sind, in Betracht ziehen: die Frage nach den Quellen des
Nil — und die Frage nach der Umgrenzung des oberen Nil-Beckens.
Das uralte Problem der Nil-Quellen bis in das Altertum und
1 ) Eine Zusammenfassung aller Forschungsergebnisse über den ganzen Nil-
Strom haben schon früher gegeben: Lombardini, Saggio idrologico sul Nilo,
Mailand 1864. 4 . 64 S. und Chavanne in: Afrika's Ströme und Flüsse, Wien
- 1883. 8° (66 S. über den oberen Nil). Beide Arbeiten sind natürlich, was das
* obere Nil-Becken anbetrifft, ganz veraltet. InChelu, Le Nil, le Soudan, TEgypte,
Paris 1891, 4°, sind nur 25 S. dem oberen Nil gewidmet.
Zeitschr. d. Ges. f. Erdk. Bd. XXXII. 1897. 22
304 E - de Martonne:
das Mittelalter zu verfolgen, können wir uns nicht erlauben 1 ). Übrigens
ist es bemerkenswert, dafs, sobald eine wissenschaftliche Forschung
stattzufinden begann, alle Angaben der alten Geographen als fabelhaft
angenommen wurden 2 ).
James Bruce, der in den Jahren 1768— 1773 den Bahr el Azrak
und den Tana-See erkundete, hielt jenen für den Quellflufs 8 ). Der
südliche Ursprung des Nil galt als eine Fabel, bis Caillaud mit der
ägyptischen Expedition den Zusammenflufs des Bahr el Azrak mit
dem Bahr el Abiad erreichte und über die gröfsere Wassermenge des
letzteren sichere Nachrichten geben konnte 4 ). Von jetzt an strebten
alle Forscher danach, diesen Flufs so weit wie möglich nach Süden
hinaufzufahren. Linant de Bellefonds ging im Jahr 1827 bis I3°6' 5 ).
Im Jahr 1835 erkannte Russegger den Sobat ). In den Jahren 1840 — 1841
1 ) Eine gute Orientierung kann man aus einem Artikel von K. Ganzenmüller,
'H dfcaoXixcoriQa tcSv bjuvdiv . . . Zeitschrift für wissenschaftliche Geographie 189 r,
VIII, S. 1 — 2 3 , gewinnen. Neue Ansichten bringt Ravenstein, The Lake region
of Central Africa, a contribution to the history of African cartography. Scottish
Geogr. Magaz. VII, i89i,S. 299 — 310, mit Karten; vergl. Schlichter, Ptolemy's
Topography of Eastera Equatorial Africa. Proceed. of the Roy. Geogr. Soc. XIU,
1891 s. 513-553-
*) Nur einige Geographen, wie d'Anville und besonders Klöden (System
des oberen Nil nach den neuen Kenntnissen, mit Bezug auf die älteren Nach-
richten, mit fünf Karten, Berlin 1856), blieben der schweren Aufgabe treu, die
alten Geographen mit den neuen Reisenden auf jedem möglichen Wege in Über-
einstimmung zu bringen.
8 ) James Bruce, Travels to the discovery of the sources of the Nile.
London 1790. 5 vol.; deutsch von J. J. Volkmann, Reise zur Entdeckung der
Quellen des Nils in den Jahren 1766 — 73, fünf Bände, Leipzig 1790—91. Siehe
besonders die „Charte zu der dreijährigen Reise der Flotte Salomons" (I. Bd.) und
die „Charte von den Quellen des Nils und des Verfassers doppeltem Versuch, da-
hin zu reisen" (JH. Bd. pl. 4).
Da die ganze ältere Literatur in Berghaus: Bergketten und Flufesysteme von
Afrika (Geogr. Jahrbuch von Berghaus 1850, II, S. 1 — 20) und in dem IL Erg.-Bd.
der Peterm. Mitt: Inner -Afrika nach dem Stand der geographischen Kenntnis
in den Jahren 1 861— 1863, erschöpfend zusammengebracht ist, werden wir nur die
wichtigsten Werke und Reisen bis zu diesem Datum erwähnen.
4 ) Caillaud: Voyages ä Meroe, au Fleuve Blanc au delä de Fazoql, dans le
Midi du Royaume de Sennär, ä Siouah et dans les cinq autres oasis, faits dans
les annees 1819 — 20— 21 — 22. Imprimerie Royale 1826.
5 ) Journal of a voyage on the Bahr Abiad or White Nile with some general
notes on that river . . . from a report adressed by M. Adolphe Linant . . . Journal
of the Roy. Geogr. Soc. 1832, S. 171 — 190.
6 ) Russegger, Reisen in Europa, Asien und Afrika 1835 — J 84i. Stuttgart
1841—43, in. Bd.
Die Hydrographie des oberen Nil-Beckens. 305 I
gelang die Mehemet Ali-Expedition bis zum Zusammenflufs des Bahr
el Gazal, dessen Sümpfe als der Noo-See der Araber von Werne,
d'Arnaud und Sabatier erklärt tfurden, und verfolgte den Bahr el Djebel
bis zu 4°42 ; hinauf 1 ).
Umsonst aber ging man immer weiter nach Süden. Von Hamier
erreichte 5 02 ); Miani, der bis 3 gelangte, gab keine sicheren Nach-
richten über die Quellen des Flusses 8 ). Heuglin mit Frau Tinne ver-
irrten sich in den Sümpfen des Kir 4 ).
Der alte Wasserweg von Norden nach Süden galt für eine Sack-
gasse. Man fing an, zu verstehen, dafs der Weg nach der Nil-Quelle
ein ganz anderer, ein* Landweg sein mufste. Im Jahr 1857 landeten
Burton und Speke in Sansibar mit der Absicht, die Quellseen des
Ptolemäus im Innern zu suchen. Der Tanganyika wurde entdeckt,
und von jetzt an galt er noch ziemlich lange als der Quellsee 5 ). Auf
der Rückreise hörte aber Speke von einem nördlicheren See sprechen,
er marschierte nach Norden und entdeckte das Becken des grofsen
Victoria -Nyansa. Er behauptete, die Quelle entdeckt zu haben. Um
dies besser zu beweisen, unternahm er mit Grant eine neue Expedition,
fand den Victoria-Nyansa wieder, ging das westliche Ufer entlang und
erkannte, dafs der See einen wichtigen Abflufs nach Norden hatte
(1861— 1862) 6 ). Baker, indessen den alten Weg verfolgend, entdeckte
den Albert-Nyansa und verfolgte seinen Zuflufs, den Kivira, so weit,
dafs er ihn mit dem Abflufs des Victoria-Nyansa identifizieren konnte 7 ).
Die beiden Seen des Ptolemäus waren wieder gefunden.
') Werne, Expedition zur Entdeckung der Quellen des Weifeen Nils (1840
— 1841). Berlin 1848.
*) Wühelm v. Harnier's Reise auf dem Weüsen Nil (1860 — 61). Nach den
{unterlassenen Tagebüchern des Reisenden. Peterm. Mitt., Ergänzungsbd. II S. 125
—141.
3 ) Miani, Le spedizioni alle origini del Nilo. Venezia 1865. Die phantastische
Karte mufe als eine Kuriosität bezeichnet werden.
*) Heuglin, Reisen in das Gebiet des Weüsen Nil und seiner westlichen
Zuflösse, in den Jahren 1862 — 1864. Leipzig 1869. Karte 1 : xoo 000.
6 ) Burton, The Lake Regions of Central Equatorial Africa. London 1860.
6 ) Speke, The Upper Basin of the Nile from inspection and Information.
Journal of the Roy. Geogr. Soc. 1863, XXXIII. Journal of the discovery of the
source of the Nile. Edinburgh and London 1864. — J. A. Grant, A walk across
Africa. London 1864.
7 ) S. White Baker, Account of the discovery of the second great lake
of the Nile Albert Nyanza. Journal of the Roy. Geogr. Soc 1866, S. 1— 18.
Ismaüia. London 1874, deutsch von J. E. A. Martin. Der Albert Nyanza, das
große Becken des Nil und die Erforschung der Nilquellen. 3. Aufl. Gera 1876.
22*
1
306 E de Martonne:
Doch der*Tanganyika-See blieb für Burton immer der Quellsee und
sollte mit dem Albert-See in Verbindung stehen 1 ). Im Jahr 1876 aber
untersuchte Gessi mit einem Dampfschiff den ganzen Albert-See und
konnte an dem sumpfigen Südufer keinen Zuflufs bemerken 2 ).
Stanley's erste Durchquerung (1874-— 1877) gab endlich der Burton-
schen Theorie den Todesstofs, indem er fand, dafs der nördliche
Tanganyika keinen Abflufs, sondern einen Zuflufs besitzt 8 ).
Es blieb aber noch vieles unsicher. Man gab sich jetzt nicht mehr
damit zufrieden, die Quellseen entdeckt zu haben, man wollte ihre Zu-
flüsse kennen. Stanley hatte schon (1876) den ganzen Victoria-See uni-
fahren und den westlichen, von Speke „Kitangule" genannten Zuflufs
(jetzt Kagera) seiner Wassermenge wegen für den Hauptzuflufs erklärt.
Sein Ursprung war in den Alexandra- Sümpfen zu suchen (jetzt Akenyaru).
Durch die Emin Pascha-Expedition wurde alles, was Stanley behauptet
hatte, bestätigt, indem, trotz der Angaben Gessi's, der Semliki als Ver-
bindungsglied zwischen dem schon im Jahr 1875 entdeckten Albert
Edward -Nyansa und dem Albert -Nyansa erschien und der sumpfige
Mittellauf des Kagera verfolgt wurde 4 ).
Aber jetzt wollte man auch die Quellen des Kagera näher kennen
lernen. — Wir brauchen nur zu erwähnen, dafs Baumann den Kagera
als aus zwei Flüssen entstehend erklärte, nämlich dem sumpfigen
Akenyaru und dem Ruvuvu, deren letzterer der Hauptflufs sein sollte,
und sich bemühte, zu beweisen, dafs er die Quelle des heiligen Nil
entdeckt hatte 5 ). Darauf kam aber Graf von Götzen, der den von
1 ) Vergl. Burton, On Lake Tanganyika Ptolemy's western reservoir of the
Nile. Journal of the Roy. Geogr. Soc. 1865 XXXV S. 1— 15, und AI. G.
Findlay, On Dr. Livingstone's last journey and the probable ultimate sources of
the Nile, ebendort 1867, XXXVII S. 193-211, mit Karten.
2 ) Exploration du Lac Albert Nyanza par M. Roraolo Gessi. Bulletin de
la Soc. de Geogr. de Paris, juin 1876 (6) XI S. -632 — 43. — On the circumnavi-
gation of the Albert Nyanza. Proceed. of the Roy. Geogr. Soc. XXI 1877 s - 5°-
— Vergl. Sette Anne nel Sudan Egiziano. Milano 1891«
3 ) Stanley, Through the Dark Continent. London 1878* Deutsch von Böttger,
Durch den dunkeln Weltteil. Leipzig 1878. 2 Bde.
4 ) Stanley, In darkest Africa or the "quest recrue and retreat of Emin.
2 vol. London 1890. Deutsch von H. v. Wobeser, Im dunkelsten Afrika. Leipzig
1890. 2 Bde.
5 ) Baumann, Verhandl. der Gesellsch. für Erdk. Berlin XX, 1893, S. 277
— 283. Durch Massailand zur Nilquelle. Berlin 1894. Karte 1:4000000. Vergl.
Pe terra. Mitt., Erganzungsbd. 11 1, Die kartographischen Ergebnisse der Massai-
Expedition des Deutschen Antisklaverei-Comites von O. Baumann. Karte in vier
Bl. 1 : 600 000, von B. Hassenstein.
I
Die Hydrographie des oberen Nil-Beckens. 307
Baumann kaum bemerkten Nyavarongo für den Hauptflufs erklärte,
der vom Rand des Tanganyika-Grabens in einem grofsen Bogen nach
Norden, dann nach Süden fliefsen sollte 1 ).
Wie nun auch die Sache liegen mag 2 ), so viel ist wenigstens sicher,
dafs der Kagera den Hauptzuflufs des Victoria -Ny an sa bildet und aus
drei Quellflüssen Nyavarongo, Akenyaru und Ruvuvu entsteht. So kann
die Frage nach der Nil-Quelle im grofsen und ganzen als erledigt be-
trachtet werden.
Anders ist es mit der Frage nach der Umgrenzung des Beckens.
Am besten bekannt sind heute diese Grenzen im Süden, am schlech-
testen im Norden; früher war es gerade umgekehrt.
Schon in den Jahren 1793 — 1796 war Browne in Darfur gewesen 8 ).
Vom Jahr 1824 — 1874 durchreisten Rüppel 4 ), Russegger 5 ), Lejean 6 ) und
Nachtigal 7 ) Kordofan und Darfur. Der Oberlauf mehrerer Flüsse wurde
durch sie bekannt; da aber die meisten derselben schon unweit der
Quelle nur sandige trockene Flufsbetten darbieten, ist es nicht sicher,
dafs sie den Nil -Strom einmal erreichen können.
Die östliche Grenze scheint im Norden, wie schon die ersten Rei-
senden erwähnt haben, mit der Grenze des Nil-Thals von Chartum hin-
auf bis ungefähr n° identisch zu sein. Nur ein wenig nördlich von
Fashoda mündet in den Nil der Yal, dessen Quelle aller Wahrschein-
!) Graf von Götzen, Reise quer durch Afrika. Verb, der Ges. für Erdk. Berlin
1895 S. 103 — 119; ferner, Durch Afrika von Ost nach West Berlin 1896. Karte
in zwei BL 1 : 450 000.
3) Bemerkenswert ist, da(s Scott Elliot den Ruvuvu noch für den Haupt-
fluls halt. (A Naturalist in Mid-Africa. London 1896. S. 255.)
s ) Browne, Travels in Africa, Egypt and Syria, 179a — 98. London 1799.
2. ed. enlarged 1806, deutsch Leipzig 1800 und Berlin 1801.
4 ) Rüppel, Reisen in Nubien, Kordofan und im petraischen Arabien, vorzüg-
lich in geographischer und statistischer Hinsicht, mit 4 Karten. Frankfurt a. M. 1849*
*) Russegger, Reisen in Europa, Asien und Afrika, von 1835—41. Stutt-
gart, III. Bd., 1841—43-
6 ) Lejean, Voyage aux deux Nils executä de 1858 ä 1864. Paris 1865. —
Außerdem sind der Araber Mohammed el Tounsy (Voyage au Darfour trad
franc. par Perron, Caire 1815), Kotschy (1840), Palme (1844)» Müller (1868)
und besonders Marno, Reise in der egyptischen Äquatorial-Provinz und in Kor-
dofan, in den Jahren 1874 — 76, Wien 1878, mit Karte von Kordofan 1 : 1000 000,
und Heuglin a. a. O. zu erwähnen.
7) Nachtigal, Peterm. Mitt. 1875, S. 281— 86, mit Originalkarte von Wadai
und Darfur 1:4500000, und: Sahara und Sudan, IIL Bd. Die beste Karte von
Darfur begleitet die ausgezeichnete Monographie von Mason Bey in Peterm. Mitt.
1880, S. 377 — 381. Originalkarte von Dar-Fur, entw. von A. M. Mason-Bey, 1879.
1 : 2 500000, Tafel 18.
308 E - de Martonne:
lichkeit nach in den von Schuver durchreisten Gebirgen des südlichen
Galla-Landes (35 ° ö. L.) zu suchen sind 1 ).
Noch unsicherer ist die Frage nach dem Ursprung des Sobat, der
südlich von Fashoda in den Nil mündet. Werne verfolgte im Jahr 1841
den Flufs 100 km aufwärts, Pruyssenaere im Jahr 1862 170 km 8 ). Junker
erreichte im Jahr 1876 bei Nasser einen Punkt, wo der Sobat aus zwei
Armen sich bildet, konnte aber nicht weiter vordringen 8 ). Der Kaufmann
Debono, der früher ein wenig weiter gelangt war, erzählt in „Tour du
Monde" 4 ), dafs die Trockenheit ihn verhinderte, einen hinaufgefahrenen
südlichen Arm hinabzufahren. Nach dieser Mitteilung kann man die
Hypothese von Baker, der einen östlich von den Latuka-Gebirgen nach
Norden fliefsenden, von den Eingeborenen „Tschol" genannten Flufs für
den oberen Sobat hielt, nicht leicht annehmen 5 ). Nachdem auch jüngst 6 )
das nördliche Ufer des Rudolf-Sees genau erforscht worden ist, bleibt
kein Zweifel, dafs die Quellen des Sobat nicht hier zu suchen sind.
Es ist möglich, dafs die Gebirgsflüsse, welche Cecchi als unter 8° n. Br.
nach Westen von dem Rand des Galla- Plateaus herabfliefsend er-
wähnt, dem Becken des Sobat angehören.
Zwischen Dufile und Lado münden in den Nil zahlreiche Flüsse,
deren Oberlauf durch die Forschungen Baker's (1863) und Emin Pascha's
(1881) 7 ) bekannt geworden ist. Unter 4 n. Br. fand Baker nach Süd-
osten fliefsende Gewässer; doch bleibt die Wasserscheide sehr unsicher.
Südlich einer ungefähr von dem Elgon-Berg nach Hofrah en Nahas
*) Schuver, Reisen in die Quellgebiete des Tumat, Jabus und Jal, Juni 1881
bis März iggi. Peterm. Mitt. Ergänzungsheft 71, S. 7 — 70. Vergl. Originalkarte
der Quellgebiete der Flüsse Tumat, Jabus und Jal. Peterm. Mitt. 1883, Tafel 4,
1 : 500 000.
a ) Pruyssenaere's Reisen und Forschungen im Gebiete des Weüsen und
Blauen Nüs. Peterm. Mitt. Ergänzungshefte 50 und 51 ; siehe die Karte des "Weiisen
Nil und des unteren Sobat, von Zöppritz 1 : a 000 000.
3) Junker, Reisen in Afrika, I. Bd. Karte des Sobat, von der Mündung
bis zur Station Nasser, 1 : x aoo 000, S. 269.
4 ) Fragment d'un voyage au Saubat. Tour du Monde, 1860, II. S. 348 — 35a.
5 ) Baker, Der Albert Nyanza, 1876, S. 143.
6 ) Donaldson Smith's Expedition zum Rudolf- See in den Jahren 1894 — 95.
Peterm. Mitt. 1897» S. 15, mit Karte: Das südliche Schoa und die nördlichen
Gebiete der Galla und Somäl, 1 : 2 000 000, von B. Hassenstein.
7 ) Schreiben von Dr. Emin Bey über seine Reise von Gondokoro nach
Obbo. Mitt. der K. K. Geogr. Gesellschaft in Wien, 188*, S. 181 ff. — Reisen
im Osten des Bahr el Djebel, März bis Mai 1 88r. Peterm. Mitt. x88*> S. 259— 27a,
mit Originalkarte der neuesten Routen-Aufnahmen, von Dr. Emin-Bey und von
F. Lupton, im Gebiete der Bari, Lattuka und Schuli, 1880 — 8x, von B. Hassenstein
1 : 500 000.
Die Hydrographie des oberen Nil-Beckens. 309
gezogenen Linie finden wir Gebiete, wo die Grenzen des Nil-Beckens
später erforscht wurden, aber jetzt viel genauerer bekannt sind.
Sobald die ägygtische Expedition im Jahr 1841 den Reichtum der
neuen sogenannten Äquatorial-Provinzen erkannt hatte, stürmten die
Kaufleute in das Bahr el Gazal-Becken. Von mehreren, meistens unge-
bildeten Leuten kamen nicht leicht verwendbare Notizen nach Europa 1 ).
Schweinfurth (1868 — 1871) war der erste, welcher die von Piaggia und
Antinori (1860) 8 ) und auch von Petherick 8 ) schon erkannte Wasser-
scheide ein wenig genauer zu skizzieren 4 ) vermochte. Nachdem Emin
Pascha 6 ), Felkin 6 ) und Junker 7 ) diese breite Bodenschwelle mehrmals
durchquert haben, kann man sie als ziemlich gut bekannt bezeichnen.
Die Wasserscheide verläuft im allgemeinen von Südosten nach
Nordwesten. Der am schlechtesten bekannte Teil ist der nordwestliche.
Zwar hat die belgische Expedition von Nilis und de la Kdthulle 8 ) die
1 ) Die mühsame Bearbeitung dieses Materials findet man in dem II. Ergänzungs-
Band der Peterm. Mitt. : Inner-Afrika nach dem Stande der geographischen Kenntnis
in den Jahren 1861 bis 1863.
a ) Das Land der Niam-niam und die Südwest -Wasserscheide des NU, nach
den Berichten von C. Piaggia und den Brüdern Poncet, Peterm. Mitt. 1868,
S. 41a — 426, Karte 1 : 8000000, Tafel 20. — Vergl. O. Antinori, T. Salvadori,
Viaggio dei Signofi O. Antinori, O. Beccari ed A. Issel nel Mar Rosso, nel terri-
torio dei Bogos e regioni circostanti durante gli anni 1870 — 71. Genova 1873*
3 ) Petherick, Travels in Central Africa and Exploration of the Western
Nile Tributaries, London 1869, IL vol., und Land Journey westward of the White
Nile from Abu Kuku to Gondokoro, Journal of the Roy. Geogr. Soc. London
1865, S. 289 ff., mit Karte: The Nile and its western affluents between the Albert
Nyanza and the Sobat, constr. by J. Arrowsmith.
4 ) Schweinfurth, Im Herzen von Afrika. Leipzig 1874«
&) Emin, Reise im Westen des Bahr el Djebel, 1881. Peterm. Mitt. 1883»
S. 415 ff., und Rundreise durch die Mudirie* Rohl, ebend. S. 260 ff, und 323 ff., mit
den Tafeln 8 und 12: Originalkarte der Reise des Dr. Emin-Bey durch die Mudirie
Rohl (1881) 1:1000000, und Originalkarte der Reise des Dr. Emin-Bey in die
Mudirie von Rohl und Makraka (1882) x : 500000, von B. Hassenstein.
6 ) Felkin, Aufzeichnungen über die Route von Lado nach Dara. Peterm.
Mitt. 1881, S. 89—981 mit Originalkarte einer Reiseroute von Lad6 bis Dara,
1 : 2000000, von B. Hassenstein, Tafel 4.
7 ) Siehe besonders: Wissenschaftliche Ergebnisse von Dr. W.Junkers Reisen
in Zentral- Afrika. Peterm. Mitt., Ergänzungsbd. 92—93, Karte in 4 Bl. 1 : 1 000000,
von Hassenstein.
8 ) Wauters, Exploration Nilis et dela Kethulle. Le Mouvement Geographique,
1895, No. 24, 1896, No. 2 — 4—6. De la K6thulle, Deux ann&s de residence
chez le Sultan Rafal. Bulletin de la Soc. Roy. Beige de Geogr. XIX, 1895, S. 397
—4*8, 5*3—54*.
310 E* de Martonne:
Mbomu -Wasserscheide ein wenig genauer dargestellt, die Chari -Wasser-
scheide bleibt jedoch hypothetisch.
Wenden wir uns jetzt zu dem Seengebiet, so sehen wir, dafs hier
die Umgrenzung viel schärfer ist. Sobald Gessi den Albert-See umfahren
hatte, wurde es klar, dafs kein westlicher Zuflufs den See erreichen
konnte. Stuhlmann hat im Jahr 1891 die Quelle des Aruwimi als dem
See sehr nahe erkannt 1 ). Dank seiner Forschungen wurde fest-
gestellt, dafs die beiden Albert-Seen mit dem Semliki in einem von
hohen, steilen Wänden umgebenem Graben liegen. Da aber der Tan-
ganyika dem Flufsgebiet des Nil nicht angehörte, so mufste die Wasser-
scheide südlich vom Albert-Edward-See von dem westlichen Rand des-
selben in den östlichen übergehen. Die Entdeckung des Kivu-Sees
durch Graf von Götzen 2 ) hat dies bestätigt. Der See liegt in einer
Bodenwelle, südlich von einem vulkanischen Gebirgszug, und steht
mit dem Tanganyika-See durch den Rusissi in Verbindung 3 ).
Was von den Grenzen des Nil-Beckens uns zu betrachten übrig bleibt,
ist nichts anderes, als die Grenzen des Beckens des Victoria-Nyansa.
Um die grofse Wassermenge des Sees zu erklären, wurden
die ersten Reisenden dazu geführt, überall bedeutende Zuflüsse zu
suchen. Je mehr aber die Erforschung Fortschritte machte, desto mehr
rückte die Grenze dem See näher. Das von vielen Reisenden durch-
querte Unyamwesi-Plateau stellt sich als eine nach TBtiden sanft ge-
neigte Ebene dar, deren gesamte Gewässer dem Tanganyika-See von
dem Mlagarasi, oder dem Eiasi-See von dem Sembiti zugeführt werden.
Der Simyiu Stanley's ist von Baumann dekapitiert und dessen Oberlauf
dem Sembiti zugerechnet worden.
Östlich vom Victoria -See glaubte man nur eine Wasserscheide
zwischen dem See und dem Meer ziehen zu müssen. Als aber Thom-
son (1883) eine tiefe Depression mit Seen und Vulkanen zwischen dem
Kenia und dem Victoria-See gefunden hatte, mufste man sich gestehen,
dafs es viel verwickelter war, und dafs man mit abflufslosen Gebieten
zu rechnen hatte 4 ). Thomson entdeckte auch an der Nordost-Ecke des
1 ) Stuhlmann, Mit Emin Pascha ins Herz von Afrika. Berlin 1894. % Karten
1 : 3 000 000.
2 ) Briefe in: Verhandl. der Ges. für Erdk. Berlin 1894* S. 476—477 nnd 565.
3 ) Vergl. die auf neuen Aufnahmen belgischer Offiziere beruhende Karte in
dem „Mouvement Geographique" 1896, No. 8.
4 ) Thomson, Through Massailand, journey of exploration among the snow-
land, vulcanic mountains and stränge tribes of Eastern Equatorial Africa . . . London
1885; deutsch von Fredein: Durch Massailand, Forschungsreise in Ost- Afrika .. .
Leipzig 1885» 1 Karten.
Die Hydrographie des oberen Nil-Beckens. 311
Victoria-Sees einen riesigen Vulkan, den Elgon, der bis jetzt als die
nördlichste Grenze des Victoria-Beckens gilt 1 ). Fischer folgte bald
Thomson und fand westlich vom Kilima-Ndjaro eine gleiche Depression
mit dem Natron-See 2 ). Endlich wurde durch Graf Teleki und v. Höhnel
(1888) die Gesamt- Depression als eine weiter nach Norden sich fort-
setzende Grabensenkung erklärt 8 ). Doch scheint die Wasserscheide
nicht dicht am Rand zu stehen, sondern ein wenig westlicher. Durch
Pringle 4 ), Fischer 8 ) und Baumann 6 ) ist sie, wenn nicht genau, doch
ziemlich sicher als eine von Nordnordost nach Südsüdwest verlaufende
Linie bezeichnet worden.
Wollen wir, bevor wir weiter gehen, das so mühsam gewonnene
Kartenbild ein wenig an und für sich betrachten, so können wir auf
den ersten Blick sehen, dafs der Flufs von Süden nach Norden fliefst,
und zwar so, dafs der gröfsere Teil seines Beckens nördlich vom
Äquator, der kleinere südlich von diesem liegt. Es ist dies eine merk-
würdige Eigenschaft des Nil-Stroms: im Gegensatz zu den Flüssen, die
einen west-östlichen oder ost-westlichen Lauf haben, geht er durch
sehr verschiedene klimatische Zonen, und wir müssen schon dazu bereit
sein, in seinem Becken die verschiedensten hydrographischen Typen
zu finden.
Was die Länge des Hauptstroms betrifft, so können wir von der
l ) Die neuesten Forschungen von Hobley haben dies bestätigt. Notes on a
journey round Mount Masawa or Elgon. Geogr. Journal 1897» S. 178—185, mit
Karte 1 : 500000.
8) Fischer, Das Massailand (Ost-Äquatorial- Afrika). Bericht über die im
Auftrage der Geogr. Oesellsch. in Hamburg ausgeführte Reise von Pangani bis zum
Naiwascha-See. Hamburg 1885, mit Karten.
*) Peterm. Mitt. 1889: Die Ostafrikanische Binnen-Seen-Kette, gez. von L. R.
v. Höhnel, 1:4000000, Tafel 14. — Vergl. Peterm. Mitt. Ergänzungsheft 99:
Ostäquatorial- Afrika zwischen Pangani und dem neuentdeckten Rudolf- See, mit
Karte in a Bl. 1:750000. — Höhnel, Roswal, Toula und Suefs, Beiträge zur
geologischen Kenntnis des östlichen Afrika. Denkschr. der Akademie der Wissensch.,
Mathem. Klasse. Wien 1891, LVm, S. 447 — 5841 besonders Suefs, S. 555 f.
4 ) Pringle, With the Railway Survey . . . Geogr. Journal 1893, *. Bd , S. 19a f.
mit Karte : Mombasa Victoria Lake Railway 1 : 1 000 000.
5 ) Fischer, Am Ostufer des Victoria Nyanza. Peterm. Mitt. 18951 S. i, 4a
und 66, mit Karte der Gebiete zwischen dem Victoria Nyanza und dem Kenia,
von B. Hassenstein, 1 : 750000, Tafel 1.
6 ) Peterm. Mitt Ergänzungsbd. in, Karte in 4 Bl. 1: 600000, von
B. Hassenstein.
312 E - de Martonne:
Nyavarongo - Quelle bis Chartum ungefähr 3300 km 1 ) dem Flufslaufe
entlang, 2100 km in der Luftlinie messen. Der Unterschied beträgt
1200 km; das heifst ein Biegungs-Index von einem Drittel. Schon hierin
finden wir einen grofsen Unterschied zwischen dem Nil und den anderen
afrikanischen Flüssen, die grofse Biegungen machen und viel gröfsere
Biegungs-Indices besitzen 8 ). Sein Lauf ist ziemlich gerade.
Betrachten wir jetzt die Ausdehnung des Beckens, so sehen wir,
dafs fast alle Zuflüsse von links kommen. Das Becken besitzt eine
merkwürdige Form, mit zwei Erweiterungen und einer Enge in der
Mitte, und ist durch den Hauptflufs in zwei ungleiche Teile geteilt
Östlich vom Hauptstrom beträgt seine Oberfläche 742 000 qkm, westlich
aber 946 000 qkm, die Gesamtoberfläche 1 688 000 qkm. Diese Eigen-
tümlichkeit kann zwar auf tektonischen und orographischen Ursachen
beruhen, sie kann aber auch durch klimatische Bedingungen hervorge-
rufen werden, wenn die Trockenheit von Westen nach Osten zunimmt
Betrachten wir die Karte noch näher, so können wir uns über-
zeugen, dafs eine Zunahme der Trockenheit nicht nur von Westen nach
Osten, sondern auch von Süden nach Norden wahrscheinlich ist. Auf
allen Karten sind immer drei hydrographische Formen unterschieden:
die Seen, die Flüsse und die Wadi. Es ist leicht zu sehen, dafs die
Seen im Süden, die Flüsse in der Mitte und die Wadi im Norden vor-
wiegen.
II.
Bevor wir das Wesen der verschiedenen Organe des oberen Nil-
Systems näher betrachten, müssen wir eine klare Vorstellung von den
zwei Hauptfaktoren der hydrographischen Verhältnisse, nämlich von
dem Relief und von den Regenmengen, zu gewinnen versuchen.
Von den eigentlichen geologischen Verhältnissen werden wir nicht
viel sagen : erstens weil alles, was darüber vorliegt, ganz unsicher ist 3 ),
l ) Von der Nyavarongo - Quelle bis zu der Kagera - Mündung 700 — goo km,
von der Kagera - Mündung bis zu den Ripon- Fällen 245 km, von den Ripon-
Fällen bis Magungo 405 km, Magungo — Lado 370 km, Lado — Sobat- Mündung
700 km, Sobat-Chartum 840 km.
3 ) Niger 1,2. Ziehen wir den unteren Nil in Betracht, so wird der Unterschied
noch größer.
3 ) Über den am besten bekannten südlicheren Teil des Seenplateaus giebt
Stromer von Reichenbach (Die Geologie der deutschen Schutzgebiete in Afrika.
Diss. München 1896. I. Teil Deutsch-Ost- Afrika mit einer geologischen Übersichts-
karte von Deutsch-Ost- Afrika 1 : 4 000 000) eine gute Zusammenstellung des ganzen
vorliegenden Materials. Scott El Hot and Gregory, On the geology of Monnt
Ruwenzory and some adjoining regions of Equatorial Africa. Quart. Journal of
Die Hydrographie des oberen Nil-Beckens. 313
zweitens weil sie für die hydrographischen Verhältnisse in diesen
Ländern von geringem Interesse sind.
Die beiliegende oro-hydrographische Karte (Tafel 8) ist natürlich
etwas skizzenhaft. Der nördliche Teil ist der unsicherere. Der südliche
Teil beruht auf mehreren Höhenmessungen l ), und wenn das Ganze an
Genauigkeit viel zu wünschen läfst, so bietet es doch (was man von einer
solchen Karte nur verlangen kann) ein genügendes Orientierungsmittel,
um sich die Reliefverhältnisse und deren Zusammenhang mit der
Hydrographie klar zu machen.
Vor allem scheint es bemerkenswert, dafs die gröfsten Höhen im
Süden sich finden. Auf Grund unserer Karte kann man schon die
mittlere Höhe des oberen Nil -Beckens nördlich der Enge zu 650 m,
südlich zu 1450 m berechnen. Diese allgemeine Abdachung nach
Norden zeigt aber noch besser ein Profil entlang dem Meridian von
Magungo (Tafel 9, Abbild. I).
Der ganze nördliche Teil erscheint als eine kreisförmige nach
Norden sanft geneigte Depression. Nordwestlich steigt der Djebel
Marrah wie eine Festung aus der Tiefebene empor. Mason Bey 2 )
schildert ihn als ein unregelmäfsiges Massiv, das aus mehreren vulkani-
schen Kegeln besteht, welche auf einem Granitplateau ruhen. Die
höchsten Gipfel erreichen nördlich 1700, südlich 2000 m. Der Plateau-
rand dagegen ist nördlich höher (1350 m) als südlich (1200 m). Von
diesem Rand ist der Abfall nach Südosten sehr rasch. Südlich von
12° ist kein Gestein mehr zu finden, überall herrscht Alluvialboden.
Das Plateau von Kordofan ist viel niedriger, nur sanfte Boden-
wellen, welche mit Granitblöcken gekrönt sind und niemals 600 m
überschreiten, sind zu sehen 5 ).
Südlich davon breitet sich die ungeheure Ebene, in deren Centrum
der Bahr el Arab, der Bahr el Gazal mit seinen unzähligen Zuflüssen,
der Bahr el Djebel und der Sobat zusammenfliefsen. Ihre mittlere
Höhe beträgt ungefähr 430 m. Ihre östliche Grenze bildet der west-
lichste Rand des südabessinischen Galla- Plateaus. Die südöstliche
Geol. 1895 S. 669 — 6go bringen über den Runsoro und viele Punkte des englischen
Schatzgebiets viel Interessantes. Über die nördlicheren Länder fehlt eine gute Zu-
sammenfassung leider ganz.
1 ) Siehe den ersten Anhang über das für die oro-hydrographische Karte
benutzte Material.
*) Dar-For: Peterm. Mitt. 1880 S. 377.
S) Marno, Reisen in der egyptischen Äquatorial - Provinz und in Kordofan.
Wien 1878 S. 198 — 199« In diesem Buch sind zahlreiche sehr charakteristische
Bergprofile von Kordofan zu finden.
314 E - de Martonne:
Grenze bilden die Gebirge des Latuka- und Nord-Schuli-Landes. Zahl-
reiche von SO nach NW parallel verlaufende Thäler gliedern sie in
mehrere Zttge, die meistens aus Granitgneifs und Quarzit bestehen 1 ).
Die höchsten Gipfel erreichen nicht 3000 m.
Das Latuka-Hochland setzt sich westlich vom Nil fort. Das Thal
des Flusses von Wadelai bis fast nach Lado ist von hohen Gebirgs-
terrassen rechts und links umrandet, und zahlreiche Stromschnellen
zeigen, dafs der Flufs eine Bodenerhebung zu überwinden hatte*). Die
grofse Tiefebene ist nach Süden schärfer als nach Norden umgrenzt
Ihre südwestliche Grenze ist aber eine breite Bodenschwelle, welche
nirgendwo Gebirgscharakter annimmt. Geht man vom Dinka-Land
nach SW hinauf, so hat man eine Stufe zu überschreiten; dann
findet man eine ungemein flachwellige Ebene, welche von mehreren
Flüssen durchschnitten wird und sehr sanft nach SW steigt. Tritt
man der Wasserscheide näher, so steigt das Land, in welches sich
die Flüsse immer tiefer einschneiden, immer höher. Hier und da
ragen isolierte, mit Granitblöcken gekrönte Kuppen empor: nirgend-
wo ein eigentlicher Gebirgszug 3 ). Von beiden Seiten dringt die
Erosion in die wellige Hochfläche immer weiter ein und bildet eine
zickzackartige Wasserscheide , die mit der Linie der Maximalhöhe
gar nicht zusammenfallt. Nach Süden ist die Abdachung steiler als
nach Norden 4 ).
Im Längsprofil zeigt diese Bodenwelle einen nicht minder
einförmigen Charakter als im Querprofil: Höhenunterschiede von
mehr als 50 m sind in nahe zusammenliegenden Gebieten sehr
*) Emin Pascha in Stuhlmann, Mit Emin Pascha ins Herz von Afrika.
Berlin 1894. S. 171 — und Mittheilungen der K. K. Geogr. Gesellsch. Wien 1892
S. 182.
2 ) Diese Verhältnisse haben zu einer kühnen Hypothese Gregory' s Anlaß
gegeben (Contributions to the physical geography of the British East Africa, Geogr.
Journal 1894 S. 512 — 514). Das Latuka-Hochland mit den Höhen westlich vom
Nil bildete ursprunglich eine Wasserscheide zwischen Gewässern, die nach Norden
und Süden flössen. Der obere Nil flols durch den Salisbury- und den Rudolf-
See dem Roten Meer zu. Leider scheinen alle bis jetzt bekannten orographischen
Verhältnisse ganz dagegen zu sprechen.
3 ) Junker, Reisen in Afrika. IL Bd. S. 145— 148, and Wissenschaftliche Er-
gebnisse . . . Peterm. Mitt. Ergänzungsband 92, S. 2. Zahlreiche Ansichten sehr
charakteristischer Gipfel sind in Junker's Reisen zu sehen. Dieselben Verhältnisse
bat de la K6t hülle im Shinko - Quellgebiet gefunden (Le Mouvement Geogra-
phique 1896, No. 4).
4 ) Junker, Peterm. Mitt. Ergänzungsbd. 92 S. 2—3.
Die Hydrographie des oberen Nil-Beckens. 315
selten 1 ). Dem Baginse erkennt Schweinfurth 2 ) eine relative Höhe von
1300 Fufs zu. Im Quellgebiet des Uelle-Makua sind mehrere solcher
hervorragenden Gipfel mit Namen von Reisenden belegt worden (Djebel
Gordon, Gessi, Emin u. s. w.). Der Einförmigkeit des Reliefs verdanken
solche isolierte Erhebungen eine grofse hydrographische Wichtigkeit.
Sie erscheinen als Knotenpunkte mehrerer Flufsgebiete. Vom Makraka-,
vom Baginse-, vom Kredj-Hochland fliefsen strahlenförmig fast in allen
Richtungen Gewässer ab.
Nur in dem südlichen Teil des oberen Nil-Beckens finden wir echte
Gebirgsländer. Doch mufs man hier nicht grofse zusammenhängende
Gebirgszüge suchen. Von jüngeren Faltungen findet sich nirgendwo
eine Spur. Verwerfungen, Senkungen und vulkanische Ausbrüche sind
die einzigen Agentien der hypsometrischen Differenzierung. Überall
treten uralte Gesteine vor. Bemerkenswert ist nur, dafs Granit längs
der gröfseren Achse des Victoria-Sees vorkommt, während rechts und
links Gneifs und krystallinische Schiefer vorherrschen 5 ).
Der erste Blick auf die hypsometrische Karte lehrt uns, dafs zwei
meridian- verlaufende Gräben die Hauptzüge des Reliefs darstellen. In
beiden liegt eine Reihe von Seen; beide sind durch Vulkane ge-
kennzeichnet. Im westlichen Graben liegt der jetzt noch thätige von
Graf von Götzen entdeckte Virunga.
Übrigens ist der Boden jedes Grabens keine Ebene, sondern
scheint durch Schwellen in mehrere Becken geteilt 4 ). Die Bildung
von Seen war ein notwendiger Prozefs.
Auffallend ist, dafs jeder Graben in der grofsen Achse einer Er-
hebungszone liegt, während zwischen diesen beiden Wülsten eine
centrale Senkung sich erstreckt, sodafs die Lage des Victoria-Sees als
eine ganz bestimmte erscheint. Ein Profil entlang dem Äquator macht
dies am besten klar (Tafel 9, Abbild. II).
*) Die mittlere Höhe betragt wahrscheinlich zwischen Ndoruma und Uando
700 bis goo m, von Uando am Baginse vorüber zu den Abuka und Mundu bis
Tomaja 1000 m, von da an bis zum Quellgebiet des Uelle 1400 m (Junker , Peterm.
Mitt Ergänzungsbd 9a, S. 3). Nach delaKethulle mufs der nordwestlichste Teil
eine mittlere Höhe von mehr als 1000 m erreichen. Das Shinko-Quellgebiet besitzt
eine relative Höhe von 500 bis 600 m (Mouvement Geographique 1896, No. 4).
2 ) Schweinfurth, Im Herzen von Afrika S. 364.
8 ) Siehe Stromer von Reichenbach, Die Geologie der deutschen Schutz-
gebiete in Afrika, München 1896, Tafel I: Geologische Übersichtskarte von Deutsch-
Ost- Afrika 1 : 4 000 000.
*) Gregory hat schon darauf aufmerksam gemacht (Contributions u. s. w.
Geogr. Journal 1894 S. 306 — 307). Auf unserer Karte treten die Verhältnisse sehr
scharf hervor.
316 E. de Martonne:
Diese Wulste wirken als gewaltige Kondensatoren der Luftfc-
keit und bilden die Quellregionen aller Flüsse, welche dem cer- .
Becken des Victoria-Sees oder westlich dem Kongo, östlich dei .
dischen Ocean zufliefsen.
Die Randzone des westlichen Grabens ist fiir die Hydrogn
unseres Gebiets besonders interessant. Baumann hat fiir s:* -
Namen „Central -afrikanisches Schiefergebirge" vorgeschlagen 1 . .
höchsten Punkte des östlichen Randes erreichen im Süden 30c: :
Hier liegen die Quellen des Kagera. Im Norden dagegen hat dk -
liehe Randzone des Grabens keine hydrographische Bedeutung.
westliche Abfall ist am Tanganyika-See am steilsten, die östliche :-
dachung verhältnismäfsig tiberall sanft. Da aber der Ranci im Sc:
doppelt so hoch wie im Norden ist, erscheinen die südlicheren A
dachungsgebiete (Uha, Urundi, Mpororo) als von tiefen Thälen? r
gliederte Gebirgsländer, während das Unyoro - Plateau von bre:t:
sumpfigen Thälern in ein niedriges Hügelland aufgelöst ist.
Die ungeheuere Masse des Runsoro 2 ) ist eine merkwürdige A>
nähme des allgemeinen Gesetzes, dafs die hervorragenden Gipfel in ^
ganzen Seengebiet der vulkanischen Thätigkeit zu verdanken sr
Scott Elliot erklärt ihn für einen aus krystallinischen Schiefe/w r
Diabasen bestehenden Horst, der zwischen den beiden Gräben rir
Semliki-Thales und des Ruisamba-Sees stehen geblieben ist 8 ). Seine!:
deutende relative sowie mittlere Höhe macht ihn zu einem gewaltigr
Kondensator der Luftfeuchtigkeit 4 ). Doch giebt er keinem grofsen Frf'*
den Ursprung, sondern sendet in allen Richtungen eine Unzahl vor
Wildbächen dem Semliki oder dem Albert Edward-See zu.
Die höchst interessante, von Suefs begründete Theorie der En:-
1 ) Baumann, Durch Massailand zur Nilquelle. Berlin 1 894. S. 133 — 134
2 ) Nachdem Stuhlmann (Mit Emin Pascha S. 497) gezeigt hat und selbr.
Engländer (Scott Elliot, A Naturalist in Mid- Afrika) anerkannt haben, &>
der Name Ruwenzori nur aus der Einbildungskraft Stanley's stammt, wäre es
zu wünschen, dafs er von allen Karten und aus allen wissenschaftlichen Abhand-
lungen verschwinde.
3 ) Scott Elliot and Gregory, The geology of Mount Ruwenzori ari
some adjoinings regions of Equatorial Afrika. Quart. Journal of Geology ilff
S. 669— 680, und Scott Elliot, A naturalist in Mid-Africa, chap. X. Schot
Stuhlmann (Mit Emin Pascha ins Herz von Africa S. 197) hatte darauf hingewiesfA
dafs der Runsoro kein Vulkan (wie es Stanley meinte) war. Doch sind lokale
vulkanische Ausbrüche am Fufc des Horstes von Scott Elliot erkannt geworden, j
*) Eine vortreffliche Schilderung der täglichen Gewitter am Westabhang
findet man bei Stanley, In darkest Africa, London 1890, II, S. 29a ff. Deutsche
Ausgabe II, S. 300 ff.
Die Hydrographie des oberen Nil-Beckens. 317
stehung der grofsen Gräben 1 ) weiter zu verfolgen, wäre die Aufgabe
einer die Reliefverhältnisse speziell behandelnden Arbeit. Hier mufs
nur erwähnt werden, dafs Stuhlmann 2 ) auch die von Süden nach
Norden verlaufenden in das Karagwe - Plateau tief eingeschnittenen
Thäler, sowie das westliche Basiba-Ufer des Victoria -Sees mit der
parallelen Inselreihe für Verwerfungsliniexi erklärt hat.
Wollen wir das Gesamtbild des Reliefs kurz zusammenfassen,
so müssen wir zwei oro-hydrographische Systeme unterscheiden: ein
nördlicheres von geringen Höhen umrandetes Becken, in dem alle Ge-
wässer nach dem sehr flachen Centrum fliefsen müssen, und ein süd-
licheres Gebiet, in welchem gröfsere Höhen vorkommen und zahlreiche
Senkungen zur Bildung mehrerer Seen Anlafs gegeben haben.
Wir kommen jetzt zu der Betrachtung der Regenverhältnisse-
Regenmessungen sind in Ländern, die nur durch Reisende bekannt
geworden sind, ungemein selten. Einige sind in Britisch-Ost-Afrika,
dank der Thätigkeit der British Association for the Adven-
cement of Science gemacht worden. Die meisten Stationen aber
liegen an der Küste, und die innern Stationen haben die schlechtesten
Resultate gegeben 3 ).
In Deutsch-Ost-Afrika sind seit ein paar Jahren mehrere Stationen
im Innern eingerichtet worden 4 ). Die Beobachtungen sind aber viel
l ) Suefs, Die Brüche des östlichen Afrika, in Beiträge zur geologischen Kenntnis
des ostlichen Afrika. Denkschr. der Akad. der Wissensch., Mathem. Klasse, Wien
1891, LVITJ, S. 447—584.
*) Mit Emin Pascha ins Herz von Afrika. S. 728.
s ) The climatological and hydrographical conditions of Tropical Africa, report
of a commitee consisting of Mr. £. G. Ravenstein, Mr. Baldwin Latham, Mr. G.
J. Symons and Dr. H. R. Mill. Report of the British Association for the Ad-
▼encement of Science, 1894 S. 348— 353t 1895 S. 480—491, 1896 S. 495—502,
giebt Nachrichten über die folgenden Stationen: Chuyu, Mombasa, Takaungn,
Mbnngn, Malindi, Jilore, Magarini, Lamu, Shimoni, Ndii, Kibwezi, Mochi und Sa-
gala am Kilimandjaro, Fort Smith (Kikuyu), Machako, unter denen nur die fünf
letzten im Innern liegen. Siehe übrigens den zweiten Anhang: Verzeichnis der
für unsere Regenkarte benutzten Stationen.
4 ) Mitt. aus den Deutsch. Schutzgeb. 1895t S. *83 — 310: Bericht über die
klimatischen und gesundheitlichen Verhältnisse von Moshi am Kilimandjaro, — 1896
S. 3 — 32: Die Ergebnisse der meteorologischen Beobachtungen an der wissen-
schaftlichen Kilimandjaro- Station Marangu — und S. 163 — 169 Regenmessungen in
Deutsch-Ost- Afrika. Man mufs dazu die älteren Beobachtungen von Reichard in
Kakoma (südlich von Tabora), Meteor. Zeitschr. 1887 S. 417, sowie diejenigen von
318 E - de Martonne:
lückenhafter als in Britisch-Ost-Afrika. Sie sind meistens von unge-
bildeten Leuten und leider nicht immer mit der nötigen Sorgfalt ge-
macht worden 1 ).
Stellt man die in Rubaga (o° 20 r n. Br. 32 45' ö. L.) von Wilson,
Felkin 2 ) und von französischen Missionaren 8 ), in Mengo (o° 20' n. Br.
32 45' ö. L.) von Mackay 4 ) .und in Namirembo (o° i8 r n. Br. 32 34'
ö. L.) von Scott Elliot 5 ) gemachten Regenmessungen zusammen, so
kann man ein verhältnismäfsig gutes zehnjähriges Mittel berechnen.
Der Thätigkeit Emin Paschas verdanken wir dreijährige Beo-
bachtungen in Wadelai 6 ) und eine gute Jahressumme für Lado. Das
Jahr aber (1884) war trocken 7 ). Nördlich davon haben wir nur die ganz
unsichere Jahressumme von 3140 mm, welche von Pruyssenaere für
das Kir-Gebiet gegeben ist 8 ).
Fehlen uns aber genauere klimatologische Angaben, so können
wir vielleicht aus den biologischen Verhältnissen ein wenig Licht ge-
winnen. Die Richtung der biogeographischen Differenzierung kann die
Richtung der klimatologischen ahnen lassen. Auffallend ist es, dafs
die Grenzen aller für den feuchten tropischen Urwald charakteristischen
Gattungen, die uns das vorhandene Material zu ziehen ermöglicht,
nördlich vom Äquator einen südöstlichen Lauf, südlich einen nordöst-
französischen Missionaren in Masanze (4 s. Br. am Tanganyika) und von englischen
Missionaren in Kavala (5 15' s. Br. am Tanganyika) hinzufügen. (Ann. Soc.
Meteor, de France, Mai 1883» S. 136 — 140. Journal of the Scott. Meteor. Soc.
3 IX 1893» S. in).
1 ) Mitt. aus den Deutschen Schutzgeb. 1896, S. 163.
2) Peterm. Mitt 1879, s - 64—66, 1880 S. 43—45.
3 ) Ann. Soc. Meteor, de France 1883» S. 137.
*) In Scott Elliot, A Naturalist in Mid-Africa. London 1896 S. 47. Nach
gütiger Mitteilung von Prof. Hann in Wien erstrecken sich diese Beobachtungen auf
sieben und nicht auf zehn Jahre (wie Scott Elliot sagt). Sie sind noch nicht vollständig
veröffentlicht worden. Ich benutze diese Gelegenheit, Herrn Prof. Hann meinen er-
gebensten Dank auszusprechen für die Unterstützung, die ich bei ihm gefunden
habe. Ich verdanke ihm, dafs ich die Beobachtungen für 1896 in mehreren eng-
lischen Stationen, die zur Zeit der Abfassung dieser Arbeit noch nicht veröffent-
licht waren, benutzen konnte.
5 ) The climatological conditions of Tropical Africa. Report of the Brit. Assoc.
for the Advanc. of Sc. 1895 S. 490.
6 ) Meteor. Zeitschr. 1890, S. 173 — 174.
7 ) Peterm. Mitt. 1880, S. 373 — 77. Ergänzungsh. 92, 93. S. 84«
8 ) Peterm. Mitt. Ergänzungsh. 51, S. 17. Diese Regenmenge ist von Pruysse-
naere selbst als eine rohe Annäherung gegeben und beruht auf keinen das ganze
Jahren hindurch fortgesetzten Beobachtungen.
Die Hydrographie des oberen Nil-Beckens. 319
liehen Lauf besitzen *). Die Trockenheit mufs also vom Äquator nach
höheren Breiten und von Westen nach Osten zunehmen. In der That
nimmt merkwürdigerweise der xerophyle Charakter der Pflanzenforma-
tionen nördlich vom Äquator immer nach Nordosten zu 2 ).
Mit Rücksicht auf diese biologischen Verhältnisse haben wir ver-
sucht, das vorhandene sehr mangelhafte meteorologische Material zur
Anfertigung einer schematischen Regenkarte (Tafel 10) zu verwenden.
Eine Zone mit mehr als 1500 mm Regenhöhe erstreckt sich mutmafs-
lich über das Gebiet des Urwalds. Die Zone, wo mehr als 1000 mm und
weniger als 1500 mm fallen, umfafst die Bodenschwelle des Niam Niam-
und Kredj -Landes und das ganze Zwischen-See-Plateau mit Usoga und
Kavirondo (Lado 950 mm, Rubaga Mengo 1200, Mwansa 1300). An der
Küste von Usiba (Bukoba 2400?), am Runsoro, Virunga und in dem
Quellgebiet des Kagera sind gröfsere Regenhöhen wahrscheinlich.
Auf dem Unyamwesi- Plateau (Tabora 830 mm), östlich von Lado und
über der centralen Depression des Bahr el Gazal fallen weniger als
1000 mm, mit Ausnahme des Latuka-Hochlandes und des Sumpfgebiets
des Kir. Aufser zwei schmalen Zonen an der Küste mit mehr als
1000 bzw. 500 mm, der Gebirgsländer vom Kilima-Ndjaro, Kikuyu und
Kenia im Süden und des Djebel Marrah im Norden fallen auf dem
ganzen übrigen Steppengebiet weniger als 500 mm.
Kommen wir zur Betrachtung der jahreszeitlichen Verteilung des
Regens, so treten wir in ein für die hydrographischen Verhältnisse
noch interessanteres Gebiet ein. In der nachstehenden Tabelle habe ich
versucht, die jahreszeitliche Regenverteilung darzustellen 8 ). Auf einem
Koordinatennetz, auf dem die Monate im Horizontal- Abstand, die Breiten-
grade im Vertikal-Abstand mit gleichem Wert eingetragen wurden, sind
die Regenzeiten durch Striche angedeutet. Verbindet man die Ein-
tritts- und Endpunkte der Regenzeiten, so sondert man Trockenheits-
und Regenzeit- Areale, deren Entwickelung in verschiedenen Breiten-
graden sehr lehrreich ist (Tafel 9, Abbild. III).
Um dieses Schema zu verstehen, braucht man sich nur der Theorie
des tropischen Klimas zu erinnern. Wir können uns nicht weiter
darüber verbreiten 4 ), wir wollen nur darauf aufmerksam machen, dafs
') Siehe unsere in den „Annales de Geographie" 1896 veröffentlichte Carte
des forme« de la vie vegetale et animale dans le Haut Nil.
*) Siehe auch dieselbe Karte.
8 ) Sie beruht teilweise auf monatlichen Regensummen und monatlichen Mitteln,
teilweise auf Beobachtungen über die Zahl der Regentage, teilweise nur auf An-
gaben über den Eintritt und die Dauer der Regenzeit.
4 ) Siehe Hann, Mitt. der K. K. Geogr. Gesellsch. Wien 1875, S. 18a. Peterm.
Mitt 1875, S. 342, 1880, S. 143 und 373. Handbuch der Klimatologie S. 273—74.
Zdtschr. d. Ges. f. Erdk. Bd. XXXII. 1897. 23
320 E - de Martonne:
die Regenzeit durch die geringste Deklination der Sonne hervorgerufen
wird. Da diese geringste Deklination zweimal im Jahr vorkommt, müssen
überall zwei Regenzeiten eintreten. Am Äquator jedoch sind sie nicht
scharf geschieden, weil nicht mehr als sechs Monate zwischen beiden
Kulminationszeiten der Sonne sind (das ist das Regime von Rubaga-
Mengo im Uganda). — Den Wendekreisen nahe verschmelzen die beiden
Regenzeiten fast miteinander, während sich zwischen den beiden Kul-
minationszeiten der Sonne eine grofse Trockenheits-Periode erstreckt
(in Chartum herrscht dieses Regime am entschiedensten). — Zwischen
den Wendekreisen, an dem Äquator kann man zwei Trockenheits-
Perioden, eine gröfsere und eine kleinere, unterscheiden, was sich
durch die Stellung der beiden Kulminationszeiten der Sonne leicht er-
klären läfst. Natürlicherweise wird die kleinere Trockenheits-Periode
nördlich vom Äquator, die gröfsere südlich von demselben sein.
Wollen wir die Bedeutung der Regenverhältnisse für die Hydro-
graphie kurz zusammenfassen, so müssen wir uns darauf gefafst machen,
in dem südlichen Teil unseres Gebiets die reichste und mannigfaltigste
Entwickelung der Hydrographie zu finden. Je mehr wir nach Norden
kommen, desto einförmiger wird die Hydrographie und verliert ihren
Reichtum, während die Periodicität der Flüsse um so auffälliger wird.
HI.
Nachdem wir die Faktoren der hydrographischen Verhältnisse
kennen gelernt haben, können wir jetzt diese Verhältnisse zu erklären
versuchen.
Vor allem ist bemerkenswert, dafs das obere Nil-Becken keine Ein-
heit besitzt. Das ist eine Eigentümlichkeit fast aller afrikanischen
Flüsse, die auf dem Mangel an orographischer Gliederung des schwarzen
Erdteils beruht, aber vielleicht nirgendwo so scharf hervortritt als in
dem Nil-Becken.
Das kann uns schon der erste Blick auf die Karte lehren. Dieser
Reichtum an Seen bedeutet einen Mangel an kontinuierlichem Gefalle.
Was kann der Kagera mit dem Kivira und dieser mit dem Bahr el
Djebel gemein haben?
Versuchen wie eine Gefällskurve des Flusses zu entwerfen, so tritt
ungeachtet der Ungenauigkeit des Bildes diese Eigentümlichkeit noch
viel mehr hervor. (Tafel 10, Abbild. 4.)
Treppenförmig steigt der Flufs ab. Vielleicht könnte man besser
sagen: wir sehen eine Folge von bald trägen, bald wilden Flüssen,
von Seen und von Sümpfen. Das Ganze mit dem einzigen Namen
„Nil" zu belegen, ist nur ein geographischer Gebrauch.
Die Hydrographie des oberen Nil-Beckens. 321
Eine Einteilung des oberen Nil-Beckens in mehrere hydrographische
Systeme, welche ein ziemlich selbständiges Leben haben, scheint also
notwendig.
Selbst die Konfiguration des Beckens mit der Verengerung in der
Mitte lehrt uns einen nördlichen und einen südlichen Teil zu unter-
scheiden, was auch der orographische Überblick schon gezeigt hat.
Der südliche Teil, dessen Areal 4oooooqkm beträgt, läfst sich
leicht als aus zwei Systemen bestehend darstellen: nämlich aus dem
Viktoria-Nyansa-System und dem System der beiden Albert-
Seen.s Als Verbindungsglied erscheint der Kivira.
Den Kern des ersten Systems bildet die ungeheuere Wasser-
fläche des Viktoria-Sees 1 ), die von o° 20' n. Br. bis zu 3 s. Br. und
von 31 ° 50' bis 34 50' ö. Länge sich erstreckt. Seine Oberfläche wird
zu 68000 qkm berechnet (Stuhlmann), d. h. zwei Fünftel des gesamten
Areals seines Beckens!
Die Ursache seiner trapezoidalen Gestalt, sowie seines grofsen
Reichtums an Inseln werden vielleicht spätere Forschungen über die
Tiefenverhältnisse und den geologischen Bau der Umrandung an den
Tag bringen. Man weifs noch nicht, ob im Innern Inseln vorhanden
sind.
Als Steilküste kann nur die westliche und zum Teil auch die nörd-
liche bezeichnet werden 2 ). Beide werden von kleineren Inseln be-
gleitet. Die grofse Sesse-Insel Stanley's wurde durch die Aufnahme
von P. Brard in mehrere Inseln aufgelöst 3 ). Flachküsten bilden
meistens die Süd- und Ostufer, welche von tiefen, im Süden fjord-
artigen Buchten gegliedert und von gröfseren Inseln begleitet sind 4 ).
*) Stahlmann, Mit Emin Pascha ins Herz von Afrika. Kap. XXX, S. 727.
Dieses Kapitel bildet bis jetzt die beste Monographie des Viktoria-Sees.
2 ) An der Usiba-Küste scheint die 5 m Isobathe nicht weiter als 100 m von
der Küste entfernt zu sein. In einer Entfernung von 1 km findet man überall
15 m, weiterhin 50 m (Hermann, Mitt. ans den Deutsch. Schutzgeb. 1894, S. 45).
Zwischen Bukoba und der Insel Busira hat Stuhl mann an der Küste 5 m, etwas
weiter 12 bis 15 m gelotet, in den kleineren Buchten 3 m. (Mit Emin Pascha ins
Herz von Afrika S. 696.)
3 ) Die Sesse- Inseln 1 : 300000. Peterm. Mitt. 1895 Taf. 11. Mackay hatte
dies schon vermutet (Junker, Reisen in Afrika III S. 645).
4 ) Doch sind hier und da gröfsere Tiefen nicht selten. In der Speke-Bucht
findet man an felsigen Ufern 5 bis 7 m, weiterhin mehr als 10 m. (Bau mann,
Durch Massai-Land zur Nilquelle S. 143.) In der Ugowe-Bucbt hat Pringle dicht
an der Küste 6 Fufe Tiefe gefunden (With the Railway Survey, Geograph. Journal
1893 H. Bd., S. 137). Südlich von Ukerewe hat man 275 Fuß, nördlich 125 Fu6
gefunden.
23*
322 E * de Martonne:
Ob die an mehreren Punkten festgestellten, in der Regenzeit be-
sonders starken nördlichen Strömungen eine allgemeine Abdachung
des Seebodens vermuten lassen können, bleibt unentschieden.
Dafs der See früher eine gröfsere Ausdehnung hatte, scheint sicher
zu sein. Das ganze Thal des Kagera bis Kitunguru besteht aus See-
AI luvionen 1 ). Den Smith -Sund und den Emin - Golf im Süden setzen
Alluvialebenen fort 2 ); in beiden ist die südliche Extremität flach und
sumpfig, mit Papyrus bedeckt 3 ). Stuhlmann hat in Bukoba fünf Strand-
linien auf den Felsen beobachtet 4 ) und im Smith -Sund Aetheria-
Muscheln in einer Höhe von 1,50 m über dem jetzigen Wasserspiegel
gefunden 5 ).
Ob der See jetzt noch zurücktritt, ist nicht leicht zu sagen, denn
jährliche und mehrjährige periodische Variationen scheinen stattzu-
finden. Das Niveau steht im Mai am höchsten, das heifst nach den
gröfseren Regen 6 ). Selbst tägliche Variationen sind beobachtet worden,
welche Pringle in der Ugowe-Bay durch den Einflufs der Land- und See-
brise erklärt 7 ), Baumann im Speke-Golf als Ebbe und Flut betrachtet 8 ).
Es wäre sehr wünschenswert, dafs in den deutschen Stationen, die an
der Küste liegen, Beobachtungen über den Wasserstand regelmässig
gemacht werden.
Die konstanten SO- Winde verursachen sehr regelmäfsige Strömungen,
die sich an der Südküste von O. nach W., an der Westküste und Ost-
küste von S. nach N. fortpflanzen 9 ).
In dem Wesen dieses riesigen hydrographischen Organismus ist
noch manches Geheimnisvolle, das den zukünftigen Forschern vieles In-
teressante darbieten wird. Seine Nahrung bekommt er von mehreren
Zuflüssen, die sich in drei Gruppen verteilen lassen: die westlichen,
die südöstlichen und die nordöstlichen Zuflüsse.
1 ) Scott El Hot, Geograph. Journal 1894, S. 349 f. A Naturalist in Mid-
Africa, London 1896, S. 20. Stuhlmann (Mit Emin Pascha S. 220 — 22 1) erwähnt eine
Schicht von Infusorienerde, die sich in Kitangule in einer Tiefe von 1,50 m rindet
2 ) Werther, Zum Viktoria Nyanza, Berlin 18941 S. 127. Schynse, Mit
Stanley und Emin durch Deutsch-Ost- Afrika, Berlin 1894, S. 10, 11 und 19.
3 ) Schynse, Peterm. Mitt 1891 S. 219, siehe die Karte, Das Sudwestufer des
Viktoria Nyanza 1 : 1 250 000.
*) Stuhlmann, Mit Emin Pascha S. 696.
5) Ebendaselbst S. 682.
*) Baumann, Durch Massai-Land zur Nilquelle S. 143.
7 ) With the Railway Survey. Geogr. Journal 1893 II. Bd. S. 137.
8 ) 50 cm tiefer morgens als abends. Baumann, Durch Massai-Land S. 143.
9 ) Stuhlmann, Mit Emin Pascha S. 729 — 731. Baumann, Durch Massai-
Land S. 143.
Die Hydrographie des oberen Nil-Beckens. 323
Die westlichen Zuflüsse sind die bedeutendsten, was die Länge
und die Wassermenge betrifft. Sie sind auch die regelmäfsigsten. In
Uganda liegt die Wasserscheide dicht am Ufer, und alle Gewässer
fliefsen nach Norden. Südlich vom Äquator aber ist die Abdachung
des Zwischensee-Plateaus ausgesprochen östlich. Vom Nkole- und
Mpororo-Hochland fliefsen dem See zwei ruhige sumpfige, von äquato-
rialen Regen genährte Flüsse, der Katonga und der Ruisi, zu 1 ).
Der Kagera ist der bedeutendste westliche Zuflufs. Sein Becken
hat ein Areal von 48 600 qkm. Unweit der Mündung ist er 100 m
breit und 10 m tief 2 ). Durch seinen gewundenen Lauf und die Un-
regelmäfsigkeit seines Gefälles ist er als ein junger Flufs bezeichnet,
der mühsam in einem ganz schroffen Relief sich durcharbeitet und noch
keine Einheit sich zu schaffen vermochte 8 ). Es ist ihm nicht einmal
gelungen, alle Gewässer des südlichen Zwischensee-Plateaus in sich zu
sammeln und dem Viktoria -See zuzuführen. Mehrere Seen scheinen
noch keinen Abflufs zu besitzen, wie der mit felsigen Ufern umrandete
buchtenreiche Mohasi-See 4 ) , der Ikimba-See 6 ), der Urigi-See und der
Luensinga 6 ).
Der Kagera entsteht aus drei Gebirgsflüssen, Nyavarongo, Akenyaru
und Ruvuvu. Alle sind wilde, durch starkes Gefälle 7 ), grofse Periodi-
cität und mehrere Wasserfälle 8 ) charakterisierte Ströme, deren Zuflüsse
keine ausgearbeiteten Thäler haben, sondern bald in sumpfigen Becken,
bald in wilden Schluchten dahineilen. Der durch Vereinigung des
sumpfigen Akenyaru und des auch sumpfigen Nyavarongo 9 ) entstandene
Strom scheint bedeutender als der Ruvuvu 10 ). DiePeriodicität ist natürlich
*) Ungefähre Lange des Katonga xgo km, des Ruisi 210 km. Früher galt
der letztere für einen Zuflufe des Kagera.
*) Schweinitz in: Baumann, Durch Massai-Land S. 145, 80 bis 100 m Breite,
8 m Tiefe. — Stanley, Through the Dark Continent, London 1878» I, S. 214—215:
im April an der Mundung 140 m, zwei Meilen oberhalb 90 m Breite. Gröfste Tiefe
17 m. Starke Strömung.
*) Siehe das Profil des Nil-Stroms.
*) Götzen, Durch Afrika von Ost nach West. Berlin 1895, S. 163—64.
5 ) Scott El Hot, A Naturalist in Mid-Africa. London 1896.
6 ) Ebendaselbst.
7 ) Kagera-Quelle 1770 m, Kagera zu Ruanilo 1440 m, Vertikal- Abstand 330 m,
Horizontal- Abstand 200 km, mittleres Gefalle 1,6 m auf den Kilometer.
8 ) Unter 2 30' fand Götzen zwei 5 m hohe Wasserfalle. (Durch Afrika
von West nach Ost, S. 151).
9 J Baumann, Durch Massai-Land, S. 152.
l0 ) Unter 2 30' ist er 250 m breit, mit einem 35 m breiten papyrusfreien
Kanal, 2. Mai 1894. (Götzen, Durch Afrika, S. 151).
324 E - de Martonne:
in dem südlichsten Ruvuvu am stärksten, dessen Zuflufs, der Lr
seine Quelle unter 3 45' südlich besitzt. Bei Ruanilo fanc
mann im September: die Breite 35 m, die Tiefe 3 na. Das F;n
mit 3 m hohen Ufern wird in der Regenzeit ganz gefüllt 1 ). Ungct
Schuttmassen häufen sich, sobald das Gefalle abnimmt, und gebr. ■
Verwilderung Anlafs 8 ).
Der Mittellauf des Kagera ist durch ein sehr geringes Go-
uache mit Papyrus bedeckte sumpfige Ufer und zahlreiche Netci:
gekennzeichnet. Einige von diesen Seen treten nur während dcil
des Hochwassers mit dem Flufs in Verbindung 8 ). Der untere Lacf/r.
im Gegensatz dazu von Latome, und besonders von Kitangnle 1 :
ein starkes Gefalle. Mit zahlreichen Krümmungen eilt der JM.
dem weiten Thal, dessen Boden ganz aus Alluvium besteht, dahin. I-
Wasserstand ist durch den Einflufs der zahlreichen Nebenseen im Jfe
laufe beständiger geworden. Bei Kitangule ist der Flufs 60 bis &z
breit 5 ), 10 bis 12 m tief 6 ), von einem überschwemmten, auf jeder*:
100 m breiten Papyruswald begleitet 7 ), und fliefst in der Mitte mitecrj
stündlichen Geschwindigkeit von 3 bis 4 km. 8 ). Die bedeutende Veigrafo
rung der Wassermenge vom Ruanyana-See 9 ) an ist von keinem grofsenL
flufs verursacht geworden, sondern von zahlreichen Bächen, welche c-.
sumpfigen Thäler von Mpororo 10 ) und Karagwe 11 ) nicht ganz entwässert
Der in einem tief eingeschnittenen Thal von Süden nach Norden ßiefsezd:
stark periodische Kinyawassi 12 ) scheint keine grofse Wassermenge de
Kagera zu bringen. Die braungelben Gewässer des herrlichen, untz
*) Baumann, Durch Massai-Land, S. 145.
*) Baumann, ebendaselbst S. 152.
3 ) Zum Beispiel der Ruanyana-See, Stuhlmann S. 2,28.
4 ) Stromschnellen fand Scott Elliot oberhalb Kitangule. Geogr. Journal il^
Okt. S. 349 ff.
& ) Grant, A walk across Africa, London 1864 S. 194 und Speke, Jouru.
of the discovery of the source of NU, S. 263: go Yards (Jan.). — Stuhlmaflfl
Mit Emin, S. 220: 60 m. — Stanley, Through the Dark Continent, I S. 45 :
100 Yards. — Scott Elliot (Geogr. Journal 1894 S. 349): 80 bis 130 Yards,
6) Grant, 5 bis 6 Klaftern.
7 ) Stanley, Breite des Flußbettes 350 Yards.
8 ) Scott Elliot, 24 miles in der Stunde.
9 ) 45 m Breite, 15 m Tiefe (März) Stanley, Through the Dark Continent,
I, S. 461.
10 ) Baumann, Durch Massai-Land, S. 146. Stuhlmann, Mit Emin, S. 15&.
u ) Stuhl mann, Mit Emin, S. 222.
13 ) Ebendaselbst. S. 218 unter dem Parallel von Bukoba war er knietief, 10— um
breit, kann aber während des Hochwassers nicht durchwatet werden.
Die Hydrographie des oberen Nil-Beckens. 325
i° 5's. Br. in dem Viktoria-See mündenden Kagera-Flusses lassen sich
in dem See ziemlich weit verfolgen 1 ).
Die südöstlichen Zuflüsse des Viktoria-Sees sind gar nicht
mit dem Kagera zu vergleichen. Da die Regenmenge eine viel geringere
ist als westlich vom grofsen See, wird die schon im oberen Kagera
hervortretende Periodicität so grofs, dafs die Flüsse während mehrerer
Monate versiegen und nur kleine Tümpel in dem Flufsbett bleiben 2 ).
Von dem Unyamwesi-Plateau kommen keine Gewässer; nur die west-
lichen Ausläufer der Randzone des östlichen Grabens, welche 2000 m
erreichen können, senden während der Regenzeit bedeutende Wasser-
mengen dem See zu. Der Simiu, der Ruwana und der Mori sind die
bedeutendsten dieser periodischen Flüsse 3 ).
Die nordöstlichen Zuflüsse des Viktoria-Sees verdanken
ihrer äquatorialen Lage und der gewaltigen Masse des Elgon eine ge-
ringe Periodicität. Vom Elgon fliefsen der Sio und die meisten Zuflüsse
des Nsola ab, welcher ein wenig östlicher in dem 2000 m hohen Elgeyo-
Hochland sein Quellgebiet hat und in dem unteren sumpfigen Laufe
55 m breit und 2 m tief, mit einer stündlichen Geschwindigkeit von 4 Meilen
gefunden wurde 4 ). Diese Flüsse führen viel vulkanischen Schutt mit
und bauen in dem See grofse Delta auf 5 ).
So viel über die Zuflüsse des grofsen Sees.
Denkt man sich, dafs er durch die Verdunstung nicht weniger als
30 cbkm jährlich verliert und dafs die Winde fast immer von SO wehen,
so kann man sich die grofse Feuchtigkeit des Zwischensee-Gebiets
leicht erklären.
Durch seinen Abflufs , den Kivira, verliert der See auch eine be-
deutende Wassermenge, welche diejenige des Kagera um ein Drittel
übertrifft 6 ).
Eine ausgesprochene Individualität kann man dem Kivira nicht zu-
erkennen. Vom Viktoria- bis zum Albert-See fällt er 510 m ab (11 90
bis 680). Das mittlere Gefälle beträgt mehr als 1 m auf den Kilometer.
In der That aber ist das Gefälle in verschiedenen Strecken ganz ver-
l ) Stuhlmann S. 144. Stanley, Through the Dark Continent I, S. 215.
Selbst P. G uill er min behauptet, dafs die Strömung bis nordlich von Sesse bemerk-
bar ist (Revue Francaise 1894 S. 19g).
*) Baumann, Durch Massai-Land, S. 141. — Fischer, Peterm. Mitt. 1895 S. 4.
*) Den Ruwana fand Fischer (Peterm. Mitt. 1895 S.4) im Januar ohne fließende
Gewisser (Bett 20 m breit, 3 bis 4 m tief). Dagegen flössen der Maroa und der
Mori (S. 5, 6).
*) Pringle, Geogr. Journal 1893» a. Bd. S. 136.
ß ) Pringle, ebend. S. 139.
*) Stanley, Through the Dark Continent, S. 214, 215.
326 E - de Martonne:
schieden. Zwischen den 150 m breiten, 4 m hohen Ripon-Fällen (am
Ausgang des Sees) 1 ) und den Isamba-Schnellen 2 ) ist das Gefälle sehr stark.
Dann folgt ein Becken, durch welches der Flufs langsam mit sumpfigen,
seenartigen Erweiterungen hinfliefst (Gita Nzige und Kiodja). Nach-
dem aber der Kivira sich nach Westen gewendet hat, nimmt er wieder
einen wilden Charakter an. Von den Karuma-Schnellen 3 ) bis zu den
wunderschönen 40 m hohen Murchison-Fällen 4 ) fallt er 400 m ab, mit
einem mittleren Gefälle von 3 bis 4 m auf den Kilometer, dann fliefst
er, 500 m breit, dem Albert-See ohne wahrnehmbare Stromgeschwindig-
keit zu 5 ).
Da der Flufs von dem Victoria-See seine Gewässer bekommt!
mufs die Periodicität kaum bemerkbar sein. Der Kafu 6 ) bringt ihm
links die Gewässer mehrerer sumpfigen, trägen Flüsse vom Unyoro 7 ) zu.
Von Osten erhält er mutmafslich die Gewässer grofser Sümpfe, die
Jackson leider nur von den Höhen des Elgon gesehen hat 8 ).
Das System der beiden Albert-Seen, die in einen tiefen
Graben eingesenkt sind und keinen wichtigen Zuflufs weder von dem
östlichen noch von dem westlichen Plateau bekommen, besitzt eine scharf
ausgeprägte Individualität. Sein Areal beträgt 115 200 qkm, wovon
der Albert-See 4500, der Albert Edward-See 4320, also für die Seen
8820 qkm, d. h. ein Vierzehntel des Gesamt-Areals. Der Semliki bildet
hier das Central-Organ. Vom Albert Edward- bis zum Albert-See fallt
er 310 m (960 — 650) auf 200 km ab und fliefst in einer weiten Alluvial-
Ebene mit einem krümmungsreichen Laufe, die hohen steilen Ufer zer-
fressend. Unter o° 1 ' ist er 39 m breit, 3 m tief und fliefst mit einer
stündlichen Geschwindigkeit von 5 km 9 ). Das Gefälle ist in der Nähe
des Albert Edward-Sees sehr stark, vermindert sich aber bald und
*) Speke, Journal of tbe discovery of the source of the Nile, S. 466.
2 ) Speke, a. a. O. S. 464.
3 ) Speke, a. a. O. S. 568 — 69. Baker, Der Albert Nyanza, S. agg a. 191.
4) Baker, a. a. O. S. 359.
5 ) Baker, a.a.O. S. 356. — Gordon, Proceedings of the Roy. Geogr. Soc.
XXI ig77, S. 49-50.
6 ) Unter i° ^o , n. Br. fand ihn Junker (Reisen III, S. 595)' mehrere iooFufe
breit und ganz voll von Papyrus mit einer sehr kleinen freien Wasserflache.
7 ) Junker, Reisen in Afrika III, S. 604 — 606. Nach Vandeleure (Geogr.
Journal, 1897, S. 309 ff.) scheint der Marandja bedeutender als der Kafu.
8 ) Jackson und Gedge's Journey to Uganda via Masailand. Proceed. R.
Geog. Soc, 189I1 S. 193 ff. Karte 1 : 1 000000.
9 ) Stanley, In the darkest Africa, London 1890; deutsche Ausgabe II
S. 263.
Die Hydrographie des oberen Nil-Beckens. 327
scheint sehr regelmäfsig zu sein 1 ). Der Abflufs ist sehr konstant. Das
Wasser ist gelb, sehr trüb 2 ) und gewinnt in der Nähe des Runsoro
durch die wilden Bergzuflüsse eine eisenrote Farbe 8 ). Diese Wildbäche,
die durch tägliche Gewitterregen genährt werden, stürmen den ungeheuren
Berg herab, grofse Schuttmassen in das Thal hinabschleppend 4 ).
Der Albert Edward-See ist die Hauptquelle des Semliki. Seine
Oberfläche beträgt ungefähr 4000 bis 4500 qkm (mit dem Ruisamba-See).
Der von der vulkanischen Kette des Virunga herabfliefsende Rutshurru,
galt für seinen wichtigsten Zuflufs, bis Scott Elliot nachgewiesen hatte,
dafs ein in den Bergen von Mpororo unweit des Kagera sein Quell-
gebiet besitzender Flufs, der Rufwe, den Ostrand des Grabens durch-
bricht und in den See mündet 6 ). Die Süd- und Nordufer sind sehr
flach, das westliche am steilsten 6 ).
Eine merkwürdige Eigentümlichkeit des Albert Edward-Sees ist
der bis o°25 ' nach Norden sich erstreckende Ruisamba-Golf, der nur durch
eine enge Wasserstrafse mit dem See in Verbindung steht Alle Ge-
wässer des östlichen Abhangs des Runsoro fliefsen diesem Neben-
see zu.
Der Albert-See ist durch seine viereckige Gestalt und seine ge-
ringere Küstengliederung von dem Albert Edward-See unterschieden.
Er ist ungefähr 200 km lang, 50 km breit. Das Südufer ist flach, das
westliche am steilsten, das östliche meist flach und sandig, aber von
einem steilen Plateauabfall begleitet 7 ), den mehrere kleinere von Unyoro
kommende, träge und sumpfige Flüsse in wilden Schluchten, um den
See zu erreichen, durchbrechen 8 ).
Die beiden Albert-Seen zeigen deutliche Spuren einer Volumen-
Verminderung. Seitdem Stanley den Ruisamba-See entdeckt hat, ist die
Wasserstrafse, durch welche er mit dem Albert-See in Verbindung steht,
*) In Avamba (o° 9' n. Br.) ist der Höhenunterschied mit dem Albert-See sehr
klein (13 mr). Stanley, In the darkest Africa II S. 236; deutsche Ausgabe
II S. 236—237, Breite 55 bis 90 m.
8 ) In einem Glas Wasser kommen 5 mm zum Niederschlag (Stanley a. a. O.
deutsche Ausgabe II S. 263).
») Stanley a. a. O. II S. 263; deutsche Ausgabe II S. 263.
4 ) Stanley a. a. O. II S. 294; deutsche Ausgabe II S. 291.
6 ) Scott Elliot, Geogr. Journal, 1895, S. 315, vergl. in A Naturalist in
Mi d- Africa S. 236 und Map of a part of East Africa 1 : 2 000 000.
*) Stuhlmann, Mit Emin Pascha, S. 275. Nur die Schuttkegel der Wild-
bäche bilden hier und da kleine flache Vorsprünge.
7 ) Junker, Reisen in Afrika, III S. 579.
8 ) Gessi, Bull, de la Soc. de Geogr. de Paris 1876. XI, S. 638—39. Junker,
m, s. 580.
328 E - de Martonne:
enger geworden 1 ). Das südliche Ufer des Albert -Sees ist ungemein
flach, sumpfig, von kleinen Inseln und Papyruswäldern begleitet 9 )
Am südlichen Ufer des Albert Edward-Sees scheint die Austrocknung
am schnellsten fortzuschreiten 8 ). In der sanft nach Süden ansteigenden
Ebene fand Stuhlmann 4 ) in einer Tiefe von i m eine 4 bis 6 m dicke,
8 m über dem jetzigen Seespiegel liegende, mit Planorbü und ünio
ganz gefüllte Schichten.
Mehrjährige Oscillationen des Wasserstandes sind wie in dem
Viktoria-See sehr wahrscheinlich. In welchem Zusammenhang sie mit
klimatischen Veränderungen stehen, ist bis jetzt unmöglich zu er-
klären. Durch Angaben Emin Pascha's kann man feststellen, dafs der
Wasserstand in dem Albert-See von 1876 bis 1888 um ungefähr 3 m
gesunken ist 5 ). Stuhlmann glaubt, dafs die Senkungs - Periode für
den Albert-See und den Viktoria-See sich bis 1891 erstreckte 6 ). Bau-
mann berechnet die Senkung seit 1880 zu 1 m 7 ).
Fügt man hinzu, dafs in derselben Zeit (1876), wo der Albert-See
sein Maximum erreichte, auch eine grofse Anschwellung des Victoria-
Sees von Wilson festgestellt wurde (1878) 8 ), dafs gerade in diesem
Jahr (1878) Überschwemmungen in Lado stattgefunden haben 9 ), dafs
eineSeddperiode 10 ) imKir-Gebiet nach diesem Jahr sich entwickelt hat,
und dafs der Tanganyika ein so hohes Niveau erreichte, dafs er einen
Abfiufs nach Westen in den Lukuga fand 11 ), so läfst sich mit einiger Ge-
wifsheit eine Periode von 23 bis 25 Jahren erkennen 12 ).
I ) Vergl. die Karten von Stanley, von Luggard und von Scott Elliot
Nach dem Bericht des Franzosen M. Versepuy steht der Ruisamba mit dem
Albert Edward-See nur durch einen schmalen Flufs in Verbindung (Comptes
Rendiis Soc. Geogr. Paris, 1896, S. 369—384).
*) Stuhlmann, Mit Emin Pascha S. 583.
*) Stuhlmann, a. a. O. S. 270.
*) a.a.O., S.169, 170. 6 ) a.a.O., S. 58*. 6 ) a.a.O., S. 58a, 583«
7 ) Bau mann, Durch Massai-Land zur Nilquelle S. 143. Eine genaue Messung
▼erdanken wir Stuhlmann, der durch Triangulation festgestellt hat, dafs in Bukoba
der See von Februar 1891 bis März 189z um 55 cm gestiegen war (Mit Emin
Pascha S. 696).
8) Globus XXXIV, 1878, S. 381.
9 ) Junker II S. 76—77. Marno, Peterra. Mitt., 1881, S. 411.
10 ) Unter dem Namen Sedd sind die Grasbarren bekannt, welche sich in dem
unteren Lauf des Bahr el Gazal und des Bahr el Djebel periodisch bilden, beson-
ders nach regenreichen Jahren. Darüber Näheres s. S. 33a.
II ) Sieger, Schwankungen der innerafrikanischen Seen. Bericht des Vereins
der Geogr. an der Wiener Universität XIII, 1886.
") Nach Gedge (Proceed. R. Geogr. Soc. 189a, S. 323) sind sich die Eingeborenen
von Kavirondo bewu&t, dafe eine 25 jährige Niveauschwankung stattfinde.
Die Hydrographie des oberen Nil-Beckens. 329
Der Bahr el Djebel, der Abflufs des Albert-Sees, ist das Ver-
bindungsglied zwischen den Systemen des Seen-Plateaus und des grofsen
mittleren Nil-Beckens.
Vom Albert-See bis Lado fallt der Flufs 235 m auf 370 km. Das mittlere
Gefälle beträgt fast 60 cm auf den Kilometer, in der That aber zerfällt
der Flufs in zwei Becken und zwei schnellenreiche Strecken.
Bis 14 km oberhalb von Wadelai ist das Thal von hohen Wänden
umrandet 1 ). Die Stromgeschwindigkeit ist sehr grofs 2 ); plötzlich aber
nimmt das Gefälle ab, das Thal erweitert sich, und der Flufs wird von
mehreren Inseln in zahlreiche sumpfige Arme zerteilt 8 ). Dann beginnt
er hinter Dunle, eine neue Thalstufe zu erreichen. Von hohen felsigen
Wänden eng umrandet, fliefst er mit einer bedeutenden Geschwindig-
keit 4 ). Zwischen Dufile und Lado beträgt der Horizontal- Abstand 200 km,
der Vertikal-Abstand 180m, das mittlere Gefälle 1,20 m auf den Kilometer.
Sieben Stromschnellen sind bekannt: Fola, Yerbora, Makkedo, Gondji,
Teremo, Garbo und Bedden 5 ).
In Lado wird der Flufs wieder ruhiger. Von da bis Chartum
fallt er nur um 87 m. Die Wasserstandsverhältnisse in Lado zeigen
eine merkwürdige Periodicität, die durch den Charakter der Zuflüsse
sich erklären läfst. Da die Trockenheits-Perioden in diesen Breiten,
besonders östlich , wo die Regenmenge kleiner ist, schon scharf ge-
schieden sind und die Abdachungsverhältnisse keinem längeren Strom
sich zu entwickeln erlauben, sind alle diese Zuflüsse nur Ch6ran, d. h.
sie versiegen während mehrerer Monate; doch bringen sie während
der Regenzeiten (besonders der Khor Luri und die vom Schuli- bzw.
Süd-Latuka-Land kommenden Khor Assua und Khor Gomoro) dem Bahr
el Djebel viel Wasser zu 6 ).
So erklärt sich die eigentümliche Kurve des Wasserstandes im
Lado, welcher sein Maximum (169 cm) in den ersten Tagen des
1) Junker, Reisen in Afrika KT. S. 496.
*) Gordon, Proceed. of the Roy. Geogr. Soc. London 1877, S. 4g.
3 ) Junker, Reisen in Afrika III, S. 497—498.
4 ) Gordon, Proceed. of the Roy. Geogr. Soc. 1877, S. 48.
5 ) Gordon ebendaselbst. Von Dr. Peney (Bulletin de la Soc. de Geogr. de Paris
1863, VI, S. 1 — 71) sind diese Stromschnellen besonders gut beschrieben worden.
In den Stromschnellen von Bedden mufs die Stromgeschwindigkeit 368 miles in
der Stunde erreichen ! Gor d on , Bulletin de la Soc. de Geogr. de Paris 1875» X, S. 515.
6 ) Baker, Der Albert Nyanza, S. 275. Gordon, Proceed. of the Roy. Geogr.
Soc 1877» S. 57. Der Assua flieJst 10 Meilen während des ganzen Jahres. Unter
3 iV n. Br. ist sein in der Regenzeit manchmal gefülltes Bett 120 Schritte
breit, mit 15 Fufe hohen steilen Ufern. In der Regenzeit ist der Khor Luri
unweit seiner Mündung 3 Fufc tief. (Junker, Reisen HI, S. 434).
330 E - de Martonne:
September» d. h. am Ende der Regenzeit, sein Minimum (150 m) Anfang
April, d. h. gegen Ende der Trockenzeit, erreicht 1 ).
IV.
Wir kommen jetzt zu dem riesigen mittleren Nil-Becken, dessen Areal
1 198000 qkm beträgt, von denen 776oooqkm westlich vom Hauptflufs und
nur 422 000 qkm östlich liegen. Von dem Seengebiet unterscheidet es sich
durch den Mangel an unregelmäfsigen Senkungen, welche die Bildung
von grofsen Seen zur Folge haben. Die Flüsse sind hier die vorwie-
genden hydrographischen Formen.
Die klimatischen Bedingungen sind auch ganz andere. Eine Trocken-
zeit (im Süden zwei) kommt überall vor und nimmt an Länge nach
Norden zu, sodafs die Flüsse überall eine starke Periodicität zeigen
und selbst nach Norden zum Ch&ran oder Wadi werden.
Das Fehlen der orographischen Differenzierung geht aber so weit,
dafs die meisten Flüsse in ihrem unteren Laufe absolut kein Gefälle
haben, und da alle nach dem Centrum des Beckens konvergieren, so
entsteht eins der merkwürdigsten Sumpfgebiete, welche die Erdober-
fläche darbietet. Während des Hochwassers beträgt die Überschwem-
mungsfläche ungefähr 60 000 qkm.
Alle Zuflüsse, welche hier zusammenfliefsen, sind kaum durch un-
gemein flache Bodenschwellen getrennt und stehen während des Hoch-
wassers durch Infiltration oder seitliche Arme miteinander in Verbin-
dung. Ihre Ufer sind aufserordentlich flach, und die Papyrus- und
Ambatch-Wälder dehnen sich so weit aus 8 ), dafs nur die Palmen, die
hier und da stehen, in der trostlosen Wasseröde den festen Boden ver-
muten lassen. Die geringste Anschwellung genügt, um die Flüsse aus
ihrem Bett zu bringen oder ihnen zu einer Bettveränderung Anlafs zu geben.
Sumpfige Nebenseen, die von den Arabern Majeh genannt werden,
welche als Relikt der früheren Überschwemmungen zu betrachten
sind und nur während des Hochwassers mit dem Strom in steter Ver-
bindung stehen, begleiten die gröfsten Flüsse.
Über das Wesen dieses merkwürdigen hydrographischen Organismus,
*) Dovyak's Beobachtungen in Hann, Über das Klima and die Seehöhe
von Gondokoro und Chartam. Peterm. Mut. 1875» S. 343 — 344* In den regenreicheren
Jahren 1876 und 1878 erreichte das Maximum 200 bzw. 225 cm. (Chelu, Le Nil,
le Soudan, l'Egypte, Paris 1891* S. 13).
*) Durch diese Papyrus- Wälder wird die freie Wasserfläche sehr oft ungemein
viel verengert. Breite des Bahr el Djebel an dem Zusammenfluß! mit dem Bahr el
Gazal 50 m (Marno, Peterm. Mitt. 1881, S. 415), Breite des Bahr el Gazal unweit
des Zusammenflusses 100 Schritte, etwas oberhalb nicht selten 50 Schritte, stellen-
weise nur 20 Schritte (Junker, Reisen II, Tafel 1).
Die Hydrographie des oberen Nil-Beckens. 331
weicherden Mittelpunkt des ganzen mittleren Nil-Systems darstellt, besitzen
wir sehr genaue Angaben von Pruyssenaere 1 ), Emin 8 ), Junker 8 ), sowie
eine ausgezeichnete Monographie von Marno*).
Als Ursache dieser hydrographischen Anomalie erkennt Marno vor
allem den Mangel an Gefälle, welche den Abflufs der Gewässer ver-
hindert und eine Tendenz zur Verwilderung in allen Flüssen verursacht.
Seitenarme, deren relative Wichtigkeit sehr veränderlich ist 6 ), besitzen
alle Ströme, sodafs dieses Gebiet als ein inneres Delta bezeichnet werden
könnte.
Zweitens müssen die bedeutenden Niederschläge in allen Flüssen
erwähnt werden. Die Sediment-Ablagerung findet an drei Stellen statt:
wo das Gefälle sich vermindert, an den konvexen Kurven der Biegun-
gen und an den Zusammenflüssen. Da der Bahr el Gazal und seine
Zuflüsse, und besonders der Bahr el Djebel, während des Hochwassers
viel Schlamm mitführen, kann der Niederschlag sehr beträchtlich sein 6 ).
So werden fast in allen Zusammenflüssen flache, in der Zeit des Hoch-
wassers überschwemmte Dämme gebaut, hinter denen grofse seichte,
während der Trockenzeit von dem Flufs getrennte Teiche, wie der
Mokren el Bohur und der Mechra el Reck, entstehen 7 ). Durch diese
Ablagerungen wird auch das Flufsbett allmählich erhöht, sodafs der
Strom höher als die Ebene steht.
*) Peterm. Mitt. Ergänzungsheft 51, S. 12 — 15. Karte von Zöppritz 1 : % 000 000:
Der Weifee Nil zwischen dem 6 und io° n. Br. nnd der untere Sobat.
9 ) Die Strombarren des Bahr el Djebel. Peterm. Mitt. 1879, **• 2 73~ 2 74» mit
Kartenskizze 1 : i 200 000.
3 ) Reisen in Afrika II, S. 5g f. und 374 f. Siehe die Karte des Bahr el Gazal
1 : 750000, Tafel 1.
4 ) Die Sumpfregion des äquatorialen Nilsystems und deren Grasbarren. Peterm.
Mitt. 1881, S. 411—426, mit Karte (Tafel 20): Aufnahme des mittleren Bahr el
Abiad nnd des Bahr el Seraf, Sept. 1879 bis März 1880, 1 : 500 000.
*) Die verschiedenen Majeh, Seitenarme, Barren, sind sehr sorgfältig (von
Junker nnd Marno besonders) aufgenommen worden. Das Kartieren aber hat in
solchen Gebieten fast keinen Zweck, denn jede neue Seddperiode bringt Verände-
rungen mit sich. In trockenen Jahren geht man zu Fufc über weite Strecken, die
auf allen Karten als See gezeichnet sind.
6 ) Höchst interessant wäre es, die Niederschlagsverhältnisse in verschiedenen
Jahreszeiten, an verschiedenen Stellen und auch während verschiedener Jahre zu
kennen. Sicherlich wurde es ein grober Gewinn sein für die Erklärung der Ab-
lagerungen mancher geologischen Periode, wenn diese Gebiete einmal erschlossen
und von Fachkennern untersucht würden.
7 ) Marno, Peterm. Mitt. 1881» S. 415 — 416; siehe die Skizze des Mokren el
Bohur 1 : 100 000.
332 E - de Martonne:
Als dritte Ursache erscheint die aufserordentlich reiche Wasser-
vegetation, welche sich in den Majeh während der Trockenzeit ent-
wickelt. Aus den verflochtenen Wurzeln kräftiger Wasserpflanzen
(Papyrus, Ambatch) 1 ), welche mit Staub und kleineren Pflanzen {Azalla,
Pistia, Ottelia, Utricularia u. s. w.) verbunden werden, entsteht ein fester
Boden, der auf dem Wasser schwimmt. Sobald durch Überschwem-
mungen der Majeh mit dem Flufs in Verbindung steht, werden diese
schwimmenden Inseln durch Wind den Strom hinabgeschleppt, häufen
sich in den Biegungen und türmen sich übereinander, sodafs der Flufs
nicht nur im horizontalen, sondern auch im vertikalen Querschnitt ganz
verstopft ist, und das Wasser aufgestaut wird oder einen seitlichen Ab-
flufs suchen mufs. Diese Grasbarren (Sedd) bilden das gröfste Hindernis
für die Schiffahrt. Selbst das beste Dampfschiff kann in ungünstigen
Jahren gegen diese machtlos sein 8 ). So blieb hier Gessi sechs Monate
lang eingeschlossen.
Bemerkenswert ist, dafs die Seddbildung nicht in allen Jahren be-
deutend ist, sondern sie ist um so stärker, je regenreicher die vorher-
gehenden Jahre waren 8 ).
Wir haben noch die Herkunft dieser ungeheueren Wassermassen
zu erklären, das heifst die Zuflufsverhältnisse des Kir-Gebiets darzustellen.
Unter allen hier zusammenfliefsenden Strömen scheint der Sobat
am wenigsten diese hydrographische Anomalie zu veranlassen. Im
Gegenteil, durch den gewaltigen Stofs seines Hochwassers treibt er
sogar die trägeren Gewässer des Bahr el Abiad nach Norden fort.
Soweit der Flufs bekannt ist, fliefst er durch eine breite Alluvial-Ebene.
Unter 9 n. Br. fand ihn Pruyssenaere im Juli 317 m breit, 8 m tief
mit einer stündlichen Geschwindigkeit von 2 km und einem Abflufs von
1066 cbm in der Sekunde 4 ). Die Periodicität scheint sehr stark zu sein 5 ).
Der Bahr el Djebel (in dem Sumpfgebiet Kir genannt) veranlafst
in höherem Grad die eigentümlichen Verhältnisse des centralen Sumpf-
*) Der Ambatch {Herminier a elaphroxylum) kann 5-7111 über dem Wasser-
spiegel erreichen.
2 ) Siehe in Junker's Reisen II, S. 80 — 8i f die Beschreibung der zum Brechen
der Barren verwendeten Methode, und besonders Marno, Die Verlegungen im
Bahr el Gazal und deren Beseitigung. Peterm. Mitt. x88a, S. 121 — 129.
3 ) Junker II, S. 76 — 77. Marno, Peterm. Mitt. 1881, S. 421: Dem regen-
reichen Jahr 1878 folgte eine Periode, wo die Barren außerordentlich zahlreich und
dick waren. Werne (1840—41) fand keine Barren, Heuglin aber (1863) und Gessi
(1880) haben während einer Seddperiode das Kir-Gebiet kennen gelernt.
*) Peterm. Mitt. Ergänzungsheft 51, S. 35.
&) Vergl. Petherick, Journal, of the Roy. Geogr. Soc. 1865, S. 289. Abflofe
im April 4227 cbm in der Sekunde, im Juni 8615 cbm.
Die Hydrographie des oberen Nil-Beckens. 333
gebiets. Von Lado an ist sein Gefalle sehr gering (Lado-Schamb£
o,i) 1 ), von Gaba Schamb£ an fast Null (Gaba Schambä-Fashoda 0,035).
Bis Bor führt er Sand und Gerolle mit sich, die er aus den Cherän erhält,
von Bor an meist Humus und schwarzen Schlamm mit Aschen und
Kohlen 2 ). Schon bei Lado ist das Gefälle so gering und der Nieder-
schlag so beträchtlich, dafs die Stromrinne stets ihre Lage verändert 3 ).
Je mehr man nach Norden geht, um so mehr macht sich diese Tendenz
geltend, welche schon in Bor die Bildung der Seitenarme hervorruft
und in Gaba Schambä die grofse Bifurkation (Bahr el Djebel — Bahr el
Zaraf) verursacht.
Die Wasservegetation scheint auch in dem Kir noch reicher als
in dem Bahr el Gazal zu sein; die Majeh sind zahlreicher 4 ), die
Barren, wenn nicht so häufig, doch viel stärker und fester 5 ), sodafs
sie nicht selten dem besten Dampfschiff die Fahrt unmöglich machen.
Der Bahr el Zaraf, der gewöhnlich nur ein Seitenarm ist, kann, wenn
der Kir ganz verstopft ist, zum Hauptstrom werden 6 ).
Die Periodicität des Flusses ist in dem Sumpfgebiet noch sehr
stark. Nach Pruyssenaere's Angaben 7 ) sind die Gewässer um den
25. Januar am niedrigsten, erreichen ein erstes Maximum gegen den
25. April, dann, nach unregelmäfsigen Schwankungen, ein zweites
höheres Maximum gegen Ende September, und fallen vom Oktober an
langsam und regelmäfsig.
Der Bahr el Gazal ist kein eigentlicher Flufs, sondern eine 214 km
lange 8 ) Reihe von Sümpfen. Junker im Februar 1878 und Marno in
') Lado-Bor 0,15, Bor-Gaba Schamb6 0,11.
*) Marno, Petenn. Mitt. iggi y S. 4x4: Die Aschen und Kohlen stammen aus
den in der Trockenzeit verbrannten Steppengräsern.
3 ) Junker, Reisen III, S. 391, bringt mehrere Einzelheiten, die eine sehr
rasche Veränderung beweisen. Er konnte feststellen, dafe zwischen den Jahren
1876 und 1884 das Westufer um ao m zurückgewichen war. Während eines
monatlichen Aufenthalts konnte er die Bildung einer Insel und die Vertreibung
eines Arms verfolgen u. s. w.
*) Junker, Reisen II, S. 73.
6 ) Junker a. a. O. S. 73.
6 ) Im Jahr 1870 konnte Baker den Bahr el Djebel nicht hinauffahren: er
mutete den Bahr el Zaraf verfolgen.
7 ) Peterm. Mitt. Ergänzungsheft 51, S. 28. Vergl. Petherick's Strom-
messungen. Journal, of the Roy. Geogr. Soc. 1865, S. 289, und Travels in Central-
Africa I, S. 321 — aa. Vor der Einmündung des Bahr el Gazal: Bahr el Djebel
8280, Bahr el Zaraf 1656 Kubikfufe in der Sekunde (25. April 1863).
8 ) Junker 's Reisen in Afrika II, S. 70.
9 ) Reisen in Afrika II, S. 59—70; siehe die Originalkarte des Bahr el Ghasal,
anfgen. auf dem ägyptischen Dampfer „Ismailia", Febr. 1880, 1 1 750000.
334 E. de Martonne:
den Monaten Januar bis März 1880 *) haben ihn sorgfaltig aufgenommen.
Junker fand bei Mechra el Reck 15, Marno nur bis zu der Mündung
des Bahr el Arab 20 Barren 2 ). Mehrere Seitenarme und Majeh (19 bis
zu der Mündung des Bahr el Arab) wurden festgestellt. Selbst während
der Trockenzeit findet man sehr selten feste, gut erkennbare Ufer 3 ). Das
Wasser ist viel heller als dasjenige des Bahr el Djebel, aber grünlich
und übelriechend 4 ). Die Strömung ist, besonders in der Trocken-
zeit, so gering wie in einem See.
Mit Ausnahme des Jei, der in den Nil direkt zu münden scheint,
fliefsen alle Gewässer, die von der Uelle- Wasserscheide kommen, dem
Bahr el Gazal zu.
Vortreffliche Schilderungen über das Leben dieser Flüsse ver-
danken wir Schweinfurth 6 ) und Junker 6 ). Sie besitzen fast alle dieselben
Eigenschaften, welche durch gleiche klimatische und hypsometrische
Verhältnisse hervorgerufen werden. Es sind im allgemeinen viel mehr
ausgearbeitete Flüsse als diejenigen, die wir bis jetzt kennen gelernt
haben. Ein Oberlauf, ein Mittel- und ein Unterlauf läfst sich überall
unterscheiden.
Der Oberlauf ist durch die Identität des Strombettes und der
Stromrinne, durch die Thätigkeit der Erosion und das bedeutende
Gefälle charakterisiert. Die Periodicität ist sehr stark. Während der
Trockenheit fliefst nur ein wenig rosiggefärbtes klares Wasser, mitten
in Grand und grofsen Gneisblöcken ; in der Regenzeit aber birgt jede
Bodenvertiefung einen Bach oder einen Sumpf, welcher sehr oft mit
dem Flufs nicht in Verbindung steht.
Der Mittellauf liegt in der mittleren Abdachungszone, stellen-
weise aber auch im Bergland 7 ). Das Strombett ist eine mehrere Kilo-
meter breite Ebene, deren Boden 8 oder 10 m tief in die Umgebung
eingesenkt ist und aus lehmigem Alluvium besteht. Die Stromrinne mit
steilen, hohen Ufern durchschneidet die Ebene mit zahlreichen Win-
dungen, bald dem rechten, bald dem linken Rand sich nähernd.
Während der Trockenzeit finden sich in dem Strombett nur vereinzelte
kleine Tümpel, während der Regenzeit aber ist es sehr oft ganz er-
*) Marno 's Aufnahme des Bahr el Ghasal auf dem ägyptischen Dampfer
„Borden* 4 , Januar u. März bis Juni 1880, 1:500000. Peterm. Mitt i88*> Tafel 6.
9 ) Die breitesten können 1000 — 2000 m Breite erreichen.
s ) Unterhalb des Zusammenflusses mit dem Bahr el Arab wurden gut markierte
Ufer von Junker gesehen, Breite 100 m (Januar).
*) Pruyssenaere, Peterm. Mitt. Ergänzbd. 51, S. %%.
6 ) Im Herzen von Afrika.
6) Reisen in Afrika, besonders I, S. 45a— 53.
7 ) Beispiel: Der Rohl. Junker, Reisen I, S. 45a.
Die Hydrographie des oberen Nil -Beckens. 335
füllt Merkwürdig ist, dafs in der Stromrinne immer Wasser vorhanden
ist, und dafs die Überschwemmungen niemals den Rand des Strom-
bettes überschreiten. Diese schöne Anpassung an die klimatischen
Bedingungen lehrt uns, dafs diese Flüsse sehr alt und ganz ausge-
arbeitet sind.
Der untere Lauf fallt in die Centraldepression des Kir. Er ist
dadurch gekennzeichnet, dafs das Strombett verschwindet, oder dafs
die Strombetten aller Flüsse miteinander verschmelzen, sodafs alle
während des Hochwassers mehr oder minder in Verbindung stehen.
Obgleich alle diese Flüsse fast dieselben Eigenschaften besitzen,
lassen sich doch einige Unterschiede bemerken, besonders zwischen
den östlichen und westlichen Flüssen. Während die ersteren nach
Norden fliefsen, nehmen die zweiten, dem Gefalle des Beckens ent-
sprechend, mehr und mehr einen reinen Südwest-Nordost-Lauf an. Da
die mittlere Terrassenzone an Ausdehnung nach Westen abnimmt, so
scheint in den westlichen Flüssen der Mittellauf nicht so gut wie im
Osten entwickelt zu sein. So zeigt der Djur unter 7 30' n. Br. ein
viel kleineres Strombett, dagegen eine tiefere Stromrinne als die öst-
lichen Flüsse, und sein westlicher Zuflufs, der Wau, hat unter der-
selben Breite kein Überschwemmungsgebiet 1 ). Unter 7°25 r ist das-
jenige des Pongo nur 1 km breit 2 ). Bei dem Tondj 3 ), Djau 4 ) und
Rohl 6 ) scheint dagegen der Mittellauf mit allen früher erwähnten
Eigenschaften entwickelt zu sein.
Was die Länge und die Wassermenge betrifft, so scheint der Djur
alle zu tibertreffen. Durch Vereinigung zweier, alle Eigenschaften des
Oberlaufes besitzenden und von der Gegend des Baginse nach Nord-
westen fliefsenden Flüsse, Sueh und Jubbo 6 ), entstanden, ist er schon
unter 5°io' in der Zone des Mittellaufes eingetreten, hat 18—20 Fufs
hohe, steile, in das Alluvium eingeschnittene Ufer, einen Abflufs von
*) Junker, Reisen I, S. 473.
a ) Schweinfurth, Im Herzen von Afrika, S. 421.
*) Unter 7°ao' n. Br. haben ihn gemessen: Janker (August 1877, 1, S. 467
und Mär« 1878, II, S. 97), Felkin (Oktober 1879, Peterm. Mitt. 1881, S. 95),
Schweinfurth (S. 55, 131, 377). Das Strombett ist 3 Meilen breit, die Strom-
rinne 60—200 Fuis.
4 ) Janker, I, S. 465 (August 1877) 7 n. Br. Stromrinne 200 Fufs breit,
Strombett sehr breit.
5 ) Felkin, Peterm. Mitt. 1881, S. 93. — Junker, I, S. 447 (Gosa) und 454
(Ajak): Stromrinne 160 m breit, Wasserstand im Juli 2,50 m.
°) An dem Zusammenfluß ist der Sueh 40 Schritte (27 m) breit, ziemlich tief,
mit hohen, steilen, felsigen Ufern ; der Jubbo unter 4°45' n. Br. 50— 60 Schritte
(40 m) breit und nur 1,5 Fufs (50 cm) tief. Junker, III, S. 358.
Zcitschr. d. Ges f. Erdk. Bd. XXXII. 1897. 24
336 E - de Martonne:
200 Kubikfufs in der Sekunde (22 cbm) während der Trockenzeit und
2330 Kubikfufs (260 cbm) im Juni 1 ). Unter 7 aber, vor der Einmündung
des Wau, beträgt der Abflufs im December 11 76, im Juni 14800 Kubik-
fufs (130 bzw. 1610 cbm) 2 ). Aus diesen natürlich sehr approximativen
Zahlen kann man nicht nur eine Vorstellung der bedeutenden Wasser-
menge, welche der von dem Wau noch vergrößerte Djur dem Bahr
el Gazal zuführt, sondern auch der grofsen Periodicität, welche alle
diese Flüsse charakterisiert, gewinnen.
Die Länge des Djur-Stromes kann zu 700 km berechnet werden.
Die vom Abaka-Hochland herabfliefsenden Tondj und Djau haben
nur eine Stromlänge von 540 km bzw. 500 km, und die in Makraka ihr
Quellgebiet besitzenden Rohl und Je'i nicht mehr als 630 bzw. 480 km.
Der Mittellauf beginnt für den Tondj (hier Issu genannt) unter
5 03 ), für den durch Vereinigung des Aire mit dem Gosa oder Jalo
entstandenen Rohl 4 ) unter 5°io' 6 ).
Viel unbedeutender sind die westlichen Zuflüsse des Bahr el Gazal
(Pongo 6 ), Kerr6, Billi, Boru) 7 ), mit Ausnahme des Bahr el Arab, dessen
Wassermenge sehr beträchtlich ist, und der nicht minder stark perio-
disch als die anderen Ströme zu sein scheint 8 ).
Nördlich vom Bahr el Arab findet man nur Wadi 9 ), deren Betten
eine südöstliche Richtung haben.
Ob die Wadi des Darfur (Oued el Koh, Oued Gendy, Oued
Bulbul) selbst in den regenreichen Jahren den Bahr el Arab erreichen,
1 ) Stromrinne 40 Fufe (15 m) breit, Breite des Wassers während der Trocken-
heit 25 Fu& (8 m). Schweinfurth, S. 178.
2) Schweinfurth, S. 178.
3 ) Janker beschreibt ihn nnter 4° 40' and seinen Zuflufs, den Ibba, unter
4 30' als alle Eigentümlichkeiten des Oberlaufes besitzende Flüsse. (Reisen in
Afrika IH, S. 369).
4) Junker, I, S. 451— 452.
ß ) Junker (I, S. 447) fand ihn zum ersten Mal bei Gosa in- einer tiefen
Depression mit Krümmungen eilend. Oberhalb Gosa besitzt der Aire alle Eigen-
schaften des Oberlaufes (Junker, I, S. 371, 385)«
* 6 ) Schweinfurth hält ihn für 300 km lang und hat im Januar 1871 nnter
7°25'n. Br. die Stromrinne 70 Fufe (23 m) breit, 10 Fufs (3 m) tief, mit nur
40 — 50 Fufe (15 m) breitem, 2 — 3 Fufe (1 m) tiefem Wasser gefunden (S. 421)
Vergl. S. 440 (7 35' n. Br.).
7) Siehe Felkin, Peterm. Mitt. 1881, S. 96.
8 ) Unter 25° 30' 6. L. war er während der Trockenzeit 100 m breit, mit
5 m hohen Ufern. Das Überschwemmungsgebiet mufe mehrere Kilometer breit sein.
Felkin, Peterm. Mitt. 1881, S. 96.
9 ) Felkin, Peterm. Mitt. 1881, S. 98.
Die Hydrographie des oberen Nil-Beckens. 337
wie es Nachtigal annimmt 1 ), scheint sehr fraglich. Unterhalb
1200 m fliefst gewöhnlich kein Wasser auf der Erdoberfläche 8 ). Das
Niveau des Grundwassers schwankt mit den Jahreszeiten und ist im
allgemeinen um so tiefer, je mehr man sich von den Marrah-Gebirgen
entfernt 8 ).
Südlich von Dara kann man kein ausgesprochenes Flufsbett be-
merken 4 ). Nach Angaben von Arabern mufs der südliche Teil des
Landes in der Regenzeit unpassierbar sein, indem er einen grofsen See
bildet 5 ). Ob aber damit selbständige Sümpfe oder nur diejenigen des
Bahr el Gazal zu verstehen sind, kann man nicht entscheiden.
Wie auch die Sache liegen mag, es ist wenigstens sicher, dafs der
Bahr el Gazal von seinen südlichen Zuflüssen den gröfsten Teil der
ungeheuren Wassermenge erhält, welche seine verderbliche Rolle in
der Hydrographie des Kir-Gebiets erklärt.
Den einzigen Abflufs der grofsen Sümpfe bildet der Bahr el Abiad.
Nach dem Sobat scheint allein der Yal als permanenter, aber stark
periodischer Zuflufs 6 ) in sein Thal einzumünden. Ob die Gewässer des
Kordofan den Strom, selbst in regenreichen Jahren, anders als in der
Form von Grundwasser erreichen, ist nicht wahrscheinlich.
So gänzlich von Zuflüssen entblöfst, verdankt der Nil nur dem un-
geheuren Reservoir des Kir-Gebiets die Kraft, die verbrannte Öde bis
Chartum durchfliefsen zu können. Wie sehr sein Leben von dem Leben
des Central-Sumpfgebiets abhängig ist, zeigen mehrere Thatsachen. Bis
nach Fashoda sind, allerdings nicht dicke, Grasbarren in den regen-
reichen Jahren nicht selten 7 ). Während des Hochwassers kann man
schwimmende Inseln, die aus den Grasbarren stammen, den Flufs
hinab bis Chartum treiben sehen 8 ). Sie ziehen immer das rechte steile,
nicht selten mit 30 Fufs hohen Sandbänken versehene Ufer entlang,
wo der Flufs am tiefsten und die Strömung am stärksten ist 9 ).
Das Hochwasser tritt für den Bahr el Abiad bei Chartum im April
l ) Peterm. Mitt. 1875, s - 181—283.
') Mason Bey, Peterm. Mitt. 1880, S. 379.
3 ) Mason Bey a. a. O. S. 379 : um 900 m ist der Sand selten an der Oberfläche
trocken. In £1 Fascher ist das Grundwasser 10 m tief, in der Nähe von Raima
Foras 70 m tief.
*) Mason Bey a. a. O. S. 379.
5 ) Mason Bey a. a. O. S. 379.
6 ) Kaufmann, Das Gebiet des weilsen Flusses und dessen Bewohner. In
den sehr trockenen Jahren erreichen die Gewässer des Yal nicht das Nil- Thal.
7 ) Junker, Reisen in Afrika II, S. 53.
8 ) Junker, a. a. O. S. 53.
9 ) Junker, a. a. O. Schweinfurth, Im Herzen von Afrika I, S. 59.
24*
338 E - de Martonne:
ein. Es sind dies grüne, stinkende, an organischem Material unge-
mein reiche Gewässer 1 ), die aus dem Sumpfgebiet des Kir stammen
und in Cairo im Juni erscheinen. Das Hochwasser des Bahr el Azrak
kommt später, es erreicht aber sein Maximum viel früher (26. August)
als dasjenige des trägen Bahr el Abiad (12. September) 2 ). Dieser ist
im. Mittel 1700 bis 3000 m breit, 5 m tief und zeigte im Jahre 1876 einen
Abflufs von 369 cbm im März, 1050 im Juni, 4351 im September, 2720
im December 8 ).
Als Schlufswort einer Arbeit über die Hydrographie des oberen Nil-
Beckens dürfte ein Urteil über dessen Schiffbarkeit am Platz sein.
Während der ägyptischen Okkupation ist dieser Frage, besonders
von Gordon, viel Aufmerksamkeit geschenkt worden. Man konnte
sich überzeugen, dafs nicht die Stromschnellen und Fälle des Bahr
el Djebel, sondern die Sümpfe und die Grasbarren des Kir- Gebiets
die gröfsten Hindernisse für die Schiffahrt darbieten.
Gegen diese Barren wurde zweimal unter Ismail Ejub Pascha (1874)
und unter Gordon Pascha (1880) eine ganze Campagne ausgeführt 4 ).
Mit aufserordentlich grofser Mühe konnte man den Bahr el Gazal und
den Bahr el Djebel frei machen. Ein paar Jahre später hatten sich
alle Grasbarren völlig wiedergebildet 5 ).
Was die Stromschnellen oberhalb von Lado betrifft, so hat Gordon
gezeigt, 6 ) dafs sie kein absolut unüberwindliches Hindernis sind. Das-
selbe kann man nicht von den Murchison-, Karuma- und Ripon-Fällen sagen.
Nach Scott Elliot soll der Kagera bis zu einem 50 Meilen vom
Tanganyika-See entfernten Punkt schiffbar sein 7 ).
Im grofsen und ganzen bietet der obere Nil nur drei ziemlich
lange schiffbare Strecken dar, nämlich von Chartum bis Fashoda
(680 km), von Gaba-Schambe' bis Lado (310 km) und von Dufile bis
Magungo (480 km), obgleich die Schiffahrt bei Wadelai* während der
Trockenheit manchmal gefährlich ist.
l ) Das Wasser des Bahr el Abiad enthielt im Mai 1877 3,315 % organische
Substanzen. (Ch61u, Le Nil, S. 19).
3 ) VentreBey, Bulletin de la Soci6t6 Khediviale de Geographie 1894, No. 1.
3 ) Ch61u, Le Nil, le Soudan, l'Egypte. Paris 1891, S. 17.
4 ) Siehe Junker, Reisen in Afrika II, S. 76, und Mar no, Die Verlegungen
im Bahr el Ghasal und deren Beseitigung im April bis Juni 1880. Peterm. Mitt.
i88i> S. iai — 129.
5 ) Junker, Reisen II, S. 76.
6 ) Bulletin de la Soc. de Geogr. de Paris 1877, S. 207.
7) Scott Elliot, A Naturalist in Mid-Africa, S. 323.
Die Hydrographie des oberen Nil-Beckens. 339
Die grofsen Seen hatte man schon in der Zeit der ägyptischen
Okkupation zu benutzen versucht. Den Albert-See besuchte fast alle
Jahre ein Dampfer.
Dafs die auf einer viel höheren Kulturstufe als Ägypten stehen-
den europäischen Staaten, welche die Ufer des Victoria- Sees jetzt
besitzen, die schöne Wasserstrafse unbenutzt gelassen haben, ist nur
durch zufällige unglückliche Verhältnisse zu erklären 1 ), denn die ägyp-
tischen Dampfer haben in viel baumärmeren Gebieten niemals Mangel
an Brennholz gelitten.
Eine intensivere ökonomische Ausbeutung des Gebiets wird hoffent-
lich Hand in Hand mit einer regeren Forschung gehen. Wie viel inter-
essante Probleme einer Lösung noch harren, haben wir zu zeigen ver-
sucht. Das Studium solcher Verhältnisse, wie die Sedimentation im
Kir-Gebiet, die Seddbildung u. s. w. ist nicht nur von einem lokalen,
sondern von einem allgemeinen geographischen Interesse. So lange
die Mahdisten das Mittelbecken beherrschen, kann man natürlich keine
Nachrichten von diesen interessanten Gebieten erwarten. Wir wollen
aber hoffen, dafs in Deutsch- und Britisch -Ost -Afrika die Regen-
messungen fortgesetzt und ausgedehnt werden, und besonders, dafs
man regelmäfsige Beobachtungen über die Wasserstände des Victoria-
Sees und der beiden Albert -Seen anstellen wird, welche zum Ver-
ständnis der Niveau- und Klima-Schwankungen wertvolle Beiträge liefern
würden.
Die vorliegende, in knappster Weise zusammengefafste Darstellung
erhebt keinen anderen Anspruch, als die Aufmerksamkeit auf die ver-
schiedenen Fragen zu lenken, welche vielleicht noch lange unerledigt
bleiben werden, und einen Anhaltspunkt für weitere Studien zu bilden.
Anhang I.
Bemerkungen zu der oro-hydrographischen Karte.
Folgende Karten und Itinerare sind benutzt worden:
Für Kordofan: Marno, Karte von Kordofan nach den Aufnahmen
der Aegyptischen Expedition unter Kommandant Prouth, und den eige-
nen, i : i ooo ooo in Marno, Reisen in der Aegyptischen Äquatorial-Pro-
vinz und in Kordofan. Wien 1878.
Für Darfur: Mason Bey, Originalkarte von Darfur 1:2500000.
Peterm. Mitt. 1880, Tafel 18. Die Höhenangaben von Nachtigal
(Originalkarte von Wadai und Dar-For 1 14 500000. Peterm. Mitt. 1875,
Tafel 15) sind, soweit es möglich war, benutzt worden. Felkin's
') Allen ist die Geschichte des musglückten Versuches, einen deutschen
Dampfer nach dem Victoria-Nyansa zu transportieren, wohlbekaunt.
340 E. de Martonne:
Itinerar (Originalkarte einer Reiseroute von Ladö bis Dara. Peterm.
Mitt. 1881, Tafel 4, 1:2000000) ist für den südlichen Teil zur Er-
gänzung eingesehen worden.
Für den Lauf des Bahr el Abiad von dem Kir-Gebiet bis Chartum:
Spezi alkarte vom mittleren Ost-Sudan, hauptsächlich auf Grundlage von
E. dePruyssenaere's astronomischen und trigonometrischen Messungen
bearb. von K. Zöppritz 1:1000000. Peterm. Mitt., Ergänzungshefte
50-51, 2 Bl.
Für den Sobat : Der Sobat von der Mündung bis zur Station Nasser,
aufgen. von Dr. W. Junker 1876 1:1200000 in Junker, Reisen in
Afrika I, Tafel 5, S. 269.
Für das Kir-Gebiet: E. Marno's Aufnahme des mittleren Bahr el
Abiad und des Bahr el Seraf, Sept. 1879 bis März 1880. Nach dem
Original -Tagebuch und handschriftlichen Skizzen construirt und auto-
graphirt von Chr. Peip. 1:500000. Peterm. Mitt. 1881, Tafel 20.
Der obere Bahr el Ghasal nach der Aufnahme von F. Lupton-Bey
im Dampfer Talahwim Nov. 1881. 1:500000. Peterm. Mitt. 1883,
S. 34 und E. Marno's Aufnahme des Bahr-el-Ghazal im ägyptischen
Dampfer „Borden", Jan. u. März bis Juni 1880. 1 : 500 000. Peterm.
Mitt. 1882, Taf. 6.
Für das Quellgebiet des Yal: J. M. Schuver's Originalkarte der
Quellgebiete der Flüsse Tumal, Jabus und Jäl. Nach Forschungen in
den Jahren 1881 und 1882. 1:500000. Peterm. Mitt. 1883, Taf. 4.
Für die Gebiete westlich vom Bahr el Djebel: fast ausschliefslich
die musterhafte Originalkarte von Dr. W. Junker' s Forschungen in
Central-Afrika von B. Hassenstein. 1:750000. Peterm. Mitt., Er-
gänzungsh. 92 und 93, 4 Bl. Doch wurden für den östlichen Teil auch
die Originalkarten der Reisen Dr. Emin Bey's (Peterm. Mitt. 1883,
Taf. 8. 1:1 oöo 000 und Tafel 12. 1 : 500 000) benutzt. Die rohe Skizze
der Exploration Nilis et de la Kdthulle (Carte provisoire du
Bassin du Kotto, Bali et Shinko, Mouvement Glographique 1895 No. 24)
bringt nicht viel Neues.
Für die Gebiete östlich des Bahr el Djebel: Originalkarte der
neuesten Routen-Aufnahmen von Dr. Emin-Bey und Mr. F. Lupton
im Gebiete der Bari, Lattuka und Schuli 1880 u. 1881. 1:500000.
Peterm. Mitt. 1882, Taf. 12 und Originalkarte der neuesten Reisen
des Dr. Emin-Bey im Lande der Madi und Schuli 1880 u. 1881, von
B. Hassenstein. 1:500000. Peterm. Mitt. 1882, Taf. 15.
Für den nordwestlichen Teil des Seen-Plateaus: besonders Kiepert's
Übersichtskarte der Expedition des Dr. Emin Pascha 1890—92.
1 : 3 000 000 in Stuhlmann : Mit Emin Pascha ins Herz von Afrika,
Berlin' 1894. Für das Runsoro- und Nkole-Gebiet bleibt selbst nach
Die Hydrographie des oberen Nil-Beckens. 34 \
dem Erscheinen der Karten von Scott El Hot (A Map of a
Part of East Africa. 1 : 2 000 000, und A Sketch map of Ruwenzori.
1:500000) Ravenstein's Karte: Parts of Uganda and neigh-
bouring countries to illustrate the explorations of Captain F. D. Lugard
1891 - 92. 1:1 000 000. Proceed. of the R. Geogr. Society, 1892 Decem-
ber, noch die beste Quelle.
Junker's Reiseroute durch Bunyöro und Buganda, Jan. bis Juli 1886,
(Peterm. Mitt. 1891, Taf. 1. 1 : 500 000) giebt eine für die Höhen Ver-
hältnisse des Zwischensee-Plateaus sehr interessante Serie von Höhen-
messungen. Dazu kommt die neu erschienene Karte von Vandeleur.
(Map of Uganda and Unyoro showing the survey by C. F. S. Vande-
leur 1895. Geogr. Journal IX 1897. April. 1 : 1000 000.)
Die in dem Mouvement Göographique (1897 No. 8) erschienene
Skizze des Kivu-Sees und des Rusisi ist auch berücksichtigt worden.
Für die Gebiete südwestlich vom Victoria-Nyansa : vor allem Kie-
pert undMoisel, Reiseweg des Lieutenants Graf von Götzen 1893 — 94,
1 : 1 250 000, Blatt 2, welche eine leitende Relief-Darstellung giebt. Zur
Ergänzung: das 4 Blatt der musterhaften Originalkarte des nördlichen
Deutsch-Ost-Afrika von Bau mann und Hassenstein. 1:600000.
Peterm. Ergänzungsheft No. in, sowie die Routenskizze des Marsches
durch Karagwe und Mpororo (Expedition Dr. Emin Pascha), aufgen.
von Dr. F. Stuhlmann. 1 : 500 000. (Mitt. aus den Deutschen Schutz-
gebieten 1892, Taf. VIII), und die früher erwähnte Karte von Scott
Elliot, Map of a part of East Africa. 1 : 2000000. Die letzte bringt
nicht viele neue Höhenmessungen, und zwar sind diejenigen, welche
den Kagera betreffen, mit den von Stuhlmann und Baumann ganz in
Widerspruch.
Für die Gebiete südöstlich vom Victoria-Nyansa: fast ausschliesslich
die drei ersten Blätter der Bau mann' sehen Karte. Zur Ergänzung: das
erste Blatt des Reiseweges des Grafen von Götzen und Gregory's Map
illustrating a Journey to Mount Kenya and Lake Baringo. 1 : 1 000 000.
Geogr. Journal 1894, October. (Das grofse Werk von Gregory (The
great Rift Valley, London 1896, mit 2 Karten und drei Kärtchen ist
mir leider unzugänglich geblieben.) Die Höhenangaben der Karte von
Höhnel, welche die Baumann'sche Karte nicht giebt (Original-Routen-
karte von Graf Samuel Teleki, Forschungsreise 1887—88, aufgen. von
L. R. von Höhnel. 1 1750 000, Bl. I und II), sind auch berücksichtigt
worden.
Für die Gebiete nordöstlich vom Victoria-Nyansa hauptsächlich:
Karte der Gebiete von Deutsch- und Britisch-Ost- Afrika zwischen dem
Victoria-Nyansa und dem Kenia. Mit Benutzung der Routen-Aufnahme
Dr. G. A. Fischer's von B. Hassenstein. 1:750000. Peterm. Mitt.
342 E. deMartonne: Die Hydrographie des oberen Nil-Beckens.
1895, Taf. I« Die nicht eingetragenen Höhenmessungen der englisch ei
Eisenbahn-Expedition (Mombasa — Victoria Lake Railway, surveyed n
1892 by Captain Macdonald, Captain Pringle, Lieut. Twining, LietL
Austin, Sergt. Thomas. 1 : 1 000 000. Geogr. Journal 1893, II. August)
haben wir zu benutzen versucht. Für den Elgon-Berg wurde Hobler '5
Map of Mount Masawa (Mount Elgon). 1 : 500 000. Geogr. Joumai
1897, IL February. benutzt.
Für das Rudolf- Seebecken: Das südliche Schoa und die nörd-
lichen Gebiete der Galla und Somäl von B. Hassenstein. 1 : 2 00000a
Peterm. Mitt. 1897, Tafel 2. Zur Ergänzung das dritte Blatt der
Höhnel'schen Karte.
Die Sesse-Inseln sind nach der Originalkarte einer Forschungs-
reise auf den Sesse-Inseln, aufgen. von Pater Brard 1893 (Peterm.
Mitt. 1895, Taf. 11), 1:300000, gezeichnet worden. Ukerewe nach der
Karte von demselben (Peterm. Mitt. 1897, Taf. 7). 1:750000. Natür-
lich haben mir auch sorgfältige Gesamtdarstellungen wie die Karte von
Deutsch Ost-Afrika 1 : 300 000 von Kiepert und Moisel einige Dienste
geleistet.
Aus dieser Aufzählung kann man verstehen, dafs ich ältere Quellen
benutzt habe, nur insofern sie nicht in früheren Karten berücksichtigt
worden waren oder mit neueren guten Quellen in Übereinstimmung
gebracht werden konnten.
Zum Schlufs möchte ich noch darauf hinweisen, dafs man bei der
Herstellung einer hypsometrischen Karte von Afrika durch die rohe
Bearbeitung des Ziffernmaterials zu den schlimmsten Resultaten ge-
führt werden könnte ; nicht nur, weil in den besten Karten grobe Fehler
vorkommen, sondern weil die Reisenden mit Vorliebe die Höhe von
isolierten Gipfeln oder tief eingeschnittenen Thälern bestimmen. Es
mufs eine gewisse Interpretation stattfinden, welche sich auf die Relief-
Darstellung und die Schriftangaben detaillierter Itinerare oder besser
auf die Reisebeschreibungen (wenn der Reisende auf die Bodenplastik
ziemlich aufmerksam geworden ist) stützen kann, immer aber etwas
unsicher sein wird. Aufserdem sind die verschiedenen Serien von Baro-
meter-Ablesungen, welche von verschiedenen Reisen stammen, sehr
selten in Übereinstimmung zu bringen. Wir können nicht weiter dar-
auf eingehen. Aus allem früher Gesagten wollen wir nur das her-
vorheben, dafs man bei solchen Gelegenheiten eine Korrektion von
10 bis 20 m an Höhenangaben ausfuhren kann, um eine wichtige Linie
der Bodenplastik mehr hervortreten zu lassen. Übrigens haben wir
hiervon nur selten Gebrauch gemacht.
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i,81
A. Galle: Dr. A. Pbilippson's barometrische Höhenmessungen. 343
Dr. A. Philippson's barometrische Höhenmessungen
auf den griechischen Inseln des Ägäischen Meeres*).
Berechnet von Dr. A. Galle.
Die Messungen wurden in der Zeit vom Mai bis Juli 1896 mit dem
Aneroid Bohne Nr. n 13 ausgeführt, welches Dr. Philippson bereits auf
seinen Reisen nach dem Peloponnes 1887 — 1888 und 1889 (vergl. Zeit-
schr. 1889, S. 331) verwendet und Dr. von Drygalski 1892 — 1893 auf seine
Expedition nach Grönland mitgenommen hatte. Es ist im Anfang
1892 repariert und bald darauf, sowie im Februar 1894, von der Physi-
kalisch-Technischen Reichsanstalt untersucht worden. Auch hat Dr. von
Drygalski viele Vergleichungen mit Quecksilber - Barometern vorge-
nommen. Die Stand - Korrektionen des bei der grönländischen Ex-
pedition übrigens nicht in erster Linie benützten Instruments waren
bedeutend angewachsen, und es ist eine nochmalige Reparatur und
neuerdings eine weitere Prüfung durch die Reichsanstalt im März 1896
ausgeführt worden. Da eine Übereinstimmung im Gange der jetzt
wieder verkleinerten Stand-Korrektionen mit den früheren nicht vor-
handen ist, war ich genötigt, mich auf die letzten Prüfungsergebnisse
zu beschränken. Es hat sich bei dieser Prüfung und ebenso bei der
Berechnung der Höhenmessungen gezeigt, dafs trotz der vor nicht
langer Zeit vorgenommenen Instandsetzung das Instrument, wahr-
scheinlich in Folge von Unreinheit, eine geringere Zuverlässigkeit als
früher besitzt, worauf die Reichsanstalt durch die folgende Bemerkung
hinweist: „Gröfsere Schwankungen in den Angaben des Aneroids,
welche sich bei den Beobachtungen im Verlaufe der Prüfung und bei
der Bestimmung der (übrigens sehr geringen) Temperaturkorrektion
mehrfach zeigten, lassen vermuten, dafs das Instrument unrein geworden
ist und einer Instandsetzung bedarf." Obgleich sich eine elastische
Nachwirkung bei der Prüfung dadurch zeigte, dafs die Korrektion sich
nach längerer Ruhe änderte, so reichte doch das Material nicht aus,
ihren numerischen Betrag daraus abzuleiten, und da aufserdem bei der
Kleinheit des Unterschiedes zwischen den bei abnehmendem und zu-
nehmendem Druck erhaltenen Resultaten, wie aus der obigen Be-
merkung bereits hervorgeht, einige Unsicherheit im Gange der
Korrektionen bestehen bleibt, so schien es mir gerechtfertigt, von
etwa 40 zu 40 mm fortschreitend Mittelwerte anzunehmen.
*) Siehe auch Verhandlungen d. Ges. f. Erdkunde zu Berlin, 1897, s - t^S.
344 A. Galle:
Eine Prüfung, ob die mit diesen Korrektionen berechneten Baro-
meterstände befriedigende Resultate liefern, versuchte ich zu nachr.
durch die zahlreichen im Meeresniveau angestellten Messungen n
erlangen, die im Mittel eine geringe positive Höhe ergaben, während
sich die Unsicherheit der einzelnen Bestimmung auf etwa zb hl
stellte. Sodann waren an 6 Punkten auch noch zwei mitgefühlte
Siede-Thermometer: Fuess Nr. 165 und Nr, 170, die der Gesellschaft
fttr Erdkunde gehören, abgelesen worden. Der Umstand, dafs ihre
gegenwärtigen Korrektionen nicht bekannt sind und die Ablesung
ebenfalls nahe der Meeresküste erfolgte, liefs nur den Schlufs zu, dafs
systematisch fortschreitende Abweichungen nicht vorhanden waren.
Eine in der Mitte der Reise vorgenommene Vergleichung mit einem
Quecksilber-Barometer ergab eine Korrektion von -+- 0,25 mm. D*
vereinzelte Male gleichzeitig abgelesene Aneroid Bohne Nr. 165c
welches auf der Reise nach Nord- und Mittel-Griechenland verwendet
worden war (vergl. Zeitschr., 1894, S. 261) und seitdem keiner
erneuten Prüfung unterworfen worden ist, wurde nicht weiter berück-
sichtigt.
Einen weiteren Anhalt ergaben noch die mehrmaligen Messungen
an denselben Stationen, bei denen ein Einflufs der Druckänderung im
Sinne des Fallens oder Steigens sich nicht gezeigt hat. Dagegen er-
reichten die Abweichungen der Werte untereinander, die von der
Standkorrektion naturgemäfs fast unabhängig sind, bisweilen gröfsere
Beträge, die also, da auch keine zeitliche Änderung sich darin aus-
spricht, einer nicht wohl in Rechnung zu ziehenden Unzuverlässigkei:
des Instruments zuzuschreiben sind, soweit nicht die Fehler der
Barometerstände im Meeresniveau die Schuld tragen. Aus der Gesamt-
heit dieser 50 Ablesungen an 13 Stationen wurde als mittlerer Fehler
Höhenbestimmung l/— = db 10,5 m gefunden, also sehr nahe
V 37
übereinstimmend mit der aus den Messungen im Meeresniveau ge-
fundenen Unsicherheit.
Für Mai und Juni lagen die Barometer- und Thermometer-Ab-
lesungen aus Athen und Thera vor, für Juli aus Athen und Volo. Auf
den beiden letztgenannten Stationen sind zu drei Tageszeiten Be-
obachtungen angestellt, in Thera nur morgens.
Ebenso wie die Reichsanstalt, mit deutlicher Hervorhebung in
ihren neueren Prüfungsbescheinigungen, die Reduktionen der Aneroide
auf ein Quecksilber-Barometer angiebt, das auf o° Temperatur und
die Schwere im Meeresspiegel unter 45° Breite bezogen ist, habe ich die
bereits auf o° und das Meeresniveau reduzierten Barometerstände der Ver-
gleichsstationen noch auf 45 ° Breite bezogen und für die einzelnen Inseln
einer
A^^^^lk
Dr. A. Philippson's barometrische Höhenmessungen. 345
iliren Entfernungen von den in Betracht kommenden beiden meteorolo-
gischen Stationen entsprechend interpoliert. Für Mai und Juni waren
vorher die ziemlich regelmäfsig verlaufenden Differenzen zwischen den
^Morgenbeobachtungen in Athen und Thera zur Ableitung der Barometer-
stände in Thera für die Beobachtungszeiten verwendet worden. Da keine
synoptischen Karten vorlagen, so war das einfache Interpolationsverfahren
^wohl allein möglich. Auch die Temperaturen habe ich ebenso be-
handelt, obgleich .hier der Inselstation Thera wegen der im Archipel
zu dieser Jahreszeit niedrigeren Temperatur ein gröfseres Gewicht
hätte zugeteilt werden müssen. Indes wäre dieses kompliziertere Ver-
fahren ohne erheblichen Einfiufs auf die Resultate geblieben, da auf
volle Temperaturgrade abgerundet wurde.
Im übrigen ist bezüglich der Rechnung, die wieder mit Hilfe der
Jordan'sche Tafel ausgeführt, aber auf die Breite von Athen bezogen
wurde, auf die früheren Berechnungen von Dr. Philippson's Höhen-
messungen (Zeitschrift, 1889 11. 1894) zu verweisen. Da das Aneroid
bei dieser über zahlreiche Inseln ausgedehnten Reise sehr häufig auch
im Meereshorizont abgelesen wurde, so ist durch die Einschaltung der
Höhenstationen zwischen je zwei auf einander folgende Küstenstationen
etwaigen kürzere Zeit andauernden Veränderungen der Standkorrektion
Rechnung getragen.
Die Resultate sind für die einzelnen Inseln von Dr. Philippson
zusammengestellt worden. Die Höhenangaben sind in Metern zu ver-
stehen. Bei denjenigen Punkten, wo Angaben der Britischen Seekarte
vorhanden sind, wurden diese nicht sehr zuverlässigen Werte in Meter
umgerechnet hinzugefügt.
Insel Andros.
m na
Pafshöhe zwischen Gävrion Pafshöhe H. Ufas 642
und Phellös in Kryone'ri (Quelle am Pe'talo) 775
Kirche von Phell6s 159 Pafshöhe Pe'talo 965
Pafshöhe zwischen Phellös Zweiter Bergrücken am Pdtalo 936
und Kaliväri 306 Pafshöhe zwischen Stadt An-
Kaliväri 285 dros und Korthf 474
Rücken nördlich von Kali- Pafshöhe zwischen Korthf und
väri 321 dem Kloster 645
Bach oberhalb Varfdi 124 Pafshöhe zwischen Stadt An-
Megalochoriö, oberer Teil 425 dros und Palaeöpolis 569
Insel Tinos.
Sattel H. Marfna 203 Ano Maria 2^
Pafshöhe bei Hyst^rnia 343 Kelliä 66
346 A - Galle:
m b
do. do. Britische Karte 361 Exöburgo 553
Pyrgos 116 Stenf 40:
Insel Syros.
H. Paraskevf 255 Joch zwischen Pyrgos und
Pyrgos, höchster Gipfel der Käppari 31S
Insel 451 Wasserscheide auf dem Wege
do. do. Britische Karte 431 von der Stadt nach della
Grazia 1 u
Insel Klos (Kea, Tziä).
Stadt, Haus Hieromnfmona, Thalwasserscheide am Ur-
1. Stock 306 sprung des Spathf 446
Stadt, Oberes Ende 381 Prophft-Ilf as l ) 56c
Pafshöhe zwischen Stadt und do. Britische Karte 56$
Kastrf 334 Bergrücken südlich von Sasträ 534
Höhe über Kastrf 315 H. Simeön 445
Kälamos 67 Chavunä 323
Pafshöhe zwischen Stadt und H. Theödoros 421
dem Prophft-Ilfas 472 Kloster H. Marina (antiker
Turm) 18$
Insel Kythnos (Thermia).
Kloster H. Geörgios 219 Prophit-Ilfas 326
do. Britische Karte 201 do. Britische Karte 213*
Hevraeökastro, etwa 20m unter Silläkka jqo
dem Gipfel 134 Höhe südlich Silläkka 306
Chöra 160 Kloster Stratolätissa 240
Insel Paros.
Eingang der alten unterirdi- Prophft-Ilfas, höchster Gipfel
sehen Marmorbrüche 182 der Insel, Britische Karte 771
Kloster Psachnä 366 Tsipfdi 29
Joch westlich vom Prophft-Ilfas 626 Pafshöhe zwischen Naüsa und
Prophft-Ilfas, höchster Gipfel Parikiä 109
der Insel 750
Insel Antiparos.
Eingang der Höhle 177 Joch auf dem Bergrücken west-
lich der Höhle 225
!) Der Berg H. Pantaleimon scheint noch etwas höher als der Prophit-
Ilfas zu sein. Ph.
2 ) Diese Angabe der Seekarte ist viel zu niedrig, meine Messung in diesem
Falle richtiger. — Der höchste Gipfel der Insel scheint der von mir nicht be-
stiegene Kakävolos zu sein, etwa 20 m höher als der Prophft-Ilias. Ph.
Dr. A. Philippson's barometrische H oben m essungen.
347
Insel Näxos.
^afshöhe auf dem Weg von
der Stadt nach Kynfdaros 402
eCynfdaros 390
Pafshöhe oberhalb Keramotf 662
Höchste Stelle des Weges nach
Komiakf 883
Klomiaki 567
Pafshöhe zwischen Komiakf
und yöthri 646
Vöthri 542
Apfranthos 601
H. Joännis 637
Oziä, höchster Gipfel der Insel 1004
do. do. Britische Karte 1003
Joch H. Marfna bei Philöti 595
Philöti, Platz 380
Joch bei Palae6kastro 332
Stadt, Haus Lorentziädis
Pafshöhe H. Dimftrios
Pafshöhe Vunf
Psaröpyrgos
Pyrgos, höchster Gipfel
Insel
270
358
278
Stadt, Bürgermeisteramt
Tziküra
Karpasäs
Höchster Punkt des den öst-
lichen Teil der Insel durch-
ziehenden Weges 352
Insel los (Niö).
107 Pyrgos, höchster Gipfel der
267 Insel, Britische Karte 735
388 Rücken des Gebirges, wo der
84 Abstieg nach Kälamos be-
der ginnt 564
717 H. Joännis Kälamos 236
Insel Sikinos.
Episkopf 333
H. Marfna 451
Hypsilö Petäli, etwa 20 m unter
dem Gipfel 423
Pafshöhe auf dem höchsten
Rücken der Insel 529 l )
Insel Phollgandros (Polykandro).
Stadt, Haus des Bürgermeisters
de Cavalla 208
Schmälste Stelle der Insel 136
Merovfgli, Gipfel, visiert durch
Horizontglas 314
do. do. Britische Karte 312
Insel Anaphi.
Stadt, Polizei-Kaserne
„ Kästro
H. Elevthenos, höchster Gipfel
der Insel 4 11
do. do. Britische Karte 415
Palaeökastro 363
Chöra
212 Vfgla, höchster Gipfel der Insel 584
256 Windmühle beim Kloster 107
Insel Amorgös.
301 Joch auf dem Wege nach Gialf 397
Wasserscheide bei der Chöra 321 Exomeriä
271
!) Der höchste Gipfel der Insel liegt etwas südostlich von diesem Punkt und
dürfte etwa 600 m hoch sein. Ph.
348 A. Galle: Dr. A. Philippson's barometrische Höhenmesstrogen.
m ■
Prophft-Ilfas, etwa ioom unter Langäda 2:-
dem Gipfel 586 Vürtsi, westliche Windmühle ik
Insel Sköpelos.
Pafshöhe bei Staphylo 75 Gipfel nördlich von Glössa 35:
Pafshöhe zwischen Agnöntas Glössa r?-
und der Stadt 194 Psilö, höchster Gipfel der
Pafshöhe zwischen der Stadt Insel 6S ;
und Pänormos 228 do. do. Britische Karte 655
Intel Halönisos (Chiliodrömia).
Dorf, Windmühle 190 Beginn des Abstieges nach H.
Dimftrios j:S
Insel Kyra Panagiä (auf den Karten fälschlich Pelagonfsi).
Nissätika, Gipfel mit trigono- Kloster 55
metrischem Signal 1 ) 349
do. do. Britische Karte 317
Insel Oiüra.
Kloster 113
Insel Skiathos.
Gipfel Karaphitzanelka 421 Höhe zwischen H. Charälampos
Gipfel Skia, der höchste der und der Stadt ca
Insel 435 Pafshöhe hinter H. Antonios iS;
Pafshöhe zwischen Palaeö- Pafshöhe hinter H. Joannis 241
kastro und H. Charälampos 355 Thalwasserscheide im west-
lichen Teil der Insel 8:
Insel Skyros.
Stadt, Haus im unteren Teil 82 Könchilas, höchster Gipfel der
„ Kästro, Dach der „Phy- Insel 814
lakf" 179 do. do. Britische Karte 782
Katünaes Trachy 171 Joch nördlich des Daphnl 455
Joch bei den Chromitgruben 292 Mandrf Salamä 440
Hypsilä Rhächi 352 Antiker Steinbruch „stas Le-
Hochebene Kanele*tto 544 känaes" 26;
l ) Im nordwestlichen Teil der Insel scheint ein Gipfel noch etwa 30 a
höher zu sein. Ph.
. i^ai— ■— w mi
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Ab
Lact
lelle
►£oJ
j /eoti
Verlag von W.H.KUhl, Berlin W. 8.. JftgBrstrasse 73.
Beteutenie Preteherabsetenng iBr nachfolgende Werke:
Die Entdeckung Amerikas
in ihrer Bedeutung -
für die Geschichte des Weltbildes
von
Konrad Kretschmer.
Festschrift
der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin
zur
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Text in Klein folio mit 47 t -h XXIII Seiten.
Atlas in Grossfolio mit 40 Tafeln in Farbendruck.
Preis beider Bände in Prachtband M. 45. — (statt m. 75.-)
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VON
GERHARD MERCATOR
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nach den Originalen der Stadtbibliothek zu Breslau.
Herausgegeben
von der
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(statt 60 M.) 30 M.
Mitglieder der Gesellschaft für Erdkunde erhalten bei Bestellung an das General«
Sekretariat obengenannte Werke zu besonderen Vorzugspreisen.
$ Verlag von Dietrich Reimer in Berlin
JJ (Ernst Vohsen).
1 *
<Ä Soeben ist erschienen:
J Verhandlungen
des
i Zwölften Deutschen Geographentages
5 zu Jena
J am 2i., 22. und 23. April 1897.
^ Herausgegeben
JJ von dem ständigen Geschäftsführer des Centralausschusses
^ des Deutschen Geographentages
| GEORG KOLLM,
^x Hauptmann a. D.
<Ä> Mit sechs Tafeln,
«fr
.* Preis geheftet 6 Mark.
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J Berlin, im Dezember 1897.
Wir versenden gratis und franco an Interessenten
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No. 88: französ. Belletristik, No. 89: englische Belletristik,
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v. Zahn & Jaensch,
Antiquariat, Dresden, Schlofs-Str. 24.
Grosses Lag-er von Städteansichten älterer Zeit
* Für die Redaktion verantwortlich: Hauptmann a. D. Kollm in Charlottenburg.
Selbstverlag der Gesellschaft für Erdkunde. Druck von W. Pormett« in Berlin
AUG 2 91929
:-d
ZEITSCHRIFT
iA,4tl
DER
GESELLSCHAFT FÜR EROKUNDE
ZU BERLIN.
Band XXXII - 1897 — No. 6.
Herausgegeben im Auftrag des Vorstandes
von dem Generalsekretär der Gesellschaft
Georg Kollm,
Hauptmann a. D.
Inhalt.
Seite
Begleitworte zur Karte des Östlichen Teils der Insel Neu -Pommern von
Frhr. von Schleinitz. (Hierzu Tafel ii.) 349
Reise im Gebiet des oberen Amazonas. Von Dr. A. Rimbach. (Hierzu
Tafel ti.) . 360
Tafel 11 : östlicher Teil von Neu - Pommern. Aufgenommen von Frhr. von Schleinitz.
Mafsstab z : 500 000.
Tafel 12 : Skizze der Flufs - Systeme des Santiago, Morona, Pastaza, Chambira und Tigre.
Entworfen von Dr. A. Rimbach. Mafsstab 1:3000000.
LONDON E. C.
SAMPSON LOW & Co.
Fleet-Street.
BERLIN, w.8.
W. H. KÜHL.
1897.
PARIS.
H. LE SOUDIER.
174 & 176. Boul. St. Germain.
Veröffentlichungen der Gesellschaft im Jahr 1898.
Zeitschrift der Geaellschaft für Erdkunde zu Berlin, Jahr-
gang 1898 - Band XXXIII (6 Hefte),
Verhandlungen der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin.
Jahrgang 1898 — Band XXV (10 Hefte).
Preis im Buchhandel für beide: 15 M., Zeitschrift allein: 12 M„ Ver-
handlungen allein: 6 M.
Beiträge zur Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde werden mit
50 Mark für den Druckbogen bezahlt, Original-Karten gleich einem Druckbogen
berechnet.
Die Gesellschaft liefert keine Sonderabzüge; es steht jedoch den Verfassen
frei, solche nach Übereinkunft mit der Redaktion auf eigene Kosten anfertigen
zu lassen.
Alle für die Gesellschaft und die Redaktion der Zeitschrift unc
Verhandlungen bestimmten Sendungen — ausgenommen Geldsendungen
— sind unter Weglassung jeglicher persönlichen Adresse an die.
„Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin SW. 12, Zimmerstr. 90",
Geldsendungen an den Schatzmeister der Gesellschaft, Herrn
Geh. Rechnungsrat Btttow, Berlin SW. Zimmert.tr. 90, zu richten.
Die Geschäftsräume der Gesellschaft — Zimmerstralse 90. II — sind,
mit Ausnahme der Sonn- und Feiertage, täglich von 9 — 12 Uhr Vorm. und voe
4 — 8 Uhr Nachm. geöffnet.
Soeben ist im Verlag VOn W. H. Kühl, Berlin W. 8, erschienen: >
Grönland - Expedition
*
der X
Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin >
1891— 1893. *
*
Unter Leitung >
Erich von Drygalski. J
>
Herausgegeben von der >
Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. i
*
Zwei Bände, grofs 8°, mit 85 Abbildungen im Text, 53 Tafeln und 10 Karten. ♦
Preis für beide Bände geh. 45 M. >
— >
*b Vorzugspreis für Mitglieder der Gesellschaft für Erdkunde bei Bestellung an das >
J? General-Sekretariat. *
Begleitworte zur Karte des östlichen Teils der Insel
Neu -Pommern.
Von Frhr. von Schleinitz.
(Hierzu Tafel n.)
I. Nordküste.
Die Nordküste des östlichen Teils der Insel Neu-Pommern wurde
auf einer Fahrt von Finschhafen nach der Blanche-Bai mit dem Dampfer
„Isabel" der Neu -Guinea-Kompagnie im September 1887 aufgenommen,
bei welcher vorher festgestellt worden war, dafs die auf ungefähr dem
150. Längengrad gelegenen, weit nach Norden ausspringenden Landes-
teile, die bisher als Raoul-, Willaumez- u. s. w. Inseln in den Karten
erschienen, in Wirklichkeit eine starkgegliederte, vulkanische Halb-
insel bilden.
Die von mir aufgenommenen Teile der Küste sind in die Karte
mit fortlaufender, die nicht von mir selbst festgelegten oder nur un-
genau bestimmten mit durchbrochener Linie eingetragen.
Sobald man die nördlichste Spitze der vorerwähnten Halbinsel, das
Kap Hollmann, rundet, fallt neben der kleinen gewölbten Fitz-Insel
eine Gruppe prächtiger Kegelberge im Südosten in die Augen. Zwei
dieser Kegel nehmen sich von hier wie ganz ähnliche, sich aus ein
und derselben Basis erhebende Zwillingsberge aus und sind daher in
den bisherigen Karten als Zweispitzen-Berg bezeichnet worden. In
Wirklichkeit liegt der eine gröfsere, etwa 1000 m hohe Kegel, der
Berg Engler, einige Meilen südlicher als der andere und steht gar nicht
in Verbindung mit ihm. Letzterer, die Berggruppe Credner, ist nie-
driger und besteht aus einem grofsen und einem aus weiterer Ferne
kaum sichtbaren kleinen Kegel. Von ihr erstreckt sich eine 50 bis
100 m hohe Terrainfalte stidwestwärts.
Die grofse Stettiner Bai, welche zwischen diesen Bergen und der
Admiral-Halbinsel liegt, wird ganz von bergigem Lande eingeschlossen
weist jedoch überall aufser im Westen ein mehrere Seemeilen breites
ebenes Vorland auf, das sich um die erwähnte Berggruppe herum
weiter nach dem Innern erstreckt. Namentlich besitzt die Ebene,
welche irr die Kaps Mc. Cullock und Hoskins ausläuft und aus welcher
Zeitschr. d. Ges. f. Erdk. Bd. XXXII. 1897. 25
350 Frhr. von Schleinit«:
sich der, einen sehr regelmäfsigen Kegel bildende, etwa sechs See-
meilenwestlich von der Credner-Gruppe gelegene BergAuwers erhebt, eine
grofse Ausdehnung. Hinter diesen vulkanischen Bergen und dem an-
scheinend einer älteren geologischen Formation angehörenden Berg-
zuge, welcher die Stettiner Bai im Süden begrenzt, ist in Entfernung
von etwa 20 Seemeilen ein höherer Bergrücken sichtbar, dem in süd-
östlicher Richtung ein steiles Hörn aufgesetzt ist und der, in ost-
nordöstlicher Richtung ganz allmählich abflachend, mit einem flach-
kuppigen Berge abschliefst.
Wie fast tiberall in Neu-Pommern sind Berge und Vorland, welches
hier von mehreren Wasserläufen durchfurcht wird, dicht bewaldet. Im
Süden der Du Faure-Insel bei einem Bach landend, fand ich wohl-
betretene Eingeborenenpfade und bemerkte im Dickicht auch Eingeborene,
die aber sofort verschwanden. Vermutlich waren wir die ersten Euro-
päer in dieser Gegend, wodurch sich ihre Scheu erklärt. Die Strafse
zwischen der Du Faure-Insel und dem Lande ist riffrein, schien aber
nicht besonders tief zu sein; kleinere Fahrzeuge werden im Schutz
der Insel ankern können, doch liegen eine ganze Anzahl gefahrlicher
Riffe ein bis zwei Seemeilen nordwärts der Insel, auf deren einem die
„Isabel" fest kam, und desgleichen etwa fünf Seemeilen nordöstlich.
Sonst scheint die Stettiner Bai, abgesehen von den südwärts der
Fitz-Insel, nicht fern der Küste gelegenen, ziemlich ausgedehnten
Riffen und einer Stelle zwischen Fitz- und Jenkins-Insel, wo das
Wasser unrein aussah, der Navigierung Gefahren nicht entgegen-
zustellen.
Wir nahmen unseren Kurs von der Du Faure-Insel parallel mit
der Küste, in etwa vier Seemeilen Entfernung von derselben, auf die
Jenkins-Insel zu, die wir im Süden auf t Seemeilen Entfernung
passierten.
Die Kaps Mc. Cullock und Hoskins sind flach auslaufende Spitzen
des ebenen Landes; auch weiter östlich, also südlich von der Commodore-
Bai, wo die Bergzüge weit zurücktreten, ist ausgedehntes Flachland.
Aus der Gegend bei der Jenkins-Insel konnte ich in südlicher Rich-
tung gebirgiges Land überhaupt nicht sehen, sodafs ich den Eindruck
gewann, als erstrecke sich das flache Land hier bis in die Nähe der
Südküste von Neu-Pommern. Aus dieser Ebene erhebt sich dann aber
nordostwärts, in sehr flacher Böschung ansteigend, ein Gebirgszug,
dessen obere Teile in Wolken gehüllt waren, und an dessen westlichem
Fufs sich die weiter nördlich gelegenen, später zu erwähnenden mäch-
tigen Vulkane auftürmen.
Auf die Commodore-Bai zu, deren westliche Huk flach ist, während
die östliche, die Huk Reibnitz, einen Hügel hat und aus der Ferne
Begleitworte zur Karte des östliche? Teils der Insel Neu-Pommern. 351
inselartig aussieht, sowie im Eingang der Bai selbst konnten vom Top
des Mastes Riffe nicht gesehen werden. Vermutlich bietet die letztere
gute Ankerplätze, und im Hinblick auf das ausgedehnte flache Land
in ihrer Umgebung wäre eine eingehendere Untersuchung der grofsen
Bai, zu der es mir leider an Zeit fehlte, sehr erwünscht.
Die Insel Jenkins sieht aus der Ferne wie zwei Inseln aus; erst
ganz in der Nähe erkennt man, dafs ein niedriger Sandstreifen die
beiden zuerst sichtbaren kleinen Kuppen verbindet.
Leider war die Witterung vorübergehend trübe geworden, sodafs
die östlich der Reibnitz-Huk gelegenen Inseln Mc. Donald, Vesey u. s. w.
nur schwer zu erkennen waren und nicht genauer bestimmt werden
konnten. Östlich der Inseln markierte sich aber scharf eine insel-
artig hervortretende Huk, bei der ein Flufs zu münden schien und von
der nördlich eine das dortige Küstengebiet zerreifsende tiefe Schlucht
sichtbar wurde. Milchiges Wasser, auf welches wir etwa zehn See-
meilen von Jenkins-Insel stiefsen, läfst auf das Vorhandensein eines
gröfseren Stromes in dieser Gegend schliefsen, der vermutlich die
Schlucht durchströmt.
Gleich nördlich von dieser Schlucht tritt eine neue grofsartige Vulkan-
gruppe in die Erscheinung, von der die mittleren Berge als aktive
Vulkane und als die höchsten Berge der Insel Neu-Pommern seit lange
bekannt sind. Die Gruppe besteht aus vier sehr ähnlichen imposanten
Kegeln, nämlich, von Norden beginnend, aus dem Krater der Insel Du-
portail, dem südöstlich gegenüber, nur durch die Expectation-Strafse
getrennt, der Vater liegt, und südwestlich von diesem der Süd-Sohn
und der Berg Richthofen. Ihnen gesellt sich, fast in einer Richtung
mit den letztgenannten Bergen nordwärts vom Vater liegend, der Nord-
Sohn, der in der äufseren Erscheinung von ihnen indes abweicht.
Vater ist der höchste Berg der Gruppe, etwa 1200 m hoch, Nord-Sohn
der niedrigste. Der Richthofen erhebt sich aus einem Hochplateau,
während die anderen mit sanfter Böschung vom Ufer sehr allmählich
aufsteigen. Der Vater scheint einen sehr grofsen Kraterkessel zu be-
sitzen, da seine obere Spitze als die höchste Erhebung der westlichen
Kraterwand und die auf etwa \ der Höhe aufsitzende zweite Spitze
als die Südwand des nach dem Innern der Insel (ostwärts) wahr-
scheinlich offenen Kraters aufzufassen sein wird. Die beiden Spitzen
des Vulkans auf Duportail bilden ebenfalls die Süd- und Westwand
eines mächtigen, nach Norden offenen Kraters, wie nach dem Passieren
der Insel aus nördlicher Richtung zu erkennen war.
Wie gewöhnlich in der Nähe grofser Vulkane, haben sich hier noch
einige kleinere Kraterkegel gebildet, so an der Westspitze von Du-
portail, nordwestlich und nordöstlich vom Nord-Sohn, südwestlich vom
25*
352 Frhr. von Schleinitz:
Richthofen, also an den Extremitäten der Gruppe, während die Mitte
(Vater und Süd-Sohn) frei davon ist. Beim Passieren der Berge stiefs
der Süd-Sohn Dampfwolken aus, und nicht weit von seinem Gipfel
schien ein Bach niederzurieseln, während bei dem sonst als aktiv be-
zeichneten Vater Anzeichen dessen fehlten. Der Vater bildet ein aus-
gezeichnetes Orientierungsobjekt für die Navigierung in diesen Ge-
wässern; bei einer Fahrt aus nördlicher Bichtung nach der Blanche-
Bai wurde er auf eine Entfernung von über 85 Seemeilen von mir
gesichtet.
Die sanft zu den Bergen ansteigende Ebene im Westen der Gruppe
macht einen einladenden Eindruck. Da der Boden jedenfalls aus vul-
kanischen Verwitterungsprodukten und Aschen besteht, wäre sie für
jedwede Pflanzungen, namentlich auch für die Kaffeekultur geeignet.
An den Abhängen des Richthofen und des Süd-Sohn schienen Cedern
zu wachsen, tiefer unten deuteten Kasuarinen Flufsmündungen an.
Man kann im OSO vom Süd-Sohn hinter den dort 1 bis i£ See-
meilen vom Strande abgelegenen Riffen, welche zwischen sich Passagen
lassen, auf 11 bis 14 m Wassertiefe ankern. Sicherlich befinden sich
auch in den Buchten südlich der Huk Deschamps und unter der Süd-
küste von Duportail gute Ankerplätze. Die May-Insel zeigt, von Süden
gesehen, zwei Kuppen und ist mittelhoch, Anne-Insel dagegen ist ein
kleines flaches, Close-Insel ein höheres Inselchen mit Steilrändern.
Die Expectation-Strafse besitzt, namentlich in ihrem nördlichen
Zugang, sowie zwischen Nord-Sohn und Duportail, auch südlich von der
Close-Insel einige Riffe, ist aber mit einiger Vorsicht bei Tageslicht
unschwer zu passieren. Man geht frei von den Riffen, wenn man die
einen kraterartigen Hügel tragende Huk Deschamps in NO J O bringt
und dieselbe, etwas frei an Steuerbord haltend, sobald man sie in 2 bis
i\ Seemeilen Entfernung quer ab hat, mit nördlichem Kurs zwischen
den hier dichter gelagerten Riffen hindurchsteuert.
Die in den bisherigen Karten nördlich vom Nord-Sohn eingetragene
Heath- oder Ledanseur-Insel habe ich nicht entdecken können ; sie
wird nicht existieren, es sei denn, dafs der von mir in die Karte ein-
getragene nördliche Landvorsprung durch einen schmalen, beim
Passieren durch die Strafse nicht sichtbaren Kanal vom Lande getrennt
ist, was ich aber für wenig wahrscheinlich halte.
Schon halbwegs zwischen Jenkins-Insel und der Expectation-Strafse
erblickt man über die Westspitze von Duportail hinweg in nordöst-
licher Richtung scheinbar ein Kap, das man geneigt ist, für Kap Sulla
zu halten. Indes ist es der Abfall der Bergkette Studer. Das Kap
selbst kommt erst bei dem Nordausgang der Strafse in N \ O in Sicht.
Die Meeresstrecke bis in die Nähe desselben ist frei von Riffen, nur
Begleitworte zur Karte des östlichen Teils der Insel Neu- Pommern. 353
sine trockene Sandbank mit entlaubten Baumstämmen wird bei den
vor dem nördlichen Ausgang der Expectation-Strafse gelegenen Riffen
in NOzO etwa fünf Seemeilen ab sichtbar. Von der östlich gelegenen
Küste der Gazelle-Halbinsel blieben wir zu weit ab, um sie genauer zu
bestimmen ; nur einige Huken konnten gepeilt werden und schienen in
ihrer Lage mit denen der älteren Karten ziemlich zu stimmen.
In südöstlicher Richtung (Hintergrund der Hixon-Bai) erstreckt sich
nach Süden hohes, jedoch ziemlich ebenes Land, das nach der Gazelle-
Halbinsel in ziemlich steiler Böschung zu einem sanft gewellten, nur
ioo bis 200 m hohem Gelände abfallt, welches allem Anschein nach bis
zur südlichen Küste reicht. Weiter nördlich geht es wieder in höheres
Gebirge über, dessen oberer Teil in Wolken gehüllt war.
Die Westspitze der Gazelle - Halbinsel besteht aus schroffen,
kuppigen Bergen und ist von tiefen Schluchten durchfurcht, die nach
der Westküste auslaufen, woselbst die ihnen entströmenden Wasser-
läufe niedrige Huken gebildet haben. Die äufserste Westspitze, Kap
Sulla, und die nördlich und südlich von diesem zunächst gelegenen
Huken sind dagegen hoch und steil.
Auf vielen Bergrücken sieht man Pflanzungen der Eingeborenen,
auf andern sind die Wälder gerodet behufs Anlage von Pflanzungen.
Ein nahe der Küste gelegenes Barriere-Riff begleitet diese südlich von
Kap Sulla. Wir fuhren, nachdem es mit vieler Mühe gelungen war,
innerhalb dieses Riffes zu kommen, in wenigen hundert Meter von der
Küste entlang, kamen dabei aber über einzelne flache Stellen, sodafs
die Fahrt aufserhalb des Barriere-Riffes vorzuziehen ist. Die Strecke
von Kap Sulla bis Kap Lambert erschien bis nach den über Wasser
befindlichen Norton-Sandbänken riffrein. Diese Bänke peilen vom Kap
Sulla W t N und NW zW|W, wonach sie in die Karte eingetragen
sind. In der Richtung SSWJW von der nordwestlichen Scilly-Insel (a),
etwa eine Seemeile von Kap Lambert, liegt eine weitere kleine Sand-
bank über Wasser von Riffen umgeben, und nordöstlich vom Kap Lambert
liegen ganz in seiner Nähe ebenfalls Riffe, von denen man gut thut,
nördlich zu passieren. Die Fahrt ist dann, dicht unter den Huken
entlang gehend, zunächst riffrein; in der Gegend der Huk Schroeder
folgen aber die Riffe so dicht auf einander, dafs man nur mit An-
wendung grofser Vorsicht und mit ganz langsamer Fahrt sich hindurch-
zuwinden vermag.
Sowohl westlich wie östlich der einen steilen, durch niedriges Land
mit dem Festland in Verbindung stehenden, Hügel tragenden Huk
Köster, befinden sich hübsche kleine, aber tiefe Buchten, die zum
Ankern geeignet sind, obwohl sie nicht ganz rein von Riffen sind.
Hier wurde vor zehn Jahren der Händler Waidland von den Eingeborenen
354 Frhr. von SchleiniU:
ermordet und zur Bestrafung von dem Dampfer „Isabel" aus auf die-
selben gefeuert. Wir ankerten flir die Nacht im Eingang der zweiten
Bucht auf 24 m Wassertiefe und lagen dort gut geschützt. Auch die
diese Bucht im Osten begrenzende Huk trägt einen ziemlich steilen Hügel.
Die Scilly-Inseln sind mittelhoch; ihre teilweise schroffen Konturen
lassen annehmen, dafs sie aus Korallenkalk bestehen. Da ich die ein-
zelnen Inseln von zwei Seiten peilen konnte, darf ihre Lage, wie sie
in die Karte eingetragen ist, als ziemlich genau angesehen werden.
Die beigesetzten Buchstaben beziehen sich auf die gleichen Buchstaben
in der Vertonnung.
Südöstlich von der Inselgruppe, den Fahrkanal zwischen ihr und dem
Festlande einengend, erstreckt sich ein langes, aber gut sichtbares
Riff. Auch auf der anderen Seite, namentlich im Norden der Insel,
waren Riffe sichtbar, aber zu weit ab von uns, um sie genauer festzu-
stellen. Anscheinend begleitet die Inseln nördlich ein Barriere -Riff.
Die ganze Gegend mufs ziemlich stark bevölkert sein, wie aus der
Anzahl von Kanus, denen wir begegneten, und die, an einigen Stellen
auf den Strand geholt, sichtbar wurden, sowie aus den zahlreichen
Pflanzungen zu schliefsen war; die Dörfer scheinen aber versteckt im
Busch zu liegen.
Auch die folgenden zahlreichen Landspitzen, von denen Huk
Schroeder und namentlich Huk Deinhard die hervorragendsten sind,
fallen steil zum Meer ab und sind nebst den kleinen, in den Buchten
gelegenen Landvorsprtingen die Ausläufer einer grofsen Anzahl schmaler
und schroffer Bergrücken, während die davor gelegenen kleinen Inselchen
den Charakter von Korallenkalk-Gebilden tragen. Sowohl die Inseln wie
der Strand in den Buchten sind vielfach mit Kokospalmen bestanden,
und die Gegend macht trotz der schroffen Form der Berge einen
freundlichen Eindruck. Westlich von der Huk Schroeder ergiefst sich ein
Flufs, ebenso waren zwei Wasserläufe an der Ostseite der folgenden
Bucht sichtbar. Diese Buchten scheinen alle gute Ankerplätze zu bieten,
denen auch gegen Seegang von Norden her die Riffe Schutz verleihen.
Für die Anlage tropischer Pflanzungen ist die Gegend nicht geeignet,
da es an ebenem Boden fehlt.
In den bisherigen Karten ist in der Gegend der Huk Deinhard
eine schmale tiefe Beining-Bai angegeben, die aber in dieser Form
nicht existiert. Vermutlich ist damit die vier kleine Inseln und eine
Reihe schroffer Huks enthaltende Bai westlich von der Huk Deinhard
gemeint, da die in den Karten als Matera-Bai bezeichnete Bucht wohl
diejenige östlich von der Deinhard-Huk sein wird.
In dieser letzteren Gegend hören die kuppigen Bergzüge und Land-
spitzen auf, das hohe Bergland tritt mehr zurück, sanftere Konturen
Begleitworte zur Karte des Östlichen Teils der Insel Neu-Pommern. 355
annehmend, und senkt sich allmählich, überragt von dem kegelförmigen
Berge Beautemps-Beaupre (Varzin), zu der grofsen Einbuchtung, deren
östlicher Winkel Weber-Hafen benannt ist. An derselben liegen an-
scheinend ausgedehnte Strecken guten flachen Kulturlandes, während
nördlich vom Weber-Hafen die gebirgige, schroff abfallende Landzunge
mit dem Bergrücken Naumann in das Kap Luen ausläuft.
Schon bei oder wenig östlich vom Kap Lambert erblickt man Man,
eine ziemlich hohe, aber abgeflachte Insel, und die kleine Korallenkalk-
Insel Matakanaputa, welche beide eine gute Marke für die Navigierung
in dem schwierigen Fahrwasser längs der Küste bieten. In der Nähe
der letzteren Insel wurde eine astronomische Mittagsbreite erhalten,
wodurch ihre Lage und die der Küste in Bezug auf die geographische
Breite bestimmt werden konnte.
Urara, das erst später als jene beiden Inseln in Sicht kommt, ist
eine hübsche, ziemlich niedrige, vielfach mit Palmen bestandene Korallen-
insel mit flachem Sandstrand an mehreren Stellen; sie wird am besten
an ihrem Südrande passiert, wo sie, im Gegensatz zur Nordküste, frei
von Riffen ist.
Mit meinen geographischen Festlegungen dieser Küstenstrecke,
insbesondere auch mit der bei Matakanaputa beobachteten Mittags-
breite, stimmten die in den bisherigen Karten enthaltenen Positionen
von Man-Insel, Kaps Luen und Steffen, Berg Beautemps-Beaupre und
die der übrigen hervorragenden Punkte des östlichen Teils der Gazelle-
Halbinsel nicht tiberein, indem meine Breiten und Längen etwa eine
Minute südlicher bzw. östlicher auskamen, als bisher angenommen wurde.
Da dieser östlichste Teil der Gazelle-Halbinsel 1875 von der Korvette
„Gazelle", wenn auch nur flüchtig, vermessen und als Hauptsitz des
Handels der Weifsen, auch später durch mehrere Kriegsschiffe, ferner
durch die trigonometrischen Vermessungen des Ingenieurs Schneider
in der Kartierung verbessert, als der bestbekannte Teil dieser Insel-
gruppe gilt, stiefsen mir Zweifel an der Richtigkeit meiner Festlegung
auf, die indes durch eine Mitteilung der Nautischen Abteilung des Reichs-
Marine-Amts behoben wurden, wonach eine erneute astronomische Fest-
legung des Basispunktes dieser Gegend, nämlich der Nordspitze der
Insel Matupi in der Blanche-Bai, eine um etwa 0,9 Minuten südlichere
Breite und etwa 1,3 Minuten östlichere Länge ergeben habe, wonach
die Lage der ganzen Küsten zu berichtigen sei.
IL Ost- und Südktiste.
Die Ost- und Südküste dieses Teils von Neu-Pommern nebst der
Inselgruppe Neu-Lauenburg sind unter Berücksichtigung des vorstehend
erwähnten Fehlers in den Positionen der bisherigen Darstellungen der
356 Frhr. von Schleinitz:
Gazelle-Halbinsel in die Karte eingetragen. Eine Beschreibung des
nordöstlichen Teils (Krater -Halbinsel) wurde von mir bei dem ersten
Besuch dieser Inseln als Kommandant S. M. S. „Gazelle" 1875 gegeben
und ist in das Gazelle-Werk (Bd. I, Kap. XIII) aufgenommen worden,
sodafs hinsichtlich der Einzelheiten darauf hingewiesen werden kann.
Nur der allgemeine orographische Charakter des Geländes nach Kap
Gazelle hin möge im folgenden dargelegt werden, da diese Küste von
S. M. S. „Gazelle" am Abend passiert wurde und daher damals nicht
näher beschrieben ist. Zunächst wird aber die Erwähnung am Platz
sein, dafs seit jener Beschreibung sich auf den Vulkanismus dieser
Halbinsel gründende morphologische Veränderungen in der Blanche-
Bai vollzogen haben. In dem kleineren, an der Innenseite der Krater-
Halbinsel gelegenen Krater, dessen Boden ich bei einem Abstieg in
den Kessel 1875 zwar glühend heifs und einige Schwefeldünste aus-
strömend, sonst aber völlig inaktiv vorfand, erfolgte 1879 & n senr
heftiger Ausbruch, der das Meer nach Berichten mehrerer Schiffe viele
Hunderte von Seemeilen weit mit Bimstein bedeckt und die Blanche-
Bai für längere Zeit gänzlich verschlossen hatte. Gleichzeitig entstand
an der Westseite dieser Bai, dem Krater gegenüber, die etwa eine
Seemeile lange, unregelmäfsig geformte, um einige Meter das Meer
überragende Insel Raluan an einer Stelle, wo bei den Vermessungen
der „Gazelle" ein ausgedehntes, nur stellenweise über der Wasserfläche
sichtbares Felsenriff festgestellt worden war. Da eine Beschreibung
dieses Vorganges fehlt — soviel mir bekannt, haben sich Europäer zu
der Zeit hier nicht aufgehalten — und die neue Insel nicht näher unter-
sucht worden ist, bleibt es zweifelhaft, ob dieselbe einer Hebung ihren
Ursprung verdankt oder aber nur der Aufschüttung von Auswurfs-
massen des Vulkans auf dem früheren Riff. Letzteres ist wohl das
wahrscheinlichere. Die Meerestiefen in der Bai scheinen seit 1875
sich nicht auffallend verändert zu haben, aber bei den meist grofsen
und stark wechselnden Tiefen sind Änderungen von einigen Metern
schwer festzustellen.
Ein Ausläufer der nördlichen Tochter von 80— 300 m Höhe, zu
einem höheren welligen Plateau sich erweiternd, bildet den Hintergrund
der Küste der Blanche-Bai, weiter nach Westen zu in hügeliges und
endlich gebirgiges Land übergehend. Das Gelände erhebt sich mit
meist ziemlich steiler Böschung von einem nicht breiten, stellenweise
sogar sehr schmalen Vorstrand, der vielfach von Dörfern, Häusern und
Pflanzungen eingenommen ist, die man auch auf der Höhe findet. Das
Hochland dacht sich nach Osten allmählich ab, den Charakter einer
flachhügeligen Ebene mit verschiedenen Senkungen und schluchtartigen
Thälern bewahrend. Die Vegetation ist westlich meist Gras mit ein-
Begleitworte zur Karte des östlichen Teils der Insel Neu-Pommern. 357
gestreutem Busch und Wald, weiter östlich werden ausgedehnte Wald-
bestände sichtbar, und in der Nähe der Ostküste ist alles mit Wald
bedeckt. Einige Seemeilen von Kap Gazelle geht das Land in lang-
gestreckte Hügel über, die allmählich in ziemlich ebenen Konturen
nach dem bewaldeten, 20 — 30 m hohen Kap auslaufen. Aus der Mitte
des Hochlandes erhebt sich als einzige höhere Kuppe — nur von Norden
erblickt man viel weiter westlich eine ähnliche Spitze als Ausläufer des
westlichen Gebirgslandes — der etwa 600 m hohe Berg Beautemps-
ßeaupre, hinter dem in westlicher Richtung ein höherer Gebirgszug
mit meist langgestreckten Rücken liegt, während südwestlich das Land
ein Tafelland von ziemlich gleichmäfsiger, nicht bedeutender Höhe zu
sein scheint, das sich vermutlich nach der offenen Bai an der West-
küste allmählich abdacht.
Die Küstenstrecke von Kap Gazelle bis Kap Orford, welche den
kleinen, aber sehr guten, von Herrn Parkinson entdeckten Put-Puf
Hafen (später von einem Kriegsschiff vermessen und Rügen-Hafen
benannt) und die schöne, seit lange bekannte Henry Reid-Bai enthält,
ist, da sie in den älteren Karten der Hauptsache nach richtig zu liegen
schien, von mir nicht näher untersucht, sondern in die Karte nach den
Vermessungen der Kriegsschiffe mit durchbrochener Linie eingetragen
worden; indes gewann ich bei meiner Fahrt längs der Küste genügenden
Einblick zur Beurteilung des allgemeinen Charakters des Geländes und
konnte einige Ktisten-Vertonnungen anfertigen, von denen die wich-
tigsten in die Karte aufgenommen sind.
Das vorbeschriebene, den Berg Beautemps - Beaupre umgebende
Hochland strahlt in einer Anzahl allmählich sich senkender bewaldeter
Rücken nach der Ostküste aus, sodafs das Land hier ziemlich stark
koupiert erscheint. Die ganze Küste macht den Eindruck der ge-
hobenen Kalkstufen mit meist senkrecht abfallendem Korallenkalkstrand,
der stellenweise von hellem Sandstrand unterbrochen ist, und es kenn-
zeichnen sich die Kalkterrassen namentlich bei Kap Palliser, welches
übrigens wenig hervortritt, da die Küste hier in ziemlicher Rundung
verläuft.
Nach dem Süden gewinnen die Bergzüge allmählich an Höhe, treten
mit ihren Massen dichter an die Küste und gehen nach Kap Buller
zu in ein schroffes Gebirgsland von etwa tausend Meter Höhe über,
das sich nach dem Boden der Grofsen Bai (Wide-Bai), wo die Henry
Reid-Bai tiefer in das Gelände einschneidet, allmählich abdacht, um
südlich bzw. südöstlich von dieser Bai wieder zu ziemlich hohem, aber
weniger zerrissenem Bergland aufzusteigen.
Von der Henry Reid-Bai liefse sich allem Anschein nach leicht
eine Durchquerung der Insel von Südost nach Nordwest ausführen, da
358 Frhr. von Schleinitz:
hier die Gazelle-Halbinsel nur vermittels eines kaum zehn Seemeilen
breiten und wenig über ioo m hohen Halses mit dem westlichen TeiJ
der grofsen Insel zusammenhängt.
Mit dem Kap Orford beginnt die Küste in mehreren Spitzen aus
Höhen von ioo — 200 m, meist in zwei bis drei Terrassen, mehr oder
weniger senkrecht zum Meer bzw. zu einem schmalen Vorstrand ab-
zufallen, wie die in die Karte aufgenommenen Skizzen von diesem Kap
und den Spitzen a und b erkennen lassen.
Ich konnte nicht ausmachen, ob diese Abhänge der Kalkbildung
angehören. Sie unterscheiden sich in der Form einigermafsen von den
Kalkterrassen in Kaiser Wilhelm-Land, namentlich auch darin, dafs die
Stufen der einzelnen Terrassen nur einen schmalen Saum bilden und
die oberste Stufe eine Ebene von ziemlicher Ausdehnung ist. Dagegen
ähneln sie sehr der Formation der von mir östlich und westlich vom
150. Längengrad an der Südküste festgelegten Inseln und Huken,
hinter denen ich mehrere sehr gute Häfen entdeckte 1 ). Diese waren
anscheinend Kalkgebilde; da die Terrassen bei und südlich von Orford
aber das Basisland der mächtigen Vulkanreihe an der Nordseite der
Insel (Vater, Söhne u. s. w.) bilden und an dieser Küste selbst einige
kleinere kraterartige Gebilde sichtbar sind, wäre ein vulkanischer Cha-
rakter (sie ähneln sehr den Basaltterrassen der Insel Kerguelen im Süd-
indischen Ocean) nicht ausgeschlossen. Auf der Höhe befinden sich
mehrfach Pflanzungen von Eingeborenen. Während die Ebene der oberen
Terrasse bei Orford etwa 200 m hoch liegt, wird sie weiter südlich
niedriger und findet bei der ebenfalls terrassenförmig abfallenden Owen-
Huk ihren Abschlufs, nach Kap Quoy in niedrigeres Vorland aus-
laufend.
Dieses Land wird überragt durch den kegelförmigen Berg e 1 ), der,
seiner Form nach zu urteilen, vulkanischen Ursprungs ist.
Die die Jacquinot-Bai nach Osten abschliefsende Halbinsel mit
Spitze f, welche man nach Passieren des Kap Quoy erblickt, ist bergig
und nur durch niedriges Land mit dem Festlande verbunden, sodafs
sie aus der Ferne wie eine Insel erscheint. Zwischen ihr und der
niedrigen Spitze fliegen zwei Inseln, deren zugewendete Seiten NNWJW
von einander peilen und die den Charakter der Korallenkalk-Inseln
haben. Bei ihnen und in der Gegend der Spitze c schienen Untiefen
zu liegen.
*) Karte und Beschreibung dieser Küste hoffe ich bald erscheinen lassen
zu können.
') Soweit die hervorragenderen Objekte nicht bereits ältere Namensbezeich-
nungen tragen, sind für die Beschreibung in Übereinstimmung mit meiner Karte
und den Küstenzeichnungen Buchstaben gewählt worden.
Begleitworte zur Karte des östlichen Teils der Insel Neu-Pommern. 359
Das Küstengebirge hat im Hintergrunde der Bucht g eine Unter-
brechung, und es mündet dort anscheinend ein gröfserer Flufs.
Die sehr tiefe Jacquinot-Bai ist von S. M. S. „Möwe" hinsichtlich
ihrer geographischen Position bestimmt und vermessen worden und
danach in die Karte eingezeichnet. Nach Westen wird sie von einer
Halbinsel ohne bedeutende Erhebungen abgeschlossen, mit flach ver-
laufenden Spitzen, von denen die südliche das Kap Cunningham bildet
Die Halbinsel sieht aus der Ferne ebenfalls wie eine langgestreckte,
30—40 m hohe Insel aus.
Von hier ab nach Westen wird das bergige Land von einer breiten,
flachen Korallenkalk-Ebene umsäumt, die stellenweise wie von einer
niedrigen Mauer mit hellblättrigen Strandbäumen dahinter eingefafst
erscheint und öfter kleinere oder gröfsere Vorsprünge aufweist, von
denen ich, infolge nicht sehr klarer Luft und da es zu dunkeln anfing,
nicht genau ausmachen konnte, ob sie mit der Küste verbunden,
hinter und zwischen sich Lagunen bildeten oder als Inseln derselben
vorgelagert sind.
Auch die westlich folgenden Kaps Lütke und Beechey bestehen
aus flach verlaufendem, bewaldetem Korallenland, das sich sehr all-
mählich zu dem hier unwirtlich aussehenden, zum Teil recht hohen
Bergzügen erhebt, von denen einer durch seine ostnordöstliche, zu den
bisherigen Bergzügen einen gröfseren Winkel bildende Streichrichtung
auffällt.
Das Kap Lütke und die westlich folgende Spitze sind von einem
Barriere-Riff, in Abstand von etwa \ Seemeile vom Strande, eingefafst.
Reise im Gebiet des oberen Amazonas.
Von Dr. A. Rimbach.
(Hierzu Tafel i%.)
Das Gebirge der Anden, welches den südamerikanischen Kontinent
in seiner ganzen Länge durchzieht, hat in der Nähe des Äquators,
auf dem Gebiet der nach seiner geographischen Lage benannten
Republik Ecuador, eine seiner schmälsten Stellen. Es wird dort von
zwei parallel zu einander, im allgemeinen in der Richtung Süd-Nord
laufenden Ketten gebildet, der Ost- und West-Cordillere, welche ein
Hochland zwischen sich einschliefsen. Dieses wird durch eine Anzahl
quergerichteter, die beiden Cordilleren mehr oder weniger vollständig
mit einander verbindender Gebirgszüge in verschiedene Becken zer-
legt. Die Gewässer, welche sich in diesen Becken sammeln, fliefsen
aus einigen derselben nach Westen ab, wo sie nach kurzem Laufe
durch das schmale Küstenland den Stillen Ocean erreichen; aus anderen
strömen sie nach Osten in die weite Tiefebene des Amazonen-Stroms.
Zu den letzteren gehört auch das schöne, verhältnismäfsig grofse Becken
von Cuenca im südlichen Teil der Republik, genannt nach der darin
liegenden Stadt, nächst Quito, dem Sitz der Regierung, und Guaya-
quil, dem Haupthafenplatz, der bedeutendsten des Landes.
Von hier aus unternahm ich in Begleitung meines Bruders Carl
Rimbach im Januar 1894 eine Reise nach dem oberen Amazonen-Strom,
deren Hauptzweck war, die Natur der zu durchstreifenden Gegenden
und besonders die Vegetation derselben kennen zu lernen. Von dem Ver-
laufe dieser Reise sollen die folgenden Zeilen eine Schilderung geben.
Den nächsten Weg zum Maranon (dies ist der Name des oberen
Amazonas), welcher uns von Cuenca über die Ost-Cordillere in das
Flufsgebiet des Santiago geführt hätte, wählten wir nicht. Unser Plan
war vielmehr, dem Laufe des weiter nördlich dem Hochland ent-
springenden Pastaza zu folgen. Die Reise ging daher zunächst auf
dem interandinen Hochland nach Norden.
Am 11. Januar ritten wir auf unseren Maultieren von Cuenca ab.
Der Weg, auf welchem wir uns bewegen, ist seit kurzem in der
Nähe der Stadt in eine ordentliche Landstrafse ausgebaut worden,
A. Rimbach: Reise im Gebiet des oberen Amazonas. 361
verwandelt sich aber bald in einen einfachen Pfad, an welchem auf
weite Strecken hin wenig oder nichts von Menschenhand gebessert
ist. Das Wetter war uns günstig. Es herrschte gerade der sogenannte
veram'IIo, die kleine Trockenzeit des December und Januar, während
welcher, ebenso wie in der von Juli bis September dauernden grofsen
Trockenzeit, dem verano, äufserst wenig Regen fällt. In den Zwischen-
zeiten regnet es dagegen ziemlich viel, und es werden infolgedessen
die Wege besonders in der als invierno (Winter) bezeichneten längeren
Regen-Periode von Februar bis Juni oft sehr schlecht. Die Temperatur,
das ganze Jahr hindurch fast gleich, ist auf unserer Höhe von etwa
2500 m, sehr gemäfsigt, .indem sie meist zwischen 10 und 20 C.
schwankt. Mittags steigt sie selten auf 25 ° C, fällt aber in klaren
Nächten manchmal bis auf o°. Die grofse Trockenheit und Dünne
der Luft" gestattet weite Fernsichten. Auch haben wir nirgends pracht-
vollere Färbungen des Himmels und der Wolken, besonders während
der Abenddämmerung, sowie so aufserordentlichen Glanz der Gestirne
während der Nacht gesehen, als eben in diesem interandinen Hoch-
land.
Der Pflanzenwuchs hat einen xerophytischen Charakter, d. h. er
zeigt Formen, welche vermöge ihrer Organisation in sehr trockenem
Klima und auf trockenem Standort gedeihen. Hochstämmiger Wald
ist nicht vorhanden. Die Bergzüge in diesem Hochland selbst machen
wegen der vielen kahlen Strecken einen sterilen Eindruck; meist sind
sie mit niedrigem Buschwerk bekleidet, in welchem Agaven, Säulen-
kaktus und die graugrünen Rosetten verschiedener Bromeliaceen als
besonders fremdartige Formen auffallen. Die Kulturpflanzen können
wegen des schnellen Austrocknens des Bodens nur in den Flufsthälern
gut gedeihen oder da, wo künstliche Bewässerung möglich ist. Es sind
besonders Mais, Weizen, Gerste, Kartoffeln, Bohnen, Erbsen und die
blaue Luzerne (alfalfa), das Hauptfutter für Pferde und andere Haus-
tiere. Mit dem Anbau dieser Pflanzen sehen wir stämmige Indianer
beschäftigt, die sich dazu sehr primitiver Werkzeuge bedienen. Ihre
kleinen, aus Luftziegeln (adobes) gebauten Hütten stehen hier und da
zwischen den von Agaven-Hecken eingeschlossenen Feldern, umgeben
von Capulf-Bäumen (Prunus satiafotiaj, Pfirsich-Bäumen, Hecken von
Feigenkaktus (Opuntia tuna) und den mit grofsen, weifsen Blüten be-
hangenen Bäumchen der Datura arborea. Hier und dort kommt auch
ein umfangreiches Gebäude zum Vorschein, das Landhaus eines wohl-
habenden Grundbesitzers, gewöhnlich von Eucalyptus-Bäumen umgeben,
welche seit einigen Jahrzehnten hier eingeführt sind und sehr gut
gedeihen. An einigen Stellen wird schon in dieser Höhe Zuckerrohr
gebaut; es bleibt aber sehr niedrig und braucht drei Jahre, bis es
362 A. Rimbach:
geschnitten werden kann. Manchmal wird es durch die zur Zeit der
Sonnenwende eintretenden Nachtfröste vernichtet. Das letztere Schick-
sal erleiden übrigens dann auch viele der übrigen Kulturpflanzen.
Das Hauptprodukt des Beckens von Cuenca ist der Mais. Seine Körner
sind grofs und wohlschmeckend« Gekocht vertreten sie unter dem
Namen „motc" die Stelle des Brotes, bilden die Hauptnahrung der
ärmeren Leute und fehlen auch nie auf dem Tische des Reichen.
Der Mais braucht hier etwa neun Monate zum Reifen. Wenn man bedenkt,
dafs derselbe am Fufs der Anden hierzu nur dreier Monate bedarf,
so wird man eine Vorstellung von der Verschiedenheit der Vegetations-
Bedingungen beider Gegenden erhalten. Überhaupt tritt das höhere
Gebirgsland, welches bei den Eingeborenen den allgemeinen Namen
Ja Sierra" führt, in Bezug auf Klima, Produkte, Bewohner und Lebens-
verhältnisse in einen starken Gegensatz zu den oben genannten tiefer
liegenden Gegenden.
Wie schon erwähnt, befinden wir uns bereits im Gebiet des
Amazonas. Denn der Paute-Flufs, welcher an Cuenca vorbeifliefst und
jetzt zu unserer Rechten im Thal zwischen steil abfallenden Htigel-
zügen über sein von Weiden {Salix Humboldtiana) eingefafstes und mit
Geröllsteinen angefülltes Bett mit starkem Gefälle dahinrauscht, durch-
bricht die Ost-Cordillere und bildet die Hauptader des Systems des
Santiago-Flusses, welcher beim Pongo de Manseriche in den Maranon
einmündet Der Paute hat seine Quellen oberhalb von Cuenca in den
Porphyr-Kämmen der West-Cordillere, nur etwa 56 km von der Küste
entfernt. Er ist derjenige Zuflufs des grofsen amazonischen Strom-
gebiets, welcher dem Pacifischen Meer am nächsten entspringt.
Unser Weg verläfst bald den Paute-Flufs, da dieser sich nach
Osten wendet und zwischen Bergzügen verschwindet. Zu unserer
Linken taucht ein höchst auffallend geformter, einzelner Berg auf,
welcher sich etwa 400 m über seine Umgebung erhebt. Es ist der
Cerro de Cojitambo, eine von Süden nach Norden gerichtete, von der
schmalen Seite dem Hörn eines Rhinozeros ähnlich sehende Andesit-
Mauer. Gewaltige Blöcke seines schönen, hellgrauen Gesteins finden
sich in seiner Umgebung bis an unseren Weg zerstreut, wo sie beim
Wegebau gesprengt und der Besichtigung zugänglich sind. Bald darauf
kommen wir durch das Städtchen Azogues. Von den Einwohnern,
— wie in allen dortigen Städten, meist Cholos, d. h. Mischlinge von
Weifsen und Indianern — sehen wir viele in den Haustüren sitzend
mit dem Flechten der schönen, dauerhaften, sogenannten Panama-
Hüte sich beschäftigen. Das Material dazu bilden die Blattfasern einer
palmenähnlichen Staude, der Carludovica palmata, welche in den tiefer
liegenden Waldgegenden einheimisch ist und dort auch kultiviert wird.
Reise im Gebiet des oberen Amazonas. 363
Es begann nun der Aufstieg auf die das Becken von Cuenca nach
Norden abschliefsenden Vorberge des Azuay-Gebirges. Diese Berge
sind, wie alle inneren Abhänge der Cordilleren, mit einem niedrigen,
aber sehr formenreichen, anmutigen Walde bedeckt. Dieser Wald
erhält besonders in den feuchteren Schluchten durch die grofse Menge
von epiphytischen Moosen, Flechten, Farnen, Bromeliaceen und Orchi-
deen, welche auf den knorrigen Ästen der Bäume sitzen, ein höchst
phantastisches Aussehen. Unter den Holzpflanzen sind Melastomaceen,
Compositen, Labiaten häufig, auffallend sind die grofsblütigen Sypho-
campylus, Fuchsias, Calceolarien und die durch mehrere Arten ver-
tretene Amaryllideen-Gattung Bomarea, deren lange, windende Stengel
in grofsen, prächtigen Blütendolden endigen. In der Höhe von 3500 m
verschwindet allmählich der Wald, indem er sich zuletzt nur noch
streifenweise die Schluchten der Bäche heraufzieht, und wir betreten
die Hochsteppe, in Ecuador „pdramo" genannt. Das auf ihr vorherr-
schende harte, büschelförmige, hohe Gras ist mit zahlreichen anderen,
niedrigen Pflanzen untermischt, unter welchen schönblütige Enzian-Arten
sehr in die Augen fallen. Der Boden besteht meist aus einer dicken,
schwarzen Humusschicht. Hier und da stehen an der Grenze des
Baumwuchses Gruppen der imposanten „achupallas" (Art der Brome-
liaceen - Gattung Puya). Ihre langen, steifen, scharf gespitzten und
gezähnten Blätter bilden eine grofse, regelmäfsige Rosette, aus deren
Mitte ein mehrere Meter hoher Blütenstengel emporragt. Weiter auf-
wärts dehnen sich die lang wellenförmigen, gelblichen Flächen des
Päramo stundenweit aus, hier und dort durch Gruppen flechtenbedeckter
Felsblöcke oder durch kleine mit gelbgrünem Torfmoos überzogene
Moore unterbrochen. Nahe der Höhe von 4500 m verschwindet auch
der Graswuchs und läfst die nackte Erde frei. Auf dieser tritt
eine neue, der Schneegrenze eigentümliche Form der Vegetation auf,
vorwiegend bestehend aus vereinzelten, scharf abgegrenzten, dichten
Polstern niedriger Gewächse mit meist grofsen, grellfarbigen Blumen.
Die Höhenausdehnung dieser schönen, eigenartigen Formation ist
gering.
Die äufsersten Gipfel des andesitischen Azuay-Gebirgsstockes ragen
nur wenig über 4500 m, die Grenze des ewigen Schnees, hinaus.
Unser Weg führte fast über die höchste Stelle des Gebirges. Stellen-
weise war der Boden von Schnee bedeckt. Mit Mühe brachten wir
die Maultiere darüber hinweg. Ängstlich beschnupperten dieselben die
ihnen unbekannte, weifse Masse, betasteten sie mit den Hufen und
schritten endlich zitternd darüber hin. Von Osten wehte über die
bis zur Ost-Cordillere sich erstreckenden Höhen her ein heftiger,
schneidend kalter Wind und trieb uns an, eilig in die geschützte
364 A - Rimbach:
Thalsenkung der Nordseite hinabzusteigen. Wir gelangten spät abends
nach dem Dorf Achupallas und wurden hier von einem Einwohner
auf die entgegenkommendste Weise aufgenommen. Der Reisende
ist auf den weniger begangenen Strecken des Landes wegen des
Fehlens von Gasthäusern auf die Gastfreundschaft der Bewohner an-
gewiesen, welche dieselbe allgemein in anerkennenswerter Weise
üben. Wir befanden uns nun in einem neuen Gebirgsbecken, dessen
Gewässer in tief eingeschnittenen Thälern nach Westen abfiiefsen und
dort zur Bildung des in den Guayas einmündenden Flusses Chimbo
beitragen. Dieses Thal soll benutzt werden, um eine Eisenbahn von
Guayaquil nach dem interandinen Hochlande heraufzuführen, welche
dann bis Quito verlängert werden kann. Auf steinigem, trockenen
Gebirgspfad ritten wir am andern Tage nach Norden weiter und
kamen auf öde, mit Faramo-Gras bewachsene Hochflächen, Ausläufer
der Ost-Cördillere, hie und da belebt durch zahlreiche von Indianern
gehütete Schafherden. Bei schönstem Wetter ritten wir stundenlang
im Trabe über die hindernislose, selten von kleinen Wasserläufen
durchkreuzte Steppe. Da zeigte sich im Norden über dem Horizont
eine weifsglänzende Kuppe : es war die Schneespitze des Chimborazo.
Dieselbe verschwand jedoch bald wieder hinter den Bergen. Der
Boden wurde immer trockener, staubiger und vegetationsärmer. Er
besteht von hier an zumeist aus vulkanischem Sande, einstmaligen
Auswurfstoffen der Vulkane, deren Asche vom Azuay an bis zum
äufsersten Norden von Ecuador alles andere Gestein zwischen den
beiden Anden-Ketten überschüttet hat. Noch ein anderes Zeichen er-
innert uns daran, dafs wir uns jetzt auf vulkanischem Gebiet befinden:
ein von Zeit zu Zeit fern herkommendes, donnerartiges Dröhnen, die
Stimme des nahen, auf der Ost-Cordillere gelegenen Sangay, des thätig-
sten Feuerberges von Ecuador. Nach einer auf der Hacienda Atapo
verbrachten Nacht ritten wir, an dem Flecken Palmira vorbei, durch
eine wtistenartige Gegend, wo der vulkanische Sand vom Winde zu
förmlichen Wellen aufgeworfen wird und Entzündung der Augen ver-
ursacht, wenn er dem Reisenden längere Zeit in das Gesicht weht. Dann
stiegen wir allmählich auf die Höhe von Tio-Cajas, eines beide Cor-
dilleren verbindenden, das Gebirgsbecken von Riobamba nach Süden
abgrenzenden Querriegels. Ehe wir indessen einen Überblick über
dieses Thal gewannen, hatten wir noch den darin sich erhebenden
Höhenzug von Naute zu ersteigen. Daselbst machte ein uns über-
raschender Regen den Boden so schlüpfrig wie Glatteis, sodafs wir
zu Fufs gehen und, an abschüssigen Stellen auf Händen und Füfsen
kriechend, die fortwährend ausgleitenden Maultiere am Seile führen
mufsten. Zum Glück wurde das Wetter bald wieder freundlich, und
Reise im Gebiet des oberen Amazonas. 365
als wir den nördlichen Rand der Höhe erreichten, bot sich uns der
grofsartige Anblick der von gewaltigen, schneebedeckten Gebirgsmassen
umkränzten Ebene von Riobamba dar. Die Ost-Cordillere trug fast
auf der ganzen Ausdehnung ihres Kammes eine Schneedecke; be-
sonders die zunächst im Osten aus ihr emporragenden Rücken des
Cubillin und der Cordillere von Alao, hinter welchen der Sangay
(5323 m) seine Rauchwolke zum Himmel sendete. Weiter nördlich
erhebt sich aus der Bergmasse der zweizackige Altar (5404 m) und
im Nordosten der steile, glatt abfallende, spitze Tunguragua (5087 m).
Im Nordwesten fesselt den Blick der die West-Cordillere krönende,
massige Chimborazo (6310 m) und weiter nördlich der kleinere Carihuai-
razo. Nordwärts wird die Ebene begrenzt von der ausgedehnten Masse
des Igualata, eines zerfallenen, ehemaligen Vulkans, welche zwischen
Chimborazo und Tunguragua einen nicht ganz vollständigen Querriegel
bildet und so das Thal von Riobamba von dem nördlicher liegen-
den Becken von Ambato und Latacunga trennt. Die gewaltige Gröfse
der Gebirgmassen, der starke Gegensatz zwischen dem blauen Himmel,
den glänzenden Schneegipfeln und dem düsteren Gestein, das sterile Aus-
sehen der vegetationsarmen Gegend machen vereint den ersten Eindruck
dieses Panoramas zu einem sehr fremdartigen und fast unheimlichen.
Von der Höhe herabsteigend gelangten wir in die sandige Ebene,
wo wir die Tiere von neuem bestiegen, und erreichten am Abend die
Stadt Riobamba. Von hier aus beobachteten wir morgens vor Sonnen-
aufgang eine eigentümlich schöne Erscheinung. Wenn noch die ganze
Gegend im Dunkel liegt, wird bereits die Schneekuppe des Chimbo-
razo von der Sonne beleuchtet und scheint mitten in der Dunkelheit
in rosenrotem Licht. Wir blieben einige Tage in der Stadt, um uns
für die Reise im Urwaldgebiet vorzubereiten. Am 19. Januar ritten
wir dann mit drei Lastträgern, welche unser Gepäck beförderten, bei
schönstem Wetter durch diese grofsartige Landschaft weiter über die
östlichen Ausläufer des Jgualata nach dem Dorfe Pelileo. Tags darauf
setzten wir den Weg in südöstlicher Richtung fort und näherten uns
der tiefen Spalte, welche am nördlichen Fufs des Tunguragua die
Ost-Cordillere unterbricht und einen natürlichen Eingang zum Tief-
land des Amazonas bildet. Hier vereinigen sich zwei Flüsse, der
Chambo, welcher, von Süden kommend, die Gewässer des Beckens von
Riobamba fortführt, und der Patate, welcher von Norden her das
Hochthal von Ambato und Lataiunga entleert. Der durch die Ver-
einigung beider gebildete Pastaza tritt sofort nach Osten in die Ge-
birgsspalte ein. Wir überschritten den Patate und sahen auf den
Zusammenflufs von der Ecke des steilen nördlichen Bergabhanges
hinunter. Dieser Punkt ist sehr günstig zur Beobachtung des unmittel-
Zeitschr. d. Ges. f. £rdk. Bd. XXXII. 1897. 26
366 A. Rimbach:
bar gegenüber liegenden Tunguragua. Dessen Spitze war leider durch
Wolken verhüllt; jedoch erkannten wir die Stelle, wo beim letzten
Ausbruch des Vulkans, im Jahr 1886, die Lava bis in die Thalsohle
herabgeflossen war und den Flufs eine Zeit lang gestaut hatte. Unser
Ziel war das Dorf Banos, welches in diesem engen Thal am südlicher.
Ufer des Pastaza, unmittelbar am Fufs des Tunguragua gelegen ist.
Von einer heifsen Quelle, welche in seiner Nähe aus dem Berge ent-
springt, hat es seinen Namen. Seine Lage scheint gefährlich zu sein;
es ist aber noch nie von Lava oder anderen Auswurfstoffen getroffen
worden. Der Ort liegt in 1800 m Höhe sehr malerisch zwischen den
steilabfallenden Bergabhängen, inmitten saftig grüner Fruchtbäume und
Zuckerrohr-Felder. Höchst eigentümlich ist das Bett des Pastaza selbst.
Wir überschritten es auf einer Brücke nahe dem Dorf. Die ganze
Thalsohle ist bis weit hinunter von schwarzblauer Lava gebildet,
welche frühere Lavaströme des Tunguragua darzustellen scheint. In
diese Lavamasse hat sich der mit starkem Gefalle dahinbrausende
Flufs ein schmales, aber teilweise sehr tiefes, von glatten, senkrechten
oder manchmal überhängenden, schwarzen Wänden eingeschlossenes,
vielfach gewundenes Bett gegraben. Der Anblick desselben ist an
vielen Stellen im höchsten Grade malerisch, ja schauerlich.
Die Bewohner von Banos waren sehr aufgeregt wegen der Grenzstreitig-
keiten mitPeru. Von diesen Grenzstreitigkeiten war schon seit Monaten in
Ecuador die Rede gewesen. Es handelte sich darum, dafs Ecuador
den Maranon von der Mündung des Santiago bis zu derjenigen des
Napo als Grenze angesehen wissen wollte, während Peru das ganze
Land nördlich vom Maranon bis an den Fufs der Cordillere für sich
beanspruchte. Eine von den beiderseitigen Bevollmächtigten verein-
barte und auch von Ecuador angenommene Grenzlinie, durch welche
man sich in das streitige Gebiet teilte, indem der Unterlauf der Flüsse
vom Pastaza bis zum Napo den Peruanern überlassen blieb, wurde vom
peruanischen Kongrefs nicht gebilligt. Daher die Aufregung bei den
Ecuadorianern. In Versammlungen und in Zeitungen war sogar von
Kriegserklärung die Rede gewesen. Aus Vorsicht hatten wir deshalb
uns vom peruanischen Gesandten in Quito ein Schreiben ausstellen
lassen, in welchem der Zweck unserer Reise angegeben und der Schutz
der peruanischen Behörden gefordert war.
Unsere Reise sollte zunächst nach Canelos gehen, einem Dorfe
christlicher Indianer am Bobonaza, einem Nebenflufs des Pastaza.
Zum Transport unseres Gepäcks dahin brauchten wir mehrere
Träger, welche zugleich als Führer dienen mufsten. Solche zu be-
kommen, machte ziemliche Schwierigkeiten, weil man uns in Banoj»
allgemein für peruanische Spione hielt und unseren Abmarsch nach
Reise im Gebiet des oberen Amazonas. 367
Canelos verhindern wollte. Doch gelang es uns endlich, vier von
auswärts gekommene Cholos zu bewegen, uns nach Canelos zu be-
gleiten. Die Leute gehen den Weg dahin nicht gern, weil er, nament-
lich bei ungünstigem Wetter, sehr beschwerlich und nicht ganz ohne
Gefahr ist. Unser Gepäck wurde auf die vier Träger verteilt und in
geflochtene Körbe verpackt, welche mit den grofsen Blättern einer
Helieonia-hxt ausgefüttert wurden, um die Nässe nicht eindringen zu
lassen. Die Lebensmittel, welche auch für die Rückreise der Träger
berechnet waren, bestanden aus geröstetem Gerstenmehl, Erbsenmehl,
Reis, etwas Schweinefett, Salz, rohem Zucker, Kaffee und einigen
Fleischkonserven. Die Last wird von den Leuten auf dem Rücken
getragen und durch zwei Bänder gehalten, von denen das eine um
Brust und Schultern, das andere um die Stirn geht. Wir selbst trugen
unsere Gewehre, etwas Munition und einige Instrumente, welche wir
zur Hand haben mufsten. So verliefsen wir am 23. Januar Bafios und
zogen der Wildnis entgegen.
Beim Wasserfall von Agoyan begaben wir uns wieder auf das
nördliche Ufer des daselbst noch schmalen Pastaza. Es begann von
dort an eine starke Veränderung in der Vegetation sich bemerkbar
zu machen. Der charakteristische Pflanzenwuchs der Sierra verschwand,
und die Gegend wurde waldig. Saftige Kräuter und Gebüsche bam-
busartiger Gräser umsäumten den Weg, im Schatten der Bäume be-
deckten Selaginellen und zahlreiche Farne den Boden, am Abhang
nach dem Flufs zu standen Dickichte von 4 m hohen Schachtelhalmen
(Equiseium giganteum). An lichten Stellen wuchsen in grofser Menge
Scitamineen (bananenartige Stauden), darunter 4 m hohe Costus mit
grofsen, rötlich-weifsen Blüten und Heliconien von gleicher Höhe mit
meterlangen Blütenständen, welche rote, gelbe, blaue und grüne
Farben in bunter Mischung zeigten. Von beiden Seiten ergiefsen sich
eine grofse Menge Bäche und Flüfschen in den Pastaza; meist breitet sich
am Ende des Seitenthälchens, in welchem dieselben fliefsen, ein kleines
Plateau aus, von dessen steilem Rande sie als Wasserfall in den
Pastaza stürzen. Diese Plateaus geben Raum zu Ansiedelungen; auf
vielen ist der Wald ausgerodet, und Zuckerrohr-Pflanzungen umgeben
einige Hütten, in denen sich auch gewöhnlich eine Quetschmühle zum
Auspressen des Zuckerrohrs sowie eine kleine primitive Branntwein-
Destillation befindet. Eines der bedeutenderen Flüfschen, welche wir
zu überschreiten hatten, ist der Rio Verde. Sein über dunkelblaue
Lava schäumendes, krystallklares Wasser erscheint smaragdgrün und
bildet zwischen Felsblöcken einige wilde Kaskaden in paradiesischer
Umgebung. Überhaupt ist das Thal des Pastaza in 1200 bis 1500 m
Höhe äufserst anmutig und abwechslungsreich.
26*
^68 A. Rimbach?
Während der ersten Tage übernachteten wir auf den erwähnten
Ansiedelungen, wo wir auch Lebensmittel erhielten. Die Ansiedelungen
hören aber oberhalb des Rio Topo auf, eines der gröfseren Zuflüfschen
des Pastaza, welcher von der hohen Cordillera de los Llanganates
— so heifst der nördlich das Pastaza-Thal begrenzende Gebirgsstock —
herabkommen. Der Topo hat ein aufserordentlich felsiges Bett und
ist sehr reifsend. Ihn zu tiberschreiten, ist etwas schwierig, bei Hoch-
wasser sogar gefährlich. Wir überschritten ihn an einer Stelle, wo
zwei Felsblöcke seine Wassermasse in drei Teile zertrennen. Unsere
Leute hieben mit ihren Waldmessern Bambusstangen ab, banden zwei
derselben zusammen und stellten damit eine Brücke zwischen dem
Ufer und dem ersten Felsblock her. Darauf rutschte einer derselben
hinüber, ihm wurde eine dritte Stange gereicht, welche, von ihm und
einem anderen am Ufer etwas hoch gehalten, zum Anhalten diente.
Mein Bruder und ich gingen nun hinüber, dann wurden die Lasten
hertibergetragen, und schliefslich, nachdem der letzte herübergerutscht
war, wurden die Stangen nachgezogen. Wir sechs Mann .mit dem
Gepäck hatten gerade auf dem Felsen Platz und mufsten sehr Acht
haben, um von dem glatten Gestein nicht abzugleiten und in das rings-
um tosende Wasser zu fallen. Der Übergang auf den zweiten Fels-
block und von diesem auf das andere Ufer wurde in derselben Weise
bewerkstelligt. Unsere Leute hingen am anderen Ufer einen Teil
ihres Mundvorrats, den sie in Säckchen trugen, in grofse Blätter ge-
hüllt, an geschützter und verborgener Stelle an einem Baum auf.
Sie thaten dies aus Vorsicht, damit, wenn auf dem Rückweg der
Topo vielleicht so angeschwollen sei, dafs er den Übergang unmöglich
mache, sie noch genug Nahrungsmittel vorfänden, um einige Tage
warten zu können. Der Urwald bietet nämlich an vegetabilischer
Nahrung wenig. Essbare Früchte sind selten. Geniefsbar sind in
rohem und gekochtem Zustande die Endknospen der Stämme vieler
Palmen -Arten. Doch diese sind nicht überall zu haben. Auf die Jagd
kann man sich in diesen Gebirgswäldern nicht unbedingt verlassen.
Wenn man auch manchmal Affen, wilde Schweine oder Baumhühner
antrifft, so kann man oft auch tagelang wandern, ohne ein solches
Tier zu Gesicht zu bekommen.
Die Strecke vom Topo an bis Canelos wird nur selten von Men-
schen begangen. Der Weg ist infolgedessen nur ein meistens ganz
unkenntlicher Pfad, von den Fufstritten der Wanderer und den Hieben
des Waldmessers hergestellt, der bald von Regen und Pflanzenwuchs
verwischt wird und daher sehr schwer zu finden ist. Sogar derjenige
unserer Cholos, welcher den Weg schon häufig gemacht hatte und
übrigens ein im Urwaldleben sehr gewandter und erfahrener Mensch
Reise im Gebiet des oberen Amazonas. 369
war, verlor die Richtung mehrere Male. Wir mufsten manchmal
staunen über die Ausdauer unserer Leute, welche, mit der schweren
Last auf dem Rücken, auf dem meist durchweichten, oft morastigen
Boden in schnellem Tempo dahintrotteten und die steilen, schlüpfrigen
Abhänge auf und ab kletterten. Sie hatten allerdings dabei den grofsen
Vorteil über uns voraus, dafs sie mit den nackten Füfsen einen viel
festeren Halt besafsen, als wir mit unseren Lederschuhen.
Als wir bis auf etwa noom herabgekommen waren, gelangten
wir an den Fufs des Abitahua, eines hohen, sehr steilen, granitischen
Gebirgsausläufers, welcher von Norden her an den Pastaza herantritt.
Unter strömendem Regen erklommen wir denselben bis auf den etwa
1800 m hohen Kamm. Derselbe war von prachtvollen Wachspalmen
dicht bestanden. Viele der glatten, geringelten, ungefähr 40 cm dicken
Stämme lagen umgestürzt in wildem Durcheinander am Boden. Von
der Höhe dieses Bergzuges soll man, wie unsere Leute sagten, eine
weite Aussicht auf das niedere Hügelland des Pastaza haben. Leider
waren wir in Regenwolken dicht eingehüllt und mufsten, da es schon
spät war, eilen, um über die sumpfige Höhe, auf der sich kein ge-
eigneter Lagerplatz fand, hinwegzukommen. Vom Ostfufs des Abitahua
an war der Boden weniger steinig, die Höhenzüge zwischen den zahl-
reichen Flüfschen, die wir durchwateten, weniger steil, die Gewässer
selbst waren nicht mehr reifsend, sondern flössen mit geringem Gefälle
ruhig dahin. Nachdem uns der Weg noch einmal dicht an das Ufer
des Pastaza geführt hatte, verliefsen wir denselben, da er sich nach
Südosten wendet, während wir die Richtung nach Osten weiter ver-
folgten. Der Pflanzenwuchs nahm den feucht-tropischen Charakter
des tieferen Landes an. Grofse Bäume von etwa 40 m Höhe waren
sehr zahlreich; hier und da besafsen ihre Stämme über 1 m Durch-
messer. An vielen Orten gewahrte man die an tropischen Bäumen
häufige Eigentümlichkeit der Bildung von Wurzelflügeln, d. h. strebe-
pfeilerförmigen, brettartigen Auswüchsen der Basalteile der Seiten-
wurzeln, welche aus 5 bis 10 m Höhe vom Stamm auszugehen be-
ginnen und, geräumige Nischen zwischen sich lassend, dem Baum
eine Basis von 6 bis 10 m Durchmesser auf der Erdoberfläche ver-
schaffen. Unter den Bäumen war der stattliche Copal häufig, an
dessen Stämmen hier und da Massen aromatischen Harzes hingen.
Unsere Leute verwandten dasselbe bei dem regnerischen Wetter zum
Feueranzünden. Auf manchen Strecken bestand der Wald vorwiegend
aus starken Stämmen, fast ohne Unterholz und Kräuter, sodafs man
bequem darin umhergehen konnte. Meistens war der Wald stark
mit zwei sehr schlanken Arten der Palmengattung Iriartea gemischt;
ihre bis 40 m hohen und nur etwa 20 cm dicken, glatten, weifslichen
370 A - Limbach:
Stämme, mit einer aus ganz wenigen grofsen Blättern bestehenden
Krone, stehen auf kegelförmigen, bis an 4 m hohen Gerüsten spitz-
höckeriger Stelzwurzeln. An manchen Stellen herrschten diese Palmen
so sehr vor, dafs dikotyle Bäume ganz in den Hintergrund traten.
Der Waldboden war an manchen Orten von kleinen Pflanzen fast leer,
an anderen mit zahlreichen Farn-Arten, Selaginellen und grofsen Erd-
Bromeliaceen dicht überdeckt. Epiphytische Bromeliaceen mit schön-
farbigen Blütenständen und formenreiche Araceen bekleideten die
Bäume. Gegen die Flufsufer hin breiteten sich häufig dornige Bambus-
Gebüsche aus.
Die Nächte verbrachten wir immer unter einem aus Stangen und
Palmblättern verfertigten Dach, einem sogenannten „rancho", und
schliefen am Boden auf einem Lager von Palmblättern. Da es Tag für
Tag stark regnete, so konnten wir nur kleine Tagereisen auf dem
durchweichten Boden machen. Auch wurden wir sehr dadurch auf-
gehalten, dafs oftmals auf gröfseren Strecken die Bäume durch Stürme
entwurzelt und niedergeworfen waren. Wenn wir durch das Gewirr
der verdorrten Äste und Stämme hindurchgeklettert waren, hielt es
meist schwer, auf der anderen Seite die Spur des Weges wieder zu
finden. Wir waren nun über eine Woche auf dem Marsch durch
den düsteren Urwald und wegen des häufigen Regens noch nie recht
trocken geworden; wir bekamen Sehnsucht nach Luft, Licht und
Trockenheit. Da führte der Weg über höhere Hügelzüge, welche die
Wasserscheide zwischen Pastaza und .Bobonaza zu bilden schienen.
Der Wald war hier im Gegensatz zu dem bisher durchwanderten so
voller Lianen, dafs man sich förmlich hindurchwinden mufste. Aufser-
dem bildeten kurzstämmige, bedornte Palmen dichte Bestände. Plötz-
lich befanden wir uns am Rande eines Abhanges, von wo wir
durch das Gezweig hinausblicken konnten auf ein weites, walderfülltes
Thal, an dessen gegenüberliegender Seite auf einem Hügel ein Ge-
bäude zu erkennen war: das Missionshaus von Canelos. Am Nach-
mittag des folgenden, des zwölften Tages seit unserem Abmarsch
von Bafios, vernahmen wir das Rauschen eines gröfseren Flusses und
traten bald darauf aus dem Wald heraus an das breite, sandige Ufer
des Tinguisa. Wir verfolgten denselben bis zu seiner Vereinigung
mit dem Bobonaza, an welcher Stelle Canelos gelegen ist. Da ertönte
das Läuten einer kleinen Glocke. Man hatte uns vom Missionshause
aus gesehen und gab das Zeichen, dafs jemand angekommen sei;
denn das ist in dieser menschenarmen Wildnis ein Ereignis von Be-
deutung Als wir den Bobonaza durchwatet hatten und die jenseitige
Anhöhe hinaufstiegen, kam uns schon P. Villalba, der auf der Mission
weilende Geistliche, entgegen und führte uns zu dem zwischen Pflan-
Reise im Gebiet des oberen Amazonas. 371
zungen liegenden Missionsgebäude. Wir zeigten ihm unsere Legitimation
vor, teilten ihm den Zweck unserer Reise mit und baten um die Er-
laubnis, einige Zeit auf der Mission uns aufhalten zu dürfen. In
freundlichster Weise erhielten wir seine Zustimmung, bekamen ein
Zimmer mit Betten angewiesen, nahmen an den einfachen Mahlzeiten
des Missionars und des noch anwesenden Bruders Teil und konnten
das, was wir auf unseren Streifztigen durch die Umgebung fanden,
unter Dach bequem untersuchen. Das Haus, welches die Missionare
mit Hilfe einiger Arbeiter aus der Sierra erbaut hatten, war ein für
die dortigen Verhältnisse stattliches Gebäude aus Balken und Brettern
und war mit Palmblättern gedeckt. Zu ebener Erde befanden sich
Vorrats- und Arbeitsräume und auch eine kleine Bibliothek. Das er-
höhte Stockwerk, um welches eine breite Gallerie herumlief, enthielt
Schlaf- und Wohnräume, sowie eine Kapelle. Von der Veranda über-
blickte man die umgebende urbar gemachte Fläche mit Zuckerrohr,
Bananen, Jucca, Kaffee, Chonta-ruru-Palmen (Guillielma speciosa) be-
pflanzt; auch war eine Grasfläche angelegt, auf welcher man einige
Rinder hielt, die unter grofsen Schwierigkeiten von den Missionen am
Napo-Flufs hierher geschafft worden waren. Aufserdem fanden sich
Schweine, Schafe und Hühner vor. Weiter hinaus schweifte der Blick
über die mit ununterbrochenem Walde bedeckten Bergzüge, die im
Westen zur mächtigen Cordillere anstiegen, von welcher wir herab-
gekommen waren. Bei gutem Wetter soll man einen herrlichen Blick
auf dieselbe haben. Uns blieb derselbe versagt wegen der Wolken-
massen, die während unserer Anwesenheit in Canelos dieselbe fort-
während umhüllten. Die Höhe von Canelos beträgt zwischen 900 und
1000 m. Die Temperatur schwankte zwischen 18 und 29 C, und zwar
betrug sie durchschnittlich morgens 6 Uhr 20 , mittags 12 Uhr 26 , abends
6 Uhr 23 ° C. Gewitter hatten wir häufig und zu allen Tageszeiten, be-
sonders auch des Morgens, und dieselben waren von heftigen Wind-
stöfsen begleitet.
Auf dem Hügelzuge, auf dem das Missionshaus steht, liegen im
Walde zerstreut die Hütten der etwa 600 Indianer, welche das Dorf
Canelos bilden. Die Hütten sind, wie diejenigen aller Indianer, die
ich im Gebiet des Maranon sah, geräumig, länglich-viereckig, aus
einem Gerüst von Balken und Stangen mit einem aus Palmblättern
gefertigten Dach. Die Wände sind durch ein Gitter von dünnen
Stangen gebildet und haben an jedem schmalen Ende eine Thür.
An den Wänden stehen innen Pritschen, aus Stangen gemacht, auf denen
die Leute schlafen, oder rohe Sitzbänke. Um die Hütten herum, oder
in deren Nähe, befinden sich kleine Pflanzungen von Jucca (Manihot
aipij, der Hauptkulturpflanze der Urwald-Indianer. Bei unserer Ankunft
372 A - Rimbach:
war das Dorf verlassen. Aufser seinem gewöhnlichen Hause besitzt
nämlich jeder Indianer gewöhnlich in einer Entfernung von mehreren
Tagereisen noch eine Pflanzung nebst Hütte. Dahin pflegen die Indi-
aner jedes Jahr auf einige Monate mit der ganzen Familie und aller
beweglichen Habe zu verziehen, um daselbst die Jucca zu ernten und
zu jagen. So hatte sich gerade die ganze Einwohnerschaft auf ihre
„Landhäuser" zerstreut. Nur einige Waisenkinder waren auf der
Mission zurückgeblieben.
Ein unerwarteter Umstand zwang uns, länger, als anfanglich unsere
Absicht war, in Canelos zu verweilen. Bald nach unserer Ankunft
daselbst ringen nämlich bei uns beiden Füfse und Knöchel an, zu
schwellen, sodafs wir schliefslich keine Schuhe mehr anziehen konnten.
Die kleinen Verletzungen der Füfse, die wir durch den Marsch er-
halten oder die durch Mosquitostiche und durch das Herausziehen
von Sandflöhen, deren es in Canelos viele gab, verursacht waren,
fingen gleichzeitig an, zu eitern, und wollten auf keine Weise heilen.
Das Gehen wurde dadurch schmerzhaft, und wir konnten tagelang
das Haus kaum verlassen. Durch häufiges Baden und Anwendung
von Wismut -Subnitrat trat erst nach mehreren Wochen vollständige
Heilung ein. Dieses Leiden zeigt sich bei den meisten Leuten, welche
von der Sierra aus längere Märsche in jenen Wäldern machen. Über-
haupt kommt es im oberen Amazonenstrom-Gebiet bei Weifsen häufig
vor, dafs aus ganz unbedeutenden Hautverletzungen sich langwierige
Wunden oder bleibende grindige Geschwüre bilden; im Verlaufe
unserer Reise wurden wir öfters von Leuten um Heilmittel hiergegen
angegangen. Auch ist es, während man in der Sierra in die Füfse
eingedrungene Sandflöhe einfach ansticht und ausdrückt und, wenn
es unbequem ist, deren Haut gar nicht herauszieht, in diesen Gegenden
geboten, die Haut derselben sorgfältig zu entfernen, weil dieselbe
sonst Eiterung veranlafst.
Wir benutzten die Ankunft zweier Indianer aus dem eine Tage-
reise flufsabwärts liegenden Dorfe Pacayacu, um uns diesen für die
Rückreise anzuschliefsen.
Auf einem langen, schmalen, aus einem Cedro- Stamm (Cedrela
odoratd) ausgehauenen Kahn, wie sie die Indianer bei ihren Flufs-
fahrten hier allgemein brauchen, gingen wir den Bobonaza abwärts.
Der Flufs bildet abwechselnd tiefe Becken, wo die Indianer ihre kurzen,
schaufeiförmigen Ruder benutzten, und Schnellen, wo das Wasser über
Steingeröll schäumte, und sie den Kahn mit langen Rohrstangen
fortstemmten. In Pacayacu bezogen wir das leer stehende Häuschen
der Missionare, welches neben der Kirche stand, die in demselben Stil
wie die Indianerhütten erbaut war. Die Bewohner von Pacayacu,
Reise im Gebiet des oberen Amazonas. 373
etwa 60 an der Zahl, waren seit einiger Zeit von ihren auswärtigen
Pflanzungen zurückgekehrt. Es sind mittelgrofse, gut gebaute Leute,
von braungelber Hautfarbe, mit derbem, schwarzen, herabhängenden
Haar und meist hübschen Gesichtern. Die Kleidung besteht bei den
Männern gewöhnlich nur aus einer Art Badehose, bei den Frauen aus
einem um die Hüften geschlagenem Tuch, welches wie ein Rock bis
zur Wade reicht. Beim Gottesdienst oder sonst bei feierlicheren
Gelegenheiten bedecken sie den Oberkörper mit dem mantelartigen,
in Süd -Amerika allgemein üblichen poncho. Kaum hatten wir uns
häuslich niedergelassen, als auch schon Männer und Frauen herbei-
kamen, um. uns und unsere Habe zu besichtigen. Maimanta shamungi?
Woher kommst Du?; Maimang ringt? Wohin gehst Du?; Imata masca-
nayashpa puringi? Was gehst Du suchen? Diese und ähnliche Fragen
hatten wir unzählige Male zu beantworten. Besonders aber wollten
sie die Gegenstände, welche wir mitgebracht hatten, eingehend be-
sichtigen und deren Zweck erfahren. Bald nach unserer Ankunft be-
gaben sich sämtliche Männer auf einen Jagdzug mehrere Tagereisen
weit. Auf der Jagd leisten ihnen ihre kleinen, unscheinbaren Hunde,
ziemlich die einzigen Haustiere, welche sie halten, gute Dienste. Zum
Erlegen des Wildes bedienen sie sich einer langen, mit Eisenspitze
versehenen Lanze aus Palmenholz, welche sie auch sonst als Waffe
immer mit sich führen, und eines etwa 3 m langen Blaserohres. Letzteres
handeln sie von den Jfvaros ein, welche die Blaserohre am besten her-
zustellen verstehen. Als Pfeile dienen etwa eine Spanne lange, dünne
Holzstäbchen, die von hinten in das Rohr eingeschoben werden. Um
das hintere Ende des Stäbchens wird ein Baumwollpfropf gewickelt,
um der eingeblasenen Luft Widerstand zu bieten. Die Spitze des
Pfeiles ist auf 1 cm Länge in ein besonderes Gift getaucht, eine rot-
braune, dickflüssige Masse. Dieses Gift wird in einigen Indianerdörfern
am Huallaga in Peru, welche das Geheimnis desselben besitzen, her-
gestellt und von dort aus verhandelt. Ein Tier, welches durch einen
vergifteten Pfeil auch nur leicht verletzt wird, stirbt, ohne sich weit
fortbewegen zu können, ganz kurze Zeit darauf. Alle Tiere, bis zur
Gröfse des Wildschweins, werden von den Indianern auf diese Weise
erlegt. Das Fleisch so getöteter Tiere ist durchaus unschädlich.
Während der Abwesenheit der Männer bereiteten die Frauen und
Mädchen ein alkoholisches Getränk aus der Jucca-Wurzel vor. Eine
grofse Menge von Wurzelknollen wurde gekocht und auf einem grofsen,
tellerförmigen Brett zerrieben. Dann setzten sie sich um den Haufen
herum, jede nahm von Zeit zu Zeit einen Bissen des Breies in den
Mund, kaute denselben gehörig durch und spie ihn dann wieder auf
die Masse zurück. Nachdem so ein Teil der Masse gekaut war, wurde
374 A. Rimbach:
er mit dem übrigen vermengt und in grofsen irdenen Töpfen auf-
bewahrt. Dieser Stärkebrei aus Jucca, welcher, durch den Speichel
gährungsfähig gemacht, nun schnell Alkohol und Kohlensäure ent-
wickelt, heifst masato. Er kann etwa vierzehn Tage aufbewahrt werden
und wird, in Blätter eingewickelt, auf Reisen immer mitgenommen.
Die Männer brachten bei ihrer Rückkehr eine Menge Fleisch mit,
welches sie bereits im Walde geräuchert hatten. Erbeutet waren Fische,
Baumhtihner, Affen, grofse Nagetiere, Wildschweine und ein Tapir.
Jetzt begannen grofse, gemeinsame Schmausereien, jeden Tag in einem
anderen Hause, wobei das mitgebrachte Fleisch allmählich aufgezehrt
wurde. Auch wir wurden dazu eingeladen. Die Männer safsen auf
den Bänken an der Wand entlang, während Frauen und Mädchen
kochten und das Getränk herumgaben. Sie füllten flache, thönerne
Schalen, „tnocdhua" genannt, mit Wasser und drückten dann einige
Handvoll gegohrenen Jucca-Breies darin mit der Hand aus, wobei sie
die Fasern und gröberen Stücke wegwarfen. Dieses suppenähnliche
Getränk von süfslich-säuerlichem Geschmack führt den Namen „dssua".
Es wirkt in grösserer Menge berauschend. Die Indianer, welche un-
glaubliche Mengen davon zu sich nehmen, betrinken sich gelegentlich
damit. Diese dssua, Speise und Getränk zugleich, ist eigentlich das
Hauptnahrungsmittel der Indianer im oberen Amazonenstrom - Gebiet.
Es ist auch das erste, was man beim Betreten einer Indianerwohnung
angeboten bekommt. Während des Gelages gehen stets mehrere
Männer, mit Federschmuck angethan, in der Mitte der Hütte im Kreise
herum, indem sie kleine, mit Affenfell bespannte Trommeln schlagen,
was sie als eine feierliche Handlung anzusehen scheinen, da sie dabei
kein Wort reden und eine ernste Miene machen. Will einer der
Trommelschläger trinken oder etwas sprechen, so tritt er aus der
Reihe der übrigen heraus. Einige Male wurde auch getanzt. Mann
und Frau stellen sich einander gegenüber, die letztere hängt ein buntes
Tuch über Kopf und Schultern und tanzt in hüpfendem Schritte vor-
und rückwärts, ungefähr die Figur einer 8 beschreibend. Der Mann,
welcher eine Trommel vorhängen hat, bewegt sich, diese schlagend,
um einige Schritte vor- und rückwärts. Dieser einförmige Tanz dauert
ganze Stunden lang.
Die Sprache der Indianer am Bobonaza ist das Quichua (sprich:
Kitsch ua). Dasselbe wird sonst nur von den Hochland s-Indianern ge-
redet, dient aber unter den Indianerstämmen, welche mit dem
Maranon Verbindung haben, als allgemeine Verkehrssprache. Unsere
Indianer waren sehr gesprächig und zeigten in ihrer Unterhaltung
grofse Intelligenz. Alles interessierte dieselben, und sie stellten vor-
züglich Fragen über unser Heimatland, seine Grofse und die Wege,
Reise im Gebiet des oberen Amazonas. 375
welche dahin führten. Andererseits konnten sie, da sie viel reisen,
auch über ihr eigenes Land gute Auskunft erteilen. Sie zählen nach
dem Decimalsystem und haben Ausdrücke für die Zahlen bis tausend.
Auffallend war mir indessen, dafs sie für blau und grün keine ver-
schiedenen Worte haben und überdies beides mit „virde" bezeichnen,
dem spanischen verde, einem der wenigen bei ihnen gebräuchlichen
Fremdworte. Trotz ihrer guten geistigen Begabung sind diese Indianer
schwer zu civilisieren. Der Grund hierfür liegt in ihrem Hang nach
ungebundenem Leben und in ihrem Widerwillen, sich durch gröfsere
Habe an einen Ort allzusehr zu fesseln. Deshalb können die Missionare
sie nicht dazu bewegen, die Wohnungen besser einzurichten, gröfsere
Pflanzungen anzulegen, Haustiere zu halten und überhaupt das Leben
von Hand zu Mund aufzugeben. Der Grundsatz der Indianer ist, sich
von keiner Sache mehr anzuschaffen, als für den augenblicklichen
Lebensbedarf unbedingt notwendig ist.
Während unseres Verweilens in Pacayacu klärte sich die Cordillere
ein einziges Mal auf, und wir sahen gerade im Westen den Tunguragua
und den Gebirgsstock von Llanganate. Von Pacayacu fuhren wir nach
dem eine halbe Tagereise flufsabwärts liegenden Dorfe Sarayacu. Das-
selbe zählt etwa 400 Bewohner. Daselbst wohnte auch ein ecuadoria-
nischer Händler. Von solchen Händlern, die sich zeitweise bei den
Indianern aufhalten, beziehen die letzteren ihren Bedarf an Kleidungs-
stoffen, Äxten, Messern, Lanzenspitzen und dergleichen. Auch die
Missionare bezahlen Dienstleistungen der Indianer mit diesen Gegen-
ständen. Wir selbst waren ebenfalls mit einem kleinen Vorrat derartiger
Dinge versehen, womit wir Lebensmittel eintauschten und die Kanu-
fahrten vergüteten. Den Händlern liefern die Indianer Gold, welches
sie gelegentlich in den Flüssen waschen, sowie Kautschuk und ein
Ispingu genanntes Gewürz. Dasselbe ist das Erzeugnis eines in jener
Gegend häufigen hohen Baumes aus der Lorbeer-Familie (Lauraceae).
Bei demselben bleibt die sechsblätterige Blütenhülle bis zur Reife der
Frucht erhalten, vergröfsert sich, wird nebst dem Blütenboden fleischig und
stark aromatisch und fällt zugleich mit der etwa 4 cm langen, ei-
förmigen, einen grofsen Samen enthaltenden Frucht ab, welche sie
am Grunde umschliefst. Diese etwa 5 cm im Durchmesser haltenden
Fruchthüllen haben einen sehr starken, angenehmen Geschmack nach
einem Gemisch von Zimmet und Gewürznelke. Sie werden an der
Sonne getrocknet und nach der Sierra geschafft, wo sie bei der Be-
reitung von Gebäck und Süfsigkeiten benutzt und teuer bezahlt werden.
In Sarayacu hatten wir unsere Wohnung in dem leer stehenden
Häuschen der Missionare genommen. Eines Tages, als wir gerade
mit dem Untersuchen von Pflanzen in unserer Wohnung beschäftigt
376 A - Rimbach:
waren, entstand ein grofser Lärm. Die Indianer stürzten, mit Lanze
und Blaserohr bewaffnet, nach dem Flufs. Auf unser Fragen hiefs
es, eine grofse Schweineherde habe sich in unmittelbarer Nähe gezeigt.
Wir nahmen unsere Gewehre und liefen den Indianern nach. Doch
die Schweine hatten sich mittlerweile wieder vom Dorfe zurückgezogen,
und die Indianer verfolgten dieselben durch den Wald. An einer
solchen wilden Jagd durch Dick und Dünn wollten wir uns nicht be-
teiligen. Denn der Indianer bewegt sich im Walde mit erstaunlicher
Schnelligkeit, überwindet mit grofser Gewandtheit die vielfachen Hinder-
nisse und verletzt sich dabei, da er eine sehr derbe Haut hat, nur
selten. Er vermeidet es übrigens, eine Schweineherde von vorn zu
treffen oder in dieselbe hinein zu geraten, weil die Tiere dann leicht
über ihn herfallen, sondern er läuft derselben nach und erlegt die
Nachzügler mit seinen Giftpfeilen. Dabei trifft er manchmal mit dem
Jaguar zusammen, welcher ebenfalls im offenen Kampf mit einer
solchen Herde unterliegen würde und deshalb derselben nachzieht,
um jene Tiere zu erfassen, welche vielleicht hinter dem Haupttrupp
zurückbleiben. Von unseren Indianern gaben manche die Verfolgung
als aussichtslos bald auf. Andere aber kehrten erst spät abends mit
mehreren getöteten Schweinen zurück.
Von unserer Wohnung aus sahen wir an mehreren Abenden
zwischen 5 und 7 Uhr, wo der Himmel im Westen sich zu klären
pflegte, den Vulkan Sangay in west-südwestlicher Richtung über die
dichtbewaldeten Bergzüge hervorragen. Er war weifs von Schnee,
die Spitze aber dunkel, und von derselben zog sich auf der Ostseite
ein viereckiger, schwarzer Fleck herab, der in einige kurze Strahlen
endigte, während auf der Nordseite ein breiter, schwarzer Streifen
bis nach unten lief. Diese dunklen Teile rührten wohl von Lava
oder Asche her. Von der Spitze stiegen von Zeit zu Zeit dunkle
Rauchmassen auf und bildeten manchmal eine pinienförmige Wolke;
nachts bemerkten wir einige Male schwachen, aufleuchtenden Feuer-
schein.
Die Temperatur bewegte sich in Sarayacu zwischen 19 und 30° C.
Der Boden ist hier wie den ganzen Bobonaza entlang ein gelbroter,
sandiger Lehm, auf welchem sich Flecken einer schwarzen, humösen,
lockeren Erde zerstreut finden; auf den letzteren legen die Indianer
vorzugsweise die Pflanzungen an, weil die gelbrote Erde weniger
fruchtbar ist. Der die ganze Gegend ununterbrochen bedeckende
Wald ist in der Nähe der von uns besuchten Orte sehr reich an
niedrigen Gewächsen. Unter letzteren ragen durch die grofse Anzahl
ihrer Arten besonders die Gesneraceen (Cyrtandreae) hervor, von denen
die meisten als Kräuter oder Halbsträucher den Waldboden bewohnen,
Reise im Gebiet des oberen Amazonas. 377
manche aber mittels Haftwurzeln an den Baumstämmen hinaufklettern.
Nächst diesen ist die Menge der verschiedenartigen Marantaceen be-
merkenswert, von denen einige Arten gröfsere Strecken ganz über-
wuchern. Bei manchen Marantaceen ist es schwer, die Blüten aufzu-
finden, weil diese sehr vereinzelt erscheinen und nur wenige Stunden
frisch bleiben. Auch viele Arten von Comelinaceen fanden sich vor,
sowie zahlreiche, teils erdbewohnende, teils epiphytische Araceen.
Zu diesen gesellten sich einige Rubiaceen, einige Acanthaceen, mehrere
Costus, Cyklantheen, Heliconias, ein Syphocampylus und andere mehr.
Stellenweise fand sich Eucharis amazonica in Blüte. Häufig war eine
grofse Selaginella. Dieselbe klettert nach Art der Spreizklimmer durch
ihre sperrigen, etwas zurückgebogenen Äste auf gröfseren Holzpflanzen
bis zur Höhe von mehreren Metern empor. Ihr Stengel, welcher von
hinten her abstirbt, ist bis auf etwa 2,50 m Länge lebend und sendet
an 4 m lange fadenförmige Wurzelträger senkrecht zur Erde herab.
An offenen Stellen wuchsen drei schöne, grofse Canna-Arten. Eine
hohe, krautige Cleome wucherte als Unkraut in den Pflanzungen.
Die Ameisen, im höheren Gebirge spärlich vertreten, sind in dieser
Gegend schon sehr zahlreich, besonders auf den Pflanzen. Sie be-
wohnen daselbst vielfach eigentümliche Hohlräume, wie blasenförmige
Anschwellungen der Blattstiele am Grunde der Spreite (bei vielen
Melastomaceen) oder das Innere verdickter Stengelknoten (bei Rubi-
aceen) oder blasenförmig aufgetriebene Nebenblätter und dergleichen.
Auch giebt es blattschneidende Arten, welche unter anderem die Jucca-
Pflanzen entblättern. Von anderen Gliedertieren, welche wir fanden,
sei die Vogelspinne erwähnt, von 8 cm Rumpflänge mit 1 cm langen
Mandibular-Haken, und ein 12 cm langer Onychophore von sammetartig
braunschwarzer Farbe mit einem weifsen Fleck auf dem Kopf.
In Sarayacu konnten wir noch einige Tage in der angenehmen
und lehrreichen Gesellschaft des P. Sosa, des langjährigen Leiters der
Mission, verbringen, welcher von Quito zurückgekommen war. Zu
unserer grofsen Verwunderung konnte sich derselbe mit uns in deutscher
Sprache unterhalten, da er dieselbe während eines mehrjährigen Studien-
Aufenthaltes in Graz in Österreich gelernt hatte. Dann mieteten wir
drei Indianer mit einem Kahn, welche uns nach Andoas an der
Mündung des Bobonaza bringen sollten, und fuhren am 30. April von
Sarayacu ab. Das Land, welches von Canelos her bis Sarayacu ziem-
lich bergig ist, wird von da ab immer flacher. Gleichzeitig ändert sich
die Ufer-Vegetation. Am Oberlaufe, wo der Flufs durch Hügelzüge
meist eingeengt ist, sind die Ufer mit eigenartigen, sich horizontal
ausbreitenden, zähstengeligen Mimosen-Sträuchern bestanden, welche
auch der starken Strömung des sie überflutenden Hochwassers wider-
378 A. Rimbach:
stehen. An den flachen Ufern des Unterlaufes verschwinden diese
Mimosen, und es erscheinen die grofsblättrigen Cecropien. Hier ist
auch die fächerblättrige Mauritia-Palme (M. vinifera) sehr häufig,
welche am oberen Fluss nur vereinzelt auftritt. Sie kennzeichnet
immer morastigen Boden. Auch Euterpe und mehrere andere Palmen
erscheinen. Zum ersten Mal begegneten wir hier auch den mächtigen
Wollbäumen, deren breite, flache, äufserst regelmäfsige Kronen die
übrigen Waldbäume zu überragen pflegen und einen prächtigen An-
blick gewähren. Die meisten derselben waren gerade blattlos, einige
begannen bereits die neue Belaubung zu entfalten. Von den äufsersten
Spitzen hoher über das Wasser gebeugter Bäume hingen an vielen
Stellen lange Webervögel-Nester herab. Tiere zeigten sich wenig; die
Natur war schweigsam. Einige Male nur hörten wir den ruhigen,
flötenden Gesang des Orgelvogels.
Der Lauf des Bobonaza hat im allgemeinen die Richtung nach
OSO. In dei bergigen Gegend des Oberlaufes bildet er kleine, scharf-
eckige Windungen, im Flachland des Unterlaufes sind die Windungen
gröfser, abgerundeter und manchmal derartig, dafs der Flufs fast in
sich selbst zurückläuft. In der ersten Hälfte der Entfernung von
Sarayacu bis zur Mündung münden auf der linken Seite nahe bei
einander der Rotuno und der Puca-yacu ein, die beiden bedeutendsten
Zuflüsse des Bobonaza, welche einige Tagereisen aufwärts mit Kähnen
befahrbar sein sollen. Wir trafen noch verschiedene kleine Pflanzungen
und Hütten von Indianern an, bei welchen wir uns mit frischen Lebens-
mitteln versorgten. An mehreren dieser Orte litten die Bewohner
stark am Wechselneber. Nach fünftägiger Fahrt, am 5. Mai, fuhren
wir früh morgens in den mit Nebel überlagerten Pastaza ein. Die
Richtung des letzteren ist bei der Einmündung des Bobonaza nach SSO.
Das lehmgelbe Wasser des Bobonaza hob sich scharf von dem schwärz-
lichen des Pastaza ab und war noch eine Strecke weit am linken
Ufer desselben erkennbar. Im Pastaza schwammen zahlreiche runde,
vermutlich aus der Gegend des Sangay stammende Bimsteinstücke, und
das von der Oberfläche geschöpfte Wasser bildete einen schwarzen,
mineralischen Bodensatz. Wir landeten bei dem auf einer erhöhten
Bank des linken Ufers wenig unterhalb der Bobonaza-Mündung liegen-
den Indianer-Dorf Andoas. Unsere Indianer traten aus Furcht vor
Erkrankung noch an demselben Tage die Rückreise an. Wir selbst fanden
Aufnahme bei einem peruanischen Kautschuk-Händler, welcher daselbst
wohnte. Auch dieses Dorf wurde früher von Zeit zu Zeit durch die
Missionare von Canelos besucht. Gegenwärtig ist es fast ganz ent-
völkert, einmal in Folge von Krankheiten und dann besonders, weil
die peruanischen Kautschuk-Händler die dortigen Indianer nach ver-
Reise im Gebiet des oberen Amazonas. 379
schiedenen Gegenden des Amazonas zum Kautschuk-Sammeln fort-
fuhren, wo diese umkommen oder sich verlieren. Die wenigen Andoas-
Iridianer, welche wir sahen, waren mittelgrofse, kräftige Leute. Sie
sprechen nicht Quichua, sondern das sogenannte Gay. Hier sahen
wir auch einige Jfvaros aus der Gegend zwischen Pastaza und Morona.
Ihre Sprache war fast dieselbe, wie jene der Jfvaros, die wir auf einer
Früheren Reise im Gebiet des Santiago kennen gelernt hatten. Als
l?robe dieser Sprachen mögen die folgenden Wörter dienen.
Quichua.
Jf varo.
Gay.
Sonne
indi
izä
mpandn
Auge
njdhui-ruru
hl
genamte
Haus
hudsi
hea
iti
Wasser
ydcu
yümi
muakd
Weg
njdmbi
hXnda
nüguako
(Der Circumflex soll hierbei den Nasal-Laut bezeichnen.)
Die Temperatur bewegte sich während unseres dreitägigen Auf-
enthaltes in Andoas zwischen 21 ° und 28 ° C. Der Peruaner teilte
uns mit, dafs an zwei Stellen am Pastaza peruanische Händler wohnten,
wir aber sonst keine menschlichen Ansiedelungen am Flufs antreffen
würden. Wir kauften von demselben einen gröfseren Kahn, und nach
einigen Schwierigkeiten liefsen sich auch drei Indianer bestimmen,
uns bis an die Mündung des Pastaza zu begleiten. In der Mitte des
Kahnes wurde aus Reifen und Palmblättern eine niedrige Hütte er-
richtet, in welche wir uns bei Regen zurückziehen konnten; in dieser
lag auch unser Gepäck. Zwei der Indianer ruderten unseren Kahn,
indem der eine am vorderen, der andere am hinteren Ende desselben
safs, während der dritte, der auch seine Frau und sein Kind mitnahm,
in einem besonderen Kahn fuhr. In diesem wollten die drei Männer
-wieder zurückrudern; zwei allein würden der starken Strömung nicht
entgegen fahren können.
Auf der Fahrt harpunierte einer unserer Indianer einen grofsen
Süngaro-Fisch, von welchem wir zwei Tage lang zehrten. Die Indianer-
frau hatte einen grofsen Topf voll „masato" mitgenommen und kre-
denzte uns von Zeit zu Zeit „üwkö" mit Pasfaza-Wasser. Die erste
Nacht schliefen wir auf einer Sandbank. Am zweiten Tage kamen
wir an der Wohnung eines peruanischen Händlers vorbei, welchem
wir einen kurzen Besuch abstatteten. Auf der Weiterfahrt bemerkten
wir am Ufer zahlreiche Capybaras oder sogenannte Wasserschw T eine
(Hydrochotrus capybara), bekamen sie aber niemals zum Schilfs. Hier
und da streckten grofse Schildkröten die Köpfe zum Wasser heraus.
Wir erlegten ein Baumhuhn, Eichhorn und Affen. Auf einer Sandbank
schlugen wir wieder unser Lager auf. Nachts trat indessen Regen
380 A. Rimbach:
ein, und die Sandbank wurde vom Flufs überschwemmt, sodafs wir
uns in den Kahn zurückziehen mufsten. Am folgenden Tage dauerte
das Steigen des Flusses fort. Massen grofser Baumstämme trieben
auf dem schaumbedeckten Wasser herab. Wir landeten nach kurzer
Fahrt bei einer am Ufer stehenden verlassenen Indianerhtitte, weil sie
uns eine bequeme Schlafstelle bot. Während des Nachmittags wurde
jedoch auch diese Hütte und ihre Umgebung überschwemmt, und wir
mufsten von neuem in den Kahn flüchten und daselbst die Nacht auf
recht unbequeme Weise zubringen. Am nächsten Tage näherten wir
uns einer Stelle, wo etwas erhöhte Ufer den Flufs einengen. Lautes
Getöse liefs uns schon von weitem die Schnelligkeit ahnen, mit welcher
das mit treibenden Baumstämmen erfüllte Wasser jene Enge hindurch-
schofs. Unsere Indianer erklärten es für nicht ratsam, unter solchen
Umständen die Stelle zu passieren. Wir arbeiteten uns deshalb durch
das in das Wasser hängende Geäst der Uferbäume bis an das Land heran,
wobei sich unsere Kähne mit von den Zweigen herabfallenden Ameisen
ganz bedeckten, erstiegen das hohe Ufer und brachten die Nacht,
während welcher es in Strömen regnete, unter einem aus grofsen
Blättern hergestellten Dach zu. Am nächsten Morgen war das Wasser
etwas gefallen, auch trieb auf demselben nur noch wenig Holz. Mit
grofser Schnelligkeit schössen unsere Fahrzeuge durch die Tags vorher
so drohende Stelle. Der Ort heifst nach einer früher daselbst vor-
handen gewesenen Niederlassung Pinches. Unterhalb desselben sind
die Ufer des Pastaza ganz niedrig und werden zur Zeit des Hoch-
wassers weithin überschwemmt. Das Wetter wurde prachtvoll. Der
Flufs war meist von einer hohen grünen Pflanzenwand eingesäumt.
Der Wald war reich an Lianen; ihre Laubmassen überzogen stellen-
weise vollständig die Uferbäume und umhüllten oft die Stämme der
Palmen bis an die Blattkronen. Unter den Palmen war hier häufig
eine eigenartige Iriartea mit in der Mitte angeschwollenem Stamm
(I. ventricosa).
Am Nachmittag kamen wir an einer uns zum Übernachten sehr
passend erscheinenden Stelle vorüber, wo früher eine Ansiedelung be-
standen zu haben schien. Wir schlugen unseren Leuten vor, da zu
bleiben; sie schienen aber irgend ein Vorurteil gegen den Ort zu
haben und thaten, als ob sie uns nicht verständen, wie es ihre Sitte
war, wenn ihnen irgend etwas nicht pafste. Wir fuhren also bis
Sonnenuntergang weiter, fanden aber nirgends einen geeigneten Lan-
dungsplatz, weil die niedrigen Ufer allerorts unter Wasser standen.
Zur Rechten erschien die Mündung des Huasaga, eines gröfseren
Nebenflusses. Schliefslich dunkelte es und fing überdies noch an zu
regnen, und unsere Leute entschlossen sich, zu landen. Der an der
Reise im Gebiet des oberen Amazonas. 381
Spitze des Kahns sitzende Indianer sprang heraus, watete durch die
schlammige Erde und suchte, mit dem Waldmesser sich durch die
Uferpflanzen Bahn brechend, festeren Boden zu erreichen, während wir
vorläufig unter unserem Dach im Kahn hockten. Plötzlich schrie er
auf und schlug mit seinem Waldmesser auf einen Gegenstand am Boden
los. Wir wufsten erst nicht, was es gab, bis er in den Kahn zurück-
kam und sagte, eine Schlange habe ihn in den Fufs gebissen. Sein
Begleiter sog die Bifsstelle, die bei der Dunkelheit kaum zu erkennen
war, mit dem Munde aus; wir selbst hatten Kalium-Permanganat zur
Hand und behandelten dieselbe damit, so gut es in dem schwankenden
Kahn möglich war. Die Indianer blieben nun keinen Augenblick
länger an der Stelle und ruderten ab. Der Gebissene meinte, die
Schlange sei giftig, legte seinen Fufs hoch, nahm ein kleines rundes
Holzgefäfs, legte Tabak hinein, hielt es an den Mund und begann
uns unverständliche Formeln nach einer eigentümlichen Melodie halb-
laut hineinzusingen. Er schien hiervon Heilung zu erwarten, und
wir liefsen ihn gewähren, da wir ihm vorläufig keine Hilfe leisten
konnten.
Wir fuhren nun in der Dunkelheit weiter und banden schliefslich
die Kähne an dem niedrigen Gebüsch einer kleinen, flachen Insel fest.
Der gebissene Indianer blieb bei uns im Kahn liegen, die übrigen
gingen hinaus und machten sich, da kein trockener Boden zu finden
war, ein Lager aus abgehauenen Zweigen, Feuer konnte nicht an,
gezündet werden. Bald merkten wir aber, dafs der Ort voll Mosquitos
war. Deshalb spannten wir unseren Mosquitero noch innerhalb des
Blätterdaches im Kahn auf und krochen darunter. Ein solcher Mos-
quitero oder Mückenvorhang, der in Gegenden, welche an Stechmücken
reich sind, nicht zu entbehren ist, ist ein aus dünnem leichten Zeuge
gemachter Betthimmel, unter welchem man schläft. Unter der niedrigen
Hülle war es indessen zum Ersticken warm und dumpfig und die Lage
aufserdem so unbequem, dafs an Schlafen nicht zu denken war. Von
aufsen tönte das Summen der Stechmücken, welche uns scharenweise
belagerten und sofort eindrangen, sobald man der Luft Zutritt ge-
stattete. Der Kranke hörte die ganze Nacht nicht auf, seine eintönige
Melodie vor sich hin zu singen. Auch die übrigen kamen auf ihrem
Lager draufsen wegen der zahlreichen Mücken nicht zur Ruhe.
Als der von uns herbeigesehnte Morgen anbrach, war der Fufs
des Gebissenen ziemlich geschwollen. Der Regen wurde stärker und
hielt den ganzen Tag über an. Beim Weiterfahren kamen wir an den
Mündungen zweier von rechts einmündender kleiner Flüfschen vorbei,
des Sungachi und Manchari, und gelangten an eine Stelle, wo der
Pastaza sich in zwei Arme teilt, die sich später wieder vereinigen
Zeitschr. d. Ges. f. Erdlc. Bd. XXXII. 1897. 27
382 A. Rimbach:
und eine lange Insel einschliefsen. Wir fuhren in den rechten Arm
ein und erblickten mittags am Ufer ein Haus, welches von einem
Kautschuk-Händler herrührte, der es einige Zeit mit seinen Leuten be-
wohnt, aber wieder verlassen hatte. Es war etwas verfallen, aber sehr
geräumig und uns unter den gegenwärtigen Umständen hochwillkommen.
Auch winkte daneben eine Pflanzung von Bananen. Wir liefsen uns
sogleich häuslich darin nieder. In der Nähe, durch einen Wasserarm
getrennt, standen einige kleine Hütten, von etwa einem Dutzend
Indianer-Frauen bewohnt. Ihre Männer waren, so sagten dieselben, mit
einem Händler zum Kautschuk-Sammeln nach dem Maranon hinab-
gefahren. In den Sümpfen, welche den Ort auf der Landseite um-
gaben, standen massenhaft die fächerblättrigen Acuaje-Palmen (Mauritia),
sowie die sogenannte Shapaja, eine Kokos-Art. Die Stechmücken
waren so zahlreich, dafs man sogleich von allen Seiten gestochen
wurde, sobald man sich einen Augenblick ruhig verhielt. Zum Schutz
gegen dieselben inufsten wir fortwährend stark rauchendes Feuer
unterhalten. Wir wollten zunächst abwarten, wie es mit dem Kranken
werden würde. Er konnte nicht auf den gebissenen Fufs auftreten,
lag unter seinem Mosquitero und sang Tag und Nacht seine Melodie,
wovon er sich nicht abbringen liefs. Er glaubte offenbar, das Gift
aus seinem Körper heraus in den Tabak hineinzusingen ; denn von Zeit
zu Zeit liefs er den letzteren ausräuchern und fuhr dann mit dem
Sänge fort. Sonst liefs er durchaus keinen Heilversuch mit sich vor-
nehmen. Die Lebensmittel wurden nun sehr knapp. Jagdbare Tiere
oder Fische gab es nicht, selbst die Indianer konnten nichts finden.
Nur Bananen hatten wir reichlich. Da der Kranke, obgleich die Ge-
schwulst etwas abgenommen hatte, nicht weiter mit uns fahren und
auch nicht allein gelassen werden konnte, so entschlossen wir uns am
vierten Tage unseres Verweilens an dem Ort, unsere Leute zurück-
kehren zu lassen und die Reise allein fortzusetzen. Wir nahmen einer.
Vorrat gekochter Bananen in den Kahn, mein Bruder setzte sich an
die Spitze, ich an das Hinterende des Fahrzeuges, jeder mit einem
breiten Schaufelruder versehen. So fuhren wir den Flufs hinab. Der-
selbe begann wieder mehr zu steigen, und es zeigten sich gefährliche
Mengen treibender Baumstämme. Solche lagen auch hier und da auf
den seichteren Stellen fest, und man mufste ihnen schon von weitem
ausweichen, um nicht von der starken Strömung auf dieselben ge-
trieben zu werden. Einmal wichen wir nicht zeitig genug aus, das
Wasser drängte unseren Kahn auf einen kaum über die Oberfläche
ragenden Stamm, ein Ast rifs uns das Blätterdach herunter, und mit
knapper Not konnten wir das Fahrzeug vor dem Umschlagen bewahren.
Kurz darauf trieb die Strömung den Kahn in die Schlingpflanzen des
Reise im Gebiet des oberen Amazonas. 383
Ufers hinein, wo derselbe hängen blieb, umgedreht wurde und wieder
dem Umschlagen nahe war. Noch im letzten Augenblick gelang es
uns, das Fahrzeug mit dem Waldmesser loszuhauen. Am Nachmittag
erschien am rechten Ufer die Mündung eines gröfseren Flusses, des
Huitu-yacu und weiter unten ein Haus. Wir hielten uns, um ja nicht
von der Strömung an demselben vorbeigerissen zu werden, dicht am
Ufer. Als wir näher kamen, trat ein Mann heraus und rief uns zu,
wir sollten in den Hof hineinfahren. Wir bemerkten nun, dafs das
Wasser die ganze Umgebung des Hauses überflutete und sich durch
eine Lücke des Zaunes in den Hof ergofs. Hierein lenkten wir den
Kahn. „Springen Sie in das Wasser und schieben Sie den Kahn vor das
Haus, sonst wird er Ihnen fortgerissen", rief der Mann. Wir sprangen
hinaus, und mit Aufbietung aller Kraft gelang es uns, das Fahrzeug aus
der Strömung heraus und vor ein Häuschen zu ziehen, welches hinter
dem ersten stand. Der Besitzer des Hauses, ein Peruaner, welcher mit
seiner Frau und einigen Dienstleuten als Kautschuk-Händler hier wohnte,
war sehr erstaunt darüber, dafs wir als Fremde allein auf dem Flufs
fuhren. Wir erzählten ihm unsere Erlebnisse und baten ihn, bei ihm
bleiben zu dürfen, da es während der letzten Tage mit unserer Ver-
pflegung sehr schlecht bestellt gewesen war. Er nahm uns sehr gern
auf, und wir labten uns an dem vorzüglichen Fleisch der Nagetiere,
welche seine Leute im Walde erlegt hatten. Er teilte uns mit, dafs
er schon mehrere Jahre hier lebe, aber noch nie den Flufs bis zu
solcher Höhe habe steigen sehen. Es sei übrigens eine peruanische
Truppe von 20 Mann vor einigen Tagen bei ihm gewesen, welche nach
Andoas hätten hinaufgehen wollen, um etwaige kriegerische Unter-
nehmungen der Ecuadorianer zu beobachten. Sie sei aber wieder um-
gekehrt, weil ihre indianischen Ruderer entflohen seien. Wir würden
die Soldaten wahrscheinlich am Maranon antreffen. Unser Schreiben
vom peruanischen Gesandten würde uns gute Dienste leisten; ohne
dasselbe würden wir, da wir aus Ecuador kämen, vielleicht Schwierig-
keiten haben.
Auf die Einladung des Peruaners blieben wir den nächsten Tag
noch bei demselben, da der Flufs immer noch im Steigen begriffen
war. Am darauffolgenden Morgen schoben wir mit Hilfe unseres Gast-
freundes und seines Burschen mit grofser Mühe den Kahn vom Hause
hinweg durch das überlaufende Wasser bis an den Rand des eigent-
lichen Flufsbettes. Dann schwangen wir uns hinein, wurden sogleich
von der Strömung fortgerissen und ruderten mit aller Kraft nach der
Mitte des Flusses, um nicht in das Gewirr der am Ufer angeschwemmten
Bäume zu geraten.
Wir hatten zuerst die Absicht gehabt, in die unterhalb der Mün*
27*
384 A. Rimbach:
düng des Huitu-yacu von rechts in den Pastaza abfliefsende grofse
Lagune Rimachuma einzufahren, um dieselbe näher kennen zu lernen.
Wegen des herrschenden Hochwassers mufsten wir diesen Plan auf-
geben. Wir verbrachten die Nacht in unserem Kahn an einer kleinen
Insel unterhalb der Einmündung der Rimachuma. Auf der Weiterfahrt
am anderen Tage sahen wir am Ufer ausgedehnte Bestände der schon
erwähnten Mauritia- und Kokos-Palmen, denen auch zahlreiche Assai-
Palmen (JSuterpe) beigemischt waren. Aus dem Uferwalde ragten hier
und da riesige, breitkronige Wollbäume hervor. Affen, grofse weifse
Reiher und Scharen kleiner grüner Papageien belebten den Wald.
Grofse, langschwänzige Papageien (Arä), die dort Huacamayo genannt
werden, deren buntes Gefieder in der Sonne prachtvoll glänzt, flogen
paarweise mit lautem Geschrei in bedeutender Höhe. Überall stand
der Wald unter Wasser, nur selten kam die rote Erde des Ufers zum
Vorschein. Da erweiterte sich etwa um vier Uhr nachmittags die
Wasserfläche, eine starke Strömung kam von rechts: wir hatten die
Mündung des Pastaza erreicht und fuhren in den Maranon ein.
Nach den Kompafs-Beobachtungen, welche ich während der ganzen
Fahrt gemacht hatte, ist die allgemeine Richtung des Pastaza von
Andoas bis zur Mündung von N nach S mit einer geringen Abweichung
nach O. Der Flufs hat nur wenige und schwache Windungen. Er
fliefst von der Einmündung des Bobonaza bis etwas unterhalb Pinches
fast in gerader Linie nach SSO, darauf bis zur Mündung des Huasaga
nach SSW, dann bis etwas unterhalb der Rimachuma unter einigen
Schlängelungen nach S, und endlich auf der kurzen Strecke von dort
bis zur Mündung geradlinig nach SO.
Wir hielten uns zunächst am linken Ufer des Maranon, konnten
aber, da die starke Strömung hier hinderte, keine Landungsstelie
finden, kreuzten deshalb die Strömung und landeten mit einiger
Schwierigkeit im Gebüsch einer tiberschwemmten Insel, wo im Kahr.
übernachtet wurde. Die nächste Ansiedelung war die kleine Haciend:
S. Isidro auf dem linken Ufer, welche wir tags darauf nach einer Fahrt
von wenigen Stunden erreichten; sie war zur Zeit ebenfalls vom
Wasser überschwemmt. Als wir angelegt hatten und uns durch den
tiefen Schlamm nach dem Hause begeben wollten, kamen uns
mehrere Leute, von unserer Ankunft anscheinend überrascht, entgegen
gelaufen. Es waren Soldaten der peruanischen Truppe. Wir ver-
langten, zum Führer derselben geführt zu werden, und zeigten dem-
selben unsere Legitimation vom peruanischen Gesandten vor. Der
Teniente empfing uns mit ausnehmender Zuvorkommenheit und forderte
uns dringend auf, einen Tag bei ihm zu bleiben und seine Gäste z"
sein. Wir nahmen das Anerbieten nach den gehabten Anstrengungen
Reise im Gebiet des oberen Amazonas. 385
mit Dank an und konnten die Leute im Laufe der Unterhaltung über-
zeugen, dafs wir keine Spione von Ecuador seien, was sie anfangs zu
argwöhnen schienen. Der Boden des Hauses, worin die zwanzig Mann
sich aufhielten, war vollständig durchweicht, und ebenso stand es in
dem Raum, welchen wir zum Schlafen angewiesen erhielten. Wir
mufsten, um unsere pritschenartigen Schlafstellen zu erreichen, bis fast
an die Knie im Morast waten.
Am nächstfolgenden Tage fuhren wir ab. Schon kurz nach Mittag
zwang uns aber ein von Osten kommender starker Wind, welcher, der
Strömung entgegengerichtet, hohe Wellen warf und unser Fahrzeug
leicht hätte zum Sinken bringen können, in dem Dickicht des etwa 10 m
hohen Uferrohres Schutz zu suchen. Hier verbrachten wir auch die
Nacht, in welcher es so viele Zancudos gab, dafs wir genötigt waren,
wiederum in der drückenden Luft unter dem Mosquitero zu schlafen.
Unser nächstes Ziel war die Hacienda S. Lorenzo, die auf einer
Insel, gegenüber der Mündung des grofsen Flusses Huallaga, liegen
sollte, des ersten grofsen Zuflusses des Maranon von der Südseite.
Wir erreichten den Ort am nächsten Tage noch nicht, weil das Rudern
in der starken Sonnenhitze sehr anstrengend war, und es aufserdem
wegen der Strudel, die den Kahn fortwährend drehten, sehr erschwert
war, die Richtung zu halten. Auch gerieten wir manchmal in tote
Arme des Stromes, wo wir ausschliefslich auf das Rudern angewiesen
waren. Man mufste sich übrigens sehr hüten, nahe am Ufer hin zu
fahren, weil öfters hohe Bäume von dem erweichten und unterwaschenen
Ufer mit donnerähnlichem Getöse in das Wasser stürzten. Auf der
ganzen Strecke war der hohe Wald sehr reich an Palmen (Mauritia,
Cbcos, Euter pc), die Ufer stellenweise mit hohem Bambus und Rohr-
gebüschen bestanden. Auf dem Wasser gab es viele grofse Enten,
auch tummelten sich zahlreiche Delphine in der Flut. Nachdem wir
nochmals im Ufergebüsch tibernachtet hatten, zeigte 'sich nach kurzer
Fahrt am folgenden Morgen die Mündung des Huallaga und etwas
unterhalb derselben auf einer Insel die Ansiedelung S. Lorenzo. Auf
dieser Hacienda blieben wir, um eine Gelegenheit abzuwarten, weiter
stromabwärts zu fahren. Wegen des hohen Wellenganges, der in
Folge des starken Ostwindes auf dem Strom herrschte, war es nämlich
von hier an zu gefahrlich, unser kleines Fahrzeug weiter zu benutzen.
Am anderen Morgen wurden wir durch den Schall einer Dampf-
pfeife herausgelockt. Ein grofser Amazonas-Dampfer, „Bermüdez", kam
den Strom herauf und landete in S, Lorenzo, um Holz einzunehmen.
Derselbe hatte in den Huallaga hinein bis nach Yurimaguas zu gehen.
Dieser Ort bildet gegenwärtig den Endpunkt der regelmäfsigen Dampf-
schiffahrt auf dem Amazonen-Strom.
386 A. Rimbach:
Wir warteten nun in S. Lorenzo, dessen Besitzer uns höchst gast-
freundschaftlich behandelte, auf die Rückkehr des „Bermüdez". Die
Temperatur schwankte während unseres Aufenthalts (Ende Mai) zwischen
2o° und 29 ° C. Das Wasser des Stromes hatte an der Oberfläche
24i° C. Der Maranon war immer noch stark angeschwollen und führte
viel Treibholz. Das grofse Hochwasser dauert gewöhnlich von Februar
bis Mai, der niedrigste Wasserstand von Juni bis September, worauf
im Oktober und November wieder ein kleines Anschwellen erfolgt, das
von einem erneuten Sinken im December und Januar begleitet wird.
In S. Lorenzo wird hauptsächlich Zuckerrohr gebaut, das
gewöhnlichste Produkt auf allen dortigen Hacienden, und daraus
zum kleinen Teil roher, brauner Zucker, dort chancona genannt, zumeist
aber Branntwein gewonnen. Aufserdem werden Jucca und Bananen
kultiviert und Viehzucht getrieben. Von den Arbeitern der Hacienda
wurden täglich einige zur Jagd in den Wald und auf den Flufs ge-
schickt. Unter ihrer Beute sahen wir hier zum ersten Mal den Paiche
(Arapaima gigas), einen riesigen, bis 2,50 m langen, grofsschuppigen
Fisch. Derselbe ist im Maranon und seinen Nebenflüssen sehr häufig,
und sein Fleisch bildet in gesalzenem und getrocknetem Zustande
eines der gewöhnlichsten und wichtigsten Nahrungsmittel am Strom.
Auch bekamen wir hier das gröfste der dortigen Hokko-Htihner zu
sehen (Crax tomentosus). Das Männchen hatte etwa 1 m Länge und
ii m Spannweite der Flügel, blau schwarze Farbe, schwarzen Feder-
kämm und roten, gegen die Stirn hin blasig aufgeschwollenen
Schnabel.
Am 3. Juni kam der „Bermüdez" von Yurimaguas zurück. Wir
fuhren mittags auf demselben ab, gingen aber nicht mit bis Iquitos,
sondern stiegen am folgenden Morgen in Parinari, einem Indianer-
dorf auf dem nördlichen Ufer, aus. Der Besitzer der daselbst be-
findlichen gröfseren Hacienda, Herr R., an welchen wir von S. Lo-
renzo aus empfohlen waren, stellte uns in Aussicht, eine Exkursion
auf dem ihm gehörigen kleinen Dampfboot in den Flufs Samina
unternehmen und dann später mit ihm selbst nach Iquitos fahren zu
können. Herr R. hatte etwa 100 Cocama - Indianer von Parinari in
seinem Dienst. Das will in jener Gegend, wo Land fast umsonst zu
haben ist, aber Arbeitskräfte fehlen, sehr viel bedeuten. Er kultivierte
ziemlich viel Zuckerrohr und besafs eine grofse Branntwein-Destillation,
deren Produkt in Iquitos, der Stadt des Kautschuk-Handels, schnellen
Absatz findet. Aufserdem fabrizierte er gute Backsteine und Ziegel
zum Verkauf in Iquitos aus der mit Flufssand gemischten thonigen
Erde des Ufers, welche für diesen Zweck ein ausgezeichnetes Material
darstellt.
Reise im Gebiet des oberen Amazonas. 387
Während unseres Aufenthalts in Parinari, zu Anfang Juni, regnete
es fast täglich. Die Temperatur war auffallend gleichmäfsig, da sie
sich nur zwischen 21° und 28 ° C. bewegte und einmal, am 5. Juni,
sich durch 24 Stunden, Tag und Nacht, auf 23 ° C. erhielt. Das Wasser
des Stromes zeigte morgens an der Oberfläche zwischen 23$ und 24 J° C.
Der Strom ist bei Parinari in einem Bett vereinigt, ohne Inseln, und
etwa 600 m breit.
Von den Kulturpflanzen reift daselbst die Banane in 9 Monaten,
die Jucca {Manihot aipi) in 6, der Reis in 5, die Erdnufs (Arachis hy-
pogaca, dort man! genannt) in 4, der Mais in 3, die Bohne (Phaseolus)
in 2! Monaten, das Zuckerrohr wird in 10 Monaten schnittreif.
Erst am 17. Juni wurde es möglich, die Fahrt nach dem Samiria-
Flufs auszuführen. Der Sohn des Herrn R. fuhr mit seinem kleinen
Dampfboot nach einer dort angelegten Station in Begleitung einer
gröfseren Anzahl seiner Cocama-Indianer, welche in der Umgebung
derselben verteilt wurden, um während einiger Monate, zur Zeit des
niederen Wasserstandes, Kautschuk einzusammeln. Dieser Kautschuk, dort
Jeve genannt, ist der erstarrte Milchsaft von Hevea brasiliensis, einem
hohen Baum, und wird durch Einschnitte in die Rinde des Stammes
gewonnen, aus welchen er ausfliefst. Die Leute erhielten einen Vorrat
von Farinha (gerösteter, zerriebener Jucca) und aufserdem Gewehre
und Munition, womit sie sich ihren Fleischbedarf durch Jagd ver-
schaffen. Der Samiria ist ein kleiner Flufs, welcher wenig oberhalb
der Mündung des Ucayale auf dem rechten Ufer in den Maranon
einmündet und in ziemlich starken Windungen im allgemeinen von
Süden nach Norden fliefst. Seinen Ursprung hat er wahrscheinlich
in dem etwas erhöhten Gelände in der Gegend von Yurimaguas. Sein
Wasser ist im Gegensatz zu dem trüben, weifslichen des Maranon
braunschwarz und ganz klar. Im Glase betrachtet, erscheint es gold-
bräunlich; sein Geschmack ist etwas fade. Die Temperatur des Flusses
betrug an der Oberfläche 23 ° C. Er war, wie man an der Marke sah,
die das Hochwasser an den Baumstämmen zurückläfst, erst wenig ge-
fallen. Der dichte hohe Wald, der die ganze Gegend bedeckt, stand
in der Nähe der Flufsläufe überall unter Wasser. Am Ufer machten
sich durch ihre Häufigkeit besonders bemerklich ein kleiner Bombaceen-
Baum, zur Zeit gerade blattlos, aber mit zahlreichen, grofsen, weifsen
Blüten behangen, und mittelgrofse, in dichten Gruppen wachsende,
dornige Fiederpalmen.
Unter den Waldbäumen, deren Höhe meist gegen 40 m betrug,
waren zahlreich vorhanden die schlanke Capirona (eine Rubiacee) mit
dünner, rötlicher Borke, die Cedrela, der Mahagoni-Baum, die Copaiva
und verschiedene Arten mächtiger Bombaceen, von denen manche
3g8 A * RimbaCh:
einen Stammdurchmesser bis zu 3 m besafsen. Viele dieser Woll-
bäume waren gerade ohne Blatter; bei manchen waren die beschupp-
ten Endknospen der Zweige im Aufbrechen und die Blätter in der Ent-
faltung begriffen. Der Wald war reich an Palmen. Besonders massenhaft
trat die schon erwähnte Shapaja (Cocos sp.) und eine mittelhohe Stein-
nufspalme {Phytelephas) mit Samen von etwa 4 cm Durchmesser auf.
Von diesen Palmen unterscheidet sich durch ihren schlanken und
zarten Bau die sparsamer vorkommende Assai-Palme (JEutcrpe). Diese
wird bis gegen 30 m hoch, bei einem Stammdurchmesser von 20 cm
im unteren und kaum 10 cm im oberen Teil. Die Krone wird von
etwa einem Dutzend Blättern gebildet von 3 bis 3$ m Länge, deren
Mittelrippen starr und geradlinig von einem Mittelpunkte nach allen
Seiten ausstrahlen, während ihre biegsamen, schlaffen Fiedern senkrecht
abwärts hängen. Die unterhalb der Blätter sitzenden Fruchtstände
tragen eine grofse Menge kugeliger, etwa i| cm dicker, schwarzblauer
Beeren mit dünnem Fleisch. Die Bäume beherbergten in dieser Ge-
gend verhältnismäfsig wenig Epiphyten. Auf dem meist morastigen
Boden im Innern des Waldes kamen aufser einigen Scitamineen, Comme«
linaceen, dünnstämmigen Baumfarnen und kleinen Palmen der Gattung
Geonoma nur wenige krautartige Pflanzen vor.
Vom Flufs aus gesehen bot dieser Wald, besonders morgens vor
Sonnenaufgang, wenn er von leichtem Dunst umhüllt war und unter
zarter, seitlicher Beleuchtung stand, ein märchenhaft schönes Bild.
Wir fuhren auch in einige seitliche Zuflüsse des Samiria hinein, welche
sich seeartig verbreitern und nur geringe Strömung haben. Hier gab
es stellenweise zahlreiche schwimmende Wasserpflanzen: eine Ponte-
deriacee mit blafsroten Blüten, eineweifsblütige Jussiaea-artige Onagracee,
Pistia, schwimmende Farne mit blasigen, dicken Blattbasen, Utricularia
mit gelben Blütentrauben. Hier sahen wir auch zum ersten Mal die
Victoria regia. An manchen Stellen hatten die genannten Pflanzen vom
Ufer aus die ganze Breite des Wasserlaufes überwuchert, sodafs das
Dampfboot nicht durchdringen konnte. Indianer gingen deshalb auf
Kähnen voraus, hieben aus der dichten Pflanzenmasse grofse Schollen
heraus, welche dann langsam fortschwammen, und bahnten so dem
Fahrzeug einen Kanal. Auf dieser schwimmenden Pflanzendecke
trafen wir mehrfach den Wehrvogel (Palamedea cornuta), sowie dessen
Nest, welches sehr einfach aus zusammengebogenen Stengeln gebildet
ist. Ein solches Nest enthielt vier weifse Eier von je 9 cm Länge, ein
anderes drei, noch mit fahlgelbem Flaum bekleidete Junge. Hin und
wieder Hefsen sich auch grofse Boas sehen, die aber immer eilig in das
Wasser flüchteten. Nachts phosphoreszierte die Pflanzenmasse vom
Licht unzähliger, kleiner Leuchtkäfer.
Reise im Gebiet des oberen Amazonas. 389
Die Indianer, welche an den Stellen, wo wir uns etwas länger
aufhielten, sich in den Wald zerstreuten, um die Gesellschaft mit
Fleisch zu versorgen, brachten eine Menge erlegter Tiere herbei. Am
meisten wurden Affen erbeutet. Wir bekamen 6 Arten derselben zu
Gesicht. Unter diesen befand sich der gröfste Affe jener Gegenden,
die schwarze Makisapa (Aieles paniscus L.), dessen Körperlänge bei beiden
Geschlechtern 60 cm beträgt, ohne den 70 cm langen -Greifschwanz.
Ebenso grofs, mit 60 cm langem Greifschwanz, ist der rotbraune
Brüllaffe (Mycetes seniculus L.). Das Männchen dieser Art hat einen
ungewöhnlich grofsen, aufgetriebenen Kehlkopfknorpel und ist etwas
gröfser als das Weibchen. Beide Arten leben truppweise in den
Baumkronen. Das Fleisch aller Affenarten wurde gegessen und hatte
einen guten Geschmack. Gelegentlich wurde auch ein dreizehiges,
schwarz-weifses Faultier geschossen. In grofser Zahl wurden Nagetiere
erbeutet, besonders der Mahäs (Coelogenys paed) und der Agutf [Dasy-
proeta aguti). Von hühnerartigen Vögeln wurden erlegt die Pava
[Pipile sp.), schwarz mit weifser Flügelbinde, weifsem Gesicht, Scheitel
und Haube, bläulichem Schnabel und rötlichen Füfsen, und die
Gaznadora (Penelope sp.), braun mit roter, nackter Kehle, schwarzem
Schnabel und roten Füfsen. Aufserdem wurden geschossen viele rote
und blaue Guacamayos oder Papageien (Ära macao L. und Ära ararauna
L.), ferner verschiedene Reiher, wie der Kahnschnabel (Cancroma
cochlearia L.), der graue Riesenreiher (Ardea cocoi L.), die buntfarbige
Ardea agami L., sowie Tigrisoma brasilense und Falcinellus igneus. Auch
sahen wir dort den merkwürdigen Shansho (Opistocomus cristatus), einen
hühnerartigen Vogel, der auf der Innenseite der Vorderflügelränder
je zwei vollkommen ausgebildete bekrallte Zehen trägt. Sein Nest be-
fand sich auf über dem Wasser hängenden Baumästen, war aus Reisern
gemacht und enthielt vier weifse, mit blafs-rotbraunen Flecken versehene,
4i cm lange Eier. In jener Gegend ist auch die grofse Nachtschwalbe,
Sleatornis caripense, sehr häufig, die ein eulenartiges Gefieder besitzt
und in der Nacht ihren klagenden, dem Jammern eines Kindes ähn-
lichen Schrei ertönen läfst. Wir erlegten Exemplare von über j m
Länge und mehr als 1 m Spannweite der Flügel.
Reiche Beute gab auch das Wasser. Von Fischsäugetieren waren
die Delphine sehr zahlreich (Inia). Sie werden von den dortigen Ein-
wohnern ungestört gelassen, da sie nicht geniefsbar sind. Desto mehr
wird der Manatf verfolgt (Manatus ausfra/is), der dort auch den Namen
„vaca marina" führt. Er hält sich vorzugsweise in den Lagunen auf
und scheint sich hauptsächlich von Pistia zu nähren. Wir bekamen
nur ein Exemplar zu sehen. Er soll indessen sehr häufig dort vor-
kommen und sich auch in den Lagunen am unteren Pastaza finden«
390 A. Rimbach:
Man erlegt ihn mit der Harpune. Lebend wurden einige Exemplare
von zwei Arten grofser Flufsschildkröten gefangen. Dieselben haben
ein sehr gutes Fleisch und sehr angenehm schmeckendes, zum Backen
geeignetes Fett. Ein besonders wertvolles Nahrungsmittel sind ihre
Eier, welche während der Zeit des niederen Wasserstandes in grofsen
Mengen in den Ufersand abgelegt werden. Von Fischen harpunierten
die Leute 2 Meter lange Exemplare von Arapaima gigas und zahlreiche
Stücke von einem dort Gamttana genannten, 1 Meter langen, seitlich
stark zusammengedrückten Fisch mit sehr starken, breiten Zähnen in
beiden Kiefern und ausgezeichnetem Fleisch. Die günstige Fischzeit
herrschte damals nicht, dieselbe ist vielmehr während des niedrigen
Standes der Flüsse. Von Schlangen trafen wir aufser den grofsen
Wasser-Boas nur kleine, zum Teil giftige Arten in nicht auffallender
Menge. Alligatoren waren nicht zu sehen; sie hatten sich des hohen
Wasserstandes wegen von den Flüssen zurückgezogen.
Am Samiria war das Wetter meist klar und windig. Die Tempe-
ratur stieg mittags nicht Über 28 ° C. und fiel in den letzten Tagen
des Juni nachts einige Male bis auf 17 , was auf uns den Eindruck
empfindlicher Kühle machte. Gegen Morgen erfolgte immer starker
Taufall. Der brasilianische Besitzer eines Dampfboots, welcher schon
seit Jahren den oberen Amazonas befuhr, sagte mir, er habe einmal
am unteren Napo eine Temperatur von nur 12 ° C. beobachtet, eine
Angabe, für deren Richtigkeit ich nicht bürgen kann, die mir aber
nicht unwahrscheinlich vorkommt. Das Wasser des Samiria hatte
morgens an der Oberfläche eine Temperatur von 23 ° C.
Nach Parinari zurückgekehrt, erfuhren wir, dafs in dem Städtchen
Yurimaguas am Huallaga und dessen Umgegend eine Blattern-Epidemie
herrsche. Zugleich kam auf einem kleinen Dampfboot von Iquitos
eine Polizei-Kommision herauf, welche den Auftrag hatte, bei Parinari,
wo der Strom keine Arme bildet, sich festzusetzen und alle Reisenden,
die von oben kämen, zurückzuhalten, damit die Krankheit - nicht nach
Iquitos verschleppt würde. Aus demselben Grunde war auch der
Verkehr der Dampfschiffe auf dem Strom unterbrochen worden. Da
es sich herausstellte, dafs eine Rückkehr nach den ecuadorianischen
Anden, den Morona oder Santiago hinauf, sehr schwer ausführbar war,
so wären wir gerne den Napo, der etwas unterhalb Iquitos mündet,
hinaufgefahren, um entweder auf dem Curaray, seinem gröfsten Neben-
flufs, wieder nach der Gegend von Canelos zu gelangen, oder uns nach
den Ansiedelungen im Quellgebiet des Napo selbst zu wenden. Wir
würden diese Reise stromaufwärts während des niederen Wasserstandes
haben machen können, wo man vieles Interessante kennen lernt,
was bei Hochwasser verborgen bleibt. Inzwischen erfuhren wir aber
Reise im Gebiet des oberen Amazonas. 391
durch Leute, welche von Iquitos kamen, dafs nur einmal monat-
lich sich Gelegenheit böte, mittels Dampfboots bis zur Mündung
des Curaray zu fahren, und dafs auch dieses gegenwärtig unsicher sei.
Die Unannehmlichkeiten einer langsamen, etwa 30-tägigen Kanu-Fahrt
stromaufwärts wollten wir aber nicht durchkosten; wir hatten des-
halb schon den Plan erwogen, von Iquitos aus den Ucayale hin-
aufzugehen, auf welchem der Verkehr der Dampf boote lebhaft sein
sollte, und vom Oberlaufe desselben nach der Küste von Peru zu
ziehen.
Da erschien am 16. Juli am frühen Morgen ganz unerwartet der
grofse Amazonen-Dampfer „Sabia" von Parä herkommend, und landete
in Parinari. Er war auf dem Wege nach Yurimaguas. Wir entschlossen
uns schnell, Iquitos aufzugeben, packten eilig unsere Sachen, verab-
schiedeten uns von unserem Gastfreund und fuhren — der Dampfer
hielt nur eine halbe Stunde — wieder stromaufwärts. Die Passagiere
waren zumeist peruanische Geschäftsleute, die aus Iquitos kamen;
einige, welche sich am Flufs Javari wegen Kautschuk-Handels auf-
gehalten, waren schwer am Fieber erkrankt. Das Gebiet des Javarf,
des Grenzflusses zwischen Peru und Brasilien, ist gegenwärtig berühmt
wegen seines Reichtums an Kautschuk und voll von Caucheros oder
Kautschuk-Sammlern, jedoch, wie man allgemein sagt, im höchsten
Grade ungesund. Das Essen auf dem Schiffe war ziemlich schlecht.
In der Nacht machte sich jeder eine Schlafstelle zurecht, wie er
eben konnte, auf dem Boden, auf den Tischen oder in einer Hänge-
matte. Auf der Strecke von Parinari bis zur Mündung des Huallaga
besteht der Wald am Ufer grösstenteils aus dikotylen Bäumen, strecken-
weise zeigen sich aber auch reine Palmenwälder, bald von Shapaja-,
bald von Acuaje - Palmen gebildet, denen in geringerer Menge AssaK-
Palmen beigemischt sind. Unser Dampfer langte am anderen Morgen
bei S. Lorenzo an und fuhr dann in den Huallaga hinein. Auch an
diesem Flufs bedeckte hoher, schöner Wald überall die erst ganz
niedrigen, später mehr erhöhten Ufer; derselbe enthielt aber hier auf-
fallend wenig Palmen.
Wir erreichten Yurimaguas am folgenden Vormittag. Es ist ein
kleiner Ort auf dem linken, flachhtigeligen Ufer, des Flusses, auf gelb-
rotem sandigen Thonboden gelegen, allseits von Wald umgeben ; etwas
unterhalb desselben mündet der Paranapura, ein Flufs, der aus der
Cordillere von Westen her in den Huallaga sich ergiefst. Der „Sabiä"
fuhr wegen der Blatterngefahr etwas über den Ort hinaus und legte
am gegenüberliegenden Ufer an, wo die Ladung und die Passagiere
abgesetzt wurden. Von hier fuhren wir am Nachmittag in einem
Kahn nach Yurimaguas hinüber.
392 A. Rimbach:
Die Blattern herrschten hier schon seit längerer Zeit- Fast täglich
starben noch Personen. Überall sah man Genesene mit den Spuren
der Krankheit. Wir wollten daher womöglich noch an demselben Tage
aufbrechen. Unser Gepäck hatten wir schon für den Landmarsch
dadurch vermindert, dafs wir alles nicht unbedingt Nötige verkauft
hatten, sodafs wir mit einem Träger auskommen konnten. Es war
aber, obgleich wir im ganzen Ort herumfragten, kein Träger zu be-
kommen. Alle die Indianer und Cholos, welche sich sonst hierzu
hergeben, waren vor der Krankheit in die Wälder geflüchtet. Sehr
gegen unseren Willen mufsten wir noch zwei Nächte in dem Ort zu-
bringen. Als nächstes Reiseziel hatten wir die Stadt Moyobamba am
Oberlaufe des Flusses Mayo ausersehen, welcher, mit dem Paranapura
etwa parallel fliefsend, weiter oben von derselben Seite in den Huallaga
einmündet. Von den beiden Wegen, welche von Yurimaguas nach
Moyobamba führen, wählten wir nicht den etwas längeren, aber be-
quemeren, der dem Thal des Mayo folgt, sondern den zwar schwieri-
geren, aber abwechselungsreichen und interessanteren, durch das Thal
des Paranapura und dann über die zwischen Paranapura und Mayo
sich hinziehende Gebirgskette. Die einzige gröfsere Ortschaft auf
diesem Wege ist Balsapuerto, in der Mitte zwischen Yurimaguas und
Moyobamba gelegen.
Nach langem Suchen fanden wir endlich einen jungen, kräftigen
Cholo, welcher sich entschlofs, uns bis Balsapuerto zu begleiten. Am
20. Juli brachen wir auf und gelangten in drei Marschtagen dahin.
Der Weg war äufserst lohnend. Zuerst führte er über flache Hügel
den Puranapura entlang. Auf diesem fuhren wir auch eine Strecke
weit in einem Kahn und begegneten dabei mehreren Reisegesellschaften,
welche auf Flöfsen von Balsapuerto („Flofshafen") herunter kamen.
Auf diesen Flöfsen fahren die Leute bis Iquitos. Die Indianer-Dörfer
Monichi und Maucallacta, durch welche wir zogen, waren von ihren
Bewohnern vollständig verlassen. Die Furcht vor der Ansteckung
durch die Blattern hatte die Leute veranlafst, sich in den Wäldern zu
verbergen, um mit niemandem aus Jurimaguas in Berührung zu kommen,
Nirgends auf unserer Reise sahen wir einen grofsartigeren Urwald als
auf dieser Strecke. Auffallend grofs war die Menge schön gewachsener,
dickstämmiger, häufig 60 m an Höhe messender dikotyler Bäume
mit prachtvollen, ausgedehnten Kronen. Viele Arten derselben be-
safsen sehr ausgeprägt die eigentümlichen, strebepfeilerartigen Wurzel-
flügel. Die Bäume waren meist reich mit dicken Lianen behangen.
Zwischen den dikotylen Bäumen standen viele hohe Palmen; unter
ihnen fiel uns hier besonders eine Iriartea mit bauchigem Stamm auf.
An feuchten Stellen fanden sich Mauritien. Epiphyten waren in mäfsiger
Reise im Gebiet des oberen Amazonas. 393
Menge vorhanden. Der im ganzen ziemlich lichte Wald bot auch
Raum für niedrigere Gewächse. Der Boden war manchmal dicht von
Selaginellen überzogen: eine grofse, kletternde Art derselben mit
mehrere Meter langen, fadenförmigen Luftwurzeln bildete stellenweise
wahre Dickichte; an anderen Stellen wurde er wieder bedeckt durch
die krautigen Massen von Commelinaceen, oder von grofsblättrigen
Marantaceen, oder von Beständen niedriger Palmen (Baciris)\ da-
zwischen liefsen sich rotblühende Syphocampylus-Arten sehen.
Am letzten Tage war ein höherer Bergzug zu übersteigen, und
hier war es nach langer Zeit das erste Mal, dafs Steine und Felsen
zum Vorschein kamen. Dann ging es abwärts in das Thal des Cachi-
yacu (Salz-Flufs), eines Zuflusses des Paranapura, und als wir den
Wald verliefsen und durch das Rohrdickicht an sein Ufer herantraten,
lagen vor uns auf einem Hügel die Hütten von Balsapuerto, auf drei
Seiten von steilen, gezackten, blauen Bergztigen umrahmt. Wir be-
zogen eine leerstehende Indianerhtitte. Unser Träger ging zurück, und
wir mufsten einen neuen suchen. Das hatte auch hier seine Schwierig-
keiten, da die Bewohner einen grofsen Fischfang im Cachi-yacu vor-
bereiteten, dem jeder beiwohnen wollte. Wir waren also gezwungen,
einige Tage zu warten. Die Leute hatten grofse Mengen der Wurzel
des Barbasco-Strauches zusammengebracht, welche zum Betäuben der
Fische angewendet wird. Die Wurzeln wurden zerklopft und dann
oberhalb des Ortes zu einem festgesetzten Zeitpunkt in den Flufs
gestreut. Vorher waren unterhalb dieser Stelle an verschiedenen
Punkten aus Rohr und Stäben verfertigte Gitter quer durch den Flufs
gestellt worden, an welchen dann die Fische hängen blieben, die durch
den im Wasser verbreiteten Saft der Wurzeln betäubt herabtrieben.
An jedem Gitter wurden so viele Körbe voll Fische erbeutet. Erst als
dieses für das Dorf anscheinend wichtige Ereignis des Fischfanges
vorbei war, gelang es uns, einen jungen Mann zu bestimmen, als
Führer und Lastträger mit uns nach Moyobamba zu gehen. Am
29. Juli, nachdem wir uns gehörig verproviantiert hatten, wurde ab-
marschiert. Hinter Balsapuerto, den Cachi-yacu aufwärts, änderte sich
alsbald die ganze Natur. Wir traten in enge, mit mächtigen Fels-
blöcken erfüllte Gebirgsthäler ein, in denen der Wald einen gröfseren
Reichtum an niedrigen Gewächsen entfaltete, als dies in der Ebene
der Fall gewesen war. Moose, Farne, Felsenpflanzen und Epiphyten
traten mehr in den Vordergrund. Wir verliefsen den Cachi-yacu,
nachdem wir ihn durchquert hatten, folgten dann dem Laufe des Es-
calera-yacu, eines tiefen, durch Felsgeröll fliefsenden Gebirgsbaches,
der mehrere Male durchwatet wurde, und erstiegen endlich einen sehr
steilen, aus rotem Sandstein bestehenden Bergzug. Streckenweise
394 A - Rimbach:
waren hier Stufen in das Gestein eingehauen, um den Weg möglich
zu machen. Von einem vorspringenden felsigen Grat des Berges,
wo der Pflanzenwuchs durch die Menge der Selaginellen, Moose, Farne
der Gattungen Gleichenia und Hymenophillum, sowie grofsblütiger
Sträucher ein eigentümlich schönes, heideähnliches Aussehen bekam,
genossen wir noch einen Ausblick über die rasch abfallenden Aus-
läufer der Cordillere hin auf die Ebene des Huallaga, die als horizon-
tale Linie den Gesichtskreis begrenzt. Hierauf kamen wir an den
Puma-yacu, einen prachtvoll wilden, laut tosenden Gebirgsflufs, dessen
Wasser ober- und unterhalb der Übergangsstelle grofse, schöne
Fälle bildet, indem es über die schiefaufgerichten, glatten Felsplatten
hinabschiefst. Wir benutzten eine sehr wacklige Naturbrücke zum
Überschreiten, während unser Träger es vorzog, mit der Last den
etwas gefährlichen Weg über eine die beiden Wasserfalle trennende
und die Furt herstellende, schmale Felskante zu nehmen. Diese
Übergangsstelle über den Puma-yacu ist eines der wildesten Natur-
bilder, welche wir auf unserer Reise sahen. Bald darauf standen wir
am Ufer des Mashu-yacu, eines grofsen, ebenfalls zum Gebiet des
Paranapura gehörigen Flusses. An seinem jenseitigen Ufer lag eine
Ansiedlung, auf welcher wir übernachten wollten. Der Flufs war, da
es stark geregnet hatte, stark angeschwollen und anscheinend noch in
schnellem Steigen begriffen. Ohne langes Suchen nach flachen Stellen
mufste daher sofort durchgeschritten werden. Der Übergang war schwierig,
da man auf dem von runden, ganz glatten Geröllsteinen gebildeten
Boden keinen Halt hatte und sich gegen den Andrang des reifsenden
Wassers, das einem bis an die Hüfte ging, kaum halten konnte. Am
nächsten Tage führte uns der Weg das Thal des Mashu-yacu, der
noch mehrere Male durchschritten wurde, aufwärts bis in die Nähe
seiner Quellen. Der aus Sandstein und Konglomeraten bestehende
Boden der engen Thäler war sehr uneben, steinig und äufserst müh-
sam zu begehen. Aber nicht nur für den Botaniker, sondern für den
Pflanzen- und Naturfreund überhaupt ist dieser Weg in hohem Grade
interessant und genufsreich. Der Pflanzenwuchs des tropischen Gebirges
war hier in ganz erstaunlicher Mannigfaltigkeit und Schönheit ent-
wickelt. Namentlich die für die tropische Vegetation so charakte-
ristischen Epiphyten waren hier in Orchideen, Bromeliaceen, Araceen,
Farnen, Moosen und anderen massenhaft vertreten. Der Boden, die
Steinblöcke, die liegenden und stehenden Baumstämme, die Vorsprünge
der Felswände, alles, was irgendwie Raum bot, war von reichstem
Pflanzenwuchs bedeckt. Dazwischen schäumte in eng eingeschnittenem
Felsenbett der wilde Gebirgsbach. Es war ein grofsartiges Landschafts-
bild. Ich kann W. Sievers nur beistimmen, wenn derselbe in dem
Reise im Gebiet des oberen Amazonas. 395
Werk „Amerika" sagt, der Bergwald der Anden von 1300 m aufwärts
sei „vielleicht die anziehendste Vegetationsform der südamerikanischen
Tropen". Auf dem Kamm des Gebirgszuges, der zwischen 1500 und
2000 m hoch die Wasserscheide zwischen Paranapura und Mayo bildet,
erhoben sich zahlreiche Palmen über den von Torfmoosen über-
wucherten, nassen Boden. Auf dem Abstieg wurde der Weg sehr
morastig, und, um ihn gangbar zu machen, waren streckenweise Hölzer
längs oder quer dicht aneinander gelegt. In dem allmählich lichter
werdenden Wald standen viele Palmen, besonders Iriarteen. Der
Boden war oft von Selaginellen, Lycopodien und kleinen Farnen dicht
überzogen; daneben fanden sich grofse,- ornamentale Erd-Bromeliaceen,
hochstengelige Orchideen, sowie dichte Gestrüppe von grofsen Glei-
chenien und von Pteris aquilina. Nach und nach hörte der Hochwald
ganz auf, und wir traten auf heideartige, mit niedrigem Buschwerk
bestandene Flächen hinaus, welche nur noch einmal durch feuchten
Wald unterbrochen wurden, im Thal des Yana-yacu, über dessen
dunkles Wasser, das in tiefer Waldschlucht zwischen ausgehöhlten
Felsen flofs, eine Brücke führte. In diesem Wald fanden wir auch
die schöne Eucharis amazonica, sowohl in Blüte als auch mit reifen
Früchten.
Überraschend war nun der Blick, der sich uns von den letzten
Höhenzügen auf das Thal des Mayo-Flusses und die hinter demselben
sich auftürmende hohe Cordillere eröffnete. Aus dem Thal selbst er-
heben sich kleinere Berge, von welchen der in der Nähe von Moyo-
bamba liegende steile „Morro" am meisten auffällt. Über den statt-
lichen Mayo-Flufs setzte uns ein an demselben stationierter Fährmann
mittels eines Kahnes. Die Stadt Moyobamba liegt in etwa 800 m
Meereshöhe auf dem gelben Sande eines trockenen Hügelzuges. Sie
ist sehr ausgedehnt gebaut und war früher viel volkreicher als jetzt.
Gegenwärtig ist sie wenig bevölkert, da zahlreiche Moyobambenier,
besonders männlichen Geschlechts, von der Aussicht auf schnellen
Verdienst im Kautschuk-Handel verlockt, nach dem Maranon, besonders
nach Iquitos, ausgewandert sind und noch auswandern. Die ausge-
dehnten, unbewohnten Stadtteile mit ihren verlassenen und zerfallenen
Häusern und Mauern machen einen traurigen Eindruck. Obwohl
Kaffee und Kakao in unmittelbarer Nähe gebaut werden und Bananen
zwischen den Häusern stehen, so geben doch die Fourcroyas und
Kakteen auf den Mauern der Stadt einen Anstrich, der schon etwas
an die Sierra erinnert.
In der Gegend von Moyobamba fanden wir die erste natürliche
Unterbrechung des grofsen Waldgebiets, in welchem wir uns seit
dem Verlassen des ecuadorianischen Hochlandes fortwährend bewegt
396 A - Rimbach:
hatten. Der Wald erstreckt sich von den östlichen Kämmen der
Anden an über die Flufsgebiete des Santiago, Morona, Pastaza, Tigre
und Napo und erfüllt wohl auch ohne gröfsere Unterbrechung das
Land, welches vom Putumayo und Japura durchströmt wird. Erst am
oberen Uaupds scheint das Land offener zu werden und sich Savannen-
Formation einzustellen, welche dann im Gebiet des Guayabero und
Meta herrschend wird. Südlich vom Maranon erfüllt der Wald das
Gebiet des unteren Huallaga und Ucayale sowie das des Javari und
setzt sich von da weiter nach Osten fort. Die Gegend zwischen Hu-
allaga und Ucayale führt auf den Karten manchmal den Namen „Pam-
pas del Sacramento", ist aber- nicht etwa Savanne oder offene Flur,
sondern Waldland. Das Wort ,j>ampa" bedeutet dort nur ebenes,
aber keineswegs unbewaldetes Land.
Von Balsapuerto bis Moyobamba hatten wir 5 Tage gebraucht,
und die Nahrung war dabei ziemlich mangelhaft gewesen, da auf den
wenigen Ansiedelungen am Wege gegen unser Erwarten fast nichts
zu bekommen war. Da wir von jetzt an in mehr bebauten, stärker
bevölkerten Gegenden zu reisen hatten, wo das Auffinden des Weges
weniger Schwierigkeiten bereitet und andererseits das Mieten von
Trägern und die Abhängigkeit von denselben uns mifsfiel, so kauften
wir einen grofsen, starken Esel, auf welchem wir unser Gepäck selbst
befördern konnten; dadurch wurden wir ganz unabhängig. Diese Art
zu reisen, wobei man selbst den Eseltreiber spielen mufs, wird dem
Leser vielleicht sonderbar erscheinen, war aber unter den gegebenen
Umständen die bequemste und zweckmäfsigste. Körperliche Kraft
und Ausdauer ist allerdings dabei von nöten.
Am 10. August verliefsen wir Moyobamba. Am zweiten Tage
ging es über den Flufs Tönchimo, den der Esel durchschwimmen
mufste, während wir mit dem Gepäck in einem Kahn übersetzten.
Dann zogen wir durch die kleine Stadt Rioja. Das Land war ziem-
lich eben, sandig, teils mit prachtvoll heideartigem Pflanzenwuchs,
dichten Gebüschen von Adlerfarren und niedrigem Buschwald, teils
mit hohem Walde, streckenweise auch mit sumpfigen Orten voll Mau-
ritia-Palmen. Es gab aufserordentlich viel Schmetterlinge und des
Nachts massenhaft die sogenannte „manta blanca", eine winzig kleine
Stechfliege, die uns sehr belästigte. Je mehr wir uns aber den Bergen
der vor uns liegenden Cordillere näherten, desto feuchter wurde es,
desto höher und grofsartiger wurde der Wald, desto reicher der
Schmuck der Epiphyten auf den Bäumen. An feuchten, sandigen
Stellen des Weges, besonders aber an den Ufern der Fltifschen, die
wir durchschritten, fanden sich unzählige, den verschiedensten Arten
angehörige Schmetterlinge, die Feuchtigkeit des Bodens gierig ein-
Reise im Gebiet des oberen Amazonas. 397
saugend, sodafs sie sich leicht mit den Händen ergreifen liefsen.
Nach Überschreiten des reifsenden Yana-yacu begann der Aufstieg auf
die hohe, felsige Cordillere, auf welcher der sehr steinige Weg über
die thonigen und kalkigen Schiefer der waldbedeckten Abhänge in
fortwährendem Wechsel auf und ab führte. Gebirgsbildung und
Pflanzen wuchs waren ähnlich denen auf dem Ostabhang der kleineren
Cordillere zwischen Balsapuerto und Moyobamba; doch war jetzt
der Weg ziemlich begangen und daher deutlich, wenn auch oft auf
morastigen Strecken kaum passierbar. Sehr lästig wurden grofse Stech-
fliegen und die zahlreichen Stechmücken (zancudos). Hin und wieder
begegneten wir Trupps von Lasttieren. Oft mufsten wir durch tief
eingeschnittene, vielfach gewundene Hohlwege schreiten, die so eng
waren, dafs ein beladenes Tier gerade hindurchkommt Daher wird
an solchen Stellen immer laut gerufen, damit entgegenkommende
Treiber die Anwesenheit merken und warten, bis man den Hohlweg
verlassen hat. Innerhalb desselben wäre es unmöglich, an einander
vorbeizukommen, und äufserst schwierig, umzukehren.
In der Höhe von etwa 2000 m macht sich die Veränderung in
Klima und Vegetation sehr bemerkbar. Auf dem Gehöft eines Indi-
aners, wo wir übernachteten, standen noch Zuckerrohr und Bananen;
letztere waren aber kümmerlich entwickelt und befanden sich an der
Grenze ihres Fortkommens. Der Mais hingegen war grofskörnig und
gut. Die Temperatur betrug hier bei Sonnenaufgang 13 °, mittags 20 °,
bei Sonnenuntergang 15 °C. Besonders auffallend 'war von nun an
die Menge und Gröfse der Baumfarne, deren Stämme bis 10 m Höhe
erreichten. In 3000 m Höhe begann der Busch wald, es erschienen
die schönen Dolden der windenden Bomarea-Arten, Viola-Arten, Cal-
ceolarien, Valerianen, Ranunkeln, bis wir die Baumgrenze erreichten,
wo die Puna oder Jallca anfangt, wie man in Peru das nennt, was
man in Ecuador als Päramo bezeichnet. Die etwa 4000 m hohe Über-
gangsstelle über diesen östlichen Kamm der peruanischen Central-
Cordillere führt wegen ihrer Unwirtlichkeit und Kälte bei den Indianern
den Namen „pishcu-huanuna" oder „Tod der Vögel". Wir brauchten
fast einen Tag, bis wir über die steinigen, streckenweise mit dicker
Humusschicht versehenen, spärlich bewachsenen Flächen hintiberge-
Wandert waren und die ersten, niedrigen Wäldchen in den Thalein-
schnitten des westlichen Abhanges erreichten. Da es dunkelte, mufsten
wir uns entschliefsen, eine trockene Stelle unter den ersten besten
Bäumen zum Übernachten auszuwählen. Um den kalten Wind und
etwaigen Regen abzuhalten, errichteten wir aus Ästen eine Art Hütte
und sammelten langes Gras, womit der Boden und das Dach bedeckt
wurde. Feuer anzuzünden gelang nicht, weil kein trockenes Holz zu
Zeitschr. d. Ges. f. Erdk. Bd. XXXII. 1897. 28
398 A. Rimbach:
finden war. In der Nacht wurde es sehr kalt. Trotzdem gab es
merkwürdiger Weise auch hier sehr viele „manta Bianca" und lang-
beinige Stechmücken. Da in unserer unmittelbaren Nähe kein gutes
Gras vorhanden war, waren wir genötigt, den Esel, wenn auch ungern,
in ziemlicher Entfernung anzubinden, wo er an reichlichem Grase der
Puna sich satt fressen konnte. Wir hielten dies für ungefährlich, weil
die ganze Gegend unbewohnt und anscheinend menschenleer war.
Als wir nach festem Schlaf am anderen Morgen erwachten, war zu
unserem Schrecken der Esel von seinem Platz verschwunden und trotz
mehrstündigen Suchens nicht aufzufinden. Da es durchaus ausge-
schlossen erschien, dafs sich das Tier losgerissen hatte, so war es für
uns bald unzweifelhaft, dafs es während der Nacht von einem Indianer
gestohlen worden sei. Es blieb uns nichts übrig, als unser Gepäck
bis zur nächsten Ortschaft selbst weiter zu befördern. Mehrere
Stunden hatten wir bergauf und bergab zu gehen, bis wir ganz er-
schöpft das Indianer-Dorf Jambajallca erreichten. Dieses Dorf liegt in
etwa 3000 m Höhe und gewährt mit seinen strohgedeckten Stein-
häuschen gar keinen üblen Anblick. Wir quartierten uns bei einem
Indianer ein. Das Hauptgericht, was uns hier vorgesetzt wurde, war ge-
kochte Oca, die kleinen Kartoffeln gleichenden, säuerlich schmeckenden
Knollen von Oxalis crenata. Wir mieteten einen starken Indianer,
welcher aufser dem gesamten Gepäck noch eine Menge Nahrungs-
mittel für sich und uns auf den Rücken nahm; er sollte uns bis zur
Stadt Chachapoyas bringen.
Der Unterschied in Klima und Pflanzenwuchs zwischen dem Ost-
und Westabhang der Cordillere, welcher uns schon auf dem Weg
nach Moyobamba aufgefallen war, trat hier mit grofser Schärfe hervor.
Von feuchtem, hochstämmigem Walde, wie er die östliche Abdachung
des Gebirges bekleidet, war hier nichts zu sehen. Wir befanden uns
in einer Gegend mit dem Klima des interandinen Hochlandes, wie
wir es aus Ecuador schon kannten. Es herrschte die für das Reisen
angenehme Trockenzeit. Der Marsch ging über hohe, kahle, steinige
Bergzüge hinunter in das Thal des Flusses Utcubamba, welcher von
Süden nach Norden fliefsend in den in gleicher Richtung strömenden
Maranon einmündet. Immer abwärts steigend, trafen wir in den tiet
eingeschnittenen Thälern der Bäche, welche dem Utcubamba zu-
strömen, schöne Buschwälder mit zahlreichen Baumfarnen an, zogen
durch das Indianer-Dorf Molinopampa, wo in etwa 2300 m Höhe der
Mais schon gut gedeiht, und setzten dann den Weg abwärts fort über
die aus rauhem, weifslichem Sandstein bestehenden steilen, dürren
Bergztige, die von hartstengeligen kleinen Sträuchern, Orchideen
und Gleichenien, bewachsen waren. So erreichten wir den Ventilla.
Reise im Gebiet des oberen Amazonas. 399
einen Nebenflufs des Utcubamba. Seine steilen Thalwände waren
mit Buschwerk bewachsen; von den Felsen am Wege hingen die langen
Blütenstände riesiger Bromeliaceen herab, in der Thalsohle standen
Erlen, Weiden und Algaroben. Am 21. August kamen wir nach der
Stadt Chachapoyas. Sie liegt in etwa 2300 m Höhe auf einem der
langgezogenen, kahlen, eintönigen Bergrücken, die sich nach dem in
tiefem, engem Thal fliefsenden Utcubamba hinabsenken.
Als wir langsam die ersten Strafsen durchschritten, in der Absicht,
irgendwo ein Quartier zu finden, — denn Gasthäuser giebt es auch
hier nicht — bot uns ein vor seinem Hause stehender Herr — er
war Notar — der uns als Fremde erkannte, einen zu ebener Erde
befindlichen leeren Raum seines Hauses zum Übernachten an. Wir
waren mit diesem Anerbieten zufrieden. Am Abend richteten wir uns
unser Lager auf dem Boden des Zimmers her und waren bald fest
eingeschlafen. Als ich einmal erwachte, fühlte ich an Kopf und
Händen kleine, weiche, rupde Körperchen haften; ich zündete Licht
an und bemerkte, dafs es Zecken waren von grauer Farbe, in allen
Gröfsen bis zu 1 cm Durchmesser; die einen waren noch ganz dünn
und platt, andere hatten sich bereits voll Blut gesogen und waren zu
Kugeln angeschwollen. Wir töteten an hundert Stück. Am Tage
waren sie nicht zu sehen. Sie ziehen sich nämlich dann in die Löcher
und Ritzen der Mauern und des Fufsbodens zurück. An der Stelle,
wo sie gesogen haben — man empfindet weder Stich noch Jucken — ,
bildet sich ein ziemlich grofser, kreisrunder, blutunterlaufener Fleck.
Glücklicher Weise kriechen sie nicht in die Kleider, sondern befallen
nur die unbedeckten Körperteile.
Als wir am anderen Morgen unseren Hauswirt begrüfsten, er-
kundigte er sich nach Landessitte sehr höflich nach unserem Befinden
und fragte ganz naiv, ob uns nicht vielleicht die ,,garrapata&" gestochen
hätten, obgleich wir an Gesicht und Händen die deutlichen Spuren
davon zur Schau trugen. Diese Zecken kommen in allen Ortschafben
des Utcubamba-Thales vor, aufserhalb desselben kannte man sie nicht.
Bei Chachapoyas ist auch der Vampyr oder die blutsaugende Fleder-
maus ziemlich häufig, welche nachts Pferde, Esel und gelegentlich
auch den Menschen im Schlafe anfallt. Auf einer früheren Reise
waren wir schon selbst von diesem Tier angesaugt worden. Diese
kleine Fledermaus (Phyllostoma) beifst, ohne dafs man es empfindet,
ein kleines, höchstens linsengrofses Stückchen aus der Haut und saugt
das herauslaufende Blut. Einmal waren mein Bruder, ich und zwei
Cholos, als wir neben einander in einem offenen Rancho im Walde
schliefen, sämtlich von dem Tier angebissen worden und zwar jeder
an mehreren Stellen. Ich war der einzige, welcher infolge eines
28*
400 A - Rimbach:
stechenden Schmerzes aufwachte, als mich das Tier zuletzt gerade in
die Spitze des Zeigefingers bifs. Kleinere Tiere, wie Hühner, welche
auch häufig befallen werden, sterben dabei leicht an Verblutung. Des-
halb schliefsen die Leute in Gegenden, wo diese Fledermaus viel vor-
kommt, des Nachts, sehr sorgfältig die Hühnerställe. Pferde und Esel
beifst der Vampyr gewöhnlich an der Seite des Halses, seltener am
Rücken an, und man trifft sehr oft des Morgens diese Tiere mit einem
Streifen herabgeflossenen Blutes gekennzeichnet.
In Chachapoyas hielten wir uns einige Tage auf, sowohl um von der
anstrengenden Reise auszuruhen, als auch, um ein neues Lasttier zu
kaufen und uns mit Lebensmitteln zu versorgen. Die Stadt bietet
wenig Bemerkenswertes. Am meisten interessierte uns die für dortige
Verhältnisse hübsche Markthalle und das rege Leben, welches daselbst
herrschte. Unsere Absicht war nun eigentlich gewesen, von Chacha-
poyas aus das Thal des Utcubamba abwärts, dann über den Maraiion
nach Jaen zu gehen und darauf, in ecuadorianisches Gebiet eintretend,
über Loja nach Guayaquil uns zu wenden. Leider wurde es uns durch
die Verhältnisse unmöglich gemacht, diesen hochinteressanten Weg
einzuschlagen. An den Grenzstreit zwischen Ecuador und Peru dachte
hier zwar niemand; dafür hörten wir aber, dafs seit kurzer Zeit ein
Bürgerkrieg innerhalb Perus ausgebrochen sei. Um Bestimmtes hier-
über zu erfahren, begaben wir uns in das Regierungsgebäude. Der Vice-
Gouverneur teilte uns daselbst mit, dafs die ganzen nördlichen Landes-
teile, gerade diejenigen, durch welche wir unseren Weg nehmen wollten,
im Aufruhr sich befänden, indem sich dort Banden von Aufständischen,
von sogenannten „Montoneros" gebildet hätten, welche die Behörden
der Regierung stürzten und die Regierungstruppen, wo solche sich be-
fänden, angriffen. Es sei uns durchaus abzuraten, uns in die nördlichen
Gebiete zu begeben, da manche Banden es nur auf Raub abgesehen
hätten und auch den Ausländer wohl schwerlich respektieren würden.
Der einzige Weg, welcher bis jetzt noch einigermafsen sicher sei, wäre
derjenige über Cajamarca nach der Küste.
Unter diesen Umständen blieb uns, zumal aus dem unteren Thal
des Utcubamba mehrere Mordthaten gemeldet wurden, nichts übrig,
als unseren ursprünglichen, schönen Plan aufzugeben und uns nach
Westen, direkt nach der Küste des Pacifischen Meeres zu wenden.
Am 24. August zogen wir mit einem gemieteten Lastpferd und einem
Burschen bis zum Indianer-Dorf Magdalena, welches wir in einem Tage
erreichten. Es wurde auf diesem Weg ein hoher Bergrücken bis zur
Region des Buschwaldes erstiegen, dann wurde wieder in das tiefe Thal
eines Nebenflüfschens des Utcubamba hinabgeklettert. Die steilen Ab-
hänge dieses Thaies waren trocken und sehr steinig, im unteren Teil
Reise im Gebiet des oberen Amazonas. 401
bewachsen von grofsem Säulenkaktus (Cereus) und Algaroben-Bäumchen,
welche dicht mit Tillandsia usneotdes (dem sog. Louisiana-Moos) be-
hangen und mit einer aufrechten Tillandsia-Art besetzt waren, aus
deren weifslicher Blattrosette sich ein blauroter Blütenstand erhebt.
Im Gegensatz zu dem grauen, sterilen Aussehen der Thalwände er-
schien tief unten die Thalsohle in saftigem Grün von Zuckerrohr und
Fruchtbäumen. In Magdalena erwarben wir einen Esel und setzten
die Reise wieder allein fort. Da wir erfahren hatten, dafs in allen
Ortschaften des Utcubamba-Thales die Häuser voll garrapaias seien,
so übernachteten wir immer an geeigneten Stellen im Freien. Im
Grunde des Thaies, welchen wir nun erreichten, gediehen Bananen und
Zuckerrohr, von epiphytischen Bromeliaceen behangene Weiden, Nufs-
bäume und Chirimoya-Bäume (Anona chertmolia)) die letzteren wuchsen
anscheinend wild und haben vielleicht in jenen Gegenden ihre ur-
sprüngliche Heimat. Die steilen Kalkfelsen waren viel mit Orchideen
bewachsen. Drei Tage lang zogen wir in südlicher Richtung dieses
Thal aufwärts, kamen durch mehrere Dörfer, in denen die Leute gerade
den Mais und Weizen geerntet hatten, und erreichten dann den Ort
Leimebamba. Von da aus wandten wir uns wieder nach Westen, um
aus dem Thal des Utcubamba über die Cordillere hinweg nach dem
Marafion zu gelangen. In steilem Anstieg führt von Leimebamba aus
ein Zickzackweg ein mit feuchtem, farrenreichem Wald bewachsenes
Seitenthal hinauf. Es war die letzte, feuchte Waldgegend, welche wir
in Peru antrafen. In der Buschwald-Region der kühleren Höhen wurde
das fast unbewohnte Thal sehr anmutig. Zu Seiten des Flüfschens,
welches dasselbe durchzog, breiteten sich kurzrasige Wiesenflächen
aus. Stellenweise schlössen hübsche Felspartien den Thalgrund ab.
Auf solchen Felsen wuchs hier die schöne rotblühende Amaryllidee
Stenomcsson incarnatum. Zahlreiche Vögel belebten die Gegend. Nach-
dem wir die Nacht unter einem überhängenden Felsen zugebracht
hatten, setzten wir tags darauf den Weg durch die Buschregion bis
zur Puna fort. Den Boden bildete erst Kalk, dann Sandstein und zuletzt
Granit. Die Puna hatte ein ganz ähnliches Aussehen wie jene von
Pishcu-huanuna, trug spärlichen Pflanzenwuchs, in welchem besonders
ein grofser, aufrechter Siphocampylus mit blafsroten Blüten auffiel.
Der Weg war gut, aber Regen und kalter Wind tobten den ganzen
Tag über, sodafs wir sehr froh waren, als der Abstieg nach Westen
begann. Mit einem Schlage waren hier Wind, Kälte und Feuchtigkeit
verschwunden. Die Luft wurde warm und trocken, der Boden dürr
und staubig. Wir traten in die obere Buschregion des Maranon-Thals
ein, welche viel hartes, dorniges Gesträuch enthielt. Nach einer in
dieser Höhe im Freien verbrachten Nacht, in welcher uns die Stech-
402 ^- Rimbach:
mücken wieder stark quälten, wurde der Abstieg zum Maranon tort-
gesetzt. Die sehr steilen, rötlichen, granitischen Bergabhänge trugen
oben dürres Gras und zerstreutes, niedriges Gebüsch, weiter unten
sind sie hauptsächlich von baumartigem Säulenkaktus bestanden; die
Stämme dieser Kakteen (Cereus) haben zum Teil 8 bis 10 m Höhe bei
i m Umfang und sind kandelaberartig verzweigt. Blüten fanden sich
nicht daran. Vermischt mit ihnen standen niedrige Bombaceen-Bäume,
welche gerade ohne Blätter waren, aber Blüten und teilweise Früchte
trugen. Auf den Steinen und dem ausgetrockneten Boden safsen kleine
kugelförmige Kakteen. Es war eine echt xerophytische Vegetation von
höchst eigentümlichem Aussehen. Von der Höhe der Berge sah man
im tiefen Thal den Maranon glitzernd dahinfliefsen. Doch ging fast
ein ganzer Tag dahin, bis wir den ermüdenden Zickzackweg den
wasserlosen, heifsen Abhang hinunter hinter uns hatten und den Ort
Balsas am Ufer der Flusses erreichten. Der Maranon fliefst hier in
reifsendem Laufe über grobe Geröllsteine, die mit grünen, flutenden
Algen dicht besetzt sind. Der Übergang wird durch ein Flofs ver-
mittelt. Wir setzten über und übernachteten am anderen Ufer auf
einer Hacienda im Freien. Der Ort mag 600 bis 800 m über dem
Meer liegen. Gebaut werden Kakao, Kaffee, Bananen, Jucca, Zucker-
rohr, Papaya, Bataten, Orangen und besonders Coca. In den Thal-
winkeln fanden sich Wäldchen belaubter Bäume, an den Ufern des
Flusses breiteten sich Gebüsche von dornigen, gelbbltihenden Mimosen-
sträuchern aus. Obgleich die ganze Nacht hindurch starker Wind
wehte, konnten wir doch vor Wärme nicht schlafen. Morgens um
6 Uhr betrug die Temperatur noch 24 C. Sehr zahlreich sind hier
die Vampyre, die auch unseren Esel während der Nacht angebissen
hatten. In der Regenzeit, welche hier von Oktober bis März dauern
soll, gewinnen die Berge ein anderes Aussehen, da dann alle Bäume und
Sträucher sich belauben und der Boden sich mit frischem Gras bedeckt.
Der westliche Abhang des Marafion-Thals, welchen wir nun er-
kletterten, trug denselben eigentümlichen Pflanzenwuchs wie der öst-
liche; nur gesellten sich hier zu den erwähnten Pflanzen noch häufiger
hinzu ein kleiner, dorniger, gelbblühender Caesalpiniaceen-Baum und
ebenfalls in Blüte stehende Euphorbiaceen-Sträucher mit fleischigen
Stengeln, alles zur Zeit blattlos, mehrere Kakteen-Arten und einige
blattlose Sträucher. Auf diesen Pflanzen, vor allem auf den grofsen
Kakteen-Stämmen, sowie auf den Steinen in deren Nähe hafteten zahl-
reiche Schnecken im Trockenschlaf, über den Boden huschten Ei-
dechsen, Scharen grüner Papageien durchzogen die Luft. Die engen
Schluchten der Bergabhänge waren angefüllt mit grünen Wäldchen
von Algaroben, dornigen Mimosen und schönblütigen Bignoniaceen.
Reise im Gebiet des oberen Amazonas. 403
Auf halber Höhe des Abhanges übernachteten wir. Weiter oben machte
die beschriebene Vegetation niedrigem Buschwerk Platz; an Stelle des
Granits trat Kalkstein. Von der Höhe des Gebirgskammes warfen
wir noch einen letzten Blick auf den Maranon und sein merkwürdiges
Thal, dann zogen wir über das trockene Kalkgerölle des Bergrückens
hinunter und sahen zu unseren Füfsen eine fast baumlose, aber gut
kultivierte, flache Hochebene mit der Stadt Celendin. In dieser Stadt,
die etwa in 2600 m Höhe gelegen ist, übernachteten wir.
Da verbreitete sich die Nachricht, dafs eine gröfsere Abteilung
von Montoneros unter Führung des Generals Seminario eben die kleine
in Cajamarca befindliche Regierungstruppe verjagt und diese Stadt
eingenommen habe. Sollten wir nun unseren Weg nach Cajamarca
fortsetzen? Die einen rieten uns davon ab, indem sie die Montoneros
als Räuberbande schilderten, die anderen, heimliche Anhänger der
Revolution, meinten, es sei für uns als Fremde ganz gefahrlos; die
Montoneros seien geordnete Truppen unter bekannten Führern. Wir
entschlossen uns, weiter zu reisen und verliefsen am anderen Tage
Celendin. Es begann der Aufstieg auf den östlichen Kamm der
Küsten-Cordillere. Nachdem wir einige Stunden lang steinige Höhen-
züge emporgeklettert waren, wurde der Weg sehr undeutlich und teilte
sich häufig. Da kam ein Reiter hinter uns hergeritten. Er teilte uns
mit, dafs auf die letzten von Cajamarca eingetroffenen Nachrichten
hin die Partei der Montoneros in Celendin offen aufgetreten sei und
die Regierungsbehörden abgesetzt habe. Dieselbe habe ihn abgeschickt,
um dem General Seminario diese Nachricht nach Cajamarca zu bringen.
Wir würden schwerlich den unkenntlichen Pfad über die Puna finden
können und sollten uns deshalb lieber ihm anschliefsen. Wir waren
froh, einen Führer zu haben und zogen in der Gesellschaft des Mannes
weiter. Unser Begleiter trieb, auf seinem Pferde sitzend, unseren Esel
vor sich her, sodafs wir, dieser Mühe enthoben, schneller ausschreiten
konnten. Wir gelangten auf die hohe, bäum- und strauchlose Puna,
die nur mit büscheligem Gras bewachsen war, zwischen dem kleine
Hypericum-Büschchen und stellenweise massenhaft weifsblühende Gen-
tianen standen. Der Boden bestand auf diesem Hauptrücken der
peruanischen Küsten-Cordillere aus hartem Kalkstein. Mit einer ein-
zigen kurzen Pause, während welcher wir etwas afsen, blieben wir den
ganzen Tag über auf dem Marsch. Als die Sonne unterging, senkte
sich der Weg abwärts, und wir kamen in ein angebautes Thal, wo auf
einem Weizenfeld in aufgehäuftem Stroh tibernachtet wurde. Noch
vor Tagesanbruch wurde wieder gesattelt und weiter marschiert. Als
der Weg nicht mehr zu verfehlen war, verliefs uns der Celendiner,
da er Eile hatte, und wir zogen langsam allein weiter.
■ I
404 A - R-imbach:
Als wir uns an einem Bach gelagert hatten, um zu frühstücken,
kamen drei mit Gewehren bewaffnete Reiter uns entgegen. Sie machten
sich schufsbereit, als sie an uns herankamen, da sie nicht wufsten, ob
sie Freunde oder Feinde vor sich hatten. Ein blaues Band um ihre
Strohhüte mit der Aufschrift „partido Piirola" kennzeichnete sie als
Montoneros. Als wir ihnen auf ihr Befragen auseinandergesetzt hatten,
dafs wir Fremde seien und von Chachapoyas her kämen, versicherten
sie, dafs wir ungefährdet nach Cajamarca weiter reisen könnten, und
ritten weiter. Nachdem wir baumlose, mit ganz kurzem Gras be-
wachsene Flächen und steile, felsige Höhenzüge überschritten hatten,
stiegen wir in die ebenfalls sehr baumarme, breite Ebene von Caja-
marca hernieder. Die Stadt liegt an den äufsersten, westlichen Zug
der Küsten-Cord illere angelehnt, in etwa 2700 m Höhe. Es war am
4. September nachmittags, als wir in dieselbe einzogen. Vor einem
Gebäude, das eine improvisierte Kaserne der Montoneros vorstellte,
stand eine Anzahl bewaffneter Leute, zum Teil in anscheinend ange-
trunkenem Zustand, in lautem Wortwechsel begriffen. Wir fanden
nicht weit davon ein geeignetes Unterkommen in derselben Strafse, und
nachdem wir gegessen und uns umgekleidet hatten, ging ich hinaus,
um mich in der Stadt umzusehen und über die Verhältnisse zu er-
kundigen. Kaum war ich hinausgetreten und ging die Strafse in der
der „Kaserne" entgegengesetzten Richtung entlang, so hörte ich hinter
mir pfeifen und rufen. Ich achtete nicht darauf und ging langsam
weiter. Bald merkte ich aber, dafs eine Rotte mir nachlief und
schreiend und fluchend näher kam. Ich that, als ob es mir nicht gälte,
und ging, ohne mich umzusehen, ruhig vorwärts. Ich wollte eben in
eine Querstrafse einbiegen, als sie mich einholten. Ein Mulatte sprang
vor, stiefs mir mit aller Kraft den Gewehrkolben gegen die Brust, hielt
mir das gespannte Gewehr vor und schrie mich wütend an, weshalb
ich nicht hörte, wenn sie riefen. Ich antwortete den Leuten, ich liefse
mich nicht mit Schimpfworten rufen, wenn sie mir etwas zu sagen
hätten, sollten sie es in gebührender Weise thun. Da stellten sich die
sechs oder acht Mann um mich herum, hielten mir die gespannten
Gewehre und Revolver vor den Leib und schrieen, ich müfste sofort
mit zur Kaserne. Inzwischen waren auch die Eigentümer des Häus-
chens, in dem wir Wohnung genommen hatten, auf den Lärm aufmerk-
sam geworden und riefen meinem im Hause befindlichen Bruder zu:
„Estdn agarrando d Su hermano", „Man nimmt Ihren Bruder fest"! Mein
Bruder ergriff einen grofsen Knüppel, welcher dazu diente, die Thür
zuzustemmen, und eilte herbei, um mir zu helfen. Da ich gleich ein-
sah, dafs Widerstand unnütz und gefährlich war, rief ich meinem
Bruder auf Deutsch zu, er solle von dem Knüppel keinen Gebrauch
Reise im Gebiet des oberen Amazonas. 40Ö
machen, sonst würden die Leute auf uns schiefsen. Er liefs sich da-
her den Stock abnehmen, und wir gingen mit der Bande zur Kaserne.
Hier empfing uns ein Führer und fragte uns auf englisch, wer wir
seien und was wir hier thäten. Wir beschwerten uns zunächst über
die erfahrene Behandlung und setzten ihm unsere Verhältnisse aus-
einander. Der Offizier entschuldigte sich mit der schwierigen und ge- g
fährlichen Lage, in welcher sie sich selbst befänden: er hätte den |
Verdacht gehabt, dafs wir Spione der Regierungstruppen seien; denn J
diese hätten Ausländer in ihrem Dienst. Darauf führte er uns zum |-
Regierungsgebäude, wo der Oberstkommandierende der etwa 1500 t
Aufständischen, die in Cajamarca lagen, sein Quartier hatte. Um den- t
selben war eine Menge von Führern, von denen die meisten blofs teil- \
weise militärische Uniform trugen, sowie hervorragende Parteigenossen I
von Cajamarca versammelt. Auf unser Ersuchen liefs uns der General [
Teodoro Seminario einen Pafs nach Pacasmayo ausstellen. In den
Strafsen sah man tiberall die blauen Abzeichen der Partei Pie*rola's.
Die Anhänger der Regierung oder vielmehr des Generals Cäceres
hielten sich verborgen. Am Abend wurden plötzlich die Mannschaften
in den Strafsen versammelt, und in der Nacht zog die ganze Truppe
aus der Stadt hinaus; wohin wufste niemand. Es hiefs, eine gröfsere
Abteilung Regierungstruppen sei von Süden her im Anzüge, um die i
Montoneros anzugreifen. [
Wir blieben in der Stadt, um uns von den Anstrengungen der v
Reise zu erholen und die merkwürdigen alten Bauwerke anzusehen. I
Da rückten am 6. September 800 Mann Regierungstruppen, Infanterie j
und Kavallerie mit vier leichten Kanonen, unter dem Kommando des '
Generals Lagomarsino, von Süden kommend, in die Stadt ein. Diese
Soldaten waren alle uniformiert und meist mit Repetiergewehren be-
waffnet. Viele derselben waren Neger oder auch Mischlinge; letztere
fanden sich auch unter den Offizieren. Hinter der Truppe folgte eine
gröfsere Menge berittener Negerinnen, manche mit kleinen Kindern
im Arm. Nach dem Einzüge dieser Truppen verschwanden die blauen
Abzeichen der Anhänger Pidrola's, und es kamen nun überall die Par-
teigänger der Regierung mit roten Bändern um die Hüte zum Vor-
schein. »Abajo PiSrola, viva Cdceres" erscholl es nun in den Strafsen.
Bald merkten wir, dafs wir die Aufmerksamkeit der neuangekommenen
Truppen auf uns lenkten, und hörten auch Bemerkungen, aus denen
hervorging, dafs man uns für Montoneros oder Spione derselben hielt.
Dazu trug noch der Umstand bei, dafs ganz zufälliger Weise unsere
Anzüge dunkelblaue Farbe hatten, welche an diejenige der Montoneros
erinnerte. Da die Sache uns unangenehm wurde, begaben wir uns in
das Regierungsgebäude, wo nunmehr der General Lagomarsino herrschte,
%
406 A. Rimbach:
legten demselben unsere Verhältnisse dar und erbaten uns einen Pafs
für unsere Sicherheit, welchen wir auch erhielten. Das konnte aller-
i, dings nicht verhindern, dafs wir alle Augenblicke von Offizieren an-
gehalten und mifstrauisch ausgefragt wurden, sowie drohende Zurufe
aus dem Publikum hören mufsten. Der neu eingesetzte Bürgermeister
der Stadt wollte uns sogar als zweifelhafte Personen arretieren lassen.
Dieser Unannehmlichkeiten müde, verliefsen wir am Morgen des 7. Sep-
tember Cajamarca, ohne uns die Stadt so eingehend angesehen zu
haben, als es unsere Absicht gewesen war.
Der Anstieg von Cajamarca bis auf den Kamm des westlichen
Zuges der Küsten-Cordillere ist nicht bedeutend. Die Höhe besteht
aus traehytartigem Gestein und • ist mit ganz kurzem Gras und winzigen
Kräutern bewachsen. Dann folgte der Abstieg nach der Küste. Die
ziemlich einförmig abfallenden Abhänge bestehen im oberen Teil aus
Kalk, im unteren aus Quarzit- und porphyrartigem Gestein und bieten
einen ganz ähnlichen Anblick dar , wie jene des Maranon-Thals bei
Balsas. Auf dem nackten, trockenen Boden sitzen Polster von Stachel-
{ spitzigen Bromeliaceen mit gelben Blüten und kleine, dornige, kugel-
ig förmige Kakteen. Hier und da zeigen sich die Schäfte stenomesson-
* ' artiger Amaryllideen mit gelbroten Blüten. Dazwischen erheben sich
^ weifsfilzige, dornige Säulenkaktus, blattlose Sträucher und kleine Bäum-
chen. In der Thalsohle am Pacasmayo-Flufs herrschen grüne Weiden,
\ Schmus molk und Mimosen vor. Der Weg geht streckenweise auf dem
\ Damm einer ehemaligen Eisenbahn, welche von Pacasmayo bis in die
; Nähe der Ortschaft Magdalena hinauf geführt worden war, aber, da
| sie zu tief im Thal hinlief, von dem Pacasmayo-Flufs teilweise zerstört
und dann dem Verfall preisgegeben worden ist. Auf weite Strecken
hin fanden wir die Schienen teilweise gelegt, teilweise zu den Seiten
des Weges aufgeschichtet; die hölzernen Schwellen waren zum Teil
wieder herausgerissen und von den Bewohnern verbrau cht worden. Je tiefer
wir zur Küstenebene herabstiegen, um so steriler wurden die immer
mehr sich abflachenden Ausläufer des Gebirges; die Gegend nahm
stellenweise das Aussehen einer Sandwüste an. Im Gegensatz hierzu
fand sich in der unmittelbaren Nähe des Flusses eine sehr reichhaltige,
schön belaubte Vegetation von Sträuchern und Bäumen, welche von
auffallend vielen Vögeln belebt war. Am 10. September erreichten
wir die Ortschaft Yonan. Von da an ist die Eisenbahn bis zum Hafen
Pacasmayo im Betrieb. Sie durchläuft also nur die schmale Küsten-
ebene. Wir fuhren mit der Eisenbahn in 4 Stunden nach Pacasmayo-
p Diese Strecke ist überall da, wo kein Wasser vorhanden ist, wtisten-
artig. Wo aber Wasser hinkommt, gedeiht ein üppiger, tropischer
Pflanzenwuchs. Als wir, in Pacasmayo angelangt, den rauschenden
Reise im Gebiet des oberen Amazonas. 407
Ocean vor uns sahen, da waren wir nach der langen und mühevollen
Landreise in einer Stimmung, wie sie wohl die Griechen des Xenophon
erfüllt haben mag, als sie ihr „#cd«rra, dakarta" riefen.
Der kleine Hafenort Pacasmayo, welcher sich erst in jüngster Zeit
entwickelt hat, besitzt eine eiserne, in das Meer hinausführende
Landungsbrücke. Die Dampfer ankern aber noch etwas weiter draufsen.
Bis an den Meeresstrand ziehen sich niedrige Hügelketten, mit fast
pflanzenlosem Sand bedeckt. Während es noch in Yonan, wie uns ^.
gesagt wurde, von December bis März regnet, wobei die Berge eine j
grüne Pflanzendecke erhalten, so regnet es in Pacasmayo überhaupt |
niemals. Die Temperatur ist daselbst gemäfsigt und das Klima sehr
gesund.
Auf dem Wege von Yurimaguas bis Pacasmayo hatten wir fünf
hohe Gebirgsketten überschritten. Dieselben gruppieren sich vom
topographischen Gesichtspunkt aus derart, dafs die verhältnifsmäsig
niedrige Gebirgskette zwischen Paranapura und Mayo als Abzweigung
des Hauptgebirges gesondert dasteht, während die beiden Ketten
zwischen Mayo und Maranon, durch das Hochthal des Utcubamba
getrennt, die grofse Central-Cordillere zusammensetzen und die beiden
Ketten zwischen dem Maranon und dem Ocean, welche das Hochthal l
von Cajamarca zwischen sich haben, die Ktisten-Cordillere bilden. In *
pflanzengeographischer Hinsicht ist dieser selbe Weg dadurch höchst \
bemerkenswert, dafs auf demselben in der Richtung von Osten nach ^
Westen ein Übergang von ausgesprochen hygrophytischer zu extrem
xerophytischer Vegetation stattfindet. Dabei hält sich die hygro-
phytische Vegetation am längsten auf den Ostabhängen der Gebirgs-
züge, während auf den Westabhängen derselben der xerophytische
Charakter am frühesten sich zeigt. Schon auf der westlichen Ab-
dachung der niedrigen Ost-Cordillere und in der Umgebung von Moyo-
bamba ist ein Hinneigen zum xerophytischen Charakter im Pflanzen-
wuchs bemerkbar. Sehr scharf tritt der Gegensatz zwischen der Vege-
tation der östlichen und jener der westlichen Gebirgsflanken an beiden
Kämmen der Central-Cordillere hervor: auf der östlichen Seite tragen
dieselben dichten feuchten, immergrünen Wald, auf der westlichen
hingegen lichte Bestände von laubwechselnden Holzpflanzen und
Kakteen. Auf der West-Cordillere ist der xerophytische Pflanzenwuchs
herrschend, und der Küstenstreifen an ihrem Fufs bildet zum Teil eine
Wüste.
Wir hatten in Pacasmayo einige Tage zu warten bis zur Ankunft
des Dampfers, welcher uns nach Guayaquil bringen sollte. Während
dessen kam ein Teil der Regierungstruppen, welche wir in Cajamarca
kennen gelernt hatten, auf dem von uns zurückgelegten Wege nach
408 A - Rimbach:
Pacasmayo herunter und wurde daselbst eingeschifft, um in dem etwas
weiter nördlich liegenden Hafen Lambayeque gelandet zu werden,
weil dieser Ort von den Montoneros bedroht wurde. Bekanntlich hat
dieser Bürgerkrieg mit dem Siege der Partei Pie'rola's geendet, welche
sich noch in verschiedenen anderen Teilen des Landes erhoben hatte.
— Am 13. September fuhren wir auf dem Dampfer „Pizarro" von
Pacasmayo ab und gelangten am 15. nach Guayaquil.
Geographische Bemerkungen.
Die folgenden Angaben über die Flufs -Systeme des Santiago,
Morona, Pastaza, Chambira und Tigre gründen sich zum Teil auf
eigene Beobachtungen, zum Teil auf Erkundigungen, welche ich von
Leuten eingezogen habe, die in den betreffenden Gegenden gereist
sind.
Der Santiago bildet sich aus dem aus dem Becken von Cuenca
kommenden Paute und dem von Loja kommenden Zamora. In letzteren
mündet von links in etwa 850 m Höhe der Bomboisa. Am Zusammen-
fiel fs des Bomboisa und Zamora, welchen ich sah, haben beide starkes
Gefälle in bergiger Gegend. Der Bomboiza fliefst von NW nach SO
und empfangt von links mehrere von N nach S strömende Flüfschen,
an deren einem die Ansiedelung Gualaquiza liegt.
Der Morona bildet sich aus zwei gleichstarken Flüssen, Mangosisa
und Cosulima. Am letzteren liegt das Dorf Macas. Sein gröfster
Nebenflufs ist der Pushaga, der von links, nach diesem der Uachi-
yacu, der von rechts in den Unterlauf mündet. Der Morona soll
tief sein, träge fliefsend, mit wenig Windungen, in flachhügeliger
Gegend. Die von T. Wolf (Geografla y Geologfa del Ecuador, 1892.'
befürwortete Annahme, dafs der Flufs von Macas in den Morona und
nicht in den Paute gehe, ist nach meinen Erkundigungen die richtige-
Der Pastaza empfängt als gröfste Zuflüsse den Bobonaza von
links und den Huasaga von rechts. Kleiner ist der Huitu-yacu. Die
etwas unterhalb desselben liegende Lagune Rimachuma hat drei Zu-
flüsse : Palomba, Chuindre und Sidyay, von denen Chuindre bei Hoch-
wasser mit dem Morona in Verbindung treten soll. Die auf der Wolf-
schen Karte im Unterlaufe des Pastaza angegebenen linken Zuflüsse
scheinen nicht zu existieren. Damit scheint in Einklang zu stehen, dafs die
Quellflüsse des Nucuray und Chambira ganz aus der Nähe des Pas-
taza herkommen sollen.
Der Chambira soll seinen Ursprung in der Nähe von Andoas
haben. Sein gröfster Nebenflufs ist der Tigre-yacu, von rechts, nahe
Reise im Gebiet des oberen Amazonas. 409
er Mündung. Die bedeutenderen der linken Seite sind Fuca-yacu
nd Patu-yacu.
Der Tigre entsteht aus dem Cunambo und Pintu in der Gegend
wischen Curaray und Bobonaza. Beide sollen noch einen Tag auf-
r ärts mit kleinen Dampf booten befahrbar sein. Die gröfsten Nebenflüsse
ind: Puca-curu von links und Corriente von rechts. Beide sind
lehrere Tage aufwärts mit dem Dampfboot zu befahren. Der
Tigre soll viele Windungen machen, sein Gebiet ganz flach sein. Cunam-
>o und Pintu scheinen von einem ziemlich hohen Bergzuge zu ent-
springen.
Bemerkung.
In der No. 5 dieses Jahrganges der Zeitschrift, Seite 346, erste Zeile, bezieht
sich „do. do. Britische Karte 361 m" auf „Pafshöhe bei Hysternia 343 m"
(auf der vorhergehenden Seite).
Druck von W. Pormetter in Berlin.
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Tafel 12.
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Autogr.d.geofcrJift '.^r.u.Steindr.v. CLKdltr, Baiin S.
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Verlag von W. H. Kühl, Berlin W, Jägergtr. 73.
Thessalien und Epiras.
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Privatdocent der Geographie an der Universität Bonn.
Herausgegeben von der
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XI u. 422, Seiten 8° und acht Tafeln.
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Verlag von W. H. Kühl, Jägerstrasse 73, Berlin W.
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Herausgegeben von der
ßesellschaft für Erdkunde zu Berlin.
Bearbeitet von
Ott/? BÄhin.
Band I. Jahrgang 1891 u. iftpV Jfclu.fcp6 S. 8°. Preis M. 10.—
Band II. Jahrgang i893.^XV^Rfc3Pi 8°. Preis M. 8-—.
Band LH. Jajte£ang^t>4. XVI u. 40a S. 8°. Preis Bf. 8.— .
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Selbstverlag der Gesellschaft für Erdkunde.
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